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German Pages 320 Year 2000
HERMANN MÜLLER
Die Autbebung von Verwaltungs akten unter dem Einfluß des Europarechts
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 65
Die Aufhebung von Verwaltungsakten unter dem Einfluß des Europarechts
Von Hermann Müller
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Müller, Hermann: Die Autbebung von Verwaltungsakten unter dem Einfluß des Europarechts / von Hermann Müller. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum europäischen Recht; Bd. 65) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09873-0
D25 Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09873-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Friedrich Schoch, der die Entstehung der Arbeit betreut und das Erstgutachten erstellt hat. Er hat mir grundlegende Einsichten in die Strukturen der Verwaltungsrechtsordnung vermittelt, die wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Herrn Professor Dr. Dietrich Murswiek danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich meinem Freiburger Freundeskreis, namentlich Herrn Burkhard Landre, für die vielfältige Unterstützung, die ich während meiner Zeit im Doktorandenraum F des Juristischen Seminars erfahren habe.
Berlin, im März 2000
Hermann Müller
Inhaltsverzeichnis Einleitung.....................................................................................................
19
/. Teil
Die Aufhebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht § 1 Autltebungsvorschriften des VerwaItungsverfahrensgesetzes ................
21
I. Der Verwaltungsakt als administrative Handlungsform.......... ..... .....
22
1. Erlaß des Verwaltungsakts ...........................................................
22
a) Stabilisierung der Rechtslage...................................................
22
b) VerwaItungsakt als Steuerungsinstrument................................
24
2. Verwaltungsrechtsverhältnis ........................................................
27
3. Aufhebung des Verwaltung..........................................................
29
a) Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte ..... ................ .......
30
aa) Vergleich mit § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ........................
31
bb) Vergleich mit § 48 SGB X................................................
34
b) Autltebung rechtmäßiger Verwaltungsakte ............ ..................
36
11. Die Subsidiarität der §§ 48 ff. VwVfG .............................................
37
1. Vorrang besonderer Aufhebungsvorschriften...............................
38
a) Horizontales Konkurrenzverhältnis auf Bundesebene .............
38
b) Vertikales Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Ländern
41
c) Horizontales Konkurrenzverhältnis auf Landesebene..............
44
2. §§ 48 ff. VwVfG als subsidiäres Regelungsmodell ......................
44
III. Die Struktur der §§ 48 ff. VwVfG ....................................................
48
1. Rücknahme von Verwaltungsakten ..............................................
50
a) Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte.................
51
b) Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte..........................
52
aa) Geld- und SachleistungsverwaItungsakte ..........................
54
Inhaltsverzeichnis
10
a) Abwägung auf der Tatbestandsseite.............................
54
aa) Regeln und Prinzipien...........................................
55
ßß)
§ 48 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwVfG...........................
57
Ermessensbetätigung auf der Rechtsfolgeseite.............
61
y) Durchsetzung der Aufhebungsfolgen ...........................
63
aa) Geldleistung..........................................................
64
ßß)
Sachleistung..........................................................
65
yy) Rückforderungs-Vertrauensschutz ........................
66
bb) Sonstige begünstigende VerwaItungsakte..........................
67
a) Rechtsgrundlage der Rücknahme.................................
67
ß)
Ausgleichsanspruch... ..... ..... ........ ..... ..... .......................
68
y) Durchsetzung der Aufhebungsfolgen ...........................
69
2. Widerruf von Verwaltungsakten ........................................ ..........
70
a) Widerruf nicht begünstigender VerwaItungsakte.....................
70
b) Widerruf begünstigender Verwaltungsakte..............................
73
ß)
aa) Aufhebungsfrist .................................................................
73
bb) Aufhebungsgründe ............................................................
74
a) WiderrufsvorbehaIt ......................................................
74
aa) Gebundener Verwaltungsakt.................................
75
ßß)
Ermessensentscheidung .............................. ..........
77
ß) Änderung der Sachlage ................................................
79
aa) Aufhebungsermessen ............................................
81
ßß)
Geldzahlung..........................................................
82
y) Änderung der Rechtslage .............................................
83
ö) Schwere Nachteile für das Gemeinwohl......................
87
c) Widerruf als Sanktion .......................... ....................................
88
aa) Nichterfüllung einer Auflage.............................................
89
bb) Verwendungszweckgebundene Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte............ .. ............... ...... .......... ....................
93
a) Überblick: Anreizprogramm ........................................
93
aa) ex post-Subventionierung .....................................
94
ßß)
95
ex ante-Subventionierung .................................,...
Inhaltsverzeichnis
13)
11
(1) Fallbeispiel: Gasölverbilligung.......................
96
(2) Inkurs: Vorläufiger Verwaltungsakt................
98
Authebungsgründe ....................................................... 100
aa) Zuwendungen ........................................................ 102 (1) Subventionsverhältnis ..................................... 102 (2) Verletzung der Hauptpflicht... ......................... 104 (3) Verletzung von Nebenpflichten ...................... 108
1313)
Sonstige Subventionen......... ..... ..... ... ..... ... ..... ....... 110
yy) Rückforderung der Subvention ............................. 112 § 2 Verfassungsrechtlicher Grundsatz des Vertrauensschutzes ..... ............... 114 I.
Das Vertrauen........................ ......................................... .................. 114
11. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen ................................ 116
1. Vorrangregel bei der Rücknahme von Verwaltungsakten ............ 116 2. Vorrangregel beim Widerruf von Verwaltungsakten..... ........ ....... 117 3. primajacie-Vorränge ................................................................... 118 III. Die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber........................................ 119
1. Abstrakte Vorwegnahme der Abwägung ...................................... 119 2. Vorgaben für die Abwägung ........................................................ 120 § 3 Sachbereichsspezifische Aufhebungsfragen ..... ..... ..... ........ .................... 122 I.
Die Rückforderung landwirtschaftlicher Subventionen .................... 122 1. ex post gewährte Gasölverbilligung ............................................. 123 2. ex ante gewährter Grünbrache-Zuschuß ....................................... 127
11. Die Rücknahme bei Verletzung eines formellen Beteiligungsrechts 129
2. Teil
Die Außtebung von Entscheidungen im Recht der Europäischen Gemeinschaften § 1 Gemeinschaftseigene Verwaltung .......................................................... 135 I. Die rechtliche Inexistenz von Entscheidungen ................................. 136
11. Die Aufhebbarkeit von Entscheidungen ........................................... 137
1. Aufhebung einer nicht begünstigenden Entscheidung ... ... ....... ..... 138
12
Inhaltsverzeichnis 2. Aufhebung einer begünstigenden Entscheidung........................... 139 a) Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit... .................... 139 aa) Angemessene Frist ............................................................ 140 bb) Schutzwürdiges Vertrauen ................................................. 140 cc) Abwägung ......................................................................... 141 b) Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft ................................. 142 c) Exkurs: Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Gemeinschaftsrecht.............................................................................. 143 aa) Vertrauensbegründender Tatbestand ................................. 143 bb) Angemessene Frist......... ..... ..... ..... ...... ....... ......... ......... ..... 145 cc) Schutzwürdiges Vertrauen ................................................. 145 dd) Abwägung ......................................................................... 146 ee) Bedeutung für die Aufhebbarkeit begünstigender Entscheidungen. ..... ..... ..... ...... ....... ..... ........... ....... ........ ..... ..... 147
§ 2 Unmittelbare mitgliedstaatliche Verwaltung .......................................... 148
I. Die rechtliche Inexistenz von Entscheidungen ................................. 149
11. Die Aufhebbarkeit von Entscheidungen ...................................... ..... 150
1. Aufhebung einer nicht begünstigenden Entscheidung .................. 151 2. Aufhebung einer begünstigenden Entscheidung ........................... 151 a) Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit. ...................... 152 b) Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft ................................. 152 3. Aufhebung einer begünstigenden Entscheidung als Sanktion ...... 153 § 3 Vergleich mit dem deutschen Recht ....................................................... 156
I. Die Funktion der Aufhebung von Entscheidungen und Verwaltungsakten.. ....................................................................................... 156
11. Der Vertrauensschutz ........................................................................ 157
3. Teil
Die Außtebung von Verwaltungsakten bei gemeinschaftsrelevantem Verwaltungshandeln deutscher Behörden § 1 Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht...................................... 160 I. Die Geltungswirkungen des Gemeinschaftsrechts ............................ 161
Inhaltsverzeichnis
13
1. Primäres Gemeinschaftsrecht ....................................................... 161 2. Sekundäres Gemeinschaftsrecht ................................................... 163 a) Verordnungen .......................................................................... 163 b) Richtlinien................................................................................ 164 aa) Unmittelbare Wirkung ....................................................... 165 bb) Objektive Wirkung ............................................................ 166 11. Die Typisierung des gemeinschaftsrelevanten Verwaltungshandelns 166
1. Unmittelbarer Verwaltungsvollzug .............................................. 167 2. Mittelbarer Verwaltungsvollzug................................................... 168 3. Verwaltungshandeln unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts .. 170 III. Die Konflikte zwischen Gemeinschaftsrecht und deutschem Recht. 172
1. Unmittelbare (eigentliche) Normenkollision ................................ 172 2. Mittelbare Normenkollision ........................ ............... ...... ....... ..... 173 a) Richtlinien................................................................................ 174 b) Primärrecht und Verordnungen ................................................ 175 c) Grenzen der Konfliktlösung "Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung" .............................................................................. 176 3. Zusammentreffen objektiver Verhaltensnormen .......................... 176 4. Wirksamkeitsbeeinträchtigung durch innerstaatliches Verwaltungsverfahrensrecht .. ............ ... ............... ...... ..... .......... .......... ..... 178
§ 2 Aufhebung von Verwaltungsakten beim unmittelbaren mitgliedstaatlichen Verwaltungsvollzug ..................................................................... 180 I. Das Urteil Deutsche Milchkontor ..................................................... 181
1. Sachverhalt der Ausgangsverfahren ............................................. 182 2. Aufhebungs- und Rückforderungsvorschriften............................. 183 3. Entscheidungsgründe des Urteils.................................................. 183 a) Effektivitätsgebot..................................................................... 184 aa) Vertrauensschutz ............................................................... 185 bb) Ermessen ........................................................................... 185 b) Diskriminierungsverbot ........................................................... 186 11. Die Reaktion des Bundesverwaltungsgerichts .................................. 187 1. Aufhebung ursprünglich rechtswidriger Bewilligungsbescheide.. 187
14
Inhaltsverzeichnis a) Ausgangsverfahren des Urteils Deutsche Milchkontor ............ 187 b) Nichtvermarktungs- und Umstellungsprämien ......................... 190 2. Aufhebung von Bewilligungsbescheiden als Sanktion ................. 192 III. Die Reaktion des Gesetzgebers ......................................................... 199 1. Rücknahme von Bescheiden .......................................................... 199 2. Widerruf von Bescheiden ......................... ...... ............ .................. 202
§ 3 Rückforderung staatlicher Beihilfen ....................................................... 206 l. Das Beihilfenregime des EG-Vertrages ............................................ 208 1. Gemeinschaftsrechtswidrig gewährte Beihilfen ........................... 211
a) Formell (und materiell) rechtswidrige Beihilfen ...................... 211 b) Bloß materiell rechtswidrige Beihilfen ... ....................... .......... 217 c) Ausblick: Rückforderungsentscheidungen de legeferenda ..... 221 aa) Widerruf einer positiven Entscheidung ............................. 221 bb) Mißbräuchlich angewandte Beihilfen ................................ 223 2. Rückforderungspflicht im zweipoligen Rechtsverhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat....... .......... .................. 224 a) Rückforderungspflicht dem Grunde nach ................................ 225 aa) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .................... ..... .......... 226 bb) Grundsatz des Vertrauensschutzes .................................... 226 b) Rückforderungsptlicht der Höhe nach ............ ............... .......... 228 c) Vollzug der Rückforderungspflicht durch den Mitgliedstaat... 228 aa) Exkurs: Völkerrechtliche Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit ................................... .................. .................. 231
a) Völkerrechtswidriger Akt... .......................................... 231
ß) Ausschluß der Völkerrechtswidrigkeit ......................... 233 y) Verschulden ................................................................. 234
Ö) Schaden ........................................................................ 235 E) Pflicht zur Wiedergutmachung......... ..... ................ ....... 235 bb) Vergleich mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ...................................................................... 236
a) Gemeinschaftsrechtswidriger Akt ................................ 236
Inhaltsverzeichnis
15
ß) Sonstige Voraussetzungen der Pflicht zur Wiedergutmachung....................................................................... 237
y) Pflicht zur Wiedergutmachung..................................... 237 cc) Gesamtbetrachtung des SubventionsverhäItnisses............. 238 3. Rückforderung im dreipoligen Subventionsverhältnis ................. 240 a) Effektivitätsgebot ..................................................................... 241 aa) Abstrakter Vertrauensschutz ............................................. 241 bb) Konkreter Vertrauensschutz ..... ..... ........ .......... ... ..... ...... .... 241 cc) Ermessen ........................................................................... 242 dd) Treu und Glauben...... .......... ............................... ............... 243 ee) Rückforderungs-Vertrauensschutz .................................... 243 b) Diskriminierungsverbot ... .......... .................................... .......... 244 11. Die Rechtsprechung des BundesverwaItungsgerichts ... ............. ....... 244 1. Deufil.... ..... .......... ..................... ................................................... 246
2. A1can .................... ............. ... ..... ..... ................ ............... ............... 249 a) Vorlagebeschluß vom 28. September 1994 ............................. 250 b) Urteil vom 23. April 1998 ....................................................... 254 III. Die systematische Einordnung .......................................................... 254 1. Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides . ..... ..... ............. ..... 255
2. Prinzipienkollisionen.................................................................... 257 a) § 48 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwVfG .............................................. 257 aa) Vergleich mit dem Einvernehmenserfordernis des § 36 BauGB ...................................................................... 261 bb) § 50 VwVfG ...................................................................... 262 b) Ermessen .................................................................................. 265 c) Treu und Glauben .................................................................... 265 3. Aufhebungsfrist und Rückforderungs-Vertrauensschutz .............. 267 § 4 Rezeptionsfähigkeit des deutschen Rechts ....... .................... ........ .......... 270
1. Die Schranken für die Anwendbarkeit des nationalen VerwaItungsverfahrensrechts... ............. ....................... .................. .................. ..... 270 1. Effektivitätsgebot ......................................................................... 272 a) Rechtsetzungsauftrag an den nationalen Gesetzgeber. ............. 272
Inhaltsverzeichnis
16
b) Abwägungsentscheidungen als Einfallstor des Gemeinschaftsinteresses ......... .......... ... ....................... .................................... 273 aa) § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ................................................ 273 bb) Ermessen ........................................................................... 275 cc) Treu und Glauben .............................................................. 276 dd) Bewertung ......... .......... ...... ............ ... ................................. 277 c) Rechtsetzung durch den Europäischen Gerichtshof.. ............... 277 aa) Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs ................... 277
a) Verbandskompetenz der Europäischen Gemeinschaften ................ ..... ..... ..... ........... .................... ..... ..... 278 ~)
Organkompetenz des Europäischen Gerichtshofs ........ 278
y) Exkurs: Verwaltungsprozeßrecht ................................. 280 ö) Rechtsfolgen der Kompetenzüberschreitung ................ 282 bb) Materiellrechtliche Beurteilung......................................... 284 a) § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG .......................................... 284 ~)
Rückforderungs-Vertrauensschutz ............................... 286
y) Umgehung des nationalen Verfahrens .......................... 288 ö) Ausblick: Staatshaftung................................................ 289 2. Diskriminierungsverbot ................................................................ 291 a) Marktordnungssubventionen .................................................... 291 aa) Rücknahme und Rückforderung ........................................ 292 bb) Widerruf und Rückforderung ............................................ 293 b) Staatliche Beihilfen .................................................................. 294 11. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes .......... 295 Fazit .............................................................................................................. 297 Literaturverzeichnis.................................................................................... 301
Stichwortverzeichnis . .......... ........ .......... ........... .................... ... .......... ..... ..... 316
Abkünungsveneichnis
AVR
Archiv des Völkerrechts
C.D.E.
Cahiers de Droit Europeen
CMLRev.
Comn1on Market Law Review
E.L.Rev.
European Law Review
EPlL
Encyclopedia of Public International Law
ICJ
International Court of Justice
LlEI
Legal Issues of European Integration
NYIL
Netherlands Yearbook of International Law
PCIJ
Permanent Court of International Justice
RdC
Recueil des Cours de I' Academie de droit international de La Haye
Rev. Trim.Dr.Europ.
Revue Trimestrielle de Droit Europeen
Yrbk.ILC
Yearbook of the International Law Commission
ZUR
Zeitschrift für Umweltrecht
Im übrigen wird auf das Abkürzungsverzeichnis der Neuen Juristischen Wochenschrift verwiesen.
2 H. Milli..
Einleitung Der Einfluß der Gemeinschaftsrechtsordnung auf das deutsche Recht wird höchst unterschiedlich beurteilt, je nachdem ob der Betrachter auf der deutschen oder auf der europäischen Seite der Brücke steht, über die das Gemeinschaftsrecht nach Deutschland fließt.! Dies gilt auch für das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zu den Vorschriften des deutschen Rechts über die Aufhebung von Verwaltungsakten. Von der deutschen Seite der Brücke aus gesehen, wird der gemeinschaftsrechtIiche Einfluß als Einbruch in gewachsene Strukturen des deutschen Rechts bewertet, 2 der mit einer deutlichen Absenkung des tatsächlich gewährten Vertrauensschutzes einhergeht. 3 Steht der Betrachter auf der europäischen Seite der Brücke, so ist das nationale Verwaltungsrecht4 bloß Mittel zum Zweck einer effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Bei dieser Sichtweise haben die Strukturen des nationalen Verwaltungsrechts keinen Eigenwert5 mit der Folge, daß sie beliebig überformt werden können. Die letztgenannte Perspektive führt zu einer funktionalen Indienstnahme der §§ 48 ff. VwVfG zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Dieser Ansatzpunkt ist nicht dazu angetan, dogmatische Begründungswege für die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf die §§ 48 ff. VwVfG offenzulegen. Er bleibt daher im Rahmen der vorliegenden Abhandlung außer acht. Das Erkenntnisinteresse richtet sich vielmehr darauf, ob die §§ 48 ff. VwVfG strukturell geeignet sind, den an sie herangetragenen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen. Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst eine Durchdringung der Vorschriften des deutschen Rechts über die Aufhebung von Verwaltungsakten vonnöten (1. Teil), sodann eine Untersuchung der Grundsätze und Regeln, die das Gemeinschaftsrecht zur Aufhebung von Entscheidungen bereithält (2. Teil). Erst wenn sich beide Rechtsordnungen als strukturell kompatibel erweisen, I Plastisch Kirchhof, DRiZ 1995,253,259: "Das deutsche Zustimmungsgesetz ist die alleinige Brücke, über die Europarecht rechtsverbindlich nach Deutschland fließt ...". Dieses Bild aufnehmend: Hirsch, NJW 1996,2457,2466. 2 Kokott, DVBI. 1993, 1235, 1236. 3 von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 292. 4 Die §§ 48 ff. VwVfG sind trotz ihrer Stellung im Verwaltungsverfahrensgesetz systematisch dem materiellen Verwaltungsrecht zuzuordnen (Sachs in: Stelkens/BonkJSachs, VwVfG, § 48, Rdnr. 2 in bezug auf die §§ 48 und 49 VwVfG; Paul Sielkens/Schmitz in: Slelkens/BonkJSachs, VwVfG, § 9, Rdnr. 26 in bezug auf § 50 VwVfG). 5 Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), 154, 199 - These 31.
20
Einleitung
können in einem dritten Schritt die Verzahnungsfälle erörtert werden, in denen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften und die zu ihrem Vollzug erforderlichen Vorschriften der §§ 48 ff. VwVfG ineinandergreifen (3. Teil). Greifen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften und die §§ 48 ff. VwVfG ineinander, so unterwirft der Europäische Gerichtshof die Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG dem Effektivitätsgebot und dem Diskriminierungsverbot (3. Teil §§ 2 bis 4). Diese Einwirkung der Gemeinschaftsrechtsordnung auf die deutschen Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten wird unter den Begriff der Europäisierung gefaßt. 6 Die Gliederung der vorliegenden Abhandlung in drei Teile (Deutsches Recht - Gemeinschaftsrecht - Verzahnung) darf nicht den Blick dafür verstellen, daß die §§ 48 ff. VwVfG auch außerhalb der als Europäisierung bezeichneten Einwirkung dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts unterliegen. Dabei handelt es sich um die von Verwaltung und Rechtsprechung autonom vollzogene Gleichstellung des Gemeinschaftsrechts mit den Referenzgebieten des besonderen Verwaltungsrechts. 7 Schließlich wird in Ansätzen eine freiwillige Rezeption gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze X in Aufhebungsfällen erkennbar, deren Sachverhalt keinen Gemeinschaftsbezug aufweist. 9
(, Schach, JZ 1995, 109, 111. Zur Funktion der Referenzgebiete des besonderen Verwaltungsrechts f1ir das allgemeine Verwaltungsrecht vgl. Schmidt-Aßmann, Reform, S. 11, 14 f. K Zu dieser Erscheinungsform vgl. Schwarze, Europäisierung, S.789, 825; ders., EuR 1997,419,422. y Fallbeispiel: 1. Teil § 3 I. 2. erster Absatz am Ende. 7
1. Teil
Die Aufhebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht Die Aufhebung eines Verwaltungsakts beendet seine Wirksamkeit. Diese einfache Feststellung schlägt den Bogen zum Erlaß des Verwaltungsakts, mit dem seine Wirksamkeit beginnt. Damit ist zugleich die grundlegende Aussage zum Stellenwert der Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten getroffen. Sie stehen in einer Reihe mit den Maßstabsnormen, I die für den Erlaß des jeweiligen Verwaltungsakts gelten. Das Verwaltungsverfahrensgesetz enthält mit den §§ 48 ff. allgemeine Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten, die trotz der ihnen anhaftenden Subsidiarität eine systembildende Wirkung haben. Dies rechtfertigt es, die Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten im deutschen Verwaltungsrecht 2 konzeptionell an den §§ 48 ff. VwVfG auszurichten. Über der einfachgesetzlichen Ebene der §§ 48 ff. VwVfG muß, wenn die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts in Rede steht, stets der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes 3 im Blick behalten werden. Um die Verzahnungsfälle, in denen Gemeinschaftsrecht und deutsche Aufhebungsvorschriften ineinandergreifen, später sachgerecht beurteilen zu können, bedarf es schließlich einer Betrachtung von vergleichbaren Konstellationen, die im deutschen Verwaltungsrecht vorkommen.
§ 1 Autbebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes Die Vorschriften über die Rücknahme (§ 48 VwVfG) und den Widerruf (§ 49 VwVfG) wirken sich auf den Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ebenso aus wie die Maßstabsnormen, die bei seinem Erlaß zu beachten sind. Deshalb wird im folgenden zunächst der Zusammenhang zwischen Erlaß und Aufhebung eines Verwaltungsakts hergestellt.
Zur Maßstabslehre vgl. Schmidt-Aßmann, VBIBW 1988,381,384. Systematisch sind die Autbebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes dem materiellen Verwaltungsrecht zuzuordnen (Sachs in: Ste/kensIBonkJSachs, VwVfG, § 48, Rdnr. 2 in bezug auf die §§ 48 und 49 VwVfG; Pau/ Ste/kens/Schmitz in: Ste/kenslBonkJSachs, VwVfG, § 9, Rdnr. 26 in bezug auf § 50 VwVfG). 3 Vgl. unten 1. Teil § 2 vor I. I
2
22
1. Teil: Die Aufhebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
I. Der Verwaltungsakt als administrative Handlungsform
Mit dem Verwaltungsakt steht der Verwaltung eine Handlungsform zu Gebote, die ihr die einseitige und verbindliche Gestaltung eines Lebenssachverhalts ermöglicht. 4 Sofern der Verwaltungsakt nicht aufgehoben wird oder sich sonst erledigt, hat die getroffene Regelung ein für allemal Bestand (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Die Rücknahme des Verwaltungsakts geht darauf zurück, daß die Behörde bei seinem Erlaß den ihr durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gesteckten Handlungsrahmen überschritten hat. Demgegenüber dient der Widerruf des Verwaltungsakts der Flexibilität administrativen Handelns. Die Rechtsbeziehungen zwischen der Verwaltung und den Betroffenen liegen mit dem Erlaß des Verwaltungsakts nicht unabänderlich fest, sondern entwickeln sich dynamisch weiter. Die Weiterentwicklung der Rechtsbeziehungen kann zu einer mehr oder weniger starken Divergenz mit der statischen Regelung des Verwaltungsakts führen. Solch veränderten Umständen kann die Verwaltung Rechnung tragen, indem sie den Verwaltungsakt widerruft oder indem sie, sofern diese Möglichkeit vorgesehen ist, nachträgliche Anordnungen trifft. 5 Daneben hat der Gesetzgeber den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte auch als Sanktion ausgestaltet. 6
I. Erlaß des Verwaltungsakts
Der Verwaltungsakt bestimmt gegenüber dem Bürger im Einzelfall, was für ihn Rechtens sein soll. Diese Definition von Otto Mayer aus dem Jahre 1895/ die nach wie vor zutreffend ist, betont die Stabilisierungsfunktion des Verwaltungsakts. Daneben wird in neuerer Zeit die instrumentelle Funktion des Verwaltungsakts als Steuerungsinstrument in den Händen der Verwaltung hervorgehoben. 8
a) Stabilisierung der Rechtslage Die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung ist eine verbindliche Anwendung abstrakter Rechtssätze auf den konkreten Fall. Solange die Rege-
Paul Sielkens/Ulrich Sielkens in: Slelkens/BonkiSachs, VwVfG, § 35, Rdnr. 77. Vgl. Schoch, Verwaltungsakt, S. 199,234 f. h Vgl. dazu unten 1. Teil § 1 IlI. 2. c). 7 0110 Mayer, Verwaltungsrecht, S. 95: "Der Verwaltungsakt ist ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unterthanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll". K &·hoch, Verwaltungsakt, S. 199,207. 4
5
§ 1 Autbebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes
23
lung in Kraft ist, hindert sie den Rückgriff auf das ihr zugrunde liegende Recht. Dies macht den Verwaltungsakt zu einer Rechtsquelle. 9 Sowohl für die Verwaltung als auch für die Betroffenen ist die Regelung des Verwaltungsakts künftig maßgeblich, was allen Beteiligten10 Rechtssicherheit verschafft. Seine stabilisierende Wirkung kann der Verwaltungsakt nur entfalten, weil auch der rechtswidrige Verwaltungsakt grundsätzlich wirksam ist. Erst der Grundsatz der fehlerunabhängigen Wirksamkeit macht den Rückgriff auf das dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Recht entbehrlich. Besonders deutlich wird die StabiIisierungsleistung des Verwaltungsakts bei einem Blick auf das Baurecht. 11 Die Beschleunigungsgesetzgebung der Länder auf dem Gebiet des Bauordnungsrechts hat die Baugenehmigung als zentrales Ordnungsinstrument des Baurechts zurückgedrängt, dabei aber die materielle Regelungsdichte unverändert gelassen. 12 Die Baugenehmigung stellt sowohl für den Bauherrn als auch für die Nachbarn verbindlich fest, daß das geplante Vorhaben mit dem öffentlichen Recht vereinbar ist; zu diesem feststellenden Teil der Baugenehmigung tritt noch ein verfügender Teil hinzu, der den Bau zur Ausführung freigibt. 13 Die Ordnungs- und Vergewisserungsfunktion l4 der Baugenehmigung fehlt beim genehmigungsfreien Bauen. Der Bauherr trägt das Risiko für die materielle Rechtmäßigkeit seines Vorhabens. 15 Mit der fehlenden Rechts- und Investitionssicherheit auf seiten des Bauherrn geht ein erhöhtes Risiko auf seiten der Nachbarn einher, ein rechtswidriges Vorhaben hinnehmen zu müssen. Dies tritt zutage, wenn sich ein Nachbar gegen das geplante Vorhaben gerichtlich zur Wehr setzt. Um nicht am Ende vor vollendeten Tatsachen zu stehen, muß der Nachbar gegen das Bauvorhaben im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorgehen (§ 123 VwGO). Der Anordnungsanspruch zielt darauf, daß die Baugenehmigungsbehörde gegenüber dem Bauherrn eine Untersagungsverfügung erläßt (z. B. § 47 Abs. 1 BadWürttLBO). Der Anordnungsanspruch ist nur gegeben, wenn erstens nachbarschützende Vorschriften offensichtlich verletzt sind und wenn zweitens das der Behörde in § 47 Abs. 1 BadWürttLBO eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist. 11> Geht hingegen ein Nachbar gegen eine Baugenehmigung vor, hat sein Antrag nach § 80a VwGO auf Aussetzung der Voll-
Siephan Becker, Bindungswirkung, S. 81; Seiberl, Bindungswirkung, S. 192. Der Begriff des Beteiligten ist hier nicht im Sinne des § 13 VwVfG, sondern untechnisch zu verstehen. 11 Zur Funktion der Referenzgebiete des besonderen Verwaltungsrechts für das allgemeine Verwaltungsrecht vgl. Schmidl-Aßmann, Reform, S. 11, 14 f. 12 Degenharl, NJW 1996, 1433; Preschel, DÖV 1998,45. 13 Grolejels in: Hoppe/Grolejels, Baurecht, § 15, Rdnr. 40. 14 Vgl. Schupperl, Steuerung, S. 65,99. 15 Preschel, DÖV 1998,45,46. 16 Degenharl, NJW 1996, 1433, 1436; Preschel, DÖV 1998,45,53. 9
10
24
1. Teil: Die Autbebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
ziehung 17 bereits Erfolg, wenn nachbarschützende Vorschriften offensichtlich verletzt sind. 18 Damit ist das Risiko des Nachbarn, ein rechtswidriges Vorhaben dulden zu müssen, beim genehmigungsfreien Bauen höher als bei genehmigungsptlichtigen Bauvorhaben. Das genehmigungsfreie Bauen enthebt die Baugenehmigungsbehörde ihrer Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des Vorhabens und verteilt das Risiko seiner Rechtswidrigkeit zu gleichen Teilen auf den Bauherrn und die Nachbarn. 19 Das Fehlen der stabilisierenden Wirkung einer Baugenehmigung erzeugt Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten.
b) Verwaltungsakt als Steuerungsinstrument Mit der Stabilisierungsleistung ist nur die Wirkung umschrieben, die der Verwaltungsakt als Produkt und Schlußpunkt des Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 9 VwVfG hat. Über seine Funktionen als administrative Handlung ist damit noch nichts gesagt. Im Kanon mit den übrigen Rechtsformen des Verwaltungshandelns dient der Verwaltungsakt der Verwirklichung der Verwaltungsaufgaben und der Wahrung der Interessen der Betroffenen. 2o Zweckverwirklichung und Interessenwahrung21 als Funktionen und Leistungen des Verwaltungsakts anzuerkennen, setzt freilich voraus, in ihm nicht nur einen von der Verwaltung zu vollziehenden Akt der Rechtserkenntnis zu sehen. Wenn die Maßstabsnormen final programmiert sind,22 scheidet es von vornherein aus, den Verwaltungsakt als Erkenntnisakt zu qualifizieren. Denn das Finalprogramm gibt der Verwaltung lediglich auf, bestimmte Ziele zu erreichen und dafür geeignete Mittel zu finden, während alles weitere dem Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Verwaltung überlassen bleibt. Näherer Betrachtung bedürfen allerdings Entscheidungen aufgrund konditional programmierter Maßstabsnormen. 17 Der Widerspruch des Nachbarn gegen eine Baugenehmigung hat gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz I Nr.3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung. IK Mampel, NVwZ 1996, 1160, 1165; Ortloff, NVwZ 1996,647,654. I~ Der Erlaß einer Untersagungsverfügung, auf den der Antrag des Nachbarn nach § 123 VwGO gerichtet ist, steht im Ermessen der Behörde (§ 47 Abs. 1 BadWürttLBO). Hier vorschnell eine Ermessensreduzierung auf Null und damit einen Anspruch des Nachbarn auf Erlaß einer Untersagungsverfügung anzunehmen, würde der vom Gesetzgeber vorgenommenen Risikoverteilung nicht gerecht. Eine einseitige Betonung des Nachbarschutzes ist deshalb nicht angezeigt (so aber VGH Baden-Württemberg, 18. Februar 1997,3 S 3419/96, DÖV 1997, 1056 und Kraji, VerwArch. 89 (1998], 264, 286 ff.). zu Schmidt-Aßmann, DVBI. 1989,533,535. 21 Schoch, Verwaltungsakt, S. 199,209. 22 Die Verwaltungslehre unterscheidet zwischen dem Konditionalprogramm und dem Zweck- oder Finalprogramm. Grundlegend zu dieser Unterscheidung: Luhmann, Recht und Automation, S. 36 ff. Ebenso BVerfGE 95, I, 16.
§ 1 Aufhebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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Konditional programmierte Normen sind nach Tatbestand und Rechtsfolge gegliedert (Wenn-Dann-Struktur). Beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (Tatbestand) hat die Verwaltung eine bestimmte Maßnahme (Rechtsfolge) zu ergreifen. 23 Hier gilt das Subsumtionsdogma der einen richtigen Entscheidung,24 das sich aus der spezifisch gerichtsgeprägten Gewaltenteilung des Grundgesetzes2S ergibt. Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgt die tatsächliche Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes. 26 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt dies grundsätzlich eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall Rechtens ist, aus. 27 Dieses Dogma28 der nachvollziehenden Verwaltungskontrolle bedarf der methodischen Umsetzung: Sofern der Gesetzgeber das Entscheidungsprogramm für die Verwaltung in konditional strukturierte Tatbestände faßt, muß die widerlegliche Vermutung gelten, daß er inhaltliche Steuerungsbegriffe verwendet, die das Verwaltungshandeln vollständig binden. 29 Denn nur vollständig gebundenes Verwaltungshandeln kann von den Gerichten vollständig überprüft werden. 30 Die Vermutung, das Verwaltungshandeln sei vollständig gebunden, ist widerlegt, wenn konditional programmierte Normen eine Beurteilungs- oder Ermessensermächtigung enthalten. Ist das Verwaltungshandeln vollständig gebunden, kann es im jeweiligen Einzelfall nur eine richtige Entscheidung geben. Verwaltung und Gerichten obliegt es gleichermaßen, den Rechtsgehalt der Gesetzesbegriffe unter Heranziehung der juristischen Auslegungsmethoden zu bestimmen. Das Gericht tritt bei der Rechtsanwendung an die Stelle der Behörde, so daß die Entscheidung der Verwaltung folgenlos bleibt. 3 ) Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG muß deshalb aus rechtsdogmatischen Gründen 32 an der Figur der eiKoch, Abwägung, S. 9, 15. Zum Begriff vgl. Hili, Fehlerhaftes Verfahren, S. 115; Pietzcker, VVDStRL 41 (1982),193,223 f.; Schoch, Die Verwaltung 25 (1992),21,46 f. 25 Schmidt-Aßmann in: SchochiSchmidt-AßmanniPietzner, VwGO, Einleitung, Rdnr. 60; ders., DVBI. 1997,281,283. 26 BVerfGE 35, 382, 401 f.; st. Rspr.; aus neuerer Zeit BVerfGE 93, 1, 13. 27 BVerfGE 61, 82, 111 unter Verweis auf BVerfGE 15,275,282. Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, S. 124 und S. 132 ff. verwirft bereits diesen dogmatischen Aus23
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gangspunkt und entwickelt ein eigenes Konzept zur Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte. 2K Begriff bei Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 185 und bei dems., DVBI. 1997,281,283. 2'1 Gerhardt in: SchochiSchmidt-Aßmann;Pietzner, VwGO, Vorb § 113, Rdnr. 32. 30 Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Verwaltung, vgl. BVerfGE 88, 40, 56. 31 Brenner, Die Verwaltung 31 (1998), 1, 23; Gerhardt in: SchochiSchmidtAßmanniPietzner, VwGO, Vorb § 113, Rdnr. 19. 32 Vgl. Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 21, 46 f.
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1. Teil: Oie Autbebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
nen richtigen Entscheidung festgehalten werden. 33 Der Satz, bei konditional strukturierten Tatbeständen gebe es jeweils nur eine richtige Entscheidung, läßt sich jedoch erkenntnistheoretisch nicht begründen. Ob es sich bei der Figur der einen richtigen Entscheidung um eine Fiktion34 oder um eine regulative Idee 35 handelt, mag hier dahinstehen. Jedenfalls stellt das Gesetz keinen Speicher fertiger Antworten dar. Die rechtlichen Instrumente der Steuerung sind regelmäßig weniger komplex als die von ihnen zu gestaltende Wirklichkeit. 36 Die Anwendung des Gesetzes auf den Einzelfall ist daher kein bloßer Akt der Rechtserkenntnis. 37 Aus der Sicht der Verwaltungslehre beinhaltet auch das gebundene Verwaltungshandeln grundsätzlich eine eigenständige Konkretisierungsleistung der Verwaltung. 3lI In dieser eigenständigen Konkretisierungsleistung39 kommt die instrumentelle Funktion des Verwaltungsakts ebenso zum Tragen wie bei einer Verwaltungsentscheidung aufgrund einer Beurteilungs- oder Ermessensermächtigung. Wiederum soll ein Blick auf das Baurecht das soeben Gesagte verdeutlichen. Die Baugenehmigung als (scheinbar)40 typische Kontrollerlaubnis ist eine gebundene Entscheidung. 41 Sie dient der Durchsetzung der städtebaulichen Ordnung (Zweckverwirklichung) und der Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen (Interessenwahrung). Insbesondere die Erteilung einer Baugenehmigung im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) geht mit ihren planerischen Elementen über den ordnungsrechtlichen Rahmen hinaus. Darin einen bloßen Akt der Rechtserkenntnis zu sehen, ist aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht nicht möglich. Vielmehr läßt sich die Erteilung einer Baugenehmigung nur mit dem Gestaltungsauftrag der Verwaltung erklären. Die Baugenehmigung hat zugleich eine Stabilisierungs- und Steuerungsfunktion.
33 von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S.83 unterstreicht die besondere Systemprägung, die das Verwaltungsrecht durch den Grundsatz der vollständigen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen erfahren hat. 34 Gerhardt in: SchochiSchmidt-AßmanniPietzner, VwGO, Vorb § 113, Rdnr. 24; Pietzcker, VVOStRL 41 (1982), 193,224. 3~ .1Iexy, JZ 1986,701,715. 36 Iloffmann-Riem, OÖV 1997,433,439. 37 Schmidt-Aßmann in: MaunzlDürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 182. 3K Vgl. Schmidt-Aßmann in: SchochiSchmidt-AßmanniPietzner, VwGO, Einleitung, Rdnr. 58; Smeddinck, OÖV 1998,370,371 f. 39 Oie Verwaltung ist nämlich nicht nur Steuerungsobjekt des rechtsnormativen Programms, sondern zugleich Steuerungssubjekt gegenüber den Betroffenen (HoffmannRiem,OÖV 1997,433,439). 411 Wahl, OVBI. 1982,51,56. 41 Vgl. nur FinkelnburglOrtloff, Baurecht, Band 2, § 8 11 1.
§ 1 Aufhebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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2. Verwaltungsrechtsverhältnis
Die Aufbebung des Verwaltungsakts kann nur im Zusammenhang mit seinem Erlaß sachgerecht beurteilt werden. Für die nötige Gesamtschau sorgt hier die Rechtsverhältnislehre. Das Verwaltungsrechtsverhältnis ist ein Ordnungsrahmen,42 in den sich Erlaß und Aufhebung des Verwaltungsakts gleichermaßen einfügen. 43 Definiert wird das Verwaltungsrechtsverhältnis als ein zusammenhängendes, auf Dauer angelegtes, entwicklungsoffenes System von Rechten und Pflichten, Befugnissen und Lasten zwischen zwei oder mehreren Rechtssubjekten. 44 Das Denken vom Rechtsverhältnis her ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der jeweiligen Rechtsbeziehungen. 45 In zeitlicher Hinsicht weist die Rechtsverhältnislehre über das punktuelle Ereignis der einzelnen Verwaltungsentscheidung hinaus, weil das Rechtsverhältnis per definitionem den Faktor "Zeit" berücksichtigt. 46 Die Rechtsbeziehungen der Beteiligten47 entwickeln sich in dem als Rechtsverhältnis bezeichneten System entlang einer gedachten Zeitachse, die als von links nach rechts laufend definiert sei. Auf dieser Zeitachse stellt sowohl der Erlaß als auch die Aufhebung des Verwaltungsakts jeweils ein punktuelles Ereignis dar. Beide Verwaltungsentscheidungen sind aber durch die Zeitachse miteinander verbunden. Vor dem Erlaß des Verwaltungsakts erstreckt sich auf der Zeitachse das Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG; der Aufhebung des Verwaltungsakts gehen das Wiederaufgreifensverfahren48 und das Aufhebungsverfahren (§ 9 VwVfG) voraus. Zwischen dem Erlaßzeitpunkt und
42 Zum Verwaltungsrechtsverhältnis als Ordnungsrahmen: Schoch, Verwaltungsakt, S. 199, 211 ff. 43 Zur Komplementarität von Verwaltungsakt und Verwaltungsrechtsverhältnis: von Danwilz, Die Verwaltung 30 (1997), 339, 344; Gräschner, Die Verwaltung 30 (1997), 301,320 ff. 44 llill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 272 f. 45 Henneke, DÖV 1997, 768, 773. 46 Diese Leistung des Rechtsverhältnisses stellt Pielzcker, Die Verwaltung 30 (1997), 281,293 f. in Abrede. Darüber hinaus hält er die Rechtsverhältnislehre schlichtweg für überflüssig. 47 Der Begriff des Beteiligten ist hier nicht im Sinne des § 13 VwVfG, sondern untechnisch zu verstehen. 4K Das Wiederaufgreifen erfolgt von Amts wegen oder auf Antrag des Betroffenen. Im Wiederaufgreifensverfahren entscheidet die Verwaltung, ob sie ein Aufhebungsverfahren durchführt (§ 22 Satz 1 VwVfG). Die Entscheidung über das Wiederaufgreifen stellt lediglich eine interne Entscheidungsstufe dar; als eigenständiger Verfahrensverwaltungsakt ergeht sie nur, wenn der Betroffene zuvor einen Wiederaufgreifensantrag gestellt hat (Se/mer, JuS 1987,363,366; BVerwG, 10. August 1995,7 B 296.95, Buchholz 114 § 2 Nr. 3 = VIZ 1995,656 = ZOV 1995,384). Der in § 51 VwVfG geregelte Spezial fall des Wiederaufgreifens (vgl. Hili, NVwZ 1985, 449, 452) bleibt hier außer acht.
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1. Teil: Die Autbebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
dem Wiederaufgreifensverfahren befindet sich ebenfalls kein rechtliches Vakuum. Die auch in dieser Phase bestehenden Rechtsbeziehungen äußern sich beispielsweise in Überwachungspflichten der Verwaltung oder in Mitteilungspflichten der Betroffenen. Die Denkfigur der Zeitachse verdeutlicht, daß Erlaß und Aufhebung des Verwaltungsakts nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern in die fortdauernde Entwicklung der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten eingebettet sind. Die Aufhebung des Verwaltungsakts stellt deshalb auch keinen Einbruch in seinen Regelungsgehalt dar. 49 Vielmehr wird der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts durch die Aufhebungsvorschriften in gleicher Weise bestimmt wie durch das Normenprogramm, das den Erlaß des Verwaltungsakts steuert. Weiterhin leistet die Rechtsverhältnislehre durch ihren ganzheitlichen Ansatz einen entscheidenden Beitrag zur Integration mehrpoliger Rechtsbeziehungen in das überkommene Grundmodell der zweiseitigen Rechtsbeziehung zwischen Verwaltung und Bürger. Die Aufhebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes basieren auf dem Grundsatz, daß das öffentliche Interesse der Verwaltung und das private Interesse des Begünstigten einander gegenüberstehen. Gang und gäbe ist jedoch das Betroffensein privater Dritter. Die konfligierenden Interessen müssen dann zwischen mehreren Rechtssubjekten zum Ausgleich gebracht werden. 50 Typisches Beispiel für ein mehrpoliges Interessengeflecht ist die Erteilung oder Aufhebung einer Baugenehmigung. So findet etwa bei der Rücknahme einer Baugenehmigung auch das Interesse des Nachbarn Berücksichtigung. Nach der dem § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entsprechenden Vorschrift des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes steht die Rücknahme der Baugenehmigung im Ermessen der Verwaltung. Das Bundesverwaltungsgericht legt § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG verfassungskonform dahin aus, daß im Rahmen des Ermessens eine Vertrauensschutzprüfung stattzufinden hat. 5l Unter das öffentliche Interesse an der Aufhebung, das im Rahmen dieser Prüfung gegen das private Interesse des Bauherrn abzuwägen ist, fällt auch das private Aufhebungsinteresse des Nachbarn, sofern er in eigenen Rechten verletzt ist. 52 Denn der Verwaltung kommt eine Gesamtverantwortung für die Regelung 4~ So aber die Formulierung in BVerwGE 55, 118, 122 (in bezug auf eine nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1 BlmSchG). 5U Prägnant BVerwG, 21. Mai 1997, 11 C 1.96, Buchholz 451.171 § 9b Nr. 1 = DVBI. 1998,38 = NJ 1997,603 = NVwZ 1998,281 = UPR 1997,465 = ZUR 1997, 321 in bezug auf den Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses. 51 BVerwG, 1993-03-23, 9 B 375.92, juris. 52 Das Autbebungsinteresse des Nachbarn geht als Folgenbeseitigungslast der Verwaltung in die Ermessensabwägung ein. Das Gewicht der Folgenbeseitigungslast kann allerdings nur im Zusammenhang mit den Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Nachbarn bestimmt werden. Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Baugenehmigung gegenüber dem Nachbarn braucht der Bauherr nicht mehr damit zu rechnen, daß die Baugenehmigung im Interesse des Nachbarn aufgehoben wird. Die Folgenbeseitigungslast fällt
§ 1 Autbebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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aller in Rede stehenden Rechtsbeziehungen ZU. 53 Als falsch entpuppt sich damit die These, der Konflikt zwischen Bauherr und Nachbar sei der Sache nach eine Auseinandersetzung unter Privaten.54 Die Rechtsverhältnislehre ermöglicht es schließlich, die Änderung eines Verwaltungsakts sachgerecht einzuordnen. Bei einer Änderung wird der Verwaltungsakt (teilweise) aufgehoben und der aufgehobene (Teil des) Verwaltungsakt(s) durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt. 55 Beide Entscheidungsschritte erfolgen jedoch im selben Zeitpunkt. Das Modell der Zeitachse befördert hier die Erkenntnis, daß der Begriff der Änderung lediglich eine zeitliche Koinzidenz zweier Entscheidungen beschreibt, die auch voneinander abgeschichtet ergehen könnten. Aus dieser Einsicht ergibt sich ohne weiteres der Anwendungsbereich der §§ 48 ff. VwVfG bei der Änderung eines Verwaltungsakts. Die Aufhebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes betreffen nur den Entscheidungsschritt der Aufhebung; für den Erlaß des neuen Verwaltungsakts enthalten sie keine Maßgaben.56
3. Aufhebung des Verwaltungsakts
Sowohl rechtswidrige als auch rechtmäßige Verwaltungsakte können aufgehoben werden. Erläßt die Behörde einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, überschreitet.sie den Handlungsrahmen, der ihr durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gesteckt ist. Zweck der Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ist deshalb die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes. Hebt die Behörde hingegen einen rechtmäßigen Verwaltungsakt auf, hat dies mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nichts zu tun. Das Spektrum der Aufhebungszwecke ist bei rechtmäßigen Verwaltungsakten grundsätzlich ebenso weit wie das Spektrum der Zwecke, welche die Behörde mit dem Erlaß von Verwaltungsakten verfolgen kann. Hinzu kommt noch die als Sanktion konzipierte Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte.
deshalb ab diesem Zeitpunkt im Rahmen der Ermessensabwägung nicht mehr ins Gewicht. Vgl. unten 1. Teil § 3 11. (zur Rücknahme bei versagtem Einvernehmen der Gemeinde). 53 Preschet, DÖV 1998,45. 54 Vgl. Schoch, Verwaltungsakt, S. 199,220 f. 55 Ute/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 61, Rdnr. 1. 56 Vgl. das Fazit von Stetkens, JuS 1984,930,937.
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1. Teil: Die Aufltebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
a) Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ermächtigt zur Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bezieht sich auf den Zeitpunkt seines Erlasses. 57 Tatsächliche oder rechtliche Umstände, die nach dem Erlaß des Verwaltungsakts eintreten, haben nach der Konzeption des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit keinen Einfluß mehr. Diese Fixierung der maßgeblichen Umstände auf den Erlaßzeitpunkt des Verwaltungsakts sorgt für eine Abschichtung des Verfahrens zur Würdigung neuer Umstände. 58 Die zeitliche Abschichtung innerhalb eines Lebenssachverhalts ist ein Erkenntnisgewinn, der auf die Rechtsverhältnislehre zurückgeht. Im Ordnungsrahmen des Verwaltungsrechtsverhältnisses markiert der Erlaß eines Verwaltungsakts ein punktuelles Ereignis auf der von links nach rechts verlaufenden Zeitachse. Der Verwaltungsakt bewirkt eine Zäsur, indem er - bezogen auf die im Erlaßzeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage - eine verbindliche Regelung trifft. Der bis dahin entstandene Verfahrensstoff erledigt sich durch Verbescheidung. 59 Mehr kann der Verwaltungsakt nicht leisten. Nach dem Erlaß des Verwaltungsakts entstehende Umstände liegen auf der Zeitachse rechts des Erlaßzeitpunkts und können nur in einer weiter rechts liegenden - mithin zeitlich späteren - Verwaltungsentscheidung berücksichtigt werden. Nachträgliche Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die den Erlaß des Verwaltungsakts getragen haben, können zwar dazu führen, daß der Verwaltungsakt von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr mit der Rechtsordnung in Einklang steht. Diesen nachträglichen Änderungen Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der einmal ergangenen Verwaltungsentscheidung beizumessen, würde aber der zeitlichen Dimension des Rechtsverhältnisses nicht gerecht. Im System des Verwaltungsrechtsverhältnisses ist eine Bewegung nach links auf der Zeitachse nicht vorgesehen, weil diese Bewegung seiner ordnenden Funktion widerspräche. Die entlastende Wirkung des systematischen Denkens vom Rechtsverhältnis her liegt gerade in der zeitlichen Abschichtung des Lebenssachverhalts entlang der von links nach rechts verlaufenden Zeitachse.
BT-Dr 7/910, S. 68. Vgl. Gerhardt in: Schoch/Schmidt-AßmanniPietzner, VwGO, § 113, Rdnr.21, Fußnote 109. 5Y Zur Erledigung des Verfahrensstoffes durch Verbescheidung vgl. BVerwG, 15. September 1992, 9 B 18.92, Buchholz 412.3 § 6 Nr. 69 = BayVBI. 1993, 120 = NVwZ-RR 1993,667. 57 SM
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aa) Vergleich mit § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO Die Konzeption der auf den Erlaßzeitpunkt bezogenen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ist nicht mehr unbestritten. Insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei der Anfechtungsklage hat die Diskussion um den Rechtswidrigkeitsbegriff der §§ 48 und 49 VwVfG beeinflußt. Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist der (prozessuale) Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Verwaltungsakts aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. 60 Nach prozeßrechtlichen Grundsätzen hat eine Klage nur Erfolg, wenn das Klagebegehren im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Sachlage)61 resp. im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Rechtslage)62 begründet ist. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts richtet sich dem Bundesverwaltungsgericht zufolge jedoch nach dem jeweiligen materiellen Recht. 63 Im Zweifel gelte die Regel, daß bei Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend sei, bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung hingegen auch spätere Veränderungen der Sach- oder Rechtslage zu berücksichtigen seien. 64 Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals "rechtswidrig" in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist von einigen Stimmen in der Literatur unbesehen auf das entsprechende Tatbestandsmerkmal in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG übertragen worden. 65 Danach soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung durch eine Veränderung der Sach- oder Rechtslage nachträglich im Sinne des § 48 VwVfG rechtswidrig werden können. Eine übereinstimmende Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nach den §§ 113 Abs.1 Satz 1 VwGO und 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wäre jedoch nur möglich, wenn beiden Vorschriften derselbe Aufhebungsanspruch zugrunde läge. In der Tat wird die Auffassung vertreten, § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG enthalte einen strikten Anspruch des Betroffenen gegen
60 Detterbeck, Streitgegenstand, S. 156 ff.; ihm folgend Gerhardt in: SchochiSchmidt-AßmanniPietzner, VwGO, Vorb § 113, Rdnr. 3. Zu abweichenden Ansichten vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 154 ff. öl BVerwGE 78, 243, 244; BVerwGE 92, 32, 35. ö2 BVerwGE 97, 79, 81 f. ö3 BVerwGE 78, 243, 244; BVerwGE 92, 32, 35; BVerwGE 97, 79, 82; BVerwG, 8. April 1997,1 C 7.93, DVBI. 1998, 139, 140. M BVerwGE 92, 32, 35 (in bezug auf die maßgebliche Sachlage). h5 K/ein/ein, VerwArch 81. (1990), 149, 154: "parallele Problematik"; Mager, Recht Das Verwaltungsverfahrensgesetz trat am I. Januar 1977 in Kraft (§ 103 Abs. 1 VwVfG). 157 Hüberte, Festschrift für Boorberg Verlag, S. 47,85 ff. 15M Vg\. BVerwG, 4. August 1993,3 B 7.93, DVB\. 1994,481 = NVwZ-RR 1994, 388 (in bezug auf § 48 Abs. 4 VwVfG). IW SO aber Kokott, DVB\. 1993, 1235, 1236. IhO § 48 Abs.3 VwVfG enthält keine negative Authebungsvoraussetzung, sondern gewährt dem Betroffenen lediglich einen Anspruch auf Ausgleich des durch die Authe153
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und Abs. 4 VwVfG entspricht. Das Waffengesetz soll einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit leisten. 161 Der Gesetzgeber will auf dem Gebiet des Waffenrechts einen gesetzwidrigen Zustand schlechterdings nicht hinnehmen,162 um Gefahren für Leben und Gesundheit Dritter abzuwehren. Deshalb räumt er bereits auf der abstrakt-generellen Ebene dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung den Vorrang vor dem Prinzip des Vertrauensschutzes ein. 163 Der Wille des Gesetzgebers kommt in der Rücknahmepflicht des § 47 Abs. 1 WaffG zum Ausdruck. Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge schließt der Zweck des Waffengesetzes die Anwendung des § 48 VwVfG völlig aus;11l4 § 48 Abs. 4 VwVfG, der seinem Wortlaut nach mit § 47 Abs. 1 WaffG verträglich wäre, findet keine Anwendung. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 WaffG muß eine waffenrechtIiche Erlaubnis oder Zulassung widerrufen werden, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. § 47 Abs. 2 Satz 1 WaffG konkurriert mit der Vorschrift des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes, die dem § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 2 VwVfG entspricht. Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt § 47 Abs. 2 Satz 1 WaffG unter Hinweis auf den Gesetzeszweck gleichermaßen als abschließende Regelung, so daß eine Anwendung des § 49 VwVfG - insbesondere des § 49 Abs.2 Satz 2 i.V. mit § 48 Abs.4 Satz 1 VwVfG - ausscheidet. 165 Nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 GastG muß eine Gaststättenerlaubnis aufgehoben werden, wenn der Gewerbetreibende entweder von Anfang an unzuverlässig war oder nachträglich unzuverlässig geworden ist. Das Gaststättengesetz dient dem Schutz der Gäste und der im Betrieb Beschäftigten gegen Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit. 166 Mit der in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 GastG festgelegten Aufhebungspflicht gibt der Gesetzgeber zu erkennen, daß er den Betrieb einer Gaststätte durch einen Gewerbetreibenden, der dazu nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, keinesfalls dulden will. Im Hinblick darauf
bung erlittenen Vermögensnachteils. Vgl. im einzelnen unten 1. Teil § 1 III. 1. b) bb) a). 161 BT-Dr VI/3566, S. 1. 11>2 BVerwGE 101,24,34. 11>3 BVerwG, 28. April 1987, 1 C 18.84, Buchholz 402.5 Nr. 48 = BayVBI. 1988, 184 =GewArch 1987.274. 11>1 BVerwGE 71, 248, 250 - bestätigt durch BVerfG,27. März 1986, 1 BvR 1109/85, nicht veröffentlicht -; BVerwG, 28. April 1987, 1 C 18.84, Buchholz 402.5 Nr. 48 = BayVBI. 1988, 184 = GewAreh 1987,274. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Nichtannahmebeschluß vom 27. März 1986 aus, daß die Nichtanwendung des § 48 VwVfG (richtigerweise: § 1 Abs. 1 Satz 1 NdsVwVfG i.V. mit § 48 VwVfG) nicht zu beanstanden sei. 11>5 BVerwGE 101,24,34. IM MicheliKienzle, GastG, Einleitung, Rdnr. 13.
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erweist sich § 15 Abs. 1 und Abs. 2 GastG ebenfalls als abschließende Aufhebungsregelung; das jeweilige Landesverwaltungsverfahrensgesetz - insbesondere (§ 49 Abs. 2 Satz 2 LV. mit) § 48 Abs.4 Satz 1 VwVfG - ist nicht anwendbar. 167 Die Eigenschaft eines subsidiären Regelungsmodells, die den §§ 48 ff. VwVfG anhaftet, wirkt sich auch dann aus, wenn die besondere Gewichtigkeit des öffentlichen Aufhebungsinteresses aus einer gesetzlichen Vorschrift hervorgeht, deren Regelungsgegenstand - selbst nach ihrem Sinn und Zweck - mit der Aufhebung von Verwaltungsakten nichts zu tun hat. In einem solchen Fall besteht kein Konkurrenzverhältnis zwischen einer besonderen Aufhebungsvorschrift und den §§ 48 ff. VwVfG. Gleichwohl kommt hier die inhaltliche Seite des Grundsatzes der Subsidiarität zum Tragen. So hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 6 Abs. 1 HGrG) eine besondere Interessenbewertung des Gesetzgebers entnommen, die bei einer zweckwidrigen Verwendung einer Subvention im Regelfall nur eine Entscheidung für den Widerruf des Subventionsbescheides zuläßt. I68 Das Widerrufsermessen, das § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Var. 1 VwVfG der Verwaltung einräumt, ist dadurch weitgehend ausgeschlossen.
III. Die Struktur der §§ 48 ff. VwVfG Obwohl die §§ 48 ff. VwVfG lediglich den Charakter eines subsidiären Regelungsmodells haben, hält allein das Verwaltungsverfahrensgesetz ein umfassendes Konzept für die Aufhebung von Verwaltungsakten bereit. Das Verwaltungsverfahrensgesetz regelt - anders als die zahlreichen speziellen Vorschriften zur Aufhebung von Verwaltungsakten - nicht nur die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte, sondern auch die Aufhebung nicht begünstigender Verwaltungsakte. Desgleichen tindet die zeitliche Abfolge von Wiederaufgreifens- und Aufhebungsverfahren nur im Verwaltungsverfahrensgesetz ein hinreichendes dogmatisches Fundament. Daher kommt den §§ 48 ff. VwVfG trotz der soeben dargelegten Subsidiarität eine systembildende Wirkung zu. Erlaß und Aufhebung eines Verwaltungsakts sind Sachentscheidungen über denselben Verfahrensgegenstand. Dementsprechend werden die dem Erlaß resp.
167 Michel/Kienzle, GastG, § 15, Rdnr. 18. Darauf Bezug nehmend: VGH BadenWürttemberg, 12. November 1986, 14 S 2804/86, GewArch 1987, 132 (zu § 15 Abs. 2 GastG). 11>11 BVerwG, 16. Juni 1997, 3 C 22.96, BayVBI. 1998, 27 = DÖV 1997, 1006 = DVBI. 1998,145 = RdL 1997, 307; vgl. im einzelnen unten 1. Teil § 1111.2. c) bb) 13) aa) (2) zweiter Absatz und 1. Teil § 3 I. 2.
§ 1 Autbebungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes
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der Aufhebung vorgelagerten Verwaltungsverfahren (§ 9 VwVfG) als Erst- und Zweitverfahren bezeichnet. l69 Die Autbebung eines Verwaltungsakts nach den §§ 48 oder 49 VwVfG ist erst möglich, nachdem die Behörde durch eine Wiederaufgreifensentscheidung den Einwand der res iudicata in eadem re l70 beseitigt hat. l7l Die Bezeichnung "Wiederaufgreifen des Verfahrens" ist im vorliegenden Zusammenhang insofern ungenau, als es hier 172 nicht darum geht, das Erstverfahren wieder aufzurollen und fortzusetzen. Wiederaufgegriffen und erneut sachlich geprüft wird vielmehr ein bestimmter Verfahrensgegenstand. Das Wiederaufgreifen ist eine Entscheidung über die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 22 Satz 1 VwVfG. l73 Das Wiederaufgreifensermessen des § 22 Satz 1 VwVfG ist zunächst einmal ausschließlich öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt. l74 Mit Eintritt der Unanfechtbarkeit eines belastenden VerwaItungsakts erwächst dem Betroffenen jedoch ein formelles subjektives Recht auf eine fehlerfreie Ausübung des Wiederaufgreifensermessens. Dieser Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung besteht zwar schon vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit, ist aber in diesem Zeitraum noch nicht durchsetzbar. Einem Wiederaufgreifensantrag bei der Behörde würde das Sachbescheidungsinteresse fehlen, einer Verpflichtungsklage auf Wiederaufgreifen das Rechtsschutzbedürfnis. Die Entscheidung über das Wiederaufgreifen stellt lediglich eine interne Entscheidungsstufe dar;l75 als eigenständiger Verfahrensverwaltungsakt ergeht sie nur, wenn der Betroffene zuvor einen Wiederaufgreifensantrag gestellt hat. l76 Die Behörde hat ihr Verfahrensermessen aus § 22 Satz 1 VwVfG an den Verfahrenszwecken auszurichten, die § 10 Satz 2 VwVfG über den Begriff ,,zweckmäßig" rür normativ verbindlich erklärt. Dazu zählen insbesondere die Ammelburger, Bestandskraftlehre, S. 95 f. Begriff bei Seibert, Bindungswirkung, S. 529. 171 Vgl. Erichsen in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20, Rdnr. 16 mit weiteren Nachweisen: " ... der Entscheidung über Widerruf und Rücknahme [muß] zunächst eine Entscheidung darüber vorausgehen ... , ob eine neue Sachprüfung überhaupt stattfinden soll". 172 Anders ist dies beim Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG. Dort wird in der Tat das Erstverfahren wiederaufgegriffen und fortgesetzt. Vgl. Seibert, Bindungswirkung, S. 530. 173 Gosch, Wiederaufnahme, S. 12. Nach der wohl überwiegenden Auffassung soll das Wiederaufgreifensermessen den §§ 48 Abs. 1 Satz 1 und 49 Abs. 1 VwVfG zu entnehmen sein (so etwa Baumeister, VerwArch. 83 [1992], 374, 377 f.); diese Ansicht sieht sich jedoch mit der Schwierigkeit konfrontiert, in die §§ 48 Abs. 1 Satz 1 und 49 Abs. 1 VwVfG zwei hintereinander geschaltete Ermessensentscheidungen hineinlesen zu müssen. 174 Seim er, JuS 1987,363,365. 175 Seim er, JuS 1987,363,366. 176 Vgl. BVerwG, 10. August 1995, 7 B 296.95, Buchholz 114 § 2 Nr. 3 = VIZ 1995, 656 = ZOV 1995, 384. 169
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1. Teil: Die Aufhebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
optimale Verwirklichung der entsprechenden Verwaltungsaufgabe und die Wahrung der Rechte des Bürgers. 177 Zweckverwirklichung und Interessenwahrung können in Widerstreit geraten, wenn der Betroffene die Aufhebung eines unanfechtbaren belastenden Verwaltungsakts begehrt, der rechtswidrig erlassen oder nachträglich unrichtig geworden 17M ist. In einem solchen Falle treffen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aufeinander: Die Schaffung von Rechtssicherheit ist ein gewichtiges Kriterium für die bestmögliche Verwirklichung einer Verwaltungsaufgabe; eine Sache soll nicht ständig "im Streit" bleiben. 179 Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung streitet demgegenüber im Interesse des Bürgers für ein Wiederaufgreifen. Die Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sind gleichwertige Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips,180 so daß es grundsätzlich ermessensfehlerfrei ist, wenn die Behörde ein Wiederaufgreifen mit Hinweis auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts ablehnt. Denn der Gesetzgeber hat die Härten, die nach dem Maßstab materieller Gerechtigkeit aus der Bestandskraft von Verwaltungsakten folgen, im Interesse der Rechtssicherheit gewollt. IMI Die Abwägung zwischen den Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung muß nur dann zugunsten eines Wiederaufgreifens ausfallen, wenn die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts schlechthin unerträglich wäre,IM2 als Verstoß gegen Treu und Glauben erschiene 1M3 oder unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes unhaltbar wäre. l84 Entscheidet sich die Behörde nun für ein Wiederaufgreifen, ist der Weg frei für die Authebung des Verwaltungsakts nach den §§ 48 oder 49 VwVfG.
I. Rücknahme von Verwaltungsakten
Der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz gibt der Verwaltung den Rahmen für ihr Handeln vor. Erläßt eine Behörde einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, so bewegt sie sich außerhalb dieses Handlungsrahmens. Die Aufhebung des rechts-
Grundlegend Hili, NVwZ 1985, 449, 451. Diese Alternative kommt nur in Betracht, wenn ein Wiederaufgreifensantrag nach § 51 Abs. 1 NT. 1 VwVfG an den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 51 Abs. 2 oder 3 VwVfG scheitert. m BT-Dr 7/910, S. 69; Anführungszeichen im Original. I~O Vgl. BT-Dr 7/910, S. 75. lXI BVerwG, 26. Juli 1995,3 B 59.95, Buchholz 303 § 41 NT. 3 = NVwZ-RR 1996, 122. IH2 Vgl. nur BVerwGE 44, 333, 336 und BVerwG, 4. Oktober 1993, 6 B 35.93, Buchholz 421.0 Nr. 319. IX3 Vgl. nur BVerwGE 44, 333, 336. IX4 Vgl. nur BVerwG, 13. Juni 1995,6 B 15.95, Buchholz 421.0 NT. 351. 177 17K
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widrigen Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG dient der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes.
a) Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gibt es dem Ermessen der Behörde anheim, einen nicht begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakt aufzuheben. Der Zweck des Ermessens leuchtet allerdings nicht unmittelbar ein, weil es hier keine kontligierenden Interessen gibt, die im Rahmen des Ermessens gegeneinander abzuwägen wären. Das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung streitet für eine Aufhebung des Verwaltungsakts. Gegenläufige Interessen eines Betroffenen scheiden bei einem nicht begünstigenden Verwaltungsakt aus. Vor diesem Hintergrund vertrat Ernst Forsthoff seinerzeit die Ansicht, es bestehe eine Rechtspflicht zur Rücknahme. ls5 Der Zweck des Aufhebungsermessens wird aber deutlich bei einem Blick auf die Wiederaufgreifensentscheidung nach § 22 VwVfG. Wäre die Behörde zur Rücknahme verpflichtet, wäre das Wiederaufgreifensermessen durch § 22 Satz 2 NT. 1 Alt. 1 VwVfG ausgeschlossen. Der Behörde obläge die Rechtspflicht, einmal erlassene Verwaltungsakte ständig auf ihre mögliche Rechtswidrigkeit hin zu überprüfen. Im Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes l86 besteht jedoch kein derartiger Vorrang des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vor dem der Rechtssicherheit. m Das der Behörde durch § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Aufhebungsermessen läßt vielmehr das Verfahrensermessen des § 22 Satz 1 VwVfG unberührt. Im Hinblick auf die Zwecke des Verfahrensermessens l88 ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn es die Behörde bei einer einmal getroffenen Regelung beläßt. Hat die Behörde sich indessen im Rahmen ihres Verfahrensermessens aus § 22 Satz 1 VwVfG zu einem Wiederaufgreifen entschlossen, sind im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG keine Erwägungen mehr denkbar, die gegen die Aufhebung des Verwaltungsakts sprechen könnten. IS9 Das Autbebungsermessen aus § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist dann auf Null reduziert.
ForslhojJ, Verwaltungsrecht, § 13, 2 b. Anders § 44 Abs. 1 Satz I und Abs. 2 Satz 1 SGB X. Bei der Aufhebung nkht begünstigender Verwaltungsakte nach § 44 SGB X setzt sich in der Regel der Grundsatz I H5
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der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gegenüber dem der Rechtssicherheit durch; vgl. Pilschas, JuS 1983,434,437. IH7 Insofern dient das Prinzip der Rechtssicherheit der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung; vgl. Sie/zer, Die Verwaltung 30 (1997), 139, 152. IHX Vgl. oben 1. Teil § 1 III. vor I. IHY Knoke, Rücknahme, S. 128 f.
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1. Teil: Oie Autbebung von Verwaltungsakten im deutschen Recht
b) Rücknahme begünstigender Venva/tungsakte Die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte unterliegt der Ausschlußfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. Diese Aufhebungsfrist hat in den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts keine Entsprechung. l90 Der Zeitablauf ist nach allgemeinen Grundsätzen lediglich ein Gesichtspunkt, der in die Abwägung zwischen dem öffentlichen Aufhebungsinteresse und dem individuellen Bestandsinteresse einzustellen ist. 191 Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG wird jedoch nach Ablauf der einjährigen Frist unwiderleglich vermutet, daß der Betroffene in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat. Dieser abstrakte Vertrauensschutz l92 greift nur dann nicht Platz, wenn der Betroffene den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (§ 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG). Grundlegend für die Frage, wann die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zu laufen beginnt, ist der Beschluß des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1984,193 an dem die einzelnen Senate trotz massiver Kritik in der Literatur l94 nach wie vor festhalten. 195 Nachdem das Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 2. Mai 1996 191> die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht nur unverändert gelassen hat, sondern mit dem neu eingefügten § 49 Abs. 3 Satz 2 VwVfG sogar ausdrücklich erwähnt, dürfte das Bundesverwaltungsgericht keinen Anlaß mehr sehen, von seiner Rechtsprechung abzurücken. 197 Dieser Rechtsprechung zufolge handelt es sich bei der Frist des BVerwG, 4. August 1993,3 B 7.93, OVBI. 1994,481 = NVwZ-RR 1994,388. Vgl. BT-Or 7/910, S. 71. In Aus der Verweisung des § 48 Abs.4 Satz 2 VwVfG auf die Vertrauensschutzregelung des Absatzes 2 ergibt sich, daß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht etwa eine Ausprägung des objektiven Grundsatzes der Rechtssicherheit ist, sondern dem Vertrauensschutzinteresse des Betroffenen dient; vgl. Stober, JZ 1992, 1087, 1088 sowie Sachs in: Slelkens/BonklSachs, VwVfG, § 48, Rdnr.205. Ebenso BVerwG, 1992-08-14, 8 C 67.91, juris (insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 90, 320): ,,[O]ie sich aus § 48 Abs. 4 Satz 1 ... VwVfG ergebende Befristung ... ist ... Ausp'rägung des ... Vertrauensschutzes" und BVerwG, 16. September 1997,3 C 12.95, OOV 1998,293. Gleichwohl findet sich in der Rechtsprechung auch die Formulierung, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG diene der Rechtssicherheit des Betroffenen (vgl. nur BVerwG, 8. September 1993, 11 C 39.92, Buchholz 451.55 Nr.95 = OVBI. 1994,409). Ein Unterschied in der Sache ist damit nicht verbunden. Oenn Vertrauensschutz ist die in das Subjektivrechtliche gekehrte Idee der Rechtssicherheit (vgl. unten 1. Teil § 2 vor 1.). 1~3 BVerwGE 70, 356. 194 Vgl. nur Ferdinando. Kopp, OVBI. 1985,525; Schoch, NVwZ 1985,880; Weides, OÖV 1985, 431. 1~5 So etwa BVerwG, 1992-11-03,4 B 97.92, juris; BVerwG, 13. Mai 1993, 9C 37.92, Buchholz 412.3 § 18 Nr. 17 = BayVBI. 1993,663 = ROW 1993,312. 1% BGBI. I S. 656. 1Y7 Explizit BVerwG, 1992-11-03,4 B 97.92, juris zum Gesetzesentwurf in BT-Or 10/6283. I