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German Pages 250 Year 2017
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel
Band 199
Die Bekämpfung des Terrorismus mit Mitteln des Völkerund Europarechts Herausgegeben von
Kerstin Odendahl
Duncker & Humblot · Berlin
Kerstin Odendahl (Hrsg.)
Die Bekämpfung des Terrorismus mit Mitteln des Völker- und Europarechts
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von Andreas von Arnauld, Nele Matz-Lück und K e r s t i n O d e n d a h l Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht
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Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics James Crawford International Court of Justice, The Hague Lori F. Damrosch Columbia University, New York Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis Eibe H. Riedel Universität Mannheim
Allan Rosas Court of Justice of the European Union, Luxemburg Bruno Simma Iran-United States Claims Tribunal, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Heidelberg
Die Bekämpfung des Terrorismus mit Mitteln des Völkerund Europarechts Herausgegeben von
Kerstin Odendahl
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-15287-2 (Print) ISBN 978-3-428-55287-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85287-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Einleitung: Reichen die völker- und europarechtlichen Instrumente aus, um den Terrorismus im 21. Jahrhundert zu bekämpfen? Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus steht seit mehreren Jahren im Zentrum zwischenstaatlicher Kooperationsbestrebungen. Die Tatsache, dass dieses ursprünglich nationale Phänomen mittlerweile weltweite Dimensionen angenommen hat, zwingt die internationale Gemeinschaft, gemeinsam zu handeln. Dementsprechend hat sich zunächst auf völker-, später auch auf europarechtlicher Ebene eine stetig wachsende Zahl von Normen, Institutionen und Aktivitäten entwickelt, deren Ziel die effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist. Stichworte wie Anti-Terrorismuskonventionen, UNO- und EU-Terrorlisten, Sanktionen des UN-Sicherheitsrates, Unterbindung der Finanzströme, Suche nach einer einheitlichen Terrorismusdefinition oder die Gründung des Europäischen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung, genügen, um die Bedeutung des Themas zu skizzieren. Die rechtlichen Instrumente zur Terrorismusbekämpfung sind Gegenstand einer kaum noch zu übersehenden Zahl von Vorträgen und Veröffentlichungen. Im Fokus der meisten von ihnen stehen menschenrechtliche Aspekte: Sind gezielte Tötungen (im Ausland) erlaubt? Wie ist das Guantánamo-Gefangenenlager rechtlich zu beurteilen? Welche Menschenrechtsprobleme werfen die sog. Terrorlisten auf? Wird das absolute Folterverbot relativiert? Welche Rolle spielt der Umgang mit persönlichen Daten? Oder ganz allgemein: Wie sind Freiheit und Sicherheit gegeneinander abzuwägen? Im Zentrum stehen also zumeist die (negativen) Folgen der Terrorismusbekämpfung. Die Ringvorlesung, die das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht 2015/2016 mit dem Titel „Die Bekämpfung des Terrorismus mit Mitteln des Völkerund Europarechts“ durchgeführt hat, ergänzte diese wichtige Debatte und analysierte den Schritt davor. Untersucht werden sollten nicht die – schon intensiv behandelten – negativen Auswirkungen, sondern die – bislang vernachlässigte – Frage nach der Effektivität der Terrorismusbekämpfung. Namhafte Experten wurden gebeten, die bestehenden Instrumente in einem bestimmten Bereich aufzuarbeiten und anschließend der Frage nachzugehen, ob diese geeignet und ausreichend sind, um das Phänomen des Terrorismus im 21. Jahrhundert zu bekämpfen. Es geht also um
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Einleitung
eine Bestandsaufnahme und um eine Bewertung des geltenden Völker- und Europarechts. Um das Thema vollständig aufzuarbeiten, muss zunächst aufgezeigt werden, welche Formen der moderne internationale Terrorismus angenommen hat. Dementsprechend steht zu Beginn der Beitrag von Joachim Krause zum Thema „Terrorismus: Die unterschiedlichen Formen und Varianten in der heutigen Zeit“. Es folgt ein zweiter Grundlagenbeitrag von Dominik Steiger, der sich mit dem „Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffes „Terrorismus“ auf internationaler Ebene“ befasst. Die folgenden Analysen widmen sich den auf völkerrechtlicher Ebene entwickelten Instrumenten der Terrorismusbekämpfung: Den Anfang macht der Beitrag von Christian Walter „Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument?“, der die multilateralen, vertraglichen Instrumente analysiert. Die unilateralen, institutionellen Mechanismen sind das Thema von Stefanie Schmahl, welche die „Maßnahmen der UNO zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus: Die Rolle des Sicherheitsrates und der Generalversammlung“ untersucht. Ob das Völkerstrafrecht geeignete Instrumente herausgebildet hat, wird von Mark A. Zöller in seinem Beitrag „Terrorismus als völkerstrafrechtliches Verbrechen“ beantwortet. Eine Untersuchung der Anwendung der dargestellten völkerrechtlichen Instrumente in der Praxis nimmt John Beuren vor, der „Die Bekämpfung von Al Qaida, dem sog. ‚Islamischen Staat‘ und Boko Haram“ aufarbeitet und bewertet. Abschließend analysiert Robert Esser einen weiteren praktischen Aspekt in Form der „Internationalen und europäischen strafrechtlichen Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung: Zum Beitrag von Europol, Eurojust, EuStA und Interpol zur Europäischen Sicherheitsagenda“, in dem das Zusammenspiel von Völker- und Europarecht sichtbar wird. Die von den Autoren gefundenen Ergebnisse sind zum Teil ermutigend, zum Teil ernüchternd. Einerseits werden einzelne Instrumente im jeweiligen Themenbereich als angemessen und ausreichend eingestuft. Andererseits werden aber auch vielfach die Ohnmacht des Rechts, die Schwierigkeiten der Normentwicklung auf multilateraler Ebene sowie die Unmöglichkeit herausgearbeitet, mit dem „langsamen“ Völker- und Europarecht den sich „schnell“ (weiter-)entwickelnden internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Es bleibt das Fazit, dass noch viel zu tun ist. Entscheidend sind dabei das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen und Akteure, die Berücksichtigung interdisziplinärer Erkenntnisse sowie das ständige Bemühen um eine Fortentwicklung des Rechts. Der vorliegende Band hätte ohne die tatkräftige Unterstützung der Wissenschaftlichen Mitarbeiter Thomas Hoppe und vor allem Katharina Seifert, die alle Beiträge Korrektur gelesen und an die formellen Vorgaben angepasst haben, nicht
Terrorismusbekämpfung im 21. Jahrhundert
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fertiggestellt werden können. Ihnen gebührt daher großer Dank – genauso wie Andrea Neisius, die in gewohnt professioneller Art die mühsamen Formatierungsarbeiten übernommen hat. Ihnen sowie allen Autoren sei für die gute Zusammenarbeit und für die erkenntnis- wie inhaltsreichen Beiträge gedankt! Kiel, im April 2017
Kerstin Odendahl
Inhaltsverzeichnis Joachim Krause Terrorismus: Die unterschiedlichen Formen und Varianten in der heutigen Zeit
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Dominik Steiger Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christian Walter Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stefanie Schmahl Maßnahmen der UNO zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus: Die Rolle des Sicherheitsrats und der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Mark A. Zöller Terrorismus als völkerstrafrechtliches Verbrechen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 John Beuren Die Bekämpfung von Al Qaida, dem sog. „Islamischen Staat“ und Boko Haram
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Robert Esser Internationale und europäische strafrechtliche Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung – Der Beitrag von Europol, Eurojust, EuStA und Interpol zur Europäischen Sicherheitsagenda – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABC-Waffen ABl. Abs. Abschn. ACT Group AEUV a.F. AFISMA AfJICL AILJ AJIL AKP
andere Ansicht atomare, biologische, chemische Waffen Amtsblatt (der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union) Absatz Abschnitt Accountability, Coherence and Transparency Group Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung African-led International Support Mission in Mali African Journal of International and Comparative Law Australian International Law Journal American Journal of International Law Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung)
Anm. AnnIDI APJHRL APuZ Art. ASEAN ASIL ATDG AU Aufl. ausf. AVR Bd. BfV BGBl. BGH BGHSt
Anmerkung Annuaire Institut de Droit International Asia Pacific Journal on Human Rights and the Law Aus Politik und Zeitgeschichte Artikel Association of Southeast Asian Nations American Society of International Law Antiterrordateigesetz Afrikanische Union Auflage ausführlich Archiv des Völkerrechts Band Bundesamt für Verfassungsschutz Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof Strafsachen (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen)
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Abkürzungsverzeichnis
BJIL BKA BKAG BMJV BT-Drs. BUDG-Ausschuss BVerfGE
Berkeley Journal of International Law Bundeskriminalamt Bundeskriminalamtsgesetz Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Deutscher) Bundestag-Drucksachen Budget-Ausschuss Bundesverfassungsgericht Entscheidungen (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts)
bzgl. bzw. C
bezüglich beziehungsweise Communications et informations (Mitteilungen und Bekanntmachungen im Amtsblatt der EU)
CCPR CDU CEPOL CETS ChJIL CJTL CODEXTER COD-Literatur-Reihe CTC CTED CTF CTG CTITF CTT D.C. DDR ders. DGIR d.h. DHS dies. DNA Doc. DÖV DRiZ Drucks. DVBl.
Covenant on Civil and Political Rights Christlich Demokratische Union Collège Européen de Police Council of Europe Treaty Series Chinese Journal of International Law Columbia Journal of Transnational Law Comité d’experts sur le terrorisme Computergestütztes Dokumentationssystem-Literatur-Reihe Counter-Terrorism Committee Counter-Terrorism Committee Executive Directorate Counter-Terrorism Fusion Centre Counter Terrorism Group Counter-Terrorism Implementation Task Force Counter Terrorism Team District of Columbia Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht das heißt (United States) Department of Homeland Security dieselbe Desoxyribonukleinsäure Document Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt
Abkürzungsverzeichnis
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EAD ebd. EC3 ECTC EG EGMR EHRR Einl. EIS EJB EJCCLCJ EJG EJIL EJN EMRK
Europäischer Auswärtiger Dienst ebendort European Cybercrime Centre European Counter Terrorism Center Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Essex Human Rights Review Einleitung Europol Information System Eurojust (Errichtungs-)beschluss European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice Eurojust-Gesetz European Journal of International Law Europäisches Justizielles Netz Europäische Menschenrechtskonvention (Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten)
EP EPB EPPO EPVO EPVO-E et al. ETA etc. ETS EU EUCAP Sahel Mali eucrim EuG EuGH EuGRZ EU IRU EU-PNR EuR EU-RhÜbk
Europäisches Parlament Europäisches Polizeiamt Beschluss European Public Prosecutor’s Office European Police Office Verordnung European Police Office Verordnung-Entwurf et alii/et aliae/et alia Euskadi Ta Askatasuna (baskische Untergrundorganisation) et cetera European Treaty Series Europäische Union European Union Capacity Building-Mission Sahel Mali The European Criminal Law Associations’ Forum Europäisches Gericht Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift European Union Internet Referral Unit European Union-Passenger Name Record Europarecht Europäische Union-Rechtshilfe Übereinkommen (Übereinkommen gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union)
EURODAC
European Dactyloscopy
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Abkürzungsverzeichnis
EUROGENDFOR EUROJUST Europol EuStA EUTM Mali EUV EWG FARC-EP
European Gendamerie Force European Union’s Judicial cooperation Unit European Police Office Europäische Staatsanwaltschaft European Union Training Mission in Mali Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo
f. ff. FIU FRONTEX
folgende fortfolgende Financial Intelligence Units Frontières extérieures (Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache)
FS GA GATZ GEG gem. GG ggf. GJIL GK GLJ GMT
Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum Gemeinsame Ermittlungsgruppe gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Georgetown Journal of International Law Genfer Konvention German Law Journal Groupe multidisciplinaire sur l’action internationale contre le terrorisme
GVG GVVG
Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten
HFR HJLPP HNSJ Hrsg. HRC HRQ HRRS HS. IAEA IBMTF
Humboldt Forum Recht Harvard Journal of Law and Public Policy Harvard National Security Journal Herausgeber Human Rights Council Human Rights Quaterly Höchst Richterliche Rechtsprechung im Strafrecht Halbsatz International Atomic Energy Agency Integrated Border Management Task Force
Abkürzungsverzeichnis ibid. ICAO ICC I.C.J. ICPO ICRC ICTR ICTY i.d.R. IGH IKPO ILC ILM IMF IMO insb. IntCen INTERPOL IOLR IP IPbpR IRA IRRC IRT IRU IO IS ISAF i.S.d. ISIL ISIS ISPK ISSG IstGH i.S.v. IT i.V.m. JAD
ibidem International Civil Aviation Organisation International Criminal Court International Court of Justice International Criminal Police Organisation International Committee of the Red Cross International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia in der Regel Internationaler Gerichtshof Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation International Law Commission International Legal Materials International Monetary Fund International Maritime Organisation insbesondere Intelligence Analysis Centre International Criminal Police Organisation International Organizations Law Review Internetprotokoll Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Irish Republican Army International Revue of the Red Cross Incident Response Team Internet Referral Unit International Organization Islamischer Staat International Security Assistance Force im Sinne der/des Islamic State of Iraq and the Levant Islamischer Staat in Syrien und im Irak Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel International Syria Support Group Internationaler Strafgerichtshof im Sinne von Informationstechnik in Verbindung mit Joint Action Days
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Abkürzungsverzeichnis
JCSL JICJ JIT JLEG JZ Kap. km KPdSU L LIBE-Ausschuss lit. LJIL LKW LOAC LTTE m2 m3 MINUSMA MLR MNJTF MoU MPEPIL MPYUNL MüKo StGB m.w.N. NATO NILR NJW No. NStZ NSU Nr. NYUJILP NZWehrR NZWiSt
Journal of Conflict and Security Law Journal of International Criminal Justice Joint Investigation Teams Journal of Legislation Juristenzeitung Kapitel Kilometer Kommunistische Partei der Sowjetunion/Kommission Législation (Rechtsvorschriften Reihe im Amtsblatt der EU) Libertés civiles, justice et affaires intérieures-Ausschuss litera Leiden Journal of International Law Lastkraftwagen Law of Armed Conflict Liberation Tigers of Tamil Eelam Quadratmeter Kubikmeter Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali Michigan Law Review Multinational Joint Task Force Memorandum of Understanding Max Planck Encyclopedia of Public International Law Max Planck Yearbook of United Nations Law Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift Number Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationalsozialistischer Untergrund Nummer New York University Journal of International Law and Politics Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
OAS OECD
Organisation Amerikanischer Staaten Organisation for Economic Co-operation and Development
Abkürzungsverzeichnis
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OK OLAF ONU OSCE OSZE para. PFLP
Organisierte Kriminalität Office Européen de Lutte Antifraude Organisation des Nations Unies Organization for Security and Co-operation in Europe Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa paragraph Popular Front for the Liberation of Palestine (Volksfront zur Befreiung Palästinas)
PIF-Richtlinie PKGr PKK PLJ PLO PNR PPR PSC qkm RAF RAN Ratsdok. RB Rep. RL Rn. Rs. S. s.a. SAARC SCSL SECILE
Protection pénale des intérêts financiers – Richtlinie Parlamentarisches Kontrollgremium Partîya Karkerén Kurdîstan (Arbeiterpartei Kurdistans) Polish Legal Journal Palestine Liberation Organisation Passenger Name Records Police Practice and Research: An International Journal Peace and Security Council Quadratkilometer Rote Armee Fraktion Radicalisation Awereness Network Ratsdokument Rahmenbeschluss Report(s) Richtlinie Randnummer Rechtssache Satz siehe auch South Asian Association for Regional Cooperation Special Court for Sierra Leone Securing Europe Through Counter-Terrorism: Impact, Legitimacy, and Effectiveness
SED SIAK-Journal SIS Slg. s.o. sog. StGB STL
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sicherheitsakademie-Journal Schengener Informationssystem Sammlung siehe oben sogenannt/e/er Strafgesetzbuch Special Tribunal for Lebanon
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Abkürzungsverzeichnis
StV SVN SWP TCM TFTP TPB u.a. u.ä. UAbs. UC Davis JILP
Strafverteidiger Satzung der Vereinten Nationen Stiftung Wissenschaft und Politik Terrorism Convictions Monitor Terrorist Finance Tracking Program Terrorism Prevention Branch und andere/unter anderem und ähnliches Unterabsatz University of California Davis Journal of International Law and Policy
ULFA UN UNO UNODA UNODC UNSCR UNSMIL UNTS US/USA u.U. v. v.a. verb. Verf. vgl. VIS VN Vol. VStGB WHO WMD YbILC ZaöRV z.B. ZD-Aktuell ZEuS ZIB
United Liberation Front of Asom United Nations United Nations Organization United Nations Office for Disarmament Affairs United Nations Office on Drugs and Crime United Nations Security Council Resolution United Nations Support Mission in Libya United Nations Treaty Series United States/United States of America unter Umständen versus vor allem verbunden Verfasser/Verfasserin vergleiche Visa Information System Vereinte Nationen Volume Völkerstrafgesetzbuch World Health Organisation Weapons of Mass Destruction Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Datenschutz-Aktuell Zeitschrift für Europäische Studien Zeitschrift für Internationale Beziehungen
Abkürzungsverzeichnis Ziff. ZIS ZÖR ZP ZRP ZStW z.T.
Ziffer Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Öffentliches Recht Zusatzprotokoll Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil
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Terrorismus: Die unterschiedlichen Formen und Varianten in der heutigen Zeit Von Joachim Krause Terroristische Anschläge passieren heute fast täglich auf der Welt. Ob in Syrien, in Frankreich, Belgien, Irak, Afghanistan, in der Türkei, Mali oder in Libyen – ständig gibt es Meldungen über verheerende Anschläge von radikalen Gruppen, die für religiöse oder politische Ziele glauben, Menschen ermorden zu müssen. Das Völkerrecht nimmt sich seit vielen Jahren dieser Thematik an, ohne dass es Wesentliches hat daran ändern können: Die Zahl terroristischer Anschläge und Angriffe wächst seit Beginn des neuen Jahrhunderts an. Terroristen bewegen sich außerhalb des Rechts, und sie bekämpfen die Herrschaft des Rechts. Das Völkerrecht ermöglicht und verbessert aber die Kooperation zwischen den Staaten im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Ein Problem ist dabei, dass die Begriffe „Terrorist“ und „Terrorismus“ häufig voluntaristisch gebraucht werden. In Russland und der Türkei ist es heute üblich geworden, dass die Regierung Oppositionelle als Terroristen bezeichnet. Aber auch anderswo ist der Umgang mit beiden Begriffen nicht immer klar. Um die Bedeutung des Völkerrechts für die Bekämpfung des Terrorismus einschätzen zu können, bedarf es daher einer Umschreibung dessen, was mit dem Begriff „Terrorismus“ assoziiert werden soll. Der folgende Beitrag befasst sich mit drei Fragenkomplexen: (A.) Was ist Terrorismus, d.h. was sollte man als Terrorismus bezeichnen, wen sollte man als Terroristen einstufen? (B.) Welche Varianten des Terrorismus gibt es? Und (C.) was folgt daraus für das Bemühen, mit Mitteln des Rechts gegen Terrorismus vorzugehen?
A. Terrorismusdefinitionen In den Vereinten Nationen ist es bislang nicht gelungen, die Begriffe „Terrorismus“ und „Terrorist“ völkerrechtlich einvernehmlich zu definieren.1 Dies hat seine 1 Ausführlich hierzu Dominik Steiger, Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene (in diesem Band).
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Joachim Krause
Ursachen in unterschiedlichen Bewertungen jener Bewegungen und Gruppen, die in der Vergangenheit terroristische Akte begangen haben. Oft war des einen Terrorist des anderen Freiheitsheld. Besonders in den 1960er und 1970er Jahren war dieser Widerspruch erkennbar, als noch die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) Terroranschläge und Flugzeugentführungen inszenierte, um auf die Lage der Palästinenser aufmerksam zu machen. Auch heute werden diejenigen Gruppen, die hierzulande als „Terroristen“ eingestuft werden (wie Al-Qaida oder der sog. Islamische Staat (IS) und andere radikalislamistische Milizen) von manchen Regierungen im Mittleren Osten durchaus differenzierter gesehen – zumindest werden sie gerne instrumentalisiert, um andere Rivalen zu schwächen.2 In den Vereinten Nationen ist es trotz aller grundsätzlichen Differenzen gelungen, zumindest terroristische Tatbestände als solche zu benennen.3 Hierzu gehören Flugzeugentführungen, Bombenanschläge, Selbstmordattentate etc. In den Sozialwissenschaften ist es prinzipiell leichter, Definitionen zu entwickeln und anzuwenden. Aber auch hier ist eine Vielzahl von verschiedenen (allerdings auch oft sich überlappenden) Definitionen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus festzustellen. Allerdings finden sich immer wieder einige gemeinsame Elemente, die bei den meisten Definitionen zu finden sind: – Terrorismus wird in der Regel als asymmetrische Gewaltstrategie und als mediale Kommunikationsstrategie begriffen; – dabei erfolgen die Vermittlung und Verfolgung politischer Ziele durch die Anwendung von Gewalt und die Schaffung eines Klimas von Angst und Schrecken; – Terroristen agieren aus dem Untergrund heraus, ihre Organisationen haben nichtstaatlichen Charakter, – die Ausübung von physischer Gewalt erfolgt in der Regel in nicht-diskriminierender Weise, d.h. der Tod von Zivilisten wird bewusst in Kauf genommen, bzw. ist teilweise das Ziel der Gewalt.4
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Vgl. u.a. Daniel Byman, Deadly Connections: States that Sponsor Terrorism, 2005. Dies geschah durch den Erlass sog. „sektoraler Verträge“, die bestimmte Handlungen verboten. Näher dazu Christian Walter, Terrorism, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition (www.mpepil.com), Stand: April 2011, Rn. 2, 17; Holger Diener, Terrorismusdefinitionen im Völkerrecht: Bestehen und Umfang eines Rechtes auf Selbstverteidigung, 2008, 15 ff. 4 Kristina Eichhorst, Terrorismus – eine schwierige Begriffsbestimmung, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2006, 2007, 21, 22. 3
Terrorismus: Die unterschiedlichen Formen und Varianten
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Von staatlichem Terror unterscheidet sich Terrorismus dadurch, dass die Akteure nicht-staatlicher Natur sind. Von politischer Gewalt im Allgemeinen hebt sich Terrorismus dadurch ab, dass nicht-diskriminierend und heimtückisch vorgegangen wird, egal ob die Opfer Träger staatlicher Autorität sind oder ob es sich um Unbeteiligte handelt. Zusammen genommen lassen sich die verschiedenen Begriffsbestimmungen der Sozialwissenschaften auf die folgende Formel reduzieren: Terrorismus ist eine asymmetrische Gewaltstrategie nicht-staatlicher Akteure, die aus dem Untergrund heraus agieren und systematisch versuchen, durch Androhung oder heimtückische Anwendung von Gewalt eine Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen, um politische oder politisch-religiöse Ziele zu verfolgen (i.d.R. der Umsturz einer bestehenden politischen Ordnung).5
Terrorismus wird gerne in die Nähe von Guerrillakriegführung und organisierter Kriminalität gebracht, wobei die Unterschiede oft zu verschwimmen scheinen. Tatsächlich gibt es, was Guerillakriegführung und Terrorismus betrifft, eine gemeinsame Schnittmenge. Politische Gruppen, die einen Guerillakrieg führen, nutzen in der Regel auch terroristische Anschläge. Ihre Ambitionen gehen jedoch weiter: Sie wollen nicht nur eine bestehende Ordnung erschüttern, sie wollen Territorium kontrollieren. Wer nur terroristische Mittel einsetzt, ist (noch) nicht in der Lage, Territorium zu kontrollieren und zu halten. Er muss sich darauf beschränken, das Denken der Menschen zu beeinflussen.6 Von daher stellen Terrorismus und Guerillakriegführung nur unterschiedliche Stufen eines politischen Kampfes gegen eine bestehende Ordnung dar. Für Terrorismus wie Guerillakriegführung ist eine bestimmte Handlungslogik kennzeichnend: Staatliche Stellen sollen durch Terrorakte zur Überreaktion veranlasst werden und damit die politische Gefolgschaft der Terroristen vergrößern helfen.7 Ziel aller terroristische Mittel einsetzenden nicht-staatlichen Gruppen ist es in der Regel, auf diese Weise den Weg zur Guerillakriegführung zu ebnen. Das bedeutet: Es gibt nicht „den Terroristen“ (oder „die Terroristin“), deren Hauptlebensziel es ist, andere Menschen durch heimtückische Anschläge aus dem Hinterhalt zu töten. Terrorismus ist 5
Diese Definition folgt weitgehend Eichhorst (Anm. 4), 24; weitere Definitionen finden sich bei Albert J. Bergesen/Omar Lizardo, International Terrorism and the WorldSystem, Sociological Theory 22 (2004), 38, 50; Caleb Carr, The Lessons of Terror: A History of Warfare Against Civilians, London 2006, 6; Bruce Hoffman, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2001, 56; ders., Inside Terrorism, 1998, 43; Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus, 2006, 21; Charles Tilly, Terror, Terrorism, Terrorists, Sociological Theory 22 (2004), 5; Johannes Urban, Die Bekämpfung des Internationalen Islamistischen Terrorismus, 2006, 35; Peter Waldmann, Determinanten des Terrorismus, 2001, 32 und 56; ders., Terrorismus – Provokation der Macht, 2. Aufl. 2005, 15. 6 Vgl. Walter Laqueur, Krieg gegen den Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert, 2004, 353; siehe auch Eichhorst (Anm. 4), 25. 7 Vgl. Eichhorst (Anm. 4), 27.
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Joachim Krause
eine Form der politischen Gewaltanwendung, die die Vorstufe zu höheren Formen der Gewaltanwendung darstellt und die auf die Übernahme politischer Kontrolle und Machtpositionen abzielt. Terrorismus wird deshalb geächtet, weil die Gewaltanwendung besonders brutal und hinterhältig ist und keine Regeln des zivilen Umgangs gelten lassen will. Terrorismus wird oft in die Nähe der internationalen organisierten Kriminalität gebracht, weil es auch hier Schnittmengen gibt.8 Das ist tatsächlich immer wieder der Fall, aber es gibt doch gravierende Unterschiede zwischen beiden. Hauptmotiv der organisierten Kriminalität ist die Selbstbereicherung durch kriminelle Akte, zu denen auch schwere Gewalthandlungen heimtückischer Natur gehören. Terrorismus wird in der Regel aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen ausgeübt. Von daher stellen beide sehr unterschiedliche Phänomene dar. In der Praxis gibt es jedoch Überschneidungen: Terroristen, die sich im Untergrund bewegen, sind oft darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt durch kriminelle Akte (Bankraub, Entführung und Erpressung, Drogenschmuggel, Betrug) zu finanzieren. Manche politisch oder religiös motivierte Gruppen, die sich erfolglos als Terroristen oder als Guerilleros versucht haben, endeten als Organisationen mit primär krimineller Zielsetzung.9 Es hat auch Fälle der Zusammenarbeit zwischen terroristischen Organisationen mit primär religiöser oder politischer Motivation auf der einen und der organisierten Kriminalität auf der anderen Seite gegeben, z.B. AlQaida Ableger in der Westsahara, die sich durch ihre Mitwirkung am Drogenschmuggel nach Europa finanziert haben. Gemeinsam ist allen terroristischen Gruppen und Organisationen, dass sie bestimmte Methoden anwenden, die geeignet sind, Angst, Schrecken und Verunsicherung zu erzeugen. Die Liste der Methoden ist lang und auch keinesfalls abgeschlossen. Ursprünglich warfen anarchistische Terroristen Sprengladungen auf politische Würdenträger oder schossen diese mit Revolvern nieder. Heute ist das terroristische Gewaltmenü ungleich größer geworden:10
8 Vgl. Frank Bovenkerk/Bashir Abou Chakra, Terrorism and Organized Crime, Forum on Crime and Society 4 (2004), 3–15; siehe auch Vesna Markovic/Richard Ward, Terrorism and Organized Crime, in: Adil Duyan (Hrsg.), Defence against Terrorism. Different Dimensions and Trends of an Emerging Threat, 2012, 60–74; Louise I. Shelley/John T. Picarelli, Methods and motives: Exploring links between transnational organized crime and international terrorism, Trends in Organized Crime 9 (2005), 5–67. 9 Vgl. Eichhorst (Anm. 4), 26. 10 Die folgende Klassifikation ist am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) entwickelt worden, um terroristische Anschläge und deren Auswirkungen transparenter zu machen, vgl. Jahrbuch Terrorismus 2013/2014, 2014, 73 ff.
Terrorismus: Die unterschiedlichen Formen und Varianten
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– In erster Linie sind Anschläge mit Sprengstoffen immer noch bevorzugtes Instrument von Terroristen gleich welcher Couleur und Ausrichtung. Das Spektrum reicht dabei von einfachen Sprengfallen und improvisierten Sprengkörpern bis hin zu Autobomben, LKW-Bomben oder mit Benzin beladenen LKW. Besonders effektiv sind dabei LKWs, die mit Sprengstoffen angefüllt sind und mit denen sich Explosionen in einer hohen Sprengkraft herstellen lassen. Die effektivsten Anschläge sind solche, die von Selbstmordattentätern ausgeführt werden. Gegen sie gibt es kaum Abschreckung,11 sie erlauben in der Regel den sehr präzisen Einsatz von Sprengstoffen. Anschläge können sich gegen staatliche oder gesellschaftliche Einrichtungen richten, gegen Flugzeuge, gegen Eisenbahnen, den öffentlichen Nahverkehr oder einfach nur gegen Ansammlungen von Menschen. – Sprengstoffanschläge können sich auch gegen maritime Ziele richten, d.h. gegen Schiffe und Anlegebrücken. Im Falle der entführten Flugzeuge vom 11. September 2001 wurden diese als Selbstmordwaffe gegen das Pentagon und die Türme des World Trade Centers eingesetzt. – Immer wieder gibt es Anschläge auf Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen mit Handfeuerwaffen, Handgranaten oder auch schwerem Gerät. In der Regel sollen damit Repräsentanten der Politik, der Gesellschaft oder der Medien getroffen werden, um damit einen einschüchternden Effekt auszulösen. Derartige Anschläge können sich aber auch gegen Ansammlungen von Menschen richten, entweder weil diese einer bestimmten Religion angehören oder weil man nur eben Menschen töten will, um sie für irgendetwas kollektiv zu bestrafen (Kommandoeinsätze). – Entführungen und Geiselnahmen sind weitere Instrumente terroristischer Gewaltanwendung. Diese können Einzelpersonen betreffen, oder auch Flugzeuge, Busse oder Eisenbahnzüge. In der Regel geht es um den medialen Effekt der sichtbaren Erpressung von staatlichen Autoritäten, um diese zu schwächen bzw. auch um operative Ziele zu erreichen (wie die Freilassung gefangener Kampfgenossen, Erpressung von Lösegeld, Abzug von Militär- oder Polizeieinheiten aus bestimmten Gebieten etc.). Entführungen können auch dazu dienen, die Opfer mediengerecht und grausam hinzurichten, um damit die vermeintliche eigene Allmacht zu demonstrieren.
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Eine Ausnahme stellt der Fall dar, indem ein mit Sprengstoff beladener LKW aus der Ferne (1 km und mehr) mit Hilfe einer lenkbaren Panzerabwehrrakete vorzeitig zur Explosion gebracht werden kann. Derartige Bekämpfung gab und gibt es in Syrien und im Irak in der Auseinandersetzung mit dem sog. IS.
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Terroristen können auch versuchen, komplexere Waffensysteme zu nutzen, um einen breiteren einschüchternden Effekt zu bewirken. Dazu gehören der flächendeckende Einsatz von oft selbstgebauten kleineren Raketen mit Reichweiten zwischen 10 bis 60 km oder der Einsatz von Luftabwehrsystemen (insbesondere tragbaren Luftabwehrgeräten) gegen die zivile Luftfahrt. Auch Anschläge mit giftigen Chemikalien oder radioaktiven Substanzen gehören hierzu, die einen Atomwaffeneinsatz simulieren sollen (schmutzige Bomben). Auch der Cyberraum wird zunehmend zum Aktionsort für Terroristen, allerdings primär zum Ziele der Verbreitung von Propaganda und der Kommunikation untereinander. Aber auch Cyber-Angriffe gegen staatliche oder gesellschaftliche Einrichtungen (einschließlich gegen Infrastruktur und Verkehr) sind denkbar. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass Terroristen auch nach Massenvernichtungswaffen streben, seien es chemische, biologische oder gar Kernwaffen. Einfache chemische Waffen sind durch den sog. IS bereits in Syrien zum Einsatz gekommen.12 In Japan gab es 1995 einen Anschlag in einer U-Bahn mit einem Nervenkampfstoff.13 Für das Streben von Al-Qaida oder dem sog. IS nach Kernwaffen oder die Sabotage an Kernkraftwerken gibt es zumindest Hinweise, die erkennen lassen, dass dort das terroristische Potenzial der Nuklearenergie gesehen wird. Bislang mangelte es aber an der technischen Umsetzbarkeit. Politisch oder religiös motivierte Gruppen, die in ihrem Kampf terroristische Methoden anwenden, operieren entweder innerhalb eines Staates oder über eine oder mehrere Grenzen hinweg. In der Regel haben sie regional oder national begrenzte Ambitionen; entsprechend begrenzt ist der Bereich ihrer Operationen. Es gab und gibt aber auch Fälle, wo derartige Organisationen einen transnationalen Charakter haben, d.h. dass sie globale oder zumindest überregionale Ziele verfolgen und entsprechende Strukturen aufbauen. Derartige Strukturen gab es in den 1970er Jahren als revolutionäre Organisationen im Nahen Osten, in Lateinamerika, in Europa und Asien die Zusammenarbeit untereinander suchten. Heute ist vor allem die Terrororganisation Al-Qaida ein transnationales Netzwerk, auch der sog. IS hat ein derartiges Netzwerk. Aber auch ethnisch-sezessionistische Bewegungen bekommen dann einen transnationalen Charakter, wenn sie sich auf ein internationales Netzwerk von Diaspora-Organisationen abstützen können (wie die Irisch-Republikanische Armee [IRA] in Irland, die vor allem von Amerikanern 12
Vgl. Eric Schmitt, ISIS Used Chemical Arms at Least 52 Times in Syria and Iraq, Report Says, New York Times, 22.11.2016, abrufbar unter https://www.nytimes.com/2016/ 11/21/world/middleeast/isis-chemical-weapons-syria-iraq-mosul.html (letztzer Zugriff am 23.2.2017). 13 Vgl. Nicolas D. Kristof, Hundreds in Japan Hunt Gas Attackers After 8 Die, New York Times, 21.3.1995, 1.
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irischer Abstammung unterstützt wurde, oder die Tamilen Diaspora in Großbritannien, Indien und den USA, die jahrzehntelang die Terrororganisation Tamil Tigers in Sri Lanka finanziert haben). Die Motive der Terroristen sind weit gefächert. Es hat sich in den Sozialwissenschaften eingebürgert, terroristische Organisationen und Gruppen entsprechend ihrer Zielsetzung zu unterscheiden. Diese Differenzierung macht Sinn, denn es gibt einerseits eine Vielzahl von Ähnlichkeiten im Vorgehen, andererseits haben die unterschiedlichen politischen und religiösen Zielsetzungen doch erheblichen Einfluss auf Organisationsformen, Aktionsmuster und das Gewaltniveau. In der Regel werden terroristische Organisationen und Gruppen unterschieden in (I.) sozial-revolutionäre, (II.) irredentistische; (III.) ethnisch-sezessionistische; (IV.) rechtsextremistische und vigilante sowie (V.) religiös motivierte.14 Theoretisch sind noch weitere Formen des Terrorismus möglich.
B. Varianten des Terrorismus I. Sozial-revolutionärer Terrorismus Dies ist die älteste Variante des modernen Terrorismus. Die Anfänge gehen zurück auf die sozial-revolutionären Bewegungen Russlands im 19. Jahrhundert, unter denen viele anarchistisch geprägt waren. Sie vertraten die Ansicht, dass Gewalt gegen autoritäre Staatsgewalt legitim sei. Viele der damaligen Terroristen waren harmlos im Vergleich zu heutigen Extremisten. Sie verübten Sprengstoffanschläge gegen Vertreter der russischen Monarchie oder gegen reiche Personen. Ziel war es die große Revolution zu befördern, die dann 1917 kam, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Viele der damaligen Anarchisten kamen in der bolschewistischen Revolution unter die Räder, andere emigrierten nach Westeuropa oder in die USA.15 In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren bildeten sich neue Formen des sozialrevolutionären Terrorismus heraus. In der Regel gingen diese aus einer neuen 14 Diese Klassifikation ist in der Terrorismusforschung nicht unstrittig und basiert auf der Annahme, dass Terrorismus eine Frage der strategischen Entscheidung darüber ist, wie man welche politischen Ziele mit welchen Mitteln umsetzt. Vgl. generell zu dieser Frage Martha Crenshaw, The Logic of Terrorism. Terrorist Behavior as a Product of Strategic Choice, in: Sue Mahan/Pamala L. Griset (Hrsg.), Terrorism in Perspective, 2008, 24–34. 15 Vgl. Marcus Gerngroß, Terrorismus im Zarenreich mit Vorbildfunktion: Die „Narodnaya Wolya“, in: Alexander Straßner (Hrsg.), Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien, 2009, 147–157.
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Interpretation der marxistischen Ideologie hervor. Gemäß den damals vorherrschenden neo-marxistischen Theorien war der von Marx prophezeite Klassenkampf zu einem internationalen Kampf geworden, bei dem die imperialistischen Staaten ihre internen Probleme durch die Ausbeutung der Peripherie (der sog. Dritten Welt) lösten und das Proletariat der entwickelten Industriestaaten durch Sozialstaatlichkeit und Sozialpartnerschaft kompromittiert waren.16 Es galt, den anti-imperialistischen Kampf in den Metropolen zu führen. Subjekte der Revolution sollten kritische Intellektuelle und Studenten werden, in der Peripherie sollten Guerillakriege gegen die Herrschaft der USA und des Großkapitals nach dem Vorbild des Kampfes der Vietkong in Vietnam geführt werden. Demnach gab es zwei Fronten des sozial-revolutionären Kampfes: die Metropol- sowie die Peripherieregionen. In beiden Regionen sollten die Kräfte des Fortschritts auf ihre Weise wirken; sie sollten aber auch den Schulterschluss suchen, indem man sich gegenseitig half, politisch wie militärisch.17 Einer der Studentenführer der damaligen Zeit, Rudi Dutschke, formulierte das seinerzeit so: „Der Beitrag der Revolutionäre aus den Metropolen […] ist doppelter Natur: und zwar die Mitarbeit an der Herstellung der ‚Globalisierung der revolutionären Opposition‘ (H. Marcuse) durch direkte Teilnahme am aktuellen Kampf in der dritten Welt, durch Herstellung der internationalen Vermittlung, die nicht den Parteibürokraten überlassen werden darf, und durch die Entwicklung spezifischer Kampfformen, die dem in den Metropolen erreichten Stand der geschichtlichen Entwicklung entsprechen.“18 Die direkte Teilnahme am aktuellen Kampf in der sog. Dritten Welt konnte vieles bedeuten: entweder, dass man gegen den Vietnam-Krieg demonstrierte und amerikanische Truppen in Europa mit Flugblättern überhäufte, in denen Militärangehörige zur Desertation aufgefordert wurden, oder aber dass man direkt am 16 Hierfür waren unterschiedliche Denkschulen verantwortlich. In erster Linie zu nennen sind die neo-marxistische Frankfurter Schule sowie die sog. Depencia-Theorien, denen zufolge der Klassenkampf international geworden sei. Die wichtigsten Bücher der kritischen Theorie der Frankfurter Schule waren Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, 1947; sowie Herbert Marcuse, Eros and civilisation. A philosophical inquiry into Freud, 1955; ders., Der eindimensionale Mensch, 1967; zu den Theoretikern des Imperialismus und der dependencia vgl. Andre Gunder Frank, Weltwirtschaft in der Krise. Verarmung im Norden, Verelendung im Süden, 1978; sowie Fernando Henrique Cardoso/Enzo Faletto, Abhängigkeit und Entwicklung in Lateinamerika, 1976. 17 Vgl. Susanne Kailitz, Von den Worten zu den Waffen? Frankfurter Schule, Studentenbewegung, RAF und die Gewaltfrage, 2007; sowie Jeremy Varon, Bringing the War Home: The Weather Underground, the Red Army Faction, and Revolutionary Violence in the Sixties and Seventies, 2004. 18 Zitat bei Christoph Daase, Die erste Generation der RAF (1970–1975), 20.8.2007, abrufbar unter http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/geschichte-der-raf/ 49256/die-erste-generation?p=all (letzter Zugriff am 15.1.2017).
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Kampf in Peripherieregionen mitwirkte (was wenige getan haben und was Dutschke generell auch für sich nicht ausschließen wollte für den Fall, dass deutsche Truppen im Rahmen der NATO in Vietnam oder Bolivien kämpfen würden). Was die von Dutschke bezeichneten „spezifischen Kampfformen“ der „Revolutionäre in den Metropolregionen“ bedeuteten, die dem „Stand der geschichtlichen Entwicklungen“ entsprechen sollten, blieb vieldeutig und bot Anlass zu radikalen Interpretationen. Die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) interpretierten das als Aufforderung, in den Metropolen des Westens eine Stadtguerilla aufzubauen, die den demokratischen Staat herausfordern und zersetzen sollte und die terroristische Mittel der politischen Gewalt für angemessen hielt. Entsprechend gab es in den 1960er und 1970er Jahren zwei Formen des sozialrevolutionären Terrorismus: in Peripherieregionen wie Kolumbien oder Bolivien operierten Guerillagruppen unterschiedlicher Größe, die mit terroristischen Methoden den Umsturz der dortigen Regierungen betrieben – egal ob diese autoritär (Bolivien) oder demokratisch waren (wie etwa Kolumbien); in Metropolregionen wie der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich oder Italien hingegen gab es zumeist sehr kleine terroristische Gruppen, die Anschläge auf Repräsentanten der Wirtschaft und der Politik sowie der amerikanischen Streitkräfte unternahmen. In Deutschland ist die Erinnerung an die RAF geblieben, die mit spektakulären Attentaten und Entführungen von sich reden machte, u.a. auch in Kooperation mit einer Splittergruppe der PLO. Die RAF wirkte über 20 Jahre und hatte in mehreren „Generationen“ etwa 80 aktive Mitglieder, die an terroristischen Anschlägen beteiligt waren. Sie ermordeten 31 Menschen; von den RAF-Mitgliedern kamen 27 selbst ums Leben. Der Kreis der Sympathisanten und Unterstützer blieb klein.19 Von den terroristischen Guerillagruppen aus den sog. Peripherieregionen ist heute nicht mehr viel übrig. Die meisten wurden zerschlagen bzw. haben nie die erhoffte Massenwirkung erreicht. Lediglich in Kolumbien gibt es noch die 1964 entstandene Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (FARC-EP), die heute noch ausgedehnte Urwaldgebiete in Kolumbien kontrolliert und etwa 8.000 Kämpfer und weitere 20.000 Anhänger haben soll. Die FARC-EP zeigt allerdings seit Jahrzehnten die typischen Auflösungserscheinungen derartiger Organisationen: Seit den 1990er Jahren ist die Organisation im Drogengeschäft und kooperiert mit Mafia-Organisationen anderer Länder, z.B. mit russischen
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Zur Geschichte der RAF siehe Michael Sontheimer, Natürlich kann geschossen werden. Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion, 2010; sowie Stefan Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, 2008; siehe auch Klaus Weinhauer/Jörg Requate/Heinz-Gerhard Haupt (Hrsg.), Terrorismus in der Bundesrepublik: Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, 2006.
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Mafiagruppen.20 In den vergangenen Jahren wurde seitens der kolumbianischen Regierung wiederholt versucht, die FARC-EP im Rahmen eines Verhandlungsprozesses zum Aufgeben zu bewegen. Im Sommer 2016 wurde tatsächlich ein Friedensvertrag abgeschlossen, der im November 2016 in Kraft getreten ist. Über den Erfolg der Implementierung können noch keine Aussagen getroffen werden.21 Ansonsten gibt es noch in Indien verschiedene maoistisch orientierte Guerillabewegungen, die sich vornehmlich auf terroristische Anschläge verlegen und die unter dem Begriff der Naxaliten zusammengefasst werden. Sie sind vorwiegend im Osten der indischen Halbinsel tätig, d.h. in den Bundesstaaten Jharkand, WestBengalen und Andrha Pradesh.22 Naxaliten haben in den vergangenen Jahren immer wieder verheerende Anschläge gegen Regierungseinrichtungen begangen, bei denen teilweise Dutzende von Menschen getötet wurden. Die Anzahl der Kämpfer dürfte bei 15.000 liegen; hinzu kommt eine große Zahl von Unterstützern in den Regionen. Die indische Regierung geht davon aus, dass die Naxaliten ein größeres Problem darstellen als islamistische Terrorgruppen.23 II. Irredentistischer Terrorismus Unter diese Kategorie fallen Organisationen, die darauf abzielen, auf dem Territorium eines anderen Staates ein Heimatland für ihre Ethnie oder ihr Volk zu errichten. Beispiele für irredentistischen Terrorismus gibt es wenige, die meisten beziehen sich auf das Gebiet von Israel und Palästina. In den späten 1940er Jahren gab es Bombenanschläge jüdischer Extremisten gegen britische Einrichtungen im damaligen Mandatsgebiet Palästina, die das Ziel verfolgten, die Briten zum Abzug 20 Vgl. die Aussagen von Frank Cillufo/Donnie R. Marshall, Threat Posed by the Convergence of Organized Crime, Drug Trafficking, and Terrorism, Hearing before the Subcommittee on Crime of the Committee of the Judiciary, U.S. House of Representatives, 106th Congress, Second Session, 13.12.2000, Serial No. 148, Washington D.C. 2001. 21 Vgl. Werner Marti, Friede mit schalem Nachgeschmack, Neue Zürcher Zeitung, 1.12.2016. 22 Zur Geschichte der Naxaliten vgl. Sumanta Banerjee, In the Wake of Naxalbari. A History of the Naxalite Movement in India, 1980; siehe auch Christian Wagner, Indien – ein Land mit vielen Terrorismusproblemen, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2009, 2010, 185–193; sowie Satya Sivaram, Echo auf das Donnergrollen. Aufbruch, Niederlage und Neubeginn der Naxaliten-Bewegung in Indien, Fantômas 8 (2005/2006), 21–23. 23 Zu den Angaben vgl. Judith Vidal-Hall, Naxalites, Index on Censorship, 35 (2006), 73–75; sowie Haznain Kazim, Indiens Maoisten: Terror im Namen der Entrechteten, Spiegel Online, 11.11.2009, abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/indiensmaoisten-terror-im-namen-der-entrechteten-a-660444.html (letzter Zugriff am 15.1.2017).
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zu bewegen, um so die Voraussetzungen für die Gründung des Staates Israel zu legen. Später verfolgte die PLO eine Politik der Irredenta, die das Ziel hatte, durch Anschläge auf Ziele in Israel, in der arabischen Welt sowie in Westeuropa auf die Lage der Palästinenser aufmerksam zu machen und die Anerkennung des Rechts der Palästinenser auf die Rückkehr in ihre Heimat zu erzwingen. In den 1970er Jahren wurden in diesem Zusammenhang mehrfach Flugzeugentführungen durchgeführt. Am stärksten ist in Deutschland die Geiselnahme und Erschießung von Mitgliedern der israelischen Olympiamannschaft im Sommer 1972 in Erinnerung geblieben. Die PLO selber war nur eine Dachorganisation. Unter diesem Dach gab es aber Organisationen, die zumeist mit Billigung der Führung terroristische Anschläge unternahmen.24 Die Zielsetzungen der PLO und ihrer Unterorganisationen waren aber auch stark von marxistischem und sozial-revolutionärem Gedankengut durchwirkt. Die PLO arbeitete auch mit der RAF und anderen sozial-revolutionären Terroristengruppen zusammen. Es kam zu Ausbildungsaufenthalten deutscher „Revolutionäre“ in palästinensischen Schulungszentren für Kämpfer. Die Entführung der LufthansaMaschine „Landshut“ im Oktober 1977 wurde von der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), einer Untergruppe der PLO, durchgeführt, um die Befreiung der in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen zu erzwingen. III. Ethnisch-sezessionistischer Terrorismus Diese Form von Terrorismus findet man besonders in Staaten, in denen Ethnien politisch unterrepräsentiert sind oder sich unterdrückt fühlen. Ziel ist meistens die Separation eines Gebietes vom Zentralstaat, wobei Terroristen diejenigen sind, die dieses Ziel mit Gewalt gegen staatliche Institutionen des Zentralstaates durchsetzen wollen. Separatistische Bewegungen beginnen normalerweise mit einer politischen Bewegung zur Unabhängigkeit, die oft dann zunehmend gewaltsamer wird, je mehr dieser Wunsch nicht erfüllt wird oder je mehr der Zentralstaat mit Repression reagiert. Anschläge auf Behörden sollen dazu beitragen, dass diese umso gewaltsamer gegen die politische Separationsbewegung vorgehen, damit in den Reihen der Minderheit die Bereitschaft zur Gewaltausübung größer wird. Derartige terroristische Organisationen fand und findet man in Europa und in asiatischen Ländern (Indien, Sri Lanka, Thailand). Die zu dieser Kategorie zählenden Gruppen begehen teilweise sehr brutale, teilweise aber auch vergleichsweise 24
Zum Terrorismus der PLO vgl. Jillian Becker, The PLO: The Rise and Fall of the Palestine Liberation Organization, 1985; Barry Rubin, Revolution Until Victory? The Politics and History of the PLO, 1994; Daniel Baracskay, The Palestine Liberation Organization – Terrorism and Prospects for Peace in the Holy Land, 2011.
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„zurückhaltende“ Formen des Terrorismus. Die in Europa bekanntesten Terrorgruppen sind die IRA und die baskische Befreiungsbewegung Euskadi Ta Askatasuna („Baskenland und Freiheit“) (ETA). Die IRA wurde bereits in den 1920er Jahren gegründet und war damals Teil des irischen Unabhängigkeitskampfes. Im Jahre 1969 kam es in Nordirland zu einer Neugründung der IRA, die sich anfangs wie eine traditionelle Miliz in Bataillone und Kompanien gliederte. Anstelle eines bewaffneten Kampfes verlegte sich die IRA auf Straßenkämpfe (gegen britische Polizei und nordirische Protestanten), auf Attentate gegen staatliche Einrichtungen und Personen sowie auf Entführungen und Schutzgelderpressungen. Die IRA war dabei ständig von Spaltungen und Radikalisierungen heimgesucht.25 Die IRA hatte in ihren aktivsten Zeiten zwischen 1.000 und 1.500 Kämpfer, die sowohl in Nordirland als auch in England und auf dem europäischen Kontinent tätig waren. Die Organisation verübte in den 1970er, den 1980er und den 1990er Jahren Hunderte Anschläge nicht nur in Nordirland, sondern auch in England sowie in Deutschland, wo sie u.a. Kasernen der britischen Streitkräfte angriff. Es kam zu einer Reihe von Ermordungen britischer Militärangehöriger und öffentlicher Persönlichkeiten. Bombenattentate wurden gegen Kaufhäuser und U-Bahnen in England vorgenommen. 3.638 Todesopfer waren zwischen 1966 und 2000 als Folge der Anschläge der IRA zu beklagen; die meisten Opfer waren Mitglieder der britischen Streitkräfte.26 1996 verübte sie Anschläge mit LKW-Bomben in London und Manchester, die teilweise erhebliche Schäden verursachten. Die Zahl der zu beklagenden Menschenleben blieb dieses Mal gering, da zuvor eine telefonische Vorwarnung erfolgte. Seit 2005 hat die IRA ihren bewaffneten Kampf eingestellt, weil auch innerhalb der katholisch-irischen Bevölkerung in Nordirland der Rückhalt zurückging.27 Auch die finanzielle Unterstützung aus der Diaspora blieb aus. Die ETA hat beginnend mit dem Jahr 1959 über 50 Jahre lang Anschläge in Spanien verübt. Erst waren die Anschläge gegen das Franco-Regime gerichtet, 25
Zur Geschichte der IRA vgl. Richard English, Armed Struggle. A History of the IRA, 2003; Brendan O’Brien, The Long War – The IRA and Sinn Féin, 1995; Martin Dillon, 25 Years of Terror – the IRA’s War against the British, 1995; Ed Moloney, The Secret History of the IRA, 2002; Eamonn Mallie/Patrick Bishop, The Provisional IRA, 1988. 26 Zu den Opferzahlen vgl. David McKitrick/Seamus Kelters/Brian Feeney/Chris Thornton/David McVea, Lost Lives: The Stories of the Men, Women and Children who Died as a Result of the Northern Ireland Troubles, 2004; siehe auch Marie-Therese Fay/ Mike Morrissey/Marie Smyth, Northern Ireland’s Troubles: The Human Costs, 2000. 27 Vgl. Matthew Tempest, IRA orders end to armed campaign, The Guardian, 28.7.2015, abrufbar unter https://www.theguardian.com/politics/2005/jul/28/northern ireland.devolution3 (letzter Zugriff am 17.2.2017).
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dann auch gegen die demokratisch gewählten Regierungen. Ziel der ETA war und ist es, ein unabhängiges Baskenland entstehen zu lassen. Die ETA war und ist nicht nur separatistisch orientiert, sondern auch marxistisch und konnte sich auf den Rückhalt eines nicht unbeträchtlichen Teils der baskisch sprechenden Bevölkerung in den Provinzen Baskenland und Navarra sowie der angrenzenden Teile Frankreichs verlassen. Die ETA suchte, ähnlich wie die IRA, jahrelang durch eine Eskalation des Kampfes die staatliche Autorität der spanischen Behörden herauszufordern, um dann auf der Basis des Widerstandes gegen die staatliche Repression die eigene Anhängerschaft zu vergrößern und den Kampf zu eskalieren. Mit dieser Strategie ist die ETA gescheitert, nicht zuletzt, weil die spanische Regierung in Verhandlungen mit den politisch moderateren Kräften unter den Basken sich bereit fand, ein weitgehendes Autonomiestatut zu vereinbaren.28 Seit 2011 hat die ETA den bewaffneten Kampf für beendet erklärt und tatsächlich den Großteil ihrer Waffen abgeliefert.29 Die ETA hatte zu ihren Hochzeiten nie mehr als einige Hundert (vielleicht 1.000) aktive Kämpfer. Dafür hatte sie viele Tausende Sympathisanten und heimliche Unterstützer. Die ETA hat vor allem Mordanschläge gegen Politiker und Beamte sowie Sprengstoffanschläge gegen spanische Einrichtungen durchgeführt. Aber auch Entführungen, Schutzgelderpressungen sowie die Inszenierung und Durchführung von Straßenkämpfen gehörten dazu. Die Zahl der Todesopfer der ETA Anschläge zwischen 1959 und 2011 liegt bei knapp 840 Menschen.30 Während IRA und ETA ihre terroristischen Anschläge in dem Maße reduzierten und später gänzlich einstellten, wie von den jeweiligen Zentralregierungen in London und Madrid bona fide Verhandlungen mit moderaten Kräften über eine politische Lösung angestrebt wurden, war der Fall der Tamil Tigers in Sri Lanka ein Beispiel dafür, wie ein ethnischer Separationskonflikt eskalieren kann, wenn es einerseits keine Anstrengungen zu einer politischen Lösung auf Seiten der 28
Zur Geschichte der ETA und der politischen Bemühungen um eine Lösung des Konfliktes vgl. Antje Helmerich, Nationalismus und Autonomie. Die Krise im Baskenland 1975–1981, 2002; Kristina Eichhorst, Ethnisch-separatistische Konflikte in Kanada, Spanien und Sri Lanka – Möglichkeiten und Grenzen institutioneller Konfliktregelungen, 2005. 29 Vgl. Ralf Pauli, Kein Frieden für die ETA, ZEIT ONLINE, 26.2.2014, abrufbar unter http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-02/Spanien-Eta-Entwaffnung; sowie Ute Müller, Wie die Basken den Terror bewältigt haben, Die Welt, 19.10.2016, abrufbar unter https:// www.welt.de/politik/ausland/article158855203/Wie-die-Basken-den-Terror-bewaeltigthaben.html (jeweils letzter Zugriff am 17.2.2017). 30 Zu den diesbezüglichen Angaben vgl. Ministerio del Interior. Subdirección General de Atención al Ciudadano y de Asistencia a las Víctimas del Terrorismo: Victimas Mortales de ETA – Cuadros Estatisticos, 2013.
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Zentralregierung gibt, und wenn andererseits auch auf Seiten der Unabhängigkeitsbewegungen kein Raum für politische Kompromisslösungen besteht. Der Konflikt um die Selbstbestimmung bzw. Unabhängigkeit der tamilischen Minderheit auf dem Inselstaat Sri Lanka geht bis in die Zeit nach der Erreichung der Unabhängigkeit zurück. Der Konflikt wurde stark von der tamilischen Diaspora im Ausland gefördert, insbesondere aus Indien. Unter den unterschiedlichen Bewegungen und Milizen, die sich Mitte der 1960er Jahre bildeten, kristallisierten sich die Tamil Tigers als radikalste und gewaltbereiteste Bewegung heraus, die zunehmend auf die Eskalation des Konfliktes mit der Regierung in Colombo setzte und mit dieser Strategie Erfolg hatte. Auf Anschläge der Tamil Tigers antworteten die Streitkräfte mit Vergeltungsaktionen, die in der Regel dazu führten, dass das Rekrutierungspotenzial der Tamil Tigers stieg. Bis zu 20.000 Kämpfer hatten die Tamil Tigers in ihren aktivsten Zeiten.31 Die Tamil Tigers entwickelten dabei Anschlagstechniken und -strategien, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Dazu gehörten Selbstmordanschläge, bevorzugt mit sprengstoffbeladenen LKWs, aber auch mit Schiffen gegen maritime Ziele. Auch wurden Taucher eingesetzt, um Minen in sri-lankischen Häfen zu platzieren. Sprengstoffanschläge wurden nicht nur gegen Streitkräfte und Polizei geführt, sondern auch gegen zivile Ziele, bevorzugt um möglichst viele Todesopfer zu bewirken. Die Tamil Tigers verfügten auch über leichte Flugzeuge, die sie umbauten, um mit ihnen in Überraschungsoperationen Luftangriffe durchzuführen. Zu ihrem Instrumentarium gehörte darüber hinaus das Eintreiben von Steuern und Abgaben sowohl in den von ihnen kontrollierten Gebieten als auch in anderen Teilen Sri Lankas und im Ausland (vor allem unter der Diaspora). Auch waren sie in Drogenschmuggel und Menschenhandel involviert und rekrutierten Kindersoldaten. Zudem gingen ethnische Vertreibungen sowie Massaker an singhalesischer und teilweise auch tamilischer Bevölkerung auf ihr Konto. Die Tamil Tigers hatten einen eigenen Geheimdienst, einen eigenen Radiosender und gründeten in den von ihnen kontrollierten Gebieten (zeitweilig bis zu 50.000 qkm) eine eigene zivile Verwaltung. Die Tamil Tigers waren ideologisch gesehen nationalistisch und marxistisch und praktizierten einen Führerkult mit totalitären Zügen. Die Regierung Sri Lankas schien sich zu Beginn dieses Jahrhunderts für viele Beobachter damit abgefunden zu haben, dass es die Kontrolle über einen Teil des 31
Zur Geschichte des Bürgerkrieges vgl. Channa Wickremesekera, The Tamil Separatist War in Sri Lanka, 2016; siehe auch Jakob Rösel, Der Bürgerkrieg auf Sri Lanka, 1997; ders., Die Gestalt und Entstehung des Tamilischen Nationalismus, 1997; Rohan Gunaratne, War and Peace in Sri Lanka, Colombo: Institute of Fundamental Studies, 1987.
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Landes verloren hatte.32 Aber ab 2007 änderte das Militär seine Strategie und bekämpfte die Tamil Tigers immer effektiver, weil es die Lehren der US Streitkräfte aus dem Irak-Krieg übernahm. Zudem traf die totalitäre Struktur des staatsähnlichen Gebildes auf mehr und mehr Widerstand bei der tamilischen Bevölkerung. Im Mai 2009 gelang es den Streitkräften Sri Lankas, die letzten Stellungen der Tamil Tigers im Norden des Landes zu besetzen, die Führungsspitze der Tamil Tigers kam dabei ums Leben. Die Zahl der Opfer des Bürgerkrieges, den die Terrororganisation Tamil Tigers über vierzig Jahre angetrieben hatte, ist unbekannt.33 Beobachter schätzen sie auf mehrere Zehntausende, wenn nicht sogar 100.000. Das Beispiel Sri Lanka zeigt, welche Eskalationsmöglichkeiten in einem ethnisch-separatistischen Konflikt denkbar sind, besonders dann, wenn eine zu allen Gewalttaten entschlossene Unabhängigkeitsbewegung auf eine inflexible Zentralgewalt trifft. Weitere Beispiele für ethnisch-separatistischen Terrorismus findet man in anderen Ländern Asiens. Hier ist etwa an die United Liberation Front of Asom (ULFA) zu denken, einer politischen Bewegung im indischen Bundesstaat Assam, die für die Loslösung Assams und die Einführung eines strikt marxistischen Sozialismus eintritt. Die ULFA operiert nicht nur politisch, sondern hat auch eine militärische Abteilung, die aus etwa 3.000 bis 4.000 Kämpfern besteht, die regelmäßig terroristische Angriffe vornehmen oder Guerillakrieg führen und Sabotageaktionen durchführen.34 Ein anderes Beispiel ist der Süden Thailands, der vorwiegend von Menschen muslimischen Glaubens bewohnt wird, und wo seit Jahren über zehn unterschiedliche separatistische und meist auch islamistische Milizen operieren, die mit terroristischen Anschlägen gegen Einrichtungen des thailändischen Staates und auch gegen Zivilpersonen vorgehen.35 Hier könnte sich die von Sri Lanka her zu beobachtende Eskalation des Konflikts wiederholen. Auch die in der Türkei operierende Arbeiterpartei Kurdistans (Partîya Karkerén Kurdîstan – PKK) verfolgt ethnisch-separatistische Ziele und wird als Terrororganisation eingestuft, weil sie Anschläge als Mittel der politischen Auseinandersetzung mit der türkischen Regierung versteht. Die PKK hat nicht nur ein nationalistisches Profil, sondern ist auch radikal marxistisch in ihrer Ideologie. Für viele Jahre sah 32
Kristian Stokke, Building the Tamil Eelam State: Emerging State Institutions and Forms of Governance in LTTE-Controlled Areas in Sri Lanka, Third World Quarterly, 2006, 1021–1040. 33 Vgl. Wickremesekera (Anm. 31); siehe auch Kristina Eichhorst, Militärische Konfliktlösung? Das Ende des Bürgerkrieges in Sri Lanka, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2009, 2010, 221–234. 34 Vgl. Wagner (Anm. 22). 35 Vgl. Rohan Gunaratna/Arabinda Acharya, Terrorist Threat from Thailand: Jihad or Quest for Justice?, 2013.
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es so aus als ob ein Verständigungsprozess greift, bei dem sich die AKP-geführte Regierung in Ankara mit der PKK-Führung über einen dauerhaften Waffenstillstand und eine stückweise politische Lösung für die mehrheitlich von Kurden bewohnten Teile Ost-Anatoliens verständigen. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Lage allerdings rasch verschärft, wozu vor allem die Entwicklung in Syrien und im Nordirak beigetragen hat. In Syrien und im Nordirak sind derzeit kurdische Milizen (Peschmerga, PKK und PKK-Verbündete) die einzigen militärischen Verbände, die den sog. IS am Boden in Schach halten können. Sie nutzen die Chance aus, um in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine eigene kurdische Staatlichkeit zu etablieren und erhalten aus dem Ausland Waffen. In der Türkei ist der politische Vermittlungsprozess zusammengebrochen, seit 2015 gibt es wieder Anschläge der PKK in Ostanatolien sowie auch in Istanbul und Ankara (darunter erstmals auch Selbstmordanschläge) und die türkischen Streitkräfte führen wieder eine Counter-Insurgency-Kampagne in Ostanatolien, die durch ihre Brutalität der PKK vermutlich wieder viele neue Anhänger zutreiben wird. IV. Rechtsextremer und vigilanter Terrorismus Hierbei handelt es sich um Formen des Terrorismus, die politisch (teilweise auch religiös) motiviert sind, und entweder einen rechtsextremen und rassistischen oder einen rechts-anarchistischen Hintergrund haben. Rechtsextremismus und Rassismus liegen eng beieinander. Die Neigung zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der politischen Ziele ist dort sehr hoch, die Präferenz liegt bei staatlich ausgeübter Gewalt. Rechts-Anarchismus ist eine verwandte Denkweise, die häufig auch einen rassistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund hat, oft aber von libertinären oder evangelikalen religiösen Vorstellungen überlagert ist. Dort besteht eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Staatsgewalt. Gewaltausübung dient primär dem Zweck, den existierenden Staat zu schwächen und Signale zu setzen gegen als gefährlich angesehene politische, gesellschaftliche oder religiöse Trends, die andere so nicht sehen. Oft wird die terroristische Tat als Instrument genutzt, um Aufmerksamkeit herzustellen, die dann in Wachsamkeit gegenüber den angeblich gefährlichen Tendenzen umschlagen soll (deshalb der Begriff des vigilantischen Terrorismus). Beide Terrorismusformen haben auch Gemeinsamkeiten: dazu gehört die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates und eine Tendenz in Richtung Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und religiöser Intoleranz. Vorläufer des rechtsextremen Terrorismus waren die Ku-Klux-Clan Bewegungen im Süden der USA sowie rechtsradikale Schlägertrupps, die man aus den 1920er, 1930er und 1940er Jahren aus Europa kennt.
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Derzeit gibt es in Deutschland zwar viel rechtsradikale Gewalt (meistens auf der Straße), rechtsextremistischen Terrorismus gab es lange Zeit aber nicht. Erst die eher zufällige Aufdeckung der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im November 2011 ließ deutlich werden, dass diese Gruppe viele Jahre lang fremdenfeindlich motivierte Morde an Menschen mit Migrationshintergrund und Sprengstoffanschläge sowie Beschaffungskriminalität begangen hatte, ohne dass den Strafverfolgungsbehörden oder der Öffentlichkeit der politische Charakter dieser Anschläge bewusst wurde.36 Der NSU bestand lediglich aus drei Personen; wie groß die Unterstützerszene war konnte nie geklärt werden.37 Offensichtlich gibt es eine Sympathisantenszene, aus der Nachfolgetäter sich rekrutieren könnten. Von daher bleibt die Gefahr weiteren rechtsextremistischen Terrorismus in Deutschland bestehen. Aus anderen europäischen Ländern sind vergleichbare Gruppen nicht bekannt geworden. Im Zuge der massiven Flüchtlingswelle des Sommers 2015 ist es in Deutschland zu einer Welle von Anschlägen gegen Asylunterkünfte gekommen (darunter viele Brandanschläge), die erkennen ließ, wie hoch die Gewaltbereitschaft im rechtsextremen Milieu ist. Allein 2015 gab es über 1.000 derartiger Anschläge.38 Soweit es sich um Sachbeschädigung gegen leer stehende Gebäude handelte, sollte man diese Anschläge noch nicht als Terrorismus charakterisieren. In dem Augenblick, wo Brandanschläge gegen Gebäude vorgenommen werden, in denen Menschen leben, muss man sie als Akte des Terrorismus qualifizieren, weil sie aus dem Hinterhalt und in heimtückischer Weise erfolgen und den Tod von Menschen einkalkulieren. Der vigilantische Terrorismus kommt eher in Einzelfällen vor. Der bislang tödlichste Anschlag war der Anschlag auf das Murray Federal Building in Oklahoma City am 19. April 1995.39 Der Täter, Timothy McVeigh, handelte aus Hass 36
Vgl. u.a. Armin Pfahl-Traughber, Der Rechtsterrorismus im Verborgenen. Darstellung und Einschätzungen der Besonderheiten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2011/ 2012, 2012, 93–119; siehe auch Stefan Aust/Dirk Laabs, Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU, 2014; Wolfgang Frindte/Daniel Geschke/Nicole Haußecker/Franziska Schmidtke (Hrsg.), Rechtsextremismus und „Nationalsozialistischer Untergrund“. Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen, 2015. 37 Unter anderem, weil kurz zuvor die bis dahin geltende Regelung zur Vorratsdatensammlung für Telefonverbindungen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, was die Löschung aller relevanten Daten beinhaltete. 38 Bundesministerium des Inneren, Verfassungsschutzbericht 2015, 2016, 27 f. 39 Vgl. David Johnston, At Least 31 are Dead, Scores are Missing after Car Bomb Attack in Oklahoma City Wrecks 9-Story Federal Office Building, New York Times, 20.4.1995, 1.
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auf die amerikanische Regierung und hatte eine extrem libertinäre politische Einstellung. Er ließ einen LKW mit 2,4 Tonnen Sprengstoff vor einem Regierungsgebäude explodieren, welches weitgehend zusammenbrach und 168 Menschen das Leben kostete, darunter 19 Kinder.40 Ein weiteres Beispiel vigilantischen Terrorismus waren die Anschläge, die der Norweger Anders Breivik am 22. Juli 2011 verübte. Er ließ eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo explodieren, wobei acht Menschen starben. Anschließend fuhr Breivik zu der Insel Utøya und tötete dort 32 Jugendliche und 37 weitere Personen in einem Ferienlager der sozialistischen Jugend. Anders Breivik rechtfertigte seine Taten damit, dass er ein Zeichen gegen die Immigrationspolitik der norwegischen Regierung setzen müsse. Er gab an, gegen den Islam und gegen das Eindringen fremder Rassen nach Norwegen aufstehen zu müssen. Er handelte alleine, ging aber davon aus, dass seine Tat ein Signal setzen würde, so dass sich eine breite Bewegung gegen die Einwanderungspolitik der norwegischen Regierung bilden würde.41 Ansonsten gab es wenig vergleichbare Anschläge, die man als Terrorismus einstufen muss. In den USA kommt es z.B. immer wieder vor, dass militante Evangelisten Anschläge auf Abtreibungskliniken vornehmen. Die Nichtregierungsorganisation National Abortion Federation verzeichnet seit Mitte der 1970er Jahre mehr als 200 Bomben- und Brandanschläge auf Abtreibungskliniken, wobei auch 2009 und 2015 mehrere Menschen erschossen wurden.42 V. Religiös motivierter Terrorismus Religiös motivierter Terrorismus war vor wenigen Jahrzehnten noch etwas Unbekanntes oder Bedeutungsloses. Heute ist der islamisch motivierte Terrorismus – egal ob unter der Regie von Al-Qaida oder dem sog. IS – eines der zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Beide Organisationen vertreten eine Ideologie des salafistischen Jihadismus. Mit Salafismus wird eine besonders strenge, am Wortlaut des Korans und an den Vorstellungen über das Leben zur Zeit des Propheten Mohammed orientierte sunnitische Auslegung des Korans bezeichnet. In der Hauptsache wird danach gestrebt, die Vorschriften des Korans 40
Lou Michel/Dan Herbeck, American Terrorist, 2001. Vgl. Tore Wethling/Steffan Hansen, Anders Breivik – Terrorist oder Amokläufer?, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2011/ 2012, 2012, 121–145. 42 Vgl. Tote bei Angriff auf Abtreibungsklinik, ZEIT ONLINE, 27.11.2015, abrufbar unter http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-11/usa-mehrere-verletztecolorado-planned-parenthood (letzter Zugriff am 15.1.2017). 41
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so weit wie möglich im täglichen Leben anzuwenden. Anhänger des Salafismus sind nicht notwendigerweise militant und auf den Jihad „getrimmt“. Es gibt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts aber eine militante und intolerante Variante des Salafismus, für die der Ägypter Sayyit Qutb steht. Die Werke von Qutb waren maßgebend für die Entwicklung von Osama bin Ladens politischer Ideologie des Jihads, d.h. die Verfolgung der salafistischen Ziele durch kriegerische Mittel. Zur politischen Entfaltung des jihadistischen Salafismus kam es im Wesentlichen durch fünf sich gegenseitig ergänzende politische Entwicklungen: – Zum einen war hierfür die massiv betriebene Verbreitung der wahabitischen Variante des Salafismus durch die Regierung Saudi Arabiens verantwortlich. Seit der Mitte der 1970er Jahre hat Saudi Arabien über 80 Milliarden Dollar ausgegeben, um überall in der muslimischen Welt Moscheen und Madrassen zu finanzieren, mit denen die Grundlage für eine radikale und salafistische Interpretation des Glaubens gelegt wurde: Diese Moscheen und Madrassen waren ein fruchtbarer Boden für die Entstehung und die Vergrößerung von jihadistischen Bewegungen. – Daneben hat die schiitische islamische Revolution im Iran im Jahre 1979 offenbar radikalen Salafisten ein Vorbild dafür gegeben, wie man Islaminterpretationen in Politik umsetzt. Das bedeutet nicht, dass der Iran als schiitische Republik ein Vorbild ist. Im Gegenteil, Salafisten lehnen die schiitische Glaubensvariante als Verrat ab und bekämpfen den Iran und Menschen schiitischen Glaubens. Aber der Iran hat ein Vorbild dafür gegeben, dass so ein Staat gebildet werden kann. – Des Weiteren hat das Netzwerk der Unterstützung, die der radikale Islamist Osama bin Laden während der Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion etablierte, den Afghanistan-Krieg überdauert und wurde nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zu einem weltumspannenden Netzwerk der Koordination von Terroranschlägen. Der Kern von Al-Qaida ist nur recht klein (vielleicht 1.000 Personen), aber das Netzwerk der mit AlQaida verbundenen Milizen und Terrorgruppen dürfte heute bis zu 100.000 Kämpfer weltweit umfassen. – Zudem haben der militärisch erzwungene Regimewechsel im Irak und die Jahre der Besetzung des Iraks durch die USA sowie der aufreibende Kampf gegen die Taliban in Afghanistan die Basis für weitere Radikalisierungen in der sunnitischen Welt vergrößert. – Als entscheidender Katalysator hat sich die brutale Unterdrückung der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in Syrien durch das Assad-Regime infolge der politischen Proteste vom Sommer 2011 erwiesen. Kaum eine Regierung
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hat ihre Bevölkerung auf so massive Weise bekämpft wie das Regime von Basheer al-Assad in Syrien. Bislang rechnet man mit etwa 300.000 Toten, die die Folge einer Entscheidung Assads im Jahre 2011 waren, sich nicht in den Dialog mit den Protestierenden auf der Straße zu begeben, sondern die Waffen sprechen zu lassen. Diese mit russischer und iranischer Waffenhilfe mögliche Politik hat – zusammen mit der gleichzeitigen Unterdrückung der sunnitischen Minderheit im Irak durch die schiitisch geführte (und vom Iran dominierte) Regierung – dazu geführt, dass die Zahl der salafistischen Jihadisten enorm angestiegen ist. Vor allem ist im Iran und in Syrien eine noch radikalere und brutalere Jihad-Organisation entstanden als es Al-Qaida ohnehin schon war: der sog. IS. Al-Qaida versteht sich als Avantgarde eines globalen Netzwerks von sog. Gotteskriegern, die vorwiegend in muslimischen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, in Süd- und Zentralasien sowie in Nord- und Ostafrika operieren und auch Terroranschläge in Europa und den USA ausüben.43 Das Netzwerk besteht aus unterschiedlichen jihadistischen Bewegungen, welche sich um einen „Kern“ herum gruppieren, wobei es Unterschiede gibt bezüglich der Nähe der einzelnen Kraftzentren zu dem Kern. Das Netzwerk hat eine innere Schale – das sind die Organisationen, die sich zu den Zielen von Al-Qaida bekennen und die einen Eid auf die Führung von Al-Qaida geschworen haben (Jabrat al-Nusrah in Syrien, AlQaida im Maghreb, Al-Shabab in Somalia, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel im Jemen) – und eine äußere Schale – das sind Organisationen, die eine salafistische und jihadistische Zielsetzung verfolgen und mit Al-Qaida zusammenarbeiten, die aber Wert darauf legen, ihre meist regionale Zielsetzung autonom zu bestimmen (wie die Taliban in Afghanistan). Während die innere Schale aus Milizen unterschiedlicher Größe besteht, finden sich in der äußeren Schale neben Milizen auch Organisationen, die klein sind und weitgehend im Untergrund arbeiten, um Anschläge zu verüben oder um neue Jihadisten zu rekrutieren. Auch Einzeltäter und selbstradikalisierte Jihadisten zählen zu der äußeren Schale. Manche Beobachter nennen das Netzwerk von Al-Qaida auch ein „Syndikat“, d.h. ein Ver43
Vgl. zu Al-Qaida u.a. Daniel Byman, Al Qaeda, the Islamic State, and the Global Jihadist Movement: What Everyone Needs to Know, 2015; Brian M. Jenkins, Al Qaeda in Its Third Decade: Irreversible Decline or Imminent Victory? 2012; Abdel-B. Atwan, After Bin Laden: Al-Qaeda, The Next Generation, 2012; Peter Bergen, The Longest War: The Enduring Conflict between America and al-Qaeda, 2011; Fawaz A. Gerges, The Rise and Fall of al-Qaeda, 2011; Devin R. Springer/James L. Regens/David N. Edger, Islamic Radicalism and Global Jihad, 2009; Michael Scheuer, Through Our Enemies’ Eyes: Osama bin Laden, Radical Islam, and the Future of America, 2006; Olivier Roy, Globalized Islam: The Search for a New Ummah, 2004; Peter Bergen, Holy War, Inc.: Inside the Secret World of Osama bin Laden, 2001.
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bund unterschiedlicher Organisationen, die bei aller Verschiedenheit ein Satz gemeinsamer Ziele einigt.44 Der sog. „Islamische Staat“ (IS) versteht sich auf der gleichen politischen Ideologie basierend als Avantgarde der Staatenbildung – d.h. er will die Internationale des jihadistischen Salafismus im Rahmen eines Projekts der Staatengründung führen. Er ist im Gegensatz zu Al-Qaida streng hierarchisch aufgebaut und führt die ihm untergeordneten Milizen direkt. Für den sog. IS sind die Al-Qaida Führer realitätsferne Intellektuelle, die es nicht verstehen, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Für die Al-Qaida Führung ist der sog. IS von Hasardeuren beherrscht, die viel zu früh den auch von Al-Qaida angestrebten Aufbau eines Kalifats umsetzen und damit die Idee als solche gefährden.45 Als im September 2001 Al-Qaida die Anschläge gegen das World Trade Center und das Pentagon durchführte, verfügte die Organisation über etwa 1.000 bis 1.500 Mitglieder und kooperierte mit salafistischen Jihadisten in Afghanistan, Pakistan und Zentralasien, die vielleicht zusammengenommen etwa 40.000 Kämpfer umfassten und vorwiegend eine regionale Agenda hatten. Heute kämpfen – entweder allein stehend oder in der einen oder anderen Weise mit Al-Qaida oder der Konkurrenzorganisation IS verbunden – zwischen 170.000 bis 200.000 schwer bewaffnete, radikalisierte und gewalttätige „Gotteskrieger“ gegen dortige Regierungen, gegen internationale Organisationen, gegen Amerikaner und Russen, gegen Muslime sunnitischer Gesinnung, gegen Christen, gegen Juden und gegen alle, die ihren Vorstellungen von der Einführung eines Gottesstaats im Wege stehen. Dabei werden Gewaltakte von einer Konsequenz, Brutalität und Bestialität ausgeübt, die man seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr für denkbar gehalten hat. Diese selbsternannten „Gotteskrieger“ stellen nicht nur die größte Herausforderung für das in der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebene weltweite Gewaltverbot dar; sie stellen auch Jahrhunderte der Zivilisation in Frage – nicht nur der westlichen, sondern auch der muslimischen Zivilisation. Bei uns werden diese „Gotteskrieger“ als Terroristen wahrgenommen, weil sie weitgehend nur 44
Vgl. Joachim Krause, Der „lange Krieg“ des jihadistischen Terrorismus geht weiter, in: Joachim Krause/Stefan Hansen (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2013/2014, 2014, 15–65. 45 Zum sogenannten Islamischen Staat vgl. Fawaz A. Gerges, Isis. A History, 2016; Michael Weiss, ISIS: Inside the Army of Terror, 2016; Patrick Cockburn, The Rise of Islamic State: ISIS and the New Sunni Revolution, 2015; Jessica Stern/J.M. Berger, ISIS: The State of Terror, 2015; Christoph Reuter, Die schwarze Macht: Der »Islamische Staat« und die Strategen des Terrors, 2015; Rainer Hermann, Endstation Islamischer Staat? Staatsversagen und Religionskrieg in der arabischen Welt, 2015; Wilfried Buchta, Terror vor Europas Toren. Der Islamische Staat, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht, 2015; Guido Steinberg, Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror, 2015.
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Terroranschläge aus dem Hinterhalt begehen. In der Region des Mittleren Ostens sind sie Kampfparteien, die offen oder im guerillaartigen Stellungskrieg in Syrien, im Irak, in Afghanistan, in Pakistan, im Jemen, in Somalia, in Nigeria, Libyen und Mali kämpfen und dort auch terroristische Anschläge vornehmen. In Syrien und im Irak hat der sog. IS zudem seine Ankündigung wahr gemacht und ein Gebiet von der Größe Englands unter seine Kontrolle gebracht, in dem mehr als fünf Millionen Menschen leben. Das im Gebiet Syriens und des Iraks errichtete „Kalifat“ stellt den Versuch dar, ein an der strengen Auslegung der Schariah orientiertes Staatswesen zu errichten, welches – wenn es sich konsolidieren sollte – zu einer Bedrohung der regionalen Sicherheit im Mittleren Osten und zu einer Perpetuierung der Gefahr brutaler Anschläge gegen zivile Ziele in Europa werden würde (wie die Anschläge von Paris und Brüssel gezeigt haben). Zudem ist der Keim des salafistischen und jihadistischen Gedankenguts auch in Europa verbreitet. In Deutschland wird die Zahl der politisierten, radikalen Salafisten auf etwa 8.000 geschätzt, die der Gefährder (das sind diejenigen, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie bereit und in der Lage sind, terroristische Anschläge durchzuführen) auf über 500. Zudem kommen etwa 800 aus Deutschland stammende Salafisten hinzu, die sich derzeit im Bereich des sog. IS aufhalten und bei denen erwartet werden kann, dass ein Großteil zurück kommt und hier als Gefährder auftritt.46 Zum Vergleich: Die deutschen Behörden schätzen die Zahl der rechtsextremen Gefährder in der Größenordnung von weniger als einem Dutzend ein, in der linksextremen Szene wird das Terrorismus-Risiko noch niedriger veranschlagt. In den hohen Zeiten des RAF-Terrors gab es in der alten Bundesrepublik Deutschland nie mehr als 30 bis 35 Gefährder auf einmal. Für jihadistische Salafisten liegt der Hauptkampf im Nahen und Mittleren Osten. Die Schwächung des Westens durch möglichst publikumswirksame und brutale Anschläge ist und bleibt aber ein zentrales Anliegen, gilt doch der Westen und dessen Individualismus und Materialismus in Verbindung mit der christlichen Religion als Ursprung allen Übels. Von daher wird der salafistisch motivierte Terrorismus die Hauptherausforderung für Europa und die USA bleiben. 46 Angaben laut Bundesministerium des Inneren, Verfassungsschutzbericht 2015, 156– 166; vgl. auch de Maizière, 520 islamistische Gefährder in Deutschland, Spiegel ONLINE, 10.9.2016, abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/thomas-de-maizierezahl-islamistischer-gefaehrder-so-hoch-wie-nie-zuvor-a-1111763.html; sowie ders., Zahl islamistischer Gefährder in Deutschland so hoch wie nie zuvor, Handelsblatt, 10.9.2016, abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/thomas-de-maiziere-zahlislamistischer-gefaehrder-in-deutschland-so-hoch-wie-nie-zuvor/14527326.html (jeweils letzter Zugriff am 23.2.2017).
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Es gibt aber auch noch andere religiöse Gemeinschaften, die terroristische Anschläge verübt haben. In erster Linie ist hier die von den iranischen Pasdaran Anfang der 1980er Jahre gegründete Schiitenmiliz Hizbullah im Libanon zu nennen. Hierbei handelt es sich um eine autoritär geführte politische Bewegung, die ein Territorium kontrolliert und über eine gut ausgerüstete und ausgebildete Miliz verfügt, die in den vergangenen Jahrzehnten keine Hemmungen hatte, terroristische Anschläge zu verüben. Darunter befanden sich Selbstmordanschläge, Bombenattentate sowie Anschläge gegen zivile Ziele mit Hilfe von Raketenwerfern. Terrorismus ist nicht das Hauptbetätigungsfeld der Hizbullah, aber die Miliz hat keinerlei Hemmungen derartige Mittel einzusetzen, wenn es ihrer Führung so gefällt.47 Sonstige religiöse Bewegungen (besonders Sekten) sind immer wieder des Terrorismus beschuldigt worden. Tatsächlich gab es bislang nur wenige Beispiele, wo das auch der Fall war. Das bekannteste Vorkommnis dieser Art war der Anschlag auf die Tokioter U-Bahn mit Nervenkampfstoffen durch die Ōmu-Shinrikyō-Sekte im März 1995, bei dem 13 Menschen starben und über Tausend teilweise schwer verletzt und dauerhaft geschädigt wurden.48
C. Folgen für die Terrorismusbekämpfung Aus den Ausführungen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen was die rechtliche Würdigung des internationalen Terrorismus betrifft: – Es macht wenig Sinn, die Definition des Terrorismus international zu verhandeln und dann verbindlich zu machen. Viel wichtiger ist es bestimmte politische Gewaltakte als „terroristisch“ zu qualifizieren und zu ächten. – Bei der Qualifizierung politischer Gewaltakte als terroristisch ist darauf zu achten, dass nur Tatbestände darunter gefasst werden, die den unterschiedslosen und heimtückischen Gebrauch von Gewalt gegen Personen aus dem Hinterhalt umfassen und einen eklatanten Verstoß gegen die grundlegenden Menschenrechte bzw. die Grundregeln des humanitären Völkerrechts dar-
47 Vgl. Augustus R. Norton, Hezbollah. A Short History, 2009; Ahmad N. Hamzeh, In the Path of Hizbullah, 2004; Judith P. Harik, Hezbollah. The Changing Face of Terrorism, 2004; Stephan Rosiny, Von der „Islamischen Revolution“ zum „Islamischen Widerstand“. Gewaltlegitimationen schiitischer Religionsgelehrter im Umfeld der Hizb Allah, Zeithistorische Forschungen 5 (2008), 62–86. 48 Vgl. Ian Reader, Religious Violence in Contemporary Japan, The Case of Aum Shinrikyo, 2000; siehe auch Martin Repp, Aum Shinrikyō: Ein Kapitel krimineller Religionsgeschichte, 1997.
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stellen. Nur so kann verhindert werden, dass Personen schon deswegen als Terroristen qualifiziert werden, weil sie in Opposition zur Regierung stehen. – Terroristische Formen der Gewaltanwendung finden sich bei unterschiedlichen politischen Kräften. Bekannt sind derzeit sozial-revolutionäre, irredentistische, ethnisch-separatistische, rechtsextreme und vigilantische und religiös motivierte Kräfte (derzeit vor allem Salafisten). Es ist denkbar, dass auch aus anderen Gründen Terroranschläge verübt werden (z.B. durch radikale Umwelt- oder Tierschutzaktivisten). Allen oben genannten Kräften ist gemein, dass sie aus einer Situation der politischen und materiellen Unterlegenheit heraus asymmetrische Formen der Gewaltanwendung ausüben, die gegen die Regeln des Völkerrechts (nicht nur des humanitären Völkerrechts) verstoßen und die sich durch extreme Heimtücke sowie die Kommunikation von Furcht und Schrecken auszeichnen. – Keine dieser unterschiedlichen Kräfte verfolgt das Ziel, Terroranschläge um ihrer selbst willen zu verüben, und keiner von den Beteiligten will als Terrorist enden. In der Regel gibt es weiter reichende politisch-strategische Ziele, die unter Anwendung terroristischer Mittel verfolgt werden. Diese sind in der Regel sehr weit gespannt (wie bei den Salafisten, die eine Weltherrschaft anstreben), können aber auch nur in der Abwehr von für schädlich erachteten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen liegen, wie etwa bei vigilanten Extremisten. – Terrorismus umfasst ein weites Spektrum von Aktivitäten, die von einzelnen Mordanschlägen gegen Menschen über die planvolle massenweise Tötung von Menschen (Anschläge vom 11. September 2001) bis hin zur Bildung von staatsähnlichen Gebilden reichen können.
Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene Von Dominik Steiger
Einleitung Nach zehn Jahren ohne größere Anschläge hat im Jahr 2015 der Terrorismus wieder Europa erreicht. Angst und Schrecken haben sich erneut in vielen Köpfen und Herzen festgesetzt. Paris ist zweimal das Ziel terroristischer Anschläge geworden, einmal am 7. Januar 2015 und erneut am 13. November 2015. Dadurch sind auch andere terroristische Anschläge, die zwar auch in Europa Beachtung finden, aber doch in weitaus geringerem Maße, etwa am 26. Juni 2015 in Sousse, am 31. Oktober 2015 über dem Sinaï, am 12. November 2015 in Beirut und ständig im Irak und in Nigeria, wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Diese Serie an Anschlägen hat sich im Jahr 2016 fortgesetzt. Hier sei insbesondere an die Anschläge in Brüssel am 22. März 2016, in Istanbul am 28. Juni 2016 und in Nizza am 14. Juli 2016 erinnert. Auch Deutschland war im Jahr 2016 erstmals betroffen. Bloß, was ist Terrorismus? Der Titel dieses Aufsatzes deutet schon an, dass das Völkerrecht bislang eine umfassende und allgemein gültige Terrorismusdefinition schuldig geblieben ist. Die damalige UN-Special Rapporteur on Terrorism and Human Rights, Kalliopi Koufa, schrieb in ihrem 1999er Bericht zu Terrorism and Human Rights sogar, dass die Aufgabe, eine solche Definition zu finden, ein „viel zu ambitioniertes Ziel“ sei.1 Ob sie damit Recht hatte oder es in den letzten 15 Jahren, die wie keine andere Zeit vom Kampf gegen den Terrorismus geprägt sind,2 wenn schon nicht zu einer einheitlichen Definition, so doch zumindest zu einer Annäherung an eine solche Definition gekommen ist, soll im Folgenden untersucht werden. Dafür bedarf es zunächst einer näheren Beschäftigung mit den wichtigsten 1
Kalliopi K. Koufa, Preliminary Report, Terrorism and Human Rights, 7.6.1999, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1999/27, para. 43. 2 Siehe dazu ausf. u.a. Peter L. Bergen, The Longest War: The Enduring Conflict between America and Al-Qaeda, 2011; Elmar Theveßen, Nine Eleven: Der Tag, der die Welt veränderte, 2011; Bernd Greiner, 9/11: Der Tag, die Angst, die Folgen, 2011.
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Streitpunkten, die bislang eine einheitliche Terrorismusdefinition verhindert haben (A.). Im Anschluss soll anhand eines Überblicks der völkerrechtlichen Regeln geklärt werden, ob es überhaupt einer Terrorismusdefinition bedarf. In diesem Kontext sollen auch die schon existierenden Definitionen vorgestellt und besprochen werden (B.). Abschließend werden die entscheidenden Parameter einer Definition unter besonderer Beachtung des humanitären Völkerrechts entwickelt (C.).
A. Hintergrund: Worum wird gerungen? Freiheitskämpfer und Staatsterrorismus Bislang existiert keine einheitliche völkerrechtliche Definition des Begriffs Terrorismus. Auf der einen Seite verwundert das, denn die Regelung der Ausübung von Gewalt auf internationaler Ebene – ein wesentliches und unbestrittenes Element von Terrorismus – ist einer der herausragenden Regelungsbereiche des Völkerrechts. Die Friedenssicherungsfunktion des Völkerrechts ist spätestens 1945 in seinen Mittelpunkt gerückt.3 Damit, so scheint es, sollte der Kampf gegen den Terrorismus ein zentrales Betätigungsfeld des Völkerrechts sein – und das müsste doch, so sollte man meinen, Übereinstimmung voraussetzen über eine Definition des Terrorismus. Zwei Probleme werden immer genannt, wenn es darum geht, die Probleme zu benennen, die einer Einigung auf eine Terrorismusdefinition entgegenstehen.4 Zum einen sollen nach Ansicht vieler Staaten Freiheitskämpfer, die das völkerrechtlich grundsätzlich anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Völker5 gewaltsam zu verwirklichen versuchen, nicht unter eine solche Definition fallen.6 Dies bringt 3
Siehe ausf. Nico Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001; Paul Kennedy, Parlament der Menschheit. Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung, 2006, 100 ff. 4 Christian Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: Christian Walter/Silja Vöneky/Volker Röben/Frank Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23, 35 ff.; Helen Duffy, The ‘War on Terror’ and the Framework of International Law, 2. Aufl. 2015, 53 ff. 5 Zum Selbstbestimmungsrecht siehe ausf. Véronique Huet, Le principe de l’autodétermination des peuples: concept et applications concrètes, 2014; Gilbert H. Gornig, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – eine Problemschau, 2013. 6 So ist nach Art. 3 der Convention of the Prevention and Combating of Terrorism der Afrikanischen Union der „struggle waged by peoples in accordance with the principles of international law for their liberation or self-determination, including armed struggle against colonialism, occupation, aggression and domination by foreign forces“ von der Terrorismusdefinition ausgenommen. Die Arabische Liga formuliert in Art. 2 lit. a) der Arab
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der bekannte Satz „one man’s freedom fighter is another man’s terrorist“ zum Ausdruck. Das bekannteste Beispiel eines solchen Freiheitskämpfers ist Nelson Mandela. Er saß von 1962 bis 1990 im Gefängnis, bekam 1993 den Friedensnobelpreis verliehen und wurde 1994 Staatspräsident Südafrikas. Dabei war er derjenige, der den militärischen Arm des African National Congress aufbaute.7 1985 lehnte er sogar ein Angebot auf Haftentlassung ab, da es nämlich an die Bedingung geknüpft war, den bewaffneten Kampf aufgeben zu müssen.8 Heute gilt er zu Recht als einer der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts. Zum anderen wird immer wieder die mangelnde Übereinstimmung der Staatengemeinschaft über den sog. Staatsterrorismus genannt.9 Ursprünglich bezog sich der Begriff des Terrorismus sogar ausschließlich auf staatlichen Terror. Er entstand zu Zeiten der Herrschaft Maximilien de Robespierres, dessen Jakobinerherrschaft als ein „régime de la terreur“ bezeichnet wurde.10 Staatsterrorismus hat mehr Menschenleben gekostet als jede andere Form von Terror; man denke nur an die unzähligen Verbrechen z.B. von Adolf Hitler, Josef Stalin oder Idi Amin. Es gibt neben diesen beiden Gründen zwei weitere Probleme, die bislang in der Diskussion nicht als Ursache genannt werden, die aber eine nicht zu unterschätzende Rolle in der mangelnden Fähigkeit der Staaten, eine einheitliche Definition zu finden, spielen. Zum einen besteht kein internationaler Konsens über die Art und Weise der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die entscheidende und weitgehend umstrittene Frage lautet: Sollen zivile, also polizeiliche Methoden angewandt werden, oder soll militärischen Lösungsmöglichkeiten der Vorrang eingeräumt werden?11 Je offener der Begriff des Terrorismus gefasst ist, desto mehr Handlungsspielraum gewinnen die Staaten. Dies allein ist schon ein Anreiz, auf eine Definition zu verzichten. Zum anderen steht einer einheitlichen Definition auch die Problematik des Umgangs mit Handlungen innerhalb von bewaffneten Konflikten entgegen: So lässt sich daran denken, militärische Aktionen ganz aus dem Terrorismusbegriff herauszuhalten, genauso aber auch, jeden Angriff gegen Convention for the Suppression of Terrorism ähnlich. Siehe auch Boaz Ganor, Defining Terrorism: Is One Man’s Terrorist Another Man’s Freedom Fighter?, PPR 2002, 287 ff. 7 Nelson Mandela, Long Walk to Freedom, 1994, 239 ff. 8 Michael Parks, Mandela Rejects S. African Terms for Prison Release, 11.2.1985, Los Angeles Times, http://articles.latimes.com/1985-02-11/news/mn-4278_1_political-prisoner (letzter Zugriff am 1.11.2016). 9 Siehe nur Hans J. Gießmann, Terrorismus mit staatlicher Duldung oder Förderung, in: Hans Frank/Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, 2002, 279 ff. 10 Bruce Hoffman, Terrorismus, der unerklärte Krieg, 2006, 23 ff. 11 Zu diesen unterschiedlichen Herangehensweisen siehe Duffy (Anm. 4), 174 ff. einerseits und 246 ff. andererseits.
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staatliche Militärs als Terrorismus zu werten. Diese beiden Punkte werden im Folgenden besonders berücksichtigt werden. Aufgrund dieser vier Streitpunkte kann der Streit über die Definitionselemente letztlich nur politisch beigelegt werden,12 nicht juristisch. Juristen können aber zu einer Lösung beitragen, indem sie die Streitpunkte in den rechtlichen Rahmen einordnen, die rechtliche Notwendigkeit einer einheitlichen Terrorismusdefinition eruieren und einen Vorschlag für eine solche Terrorismusdefinition unterbreiten. Dies soll im Folgenden geschehen.
B. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Terrorismusdefinition 1997 schrieb die damalige Präsidentin des Internationalen Gerichtshofs, Rosalyn Higgins, dass eine Terrorismusdefinition unnötig sei, da Terror kein rechtliches Konzept darstelle.13 Vielmehr würden andere Begriffe ausreichen, terroristische Handlungen zu erfassen. Sie war mit dieser Ansicht keineswegs allein. Wieso sollte man sich dann die Mühe machen, Terrorismus zu definieren? Nur wenn von dem Begriff des Terrorismus Rechtswirkungen ausgehen, kann es überhaupt ein juristisches Bedürfnis nach seiner Definition geben. Und in der Tat, das Völkerrecht sieht eine ganze Bandbreite von entsprechenden Verpflichtungen zum staatlichen Tätigwerden gegen den Terrorismus vor. Dabei zeigt sich, dass der Begriff des Terrorismus nur in seltenen Fällen und zudem nicht einheitlich definiert wird (I.). Die fehlende einheitliche Definition stellt ein Defizit dar. Daraus folgen negative Konsequenzen für die Effektivität der Terrorismusbekämpfung sowie für die Einhaltung von Menschenrechten im Rahmen der Terrorismusbekämpfung (II.). I. Völkerrechtliche Pflichten der Staaten zur Bekämpfung des Terrorismus Viele völkerrechtliche Normen ermöglichen und gebieten bestimmte staatliche Tätigkeiten, um terroristische Handlungen abzuwehren und zu bestrafen. Es lassen sich universelle Anti-Terrorismusverträge (1.), regionale Anti-Terrorismusverträge (2.), völkerstrafrechtliche Normen (3.) und Akte des Sicherheitsrats (4.) unter12
Ähnlich Kerstin Wolny, Die völkerrechtliche Kriminalisierung von modernen Akten des internationalen Terrorismus, 2008, 27. 13 Rosalyn Higgins, The General International Law of Terrorism, in: Rosalyn Higgins/ Maurice Flory (Hrsg.), International Law and Terrorism, 1997, 13, 28.
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scheiden. Während einige dieser Regelungen den Terrorismus für ihren jeweiligen Anwendungsbereich definieren, verzichten die meisten von ihnen auf eine Definition. 1. Universelle Anti-Terrorismusverträge 1963 wurde der erste universelle Vertrag gegen terroristische Handlungen unterzeichnet, das sog. Tokio-Abkommen.14 13 weitere Verträge und Protokolle sind inzwischen dazu gekommen.15 Fast all diese Konventionen zielen auf die strafrechtliche Verfolgung terroristischer Akte ab. Sie sehen Strafverfolgungspflichten vor oder die Pflicht, Beschuldigte zum Zwecke der Strafverfolgung auszuliefern.16 Ebenso beinhalten die Verträge gefahrenabwehrrechtliche Normen, wie das Verbot der Finanzierung des Terrorismus,17 oder das Verbot der Produktion nicht markierter Plastiksprengstoffe. Schließlich zielen die Verträge immer auf die Ausweitung internationaler Kooperation ab, etwa im Bereich der internationalen Rechtshilfe.18
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Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen, 4.9.1963, BGBl. 1969 II, 123. 15 Siehe die Nachweise in Anm. 21–27, 31. Zu diesen 14 universellen Übereinkünften kommen die noch nicht in Kraft getretene Bejing Convention on the Suppression of Unlawful Acts Relating to International Civil Aviation, abrufbar unter https://www. unodc.org/tldb/en/2010_convention_civil_aviation.html (letzter Zugriff am 1.11.2016) und das dazugehörige Bejing Protocol to the 1971 Hague Convention on the Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft, abrufbar unter https://treaties.un.org/doc/db/terrorism/conv2english.pdf (letzter Zugriff am 1.11.2016) beide vom 10.9.2010, hinzu. Siehe zu den völkerrechtlichen Verträgen auch den Beitrag von Christian Walter, Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument? (in diesem Band). 16 Siehe z.B. Art. 7 Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen, 16.12.1970, BGBl. 1972 II, 1506; Art. 7 Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten (Diplomatenschutzkonvention), 4.12.1973, BGBl. 1976 II, 1746. 17 Siehe insbesondere das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, 9.12.1999, BGBl. 2003, II, 1923. 18 Zur Bedeutung von Rechtshilfe siehe Adel Maged, International Legal Cooperation: An Essential Tool in the War Against Terrorism, in: Wybo Heere (Hrsg.), Terrorism and the Military: International Legal Implications, 2003, 157 ff.
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a) Sektorale Verträge ohne Definition Grundsätzlich wurde bislang das Problem der Terrorismusdefinition so elegant gelöst, dass eine Definition lange Zeit nicht vermisst wurde: Die Staaten haben einen sektoralen Ansatz gewählt.19 Eine allgemeine Definition des Terrorismus ist für den Zweck der sektoralen Verträge nicht notwendig, da sie nicht alle terroristischen Handlungen erfassen. Die Verträge müssen lediglich jene Handlungen definieren, die für den Zweck der Konvention verboten sein sollen. So beziehen sich manche der Konventionen20 auf terroristische Handlungen, die sich gegen den Flugverkehr richten,21 andere Konventionen auf den Schutz von Diplomaten,22 den Schutz vor Geiselnahme,23 den Schutz der Schifffahrt24 und von Plattformen,25 den Schutz vor Bombenattentaten26 und den Schutz vor nuklearen Attentaten.27 Die
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Christian Walter, Terrorism, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition (www.mpepil.com), Stand: April 2011, Rn. 2, 17. 20 Für einen näheren Überblick über die Konventionen siehe Holger Diener, Terrorismusdefinitionen im Völkerrecht: Bestehen und Umfang eines Rechtes auf Selbstverteidigung, 2008, 15 ff. 21 Neben dem schon eben erwähnten Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (Abkommen von Tokio), 14.9.1963, BGBl. 1969 II, 123 (186 Vertragsstaaten) sind dies das Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (Haager Abkommen), 16.12.1970, BGBl. 1972 II, 1506 (185 Vertragsstaaten); das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt Abkommen von Montreal), 23.9.1971, BGBl. 1977 II, 1229 (188 Vertragsstaaten) sowie das dazugehörige Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Gewalthandlungen an internationalen zivilen Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen (Protokoll von Montreal), 24.2.1988, BGBl. 1993 II, 867 (174 Vertragsstaaten). 22 Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten (Diplomatenschutzkonvention), 4.12.1973, BGBl. 1976 II, 1746 (173 Vertragsstaaten). 23 Internationale Konvention gegen Geiselnahme, 8.12.1979, BGBl. 1980 II, 1361 (176 Vertragsstaaten). 24 Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt, 10.3.1988, BGBl. 1990 II, 496 (166 Vertragsstaaten) sowie das zugehörige Protokoll, 14.10.2005, BGBl. 2015 II, 1446 (40 Vertragsstaaten). 25 Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, 10.3.1988, BGBl. 2015 II, 1446 (155 Vertragsstaaten). 26 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, 15.12.1997, BGBl. 2002 II, 2506 (169 Vertragsstaaten); Übereinkommen über die Kennt-
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meisten dieser Verträge sind von mehr als 170 Staaten ratifiziert; es lässt sich daher von einer quasi-universellen Bindung sprechen. Neben dem Vorteil des sektoralen Ansatzes, dass er von der Notwendigkeit zur Definition befreit, besteht ein untrennbar damit verknüpfter und gleichzeitig entscheidender Nachteil: Viele gemeinhin als Terrorakte verstandene Handlungen fallen aus den sektoralen Verträgen heraus. So sind z.B. die Taten im Pariser Konzertsaal Bataclan vom 13. November 2015 von keiner der sektoralen Anti-Terrorismuskonventionen erfasst, da der Einsatz von Schusswaffen nicht unter die sektoralen Verträge fällt. Ebenso wenig fallen die 2015 bzw. 2016 erfolgten Messerattacken in Israel,28 in London29 oder jüngst in Hannover30 unter die sektoralen Verträge. b) Anti-Finanzierungskonvention: die erste universelle völkervertragsrechtliche Definition Allerdings werden solche Taten vom Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Anti-Finanzierungskonvention)31 erfasst. Dieses Abkommen folgt gerade nicht dem sektoralen Ansatz. Vielmehr bezieht es sich auf den Terrorismus insgesamt und nicht auf eine bestimmte Handlung. Daher definiert das Übereinkommen auch den Terrorismus. Es sind zwei Ansätze zu unterscheiden: Zunächst bedient sich das Übereinkommen des sektoralen Ansatzes, indem es in Art. 2 Abs. 1 lit. a) auf die Tathandlungen der bereits bestehenden Anti-Terrorismuskonventionen verweist. Art. 2 Abs. 1 lit. b) sieht dann eine eigenständige und abstrakte Definition vor. Danach ist Terrorismus
lichmachung von plastischen Sprengstoffen zum Zweck ihrer Entdeckung, 21.6.1998, BGBl. 1998 II, 2301 (153 Vertragsstaaten). 27 Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial, 26.10.1979, BGBl. 1990 II, 326 (153 Vertragsstaaten); Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, 13.4.2005, BGBl. 2007 II, 1587 (107 Vertragsstaaten). 28 Sebastian Engelbrecht, Kein Mittel gegen Messerattacken, 5.2.2016, https://www. tagesschau.de/ausland/israel-palaestinenser-105.html (letzter Zugriff am 1.11.2016). 29 Melissa Gray, 3 stabbed at London Tube station in terror attack, police say, http:// edition.cnn.com/2015/12/05/europe/london-tube-stabbings (letzter Zugriff am 1.11.2016). 30 Reinhard Bingener, Ermittler prüfen nach Messerangriff auf Polizisten IS-Hintergrund, 3.3.2016, www.faz.net/aktuell/politik/inland/ermittler-pruefen-is-hintergrund-fuenfzehn jaehrige-geht-mit-messer-auf-polizisten-los-14103518.html (letzter Zugriff am 1.11.2016). 31 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus 9.12.1999, BGBl. 2003 II, 1923 (187 Vertragsstaaten, 76 Staaten davon zwischen Oktober 2001 und September 2002).
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Dominik Steiger any […] act intended to cause death or serious bodily injury to a civilian […], when the purpose of such act, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a government or an international organization to do or to abstain from doing any act.
Diese Definition unterscheidet zwischen einem objektiven und einem (doppelten) subjektiven Element: Es muss eine Handlung vorgenommen werden, und es muss neben dem Vorsatz eine bestimmte Absicht vorliegen. Die Absicht enthält zwei Elemente: Einschüchterung der Bevölkerung oder alternativ das Ausüben von Zwang auf den Staat. Als Tathandlung kommt ausschließlich Gewalt gegen Zivilisten in Betracht. Gewalt gegen Objekte32 und gegen Kombattanten und Personen, die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen,33 fallen nicht unter die Terrorismusdefinition. Obwohl die Sprache darauf hindeutet, dass die Konvention sich auf Zeiten eines bewaffneten Konflikts bezieht – der Begriff des Zivilisten stammt aus dem humanitären Völkerrecht34 –, findet die Konvention auch in Friedenszeiten Anwendung. Freiheitskämpfer und Staatsterrorismus sind nicht aus dem Terrorismusbegriff ausgeschlossen: Sofern Freiheitskämpfer und staatliche Organe Gewalt gegen Zivilisten ausüben und die Absicht haben, dadurch die Bevölkerung einzuschüchtern bzw. Zwang auf den Staat auszuüben, sind sie grundsätzlich von der Definition erfasst. c) Draft Comprehensive Convention on International Terrorism: Keine Einigung auf Terrorismusdefinition Obgleich das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus eine Definition enthält, gilt diese nur für den eng beschränkten Anwendungsbereich der Anti-Finanzierungskonvention und wendet sich damit nur mittelbar, aber nicht unmittelbar gegen den Terrorismus. Diesen Mangel sollte die Draft Comprehensive Convention on International Terrorism ausgleichen. Sie enthält umfassende Maßnahmen, u.a. Strafverfolgungspflichten und Auslieferungspflichten sowie gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften wie die Pflicht zu verhindern, dass das eigene Territorium als Rückzugsort für Terroristen missbraucht wird. Die seit den 1990er Jahren anhaltenden Versuche, eine solche Konvention zum Abschluss zu bringen, stecken aber fest. Schuld daran ist vor allem die mangelnde Fähigkeit der Staaten, sich auf eine Definition des Terrorismus zu
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Walter (Anm. 19), Rn. 9. Zu dieser Unterscheidung, die aus dem humanitären Völkerrecht stammt siehe noch unten C. II. 2. 34 Siehe die Definition von Zivilpersonen in Art. 50 Abs. 1 I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, BGBl. 1990 II, 1551 (ZP I). 33
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einigen.35 Seit zwei Jahren haben hier keine Treffen mehr im Ad-hoc-Komitee stattgefunden.36 Der letzte Stand der Definition ist von 2007 und unterscheidet sich von der Definition der Anti-Finanzierungskonvention zunächst schon in den Anforderungen, die an das Tatobjekt gestellt werden. Nach Artikel 2 Abs. 1 ist Terrorismus: (a) Death or serious bodily injury to any person; or (b) Serious damage to public or private property, including a place of public use, a State or government facility, a public transportation system, an infrastructure facility or to the environment; when the purpose of the conduct, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a Government or an international organization to do or to abstain from doing any act; or (c) Damage to property, places, facilities, or systems referred to in paragraph 1 (b) of this article, resulting or likely to result in major economic loss.
Ebenso wie bei der Anti-Finanzierungskonvention findet sich in der Draft Comprehensive Convention ein objektives und ein (doppeltes) subjektives Element. Das subjektive Element unterscheidet sich nicht von dem der Anti-Finanzierungskonvention; das objektive Element erfasst aber auch bestimmte Formen der Gewalt gegen Sachen. Die Gewalt gegen Sachen wird durch Beispiele näher umschrieben. So wird man annehmen können, dass nur Gewalt gegen solche Sachen als Terrorismus verstanden werden kann, die den Beispielen vergleichbar sind. So darf z.B. nur Gewalt gegen dem Gemeinwohl dienende Sachen, nicht hingegen allein dem privaten Gebrauch vorbehaltene Sachen als Terrorismus zählen. Hier bleibt allerdings viel Spielraum für Interpretation.37 Aber nicht nur wegen des Interpretationsspielraums ist die Aufnahme von Gewalt gegen Sachen in die Definition problematisch: So können unter Umständen Personen unter den Terrorismusbegriff fallen, die zwar gegen Strafgesetze verstoßen, bei denen es aber ähnlich fraglich ist wie bei Freiheitskämpfern, ob sie als Terroristen gebrandmarkt werden sollten. Es geht hier z.B. um militante Tierschützer, die in Labore einbrechen und Tiere freilassen oder um Anti-Castor-Demonstranten, die sich an die Gleise anketten. Sie üben jeweils Gewalt gegen Sachen aus und wollen dadurch den Staat zwingen, in ihrem 35
Thomas Weatherall, The Status of the Prohibition of Terrorism in International Law, GJIL 2015, 589, 591 f. Siehe auch die Zusammenfassung der Äußerungen unter Speakers Urge That Differences Be Resolved in Draft Comprehensive Convention on International Terrorism, as Sixth Committee Begins Session, 7.10.2014, GA/L/3475, http://www.un. org/press/en/2014/gal3475.doc.htm (letzter Zugriff am 1.11.2016). 36 Das Ad hoc Committee wurde 1996 von der Generalversammlung gegründet. 2014 kam es zumindest zu einem Treffen im Rechtsausschuss der Generalversammlung. 37 Siehe auch die Kritik von Frederico Andreu-Guzmán, Terrorism and Human Rights No. 2 – New Challenges and Old Dangers, International Commission of Jurists Occasional Papers No. 3, 2003, 34; Wolny (Anm. 12), 113 f. m.w.N.; positiv hingegen Diener (Anm. 20), 135 f.
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Sinne zu handeln. Wenngleich diese Handlungen grundsätzlich strafrechtlich relevant sind, so ist doch der Terrorismusvorwurf, der eine besondere Gefährlichkeit für die Gesellschaft als Ganzes impliziert und eine besondere Missbilligung der Tat, die weit über eine einfache Straftat hinausgeht, zum Ausdruck bringt,38 nach hier vertretenem Verständnis zu weitgehend. Es sollte daher auf Gewalt gegen Personen abgestellt werden. Auch hinsichtlich der Gewalt gegen Personen unterscheiden sich die Definitionen. Nach der Anti-Finanzierungskonvention sind nur Zivilisten geschützt, nach der Draft Comprehensive Convention alle Menschen, also auch die Mitglieder von Streitkräften und bewaffneten Gruppen. Allerdings schränkt Art. 3 diesen weiten persönlichen Schutzbereich gleich wieder ein, indem er alle Verletzungshandlungen aus dem Anwendungsbereich der Konvention herausnimmt, sofern sie von bewaffneten Gruppen innerhalb eines bewaffneten Konflikts oder von den staatlichen Streitkräften auch außerhalb eines solchen Konflikts begangen werden: 2. The activities of armed forces during an armed conflict, as those terms are understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by the present Convention. 3. The activities undertaken by the military forces of a State in the exercise of their official duties, inasmuch as they are governed by other rules of international law, are not governed by the present Convention.
Diese Ausnahmen machen Artikel 3 zur umstrittensten Norm der Draft Comprehensive Convention: So fallen nämlich einerseits Freiheitskämpfer in bewaffneten Konflikten aus dem Terrorismusbegriff heraus (Nr. 2), andererseits der durch staatliche Streitkräfte begangene Staatsterrorismus, indem alle militärischen Maßnahmen des Staates vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, unabhängig davon, ob es sich um einen bewaffneten Konflikt (Nr. 2) oder um Friedenszeiten handelt (Nr. 3).39 Auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen kommt es insofern nicht an. d) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten: Es bestehen völkerrechtliche Pflichten des Staates, gegen bestimmte terroristische Handlungen vorzugehen. Eine allgemeine Pflicht, den Terrorismus zu bekämpfen, sieht lediglich die Anti-Finanzie38
Siehe Jean-Marc Sorel, Some Questions About the Definition of terrorism and the Fight Against its Financing, EJIL 2003, 365, 366 f.; Ben Saul, Defining Terrorism in International Law, 2008, 1 ff., 65. 39 So auch Daniel O’Donnell, International Treaties Against Terrorism and The Use of Terrorism During Armed Conflict and By Armed Forces, IRRC 88 (2006), 853, 864 ff.
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rungskonvention vor. Entsprechend enthält diese eine Definition des Terrorismus. Die in diesem Abkommen niedergelegten Pflichten wirken lediglich mittelbar: Sie richten sich entsprechend dem Titel des Übereinkommens unmittelbar gegen die Finanzierung des Terrorismus und nur mittelbar gegen den Terrorismus selbst. Ein Abkommen, das sich allgemein und unmittelbar gegen den Terrorismus wendet, existiert bislang nur als Entwurf. Die hier zu findende Definition ist in zwei Punkten weiter als die Definition der Anti-Finanzierungskonvention: Einerseits wird von der Draft Comprehensive Convention auch Gewalt gegen Sachen als terroristische Handlung eingestuft, andererseits sind nicht nur Zivilisten von der Definition geschützt, sondern in, wenngleich eng gefassten Fällen, auch Militärs. 2. Regionale Anti-Terrorismusverträge Neben diesen universellen Konventionen gibt es auch regionale Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus, in Europa ebenso wie in Asien, Afrika, Amerika und zwischen den arabischen Staaten. Anders als auf universeller Ebene handelt es sich dabei nicht um sektorale Verträge, sondern um Verträge, die sich allgemein auf den Terrorismus beziehen. Sie regeln, wie die universellen Verträge, vor allem Auslieferungs-, Bestrafungs- sowie Präventions- und Kooperationspflichten. Grundsätzlich ist es auf regionaler Ebene aufgrund der regionalen Gemeinsamkeiten oft einfacher, sich auf bestimmte Lösungen zu einigen. So ist es auch hier. In der Mehrzahl der Konventionen findet sich eine Terrorismusdefinition. Der Europarat hat zwei allgemeine Konventionen gegen Terrorismus aufgelegt. Das Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus von 197740 sieht u.a. Auslieferungs- und Kooperationspflichten (Art. 6) vor. Das Übereinkommen zur Verhütung des Terrorismus von 200541 vertieft diese Konvention, v.a. indem es die Staaten verpflichtet, bestimmte Einzeltaten unter Strafe zu stellen, u.a. die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat (Art. 5) oder die Ausbildung für terroristische Zwecke (Art. 7). Obgleich beide Konventionen gegen den Terrorismus allgemein und nicht nur bestimmte Taten gerichtet sind, wird jeweils auf eine abstrakte Definition verzichtet. Vielmehr wird auf den sektoralen Ansatz zurückgegriffen: Bestimmte Taten, die bislang schon in anderen Anti-Terrorismus-Verträgen geächtet wurden, werden auch hier als Terrorismus gewertet. Die vergleichbaren Anti-Terrorismuskonventionen der Association of
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Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus, 27.1.1977, BGBl. 1978 II, 322 (46 Vertragsstaaten). 41 Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus, 16.5.2005, BGBl. 2011 II, 302 (36 Vertragsstaaten).
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Southeast Asian Nations (ASEAN)42 und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)43 folgen dieser sektoralen Definitionstechnik. Inzwischen wurde im Mai 2015 ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus von 2005 aufgelegt, mit dem die sog. Foreign-fighters-Resolution 217844 der Vereinten Nationen umgesetzt werden soll.45 Zu diesem Zwecke verlangt das Protokoll die Strafbarkeit von verschiedenen Handlungen, die als Vorbereitung für spätere terroristische Straftaten dienen können.46 Dazu gehört u.a. das „Absolvieren einer Ausbildung für terroristische Zwecke“. Dies bezeichnet nach Art. 3 Abs. 1 den Umstand „sich von einer anderen Person durch Vermittlung von Wissen oder praktischen Fertigkeiten in der Herstellung und Verwendung von Sprengstoffen, Feuer- oder sonstigen Waffen oder schädlichen oder gefährlichen Stoffen oder in anderen spezifischen Methoden oder Techniken für die Begehung einer terroristischen Straftat oder für das Beitragen zu einer terroristischen Straftat unterweisen zu lassen.“ Zentral in dieser Definition ist offenkundig der Begriff des Terrorismus. Da es an einer eigenständigen Definition mangelt, ist der sektorale Terrorismusbegriff des Übereinkommens zur Verhütung des Terrorismus zu Grunde zu legen. Die Europäische Union hingegen definiert in ihrem Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002,47 der u.a. die Bestrafung von Terroristen und den Ausbau zwischenstaatlicher Kooperation verlangt, den Begriff des Terrorismus. Das Besondere an der EU-Definition ist vor allem, dass die Gewalttaten näher bestimmt werden. Zu den Tathandlungen nach Art. 1 Abs. 1 zählen neben Angriffen auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können oder die auf körperliche Unversehrtheit einer Person gerichtet sind. Hierbei wird nicht nach dem Status, ob beispielsweise jemand Mitglied der staatlichen Streitkräfte ist oder Zivilist, unterschieden. Weder 42
ASEAN Convention on Counter-Terrorism, 13.1.2007 (10 Vertragsstaaten). Siehe dazu Abdul R. Ahmad, The Asean Convention On Counter-Terrorism 2007, APJHRL 2013, 93 ff. 43 Inter-American Convention Against Terrorism, 3.6.2002, ILM 42 (2003), 19 (24 Vertragsstaaten). 44 S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014. 45 Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (CETS Nr. 196), 19.5.2015. 46 Zu den damit verbundenen mannigfaltigen rechtsstaatlichen Gefahren siehe Claudia Wittl, Was tun gegen den Feind in den eigenen Reihen?, 8.12.2014, http://verfassungsblog. de/tun-gegen-den-feind-den-eigenen-reihen (letzter Zugriff am 1.11.2016). 47 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002 L 164/3). Siehe auch Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002 L 330/21).
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für Freiheitskämpfer noch für den Staatsterrorismus sind Sonderregeln vorgesehen. Auch bestimmte Angriffe auf Sachen, sofern es zu schwer wiegenden Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems etc. kommt und sofern Menschenleben dadurch gefährdet werden, können terroristische Handlungen darstellen. Auch Herstellung, Besitz und Erwerb von Sprengstoffen, Schuss- und ABC-Waffen fallen unter die definierten Handlungen. Weitere Definitionen existieren in der Anti-Terrorismuskonvention der Gemeinschaft unabhängiger Staaten,48 der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC)49 und der Arabischen Liga50 sowie der Afrikanischen 48
Treaty on Cooperation among the States Members of the Commonwealth of Independent States in Combating Terrorism, 4.6.1999 (7 Vertragsstaaten). Dieser Vertrag verpflichtet Staaten ebenfalls zur Auslieferung, zur Unterstrafestellung von Terrorismus und zu Kooperation. Ähnlich dem EU Rahmenbeschluss werden bestimmte Tathandlungen näher definiert. Nach Art. 1 ist Terrorismus „an illegal act punishable under criminal law committed for the purpose of undermining public safety, influencing decision-making by the authorities or terrorizing the population, and taking the form of: Violence or the threat of violence against natural or juridical persons; Destroying (damaging) or threatening to destroy (damage) property and other material objects so as to endanger people’s lives; Causing substantial harm to property or the occurrence of other consequences dangerous to society; Threatening the life of a statesman or public figure for the purpose of putting an end to his State or other public activity or in revenge for such activity; Attacking a representative of a foreign State or an internationally protected staff member of an international organization, as well as the business premises or vehicles of internationally protected persons; Other acts classified as terrorist under the national legislation of the Parties or under universally recognized international legal instruments aimed at combating terrorism“. 49 Die SAARC Regional Convention on the Suppression of Terrorism, 4.11.1987 (8 Vertragsstaaten), ist ein Auslieferungsvertrag. Die Konvention definiert Terrorismus entsprechend bestimmter Handlungen aus den sektoralen Verträgen und außerdem als „Murder, manslaughter, assault causing bodily harm, kidnapping, hostage-taking and offences relating to firearms, weapons, explosives and dangerous substances when used as a means to perpetrate indiscriminate violence involving death or serious bodily injury to persons or serious damage to property“ (Art. 1 lit. e). Das Additional Protocol to the SAARC Regional Convention on the Suppression of Terrorism, 6.1.2004 (8 Vertragsstaaten), baut darauf auf und sieht u.a. Bestrafungspflichten vor. 50 Die Arab Convention for the Suppression of Terrorism, 22.4.1998 (16 Vertragsstaaten), definiert Terrorismus wie folgt. „Any act or threat of violence, whatever its motives or purposes, that occurs for the advancement of an individual or collective criminal agenda, causing terror among people, causing fear by harming them, or placing their lives, liberty or security in danger, or aiming to cause damage to the environment or to public or private installations or property or to occupy or to seize them, or aiming to jeopardize a national resource“.
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Union (AU).51 Alle Definitionen sehen wiederum ein (doppeltes) subjektives sowie ein objektives Element vor. Als subjektive Elemente finden sich neben dem Vorsatz die schon bekannte Voraussetzung einer Absicht, die auf die Einschüchterung der Bevölkerung oder die Ausübung von Zwang auf den Staat gerichtet ist. In ihrem objektiven Element lassen alle Definitionen die schon oben als problematisch erkannte Gewalt gegen Sachen als Tathandlung ausreichen und sehen damit einen weiten Terrorismusbegriff vor.52 Außerdem lassen grundsätzlich alle Definitionen Gewalt gegen jede Person ausreichen, ohne Ansehen des Status. Allerdings bestehen von diesem Grundsatz Ausnahmen. Die Definitionen der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union sehen nämlich Ausnahmen für Freiheitskämpfer vor: Nach Art. 3 der Convention of the Prevention and Combating of Terrorism der Afrikanischen Union ist der „struggle waged by peoples in accordance with the principles of international law for their liberation or self-determination, including armed struggle against colonialism, occupation, aggression and domination by foreign forces“ von der Terrorismusdefinition ausgenommen. Die Arabische Liga formuliert in Art. 2 lit. a) der Arab Convention for the Suppression of Terrorism ähnlich.53 Hier ist jedoch zu beachten, dass man einen Weg gefunden hat, wie Freiheitskämpfer im eigenen Land nicht in den Vorteil dieser Klausel kommen. Direkt im Anschluss heißt es in der arabischen Anti-Terrorismuskonvention nämlich: „This provision shall not apply to any act prejudicing the territorial integrity of any Arab State.“ Auf regionaler Ebene existieren mehrere, sich ähnelnde Terrorismusdefinitionen. Sie alle lassen grundsätzlich Gewalt gegen bestimmte Sachen als Tathand51
Die Convention on the Prevention and Combating of Terrorism, 14.7.1999 (41 Vertragsstaaten), sieht Strafbarkeits-, Präventions- und Kooperationsvorschriften vor, und definiert Terrorismus in ihrem Artikel 1 wie folgt: „(a) any act which is a violation of the criminal laws of a State Party and which may endanger the life, physical integrity or freedom of, or cause serious injury or death to, any person, any number or group of persons or causes or may cause damage to public or private property, natural resources, environmental or cultural heritage and is calculated or intended to: (i) intimidate, put in fear, force, coerce or induce any government, body, institution, the general public or any segment thereof, to do or abstain from doing any act, or to adopt or abandon a particular standpoint, or to act according to certain principles; or (ii) disrupt any public service, the delivery of any essential service to the public or to create a public emergency; or (iii) create general insurrection in a State“. 52 Duffy (Anm. 4), 44 ff. 53 Ausgenommen sind auch hier „[a]ll cases of struggle by whatever means, including armed struggle, against foreign occupation and aggression for liberation and selfdetermination, in accordance with the principles of international law, shall not be regarded as an offence“.
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lung ausreichen und schützen alle Personen gleich. Der Staatsterrorismus ist grundsätzlich erfasst, Freiheitskämpfer hingegen nicht immer. 3. Völkerstrafrecht und humanitäres Völkerrecht Auch Völkerstrafrecht sowie humanitäres Völkerrecht verbieten den Terrorismus. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs54 sieht zwar keine eigenständige Strafbarkeit terroristischer Handlungen vor. Allerdings können sie unter die Tatbestände des Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder des Kriegsverbrechens fallen. So ist anerkannt, dass terroristische Handlungen unter die Verbrechen gegen die Menschlichkeit subsumiert werden können.55 Allerdings wird in diesem völkerstrafrechtlichen Tatbestand nicht auf terroristische Handlungen Bezug genommen. Eine Definition wird dementsprechend nicht gebraucht. Das ist anders beim Tatbestand des Kriegsverbrechens. Sowohl das Statut des Ruanda-Tribunals der Vereinten Nationen (ICTR)56 als auch das Statut des Special Court for Sierra Leone (SCSL)57, von dem unter anderem der ehemalige liberianische Präsident Charles Taylor verurteilt wurde, kennen das Tatbestandsmerkmal der „terroristischen Handlungen“. Dieser Begriff der „terroristischen Handlungen“ ist nicht völlig neu, entstammt er doch dem humanitären Völkerrecht – und auf dem humanitären Völkerrecht baut der Tatbestand des Kriegsverbrechens in erster Linie auf. Nach Art. 33 der IV. Genfer Konvention (GK),58 Art. 51 Abs. 2 ZP I und Art. 4, 13 Abs. 2 des Zusatzprotokolls II zu den Genfer Konventionen von 1948 (ZP II)59 sind „terroristische Handlungen“ auch in internationalen bewaffneten Konflikten bzw. nicht-internationalen bewaffneten Konflikten verboten. Während eine entsprechende Rechtsprechung des ICTR fehlt, hat das SCSL eine 54
Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, 17.7.1998, BGBl. 2000 II,
1393. 55 Rein Müllerson, International Humanitarian Law in Internal Conflicts, JCSL 1997, 109, 120; Dominik Steiger, Das völkerrechtliche Folterverbot und der „Krieg gegen den Terror“, 2013, 148 f. 56 Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda, S/RES/955 (1994) vom 8.11.1994, Annex. 57 Statute of the Special Court for Sierra Leone, Agreement Between the United Nations and the Government of Sierra Leone on the Establishment of a Special Court for Sierra Leone, 16.1.2002, UNTS, Vol. 2178, 137. 58 IV. Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, 12.8.1949, BGBl. 1954 II, 917, ber. 1956 II, 1586. 59 II. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, 8.6.1977, BGBl. 1990 II, 1637.
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sehr weite Definition von Terrorismus entwickelt. Nach dem SCSL lauten die Tatbestandselemente von Terrorismus wie folgt: (i) Acts or threat, of violence directed against persons or property; (ii) The Accused intended to make persons or property the object of those acts and threats of violence or acted in the reasonable knowledge that this would likely occur; and (iii) The acts or threats of violence were committed with the primary purpose of spreading terror among persons.60
Entgegen allen anderen Definitionen erfasst diese Definition nicht nur die Ausübung von Gewalt, sondern auch schon deren Androhung. Weit ist sie auch deshalb, weil sie Gewalt oder deren Androhung nicht nur gegen jede Person, sondern auch gegen Sachen umfasst. Anders als die Definitionen sowohl der universellen wie der regionalen Verträge fehlt es sogar an einer Qualifikation der Gewalt gegen Sachen: Hier scheint Gewalt gegen jede Sache auszureichen. Enger ist die Definition insoweit, als dass das subjektive Tatbestandsmerkmal der Ausübung von Druck auf den Staat keine Rolle spielt. Obgleich sich im Statut des Jugoslawien-Tribunals (ICTY)61 keine explizite Strafbarkeit von terroristischen Handlungen findet, besteht aufgrund der in Art. 3 ICTY-Statut vorgesehenen Strafbarkeit von Verstößen gegen Gesetze oder Gebräuche des Krieges eine Notwendigkeit der Definition von Terrorismus. Das Jugoslawien-Tribunal nahm an, dass das Verbot terroristischer Handlungen u.a. in Art. 51 Abs. 2 ZP I und Art. 13 Abs. 2 ZP II völkergewohnheitsrechtliche Geltung beansprucht62 und kam zu folgender Definition:63 1. Acts of violence directed against the civilian population or individual civilians not taking direct part in hostilities causing death or serious injury to body or health within the civilian population. 2. The offender willfully made the civilian population or individual civilians not taking direct part in hostilities the object of those acts of violence. 3. The above offence was committed with the primary purpose of spreading terror among the civilian population.
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SCSL (Trial Chamber), Prosecutor ./. Fofana und Kondewas (SCSL-04-14-0785), Urteil vom 2.8.2007, Rn. 170. 61 Statute of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, 25.5.1993 (UN Doc. S/25704), Annex. 62 ICTY, Prosecutor ./. Galić (IT-98-29), Appeals Chamber, Urteil vom 30.11.2006, para. 101. 63 ICTY, Prosecutor ./. Galić (IT-98-29), Trial Chamber, Urteil vom 5.12.2003, para. 133; ICTY (Anm. 62) , para. 99.
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Die Definition beschränkt sich ebenso wie die Definition des SCSL in ihrer subjektiven Dimension neben dem Vorliegen des Vorsatzes auf die Voraussetzung einer Absicht, die auf die Einschüchterung der Bevölkerung gerichtet ist. In ihrer objektiven Dimension stellt sie alleine auf Gewaltausübung gegen Zivilisten ab. Anders als das SCSL nimmt das ICTY hier die Wertungen des Art. 51 Abs. 2 ZP I und Art. 13 Abs. 2 ZP II auf. Danach dürfen Zivilisten nicht zum Ziel eines Angriffs gemacht werden, und Gewalt, die Terror unter der Zivilbevölkerung verbreiten soll, ist verboten. Entsprechend diesen Normen und dem Schutzzweck des humanitären Völkerrechts ist die Definition des ICTY sehr eng am Schutz des einzelnen Zivilisten ausgerichtet und nicht am Schutz des Staates. Freiheitskämpfer fallen nicht unter die Definition des ICTY, sofern sie gegen staatliche Militärs vorgehen. Dies ist anders bei der Definition des SCSL, der auch Freiheitskämpfer umfasst. Der Staatsterrorismus stellt sich nach beiden Verständnissen als Terrorismus dar. Viel weiter als SCSL und ICTY geht das Special Tribunal for Lebanon (STL). Während die beiden erstgenannten Tribunale ihre Rechtsprechung allein auf Kriegsverbrechen und damit nur auf Handlungen, die innerhalb eines bewaffneten Konflikts vorgenommen werden, beschränkt, entwickelte das STL unter seinem Präsidenten Antonio Cassese einen davon zu unterscheidenden völkergewohnheitsrechtlichen Straftatbestand des Terrorismus in Friedenszeiten. Dieser Tatbestand ist nach Ansicht des SCSL ein eigenständiger Tatbestand64 – d.h. unabhängig von weiteren Voraussetzungen, etwa dem Vorliegen eines systematischen Angriffs oder eines bewaffneten Konflikts – und ist erfüllt, wenn folgende Definitionsmerkmale vorliegen: (i) the perpetration of a criminal act (such as murder, kidnapping, hostage-taking, arson, and so on) or threatening such an act; (ii) the intent to spread fear among the population (which would generally entail the creation of public danger) or directly or indirectly coerce a national or international authority to take some action, or to refrain from taking it; (iii) the act involves a transnational element.65 64
Diese Verselbständigung hat zu weitreichender Kritik geführt, siehe z.B. Matthew Gillett/Matthias Schuster, Fast-track Justice. The Special Tribunal for Lebanon Defines Terrorism, JICJ 2011, 989, 999 ff.; Ben Saul, Legislating from a Radical Hague: The United Nations Special Tribunal for Lebanon Invents an International Crime of Transnational Terrorism, LJIL 2011, 677 ff.; Kai Ambos, Judicial Creativity at the Special Tribunal for Lebanon: Is there a Crime of Terrorism under International Law?, LJIL 2011, 655 ff.; siehe aber auch Weatherall (Anm. 35), 589, 601 ff., 625 ff. 65 STL, Interlocutory Decision on the Applicable Law: Terrorism, Conspiracy, Homicide, Perpetration, Cumulative Charging (STL-11-01/I), Appeals Chamber, Entscheidung vom 16.2.2011, Nr. 83. Siehe auch schon Antonio Cassese, The Multifaceted Criminal Notion of Terrorism in International Law, JICJ 2006, 933 ff.
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Auf subjektiver Seite müssen neben dem Vorsatz erneut die beiden bekannten alternativen Voraussetzungen einer Absicht, die auf die Einschüchterung der Bevölkerung oder die Ausübung von Zwang auf den Staat gerichtet ist, vorliegen. Das objektive Element geht aber über alle bislang bekannten Definitionen hinaus und weitet damit den Anwendungsbereich der Terrorismusdefinition aus. Hier wird lediglich ein krimineller Akt verlangt. Die Einbeziehung von arson, also Brandstiftung, zeigt, dass auch Gewalt gegen Objekte ausreicht. Besonders hervorzuheben ist, dass das Merkmal der Transnationalität hier ausdrücklich Eingang in die Definition gefunden hat. Freiheitskämpfer66 sind von dieser weiten Definition ebenso umfasst wie Staatsterroristen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Völkerstrafrecht zumindest teilweise an den Begriff der terroristischen Handlung anknüpft und daher nach einer Terrorismusdefinition verlangt. Die bislang gefundenen Definitionen unterscheiden sich dabei stark, etwa indem z.T. der Status des Opfers nach humanitärem Völkerrecht wie vom ICTY berücksichtigt wird oder indem Gewalt gegen Sachen als Tathandlungen ausreichen wie nach der Rechtsprechung des SCSL und der Rechtsprechung des STL. 4. Maßnahmen innerhalb des VN-Systems kollektiver Sicherheit Schon seit den 1990er Jahren, vor allem aber seit 2001 steht der Kampf gegen den Terrorismus ganz oben auf der Agenda des Sicherheitsrats.67 Dies ist insofern nicht nur eine neue faktische, sondern auch eine neue rechtliche Entwicklung, als vor 50 Jahren keiner der These zugestimmt hätte, dass der Sicherheitsrat sich überhaupt mit Terrorismus beschäftigen darf (a), geschweige denn, die Staaten dazu zwingen darf, polizeiliche Maßnahmen gegen Terroristen zu erlassen (b) oder gar zu militärischen Maßnahmen gegen Terroristen zu ermächtigen (c). Eine Terrorismusdefinition wäre überdies vor 50 Jahren mangels rechtlicher Konsequenzen nicht nötig gewesen. Heute hat sich aber das Rechtsverständnis hinsichtlich der Kompetenzen des Sicherheitsrats fundamental gewandelt – und daraus folgt die Notwendigkeit einer Definition.
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Ausdrücklich STL (Anm. 65), para. 110. Siehe dazu den Beitrag von Stefanie Schmahl, Maßnahmen der UNO zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus: die Rolle des Sicherheitsrats und der Generalversammlung (in diesem Band). 67
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a) Terrorismus als Friedensbedrohung? Der Sicherheitsrat darf sich nach Art. 24 SVN mit allen Fragen beschäftigen, die die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betreffen. Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII SVN darf der Sicherheitsrat dann erlassen, wenn eine Friedensbedrohung vorliegt. Als eine solche Friedensbedrohung werden Terroristen heute auch in ständiger Resolutionspraxis verstanden.68 Einer derartigen Interpretation stand bis Anfang der 1990er Jahre der Umstand entgegen, dass Terroristen vornehmlich nicht-staatliche Gewaltakteure sind, das Völkerrecht aber dem Grunde nach staatenorientiert ist. Es war deshalb umstritten, ob der Sicherheitsrat auch nicht-staatliche Gewaltakteure in den Fokus nehmen darf.69 Davon sah er dem Grunde nach70 bis zum Ende des Kalten Krieges ab. Diese änderte er später in fundamentaler Weise und ging ab 1992 dazu über, Handlungen nicht-staatlicher Gewaltakteure als Friedensbedrohung zu klassifizieren. Die ersten nicht-staatlichen Gewaltakteure, die der Sicherheitsrat ab 1992 in den Fokus nahm, waren bewaffnete Gruppen i.S.d. humanitären Völkerrechts wie etwa die Khmer Rouge in Kambodscha.71 Zwar hat er im selben Jahr auch hinsichtlich der Handlungen von Terroristen eine Friedensbedrohung angenommen. Allerdings rekurrierte er nicht unmittelbar auf das Handeln eines nicht-staatlichen Gewaltakteurs, sondern zog eine Verbindung zu Libyen. Erst nachdem seine Aufforderung an Libyen, mit ihm zusammenzuarbeiten,72 nicht erfüllt wurde, stellte er eine Friedensbedrohung fest. Dies begründete er damit, dass Libyen sich nicht vom Terrorismus distanziert hatte und den Aufforderungen der ersten Resolution nicht nachgekommen sei.73 Dieselbe Vorgehensweise ist hinsichtlich terroristischer Anschläge ebenfalls in den Fällen Sudan und Afghanistan in den Jahren 1996 bis 2000 nachweisbar.74 Auch wenn es sich dabei nicht zwingend um Staats68
Siehe z.B. S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Ziff. 1; S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Erwägungsgrund 1; S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014, Erwägungsgrund 1; S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Erwägungsgrund 5. 69 Siehe dazu ausf. Dominik Steiger, Nicht-staatliche Gewaltakteure im Fokus des Sicherheitsrats, in: Heike Krieger/Dieter Weingärtner (Hrsg.), Streitkräfte und nichtstaatliche Akteure, 2013, 55 ff. 70 Es gab zwei Ausnahmen, zum einen im Kontext Israel in den 1940er und zum anderen im Kontext Süd-Rhodesien in den 1960er Jahren. Sie waren jeweils den besonderen Umständen geschuldet, Steiger (Anm. 69), 55, 56. 71 S/RES/792 (1992) vom 30.11.1992, Ziff. 11. 72 S/RES/731 (1992) vom 21.1.1992, Ziff. 3. 73 S/RES/748 (1992) vom 31.3.1992, Erwägungsgrund 7. 74 Bzgl. Sudan: S/RES/1054 (1996) vom 26.4.1996, Erwägungsgrund 11; S/RES/1070 (1996) vom 16.8.1996, Erwägungsgrund 11; bzgl. Afghanistan: S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Erwägungsgrund 8; S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Erwägungsgrund 14.
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terrorismus handeln muss – die mangelnde staatliche Distanzierung von den terroristischen Taten zusammen mit der Verweigerung der Kooperation reichten jeweils aus – so ist doch auffällig, dass der Sicherheitsrat in diesem Fall noch eine Verbindung zum Staat forderte, um eine Friedensbedrohung zu bejahen. Dies zeigt, dass der Sicherheitsrat Staatsterrorismus als Terrorismus versteht. Die Voraussetzung einer Verbindung der Terroristen zu einem Staat änderte sich erst mit den Resolutionen 1368 und 1373 in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001. Hier berief sich der Sicherheitsrat für die Feststellung der Friedensbedrohung alleine auf die Tatsache, dass internationale terroristische Anschläge vorgelegen haben. Außerdem sieht er den internationalen Terrorismus allgemein – und nicht nur bestimmte terroristische Akte – in inzwischen ständiger Resolutionspraxis als Bedrohung des Friedens an: Danach verurteilte der Sicherheitsrat bestimmte Handlungen, die, „wie jede Handlung des internationalen Terrorismus, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen“.75 Diese weite Interpretation der Friedensbedrohung wird heute allgemein anerkannt.76 Dafür spricht neben der ständigen unwidersprochenen Praxis des Sicherheitsrats in den letzten 25 Jahren, dass anders als das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 SVN, der auf die Mitgliedstaaten abstellt, der Wortlaut des Art. 39 SVN offen formuliert ist und nicht etwa von Staaten als Ursache einer Friedensbedrohung spricht. Auch eine teleologische Auslegung spricht für ein weites Verständnis des Begriffs Friedensbedrohung: Ziel und Zweck der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats ist die Wahrung des Weltfriedens (Art. 1 Ziff. 1 SVN). Nichtstaatliche Gewaltakteure stellen in den meisten Fällen die entscheidende Bedrohung des Weltfriedens dar: So sind heute in allen bewaffneten Konflikten nicht-staatliche Akteure involviert. Im Jahre 2015 gab es lediglich einen einzigen klassischen zwischenstaatlichen Konflikt.77 Terroristische Anschläge haben alleine 2014 weltweit mehr als 30.000 Menschen das Leben gekostet.78 Eine effektive Sicherung von Frieden und Sicherheit ist damit nur möglich, wenn auch nichtstaatliche Akteure als Ursache einer Friedensbedrohung anerkannt werden können. 75 S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Ziff. 1; S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Erwägungsgrund 1; S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014, Erwägungsgrund 1; S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Erwägungsgrund 5. 76 Siehe nur Daniel W. Abott, The United Nations and Intrastate Conflict: A Legislative History of Article 39 of the United Nations Charter, UC Davis JILP 2002, 275 ff.; Nico Krisch, Article 39, in: Bruno Simma/Daniel Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations: A Commentary, 3. Aufl. 2012, Rn. 4 ff. 77 Uppsala Universitet, Uppsala Universitet Conflict Encyclopedia, http://www.pcr. uu.se (letzter Zugriff am 1.11.2016). 78 Institute for Economics and Peace, Global Terrorism Index 2015, 2.
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Bedenklich ist aber, dass der Sicherheitsrat nie näher ausgeführt hat, was genau er unter Terrorismus versteht. Wenngleich in vielen Fällen die Staaten ihren Pflichten aus der Resolution aufgrund des konkreten Fallbezugs auch ohne eine Definition des Terrorismus nachkommen können, so erscheint eine Definition des Terrorismus doch aus Gründen der „Rule of Law“79 notwendig: Eine Definition würde die Tätigkeit des Sicherheitsrats vorhersehbarer machen und so Rechtssicherheit schaffen. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil die Feststellung der Friedensbedrohung durch den Sicherheitsrat diesem ein nahezu unbegrenztes Arsenal an Handlungsoptionen eröffnet. Wenn wirklich jeder terroristische Akt eine Friedensbedrohung darstellt, bedarf es aufgrund der daraus folgenden nahezu unbegrenzten Handlungsmöglichkeiten des Sicherheitsrats einer Terrorismusdefinition. b) Polizeiliche Maßnahmen gegen Terroristen: Targeted Sanctions Das Verständnis von Terrorismus als Friedensbedrohung öffnet dem Sicherheitsrat die Tür zu Kapitel VII SVN und erlaubt ihm, Zwangsmaßnahmen zu erlassen. Dazu gehört zunächst die Verpflichtung (Art. 25 SVN i.V.m. Art. 103 SVN80) von Staaten, bestimmte polizeiliche Maßnahmen gegen Terroristen zu ergreifen. So entschied der Sicherheitsrat beispielsweise im September 2001 in seiner Resolution 1373, dass die Staaten gegenüber mutmaßlichen Terroristen Reiseverbote durchzusetzen haben und ihre Konten sperren müssen.81 Dies sind typische Instrumente der Gefahrenabwehr, da so verhindert werden soll, dass mutmaßliche Terroristen Anschläge in anderen Ländern begehen können. Hinzu kommt beispielsweise die Pflicht sicherzustellen, dass ein Staat nicht als Rückzugsgebiet für Terroristen genutzt wird.82 Zudem sieht die Resolution 1373 vor,
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Zur Geltung des Prinzips der „Rule of Law“ im Völkerrecht siehe Stéphane Beaulac, The Rule of Law in International Law Today, in: Gianluigi Palombella/Neil Walker (Hrsg.), Relocating the Rule of Law, 2009, 197 ff.; siehe auch Jeremy Waldron, The Rule of International Law, HJLPP 2006, 15 ff.; Ian Hurd, What is the International Rule of Law? in: Javier Solana (Hrsg.), The Global Context: How Politics, Investment, and Institutions Impact European Businesses, 2015, 148 ff. 80 Siehe dazu Anne Peters, Article 25, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.) (Anm. 76), Rn. 8 ff.; I.C.J., Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion, I.C.J. Reports 1971, 16, para. 113. 81 S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 1 lit. c; siehe z.B. auch S/RES/1735 (2006) vom 22.12.2006, Ziff. 1 lit. a. 82 S/RES/1267 (1999) vom 5.10.1999, Ziff. 1, 2; so auch schon S/RES/1214 (1998) vom 8.12.1998, Ziff. 13.
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dass Terroristen strafrechtlich zu verfolgen sind.83 Ebenso werden die Auslieferungspflichten der Staaten betont.84 Eine der vielen Besonderheiten der Resolution 1373 ist, dass sie abstraktgenerelle Regeln mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung enthält. Neben den genannten Regeln wurden u.a. auch weite Teile der damals nur von vier Staaten ratifizierten Anti-Finanzierungskonvention übernommen. Hier wird der Sicherheitsrat zum Gesetzgeber. Es gibt zwei weitere solcher gesetzgeberischen Resolutionen: Die Resolution 1540 aus dem Jahr 2004 zielt darauf ab, dass Staaten die Weitergabe von Materialien oder Technologien zur Herstellung von nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen an nichtstaatliche Akteure – insbesondere an Terroristen – verhindern. Die Resolution 2178 aus dem Jahr 2014 betrifft sog. foreign terrorist fighters.85 Diese Resolution soll mittels Strafandrohung verhindern, dass Menschen etwa nach Syrien reisen, um sich dem sog. Islamischen Staat (IS) anzuschließen.86 Diese gesetzgeberische Tätigkeit ist rechtlich umstritten. Der Sicherheitsrat wurde vor 2001 immer aufgrund eines konkreten Problems tätig. Er ist – sehr vereinfacht gesprochen – „Weltpolizist“ und nicht „Weltgesetzgeber.“87 Diese Problematik der Rechtmäßigkeit abstrakt-genereller Regelungen des Sicherheitsrats in den Resolutionen 1373, 1540 und 2178 soll hier aber nicht weiter verfolgt werden.88 Die Resolutionen sind in der Welt und werden auch von vielen Staaten, u.a. der Bundesrepublik, befolgt. Vielmehr steht für die vorliegende Untersuchung die Frage im Mittelpunkt, ob diese Resolutionen eine Terrorismusdefinition notwen83
S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 2 lit. e. S/RES/731 (1992) vom 21.1.1992, Ziff. 3; S/RES/748 (1992) vom 31.3.1992, Ziff. 1; S/RES/1267 (1999) vom 5.10.1999, Ziff. 1, 2; S/RES/1214 (1998) vom 8.12.1998, Ziff. 13. 85 S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014. 86 Siehe zu dieser Resolution Anne Peters, Security Council Resolution 2178 (2014): The „Foreign Terrorist Fighter“ as an International Legal Person, Part I, 20.11.2014, http:// www.ejiltalk.org/security-council-resolution-2178-2014-the-foreign-terrorist-fighter-as-aninternational-legal-person-part-i/ (letzter Zugriff am 1.11.2016); dies., Security Council Resolution 2178 (2014): The „Foreign Terrorist Fighter“ as an International Legal Person, Part II, 21.11.2014, http://www.ejiltalk.org/security-council-resolution-2178-2014-the-foreignterrorist-fighter-as-an-international-legal-person-part-ii/ (letzter Zugriff am 1.11.2016). 87 Formulierung von Klaus Dicke, Standpunkt: Weltgesetzgeber Sicherheitsrat, VN 49 (2001), 168. 88 Siehe dazu die Diskussion bei Jurij D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 2002, 257 ff.; Andreas Zimmermann/Björn Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats Resolution 1540 und abstrakte Bedrohungen des Weltfriedens, VN 52 (2004), 71; Stefan Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 2005, 175 ff.; Peter Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, 2008, 236 ff. 84
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dig machen. Dies ist zu bejahen: Gerade weil die Staaten in abstrakt-genereller Weise verpflichtet werden, gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu erlassen, bedarf es für den Staat zu seiner besseren Orientierung, zum besseren Verständnis seiner Pflichten und damit auch zur innerstaatlichen Wahrung der Rechtsstaatlichkeit einer Definition des Terrorismus. Diese Resolutionen verpflichten nicht nur die Staaten, sondern haben auch Auswirkungen auf die Vereinten Nationen selbst. Durch die Resolutionen werden nämlich VN-Sanktionskomitees ausgebaut bzw. geschaffen.89 Damit sollen die Sanktionspflichten der Staaten unterstützt und koordiniert werden. Staaten können die Listung einer bestimmten Person durch das Sanktionskomitee beantragen. Wenn eine Person auf die Terrorliste aufgenommen wird, folgt daraus die Pflicht aller Staaten sicherzustellen, dass die Person nicht mehr reisen darf und keinen Zugriff auf ihr Geld mehr besitzt.90 Auch hier gilt, dass die handelnden Akteure genau wissen müssen, welche Handlungen es rechtfertigen, eine Person auf die Terrorliste mit all den dadurch entstehenden Nachteilen zu setzen. Dafür bedarf es zwingend einer Definition des Terrorismus. c) Militärische Maßnahmen gegen Terroristen? Der 11. September 2001 und die Folgen Mit dem 11. September 2001 wurde Terroristen nicht zum ersten Mal zum Ziel von targeted sanctions – das waren sie nämlich schon seit 199991 –, aber sie wurden das erste Mal zum Ziel militärischer Maßnahmen. Militärische Maßnahmen gegen Terroristen gehören seitdem zum Handlungsarsenal der Staaten: So 89 Zu den Sanktionskomitees siehe nur Clemens A. Feinäugle, The UN Security Council Al-Qaida and Taliban Sanctions Committee: Emerging Principles of International Institutional Law for the Protection of Individuals?, GLJ 2008, 1513, 1515 ff. 90 Aus der Rechtsprechung, die sich vorrangig mit Fragen des mangelnden Rechtsschutzes befasst siehe v.a. EuG, Urteil vom 21.9.2005, verb. Rs. T 306/01 und Rs. T 325/01 – Yusuf u.a., Kadi, Slg. 2005, II 3649; EuGH, Urteil vom 3.9.2008, verb. Rs. C402/05 P und C-415/05 – Kadi und Al Barakaat, Slg. 2008, I-6351; EGMR, Nada/Schweiz, 10593/08, Urteil vom 12.9.2012; EGMR, Al-Dulimi/Schweiz, 5809/08, Urteil vom 26.11.2013; EGMR, Al-Dulimi/Schweiz, 5809/08, Urteil vom 21.6.2016 (Große Kammer). Aus der umfangreichen Literatur siehe nur Andreas von Arnauld, UN-Sanktionen und gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz. Die „Soweit-Rechtsprechung“ des Europäischen Gerichts Erster Instanz, AVR 44 (2006), 201 ff.; Helmut P. Aust/Nina Nasek, Rechtsschutz gegen den UN-Sicherheitsrat durch europäische Gerichte?, ZÖR 2006, 587 ff. und zuletzt Jan-Peter Wiepert, Rechtsschutz gegen Individualsanktionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, 2014, 5 ff. 91 S/RES/1267 (1999) vom 5.10.1999.
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haben Ende 2015 sowohl das britische Parlament92 als auch das deutsche Parlament mit großer Mehrheit einen militärischen Syrien-Einsatz beschlossen. Ziel des Einsatzes ist nach dem Bundestagsbeschluss u.a. die „Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen“.93 Hier besteht die Gefahr, dass eine einheitliche Terrorismusdefinition nicht nur als Grundlage des Einsatzes polizeilicher Mittel dient, sondern gleichzeitig auch militärische Mittel erlaubt. Rechtlich ist zwischen zwei Szenarien zu unterscheiden. Jeweils geht es dabei um eine Ausnahme zum Gewaltverbot (Art. 2 Abs. 4 SVN). Das erste Szenario baut auf dem vorher Gesagten auf und bedarf der Ermächtigung der handelnden staatlichen Akteure durch den Sicherheitsrat unter Kapitel VII SVN (aa). Das zweite Szenario ist ebenfalls durch den Rückgriff auf Kapitel VII gerechtfertigt und zwar durch das dort festgelegte, auch völkergewohnheitsrechtlich geltende,94 Recht auf Selbstverteidigung (bb). Dass jeweils militärische Maßnahmen zur Eindämmung terroristischer Handlungen rechtlich möglich sind, spricht für die Notwendigkeit, sie auch zu definieren. aa) Ermächtigung durch den Sicherheitsrat unter Kapitel VII SVN Wie gesehen, stellt der Sicherheitsrat in ständiger Resolutionspraxis fest, dass der internationale Terrorismus eine Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit i.S.d. Art. 39 SVN darstellt. Damit hat er die wichtigste Voraussetzung geschaffen, um auch die Anwendung militärischer Gewalt durch die Mitgliedstaaten mandatieren zu dürfen. Eine solche Mandatierung nahm er das erste Mal 1991 vor. Sie war damals höchst umstritten.95 Nachdem der Irak Kuwait besetzte, ermächtigte der Sicherheitsrat mit der Resolution 67896 eine USgeführte Koalition, Kuwait zu befreien. Überall fanden aufgeheizte Diskussionen 92
MPs approve motion on ISIL in Syria, 2.12.2015, http://www.parliament.uk/business/ news/2015/december/mps-debate-motion-on-isil-in-syria/ (letzter Zugriff am 1.11.2016). 93 So der Antrag der Bundesregierung vom 1.12.2015, BT-Drs. 18/6866. 94 I.C.J., Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgment, I.C.J. Reports 1986, 83 ff. 95 Siehe hierzu ausf. Yoram Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 4. Aufl. 2005, 273 ff., 296; Carl-August Fleischhauer, Remarks on Compliance and Enforcement in the United Nations System, ASIL Proceedings 1991, 431 ff.; Eugene Rostow, ‘Until What? Enforcement Action or Collective Self-Defense?’, AJIL 1991, 506 ff.; Thomas Franck/ Faiza Patel, UN Police Action in Lieu of War: The Old Order Changeth, AJIL 1991, 63 ff.; Christopher Greenwood, New World Order or Old? The Invasion of Kuwait and the Rule of Law, MLR 1992, 169 ff.; Marc Weller, The Kuwait Crisis: A Survey of Some Legal Issues, AfJICL 1991, 1 ff. 96 S/RES/678 (1990) vom 29.11.1990.
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statt, ebenso wie „Kein Blut für Öl“-Demonstrationen. Aus damaliger Sicht ist das nachvollziehbar, denn der Sicherheitsrat ist einen gewaltigen neuen Schritt gegangen, indem er Kapitel VII SVN sehr weit ausgelegt hat. Der juristische Streit ging dabei vor allem um die Frage, ob neben der in Art. 43 SVN ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit, dass Staaten dem Sicherheitsrat Truppen unterstellen, die dann unter dessen Kommando stehen, auch die implizite, weil nicht ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit besteht, eine Gruppe von Staaten unter deren eigener Kommandogewalt zur Ausübung militärischer Gewalt zu ermächtigen.97 Das aus damaliger Perspektive revolutionäre Vorgehen des Sicherheitsrats wird heute umfassend akzeptiert.98 Der Irakkrieg 1991 war allerdings ein klassischer Staatenkrieg, Terrorismus spielte damals keine Rolle. Im Kontext terroristischer Anschläge ist daher zu fragen, ob der Sicherheitsrat auch dazu ermächtigen darf, militärische Gewalt gegen ein Land auszuüben, dem das Handeln von Terroristen nicht als eigenes Handeln zugerechnet werden kann. Bislang hat der Sicherheitsrat eine solche Ermächtigung jedenfalls nicht ausdrücklich erteilt, auch nicht mit der Resolution 2249, die eine Woche nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris einstimmig vom Sicherheitsrat beschlossen wurde. Zwar benutzt sie eine Formulierung, die seit der Irak Resolution von 1991 so verstanden wird, dass sie die Staaten zur Ausübung von militärischer Gewalt ermächtigt. In der Resolution 678 hieß es gleich zu Beginn der Resolution, dass der Sicherheitsrat „[a]uthorizes Member States […] to use all necessary means“.99 Im Unterschied dazu folgt die Stelle, die von einigen Staaten als Ermächtigungsgrundlage gesehen wird, in der Resolution 2249 relativ weit am Ende, nämlich im vorletzten Abschnitt. Außerdem formuliert der Sicherheitsrat viel vorsichtiger, indem er einerseits niemanden „autorisiert“, sondern lediglich „aufruft“ und zudem die Pflicht zur Einhaltung des Völkerrechts betont. Dementsprechend heißt es dort: „Calls upon Member States […] to take all necessary measures[100], in compliance with international law“.101 Schließlich berief sich der Sicherheitsrat in seiner Resolution 678 ausdrücklich auf Kapitel VII SVN, nicht aber in Resolution 2249. Die mangelnde Eindeutigkeit der Resolution führt aber nicht zwingend dazu, 97
Thomas Franck, Recourse to Force: State Action Against Threats and Armed Attacks, 2002, 20 ff.; Christine Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. 2008, 348 ff.; Erika de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 280 ff. 98 Nico Krisch, Article 42, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.) (Anm. 76), Rn. 5 ff.; Franck (Anm. 97), 20 ff.; Matthias Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrats, 1998, 11 ff. 99 S/RES/678 (1990) vom 29.11.1990, Ziff. 2. 100 Zwischen „measures“ und „means“ wird gemeinhin kein Unterschied gemacht. 101 S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Erwägungsgrund 5.
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dass das Vorliegen einer Ermächtigung abgelehnt werden muss. So wird vertreten, dass die Ambivalenz vom Sicherheitsrat absichtlich gewählt worden sei, um dadurch allen Parteien einen weiten Argumentationsspielraum für ihre Position zu gewähren.102 Unabhängig davon, welcher Position man folgt, zeigt sich, dass die Resolutionspraxis des Sicherheitsrats im Fluss ist. Betrachtet man die anerkannte Praxis des Sicherheitsrats, Terrorismus als Friedensbedrohung zu klassifizieren sowie die anerkannte Praxis des Sicherheitsrats, bei Friedensbedrohungen zum Einsatz militärischer Gewalt zu ermächtigen, so sprechen gute Gründe dafür, dass der Sicherheitsrat in Zukunft beide Praktiken miteinander verbinden könnte. Sollte es dazu kommen, würde der Sicherheitsrat Militärschläge gegen Terroristen selbst dann autorisieren, wenn die Staaten, auf deren Gebiet die Terroristen operieren, den Terroristen ablehnend bis feindlich gegenüber stehen, aber dennoch keine Militäroperation fremder Staaten auf ihrem Staatsgebiet dulden. Dies stellt eine massive Einschränkung der staatlichen Souveränität dar, gerade weil dem Staat, auf dessen Territorium die vom Sicherheitsrat sanktionierte Militäraktion stattfinden würde, die Taten der Terroristen nicht zugerechnet werden können. Der Schutz der Souveränität des Staates spricht jedenfalls für das Bedürfnis nach einer Definition des Terrorismus, so dass Staaten wissen können, unter welchen Voraussetzungen sie sich Sanktionen des Sicherheitsrats ausgesetzt sehen können. bb) Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Gewaltakteure insbesondere Terroristen Die USA haben sich unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September 2001 auf ihr Recht zur Selbstverteidigung berufen. Dieses Recht wurde durch den Sicherheitsrat in den Resolutionen 1368 und 1373 sowie durch die NATO,103 die OAS104 und auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 102
Dapo Akande/Marko Milanovic, The Constructive Ambiguity of the Security Council’s ISIS Resolution, 21.11.2015, http://www.ejiltalk.org/the-constructive-ambiguity-ofthe-security-councils-isis-resolution (letzter Zugriff am 1.11.2016); siehe aber auch Marc Weller, Permanent Imminence of Armed Attacks: Resolution 2249 (2015) and the Right to Self Defence Against Designated Terrorist Groups, 25.11.2015, http://www.ejiltalk.org/ permanent-imminence-of-armed-attacks-resolution-2249-2015-and-the-right-to-selfdefence-against-designated-terrorist-groups (letzter Zugriff am 1.11.2016). 103 Statement by the North Atlantic Council, 12.9.2001, www.nato.int/docu/pr/2001/ p01-124e.htm (letzter Zugriff am 1.11.2016). 104 OAS, OEA/Ser.F/II.24, Resolution RC.24/RES. 1/01, Terrorist Threat to the Americas, Präambel, Nr. 3.
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(OSZE)105 bestätigt. Ebenso hat sich Frankreich unter seinem Präsidenten François Hollande auf das Recht auf Selbstverteidigung berufen, so etwa vor den Vereinten Nationen.106 Allerdings wurde kein entsprechender Hinweis in die Resolution 2249 aufgenommen. Nicht nur wegen dieser fehlenden Bezugnahme in der Resolution 2249 ist die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht umstritten. Das Problem besteht darin, dass Selbstverteidigung gegen Terroristen sich nahezu immer zwingend auch gegen einen Staat richtet. So trifft die Selbstverteidigung gegen den IS immer auch Syrien. Deshalb ist das Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Gewaltakteure, insbesondere gegen Terroristen, höchst umstritten: Es lassen sich zwei Hauptargumentationsstränge ausmachen: Entweder legt man das Selbstverteidigungsrecht – das seinem Wortlaut nach in Art. 51 SVN einen bewaffneten Angriff erfordert, ohne auf die Staatlichkeit dieses Angriffs abzustellen – dergestalt aus, dass es auch gegen nicht-staatliche Akteure auf fremdem Staatsgebiet Anwendung findet. Dann bedarf es lediglich eines bewaffneten Angriffs durch einen nichtstaatlichen Akteur und gegen diesen darf unabhängig von dessen Aufenthaltsort Selbstverteidigung ausgeübt werden. Zur Unterstützung dieser These lassen sich die beiden Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 heranziehen, da diese das Recht auf Selbstverteidigung betonen.107 Allerdings geschieht dies in ganz allgemeiner Weise. Es heißt nicht ausdrücklich, dass Selbstverteidigung gegen Terrorakte möglich ist. Dies ist lediglich dem Kontext entnehmbar, indem es in der Präambel allgemein heißt, dass das naturgegebene Selbstverteidigungsrecht
105
OSCE, Statement by the Permanent Council Supporting United States-led Actions to Counter Terrorism, Annex to PC.JOUR/360/Corr.1, 11.10.2001. 106 Security Council ‘Unequivocally’ Condemns ISIL Terrorist Attacks, Unanimously Adopting Text that Determines Extremist Group Poses ‘Unprecedented’ Threat, 20.11.2015, SC/12132, http://www.un.org/press/en/2015/sc12132.doc.htm (letzter Zugriff am 1.11.2016). 107 Siehe zu dieser Diskussion unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Markus Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen – Der 11. September 2001 und seine Folgen, AVR 2002, 183 ff.; Thomas Bruha/Matthias Bortfeld, Terrorismus und Selbstverteidigung, VN 2001, 161 ff.; Thomas Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 2002, 383 ff.; Steven Ratner, Jus ad Bellum and Jus in Bello After September 11, AJIL 2002, 905 ff.; Terry D. Gill, The Eleventh of September and the Right of Self-Defense, in: Wybo Heere (Hrsg.), Terrorism and the Military: International Legal Implications, 2003, 23 ff.; Christian Meiser/Christian von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 31 ff.; und aus den 1990er Jahren Claus Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen bei staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater, 1995.
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anerkannt werde.108 Außerdem lässt sich gegen ein solches Selbstverteidigungsrecht einwenden, dass der Internationale Gerichtshof (IGH) 2004109 und 2006110 jeweils ein Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Gewaltakteure ausdrücklich verneint hat. Ebenso wenig nennt die Resolution 2249 nach den Terroranschlägen von Paris das Recht auf Selbstverteidigung. Sollte man trotzdem ein Recht auf Selbstverteidigung gegen terroristische Handlungen anerkennen, so spricht vieles dafür, dass eine entsprechende Definition gefunden werden muss. Ohne Definition wären die Staaten noch freier in ihrer Berufung auf die Rechtmäßigkeit einer an sich verbotenen Gewaltanwendung. Die zweite Möglichkeit ist es, die Zurechnungsregeln weit auszulegen.111 An sich kann jede Tat, die nicht von Staatsorganen, sondern von Privaten begangen wird, nur dann dem Staat als eigene zugerechnet werden, wenn er effektive Kontrolle über sie ausübt.112 In Fällen des Staatsterrorismus – unabhängig davon, ob der Akt als „Terrorismus“ im Rechtssinne definiert wird oder nicht – ist eine Zurechnung immer gegeben. In den Fällen aber, in denen der Staat die Terroristen nicht effektiv kontrolliert, scheidet eine Zurechnung nach den bisherigen Kriterien aus. Es gibt jedoch Vorschläge, besondere, terrorismusspezifische Zurechnungsregeln anzuwenden, um militärische Mittel auch dann einsetzen zu können, wenn der Staat die Terroristen aktiv unterstützt, ihnen eine sichere Zufluchtsstätte gewährt oder der Staat sich als „unwilling or unable“ erweist, gegen die Terroristen vorzugehen.113 Folgt man dieser grundsätzlichen Überlegung der terrorismusspezifischen Zurechnungsregeln, bedarf es ebenfalls einer Terrorismusdefinition, 108 S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Erwägungsgrund 3: „Recognizing the inherent right of individual or collective self-defence in accordance with the Charter“; S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Erwägungsgrund 4: „Reaffirming the inherent right of individual or collective self-defence as recognized by the Charter of the United Nations as reiterated in resolution 1368 (2001)“. 109 I.C.J., Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, 136, 139. 110 I.C.J., Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), I.C.J. Reports 2005, 168, 146 f. 111 Siehe Christian J. Tams, The Use of Force against Terrorists, EJIL 2009, 359, 385 ff. 112 Siehe Art. 8 der Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, A/RES/56/83 vom 12.12.2001, der auf der Rechtsprechung des I.C.J., Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgment, I.C.J. Reports 1986, 55 ff. zurückgeht. 113 Siehe aus der neueren Literatur umfassend dazu Tams (Anm. 111), 359 ff.; Duffy (Anm. 4), 296 ff., insb. 306 ff.; Marko Milanovic, Self-Defense and Non-State Actors: Indeterminacy and the Jus ad Bellum, 21.2.2010, http://www.ejiltalk.org/self-defense-andnon-state-actors-indeterminacy-and-the-jus-ad-bellum (letzter Zugriff am 1.11.2016).
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um sichergehen zu können, dass militärische Gewalt entsprechend dem Grundanliegen der VN-Charta, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, in nur sehr engen Grenzen ausgeübt wird. d) Terrorismus und das System kollektiver Sicherheit Die Bekämpfung des Terrorismus im System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen wird immer wichtiger.114 Gleichzeitig zeigt sich hier die Gefahr einer allgemeingültigen Terrorismusdefinition. Liegen ihre Voraussetzungen vor, löst sie nicht nur gefahrenabwehrrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen aus, vielmehr kann dies gleichzeitig zur Rechtmäßigkeit eines militärischen Einsatzes führen. Rein theoretisch können dann grenzüberschreitende Sachbeschädigungen oder eine Messerattacke als Bedrohung des Friedens mit der Konsequenz der Ermächtigung zu militärischer Gewaltausübung bzw. als bewaffneter Angriff mit der Konsequenz des Selbstverteidigungsrechts verstanden werden. Eine einheitliche Definition des Terrorismus erscheint wegen der möglichen Gleichzeitigkeit von polizeilichen und militärischen Maßnahmen damit mehr als fraglich. Eine genauere Betrachtung offenbart, dass sich dieses Problem letztlich gar nicht stellt: Um diese Gleichzeitigkeit zu vermeiden und militärische Maßnahmen nur wie von der UN-Charta vorgesehen als ultima ratio zu verwenden, darf das Vorliegen einer terroristischen Handlung nicht als Tatbestandsvoraussetzung missverstanden werden. Genauso wie eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung nach Art. 39 SVN voraussetzt, so setzt das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 SVN einen bewaffneten Angriff voraus. Keine der beiden Normen verlangt nach einer terroristischen Handlung. Unabhängig davon, ob man die Möglichkeit von Selbstverteidigung gegen terroristische Angriffe dem Grund nach bejaht oder nicht, wurde bislang nicht vertreten, dass jeder Akt des Terrorismus ein solch bewaffneter Angriff sei. Es muss daher in jedem Fall in entscheidender Weise auf die Intensität des terroristischen Aktes abgestellt werden. Dies ist Ausdruck des auch im Rahmen von Kapitel VII anwendbaren Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.115 Außerdem ist die Frage, ob weitere Anschläge drohen, von 114 Siehe nur Thomas G. Weiss/Jane Boulden (Hrsg.), Terrorism and the UN: Before and After September 11, 2004; Victor Comras, Flawed Diplomacy: The United Nations and the War on Terrorism, 2010; Harris O. Schoenberg, Combating Terrorism: The Role of the United Nations, 2003; Bernhard Blumenau, The United Nations and Terrorism, 2014. 115 Nico Krisch, Introduction to Chapter VII, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.) (Anm. 76), Rn. 47; Judith Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force by States, 2004, 138 ff.; Thomas M. Franck, On Proportionality of Countermeasures in Inter-
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wesentlicher Bedeutung. Dies ist im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts116 genauso anerkannt wie bei der Frage, ob eine Friedensbedrohung i.S.d. Art. 39 SVN vorliegt. Die Charta schützt ausweislich des Wortlauts des Art. 39 SVN – der Maßnahmen vorsieht, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wahren oder wiederherstellen sollen – den gegenwärtigen und zukünftigen Frieden und sieht keine Sanktionsmittel für zurückliegende Friedensverstöße vor.117 Damit realisiert sich die Gefahr einer einheitlichen Definition nicht: Ein Akt kann als terroristischer Akt qualifiziert werden und damit gefahrenabwehrrechtliche und strafrechtliche Pflichten auslösen, ohne dass gleichzeitig militärische Optionen eröffnet sind. II. Doppelter Nachteil der fehlenden einheitlichen Definition: Effektivität und Menschenrechtsschutz Es hat sich gezeigt, dass wegen der sektoralen Herangehensweise eine Terrorismusdefinition in vielen Fällen vermeidbar ist. Inzwischen hat dieser Ansatz sich aber erschöpft; es bedarf einer umfassenden universellen Anti-Terrorismuskonvention – die vor allem an dem Streit um die Definition scheitert. Zudem knüpft das Völkerstrafrecht an den Begriff des Terrorismus Rechtsfolgen, so dass es auch aus diesem Grund einer Definition bedarf. Schließlich verwendet der Sicherheitsrat den Begriff des Terrorismus in seinen Resolutionen und knüpft daran staatliche Pflichten an. All das spricht für eine einheitliche Terrorismusdefinition – zumal an die fehlende Definition negative Konsequenzen geknüpft sind. Der Nachteil ist ein doppelter: Neben der Einschränkung der Effektivität der Terrorbekämpfung ist auch zu befürchten, dass das Fehlen einer Definition zur Unterminierung menschenrechtlicher Garantien beiträgt.
national Law, AJIL 2008, 715, 719 ff.; Björnstern Baade/Sebastian Ehricht/Matthäus Fink/ Robert Frau/Mirka Möldner/Isabella Risini/Torsten Stirner (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2016. Siehe auch High-Level Panel on Threats, Challenges and Change, A More Secure World: Our Shared Responsibility, 2.12.2004 (UN Doc. A/59/565), Rn. 207. Das Panel nennt die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als eine von fünf Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit von Ermächtigungen zum Einsatz militärischer Mittel durch den Sicherheitsrat: „(d) Proportional means. Are the scale, duration and intensity of the proposed military action the minimum necessary to meet the threat in question?“. 116 Albrecht Randelzhofer/Georg Nolte, Article 51, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.) (Anm. 76), Rn. 60. 117 Vgl. Nico Krisch, Article 39, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.) (Anm. 76), Rn. 13.
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1. Effektivität der Terrorbekämpfung Die Effektivität der Terrorbekämpfung wird auf unterschiedliche Weise durch das Fehlen einer Definition unterlaufen. Erstens kommt, wie gesehen, ohne Definition keine umfassende Anti-Terrorismuskonvention zustande. Diese ist aber dringend notwendig. Dies beginnt schon mit dem Signal, das von ihr ausgeht: Bei entsprechendem Ratifikationsstand wäre sie ein deutliches Zeichen dafür, dass die Welt vereint zusammen steht gegen die terroristische Bedrohung. Außerdem würde durch die Konvention auch vor solchen Handlungen geschützt werden, die von den sektoralen Verträgen bislang nicht geregelt werden, wie terroristische Anschläge mit Maschinengewehren. Zweitens bedarf es, wie bereits mehrfach hervorgehoben, einer einheitlichen Definition. Da Terrorismus ein internationales Phänomen ist und Terroristen mobil sind, darf es in keinem Staat entsprechende Rückzugsorte geben.118 So wäre es ohne den sicheren Rückzugsort DDR für die Mitglieder der RAF viel schwieriger gewesen, nicht verhaftet zu werden und weitere terroristische Taten zu begehen.119 Eine unterschiedliche Behandlung derselben Personen und Taten in verschiedenen Ländern schafft aber gerade diese Rückzugsorte, indem es so zu Lücken in der Strafbarkeit von Terroristen und ihrer Überwachung kommt und auf diese Weise Terroristen in dritten Staaten unter Umständen aktiv und passiv unterstützt werden können. Hinzu kommt, dass insgesamt die mangelnde Einheitlichkeit das gegenseitige Vertrauen schwächt – so kann Zusammenarbeit in Rechtssachen, also Rechtshilfe, nur funktionieren, wenn man auf einer gesicherten Vertrauensgrundlage zusammenarbeitet. Bei einem uneinheitlichen Verständnis von Terrorismus kann sich kein Staat sicher sein, ob eine Person, die er aus guten Gründen als Gefährder einschätzt bzw. einschätzen würde, von anderen Staaten ebenso behandelt wird und daher z.B. auf die Terrorliste der Vereinten Nationen gesetzt 118
Zur Safe-haven-Diskussion und den Schwierigkeiten, vor die der sichere Rückzugsort die Terrorbekämpfung stellt, siehe Tricia Bacon/Elizabeth Grimm, Eliminating Terrorist Safe Havens – One Size Does Not Fit All, 5.4.2015, Lawfare, https://www.lawfareblog. com/foreign-policy-essay-eliminating-terrorist-safe-havens%E 2% 80%94one-size-doesnot-fit-all (letzter Zugriff am 1.11.2016); siehe aber auch Micah Zenko/ Amelia Mae Wolf, The Myth of the Terrorist Safe Haven, Foreign Policy, 26.1.2015, http://foreignpolicy. com/2015/01/26/al-qaeda-islamic-state-myth-of-the-terrorist-safe-haven (letzter Zugriff am 1.11.2016). 119 Siehe dazu BGH, Urteil vom 5.3.1998 – 5 StR 494/97, BGHSt 44, 52 – RAFAussteiger in der DDR; Tobias Wunschik, Baader-Meinhof international?, APuZ 40–41/ 2007, 1.10.2007, 23 ff.; Michael Ploetz, Mit RAF, Roten Brigaden und Action Directe. Terrorismus und Rechtsextremismus in der Strategie von SED und KPdSU, Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 22 (2007), 117 ff.
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wird oder stattdessen von den staatlichen Behörden nicht überwacht wird. So wird die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Staaten untergraben,120 da nur schwer zu ermitteln ist, inwieweit dritte Staaten das Verständnis von Terrorismus teilen, darüber hinaus gehen (und damit unter Umständen Individuen strafrechtlich verfolgt werden, die nach dem eigenen nationalen Verständnis keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten haben) oder dahinter zurückbleiben (und damit Gefährder nicht entsprechend überwachen). Es ist folglich festzuhalten, dass durch eine uneinheitliche Definition insgesamt die Effektivität staatlicher Gefahrenabwehr unterminiert wird. Ziel einer Terrorismusdefinition ist es, Willkür einzuschränken, Vorhersehbarkeit herzustellen und eine einheitliche Anwendung der völkerrechtlichen Vorgaben zu garantieren. Um es kurz und prägnant auszudrücken: „It takes a network to defeat a network.“121 Ein Netzwerk funktioniert aber nur, wenn alle Teile des Netzwerks aufeinander abgestimmt sind. Inkompatibilitäten zerstören daher die Funktionalität eines Netzwerks. So unterstützt eine fehlende einheitliche Definition den Terrorismus. 2. Wahrung der Menschenrechte bei der Terrorbekämpfung Die Wahrung der Menschenrechte ist eine Pflicht des Staates bei all seinem Handeln. Dies ist auch für den Fall der Terrorismusbekämpfung nicht anders.122 Die mangelnde Einheitlichkeit wirkt sich auch in eine zweite, menschenrechtliche Richtung aus: Staaten können mit dem Argument, dass terroristische Akte vorliegen, ihr Strafrecht in besonders repressiver Weise gegen abweichendes Verhalten verschärfen, etwa indem Oppositionelle, Globalisierungsgegner oder Tierschützer als Terroristen eingestuft werden.123 So können unter Umständen zumindest faktisch mit dem Argument des Terrorismus menschenrechtliche Garantien unterlaufen werden. Außerdem verlangt der menschenrechtliche Grundsatz nulla poena sine lege stricta, dass ein Strafgesetz hinreichend bestimmt sein muss. Dies sehen 120 Boaz Ganor, Defining Terrorism: Is One Man’s Terrorist Another Man’s Freedom Fighter?, PPR 2002, 287, 301. 121 So der US-amerikanische General Stanley McChrystal, zitiert nach Eric Schmitt/ Thom Shanker, Counterstrike: The Untold Story of America’s Secret Campaign Against Al Qaeda, 2011, 180. 122 Siehe nur den letzten Bericht des Special Rapporteur on the Promotion and Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms while Countering Terrorism an die VNGeneralversammlung, A/69/397 (2014) und Colin Warbrick, The European Response to Terrorism in an Age of Human Rights, EJIL 2004, 989 ff. 123 Ben Saul, Definition of „Terrorism“ in the UN Security Council: 1985–2004, ChJIL 2005, 141, 160 m.w.N.
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u.a. Art. 7 EMRK124 und Art. 15 IPbpR125 vor. Zwar verlangen diese Normen lediglich eine nationalrechtliche Definition. Allerdings wäre eine völkerrechtliche Definition hier wegweisend, zum anderen bedarf es für die völkerstrafrechtlichen Normen einer völkerrechtlichen Definition. Hier muss also das Völkerrecht selbst hinreichend bestimmt sein.126 Das Bestimmtheitsgebot gilt in abgeschwächter Form auch für gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen:127 Da diese massiv in Menschenrechte eingreifen können, bedarf es hinreichend bestimmter Vorgaben und rechtsstaatlicher Mechanismen, u.a. um sicherzustellen, dass der Eingriff verhältnismäßig ist. Es lässt sich festhalten, dass eine Terrorismusdefinition notwendig ist, um die Effektivität der Terrorbekämpfung durch gefahrenabwehrrechtliche, strafrechtliche Maßnahmen und internationale Kooperation u.a. in Fragen der Rechtshilfe ebenso zu stärken wie die menschenrechtlichen Garantien. In diesem Zusammenhang soll zudem betont werden, dass die Einhaltung der Menschenrechte wiederum Auswirkungen auf den Kampf gegen den Terrorismus besitzt. Vereinfacht gesprochen sind echte oder auch nur gefühlte Unrechtserfahrungen nämlich ein Impetus für terroristisches Verhalten.128 Der IS weiß das genau, wie man an seinen Hinrichtungsvideos gut sehen kann: Die Hingerichteten tragen alle orangenfarbene Overalls und erinnern damit an das Unrecht, das Inhaftierten in Guantanamo angetan wurde.129 Eine Einhaltung der Menschenrechte verhindert solche Unrechtserfahrungen. Die Einhaltung der Menschenrechte hat damit also auch Auswirkungen auf die Effektivität der Terrorismusbekämpfung.
124
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, in der zuletzt durch Protokoll Nr. 14 geänderten Fassung, BGBl. 2010 II, 1198. 125 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 16.12.1966, BGBl. 1973 II, 1534. 126 Siehe zum völkerrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz Kai Ambos, Nulla Poena Sine Lege in International Criminal Law, in: Roelof Havemann/Olaoluwa Olusanya (Hrsg.), Sentencing and Sanctioning in Supranational Criminal Law, 2006, 17 ff.; Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 3. Aufl. 2012, 46 ff. 127 Für das deutsche Recht ergibt sich das aus dem Rechtsstaatsprinzip, Bernd Grzeszick, Artikel 20 GG (Art. 20 und die allgemeine Rechtsstaatlichkeit), in: Theodor Maunz/ Günter Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 75. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 58 ff. 128 Siegfried Frech, Radikalisierung und Terrorismus im Westen, Der Bürger im Staat 4/2011, 202. 129 Guido Steinberg, Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror, 2015, 48 f.
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C. Parameter einer Terrorismusdefinition unter besonderer Berücksichtigung der Wertung des humanitären Völkerrechts Nachdem sich gezeigt hat, dass eine Terrorismusdefinition zwar notwendig ist, aber bislang nicht existiert, sollen abschließend die entscheidenden Parameter einer Definition entwickelt werden. Sie orientiert sich einerseits an den bislang existierenden Definitionen (I.), andererseits wird ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, Kongruenz zum Recht des bewaffneten Konflikts, dem humanitären Völkerrecht, zu schaffen (II.). I. Nur Gewalt gegen Personen Die verschiedenen Definitionen zeigen, dass die subjektiven Elemente des Vorsatzes sowie einer Absicht, die auf die Einschüchterung der Bevölkerung oder die Zwangsausübung auf den Staat gerichtet ist, nicht weiter umstritten sind. In objektiver Hinsicht ist gleichfalls nicht umstritten, dass es eines Gewaltelements bedarf. Allerdings unterscheiden die Definitionen danach, ob für den Terrorismusvorwurf Gewalt gegen Objekte ausreicht oder ob Gewalt gegen Menschen ausgeübt werden muss. Aufgrund der Schwere des Terrorismusvorwurfs muss der Begriff des Terrorismus möglichst eng gefasst sein. Daher sollte Gewalt gegen Objekte nicht unter die Definition fallen. Es muss Möglichkeiten geben, auch mit Gewalt gegen Unrechtsregime zu kämpfen, ohne dass es sich dabei um Terrorismus handelt. Dafür spricht schon die Geschichte eines der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, Nelson Mandela. Um die Apartheid-Politik der Regierung zu bekämpfen, hat er Gewalt gegen Sachen, aber nicht gegen Menschen ausgeübt. Er war damit ein Saboteur, aber kein Terrorist. Sofern Gewalt gegen Objekte auch mit in die Definition aufgenommen wird, ist es jedenfalls notwendig, diese genau zu umschreiben – so wie es etwa im Rahmenbeschluss der EU130 getan wurde – und möglichst eng zu beschränken. II. Terrorismus innerhalb bewaffneter Konflikte? Wie vor allem in den völkerstrafrechtlichen und den beiden universellen völkervertragrechtlichen Definitionen zum Ausdruck kommt, bestehen deutliche Unterschiede, was den Status der Opfer betrifft: Müssen diese Zivilisten sein oder sind 130
Vgl. Anm. 47.
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auch Mitglieder bewaffneter Gruppen geschützt? Es ist daher zu fragen, ob die Wertungen des ius in bello Auswirkungen haben (müssen) auf die Terrorismusdefinition. Das ius in bello regelt das Recht in bewaffneten Konflikten. Ein solcher Konflikt liegt vor, wenn eine bestimmte Gewaltschwelle überschritten wird. Dabei ist vor allem auf die Intensität der Gewalt und die Vergleichbarkeit zu herkömmlichen Kriegen zu achten.131 Gewaltakte sind in diesen Fällen in weitaus größerem Umfang zulässig als in Friedenszeiten. Durch die Terrorismusdefinition dürfen die Wertungen des humanitären Völkerrechts nicht unterlaufen werden, vielmehr ist die humanitär-völkerrechtliche Zulässigkeit von Handlungen zu berücksichtigen, um so einen Widerspruch zwischen den einzelnen Rechtsgebieten zu vermeiden.132 So wäre es widersinnig, von Staatsterrorismus zu sprechen, wenn der Staat innerhalb eines bewaffneten Konflikts Kombattanten bzw. Personen angreift, die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen und deren Tötung ihm nach dem humanitären Völkerrecht ausdrücklich gerade nicht verboten ist. Dies gilt u.U. auch im umgekehrten Fall: Im Fall eines nach Zusatzprotokoll I anerkannten Kampfs gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung dürfen auch nicht-staatliche Einheiten den Gegner schädigen: Auch hier wäre es widersinnig, gleichzeitig eine terroristische Handlung zu bejahen. Zumeist wird Terrorismus in Fällen des sog. asymmetrischen Konflikts133 thematisiert. Im humanitären Völkerrecht werden diese Konflikte als nicht-internationale Konflikte bezeichnet. Entscheidend für die Frage, ob eine gewaltausübende Gruppe als bewaffnete Gruppe i.S.d. humanitären Völkerrechts gilt, sind die Tatbestandsmerkmale der „hierarchischen Organisation“ einerseits und der „terri131
Oscar Uhler/Henri Coursier, Artikel 3, in: ICRC (Hrsg.), The Geneva Conventions of 12 August 1949: Commentary IV, 1958, 37. Der ICRC-Kommentar „is the official history of the negotiations leading to the adoptions of the treaties.“, Michael Scharf, The Letter of the Law: The Scope of the International Legal Obligation to Prosecute Human Rights Crimes, Law and Contemporary Problems 1996, 41, 44. Ebenso Iris Müller/JeanMarie Henckaerts/Lindsey Cameron/Bruno Demeyere/Robin Geiβ/Eve La Haye/Cordula Droege/Laurent Gisel, Article 3, in: ICRC (Hrsg.), Convention (I) for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field. Geneva, 12 August 1949, Commentary of 2016, Rn. 64 ff., insb. 71; siehe auch Steiger (Anm. 55), 181 ff. 132 ICRC, 32nd International Conference of the Red Cross and the Red Crescent, International Humanitarian Law and The Challenges of Contemporary Armed Conflicts, Report, October 2015, 32IC/15/11, 16 ff.; O’Donnell (Anm. 39), 853 ff.; Gabor Rona, International Law, Targeting, and Detention in the Age of International Terrorism, 16.11.2015, https://www.justsecurity.org/27674/international-law-targeting-detention-ageinternational-terrorism (letzter Zugriff am 1.11.2016); Walter (Anm. 4), 23, 40. 133 Siehe dazu Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 2004; Christina Scheidle, Asymmetrische Konflikte – Kapituliert das humanitäre Völkerrecht vor neuen Formen der Gewalt?, HFR 2009, 220 ff.
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torialen Kontrolle“ andererseits (1.). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so sind Terroristen Zivilisten. Auch diese dürfen keine Gewalt ausüben. Sie dürfen aber jedenfalls dann, wenn sie unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, getötet werden (2.). 1. „Hierarchische Organisation“ und „territoriale Kontrolle“ – Können Terroristen Mitglieder bewaffneter Gruppen i.S.d. humanitären Völkerrechts sein? Wie sehen die Regeln des humanitären Völkerrechts im Einzelnen aus? Nichtstaatliche Gewaltakteure wie Terroristen sind gemäß dem gemeinsamen Art. 3 GK nur von den Regelungen des humanitären Völkerrechts erfasst, wenn sie Teil einer bewaffneten und hierarchisch organisierten Gruppe sind und fähig sind, das humanitäre Völkerrecht anzuwenden.134 Ausdrücklicher als der gemeinsame Art. 3 GK sieht Art. 1 Abs. 1 ZP II vor, dass abtrünnige Streitkräfte oder andere organisierte bewaffnete Gruppen, die im Folgenden auch als Rebellen und Aufständische bezeichnet werden, vom Anwendungsbereich des Protokolls erfasst sind. Diese bewaffneten Gruppen, müssen unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Dabei ist das Kriterium der Fähigkeit zur Ausübung von Kontrolle über ein Gebiet ein zusätzliches Kriterium, das für die Anwendbarkeit des gemeinsamen Art. 3 GK nicht von Relevanz ist.135 Die Voraussetzung der hierarchischen Organisation beruht auf der Voraussetzung, dass eine Gruppe überhaupt fähig und grundsätzlich auch willens sein muss, Völkerrecht zu befolgen. Hier spielt die Organisation eine entscheidende Rolle; es geht letztendlich um die strukturelle Vergleichbarkeit zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Streitkräften.136 Anders als Terroristen – die einem „amorphen Gebilde“ gleichen137 – müssen bewaffnete Gruppen i.S.d. humanitären Völkerrechts also grundsätzlich streng hierarchisch organisiert sein und grundsätzlich in der Lage sein, Völkerrecht zu befolgen.
134
Siehe Müller/Henckaerts/Cameron/Demeyere/Geiβ/La Haye/Droege/Gisel (Anm. 131), Rn. 43 ff., Steiger (Anm. 55), 186 ff. 135 Müller/Henckaerts/Cameron/Demeyere/Geiβ/La Haye/Droege/Gisel (Anm. 131), Rn. 68. 136 Steiger (Anm. 55), 187 ff. 137 Bruce Hoffman, Terrorismus, der unerklärte Krieg, 2006, 427.
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Die territoriale Kontrolle ist nach ZP II zwingende Voraussetzung. Wie gesehen findet der gemeinsame Art. 3 Genfer Konventionen nach weit verbreiteter Ansicht allerdings auch dann Anwendung, wenn (noch) keine territoriale Kontrolle besteht. Entsprechend erkennt beispielsweise der Sicherheitsrat auch Aufständische dort an, wo diese noch keine territoriale Machtbasis besitzen, aber grundsätzlich staatsanaloge Strukturen aufbauen wollen.138 Gerade in dieser Schaffung staatsanaloger Strukturen haben sich Terroristen immer von Rebellen und Aufständischen unterschieden: Während Terroristen das Denken und nicht den Raum besetzen wollen139 und zumeist netzwerkartig und nicht hierarchisch organisiert sind, wollen Aufständische, ähnlich wie Staaten, den Raum besetzen und sind hierarchisch organisiert. Außerdem zielen diese Gruppen darauf ab, einem Staat vorzustehen und staatliche Funktionen auszuüben. Dieser damit verbundene Anspruch auf Gleichheit und Anerkennung durch die Staaten begründet zumindest ein gewisses Interesse, sich grundsätzlich rechtstreu zu verhalten. Das unterscheidet sie etwa von „Räuberbanden“,140 die weder an das humanitäre Völkerrecht141 noch die Menschenrechte gebunden sind. Terroristen zeichnen sich ebenfalls dadurch aus, dass sie weder an das humanitäre Völkerrecht noch die Menschenrechte gebunden sind, noch sich jemals daran binden würden. Diese Gruppen sind aufgrund ihrer Struktur nicht 138
Darauf stellt auch Christian Tomuschat, The Applicability of Human Rights Law to Insurgent Movements, in: Horst Fischer/Ulrike Froissart/Wolff Heintschel von Heinegg/Christian Raap (Hrsg.), Krisensicherung und Humanitärer Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection. Festschrift für Dieter Fleck, 2004, 573, 587, ab. 139 Franz Wördemann bringt dies auf die Formel: „Der Guerillero will den Raum, der Terrorist will dagegen das Denken besetzen.“, zitiert nach Peter Waldmann, Terrorismus: Provokation der Macht, 1998, 17. David J. Whitaker, zitiert nach Andreas Elter, Die RAF und die Medien, in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, 2007, 1060, merkt zum Unterschied zwischen Terrorismus und Guerilla an: „Terrorismus wird oftmals mit Guerillakampf verglichen, vermischt oder sogar gleichgesetzt. Das ist nicht sonderlich verwunderlich, weil sich Guerillas häufig derselben Taktiken (Mordanschläge, Geiselnahmen, Bombenattentate […] etc.) zu denselben Zwecken bedienen. […] Jedoch […] gibt es fundamentale Unterschiede zwischen den beiden. ‚Guerilla‘ z.B. bedeutet in einem weithin akzeptierten Sprachgebrauch, eine zahlenmäßig größere Gruppe bewaffneter Individuen, die als militärische Einheit operiert, feindliche militärische Kräfte angreift und die Gebiete erobern und halten will […], während sie gleichzeitig eine gewisse Form der Souveränität oder Kontrolle über ein definiertes geografisches Areal und seine Bevölkerung ausübt. Terroristen hingegen fungieren nicht offen als bewaffnete Kampfeinheiten, versuchen nicht Gebiete zu erobern oder zu halten, achten sorgsam darauf, sich nicht mit feindlichen militärischen Truppen in eine offene Feldschlacht zu verstricken und üben auch nur selten direkte Kontrolle oder Souveränität über ein Territorium oder seine Bevölkerung aus“. 140 Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Vol. II-B, 121. 141 Uhler/Coursier (Anm. 131), 32.
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unmittelbar durch das Völkerrecht erreichbar. Würden sich Terroristen völkerrechtskonform verhalten wollen, so müssten sie nicht nur einzelne Handlungen unterlassen, wie es bei Rebellen der Fall ist, sondern alle ihre Handlungen. Dann würden sie aber auch keine terroristischen Handlungen mehr begehen und somit kein „Terrorist“ mehr sein. Terroristen sind also grundsätzlich Zivilisten und keine bewaffneten Gruppen im Sinne des humanitären Völkerrechts. Allerdings können auch bewaffnete Gruppen i.S.d. humanitären Völkerrechts terroristische Handlungen begehen und es ist auch denkbar, dass umgekehrt Terroristen unter bestimmten Umständen bewaffnete Gruppen i.S.d. humanitären Völkerrechts sein können. Dies wurde das erste Mal offenbar mit dem IS. Dieser ist das erste Beispiel einer Gruppe, die sowohl den Raum wie das Denken besitzen will.142 Wo al-Qaeda und die Taliban sich noch den Terrorismus und das Kriegführen teilten, unternimmt der IS heute beides. Das ist eine neue Qualität – die aber rechtlich kaum zu Schwierigkeiten führt: Im humanitären Völkerrecht sind auch terroristische Handlungen nach Art. 33 IV. GK verboten. Das heißt aber wiederum nicht, dass der IS in Syrien, dem Irak und in Libyen gleichgesetzt werden darf mit dem IS in Frankreich und Belgien. Nähme man dies an und würde man die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts nicht territorial begrenzen, sondern auf den bewaffneten Konflikt insgesamt erstrecken, wie die USA dies fälschlicherweise im Krieg gegen den Terror tun wollten,143 dann dürften Terroristen in Europa jederzeit, ganz ohne Gerichtsverfahren, getötet werden. Schon der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 ZP II und des gemeinsamen Art. 3 Genfer Konventionen, die von „im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei“ bzw. „auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien“ sprechen, zeigt, dass für Belgien und Frankreich gesondert überlegt werden müsste, ob dort ein bewaffneter Konflikt vorliegt – was offenkundig nicht der Fall ist. 2. Zivilisten und unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten: Sind Terroristen durch das humanitäre Völkerrecht geschützt? Mit dieser grundsätzlichen Einordnung von Terroristen als Zivilisten – wenngleich sie ausnahmsweise auch Mitglieder bewaffneter Gruppen im Sinne des humanitären Völkerrechts sein können – gehen unterschiedliche Rechtsfolgen einher. Diese lassen sich unterteilen in Vorrechte und Pflichten, die sie selbst treffen, und Vorrechte und Pflichten, die andere im Umgang mit ihnen treffen. 142
Siehe ausf. zum IS Guido Steinberg, Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror, 2015, der sein Buch allerdings noch vor den Anschlägen von Paris vom 13.11.2015 und von Brüssel vom 22.3.2016 veröffentlicht hat. 143 Dazu Steiger (Anm. 55), 180 f. m.w.N.
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Vorrechte und Pflichten, die Terroristen selbst treffen, sind für die terroristischen Handlungen ohne Belang: Einem Zivilisten kommt anders als einem Kombattanten kein Schädigungsrecht zu. Tötet der Zivilist, so macht er sich nach nationalem Recht strafbar; das Völkerrecht steht der Handlung allerdings neutral gegenüber, sofern sie sich gegen Kombattanten richtet. Es findet jedenfalls keine Privilegierung von Zivilisten im Fall eines bewaffneten Konflikts hinsichtlich ihrer Taten statt – weshalb Anschläge durch Terroristen selbst im Kriegsfall nicht gerechtfertigt sind. Auch als Mitglied einer bewaffneten Gruppe im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt besteht kein Schädigungsrecht. Allerdings untersagt das Völkerrecht auch hier nicht ausdrücklich den Angriff auf Kombattanten – sondern nur den auf Zivilisten (Art. 13 Abs. 2 ZP II) – durch private bewaffnete Gruppen und überlässt es dem nationalen Recht, ob es diese Taten strafbar stellen will. Außerdem verlangt Art. 6 Abs. 5 ZP II eine möglichst weitgehende Amnestie nach der Beendigung des Konflikts. Auch hier verhält sich das Recht des bewaffneten Konflikts neutral gegenüber der Frage, ob Gewaltanwendung gegen militärische Ziele durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen rechtmäßig ist. Deutlich positioniert sich das humanitäre Völkerrecht für den Fall, dass ein anerkannter Kampf von Völkern gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung i.S.d. Art. 1 Abs. 4 ZP I vorliegt und diese Gruppe eine Unterwerfungserklärung nach Art. 96 Abs. 3 ZP I abgegeben hat. Die einzige Organisation, die das bislang getan hat, wurde von vielen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Es handelt sich um die PLO.144 Folge dieser Privilegierung ist, dass für den Fall, dass die andere kriegführende Partei das ZP I ratifiziert hat, die Ausübung von Gewalt nicht mehr per se rechtswidrig ist, sondern sich am Recht des internationalen bewaffneten Konflikts messen lassen muss. Damit wären Angriffe gegen militärische Ziele unabhängig davon, ob es sich um Kombattanten oder Objekte handelt, jedenfalls dann erlaubt, wenn sie nicht gegen das Perfidieverbot (Art. 37 ZP I) verstoßen oder keinen exzessiven Kollateralschaden (Art. 51 Abs. 5 lit. b, Art. 57 Abs. 2 lit. b ZP I) verursachen. Richten sich die Handlungen aber gegen die Zivilbevölkerung, so kommt keine Privilegierung in Betracht. Hinsichtlich der Vorrechte und Pflichten, die andere im Umgang mit Terroristen treffen, ist die Einstufung als Zivilist für den Terrorist ein großer Vorteil. In diesem Fall dürfen sie nämlich nicht zielgerichtet getötet werden, Art. 13 Abs. 2 ZP II. Gem. Art. 13 Abs. 3 ZP II darf aber auch ein Zivilist zum Ziel eines Angriffs gemacht werden, sofern er direkt an Feindseligkeiten teilnimmt. Wann eine 144
Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, Rn. 1194.
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Person direkt an Feindseligkeiten teilnimmt, ist umstritten.145 Nach Ansicht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, das damit das geltende Völkergewohnheitsrecht wiedergeben will, müssen zwei Kategorien unterschieden werden: Die Zivilisten, die in einer continous combat function tätig sind, dürfen immer getötet werden.146 Aber solche, die keine continous combat function besitzen, sondern nur gelegentlich unmittelbar an Feindseligkeiten teilhaben, sollen nur in der Kampfsituation getötet werden dürfen.147 Klassischerweise versteht man unter Terroristen genau letztere Gruppe: Sie tauchen gelegentlich auf, verüben einen terroristischen Anschlag und verschwinden wieder. Damit ergibt der Abgleich mit dem humanitären Völkerrecht, dass es Terroristen nicht nur in Friedens- sondern auch in Kriegszeiten geben kann, sie grundsätzlich Zivilisten sind und damit grundsätzlich keine Privilegierung genießen. Auch als Mitglieder einer bewaffneten Gruppe dürfen sie nicht töten, es ist ihnen aber auch nicht explizit verboten. Das Völkerrecht verhält sich hier neutral. Eine Privilegierung besteht aber unter Umständen nach Art. 1 Abs. 4 ZP I – anerkannten Freiheitskämpfern kommt das Schädigungsprivileg zu. 3. Die Auswirkungen des humanitären Völkerrechts auf die Terrorismusdefinition Abgesehen von der eben genannten Ausnahme wird die Gewaltausübung von nicht-staatlichen Gruppen im humanitären Völkerrecht nicht privilegiert. Allerdings verbietet das Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts ausdrücklich nur die direkte Tötung von Zivilisten. Ein ausdrückliches Verbot des Tötens von Kombattanten überlässt es dem nationalen Recht. Hier kommt eine Wertung zum Ausdruck, die auch in der Terrorismusdefinition gespiegelt werden muss: Das direkte Töten von Zivilisten ist verboten, das Töten von Soldaten wird vom Völkerrecht in Kriegszeiten akzeptiert. Damit sind innerhalb eines bewaffneten Konflikts Aufständische dann keine Terroristen, wenn sie militärische Ziele angreifen und sich dabei an die Regeln des humanitären Völkerrechts halten. 145 Siehe dazu u.a. Nils Melzer, Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Law, Adopted by the Assembly of the International Committee of the Red Cross on 26 February 2009, IRRC 90 (2008), 991, 997; Damien van der Toorn, ‘Direct participation in hostilities’: A Legal and Practical Road Test of the International Committee of the Red Cross’s Guidance through Afghanistan, AILJ 2010, 7 ff.; siehe auch Michael Schmitt, The Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities: A Critical Analysis, HNSJ 2010, 5 ff. 146 Melzer (Anm. 145), 991, 1006 ff. 147 Melzer (Anm. 145), 1016 ff.
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Eine Unterscheidung von Zivilisten und anderen Menschen, die nicht von der Terrorismusdefinition geschützt sind, erscheint in Friedenszeiten hingegen keinesfalls angemessen. Richtet sich die Tathandlung gegen Menschen, so kann kein so hehres Ziel gewalttätige Mittel rechtfertigen, unabhängig davon, ob dieser Mensch Soldat, Polizist, Politiker oder einfacher Bürger ist. Dies gilt auch unabhängig davon, wer handelt: So ist eine Privilegierung von staatlichen Militärs, wie sie die Draft Comprehensive Convention in ihrem Art. 3 Nr. 3 vorsieht, keineswegs akzeptabel. Auch Staatsterrorismus ist Terrorismus – wenngleich der Staat anders als die Privaten auch an die Menschenrechte inklusive der menschenrechtlichen Strafverfolgungspflichten gebunden ist.148 Damit sollten innerhalb eines bewaffneten Konflikts alle Handlungen, die auf die Tötung von Kombattanten und Personen, die sich unmittelbar an der Begehung von Feindseligkeiten beteiligen, gerichtet sind, nicht als terroristische Handlungen verstanden werden. Gleichwohl können sie nach nationalem Recht strafbar sein. Das Problem der Freiheitskämpfer ebenso wie das des Staatsterrorismus stellt sich dann nur, wenn Zivilisten zum Ziele eines Angriffs gemacht werden. Hier darf es keine Ausnahmen geben: Das Töten von Zivilisten muss bei Vorliegen der anderen Tatbestandsvoraussetzungen immer als Terrorismus gelten. In Friedenszeiten hingegen sollte der Status von Täter und Opfer keine Rolle spielen: Es muss jeder Angriff auf eine Person als Tathandlung ausreichen. Hinzu kommt als subjektives Tatbestandsmerkmal, wie auch in Zeiten des bewaffneten Konflikts, das Ziel der Einschüchterung der Bevölkerung oder der Nötigung des Staates.
D. Fazit Aus Gründen der Effektivität der Terrorismusbekämpfung und der Wahrung der Menschenrechte ist eine einheitliche Definition notwendig. Dabei ist ein enges Verständnis entscheidend: Die subjektive Seite – Terrorisierung der Bevölkerung, Zwang gegenüber dem Staat – ist unstrittig. Anderes gilt für die objektive Seite. Hier sollte Gewalt gegen Objekte nicht erfasst sein. In Friedenszeiten sollte Gewalt gegen alle Menschen erfasst sein. Damit können Freiheitskämpfer unter die Definition ebenso fallen wie der Staat. Entscheidend ist die Methode, nicht die Ideologie. Innerhalb eines bewaffneten Konflikts hingegen sollte nur das gezielte Töten von Zivilisten als terroristische Handlung gewertet werden. Um dies zu erreichen, 148
Darauf weist zu Recht Eckart Klein, Die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus – Hört hier das Völkerrecht auf?, in: Josef Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 2004, 9, 12, hin.
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müsste eine einheitliche Definition einen Zusatz vorsehen, in dem klargestellt wird, dass vom humanitären Völkerrecht nicht verbotene Akte auch keine terroristischen Akte sind. Militärische Reaktionen gegen terroristische Handlungen sind erst dann zulässig, wenn sie nach den allgemeinen Regeln zulässig sind. Der bewaffnete Angriff – wenn er überhaupt von Terroristen durchgeführt werden kann – muss eine besondere Intensität der Gewaltausübung vorweisen. Für die Friedensbedrohung gilt, dass die Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt durch den Sicherheitsrat immer verhältnismäßig sein muss. Grundsätzlich werden daher polizeiliche Maßnahmen vorzuziehen sein. Es verbleibt nur noch, auf einen ganz entscheidenden Punkt hinzuweisen. Wird Terrorismus falsch bekämpft, entstehen neue Terroristen. Um das zu verhindern, ist die Wahl der Mittel entscheidend. Es macht einen Unterschied, ob man mit Hilfe des Strafrechts vorgeht, wie es im innerstaatlichen Recht getan wird; ob man einen militärischen Konflikt wie in Afghanistan, Irak oder jetzt Syrien führt; ob man mit gezielten Tötungen vorgeht wie in Pakistan und im Jemen; ob man gefahrenabwehrrechtliche Tätigkeiten, wie etwa die weltweiten Überwachungsprogramme, die Edward Snowden enthüllt hat, nutzt; ob man vor allem auf Prävention durch kulturelle und soziale Programme setzt oder ob man die wirtschaftliche und soziale Inklusion der Gesellschaft zur politischen Priorität macht – um nur ein paar der faktischen Möglichkeiten zu nennen. Eine enge Terrorismusdefinition sowie die Einhaltung der Menschenrechte und des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Kampf gegen diesen Terrorismus haben eine entscheidende Wirkung im Kampf gegen den Terror: Sie vermeiden die schon angesprochenen Unrechtserfahrungen. In den letzten Jahren ist der Terrorismus immer erfolgreicher geworden, er ist viel grausamer geworden, immer mehr Menschen schließen sich ihm an und viel mehr Menschen als noch am Anfang des Jahrtausends werden in seinem Namen getötet.149 Dies liegt nicht nur, aber eben auch an einer falschen Anti-Terrorpolitik seit 2001. Nicht umsonst findet der Begriff des Terrorismus keine Erwähnung im ius ad bellum. Nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen darf gegen Terrorismus Krieg geführt werden. Prävention und Strafrecht sind die Mittel, die gegen die Verbrecher, die die Terroristen sind, genutzt werden müssen.
149
Institute for Economics and Peace, Global Terrorism Index 2015, 2.
Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument? Von Christian Walter
A. Einleitung: Terrorismusbekämpfung als ereignisgetriebene Rechtspolitik Rechtspolitik ist häufig ereignisgetrieben. Für die Terrorismusbekämpfung gilt das in ganz besonderer Weise. Schon die erste universelle Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die im Jahr 1937 unterzeichnet wurde, aber niemals in Kraft trat,1 war die Reaktion auf ein Attentat. Sie wurde in der Folge der Ermordung des jugoslawischen Königs Alexander I. erarbeitet, der am 9. Oktober 1934 anlässlich eines Staatsbesuchs in Frankreich in Marseille einem Anschlag zum Opfer fiel.2 Ganz ähnlich lässt sich bis heute sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene beobachten, dass Maßnahmen häufig in der Folge konkreter Ereignisse getroffen werden. Dies ist etwa für die deutsche Terrorismusgesetzgebung der RAF-Zeit,3 aber auch für die Maßnahmen des Sicherheitsrats nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sehr deutlich zu erkennen.4 Ereignisgetriebene Rechtspolitik muss nicht zwingend zu schlechten Regelungen führen. Die Erfahrungen zeigen aber, dass sicherheitsrelevante Maßnahmen nur selten wieder zurückgenommen werden. Eine Verschärfung von Maßnahmen tendiert deshalb dazu, auch unter Bedingungen mit geringerer Bedrohung weiter 1 League of Nations Doc. C.546.M383.1937.V (1937); zu den Beratungen Hermann Mosler, Die Konferenz zur internationalen Bekämpfung des Terrorismus (November 1937), ZaöRV 8 (1938), 99 ff. 2 Zu diesem Hintergrund etwa Thomas M. Franck/Bert B. Lockwood, Preliminary Thoughts Towards an International Convention on Terrorism, AJIL 68 (1974), 69 f.; Gabriela Schneider, Die „terroristische“ Handlung im Völkervertragsrecht, 2014, 69 ff. 3 Dazu Markus Rau, Country Report on Germany, in: Christian Walter/Silja Vöneky/ Volker Röben/Frank Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law – Security versus Liberty?, 2004, 311, 313 f. 4 Ibid., 315 ff.
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zu bestehen. Für den Bereich der völkerrechtlichen Verträge kommt hinzu, dass diese ohnehin nur in sehr schwerfälligen Änderungsverfahren modifiziert werden können. Gerade bei völkerrechtlichen Verträgen bedarf es daher einer sehr sorgfältigen Prüfung, welche Maßnahmen auch aus einer längerfristigen Perspektive unabdingbar erscheinen. Im nachfolgenden Beitrag wird zunächst ein kurzer Überblick über die vertraglichen Regelungen zur Terrorismusbekämpfung auf universeller Ebene gegeben (B.), bevor anschließend der insoweit seltener berücksichtigte Europarat und seine Aktivitäten der Terrorismusbekämpfung analysiert werden (C.). Danach wird anhand der europäisch-amerikanischen Zusammenarbeit bei der Weitergabe von Fluggastdaten gezeigt, dass zumindest im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit aktionistische Maßnahmen unter dem Eindruck aktueller Ereignisse nicht ausgeschlossen sind (D.). Vor dem Hintergrund, dass die multilaterale Zusammenarbeit bei der Verhandlung völkerrechtlicher Verträge für Aktionismus ohnehin zu schwerfällig ist, werden die vorhandenen Verträge auf universeller und regionaler Ebene ungeachtet ihrer Umsetzungsbedürftigkeit (und etwaiger Umsetzungsdefizite) als wichtiger Beitrag zur effektiven Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewertet (E.).
B. Universelle Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus Die Entwicklung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch universelle völkerrechtliche Verträge lässt sich nicht isoliert von der allgemeinen Bekämpfung des internationalen Terrorismus verstehen, wie sie sich vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen entwickelt hat. In den Vereinten Nationen hat sich vor allem der Prozess der Dekolonialisierung als Hindernis für gemeinsame Lösungen erwiesen, der durch eine Frontstellung zwischen einerseits bewaffneten Befreiungskämpfern und andererseits der militärischen Präsenz der Kolonialmächte gekennzeichnet war. Erstere rechtfertigten die Anwendung von Gewalt gegen Repräsentanten der Kolonialmächte als legitimes Mittel zur Befreiung unterdrückter Völker. Letztere sahen in solchen Anschlägen terroristische Akte, zu deren Bekämpfung die internationale Gemeinschaft in den Vereinten Nationen zusammenarbeiten müsse.5 An diesem lange Zeit unüberbrückbaren Gegensatz
5
Eindrucksvoll dazu Peter Weiss, Terrorism, Counter terrorism and International Law, Arab Studies Quarterly 24 (2002), No. 2/3, 11, mit Hinweisen auf die Karrieren von Menachem Begin, Yassir Arafat, Nelson Mandela und Gerry Adams von verfolgten Terroristen zu anerkannten Staatsmännern.
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scheiterten allgemeine Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung.6 In der Folge konzentrierte sich die Rechtsentwicklung auf vertragliche Vereinbarungen über bestimmte besonders schützenswerte Sachbereiche (I). Erst mit dem Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aus dem Jahr 1999 wurde der sektorale Ansatz zumindest teilweise überwunden (II.). Allerdings ist es bis heute nicht gelungen, eine Einigung über eine allgemeine Konvention gegen den internationalen Terrorismus zu erzielen (III). Der Abschnitt schließt mit einem Zwischenfazit zur Regelungstechnik und den Regelungsansätzen der universellen Konventionen (IV). I. Die wesentlichen Regelungsmaterien des sektoralen Ansatzes 1. Luftfahrt Das erste sektorale Abkommen ist das Abkommen von Tokio aus dem Jahr 1963.7 Dieses Abkommen betrifft den Bereich der Luftfahrt und bezieht sich auf Straftaten gegen Flugzeuge oder das Personal von Flugzeugen, die während des Fluges oder außerhalb staatlicher Hoheitsgewalt begangen werden.8 Es trat 1969 in Kraft und hat derzeit 186 Vertragsparteien.9 Das Abkommen verfolgt allerdings eine sehr eingeschränkte Zielsetzung: Es verpflichtet die Vertragsparteien nur dazu, als Eintragungsstaat eines Luftfahrzeugs Strafgewalt über an Bord begangene Straftaten zu begründen (Art. 3 Abs. 2) und im Falle der widerrechtlichen Inbesitznahme die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Herrschaft des rechtmäßigen Kommandanten über das Luftfahrzeug wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten (Art. 11 Abs. 1). Außerdem werden bestimmte hoheitliche Befugnisse des Flugkapitäns zur Aufrechterhaltung der Sicherheit an Bord begründet (Art. 6 ff.). Das Abkommen dient dem Zweck, eine lückenlose strafrechtliche Jurisdiktion zu gewährleisten. Materielle Straftatbestände werden dagegen nicht geschaffen.10 6
Siehe dazu den Überblick bei Christian Tomuschat, Der 11. September und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 2001, 535, 536 f. 7 Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen, 14.9.1963, BGBl. 1969 II, 123. 8 Art. 1 Abs. 2 Tokio-Konvention: „[…] while that aircraft is in flight or on the surface of the high seas or of any other area outside the territory of any state“. 9 http://www.icao.int/secretariat/legal/List%20of%20Parties/Tokyo_EN.pdf (letzter Zugriff am 27.1.2017). 10 Vgl. Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 2. Aufl. 2002, 1114.
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Das Abkommen von Tokio wurde später durch das Abkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16. Dezember 1970 (Haager Abkommen) ergänzt.11 Während das Abkommen von Tokio – wie erwähnt – lediglich die Jurisdiktionsfragen behandelt, wird im Haager Abkommen erstmals ein eigener Straftatbestand formuliert. Das Abkommen definiert die tatsächlich erfolgte oder versuchte widerrechtliche Inbesitznahme eines Luftfahrzeugs durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt oder durch eine andere Form der Einschüchterung oder die Beteiligung an einer solchen Tat ausdrücklich als eigenen Straftatbestand (Art. 1) und begründet eine Verpflichtung zur Bedrohung solcher Straftaten mit „schwerer“ Strafe (Art. 2). Außerdem enthält es die Verpflichtung zur Strafverfolgung, wenn eine Auslieferung an einen verfolgungswilligen Staat unterbleibt (Art. 4 Abs. 2 und Art. 7) und führt damit den Grundsatz des aut dedere aut iudicare in die Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein. Das Haager Abkommen trat am 14. Oktober 1971 in Kraft und hat derzeit 185 Vertragsparteien.12 Das Montrealer Abkommen aus dem Jahr 197113 weitet den materiellen strafrechtlichen Schutz weiter aus und begründet weitere Straftatbestände, die der Sicherheit der Zivilluftfahrt insgesamt dienen sollen. Dazu gehören gewalttätige Handlungen gegen Personen an Bord eines Luftfahrzeugs, die Zerstörung oder Beschädigung von im Einsatz befindlichen Luftfahrzeugen, das Verbringen von Sachen in das Luftfahrzeug, die geeignet sind, dieses zu zerstören oder zu beschädigen u.ä. (Art. 1). In den übrigen Teilen folgt das Montrealer Abkommen dem aus dem Haager Abkommen bekannten Ansatz des aut dedere aut iudicare.14 Das Montrealer Abkommen trat am 26. Januar 1973 in Kraft und hat derzeit 188 Vertragsparteien.15 Es wurde 1988 durch das Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, ergänzt,16 das ebenfalls dem Grundsatz des aut dedere aut iudicare folgt. Dieses Protokoll trat am 6. August 1989 in Kraft und hat 174 Vertragsparteien.17
11
BGBl. 1972 II, 1505. http://www.icao.int/secretariat/legal/List%20of%20Parties/Hague_EN.pdf (letzter Zugriff am 27.1.2017). 13 BGBl. 1977 II, 1229. 14 Dahm/Delbrück/Wolfrum (Anm. 10), 1115 f. 15 http://www.icao.int/secretariat/legal/List%20of%20Parties/Mtl71_EN.pdf (letzter Zugriff am 27.1.2017). 16 Protokoll vom 24.2.1988, BGBl. 1993 II, 866, 1994 II, 620. 17 http://www.icao.int/secretariat/legal/List%20of%20Parties/VIA_EN.pdf (letzter Zugriff am 27.1.2017). 12
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2. Schifffahrt und Ölplattformen Der für den Bereich des Luftverkehrs entwickelte Ansatz wurde dann auf die Seeschifffahrt übertragen. Zu nennen ist insbesondere das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Seeschifffahrt vom 10. März 1988.18 Auch dieses Abkommen ist die Konsequenz eines terroristischen Angriffs, denn es erfolgte in Reaktion auf die gewaltsame Entführung des italienischen Kreuzfahrtschiffes Achille Lauro im Jahr 1985.19 Das Übereinkommen überträgt im Kern die für Luftfahrzeuge entwickelten Straftatbestände des Montrealer Abkommen auf Seeschiffe (Art. 3) und unterwirft diese Straftaten dem Regime des aut dedere aut iudicare.20 Zeitgleich mit der Konvention wurde ein Protokoll vereinbart, das die gleichen Regelungen auf Plattformen auf dem Festlandsockel anwendet.21 Die Konvention trat am 1. März 1992 in Kraft und hat derzeit 166 Vertragsparteien.22 Das Protokoll für Plattformen auf dem Festlandsockel trat am 1. März 1992 in Kraft und hat derzeit 156 Vertragsparteien.23 Das Übereinkommen und das Protokoll wurden 2005 durch Protokolle ergänzt, deren Ziel die Ausweitung des Schutzes vor terroristischen Anschlägen mit Massenvernichtungswaffen ist.24 Die Protokolle setzen deshalb neben der Repression, die in den ursprünglichen Verträgen im Vordergrund stand, einen zusätzlichen Schwerpunkt auf die Prävention und sehen dazu die Möglichkeit des Betretens und Durchsuchens von Schiffen vor (Art. 8bis). Außerdem werden neue Straftatbestände ge18
BGBl. 1990 II, 496. Chiara Ragni, Achille Lauro Affair (1985), in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition (www.mpepil.com), Stand: Juni 2009, Rn. 27 ff. 20 Rüdiger Wolfrum, Hohe See und Tiefseeboden (Gebiet), in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, 2006, 287 ff. 21 Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, 10.3.1988, BGBl. 1990 II, 508. 22 http://www.imo.org/en/About/Conventions/StatusOfConventions/Pages/Default.aspx (letzter Zugriff am 27.1.2017). 23 IMO, Status of Multilateral Conventions and Instruments in Respect of which the International Maritime Organization or its Secretary-General Performs Depositary or other Functions, 11.1.2017, 441 ff.; im Internet verfügbar unter http://www.imo.org/en/About/ Conventions/StatusOfConventions/Documents/Status%20-%202017.docx.pdf (letzter Zugriff am 27.1.2017). 24 Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt, BGBl. 2015 II, 1448 und Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, BGBl. 2015 II, 1474. 19
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schaffen, mit denen widerrechtliche, insbesondere terroristische Handlungen, die gegen Schiffe gerichtet sind beziehungsweise mit Hilfe von Schiffen ausgeführt werden, mit Strafe bewehrt und der Transport von Massenvernichtungswaffen, ihrer Komponenten und entsprechender Technologien an Bord von Schiffen unter Strafe gestellt wird (Art. 3bis).25 3. „Internationally Protected Persons“ Bereits aus dem Jahr 1973 stammt das Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten.26 Anders als die bisher genannten Abkommen bezieht sich dieses Abkommen nicht auf einen bestimmten Sachbereich, sondern es schützt bestimmte Personengruppen, unter ihnen vor allem Diplomaten. Deshalb wird das Übereinkommen üblicherweise auch als „Diplomatenschutzkonvention“ bezeichnet, obwohl sein Schutzbereich streng genommen weiter reicht und auch andere völkerrechtlich besonders geschützte Personen, wie etwa Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Außenminister etc. erfasst sind (Art. 1). Von diesem Unterschied im Ansatzpunkt abgesehen, folgt aber auch dieses Abkommen dem bereits mehrfach beschriebenen Muster: Es definiert Straftatbestände, zu denen namentlich vorsätzliche gewaltsame Angriffe auf die Person, die Diensträume, die Privatwohnung oder auch Beförderungsmittel geschützter Personen gehören (Art. 2). Abgesehen von der Strafbegründung wird auch in der Diplomatenschutzkonvention der Grundsatz des aut dedere aut iudicare herangezogen (Art. 7).27 4. Allgemeine Öffentlichkeit Schließlich sind zwei Abkommen zu erwähnen, deren Schutzgegenstand die allgemeine Öffentlichkeit ist. Angesichts der beschriebenen Schwierigkeiten bei der Einigung auf eine allgemeine Definition des Terrorismus kamen hier nur bestimmte, besonders die allgemeine Öffentlichkeit betreffende Begehungsformen als Anknüpfungspunkte in Betracht. Die Internationale Konvention gegen Geiselnahme28 setzt bei der Begehungsform der Entführung von Personen an, und zwar
25 26 27 28
Vgl. die Darstellung der Neuerungen in BT-Drs. 18/5268, 44 f. und 50. BGBl. 1976 II, 1746. Siehe zum Ganzen Dahm/Delbrück/Wolfrum (Anm. 10), 1117. BGBl. 1980 II, 1362.
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unabhängig vom Status der Geiseln (Art. 1).29 Auch dieser Vertrag basiert neben der Definition der Geiselnahme als Straftat auf dem Grundsatz des aut dedere aut iudicare (Art. 8).30 Der zweite völkerrechtliche Vertrag, der auf den Schutz der allgemeinen Öffentlichkeit zielt, ist das Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge vom 15. Dezember 1997.31 Auch hier steht eine bestimmte Begehungsform, nämlich die Verwendung von Bomben, im Mittelpunkt und auch dieses Übereinkommen definiert zunächst einen Straftatbestand (des Bombenlegens) und schließt daran Pflichten zur Strafverfolgung und zur Zusammenarbeit im Wege der Rechtshilfe an. Als bislang letztes Übereinkommen sind die Pflichten in diesem Vertrag besonders ausgeprägt und weitreichend. Dies äußert sich zum einen im ausdrücklichen Ausschluss jeglicher Rechtfertigung von Bombenattentaten mit politischen, religiösen, ethnischen oder anderen ideologischen Argumenten32 und zum anderen in der Verpflichtung, sowohl über das Territorialitätsprinzip (Art. 6 Abs. 1 lit. a und b) wie über das aktive Personalitätsprinzip (Art. 6 Abs. 1 lit. c) strafrechtliche Jurisdiktion zu begründen. Für das passive Personalitätsprinzip besteht eine Option (Art. 6 Abs. 2). Auch diese Konvention folgt dem Prinzip des aut dedere aut iudicare (Art. 8 Abs. 1). II. Das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (1999) Von den bisher behandelten universellen Verträgen zur Terrorismusbekämpfung unterscheidet sich das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aus dem Jahr 199933 aus mehreren Gründen. Zunächst handelt es sich um den ersten Vertrag, der sich nicht mehr allein auf den sektoralen Ansatz 29
Vgl. näher zu den Hintergründen des Abkommens und den Verhandlungen, Klaus W. Platz, Internationale Konvention gegen Geiselnahme, ZaöRV 40 (1980), 276 ff. 30 Dazu auch Platz (Anm. 29), 292 ff. 31 BGBl. 2002 II, 2506. 32 Art. 5 lautet: „Jeder Vertragsstaat trifft die notwendigen Maßnahmen einschließlich, wenn dies zweckmäßig ist, Maßnahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung, um sicherzustellen, dass Straftaten, im Sinne dieses Übereinkommens, insbesondere wenn beabsichtigt oder geplant ist, damit die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, unter keinen Umständen gerechtfertigt werden können, indem politische, philosophische, weltanschauliche, rassische, ethnische, religiöse oder sonstige Erwägungen ähnlicher Art angeführt werden, und dass für solche Straftaten Strafen verhängt werden, die der Schwere der Tat entsprechen“. 33 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, 9.12.1999, BGBl. 2003 II, 1924.
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beschränken kann, weil er sich nicht auf die Kriminalisierung und Verfolgung bestimmter konkreter Straftaten bezieht, sondern durch die Ausrichtung auf die finanzielle Unterstützung „des Terrorismus“ diesen allgemein in den Blick nimmt. Dies zwingt notwendig zu einer abstrakten Definition. Hierzu folgt die Finanzierungskonvention in einem ersten Schritt zunächst noch dem sektoralen Ansatz und definiert als terroristische Handlungen, auf welche die Verpflichtungen der Konvention Anwendung finden, alle diejenigen Straftaten, die in den genannten sektoralen Konventionen definiert werden (Art. 2 Abs. 1 lit. a). Über diese Straftaten hinaus erfolgt im Anschluss in Art. 2 lit. b erstmals eine allgemeine Definition des Terrorismus: „eine andere Handlung (…), die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“ An der genannten Definition sind mehrere Aspekte hervorhebenswert: Zum einen verlangt sie Gewalt gegen Personen und lässt damit im Gegenschluss (auch erhebliche) Gewalt gegen Sachen nicht ausreichen.34 Zum anderen wird durch die terminologische Bezugnahme auf das humanitäre Völkerrecht die Frage aufgeworfen, ob überhaupt und wenn ja, in welchen konkreten Situationen, auch im Falle eines „bewaffneten Konflikts“ (internationaler oder nicht-internationaler Art) terroristische Handlungen vorkommen können. Diese Frage gehört zu den umstrittenen Themen der Diskussion über eine allgemeine Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus.35 Ihrem Wortlaut nach schließt die in Art. 2 Abs. 1 lit. b der Finanzierungskonvention gewählte Formulierung jedenfalls die Anwendung dieser Definition auch auf Handlungen von Parteien in einem bewaffneten Konflikt nicht aus.36 Damit könnte sie prinzipiell sowohl auf die Parteien eines bewaffneten internationalen Konflikts (also Staaten und die Angehörigen ihrer Streitkräfte) als auch auf Befreiungskämpfer und andere Angehörige nicht-staatlicher Einheiten in Bürgerkriegen Anwendung finden. Diese Konsequenz wird aber weder von Seiten der Staaten (weil aus staatlicher Sicht die Qualifikation als „terroristisch“ nur für Handlungen nicht-staatlicher Akteure gelten soll) noch von den Vertretern von 34
Vgl. zu diesem Aspekt Christian Walter, Defining Terrorism in International Law, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.) (Anm. 3), 23, 34 f. 35 Dazu sogleich unter B. III. 36 Tendenziell anders aber Dahm/Delbrück/Wolfrum (Anm. 10), 1111; Kai Ambos, Treatise on International Criminal Law, Bd. II, 2014, 230 f. Für eine vermittelnde Position Antonio Cassese/Paola Gaeta u.a., Cassese’s International Criminal Law, 3. Aufl. 2013, 148 (für eine Anwendung der Maßstäbe der Terrorismuskonventionen sofern die Handlungen gegen Normen des humanitären Völkerrechts verstoßen).
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Befreiungsorganisationen gewünscht, (weil diese nach wie vor nicht vollständig ausschließen wollen, dass im bewaffneten Befreiungskampf Mittel eingesetzt werden können, die unter eine so verstandene Definition des internationalen Terrorismus fallen).37 III. Allgemeine Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus Bemühungen um eine allgemeine Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus gibt es seit Jahrzehnten. Sieht man einmal vom frühen Vorläufer aus dem Jahr 1937 ab, so begannen die neueren Bemühungen 1972, als in Folge der Angriffe auf das olympische Dorf in München in den Vereinten Nationen erstmals ein ad-hoc-Ausschuss eingerichtet wurde.38 Aufgrund der damals unüberbrückbaren Gegensätze um die Behandlung von Freiheitskämpfern in Dekolonialisierungskämpfen wurden die Beratungen aber sehr bald wieder eingestellt.39 Im Jahr 1996 nahm die Generalversammlung die Bemühungen dann wieder auf und setzte erneut einen ad-hoc-Ausschuss zur Erarbeitung einer allgemeinen Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein.40 Obwohl diesem Ausschuss schon im Jahr 2000 ein erster Entwurf vorlag, über dessen Inhalt weitgehend Einigkeit bestand,41 konnten die verbleibenden wenigen Streitpunkte seither nicht geklärt werden. Ungeachtet einer erneuten Initiative auf dem Weltgipfel 200542 hat sich an dieser Situation bis heute nichts geändert.43
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Vgl. auch Ben Saul, Defining Terrorism in International Law, 2006, 186 ff. A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972. 39 Siehe zu den Hintergründen Eckart Klein, Nationale Befreiungskämpfe und Dekolonisierungspolitik der Vereinten Nationen: Zu einigen völkerrechtlichen Tendenzen, ZaöRV 36 (1976), 618, 627 ff. 40 A/RES/51/210 vom 17.12.1996. 41 UN Doc. A/C.6/55/1 vom 28.8.2000 (Working Document submitted by India); vgl. dazu UN Doc. A/57/37 (Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996 Sixth session (28 January–1 February 2002), Annex I–III; zum Stand der Beratungen 2001 Walter (Anm. 34), 37 f.; siehe auch die umfassende Darstellung der Beratungen bei Tobias O. Keber, Der Begriff des Terrorismus im Völkerrecht, 2009, 123 ff. 42 World Summit Outcome, A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Ziff. 83 f.; siehe auch den Report of the Secretary General, In Larger Freedom, UN Doc. A/59/2005 vom 21.3.2005, Ziff. 84 und 91. 43 Siehe zum aktuellen Stand: http://legal.un.org/committees/terrorism/ (letzter Zugriff: 27.1.2017): Das ad hoc-Komitee hat in den Jahren 2014, 2015 und 2016 nicht getagt. 38
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Nach wie vor betrifft der Hauptstreitpunkt den Umgang mit Handlungen von Angehörigen der Streitkräfte eines Staats einerseits und Freiheitskämpfern andererseits.44 Abgesehen von dieser zentralen Streitfrage fügt sich aber der vorliegende Entwurf nahtlos in die bisherigen Abkommen auf universeller Ebene ein. Auch er sieht die Schaffung eines Straftatbestands (Art. 2) und Pflichten zur Pönalisierung (Art. 5–7) und zur Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung (Art. 9, Art. 11 und Art. 14) vor. Auch er arbeitet mit dem Grundsatz des aut dedere aut iudicare (Art. 12).45 IV. Zwischenfazit zu Regelungstechnik und Regelungsinhalt der universellen Verträge Betrachtet man die bisher analysierten Verträge in der Zusammenschau, so lassen sich Repression und Prävention als ihre zentralen Anliegen ausmachen. Im Bereich der Repression stehen die Verpflichtung zur Schaffung bestimmter Straftatbestände im nationalen Recht und die Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung durch Vereinbarungen über die Auslieferung von Straftätern im Vordergrund (1). Bei der Prävention geht es um die Einschränkung der Finanzierung des internationalen Terrorismus und um Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung bestimmter Waffenarten (2). 1. Repression In Bezug auf die repressiven Aspekte ist zunächst festzustellen, dass die behandelten Verträge auf universeller Ebene fast durchgängig dem Konzept des Überwachens und Strafens folgen.46 Damit ist nicht gemeint, dass sie auf völkerrechtlicher Ebene unmittelbar anwendbare Straftatbestände schaffen,47 sondern die 44
Siehe z.B. die Berichte des Vorsitzenden der „Working Group on measures to eliminate terrorism“, UN Doc. A/C.6/69/SR.28 vom 13.11.2014, Ziff. 6; UN Doc. A/C.6/ 70/SR.27 vom 24.11.2015, Ziff. 14 ff. 45 Siehe etwa den Entwurfstext aus dem Jahr 2005: Draft comprehensive convention against international terrorism: Consolidated text prepared by the coordinator for discussion, abgedruckt in UN Doc. A/59/894 vom 12.8.2005, 7 ff. Für den letzten Stand des Entwurfstextes siehe Annex I und II des Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, UN Doc. A/68/37 (2013), welcher im Wesentlichen auf einen Vorschlag aus dem Jahr 2007 zurückgeht. 46 Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, Rn. 1103. 47 Die Idee für einen solchen unmittelbar völkerstrafrechtlichen Ansatz hat im Rahmen der Verhandlungen über das Römische Statut für den Internationalen Strafgerichtshof eine
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Konventionen des sektoralen Ansatzes definieren Tatbestände, die von den Vertragsstaaten in ihrem nationalen Recht unter Strafe zu stellen sind und deren effektive Verfolgung sicherzustellen ist.48 Anknüpfungspunkte sind dabei entweder bestimmte Ziele (Flugzeuge, Schiffe, Nuklearanlagen) oder die Verwendung bestimmter Mittel (Geiselnahme, Bomben). Daneben wird eine Pflicht zur effektiven Verfolgung der genannten Taten begründet, mit der das Entstehen sicherer Zufluchträume für die Täter verhindert werden soll. Diesem Ziel dient vor allem die Anwendung des Grundsatzes aut dedere aut iudicare, der in fast allen Konventionen zugrunde gelegt wird.49 Das Übereinkommen gegen terroristische Bombenanschläge und das Übereinkommen gegen die Finanzierung von Terrorismus schließen darüber hinaus die Berufung auf den Ausschlussgrund der politischen Straftat ausdrücklich aus.50 2. Prävention In jüngerer Zeit wurde zu Recht der Fokus stärker auf den Aspekt der Prävention gerichtet. Ein besonders deutlicher Ausdruck dieser Entwicklung ist die Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus.51 Indem die Konvention Verpflichtungen zur Austrocknung der Finanzquellen des Terrorismus begründet, erfasst sie das Vorfeld der eigentlichen Tathandlungen und versucht – und insofern wirkt sie präventiv – Terroristen die zur Begehung der von ihnen beabsichtigten Taten notwendigen Mittel vorzuenthalten. In vergleichbarer Weise präventiv wirkt das bislang noch nicht näher angesprochene Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer gewisse Rolle gespielt, konnte sich dort aber letztlich nicht durchsetzen, vgl. Wolfrum (Anm. 10), 1123. Näher auch William A. Schabas, An Introduction to the International Criminal Court, 3. Aufl., 2007, 88–90. Dies gilt auch nach der Review Conference im Jahr 2010, welche die Frage eines gesonderten Terrorismus-Straftatbestands (entsprechend Resolution E der Schlussakte des Römischen Status, UN Doc. A/CONF.183/10 vom 17.7.1998, 7 f.) noch einmal aufgenommen hatte, vgl. ders., The International Criminal Court: A Commentary on the Rome Statute, 2. Aufl. 2016, 120–122. 48 Volker Röben, The Role of International Conventions and General International Law in the Fight against International Terrorism, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.) (Anm. 3), 789, 797. 49 Siehe oben bei Anm. 11, 16, 20, 27, 30, 31, 45. 50 Artikel 11 des Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (Anm. 31); Artikel 14 des Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Anm. 33). 51 Oben B. II.
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Handlungen vom 13. April 2005.52 Dieses Übereinkommen folgt zwar formal dem für die repressiv wirkenden Verträge beschriebenen Ansatz. Es definiert Straftaten und begründet die Verpflichtung der Kriminalisierung und Verfolgung im nationalen Recht.53 Da diese Straftatbestände aber bereits den Besitz radioaktiven Materials erfassen, wenn die Absicht hinzutritt, den Tod oder eine schwere Körperverletzung zu verursachen, oder bedeutende Sach- oder Umweltschäden zu verursachen (Art. 2 Abs. 1 lit. a), ist die Strafbarkeit in das Vorfeld der eigentlichen Begehung vorverlagert, so dass auch dieses Übereinkommen neben dem repressiven Aspekt der Bestrafung bereits erfolgter Anschläge einen Schwerpunkt im Bereich der Prävention hat.54 Der Prävention dienen schließlich einige weitere Verträge, wie das Übereinkommen über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zwecke des Aufspürens vom 1. März 199155 oder das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 26. Oktober 1979.56
C. Regionale Verträge: Das Beispiel des Europarats Auch im Rahmen des Europarats sind die Aktivitäten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus Folge konkreter Anschläge. So wurde insbesondere in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 eine eigene institutionelle Struktur unter der Verantwortung des Ministerkomitees geschaffen (I.). Unter dem Eindruck der Attentate während der Olympischen Spiele in München 1972 wurde die europäische Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus verhandelt und am 27. Januar 1977 unterzeichnet. Die Aktivitäten des Europarats im Bereich der Terrorismusbekämpfung durch Verträge nahmen nach dem 11. September 2001 nochmals zu. In diesem Kontext wurden ein Protokoll zur Änderung der Konvention aus dem Jahr 1977 und am 16. Mai 2005 eine gänzlich neue Konvention zur Prävention von Terrorismus unterzeichnet. Schließlich führten die vertraglichen Bemühungen zur Unterzeichnung der Warschauer Konvention, einer vertraglichen 52
BGBl. 2007 II, 1587. Vgl. dazu die Beschreibung in BT-Drs. 16/5336 vom 11.5.2007, 23 f. 54 Womit sich auch Umsetzungsbedarf im Strafrecht ergab. Zur Überarbeitung der §§ 309, 310 StGB vgl. BT-Drs. 16/5336 vom 11.5.2007, 24 und BT-Drs. 16/5334 vom 11.5.2007, 7; siehe auch Felix Herzog/WalterKargl, § 310 in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2013, Rn. 1. 55 BGBl. 1998 II, 2302. 56 BGBl. 1990 II, 326; das Abkommen wurde 2005 geändert und in seinem Anwendungsbereich ausgedehnt, um nuklearterroristischen Handlungen besser vorbeugen zu können (Entschließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial, BGBl. 2008 II, 574). 53
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Regelung über Verpflichtungen bei der Bekämpfung der finanziellen Aspekte des internationalen Terrorismus (II.). Konzeptionell betont der regionale Ansatz des Europarats die Bedeutung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und die Wahrung der Menschenrechte (III.). I. Der institutionelle Rahmen des Europarats Im institutionellen Rahmen des Europarats ist das Ministerkomitee das zentrale Organ für die Koordination der Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 wurde zunächst eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt (GMT). Diese Arbeitsgruppe legte den Entwurf für ein Änderungsprotokoll zur Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus aus dem Jahr 1977 vor.57 Außerdem schlug sie die Einrichtung eines dauerhaften Expertenausschusses vor, in dem sämtliche weiteren Aufgaben der Terrorismusbekämpfung im Rahmen des Europarats konzentriert werden. Das Ministerkomitee kam dem Vorschlag mit der Einrichtung des Committee of Experts on Terrorism (CODEXTER) nach. Im Bereich der vertraglichen Regelungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus kommen CODEXTER Monitoring-Aufgaben zu, welche insbesondere die Unterzeichnung und Ratifikation der einschlägigen Europarats-Konventionen betreffen. Darüber hinaus fungiert CODEXTER als Forum für die intergouvernementale Zusammenarbeit und ermöglicht so die Vorbereitung und Verhandlung neuer vertraglicher Instrumente. Ein Schwerpunkt der vergangenen Jahre lag auf dem Umgang mit sog. „Foreign Terrorist Fighters“.58 II. Verträge zur Terrorismusbekämpfung 1. (Geänderte) Europäische Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus vom 25. Januar 1977 Die Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus von 25. Januar 197759 ist eine Reaktion auf die Anschläge bei den Münchner Olympischen Spielen aus dem Jahr 1972. Sie geht zurück auf eine Initiative der Parlamentarischen Versammlung, deren zentrales Anliegen es war, die Ausnahme für politische Straftaten im 57
Dazu sogleich unter C. II. Siehe http://www.coe.int/en/web/counter-terrorism/home (letzter Zugriff am 27.1.2017). 59 BGBl. 1978 II, 321. 58
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allgemeinen Auslieferungsrecht mit Bezug auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus möglichst einzuschränken und in ihren Wirkungen zu reduzieren.60 Nach allgemeinem Auslieferungsrecht kann der ersuchte Staat auch bei einer ansonsten bestehenden Verpflichtung die Auslieferung verweigern, wenn es sich um eine politisch motivierte Straftat handelt.61 Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch der zentrale Regelungsgehalt der Konvention aus dem Jahr 1977: Es handelt sich nicht um einen Auslieferungsvertrag, sondern um einen Vertrag, der bestehende Auslieferungsverträge voraussetzt und die dort üblicherweise enthaltene Ausnahme zu Gunsten politischer Straftaten einschränkt.62 Um dieses Ziel zu erreichen, unterscheidet die Konvention zwei verschiedene Gruppen von Straftaten. Für die erste Gruppe wird ausdrücklich vorgesehen, dass der um Auslieferung ersuchte Staat sich nicht auf Ausnahmeregelung bei politisch motivierten Straftaten berufen kann (Art. 1). Zu diesen Straftaten gehören auch die universell geächteten terroristischen Akte gegen die Zivilluftfahrt und weitere schwerwiegende Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit von international geschützten Personen einschließlich Diplomaten, sowie Straftaten im Zusammenhang mit Entführungen oder Geiselnahme oder unter Verwendung von Bomben und ähnlichen gefährlichen Waffen. In die zweite Gruppe gehören andere scherwiegende Straftaten, die nicht bereits in der ersten Gruppe erfasst sind, bei denen aber ebenfalls Gewalt gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit einer Person ausgeübt wird. Für diese wird in Art. 2 der Konvention ausdrücklich anerkannt, dass der ersuchte Staat davon absehen kann, sich auf die Ausnahme für politische Straftaten zu berufen. In der Folge der Attentate vom 11. September 2001 wurde am 15. Mai 2003 ein Änderungsprotokoll zur Unterzeichnung aufgelegt. Mit diesem Änderungsprotokoll soll die strafrechtliche Zusammenarbeit der Vertragsstaaten bei der Terrorismusbekämpfung weiter erleichtert werden. Insbesondere wurde die Liste der Straftaten, bei denen bei Auslieferungsersuchen die Berufung auf die Ausnahme für politische Straftaten ausgeschlossen ist (Art. 1 der Konvention), ausgedehnt.63 60
Recommendation 703 (1973), Ziff. 6 (ii) c). Vgl. etwa Art. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, 13.12.1957, BGBl. 1964 II, 1369. 62 Siehe dazu den Explanatory Report to the Convention (im Internet verfügbar unter: https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?docum entId=09000016800c9a69) (letzter Zugriff am 27.1.2017), Ziff. 27. 63 Explanatory Report to the Convention (Text of the Explanatory Report to the European Convention on the Suppression of Terrorism as it will be revised by the Protocol amending the Convention [ETS No. 190] upon its entry into force); im Internet verfügbar unter: 61
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Allerdings muss das Änderungsprotokoll von allen Vertragsparteien der Konvention ratifiziert werden. Dies ist bislang nicht der Fall.64 2. Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 Mit dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 (Präventionskonvention)65 bemüht sich der Europarat darum, bereits im Vorfeld terroristischer Anschläge vertragliche Verpflichtungen zu begründen. Die Konvention trat am 1. Juni 2007 in Kraft und hat derzeit 37 Vertragsparteien.66 Die Konvention sieht die Pflicht zur Einführung von Vorfeldstraftatbeständen vor. Insbesondere sollen das öffentliche Aufrufen zur Begehung terroristischer Straftaten oder die Anwerbung und Ausbildung von Terroristen unter Strafe gestellt werden. Außerdem werden die von der Konvention erfassten Straftaten als auslieferungspflichtig im Sinne der im Rahmen des Europarats bestehenden Auslieferungsverpflichtungen eingestuft, und es wird die Berufung auf die Ausnahme der politisch motivierten Straftat ausgeschlossen. Der Präventionskonvention des Europarats kommt eine gewisse Vorbildfunktion für die globale Ebene zu.67 3. Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 22. Oktober2015 Die Präventionskonvention wurde am 22. Oktober 2015 durch ein Zusatzprotokoll ergänzt, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Mit ihm soll insbesondere der Aspekt der Beteiligungen an einer terroristischen Vereinigung und die Ausbildung sowie die Ausreise ins Ausland zum Zwecke der Ausbildung zu Terrorismus unter Strafe gestellt werden. Das Protokoll schreibt also den Grundansatz der Präventionskonvention fort und erweitert den Kreis der von ihr erfasshttps://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent? documentId=09000016800d4b94) (letzter Zugriff am 27.1.2017), Ziff. 28. 64 Bislang (Stand: 17.3.2017) liegen nur 35 der 47 erforderlichen Ratifikationen vor (siehe https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/190/signatures?p_ auth=VRuAQDZD (letzter Zugriff am 27.1.2017)). 65 BGBl. 2011 II, 300. 66 https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/196/signatures ?p_auth=tWCGuUmZ (letzter Zugriff am 27.1.2017). 67 Siehe etwa den Bericht des UN Sonderberichterstatters Martin Scheinin vom 28.12.2005, UN Doc. E/CN.4/2006/98, Ziff. 56(c) (mit Blick auf Art. 5 der Konvention); siehe auch den Global survey of the implementation by Member States of Security Council resolution 1624 (2005), UN Doc. S/2012/16 vom 9.1.2012, Ziff. 87.
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ten Straftaten. Das Protokoll liegt seit dem 22. Oktober 2015 zur Unterzeichnung und Ratifikation auf. Bislang haben aber erst drei Staaten (Albanien, Monaco und Dänemark) ihre Ratifikationsurkunde hinterlegt.68 4. Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 Ebenfalls in den Kontext der vertraglichen Mechanismen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus gehört das Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus (Warschau-Konvention),69 die am 1. Mai 2008 in Kraft trat.70 Diese Konvention führt Mechanismen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und des Terrorismus zusammen. Sie stützt sich dabei einerseits auf Erfahrungen in der Anwendung der im Rahmen des Europarats bereits 1990 verabschiedeten Strasbourg-Konvention, die allgemeine Fragen der Geldwäsche, der Beschlagnahme und des Einzugs von Vermögen aus Straftaten zum Gegenstand hatte,71 und andererseits auf die Erfahrungen im Rahmen der UN-Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aus dem Jahr 1999. Die WarschauKonvention versucht, die beiden Stränge in einem Vertrag zusammenzuführen, und geht insoweit deutlich über die Strasbourg-Konvention hinaus, für die sie ursprünglich als Zusatzprotokoll gedacht war.72 III. Der konzeptionelle Ansatz des Europarats Die Maßnahmen des Europarats beruhen auf einem zweigeteilten Ansatz, mit dem einerseits die Infrastruktur für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zur 68 http://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/217/signatures ?p_auth=ANwjRHIs (letzter Zugriff am 27.1.2017). 69 Das Übereinkommen wurde von Deutschland am 28.1.2016 unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert. Siehe allerdings den Entwurf in BT-Drs. 18/9235 vom 20.7.2016, der kürzlich auch von Bundestag und Bundesrat angenommen wurde; BGBl. 2016 II, 1370. 70 Siehe https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/090000168 008371f (letzter Zugriff am 27.1.2017). 71 Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, 8.11.1990, BGBl. 1998 II, 520. 72 Explanatory Report to the Warsaw Convention (im Internet verfügbar unter: https:// rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=0 9000016800d3813(letzter Zugriff am 27.1.2017)), Ziff. 16.
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Bekämpfung des internationalen Terrorismus ausgebaut werden soll (1.) und andererseits – der generellen Ausrichtung des Europarats entsprechend – der Beachtung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird (2.). 1. Ausbau der Infrastruktur für zwischenstaatliche Zusammenarbeit Betrachtet man den Regelungsmechanismus der im Rahmen des Europarats ausgehandelten Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, so werden Parallelen zu den universellen Strategien deutlich. Auch im Europarat geht es primär darum, die Möglichkeiten der strafrechtlichen Zusammenarbeit zu verbessern. Hierzu werden Verpflichtungen geschaffen, im nationalen Recht bestimmte Handlungen unter Strafe zu stellen. Außerdem werden die Möglichkeiten zu einer effektiven Strafverfolgung dadurch verbessert, dass im Auslieferungsrecht bestehende Lücken geschlossen und die Durchsetzung bestehender Auslieferungsverpflichtungen erleichtert wird. Daneben wird über die Erstellung sog. Länderprofile die wechselseitige Kenntnis über die jeweiligen nationalen Standards verbessert.73 Auf diese Weise ist ein vergleichsweise klarer Rechtsrahmen für die strafrechtliche Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung entstanden. 2. Betonung der Menschenrechte Neben dem Ausbau der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit hat der Europarat seiner Arbeit im Bereich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus durchgängig die Einhaltung wesentlicher menschenrechtlicher Garantien eingefordert. Schon im Sommer 2002 nahm das Ministerkomitee „Guidelines on Human Rights and the Fight against Terrorism“ an.74 Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat rechtswidrige Formen der Zusammenarbeit, wie insbesondere die Praxis von „extraordinary renditions“, mit eigenen parlamentarischen Initiativen aufgeklärt und öffentlich kritisiert.75 CODEXTER hat die Wahrung rechtsstaatli73 Die Erstellung der Länderprofile geht zurück auf eine Entscheidung der Justizminister der Mitgliedstaaten des Europarats aus dem Jahr 2003 (Conference of the European Ministers of Justice, 25th Session [Sofia, 9–10 October 2003], Doc. MJU-25 [2003] Concl., Ziff. 36.). 74 CM/Del/Dec [2002] 804/4.3/appendix3E. 75 Siehe etwa: Alleged secret detentions and unlawful inter-state transfers of detainees involving Council of Europe member states, PA Doc. 1095 vom 12.6.2006; Secret detentions and illegal transfers of detainees involving Council of Europe member states: second report, PA Doc. 11302 rev. vom 11.6.2007; Abuse of state secrecy and national security:
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cher Standards bei Verhörmethoden in sein Arbeitsprogramm aufgenommen, und der Europarat hat dem Thema Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung eine eigene Publikation gewidmet, in der die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgearbeitet ist.76
D. Bilaterale Verträge: Das Beispiel des Fluggastdatenabkommens zwischen den USA und der EU Neben den multilateralen Verträgen gibt es selbstverständlich auch bilaterale Vereinbarungen, welche der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienen. Derartige Vereinbarungen sind notwendigerweise vielgestaltig, und eine Systematisierung kann im Rahmen eines kurzen Beitrags nicht geleistet werden. Es geht im Folgenden deshalb, anders als in den vorangegangenen Abschnitten, nicht um eine Bestandsaufnahme und Analyse, sondern um eine Kontrastierung der Möglichkeiten auf bilateraler Ebene mit den eher schwerfälligen multilateralen Instrumentarien. Dies lässt sich gut am bilateralen Abkommen über die Weitergabe von Fluggastdaten zwischen den USA und der EU aufzeigen. Über die Weitergabe von Fluggastdaten durch europäische Fluggesellschaften an die amerikanischen Sicherheitsbehörden bestand lange Zeit Streit.77 Im April 2012 stimmten Rat und Parlament dem von der Kommission ausgehandelten Abkommen über die Weitergabe von Fluggastdaten an die USA zu. Dieses Abkommen ist seit dem 1. Juni 2012 in Kraft.78 An der Entwicklung bei der Weitergabe von Fluggastdaten sind zwei Aspekte bemerkenswert. Der eine betrifft die Rolle der Exekutive und insbesondere den Umgang mit dem Europäischen Parlament. Der andere betrifft den Umfang der gesammelten und weitergegebenen Daten.
obstacles to parliamentary and judicial scrutiny of human rights violations, PA Doc. vom 12714 16.9.2011. 76 Ana Salinas de Frias, Counter-terrorism and human rights in the case law of the European Court of Human Rights, Council of Europe 2013. 77 Ausführlich zu den Hintergründen und der gesamten Rechtsentwicklung zwischen 2001 und 2012 Bastian Baumann, Datenschutzkonflikte zwischen der EU und den USA, 2016, 412–505. 78 Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union über die Verwendung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung an das United States Department of Homeland Security (ABl. Nr. L 215/5).
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I. Zur verfahrensmäßigen Behandlung des Europäischen Parlaments durch den Rat Das Abkommen aus dem Jahr 2012 ersetzt frühere Abkommen aus den Jahren 2004 und 2007.79 Vor allem das Vertragsabschlussverfahren im Jahr 2004 macht darauf aufmerksam, mit welchem Druck die Exekutive den Abschluss des Abkommens gegen die Bedenken des Europäischen Parlaments vorangetrieben hat. Das Parlament hatte damals zum ersten Mal von der ihm im Vertrag von Nizza neu eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, den EuGH um ein Gutachten zur Vereinbarkeit des geplanten Abkommens mit dem Unionsprimärrecht zu bitten.80 Noch während des anhängigen Gutachtenverfahrens und ungeachtet eines Hinweises des Parlamentspräsidenten, dass mit einer baldigen Entscheidung zu rechnen sei und deshalb der Rat schon aus Gründen des wechselseitigen Respekts der Unionsorgane untereinander von einer Unterzeichnung und Inkraftsetzung des Abkommens bis zur Entscheidung des EuGH absehen möge,81 führte der Rat mit dem Beschluss 2004/496 vom 17. Mai 2004 die völkerrechtliche Bindungswirkung des Abkommens herbei.82 Dadurch wurde der Gutachtenantrag des Parlaments gegenstandslos und der Zweck des Gutachtenverfahrens verfehlt.83 Das gerade geschilderte, gegenüber dem Parlament sehr robuste Vorgehen des Rats zeigt, unter welchem Druck die Akteure standen, das geplante Abkommen zustande zu bringen, um den europäischen Fluggesellschaften Rechtssicherheit bei 79
Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das Bureau of Customs and Border Protection des United States Department of Homeland Security (ABl. Nr. L 183/84); Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records – PNR) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security (DHS) (PNRAbkommen von 2007) (ABl. Nr. L 204/18). 80 Kirsten Schmalenbach, Art. 218 AEUV, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar, 5. Aufl. 2016, Rn. 36. 81 „[…] the European Parliament, by a clear majority, has invited me to ask you not to proceed with the adoption of this draft Agreement pending the outcome of the Court of Justice’s opinion. Moreover, members recalled to me, not only the very sensitive content of the issues at stake, but also the obligation of loyal cooperation between institutions. […].“ Letter of 5 May 2004, im Internet verfügbar unter http://www.statewatch.org/news/ 2004/may/Cox-to-Council.pdf (letzter Zugriff am 27.1.2017). 82 Siehe dazu die Darstellung der Prozessgeschichte in der späteren Entscheidung des EuGH auf die gegen den Beschluss 2004/496 erhobene Nichtigkeitsklage des Europäischen Parlaments hin, EuGH, verb. Rs. C-317/04 und C-318/04, Urteil vom 30.5.2006, Rn. 43. 83 Siehe zu dieser Rechtsfolge Schmalenbach (Anm. 80), Rn. 38.
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der Abwicklung der Kontakte mit den amerikanischen Behörden zu verschaffen. Im Sinne der Handlungsfähigkeit der Union mag darin ein positives Element zu sehen sein. Es ist aber auf der anderen Seite auch nicht zu übersehen, dass dafür ein erheblicher Preis in Bezug auf die unionsinterne Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze bezahlt wurde. Das Vorgehen des Rats brüskierte nicht nur das Europäische Parlament, sondern ist auch unter dem Gesichtspunkt des Respekts vor der Judikative hochproblematisch. Es konnte deshalb wenig überraschen, dass der EuGH auf die Nichtigkeitsklage des Parlaments hin der Ratsbeschluss für nichtig erklärte,84 wodurch genau die Situation eintrat, die durch das Gutachtenverfahren eigentlich vermieden werden soll: der Eintritt der rechtlichen Bindung im Außenverhältnis bei gleichzeitiger Unionsrechtswidrigkeit im Innenverhältnis. II. Zum Umfang der weitergegebenen Daten Über den Umfang der weiterzugebenden Daten bestand zwischen den USA und der EU Uneinigkeit. Insbesondere vom Europäischen Parlament aber auch von Datenschutzorganisationen in Europa wurde der Umfang der Speicherung und Weitergabe als zu groß angesehen. Inzwischen haben sich aber die entsprechenden Standards auch weitgehend innereuropäisch durchgesetzt. Am 27. April 2016 verabschiedeten Rat und Parlament die Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität.85 In dieser Richtlinie werden ganz ähnliche Daten in Bezug genommen wie in den verschiedenen Abkommen mit den USA.86 Die Notwendigkeit des Umfangs der Speicherung und Weitergabe ist bis heute umstritten geblieben.
E. Schlussbemerkung Handelt es sich nun bei völkerrechtlichen Verträgen der Terrorismusbekämpfung um bloßen Aktionismus oder doch um ein wirksames Instrument? Die Antwort muss berücksichtigen, dass die Fragestellung die Probleme stark verkürzt. Zwischen Aktionismus und wirksamer Bekämpfung des internationalen Terrorismus bestehen zahlreiche Nuancen und Zwischenstufen, welche durch die Fra-
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EuGH, verb. Rs. C-317/04 und C-318/04, Urteil vom 30.5.2006, Rn. 70. ABl. Nr. L 119/132 vom 4.5.2016. 86 Vgl. Anhang I zur Richtlinie und Anhang zum Abkommen von 2012 (oben Anm. 78). 85
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gestellung verdeckt werden. Mit diesem caveat lassen sich aber zumindest die folgenden Aussagen im Sinne eines Fazits treffen: 1. Versteht man Aktionismus als ergebnislose Betriebsamkeit, mit der Tatkraft und Entschlossenheit signalisiert werden sollen, ohne dass effektive Maßnahmen ergriffen werden, so kann dieser Vorwurf das multilaterale Vertragshandeln auf der Ebene der Vereinten Nationen und des Europarats sicherlich nicht treffen. Das gilt schon allein deswegen, weil die entsprechenden Mechanismen viel zu schwerfällig sind, um auch nur in die Nähe des Aktionismus zu geraten. Insoweit mag der Hinweis auf die inzwischen zwanzig Jahre währenden und immer noch ergebnislosen Bemühungen um eine allgemeine Terrorismus-Konvention genügen.87 Darüber hinaus sind die in den sektoralen Verträgen der universellen Ebene ganz überwiegend gewählten Mechanismen der Repression durch nationale Strafverfahren und der strafrechtlichen Zusammenarbeit durch Auslieferung ihrerseits wegen der Zuweisung an die Judikative und der damit verbundenen Verfahren für Aktionismus kaum anfällig. Nichts anderes gilt für den Bereich des Europarats, in dem ebenfalls der Schwerpunkt auf Auslieferung und strafrechtlicher Zusammenarbeit liegt.88 Insgesamt kann man der multilateralen Zusammenarbeit durch völkerrechtliche Verträge daher sicherlich keinen Aktionismus vorwerfen. 2. Die Entwicklung beim Fluggastdatenabkommen zwischen den USA und der EU zeigt dagegen, dass in bilateralen Beziehungen durchaus eine Anfälligkeit für übermotiviertes politisches Handeln besteht. Der unter Druck erzwungene Abschluss des ersten Abkommens trägt sicherlich aktionistische Züge, denn durch die – in gewisser Weise vorhersehbare – Nichtigerklärung des Ratsbeschlusses wurde im Ergebnis auf Seiten der Union die wichtige Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit beseitigt, und es entstand neuer Handlungsbedarf. 3. Will man die Effektivität der vertraglichen Regelungen beurteilen, so hängt viel von der Erwartung ab, die man an solche Instrumente heranträgt. Selbstverständlich ist mit der bloßen Existenz der beschriebenen Verpflichtungen noch kein einziger Terrorist unmittelbar angeklagt oder verurteilt, und auch die präventiven Maßnahmen (etwa im Bereich der Austrocknung der Finanzquellen des internationalen Terrorismus) bedürfen der Umsetzung im innerstaatlichen Recht, um tatsächlich wirksam zu werden. Vor diesem Hintergrund ist die unmittelbare Wirkung der vertraglichen Vereinbarungen notwendigerweise begrenzt. Dennoch wäre es völlig verfehlt, sie deswegen als unwirksam anzusehen. Sie schließen Schlupflöcher bei der Strafverfolgung, ermöglichen oder erweitern in vielen Bereichen die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen nationalen Behörden und schaffen damit gemeinsame Standards bei der Bekämpfung des internationa87 88
Siehe oben B. III. Siehe oben C. III. 1.
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len Terrorismus. Bedenkt man die politische Brisanz des Themas und die zahlreichen Hindernisse, die bei multilateralen Verträgen stets zu überwinden sind, so liegt darin kein geringer Erfolg.
Maßnahmen der UNO zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus: Die Rolle des Sicherheitsrats und der Generalversammlung Von Stefanie Schmahl
A. Einführung Obgleich es angesichts mehrerer zerfallener Staaten in Asien und Afrika und der auch dadurch bedingten neuen Schlagkraft diverser transnational agierender Terrororganisationen zu vermuten stand, hat wohl kaum jemand erwartet, dass der Terrorismus in jüngster Zeit derart systematisch und verstärkt in verschiedenen Weltregionen zuschlagen würde. Damit gewinnen die Kieler Ringvorlesung und auch mein Referat, das sich mit der Rolle des UN-Sicherheitsrats und der UNGeneralversammlung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auseinandersetzt,1 traurige rechtspraktische Relevanz. Einmal mehr ist zu fragen, ob die Vereinten Nationen als Weltgemeinschaft fähig sind, dem internationalen Terrorismus die Stirn zu bieten. Letztlich steht damit auch die raison d’être der Weltorganisation auf dem Prüfstand. Meine mir von den Organisatoren der Vorlesungsreihe zugedachte Aufgabe besteht darin, die Arbeit der beiden für die Terrorbekämpfung wesentlichen Organe der Vereinten Nationen systematisch zu beleuchten und einer kritischen Analyse zu unterziehen.2 Bevor ich mich allerdings der aufgeworfenen Themenstellung im Einzelnen nähere, möchte ich der besseren Verständlichkeit halber zwei Vorbemerkungen treffen.
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Der Beitrag ist die schriftliche und im Juni 2016 geringfügig ergänzte Fassung des Vortrags, den die Verf. am 4.2.2016 in Kiel gehalten hat. Der Vortragsstil wurde beibehalten. 2 Den Aktivitäten des UN-Generalsekretariats werde ich ebenfalls kursorische Aufmerksamkeit dort schenken, wo es den beiden anderen Hauptorganen flankierend zur Seite steht.
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I. Überblick über die Aufgaben und Funktionen von Sicherheitsrat und Generalversammlung Zunächst erscheint es sinnvoll, sich die grundsätzlichen Aufgaben und Funktionen von Sicherheitsrat und Generalversammlung noch einmal zu vergegenwärtigen. Die UN-Charta weist den beiden Organen nämlich eine durchaus unterschiedliche Stellung im Gefüge der Weltorganisation zu. Der Sicherheitsrat ist in erster Linie als politisches Exekutivorgan der Vereinten Nationen konzipiert.3 Seine Hauptaufgabe liegt gemäß Art. 24 UN-Charta in der Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens, sollte dieser gefährdet oder gebrochen sein. Als einziges Organ der Vereinten Nationen – sieht man vom IGH ab – kann der Sicherheitsrat rechtsverbindliche Beschlüsse und sogar Sanktionen auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta erlassen; diese Rechtsakte sind gemäß Art. 25 UN-Charta von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Die Reichweite der Sanktionsbefugnis des Sicherheitsrats sowie seine Rechtsbindung beim Erlass von Beschlüssen sind freilich seit Jahren Gegenstand intensiver Diskussionen.4 Auf diesen Aspekt wird zurückzukommen sein. Rolle, Aufgaben und Kompetenzen der Generalversammlung sind demgegenüber anders – man mag sagen: „weicher“ – gefasst. Die Generalversammlung besitzt eine nahezu uneingeschränkte Diskussions- und Empfehlungsbefugnis, und zwar sowohl in spezifischen Konfliktsituationen als auch bei generellen Fragestellungen.5 Im Unterschied zum Sicherheitsrat kann die Generalversammlung keine verbindlichen Resolutionen erlassen;6 ihre Stellungnahmen und Hinweise zeugen zwar von einem weitreichenden politischen Konsens, sind aber, formal-juristisch betrachtet, irrelevant. Gleichwohl ist unbestritten, dass aus beständig wiederkehrenden Resolutionen der Generalversammlung im Laufe der Zeit Völkergewohnheitsrecht entstehen kann. Zudem enthalten die Einschätzungen der Generalversammlung wichtige Leitlinien für die Weiterentwicklung und Vertiefung bestehender Völkerrechtsregeln.7 Diese 3 Vgl. Michael Wood, United Nations Security Council, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), Vol. X, 2012, 475 ff. 4 Zusammenfassend Peter Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, 2008, 140–159. 5 Vgl. Art. 10 UN-Charta sowie näher Eckart Klein/Stefanie Schmahl, Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen, in: Wolfgang Graf Vitzthum/Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Abschn. 4, Rn. 128. 6 Zu Ausnahmen im binnenorganisatorischen Bereich vgl. Klein/Schmahl (Anm. 5), Abschn. 4, Rn. 138. 7 Näher Eckart Klein/Stefanie Schmahl, Article 10, in: Bruno Simma u.a. (Hrsg.), The Charter of the United Nations: A Commentary, 3. Aufl. 2012, Rn. 51 ff.
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Kompetenz der Versammlung zur „soft law“-Entwicklung und zum generellen „standard setting“ spielt auch bei der Terrorismusbekämpfung eine wichtige Rolle.8 Da in der Generalversammlung jeder Mitgliedstaat der Vereinten Nationen mit gleichem Stimmrecht vertreten ist,9 zeichnen sich ihre Resolutionen durch eine höhere Legitimität aus als Beschlüsse des Sicherheitsrates, in dem lediglich 15 UNMitglieder stimm- und darunter lediglich die fünf ständigen Mitglieder vetoberechtigt sind.10 II. Übersicht über Aufbau und Struktur der nachfolgenden Analyse Meine zweite Vorbemerkung bezieht sich auf die Struktur der von mir vorgenommenen Analyse. Obgleich eine thematische Einteilung nicht fernliegend ist, habe ich mich für eine chronologische Sortierung entschieden, im Rahmen derer ich themenbezogene Unterpunkte dann anspreche, wenn diese für den jeweiligen Zeitrahmen bedeutsam sind. Meines Erachtens lassen sich die Aktivitäten der beiden UN-Hauptorgane bei der Terrorismusbekämpfung in vier Phasen einteilen, die jeweils kennzeichnende Charakteristika aufweisen. Die erste Phase, die bis zum Ende des Kalten Krieges reicht, ist primär durch Aktivitäten der Generalversammlung und weniger durch solche des Sicherheitsrates geprägt. Hier bringt die Generalversammlung nach anfänglichen Schwierigkeiten zahlreiche Resolutionen hervor, die den internationalen Terrorismus verurteilen. In dieser Linie steht auch die Ausarbeitung verschiedener sektoraler Konventionen, die darauf abzielen, den internationalen Terrorismus einzudämmen. Die zweite Phase, deren Beginn auf das Ende des Kalten Krieges zu datieren ist, zeichnet sich durch die seit der Gründung der Vereinten Nationen erstmals als relevant einzustufende Aktivität des Sicherheitsrates aus. Zuvor war der Sicherheitsrat über lange Zeit ein „blockiertes Organ“, da die fünf ständigen Mitglieder jeweils diametral von ihrem Veto-Recht Gebrauch machten mit der Folge, dass Resolutionen auf der Grundlage des Kapitels VII der UN-Charta nicht erlassen werden konnten.11 Mit dem Verschwinden der weltpolitischen Bipolarität war der
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Ähnlich Jane Boulden/Thomas G. Weiss, Whither Terrorism and the United Nations?, in: dies. (Hrsg.), Terrorism and the UN: Before and After September 11, 2004, 3, 22. 9 Vgl. Art. 9 und Art. 18 Abs. 1 UN-Charta. 10 Vgl. M. J. Peterson, Using the General Assembly, in: Boulden/Weiss (Hrsg.) (Anm. 8), 173; Jane Boulden, The United Nations General Assembly and Terrorism, in: Ben Saul (Hrsg.), Research Handbook on International Law and Terrorism, 2014, 555. 11 Übersicht über die Veto-Praxis im Sicherheitsrat bei Klein/Schmahl (Anm. 5), Abschn. 4, Rn. 145.
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Sicherheitsrat zu Beginn der 1990er Jahre erstmals befähigt, verbindliche Beschlüsse zum Erhalt und zur Wiederherstellung des Weltfriedens zu erlassen. Die dritte Phase, die durch die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 ausgelöst wurde, charakterisiert sich durch eine qualitative und quantitative Intensivierung der Terrorismusbekämpfung auf der Ebene der UN, die sich vornehmlich im Sicherheitsrat konzentriert und in der die Generalversammlung zunächst bloß eine flankierende Rolle einnimmt. Mit Fortschreiten der vom Sicherheitsrat durchgeführten generell-abstrakten wie zeitlich unbegrenzten Terrorismusbekämpfung wird allerdings auch die Generalversammlung wieder verstärkt aktiv, um den „fight against terrorism“ in rechtsstaatliche und menschenrechtliche Bahnen zu lenken. Die Verabschiedung der globalen Anti-Terrorstrategie durch die Generalversammlung im Jahre 2006 läutet schließlich die vierte und wohl bis heute andauernde Phase ein, die sich durch eine Konsolidierung der bisherigen Aktivitäten und eine strukturiertere Ausrichtung der Terrorismusbekämpfung auszeichnet. Seither konzentrieren sich die Vereinten Nationen auf einen eher ganzheitlichen Ansatz, der sich durch drei voneinander zu unterscheidende, aber zugleich komplementäre Bereiche ausweist. Neben der Setzung internationaler Rechtsstandards zur Bekämpfung des Terrorismus evaluiert die Organisation zunehmend beschlossene Maßnahmen und berät die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der operativen Strategien.12 Ob die zahlreichen Terrorattacken der jüngsten Zeit, als deren Kulminationspunkte die Anschläge von Paris (13. November 2015), Istanbul (12. Januar 2016) und Brüssel (22. März 2016) zu nennen sind, dieser Phase einen neuartigen Impuls verleihen oder gar in eine neue fünfte Phase umschlagen, wird später zu betrachten sein.
B. Divergenz, Komplementarität und Verzahnung der Aktivitäten von Sicherheitsrat und Generalversammlung bei der Terrorismusbekämpfung I. Erste Phase: Das nahezu alleinige Wirken der Generalversammlung In der von mir umrissenen ersten Phase ist es im Wesentlichen der Generalversammlung zu verdanken, dass der internationale Terrorismus im Rahmen der Vereinten Nationen überhaupt zur Sprache kommt. Der Sicherheitsrat befasst sich
12 Vgl. Patrick Rosenow, United we fight? Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Vereinten Nationen seit dem 11. September 2001, Die Friedens-Warte 86 (2011), 15.
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in dieser Zeitspanne allenfalls sporadisch mit terroristischen Aktivitäten; lediglich Resolution 635 (1989) verurteilt die Sprengstoffanschläge auf den Pan Am-Flug 103 und ruft die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organisation, ICAO) dazu auf, ein Instrument zu schaffen,13 das im Jahre 1991 schließlich als Konvention über Plastiksprengstoffe in Kraft tritt.14 Die Resolution 635 (1989) ist allerdings weder auf Kapitel VII der UN-Charta gestützt, noch enthält sie eine deutliche Verurteilung des Terrorismus.
1. Die „Friendly Relations“-Deklaration von 1970 Bis zum Ende der 1960er Jahre wird der Terrorismus freilich auch von der Generalversammlung eher als lokales oder regionales, nicht aber als globales Problem betrachtet.15 Auslöser für die Erarbeitung der Konvention über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14. September 196316 sind mehrere Flugzeugentführungen und Geiselnahmen,17 deren Unterbindung allerdings wesentlich der bilateralen Kooperation der betroffenen Staaten überlassen bleibt. Eine explizite Benennung des international agierenden Terrorismus findet sich erstmalig in der Erklärung der Generalversammlung über freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten vom 24. Oktober 1970.18 Diese sog. „Friendly Relations“-Deklaration bekräftigt, dass kein Staat in irgendeiner Form Terrorhandlungen in einem anderen Staat unterstützen darf. Außerdem habe jeder Staat die Pflicht, terroristische Bedrohungen zu beseitigen, die von seinem Territorium ausgehen oder unter seiner Personalhoheit entstehen.
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Vgl. S/RES/635 (1989) vom 14.6.1989, Ziff. 4. Für Deutschland ist die Konvention am 17.9.1998 in Kraft getreten, vgl. BGBl. 1998 II, 2301. 15 Vgl. Edward C. Luck, Another Reluctant Belligerent: The United Nations and the War on Terrorism, in: Richard M. Price/Mark W. Zacher (Hrsg.), The United Nations and Global Security, 2004, 95, 98; Boutros Boutros-Ghali, The United Nations and Comprehensive Legal Measures for Combating International Terrorism, in: Karel Wellens (Hrsg.), International Law: Theory and Practice, Essays in Honour of Eric Suy, 1998, 287. 16 BGBl. 1969 II, 123; UNTS, Vol. 704, 219. 17 Dazu näher Neusüß (Anm. 4), 20 f. 18 A/RES/2625 (XXV) vom 24.10.1970. 14
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2. Das schwierige Spannungsfeld zwischen Terrorismus und Befreiungsbewegungen in den 1970er Jahren Erst die Terroranschläge während der Olympischen Spiele in München im Jahre 197219 führen zu intensiveren Auseinandersetzungen mit dem Phänomen des internationalen Terrorismus.20 Beginnend mit der Resolution 3034 (XXVII), die am 18. Dezember 1972 mit 76 gegen 35 Stimmen bei 17 Enthaltungen verabschiedet wird,21 qualifiziert die Generalversammlung terroristische Akte als illegitime Gewaltanwendungen gegen unschuldige Menschen und widmet sich dem Ziel, die internationale Kooperation zur präventiven Verhinderung terroristischer Anschläge auszubauen und die bestehenden Konflikte und ihre Ursachen mit friedlichen Mitteln zu lösen.22 Neben der Aggressionsdefinition23 wird insbesondere die „Friendly Relations“-Deklaration24 in den Empfehlungen der Generalversammlung wiederkehrend in Bezug genommen.25 Allerdings geht die Versammlung von 1972 bis Mitte der 1980er Jahre primär von einem Phänomen des internationalen Terrorismus aus, der durch Befreiungsbewegungen gegen Kolonial- und rassistische Regime und andere Formen der Fremdherrschaft geprägt ist.26 Die Resolution 3034 (XXVII) trägt deshalb auch 19
Näher hierzu Peter Romaniuk, Multilateral Counter-Terrorism. The global politics of cooperation and contestation, 2010, 36 f. 20 Außer dem Massaker während der Olympischen Spiele gab es allein im Jahr 1972 Anschläge auf 30 Flugzeuge aus 14 Staaten, bei denen 140 Menschen ums Leben kamen und 99 schwer verwundet wurden, vgl. Axel Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus – Versuch einer Chronologie, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 101, 104. 21 A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972. 22 Vgl. A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972, Ziff. 2, sowie die Nachfolgeresolutionen A/RES/31/102 vom 15.12.1976, Ziff. 2; A/RES/32/147 vom 16.12.1977, Ziff. 2; A/RES/ 34/145 vom 17.12.1979, Erwägungsgrund 4 und Ziff. 6; A/RES/38/130 vom 19.12.1983, Ziff. 1, 2. Zu dieser Entwicklung siehe auch Kurt Rebmann, Probleme und Möglichkeiten der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, NJW 1985, 1735, 1736. 23 A/RES/3314 (XXIX) vom 14.12.1974. 24 Vgl. Anm. 18. 25 Vgl. etwa A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972, Erwägungsgrund 3; A/RES/31/102 vom 15.12.1976, Erwägungsgrund 3; A/RES/32/147 vom 16.12.1977, Erwägungsgrund 3; A/RES/34/145 vom 17.12.1979, Erwägungsgrund 2; A/RES/36/109 vom 10.12.1981, Erwägungsgrund 2; A/RES/38/130 vom 19.12.1983, Erwägungsgrund 2; A/RES/40/61 vom 9.12.1985, Erwägungsgrund 2; A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Erwägungsgrund 4; A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Erwägungsgrund 2. 26 So auch Christian Tietje/Carsten Nowrot, Völkerrechtliche Aspekte militärischer Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, NZWehrr 2002, 1, 2 f.; Bardo Fass-
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den spannungsgeladenen und sprachlich äußerst schwerfälligen Titel „Maßnahmen zur Verhinderung des internationalen Terrorismus, der das Leben unschuldiger Menschen bedroht oder vernichtet oder die Grundfreiheiten beeinträchtigt, sowie Untersuchung der tieferen Ursachen dieser Formen von Terrorismus und Gewaltakten, die Elend, Enttäuschung, Leid und Verzweiflung hervorrufen und die manche Menschen dazu treiben, Menschenleben, auch ihr eigenes, zu opfern, um radikale Veränderungen herbeizuführen“.27 Auch in nachfolgenden Resolutionen werden nicht nur der Terrorismus als Gewaltanwendung, sondern auch die Kolonialherrschaft unter Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker als illegitim verurteilt.28 Ein Konsens, wie legitimer Widerstand von zu ächtenden Terrorakten abzugrenzen ist, kann zum damaligen Zeitpunkt nicht erzielt werden.29 Vielmehr bleibt das Spannungsverhältnis eine Dekade lang bestehen,30 das mit dem vom Terrorismusforscher Brian Jenkins geprägten Ausspruch „one man’s terrorist is another man’s freedom fighter“ treffend beschrieben wird.31 3. Konzentration auf den staatszentrierten Terrorismus in den 1980er Jahren Mit Beginn der 1980er Jahre beginnt sich der Blickwinkel der Generalversammlung allmählich zu verändern. Nachdem die Dekolonialisierungsphase weitgehend abgeschlossen ist, steht zwar nicht ausschließlich,32 aber doch verstärkt der staatszentrierte Terrorismus im Vordergrund, der auch durch die unterschiedlichen bender, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus, in: Helmut Volger/ Norman Weiß (Hrsg.), Die Vereinten Nationen und Regionalorganisationen vor aktuellen Herausforderungen, 2002, 64, 73 f. 27 Der Titel ist von Saudi-Arabien vorgeschlagen worden, vgl. Romaniuk (Anm. 19), 38. 28 Vgl. etwa A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972, Ziff. 1 und 4; A/RES/31/102 vom 15.12.1976, Ziff. 1 und 4; A/RES/32/147 vom 16.12.1977, Ziff. 1 und 4; A/RES/34/145 vom 17.12.1979, Ziff. 3, 4 und 13; A/RES/36/109 vom 10.12.1981, Erwägungsgründe 3 und 6; A/RES/38/130 vom 19.12.1983, Erwägungsgründe 3, 5 und 6; A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 8. 29 Näher Paul Wilkinson, Terrorism and Liberal Demoracy, 2000, 190; Kirsten Schmalenbach, Der internationale Terrorismus – Ein Definitionsversuch, NZWehrr 41 (1999), 15, 15 f. 30 Vgl. Christian Walter, Terrorism, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Vol. IX, 2012, 908, Rn. 4, sowie Wüstenhagen (Anm. 20), 107 f. 31 Zum Zitat und zu Jenkins vgl. Hartmut Behr, Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund transnationaler Herausforderungen, ZIB 2004, 27, 30. 32 Gegenbeispiel ist z.B. A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Ziff. 15.
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Staatsideologien der damaligen Zeit geprägt ist.33 Mit großer Deutlichkeit verdammt die Generalversammlung in Resolution 39/159 vom 17. Dezember 1984 alle Formen des Terrorismus in den Beziehungen zwischen Staaten und weist auf die Beachtung des völkerrechtlichen Interventions- und Gewaltverbots hin.34 Erst die Entführung des Kreuzfahrtschiffes Achille Lauro im Jahre 1985 führt jedoch zu einer veritablen Beschleunigung des Annäherungsprozesses der bis dahin strikt in zwei Lager geteilten internationalen Staatengemeinschaft.35 Im Dezember 1985 stellt die Generalversammlung klar, dass terroristische Akte unter keinen Umständen zu rechtfertigen sind, unabhängig davon, in welchem Kontext und vom wem sie begangen werden.36 Nachfolgende Resolutionen stufen Terrorakte ebenfalls ausnahmslos als kriminelle Handlungen ein37 und qualifizieren alle Formen der staatlichen – direkten wie indirekten – Unterstützung von Terrorakten als Verstoß gegen das Völkerrecht.38 Desgleichen wird erstmals die enge Verbindung zwischen Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel sowie organisierter Kriminalität zur Sprache gebracht, die nicht nur die internationale Sicherheit, sondern auch innerstaatliche Verfassungsordnungen in Gefahr bringt.39 In diesem Kontext nimmt die Generalversammlung auch auf eine Sicherheitsratsresolution Bezug, die sich gegen eine terroristische Geiselnahme wendet.40 Es wird allerdings noch rund eine Dekade – nämlich bis zum Jahr 2000 – dauern, bis der Sicherheitsrat das Problem der Verknüpfung des Terrorismus mit der organisierten Kriminalität in seinen Beschlüssen thematisiert.41 4. Erfolg und Rückschläge bei der Ausarbeitung von Anti-Terrorismuskonventionen Wegen der Uneinigkeit der Staaten in der Bewertung terroristischer Akte kann in dieser ersten Phase der Begriff des Terrorismus nicht definiert werden. Der Generalversammlung ist es deshalb nicht möglich, eine allgemeine Konvention 33
Eingehend Peterson (Anm. 10), 179 ff. A/RES/39/159 vom 17.12.1984, Ziff. 1–3. 35 Näher Romaniuk (Anm. 19), 44 f. 36 Vgl. A/RES/40/61 vom 9.12.1985, Ziff. 1, 4 und 11. 37 Vgl. z.B. A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 1; A/RES/44/29 vom 4.12.1989, Ziff. 1; A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Ziff. 1. 38 So etwa A/RES/40/61 vom 9.12.1985, Ziff. 6; A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 4. 39 Vgl. A/RES/44/29 vom 4.12.1989, Ziff. 9; A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Ziff. 9. 40 Siehe A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Erwägungsgrund 6, mit Bezugnahme auf S/RES/ 638 (1989) vom 31.7.1989. 41 Vgl. S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 9; S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 4. 34
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gegen den Terrorismus zu schaffen, obgleich sie eindringlich auf die Notwendigkeit der Einberufung einer entsprechenden Staatenkonferenz hinweist42 und sogar den Modus der Ausarbeitung der Konventionen durch ihre Nebenorgane im Laufe der Zeit verändert. So wird das anfänglich aus nur 35 Personen bestehende Ad hoc-Komitee, das im Dezember 1972 mit der Erforschung der Ursachen des Terrorismus und der Empfehlung von wirksamen Präventionsmaßnahmen (auch vertraglicher Natur) beauftragt worden ist,43 im Jahre 1977 wieder aufgelöst,44 nachdem dessen Tätigkeit einige Male torpediert worden war.45 Erst fast 20 Jahre später, nämlich im Dezember 1996, gelingt es, sich auf die Gründung eines Ad hoc-Ausschusses zur Ausarbeitung von Anti-Terrorismuskonventionen zu einigen, an dem nunmehr alle UN-Mitgliedstaaten zur Mitwirkung aufgerufen sind.46 In diesem Ausschuss sind die jüngeren Übereinkommen etwa zur Verhinderung von Bombenattentaten (1997) und zur Finanzierung des Terrorismus (1999) entworfen worden.47 Auch die Ausarbeitung eines umfassenden Anti-Terrorismusübereinkommens wurde in die federführenden Hände48 dieses neuen Ad hoc-Ausschusses gelegt.49 Das Verfahren stagniert freilich bis heute;50 insbesondere an den Fragen des Staatsterrorismus und der sog. „political offense“-Doktrin ist bisher jeder Vertragsentwurf gescheitert.51 Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass sich die Generalversammlung seit den 1980er Jahren im Zuge einer pragmatischen Vorgehensweise auf eher punktuelle Ansätze zur Ächtung besonders verwerflicher terroristischer 42
Vgl. A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 12. A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972, Ziff. 9; vgl. auch A/RES/31/102 vom 15.12.1976, Ziff. 8; A/RES/32/147 vom 16.12.1977, Ziff. 8. Der Ausschuss nahm im Juli 1973 seine Arbeit auf, vgl. dazu Wüstenhagen (Anm. 20), 107 f., sowie A/RES/68/119 vom 16.12.2013, Ziff. 15. 44 Vgl. A/RES/32/147 vom 16.12.1977, Ziff. 7. 45 Vgl. nur A/RES/31/102 vom 15.12.1976, Erwägungsgrund 4 und Ziff. 7. 46 A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Ziff. 9; dazu auch Boutros-Ghali (Anm. 15), 302. 47 Vgl. Katharina Götsch, Die UN und der 11. September 2001, in: Thomas Jäger (Hrsg.), Die Welt nach 9/11, 2011, 475, 478. 48 Der Ausschuss arbeitet mit dem 6. Hauptausschuss (für Rechtsfragen) der Generalversammlung zusammen. 49 Vgl. A/RES/66/105 vom 9.12.2011, Ziff. 24, 25; A/RES/67/99 vom 14.12.2012, Ziff. 23–25; A/RES/68/119 vom 16.12.2013, Ziff. 24; A/RES/69/127 vom 10.12.2014, Ziff. 24. 50 Zu den beständigen Mahnungen der Generalversammlung vgl. etwa A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Ziff. 16; A/RES/57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 17; A/RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 15; A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 18. 51 Dazu näher Christian Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, DÖV 2006, 357, 360 f. 43
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Gewaltakte konzentriert. Auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta gelingt es ihr, verschiedene Spezialabkommen zur Terrorismusbekämpfung auszuarbeiten und zur Zeichnung aufzulegen.52 Heute gibt es insgesamt 14 sektorale Konventionen,53 die jeweils spezifische terroristische Begehungsweisen verurteilen. Fünf dieser Konventionen gehen unmittelbar auf die Vorarbeiten der Generalversammlung zurück.54 Eine herausgehobene Rolle nehmen dabei die bereits erwähnten Konventionen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 199755 und zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 199956 ein, da sie eine Vielzahl von Handlungen und akzessorischen sowie Vorfeldtatbeständen erfassen und definieren.57 Die Ausarbeitung dieser sektoralen Übereinkommen unter der Ägide der Generalversammlung ist zweifellos ein gewichtiger Schritt. Zur Effektivität der
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Vgl. Christian Schaller, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, SWP-Berlin, Multilaterale Terrorismusbekämpfung, 2007, 13, 23. 53 Dies sind die Konvention über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (1963); die Konvention zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (1970); die Konvention zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (1971); die Konvention über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten (1973); die Internationale Konvention gegen Geiselnahme (1979), die Konvention über den physischen Schutz von Kernmaterial (1979); die Konvention zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (1988); das Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen (1988); das Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden (1988); die Konvention über die Kenntlichmachung von plastischen Sprengstoffen zum Zweck ihrer Entdeckung (1991); die Internationale Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (1997); die Internationale Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (1999) und das Übereinkommen zur Bekämpfung von Akten des Nuklearterrorismus (2005). Zu diesen Konventionen näher Wüstenhagen (Anm. 20), 126–132; Boutros-Ghali (Anm. 15), 290–298, sowie ausführlich Christian Walter, Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument? (in diesem Band). 54 Dazu näher Boulden (Anm. 10), 557 ff. 55 A/RES/52/164 vom 15.12.1997, Annex, UNTS, Vol. 2149, 256. 56 A/RES/54/109 vom 9.12.1999, Annex, UNTS, Vol. 2178, 197. 57 So auch Georg Witschel/Marius Brandes, Die Vereinten Nationen und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Globale Probleme und Zukunftsaufgaben der Vereinten Nationen, 2006, 22, 27.
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Abkommen kommt es allerdings maßgeblich auf die Mitwirkung der Staaten bei ihrer Verbreitung und Umsetzung an. Hier offenbaren sich weitere Problemfelder, derer jedenfalls die Generalversammlung nicht nachhaltig Herr wird. Das Inkrafttreten der Verträge zur Terrorismusbekämpfung geht anfangs nur schleppend vonstatten; die Generalversammlung ermahnt die Mitgliedstaaten überwiegend erfolglos zur Ratifizierung.58 Die Situation ändert sich auch in den 1980er Jahren nur langsam.59 Erst infolge des Einwirkens des Sicherheitsrates nach den Anschlägen vom 11. September 2001, das ich noch beleuchten werde, nimmt der Beitritt der Staaten zu den Anti-Terrorismusabkommen rapide zu.60 Mittlerweile sind viele – wenngleich nicht alle61 – UN-Mitglieder den Konventionen beigetreten. Die überwiegende Mehrzahl der Anti-Terrorismusübereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, die jeweils vorgesehene terroristische Begehungsweise entweder im innerstaatlichen Recht unter Strafe zu stellen und wirksame strafrechtliche Ermittlungen gegen Verdächtige durchzuführen oder die mutmaßlichen Straftäter an einen verfolgungswilligen Staat auszuliefern (Prinzip des aut dedere aut iudicare). Bis heute bietet sich allerdings ein eher ernüchterndes Bild der internationalen Zusammenarbeit; trotz Unterwerfung unter die Konventionen setzen viele Staaten deren Anforderungen nur zögerlich oder gar nicht um.62
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Besonders deutlich etwa A/RES/34/145 vom 17.12.1979, Ziff. 8. Vgl. A/RES/38/130 vom 19.12.1983, Ziff. 3 und 5, sowie A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 8. 60 Vgl. die lobende Hervorhebung in: A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Ziff. 9; A/RES/ 57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 9; A/RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 9; A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 11; A/RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 12; A/RES/61/40 vom 4.12.2006, Ziff. 14; A/RES/62/71 vom 6.12.2007, Ziff. 14; A/RES/63/129 vom 11.12.2008, Ziff. 14; A/RES/64/118 vom 16.12.2009, Ziff. 14; A/RES/65/34 vom 6.12.2010, Ziff. 15; A/RES/ 66/105 vom 9.12.2011, Ziff. 15; A/RES/67/99 vom 14.12.2012, Ziff. 15; A/RES/69/127 vom 10.12.2014, Ziff. 17. 61 Vgl. nur A/RES/70/120 vom 14.12.2015, Ziff. 15, wo die Generalversammlung erneut die noch säumigen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung der einschlägigen Übereinkommen aufruft. 62 Die Mahnungen der Generalversammlung sind zahlreich, vgl. z.B. A/RES/38/130 vom 19.12.1983, Ziff. 3; A/RES/40/61 vom 9.12.1985, Ziff. 7; A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 5b, 5e und 7; A/RES/44/29 vom 4.12.1989, Ziff. 4b, 4e; A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Ziff. 4b, 4e. 59
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II. Zweite Phase: Das Erstarken des Sicherheitsrates 1. Die Belebung von Kapitel VII der UN-Charta und der Erlass erster nichtmilitärischer Sanktionen seit Beginn der 1990er Jahre Eine erste Wende in der Wirksamkeit der Terrorbekämpfung tritt mit dem Fortfall des Kalten Krieges ein, der zu einer Beendigung der Blockade des Sicherheitsrates führt.63 Hatte der Sicherheitsrat seine tiefe Besorgnis über terroristische Gewaltakte zuvor bloß in allgemeiner Weise kundgetan,64 so wendet er sich seit 1992 bestimmten Ländern zu. Erstmals in Resolution 748 (1992) bezeichnet der Sicherheitsrat das Sprengstoffattentat auf die Pan Am-Maschine 103 als Akt des Terrorismus und ordnet die fehlende Mitarbeit Libyens bei der Aufklärung des Massakers als Friedensbedrohung im Sinne von Art. 39 UN-Charta ein.65 Dem schließen sich wenige Jahre später inhaltsgleiche Resolutionen im Blick auf das fehlgeschlagene Attentat auf den ägyptischen Präsidenten Mubarak in Äthiopien 1996 an, für das der Sudan als Unterstützer verantwortlich gemacht wird.66 Die Anschläge auf die Botschaften der USA in Nairobi (Kenia) und Dar-es-Salaam (Tansania) im Jahre 1998 führen ebenfalls zu entsprechenden Sicherheitsratsbeschlüssen,67 genauso wie die zahlreichen Terrorattacken, die von Al Qaida in den 1990er Jahren in Afghanistan durchgeführt und offensichtlich vom TalibanRegime gelenkt oder geduldet worden sind.68 In dieser zweiten Phase verhängt der Sicherheitsrat auch die ersten nichtmilitärischen Sanktionen gemäß Art. 41 UN-Charta in Form von Flug-, Waffen- und Wirtschaftsembargos gegen unmittelbare und mittelbare Unterstützerstaaten des Terrorismus, namentlich gegen Libyen und den Sudan.69 Als Mittel des Beuge63
Vgl. Rosemary Foot, The United Nations, Counter Terrorism, and Human Rights: Institutional Adaptation and Embedded Ideas, HRQ 29 (2007), 489, 492. 64 Vgl. z.B. S/RES/286 (1970) vom 9.9.1970, Ziff. 2; S/RES/579 (1985) vom 18.12.1985, Ziff. 1 f.; S/RES/618 (1988) vom 29.7.1988, Ziff. 1 f.; S/RES/638 (1989) vom 31.7.1989, Ziff. 2. Näher Wüstenhagen (Anm. 20), 117 f.; Neusüß (Anm. 4), 22–25. 65 S/RES/748 (1992) vom 31.3.1992, Erwägungsgründe 7 ff.; Ziff. 2. Zuvor wurde eine Friedensbedrohung durch Libyen nur allgemein festgestellt, vgl. S/RES/731 (1992) vom 21.1.1992, Erwägungsgründe 1–2. 66 S/RES/1044 (1996) vom 31.1.1996, Ziff. 2; S/RES/1954 (1996) vom 26.4.1996, Erwägungsgrund 11. 67 S/RES/1189 (1998) vom 13.8.1998, Ziff. 1. 68 S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 1; S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 1; S/RES/1363 (2001) vom 30.7.2001, Erwägungsgrund 3. 69 Gegen Libyen: S/RES/748 (1992) vom 31.3.1992, Ziff. 3 ff.; S/RES/883 (1993) vom 11.11.1993, Ziff. 1 ff. Gegen den Sudan: S/RES/1954 (1996) vom 26.4.1996, Ziff. 3 ff.; S/RES/1070 (1996) vom 16.8.1996, Ziff. 3 ff.
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zwangs sind die Sanktionen dazu bestimmt, die Auslieferung der mutmaßlichen Attentäter der Terroranschläge an die USA oder Großbritannien bzw. an Äthiopien herbeizuführen.70 Anderes gilt indes bezüglich der Terrorakte in Kenia, Tansania und Afghanistan. Hier begnügt sich der Sicherheitsrat zunächst mit einer Verurteilung der Taten und der Aufforderung an die Staaten, terroristische Anschläge nicht zu dulden.71 Insbesondere das Taliban-Regime in Afghanistan wird ausdrücklich als Unterstützer und Ausbilder von Terrorgruppierungen bezeichnet und dazu aufgerufen, die Förderung umgehend einzustellen und verdächtige Attentäter zu verfolgen oder auszuliefern.72 2. Fortentwicklung des Sanktionsregimes und Errichtung des „Sanctions Committee“ (1999) Erst 1999 geht der Sicherheitsrat dazu über, territorialbezogene Sanktionen auch gegen die von den Taliban beherrschten Teile Afghanistans zu verhängen.73 Das an die Taliban gerichtete Verbot, der Terrororganisation Al Qaida eine Zufluchtsstätte zu gewähren, findet erstmals ausdrückliche Erwähnung in der einstimmig angenommenen Sicherheitsratsresolution 1267 (1999).74 In diesem Beschluss fordert der Sicherheitsrat die Taliban dazu auf, jede Beherbergung und Ausbildung von Terroristen zu unterbinden, Ausbildungslager zu schließen und Osama bin Laden sowie seine Gefolgsleute auszuliefern.75 Unter Berufung auf 70 Näher Witschel/Brandes (Anm. 57), 29 f.; Wüstenhagen (Anm. 20), 119 f. Die Suspendierung und die spätere Aufhebung der Sanktionen gegen Libyen erfolgt durch S/RES/1192 (1998) vom 27.8.1998 und S/RES/1506 (2003) vom 12.9.2003, nachdem Libyen die Tatverdächtigen an ein nach schottischem Recht gegründetes niederländisches Strafgericht überstellt hatte. Die Aufhebung der Sanktionen gegen den Sudan findet durch S/RES/1372 (2001) vom 28.9.2001 statt, nachdem der Sudan wichtige Anti-Terrorismusübereinkommen, darunter das Finanzierungsabkommen von 1999, ratifiziert hatte. 71 Vgl. S/RES/1189 (1998) vom 13.8.1998, Ziff. 3. Die USA reagierten indes militärisch, indem sie u.a. verschiedene Terroristencamps in Afghanistan zerstörten, vgl. Chantal de Jonge Oudraat, The Role of the Security Council, in: Boulden/Weiss (Hrsg.) (Anm. 8), 151, 157. 72 Vgl. S/RES/1214 (1998) vom 8.12.1998, Ziff. 13; S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 1. 73 Näher Wüstenhagen (Anm. 20), 122 f.; Christian Meiser/Christian von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 23. 74 S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Erwägungsgrund 6; vgl. auch S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 1. 75 S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 2; vgl. auch S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 2.
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Kapitel VII der UN-Charta werden diese Forderungen mit einem Flugverbot für alle von den Taliban betriebenen Flugzeuge, mit Reisebeschränkungen sowie mit dem Einfrieren aller Konten und Vermögensgegenstände der Taliban bewehrt.76 Zur Durchführung und Überwachung dieser Sanktionen gründet der Sicherheitsrat ein Nebenorgan, den sog. „1267-Sanktionsausschuss“, dessen Aufgabe vornehmlich in der Erstellung von Namenslisten mutmaßlicher Al Qaida-Terroristen und Taliban-Anhänger besteht.77 Da die Taliban keine größeren Vermögenswerte im Ausland unterhielten und der internationale Flugverkehr für sie von geringer Bedeutung war, bleiben die Sanktionen gegen das Taliban-Regime allerdings weitgehend wirkungslos.78 Daher sieht sich der Sicherheitsrat im Jahr 2000 veranlasst, seine Gangart zu verschärfen. Resolution 1333 (2000) fordert die Staaten dazu auf, neben der Durchführung der bereits verhängten Sanktionen auch ihre diplomatischen Beziehungen zum TalibanRegime einzustellen, alle Formen von Waffenlieferungen nach Afghanistan zu unterbrechen sowie die Konten und Vermögensgegenstände von Osama bin Laden und seiner Anhänger einzufrieren.79 Damit löst der Sicherheitsrat die bisherige territoriale Bezogenheit seiner Sanktionen auf das von den Taliban kontrollierte Gebiet Afghanistans auf und erstreckt seine Maßnahmen zum ersten Mal gezielt auf nichtstaatliche Akteure ohne festen Territorialbezug.80 Ferner kommt es zu einer Intensivierung der Überwachungsmechanismen. Im Juli 2001 richtet der Sicherheitsrat ein aus fünf Experten besetztes „Analytical Support and Sanctions Monitoring Team“ sowie ein „Sanctions Enforcement Support Team“ beim Sanktionsausschuss ein,81 die beide in regelmäßigen Abständen die tatsächliche Wirkungsweise der Sanktionen analysieren und durch Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Sanktionsregimes beitragen sollen. Zur finanziellen Unterstützung dieser Aufgabe wird ferner ein „Trust Fund“ aufgebaut.82
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Vgl. S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 4; S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 5, 8c. Dazu auch Jasper Finke/Christiane Wandscher, Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt, VN 2001, 168, 171. 77 S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 6; vgl. auch S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 16b. 78 So auch Witschel/Brandes (Anm. 57), 33; de Jonge Oudraat (Anm. 71), 157. 79 S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 8a. 80 Vgl. Witschel/Brandes (Anm. 57), 33; Neusüß (Anm. 4), 32. 81 Vgl. S/RES/1363 (2001) vom 30.7.2001, Ziff. 4a, 4b. 82 Vgl. S/RES/1363 (2001) vom 30.7.2001, Ziff. 9.
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3. Aktionen und Reaktionen der Generalversammlung Seit dem Erstarken des Sicherheitsrats in der Terrorismusbekämpfung verurteilt auch die Generalversammlung terroristische Aktivitäten umfänglich, ohne Berücksichtigung ihres Ursprungs und Kontextes.83 Stellte die uneingeschränkte Verurteilung des Terrorismus in der Resolution 40/61, mit der die Generalversammlung im Jahre 1985 auf eine neue Welle terroristischer Anschläge und insbesondere auf die Entführung des Kreuzfahrtschiffes Achille Lauro reagiert hatte,84 noch eher einen Einzelfall dar, wird die Ächtung des Terrorismus seit Mitte der 1990er Jahre ein fester Bestandteil aller jährlichen Generalversammlungs-Resolutionen. Außerdem geht die Versammlung seit diesem Zeitpunkt dazu über, nicht mehr nur von Prävention, sondern verschärft von der „Eliminierung“ des Terrorismus zu sprechen und mögliche Rechtfertigungsgründe für terroristische Aktionen vollständig zu verwerfen.85 Insbesondere in der Deklaration 49/60 vom 9. Dezember 1994 werden alle Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus als schwerwiegende Verletzungen der Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen gekennzeichnet, unabhängig davon, aus welcher Motivation heraus diese stattfinden.86 Die UNMitgliedstaaten werden dazu aufgerufen, alle notwendigen und effektiven Maßnahmen sowohl auf universeller als auch auf regionaler Ebene zu ergreifen.87 Die Deklaration 49/60 von 1994 richtet ihren Fokus noch ausschließlich auf unmittelbare Terrorakte. Erst zwei Jahre später, in der Resolution 51/120 vom 17. Dezember 1996, verurteilt die Generalversammlung auch jede Anstiftung zu und jede Planung und Finanzierung von Terroraktivitäten. Zusätzlich fordert sie die Staaten dazu auf, ihr Flüchtlings- und Asylrecht sowie ihre Auslieferungsübereinkommen mit wirksamen Anti-Terrorismusklauseln zu versehen.88 Von nun an
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Beispiele: A/RES/48/122 vom 20.12.1993, Ziff. 1; A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Ziff. 1 f., A/RES/52/165 vom 15.12.1997, Ziff. 1 f.; A/RES/53/108 vom 8.12.1998, Ziff. 1 f.; A/RES/54/110 vom 9.12.1999, Ziff. 1 f.; A/RES/54/164 vom 17.12.1999, Ziff. 3; A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 1 f. 84 Dazu Wüstenhagen (Anm. 20), 109; Neusüß (Anm. 4), 41 f. 85 Vgl. Witschel/Brandes (Anm. 57), 24, 26; Peterson (Anm. 10), 175 f.; ähnlich auch Tomuschat (Anm. 51), 360. 86 A/RES/49/60 vom 9.12.1994, Annex, I.3. 87 Vgl. A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 4; ferner A/RES/52/133 vom 12.12.1997, Ziff. 5; A/RES/54/110 vom 9.12.1999, Ziff. 11; A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 12. 88 Vgl. A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Annex. In der Folge betont auch der Sicherheitsrat, dass terroristische Anschläge ausnahmslos und ohne Rechtfertigungsmöglichkeit zu verurteilen sind, und nimmt auf die Deklaration der Generalversammlung Bezug, vgl. S/RES/1269 (1999) vom 19.10.1999, Erwägungsgründe 2 und 3 sowie Ziff. 1.
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finden sich zahlreiche Resolutionen mit ähnlichem Inhalt.89 Zum Teil wird auf spezifische terroristische Handlungsformen wie etwa Mord, Entführung oder Geiselnahme Bezug genommen;90 zum Teil stehen Vorfeldmaßnahmen wie die Aufstachelung zu Gewalttaten im Zentrum der Erwägungen.91 Hinzu kommen Solidaritätsbekundungen mit den Opfern terroristischer Anschläge,92 die später dazu führen, dass ein freiwilliger Entschädigungsfonds unter dem Dach der Vereinten Nationen zum Zwecke der Rehabilitierung eingerichtet wird.93 Das Zentrum zur internationalen Verbrechensbekämpfung in Wien94 und die dort im Jahr 2000 eingerichtete „Terrorism Prevention Branch“95 werden ebenfalls zunehmend in die Bekämpfungsstrategie einbezogen, indem sie mit der Erforschung von Präventionsmaßnahmen und mit technischer Hilfestellung an die Staaten beauftragt werden.96 Auch Ermunterungen an verschiedene Neben- und Hilfsorgane der Vereinten Nationen, innerhalb ihres Mandates der globalen Terrorismusbekämpfung Rechnung zu tragen, finden sich in den Resolutionen der Generalversammlung in der Mitte der 1990er Jahre immer wieder,97 ohne dass dabei die bedeutende Rolle des Sicherheitsrates bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in Frage gestellt würde.98 Zudem rückt die Generalversammlung Maßnahmen zur finanziellen Austrocknung des Terrorismus in den Vordergrund ihrer Bemühungen. Besonders detailliert ist die Resolution 51/210 aus dem Jahre 1996, auf die in nachfolgenden Empfehlungen beständig verwiesen wird.99 Nachdrücklicher denn je wird 89
Vgl. z.B. A/RES/50/53 vom 11.12.1995, Ziff. 1 f.; A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 2; A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Ziff. 2; A/RES/52/133 vom 12.12.1997, Ziff. 3; A/RES/54/164 vom 17.12.1999, Ziff. 3 f. 90 A/RES/40/185 vom 23.12.1994, Ziff. 8 f.; A/RES/52/133 vom 12.12.1997, Erwägungsgrund 12. 91 A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 5; A/RES/52/133 vom 12.12.1997, Ziff. 6. 92 Vgl. z.B. A/RES/49/185 vom 23.12.1994, Ziff. 2; A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 1; A/RES/52/133 vom 12.12.1997, Ziff. 1; A/RES/54/164 vom 17.12.1999, Ziff. 1. Auch in Sicherheitsratsbeschlüssen finden sich nunmehr Solidaritätsbekundungen, vgl. etwa S/RES/1189 (1998) vom 13.8.1998, Ziff. 2. 93 A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 6. 94 Dazu näher A/RES/53/108 vom 8.12.1998, Ziff. 9. Vgl. auch A/RES/54/110 vom 9.12.1999, Ziff. 9. 95 Vgl. A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 10. 96 Dazu etwa A/RES/57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 12; A/RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 12; A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 15; A/RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 16; A/RES/62/71 vom 6.12.2007, Ziff. 18. 97 Z.B. A/RES/49/185 vom 23.12.1994, Ziff. 6; A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 8. 98 Insoweit klar: A/RES/50/53 vom 11.12.1995, Ziff. 7. 99 Deutlich erstmals A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Ziff. 3 lit. a) – lit. f). Auf diese Resolution verweisen etwa A/RES/52/165 vom 15.12.1997, Ziff. 4; A/RES/54/110 vom
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von den Staaten erwartet, dass sie die relevanten Anti-Terrorismusübereinkommen ratifizieren100 und sich jeder finanziellen, moralischen oder sonstigen Unterstützung terroristischer Aktivitäten enthalten.101 Diese Forderungen werden freilich nicht nur von der Generalversammlung, sondern auch vom Sicherheitsrat an die Mitgliedstaaten herangetragen.102 4. Zwischenfazit Insgesamt hat in dieser zweiten Phase der Sicherheitsrat die Generalversammlung als primären Akteur auf dem Feld der nichtmilitärischen Terrorismusbekämpfung vor allem durch die Kreation des „1267-Sanktionsausschusses“ abgelöst. Allerdings wird es noch eine gewisse Zeit dauern, bis sich die Aktivitäten beider Organe miteinander verzahnen. So finden sich in den Generalversammlungs-Resolutionen der 1990er Jahre bereits deutliche Aufforderungen an die Staaten, die zu ergreifenden Maßnahmen zur Beseitigung des Terrorismus im Einklang mit internationalen Menschenrechten vorzunehmen.103 Den Sicherheitsratsbeschlüssen aus dieser Zeit ist indes keinerlei entsprechender Hinweis zu entnehmen. Auch enthält die bereits erwähnte Erklärung der Generalversammlung von 1994 erstmals Elemente einer Terrorismus-Definition. Diese Definition liegt der später vereinbarten Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 1999 zugrunde, da Taten bestimmt werden mussten, an die die Strafbarkeit von Finanzierungshandlungen anknüpfen kann.104 Der Sicherheitsrat bezieht sich hingegen erst in der Resolution 1566 (2004) auf bestimmte Merkmale eines TerrorismusBegriffs.105
9.12.1999, Ziff. 4; A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 4; A/RES/57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 3; A/RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 14; A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 3. 100 Vgl. A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Ziff. 6; A/RES/52/165 vom 15.12.1997, Ziff. 6; A/RES/53/108 vom 8.12.1998, Ziff. 6; A/RES/54/110 vom 9.12.1999, Ziff. 7; A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 7. 101 A/RES/52/165 vom 15.12.1997, Ziff. 5; A/RES/53/108 vom 8.12.1998, Ziff. 5; A/RES/54/110 vom 9.12.1999, Ziff. 5; A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 5. 102 Vgl. S/RES/1269 (1999) vom 19.10.1999, Ziff. 2, 4. 103 Vgl. A/RES/48/122 vom 20.12.1993, Ziff. 2; A/RES/49/185 vom 23.12.1994, Ziff. 3; A/RES/50/186 vom 22.12.1995, Ziff. 3; A/RES/51/210 vom 17.12.1996, Ziff. 3; A/RES/52/133 vom 12.12.1997, Ziff. 4; A/RES/52/165 vom 15.12.1997, Ziff. 3; A/RES/ 53/108 vom 8.12.1998, Ziff. 3; A/RES/54/110 vom 9.12.1999, Ziff. 3; A/RES/54/164 vom 17.12.1999, Ziff. 4; A/RES/55/158 vom 12.12.2000, Ziff. 3. 104 Vgl. Finke/Wandscher (Anm. 76), 168. 105 Vgl. S/RES/1566 (2004) vom 8.10.2004, Ziff. 3.
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Dennoch sind auch fruchtbare Ergänzungen zwischen den Arbeiten beider Organe in dieser zweiten Phase nachweisbar. So bestätigt die Generalversammlung den Sicherheitsrat mehrfach darin, dass Akte des Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens darstellen können.106 Obgleich das nichtmilitärische Sanktionsregime des Sicherheitsrates bis zur Jahrtausendwende ohne nennenswerte Wirkungen verhallt,107 wird eine Ermächtigung zur militärischen Intervention auf der Basis des Kapitels VII der UN-Charta nicht erteilt.108 III. Dritte Phase: Die Anschläge vom 11. September 2001 als Beschleunigungsmoment der Terrorismusbekämpfung unter dem Dach der Vereinten Nationen Dies ändert sich erst mit der dritten Phase der Terrorismusbekämpfung, die durch die verheerenden Terrorattacken vom 11. September 2001 initiiert wird. Die Anschläge sind gleichzeitig Auslöser, Multiplikator und Beschleuniger für bestehende und neue Initiativen der Terrorismusbekämpfung unter dem Dach der Vereinten Nationen.109 Allerdings gilt dieser Befund vornehmlich für den Sicherheitsrat, in dessen Rahmen wesentlich die USA als „driving force“ agieren,110 und weniger für die Generalversammlung, die den Sicherheitsrat zwar unterstützt, dessen Maßnahmen aber zugleich menschenrechtlich einzuhegen versucht. 1. Der Sicherheitsrat im „Kampf gegen den Terror“ a) Unmittelbare Reaktionen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aa) Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts Nur einen Tag nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington D.C. verurteilt der Sicherheitsrat die terroristischen Gewaltakte auf das Schärfste, bekundet seine uneingeschränkte Solidarität mit den Opfern und ordnet die Attacken in der einstimmig angenommenen Resolution 1368 (2001) als schweren Friedensbruch im Sinne von Art. 39 UN-Charta 106
Hierzu eingehend Neusüß (Anm. 4), 39–50. So auch de Jonge Oudraat (Anm. 71), 157. 108 Jutta Stender-Vorwachs, Terrorismusbekämpfung, UN-Sicherheitsrat und Selbstverteidigungsrecht, in: Franz Zehetner (Hrsg.), Festschrift für Hans-Ernst Folz, 2003, 329, 332; Meiser/von Buttlar (Anm. 73), 23. 109 Ähnlich Behr (Anm. 31), 54. 110 de Jonge Oudraat (Anm. 71), 151. 107
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ein.111 Unter Verweis auf Kapitel VII der UN-Charta bekräftigt er das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung.112 Das völkerrechtliche Verteidigungsrecht des Opferstaates gegen nichtstaatliche Akteure wird damit erstmals gebilligt.113 Die erweiternde Auslegung, die Art. 51 UN-Charta auf diese Weise erfährt, stößt zwar weder im Mauergutachten des IGH vom 9. Juli 2004114 noch in Teilen der Literatur,115 aber doch in der Staatenwelt weitgehend auf Akzeptanz.116 Anderes gilt für die in diesem Kontext ebenfalls entwickelte „pre-emptive strike“-Doktrin der Bush-Regierung,117 die vom Sicherheitsrat mit gutem Grund niemals postuliert worden ist. bb) Intensivierung des Sanktionsregimes und der Überwachungsmechanismen des „Sanctions Committee“ Des Weiteren schöpft der Sicherheitsrat nach den Anschlägen vom 11. September 2001 tief aus dem Reservoir der ihm in Art. 41 UN-Charta zugestandenen nichtmilitärischen Befugnisse. So fordert er die Staaten in Resolution 1368 (2001) mit äußerstem Nachdruck dazu auf, Terroristen weder finanziell noch durch Waffenlieferungen zu unterstützen, sondern die Attentäter und ihre Hintermänner vielmehr strafrechtlich zu verfolgen.118 Darüber hinaus entwickelt der Sicherheitsrat auf der Grundlage der Resolution 1267, mit der er die Taliban schon im Jahre 1999 zur Auslieferung von Osama bin Laden aufgefordert und diese Anordnung mit gezielten Sanktionen bewehrt hatte,119 ein weit verzweigtes Sanktionsre-
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S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Ziff. 1, 2. S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Erwägungsgrund 3 und Ziff. 5. 113 Vgl. dazu z.B. Christian Tomuschat, Der 11. September und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 2001, 535 ff.; Fassbender (Anm. 26), 68 f.; Jochen A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), 879, 885; Thomas Bruha/Matthias Bortfeld, Terrorismus und Selbstverteidigung, VN 2001, 161, 162 f. 114 ICJ Rep. 2004, 136, 139. 115 Vgl. etwa Markus Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nichtstaatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), 183 ff.; Carsten Stahn, „Nicaragua is dead, long live Nicaragua“ – The Right to Self-defence Under Art. 51 UN-Charter and International Terrorism, in: Christian Walter u.a. (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 827, 863 ff. 116 Näher Walter (Anm. 30), Rn. 76–78; Michael Wood, Terrorism and the international law on the use of force, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 195, 200 ff. 117 Dazu eingehend Meiser/von Buttlar (Anm. 73), 64 ff. 118 S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Ziff. 3. 119 Vgl. S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 3 und 6. 112
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gime.120 Bereits im Jahr 2000 hatte der Sicherheitsrat, wie erwähnt, seine Sanktionen auch auf mutmaßliche Terroristen und Terrorgruppierungen ausgedehnt.121 In Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 löst sich der Sicherheitsrat nunmehr sogar von jeder zeitlichen Begrenzung seiner Forderungen und erstreckt die gezielten Sanktionen auf alle Individuen und Gruppen, die nach der vom Sanktionsausschuss namentlich geführten und regelmäßig konsolidierten Liste als mit Al Qaida in Verbindung stehend angesehen werden.122 Die Staaten werden nachdrücklich aufgefordert, das Sanktionsregime gegen diejenigen Personen, die im Jahr 2002 mittlerweile zu mehreren Hunderten auf der Liste aufzufinden sind,123 mit höchster Priorität durchzusetzen.124 Die bereits in vorangegangenen Resolutionen enthaltene Bitte an die UN-Mitgliedstaaten, über die Umsetzung der Resolutionen zu berichten, wird 2003 auf eine dauerhafte Basis gestellt.125 cc) Ergreifen von quasi-legislatorischen Maßnahmen und Errichtung des „Counter Terrorism Committee“ (2001) Darüber hinaus greift der Sicherheitsrat erstmals zu quasi-legislatorischen Maßnahmen. Anders als das errichtete Sanktionsregime zielt die am 28. September 2001 erlassene Resolution 1373 (2001) nicht auf einen individuell bestimmten Kreis von Personen,126 sondern verpflichtet die Staaten in abstrakt-genereller Weise dazu, mittels umfangreicher gesetzgeberischer und vollziehender Maßnahmen terroristische Aktivitäten und insbesondere die Finanzierung von terroristischen Handlungen zu unterbinden.127 Dieses Vorgehen des Sicherheitsrats ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil das klassische Instrument zur Erzeugung von Völkerrecht der zwischenstaatliche Vertrag ist und z.B. die Finanzierungskonvention von 1999 zum damaligen Zeitpunkt nur für zwei Staaten in Kraft
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S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 1 lit. a) – lit. d). Vgl. auch S/RES/1390 (2002) bis S/RES/1904 (2009). 121 Vgl. S/RES/1333 (2000) vom 19.12.2000, Ziff. 16 lit. b) i.V.m. Ziff. 8 lit. c). 122 Vgl. S/RES/1390 (2002) vom 28.1.2002, Ziff. 5; vgl. auch S/RES/1452 (2002) vom 20.12.2002, Ziff. 3, sowie Lisa Ginsborg, The United Nations Security Council’s counterterrorism Al-Qaida sanctions regime: Resolution 1267 and the 1267 Committee, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 608, 610. 123 Dazu Foot (Anm. 63), 493. 124 S/RES/1456 (2003) vom 20.1.2003, Annex, Ziff. 2 lit. c). 125 Vgl. S/RES/1455 (2003) vom 17.1.2003, Ziff. 1 ff.; ferner Witschel/Brandes (Anm. 57), 33 f. 126 Vgl. Foot (Anm. 63), 495. 127 Vgl. S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 1–3, insbesondere Ziff. 3d.
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getreten war.128 Damit geht der Sicherheitsrat im September 2001 erheblich über eine politische Einzelmaßnahme hinaus und schafft im Wege internationaler Rechtsetzung völkerrechtliche Verpflichtungen für alle Mitgliedstaaten, ohne dass er hierfür nach der UN-Charta explizit legitimiert wäre.129 Nicht ohne Ironie bezeichnet Klaus Dicke diesen Schritt als „ersten lupenreinen Fall einer internationalen Gesetzgebung“.130 Um diese quasi-legislativen Maßnahmen zudem mit Durchschlagskraft zu versehen, errichtet der Sicherheitsrat einen speziellen Anti-Terrorismusausschuss. Das „Counter Terrorism Committee“ (CTC), in dem die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates vertreten sind, wird als zentrale Anlaufstelle dafür zuständig, die Umsetzung der in der Resolution 1373 (2001) aufgeführten Maßnahmen durch die Staaten zu überwachen.131 Ferner soll der Ausschuss die einzelstaatliche Umsetzung durch Hinweise auf „best practices“ steuern;132 wodurch er im Laufe der Zeit die Rolle eines „administrative rule-maker“ übernimmt.133 b) Zunehmende Ambivalenzen: Ausbau und Begrenzung des Sanktionskanons in Reaktion auf die Anschlagsserie zwischen 2002 und 2005 Die Anschläge vom 11. September 2001 sind bekanntlich kein Einzelfall geblieben. In den ersten fünf Jahren nach der Jahrtausendwende erschüttern vielmehr weitere schwere Terroranschläge verschiedene Weltregionen in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Zu nennen sind etwa die Anschläge auf Bali (Indonesien) am 12. Oktober 2002,134 die Geiselnahme in einem Theater in Moskau am 128
Nämlich für Kuba und Großbritannien, vgl. de Jonge Oudraat (Anm. 71), 161. Kritisch auch Witschel/Brandes (Anm. 57), 40; Walter (Anm. 30), Rn. 65; Tomuschat (Anm. 51), 359; Finke/Wandscher (Anm. 76), 171 f.; Fassbender (Anm. 26), 76; Eric Rosand, Security Council Resolution 1373, the Counter-terrorism Committee and the Fight Against Terrorism, AJIL 94 (2003), 334 ff. Andere Akzentsetzung bei Luis Miguel Hinojosa-Martínez, A critical assessment of United Nations Security Council Resolution 1373, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 626, 630 f. 130 Klaus Dicke, Regionalkammern – ein alternatives Modell zur Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen?, in: von Schorlemer (Hrsg.) (Anm. 20), 695, 700. 131 S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 6. Zu Organisationsstruktur und Überwachungsverfahren des CTC vgl. Neusüß (Anm. 4), 105 ff., 113 ff. Zu Revitalisierung und Erweiterung des Mandats des CTC vgl. S/RES/1535 (2004) vom 26.3.2004, Ziff. 1 ff. 132 Vgl. S/RES/1377 (2001) vom 12.11.2001, Ziff. 14; dazu näher Schaller (Anm. 52), 21; Rosenow (Anm. 12), 21. 133 Walter (Anm. 30), Rn. 68. 134 S/RES/1438 (2002) vom 14.10.2002. 129
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23. Oktober 2002,135 die offensichtlich koordinierten Anschläge auf ein Hotel in Kinkambala (Kenia) und auf ein von Mombasa aus startendes israelisches Zivilluftfahrzeug am 28. November 2002,136 die Bombenanschläge vom 7. Februar 2003 in Bogotá (Kolumbien)137 und vom 15. und 20. November 2003 in Istanbul,138 die Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid,139 die terroristischen Attacken vom 7. Juli 2005 auf die U-Bahn in London140 und die zahlreichen Terroranschläge, mit denen sich der Irak vor allem im ersten Halbjahr 2005 konfrontiert sieht.141 Insgesamt zeigt sich, dass der Terrorismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts in besonderem Maße transnational agiert und auf zahlreiche Organisationseinheiten und strategische Allianzen weltweit zurückgreifen kann.142 aa) Verwässerung des Junktims zwischen Friedensbedrohung und staatlicher Urheberschaft Unter diesem Eindruck gelangt der Sicherheitsrat schrittweise zu einer neuen Einschätzung der Gefahr, die der internationale Terrorismus für die Sicherheit und den Frieden in der Welt darstellt.143 Zwar sieht er weiterhin davon ab, militärische Zwangsmaßnahmen gegen die Urheber und Hintermänner der Anschläge aus den Jahren 2002 bis 2005 zu autorisieren und beschränkt sich darauf, das naturgegebene Recht zur Selbstverteidigung in Übereinstimmung mit der UN-Charta zu bekräftigen.144 Heraus sticht aber, dass der Adressatenkreis völkerrechtlicher Pflichten nach und nach erweitert wird. Während die Maßnahmen des Sicherheitsrats sich zuvor noch überwiegend an Staaten gerichtet hatten, geraten nunmehr nichtstaatliche Akteure in den Fokus; auch eine Unterscheidung zwischen diesen und den sie unterstützenden de facto-Regimen findet kaum noch statt.145 Das Junktim zwischen Friedensbedrohung und staatlicher Urheberschaft wird zuneh135
S/RES/1440 (2002) vom 24.10.2002. S/RES/1450 (2002) vom 13.12.2002. 137 S/RES/1465 (2003) vom 13.2.2003. 138 S/RES/1516 (2003) vom 20.11.2003. 139 S/RES/1530 (2004) vom 11.3.2004. 140 S/RES/1611 (2005) vom 7.7.2005. 141 Vgl. nur S/RES/1618 (2005) vom 4.8.2005. 142 Näher Behr (Anm. 31), 32 ff. 143 Zurückhaltend noch S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001, Ziff. 5. Sehr klar indes z.B. S/RES/1456 (2003) vom 20.1.2003. 144 Vgl. die Nachweise in Anm. 113. 145 Näher Gerhard Hafner, Die „neuen“ Vereinten Nationen in der internationalen Sicherheitsarchitektur, in: Waldemar Hummer (Hrsg.), Sicherheit und Terrorismus, 2005, 55–97; vgl. auch Frowein (Anm. 113), 886 ff. 136
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mend aufgeweicht.146 Auch lässt sich der Rat immer stärker von einem abstrakten Gefahrenverständnis bei der Anwendung von Art. 39 UN-Charta leiten.147 bb) Zaghafte rechtsstaatliche Eingrenzung des Sanktionsregimes Etwas anders gelagerte Entwicklungsverläufe sind hingegen in Bezug auf das Sanktionsregime zu beobachten. Die Umsetzung des seit 1999 bestehenden und in den Jahren 2001 bis 2003 erheblich verschärften Regimes erweist sich in der Folgezeit als weitgehend defizitär.148 Die verhängten Reisesanktionen und das Waffenembargo entfalten nicht die erhoffte Wirkung, unter anderem, weil die Staaten ihren Umsetzungspflichten nur partiell nachkommen.149 Ein Grund hierfür liegt darin, dass das im Sanktionsausschuss praktizierte Verfahren der Auflistung verdächtiger Personen menschenrechtliche Bedenken aufwirft.150 Denn obwohl die Listen die Basis für weitreichende Eingriffe in individuelle Freiheitsrechte darstellen, haben die Betroffenen keine Möglichkeit, die Korrektheit der Eintragung überprüfen zu lassen. Auf die zunehmend lauter werdende menschenrechtliche Kritik reagiert der Sicherheitsrat nur zögerlich. Der internationale Menschenrechtsschutz wird, wenn überhaupt, nur pauschal in seinen Beschlüssen erwähnt.151 Immerhin findet aber bereits ab dem Jahr 2004 eine gewisse rechtsstaatliche Verengung der bis dato extensiv gehandhabten Listung statt.152 Zwar erweitert der Sicherheitsrat das Mandat des „1267-Sanktionsausschusses“, indem er die Staaten zur Zusammenarbeit mit der OECD und Interpol zur Erforschung grenzüberschreitender Geldund Datenbewegungen auffordert und zu diesem Zweck ein „Analytical Support
146 Thomas Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel, in: Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51, 63. 147 Vgl. Walter (Anm. 30), Rn. 65; Meiser/von Buttlar (Anm. 73), 24. 148 Christian Schaller, Die Richtigen treffen. Die Vereinten Nationen und die Probleme zielgerichteter Sanktion, VN 2005, 132–138. 149 Schaller (Anm. 52), 21. 150 Dazu Eric Rosand, The Security Council’s Efforts to Monitor the Implementation of Al-Qaeda/Tailban Sanctions, AJIL 98 (2004), 745, 748 ff.; Hans Köchler, Gobal Justice or Global Revenge, 2003, 325 ff.; Foot (Anm. 63), 496 ff.; Manfred Mimler, Terrorismusbekämpfung bei den Vereinten Nationen, VN 2013, 120, 121; Ginsborg (Anm. 122), 612 ff. 151 Vgl. S/RES/1456 (2003) vom 20.1.2003, Ziff. 6; S/RES/1566 (2004) vom 8.10.2004, Ziff. 6; S/RES/1624 (2005) vom 14.9.2005, Ziff. 6. 152 Ähnlich Romaniuk (Anm. 19), 76 f.
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and Sanctions Monitoring Team“ errichtet.153 Gleichzeitig verlangt er aber von den Mitgliedstaaten, ihm präzisere Hintergrundinformationen zur Listung mutmaßlicher Terroristen und zu verhängten Maßnahmen zu übermitteln.154 Auch konkretisiert der Sicherheitsrat erstmals das Merkmal der „Verbindung“ zwischen einem Unternehmen und Al Qaida155 und ordnet eine regelmäßige Überprüfung nicht nur der Berichtspflichten der Staaten, sondern auch der Terrorlisten an.156 Ebenfalls begrenzt er das Einfrieren des Vermögens insoweit, als Beträge, die dem grundlegenden Lebensunterhalt dienen, aus humanitären Gründen von der Sperre ausgenommen werden.157 cc) Prozedurale und substantielle Verfeinerungen der Anordnungen aus Resolution 1373 (2001) Ein ähnlich ambivalentes Bild lässt sich in Bezug auf die Anordnungen zeichnen, die der Sicherheitsrat in der Resolution 1373 (2001) getroffen hat. Zwar unterstreichen zahlreiche Sicherheitsratsresolutionen aus den Jahren 2001 bis 2005 noch einmal die dort genannten Aufforderungen.158 Schnell zeigt sich jedoch auch hier, dass die auf der Resolution 1373 (2001) gegründete Überwachungsstruktur Mängel aufweist. Zum einen offenbaren sich Überlappungen zwischen den Tätigkeiten des Sanktionsausschusses und des „Counter Terrorism Committee“ angesichts ähnlicher Mandate, insbesondere bei der Kontrolle der staatlichen Berichtspflichten.159 Um Konfusionen und Bearbeitungsdefizite zu vermeiden, ruft der Sicherheitsrat beide Ausschüsse dazu auf, ihre Maßnahmen besser zu koordi153
S/RES/1526 (2004) vom 30.1.2004, Ziff. 1, 3, 6 und 7. Das Monitoring Team ersetzt die aus fünf Personen bestehende Monitoring-Gruppe, die durch S/RES/1363 (2001) vom 30.7.2001 eingesetzt worden und zwischenzeitlich starker Kritik ausgesetzt war, vgl. Rosand (Anm. 150), 753–755. 154 Vgl. S/RES/1526 (2004) vom 30.1.2004, Ziff. 17; S/RES/1617 (2005) vom 29.7.2005, Ziff. 4, 5. 155 S/RES/1617 (2005) vom 29.7.2005, Ziff. 2, 3. 156 S/RES/1822 (2008) vom 30.6.2008; dazu auch Mimler (Anm. 150), 125. 157 S/RES/1452 (2002) vom 20.12.2002, Ziff. 1 lit. a) – lit. b). 158 Vgl. S/RES/1377 (2001) vom 12.11.2001, Erwägungsgrund 10; S/RES/1438 (2002) vom 14.10.2002, Ziff. 3; S/RES/1440 (2002) vom 24.10.2002, Ziff. 4; S/RES/1450 (2002) vom 13.12.2002, Ziff. 3; S/RES/1455 (2003) vom 17.1.2003, Ziff. 5; S/RES/1456 (2003) vom 20.1.2003, Annex, Ziff. 2a; S/RES/1465 (2003) vom 13.2.2003, Ziff. 3; S/RES/1516 (2003) vom 20.11.2003, Ziff. 3; S/RES/1530 (2004) vom 11.3.2004, Ziff. 3; S/RES/1566 (2004) vom 8.10.2004, Ziff. 4; S/RES/1611 (2005) vom 7.7.2005, Ziff. 3; S/RES/1618 (2005) vom 4.8.2005, Ziff. 7. 159 Vgl. Foot (Anm. 63), 495; Romaniuk (Anm. 19), 73 f.
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nieren.160 Da sich bei den Staaten außerdem eine „reporting fatigue“ bemerkbar macht,161 werden beide Ausschüsse dazu angehalten, ihre Beratungs- und Überwachungstätigkeit durch offizielle Länderbesuche zu verstärken.162 Zum anderen erweist sich, dass das „Counter Terrorism Committee“ mit seinem kleinen Expertenapparat angesichts der Berichtsflut stark überlastet ist.163 Mit Resolution 1535 (2004) ordnet der Sicherheitsrat dem Committee daher drei Unterausschüsse und ein Exekutivdirektorium (Counter-Terrorism Committee Executive Directorate, CTED) bei, die die Monitoring-Aufgabe des Ausschusses dadurch unterstützen sollen, dass sie die in Umfang, Inhalt und Form durchaus uneinheitlichen Implementierungsberichte der Staaten164 auswerten und technische Hilfe bei ihrer Erstellung leisten.165 Ferner wird das Exekutivdirektorium beauftragt, die Koordination innerhalb des UN-Systems sowie mit anderen intergouvernementalen Organisationen und mit Interpol zu verbessern.166 Auch die Unterabteilung für Terrorismusprävention (Terrorism Prevention Branch, TPB) innerhalb des Wiener UN-Büros für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) wird in diese Koordinierungs- und Kontrollaufgabe eingebunden.167 Sie soll die Staaten durch Vermittlung von technischem Know-how darin unterstützen, den Anti-Terrorismusverträgen beizutreten und diese innerstaatlich umzusetzen.168 160
S/RES/1455 (2003) vom 17.1.2003, Ziff. 3. Vgl. S/RES/1456 (2003) vom 20.1.2003, Annex, Ziff. 4, sowie näher HinojosaMartínez (Anm. 129), 642. 162 S/RES/1455 (2003) vom 17.1.2003, Ziff. 11. Zu diesen Staatenbesuchen näher Neusüß (Anm. 4), 111–113. 163 Witschel/Brandes (Anm. 57), 41; Rosenow (Anm. 12), 22. Einen strukturierten Überblick über den Inhalt der Staatenberichte, die der „Legislativbefugnis“ des Sicherheitsrats teils zustimmend, teils ablehnend und teils skeptisch gegenüberstehen, gibt Neusüß (Anm. 4), 244–328. 164 Dazu näher de Jonge Oudraat (Anm. 71), 162 f. 165 Vgl. S/RES/1535 (2004) vom 26.3.2004, Ziff. 1 ff. Mandatsverlängerung des CTED durch S/RES/1787 (2007) vom 10.12.2007, Ziff. 1; S/RES/1805 (2008) vom 20.3.2008, Ziff. 2; S/RES/1963 (2010) vom 20.12.2010, Ziff. 2; S/RES/2129 (2013) vom 17.12.2013, Ziff. 2. 166 Vgl. S/RES/1699 (2006) vom 8.8.2006, Ziff. 1. Einzelheiten bei Romaniuk (Anm. 19), 75, 91 f. 167 Vgl. Schaller (Anm. 52), 21; sowie eingehend Marta Requena, The Role of the United Nations Office on Drugs and Crime’s Terrorism Prevention Branch, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 591 ff. 168 Eric Rosand, Den Terrorismus weltweit bekämpfen – Die Rolle der Vereinten Nationen, VN 2009, 99, 100, sowie jüngst eingehend A/RES/70/177 vom 17.12.2015, Ziff. 2 ff. 161
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Neben diesen verfahrensrechtlichen Vorstößen lassen sich auch substantielle Verfeinerungen der den Mitgliedstaaten durch Resolution 1373 (2001) auferlegten Präventions- und Strafverfolgungspflichten feststellen. Nach dem Massaker in Beslan legt der Sicherheitsrat in der von Russland initiierten Resolution 1566 (2004)169 erstmals die aus seiner Sicht erforderlichen Tatbestandsmerkmale einer terroristischen Straftat unter Rückgriff auf die Finanzierungskonvention von 1999 dar170 und schafft damit eine solidere Arbeitsgrundlage für künftige Resolutionen. Außerdem ruft der Sicherheitsrat in Reaktion auf die Terroranschläge in Madrid (2004) und London (2005) die Staaten mit Resolution 1624 (2005) dazu auf, auch die Aufstachelung zur Begehung terroristischer Handlungen zu unterbinden.171 Dazu zählen insbesondere die Verhinderung der Verbreitung rassistischer und terroristischer Ideologien in Bildungs-, Kultur- und religiösen Einrichtungen.172 Obgleich diese Resolution nicht unter die Ägide von Kapitel VII der UN-Charta gestellt ist, fordert der Sicherheitsrat hier doch staatliches Handeln in einer komplizierten Grauzone zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der zu kriminalisierenden Aufstachelung zu Hass und Gewalt, ohne irgendwelche juristisch handhabbaren Trennlinien zu benennen.173 dd) Problem der Massenvernichtungswaffen und Errichtung des „1540-Committee“ (2004) Darüber hinaus beschließt der Sicherheitsrat mit Resolution 1540 (2004) einen weiteren Maßnahmenkatalog, um Bedrohungen entgegenzutreten, die entstehen, wenn Terroristen die Verfügungsgewalt über Massenvernichtungswaffen erlangen. Hierbei greift er auf die Vorarbeiten der Generalversammlung zurück, die sich dem Thema bereits in den Jahren 2002 und 2003 gewidmet hatte.174 Die Staaten 169
Zum Hintergrund vgl. Romaniuk (Anm. 19), 74 f. S/RES/1566 (2004) vom 8.10.2004, Ziff. 3. 171 S/RES/1624 (2005) vom 14.9.2005, Ziff. 1. 172 S/RES/1624 (2005) vom 14.9.2005, Ziff. 2, 3. 173 Kritisch auch Witschel/Brandes (Anm. 57), 46. Andere Akzentsetzung bei Yaël Ronen, Terrorism and freedom of expression in international law, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 437, 451 f., die die Sicherheitsratsresolution 1624 (2005) eng auslegt und ihr nur das Verbot eines „direct call to commit a terrorist act“ entnimmt. 174 Zu den Vorarbeiten der Generalversammlung vgl. A/RES/57/83 vom 22.11.2002, Ziff. 1 f.; A/RES/57/27 vom 15.1.2003, Ziff. 17; A/RES/58/48 vom 8.12.2003, Ziff. 1 f. Auch in späteren Jahren befasst sich die Generalversammlung immer wieder mit Maßnahmen, um Terroristen den Zugang zu Massenvernichtungswaffen abzuschneiden, vgl. A/RES/59/80 vom 3.12.2004, Ziff. 1 f.; A/RES/60/73 vom 8.12.2005, Ziff. 1; A/RES/60/78 vom 8.12.2005, Ziff. 1; A/RES/61/86 vom 6.12.2006, Ziff. 1, 3 f.; A/RES/62/33 vom 170
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werden dazu aufgerufen, jede Form von Unterstützung nichtstaatlicher Akteure bei der Herstellung, Erlangung, Weitergabe oder Verwendung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen zu unterlassen, derartige Handlungen durch nationale Gesetze zu verbieten sowie zur Durchsetzung dieser Gesetze Export- und Umschlagskontrollregime für den Umgang mit derartigen Waffen einzurichten.175 Zur Überwachung dieser Pflicht errichtet der Sicherheitsrat erneut ein weiteres Nebenorgan, nämlich den sog. „1540-Ausschuss“. Dessen Mandat war zunächst auf zwei Jahre begrenzt,176 ist aber in den vergangenen Jahren immer wieder verlängert worden.177 Mit dem Sanktionsausschuss und seinem Monitoring-Team, dem „Counter Terrorism Committee“ und seinem Exekutivdirektorium hat der Sicherheitsrat im Jahre 2004 also den dritten Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung geschaffen und somit zur weiteren Fragmentierung des UN-Anti-Terrorismussystems, der Ausuferung seines „Unterbaus“ und zur Inflationierung der staatlichen Berichtspflichten beigetragen.178 Immerhin gelingt es der Generalversammlung im Jahre 2005, den Vertragstext einer Konvention zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen fertigzustellen.179 Nachdem die Konvention am 7. Juli 2007 in Kraft treten konnte,180 zählt sie heute 107 Vertragsstaaten181 und harmonisiert so das bislang stark zersplitterte Handlungsfeld. 2. Die Generalversammlung als „menschenrechtliches Gewissen“ der Vereinten Nationen Im Vergleich zum Sicherheitsrat reagiert die Generalversammlung auf das weltpolitische Geschehen der Anfangsjahre des 21. Jahrhunderts insgesamt etwas 5.12.2007, Ziff. 3 f.; A/RES/63/60 vom 2.12.2008, Ziff. 1, 3; A/RES/64/38 vom 2.12.2009, Ziff. 1, 3 f.; A/RES/65/62 vom 8.12.2010, Ziff. 1, 3 f.; A/RES/66/50 vom 2.12.2011, Ziff. 1, 3 f.; A/RES/69/39 vom 2.12.2014, Ziff. 1, 3 f. 175 S/RES/1540 (2004) vom 28.4.2004, Ziff. 1–3. 176 Vgl. S/RES/1540 (2004) vom 28.4.2004, Ziff. 4. Auch in diesem Ausschuss sind nur die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates vertreten. 177 Vgl. S/RES/1673 (2006) vom 27.4.2006, Ziff. 4; S/RES/1810 (2008) vom 25.4.2008, Ziff. 6. 178 Kritisch auch Witschel/Brandes (Anm. 57), 43; Jane Boulden, The Security Council and Terrorism, in: Vaughan Lowe u.a. (Hrsg.), The United Nations Security Council and War, 2008, 608, 617 f. 179 Vgl. A/RES/59/290 vom 13.4.2005, Ziff. 1 f. und Annex, UNTS, Vol. 2149, 256; BGBl. 2007 II, 1586. 180 A/RES/63/60 vom 2.12.2008, Erwägungsgrund 8. 181 Vgl. https://treaties.un.org/Pages/ViewDetailsIII.aspx?src=IND&mtdsg_no=XVIII15&chapter=18&Temp=mtdsg3&clang=_en (letzter Zugriff am 25.11.2016).
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zurückhaltender. Obwohl sie die Terrorattacken auf das World Trade Center in der Resolution 65/1 vom 12. September 2001 auf das Schärfste verurteilt,182 findet sich dort z.B. kein Hinweis auf das Selbstverteidigungsrecht.183 Entsprechendes gilt für die Reaktionen auf die Anschlagsserie der Jahre 2002 bis 2005, wo die Generalversammlung stets bloß allgemein die verheerenden Auswirkungen des Terrorismus beklagt184 und im Wesentlichen ihre Forderungen wiederholt, die sie bereits in den 1990er Jahren vorgebracht hatte. Dazu zählen die uneingeschränkte Verurteilung terroristischer Gewaltakte,185 das Verbot der Finanzierung von Terrororganisationen,186 das Verbot, Terroristen Unterschlupf („save haven“) zu gewähren,187 die umfängliche Verpflichtung zur strafrechtlichen Ahndung von terroristischen Gewalttaten,188 der Ausbau internationaler Kooperation189 und der Beitritt zu den Anti-Terrorismuskonventionen.190 Neu ist lediglich, dass die Generalversammlung seit Dezember 2001 ihre Appelle mit einem Verweis auf die Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) verknüpft.191
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A/RES/56/1 vom 12.9.2001, Ziff. 1. Hierzu auch Tietje/Nowrot (Anm. 26), 5. 184 Vgl. z.B. A/RES/58/174 vom 22.12.2003, Ziff. 4; A/RES/59/195 vom 20.12.2004, Erwägungsgrund 19 und Ziff. 5. 185 A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Ziff. 1 f.; A/RES/56/160 vom 19.12.2001, Ziff. 2 f., 9; A/RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 1 f.; A/RES/58/174 vom 22.12.2003, Ziff. 10 f.; A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 1 f.; A/RES/59/195 vom 20.12.2004, Ziff. 1; A/RES/ 60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 1 f. Auch die Geiselnahme wird nunmehr explizit zu terroristischen Anschlägen gezählt und uneingeschränkt verurteilt, vgl. A/RES/57/220 vom 18.12.2002, Ziff. 1 f.; A/RES/61/172 vom 19.12.2006, Ziff. 1 f. 186 A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Ziff. 5; A/RES/57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 5; A/ RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 5; A/RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 5. 187 A/RES/56/160 vom 19.12.2001, Ziff. 7; A/RES/58/174 vom 22.12.2003, Ziff. 8; A/RES/59/195 vom 20.12.2004, Ziff. 9. 188 A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 6 f.; A/RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 6 f. Zur Erleichterung der Umsetzung dieser Forderungen gibt das Generalsekretariat seit 2002 einen Band heraus, in dem einzelstaatliche Maßnahmen aufgelistet werden, die die Staaten zu Prävention und Verhinderung des internationalen Terrorismus ergreifen, was die Generalversammlung mehrfach explizit begrüßt hat, vgl. A/RES/57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 13 f.; A/RES/58/187 vom 22.12.2003, Ziff. 5; A/RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 17. 189 A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Ziff. 4; A/RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 4; A/ RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 4. 190 A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Ziff. 7; A/RES/57/27 vom 19.11.2002, Ziff. 7; A/ RES/58/81 vom 9.12.2003, Ziff. 7; A/RES/59/46 vom 2.12.2004, Ziff. 9; A/RES/60/43 vom 8.12.2005, Ziff. 10. 191 Vgl. z.B. A/RES/56/88 vom 21.12.2001, Erwägungsgrund 7 und Ziff. 7; A/RES/ 59/195 vom 20.12.2004, Ziff. 10 f., sowie Neusüß (Anm. 4), 237 f. 183
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Davon abgesehen macht sich die Generalversammlung – im Unterschied zum Sicherheitsrat, der primär auf strafrechtliche und militärische Maßnahmen setzt – zunehmend für eine einheitliche Strategie im Sinne eines normativen Rahmens stark, der den Menschenrechtsschutz in den Mittelpunkt stellt.192 In einer Reihe von Resolutionen, die den Titel „Human rights and terrorism“ tragen, erinnert die Generalversammlung die Staaten nachdrücklich daran, dass jede Anti-Terrormaßnahme mit dem Menschenrechtsschutz, dem Flüchtlingsrecht und dem humanitären Völkerrecht in Einklang stehen muss.193 Sie ermuntert die Staaten, die Vereinbarungen des Wiener Weltgipfels 2005 zu berücksichtigen,194 und ersucht den UNHochkommissar für Menschenrechte, sich dieser Frage im Rahmen seines Mandats resolut und in Kooperation mit den Mitgliedstaaten anzunehmen.195 Die zentrale Klausel des Art. 4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, in der wesentliche Menschenrechte auch im Notstand für nicht derogierbar erklärt werden, findet erstmals Erwähnung in einer Resolution aus dem Jahre 2004.196 Dort wird auch darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung des Terrorismus keine Maßnahmen rechtfertigt, die den mutmaßlichen Terroristen für „vogelfrei“ erklären und seine Würde verletzen.197 Spätere Entschließungen betonen darüber hinaus, dass jede stereotypische Identifizierung von Terroristen mit bestimmten Religionen, Kulturen und Staatsangehörigkeiten abzulehnen ist198 und dass die Staaten die „non-refoulement“-Verpflichtung der Genfer Flüchtlingskonvention strikt zu beachten haben.199
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Rosenow (Anm. 12), 26 f. Vgl. A/RES/57/219 vom 18.12.2002, Ziff. 1; A/RES/58/187 vom 22.12.2003, Ziff. 1; A/RES/59/191 vom 20.12.2004, Ziff. 1; A/RES/60/158 vom 16.12.2005, Ziff. 1. 194 Vgl. A/RES/57/219 vom 18.12.2002, Ziff. 2; A/RES/58/174 vom 22.12.2003, Ziff. 13; A/RES/60/158 vom 16.12.2005, Ziff. 11. 195 A/RES/57/219 vom 18.12.2002, Ziff. 3 lit. a) – lit. c); A/RES/58/187 vom 22.12.2003, Ziff. 9 lit. a) – lit. c), 10; A/RES/59/191 vom 20.12.2004, Ziff. 11 lit. a) – lit. c); A/RES/60/158 vom 16.12.2005, Ziff. 18 lit. a) – lit. c). 196 A/RES/59/191 vom 20.12.2004, Ziff. 2. Spätere Inbezugnahmen z.B. in A/RES/60/158 vom 16.12.2005, Ziff. 3; A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 4; A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 5; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 5. 197 A/RES/59/191 vom 20.12.2004, Ziff. 4. Wiederholung etwa in: A/RES/60/158 vom 16.12.2005, Ziff. 7; A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 14, 16. 198 Vgl. A/RES/59/195 vom 20.12.2004, Ziff. 3; A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 7. 199 Vgl. A/RES/60/158 vom 16.12.2005, Ziff. 5. 193
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IV. Vierte Phase: Der Versuch einer kohärenten Anti-Terrorismusstrategie unter dem Dach der Vereinten Nationen Haben die Anschläge zwischen 2001 und 2005 die Bedeutung des Sicherheitsrats spürbar erhöht und die Generalversammlung in eine eher reaktive Rolle gedrängt, rücken im Jahre 2006 wiederum die Aktivitäten der Generalversammlung in den Vordergrund. 1. „UN Global Counter-Terrorism Strategy“ der Generalversammlung (2006) Die am 8. September 2006 im Konsens angenommene GeneralversammlungsResolution 60/288 mit dem Titel „The United Nations Global Counter-Terrorism Strategy“200 bildet nun den strategischen und operativen Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung unter dem Dach der Vereinten Nationen und richtet den Fokus auf eine umfassende, nicht allein auf Sicherheitsaspekte beschränkte Terrorbekämpfung.201 Ziel der Strategie ist ein gemeinsames, gebündeltes und koordiniertes Vorgehen der Weltorganisation und ihrer Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Völkerrechts. Nach der Vorstellung der Generalversammlung tragen zwar die Staaten die Hauptverantwortung; dennoch sollen die UN-Organe unter der Leitung der vom Generalsekretär im Jahre 2005 errichteten „CounterTerrorism Implementation Task Force“ (CTITF), in der rund 25 Institutionen vertreten sind,202 eine wichtige Rolle bei der Terrorismusbekämpfung einnehmen.203 In regelmäßigen zweijährigen Abständen wird die Anti-Terrorismusstrategie durch die Generalversammlung überprüft und angepasst;204 erstmals fand dieser Review im Jahr 2008 statt.205 Inhaltlich beruht die Strategie der Generalversammlung auf vier Säulen, die durch einen ihr als Annex beigefügten Aktionsplan präzisiert werden. Dieser Aktionsplan führt bereits bestehende Standards und Maßnahmen der UN-Organe zusammen206 und basiert weitgehend auf dem wegweisenden Bericht „Uniting against terrorism: recommendations for a global counter-terrorism strategy“ des 200
A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Ziff. 2. Vgl. Rosand (Anm. 168), 99. 202 Dazu Schaller (Anm. 52), 23 f.; Rosenow (Anm. 12), 23 f. 203 Vgl. z.B. A/RES/66/282 vom 29.6.2012, Ziff. 5, sowie Rosand (Anm. 168), 99 f.; Romaniuk (Anm. 19), 90 f. 204 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Ziff. 3b. 205 A/RES/62/272 vom 5.9.2008; vgl. ferner A/RES/64/297 vom 8.9.2010; A/RES/ 66/282 vom 29.6.2012; A/RES/68/276 vom 13.6.2014. 206 Vgl. Rosand (Anm. 168), 100; näher Boulden (Anm. 10), 568 f. 201
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ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan.207 Lediglich der Unterpunkt der „Abschreckung“, den der Generalsekretär seinerzeit vorgeschlagen hatte, hat in Ermangelung einer allseits konsentierten Terrorismusdefinition keine Aufnahme in das Strategiepapier gefunden.208 Zu den vier Säulen zählen zunächst Maßnahmen zur Beseitigung derjenigen Bedingungen, die die Ausbreitung des Terrorismus begünstigen. Im Blickfeld stehen Überlegungen zur Ursachenbekämpfung und zur Konfliktprävention, zur Menschenrechts- und Demokratieerziehung und zur Armuts- und Arbeitslosigkeitsbekämpfung.209 Interessant ist, dass auch der Sicherheitsrat diesen Kausalzusammenhang der „root causes“ für die Geißel des Terrorismus erkennt,210 allerdings in mancher Resolution den Wirkungszusammenhang anders beleuchtet. Nicht Unterentwicklung sei die Wurzel von Terrorismus, sondern Terrorismus sei Ursache für wirtschaftliche Destabilisierung, lautet etwa die Botschaft von Resolution 1377 (2001).211 Zweitens erwägt das Strategiepapier Maßnahmen, die den Terrorismus allgemein bekämpfen, indem Terroristen diejenigen Mittel entzogen werden, mit denen sie üblicherweise Anschläge vornehmen. Dazu zählen insbesondere die Austrocknung der legalen wie illegalen Finanztransaktionen an Terrororganisationen und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, namentlich der Geldwäsche.212 Erwartet werden zudem ein intensiverer Informationsaustausch zwischen den Staaten, eine Verschärfung der Grenzkontrollen und höhere Sicherheitsstandards bei Reisedokumenten und für verletzliche Infrastrukturen. Insoweit wird auch eine engere Kooperation der Staaten mit dem Sanktionsausschuss, dem „Counter Terrorism Committee“ und dem „1540-Ausschuss“ angemahnt.213 Drittens empfiehlt die Generalversammlung Maßnahmen zum Aufbau der staatlichen und zwischenstaatlichen Kapazitäten bei der präventiven Terrorismusbekämpfung. Zum einen sollen hierfür das UN-System und seine Programme gestärkt und rationalisiert werden.214 Zum anderen werden die Staaten dazu aufge207
Vgl. A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Ziff. 1 mit explizitem Verweis auf A/60/825 vom 27.4.2006. Näher dazu Schaller (Anm. 52), 24 f.; Rosenow (Anm. 12), 18 f., 30. 208 Vgl. Romaniuk (Anm. 19), 88. 209 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. I.1.–I.8. 210 Vgl. S/RES/1377 (2001) vom 12.11.2001, Erwägungsgrund 7; S/RES/1456 (2003) vom 20.1.2003, Ziff. 10; dazu auch Götsch (Anm. 47), 479. 211 S/RES/1377 (2001) vom 12.11.2001, Erwägungsgründe 7 ff. 212 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. II.1–II.8. 213 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. II.9.–II.18. Vgl. auch S/RES/1699 (2006) vom 8.8.2006, Ziff. 1. 214 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. III.1, III.5–III.7.
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rufen, freiwillige Beiträge in einen Anti-Terrorismusfonds zu leisten, um dessen „capacity building“-Programme auszuweiten.215 Ferner sollen die Berichtspflichten der Staaten im Bereich der Terrorismusbekämpfung effektuiert werden,216 etwa durch regelmäßige informelle Treffen zum Informationsaustausch, auch unter Beteiligung von Regionalorganisationen,217 und durch Länderbesuche.218 Viertens wird schließlich die Gewährleistung von Menschenrechten und der Rule of Law als wesentliche Grundlage des Kampfes gegen den Terrorismus betont. Die Staaten werden aufgefordert, die universellen Menschenrechtsabkommen zu ratifizieren und umzusetzen sowie ein rechtsstaatliches und unabhängiges Justizsystem zu schaffen.219 Der im Jahre 2006 gegründete Menschenrechtsrat, das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte und der UN-Sonderberichterstatter im Bereich der Menschenrechte werden ersucht, ihre Kontrollen zu verstärken, etwa durch Feldmissionen, Länderbesuche und die Einrichtung von Regionalbüros.220 2. Konsequenzen aus der Strategie a) Konsolidierung der Generalversammlungs-Resolutionen Die Strategie von 2006 und ihre konstante Überprüfung und Anpassung infolge des Review-Verfahrens haben dazu beigetragen, dass sich Anti-Terrorismusaktivitäten der Vereinten Nationen in den vergangenen Jahren konsolidiert haben.221 Zahlreiche jüngere Resolutionen der Generalversammlung nehmen auf die Strategie Bezug und entsprechen ihr sogar in Duktus und Inhalt.222 Aber auch zusätzliche Aspekte der Terrorismusbekämpfung kommen in einigen Empfehlungen zur Sprache. So ruft die Generalversammlung die Staaten dazu auf, bei der 215
A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. III.1. A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. III.3. 217 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. III.2, III.4. Bereits im Jahr 2005 hat der Sicherheitsrat die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Vereinten Nationen mit verschiedenen Regionalorganisationen, insbesondere in Afrika, im Bereich der Konfliktprävention, der Unterbindung des Waffenhandels und der Terrorismusbekämpfung hervorgehoben, vgl. S/RES/1631 (2005) vom 17.10.2005, Ziff. 1 ff. 218 Vgl. Rosand (Anm. 168), 100. 219 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. IV.3, IV.4. 220 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. IV.6–IV.8. 221 Rosenow (Anm. 12), 31 f. 222 Vgl. z.B. A/RES/61/40 vom 4.12.2006; A/RES/62/71 vom 6.12.2007; A/RES/63/129 vom 11.12.2008; A/RES/64/118 vom 16.12.2009; A/RES/65/34 vom 6.12.2010; A/RES/ 66/105 vom 9.12.2011; A/RES/67/99 vom 14.12.2012; A/RES/68/119 vom 16.12.2013; A/RES/69/127 vom 10.12.2014; A/RES/70/120 vom 14.12.2015. 216
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Freiheitsentziehung mutmaßlicher Terroristen rechtsstaatliche Prinzipien zu wahren.223 Die absolute Geltung des Folterverbots wird ebenso in Erinnerung gerufen wie die Geltung des Verbots systematischer Rassendiskriminierung.224 Die Beachtung des internationalen Flüchtlingsrechts und vor allem des Prinzips des „non-refoulement“ werden unterstrichen.225 Ferner werden ab 2009 auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte in Bezug genommen, da auch diese nach Ansicht der Generalversammlung durch Anti-Terrormaßnahmen in Gefahr geraten.226 Seit 2011 wird das Recht auf Privatsphäre hervorgehoben,227 und seit 2013 werden sogar Prinzipien der „gender equality“ thematisiert.228 In jüngster Zeit wird das Augenmerk zusätzlich auf die intensive Medienvernetzung von Terrororganisationen gerichtet und das damit verbundene Risiko von Cyberattacken angesprochen.229 Im Jahre 2014 finden erstmals die sog. „foreign terrorist fighters“ und die neuartige Bedrohung Erwähnung, die durch einzelne Akteure transnational agierender Terrornetzwerke besteht.230 Ganz grundsätzlich bezieht sich die Generalversammlung in ihren Empfehlungen auf vorangegangene Fest-
223
Vgl. A/RES/61/171 vom 19.12.2006, Ziff. 8; A/RES/62/159 vom 18.12.2007, Ziff. 9, 10; A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 12–14; A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 6b–d; A/RES/65/221 vom 21.12.2010, Ziff. 6b–d; A/RES/66/171 vom 19.12.2011, Ziff. 6b–d; A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 6b–d; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 6b–f. 224 A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 7, 8; A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 6a, 6l, 6m; A/RES/65/221 vom 21.12.2010, Ziff. 6a, 6l, 6m, 6n; A/RES/66/171 vom 19.12.2011, Ziff. 6a, 6m, 6n; A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 6a, 6m, 6n; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 6a und 6p. 225 A/RES/62/159 vom 18.12.2007, Ziff. 7, 8; A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 9 f.; A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 6h, 6i, 6k; A/RES/65/221 vom 21.12.2010, Ziff. 6i, 6j; A/RES/66/171 vom 19.12.2011, Ziff. 6j, 6k; A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 6j, 6k; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 6l. 226 A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 6f; A/RES/65/221 vom 21.12.2010, Ziff. 6g; A/RES/66/171 vom 19.12.2011, Ziff. 6h; A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 6h; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 6j. 227 A/RES/66/171 vom 19.12.2011, Ziff. 6g; A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 6g; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 6h–i. 228 A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 6r; A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 6t. 229 A/RES/66/282 vom 29.6.2012, Ziff. 19; A/RES/68/276 vom 13.6.2014, Ziff. 27. Zur Schwierigkeit, sich auf Maßnahmen gegen Cyberattacken multilateral zu einigen, vgl. Stefanie Schmahl, Cybersecurity, in: Berichte DGIR 47 (2016), 159, 180 ff. 230 A/RES/69/127 vom 10.12.2014, Ziff. 9. Vgl. auch A/RES/68/276 vom 13.6.2014, Ziff. 3, 25, 31; A/RES/70/120 vom 14.12.2015, Ziff. 9; A/RES/70/177 vom 17.12.2015, Erwägungsgrund 8.
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stellungen der verschiedenen UN-Menschenrechtsgremien231 sowie auf den Dialog, den diese mit dem Arbeitsstab der Task Force „CTITF“ beim Generalsekretariat führen.232 b) Menschenrechtliche Einhegung der sog. „targeted sanctions“ Ein weiterer wichtiger Schritt ist in der zunehmenden menschenrechtlichen Einhegung der sog. „targeted sanctions“ des Sicherheitsrats zu erblicken, auch wenn diese weniger durch die Strategie von 2006 denn primär durch gerichtliche Entscheidungen angestoßen worden ist. Bereits seit 2002 versuchen auf den Terrorlisten des Sanktionsausschusses aufgeführte Personen, sich gegen ihre Listung auf diplomatischem und gerichtlichem Wege zu wehren. Dies führt zunächst dazu, dass der Sicherheitsrat im Jahre 2006 ein De-Listing-Verfahren einführt. Beim Generalsekretariat wird ein sog. „Focal Point“ (Koordinierungsstelle) eingerichtet, der Streichungsersuchen Betroffener entgegennimmt und darauf überprüft, ob die Einwände gegen die Listung stichhaltig sind.233 Auch eine informelle Arbeitsgruppe zum Sanktions- und Listenverfahren wird gegründet mit dem Ziel, das Verfahren und dessen Wirkungen zu evaluieren.234 Ferner erweitert der Sicherheitsrat die Zeitspanne für Ausnahmeersuchen und sieht im Jahr 2006 erstmalig vor, dass die betroffenen Individuen über ihre Listung informiert werden.235 Im Jahre 2008 entscheidet der Sicherheitsrat des Weiteren, dass das Sanktionskomitee alle Namen auf der „Schwarzen Liste“ einer regelmäßigen Überprüfung unterziehen und die Listung mit öffentlich einsehbaren Gründen versehen soll.236 Die größte Kehrtwende in der Sanktionspolitik des Sicherheitsrates erfolgt jedoch im Blick auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kadi (2008), in der der Gerichtshof einer unkontrollierten Übernahme von Sicherheitsratsresolutionen mit Blick auf den europäischen Grundrechtsschutz widersprochen
231
Dazu Rosenow (Anm. 12), 30. Vgl. jüngst z.B. A/RES/70/148 vom 17.12.2015, Ziff. 14 ff. 232 Vgl. A/RES/61/171 vom 19.12.2006, Ziff. 10, 13, 14, 16; A/RES/62/159 vom 18.12.2007, Ziff. 12, 13, 16, 20; A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 17, 21, 24, 27; A/ RES/65/221 vom 21.12.2010, Ziff. 11, 12, 21; A/RES/66/171 vom 19.12.2011, Ziff. 13, 16, 17, 23; A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 7, 13, 15, 17, 20. 233 Vgl. S/RES/1730 (2006) vom 19.12.2006, Ziff. 1 und Annex. 234 Vgl. S/RES/1732 (2006) vom 21.12.2006, Annex. 235 S/RES/1735 (2006) vom 22.12.2006, Ziff. 5 ff., 13 ff. 236 S/RES/1822 (2008) vom 30.6.2008, Ziff. 12.
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hat.237 In Reaktion hierauf richtet der Sicherheitsrat mit Resolution 1904 (2009) eine Ombudsstelle ein, die seither den Sanktionsausschuss bei De-Listing-Verfahren unterstützt und insbesondere Ausnahmen aus humanitären Gründen zulassen kann.238 Im Jahr 2011 teilt der Sicherheitsrat zudem den Sanktionsausschuss in einen Taliban- und einen Al Qaida-Sanktionsausschuss auf.239 Während ersterer länderbezogen agiert und weiterhin vom im Jahre 2006 eingerichteten „Focal Point“ geleitet wird, ist der zweite Ausschuss von territorialen Bindungen losgelöst und unterliegt ausschließlich der Prozedur vor der Ombudsperson.240 Zwar wird hiermit kein im engen Sinne rechtsstaatliches Verfahren begründet,241 doch übernimmt das Büro der Ombudsstelle immerhin die Rolle eines unparteiischen Schiedsrichters,242 was auch die Generalversammlung lobend hervorhebt.243 Durch die Einrichtung der Ombudsstelle ist das UN-Verfahren der Listung terrorverdächtiger Personen auch den Erwartungen europäischer Rechtsstaatlichkeitsvorstellungen angenähert worden.244
237
EuGH, Urteil vom 3.9.2008, Rs. C-402/05 P u.a. – Kadi, Slg. 2008, I-6351. Fortgeführt und weiterentwickelt in EuG, Urteil vom 30.9.2010, Rs. T-85/09 – Kadi II, Slg. 2010, II-5177; EuGH, Urteil vom 18.7.2013, Rs. C-584/10 P u.a. – Kadi III, Rn. 95 ff. Vgl. nunmehr auch EGMR, Al-Dulimi u.a. / Schweiz, Urteil vom 26.11.2013, Nr. 5809/08, Rn. 111 ff., wonach die Schweiz Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt habe, da sie Individualsanktionen der UN auf der Grundlage der Resolution 1483 (2003) gegen das frühere irakische Regime umgesetzt habe, ohne wirksamen Rechtsschutz gegen die Listung auf nationaler Ebene zu garantieren. 238 S/RES/1904 (2009) vom 17.12.2009, Ziff. 20 ff. Zum Verfahren vor der Ombudsstelle näher Ginsborg (Anm. 122), 617 ff. 239 Vgl. S/RES/1988 (2011) und S/RES/1989 (2011), jeweils vom 17.6.2011; ferner siehe S/RES/2082 (2012) und S/RES/2083 (2012), jeweils vom 17.12.2012; S/RES/2160 (2014) und S/RES/2161 (2014), jeweils vom 17.6.2014, sowie jüngst S/RES/2253 (2015) vom 17.12.2015 und S/RES/2255 (2015) vom 21.12.2015. 240 Mimler (Anm. 150), 120, 122. 241 Mahnungen der Generalversammlung zur Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien bei der Verhängung von gezielten Sanktionen finden sich etwa in: A/RES/63/185 vom 18.12.2008, Ziff. 19; A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 9; A/RES/65/221 vom 21.12.2010, Ziff. 9; A/RES/68/178 vom18.12.2013, Ziff. 11. 242 Rosenow (Anm. 12), 25. 243 Vgl. A/RES/68/178 vom 18.12.2013, Ziff. 11; A/RES/68/276 vom 13.6.2014, Ziff. 40. 244 Vgl. dazu Andreas von Arnauld, Der Weg zu einem „Solange 1 ½“, EuR 2013, 236, 244 f.
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c) Gründung eines „UN Counter-Terrorism Centre“ beim Generalsekretariat Bislang nicht hinreichend erfüllt sind hingegen die Forderungen der Strategie 2006 zu einer besseren Bündelung und effektiveren Koordinierung aller Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung bei der dem Generalsekretär unterstehenden „Counter Terrorism Implementation Task Force“. In verschiedenen Resolutionen, die bis zum heutigen Tag reichen, beklagt die Generalversammlung dieses Defizit.245 Im November 2011 ist allerdings ein „UN Counter-Terrorism Centre“ unter der Leitung des Generalsekretärs gegründet worden, das sich der Förderung und Umsetzung genau dieser Punkte widmen soll und in den ersten drei Jahren seiner Tätigkeit von Saudi-Arabien finanziert wird.246 Hintergrund für diese ungewöhnlich generöse Haltung Saudi-Arabiens speziell im Kampf gegen den Terrorismus war ein fehlgeschlagenes Attentat auf den saudischen Botschafter bei den USA, das auch dazu führte, dass die Generalversammlung den Schutz diplomatischer und konsularischer Missionen und ihres Personals in ihren Resolutionen seither besonders unterstreicht.247 Das „UN Counter-Terrorism Centre“ hat im Jahre 2012 seine Tätigkeit aufgenommen und arbeitet eng und offensichtlich auch fruchtbar mit der „Counter Terrorism Implementation Task Force“ zusammen.248 3. Neuausrichtung bei der Bekämpfung des sog. Islamischen Staates? Ob seit dem Erstarken des sog. Islamischen Staates (IS) und der von ihm und seinen Terrorzellen ausgehenden gravierenden und zugleich diffusen Bedrohungen für die arabische und die westliche Welt ein neues Konzept des Sicherheitsrates und der Generalversammlung vorzufinden ist, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich beantwortet werden. Gesichert dürften allerdings schon jetzt drei Aspekte sein: Erstens erstreckt der Sicherheitsrat diejenigen gezielten Sanktionen, die er bislang nur gegen Al Qaida245 Vgl. A/RES/62/272 vom 5.9.2008, Ziff. 11; A/RES/64/168 vom 18.12.2009, Ziff. 15; A/RES/64/297 vom 8.9.2010, Ziff. 10 f.; A/RES/66/282 vom 29.6.2012, Ziff. 13; A/RES/68/276 vom 13.6.2014, Ziff. 16, 19. 246 Vgl. A/RES/66/10 vom 18.11.2011, Ziff. 2, 3. 247 Vgl. z.B. A/RES/66/12 vom 18.11.2011, Ziff. 2. 248 Zur Aufnahme der Arbeit des Zentrums vgl. A/RES/67/99 vom 14.12.2012, Ziff. 19; ferner A/RES/69/127 vom 10.12.2014, Ziff. 21. Zur Kooperation mit der „CTITF“ vgl. A/RES/68/276 vom 13.6.2014, Ziff. 29, 35, sowie eingehend Marc Porret, The Role of the United Nations Counter-Terrorism Implementation Task Force and the United Nations Counter-Terrorism Centre, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 572 ff.
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Verbündete verhängt hat, nunmehr auch auf Mitglieder und Anhänger des IS einschließlich der sog. „foreign terrorist fighters“.249 Dazu zählen Handelsverbote insbesondere mit Blick auf Ölvorräte und Waffen250 sowie das Einfrieren von Vermögen.251 Darüber hinaus erklärt der Sicherheitsrat, zweitens, besonders schwere terroristische Gewalttaten mittlerweile zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit.252 Auch die Verbrechen gegen das kulturelle Erbe im Irak und Syrien durch Plünderung und Zerstörung von Kunst- und Kulturschätzen werden ausdrücklich als barbarische Handlungen inkriminiert.253 Zu den gewonnenen Erkenntnissen aus der perversen Zerstörungslogik des IS zählt nämlich, dass kulturelle Verbrechen vielfach ein Indikator für und eine Begleiterscheinung von Mord und Vertreibungen sind.254 Mit dieser deutlichen Verurteilung werden erste Grundlagen geschaffen, um die Gräueltaten, die der IS, seine Terrorzellen und auch einzelne „terrorist fighters“ begehen, als Kriegsverbrechen oder als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden, obgleich das Völkerstrafrecht einen eigenständigen Verbrechenstatbestand des Terrorismus nicht kennt.255 Drittens geht der Sicherheitsrat vermehrt dazu über, intensivere Grenz- und Personenkontrollen anzumahnen256 und die UN-Mitgliedstaaten zu (auch) militärischen Maßnahmen gegen den IS in den von ihm besetzten Gebieten Syriens und des Irak aufzufordern.257 Als größte Schwierigkeit der 249
Vgl. S/RES/2170 (2014) vom 15.8.2014, Ziff. 7, 18 ff.; S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014, Ziff. 7, 20 ff.; S/RES/2199 (2015) vom 12.2.2015, Ziff. 13; S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Ziff. 7. Gezielte Sanktionen werden zunehmend auch in Bürgerkriegssituationen gegen Rebellengruppen und einzelne Rebellen verhängt, vgl. z.B. S/RES/2206 (2015) vom 3.3.2015, Ziff. 5 f.; kritisch hierzu Laura Nyantung Beny, Introductory Note to UN Security Council Resolution 2206 on Targeted Sanctions in South Sudan, 54 ILM (2015), 945 ff. 250 S/RES/2199 (2015) vom 12.2.2015, Ziff. 1; 24 ff. 251 S/RES/2199 (2015) vom 12.2.2015, Ziff. 21. 252 S/RES/2170 (2014) vom 15.8.2014, Ziff. 3. 253 S/RES/2199 (2015) vom 12.2.2015, Ziff. 15 ff.; S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Ziff. 3. 254 Sog. „cultural cleansing“, vgl. Sabine von Schorlemer, Der Schutz von Kulturerbestätten als Aufgabe der UN-Sicherheitspolitik, VN 2016, 3, 6. 255 Der Entwurf des IStGH-Statuts enthielt zwar einen Verbrechenstatbestand des Terrorismus; hiervon ist aber im Laufe der Verhandlungen wegen der Schwierigkeit, Terrorismus zu definieren, abgesehen worden, vgl. dazu Finke/Wandscher (Anm. 76), 172; Stefan Oeter, Terrorismus – Ein völkerrechtliches Verbrechen?, Die Friedens-Warte 76 (2001), 11 ff. Zur Subsumtion terroristischer Akte unter das IStGH-Statut im Lichte der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals eingehend Roberta Arnold, Terrorism, war crimes and the International Criminal Court, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 282, 284 ff. 256 S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014, Ziff. 2, 3. 257 Vgl. S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Ziff. 1, 5.
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Gegenwart dürfte sich freilich – neben der Klärung der Rechtsnatur des IS, der sich zunehmend als staatsähnliches Gebilde geriert258 – die Koordinierung der diversen militärischen, geopolitischen und humanitären Strategien herausstellen, die von den verschiedenen Akteuren verfolgt werden. Eine Stellungnahme des Sicherheitsrates gibt es hierzu bislang nicht.
C. Fazit und Ausblick Trotz der breitflächig angelegten Anti-Terrorstrategie der Generalversammlung existiert noch immer kein in sich geschlossenes und stringentes Anti-Terrorismuskonzept der Vereinten Nationen. Zwar ergänzen sich Sicherheitsrat und Generalversammlung gegenseitig; während die Generalversammlung mehr auf internationale Kooperation und multilaterale Konventionen setzt und die Entwicklung von „soft law“ befördert,259 befasst sich der Sicherheitsrat mit dem Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und erlässt sicherheitsrelevantes „hard law“. Diese unterschiedliche, aber komplementäre Ausrichtung beider Organe beim internationalen „standard setting“ ist prinzipiell ertragreich. Allerdings führt sie bisweilen auch zu Inkohärenzen, Reibungsverlusten und einem erheblichen Bürokratiezuwachs, der durch die Einsetzung verschiedener spezialisierter Ausschüsse und Expertengremien weiter befördert wird.260 Hinzu kommt, dass das UN-System die Terrorismusbekämpfung insgesamt als eine Querschnittsaufgabe betrachtet, die sich durch die gesamte UN-Familie – einschließlich ihrer Sonderorganisationen, Fonds und Programme – und durch andere intergouvernementale Organisationen zieht.261 Das Feld ist kaum noch überschaubar. Allein in den Resolutionen der Generalversammlung werden seit 1979 und verstärkt seit 2006 etwa die International Civil Aviation Organisation (ICAO) und die International Maritime Organisation (IMO),262 die International Atomic
258 Vgl. von Schorlemer (Anm. 254), 5 f. Zum Status des IS ausführlich Christian Tomuschat, The Status of the “Islamic State” under International Law, Die Friedens-Warte 90 (2015), 223 ff. 259 Vgl. Peterson (Anm. 10), 174, 192; Boulden (Anm. 10), 570 f. 260 Kritisch auch Schaller (Anm. 52), 26; Luck (Anm. 15), 101; Alistair Millar/Eric Rosand, Allied against Terrorism – What’s Needed to Strengthen Worldwide Commitment, 2006, 25 ff. 261 Schaller (Anm. 52), 13. 262 Vgl. A/RES/34/145 vom 17.12.1979, Ziff. 10; A/RES/40/61 vom 9.12.1985, Ziff. 12, 13; A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 9, 10; A/RES/44/29 vom 4.12.1989, Ziff. 10, 11; A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Ziff. 10.
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Energy Agency (IAEA),263 die International Criminal Police Organisation (ICPO), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationale Währungsfonds (IMF) als Mitstreiter bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus genannt.264 Der Sicherheitsrat ergänzt diese Liste um weitere Organisationen, etwa um Interpol.265 Dieses „muddling-through“266 führt dazu, dass die UN in Gesamtheit mittlerweile der größte Informationsträger über die weltweiten Anti-Terrorkapazitäten sind;267 ob diese Informationen auch sinnvoll gebündelt werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Darüber hinaus wird der Kampf gegen den Terror dadurch erschwert, dass die Vereinten Nationen nicht über hinreichende sachliche und personelle Ressourcen verfügen. So ist die Organisation mangels eigener nachrichtendienstlicher, exekutiver und militärischer Strukturen nicht in der Lage, konkrete terroristische Akte zu verhindern oder zu verfolgen.268 Die Weltorganisation bleibt nachhaltig auf die Hilfe und Kooperation der Mitgliedstaaten bei sämtlichen operativen Maßnahmen angewiesen.269 Nicht nur der gewaltsame Tod des Al Qaida-Chefs Osama bin Laden am 2. Mai 2011 in Pakistan zeigt jedoch, dass die Staaten in entscheidenden Punkten weiterhin unilateral vorgehen und die Richtungsvorgaben der Vereinten Nationen unbeachtet lassen.270 Dennoch ist das im Laufe der Jahrzehnte entwickelte internationale Regime zur Terrorismusbekämpfung durchaus auch positiv zu werten. Spätestens seit der Anti-Terrorismusstrategie von 2006 herrscht unter den Mitgliedstaaten der UN ein breiter Konsens darüber, dass terroristische Aktivitäten bekämpft und eliminiert werden müssen. Dass dies ein nicht zu unterschätzender politischer Erfolg der Staatengemeinschaft ist, wird vor allem deutlich, wenn man auf die ersten beiden Phasen der Terrorismusbekämpfung vergleichend zurückblickt. 263 A/RES/42/159 vom 7.12.1987, Ziff. 11; A/RES/44/29 vom 4.12.1989, Ziff. 13; A/RES/46/51 vom 9.12.1991, Ziff. 11; A/RES/52/165 vom 15.12.1997, Ziff. 10; A/RES/ 58/48 vom 8.12.2003, Erwägungsgrund 7; A/RES/60/73 vom 8.12.2005, Ziff. 4; A/RES/ 62/46 vom 5.12.2007, Ziff. 5; A/RES/65/74 vom 8.12.2010, Ziff. 5; A/RES/69/50 vom 2.12.2014, Ziff. 5. 264 A/RES/60/288 vom 8.9.2006, Annex, Ziff. II.14, III.8.–III.13. 265 Vgl. S/RES/1526 (2004) vom 30.1.2004, Ziff. 1, 3, 6, 7; S/RES/1699 (2006) vom 8.8.2006, Ziff. 1. 266 Begriff bei Rosenow (Anm. 12), 16. 267 Janka Oertel, Die Vereinten Nationen und die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2007, 229, 237; vgl. auch Götsch (Anm. 47), 482. 268 Klarsichtig Fassbender (Anm. 26), 75; Schaller (Anm. 52), 27. 269 Vgl. Luck (Anm. 15), 101. 270 Rosenow (Anm. 12), 40.
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Desiderate zur Verbesserung der Situation, die es freilich gibt, verweisen im Grunde stets auf eine grundsätzlichere Problematik. Um etwa eine umfassende Anti-Terrorismuskonvention aufzulegen, die die bestehenden sektoralen Konventionen zusammenfasst und mit einer größeren normativen Ausstrahlungskraft versieht,271 müssen sich die Staaten auf eine Definition terroristischer Akte einigen.272 Solange das nicht geschieht, wird das Handeln der Vereinten Nationen nur retardierend wirken können.273 Ein weiteres zentrales Problem besteht darin, dass die Richtungsentscheidungen, die der Sicherheitsrat trifft, von vielen Staaten nur bedingt mitgetragen werden, solange die Forderungen nach einer breiteren Teilhabe an den Entscheidungsprozessen und einer stärkeren Legitimation dieses Gremiums nicht erfüllt sind.274 Letztlich tut deshalb wohl eine Rationalisierung der Aktivitäten von Sicherheitsrat und Generalversammlung not. Dies bedeutet zum einen, dass den regionalen und nationalen Anstrengungen stärker Rechnung getragen werden muss.275 Zum anderen kann nur in Verbindung mit den Themenfeldern Entwicklung, Frieden, Sicherheit und Menschenrechte die Terrorismusbekämpfung wirksam umgesetzt werden.276 Die tendenziell ganzheitlich ausgerichtete Strategie der Generalversammlung von 2006 weist zu Recht in diese Richtung. Aber nur, wenn die Staaten sich gemeinsam der dort niedergelegten vier Bedingungen annehmen, kann dem transnationalen Terrorismus mittelfristig der Boden entzogen werden.
271
Vgl. Schaller (Anm. 52), 15, sowie eingehend Amrith Rohan Perera, The draft United Nations Comprehensive Convention on International Terrorism, in: Saul (Hrsg.) (Anm. 10), 151, 157 ff. 272 Ausführlich hierzu Dominik Steiger, Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene (in diesem Band). 273 So wohl auch Rosenow (Anm. 12), 16. 274 Schaller (Anm. 52), 27. 275 Vgl. Rosand (Anm. 168), 103. 276 Zutreffend Rosenow (Anm. 12), 42.
Terrorismus als völkerstrafrechtliches Verbrechen? Von Mark A. Zöller
A. Vorbemerkungen Für die freundliche Einladung nach Kiel darf ich mich ganz herzlich bedanken. Sie gibt mir die Gelegenheit, heute vor Ihnen und mit Ihnen über die Frage zu sprechen, ob Terrorismus nicht nur in einem allgemeinen Sinne als eines der schlimmsten Übel der Menschheit, sondern auch in rechtlicher Hinsicht als völkerstrafrechtliches Verbrechen einzustufen ist. Das Bedürfnis nach einer Diskussion über den richtigen Umgang mit zu allem entschlossenen Attentätern dürfte uns allen spätestens durch die aktuellen, islamistisch motivierten Anschläge im Herzen von Europa, in Paris und Brüssel, aber auch durch die feige Ermordung von elf deutschen Mitgliedern einer friedlichen Reisegruppe in Istanbul zum Jahresbeginn 2016 wieder schlagartig bewusst geworden sein. Speziell die Debatte über die Bewältigung der terroristischen Bedrohung mit Mitteln des Strafrechts ist allerdings durch ein erhebliches Maß an Angst, Unsicherheit, Kontrollverlust und Irrationalität geprägt.1 Jeder scheint ein bisschen was über Terrorismus, aber keiner etwas Genaues zu wissen. Ein gutes Beispiel hierfür bieten die meist selbst ernannten Terrorismusexperten, deren Namen man zuvor noch nie gehört hat, die aber nach jedem spektakulären Anschlag gefühlt innerhalb von Sekunden die Fernsehstudios bevölkern und dann stundenlang zum Besten geben, warum es so kommen musste, wie es gekommen ist. Zwei – natürlich nicht ernst gemeinte – Fragen stellen sich mir dann immer, denen ich heute leider nicht nachgehen kann. Erstens: Machen sich eigentlich auch Terrorismusexperten, die es schon vorher gewusst haben, wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 StGB strafbar? Und zweitens: Was tun solche Experten eigentlich, wenn keine Berichterstattung über einen aktuellen Anschlag läuft? Wir werden es wohl nie erfahren.
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Mark A. Zöller, Verschwimmende Grenzen zwischen Terrorismus und Organisierter Kriminalität, in: Arndt Sinn/Mark A. Zöller (Hrsg.), Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 1; Mark A. Zöller, Der Terrorist und sein (Straf-)Recht: Wege und Irrwege der neuen Gesetzgebung zur Terrorismusbekämpfung, GA 2016, 90.
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Insofern kann ich mich bei meinem Vortrag Ernsthafterem zuwenden und möchte in einem ersten Schritt zunächst auf die begrifflichen Unsicherheiten eingehen, die nicht nur auf die Definitionsbemühungen der internationalen Staatengemeinschaft, sondern auch auf die nationale Rechtslage ausstrahlen. In einem zweiten Schritt will ich dann in Erinnerung rufen, was eigentlich das Besondere an Terroristen im Vergleich zu gewöhnlichen Straftätern ist. Danach geht es mir in einem dritten Schritt darum, dass die tatsächlichen Erscheinungsformen des Terrorismus einem ständigen Wandel unterliegen, mit dem auch die Strafverfolgungsbehörden Schritt halten müssen. Erst dann sind wir mit dem nötigen Rüstzeug ausgestattet, um in einem vierten Schritt der Frage nachgehen zu können, ob terroristische Verhaltensweisen strafrechtlich über bereits kodifizierte Verbrechenstatbestände des Völkerstrafrechts erfasst werden können. Und schließlich möchte ich – zugleich als Abschluss und Überleitung zu unserer anschließenden Diskussion – einige Gedanken zu der aus meiner Sicht grundlegenden, aber häufig gar nicht gestellten Frage äußern, ob die Schaffung eines eigenen völkerstrafrechtlichen Tatbestands Terrorismus überhaupt ein erstrebenswertes Ziel darstellt.
B. Probleme und Auswirkungen des Terrorismusbegriffs Bei jeder Auseinandersetzung mit dem „Phänomen Terrorismus“ fangen die Schwierigkeiten schon ganz am Anfang an. Schließlich ist bereits der Begriff in mehrfacher Hinsicht problematisch. I. Das völkerrechtliche Ringen um eine einheitliche Terrorismusdefinition Wie Ihnen im Rahmen dieser Ringvorlesung bereits bei anderer Gelegenheit ausführlich begründet worden ist, existiert bis zum heutigen Tage keine einheitliche völkerrechtliche Terrorismusdefinition.2 Über viel mehr als die Tatsache, dass er etymologisch vom lateinischen Wort „terror“ für „Furcht“ oder „Schrecken“ abgeleitet ist,3 hat man sich innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft bis heute kaum verständigen können. Dabei mangelt es in den vergangenen rund 100 Jahren nicht an entsprechenden Bemühungen. Unter dem Eindruck mehrerer Anschläge auf politische Führer in Europa, u.a. im Jahr 1914 auf den österreichischen Erzherzog und Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie sowie im Jahr 2 Ausf. hierzu Dominik Steiger, Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene (in diesem Band). 3 Daniela Gotzel, Terrorismus und Völkerstrafrecht, 2010, 53.
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1934 auf den österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß, den jugoslawischen König Alexander I. sowie auf den französischen Außenminister Louis Barthou, und auf Empfehlung eines eigens eingesetzten Expertenausschusses nahm am 16. November 1937 schon der Völkerbund zwei Konventionen an, mit denen zum einen internationale terroristische Straftaten definiert und zum anderen ein internationaler Gerichtshof zu ihrer Verfolgung eingerichtet werden sollten.4 In Art. 1 Abs. 2 der Genfer Konvention zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus5 wurden daher „terroristische Taten“ definiert als „kriminelle Taten, die gegen einen Staat gerichtet sind und das Ziel verfolgen, bestimmte Personen, eine Gruppe von Menschen oder die Allgemeinheit in einen Zustand der Angst zu versetzen.“ Dieser erste große völkerrechtliche Definitionsansatz ist nach dem heutigen Stand der Terrorismusforschung schon auf den ersten Blick mit unübersehbaren Defiziten behaftet. So waren nur Aktivitäten gegen Staaten, nicht dagegen solche gegen private Personen oder Gruppen erfasst.6 Außerdem war eine politische, religiöse oder sonstige ideologische Motivation nicht erforderlich.7 Insofern erscheint es durchaus verschmerzbar, dass dieser Vertragstext nie in Kraft getreten ist. Immerhin berücksichtigte die International Law Commission (ILC) in ihrem „Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind (Part I)“ aus dem Jahr 19548 die Grundgedanken dieser Definition des Völkerbundes im Zusammenhang mit der staatlichen Förderung oder Tolerierung terroristischer Aktivitäten in anderen Staaten.9 Auch dieser Entwurf wurde jedoch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen nicht angenommen.10 Im Jahr 1992 wurde der Terrorismus als Reaktion auf den Anschlag auf ein Passagierflugzeug der Fluggesellschaft Pan Am über dem schottischen Lockerbie, bei dem 270 Menschen ums Leben gekommen waren, im Rahmen der Resolution 731 des UN-Sicherheitsrats11 erstmals als Bedrohung für den Weltfrieden bezeich4
Mark A. Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, 149; Gotzel (Anm. 3), 98 ff. League of Nations, Document C.546 (I). M 383 (I) 1937. Abdruck in englischer Sprache bei Cherif Bassiouini, International Terrorism and Political Crimes, 1975, Appendix Q, 547 ff. 6 Ben Saul, Attempts to define ‘Terrorism’ in international law, NILR 2005, 57, 64. 7 Tobias O. Keber, Der Begriff des Terrorismus im Völkerrecht, 2009, 69. 8 YbILC 1951 II, 134 ff. 9 Saul (Anm. 6), 66 ff. 10 Vgl. Malvina Halberstam, The Evolution of the United Nations Position on Terrorism: From Exempting national Liberation Movements to Criminalizing Terrorrism Wherever and by Whomever Committed, CJTL 41 (2003), 573 ff. 11 S/RES/731 (1992) vom 21.1.1992. 5
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net. Darüber hinaus sind auf der internationalen Ebene aber nur wenige Fortschritte zu verzeichnen. Zwar wurde insbesondere nach dem Auftauchen des PLO-Terrorismus auf der Bühne globaler Medienberichterstattung Anfang der 1970er Jahre eine ganze Welle von Terrorismusbekämpfungskonventionen initiiert, unterzeichnet und ratifiziert.12 Diese greifen aber immer nur einzelne Teilaspekte des Gesamtphänomens heraus, etwa den Schutz von Diplomaten, die Ächtung von Flugzeugentführungen, Geiselnahmen oder Bombenanschlägen sowie die finanzielle Austrocknung terroristischer Bestrebungen. Zudem folgen sie im Wesentlichen demselben Muster: Sie verpflichten die Unterzeichnerstaaten, die in ihnen bezeichneten Handlungen im nationalen Recht unter Strafe zu stellen und den Beschuldigten nach dem Grundsatz „aut dedere aut iudicare“ entweder selbst zu verfolgen oder an einen verfolgungswilligen Staat auszuliefern.13 Insofern konzentrieren sie sich auf die Stärkung der praktischen Zusammenarbeit bei der Verfolgung terroristischer Straftaten und betrachten unter Verzicht auf eine allgemeine Definition nur die im jeweiligen Konventionstext bezeichneten Verhaltensweisen als Akte des Terrorismus.14 Das Ergebnis ist ein völkervertragsrechtlicher Flickenteppich, der so große Lücken aufweist, dass er gegenüber dem facettenreichen und globalen Phänomen Terrorismus weitgehend wirkungslos bleibt.15 Nicht einmal nach den symbolträchtigen Anschlägen vom 11. September 2001 konnte man sich auf eine allgemeine und verbindliche Terrorismusdefinition verständigen. Zwar hatte die UN-Generalversammlung bereits 1996 eine Anti-Terrorismus Ad-hoc-Gruppe eingesetzt. Der von ihr im Rahmen der 57. Ordentlichen Tagung der Generalversammlung im Herbst 2002 vorgelegte Bericht fiel jedoch der Blockadepolitik zahlreicher UN-Mitglieder zum Opfer.16 Deren Argumente sind bis zum heutigen Tage die gleichen geblieben. So wollen insbesondere die 12
Siehe dazu etwa die Nachweise bei Christiane Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, 34 ff.; Keber (Anm. 7), 70 ff.; Zöller (Anm. 4), 150 f.; Gotzel (Anm. 3), 101 ff. sowie ausf. Christian Walter, Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument? (in diesem Band). 13 Jasper Finke/Christiane Wandscher, VN 2001, 168, 169; Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 2. Aufl. 2002, 1113 ff. 14 Vgl. Robert Cryer/Hakan Friman/Darryl Robinson/Elizabeth Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, 2007, 285; Beril Dedeoglu, Bermuda triangle: comparing official definitions of terrorist activity, Terrorism and Political Violence 15 (2003), 81, 84. 15 Vgl. Claire de Than/Edwin Shorts, International Criminal Law and Human Rights, 2003, 236. 16 Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, General Assembly, Official Records, Fifty-Seventh Session, Supplement No. 37 (A/57/37).
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arabischen Staaten sog. „Freiheitskämpfer“ ausnehmen, die sich gegen fremde Besatzungsmacht und kolonialistische Herrschaft zur Wehr setzen. Außerdem besteht Uneinigkeit darüber, ob auch der sog. Staatsterrorismus einzubeziehen ist.17 Überraschenderweise hat die Beschwerdekammer des Sondergerichtshofs für den Libanon in einer Entscheidung vom 16. Februar 2011 festgestellt, dass das Verbrechen des Terrorismus nach dem derzeitigen Stand des Völkergewohnheitsrechts – jedenfalls außerhalb bewaffneter Konflikte – zu einem eigenständigen völkerrechtlichen Straftatbestand erstarkt sei und damit eine Ahndung in direkter Anwendung des Völkerrechts ermögliche.18 Dieser völkerrechtliche Tatbestand erfordere die Begehung einer – vom Tribunal nicht näher qualifizierten – strafbaren Handlung oder die Drohung mit einer solchen, die Absicht, Angst unter der Bevölkerung hervorzurufen oder eine nationale oder internationale Behörde direkt oder indirekt zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen sowie die grenzüberschreitende Bedeutung der Tat.19 Diese Entscheidung ist jedoch zu Recht stark kritisiert worden, da die von der Beschwerdekammer als Belegquellen herangezogenen Entscheidungen nationaler Gerichte, völkerrechtlichen Verträge und Resolutionen des UN-Sicherheitsrates alles andere als eindeutig sind. Zudem ist sie unter vergleichsweise dubiosen Umständen ergangen, die darin gipfeln, dass der Präsident des Sondergerichtshofs für den Libanon und Vorsitzender der Beschwerdekammer der – mittlerweile verstorbene – renommierte italienische Völkerrechtler Antonio Cassese war, der – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – Vergleichbares in seinem wissenschaftlichen Werk zum Völkerstrafrecht schon seit vielen Jahren vertreten hatte.20 Das alles hat mit geltendem Völkerrecht nur wenig zu tun und dürfte eher den Versuch eines einzelnen darstellen, mithilfe eines Mandats der Vereinten Nationen einen juristischen Meilenstein zu setzen, zumindest aber die Blockadepolitik einzelner UN-Mitglieder zu durchbrechen.21
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Zöller (Anm. 4), 152 m.w.N. Stefan Kirsch/Anna Oehmichen, Die Erfindung von „Terrorismus“ als Völkerrechtsverbrechen durch den Sondergerichtshof für den Libanon, ZIS 2011, 800, 801. 19 STL (Appeals Chamber), Interlocutory Decision on the Applicable Law: Terrorism, Conspiracy, Homicide, Perpetration, Cumulative Charging vom 16.2.2011 – STL-11- 01/ I/AC/R176bis, para. 85. 20 Siehe etwa Antonio Cassese, International Criminal Law, in: Malcom D. Evans (Hrsg.), International Law, 2. Aufl. 2006, 752; ähnlich Stefan Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29, 38. 21 Kirsch/Oehmichen (Anm. 18), 805. 18
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II. Fehlende Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs Die durch gegenläufige nationale Interessen geleitete, völkerrechtliche Debatte hat dazu geführt, dass auch auf der Staatenkonferenz der Vereinten Nationen zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Rom im Jahr 1998 kein Durchbruch erzielt werden konnte.22 Noch in Art. 5 des ursprünglichen Entwurfs des Römischen Statuts vom 14. April 1998 war eine Zuständigkeit für die Aburteilung „terroristischer Straftaten“ enthalten.23 Als strafbare Verhaltensweisen wurden insbesondere aufgeführt:24 Übernahme, Organisation, Sponsoring, Bestellung, Erleichterung, Finanzierung oder Tolerierung von Gewalttaten gegen einen anderen Staat und gerichtet gegen Personen oder Eigentum derart, um Schrecken, Angst oder Unsicherheit in der Ansicht von öffentlichen Persönlichkeiten, Personengruppen, der Öffentlichkeit oder Bevölkerung zu erzeugen, ungeachtet der politischen, philosophischen, ideologischen, rassischen, ethnischen, religiösen oder anderen Erwägungen oder Zwecke, die zu ihrer Rechtfertigung angeführt werden.
Dieser Entwurf war nicht ohne Vorbild, sondern konnte zum einen an Art. 4 des Statuts des ad-hoc-Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR) anknüpfen, der zumindest für Akte staatlich gelenkten Terrors eine ausdrückliche Zuständigkeit festschreibt.25 Zum anderen enthält auch das Statut des Special Court for Sierra Leone in Art. 3 Satz 2 lit. d die Tatalternative der terroristischen Handlung („acts of terrorism“). Die Vorteile, die mit der Einstufung terroristischer Verhaltensweisen als völkerrechtliche Verbrechen verbunden sind, liegen auf der Hand:26 Auf diese Weise kann das schwerfällige und zeitraubende System der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen umgangen werden. Außerdem würde eine Aburteilung vor einem internationalen Strafgerichtshof ein sehr viel deutlicheres Signal für eine Ächtung des Terrorismus setzen. Hinzu kommt, dass gerade durch die Behandlung politisch brisanter Fälle durch ein repräsentativ besetztes, unabhängiges internationales Gericht von vornherein der Vorwurf von Partei- oder Siegerjustiz vermieden werden kann. Und schließlich hätte die offizielle Einstufung terroristischer Verhaltensweisen als Völkerrechtsverbrechen zur Folge, dass sie unter dem Gesichtspunkt des Strafanwendungsrechts dem Weltrechtsprinzip unterfallen und damit auch vor jedem nationalen Strafgericht angeklagt werden könnten. 22
Näher hierzu Gotzel (Anm. 3), 77 ff. UN Doc. A/Conf. 183/2/Add.1 vom 14.4.1998; Keber (Anm. 7), 58 ff.; Wandscher (Anm. 12), 65 f. 24 Vgl. Saul (Anm. 6), 73; Zöller (Anm. 4), 152 f. 25 Vgl. Thomas Weigend, Terrorismus als Rechtsproblem, in: Rainer Griesbaum/Karl H. Schnarr/Rolf Hannich (Hrsg.), Strafrecht und Justizgewährung: Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag, 2006, 151, 154. 26 Oeter (Anm. 20), 48; Weigend (Anm. 25), 154. 23
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Genutzt haben alle diese Argumente letztlich nichts. Auch auf der Konferenz von Rom hat man sich erneut nicht auf eine für alle Teile der Völkergemeinschaft verbindliche, allgemeine Terrorismusdefinition einigen können. Gegen eine Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wurde vor allem eingewandt, dass ein solches rechtliches Novum zu Rechtsunsicherheit führen könnte, keine Einigkeit über die Bedeutung von Gewalttaten von nationalen Befreiungsbewegungen bestehe und vor allem ein neu geschaffener internationaler Strafgerichtshof nicht unnötig politisiert werden solle.27 Insofern hielt die Mehrheit der Vertragsstaaten letztlich die nationale Ebene der Strafverfolgung für die vorzugswürdige Strategie zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.28 Zwar wurde eine Zuständigkeit des IStGH im Bereich des Terrorismus für die Zukunft nicht von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr enthält die Schlussakte der Diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz der Vereinten Nationen, die nach der Annahme des Römischen Statuts vom 17. Juli 1998 verabschiedet wurde, auch die Resolution E zur Frage der künftigen Einbeziehung von Terrorismus- und Drogenverbrechen in die Gerichtsbarkeit.29 Diese sollte danach bei der ersten Überprüfungskonferenz nach dem Inkrafttreten des Römischen Statuts beraten werden. Auf der Konferenz von Kampala in Uganda im Jahr 2010 wurde dieser Komplex aber erneut ausgeklammert. Stattdessen wurden dort lediglich neben einer Ausweitung der Zuständigkeit für Kriegsverbrechen in nicht-internationalen Konflikten das Verbrechen der Aggression definiert und der materiell-rechtlichen Zuständigkeit des IStGH unterstellt.30 III. Begriffliche Unsicherheiten Wirklich überraschen kann der fehlende Konsens hinsichtlich der Frage, was Terrorismus ist, nicht. Schließlich ist der Begriff in erheblichem Maße moralisch negativ besetzt.31 Er wird im allgemeinen Sprachgebrauch vor allem aus der Opfer27 Kriangsak Kittichaisaree, International Criminal Law, 2001, 227 f.; Antonio Cassese/ Paola Gaeta, Cassese’s International Criminal Law, 3. Aufl. 2013, 125; Cassese (Anm. 20), 751 f.; Saul (Anm. 6), 73. 28 Cassese/Gaeta (Anm. 27), 125; Cassese (Anm. 20), 751 f.; Mahnoush H. Arsanjani, AJIL 1999, 22, 29; Oeter (Anm. 20), 50. 29 UN Doc. A/CONF. 183/9 vom 17.7.1998. 30 Gerhard Werle, Einl. VStGB, in: Otto Lagodny (Bandredakteur), Münchener Kommentar StGB (MüKo StGB), Bd. VIII, 2. Aufl. 2013, Rn. 58; Kai Ambos, Das Verbrechen der Aggression nach Kampala, ZIS 2010, 649. 31 Thomas Herzog, Terrorismus – Versuch einer Definition und Analyse internationaler Übereinkommen zu seiner Bekämpfung, 1991, 17; Peter Waldmann, Neuer Terrorismus?, in: Kurt Graulich/Dieter Simon (Hrsg.), Terrorismus und Rechtsstaatlichkeit, 2007, 47, 49;
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perspektive verwendet, um den politischen Gegner zu diskreditieren.32 Terroristen sind immer nur die anderen. Das sieht man besonders deutlich im jahrzehntelang schwelenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, aber auch ganz aktuell zwischen Türken und Kurden. Terrorismus ist faktisch ein Ausschlussbegriff. Wer mit dem Etikett „Terrorist“ belegt wird, dessen Anliegen gelten von vornherein als nicht verhandelbar. Freiheitskämpfer sind gut, Terroristen dagegen böse – auch wenn beide zu illegaler Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer Ziele greifen.33 IV. Die nationale Rechtslage Bevor man jedoch mit Blick auf die moralisch überfrachtete und stark interessengeleitete Kontroverse um eine allgemeinverbindliche Terrorismusdefinition auf der Ebene der internationalen Staatengemeinschaft den moralischen Zeigefinger erhebt, sollte man vor der eigenen Haustür kehren. Mit Blick auf die deutsche Rechtsordnung ist insoweit zu konstatieren, dass „Terrorismus“ auch bei uns kein genuin-rechtlicher Begriff und schon gar kein strafrechtlicher terminus technicus ist.34 Selbst das deutsche Strafgesetzbuch nimmt hierauf nur an einer einzigen Stelle explizit Bezug, und dies nicht etwa in Gestalt eines Tatbestandsmerkmals, sondern lediglich in der Überschrift zu § 129a StGB, in dem die „Bildung terroristischer Vereinigungen“ unter Strafe gestellt wird. Terrorismus ist damit weder ein strafbegründender noch ein strafschärfender Umstand. Es gibt in Deutschland – anders als in manchen anderen Rechtsordnungen – keinen eigenständigen „Straftatbestand Terrorismus“.35 Man kann also nicht allein deshalb bestraft werden, weil man sich selbst als Terrorist versteht oder durch andere, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden, als solcher wahrgenommen wird.36 Es existieren auch keine Sonderstrafrahmen für Terroristen. Wer etwa ein Tötungsdelikt, eine Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung mit terroristischer Motivation begeht, der wird hierfür somit nicht per se schwerer oder anders bestraft als gewöhnliche Straftäter, die eine solche Motivation nicht aufweisen. Der deutsche Gesetzgeber meidet daher die direkte sprachliche Bezugnahme auf das Wort „Terrorismus“ wie Martin Böcker, Terrorismus und Staat – Ein Kommunikationsmodell, in: Jochen Kleinschmidt/Falko Schmid/Bernhard Schreyer/Ralf Walkenhaus (Hrsg.), Der terrorisierte Staat, 2012, 13; Zöller (Anm. 4), 103; Mark A. Zöller, Willkommen in Absurdistan – Neue Straftatbestände zur Bekämpfung des Terrorismus, GA 2010, 607, 610. 32 Philipp H. Schulte, Terrorismus- und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, 2008, 18. 33 Zöller (Anm. 1), 91 f. 34 Zöller (Anm. 4), 132 f.; ders. (Anm. 1), 92. 35 Zöller (Anm. 31), 611; ders. (Anm. 1), 92. 36 Mark A. Zöller, Strafrechtliche Verfolgung von Terrorismus und politischem Extremismus unter dem Einfluss des Rechts der Europäischen Union, ZIS 2014, 402.
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der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser. In besonderem Maße scheinheilig gestalten sich hier die neuen Vorfeldstraftatbestände, die durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (GVVG)37 im Jahr 2009 neu in die §§ 89a ff. StGB aufgenommen und durch das GVVG-Änderungsgesetz vom Juni 201538 noch einmal erheblich ausgeweitet wurden.39 Obwohl sie angeblich typische Vorbereitungshandlungen im Vorfeld terroristischer Anschläge kriminalisieren wollen, beispielsweise die Unterweisung im Umgang mit Schusswaffen und Sprengstoffen, die Ausreise zum Zweck der Ausbildung in sog. Terrorcamps oder das Sammeln von Vermögenswerten zur Terrorismusfinanzierung, beziehen sie sich lediglich auf den diffusen Begriff der „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“.40
C. Terrorismus als soziale Verhaltensweise Insofern gelangt man zwangsläufig zu der Frage, welche anderen materiellrechtlichen Instrumente zur strafrechtlichen Verfolgung terroristischer Verhaltensweisen zur Verfügung stehen. Ein denkbarer Ausweg könnte in der Tat sein, Terrorismus als völkerstrafrechtliches Verbrechen zu verfolgen. Dazu müssten entsprechende Verhaltensweisen entweder auf nationaler Ebene unter die Straftatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) oder im internationalen Kontext unter die entsprechenden Zuständigkeitsvorschriften des IStGH im Römischen Statut subsumiert werden können. Bevor wir uns dieser Frage näher widmen können, müssen wir uns aber zunächst mit den Besonderheiten des Terrorismus beschäftigen, uns also fragen, was den Terroristen vom gewöhnlichen Straftäter unterscheidet. Ansonsten läuft man Gefahr, eine Subsumtion ohne ausreichende Subsumtionsgrundlage vornehmen zu wollen. Wichtig ist insofern die Erkenntnis, dass Terrorismus in erster Linie eine soziale Verhaltensweise darstellt. Es handelt sich um eine Kommunikationsstrategie.41 37 Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, 30.7.2009, BGBl. 2009 I, 2437. 38 Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, 12.6.2015, BGBl. 2015 I, 926. 39 Nikolaos Gazeas, Zu viel des Guten? – Zur Verschärfung im Terrorismusstrafrecht, DRiZ 2015, 218, 219. 40 Annecke Petzsche, Strafrecht und Terrorismusbekämpfung, 2013, 132; Zöller (Anm. 1), 101. 41 Peter Waldmann, Terrorismus und Bürgerkrieg – Der Staat in Bedrängnis, 2003, 38; Stephan Alexander Weichert, Die Propaganda der Tat – zur Kommunikationsstrategie des modernen Aufmerksamkeitsterrorismus, in: Sonja Glaab (Hrsg.), Medien und Terroris-
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Dabei wird als primärer Kommunikationskanal nicht die verbale, sondern die nonverbale Ebene der Symbolik von Gewalttaten gewählt. Charakteristisch für Terroristen sind gewaltgeprägte Verhaltensweisen, die typischerweise mit Kriminalstrafe bedroht sind. Wer einen terroristischen Anschlag begeht, verwirklicht also regelmäßig Tötungs-, Körperverletzungs-, Freiheits-, Sachbeschädigungs-, Sprengstoff- oder Waffendelikte. Das aber tun gewöhnliche Straftäter ebenfalls. Will man Terroristen von sonstigen Straftätern unterscheiden, so hilft ein Blick auf die objektiv verwirklichten Delikte nicht weiter. Insofern sind auch Straftatbestände wie der deutsche § 129a StGB, die das Spezifikum des Terrorismus primär an einem Katalog besonders schwerer Straftaten festzumachen versuchen, von vornherein als wenig geeignet einzustufen.42 Was den Terroristen von allen anderen Mördern, Körperverletzern, Geiselnehmern oder Sachbeschädigern unterscheidet, ist seine besondere Motivation, also ein subjektives Kriterium.43 Das macht ihn speziell für die deutsche Strafrechtsordnung schwer greifbar. Zwar setzt die Begehung von Vorsatzdelikten auch die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes voraus. Der Täter muss also um die von ihm veranlasste Tötung eines anderen Menschen oder die Zerstörung einer fremden Sache gewusst und diese gewollt haben. Aus welchen Gründen er sich hierzu entschlossen hat, spielt aber auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes in der weit überwiegenden Zahl der existierenden Straftatbestände gar keine Rolle. mus – Auf den Spuren einer symbiotischen Beziehung, 2007, 83 ff.; Herfried Münkler, Terrorismus als Kommunikationsstrategie. Die Botschaft des 11. September, in: Igor Primoratz/Daniel Meßelken (Hrsg.), Terrorismus – Philosophische und politikwissenschaftliche Essays, 2011, 167 ff.; Zöller (Anm. 36), 403; Günter Krings, Terrorismusbekämpfung im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit, ZRP 2015, 167; krit. Peter Wichmann, Al-Qaida und der globale Djihad, 2014, 70. 42 Zöller (Anm. 4), 135 ff. 43 Vgl. Herzog (Anm. 31), 93 ff.; Kirsten Schmalenbach, Der Internationale Terrorismus – Ein Definitionsversuch, NZWehrR 2000, 15, 19 f.; Hans-Heiner Kühne, Unzeitgemäße Betrachtungen zum Problem des Terrorismus, in: Thomas Feltes/Christian Pfeiffer/Gernot Steinhilper (Hrsg.), Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen: Festschrift für Professor Dr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag, 2006, 103; Weigend (Anm. 25), 162; Bettina Weißer, Der „Kampf gegen Terrorismus“ – Prävention durch Strafrecht?, JZ 2008, 388, 390; Sebastian Weber, Europäische Terrorismusbekämpfung – Das Strafrecht als Integrationsdimension der Europäischen Union, 2008, 53 f.; Mark A. Zöller, Der Rechtsrahmen der Nachrichtendienste bei der „Bekämpfung“ des internationalen Terrorismus, JZ 2007, 763, 764; ders. (Anm. 4), 146 f.; ders. (Anm. 31), 611 f.; ders. (Anm. 36), 403; a.A. Dionysios Spinellis, Der Rahmenbeschluß zur Terrorismusbekämpfung – Bemerkungen aus Sicht des griechischen Rechts, in: Gunnar Duttge/Gerd Geilen/Lutz Meyer-Goßner/Günter Warda (Hrsg), Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, 2002, 823, 829; Elisabeth Symeonidou-Kastanidou, Defining Terrorism, EJCCLCJ 2004, 14, 22.
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Eine Ausnahme hierzu stellt beispielsweise der Mord aus niedrigen Beweggründen dar. Ansonsten interessiert sich der deutsche Strafgesetzgeber für die besondere Motivation des Täters im konkreten Einzelfall regelmäßig nicht. Ob er die Tat aus Rache, Langeweile, gekränktem Stolz, Neid oder zur Verwirklichung eines Kalifats auf dem Boden der Scharia begangen hat, besitzt dann auf der Tatbestandsebene keine Bedeutung. Solche Gesichtspunkte können für den Strafjuristen allenfalls auf der Ebene der Strafzumessung praktische Relevanz erlangen.44 Schließlich spricht § 46 StGB ausdrücklich davon, dass das Gericht bei der Zumessung der konkreten Strafe die Umstände gegeneinander abwägen muss, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei sollen insbesondere die Beweggründe und die Ziele des Täters sowie die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille in Betracht kommen. Noch weiter verkompliziert wird diese subjektive Trennlinie zwischen Terrorismus und gewöhnlicher Kriminalität dadurch, dass man mit Blick auf die spezifische Motivation von Terroristen typischerweise weiter differenzieren muss:45 Ein Terrorist verfolgt nämlich durch die von ihm verübte Gewalt immer zwei Ziele – ein unmittelbares Ziel oder Zwischenziel und ein mittelbares Ziel oder Endziel. Unmittelbar angestrebtes Zwischenziel im terroristischen Kampf ist die Verbreitung von Angst und Schrecken. Terroristen begehen Gewalttaten, um mit Hilfe der dadurch erzeugten Einschüchterung auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Auf diese Weise wollen sie ihrem eigentlichen Endziel näherkommen, das in der Verwirklichung einer Gesellschaftsordnung nach den eigenen politischen, religiösen oder sonstigen ideologischen Vorstellungen besteht.46 Dies verdeutlicht auch das ebenso aktuelle wie verstörende Beispiel der Enthauptungen von Geiseln durch Milizionäre des sog. Islamischen Staates (IS) und deren Verbreitung über das Internet. Natürlich wollen die hieran beteiligten ISTerroristen Menschen töten. Aber dies geschieht in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht zum Selbstzweck oder im Blutrausch von schwer persönlichkeitsgestörten und brutalen Mördern. Dem Islamisten geht es um das Endziel eines islamischen Staates, in dem die eigene Auslegung des Korans mit drakonischen Strafen für alle Abweichler die Staatsreligion bilden soll. Um dieses Endziel zu erreichen, verbreitet er mit seinen Gewalttaten Angst und Schrecken. Er sendet mit seiner nahezu willkürlichen Auswahl an Tötungsopfern die Botschaft, dass er bzw. seine Organisation zu jeder Zeit, an jedem Ort und gegenüber jedermann zu44
Zöller (Anm. 36), 404. Ausführlich hierzu Zöller (Anm. 4), 211 f.; ders. (Anm. 31), 611 f. 46 Christian Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: Christian Walter/Silja Vöneky/Volker Röben/Frank Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law – Security versus Liberty?, 2004, 23, 29. 45
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schlagen kann. Die zentrale Botschaft des modernen Terrorismus an uns alle lautet: „Du bist nicht sicher und niemand vermag dich vor mir zu schützen!“47 Auf diese Weise sollen bestehende, konkurrierende Machtstrukturen untergraben werden. Terroristen setzen darauf, dass die staatlichen Sicherheitskräfte durch eine solche Nadelstichtaktik langfristig betrachtet ihren Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Die Brutalität, mit der der IS innerhalb und außerhalb der von ihm eroberten Gebiete vorgeht, ist somit Teil einer wohl kalkulierten Kommunikationsstrategie, die auf Einschüchterung zum Machtgewinn und Machterhalt setzt. Hier sind keine im pathologischen Sinne Geisteskranken am Werk, sondern hoch professionell vorgehende Strategen, die genau wissen, welche Auslöser und Schaltknöpfe menschlicher Urängste sie zu bedienen haben. Insofern ist bei der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der terroristischen Bedrohung stets die vordergründige Ebene der Straftatbegehung von der dahinter liegenden Kommunikationsebene zu unterscheiden.
D. Phänomenologie – ewiger Wandel Ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt zudem, dass Terrorismus gerade kein statisches Phänomen ist, sondern sich die konkreten Erscheinungsformen des Einsatzes von Gewalt zur Verfolgung ideologischer Ziele im Laufe ihrer mehr als 2.000 Jahre währenden Geschichte immer wieder verändern.48 „Den Terrorismus“ schlechthin gibt es also nicht. In Wirklichkeit erfindet er sich beständig neu. Das muss er auch, wenn er als Kommunikationsform in einer sich ständig fortentwickelnden Medienlandschaft Beachtung finden will. Insofern ist es auch kein Wunder, dass terroristische Anschläge im 21. Jahrhundert zunehmend blutiger ausfallen. Zudem wird anstelle von Funktionsträgern und Repräsentanten des bekämpften Gesellschaftssystems eine möglichst große Zahl an rein zufällig ausgewählten und am jeweiligen Konflikt unbeteiligten Personen zu Opfern. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Denn wir alle stumpfen als Medienkonsumenten immer mehr ab. Jedes Konzept zur Terrorismusbekämpfung muss daher der Tatsache Rechnung tragen, dass die Phänomenologie des Terrorismus gerade in den letzten Jahrzehn47
Zöller (Anm. 31), 613. Vgl. Zöller (Anm. 4), 102; Nicholas J. Perry, The Numerous Federal Legal Definitions of Terrorism: The Problem of too Many Grails, JLEG 30 (2003), 249, 252; Symeonidou-Kastanidou (Anm. 43), 18; Christopher Daase, Terrorismus als asymmetrische Gewaltstrategie, in: Graulich/Simon (Hrsg.) (Anm. 31), 91, 93 sowie ausf. Joachim Krause, Terrorismus: Die unterschiedlichen Formen und Varianten in der heutigen Zeit (in diesem Band). 48
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ten erheblichen Veränderungen unterworfen war und ist. Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierten hierarchische, nach militärischem Vorbild strukturierte Gruppierungen, die einem eher zentralistischen Rollenmodell folgten. Zu den bekanntesten Organisationen zählten neben der linksextremistischen Roten Armee Fraktion (RAF) insbesondere ethnisch-nationalistische Organisationen wie die Irish Republican Army (IRA), die baskische Euskadi ta Askatasuna (ETA) und die kurdische Partîya Karkerén Kurdîstan (PKK).49 Spätestens die Anschläge vom 11. September 2001, aber auch die Bombenattentate in Madrid 2004 und London 2005 machten jedoch deutlich, dass diese traditionellen Terrorismusformen durch ein Netzwerkmodell nach dem Vorbild von Al-Qaida abgelöst worden waren. Aber auch das terroristische Netzwerk-Modell gilt aktuell bereits als überholt. Stattdessen lässt sich vielleicht von einem Adhäsions- oder Inspirationsmodell sprechen.50 Hier agieren in zunehmendem Maße unabhängige Gruppierungen und Einzeltäter wie der rechtsextremistische Norweger Anders Behring Breivik, die sog. „lone wolves“, die sich selbst in der Tradition einer bestimmten radikalen Ideologie terroristischer Organisationen sehen, aber tatsächlich jedenfalls zur Tatzeit keine unmittelbare Verbindung zu dieser haben. Häufig wird ein entsprechender Anschlag dann im Nachhinein von der terroristischen Organisation gutgeheißen bzw. als eigene Aktion ausgegeben und auf diese Weise seine kommunikative Wirkung verstärkt.51 Ein typisches Beispiel hierfür ist der Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ vom 7. Januar 2015, bei dem die Brüder Said und Cherif Kouachi, zwei in Frankreich geborene Attentäter algerischer Abstammung, als angebliche Vergeltung für die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen zwölf Menschen getötet und weitere verletzt hatten. Zu den Anschlägen hat sich in einem 11-minütigen Video Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel bekannt, in deren Trainingscamp die beiden Brüder Jahre zuvor im Jemen ausgebildet worden waren. Einen Tag später, am 8. Januar 2015, wurde im Süden von Paris eine Polizistin von dem aus Mali stammenden Franzosen Amedy Coulibaly erschossen und ein Stadtangestellter schwer verletzt. Coulibaly überfiel am Tag darauf einen Supermarkt im Pariser Osten, tötete vier Menschen und nahm weitere als Geiseln. Interessanterweise bekannte er sich während der Geiselnahme in einem Telefonat mit einem Fernsehsender telefonisch zum IS und erklärte, sein Vorgehen stehe in Verbindung mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo, obwohl er nachweislich niemals Kontakt zur IS-Führung hatte. Terrorismus im Jahr 2016 basiert somit nicht
49 50 51
Zöller (Anm. 4), 102. Zöller (Anm. 1), 96. Vgl. hierzu Zöller (Anm. 36), 403.
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mehr zwingend auf gemeinsamen Organisationsstrukturen, sondern lediglich auf einer gemeinsamen Ideologie, etwa einer besonders strengen Auslegung des Korans.52
E. Terrorismus als völkerstrafrechtliches Verbrechen Insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 stellt sich die Frage, ob es die besondere Qualität terroristisch motivierter Kriminalität rechtfertigt oder gar erfordert, ihre Protagonisten auch völkerstrafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.53 Insofern ist der Frage nachzugehen, ob solche Verhaltensweisen als Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen einzustufen sind. Außer Betracht lassen muss ich demgegenüber – nicht nur aus Zeitgründen – das Verbrechen der Aggression.54 Zum einen ist trotz des Konsenses auf der Konferenz von Kampala im Jahr 2010 das Inkrafttreten der dort beschlossenen Änderungen des Römischen Statuts derzeit noch nicht gesichert. Zum anderen befindet sich der entsprechende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches der Bundesregierung vom März 2016, mit dem ein neuer § 13 VStGB eingeführt werden soll, derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren, so dass seine endgültige Gestalt noch nicht feststeht.55 Im Übrigen ist ein „Ausweichen“ auf die völkerrechtlichen Kernverbrechen in Bezug auf Sachverhalte, die nicht explizit als völkerstrafrechtlicher Deliktstatbestand festgelegt sind, kein eigentliches Novum. So hat etwa das Internationale Kriegsverbrechertribunal zur Verfolgung schwerer Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) Fälle der nicht spezifisch in seinem Statut erfassten Vergewaltigung unter der Überschrift „Folter und unmenschliche Behandlung“ verfolgt. Und in vergleichbarer Weise fand auch die Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ihren Weg in das Statut des IStGH.56
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Zöller (Anm. 1), 96 f. Claus Kreß, Völkerstrafrecht der dritten Generation gegen transnationale Gewaltakte Privater?, in: Gerd Hankel (Hrsg.), Die Macht und das Recht, 2008, 323, 339. 54 Ausführlich Gotzel (Anm. 3), 263 ff. 55 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches, 1.6.2016, BTDrs. 18/8621 vom 1.6.2016; vgl. auch Werle (Anm. 30), Rn. 58. 56 Zu diesen beiden Beispielen für ein „Ausweichen“ auf die völkerrechtlichen Kernverbrechen Roberta Arnold, The ICC as a new Instrument for Repressing Terrorism, 2004, 53; Zöller (Anm. 4), 647. 53
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I. VStGB v. Römisches Statut Bevor wir uns der Frage widmen, inwiefern sich Erscheinungsformen des modernen Terrorismus unter derartige Tatbestände des Völkerstrafrechts subsumieren lassen, ist allerdings der Referenzrahmen hierfür festzulegen. Dazu ist insbesondere das Verhältnis der §§ 6 ff. VStGB zu den Art. 6 ff. des Römischen Statuts zu klären, die beide inhaltlich auf völkerrechtliche Straftatbestände Bezug nehmen. Das am 1. Juli 2002 in Kraft getretene Römische Statut geht von zwei verschiedenen Ebenen für die Durchsetzung des Völkerstrafrechts aus.57 Durch die in Art. 5 Abs. 1 des Statuts enthaltene Aufzählung der völkerstrafrechtlichen Verbrechenstatbestände, die in die Zuständigkeit des IStGH in Den Haag fallen, wird einerseits die Möglichkeit eröffnet, derartige Delikte auf internationaler Ebene durch ein internationales Gericht abzuurteilen (sog. direct enforcement model). Andererseits kann das Völkerstrafrecht auch auf der nationalen Ebene der Vertragsstaaten durch deren Strafverfolgungsorgane und Strafgerichte durchgesetzt werden (sog. indirect enforcement model). Das Verhältnis zwischen diesen beiden Ebenen erschließt sich vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Komplementarität, der in Art. 17 des Römischen Statuts niedergelegt ist. Daraus folgt, dass der IStGH die seiner Zuständigkeit unterliegenden Verbrechen nur verfolgen darf, wenn der jeweilige Vertragspartner nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen. Entscheidender Ansatzpunkt für eine nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen ist daher die Ausübung politischen Drucks. Die Unterzeichnerstaaten können die Verurteilung eigener Staatsbürger vor einem internationalen Gericht faktisch nur dadurch vermeiden, dass sie die in die Zuständigkeit des IStGH fallenden Taten auf nationaler Ebene selbst verfolgen.58 Dazu aber müssen entsprechende nationale Völkerstrafrechtstatbestände überhaupt existieren. Um das zu gewährleisten, hat sich die Bundesrepublik Deutschland zur Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs entschlossen, das am 30. Juni 2002 in Kraft getreten ist.59 Es war das erklärte Ziel der damaligen Bundesregierung sicherzustellen, dass Deutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH 57
Kai Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl. 2014, § 8 Rn. 52; Bernd Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, Kap. 2 Rn. 89; Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 63; Helmut Satzger, Das neue Völkerstrafgesetzbuch – Eine kritische Würdigung –, NStZ 2002, 125. 58 Hecker (Anm. 57), Kap. 2 Rn. 89; Herbert Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung – Vom nationalen zum internationalen ne bis in idem, 2002, 109; Satzger (Anm. 57), 126. 59 Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches, 26.6.2002, BGBl. 2002 I, 2254.
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fallende Verbrechen selbst zu verfolgen.60 Eine eigenständige nationale Kodifizierung war dazu deshalb zwingend erforderlich, weil die im Römischen Statut aufgeführten Tatbestände bei genauer Betrachtung gar keine Strafvorschriften, sondern lediglich Zuständigkeitsvorschriften darstellen, die sich an den IStGH und nicht an potenzielle Straftäter richten.61 In enger inhaltlicher wie nummerischer Anlehnung an die Art. 6 ff. des Römischen Statuts finden sich daher auch in den geltenden §§ 6 ff. VStGB die nach deutschem Recht mit Strafe bedrohten Straftaten gegen das Völkerrecht. Sie fallen sämtlich in die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte (vgl. § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG) und gehören damit zur originären Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts (§ 142a Abs. 1 GVG).62 Mit Blick auf das Strafanwendungsrecht ordnet § 1 VStGB die uneingeschränkte Geltung des Weltrechtsprinzips an.63 Infolgedessen können Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch auch dann in Deutschland und nach deutschem Recht verfolgt werden, wenn sie im Ausland begangen wurden und keinen Bezug zum Inland aufweisen. So hatte etwa der Bundesgerichtshof kürzlich in einem aufsehenerregenden Völkermord-Prozess über die Beteiligung eines ehemaligen ruandischen Bürgermeisters zu entscheiden, der heute in Deutschland lebt, und dem die Beteiligung an dem sog. Kirchenmassaker von Kizigure vorgeworfen wird, bei dem mindestens 400 Menschen, zumeist Tutsi, mit Macheten, Lanzen, Knüppeln, Äxten oder Hacken auf qualvolle Weise getötet wurden.64 Vor diesem Hintergrund kommen für die Beantwortung der Frage, ob terroristische Verhaltensweisen als Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen einzustufen sind, in erster Linie die nationalen Strafnormen des VStGB als Referenzrahmen in Betracht. Allerdings lassen sich die hierbei zu gewinnenden Ergebnisse im Wesentlichen auch auf den internationalen Referenzrahmen des Römischen Statuts übertragen. Da der deutsche Gesetzgeber den Vorgaben des in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatzes Rechnung tragen muss, konnte er den Wortlaut der Art. 6 ff. des Römischen Statuts nicht durchgehend wortlautidentisch in die Tatbestände des Völker-
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Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches, 13.3.2002, BTDrs. 14/8524 vom 13.3.2002, 12; Andreas Zimmermann, Auf dem Weg zu einem deutschen Völkerstrafgesetzbuch – Entstehung, völkerrechtlicher Rahmen und wesentliche Inhalte, ZRP 2002, 97, 98. 61 Satzger (Anm. 57), 126. 62 Zöller (Anm. 4), 650. 63 Claus Kreß, Nationale Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuches, ZIS 2007, 515; krit. Andreas Hoyer, Internationaler Strafgerichtshof und nationalstaatliche Souveränität, GA 2004, 321, 323 ff. 64 BGH, Beschluss vom 21.5.2015 – 3 StR 575/14, JZ 2016, 103 ff.
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strafgesetzbuchs überführen.65 Für eine Zuständigkeit des IStGH bleibt daher aus deutscher Sicht dort ein praktischer Anwendungsbereich, wo die §§ 6 ff. VStGB aus verfassungsrechtlichen Gründen eine engere Formulierung wählen mussten.66 Insgesamt bleiben diese Unterschiede jedoch marginal und dürften sich jedenfalls in Fällen mit Terrorismusbezug kaum auswirken. II. Terrorismus und Völkermord Insofern stellt sich zunächst die Frage, ob aktuelle Erscheinungsformen des Terrorismus als Völkermord i.S.v. § 6 VStGB eingestuft werden können. Nach § 6 Abs. 1 VStGB wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft, wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, ein Mitglied der Gruppe tötet (Nr. 1), einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden zufügt (Nr. 2), die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen (Nr. 3), Maßnahmen verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen (Nr. 4) oder ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt (Nr. 5). Dieser Wortlaut entstammt im Wesentlichen der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords, d.h. der sog. Genozidkonvention aus dem Jahr 1948.67 Der Tatbestand des Völkermordes schützt das physische und soziale Existenzrecht der in § 6 VStGB bzw. Art. 6 des Römischen Statuts genannten Gruppen.68 Daneben ist aber auch die Verletzung von Individualrechtsgütern der einzelnen Gruppenangehörigen geschützt, wenn der Einzelne gerade aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit angegriffen wird.69 Die erhöhte Schutzbedürftigkeit der vom Anwendungsbereich des Gesetzes abschließend erfassten Gruppen ergibt sich daraus, dass die Gruppenzugehörigkeit regelmäßig durch Geburt bestimmt wird und infolgedessen einen permanenten und stabilen Charakter hat, der nicht durch 65
Zöller (Anm. 4), 651. Helmut Gropengießer, Landesbericht Deutschland, in: Albin Eser/Helmut Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. I, 2003, 121 ff., 164 f., 174 ff., 217, 221 ff. 67 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, 9.8.1954, BGBl. 1954 II, 730; de Than/Shorts (Anm. 15), 66 ff. 68 Ambos (Anm. 57), § 7 Rn. 129; Werle (Anm. 57), Rn. 661; Alicia Gil Gil, Die Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermordes im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, ZStW 112 (2000), 381, 393 f. 69 Werle (Anm. 57), Rn. 664; Barbara Lüders, Die Strafbarkeit von Völkermord nach dem Römischen Statut für den Internationalen Gerichtshof, 2004, 263. 66
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bloße Distanzierung von der Gruppe aufgelöst werden kann.70 Insofern gilt als Gruppe eine durch gemeinsame Merkmale dauerhaft verbundene Personenmehrheit, die sich von der übrigen Bevölkerungsmehrheit abhebt.71 Im subjektiven Tatbestand wird über die vorsätzliche Verwirklichung der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VStGB aufgeführten Tathandlungen hinaus die Absicht vorausgesetzt, eine entsprechende Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.72 Es ist vor allem diese Absicht i.S.v. dolus directus 1. Grades, aus der sich der spezifische Unrechtsgehalt des Völkermordes ergibt.73 Nur wenn die einzelne Tathandlung aus Sicht des Täters ein Schritt zur insgesamt angestrebten Zerstörung der Gruppe ist, erlangt sie als Störung des Weltfriedens eine völkerrechtliche Dimension.74 Vor diesem Hintergrund kommt die Einstufung terroristischer Verhaltensweisen als Völkermord regelmäßig nicht in Betracht. Zwar umschreiben Tathandlungen wie die Tötung oder die Zufügung schwerer körperlicher Schäden in objektiver Hinsicht typische Erscheinungsformen terroristischer Gewaltkriminalität. Das spezifisch völkerstrafrechtliche, subjektive Element der Zerstörungsabsicht passt jedoch nur ungenau auf die beschriebene, terroristische Motivationslage. Zwar sind Opfer terroristischer Anschläge oftmals Angehörige bestimmter nationaler oder religiöser Gruppen (z.B. US-Bürger, Israelis, Sunniten, Schiiten, Juden oder Christen). Meist geht es den Terroristen aber weder als Zwischen- noch als Endziel um die Zerstörung solcher Gruppen, sondern um eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach den eigenen ideologischen Vorstellungen. So kommt es etwa islamistischen Akteuren vor allem auf die Schaffung eines Kalifats und damit nicht auf die Ausrottung, sondern die Bekehrung der Ungläubigen oder nicht ausreichend Strenggläubigen zum „wahren Glauben“ an, was deren Überleben denknotwendig voraussetzt.75 Auch bei dem vermeintlichen Gegenbeispiel der grausamen Verfolgung der Jesiden im Nordirak und in Syrien durch Angehörige des IS geht es bei genauer Betrachtung nicht primär um die Zerstörung der Gruppe. Stattdessen wird den Jesiden von den Extremisten als Ungläubige schlicht 70
Ambos (Anm. 57), § 7 Rn. 132; Werle (Anm. 57), Rn. 547, 562; Claus Kreß, § 6 VStGB, in: MüKo StGB (Anm. 30), Rn. 34. 71 Ambos (Anm. 57), § 7 Rn. 132; Werle (Anm. 57), Rn. 666; Regine Hartstein, Materielles Völkerstrafrecht, in: Hans-Heiner Kühne/Robert Esser/Marc Gerding (Hrsg.), Völkerstrafrecht, 2007, 61, 86. 72 Zöller (Anm. 4), 658. 73 Ambos (Anm. 57), § 7 Rn. 151; Helmut Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl. 2016, § 15 Rn. 15; Frank Selbmann, Der Tatbestand des Genozids im Völkerstrafrecht, 2003, 166. 74 Werle (Anm. 57), Rn. 712. 75 Zöller (Anm. 4), 659.
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der Stellenwert von Menschen abgesprochen. Sie gelten in dieser menschenverachtenden Ideologie als Besitz und dürfen daher getötet oder versklavt werden, sofern sie nicht zum Islam konvertieren. Allenfalls wird man hier annehmen können, dass die Tötung Andersdenkender oder Andersgläubiger zur Verwirklichung eines angeblich höheren Zwecks im Sinne von dolus eventualis billigend in Kauf genommen wird. Das aber genügt dem Absichtserfordernis des Völkermordtatbestandes nicht.76 Zudem baut die Kommunikationsstrategie des modernen Terrorismus primär auf eine eher zufällige Viktimisierung Unbeteiligter, um die Schreckenswirkung ihrer Gewalttat als Zwischenziel zu erhöhen.77 Damit werden auch Opfer aus den eigenen Reihen, etwa die Tötung von Muslimen bei islamistischen Selbstmordattentaten, bewusst in Kauf genommen. Im Übrigen dürften Terroristen bei ihrer Nadelstichtaktik regelmäßig nicht davon ausgehen, substantielle Teile derart großer Gruppen wie Christen, Juden oder US-Bürger auch nur ansatzweise zerstören zu können.78 III. Terrorismus und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Demgegenüber liegt es auf den ersten Blick schon sprachlich näher, Terrorismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Vergleicht man die Bandbreite typischer Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus mit dem Katalog der Einzeltaten in § 7 VStGB, so zeigen sich durchaus Übereinstimmungen. Zum Kernbereich terroristischer Gewaltkriminalität zählen etwa die dort genannte vorsätzliche Tötung von Menschen, die Folterung von Gefangenen, die Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden oder schwerwiegende Freiheitsberaubungen.79 Um die Einstufung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu rechtfertigen, müssen sich solche Einzeltaten jedoch in den größeren Zusammenhang der auch als „Chapeau“ bezeichneten Gesamttat einfügen.80 Sie müssen dazu im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 76
Werle (Anm. 57), Rn. 714. Vgl. Arnold (Anm. 56), 300. 78 Vgl. Kreß (Anm. 53), 367 f. m.w.N. 79 Näher hierzu Zöller (Anm. 4), 663 ff. 80 William A. Schabas, An Introduction to the International Criminal Court, 2. Aufl. 2004, 46; Gerhard Werle, Konturen eines deutschen Völkerstrafrechts, JZ 2001, 885, 892; Andreas Zimmermann, Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Gerichte nach In-Kraft-Treten des Völkerstrafgesetzbuchs, NJW 2002, 3068, 3069; Marc Engelhart, Der Weg zum Völkerstrafgesetzbuch – Eine kurze Geschichte des Völkerrechts, Jura 2004, 734, 737. 77
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begangen worden sein.81 Auf diese Weise werden der kollektive Charakter des Verbrechens betont und Angriffe gegen Einzelpersonen sowie isolierte Gewaltakte ausgeschlossen.82 Um zu vermeiden, dass typische Erscheinungsformen der Allgemeinheit (z.B. der Organisierten Kriminalität) zu Völkerrechtsverbrechen hochgestuft werden, wird die Täterqualität eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit vor dem Hintergrund des Erfordernisses eines „systematischen Angriffs“ gegen eine Zivilbevölkerung zudem auf Staaten und solche Organisationen beschränkt, die im Hinblick auf ihren Organisationsgrad und ihre Schlagkraft mit staatlichen Organisationen vergleichbar sind.83 Dies wird man für die großen, global operierenden Organisationen wie Al-Qaida, Hamas oder Hisbollah, vor allem aber mit Blick auf den IS durchaus bejahen können, dessen Besonderheit darin besteht, dass es sich zugleich um ein Staatenprojekt auf dem Boden der Scharia handelt. Demgegenüber fallen kleinere terroristische Vereinigungen mangels staatsgleichen Macht- oder Gewaltpotenzials regelmäßig aus dem Anwendungsbereich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit heraus. Im Übrigen ist darauf zu achten, dass der Gesamttat auch zeitlich eindeutige Konturen i.S. eines einheitlichen Tuns zu geben sind, um eine Art „völkerstrafrechtliche Sammelklage“ zu vermeiden, die lediglich eine Aneinanderreihung isolierter Einzeltaten darstellt.84 Bei Wahrung dieser Voraussetzungen erscheint eine Strafverfolgung terroristischer Verhaltensweisen im Einzelfall durchaus als juristisch zulässig. IV. Terrorismus und Kriegsverbrechen Schließlich lässt sich insbesondere vor dem Hintergrund des von den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 propagierten „War on Terrorism“ erwägen, terroristische Akte als Kriegsverbrechen einzustufen.85 Im juristischen Sinne ist unter einem Kriegsverbrechen der unmittelbar nach Völkerrecht strafbare Verstoß gegen eine Regel des humanitären Völkerrechts zu verstehen.86 Ebenso wie Art. 8 des Römischen Statuts setzen auch die §§ 8 ff. VStGB voraus, dass die dort im einzeln aufgeführten Tathandlungen in einem funktionalen Zusam81
Werle (Anm. 57), Rn. 626; Zimmermann (Anm. 60), 101. Vgl. ICTY (Trial Chamber), Prosecutor v. Dusko Tadic, Urteil vom 7.5.1997, para. 622; Werle (Anm. 57), Rn. 756. 83 Ambos (Anm. 57), § 7 Rn 188; Gil Gil (Anm. 68), 391 f.; Markus Mavany, Terrorismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Analyse und Konsequenzen der Zuordnung zum Völkerstrafrecht, ZIS 2007, 324, 329. 84 Zöller (Anm. 4), 669 ff. 85 Vgl. Gotzel (Anm. 3), 279 ff. 86 Gotzel (Anm. 3), 282; Satzger (Anm. 73), § 15 Rn. 53; Werle (Anm. 57), Rn. 900; Hartstein (Anm. 71), 91. 82
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menhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen werden. Die Tat muss also gerade wegen des Konflikts begangen werden.87 Überträgt man dies auf aktuelle Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus, so ergibt sich hinsichtlich der Anwendbarkeit der §§ 8 ff. VStGB ein weitgehend negativer Befund. Dies gilt schon deshalb, weil nach vorzugswürdiger Auffassung der sog. Staatsterrorismus und damit auch Handlungen von Streitkräften während eines bewaffneten Konflikts oder von staatlichen Sicherheitskräften in Wahrnehmung ihrer Amtspflichten nicht der aktuell vorherrschenden Phänomenologie des modernen Terrorismus entsprechen, bei der es sich um eine gewaltbasierte Kommunikationsform von Privaten handelt.88 Auch zielen die in den §§ 8 ff. VStGB genannten Einzeltaten schon vom Wortlaut her nicht auf terroristische Verhaltensweisen ab.89 Mit der Bezugnahme auf „nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Personen“ als Tatopfer (vgl. § 8 Abs. 1 VStGB) fallen Anschläge auf Angehörige staatlicher Streit- und Sicherheitskräfte von vornherein aus dem Anwendungsbereich heraus. „Militärische Mittel“ als Tatwerkzeuge stehen Terroristen über illegal auf dem Schwarzmarkt erworbene oder vom Gegner erbeutete, einzelne Waffen und Ausrüstungsgegenstände hinaus regelmäßig nicht zur Verfügung. Die Anknüpfung an einen internationalen bewaffneten Konflikt scheidet schon deshalb aus, weil terroristische Vereinigungen in aller Regel einen Zusammenschluss privater Individuen und keinen Staat darstellen und sich die Zurechnung terroristischer Verhaltensweisen Privater zu einem Staat nur in den seltensten Fällen juristisch belastbar nachweisen lässt.90 Und selbst beim IS ist es mehr als zweifelhaft, ob er die drei konstituierenden Elemente eines Staates, d.h. Staatsgebiet, Staatsvolk und eine effektiv ausgeübte Staatsmacht, aufweist. Denkbar erscheint es demgegenüber, jedenfalls in Ausnahmefällen wie dem derzeitigen Bürgerkrieg in Syrien von einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen. Allerdings kann ein solcher Zusammenhang in örtlicher Hinsicht nur angenommen werden, wenn die Gewalthandlung auch auf dem Territorium der Konfliktparteien stattfindet.91 Sog. „Out of Theater“-Fälle wie z.B. die Tötung von deutschen Touristen in Istanbul oder von Reisenden am Brüsseler Flughafen durch mutmaßliche IS-Terroristen fallen damit von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Kriegsverbrechen heraus.92 Schon von ihrer Entstehungsgeschichte her sind diese Tatbestände des Völkerstrafrechts auf nationale Befreiungskriege 87 88 89 90 91 92
Zöller (Anm. 4), 684 ff. m.w.N. Zöller (Anm. 4), 686 f. de Than/Shorts (Anm. 15), 251. Vgl. Jörn Ipsen, Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, 28. Aufl. 2016, § 1 Rn. 4. Arnold (Anm. 56), 155 ff. Zöller (Anm. 4), 689 f.
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zugeschnitten. Dieser Rahmen passt nicht auf die Nadelstichtaktik terroristischer Akteure, auch wenn diese Einzeltaten wiederholt und in großer Zahl begangen werden.
F. Ausblick: Schaffung eines neuen Völkerrechtsverbrechenstatbestandes? Damit komme ich zum Schluss und zu der Frage, ob, wenn Terrorismus schon kein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Völkerrechtsverbrechen ist, jedenfalls de lege ferenda die Schaffung eines eigenständigen Straftatbestands auf völkervertragsrechtlicher Grundlage empfehlenswert ist. Diese Frage möchte ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Zwar lässt sich hierfür der Aspekt der Rechtsklarheit anführen. Schließlich muss man ehrlicherweise zugeben, dass die soeben demonstrierten Versuche zur Subsumtion terroristischer Verhaltensweise unter die bereits existierenden Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs letztlich nichts anderes als eine Umgehung des fehlenden Konsenses bzw. der ablehnenden Haltung zahlreicher UN-Mitglieder hinsichtlich einer eigenständigen Kriminalisierung auf der Ebene der internationalen Staatengemeinschaft darstellen. Eine für alle Staaten akzeptable Terrorismusdefinition wird es nie geben. Bei einer Zuständigkeitserweiterung des IStGH wäre die Gefahr einer Politisierung seiner Arbeit evident. Dabei ist gerade er auf das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft in besonderem Maße angewiesen. Zudem wäre seine Zielsetzung im Bereich der Aburteilung eines Völkerrechtsverbrechens Terrorismus eine ganz andere. Während es bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Aggression gerade um den Ausgleich von Strafverfolgungsdefiziten auf nationaler Ebene geht, müsste er bei einem Völkerrechtsverbrechen Terrorismus angesichts der Regelungs- und Verfolgungswut zahlreicher Staaten, die den Vorwurf des Terrorismus häufig schlicht zur Ausschaltung politischer Gegner missbrauchen, vermutlich eher rechtsstaatlich einschränkend wirken. Das wäre eine ganz neue Dimension internationaler Strafrechtspflege.93 In jedem Fall müsste ein solcher Völkerstrafrechtstatbestand der besonderen Motivation terroristischer Straftäter Rechnung tragen. Gerade subjektive Tatbestandsmerkmale bergen aber traditionell das Risiko fehlender Nachweisbarkeit. Zudem könnten sie den Rückfall in ein längst überwunden geglaubtes Gesinnungsstrafrecht bedeuten, in dem man Menschen nicht mehr nur für das bestraft, was sie getan haben, sondern auch für das, was man ihnen zutraut. Allein den Anschein dessen sollten wir uns ersparen. 93 Zu diesem Aspekt Florian Jeßberger, Zur Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes bei der Verfolgung des Terrorismus, in: Sinn/Zöller (Hrsg.) (Anm. 1), 175, 182 f.
Die Bekämpfung von Al Qaida, dem sog. „Islamischen Staat“ und Boko Haram Von John Beuren
A. Einleitung Die internationale Staatengemeinschaft reagiert auf die von islamistischen Terrororganisationen ausgehende Bedrohung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Instrumentarien. In weiten Teilen bedurfte es dabei einer rechtsfortbildenden Anpassung ihrer ursprünglich nicht auf entsprechende Konfliktlagen ausgerichteten Eingriffsmittel. Die zum Einsatz kommenden Maßnahmen reichen von gegen Individuen gerichteten Waffen-, Reise- und Finanzembargos über multinationale Militäreinsätze bis hin zu Mitteln des Völkerstrafrechts. Mit diesem Beitrag werden zwei Ziele verfolgt. Zum einen soll ein Überblick über die Vielfalt der ergriffenen Maßnahmen geschaffen werden, wozu sich eine adressatenbezogene Betrachtung anbietet. Als Anschauungsbeispiel dienen die Organisationen, die unser Bild vom internationalen islamistischen Terrorismus in der näheren Vergangenheit wohl am meisten geprägt haben: Al Qaida, der sog. „Islamische Staat“ (IS) und Boko Haram.1 Zum anderen soll – soweit dies jeweils von Bedeutung ist – ein Blick auf die Herausforderungen geworfen werden, welche bei der rechtfortbildenden Anpassung der Eingriffsmittel bestehen. U.a. stellt sich die Frage, wer an den Verhandlungen, die auf die jeweiligen Entscheidungen zuführen, beteiligt werden sollte. Dies betrifft insbesondere die Maßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
B. Al Qaida, der sog. „Islamische Staat“ und Boko Haram War Al Qaida noch vor ein paar Jahren unbestritten die einflussreichste islamistische Terrororganisation, sieht sich die Gruppierung nunmehr einer starken 1
Vgl. dazu auch General Assembly, Activities of the United Nations system in implementing the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, Report of the Secretary General, 12.4.2016, UN Doc. A/70/826, Ziff. 4.
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Konkurrenz ausgesetzt. Insbesondere der IS vermochte es, eine große Anzahl ausländischer Kämpfer anzuwerben2 und verschiedene Regionalableger Al Qaidas auf seine Seite zu ziehen.3 Der IS zählte vormals ebenfalls zu den Regionalablegern Al Qaidas und firmierte unter dem Namen „Al Qaida im Irak“.4 Die strategische Ausrichtung seines Führers Abu Bakr al-Baghdadi unterschied sich jedoch von Beginn an in wesentlichen Punkten von den Vorstellungen der Al QaidaFührung.5 Bei Ausbruch des Syrien-Konfliktes ergriff er die Möglichkeit, seinen Einflussbereich zu erweitern und ließ dort die Al Nusra-Front gründen.6 Diese konnte das im Verlauf des syrischen Bürgerkriegs entstandene Machtvakuum schnell für sich nutzen und nach kurzer Zeit große Landgewinne verzeichnen.7 Die Al Nusra-Front löste sich im weiteren Verlauf jedoch von Al Qaida im Irak und schloss sich der Kern-Al Qaida an.8 Deren Führer Aiman al-Zawahiri forderte Abu Bakr al-Baghdadi anschließend auf, sein Operationsgebiet nunmehr auf den Irak zu begrenzen, während die Al Nusra-Front für Syrien zuständig sein sollte.9 Dies war mit dem Machtanspruch von Abu Bakr al-Baghdadi nicht zu vereinbaren, weshalb es im Februar 2014 zum Bruch mit der Dachorganisation und zur Gründung des IS kam.10 Es folgten offen ausgetragene Kämpfe zwischen dem IS und 2
Vgl. Security Council, Report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da’esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat, 31.5.2016, UN Doc. S/2016/501, Ziff. 18. 3 So etwa Boko Haram, vgl. Security Council, Letter dated 16 June 2015 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning Al-Qaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 16.6.2015, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 6, 30. 4 General Assembly, Activities of the United Nations system in implementing the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, Report of the Secretary General, 12.4.2016, UN Doc. A/70/826, Ziff. 9. 5 Vgl. dazu ebd., Ziff. 10. Zur Strategie von Al Qaida im Irak und ihrer Nachfolgeorganisation, dem IS, gehört es etwa, gezielte Angriffe auf Schiiten im Irak und ihre Heiligtümer auszuüben, um sie gegen die sunnitische Bevölkerung aufzubringen und auf diese Weise das Land weiter zu destabilisieren. Die Kernorganisation Al Qaidas unter Osama bin Laden verurteilte die Gewaltakte gegen Schiiten, vgl. Wilfried Röhrich, Die Politisierung des Islam – Islamismus und Dschihadismus, 2015, 30 f. 6 Security Council, Letter dated 13 November 2014 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning AlQaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 14.11.2014, UN Doc. S/2014/815, Ziff. 18. 7 Ebd., Ziff. 8 f. 8 Ebd., Röhrich (Anm. 5), 30 f. 9 Vgl. dazu Röhrich (Anm. 5), 31. 10 Vgl. dazu Security Council, Letter dated 13 November 2014 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concern-
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der Al Nusra-Front in Syrien. Bekanntlich konnte sich der IS im irakisch-syrischen Grenzgebiet zunächst erheblich ausbreiten. Mittlerweile scheint er jedoch zunehmend zurückgedrängt zu werden. Der IS und Al Qaida vertreten die gleiche Grundideologie und zielen jeweils auf die Errichtung eines übernationalen islamischen Reiches ab.11 Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal liegt jedoch in der Vorstellung davon, auf welchem Weg sich ihre Ziele am effektivsten umsetzen lassen.12 Al Qaida nimmt die Rolle einer ideologischen Leitstelle für Jihadisten weltweit und einer Verbindungsstelle ein, die ihre vielzähligen regionalen Gruppierungen, die sich ihr seit 2003 anschlossen und größtenteils nach ihr benannten,13 miteinander vernetzt. Es werden häufig Allianzen mit lokalen Machthabern geschmiedet, um auf diese Weise auf bestehende regionale Strukturen aufbauen zu können. Im Gegensatz dazu setzt der IS auf Unterwerfung und beansprucht die alleinige Kontrolle in den von ihm besetzten Gebieten.14 Am 29. Juni 2014 ernannte sich Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen, womit er eine Verbindungslinie zu den ersten islamistischen Staatsvisionen zog.15 ing Al-Qaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 14.11.2014, UN Doc. S/2014/815, Ziff. 7, 11. 11 Vgl. Security Council, Letter dated 13 November 2014 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning AlQaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 14.11.2014, UN Doc. S/2014/815, Ziff. 7. 12 General Assembly, Activities of the United Nations system in implementing the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, Report of the Secretary General, 12.4.2016, UN Doc. A/70/826, Ziff. 10; Security Council, Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, UN Doc. S/2016/629, Ziff. 1 ff. 13 Einen Überblick über die verschiedenen derzeit mit Al Qaida verbundenen Gruppierungen verschafft Security Council, Letter dated 16 June 2015 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning Al-Qaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 16.6.2015, UN Doc. S/2015/441. 14 General Assembly, Activities of the United Nations system in implementing the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, Report of the Secretary General, 12.4.2016, UN Doc. A/70/826, Ziff. 10. 15 Vgl. dazu Röhrich (Anm. 5), 33 f. und Security Council, Letter dated 3 November 2014 from the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning Al-Qaida and associated individuals and entities, 3.11.2014, UN Doc. S/2014/ 815, Ziff. 12 ff.
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Der IS stellt im Gegensatz zu seinem Selbstverständnis jedoch – jedenfalls im völkerrechtlichen Sinne – keinen Staat dar. Ein Staat zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass sich die ausgeübte Staatsgewalt hinreichend gefestigt hat. Dies erfordert eine gewisse Dauerhaftigkeit und die Gewissheit, dass die Staatsgewalt nicht in absehbarer Zeit von einer anderen Macht wieder übernommen wird.16 Der IS ist dauerhaft Angriffen sowohl von Truppen der irakischen und der syrischen Armee, die von Russland und dem Iran unterstützt wird, als auch von Streitkräften einer US-geführten Allianz mehrerer weiterer Staaten ausgesetzt. Dabei kommt es stetig zu Gebietszugewinnen und -verlusten.17 Die Staatsqualität des IS ist auch zu verneinen, wenn man nur solche Einheiten als Staaten anerkennen will, die weitere Voraussetzungen wie die Achtung grundlegender Menschenrechte und des Gewaltverbots erfüllen.18 Die gemeinsamen Werte der Weltgemeinschaft scheint der IS gerade zu bekämpfen. Der religiöse Wertebezug, den sich der IS setzt, kann angesichts seiner menschenverachtenden Praktiken nur als pervertierendes Etikett bezeichnet werden. Wie der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, treffend feststellte: „groups like the Islamic State in Iraq and the Levant (ISIL) – or Daesh – have nothing to do with Islam, and they certainly do not represent a State. They should more fittingly be called the Un-Islamic NonState.“19 Zwischenzeitlich versuchte der IS, seinen Einflussbereich über Verbündete in Libyen, dem Jemen und in West-Afrika auszuweiten, und hat „Provinzen“ in
16 Vgl. James R. Crawford, State, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition (www.mpepil.com), Stand: Januar 2011, Rn. 42. Vgl. dazu auch Ralph Janik, Wie der „Islamische Staat“ unser Staatsdenken in Frage stellt, http://www.juwiss.de/6-2015/ (letzter Zugriff am 30.9.2016), der für einen qualifizierten Staatsbegriff eintritt. 17 Vgl. nur Security Council, Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, UN Doc. S/2016/629, Ziff. 7 ff. Die Staatsqualität des IS vor diesem Hintergrund ebenfalls verneinend: Holger Kremser, Der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Lichte des Staats-, Europa- und Völkerrechts, DVBl. 14 (2016), 881, 882. 18 So etwa Janik (Anm. 16). 19 Security Council, Threats to international peace and security caused by terrorist acts – Foreign terrorist fighters, 24.9.2014, UN Doc. S/PV.7272, 3.
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anderen Ländern ausgerufen,20 was zu zusätzlichen Spannungen mit Al Qaida führte.21 Ein prominentes Beispiel dafür ist die nigerianische Terrororganisation Boko Haram, deren Anführer Abubakar Shekau zunächst Al Qaida und anschließend, im März 2015, dem IS die Treue schwor.22 Boko Haram versteht sich als islamischrevolutionäre Bewegung, die den westlichen Einfluss zurückzudrängen versucht und ebenfalls auf die Errichtung eines islamischen Staates abzielt. Seit 2010 hat die Gruppierung zunächst große Teile Nord-Nigerias unter ihre Kontrolle bringen können und im August 2014 in den von ihr zu der Zeit kontrollierten Gebieten (ebenfalls) ein Kalifat ausgerufen.23 In der Folge weitete Boko Haram ihr Operationsgebiet auch auf die Staaten Kamerun, Tschad und Niger aus,24 welche die Terrororganisation mittlerweile gemeinsam mit Einheiten Nigerias und des Benin militärisch bekämpfen.25 Auf Grund des Konflikts und dessen humanitären Folgen befinden sich in der Region über 2,5 Millionen Menschen auf der Flucht.26 Derweil entbrannte in der Gruppierung ein Führungsstreit, der auf die erheblichen 20 General Assembly, Activities of the United Nations system in implementing the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, Report of the Secretary General, 12.4.2016, UN Doc. A/70/826, Ziff. 10. 21 Vgl. auch Security Council, Third report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da’esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat, 30.9.2016, UN Doc. S/2016/830, Ziff. 8. Auf taktischer Ebene kooperieren die Organisationen in einigen Bereichen jedoch auch miteinander, ebd. 22 Vgl. Security Council, Letter dated 16 June 2015 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning AlQaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 16.6.2015, UN Doc. S/2015/441, Ziff. 6, 30. Seitdem wird die Gruppierung auch als „Islamischer Staat in Westafrika“ bezeichnet. Der Name Boko Haram bedeutet je nach Übersetzung „Westliche Bildung/Erziehung/Zivilisation ist Sünde/verboten“, http://www. kas.de/wf/de/71.15453/ (letzter Zugriff am 30.9.2016). 23 Amnesty International (Hrsg.), „Our job is to shoot, slaughter and kill“. Boko Haram’s reign of terror in North East Nigeria, 2014. 24 Security Council, Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, UN Doc. S/2016/629, Ziff. 38 m.w.N. 25 Vgl. http://pncp.net/news/regional-multinational-joint-task-force-combat-boko-haram (letzter Zugriff am 30.9.2016). 26 Stand: Mai 2016, Security Council, Statement by the President of the Security Council, 13.5.2016, UN Doc. S/PRST2016/7.
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Gebietsverluste, die Boko Haram gegenüber der internationalen Militärallianz hinnehmen musste, zurückgeführt wird.27 Der IS gab offiziell die Ablösung von Abubakar Shekau bekannt, der sich dieser Anordnung jedoch nicht fügen will.28 Es kam offenbar zu einer Spaltung der Gruppierung zwischen den Gefolgsleuten Shekaus und der Fraktion, die dem IS weiterhin die Treue schwört.29 Abubakar Shekau wies in diesem Rahmen darauf hin, dass sich die Schulmädchen von Chibok, deren Entführung im Jahr 2014 weltweit für großes Entsetzen gesorgt und zu großen Solidaritätskampagnen geführt hatte,30 weiterhin in seiner Gewalt befänden.31 Damit stellte er klar, dass nur mit ihm über eine Freilassung verhandelt werden kann.32
C. Die Bekämpfung der Terrororganisationen I. Nicht-militärische Maßnahmen Die Staaten haben schnell erkannt, dass die Bekämpfung international vernetzter und transnational agierender Terrorgruppen neben einzelstaatlichen Maßnahmen eine Reaktion der gesamten Staatengemeinschaft erfordert. Insbesondere die Vereinten Nationen wurden als geeignete Plattform ausgemacht, um Maßnahmen abzustimmen und durchzusetzen.33 Die Generalversammlung, die für sich in Anspruch nimmt, die Ausrichtung der Anti-Terror-Maßnahmen zu bestimmen,34 hat dazu die United Nations Global Counter-Terrorism Strategy entworfen, die 27
Siehe http://www.longwarjournal.org/archives/2016/08/jihadists-argue-overleadership-of-islamic-states-west-africa-province.php, http://www.faz.net/aktuell/politik/ ausland/afrika/machtkampf-bei-boko-haram-zwischen-shekau-al-barnawi-14372051.html und http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/kommentar-machtkampf-bei-bokoharam-14387772.html (jeweils letzter Zugriff am 30.9.2016). 28 Ebd. 29 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/kommentar-machtkampf-bei-bokoharam-14387772.html (letzter Zugriff am 30.9.2016). 30 Vgl. nur http://bringbackourgirls.us, und http://www.daserste.de/specials/bringback ourgirls-100.html sowie aus den sozialen Medien https://de-de.facebook.com/bringback ourgirls/ (letzter Zugriff am 30.9.2016). 31 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/kommentar-machtkampf-bei-bokoharam-14387772.html (letzter Zugriff am 30.9.2016). 32 Ebd. 33 Vgl. dazu auch General Assembly, Activities of the United Nations system in implementing the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, Report of the Secretary General, 12.4.2016, UN Doc. A/70/826, Ziff. 2, 4. 34 Vgl. A/RES/70/291 vom 19.7.2016, Erwägungsgründe.
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auf vier Säulen fußt.35 Während nunmehr, angestoßen durch den damaligen Generalsekretär Ban Ki-moon, ein noch größerer Fokus auf präventive Maßnahmen gelegt werden soll, um bereits das Entstehen von Terrorismus zu verhindern,36 spielen auch die restriktiven Maßnahmen noch immer eine wesentliche Rolle. Mit Hilfe des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen und dem dabei im Mittelpunkt stehenden Sicherheitsrat werden die Mitgliedstaaten zur Vornahme konzertierter Maßnahmen verpflichtet. Dies ist deshalb interessant, weil das Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen nicht auf die Abwehr von Gefahren zugeschnitten ist, die von Terrororganisationen ausgehen. Die Vereinten Nationen haben in diesem Rahmen eine äußerst bemerkenswerte Weiterentwicklung zur Anpassung an die Bedrohungslage vollzogen, indem sie ihren Handlungsspielraum in beispielloser Weise ausweiteten,37 was Fragen aufwirft, die noch immer nicht zur allgemeinen Überzeugung beantwortet worden sind. 1. Das 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregime Zentrale Bedeutung hat in diesem Rahmen das 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregime,38 welches auf den Erlass der Sicherheitsresolution 1267 vom 15. Oktober 1999 zurückgeht und bis heute stetig weiterentwickelt wurde. Das auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta erlassene Regime nimmt Al Qaida und den IS als primäre Sanktionsadressaten ins Visier. Zudem richtet es sich auf einer nächsten Stufe gegen sämtliche mit ihnen verbundenen Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen. Dazu wird auch Boko Haram 35 A/RES/60/288 vom 8.9.2006. Die vier Säulen lauten: 1. Measures to address the conditions conducive to the spread of terrorism, 2. Measures to prevent and combat terrorism, 3. Measures to build States’ capacity to prevent and combat terrorism and to strengthen the role of the United Nations system in this regard, 4. Measures to ensure respect for human rights for all and the rule of law as the fundamental basis of the fight against terrorism. Die Strategie wird alle zwei Jahre überprüft und ggf. neu ausgerichtet, zuletzt durch A/RES/70/291 vom 19.7.2016. 36 Vgl. General Assembly, Plan of Action to Prevent Violent Extremism, Report of the Secretary-General, 24.12.2015, UN Doc. A/70/674. 37 Vgl. dazu bereits Nico Krisch, The Rise and Fall of Collective Security Terrorism, US Hegemony, and the Plight of the Security Council, in: Christian Walter et al. (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 879, 890 ff. 38 Es wird insbesondere als wichtiges Mittel angesehen, die Organisationen vom internationalen Finanzmarkt abzuschneiden, vgl. dazu etwa die Rede des damaligen USamerikanischen Finanzministers Jacob Lew, Security Council, Threats to international peace and security caused by terrorist acts, 17.12.2015, UN Doc. S/PV.7587, 5 ff.
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gezählt und seit dem 22. Mai 2014 von dem Regime erfasst.39 Da es sich bei dem IS, Al Qaida und den mit ihnen verbündeten Organisationen wie Boko Haram um transnational agierende und international vernetzte Gruppierungen mit Unterstützern in wohl der Mehrzahl der Mitglieder der Staatengemeinschaft handelt, ist sein Anwendungsbereich weitgehend entterritorialisiert.40 Das Vorgehen gegen diese Organisationen konnte nur im Wege einer rechtsfortbildenden Auslegung der UN-Charta erfolgen. Der Sicherheitsrat kann zwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta bekanntlich nur erlassen, wenn eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt (Art. 39 UN-Charta). Für den Sicherheitsrat stellt der internationale Terrorismus eine (abstrakte) Bedrohung des Friedens dar, die ihn zum Erlass verschiedener Sanktionen veranlasst hat. Eine Friedensbedrohung sollte nach herkömmlicher Lesart der UN-Charta jedoch nur anzunehmen sein, wenn im Einzelfall ein mit Zwangsmitteln ausgeübter Konflikt zwischen Staaten droht.41 Als Sanktionsadressaten kamen für die Gründungsmütter und -väter der UN-Charta ebenfalls nur Staaten in Betracht.42 Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung hat der Sicherheitsrat nun auch Privatakteure zu potentiellen Störern des internationalen Friedens und möglichen Sanktionsadressaten erhoben und damit zugleich in (quasi-)legislativer Manier das völkerrechtliche Verbot friedensbedrohenden Verhaltens auf Individuen ausgeweitet. Durch das Regime werden alle Staaten verpflichtet, Sanktionen gegen den IS, Al Qaida und ihre Verbündeten wie Boko Haram in Form von gezielten Finanz-, Waffen- und Reisembargos umzusetzen43 (sog. „smart sanctions“ oder „targeted sanctions“). Zur Bestimmung der Sanktionsadressaten hat der Sicherheitsrat auf Grundlage von Art. 29 UN-Charta einen Sanktionsausschuss eingerichtet, welcher
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Security Council, Press Release, 22.5.2014, SC/11410. Listenkennung: QE.B. 138.14. Betroffen sind diverse weitere Unterstützer- und Splittergruppen, wozu u.a. die bereits erwähnte Al Nusra-Front, Al Qaida im Islamischen Maghreb, Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel und Ansar Al Sharia zählen, vgl. dazu die Sanktionsliste, https:// www.un.org/sc/suborg/en/sanctions/1267/aq_sanctions_list (letzter Zugriff am 30.9.2016). 40 Kimberly Prost, Fair Process and the Security Council: A Case for the Office of the Ombudsperson, in: Ana María Salinas de Frías et al. (Hrsg.), Counter-Terrorism – International Law and Practice, 2012, 409, 411, beschreibt dies als die „innovative and unique features“ des Regimes. 41 Vgl. dazu ausf. John Beuren, Das Al Qaida-Sanktionsregime als Ausübung supranationaler Kompetenzen durch den Sicherheitsrat, 2016, 115 ff. 42 Ebd. 43 S/RES/2253 (2015) vom 17.12.2015, Ziff. 2.
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mit Vertretern aller Sicherheitsratsmitglieder besetzt ist.44 Der Ausschuss führt zu diesem Zweck eine auf seiner Internetseite frei einsehbare Liste mit den Namen der Sanktionsadressaten.45 Über das „listing“ entscheidet der Ausschuss auf Antrag eines seiner Mitglieder46 nach Maßgabe der Kriterien des sog. „associated with“Tests.47 Dabei handelt es sich um eine äußerst weitreichende Legaldefinition des sanktionsbewehrten Tatbestandes, nach welcher sich also bemisst, welche Personen und Organisationen als Verbündete oder Unterstützer der Terrororganisationen gelten sollen. Der Tatbestand nach dem „associated with“-Test weist – notwendiger Weise – eine abstrakt-generelle Natur auf, womit er als weitere Ausprägung des (quasi-)legislativen Vorgehens des Sicherheitsrats betrachtet werden kann. Der Sicherheitsrat sieht zudem ein in den letzten Jahren immer weiter entwickeltes Rechtsschutzverfahren für die Adressaten der Sanktionen vor (sog. „de listing“-Verfahren). Im Mittelpunkt des „de listing“-Verfahrens steht mittlerweile eine Ombudsperson, an die sich die Betroffenen mit einem Antrag auf Streichung von der Liste direkt wenden können.48 Die Ombudsperson verfügt jedoch nicht über die Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über den Antrag; diese obliegt grundsätzlich dem Sanktionsausschuss und in letzter Instanz dem Sicherheitsrat.49 Diese Eigenschaften qualifizieren das Sanktionsregime zu einem supranationalen Regelungsregime, indem es die Rechte und Pflichten von Privatakteuren unmittelbar ausgestaltet und sich der Sicherheitsrat dabei auf einen (Anwendungs-)vorrang vor
44 Vgl. zum Mandat des Ausschusses ebd., Ziff. 37 ff. Zu den rechtlichen Grenzen der Delegation von Aufgaben des Sicherheitsrats an Sanktionsausschüsse: Anne Peters, Article 25, in: Bruno Simma/Daniel Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, Bd. I, 3. Aufl. 2012, Rn. 21. Vor diesem Hintergrund im Hinblick auf den mit S/RES/1267 (1999) vom 15.10.1999, Ziff. 6, eingesetzten Sanktionsausschuss kritisch: Andrew Hudson, Not a Great Asset: The UN Security Council’s Counter-Terrorism Regime: Violating Human Rights, BJIL 25 (2007), 203, 209. Die Übertragung von Kompetenzen an Sanktionsausschüsse darf indes mittlerweile als rechtlich anerkannte Praxis gelten, Rüdiger Wolfrum, Le contrôle juridictionnel des décisions du Conseil de Sécurité (ONU), 1, 13 f., http://www.idi-iil.org (letzter Zugriff am 30.9.2016). Aktualisierte Fassung des Beitrags aus: AnnIDI 75 (2013), 43 ff. 45 S/RES/2253 (2015) vom 17.12.2015, Ziff. 37. Die Liste kann unter https://www.un. org/sc/suborg/en/sanctions/1267/aq_sanctions_list abgerufen werden (letzter Zugriff am 30.9.2016). 46 S/RES/2253 (2015) vom 17.12.2015, Ziff. 43. 47 Ebd., Ziff. 2 und 5. 48 Ebd., Ziff. 54 ff. und Annex II. 49 Ebd., Ziff. 55 f. und Annex II, Ziff. 14 f.
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dem staatlichen Recht beruft.50 Damit nimmt er einen Teil der grundsätzlich den Staaten vorbehaltenen Hoheitsgewalt zur Ausgestaltung von Individualrechten für sich in Anspruch.51 Die unmittelbare Ausgestaltung von Individualrechtspositionen durch den Sicherheitsrat ist ein nicht unkritisch zu betrachtender Vorgang. Wie aus den intensiv geführten Diskussionen um die (demokratietheoretische) Rechtfertigung der Ausübung supranationaler Kompetenzen durch die Europäische Union (EU) hinreichend bekannt ist,52 ist neben der Frage der Legalität dieses Vorgehens auch die Frage ihrer Legitimität betroffen. Unter Legitimitätsgesichtspunkten ist insbesondere das „demokratische Defizit“ der Resolutionen des lediglich mit 15 Mitgliedern der Staatengemeinschaft besetzten Sicherheitsrats in den Blick zu nehmen.53 50
Vgl. dazu Beuren (Anm. 41), 80 f.; Bardo Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the Security Council and Due Process Rights – A Study by the UN Office of Legal Affairs and Follow-up Action by the United Nations, IOLR 3 (2006), 437, 461; Lisa Ginsborg/Martin Scheinin, You Can’t Always Get What You Want: The Kadi II Conundrum and the Security Council 1267 Terrorist Sanctions Regime, EHRR 8 (2011), 7, 9; Jörg Föh, Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 – Auswirkungen auf das Völkerrecht und die Organisation der Vereinten Nationen, 2011, 144; Andreas von Arnauld, Der Weg zu einem „Solange I ½“ – Die Umsetzung der gezielten UN-Sanktionen durch die EU nach Einrichtung der UN-Ombudsstelle – europäische oder globale rule of law?, EuR 2013, 236, 237; Martin Scheinin, Zurück zur Post9/11-Panik? Die Resolution des Sicherheitsrats zu Terrorkämpfern, 25.9.2014, http:// verfassungsblog.de/back-post-911-panic-security-council-resolution-foreign-terroristfighters/ (letzter Zugriff am 30.9.2016). Vgl. bereits zuvor Frédéric Mégret/Florian Hoffmann, The UN as a Human Rights Violator? – Some Reflections on the United Nations Changing Human Rights Responsibilities, HRQ 25 (2003), 314, 315. Wobei die wenigsten staatlichen Rechtsordnungen ihre Verfassungen tatsächlich den Entscheidungen internationaler Organisationen unterordnen; André Nollkaemper, The European Courts and the Security Council: Between Dédoublement Fonctionnel and Balancing of Values: Three Replies to Pasquale De Sena and Maria Chiara Vitucci, EJIL 20 (2009), 862, 864. 51 Clemens Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht – Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, 2011, 43 f. 52 Vgl. etwa Jürgen Habermas, Europa am Scheideweg, 18.6.2011, http://www. handelsblatt.com/politik/international/essay-europa-am-scheideweg/4298474.html (letzter Zugriff am 30.9.2016). 53 Steven Wheatley, The Democratic Legitimacy of International Law, 2010, 2 ff.; Ian Johnstone, Legislation and Adjudication in the UN Security Council: Bringing Down the Deliberative Deficit, AJIL 102 (2008), 275. Vgl. auch General Assembly, We the peoples: civil society, the United Nations and global governance – Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society Relations, 11.6.2004, UN Doc. A/58/817, Ziff. 7 ff.
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Die effektive Umsetzung des Regimes und damit dessen Nutzen für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus steht noch immer in Zweifel. Darauf weist bereits der Umstand hin, dass die Sanktionsliste weniger als 400 Eintragungen enthält,54 womit die von den Terrororganisationen ausgehende Bedrohung zweifellos nicht adäquat abgebildet wird. Dies ist u.a. dem Umstand geschuldet, dass das Sanktionsregime dem Vorwurf ausgesetzt ist, nicht menschenrechtskonform ausgestaltet zu sein. Dadurch sehen sich einige Staaten bei der Umsetzung rechtlichen Schwierigkeiten ausgesetzt.55 Zudem dürfte eine größere Beteiligung der nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten an der Ausarbeitung der diesem Regime – und aller anderen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung eingesetzten Regime – zu Grunde liegenden Resolutionen eine größere Akzeptanz nach sich ziehen und damit ebenfalls zur effektiveren Umsetzung beitragen. Rechtssetzungsebene und die Rechtsanwendungsebene sollen vor diesem Hintergrund näher betrachtet werden. a) Die Rechtsetzungsebene Grundsätzlich tagt der Sicherheitsrat im Kreis seiner 15 Mitglieder (vgl. Art. 28 Abs. 2 2. HS UN-Charta). Eine Ausnahme dazu sieht Art. 31 UN-Charta vor. Danach kann auch ein Mitgliedstaat, der nicht Mitglied des Sicherheitsrats ist, ohne Stimmrecht an der Erörterung jeder vor den Sicherheitsrat gebrachten Frage teilnehmen, wenn dieser der Auffassung ist, dass die Interessen dieses Mitglieds besonders betroffen sind. Der Sicherheitsrat hat grundsätzlich ein weites Verständnis vom Anwendungsbereich des Art. 31 UN-Charta und wendet ihn nicht bloß auf Fälle an, in denen ein oder mehrere Staaten im Verhältnis zu anderen „besonders betroffen“ sind (relative Betroffenheit), sondern auch wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die für alle Mitgliedstaaten von großem Interesse ist.56 Von einem solchen Fall ist auszugehen, wenn der Sicherheitsrat seine Kompetenzen derart ausweitet, wie er es im Rahmen des 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregimes getan hat. Mit dem Regime werden allen Staaten weitgehende und rechtlich nicht unumstrittene sowie administrativ anspruchsvolle Umsetzungspflichten auferlegt; zugleich wird in ihr Recht auf autonome Gestaltung ihrer Rechtsbeziehung zu der ihnen zugeordneten Bevölkerung eingegrif54
Vgl. https://www.un.org/sc/suborg/en/sanctions/1267/aq_sanctions_list (letzter Zugriff am 30.9.2016). 55 Vgl. http://www.new-york-un.diplo.de/contentblob/4662362/Daten/6041651/ 151112fairclearproceduressanctions.pdf (letzter Zugriff am 30.9.2016). 56 Vgl. zur Praxis Rudolf Dolzer/Charlotte Kreuter-Kirchhof, Article 31, in: Simma/ Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.) (Anm. 44), Rn. 18.
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fen. Dies rechtfertigt bereits ihre Beteiligung am Verfahren. Dabei stehen die Interessen des Sicherheitsrats an einer Implementierung des Regimes in nationales Recht und diejenigen der Staaten, am Verfahren beteiligt zu werden, in einem Komplementärverhältnis zueinander. Die effektive Umsetzung ist nämlich von einem „compliance pull“ abhängig, der nur auf den Legitimitätsüberzeugungen der verpflichteten Staaten gründen kann, welche darauf gründen, dass sie mitreden können.57 Die besondere Bedeutung, welche das Regime u.a. auf Grund seines (quasi-) legislativen Charakters einnimmt, führt ferner zu einer Reduzierung des dem Sicherheitsrats nach Art. 31 UN-Charta auf Rechtsfolgenebene eingeräumten Ermessens. Dies verdichtet sich zu einem Beiladungsanspruch, denn die Mitgliedstaaten sind – um eine terminologische Anleihe aus dem Europarecht zu ziehen – die „Herren der Verträge“;58 ihnen ist beim Erlass rechtfortbildender Resolutionen zumindest ein Mitspracherecht einzuräumen.59 Die bis zuletzt verfolgte Praxis, die entscheidenden Verhandlungen über konkrete Resolutionsentwürfe hinter verschlossenen Türen und zum Teil sogar nur im Kreis der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats zu führen,60 hat diesen Anspruch unberücksichtigt gelassen.61 Im Vorfeld zum Erlass von Resolution 2253
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Vgl. Keith Harper, Does the United Nations Security Council have the Competence to act as Court and Legislature?, NYUJILP 27 (1994), 103, 152. Der Vertreter der Schweiz Paul Seger, bezeichnet die Öffnung des Verfahrens als „win-win situation“ für den Sicherheitsrat und die restlichen Mitglieder der Vereinten Nationen, General Assembly, 66th session, 108th plenary meeting, 16.5.2012, UN Doc. A/66/PV.108, 2. 58 Vgl. insoweit BVerfGE 123, 267, 348 f. (Lissabon-Urteil) zum Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Europäischen Union. 59 Vgl. dazu ausf. Beuren (Anm. 41), 146 ff. Vgl. auch Antonios Tzanakopoulos, Transparency in the Security Council, in: Andrea Bianchi/Anne Peters (Hrsg.), Transparency in International Law, 2013, 367, 385, der den Staaten ein Recht zur Kontrolle der Resolutionen des Sicherheitsrats zuschreibt. Zur Ausübung dieses Rechts stehe ihnen das nachgeordnete (Hilfs-) Recht auf Zugang zu Informationen zu (mit der korrespondierenden Verpflichtung des Sicherheitsrats zur transparenten Gestaltung seines Verfahrens), auf deren Grundlage der Sicherheitsrat zu seinen Entscheidungen komme. 60 Vgl. dazu Dire Tladi/Gilian Taylor, On the Al Qaida/Taliban Sanctions Regime: Due Process and Sunsetting, ChJIL 10 (2011), 771 ff. 61 Mittlerweile wird das 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregime von der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten in seiner Grundausrichtung akzeptiert. Bis diese Akzeptanz festgestellt werden konnte, waren die Resolutionen des Sicherheitsrats als schwebend rechtswidrig anzusehen. A.A. Peter Neusüß, Legislative Maßnahmen des UNSicherheitsrats im Kampf gegen den internationalen Terrorismus – Eine Untersuchung des Inhalts und der Rechtmäßigkeit von Resolution 1373 unter besonderer Berücksichtigung
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(2015) vom 17. Dezember 2015, mit der das Regime letztmals angepasst wurde, hat der Sicherheitsrat nun jedoch eine Änderung seiner Verfahrensweise vorgenommen. Die Resolution wurde von insgesamt 68 Staaten in den Sicherheitsrat eingebracht.62 Die Sitzung des Sicherheitsrats fand zudem unter Beteiligung der Finanzminister seiner Mitglieder statt, was einen bislang einmaligen Vorgang darstellt.63 Darüber hinaus nahmen auf Grundlage von Art. 31 UN-Charta 55 Repräsentanten weiterer Mitgliedstaaten an der Sitzung teil.64 Wie noch aufzuzeigen sein wird, schließt der Sicherheitsrat damit an eine sich in jüngerer Vergangenheit abzeichnende Entwicklung seiner Praxis an, die auf einen Paradigmenwechsel hindeuten könnte. Die öffentlichen Sitzungen des Sicherheitsrats werden bisher jedoch noch nicht genutzt, um kontrovers über Einzelfragen zu diskutieren. Wie sich aus einem Bericht der sog. „Gruppe gleichgesinnter Staaten“65 ergibt, scheint der Sicherheitsrat auch nicht daran interessiert zu sein, kritische Stimmen im Rahmen seiner Sitzungen laut werden zu lassen. Die Gruppe wollte auf einer gemeinsamen öffentlichen Sitzung der Sanktionsausschüsse am 16. Juni 201566 auf die Missstände in der Ausgestaltung der Arbeitsverträge der Ombudsperson und ihrer Mitarbeiter hinweisen.67 Ein Sprecher bat dementsprechend um Teilnahme auf Grundlage von Rule 37 der Provisional Rules of Procedure of the Security Council, die Art. 31 UN-Charta umsetzt.68 Entgegen der üblichen Praxis wurde ihm die Teilnahme jedoch verwehrt.69 Dies lässt sich nicht mit der hier geforderten Inklusivität des Verfahrens vereinbaren. Zudem scheinen diese Staaten bisher auch keinen entscheidenden Einfluss auf die Resolutionen nehmen zu können. So hat der Reaktion der Staaten, 2008, 192, der aus der mangelnden Beteiligung nach Art. 31 UNCharta nicht auf die Rechtswidrigkeit der Resolutionen schließen möchte. 62 Vgl. Security Council, Threats to international peace and security caused by terrorist acts, 17.12.2015, UN Doc. S/PV.7587. 63 Ebd., 2. 64 Ebd. 65 Vgl. Security Council, Letter dated 18 June 2015 from the representatives of Austria, Belgium, Costa Rica, Denmark, Finland, Germany, Liechtenstein, Netherlands, Norway, Sweden and Switzerland to the United Nations addressed to the President of the Security Council, 19.6.2015, UN Doc. S/2015/459. Diese „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ hat sich zusammengetan, um eine weitere Reform der smart sanctions-Regime voranzutreiben. 66 Security Council, Briefings by Chairs of subsidiary bodies of the Security Council, 16.6.2015, UN Doc. S/PV.7463. 67 Security Council, Letter dated 18 June 2015 from the representatives of Austria, Belgium, Costa Rica, Denmark, Finland, Germany, Liechtenstein, Netherlands, Norway, Sweden and Switzerland to the United Nations addressed to the President of the Security Council, 19.6.2015, UN Doc. S/2015/459, Annex. 68 Ebd. 69 Ebd.
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die „Gruppe gleichgesinnter Staaten“ am 2. Dezember 2015, also fünf Tage vor Erlass der Resolution 2253 (2015), einen Reformvorschlag für das 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregime veröffentlicht und an den Präsidenten des Sicherheitsrats weitergeleitet.70 Dieser wurde gebeten, den Reformvorschlag als offizielles Dokument des Sicherheitsrats weiterzuleiten.71 Das Dokument wird jedoch weder als offizielles Dokument der Vereinten Nationen geführt, noch haben die entscheidenden Vorschläge Eingang in Sanktionsregime gefunden. In dem Reformvorschlag wird hervorgehoben, dass das Ombudsverfahren noch immer nicht den Minimalstandards entspreche, die an ein faires Verfahren zu stellen seien.72 Solange diese nicht beachtet würden, könnten sich die Mitgliedstaaten rechtlich daran gehindert sehen, die Sanktionen umzusetzen.73 Insbesondere wird vor diesem Hintergrund gefordert, der Ombudsperson die Kompetenz zur letztverbindlichen Entscheidung über „listing“-Anträge zu übertragen.74 Gerade dies ist jedoch nicht erfolgt. b) Rechtsanwendungsebene In der Grundausrichtung erfährt der Sicherheitsrat mittlerweile die Unterstützung der Staatengemeinschaft; diese hat den internationalen Terrorismus als Bedrohung des Friedens anerkannt und gesteht dem Sicherheitsrat die Kompetenz zum Erlass von Individualsanktionen zu. Die konkrete Ausgestaltung des 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregimes ist jedoch unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten noch immer kritikwürdig. So erfüllt der „listing“-Tatbestand nach Maßgabe des „associated with“-Tests nicht den Grad an Bestimmtheit, der vorauszusetzen ist, damit ersterer als Rechtsgrundlage für einen Eingriff in Menschenrechte dienen könnte.75 Erschwerend 70
Der Brief kann abgerufen werden unter: http://www.new-york-un.diplo.de/ contentblob/4662360/Daten/6041649/151112LetterUNSC.pdf (letzter Zugriff am 30.9.2016). 71 Ebd. 72 Der Reformvorschlag ist abrufbar unter: http://www.new-york-un.diplo.de /content blob/4662362/Daten/6041651/151112fairclearproceduressanctions.pdf (letzter Zugriff am 30.9.2016). 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Vgl. zu den Anforderungen etwa: Manfred Nowak, Article 12 U.N. Covenant on Civil and Political Rights, CCPR Commentary, 2. Aufl. 2005, Rn. 29 f.; CCPR General Comment No. 27 (2.11.1999), Rn. 13. Zum EU-Recht: EuGH, Urteil vom 29.4.2010 (Vorlageverfahren), Rs. C-340/08 – M et al., Rn. 65. In Bezug auf den „associated with“-Test ebenfalls kritisch: Larissa van den Herik, The Security Council’s Targeted Sanctions
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kommt hinzu, dass eine Konkretisierung des Tatbestandes nicht durch ein unabhängiges Rechtsprechungsorgan erfolgt. Obwohl der Sicherheitsrat wiederholt von verschiedenen Gerichten auf die Unvereinbarkeit des von ihm eingerichteten Regimes mit den Verfahrensrechten der Betroffenen aufmerksam gemacht wurde,76 hat er sich bisher nicht dazu veranlasst gesehen, eine unabhängige Instanz einzurichten, die den Betroffenen eine effektive Rechtskontrolle gewährleisten könnte. Das bereits vor vielen Jahren eingerichtete „de listing“-Verfahren wird trotz stetiger Weiterentwicklung noch immer nicht den erforderlichen Menschenrechtsstandards gerecht.77
Regimes: In Need of Better Protection of the Individual, LJIL 20 (2007), 797, 805; Annalisa Ciampi, Security Council Targeted Sanctions and Human Rights, in: Bardo Fassbender (Hrsg.), Securing Human Rights? – Achievements and Challenges of the Security Council, 2011, 98, 106. Der United States District Court for the District of Columbia, Kadi/Geithner et al., Memorandum Opinion, 09-0108 vom 19.3.2012, 23, 62–65, vgl. aber auch den Einwand von Herrn Kadi zurück, der in der Ausführungsbestimmung 13,224 verwendete Term „otherwise associated with“ sei zu unbestimmt, um einen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. 76 Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 3.9.2008, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P – Kadi & Al Barakaat International Foundation/Rat der EU, dem folgend: EuG, Urteil vom 30.9.2010, Rs. T-85/09 – Kadi/Kommission, und nochmals bestätigt durch EuGH, Urteil vom 18.7.2013, verb. Rs. C-584/10 P und C-593/10 P, C-595/10 P Kadi/Kommission u.a.; EuG, Urteil vom 14.1.2015, Rs. T-127/09 RENV – Abdulbasit Abdulrahim/Rat und Kommission. Vgl. ebenso: Canadian Federal Court, Abdelrazik/Kanada, 2009 FC 580, Urteil vom 4.6.2009; UK Supreme Court, A.,K.,M.,Q. und G./HM Treasury, UKSC 2 & 5, Urteil vom 27.1.2010; Schweizer Bundesgericht, Nada/SECO, Staatssekretariat für Wirtschaft, 1 A.45/2007/daa, Urteil vom 14.11.2007; Tribunal de première instance de Bruxelles, Sayadi & Vinck/Belgien, 4th Ch., Urteil vom 11.2.2005. Vgl. auch EuGH, Urteil vom 6.6.2013, Rs. C-183/12 P – Ayadi/Kommission; EuG, Urteil vom 14.4.2015, Rs. T-527/09 RENV – Ayadi/Kommission. Zu weiteren Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Regime vgl. Security Council, Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, UN Doc. S/2016/629, Annex. Auch andere Sanktionsregime des Sicherheitsrats sind bereits in die Kritik geraten, vgl. nur EGMR, Al-Dulimi und Montana Management Inc./Schweiz, 5809/08, Urteil vom 21.6.2016. 77 Vgl. dazu ausf. Beuren (Anm. 41), 253 ff. Vgl. aber auch Devika Hovell, Due Process in the United Nations, AJIL 110 (2016), 1 ff.; dies., The Power of Process – The Value of Due Process in Security Council Sanctions Decision-Making, 2016, die insoweit für eine normative (kontextabhängige) Begründung der Verfahrensrechte eintritt.
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2. Resolution 1373 (2001) Kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 erließ der Sicherheitsrat Resolution 1373 (2001). Durch sie werden alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, restriktive Maßnahmen gegen von ihnen selbst auszumachende Terroristen und ihre Unterstützer zu ergreifen.78 Die Mitgliedstaaten führen auf dieser Grundlage eigene „Terrorlisten“ und sind selbst für die Ausgestaltung des Verfahrens zuständig. Auf Grund ihres legislativen Charakters hat Resolution 1373 (2001) große Aufmerksamkeit erfahren. Da sich die Resolution jedoch nicht gezielt gegen Al Qaida, den IS und Boko Haram richtet, soll insoweit nicht weiter auf sie eingegangen werden. Darüber hinaus werden die Staaten in der Resolution jedoch zusätzlich dazu verpflichtet, Akte des Terrorismus als schwere Straftaten nach ihrem innerstaatlichen Recht zu qualifizieren und ihre Finanzierung oder sonstige Unterstützung ebenfalls unter Strafe zu stellen.79 In einem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 werden die EU-Mitgliedstaaten u.a. dazu verpflichtet, das Anführen einer terroristischen Vereinigung und die Beteiligung an ihren Handlungen einschließlich der „Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tätigkeit mit dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beiträgt“, als Straftatbestände in ihre Rechtssysteme aufzunehmen.80 In Deutschland wurde der Beschluss durch Anpassung der §§ 129a und b StGB umgesetzt.81 Mit Resolution 2199 (2015) vom 12. Februar 2015 bekräftigte der Sicherheitsrat ferner, dass die unter Strafe zu stellende Unterstützung von terroristischen Akten auch durch den Handel mit Al Qaida oder ihren Verbündeten mit natürlichen Ressourcen wie insbesondere Öl erfolgen könne,82 womit der Kreis der mit Strafe zu belegenden Handlungen empfindlich ausgeweitet wurde. Auf diesem Wege sollen Finanzströme ausgetrocknet werden, von welchen insbesondere der IS profitiert. Ein großer Teil seiner Einnahmen wird darauf zurückgeführt, dass er Öl aus eroberten Raffinerien fördert und illegal vertreibt.83 Seitdem der IS
78
S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001. S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001, Ziff. 1 lit. b, und 2 lit. e. 80 Art. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung 2002/475/JI (ABl. 2002 L 164/4-5). 81 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze, 22.12.2003, BGBl. 2003 I, 2836. 82 S/RES/2199 (2015) vom 12.2.2015, Ziff. 11. 83 Vgl. Security Council, Letter dated 13 November 2014 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning Al79
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militärisch immer weiter zurückgedrängt wird, hat die Ölproduktion allerdings erheblich nachgelassen.84 Vor Erlass der Resolution 1373 (2001) veranstaltete der Sicherheitsrat keine offene Debatte und verabschiedete sie in einer rein formellen öffentlichen Sitzung im Kreis seiner 15 Mitglieder,85 obwohl sie erheblich in die Regelungshoheit der Staaten eingreift. Zum einen nahm der Sicherheitsrat die Kompetenz zur Gesetzgebung für sich in Anspruch und zum anderen ist das nach seiner Resolution anzupassende Strafrecht als ein besonders sensibler Bereich anzusehen, welcher grundsätzlich der souveränen Ausgestaltung der Nationalstaaten vorzubehalten ist. 3. Resolution 1540 (2004) Ein anderes Verfahren verfolgte der Sicherheitsrat vor Erlass der Resolution 1540 (2004) vom 28. April 2004. Nach dieser Resolution haben alle Mitgliedstaaten jede Form der Unterstützung von nicht-staatlichen Akteuren, die in Herstellungs-, Vertriebs- oder Erwerbskreisläufe nuklearer, chemischer oder biologischer Waffen eingebunden sind, zu unterlassen und darüber hinaus geeignete legislative Maßnahmen vorzunehmen und Kontrollvorkehrungen einzurichten, um die Aktivitäten dieser Akteure zu unterbinden.86 Sie richtet sich damit u.a. gegen die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an Al Qaida, den IS und Boko Haram. Auch sie legt allgemeinverbindlich eine Rechtsfolge für eine unbestimmte Anzahl von Sachverhalten fest und weist damit einen legislativen Charakter auf. In diesem Fall gestaltete der Sicherheitsrat das Verfahren wesentlich inklusiver. Sechs Tage vor Erlass von Resolution 1540 (2004) kam es zu einer offenen Sitzung unter Teilnahme von insgesamt 51 Staaten.87 Im Vorfeld zu dieser Sitzung
Qaida and associated individuals and entities addressed to the President of the Security Council, 14.11.2014, UN Doc. S/2014/815, Ziff. 57 ff. 84 Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, Ziff. 13. 85 Security Council, Threats to international peace and security caused by terrorist acts, 28.9.2001, UN Doc. S/PV.4385. 86 S/RES/1540 (2004) vom 28.4.2004, Ziff. 1–3. 87 Security Council, Non-proliferation of weapons of mass destruction, 22.4.2004, UN Doc. S/PV.4950. Die Sitzung zur Verabschiedung von Resolution 1540 (2004) selbst erfolgte aber wiederum nur unter Teilnahme der Sicherheitsratsmitglieder, Security Council, Non-proliferation of weapons of mass destruction, 28.4.2004, UN Doc. S/PV.4956.
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wurden bereits Resolutionsentwürfe in Umlauf gebracht,88 wodurch es den auf Grundlage von Art. 31 UN-Charta beigeladenen Staaten möglich war, zu konkreten Regelungsvorhaben Stellung zu nehmen. Das Regime stellt auch ein Vorbild dafür dar, wie im weiteren Verlauf der Geltungsdauer eine stetige Beteiligung sowohl aller Mitgliedstaaten als auch – und dies ist besonders bemerkenswert – von Akteuren der Zivilgesellschaft realisiert werden kann. Anstoß dafür gab der mit Resolution 1540 (2004) eingesetzte Ausschuss, nachdem trotz des bereits verhältnismäßig partizipativ gestalteten Verhandlungsverfahrens zunächst eine mangelnde Bereitschaft zur Umsetzung durch die Mitgliedstaaten zu verzeichnen war.89 Er initiierte eine Reihe offener Sitzungen, auf der eine umfassende Überprüfung des Stands der Implementierung aufbauen sollte, und an der neben allen interessierten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auch ausgewählte Organisationen teilnehmen konnten.90 Vom 30. September 2009 bis zum 2. Oktober 2009 brachten sich über 50 Staaten sowie intergouvernementale, internationale und regionale Organisationen in die Debatte ein, die zusammengefasst in mehreren Dokumenten der Vereinten Nationen veröffentlicht wurden.91 Der Ausschuss verzeichnete eine positive Resonanz der Mitgliedstaaten auf die offenen Sitzungen, die diese Praxis auch für die Zukunft einfordern.92 Daneben wurden seit Juli 2008 insgesamt 482 Seminare, Workshops und Konferenzen auf der ganzen Welt zu Fragen der effektiven Umsetzung von Resolution 1540 (2004) ausgetragen, an denen Staaten, internationale und regionale Organisationen sowie der 1540-Ausschuss oder zumindest einzelne seiner Mitglieder teilnahmen.93 Die Veranstaltungen wurden teilweise vom United Nations Office for Disarmament Affairs (UNODA) in Eigenregie oder in Kooperation mit dem 154088
Vgl. zum Ablauf: Merav Datan, Security Council Resolution 1540: WMD And NonState Trafficking, 28.5.2004, http://www.acronym.org.uk/dd/dd79/79md.htm. (letzter Zugriff am 30.9.2016). 89 Vgl. dazu die Kritik des Sicherheitsrats in S/RES/1810 (2008) vom 25.4.2008, Erwägungsgrund 10. 90 Security Council, Letter dated 27 March 2009 from the Chairman of the Security Council Committee established pursuant to resolution 1540 (2004) addressed to the President of the Security Council, 1.4.2009, UN Doc. S/2009/170, Annex, Ziff. 2 lit. c. 91 Vgl. dazu unter http://www.un.org/en/sc/1540/comprehensive-review/summary records.shtml (letzter Zugriff am 30.9.2016). 92 Security Council, Letter dated 12 September 2011 from the Chair of the Security Council Committee established pursuant to resolution 1540 (2004) addressed to the President of the Security Council, 14.9.2011, UN Doc. S/2011/579, Ziff. 21. 93 Stand: 30.9.2016. Vgl. dazu die Webseite des 1540-Ausschusses, http://www.un.org/ en/sc/1540/transparency-and-outreach/outreach-events/events.shtml. (letzter Zugriff am 30.9.2016.).
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Ausschuss oder von anderen Einrichtungen der Vereinten Nationen bzw. ihren Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen angeboten.94 Am 8. Januar 2013 veranstaltete Österreich zudem das erste Civil Society Forum in Support of Security Council Resolution 1540 (2004), an dem sich über 50 Nichtregierungsorganisationen, akademische Einrichtungen, think tanks und Vertreter der Industrie beteiligten.95 Ein weiteres Forum dieser Art fand vom 11.–12. April 2016 in New York statt.96 Wenngleich solche Treffen nicht primär darauf ausgelegt sind, die Anstöße der Teilnehmer zu einer Reform des Regimes zu sammeln, bieten sie doch die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern und gegebenenfalls einen gewissen Problemdruck aufzubauen, der idealerweise über den Ausschuss an den Sicherheitsrat vermittelt wird. Jedenfalls werden die Teilnehmer in die Beratungen um die Umsetzung der Verpflichtungen eingebunden, womit sie mit ihren Argumenten Einfluss auf die Rechtsanwendung nehmen können. Auf diese Weise können die Treffen einen wesentlichen Beitrag für die Legitimität des gesamten Regimes leisten. 4. Resolution 2178 (2014) An diese Praxis knüpfte der Sicherheitsrat wiederum im Rahmen der Terrorismusbekämpfung mit Erlass von Resolution 2178 (2014) vom 24. September 2014 an, die in Reaktion auf den erheblichen Zulauf ausländischer Kämpfer zum IS erging und ebenfalls legislativen Charakter aufweist.97 Darin werden alle Staaten dazu verpflichtet, die Ausreise von Personen zum Zwecke der Beteiligung an terroristischen Handlungen, die Hilfe zur Finanzierung einer solchen Reise sowie ihre Organisation oder sonstige Erleichterung (wie das Anwerben von Kämpfern) unter Strafe zu stellen.98 Im Mai 2015 nahm der Europarat ein Zusatzprotokoll 94
Vgl. ebd. Vgl. die Presseerklärung der Vereinten Nationen vom 8.1.2013, UN Doc. DC/3408. Auch viele der übrigen Veranstaltungen sind auf eine Beteiligung von nicht-staatlichen Akteuren ausgerichtet, vgl. dazu die Webseite des 1540-Auschusses, http://www.un. org/en/sc/1540/transparency-and-outreach/outreach-events/events.shtml. (letzter Zugriff am 30.9.2016). 96 Ebd. 97 Vgl. Scheinin (Anm. 50). Für Christian Marxsen, Resolution 2178 und ihre Auswirkungen auf die Bundesrepublik, 10.2.2015, http://voelkerrechtsblog.com/2014/11/ 10/resolution-2178-und-ihre-auswirkungen-auf-die-bundesrepublik/. (letzter Zugriff am 30.9.2016) handelte der Sicherheitsrat dabei außerhalb seines Kompetenzrahmens. 98 S/RES/2178 (2014) vom 24.9.2014, Ziff. 6. Zur Missbrauchsanfälligkeit der Resolution vgl. Scheinin (Anm. 50); Mehrdad Payandeh, Globale Anti-Terrorgesetzgebung: Die deutsche Rechtsordnung im Sog des UN-Sicherheitsrats?, ZRP 47 (2014), 241, 242; Marxsen (Anm. 97). In Bezug auf S/RES/1373 bereits Markus Wagner, Die wirtschaftlichen 95
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zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus an, durch welches die neuen Vorgaben umgesetzt werden.99 Die Europäische Kommission hat am 2. Dezember 2015 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vorgelegt.100 Das Europäische Parlament hat den Vorschlag mit einigen Änderungsanträgen in einem Standpunkt in erster Lesung am 12. Juli 2016 mehrheitlich mitgetragen.101 Die Richtlinie ist bislang noch nicht in Kraft getreten.102 Der deutsche Gesetzgeber hat die Resolution jedoch mit Änderung und Ergänzung des § 89a StGB sowie Einführung des § 89c StGB bereits umgesetzt.103 Kritisch ist die Resolution nicht allein deshalb zu bewerten, weil die Mitgliedstaaten darin wiederum zur Anpassung ihres Strafrechts verpflichtet werden; sie fordert zudem, sozialneutrale Handlungen, die einer Rechtsgutgefährdung weit vorgelagert sind, unter Strafe zu stellen. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit ist nur schwer mit rechtsstaatlichen Standards zu vereinbaren.104 Die Einführung eines solchen Straftatbestandes erfordert zumindest den Austausch von Argumenten im Rahmen einer (parlamentarischen) Debatte, in welcher die Normunterworfenen vertreten sind, weshalb eine solche Entscheidung grundsätzlich nicht dem Sicherheitsrat übertragen werden sollte. Immerhin waren die Vereinigten Staaten als Initiator der Resolution darum bemüht, möglichst viele Staaten in den Normsetzungsprozess mit einzubeziehen. Drei Wochen vor Erlass der Resolution 2178 (2014) ließen sie über den Generalsekretär ein Konzeptpapier mit den wesentlichen Grundlinien ihres Vorschlags an
Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 im völkerrechtlichen Kontext – Von Wirtschaftssanktionen zur Wirtschaftsgesetzgebung?, ZaöRV 2003, 879, 903. 99 Art. 4–6 SEV Nr. 217. 100 COM/2015/0625 final – 2015/0281 (COD). 101 Europäisches Parlament, A8-0228/2016, Standpunkt vom 12.7.2016. 102 Stand: 30.9.2016. 103 Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, 12.6.2015, BGBl. 2015 I, 926. Zuvor bereits kritisch zur Notwendigkeit einer Anpassung des deutschen Strafrechts in Reaktion auf den Erlass von S/RES/2178 Payandeh (Anm. 98), 241, 242 f. 104 Marxsen (Anm. 97). Vgl. zu § 89a StGB: Nikolaos Gazeas, § 89a, in: Klaus Leipold et al. (Hrsg.), Anwaltkommentar StGB, 2. Aufl. 2015, Rn. 6 ff. m.w.N. Für den Bundesgerichtshof hingegen verstößt § 89a StGB nicht gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit; letztere gebiete jedoch eine einschränkende Auslegung, BGH, Urteil vom 08.5.2014 – 3 StR 243/13 –, BGHSt 59, 218.
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alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen weiterleiten.105 In den Wochen bis zum Erlass der Resolution erfolgten Diskussionen unter Beteiligung einer großen Anzahl von Staaten, die nicht im Sicherheitsrat vertreten sind. Letztlich haben sich 104 Staaten an der Ausarbeitung des Resolutionstextes als Sponsoren beteiligt, was die zweithöchste Zahl in der Geschichte der Vereinten Nationen bedeutet.106 Den höchsten Wert von 134 Sponsoren verzeichnete die eine Woche zuvor verabschiedete Resolution 2177 (2014),107 mit der die Ebola-Epidemie in Afrika zu einer Bedrohung des Friedens erklärt wurde,108 was ebenfalls als Akt extensiver Auslegung der UN-Charta mit (quasi-)legislativem Charakter verstanden werden kann. Um die Bedeutung der Angelegenheit noch zu unterstreichen, wurde zur Verabschiedung der Resolution 2178 (2014) ein Gipfeltreffen des Sicherheitsrats einberufen, wozu es in dieser Form bis dahin erst fünf Mal kam.109 Unter Vorsitz Barack Obamas meldeten sich Vertreter von insgesamt 45 Mitgliedstaaten zu Wort (darunter viele Staats- und Regierungschefs), um sich zu der Resolution zu äußern, nachdem sie zuvor bereits von den Sicherheitsratsmitgliedern einstimmig angenommen wurde.110 Nach Erlass der Resolution konnte wahrgenommen werden, dass die Mitgliedstaaten dem Problem der Unterstützung islamistischer Terrororganisationen durch den Zulauf ausländischer Kämpfer nun größere Aufmerksamkeit schenken.111 Allerdings haben sich die Kämpfer auf die neue Situation einstellen können.112 Mittlerweile wird auch zunehmend die Rückkehr von Kämpfern – insbesondere nach Europa – als Bedrohung für ihre Heimatländer wahrgenommen.113 Viele
105 Security Council, Letter dated 3 September 2014 from the Permanent Representative of the United States of America to the United Nations addressed to the Secretary-General, 3.9.2014, UN Doc. S/2014/648. 106 Highlights of Security Council Practice 2014, 8, http://www.un.org/en/sc/inc/pages/ pdf/highlights/2014.pdf. (letzter Zugriff am 30.9.2016). 107 Ebd. 108 S/RES/2177 (2014) vom 18.9.2014, Erwägungsgrund 5. 109 Security Council, Threats to international peace and security caused by terrorist acts – Foreign terrorist fighters, 24.9.2014, UN Doc. S/PV.7272, 3. 110 Ebd. 111 Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, Ziff. 59. 112 Ebd. 113 Vgl. ebd., Ziff. 4 ff., 44 ff., 59.
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Jihadisten werden laut Berichten der Mitgliedstaaten nach ihrer Rückkehr mittlerweile jedoch inhaftiert.114 II. Kombination nicht-militärischer und militärischer Maßnahmen Neben nicht-militärischen Maßnahmen kommen in einigen Konflikten, in denen die Al Qaida, der IS und Boko Haram aktiv sind, auch militärische Mittel zum Einsatz. 1. Libyen Im Verlauf des zweiten libyschen Bürgerkriegs konnten unter anderem der IS und mit Al Qaida verbündete Gruppierungen wie Ansar al-Sharia115 in dem Mittelmeeranrainerstaat Territorien unter ihre Gewalt bringen.116 Mittlerweile wurde unter Vermittlung der Vereinten Nationen eine Einheitsregierung gebildet,117 von der man sich eine effektive Bekämpfung der Terrororganisationen verspricht.118 Auf Einladung der Einheitsregierung gehen die Vereinigten Staaten nunmehr gegen den IS vor.119 Dieser befindet sich auf dem Rückzug und die von ihm bis zuletzt gehaltene Hafenstadt Sirte wurde mit Unterstützung amerika-
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Ebd., Ziff. 46. Vgl. zu Ansar al-Sharia Security Council, Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team submitted pursuant to paragraph 13 of Security Council resolution 2214 (2015) concerning the terrorism threat in Libya posed by the Islamic State in Iraq and the Levant, Ansar al Charia, and all other Al-Qaida associates, 19.11.2015, UN Doc. S/2015/891, Ziff. 16 f. 116 Vgl. dazu Security Council, Report of the Secretary General on the United Nations Support Mission in Libya, 16.5.2016, UN Doc. S/2016/452, Ziff. 21 ff. und ders., The Situation in Libya, 18.2.2015, UN Doc. S/PV.7387, 4. 117 Vgl. dazu S/RES/2259 (2015) vom 23.12.2015 und das Libyan Political Agreement of Skhirat, Morocco signed on 17 December 2015, https://unsmil.unmissions.org/Link Click.aspx?fileticket=miXuJYkQAQg%3D&tabid=3559&mid=6187&language=fr (letzter Zugriff am 30.9.2016). Das Repräsentantenhaus verweigerte der Einheitsregierung bislang jedoch die Unterstützung, Security Council, The Situation in Libya, 13.9.2016, UN Doc. S/PV.7769, 3. 118 Vgl. die Erwägungsgründe zu S/RES/2291 (2016) vom 13.6.2016 und Libyan Political Agreement (Anm. 117), Governing Principles, Ziff. 17. 119 Siehe U.S. Department of Defense, U.S. Strikes Accelerate Gains Against ISIL in Libya, 2.8.2016, http://www.defense.gov/News/Article/Article/886019/us-strikes-accelerategains-against-isil-in-libya (letzter Zugriff am 30.9.2016). 115
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nischer Luftangriffe von Verbündeten der Einheitsregierung zurückerobert.120 Die Vereinten Nationen haben zudem eine Unterstützermission nach Libyen entsandt (United Nations Support Mission in Libya (UNSMIL)), die u.a. den Demokratisierungsprozess absichern, beim Aufbau rechtstaatlicher Strukturen und dem Aufbau eines funktionierenden Sicherheitsapparats helfen soll.121 Bereits mit Erlass der Resolution 1970 (2011) richtete der Sicherheitsrat zudem ein Sanktionsregime für Libyen ein, dass u.a. ein umfassendes Waffenembargo und Individualsanktionen vorsieht. Letztere sollen insbesondere den illegalen Handel mit Öl unterbinden. Die Sanktionen richten sich jedoch nicht gezielt gegen den IS oder Al Qaida. Insoweit soll das 1267 (1999), 1989 (2011) und 2253 (2015)-Sanktionsregime zur Anwendung kommen.122 Zur Unterstützung im Kampf gegen den IS und Al Qaida soll die libysche Einheitsregierung nunmehr zudem bevorzugt bei der Entscheidung über Ausnahmen zum Waffenembargo berücksichtigt werden.123 Darauf hatte sie bereits im Vorfeld gedrängt.124 Die Stabilisierung und Grenzsicherung Libyens wird auch auf Grund der vielen dort vermuteten Flüchtlinge, die nach einer Möglichkeit suchen, über das Mittelmeer nach Europa überzusetzen, als besonders wichtig erachtet. Es wird befürchtet, der IS und Al Qaida könnten die Flüchtlingsbewegungen ausnutzen, um potentielle Attentäter nach Europa zu schicken.125 2. Irak und Syrien Der IS befindet sich im irakisch-syrischen Grenzgebiet auf dem Rückzug und hat weitere Gebietsverluste zu verzeichnen.126 Die sogenannte Internationale Allianz gegen den IS, bestehend aus einigen arabischen und westlichen Staaten sowie
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Security Council, The Situation in Libya, 13.9.2016, UN Doc. S/PV.7769, 2 f. S/RES/2144 (2014) vom 14.3.2014, Ziff. 6. 122 S/RES/2214 (2015) vom 27.2.2015, Ziff. 4 f. 123 S/RES/2214 (2015) vom 27.3.2015, Ziff. 7. 124 Vgl. nur Security Council, The Situation in Libya, 18.2.2015, UN Doc. S/PV. 7387, 5. 125 Vgl. dazu etwa unter http://edition.cnn.com/2016/05/26/middleeast/libya-isiseurope-doorstep/ (letzter Zugriff am 30.9.2016). 126 Security Council, Letter dated 19 July 2016 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999), 1989 (2011) and 2253 (2015) concerning Islamic State in Iraq and the Levant (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals, groups, undertakings and entities addressed to the President of the Security Council, 19.7.2016, UN Doc. S/2016/629, Ziff. 7. 121
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der Türkei, geht vornehmlich mit Luftangriffen gegen die Terrororganisation vor.127 Auf syrischem Territorium beteiligen sich zudem Russland und der Iran auf Seiten des Assad-Regimes an dem Konflikt.128 Die deutsche Bundeswehr unterstützt die ebenfalls in dem Konflikt involvierten kurdischen Kräfte mit Waffen und Ausbildung.129 Nach den Anschlägen von Paris vom 13. November 2015 beantragte Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU den Beistand der anderen Mitgliedstaaten nach Art. 42 Abs. 7 EUV und rief zur Unterstützung im Kampf gegen den IS auf.130 Deutschland hat daraufhin eine Fregatte zur Unterstützung der französischen Streitkräfte und Tornado-Aufklärungsflugzeuge in die Region entsendet.131 Mit Hilfe der Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien (International Syria Support Group (ISSG)), an der sich 20 Staaten und Internationale Organisationen beteiligen und die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet,132 hatten sich die Konfliktparteien zwischenzeitlich auf ein Waffenstillstandsabkommen geeinigt, das jedoch den IS, die Al Nusra-Front und alle weite-
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Vgl. dazu unter: http://theglobalcoalition.org/ und http://www.defense.gov/News/ Special-Reports/0814_Inherent-Resolve (jeweils letzter Zugriff am 30.9.2016). 128 Vgl. dazu Karine Bannelier-Christakis, Military Interventions against ISIL in Iraq, Syria and Libya, and the Legal Basis of Consent, LJIL 29 (2016), 743, 760; Laura Visser, Russia’s Intervention in Syria, EJIL: Talk!, 25.11.2015, http://www.ejiltalk.org/russiasintervention-in-syria/ und http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/220437/ analyse-russlands-syrienintervention (jeweils letzter Zugriff am 30.9.2016). 129 Vgl. dazu den Antrag der Bunderegierung – Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte, 17.12.2014, BT-Drs. 18/3561. 130 Näheres dazu Deutscher Bundestag, Fachbereich Europa, Aktueller Begriff Europa Nr. 07/15 – Kollektiver Beistand in der EU gemäß Art. 42 Abs. 7 EUV und die Mitwirkungsrechte des Bundestages, 20.11.2015: https://www.bundestag.de/blob/396620/0a70a 7885e83aca60333593f753ccbbf/kollektiver-beistand-in-der-eu-data.pdf (letzter Zugriff am 30.9.2016). 131 Vgl. dazu den Antrag der Bundesregierung – Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 1.12.2015, BT-Drs. 18/6866. Beschlossen auf der 144. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4.12.2015, Plenarprotokoll 18/144. 132 S/RES/2245 (2015) vom 18.12.2015, Ziff. 3.
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ren vom Sicherheitsrat sanktionierten Terrororganisationen ausnimmt.133 Das Abkommen wurde jedoch nicht lange eingehalten.134 Die intervenierenden Mächte stützen ihr Vorgehen auf verschiedene Rechtfertigungslinien. Insbesondere berufen sie sich auf Einladungen der betroffenen Staaten und auf das Recht zur (kollektiven) Selbstverteidigung.135 Auf eine Autorisierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen können sie hingegen nicht zurückgreifen. Die unterschiedlich gelagerten machtpolitischen Interessen, die die Vetomächte (insbesondere die Vereinigten Staaten und Russland) in dem Konflikt mitunter verfolgen, stehen einer konsensualen Lösung bisher entgegen. Zwar konnte man sich auf Resolution 2249 (2015) einigen, welche die Staaten dazu aufruft, alle „notwendigen Maßnahmen“ gegen den IS und die Al NusraFront zu ergreifen.136 Sie wurde jedoch nicht auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta verabschiedet, was grundsätzlich notwendig wäre, um verbindliche Zwangsmaßnahmen zu rechtfertigen.
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Joint Statement of the United States and the Russian Federation, as Co-Chairs of the ISSG, on Cessation of Hostilities in Syria, 22.2.2016, abrufbar unter: https://www.state. gov/r/pa/prs/ps/2016/02/253115.htm. Vgl. dazu auch S/RES/2268 (2016) vom 26.2.2016. Vgl. ferner zu den Verhandlungen vom 9.9.2016: https://www.state.gov/secretary/remarks/ 2016/09/261722.htm (jeweils letzter Zugriff am 30.9.2016). 134 Vgl. dazu Staffan de Mistura, Special Envoy of the Secretary-General for Syria, in: Security Council, The situation in the Middle East, 25.9.2016, UN Doc. S/PV.7777, 2 ff. 135 Vgl. dazu etwa den Antrag der Bundesregierung – Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 1.12.2015, BT-Drs. 18/6866. Ferner: UK Government, Policy paper, 25.9.2014, Summary of the government legal position of military action in Iraq against ISIL, https:// www.gov.uk/government/publications/military-action-in-iraq-against-isil-government-legalposition/summary-of-the-government-legal-position-on-military-action-in-iraq-against-isil; US Government, Statement by the President, The White House, 7.8.2014, www.white house.gov/the-press-office/2014/08/07/statement-president (jeweils letzter Zugriff am 30.9.2016). Einen Überblick verschaffen Bannelier-Christakis (Anm. 128), 743 ff.; Kremser (Anm. 17), 881 ff.; Douglas Cantwell, The ETF and the Legality of U.S. Intervention in Syria under International Law, Lawfare, International Law: LOAC, 28.3.2016, https:// www.lawfareblog.com/etf-and-legality-us-intervention-syria-under-international-law; Laura Visser, Russia’s Intervention in Syria, EJIL: Talk!, 25.11.2015, http://www.ejiltalk.org/ russias-intervention-in-syria/; und http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/ 220437/analyse-russlands-syrienintervention (jeweils letzter Zugriff am 30.9.2016). 136 S/RES/2249 (2015) vom 20.11.2015, Ziff. 5.
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3. Mali Im Verlauf des Konflikts zwischen der malischen Regierung und den TouaregRebellen im Norden des Landes haben sich mehrere mit Al Qaida verbündete Gruppierungen in dem Land ausbreiten können (u.a. Al Qaida im Islamischen Maghreb und Ansar Dine).137 Die Touareg und die Regierung haben sich mittlerweile auf ein Friedensabkommen geeinigt, dass die Unterstützung der Vereinten Nationen genießt.138 Der Kampf gegen die Verbündeten Al Qaidas ist hingegen noch nicht vorbei.139 Auf Einladung der malischen Regierung griff Frankreich früh in den Konflikt ein und wird mittlerweile primär im Kampf gegen den Terrorismus tätig (Operation Barkhane).140 Auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta wurde die African-led International Support Mission in Mali (AFISMA) autorisiert, die u.a. zur Unterstützung beim Wiederaufbau der malischen Sicherheitskräfte und beim Kampf gegen die Terrororganisationen tätig werden soll.141 Zudem wurde mit Resolution 2100 (2013) eine Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA)) mit robustem Mandat eingerichtet,142 an der sich auch Deutschland mit der Entsendung von Führungsoffizieren, taktischem Lufttransport und Maschinen zur Luftbetankung französischer Flieger beteiligt.143 Der MINUSMA kommt insbesondere die Aufgabe zu, das Friedensabkommen – notfalls unter Einsatz von Waffengewalt – zu überwachen144 und die Zivilbevölkerung zu schützen.145 Zudem erhält Mali Unterstützung von einer Ausbildungsmission (EU Training Mission in Mali (EUTM Mali))146 sowie einer Capacity Building-Mission der Europäischen Union (EUCAP 137
Vgl. ICC, Situation in Mali, ICC-01/12, Art. 53(1) Report, 16.1.2013, Ziff. 3 f. Vgl. S/RES/2227 (2015) vom 29.6.2015. 139 Vgl. dazu Security Council, Report of the Secretary-General on the situation in Mali, 29.9.2016, UN Doc. S/2016/819, Ziff. 27 ff. 140 Vgl. dazu http://www.franceonu.org/Mali-8694 (letzter Zugriff am 30.9.2016). 141 S/RES/2085 (2012) vom 20.12.2012, Ziff. 9. 142 S/RES/2100 (2013) vom 25.4.2013, Ziff. 7. 143 Vgl. dazu den Antrag der Bundesregierung – Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014) und 2227 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25.04.2013, 25.06.2014 und 29.06.2015, 6.1.2016, BT-Drs. 18/7206. 144 S/RES/2227 (2015) vom 29.6.2015, Ziff. 13, 14 lit. a. 145 Ebd., Ziff. 14 lit. d. 146 Vgl. dazu den Beschluss 2013/87/GASP des Rates vom 18.2.2013 (ABl. 2013 L 46/27), zuletzt geändert durch Beschluss 2016/446/GASP des Rates vom 23.3.2016 (ABl. 2016 L 78/74). 138
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Sahel Mali).147 Im Januar 2016 beschloss der Bundestag, ebenfalls in Reaktion auf die Anschläge von Paris, eine Ausweitung des Einsatzes verbunden mit einer deutlichen Anhebung der Personalobergrenze.148 4. Nigeria Die nigerianische Regierung konnte zunächst die Präsenz ausländischer Truppen zur Bekämpfung der Boko Haram auf eigenem Territorium nicht akzeptieren.149 Die Nachbarländer Nigerias, auf die sich Boko Haram bereits ausgebreitet hatte, drängten schließlich jedoch erfolgreich auf die Einrichtung einer multinationalen Eingreiftruppe. Diese wurde durch Mitgliedstaaten der Tschadseebeckenkommission (Tschad, Kamerun und Niger) sowie dem Benin eingerichtet. Die Eingreiftruppe wurde in die bereits bestehenden Strukturen einer Multinational Joint Task Force (MNJTF) eingegliedert. Sie wurde mit Resolutionen vom 29. Januar 2015150 und 14. Januar 2016151 vom Sicherheitsrat der Afrikanischen Union mit einer Stärke von bis zu 7.500 Mann autorisiert und mit einem robusten Mandat ausgestattet.152 Zudem haben die Vereinigten Staaten auf Einladung Kameruns 300 Militärs in die Region geschickt, um die MNJTF in der Geheimdienstarbeit und mit Aufklärungsmaßnahmen zu unterstützen.153 III. Völkerstrafrecht Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung erfährt nun auch das Völkerstrafrecht eine immer größer werdende Bedeutung, seitdem der Internationale Strafgerichts147
Vgl. dazu den Beschluss 2014/219/GASP des Rates vom 15.4.2014 (ABl. 2014 L 113/21), zuletzt geändert durch Beschluss 2016/50/GASP des Rates vom 18.1.2016 (ABl. 2016 L 12/48). 148 Deutscher Bundestag, 152 Sitzung, 28.1.2016, Plenarprotokoll 18/152. Vgl. zum Mandat den Antrag der Bundesregierung vom 6.1.2016, (Anm. 143). 149 Vgl. dazu http://pncp.net/news/regional-multinational-joint-task-force-combat-bokoharam (letzter Zugriff am 30.9.2016). 150 Peace and Security Council, Communiqué, 484th Meeting, 29.1.2015, PSC/AHG/ COMM.2 (CDLXXXIV). 151 Peace and Security Council, Communiqué, 567th Meeting, 14.1.2016, PSC/PR/ COMM.(DLXVII). 152 Vgl. dazu auch Security Council, Statement by the President of the Security Council, 28.7.2016, UN Doc. S/PRST/2016/11. 153 Vgl. dazu unter http://www.reuters.com/article/us-nigeria-bokoharam-usa-idUSK CN0S823F20151014 (letzter Zugriff am 30.9.2016).
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hof mittlerweile mit einer Reihe von Konflikten befasst ist, in welchen die Organisationen operieren. 1. Libyen Bereits mit Resolution 1970 (2011) verwies der Sicherheitsrat auf Grundlage von Art. 13 lit. b des Römischen Statuts154 die Situation in Libyen an den Internationalen Strafgerichtshof.155 Im Fokus der Ermittlungen stehen zwar noch die Mitglieder des ehemaligen Regimes unter dem früheren Machthaber Muammar alGaddafi, wie insbesondere dessen Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi.156 Die Ankläger sind jedoch darum bemüht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten nunmehr auch gegen Anhänger des IS und der Al Qaida nahestehender Gruppierungen vorzugehen.157 Ein formelles Ermittlungsverfahren wurde bislang jedoch nicht eröffnet. 2. Nigeria Im Rahmen des Nigeria-Konflikts wurde bereits ein Vorermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach Art. 7 und 8 des Römischen Statuts durch die Anklägerin am Internationalen Strafgerichtshof eingeleitet.158 Nach dessen Abschluss soll entschieden werden, ob ein formelles Ermittlungsverfahren gem. Art. 53 des Römischen Statuts aufgenommen wird. Es wurden bisher acht potentielle Fälle identifiziert, wobei sechs der Boko Haram und zwei dem nigerianischen Militär zugeschrieben werden.159 Boko Haram werden insbesondere Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Schulen und religiöse Stätten sowie der Einsatz von Kindersoldaten zugeschrieben.160 Die Vorermittlun154
Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, 17.7.1998, BGBl. 2000 II,
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S/RES/1970 (2011) vom 26.2.2011, Ziff. 4. Vgl. dazu ICC, Decision on the Admissibility of the Case Against Saif Al-Islam Gaddafi, 31.5.2013, ICC- 01/11-01/11. 157 Vgl. dazu Statement of the Prosecutor of the International Criminal Court, Fatou Bom Bensouda, to the United Nations Security Council on the Situation in Libya pursuant to UNSCR 1970 (2011), in: Security Council, The Situation in Libya, 26.5.2016, UN Doc. S/PV.7698, 4. 158 Vgl. dazu ICC, The Office of the Prosecutor, Report on Preliminary Examination Activities (2015), 12.11.2015, Ziff. 187 ff., https://www.icc-cpi.int/iccdocs/otp/OTP-PErep-2015-Eng.pdf. (letzter Zugriff am 30.9.2016). 159 Ebd., Ziff. 195. 160 Ebd., Ziff. 196 ff. 156
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gen gegen die nigerianischen Militärkräfte betreffen insbesondere den Vorwurf der systematischen Massenverhaftungen von mutmaßlichen Boko Haram-Kämpfern, Exekutionen und Folter, aber auch Angriffe auf die Zivilbevölkerung.161 3. Mali Am 30. Mai 2012 entschied das malische Kabinett, die seit Januar 2012 von den Touareg, Al Qaida im Islamischen Maghreb und Ansar Dine und anderen bewaffneten Gruppen begangenen Verbrechen an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen,162 was mit Schreiben vom 13. Juli 2012 schließlich offiziell erfolgte.163 Am 16. Januar 2013 wurde das Ermittlungsverfahren eröffnet.164 Erstmals ist der Internationale Strafgerichtshof damit auf Anfrage eines selbst unmittelbar betroffenen Mitgliedstaates im Bereich der Terrorismusbekämpfung tätig geworden. Grundsätzlich ergänzt der Internationale Strafgerichtshof nur die innerstaatliche Gerichtsbarkeit (Art. 1 Satz 2 2. HS des Römischen Statuts) und kann sich mit einem Fall nur befassen, wenn der eigentlich zuständige Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen (Art. 17 Abs. 1 lit. a des Römischen Statuts). Die malische Regierung sah sich offenbar außer Stande, dies zu leisten. Am 27. September 2016 kam es zu einem ersten Schuldspruch in der Sache. Ahmad Al Faqi Al Mahdi wurde wegen eines Angriffs auf religiöse und historische Stätten (betroffen waren insgesamt zehn Mausoleen in Timbuktu) gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. e (iv) des Römischen Statuts zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt.165 Dies ist der erste vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandelte Fall, in welchem entsprechende Verbrechen angeklagt wurden. Der Angeklagte legte zur Eröffnung des Gerichtsverfahrens am 22. August 2016 ein Geständnis ab und bekannte sich im Sinne des Art. 64 Abs. 8 lit. a des Römischen Statuts schuldig;166
161
Ebd., Ziff. 210 ff. Communiqué du conseil des ministres du Mercredi 30 Mai 2012 (ICC, Situation in Mali, ICC-01/12, Art. 53(1) Report, 16.1.2013, Fn. 5). 163 Das Schreiben kann unter https://www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres/A245A47F-BFD145B6-891C-3BCB5B173F57/0/ReferralLetterMali130712.pdf abgerufen werden (letzter Zugriff am 30.9.2016). 164 ICC, Situation in Mali, ICC-01/12, Art. 53(1) Report, 16.1. 2013. 165 ICC, The Prosecutor v. Ahmad Al Faqi Al Mahdi, Judgment and Sentence, 27.9.2016, ICC-01/12-01/15. 166 Vgl. dazu ICC, Transcript of Hearing, ICC-01/12-01/15-T-4-Red-ENG, 8. 162
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auch dies ist zuvor nicht vorgekommen.167 Ahmad Al Faqi Al Mahdi war Anhänger von Ansar Dine und leitete eine von ihr eingesetzte Institution – die Hesbah –, welche über die Wahrung der Sitten wachen sollte.168 In dieser Funktion stimmte er den Angriffen auf die Mausoleen zu und war in die Ausführung mit eingebunden.169 4. Syrien und Irak Mit dem Syrien-Konflikt konnte sich der Internationale Strafgerichtshof bislang nicht befassen. Weder Syrien noch der Irak haben das Römische Statut unterzeichnet und ratifiziert. Dies wäre jedoch grundsätzlich die Voraussetzung, um sämtliche im Rahmen des auf ihrem Staatsgebiet ausgetragenen Konflikts erfolgten Verbrechen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 des Römischen Statuts untersuchen zu können (vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. a des Römischen Statuts).170 Nach Art. 13 lit. b des Römischen Statuts bestünde daneben allerdings für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Möglichkeit, den Konflikt auf Grundlage von Kapitel VII an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen. Dafür tritt u.a. der Berichterstatter für den Schutz von Menschenrechten im Kampf gegen den Terrorismus, Ben Emmerson, ein.171 Zu einer entsprechenden Verweisung dürfte es allerdings nicht kommen. Sowohl die Vereinigten Staaten wie auch Russland sind in dem Konflikt involviert, so dass auch gegen ihre eigenen Staatsangehörigen ein Verfahren eröffnet werden könnte. In der Vergangenheit haben Russland und die Vereinigten Staaten stets darauf geachtet, dass ihre Staatsangehörigen nicht von entsprechenden Ermittlungsverfahren betroffen wurden. Der Konflikt in Syrien bot auch dem Hohen Kommissar für Menschenrechte, Zeid Ra’ad Al Hussein, Anlass, um eine noch weitergehende Forderung zu erheben. Danach solle sich der Sicherheitsrat umgehend Regeln auferlegen, wonach das Vetorecht nicht ausgeübt werden solle, wenn es sichere Anhaltspunkte dafür gebe, dass Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein 167
ICC, The Prosecutor v. Ahmad Al Faqi Al Mahdi, Judgment and Sentence, 27.9.2016, ICC-01/12-01/15, Rn. 65. 168 Ebd., Rn. 31, 33. 169 Ebd., Rn. 38 ff. 170 Nach Art. 12 Abs. 2 lit. b des Römischen Statuts ist die Gerichtsbarkeit nur für Verbrechen eröffnet, die von Staatsangehörigen eines Staates begangen wurden, der das Statut unterzeichnet hat. 171 Vgl. Human Rights Council, Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, 16.6.2015, UN Doc. A/HRC/29/51, Ziff. 61 lit. a.
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Genozid begangen worden seien.172 Dies eröffne die Möglichkeit, den SyrienKonflikt an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen.173 Einen ähnlichen Vorschlag hat bereits die Accountability, Coherence and Transparency Group (ACT Group) gemacht, welche zu diesem Zweck die Einführung eines (unverbindlichen) Verhaltenskodexes vorschlägt.174 Sie beschränkt den Anwendungsbereich des Kodexes allerdings nicht auf eine Verweisung an den Internationalen Strafgerichtshof. Es solle darüber hinaus immer dann auf den Einsatz des Vetorechts verzichtet werden, wenn eine Resolution eingebracht werde, die Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta vorsehe.175 Dem Generalsekretär soll in diesem Rahmen eine bedeutende Rolle zukommen. Mit Hilfe des Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights und dem United Nations Office on Genocide Prevention and the Responsibility to Protect soll er den Sicherheitsrat auf Konflikte aufmerksam machen, in welchen seiner Einschätzung nach schwerste Verbrechen der genannten Art begangen werden bzw. wahrscheinlich zu erwarten sind.176 Ein auf Tatsachen beruhendes Vorbringen des Generalsekretärs hätte ein großes Gewicht. Wie der Syrien-Konflikt zeigt, wird eine an den Sicherheitsrat gerichtete Aufforderung gleichwohl nicht immer zum Erfolg führen. Der Generalsekretär hat schließlich dem Assad-Regime bereits mit ungewöhnlich deutlichen Worten Kriegsverbrechen vorgeworfen und – bisher erfolglos – ein Vorgehen des Sicherheitsrats eingefordert.177 Gleichwohl setzt dies die Entscheidungsträger zumindest unter politischen Druck. Die Aufforderung zum Handeln könnte noch verstärkt werden, wenn der Generalsekretär einen umfassenden Bericht im Rahmen einer von ihm einzuberufenden öffentlichen Sitzung vorstellen und das 172 High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra’ad Al Hussein, Statement, 4.10.2016, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?News ID=20636&LangID=E (letzter Zugriff am 6.10.2016). In diese Richtung auch General Assembly, Plan of Action to Prevent Violent Extremism, Report of the Secretary-General, 24.12.2015, UN Doc. A/70/674, Ziff. 50 lit. e. 173 Ebd. 174 Die 24 Mitglieder, auf die der Vorschlag zurückgeht, sind: Chile, Costa Rica, Dänemark, Estland, Finnland, Gabun, Ghana, Irland, Jordanien, Liechtenstein, Luxemburg, Malediven, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Papua Neu Guinea, Peru, Portugal, SaudiArabien, Slowenien, Schweden, Schweiz, Ungarn und Uruguay, vgl. Letter dated 14 December 2015 from the Permanent Representative of Liechtenstein to the United Nations addressed to the Secretary-General, 14.12.2015, UN Doc. A/70/621-S/2015/978. 175 Ebd., Annex I, Ziff. 2. 176 Ebd., Annex I, Ziff. 3. Der Vorschlag wird von insgesamt 107 Mitgliedstaaten unterstützt, u.a. von den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Dies gilt hingegen nicht für die Vereinigten Staaten, Russland und China, vgl. ebd., Annex II. 177 Security Council, 7779th meeting, 28.9.2016, UN Doc. S/PV.7779, 2 f.
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Verfahren strenger formalisiert werden würde, etwa wenn ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, das die Auffassung des Generalsekretärs nicht teilt, zur Abgabe einer – ebenfalls faktenbasierten – Gegenerklärung verpflichtet wäre.178
D. Fazit Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung kommt eine Vielzahl von europa- und völkerrechtlichen Instrumentarien zum Einsatz. Um der Ordnungsfunktion des Rechts in diesem Rahmen gerecht zu werden, bedurfte es zum Teil seiner Anpassung und Weiterentwicklung. Die im Einzelfall notwendig werdende Neujustierung sollte auf einem breiten Konsens der Staatengemeinschaft aufbauen. Insbesondere bei der Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt sollte zudem eine transparente Verfahrensweise verfolgt werden, die eine kritische Beobachtung durch die Öffentlichkeit ermöglicht. Größere Transparenz und eine Formalisierung der Verfahrensweise des Sicherheitsrats könnten auch einen Beitrag im Kampf gegen schwerste Menschenrechtsverletzungen leisten. Die ständigen Mitglieder müssten zumindest mit höheren politischen Kosten rechnen, wenn sie den Erlass einer Resolution auf Grund von Partikularinteressen blockieren würden. Erste Schritte einer Änderung der Verfahrensweise sind wahrnehmbar. Weitere sollten folgen.
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Vgl. insoweit ähnlich bereits der Reformvorschlag der Gruppe der sogenannten Small 5, bestehend aus Costa Rica, Jordanien, Liechtenstein, der Schweiz und Singapur in ihrem Resolutionsentwurf vom 12.3.2012, UN Doc. A/66/L.42, Ziff. 19 und 20.
Internationale und europäische strafrechtliche Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung – Der Beitrag von Europol, Eurojust, EuStA und Interpol zur Europäischen Sicherheitsagenda – Von Robert Esser
A. Einleitung Unmittelbar nach den Terroranschlägen in der belgischen Hauptstadt Brüssel am 22. März 2016 kritisierten Politiker die Anti-Terrorismusaktivitäten der Europäischen Union (EU) mit zum Teil scharfen Worten. So bemängelte der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, Elmar Brok (CDU), vor allem die seiner Ansicht nach schlechte strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union: „[…] Wir haben Europol. Europol soll Terrorismus und Organisierte Kriminalität europaweit bekämpfen. Nach meinen Informationen ist es aber so, dass nur fünf Länder Europol ihre geheimen Informationen zur Verfügung stellen. Auf diese Art und Weise kann man ein grenzüberschreitendes Phänomen nicht bekämpfen“ – verbunden mit der Forderung, die 28 Innenminister der EU sollten zum Datenaustausch gezwungen werden.1 I. Europäische Sicherheitsagenda, COM(2015) 185 final „Die Europäische Union will sicherstellen, dass die Menschen in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen leben können.“2 1
Neue Westfälische (Bielefeld/Düsseldorf) vom 22.3.2016, Kritik nach den Anschlägen: Politiker fordern gesamteuropäisches Terrorabwehrzentrum, abrufbar unter http://www.nw. de/nachrichten/thema/terror_in_europa/20745906_Kritik-nach-den-Anschlaegen-Politikerfordern-gesamteuropaeisches-Terrorabwehrzentrum.html (letzter Zugriff am 17.2.2017). 2 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Die Europäische Sicherheitsagenda, COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 2.
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Mit diesem politischen Anspruch hatte die Europäische Kommission bereits im April 2015 und damit rund ein halbes Jahr vor den Anschlägen von Paris am 1. November 2015 und knapp ein Jahr vor den Anschlägen in Brüssel das Maßnahmenpaket einer „Europäischen Sicherheitsagenda“ vorgestellt.3 Ziel dieser Agenda ist die Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten bei der Gewährleistung von Sicherheit. Vor dem Hintergrund immer neuer und vor allem vielfältiger Bedrohungsszenarien – gerade auch im internationalen Kontext – können die Mitgliedstaaten ihrer Sicherheitsaufgabe, dem Schutz der eigenen Bevölkerung, nach Ansicht der Kommission im eigenen Wirkungskreis nicht mehr vollständig gerecht werden. Die Europäische Sicherheitsagenda soll eine engere Kooperation der EUMitgliedstaaten mit den im Bereich der Kriminalprävention und Strafverfolgung relevanten Akteuren der Union durch besseren Informationsaustausch und eine verstärkte operative Zusammenarbeit auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens ermöglichen. Dabei soll das ganze Spektrum der auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon zulässigen Maßnahmen und Instrumente ausgeschöpft werden.4 Das Maßnahmenpaket der Sicherheitsagenda sieht u.a. die Etablierung eines EU-Zentrums für die Koordination von Notfallmaßnahmen vor, um eine kohärente europäische Reaktion in Krisensituationen zu gewährleisten.5 Dieser Ansatz entspricht auch der Solidaritätsklausel des Art. 222 AEUV, wonach die Mitgliedstaaten insbesondere in Notfällen und Krisensituationen, wie Terroranschlägen, Unterstützung durch die EU anfordern können. Die stärkere Zusammenarbeit in diesem Bereich ermöglicht zudem eine vollständige Umsetzung und Anwendung der Katastrophenschutzvorschriften von 20136. Dem mittlerweile eingerichteten (dazu unter B. III.) Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC) soll im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der Union, der Solidaritätsklausel des Art. 222 AEUV und auch den integrierten Regelungen für die politische Reaktion der Union auf Krisen7 in Zukunft die 3
COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 2. COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 2. Zu den Befugnissen der Europäischen Union (OLAF, Europol, Eurojust, Europäische Staatsanwaltschaft) auf dem Gebiet des Strafrechts vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon: Robert Esser, Befugnisse der Europäischen Union auf dem Gebiet des Strafrechts?, in: Manfred Zuleeg (Hrsg.), Europa als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2007, 25. 5 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 11. 6 Vgl. die im Beschluss 1313/2013/EU vom 17.12.2013 (ABl. 2013 L 347/924) getroffenen Regelungen. 7 Vgl. www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/EN/genaff/ 137614.pdf vom 25.6.2013, 17; http://www.consilium.europa.eu/de/documents-publications/publications/ (jeweils letzter Zugriff am 15.2.2017). 4
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Rolle der wichtigsten Koordinierungsplattform und Anlaufstelle bei Krisenmaßnahmen zukommen.8 Neben einer allgemeinen Verbesserung der Strukturen für eine Krisenbewältigung auf nationaler Ebene sollen die Mitgliedstaaten verstärkt das Europäische Polizeiamt Europol für einen EU-weiten Daten- und Informationsaustausch auf dem Gebiet der Strafverfolgung nutzen können. Vor diesem Hintergrund soll Europol Veränderungen, etwa im Bereich der operativen Kompetenzen und im Hinblick auf datenschutzrechtliche Vorgaben, erfahren.9 Um eine enge Zusammenarbeit und ein umfassendes Vertrauen der nationalen Strafverfolgungsbehörden zu gewährleisten, sieht die Europäische Sicherheitsagenda darüber hinaus die Einrichtung eines europäischen kriminaltechnischen Raumes vor.10 Damit die mit Hilfe von Informationsaustauschsystemen (z.B. dem sog. Prüm-Rahmen für Fingerabdrücke und DNA-Profile)11 ausgetauschten kriminaltechnischen Daten europaweit vor nationalen Gerichten verwendet werden können, sollen fortan auch die forensischen Arbeitsabläufe der Mitgliedstaaten angeglichen werden.12 Kern der Europäischen Sicherheitsagenda soll die auf fünf Jahre angelegte Umsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von drei prioritären Kriminalitätsfeldern sein: Terrorismus, schwere und organisierte grenzübergreifende Kriminalität (u.a. Menschen- und Waffenhandel, Drogenschmuggel und die Finanz-, Wirtschafts- und Umweltverbrechen) sowie Cyberkriminalität (u.a. der Missbrauch von Anonymisierungstechniken und anonymen Zahlungsverfahren für den unerlaubten Online-Handel mit Drogen und Waffen, für kriminelle Transaktionen und die Geldwäsche). II. Terrorismusbekämpfung als Priorität der Sicherheitsagenda Zur Verwirklichung des Plans einer effektiven Terrorismusbekämpfung sieht die Sicherheitsagenda eine Ausweitung der Kompetenzen von Europol in Terrorismusfragen vor. So sollen etwa Kapazitäten und Ressourcen der Agentur in diesem Kriminalitätsfeld gebündelt sowie die Nutzung der bestehenden Strukturen und 8
COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 11. COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 7 f. 10 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 14. 11 Hierzu: Robert Esser, Informationsaustausch, europäische Informationssysteme und Datenschutz, in: Martin Böse (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Bd. 9, 2013, Rn. 33; Mark Zöller, Der Austausch von Strafverfolgungsdaten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ZIS 2011, 64. 12 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 14. 9
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Instrumente verbessert werden.13 Die Europäische Kommission hatte in diesem Zusammenhang die Einrichtung des schon angesprochenen ECTC vorgeschlagen, das zwischenzeitlich bereits gegründet worden ist und künftig als zentrale Kontaktstelle fungieren und vorhandene Kapazitäten zusammenführen soll.14 Flankierend ist eine verstärkte Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung erforderlich (dazu unter A. III.). Darüber hinaus beinhaltet die Agenda Pläne zur Errichtung eines EU-Forums der Internetdienstleister, um ein verstärktes Vorgehen gegen terroristische Propaganda im Internet zu ermöglichen.15 Um dem Terrorismus den notwendigen „personellen“ Rückhalt zu nehmen, sollen sowohl etwaige Lücken in der Gesetzgebung analysiert als auch die Überwachung von Hassreden im Internet und andere Maßnahmen zur Ausweitung von De-Radikalisierungsstrategien gefördert werden. Die von der EU bereitgestellten Finanzmittel werden bereits zunehmend für einschlägige Fortbildungsmaßnahmen für Beamte abgerufen und für die Überwachung, Meldung und Erfassung von möglichen Hassverbrechen (hate crimes) eingesetzt.16 Darüber hinaus sollen bei den politischen Rahmenvorgaben entsprechende Prioritäten in den Bereichen Bildung, Jugend und Kultur gesetzt werden, um soziale Inklusion zu fördern und so einer Radikalisierung Jugendlicher vorzubeugen.17 Ein neuer innovativer Aspekt der Terrorismusprävention liegt in der Schulung und Unterrichtung verschiedener lokaler Akteure, die in unmittelbarem Kontakt zu radikalisierungsgefährdeten Personen stehen.18 Der neu austarierte Schwerpunkt dieser „Bildungsoffensive“ liegt bei der Verhütung der Radikalisierung in Gefängnissen und der Entwicklung wirksamer Ausstiegs- und De-RadikalisierungsProgramme für „Rückkehrer“ und „Aussteiger“.19 So sollen vor allem in der Straf13
COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 16. COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 16. 15 Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-4865_de.htm (letzter Zugriff am 15.2.2017); BT-Drs. 18/10386 vom 21.11.2016, 1. 16 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 18. Zur Entwicklung von Radikalisierungsprozessen bei islamistischen Einzeltätern: Corina Behrens/Stefan Goertz, Radikalisierungsprozesse von islamistischen Einzeltätern und die aktuelle Analyse durch die deutschen Sicherheitsbehörden, Kriminalistik 2016, 686. 17 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 18. 18 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 19. 19 Vgl. COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 18 f.; dazu auch Oliver H. Gerson, Radicalization and De-Radicalization: Trip to Hell and Back? Appreciation and purpose of drop-out programs for political and religious fanatics and alternatives, in: Henning Glaser (Hrsg.), Talking to the Enemy, 2017, 165 ff. 14
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verfolgung und im Strafvollzug tätige Personen angesichts des hohen Radikalisierungspotentials von Häftlingen Schulungen erhalten. Neben diesen klassischen Zielgruppen werden Schulungen weiterer Akteure, wie Sozialarbeiter oder Lehrkräfte, ins Auge gefasst.20 Zur Unterstützung und Vernetzung aller im Bereich der Terrorismusprävention agierenden Personen sieht die Kommission die Errichtung eines Aufklärungsnetzwerks gegen Radikalisierung (RAN-Kompetenzzentrum)21 vor, das (in Form eines EU-Wissenszentrums) Fachwissen konsolidieren und dadurch die De-Radikalisierungsarbeit22 intensivieren und ausweiten soll.23 Solche Programme zur De-Radikalisierung sind sicherlich ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept, zielen aber nicht auf den kurzfristigen (politischen) Erfolg ab; um nachhaltig wirksam werden zu können, benötigen sie einen gewissen „politischen Atem“. Zudem will die Europäische Kommission im Rahmen der EU-Sicherheitsagenda in Bezug auf den EU-Rahmenbeschluss 2008/919/JI, welcher einen einheitlichen Rechtsrahmen vorsieht und Definitionen terroristischer Straftatbestände zur Terrorismusbekämpfung enthält,24 eine Folgenabschätzung durchführen.25 Hierdurch sollen die grenzübergreifenden praktischen und rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der Erhebung und der Zulässigkeit von Beweismitteln in Fällen von Terrorismus angegangen und Reisen in Konfliktgebiete verhindert werden.26 III. Aktionsplan zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung Der internationale Terrorismus benötigt zur Umsetzung seiner Gräueltaten erhebliche Geldmittel.27 Ein Weg, die Gefahren des internationalen Terrorismus 20
COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 19. Vgl. http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/networks/radicalisation_ awareness_network/index_en.htm (letzter Zugriff am 15.2.2017). 22 Zu nationalen und europäischen Zentren und Einrichtungen zur Deradikalisierung: Gerson (Anm. 19). 23 Vgl. COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 18 f.; vgl. hierzu auch den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbeka@mpfung, COM(2015) 625 final vom 2.12.2015. 24 Vgl. Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28.11.2008 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2008 L 330/21). 25 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 17. 26 COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 17. 27 Vgl. auch: Europol, Changes in modus operandi of Islamic State terrorist attacks, Review held by experts from Member States and Europol on 29 November and 1 December 2015, 2016, 7. 21
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einzudämmen, besteht deshalb darin, die geheimen und verdeckten Geldflüsse krimineller Organisationen aufzudecken und nachhaltig auszutrocknen. Hierzu stehen Maßnahmen zur Sicherstellung terroristischer Vermögenswerte gemäß Art. 75 AEUV, zur Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kulturgütern, zur Kontrolle von Zahlungsformen wie Online-Überweisungen und Prepaid-Karten auf dem Programm.28 Das Aufdecken relevanter Geldströme soll vor allem durch eine Steigerung der Transparenz von Finanztransaktionen erreicht werden. Die Richtlinie 2015/849/ EU (sog. 4. Geldwäsche-Richtlinie29) schafft dazu zahlreiche Instrumente zur Ermittlung und Verfolgung verdächtiger Geldtransfers. Wie bereits in der Europäischen Sicherheitsagenda fixiert, sollen Informationspflichten der Staaten über Finanztransaktionen nach Art. 7 und Art. 32 ff. der Richtlinie eingeführt werden. Auch Drittländer außerhalb der Union werden durch Sonderregelungen stärker in die Kontrolle mit einbezogen (Art. 9). Außerdem soll es künftig verboten sein, anonyme Konten zu führen (Art. 10). Der Tatbestand der Geldwäsche soll europaweit einheitlich zu definieren sein (vgl. Art. 1 Abs. 3 lit. a–d und Abs. 4). Weiterhin wird zwischen verschiedenen Akteuren differenziert. Eine Differenzierung zwischen Gefährdern und weniger verdächtigen Transakteuren (vgl. Art. 17, 18) bzw. „politisch exponierten Personen“ (vgl. Art. 22) erlaubt ein zielgenaueres Vorgehen gegen mutmaßliche finanzielle Unterstützer des Terrorismus. Gerade weil institutionalisierte Korruption als ein wesentlicher Begünstigungsfaktor für die Organisierte Kriminalität angesehen wird,30 geraten auch politische Akteure und Führungseliten in den Fokus. Sog. „Mantelbanken“ oder „Briefkastenbanken“ (Shell-banks), die in dem Land, in dem sie ihren Sitz haben und zugelassen sind, keinerlei Filialen bereithalten oder keinen Geschäftsbetrieb durchführen und darüber hinaus keinem regulierenden Finanzkonzern untergliedert sind, sollen vom Markt abgekapselt werden (Art. 24). Neben einer Ausweitung der Kompetenzen von Europol (dazu unter B. II.) sollen die Befugnisse und der Informationsaustausch der Zentralstellen für GeldwäscheVerdachtsanzeigen (Financial Intelligence Units – FIU) ausgeweitet werden. Die 28
COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 17. Richtlinie 2015/849/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (ABl. 2015 L 141/73). Hierzu auch die Vorschläge der Kommission COM(2013) 45 final vom 5.2.2013 und COM(2013) 44 final vom 5.2.2013. 30 Dazu auch Wolfgang Hetzer, Korruptionsbekämpfung in der Europäischen Union, Kriminalistik 2014, 218. 29
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Überwachung von Barmitteln wird schon durch die Verordnung (EG) 1889/200531 geregelt. Der Art. 75 AEUV bietet weitere Möglichkeiten zum Erlass von Rechtsakten. Ein Hauptaugenmerk bei der Aufdeckung illegaler Finanzströme zur Terrorismusfinanzierung liegt laut der 4. Geldwäsche-Richtlinie in der Vernetzung bereits bestehender Kontaktstellen. Die Zusammenarbeit der nationalen Kontaktstellen (Art. 33) umfasst daher Überwachungsverpflichtungen (Art. 38) und wird durch die nationale (Art. 49), die europäische (Art. 50) sowie die Zusammenarbeit zwischen den zentralen Meldestellen und der Kommission (Art. 51) flankiert. Die 4. Geldwäsche-Richtlinie ist allerdings längst nicht das „letzte Wort“ der Europäischen Union. Der in den relevanten Fragen erzielbare Konsens scheint mit jedem terroristischen Anschlag in Europa zuzunehmen. Schon im Juli 2016 hat die Kommission Vorschläge für eine „Änderung“, sprich Verschärfung der Richtlinie 2015/849 vorgelegt32 und ihre Vorstellungen zum Aktionsplan gegen Terrorismusfinanzierung im Dezember 2016 nochmals medienwirksam vorgelegt, darunter weitere Vorschläge zur Harmonisierung des Geldwäschetatbestandes.33 Neben der Sichtbarmachung und Abschöpfung der illegalen Geldströme muss bereits ihr eigentlicher Ursprung bekämpft werden. Um die Einnahmequellen des internationalen Terrorismus auszutrocknen, werden Drittländer bei der Verfolgung des illegalen Handels mit Feuerwaffen und illegalen Drogen sowie der Schleusung und dem Menschenhandel technisch unterstützt. Die Richtlinie 2011/36/EU34 legt dazu bereits einen tauglichen Fahrplan fest.
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Verordnung (EG) Nr. 1889/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Überwachung von Barmitteln, die in die Gemeinschaft oder aus der Gemeinschaft verbracht werden (ABl. 2005 L 309/9). 32 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinie 2009/101/EG, COM(2016) 450 final vom 5.7.2016. 33 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche – COM (2016) 826 final vom 21.12.2016; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament den Europäischen Rat und den Rat: Auf dem Weg zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion – Zweiter Fortschrittsbericht, COM(2016) 732 final vom 16.11.2016. Vertiefend: Koslowski, Harmonisierung der Geldwäschestrafbarkeit in der Europäischen Union (2016). 34 Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (ABl. 2011 L 101/1), vgl. auch COM(2012) 286 final vom 19.6.2012.
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IV. Bekämpfung von Cybercrime – Maßnahmen für eine „Digitale Hygiene“
Die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Phänomen des Cybercrime35 liegen vor allem darin begründet, dass die Strafverfolger den Finessen der technisch enorm versierten kriminellen Banden zumeist nur hinterherhinken können.36 Zudem ist die Hemmschwelle vieler Nutzer im Schutz der vermeintlichen digitalen Anonymität geringer, so dass Schäden enormen Ausmaßes37 über Kontinente hinweg und ohne Hinweis auf die mutmaßlichen Drahtzieher keine Seltenheit mehr darstellen.38 Es bedarf daher umfassender und gesamtheitlich arbeitender Mechanismen, um diesem Kriminalitätsphänomen Herr zu werden.39 Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass sich der internationale Terrorismus auch des Internets zur Vorbereitung, Steuerung und Durchführung von Straftaten bedient.40
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Vgl. auch die Ergebnisse der Herbsttagung 2013 des BKA unter dem Titel „Cybercrime – Bedrohung, Intervention, Abwehr“, Tagungsbericht von Sonja Kock, Cybercrime – Bedrohung, Intervention, Abwehr, Kriminalistik 2014, 3 ff. und auch Jörg Ziercke, Kriminalistik 2.0, Kriminalistik 2014, 10 ff.; Kirsten Vollmar, Die Bedeutung von Kreativität und Innovation im Kontext der Bekämpfung von Cybercrime, Kriminalistik 2015, 132. Zu mobilen Endgeräten (Smartphones, Tablets etc.), die ebenfalls Medium für Cyberkriminalität sein können: Stephan Kempin, Android Smartphones im Fokus krimineller Akteure, Kriminalistik 2014, 615 ff.; Blaž Markelj/Sabina Zgaga, Angriffe auf mobile Geräte, Kriminalistik 2015, 508 ff. 36 Ziercke (Anm. 35), 17; Franz-Josef Schillo, Schwierigkeiten bei der Bewältigung des IT-Strafrechts, Kriminalistik 2015, 764, 765. 37 Zum „Diebstahl“ virtueller Gegenstände eingehend Thorsten Fleiß, Diebstahl virtueller Gegenstände, Kriminalistik 2014, 620 ff. Hierunter fallen Online-Spiele, Bitcoins oder der virtuelle Tauschhandel. 38 Ziercke (Anm. 35), 17. 39 Monika Hohlmeier, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung (COM (2015) 0625 – C80386/2015 – 2015/0281(COD)), 2015/0281(COD) vom 9.3.2016 fordert in den vorgeschlagenen Art. 4a und Art. 7 eine Art „Internetsperre“ für Terroristen. Siehe auch: Unterrichtung durch die Bundesregierung – Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016, BT-Drs. 18/10395 vom 11.11.2016. 40 Dazu bereits Mark Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, 347 ff.
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Maßgebliche Instrumente sind in diesem Zusammenhang die Richtlinie 2013/40/EU41 sowie das bei Europol im Januar 2013 eingerichtete Europäische Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität (EC3).42 Oberste Priorität bei der von der Kommission proklamierten Initiative „Digitale Hygiene“ hat die Rückeroberung des sog. „Darknet“, eines faktisch weitgehend „rechts(verfolgungs)freien Raums“ im Internet, der kriminellen Machenschaften eine weite und lukrative Plattform für diverse kriminelle Handlungen bietet. Bereits durch den EU-Rahmenbeschluss 2001/413/JI sollten Betrügereien und die unbefugte Verwendung von Daten eingedämmt werden.43 Dem Kampf gegen den Handel und der Verbreitung von Kinderpornographie dient die Richtlinie 2011/92/EU.44 Des Weiteren sollen Hacker-Angriffe und die Verbreitung von sog. Schadsoftware unterbunden werden.45 Eine zentrale Funktion kommt dem Verbot der „verschlüsselten Kommunikation“ zu, die es ermöglicht, verbotene Angriffe und Geschäfte fernab jeder Aufspürbarkeit durchzuführen.46 Wird die verschlüsselte Kommunikation hingegen „geknackt“,47 könnten kriminelle Aktivitäten in Zukunft weniger leicht vor den Ermittlungsbehörden verheimlicht werden. Zentriert und gesammelt wird das Know-How für die Initiative zur „Digitalen Hygiene“ in der „Meldestelle für Internetinhalte bei Europol“ (EU-IRU; dazu unter B.V.).48 41
Richtlinie 2013/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. August 2013 über Angriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2005/222/JI des Rates (ABl. 2013 L 218/8). 42 Vgl. die offizielle Homepage https://www.europol.europa.eu/ec3 (letzter Zugriff am 15.2.2017). 43 Rahmenbeschluss des Rates 2001/413/JI vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (ABl. 2001 L 149/1). 44 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABl. 2011 L 335/1). 45 Dazu auch Ziercke (Anm. 35), 12; zum Gefährdungspotential von Schadsoftware Markelj/Zgaga (Anm. 35), 509. 46 Ziercke (Anm. 35), 15 f. 47 Zum Beispiel auch durch das Einloggen in ausländische E-Mail-Accounts, dazu Benjamin Krause, Sicherung von ausländischen E-Mail-Postfächern durch heimliches Einloggen – innovativ oder unzulässig?, Kriminalistik 2014, 213 ff.; zum IP-Tracking Katrin Lellmann/Stefan Pohl, IP-Tracking, Kriminalistik 2015, 498 ff.; vgl. auch Hohlmeier (Anm. 39), Art. 15 f. 48 Vgl. dazu die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE – BT-Drs. 18/6442 –, BT-Drs. 18/6591 vom 5.11.2015.
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B. Terrorismusbekämpfung durch das Europäische Polizeiamt (Europol) Das Europäische Polizeiamt wächst kontinuierlich zu einer festen Größe innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur heran. Ging es innerhalb des bisherigen Aufgabenfeldes von Europol im Schwerpunkt um organisatorische und administrative Unterstützungs- und Beratungsaufgaben, haben Rat und Kommission der Union – auch mit Unterstützung der Mitgliedstaaten – inzwischen ganz neue Betätigungsfelder für die Agentur im Sinn. I. Statuswandel von Europol unter der „Europäischen Sicherheitsagenda“? Ein zentrales Strukturmerkmal von Europol war bislang die Ausrichtung auf die „polizeiliche“ Arbeit in einem durchaus weit verstandenen Sinne, die Prävention und Gefahrenabwehr ebenso umfassend wie die strafprozessuale Verfolgung von Straftaten. Geheimdienstliche Tätigkeiten blieben Europol bislang allerdings verwehrt. Im Zuge der Beratungen zur neuen Europäischen Sicherheitsagenda49 scheint die Politik aber die Bereitschaft zu entwickeln, auch diese letzte Hürde fallen zu lassen.50 1. Rechtsgrundlage und Entstehungsgeschichte von Europol Europol wurde durch das Übereinkommen aufgrund von Art. 3 K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes vom 26. Juli 199551 als erste Institution innerhalb der durch den Vertrag von Maastricht geschaffenen sog. „Dritten Säule“ ins Leben gerufen.52 Nach seinem 49
COM(2015) 185 final vom 28.4.2015; vgl. hierzu Tobias Broser, Europäische Sicherheitsagenda, Kriminalistik 2015, 494 ff. sowie oben A.I. 50 Vgl. auch die neue Selbstwahrnehmung Europols in Exploring tomorrow’s organised crime (Informationsbroschüre), 2015, abrufbar unter https://www.europol.europa.eu/sites/ default/files/documents/Europol_OrgCrimeReport_web-final.pdf (letzter Zugriff am 17.2.2017); dazu Will van Gemmert/Tamara Schotte, Schwere und Organisierte Kriminalität: Herausforderung für die Zukunft, Kriminalistik 2015, 385 ff. 51 ABl. 1995 C 316/1 vom 27.11.1995; Heribert Ostendorf, Europol – ohne Rechtskontrolle?, NJW 1997, 3418, 3419. 52 Zur Entstehung: Bernd Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, Kap. 5 Rn. 59; Robert Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2014, § 3 Rn. 27; Sabine Gleß, Europol, NStZ 2001, 623.
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Inkrafttreten am 1. Oktober 1998 wurde das Europol-Übereinkommen in den folgenden Jahren durch weitere Protokolle ergänzt,53 ehe es am 6. April 2009 durch einen auf der Grundlage von Art. 34 Abs. 2 lit. c EUV a.F. getroffenen Beschluss des Rates (EPB)54 abgelöst wurde, der am 1. Oktober 2010 in Kraft trat. Eine Besonderheit bestand dabei darin, dass der EPB noch vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 200955 angenommen worden war, aber erst später in Kraft trat.56 Damit konnte die Neuregelung der Aufgaben, Funktionen und Befugnisse von Europol noch als Beschluss erfolgen, obwohl Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 AEUV eine Verordnung als Form des Rechtsakts für die Aktivitäten von Europol vorsieht. Gemäß Art. 9 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen zum Vertrag von Lissabon behielt der EPB als vor Inkrafttreten des Vertrags angenommener und nicht außer Kraft getretener Rechtsakt weiterhin seine Rechtswirkung.57 Ziel des EPB war es in erster Linie, Europol zu einer Agentur der Union umzubauen, um die allgemeinen Regeln für Agenturen auch auf das Europäische Polizeiamt anwenden zu können.58 Zudem erfuhren die Ermittlungsbefugnisse von Europol eine deutliche Aufwertung.59 Knapp zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des EPB wurde in Den Haag ein neues „Hauptquartier“ für Europol eingeweiht und seiner Funktion übergeben, das sich auf rund 32.500 m² erstreckt, über fast 500 Parkplätze verfügt und Platz für etwa 850 Mitarbeiter bietet.60 Diese Dimensionen belegen eindeutig den zu erwartenden Bedeutungszuwachs der Agentur in den nächsten Jahren.
53
Oliver Suhr, Art. 88 AEUV, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/ AEUV, 5. Aufl. 2016, Rn. 11. 54 Beschluss 2009/371/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol) (ABl. 2009 L 121/37). 55 Jan Albrecht/Nils Janson, Die Kontrolle des Europäischen Polizeiamtes durch das Europäische Parlament nach dem Vertrag von Lissabon und dem Europol-Beschluss, EuR 2012, 230. 56 Vgl. Suhr (Anm. 53), Rn. 12. 57 Vgl. Gerhard Dannecker, Art. 88 AEUV, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Rn. 3; Suhr (Anm. 53), Rn. 12. 58 ABl. 2009 L 121/37, Erwägungsgrund Nr. 6. 59 Vgl. Rudolf Streinz/Christoph Ohler/Christoph Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. 2010, 165; Dannecker, Art. 88 AEUV, in: Streinz (Anm. 57), Rn. 17. 60 Vgl. www.bmi.gv.at/cms/BMI_OeffentlicheSicherheit/2011/09_10/files/Europol.pdf; www.spiegel.de/panorama/justiz/europol-fahnder-wir-haben-keine-pistolen-a-771927.html (jeweils letzter Zugriff am 15.2.2017).
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2. Auftrag – Ziel – Zuständigkeit (Art. 88 Abs. 1 AEUV; Art. 3, Art. 4 EPB) Der primärrechtlich normierte Auftrag von Europol besteht darin, die Tätigkeit der Polizeibehörden und der anderen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten sowie deren gegenseitige Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der – zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffenden – schweren Kriminalität, des Terrorismus und der Kriminalitätsformen, die ein gemeinsames Interesse verletzen, das Gegenstand einer Politik der Union ist, zu unterstützen und zu verstärken (Art. 88 Abs. 1 AEUV). Europol ist damit sowohl als Strafverfolgungs- als auch als Polizei-/Gefahrenabwehrbehörde konzipiert.61 Nach Art. 3 UAbs. 1 EPB hat Europol zum Ziel, die Tätigkeiten der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie deren Zusammenarbeit bei der Prävention und Bekämpfung organisierter Kriminalität, Terrorismus und anderer Formen schwerer Kriminalität zu unterstützen und zu verstärken – wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten betroffen sind. Dabei erstreckt sich die Zuständigkeit von Europol (Art. 4 EPB) auf die organisierte Kriminalität, den Terrorismus und andere Formen schwerer Kriminalität, wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten in einer Weise betroffen sind, die aufgrund des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der Straftaten ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert. Eine Eingrenzung des Mandats durch die Aufzählung der Formen schwerer Kriminalität findet sich im Anhang. Danach ist Europol u.a. zuständig bei Drogen- und Menschenhandel, Schleuserkriminalität, vorsätzlicher Tötung, Computerdelikten, Korruption und Betrugsdelikten. 3. Struktur und Aufgaben (Art. 88 Abs. 2 AEUV) Das Europäische Parlament und der Rat legen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren den Aufbau, die Arbeitsweise, den Tätigkeitsbereich und die Aufgaben von Europol fest (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 AEUV). Um ihrer Stellung als Polizei- und Strafverfolgungsbehörde gerecht zu werden, kann Europol Informationen einholen, speichern, verarbeiten, analysieren und mit anderen Stellen austauschen (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 lit. a AEUV). Daneben sieht Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 lit. b AEUV als möglich Aufgaben von Europol die Koordinierung, Organisation und Durchführung von Ermittlungen sowie die Durchführung operativer Maßnahmen vor – letzteres jedoch nur gemein-
61 Vgl. zum Aufgabenkanon von Europol: Esser (Anm. 52), Rn. 38; Helmut Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl. 2016, § 10, Rn. 6 ff.
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sam mit den zuständigen nationalen Behörden oder im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG). Die Kontrolle der Ausführung dieser Aufgaben erfolgt durch das Europäische Parlament unter Beteiligung der nationalen Parlamente (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV). 4. Operative Maßnahmen (Art. 88 Abs. 3 AEUV) Zur Durchführung von operativen Maßnahmen muss Europol zwingend eine vorherige Absprache mit den Behörden des/der betroffenen Mitgliedstaates(n) treffen; auch dann darf Europol die betreffenden Maßnahmen nicht im Alleingang, sondern nur „in Verbindung“ mit den nationalen Stellen durchführen. Zwangsmaßnahmen bleiben sogar ausschließlich den zuständigen einzelstaatlichen Behörden vorbehalten (vgl. Art. 88 Abs. 3 AEUV). II. Entwicklungsprozess und Visionen für neue Aufgaben und Ziele Durch die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage für Europol und eine Stärkung der Solidaritätsklausel (Art. 222 AEUV)62 sollen die Bekämpfung des Terrorismus intensiviert sowie ein einheitlicher „europäischer kriminaltechnischer Raum“63 geschaffen werden.64 Verknüpft damit sind auch die Pläne zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (dazu unter D.)65, die trotz intensiver Beratungen zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament nicht mehr bis Ende 2016 realisiert werden konnte,66 aber für 2017 auf der politischen Agenda steht.67 62
Vgl. Art. 222 Abs. 1 S. 1 AEUV: „Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist.“ 63 Vgl. dazu aus Sicht der Polizei: Christian Matzdorf, Europäische Kriminaltechnik 2020, Kriminalistik 2014, 165 ff. 64 Zu den Zukunftsperspektiven von Europol auch: Alexandra De Moor, Europol, Quo Vadis?, 2012. 65 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft COM(2013) 534 final vom 17.7.2013. 66 Vgl. dazu das Paper zur Sitzung des LIBE-Ausschusses vom 24.5.2016, The European Public Prosecutor’s Office (EPPO) and the European Union’s Judicial cooperation Unit (EUROJUST); vgl. auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29.4.2015 (COM(2013) 0534 final – 2013/0255(APP). 67 Ratsdok. 15200/16 vom 2.12.2016; 15057/16 vom 2.12.2016; 12774 REV 2 COR 1/16 vom 13.10.2016; 12809/16 vom 30.9.2016. Vgl. auch den Bericht bei eucrim 2016, 126.
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Hauptarbeitsfelder und damit Prioritäten der zukünftigen Betätigung Europols sollen – parallel zur Europäischen Sicherheitsagenda insgesamt – die Bekämpfung des Terrorismus, der Organisierten Kriminalität und der Cyberkriminalität sein. Im Entwurf für eine Richtlinie68 zur Ersetzung des RB 2002/475/JI69 wird explizit auf die neuen Herausforderungen des islamistischen Terrorismus hingewiesen, auf dessen Bekämpfung sich Europol durch eine selbstauferlegte Neuausrichtung vorbereitet.70 1. „Neue“ Europol-Verordnung: (EU) 2016/794 Art. 88 Abs. 1 AEUV sieht vor, dass Europol in Umsetzung des Vertrags von Lissabon durch den Erlass einer Verordnung, die an die Stelle des noch übergangsweise geltenden Europol-Beschlusses (EPB) aus dem Jahr 2009 tritt, auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt wird.71 Einen entsprechenden Vorschlag für einen neuen Rechtsakt hatte die Kommission im März 2013 vorgelegt.72 Eines ihrer Anliegen war dabei, die Kontrolle von Europol durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente zu konkretisieren und die für Europol geltenden Datenschutzregelungen weiterzuentwickeln.73 Der Vorschlag sah zudem eine Zusammenlegung von Europol mit der Polizeiakademie CEPOL zu einer Agentur vor,74 was vom Rat und Europäischem Parlament jedoch abgelehnt wurde.75 Von Januar 2016 an wurde der Vorschlag in der Kommission, im Rat und im Parlament diskutiert. Im April 2016 erfolgte eine Mitteilung der Kommission zu 68
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI, COM (2015) 625 final vom 2.12.2015. 69 Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002 L 164/3–7). 70 Vgl. Europol, Changes in modus operandi of Islamic State terrorist attacks, Review held by experts from Member States and Europol on 29 November and 1 December 2015, 18.1.2016, abrufbar unter https://www.europol.europa.eu/publications-documents/changesin-modus-operandi-of-islamic-state-terrorist-attacks (letzter Zugriff am 15.2.2017). 71 Vgl. Jan Albrecht/Nils Janson, Die Kontrolle des Europäischen Polizeiamtes durch das Europäische Parlament nach dem Vertrag von Lissabon und dem Europol-Beschluss, EuR 2012, 230; ABl. 2016 L 135/53 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 2. 72 COM(2013) 173 final vom 27.3.2013. 73 Vgl. Suhr (Anm. 53), Rn. 13; www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/ 2016/03/10-updated-rules-for-europol/ (letzter Zugriff am 15.2.2017). 74 Vgl. COM(2013) 173 final vom 27.3.2013, Art. 1 Abs. 2. 75 Vgl. Ratsdok. 10033/14 vom 28.5.2014.
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dem in erster Lesung festgelegten Standpunkt des Rates.76 Knapp einen Monat später stimmte das Europäische Parlament dem Vorschlag nach erster Lesung zu77 und erließ die Verordnung 2016/794 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol).78 Mit dieser Verordnung werden gleichzeitig die Ratsbeschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI aufgehoben und durch den neuen Rechtsakt ersetzt. Die neue Europol-Verordnung (EPVO) wird am 1. Mai 2017 in Kraft treten (Art. 77 Abs. 2 EPVO).79 2. Tragende Erwägungsgründe Die EPVO entstand vor dem Hintergrund einer (so stets behauptet) zunehmenden Sicherheitsbedrohung durch organisierte kriminelle oder terroristische Netzwerke.80 Der Terrorismus stellt nach Ansicht der Europäischen Kommission eine der größten Bedrohungen für die Europäische Union dar;81 alle Gesellschaften in Europa seien anfällig für Terroranschläge.82 Ähnlich wie andere Formen schwerer Kriminalität werde auch der Terrorismus besonders durch das Internet und soziale Kommunikationsmittel als Rekrutierungsinstrument befördert.83 Damit einher gehe ein Erstarken von Cybercrime und Spionage84 sowie die Bedrohung durch Straftaten gegen die Rechtsgüter der Union.85 Zur Abwehr dieser zunehmenden Bedrohungen soll Europol künftig als „Knotenpunkt für den Informationsaustausch in der Union“86 fungieren, was eine eindeutige Bestimmung der Pflichten der Mitgliedstaaten bei der Datenübermittlung an Europol erforderlich macht.87 76
Vgl. COM(2016) 209 final vom 8.4.2016. Vgl. Informatorischer Vermerk 8685/16 vom 11.5.2016. 78 Vgl. ABl. 2016 L 135/53 vom 25.5.2016. 79 Vgl. ABl. 2016 L 135/107 vom 25.5.2016. 80 Vgl. ABl. 2016 L 135/53 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 4 und 38; vgl. Europabericht der Vertretung des Freistaats Bayern bei der EU, Nr. 08/2016 vom 13.5.2016, 13, abrufbar unter www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/05/EB-08-16-zus.pdf (letzter Zugriff am 15.2.2017). 81 Vgl. ABl. 2016 L 135/54 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 6. 82 Vgl. COM(2010) 673 final vom 22.11.2010; COM(2013) 173 final vom 27.3.2013. 83 Vgl. ABl. 2016 L 135/107 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 38; COM(2013) 173 final vom 27.3.2013 mit Verweis auf die Bewertung der Bedrohungslage im Bereich der schweren und organisierten Kriminalität (Europol, 2011). 84 Vgl. ABl. 2016 L 135/54 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 8. 85 Vgl. ABl. 2016 L 135/54 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 6. 86 Vgl. ABl. 2016 L 135/55 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 12. 87 Vgl. ABl. 2016 L 135/55 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 13. 77
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Gleichzeitig wird eine verstärkte Zusammenarbeit von Europol mit anderen Agenturen angestrebt. So soll etwa ein vermehrter Daten- und Informationsaustausch mit Eurojust und OLAF ermöglicht und die Zusammenarbeit mit Interpol intensiviert werden.88 Europol sollen damit neue Kompetenzen für den effizienten Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den internationalen Terrorismus verliehen werden.89 Flankiert werden diese weitreichenden und ehrgeizigen Vorhaben von strengeren Datenschutzvorgaben und einer verstärkten Kontrolle durch das Europäische Parlament,90 wofür etwa ein „gemeinsamer parlamentarischer Kontrollausschuss“ eingeführt werden soll.91 Neben der Verschärfung von Datenschutz und politische Kontrolle erfolgt die Bestätigung der Rechtsnatur von Europol als Agentur der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art. 62 EPVO; früher Art. 2 EPB). Private Parteien – Stellen und Einrichtungen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats oder eines Drittstaats errichtet wurden, insbesondere Gesellschaften und sonstige Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Organisationen ohne Erwerbszweck und sonstige juristische Personen – werden mit einbezogen (vgl. Art. 2 lit. f EPVO). 3. „Ziele“ der Tätigkeit von Europol Über die Verhütung und Bekämpfung der zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffenden schweren Kriminalität, des Terrorismus und der Kriminalitätsformen, die ein gemeinsames Interesse verletzen, das Gegenstand einer Politik der Union ist, hinaus sieht Art. 3 EPVO (wie schon Art. 3 Abs. 3 EPB) in seinem Absatz 2 eine Erweiterung auf im Zusammenhang mit diesen Kriminalitätsfeldern stehende Straftaten vor. Gemäß Art. 3 Abs. 2 EPVO sind dies Straftaten, die begangen werden, (1) um die Mittel zur Begehung von in den Zuständigkeitsbereich von Europol fallenden Handlungen zu beschaffen, (2) um in den Zuständigkeitsbereich von Europol fallende Handlungen zu erleichtern oder durchzuführen sowie (3) um dafür zu sorgen, dass in den Zuständigkeitsbereich von Europol fallende Handlungen straflos bleiben. 88
Vgl. ABl. 2016 L 135/56-57 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 28 und 33. Vgl. Europabericht der Vertretung des Freistaats Bayern bei der EU Nr. 08/2016 vom 13.5.2016, 13, abrufbar unter www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/05/EB-08-16-zus. pdf (letzter Zugriff am 15.2.2017). 90 Vgl. ABl. 2016 L 135/58, 60 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 40 ff. und 58. 91 Dieser wird jedoch teilweise als zu oberflächlich kritisiert und eher als „stumpfes Schwert“ angesehen. Vgl. http://www.grundrechtekomitee.de/node/787 (letzter Zugriff am 15.2.2017). 89
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4. Diversifizierter Aufgabenkreis Die künftigen Aufgaben von Europol beschreibt Art. 4 EPVO. Danach obliegt Europol u.a. die Erhebung, Speicherung, Verarbeitung, Analyse und der Austausch von Informationen, die Unterrichtung nationaler Behörden und die Unterstützung der Ermittlungen in den Mitgliedstaaten insbesondere durch die Übermittlung aller sachdienlichen Informationen an die nationalen Stellen, wobei auch weitreichende Unterstützungsleistungen denkbar sind. Weiterhin kommt Europol die Erstellung von (Bedrohungs-)Analysen und Lageberichten zu. Auch die Teilnahme von Mitarbeitern von Europol an gemeinsamen Ermittlungsgruppen (GEG) ist möglich. 5. Ausweitung operativer Befugnisse? Auf der Grundlage des EPB besaß Europol nur wenige operative Befugnisse. Zwar gehört die Koordinierung, Organisation und Durchführung von operativen Maßnahmen, gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen (GEG), gegebenenfalls in Verbindung mit Eurojust, zum primärrechtlich abgesicherten Aufgabenkreis von Europol (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 lit. b AEUV). Die damit verbundenen operativen Befugnisse erfahren aber eine erhebliche Einschränkung durch Art. 88 Abs. 3 AEUV.92 Danach darf Europol operative Maßnahmen nur „in Verbindung“ und in Absprache mit den Behörden des Mitgliedstaats oder der Mitgliedstaaten ergreifen, deren Hoheitsgebiet betroffen ist. Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen bleibt jedoch auch dann ausschließlich den zuständigen einzelstaatlichen Behörden vorbehalten. Gemäß Art. 89 AEUV legt der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren (einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments) fest, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Grenzen die in den Art. 82 und 87 AEUV genannten zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats in Verbindung und in Absprache mit dessen Behörden tätig werden dürfen. Bislang verfügt Europol damit über keine originäre Ermittlungszuständigkeit mit Exekutivbefugnissen. Zwar ist eine Beteiligung an operativen Einsätzen nationaler Polizei- und Zolldienststellen ohne eigenverantwortliche Aktivität mög-
92
Vgl. dazu auch Oliver Suhr, Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 687, 702.
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lich,93 und es besteht für Europol-Mitarbeiter zudem die Möglichkeit der Teilnahme an einer GEG (vgl. Art. 13 EU-RhÜbk94). Der bis 30. April 2017 gültige EPB setzt den durch Art. 88 AEUV gesetzten „schmalen“ Rahmen für die Teilnahme an einer GEG entsprechend um. Eine Durchführung von Zwangsmaßnahmen ist Europol-Mitarbeitern demzufolge untersagt (Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 EPB). Europol kann lediglich die Mitgliedstaaten um die Einleitung von Ermittlungen ersuchen, wobei die nationalen Stellen dem Gesuch aber nicht Folge leisten müssen.95 Das Konzept der Kommission für eine Neuorientierung der Aufgabenfelder von Europol im Rahmen der Europäischen Sicherheitsagenda umfasst zahlreiche Einzelbausteine und setzt neben der besseren Vernetzung96 auch auf eine ausdrückliche Ermächtigung zur vermehrt operativen Arbeit. Der Entwurf der Kommission97 sah dementsprechend in Art. 4 Abs. 1 lit. c EPVO-E über die bisherigen operativen Befugnisse hinaus auch die Kompetenz von Europol zur Planung und Koordinierung internationaler Polizeieinsätze vor. In Art. 5 EPVO-E wurde allerdings weiterhin die Unzulässigkeit von Zwangsmaßnahmen durch EuropolMitarbeiter klargestellt. In der ab 1. Mai 2017 geltenden Europol-Verordnung ist nun in Art. 4 Abs. 1 lit. c EPVO die Beibehaltung der bisherigen operativen Befugnisse vorgesehen. Art. 4 Abs. 5 EPVO schließt zudem die Anwendung von Zwangsmaßnahmen ausdrücklich aus. 6. Überarbeitetes Kapitel zur Informationsverarbeitung In seiner Stellung als „Knotenpunkt für den Informationsaustausch in der Union“ und vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung gerade auch durch international organisierte kriminelle und terroristische Netze sollen Europol durch die Verordnung neue Kompetenzen im Bereich der Informationsverarbeitung zugewiesen werden (Kapitel IV).98
93
Vgl. Esser (Anm. 52), Rn. 39. Übereinkommen gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 29.5.2000 (EU-RhÜbk) (ABl. 2000 C 197/1), BGBl. 2005 II, 651. 95 Vgl. Esser (Anm. 52), Rn. 40. 96 Zum „Research Network of Organised Crime“ Ursula Töttel/Gerhard Flach, Research Network on Organised Crime 2010–2013, Kriminalistik 2014, 396 ff. 97 Vgl. COM(2013) 173 final vom 27.3.2013. 98 Vgl. ABl. Nr. L 135/55 vom 25.5.2016, Erwägungsgrund Nr. 12 und 13. 94
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Art. 17 Abs. 1 EPVO regelt den Grundsatz der Informationsverarbeitung, wonach Europol ausschließlich Informationen verarbeitet, die der Agentur übermittelt werden (ggf. mit Zweckbestimmung, Art. 19 EPVO) – oder aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen (Absatz 2) oder sich die Zugangsberechtigung (auch in nationale Systeme) aus und über eine rechtliche Spezialzuweisung gibt (Absatz 3). Einschränkungen hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten finden sich in Art. 18 Abs. 2 EPVO. Danach dürfen personenbezogene Daten nur zur Ermittlung von Zusammenhängen zwischen Informationen in Bezug auf verdächtige Personen i.S.d. Art. 18 Abs. 2 lit. a i) und ii) EPVO, zur strategischen, themenbezogenen und operativen Analyse sowie zur Erleichterung des Informationsaustausches mit anderen Stellen verarbeitet werden. Der Zugang der Mitgliedstaaten und des Europol-Personals zu den von Europol gespeicherten und nach Maßgabe des Art. 18 Abs. 2 EPVO verarbeiteten Informationen richtet sich nach Art. 20 EPVO. Die vor dem Hintergrund zunehmender Bedrohungen durch kriminelle und terroristische Netze angestrebte verstärkte Zusammenarbeit mit Eurojust und OLAF realisiert Art. 21 EPVO, der den Zugang zu von Eurojust und OLAF gespeicherten Informationen regelt. Eine Übermittlung personenbezogener Daten von Europol an Drittstaaten und internationale Organisationen – für die Terrorismusbekämpfung besonders relevant – erfolgt nach Maßgabe des Art. 25 EPVO. Art. 26 EPVO regelt den Austausch personenbezogener Daten mit privaten Parteien. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die EU-Richtlinie 2016/681 vom 27. April 2016 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität99, die bis zum 25. Mai 2018 in nationales Recht umzusetzen ist. Unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. b, Art. 10) enthält auch Europol direkten Zugang zu PNR-Daten. 7. Datenanalyse und Informationsaustausch: IT-Forum Zur Erfüllung seiner Aufgaben unterhält Europol ein eigenes Informationssystem (EIS) mit Telekommunikationsverbindungen zu den zentralen Dienststellen der EU-Mitgliedstaaten. Dieses umfasst eine automatisierte Informationssammlung, die aus einem Informationssystem, Arbeitsdateien und einem Indexsystem be99
Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität (ABl. 2016 L 119/132).
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steht.100 Art 12 Abs. 1 EPB beschreibt die im EIS enthaltenen Informationen. Dabei handelt es sich um Daten über Personen, die einer Straftat im Zuständigkeitsbereich von Europol verdächtig sind, wegen einer solchen Tat verurteilt wurden oder bei denen die Gefahr der Begehung einer solchen Straftat besteht. Neben der besseren Vernetzung101 soll Europol künftig die Sammelstelle102 und Organisationszentrale der Europäischen Sicherheitspolitik werden und damit die ausgewiesene Funktion als Unterstützer anderer Behörden im Kampf gegen den Terrorismus einnehmen.103 Hierfür sollen die Kapazitäten der Agentur in einem bei Europol angesiedelten Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC)104 gebündelt werden (dazu unter B. III.). Außerdem soll ein Forum auf Unionsebene aufgebaut werden, in welchem, unter Mithilfe von IT-Unternehmen ein Beitrag zur Bekämpfung terroristischer Propaganda im Internet geleistet wird. Es sollen dort Bedenken und Kontroversen in Bezug auf die Nutzung und Ingebrauchnahme neuer Verschlüsselungstechniken fachkundig besprochen werden können. Schwierigkeiten bereitet die Strafverfolgung im Internet vor allem aufgrund der unzähligen Möglichkeiten zur technischen Verdeckung, die geschickte Akteure bewusst zu ihrem Vorteil ausnutzen können. Neben einer Verbesserung der technischen und computerbasierten Instrumente der Strafverfolgung müssen bestehende Lücken in der Aufdeckung und Ahndung der internetbasierten Aufstachelung zum Hass, welche Keimzelle zahlreicher extremistischer Bewegungen sind, effizient behoben werden.105 Das „EU-Internet-Forum“ ist im Dezember 2015 gestartet, unter Mitwirkung und Beteiligung von 21 Mitgliedstaaten, Europol, der Europäischen Kommission, des Auswärtigen Dienstes und mehreren Internetanbietern.106 Ermöglicht werden soll über das Forum ein Datenaustausch direkt zwischen den Internetdiensten und Europol und nicht nur mittelbar über die Mitgliedstaaten. Insbesondere soll Europol 100
Vgl. Dannecker (Anm. 57), Rn. 14; Esser (Anm. 52), Rn. 43. Zum „Research Network of Organised Crime“: Töttel/Flach (Anm. 96), 396 ff. 102 Zum Europol Informationssystem (EIS) vgl. Birgit Kannen, EIS – Europol Informations-System, Kriminalistik 2014, 584 ff. 103 Zur sonstigen internationalen polizeilichen Zusammenarbeit Jochen Kölbach, Internationale polizeiliche Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalistik 2015, 241 ff. 104 Vgl. die Pressemitteilung von Europol vom 25.1.2016, abrufbar unter https://www. europol.europa.eu/content/ectc (letzter Zugriff am 15.2.2017) und Tobias Broser (Anm. 49), 494, 496. 105 Mitteilung der Kommission – Prävention der zu Terrorismus und gewaltbereitem Extremismus führenden Radikalisierung: Verstärkung der EU-Maßnahmen, COM(2013) 941 final vom 15.1.2014. 106 BT-Drs. 18/10386 vom 21.11.2016. 101
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die bei sich vorhandenen Daten an Internetunternehmen weitergeben dürfen, um etwa Konten mit einer bei Europol bereits bekannten IP-Adresse ausfindig zu machen, sowie Inhalte aus sozialen Netzwerken auffinden und löschen lassen können.107 Denkbar ist, dass die bei Europol eingerichtete EU-Meldestelle für Internetinhalte (EU IRU; siehe unter B. V.) direkt mit den Anbietern sozialer Netzwerke kooperiert und die Löschung der von einer Terrororganisation betriebenen Seite verlangt, um die Verbreitung terroristischer Propaganda zu unterbinden.108 Datenschützer üben an dieser Vorgehensweise jedoch Kritik, zumal Europol auf diese Weise auch in Erfahrung bringen kann, ob weiteres terroristisches Material auf anderen Websites, die bisher noch nicht im Fokus der Polizei waren, hochgeladen wurde. Diese Bedenken werden von den meisten Abgeordneten des Europäischen Parlaments jedoch vor allem unter Hinweis auf die fehlenden Durchgriffsrechte und die bloß unterstützende Funktion von Europol zurückgewiesen.109 III. Europäisches Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC) Erhebliche Bedeutung im Kampf gegen den Terrorismus wird in Zukunft das Europäische Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC) erlangen. Zunächst steht es, zumindest prinzipiell, in Aufgabenkonkurrenz zu Europol, da es auch operative Funktionen in der Terrorismusbekämpfung übernehmen soll. Seine Konzeption entspricht dem Aufbau vergleichbarer Zentren nach US-amerikanischem Vorbild (Terrorist Finance Tracking Program – TFTP) oder des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GATZ)110 mit Sitz in Berlin. Das ECTC wurde im Januar 2016 in Den Haag eröffnet und in die Organisationsstruktur von Europol eingebunden.111 Nach der Vorstellung von Rob Wainwright, 107
Vgl. Wolfgang Kuntz, Europol will erweiterten Zugriff auf Daten, ZD-Aktuell 2015, 04891; Albrecht Meier, Europol-Verordnung: Facebook und Co. sollen Terror-Propaganda freiwillig löschen, 11.5.2016, abrufbar unter www.euractiv.de/section/gesundheit-undverbraucherschutz/news/europol-verordnung-facebook-und-co-sollen-terror-propagandafreiwillig-loeschen/) (letzter Zugriff am 15.2.2017). 108 Vgl. die Pressemitteilung des Europäischen Parlaments, Polizeizusammenarbeit: Parlament rüstet Europol für Kampf gegen Terror auf, 11.5.2016, abrufbar unter www. europarl.europa.eu/news/de/news-room/20160504IPR25747/polizeizusammenarbeitparlament-r%C3%BCstet-europol-f%C3%BCr-kampf-gegen-terror-auf (letzter Zugriff am 15.2.2017). 109 Vgl. Meier (Anm. 107). 110 Hierzu: Kurt Graulich, § 2 BKAG, in: Wolf-Rüdiger Schenke/Kurt Graulich/Josef Ruthig/Kurt Graulich (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, Rn. 17 ff. 111 https://www.europol.europa.eu/about-europol/european-counter-terrorism-centreectc (letzter Zugriff am 17.2.2017).
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dem Direktor von Europol, soll die Behörde ein „zentraler Informationsnexus“ werden und den Kampf gegen den Terrorismus durch die Analyse gegenwärtiger Ermittlungen und der Verbesserung der koordinierten Zusammenarbeit zwischen den Behörden im Falle eines größeren terroristischen Angriffes unterstützen.112 Zu diesem Zweck soll das ECTC eng mit anderen europäischen Organisationen und Einrichtungen, wie der Europäischen Meldestelle für Internetinhalte (EU IRU; dazu unter V.), dem Europäischen Informationssystem (EIS), aber auch dem Schengener Informationssystem (SIS) zusammenarbeiten.113 Zudem ist eine weitere Vernetzung über Zentren der Polizei- und Zollzusammenarbeit angedacht.114 Eine besondere Brisanz erlangt die Tätigkeit des ECTC dadurch, dass es auch Zugriff auf geheimdienstliche Informationen („intelligence data“) erhalten und in der operativen Arbeit mit US-amerikanischen Einheiten zusammenarbeiten soll. Faktisch ist damit eine Art „europäisches Geheimdienstzentrum“ in Planung. In einer Anfrage im Deutschen Bundestag vom 26. Februar 2016 versuchte die Fraktion DIE LINKE die Haltung der Bundesregierung zur Notwendigkeit einer speziellen Ermächtigungsgrundlage für die nachrichtendienstliche Arbeit und auch für die zukünftigen Kompetenzen des ECTC im Vergleich zu bereits bestehenden Behörden und Agenturen und auch zu Europol auszuloten.115 Mit Verweis auf eine Stellungnahme vom 3. Juni 2015116, in der die Bundesregierung noch konstatiert hatte, dass die Europäische Union „keine Zuständigkeit für die Belange der Nachrichtendienste“ in Anspruch nehmen könne und nur die „bewährten Kooperationsformate“ ausweiten wolle,117 ist die geplante operative Ausweitung der Befugnisse von Europol auf nachrichtendienstliche Tätigkeiten nach wie vor ein „heißes politisches Eisen“. 112
https://kurier.at/politik/ausland/europol-direktor-rob-wainwright-warnt-vor-einemgrossen-sicherheitsrisiko-durch-foreign-fighters/242.536.185; http://time.com/4336919/ europol-terrorist-paris-brussels-rob-wainwright/ (jeweils letzter Zugriff am 17.2.2017). 113 Siehe Infographik auf: https://www.europol.europa.eu/content/ectc-europeancounter-terrorism-centre-infographic (letzter Zugriff am 15.2.2017). 114 Vgl. hierzu den Bericht von Europol, Enhancing Europol’s counter terrorism capabilities: European Counter Terrorrism Centre (ECTC) at Europol, abrufbar unter http://state watch.org/news/2016/may/eu-europol-ct-centre-report-8881-16.pdf (letzter Zugriff am 15.2.2017). Vgl hierzu auch: Jochen Kölbach, Internationale Zusammenarbeit in der Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalistik 2016, 769. 115 Vgl. Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE u.a., BT-Drs. 18/7773 vom 26.2.2016. 116 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE u.a. (BT-Drs. 18/4917), BT-Drs. 18/5048 vom 3.6.2015. 117 Bereits zuvor hatte die Bundesregierung sich gegenüber dem Ausbau von Europol zu einem „Counter-Terrorism Centre“ ablehnend geäußert, BT-Drs. 18/4035 vom 18.2.2015, 2.
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IV. Europäische Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR) Als Maßnahme der Terrorabwehr vorgesehen ist auch die Stärkung der Europäischen Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR) – eine im Jahr 2006 aufgestellte multinationale, militärisch geprägte Polizeitruppe, deren Beamte von sieben Mitgliedstaaten gestellt werden. Die primäre Aufgabe der flexibel, schnell und vielseitig einsetzbaren Truppe besteht darin, an der Entschärfung von Konflikten in Krisenregionen außerhalb der Europäischen Union teilzunehmen und dort für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten und auf die Wiederherstellung der Rechtsordnung hinzuwirken.118 Dies geschieht durch die Übernahme von Polizeiaufgaben, falls keine polizeilichen Strukturen (mehr) vorhanden sind, oder durch die Unterstützung und Verstärkung von örtlichen Polizeikräften.119 Die Aufgabe der EUROGENDFOR ist deshalb nicht die direkte Bekämpfung von Terrorismus, wobei dies durchaus die Konsequenz einer Intervention darstellen kann. Es soll vielmehr durch solche Interventionen die Bedrohung für die Europäische Union, die von Terrorismus oder der Organisierten Kriminalität ausgeht, effektiv verringert werden. Als ein Beispiel lässt sich die Teilnahme der EUROGENDFOR an der in Afghanistan eingesetzten International Security Assistance Force (ISAF) nennen. Im Rahmen des Einsatzes dort bestand die Aufgabe der EUROGENDFOR primär darin, bei der Ausbildung der örtlichen Polizeikräfte und beratend bei der Entwicklung der polizeilichen Strukturen in der Region mitzuwirken.120 Gerade angesichts der Tatsache, dass das Europäische Polizeiamt Europol über nur wenige operative Befugnisse verfügt (s.o. B.II.5.), ist die weitere Entwicklung der EUROGENDFOR mit Interesse zu beobachten. Während zur Zeit noch Einsätze im Ausland dominieren, scheint ein verstärkter Einsatz auch im „Inland“ künftig denkbar. Für im Kern polizeiliche Aktivitäten muss aber der Rahmen der Art. 87, 88 AEUV eingehalten werden.
118
Mehr dazu auf: http://www.eurogendfor.org/organisation/what-is-eurogendfor (letzter Zugriff am 15.2.2017). 119 http://www.eurogendfor.org/organisation/what-is-eurogendfor (letzter Zugriff am 15.2.2017). 120 http://www.eurogendfor.org/eurogendfor-missions/eurogendfor-afghanistan (letzter Zugriff am 15.2.2017).
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V. EU-Meldestelle für Internetinhalte bei Europol (EU IRU) Ein weiteres Element in der EU-Strategie zur Bekämpfung von Terrorismus ist die Meldestelle für Internetinhalte (European Union Internet Referral Unit – EU IRU), die selbst keine selbstständige Einheit, sondern in die Strukturen von Europol eingebunden ist.121 Die Meldestelle nahm am 1. Juli 2015 ihre Arbeit auf. Wie der Name bereits vermuten lässt, liegt der Aufgabenbereich der EU IRU in der Kontrolle des Internet in Bezug auf die wachsende Aktivität extremistischer Gruppierungen.122 Ihre zentrale Aufgabe ist die Auffindung und Analyse terroristischer Propaganda und vergleichbarer extremistischer Aktivitäten im Internet.123 Die Meldestelle nimmt dabei (schon aus technischen Gründen) selbst keine Löschungen im Internet vor, sondern beantragt diese bei Providern und Host-Anbietern, sobald einschlägige Inhalte auf Internetseiten oder sozialen Plattformen gefunden werden. Um dieses Vorgehen effektiv zu gestalten, arbeitet die EU IRU mit IRUs in den Mitgliedstaaten sowie mit den Betreibern von Internetseiten und Plattformen zusammen. Das vorrangige Ziel der Meldestelle ist es, bereits aktiv zu werden, sobald extremistische Inhalte „viral“ werden, d.h. sich schnell und exponentiell verbreiten. Dies ist essentiell, um der öffentlichen Wirksamkeit von extremistischen Aktivitäten und Aufrufen im Internet vorzubeugen.124 Als Beispiel für die Tätigkeit der IRU können die sog. „Joint Action Days“ (JAD) angeführt werden, die am 31. August und 1. September 2016 unter Beteiligung von jeweils einem Vertreter aus Slowenien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland stattfanden. Ziel dieser Aktionstage war es, die Präsenz von extremistischen Internetinhalten aus der militant-islamistischen Szene zu reduzieren.125 Im Verlauf der JAD wurden insgesamt 1.677 Inhalte und Profile in sozialen
121
http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14957-2015-REV-2/en/pdf (letzter Zugriff am 15.2.2017). 122 Wienand von Petersdorff, Die Sorge vor einem Onlinekalifat, 8.12.2015, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/soziale-medien-spielenbei-rekrutierung-von-terroristen-eine-wichtige-rolle-13955552.html (letzter Zugriff am 17.2.2017). 123 https://www.europol.europa.eu/newsroom/news/europol%E2%80%99s-internetreferral-unit-to-combat-terrorist-and-violent-extremist-propaganda (letzter Zugriff am 17.2.2017). 124 https://www.europol.europa.eu/newsroom/news/europol-internet-referral-unit-oneyear (letzter Zugriff am 17.2.2017). 125 BT-Drs. 18/10113 vom 24.10.2016, 5–6.
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Medien und Plattformen zur Löschung gemeldet.126 Die Löschung der Inhalte erfolgte dabei auf freiwilliger Basis durch die jeweiligen Provider.127 VI. Informationssysteme („Focal Points“) Europol hat in den letzten Jahren insgesamt 20 sog. „Focal Points“ eingerichtet.128 Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Verzeichnisse, die Daten über bestimmte Personen enthalten. Die einzelnen Mitgliedstaaten werden in dieses System eingebunden, indem sie Zugang zu den betreffenden Daten erhalten und selbst auch die Daten einbringen, die sie eigenständig gesammelt haben.129 So hat Europol etwa den Focal Point Travellers eingerichtet, in dem Daten über sog. ausländische Kämpfer gesammelt werden. Zudem treffen und unterhalten die verschiedenen europäischen Behörden untereinander weitere Kooperationsvereinbarungen. So wurde im November 2014 zwischen Europol und der Europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex130 der Austausch personenbezogener Daten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität vereinbart.131 Bereits seit dem 1. Oktober 2010 besteht eine Austauschvereinbarung zwischen Europol und Eurojust. Auf einer Übereinkunft vom 24. September 2008 basierend kooperiert Eurojust wiederum mit der Europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF132 – so dass sich der „Kreis“ des Informationsaustauschs irgendwann schließt. Die Europäische Sicherheitsagenda sieht eine Angleichung der forensischen Arbeitsabläufe in den einzelnen Mitgliedstaaten vor. Der damit angestrebte „euro126
BT-Drs. 18/10113 vom 24.10.2016, 6. BT-Drs. 18/10113 vom 24.10.2016, 6. 128 BT-Drs. 18/3910 vom 3.2.2015, 1. 129 BT-Drs. 18/3910 vom 3.2.2015, 1. 130 Die Tätigkeit von Frontex basiert auf der Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.9.2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache […] (ABl. 2016 L 251/1). Vertiefend zur Tätigkeit: Barner-Gaedicke, FRONTEX – Ohne Kontrolle zur europäischen Grenzschutztruppe? Demokratische Kontrolle der Agentur FRONTEX, 2017. 131 Agreement on Operational Cooperation between the European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union (“Frontex”) and the European Police Office (“Europol”), 4.12.2015; abgelöst wurde damit das vorangegangene Abkommen vom 28.3.2008; vgl. auch BT-Drs. 18/3910 vom 3.2.2015, 1. 132 EUROJUST, EU Institutions, Agencies and Bodies – Eurojust and OLAF, abrufbar unter http://www.eurojust.europa.eu/about/Partners/Pages/eu-institutions-agencies-andbodies.aspx (letzter Zugriff am 15.2.2017). 127
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päische kriminaltechnische Raum“ soll gewährleisten, dass die kriminaltechnischen Daten, die zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden, von hoher Qualität sind und Daten, die über Informationssysteme ausgetauscht werden, auch vor den mitgliedstaatlichen Gerichten verwendet werden können.133 Im Oktober 2014 hat Europol die Expertengruppe DUMAS unter der Leitung Italiens eingesetzt.134 Aufgabe dieser Expertengruppe ist die Identifizierung von Personen, die als sog. ausländische Kämpfer in den Nahen Osten reisen könnten, um diese an den EU-Außengrenzen grenzpolizeilich erkennen zu können.135 Zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) arbeitet diese Gruppe an der Entwicklung sog. Indikatoren, um einschlägige Personen identifizieren zu können. Genauere Informationen zu diesen Indikatoren werden als Verschlusssache behandelt.136 VII. European Cybercrime Centre (EC3) Die stetige Zunahme an – zumeist grenzüberschreitender – Internetkriminalität erfordert nach Ansicht der EU eine bessere Zusammenarbeit und einen intensiveren Informationsaustausch auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden. Mit diesem Ziel wurde im Januar 2013 bei Europol das European Cybercrime Centre (EC3) eingerichtet. Die Zuständigkeit des EC3 erstreckt sich im Wesentlichen auf drei Bereiche: Organisierte Internetkriminalität wie Online-Betrug, schwerwiegende Straftaten (u.a. die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet) und Straftaten gegen die Infrastruktur und die Informationssysteme der Europäischen Union.137 Zur Wahrnehmung dieser Zuständigkeiten dient das EC3 hauptsächlich als Informationszentrum,138 soll aber auch die Ermittlungsmaßnahmen der nationalen Behörden koordinieren und die eigene Expertise sowie Analysen zur Verfügung stellen.139 Auf politischer Ebene diskutiert wird derzeit, ob die Europäische Kommission Gedanken hegt, den Zugang von Polizeibehörden und Geheimdiensten auf die Server von Internetanbietern (insbesondere Cloud-Diensten in den USA) und die damit verbundene Möglichkeit der Herausgabe elektronischer Beweismittel zu erleichtern.140 133 134 135 136 137 138 139 140
Vgl. COM(2015) 185 final vom 28.4.2015, 14. BT-Drs. 18/4543 vom 1.4.2015, 1. BT-Drs. 18/4543 vom 1.4.2015, 1. BT-Drs. 18/4543 vom 1.4.2015, 2. https://www.europol.europa.eu/ec3 (letzter Zugriff am 15.2.2017). https://www.europol.europa.eu/ec3 (letzter Zugriff am 15.2.2017). https://www.europol.europa.eu/ec3 (letzter Zugriff am 15.2.2017). BT-Drs. 18/10763 vom 20.12.2016.
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C. Eurojust I. Rechtliche Grundlage Eurojust ist eine europäische Justiz- und Koordinierungsstelle mit Sitz in Den Haag, ursprünglich geplant als justizieller Gegenpart zur Kontrolle der polizeilichen Tätigkeit von Europol – ein Konzept, das schnell vom Effektivitäts- und Synergiedenken überlagert und daher nie in die Realität umgesetzt wurde. Die Einrichtung von Eurojust erfolgte auf der Grundlage des Programms des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999. Rechtliche Grundlage war der Beschluss 2002/187/JI des Rates der Europäischen Union vom 28. Februar 2002141, dem die Schaffung einer primärrechtlichen Grundlage im Vertrag von Nizza vorausgegangen war.142 Der Beschluss trat am 6. März 2002 in Kraft und war sodann in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland geschah dies im Wesentlichen durch das Gesetz vom 12. Mai 2004 (Eurojust-Gesetz – EJG).143 Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat Eurojust eine primärrechtliche Grundlage in Art. 85 AEUV, der in Absatz 1 das generelle Ziel der Agentur darlegt. Die Konkretisierung (Aufbau, Arbeitsweise und die Bestimmung des spezifischen Aufgaben- und Tätigkeitsbereichs) fällt dem Europäischen Parlament und dem Rat zu, auf der Basis einer zu erlassenden Verordnung.144 Die primärrechtliche Rechtsgrundlage erweitert den Kreis von Befugnissen, die Eurojust übertragen werden könnten, in erheblichem Umfang. Art. 85 Abs. 1 Uabs. 2 Satz 2 lit. a, b AEUV besagt, dass Eurojust durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren die Aufgabe zugewiesen werden kann, strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten vorzuschlagen sowie beide Maßnahmentypen zu koordinieren. Mit dem Beschluss 2009/426/JI des Rates vom 16. Dezember 2008 zur Stärkung von Eurojust und zur Änderung des Beschlusses 2002/187/JI über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminali141
ABl. Nr. L 63/1 vom 6.3.2002. Zur Entstehungsgeschichte auch: Esser (Anm. 52), Rn. 62. 143 Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, 12.5.2004, BGBl. 2004 I, 902. Hierzu: Robert Esser/Anna Lina Herbold, Neue Wege für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Das Eurojust-Gesetz, NJW 2004, 2421. 144 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, COM(2013) 535 final vom 17.7.2013. 142
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tät145, der am 4. Juni 2009 in Kraft trat, machte der europäische Gesetzgeber von dieser Kompetenz Gebrauch. Das Personal der Behörde besteht in erster Linie aus nationalen Mitgliedern der (derzeit noch) 28 EU-Mitgliedstaaten. Jeder Mitgliedstaat entsendet mindestens einen Vertreter nach Den Haag. Dies kann ein Richter, Staatsanwalt oder ein hochrangiger Polizeibeamter sein.146 Das deutsche nationale Mitglied wird gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 EJG durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) benannt. Die Vertreter der Mitgliedstaaten werden bei ihrer Tätigkeit von Stellvertretern, Assistenten und Sachverständigen unterstützt,147 deren genaue Aufgaben am „Deutschen Tisch“ das nationale Mitglied festlegt.148 II. Aufgaben Eurojust hat ein breites Aufgabenspektrum, das im Wesentlichen darauf abzielt, die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu erleichtern und die Wirksamkeit ihrer Strafverfolgungsmaßnahmen in den Fällen von grenzüberschreitender Kriminalität zu erhöhen.149 Zu diesen Aufgaben zählt im Kern die Koordinierung der Ermittlungsmaßnahmen der mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden – nicht nur, aber auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung.150 Zudem kann Eurojust auf Antrag einer nationalen Behörde im Rahmen von Ermittlungen unterstützend tätig werden.151 Zu den Aufgaben von Eurojust gehört
145
ABl. Nr. L 138/14 vom 4.6.2009. Vgl. Michael Grotz, Eurojust, in: Ulrich Sieber/Helmut Satzger/Bernd von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2014, Rn. 21; http://www.eurojust. europa.eu/Pages/languages/de.aspx (letzter Zugriff am 15.2.2017). 147 http://www.eurojust.europa.eu/Pages/languages/de.aspx (letzter Zugriff am 15.2.2017). 148 Grotz (Anm. 146), Rn. 24. 149 Grotz (Anm. 146), Rn. 8. 150 Zum Aufgabenspektrum von Eurojust: Oliver M. Fawzy, Die Errichtung von Eurojust (2005); siehe auch das „Manual“ des BMJV für die nationalen Strafverfolgungsbehörden: Eurojust – Hinweise zur praktischen Zusammenarbeit (Stand 1/2016); speziell zum Tätigkeitsbereich von Eurojust im Bereich der Terrorismus- und OK-Bekämpfung: Robert Esser, Der Beitrag von Eurojust zur Bekämpfung des Terrorismus in Europa, GA 2004, 711; ders., Die Rolle von Europol und Eurojust bei der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität, in: Arndt Sinn/Mark Alexander Zöller (Hrsg.), Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 61 ff. 151 Grotz (Anm. 146), Rn. 8. 146
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vor allem die Erleichterung der Zusammenarbeit bei Rechtshilfeersuchen und Auslieferungsverfahren.152 Eurojust organisiert jährlich über 200 Koordinierungstreffen, auf denen sich die nationalen Strafverfolgungsbehörden über das Vorgehen in einzelnen Fällen beraten und gemeinsame Pläne für Einsatzmaßnahmen entwickeln können. Zum zentralen Gegenstand der Beratung gehört in diesen Treffen unter anderem der Terrorismus.153 Der Eurojust-Beschluss aus dem Jahr 2002/2008 wird in absehbarer Zeit durch eine neue Verordnung abgelöst werden, was zu einer Neustrukturierung von Eurojust führen muss, schon in Anbetracht der Planungen zur Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.154 III. Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung 1. Counter Terrorism Team (CTT) Eurojust unterhält seit den Anschlägen in Madrid im Jahr 2004 ein sog. Counter Terrorism Team (CTT). Das CTT stellt den Mitgliedstaaten und den Behörden die eigene Expertise in Bereich der Terrorismusbekämpfung zur Verfügung und organisiert Sitzungen zwischen Vertretern aus den Mitgliedstaaten, um eine Koordinierung zu treffender Maßnahmen zu ermöglichen.155 Zudem führt das CTT eigene Arbeitssitzungen zu terroristischen Bedrohungen durch: Strategische Sitzungen dienen dabei der Analyse der jüngeren Entwicklung im Bereich des Terrorismus in Europa. Dabei werden u.a. die Daten des bei Eurojust eingerichteten Terrorism Conviction Monitor (TCM) herangezogen.156 In taktischen Sitzungen werden neue terroristische Phänomene präsentiert und daraufhin hinsichtlich ihrer globalen Verbreitung analysiert zudem wird über das effizienteste Vorgehen in konkreten Szenarien beraten.157 2. Terrorism Convictions Monitor (TCM) Der bei Eurojust eingerichtete TCM soll durch die Darstellung der Verurteilungen mit Terrorismus-Bezug in den Mitgliedstaaten einen regelmäßigen Über152
Esser (Anm. 52), Rn. 66. http://www.eurojust.europa.eu/Pages/languages/de.aspx (letzter Zugriff am 15.2.2017). 154 COM(2013) 535 final vom 17.7.2013. 155 Eurojust News, 10/2009, 1, 2. 156 Eurojust News, 10/2009, 1, 3. 157 Eurojust News, 10/2009, 1, 3. 153
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blick über die diesbezügliche Entwicklung in der Europäischen Union ermöglichen.158 Die hierzu erforderlichen Daten werden zum einen aus frei zugänglichen Quellen bezogen, zum anderen übermitteln Mitgliedstaaten die relevanten Daten an Eurojust.159 Basierend auf diesen Daten veröffentlicht Eurojust regelmäßig einen Bericht, der eine Zeitspanne von mehreren Monaten abdeckt und die in diesem Zeitraum ergangenen Urteile auflistet.160 3. Kooperation mit anderen Stellen Eurojust schließt außerdem Vereinbarungen mit anderen Stellen, um einen effizienteren Informationsaustausch und eine bessere Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu gewährleisten. 2010 schlossen Eurojust und Europol eine Vereinbarung über die Verbesserung der Zusammenarbeit im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität, insbesondere durch besseren Informationsaustausch.161 Gemäß Art. 4 der Vereinbarung unterstützen beide Agenturen die nationalen Behörden und stimmen sich über das Vorgehen ab. Die Vereinbarung sieht auch vor, dass sich beide Stellen darüber in Kenntnis setzen, wenn sie einen Mitgliedstaat um die Aufnahme von Ermittlungen ersuchen. Im selben Jahr einigten sich CEPOL und Eurojust über eine bessere Abstimmung der Vorhaben der beiden Institutionen im Bereich der schweren, insbesondere organisierten Kriminalität.162 Dies wird gemäß Art. 2 MoU primär durch die wechselseitige Einrichtung von Kontaktstellen (auch für den Austausch zwischen den Leitern der beiden Stellen) und die Abhaltung von gemeinsamen Sitzungen ermöglicht.
158
Eurojust, Annual Report, 2015, 31. Vgl. Beschluss 2005/671/JI des Rates über den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit betreffend terroristische Straftaten von den Mitgliedstaaten, Art. 2; Eurojust, Annual Report, 2015, 31. 160 Eurojust Annual Report, 2015, 31. 161 https://www.europol.europa.eu/partners-agreements/eu-institutions-agencies (letzter Zugriff am 28.2.2017). 162 Memorandum of Understanding on cooperation between Eurojust and the European Police College (CEPOL), siehe den Anhang zu der Korrespondenz von Ulf Göransson (CEPOL) an José Luis Lopes da Mota (Eurojust), 17.11.2009, abrufbar unter http://www. eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/agreements/MoU%20between% 20Eurojust%20and%20CEPOL%20(2009)/Eurojust-CEPOL-2009-12-07-EN.pdf (letzter Zugriff am 17.2.2017). 159
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Eine weitere Vereinbarung wurde im Jahr 2013 zwischen Eurojust und Interpol geschlossen. Auch sie hat unter anderem eine Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung zum Gegenstand.163 Die Vereinbarung zielt primär darauf ab, den Informationsaustausch zu erleichtern und das weitere Vorgehen durch das Abhalten von Konferenzen besser koordinierbar zu machen. Ferner sieht die Vereinbarung die Möglichkeit vor, gemeinsame Trainingsaktivitäten wie Seminare, Studienbesuche zu veranstalten. IV. Arbeitsweise von Eurojust Eurojust kann entweder durch die nationalen Mitglieder oder durch alle Mitglieder als Kollegium handeln.164 Um die strafrechtliche Zusammenarbeit zu erleichtern, ersucht Eurojust die zuständigen nationalen Behörden, Ermittlungen aufzunehmen oder der Übernahme der laufenden Ermittlungen durch die Behörde eines anderen Mitgliedstaates zuzustimmen.165 Darüber hinaus ersucht Eurojust die Mitgliedstaaten, gemeinsame Ermittlungsteams einzusetzen.166 Gemäß Art. 8 EJB sind diese Ersuchen zwar nicht verbindlich, grundsätzlich ist die Ablehnung eines Gesuchs aber zu begründen.167 Die Koordinierung der nationalen Strafverfolgung, wenn ein Ersuchen vorliegt, erfolgt auf drei Ebenen.168 Zunächst wird geprüft, ob das Ersuchen vom Eurojust-Mandat umfasst ist. Daraufhin treten die nationalen Mitglieder der betroffenen Mitgliedstaaten miteinander in Kontakt und versuchen, eine Lösung zu finden. Zur Koordinierung von Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Ersuchen stehen, werden meist auch die Vertreter der nationalen Behörden zu Sitzungen eingeladen. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben arbeitet Eurojust eng mit dem Europäischen Justiziellen Netz (EJN) zusammen, zu dessen Informationen und gesicherter Telekommunikationsverbindung Eurojust Zugang hat.169 Darüber hinaus können 163
http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/Pages/agreementsconcluded-by-eurojust.aspx (letzter Zugriff am 15.2.2017). 164 Dannecker (Anm. 53), Rn. 9. 165 Martin Böse, Art. 85 AEUV, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Rn. 5. 166 Böse (Anm. 165), Rn. 5. 167 Böse (Anm. 165), Rn. 5. 168 Zu den drei Ebenen der Koordinierung: MartinWasmeier/Ingrid Maschl-Clausen, Art. 85 AEUV, in: Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze/Armin Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Rn. 31. 169 Ute Stiegel, Koordinierung der Tätigkeit der Einrichtungen auf europäischer Ebene/ Interinstitutionelle Zusammenarbeit, in: Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg (Hrsg.) (Anm. 146), Rn. 27.
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die Mitglieder von Eurojust an den Sitzungen des EJN auf dessen Einladung hin teilnehmen, und umgekehrt.170 Im Verbund mit Europol unterstützt Eurojust die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen (Joint Investigation Teams – JIT/GEG). Durch das JIT-Project erhalten die Mitgliedstaaten ein regelmäßig aktualisiertes Handbuch, das über die Einsatzmöglichkeiten, den Rechtsrahmen und die Struktur einer GEG informiert.171
D. Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) Art. 86 AEUV ermöglicht es dem europäischen Gesetzgeber, „ausgehend von Eurojust“172, eine Europäische Staatsanwaltschaft (EuStA/European Prosecutors Office – EPPO) als supranationale strafrechtliche Institution mit Entscheidungsbefugnissen zu schaffen.173 Der Gedanke hinter dieser Institution lässt sich Art. 86 Abs. 1 AEUV klar entnehmen: die effektivere Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union,174 die bislang von der Europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF geführt wird, mit dem ein oder anderen Problem in der täglichen Praxis.175 Art. 86 AEUV hat seinen Ursprung in einem Vorschlag der Kommission, neben den vertraglichen Regelungen zur Betrugsbekämpfung (u.a. Art. 325 AEUV) auch 170
Stiegel (Anm. 169), Rn. 27. Das Handbuch ist abrufbar unter: https://www.europol.europa.eu/content/page/jointinvestigation-teams-989 (letzter Zugriff am 15.2.2017). 172 Zur späteren Kooperation beider Stellen: Angelo Marletta, Interinstitutional Relationship of European Bodies in the Fight against Crimes Affecting the EU’s Financial Interests, eucrim 2016, 141, 144. 173 Vertiefend zu dem durch Art. 85, 86 AEUV vorgegebenen Verhältnis von Eurojust und der EuStA: Mark A. Zöller, Eurojust, EJN, und Europäische Staatsanwaltschaft, in: Martin Böse (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Bd. 9, 2013, Rn. 80 ff. 174 Zu Harmonisierungstendenzen der Union auf diesem Feld: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug, COM(2012) 363 final vom 11.7.2012 (PIF-Richtlinie); Ratsdok. 15130/16 vom 2.12.2016. Am 12.1.2017 haben der LIBE- und der BUDG-Ausschuss des EP den Kompromisstext (12/2016) zum Richtlinienvorschlag angenommen. Es bedarf nun noch der Zustimmung durch das Plenum des EP und den Rat. „Hemmschuh“ der langwierigen Beratungen war insbesondere die Verortung des Mehrwertsteuerbetrugs als (Haushalts-)„Interesse“ der Europäischen Union; hierzu auch: EuGH, Urteil vom 8.9.2015 – C 105/14, StV 2017, 65 mit Anm. Kubiciel = NZWiSt 2015, 390 mit Anm. Bülte. 175 Hierzu: Michele Simonato, OLAF Investigations in a Multi-Level System, eucrim 2016, 136. 171
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eine Kompetenz zur Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vorzusehen.176 Dabei stützte sich die Kommission maßgeblich auf den Ende der 1990er Jahre in der Wissenschaft konzipierten „Corpus Juris zum Schutz der finanziellen Interessen der EU“.177 Die denkbaren Aufgabenfelder der EuStA beschränken sich jedoch nicht auf diesen Bereich: Art. 86 Abs. 4 AEUV bietet dem Europäischen Rat die Möglichkeit, im Zusammenhang mit der Verordnung nach Absatz 1, die Zuständigkeit der EuStA auf grenzüberschreitende schwere Kriminalität auszuweiten – darunter dürfte ganz sicher auch der islamistische Terrorismus fallen. Seit Juli 2013 liegt der konkrete Vorschlag der Kommission zur Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft vor.178 Erforderlich für diesen visionären Schritt in der europäischen Strafverfolgungslandschaft ist allerdings eine Einstimmigkeit im Rat, die bislang noch nicht erzielt werden konnte, und die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Kernelemente einer auf europäischer Ebene angesiedelten (jedenfalls in Teilen) supranational konzipierten Strafverfolgungsbehörde mit einem zentralen „Sekretariat“ in Brüssel und sog. delegierten Staatsanwälten aus den Mitgliedstaaten, die vor Ort die Ermittlungen führen, werden von einigen Mitgliedstaaten weiterhin abgelehnt. Über die Motive lässt sich nur spekulieren. Selbst das zuletzt diskutierte, „abgeschwächte Modell der EuStA als „Kollegialorgan“ (entsprechend Eurojust), fand Ende 2016 nicht die Zustimmung aller Regierungsvertreter im Rat. Unterhalb der hohen formalen Schwelle der Einstimmigkeit bietet Art. 86 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV die Möglichkeit, dass mindestens neun Mitgliedstaaten der Union die für die Einrichtung der EuStA erforderliche Verordnung im Wege einer Verstärkten Zusammenarbeit (Art. 20 EUV, Art. 329 Abs. 1 AEUV) auf den Weg bringen, indem sie in einem ersten Schritt beantragen, dass der Europäische Rat mit dem Entwurf der Verordnung befasst wird. Falls auch im Europäischen Rat binnen vier Monaten kein Einvernehmen erzielt werden sollte, können mindestens neun Mitgliedstaaten ihren Willen kundgeben, dass sie eine verstärkte Zusammen176 Zur Entwicklung des Europäischen Staatsanwaltschaft siehe: Böse (Anm. 165), Art. 86 AEUV Rn. 1; Robert Esser, Die Europäische Staatsanwaltschaft: Eine Herausforderung für die Strafverteidigung, StV 2014, 494; Anette Grünewald, Eine Europäische Staatsanwaltschaft nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission, HRRS 2013, 508. 177 Mireille Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998; überarbeitete „Florenz“Fassung veröffentlicht bei: Mireille Delmas-Marty/John Vervaele, The Implementation of the Corpus Juris in the Member States, 2001. 178 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft COM(2013) 534 final vom 17.7.2013.
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arbeit begründen wollen, der sich weitere Mitgliedstaaten anschließen können. Die erforderliche Ermächtigung wird daraufhin nach Art. 86 Abs. 1 UAbs. 3 Satz 2 AEUV fingiert. Die sodann zu beschließende Verordnung wäre allerdings nur in den am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten verbindlich – was dem Konzept einer europaweiten effektiven Strafverfolgung naturgemäß abträglich ist. Trotz intensiver Beratungen im Rat und im Europäischen Parlament konnte das ehrgeizige Projekt „EuStA/EPPO“ nicht mehr bis Ende 2016 realisiert werden,179 es steht aber für 2017 weiter auf der politischen Agenda.180 Der Rat hat am 7. Februar 2017 festgestellt, dass der Vorschlag für eine Verordnung über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft nicht von allen Mitgliedstaaten befürwortet wird, und damit den ersten Schritt in Richtung einer Verstärkten Zusammenarbeit frei gemacht.
E. EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung Als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. März 2004 in Madrid erließ der Europäische Rat am 25. März 2004 eine Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus.181 Um dem in dieser Erklärung geforderten Ansatz zur Bekämpfung des Terrorismus im Sinne eines strukturierteren und effektiveren Zusammenspiels aller der Europäischen Union diesbezüglich zur Verfügung stehenden Instrumente gerecht zu werden, wurde die Schaffung einer Stelle eines EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung vorgesehen.182 Dessen Arbeit zielt mithin auf die Gewährleistung einer aktiveren Rolle der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten bei der Terrorismusbekämpfung183 unter Einbeziehung von Drittstaaten. Zentrale Aufgaben des EU-Koordinators bestehen in der Überwachung und Koordination der Arbeit aller Akteure im AntiTerror-Bereich, d.h. insbesondere der EU-Mitgliedstaaten, der Europäischen Kom179
Vgl. dazu das Paper zur Sitzung des LIBE-Ausschusses vom 24.5.2016 (Anm. 66). Ratsdok. 15200/16 vom 2.12.2016; 15057/16 vom 2.12.2016; 12774 REV 2 COR 1/16 vom 13.10.2016; 12809/16 vom 30.9.2016. Vgl. auch den Bericht bei eucrim 2016, 126. Ferner: Asp (Hrsg.), The European Prosecutor’s Office – Legal and Criminal Policy Perspectives (2015); zum ergänzenden Konzept eines Europäischen Strafgerichts: Melanie Langbauer, Das Strafrecht vor den Unionsgerichten, 2015. 181 Erklärung des Europäischen Rates zum Kampf gegen den Terrorismus vom 25.3.2004, 5, 13, 15. 182 Erklärung vom 25.3.2004 (Anm. 181), 13. 183 Vgl. u.a. die Presseerklärung des Hohen Vertreters Javier Solana zur Ernennung von Gilles de Kerchove vom 19.9.2007, http://www.consilium.europa.eu/de/policies/fightagainst-terrorism/counter-terrorism-coordinator/ (letzter Zugriff am 15.2.2017). 180
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mission, des Europäischen Auswärtigen Dienstes sowie der diesbezüglich tätigen EU-Agenturen wie Europol und Eurojust. Über deren Zusammenarbeit in Hinblick auf eine effektive Erfüllung des EU-Aktionsplans zur Bekämpfung des Terrorismus erstattet der Koordinator dem Europäischen Rat regelmäßig Bericht und gibt auf Basis dieser Analyse Politikempfehlungen.184 Amtierender Koordinator ist seit 2007 Gilles de Kerchove. Zur Verbesserung der Kommunikation zwischen der Europäischen Union und Drittländern auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung pflegt der Koordinator Kontakte mit den entsprechenden Regierungsvertretern, Behörden und internationalen Institutionen. In diversen Erklärungen forderte der Europäische Rat eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus und betonte diesbezüglich die Wichtigkeit der Arbeit des EUKoordinators insbesondere in Bezug auf ein effizientes Zusammenwirken der Europäischen Union mit Drittstaaten.185
F. Interpol Auch die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO – Interpol) ist im Rahmen der staatenübergreifenden Zusammenarbeit zur Bekämpfung und strafrechtlichen Aufarbeitung des Terrorismus von Bedeutung. Da auf europäischer Ebene der polizeiliche Informationsaustausch zunehmend über das Schengener Informationssystem (SIS) erfolgt, kommt eine Interpol-Fahndung für EUMitgliedstaaten praktisch nur in Betracht, wenn Drittstaaten zu beteiligen sind. Dennoch fällt Interpol, als einzige weltweit aktive Kooperationsform im Bereich der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit, eine nicht unbedeutende Funktion zu.186 Die globale Rolle von Interpol bei der Terrorismusbekämpfung wurde vom UN-Sicherheitsrat durch die Resolution 2178 (2014) anerkannt. Den forma-
184
http://www.consilium.europa.eu/de/policies/fight-against-terrorism/counterterrorism-coordinator/ (letzter Zugriff am 15.2.2017). 185 Vgl. bspw. Strategische Leitlinien für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vom 27.6.2014, 5, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/policies/ strategic-guidelines-jha/ (letzter Zugriff am 15.2.2017); hierzu auch „Terrorismusbekämpfung durch die EU – Zusammenwirken mit internationalen Partnern“, abrufbar auf http:// www.consilium.europa.eu/de/policies/fight-against-terrorism/ (letzter Zugriff am 15.5.2017); kritisch hierzu: Frank Philipp Hübner, Terrorismusbekämpfung als Aufgabe der Europäischen Union (2009), 78–79, 80–81, abrufbar unterhttp://epub.uni-regensburg.de/13148/ (letzter Zugriff am 15.2.2017). 186 Bernd Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, Kap. 5 Rn. 3; Dietrich Neumann, Europol, in: Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg (Hrsg.) (Anm. 146), Rn. 47.
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len Rahmen seiner Tätigkeit erhält Interpol durch zahlreiche Resolutionen, die von der UN-Generalversammlung angenommen wurden. Im Einzelnen besteht Interpol aus verschiedenen Initiativen. An der Spitze der Terrorismusbekämpfung steht das Counter-Terrorism Fusion Centre (CTF). Hier sammeln Experten im Generalsekretariat Informationen über Terrorismusverdächtige und -gruppen und stellen diese zum Austausch mit anderen Mitgliedstaaten und internationalen Organisationen bereit. Die Analyse erstreckt sich dabei nicht nur auf terroristische Angriffe, sondern vielmehr auch auf die hierarchischen Strukturen, die Entstehung, Ausbildung und Finanzierung sowie Methoden und Motive terroristischer Vereinigungen.187 Das CTF hat seinerseits zahlreiche Projekte ins Leben gerufen.188 Zum anderen wird die internationale Grenzsicherheit durch die Integrated Border Management Task Force (IBMTF) als zentralem Kontakt- und Koordinationspunkt verstärkt. Die Herstellung und Aufrechterhaltung einer Grenzsicherheit wird gemeinhin als eine der wichtigsten Voraussetzungen einer effektiven Terrorismusbekämpfung angesehen. Dazu gehört etwa die Verhinderung unkontrollierter Grenzübertritte in Konfliktzonen zum Zwecke des Beitritts zu terroristischen Vereinigungen.189 Zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Optimierung ihrer Grenzsicherheit hat Interpol einen umfassenden Katalog an Hilfestellungen zusammengestellt, z.B. eine Datenbank mit gestohlenen oder verlorenen Reisedokumenten. Des Weiteren dienen der Terrorismusbekämpfung durch Interpol die „Notices and Diffusions“, die Warnungen der Mitgliedstaaten vor Terroristen enthalten. „Notices“ erlauben es, als internationale Kooperationsanträge oder alarmierende Hinweise den nationalen Polizeibehörden der Mitgliedstaaten entscheidende kriminalitätsbezogene Informationen mitzuteilen.190 Die weniger formellen „Diffusions“ werden in ähnlicher Weise genutzt, um Anträge zur Verhaftung oder Anfragen zum Aufenthalt einer Person sowie zusätzliche Informationen hinsichtlich einer polizeilichen Untersuchung zu erlangen. Insbesondere vor Al Quaida- oder Taliban-Anhängern kann über eine „INTERPOLUnited Nations Security Special Notice“ gewarnt werden, was den Mitgliedstaaten im Anschluss die Durchsetzung von Waffenembargos und Reiseverboten erleichtert.
187
https://www.interpol.int/en/Internet/Crime-areas/Terrorism/Counter-TerrorismFusion-Centre (letzter Zugriff am 17.2.2017). 188 Etwa: Al Qabdah (Naher Osten und Nordafrika), Amazon (Amerika), Baobab (Afrika), Kalkan (Zentralasien), Nexus (Europa), Pacific (Südostasien und Pazifikinseln). 189 http://www.interpol.int/en/Internet/INTERPOL-expertise/Border-management (letzter Zugriff am 15.2.2017). 190 http://www.interpol.int/INTERPOL-expertise/Notices (letzter Zugriff am 15.2.2017).
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Zudem bietet Interpol ein weltweites Sicherheitsnetzwerk (I-24/7), das eine sichere Kommunikation und einen sicheren Informationsaustausch gewährleistet und auf diese Weise eine weltweite Fahndung nach Personen und Gegenständen ermöglicht.191 Im Falle eines Anschlags offenbart das Incident Response Team (IRT) auf Anfrage des betroffenen Mitgliedstaates die Möglichkeit der Unterstützung der nationalen Polizei bei der Analyse und den Ermittlungen.192 Interpol steht in ständiger Zusammenarbeit mit anderen europäischen Institutionen, wie etwa Europol und Eurojust. So besteht mit Europol seit 2001 eine Vereinbarung zur Bekräftigung der Bekämpfung von Terrorismus und anderen organisierten Verbrechen.193 Am 12. Oktober 2011 folgte eine Vereinbarung über die Schaffung einer sicheren Kommunikationsleitung zwischen den beiden Institutionen zur Vereinfachung des Informationsaustauschs sowie über einen gemeinsamen Aktionsplan, der unter anderem den Bereich der Terrorismusbekämpfung betrifft.194 Die Zusammenarbeit mit Eurojust dokumentiert die Vereinbarung von 2013 über einen gemeinsamen Rahmen für die Zusammenarbeit auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung.195 Unter dem Projektnamen „INTERPOL 2020“ findet derzeit eine Neuausrichtung der Tätigkeit von Interpol statt.196
G. Geheimdienste Im Rahmen der internationalen und europäischen strafrechtlichen Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung sind schließlich die Geheimdienste zu nennen. 191
Pierre Reuland/Jens Naujeck, INTERPOL im europäischen Sicherheitsgefüge. Die besondere Rolle der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (IKPO), SIAKJournal ! Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis 2011 (1), 43–50 (43, 48); Thomas Wiegand, Weltweite Brennpunkte der Kriminalität – Auswirkungen auf Deutschland in: BKA COD-Literatur-Reihe, Bd. 21, 2009, 122. 192 http://www.interpol.int/en/Internet/INTERPOL-expertise/Response-teams (letzter Zugriff am 15.2.2017). 193 Agreement between Interpol and Europol vom 5.11.2001. 194 https://www.europol.europa.eu/newsroom/news/interpol-and-europol-agree-jointinitiatives-to-enhance-global-response-against-transnational-crime (letzter Zugriff am 15.2.2017). 195 Memorandum of Understanding on cooperation between Eurojust and the International Criminal Police Organisation (ICPO – INTERPOL) vom 15.7.2013. 196 Vgl. Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/10430 vom 21.11.2016.
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Art. 87 AEUV erklärt hierzu, dass die Union eine polizeiliche Zusammenarbeit zwischen allen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Polizei, des Zolls und anderer auf die Verhütung oder die Aufdeckung von Straftaten sowie entsprechende Ermittlungen spezialisierter Strafverfolgungsbehörden entwickelt. Damit verfügt die Union gerade nicht über eine Zuständigkeit zur Koordination der Zusammenarbeit der nationalen Geheimdienste. Gleichwohl nimmt die informelle Kooperation der Geheimdienste in Europa stetig zu, auch über Plattformen der Europäischen Union. I. Counter Terrorism Group (CTG) Eine internationale Kommunikation zwischen verschiedenen nationalen Geheimdiensten offenbaren der sog. „Berner Club“ und die von ihm initiierte Counter Terrorism Group (CTG). Über die CTG organisieren sich seit 2001 in Den Haag die Geheimdienste aller EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegens und der Schweiz zum Meinungsaustausch über die Aufgaben und Erkenntnisse der jeweiligen nationalen Nachrichtendienste.197 Die enge Zusammenarbeit hat sich in den vergangenen Jahren intensiviert und wird derzeit auf eine weitere Optimierung des Informationsaustausches ausgerichtet. Im ersten Halbjahr 2016 wurde durch die CTG eine „operative Plattform“ eingerichtet, die mit Hilfe von entsandten Verbindungsbeamten der am CTG beteiligten nationalen Nachrichtendienste den Austausch operativer Erkenntnisse zum Phänomen Islamistischer Terrorismus vereinfachen und beschleunigen soll.198 Der Plattform dient eine Datenbank als Informationsgrundlage.199 Im Rahmen der CTG werden jährlich mehrere Lagebilder erstellt und Bewertungen zu übergeordneten Themen der Terrorismusbekämpfung abgegeben. Über die CTG entstand in den letzten Jahren mehr oder weniger im Stillen die strukturelle Basis für eine Art „Geheimdienstzentrum“ als interaktives Informationssystem, das zum 1. Juli 2016 dann auch mehr oder weniger „offiziell“ eröffnet wurde.200 Die Errichtung des Zentrums erfolgte unter Beteiligung von 30 europäischen Inlandsgeheimdiensten mit dem Ziel des Austauschs von Informationen über „dschihadistische Gefährder“ und damit Erkenntnissen über den islamistischen Terrorismus.
197
BT-Drs. 18/7930 vom 18.3.2016. BT-Drs. 18/7930 vom 18.3.2016. 199 BT-Drs. 18/9323 vom 3.8.2016; 18/10457 vom 24.11.2016. 200 BT-Drs. 18/9323 vom 3.8.2016; Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Drs. 18(4)601 A vom 17.6.2016, 1 ff. 198
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Als entsprechender Verbindungsbeamter für Deutschland wird ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach Den Haag entsandt.201 Trägerin des Zentrums ist die CTG. Die Frage, welche Geheimdienste welcher Länder nach Kenntnis der Bundesregierung eine Mitarbeit in der Geheimdienstzentrale in Den Haag zugesagt haben, war Gegenstand von mehreren Anfragen im Deutschen Bundestag.202 Aus Gründen des Staatswohls und der sog. „Third-Party-Rule“ erfolgten von Seiten der Bundesregierung keine detaillierten Auskünfte diesbezüglich, auch nicht als Reaktion auf weitere Anfragen über nähere Einzelheiten zur Arbeit und zum Aufbau des „Anti-Terror-Zentrums“.203 Dagegen betont die Bundesregierung die Notwendigkeit des Informationsaustausches auch zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden und mahnt eine diesbezügliche Verbesserung der Praxis an. Aus rechtlichen und operationellen Gründen müsse die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit aber weiter in der alleinigen Zuständigkeit der EU-Staaten verbleiben. Bedarf für institutionelle Veränderungen in Bezug auf die Kooperation von Nachrichtendiensten und Institutionen der Strafverfolgung sieht die Bundesregierung nicht.204 Eine direkte Zusammenarbeit des CTG als ausschließlich nachrichtendienstliche Plattform mit dem bei Europol angesiedelten Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC) wird damit offiziell nicht bestätigt und ist in offen kursierenden Plänen auch nicht vorgesehen, sodass davon auszugehen ist, dass dessen Strukturen derzeit nicht für einen Austausch der Geheimdienste genutzt werden. Im Übrigen steht die CTG mit relevanten Akteuren wie Europol in Kontakt, um Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit zu sondieren.205 Nachrichtendienstliche Informationen werden von Europol schon jetzt verarbeitet, soweit sie nach nationalem Recht von einem Nachrichtendienst an die Polizeibehörden und von dort weiter an Europol übermittelt werden dürfen. Daneben kommt eine Verarbeitung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse z.B. in Betracht, sofern Mitgliedstaaten eine Stelle mit polizeilichem und nachrichtendienstlichem Aufgabenspektrum als zuständige Behörde i.S.d. Art. 3 EPB benannt haben.206
201
BT-Drs. 18/9323 vom 3.8.2016. BT-Drs. 18/8783 vom 2.6.2016. 203 BT-Drs. 18/8975 vom 29.6.2016; 18/9222 vom 14.7.2016; 18/9323 vom 3.8.2016; 18/10457 vom 24.11.2016. 204 BT-Drs. 18/10641 vom 14.12.2016. 205 BT-Drs. 18/7930 vom 18.3.2016; BT-Drs. 18/10641 vom 14.12.2016, 4; BT-Drs. 18/10929 vom 17.1.2017 („Kooperationen und Projekte europäischer Polizeien und Geheimdienste“). 206 Vgl. insoweit die Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 18/10641 vom 14.12.2016, 3. 202
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Eine weitere nachrichtendienstliche Aufgabe nimmt das Zentrum für Informationsgewinnung und -analyse (IntCen) bzw. EU Intelligence Analysis Centre (EU IntCen) des Europäischen Auswärtigen Dienstes wahr, das von der EU-Kommission auch als „nachrichtendienstliches Drehkreuz des Europäischen Auswärtigen Dienstes“ (EAD) bezeichnet wird. Die Analysen und Berichte des IntCen basieren unter anderem auf Material von Auslandsnachrichtendiensten der Mitgliedstaaten. Auch Europol soll künftig stärker mit dem IntCen kooperieren. II. Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Im Juni 2016 hatte die Bundesregierung den Entwurf für ein Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf den Weg gebracht.207 Vorgesehen war darin insbesondere eine Neuregelung, die das Zusammenführen und eine übergreifende Analyse von Erkenntnissen der Vielzahl an Behörden, die bei der Aufklärung des transnational operierenden und vernetzten Terrorismus national und international tätig sind, gestatten soll. Ein Kernelement des Vorschlags waren Regelungen für die Errichtung und Teilhabe an gemeinsamen Dateien, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit wichtigen ausländischen Nachrichtendiensten einrichten und betreiben kann.208 Solche gemeinsamen Dateien ermöglichen die Zusammenführung auf nationaler Ebene vorhandener nachrichtendienstlicher Informationen und unterstützen deren länderübergreifende technische Auswertung, zur Beobachtung und Aufklärung gefährlicher transnationaler Netzwerke. Im unmittelbaren Kontext standen auch der Vorschlag, die auf europäischer Ebene vorhandenen Polizeidatenbanken (SIS, EURODAC, VIS, EU-PNR) zu verknüpfen sowie die Forderung nach Einführung einer Art „Reiseregister“, um die Aus- und Einreise von Drittstaatangehörigen in den Schengen-Raum zu erfassen. Das geplante System „intelligenter Grenzen“, das die Überprüfung biometrischer Daten bei Grenzkontrollen beinhaltet, soll nach dem Willen der EU-Justizminister nun nicht mehr wie geplant ausschließlich die Ein- und Ausreise aller Drittstaatsangehörigen erfassen, sondern zur Bekämpfung des Terrorismus auch auf Angehörige der EU-Mitgliedstaaten ausgeweitet werden.209 Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme gefordert, die Anforderungen an die gemeinsamen Dateien mit ausländischen Geheimdiensten zu erhöhen, um den 207 208 209
BR-Drs. 295/16 vom 2.6.2016; BT-Drs. 18/8824 vom 16.6.2016. BR-Drs. 295/16 vom 2.6.2016. Inneres/kleine Anfrage – 4.1.2016; BT-Drs. 18/7017 vom 7.12.2015.
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strengen Anforderungen an die Einhaltung der Menschenrechte gerecht zu werden. Die Einrichtung gemeinsamer Dateien solle nur mit Staaten erfolgen, die eine Gewähr bieten, dass die Daten weder zur politischen Verfolgung noch zu unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung verwendet werden. Das Vorliegen dieser und weiterer im Gesetzentwurf genannter Voraussetzungen sei schriftlich zu dokumentieren.210 Die Regelung zur Art der zu speichernden Datei und der Art der Speicherung hielt die Ländervertretung für zu unbestimmt und zu weit. Stattdessen solle auf bestehende Regelungen des Antiterrordateigesetzes211 verwiesen werden.212 Die Ländervertretung hatte zudem betont, dass deutscher Partner einer solchen Datei der Verbund der Verfassungsschutzämter sei, also konkret das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz. Den Landesämtern müsse ein eigenständiges Leserecht eingeräumt werden.213 Weitere Änderungswünsche des Bundesrates bezüglich des neuen Anti-TerrorPakets betrafen dem BfV einzuräumende spezielle Befugnisse zur Errichtung gemeinsamer Dateien mit wichtigen ausländischen Partnerdiensten. Ferner sollte auch der Bundespolizei die Befugnis eingeräumt werden, Verdeckte Ermittler schon zur Gefahrenabwehr und nicht erst zur Strafverfolgung einzusetzen.214 In bemerkenswerter Schnelligkeit, bereits am 24. Juni 2016, passierte der Gesetzentwurf den Deutschen Bundestag in der vom Innenausschuss geänderten Fassung,215 und auch der Bundesrat billigte am 8. Juli 2016 den Datenaustausch zur Terrorbekämpfung. Das Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 26. Juli 2016 trat am 30. Juli 2016 in Kraft,216 sodass nun auch die notwendige gesetzliche Grundlage für eine internationale Zusammenarbeit mit der CTG in Den Haag besteht. Der deutsche Verfassungsschutz kann zum Schutz vor Terroranschlägen künftig mehr Daten mit ausländischen Geheimdiensten, insbesondere innerhalb der EU und der NATO austauschen. Zudem dürfen bei einem Terrorverdacht die deutschen Sicherheitsbehörden auch Daten von Jugendlichen ab 14 Jahren speichern – bisher war dies erst ab einem Alter von 16 Jahren möglich. Dabei geht es vor
210
BR-Drs. 295/16 (Beschluss) vom 17.6.2016. Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz – ATDG), Art. 1 des Gesetzes vom 22.12.2006, BGBl. 2006 I, 3409. 212 BR-Drs. 295/16 (Beschluss) vom 17.6.2016. 213 BR-Drs. 295/16 (Beschluss) vom 17.6.2016. 214 BT-Drs. 18/8824 vom 17.6.2016. 215 BT-Drs. 18/8917 vom 22.6.2016. 216 BGBl. 2016 I, 1818. 211
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allem um junge Islamisten, die nach Syrien oder den Irak reisen, um sich Extremisten anzuschließen.217 Das neue Gesetz zum Informationsaustausch begleitend hat das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Deutschen Bundestages Ende Dezember 2016 den ersten Geheimdienstbeauftragten des deutschen Parlaments (Arne Schlatmann) für eine Amtszeit von fünf Jahren berufen.
H. Bewertung der Terrorismusbekämpfung auf Unionsebene Die Effektivierung von Maßnahmen der Terrorbekämpfung hat auf der Ebene der Europäischen Union inzwischen höchste Priorität. Angesichts der vielen in der jüngeren Vergangenheit unter dem Schirm der Europäischen Sicherheitsagenda getroffenen Maßnahmen, gegründeten Expertengruppen und eingerichteten Stellen fragt man sich, ob und wie eine tatsächlich „effektivere“ Zusammenarbeit überhaupt noch gefördert werden kann und soll. Entstanden ist durch die vielfältigen Aktivitäten eine bunte Welt schillernder Institutionen (CEPOL, EPPO, Eurojust, Europol, Frontex, Interpol, OLAF), eine kaum mehr zu überblickende und nur noch für Insider zu überblickende Zahl strategischer Abkürzungen (CTF, CTG, CTT, EC3, DUMAS, ECTC, EJN, EU FIU, EU IntCen, EU-PNR, EURODAC, GEG, IKPO, IRU, JIT, SIS, TCM, VIS) sowie eine beachtliche Summe geschlossener „MoUs“ und „Agreements of Cooperation“, bei denen man Zweifel haben kann oder besser hoffen muss, dass wenigstens noch die professionell Beteiligten den nötigen Durchblick haben, wer im Vorfeld oder im Falle eines terroristischen Ereignisses zu kontaktieren ist. Die Vernetzung der in die Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene eingebundenen Stellen, sprich der Informationsaustausch und Informationsfluss, dürfte für sich betrachtet kaum mehr zu verbessern sein. Nahezu jede Stelle hat in der jüngeren Zeit (mindestens) einen hauseigenen „Experten“ zu den jeweiligen Partnerinstitutionen geschickt, und der wechselseitige Daten-„Zugriff“ ist über verschiedene MoU gesichert – im Rahmen der auch und gerade auf europäischer Ebene geltenden Datenschutzvorschriften. Die Krux der Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene dürfte tatsächlich darin liegen, dass viele relevante Daten durch die nationalen Stellen nicht in 217
Bundesregierung, Anti-Terror-Kampf – Sicherheitsbehörden besser Vernetzen, 1.8.2016, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/06/ 2016-06-01-terrorbekaempfung.html (letzter Zugriff am 15.2.2017).
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die einschlägigen europäischen Systeme eingespeist werden – vielleicht auch aus Sorge um eine nahezu kontrollfreie Weiterleitung an andere Stellen und sonstige „Gefahren“ im Umgang mit den Daten.218 Ebenso fehlt in Europa weiterhin der politische Wille, Europol mit wirksamen operativen Befugnissen auszustatten. Initiativen in diese Richtung setzt allerdings primärrechtlich schon das enge Regelungskorsett des Art. 88 AEUV deutliche Grenzen. Eine kritische „externe Evaluation“ der bereits angelaufenen und künftig geplanten Maßnahmen der EU-Terrorismusbekämpfung liefert das Sicherheitsforschungsprojekt SECILE der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch.219 Die 2013 abgeschlossene Studie katalogisiert die Gesetzgebung und Überwachungsmaßnahmen der EU seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Demnach hat die EU insgesamt 239 spezifische Anti-Terror-Maßnahmen verabschiedet, davon 88 rechtlich bindende. Laut SECILE enthält ein Drittel dieser 88 rechtlich bindenden Maßnahmen gar keine Vorkehrungen für eine Überprüfung, 59 (67%) verlangen eine Überprüfung seitens der Kommission, wovon neun noch eine weitere Überprüfung durch den Rat vorsehen. Von diesen Überprüfungen konnten die Autoren jedoch lediglich 33 auffinden. 16 Überprüfungen wurden entweder nicht durchgeführt oder konnten nicht lokalisiert werden.220 Als Konsequenz haben sowohl die Öffentlichkeit als auch die EU-Institutionen selbst teils keinen Überblick, welche Gesetze wie umgesetzt wurden und welche Auswirkungen sie haben. Gerade im Bereich der Terrorismusbekämpfung, in dem viele der verabschiedeten Maßnahmen in Konflikt mit Grund- und Bürgerrechten stehen, ist ein derartiges Fehlen systematischer Überprüfungen besonders problematisch. Das Fazit der Autoren des SECILE-Projektes lautet: „[It is] abundantly clear that the vast majority of the EU’s counter-terrorism legislation has not been
218 Hierzu: Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE („Weiteres Datenleck bei der EUPolizeiagentur Europol“) BT-Drs. 18/10717 vom 14.12.2016; Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 18/10870 vom 18.1.2017. 219 Securing Europe through Counter-terrorism: Impact, Legitimacy and Effectiveness (SECILE) abrufbar unter http://www.statewatch.org/projects/secile/index.htm (letzter Zugriff am 15.2.2017). 220 Statewatch (Hrsg.), Taking stock of EU Counter-Terrorism policy and review mechanisms: Summary of Statewatch’s findings for SECILE project“, 2013, abrufbar unter http://www.statewatch.org/news/2013/dec/SECILE-sw-summary.pdf (letzter Zugriff am 17.2.2017).
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subjected to the kind of scrutiny that should be expected of laws that can have such a significant impact upon individuals and public and private institutions.“221 Vor diesem Hintergrund sieht sich auch die Bundesregierung einer kritischen Nachfrage ausgesetzt, welche Grund- und Durchführungsverordnungen und Richtlinien die Europäische Union seit 2013 nach Beendigung der SECILE-Studie im Bereich Terrorismusbekämpfung erlassen hat und welche Maßnahmen zur Durchführung und Umsetzung dieser europäischen Bestimmungen die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.222 Die Ausweitung oder zumindest Annäherung der Tätigkeit von Europol auf nachrichtendienstliche Tätigkeiten und Aufgabenfelder ist in jedem Fall kritisch zu sehen, da sie die Grenze von Gefahr und Risiko verwischt. Zu konstatieren ist, dass derzeit auf europäischer Ebene zu viele Stellen und Behörden mit vergleichbaren Funktionen in eine signifikante Aufgabenkonkurrenz bei der Terrorismusbekämpfung treten. „Mehr Behörden und mehr Daten“ sind kein Selbstzweck. Gefragt wäre dagegen eine intelligente Filterung und Zusammenführung der immensen Masse an Daten, die bei den nationalen und europäischen Verfolgungsbehörden mittlerweile auflaufen. Einem aktuellen Vorschlag der Europäischen Kommission ist zu entnehmen, dass die Planungen dahin gehen, ein „Drehkreuz für den Informationsaustausch“ unter europäischen Polizei- und Geheimdienstbehörden einzurichten. Als Vorbild könnten „Fusionszentren“ dienen, mit denen einige Mitgliedstaaten die polizeilichgeheimdienstliche Zusammenarbeit erweitern.223 Die Zusammenarbeit könnte nach Ansicht der Kommission über die Einbindung von Europol erfolgen, wobei etwa die CTG und das ECTC wie geplant getrennt bleiben, aber miteinander verknüpft werden könnten.224 Eine derart „ungeordnete“ Vermengung einer polizeilichen und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit auf Unionsebene widerspricht zwar dem Konzept des Art. 87 AEUV, der politische Druck geht indes klar in diese Richtung. Neben dem CTG und ECTC kursieren schon viele weitere Namen von NachrichtenGruppen („Gruppe der Sechs“, „Pariser Gruppe“, „Gruppe der Neun“), die zum 221 Statewatch (Anm. 220), 7; siehe auch: Sebastian Breuer, Terrorismusbekämpfung in der Europäischen Union – Entwicklungen und Kritik, 9 f.; http://www.berlinangst.org/wpcontent/uploads/2016/05/Sebastian-Essay-Homepage.pdf (letzter Zugriff am 15.2.2017). 222 Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, u.a. und der Fraktion DIE LINKE, BTDrs. 18/9918; Antwort der BReg, BT-Drs. 18/10216 vom 7.11.2016. 223 BT-Drs. 18/9923 vom 4.10.2016; COM (2016) 602 vom 14.9.2016; Ratsdok. 12307/16 vom 19.9.2016. 224 BT-Drs. 18/9923 vom 4.10.2016; zurückhaltend insoweit die Bundesregierung: BTDrs. 18/10641 vom 14.12.2016, 6.
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„offenen und vertrauensvollen Austausch“ ohne „formelle Beschlussfassung“ einladen.225 Die Europäische Kommission hat am 21. Dezember 2016 ihren dritten Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zu einer wirksamen und nachhaltigen Sicherheitsunion veröffentlicht.226 Bis Ende 2016 war die Überarbeitung der Feuerwaffen-Richtlinie227 und die Einführung systematischer Kontrollen bei allen Personen, die die EU-Außengrenzen überschreiten, geplant.228 Die am 1. Januar 2017 gestartete maltesische Ratspräsidentschaft sieht in ihrem Programm u.a. Fortschritte bei der Errichtung der EuStA sowie Verbesserungen bei der Zusammenarbeit von Eurojust mit den nationalen Justizbehörden vor.229 Mehr Koordination statt Kooperation sollte dabei jedenfalls das Ziel sein – im Interesse der Bürger Europas.
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BT-Drs. 18/10641 vom 14.12.2016, 8. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, Auf dem Weg zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion – Erster Fortschrittsbericht, COM(2016) 670 final vom 12.10.2016; Zweiter Fortschrittsbericht, COM(2016) 732 final vom 16.11.2016; Dritter Fortschrittsbericht, COM(2016) 831 final vom 21.12.2016. 227 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen, COM(2015) 750 final vom 18.11.2015. 228 COM(2016) 732 final vom 16.11.2016; COM(2016)670 final vom 12.10.2016. 229 Programm der maltesischen Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union, 1. Januar bis 30. Juni 2017, abrufbar unter http://www.eu2017.mt/en/Documents/National Programme_EN.pdf (letzter Zugriff am 15.2.2017). 226
Autorenverzeichnis Dr. John Beuren ist Verwaltungsrichter am Verwaltungsgericht Stade. Prof. Dr. Robert Esser ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Passau, Leiter der Forschungsstelle Human Rights in Criminal Proceedings (HRCP) sowie stellvertretender geschäftsführender Direktor des Instituts für internationales und ausländisches Recht. Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und war bis August 2016 Professor für Politikwissenschaft am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Prof. Dr. Kerstin Odendahl ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre sowie Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel. Prof. Dr. Stefanie Schmahl, LL.M. (E), ist Inhaberin des Lehrstuhls für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Würzburg. Prof. Dr. Dominik Steiger ist Professor für Völkerrecht an der KU Leuven in Belgien sowie an der Open Universiteit der Niederlande. Prof. Dr. Christian Walter ist Inhaber des Lehrstuhls für Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität München. Prof. Dr. Mark A. Zöller ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsstrafrecht und Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht (ISP) an der Universität Trier.