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German Pages 354 Year 2010
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 216
Die Erfolgszurechnung im Falle mittelbarer Rechtsgutsverletzung
Von
Michaela Sutschet
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MICHAELA SUTSCHET
Die Erfolgszurechnung im Falle mittelbarer Rechtsgutsverletzung
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (y) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 216
Die Erfolgszurechnung im Falle mittelbarer Rechtsgutsverletzung
Von
Michaela Sutschet
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Christian Jäger, Trier Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier hat diese Arbeit im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13089-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für meine Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2007 / 2008 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von August 2008. Spätere Rechtsprechung und Literatur konnten nur noch partiell berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christian Jäger, danke ich von Herzen für die vielen anregenden Gespräche und gewinnbringenden Denkanstöße, durch die er das Entstehen dieser Studie maßgeblich unterstützt hat. Die Anfertigung der Arbeit war mir nur möglich, weil er mir als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl stets die hierfür erforderliche Freiheit gewährte. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Volker Krey, der freundlicherweise die Erstellung des Zweitgutachtens übernommen hat. Dank schulde ich darüber hinaus meinem Vater sowie meiner Freundin und Kollegin am Lehrstuhl, Frau Rieke Detering, für das aufmerksame und sorgfältige Korrekturlesen des Manuskripts. Die Schrift wurde mit dem Förderpreis des Freundeskreises der Trierer Universität, gestiftet von der Nikolaus Koch Stiftung, ausgezeichnet. Hierfür bedanke ich mich herzlich. Mein besonderer Dank gilt schließlich meinem Mann, der die Erstellung der Arbeit durch Geduld und Verständnis, aber auch mancherlei kritische Anmerkung gefördert hat. London, im Oktober 2009
Michaela Sutschet
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Kapitel 1 Einführung in die Problematik der Vorverschuldensfälle
27
§ 1 Begriff und Konstellationen des Vorverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
§ 2 Zurechnungsmodelle zur Lösung der Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
Kapitel 2 Die Zurechnung vorsätzlich mittelbar bewirkter Erfolge
94
§ 1 Konstellationen außerhalb der Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
§ 2 Vorsätzliche Verursachung des Drittverhaltens bei den §§ 25 ff. StGB . . . . . . . . . . . . .
99
§ 3 Vorsätzliche Verursachung des Drittverhaltens jenseits der §§ 25 ff. StGB . . . . . . . . . 142 § 4 Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Kapitel 3 Übertragung auf die Fälle vorsätzlichen Vorverschuldens
175
§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 § 2 Die Tatherrschaft über den Ursprung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Kapitel 4 Die Zurechnung fahrlässig mittelbar bewirkter Erfolge
206
§ 1 Das vorsätzliche Dazwischentreten eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 § 2 Das fahrlässige Dazwischentreten eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 § 3 Die Erfolgsherbeiführung durch das Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Kapitel 5 Übertragung auf die Fälle fahrlässigen Vorverschuldens
301
§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 § 2 Keine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
10
Inhaltsu¨bersicht
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Kapitel 1 Einführung in die Problematik der Vorverschuldensfälle
27
§ 1 Begriff und Konstellationen des Vorverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
I. Der Defekt im objektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
1. Das Fehlen des rechtlich relevanten Unterlassens (omissio libera in causa)
28
a) Der Unterlassungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
b) Beispiele aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
c) Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
2. Das Fehlen eines rechtlich relevanten Handelns (actio libera in causa) . . . . . .
32
a) Der Handlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
b) Beispiele aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
c) Beispiel aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
3. Das Fehlen sonstiger Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
a) Das tatbestandsausschließende Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Begriff des tatbestandsausschließenden Einverständnisses . . . . . . (2) Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beispiele aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 36 36 37
b) Die Umgehung von Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beispiel aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 39
II. Der Defekt im subjektiven Tatbestand – § 16 StGB (actio dolosa in causa) . . . . .
40
1. Beispiel aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2. Beispiel aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
III. Der Defekt in der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
1. Das Herbeiführen einer rechtfertigenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
a) Der Begriff der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
b) Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
c) Beispiele aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
12
Inhaltsverzeichnis 2. Das Herbeiführen einer mutmaßlichen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
a) Der Begriff der mutmaßlichen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
b) Beispiel aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
c) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
3. Das Herbeiführen einer Notwehrsituation – § 32 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
a) Der Begriff der Notwehrprovokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
b) Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
c) Beispiele aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
4. Das Herbeiführen einer Notstandslage – § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
a) Der verschuldete rechtfertigende Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
b) Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
c) Beispiel aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
5. Das Herbeiführen einer rechtfertigenden Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
a) Der Begriff der Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
b) Beispiel aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
c) Beispiel aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
IV. Der Schulddefekt: Das Herbeiführen der Schuldunfähigkeit – § 20 StGB . . . . . .
60
1. Der Begriff der Schuld- bzw. der Schuldunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
2. Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
3. Beispiele aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
§ 2 Zurechnungsmodelle zur Lösung der Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
I. Das Ausnahmemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
1. Die Begründung über die Obliegenheitsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
2. Die Begründung über den Verantwortungsdialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
a) Das Obliegenheitsmodell Hruschkas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
b) Der Verantwortungsdialog Neumanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
II. Das Tatbestandsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
1. Die Begründung über die Äquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
2. Die Begründung über die mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
3. Die Begründung über den Rechtsgedanken der mittelbaren Täterschaft . . . . .
79
4. Auswirkungen auf die Tathandlungsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Inhaltsverzeichnis 5. Stellungnahme für die Fälle vorsätzlicher Defektherbeiführung . . . . . . . . . . . . .
13 81
a) Die Erfolgszurechnung mittels der Äquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
b) Die Erfolgszurechnung über § 25 I Alt. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Paradoxie von der zweifachen Erfolgsverwirklichung . . . . . . . . . . (2) Der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG . . . . . (3) Der Verstoß gegen den Wortlaut des § 25 I Alt. 2 StGB . . . . . . . . . . . . .
83 83 86 87
c) Die Erfolgszurechnung über den Gedanken des § 25 I Alt. 2 StGB . . . . . .
88
6. Stellungnahme für die Fälle fahrlässiger Defektherbeiführung . . . . . . . . . . . . . .
90
III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
Kapitel 2 Die Zurechnung vorsätzlich mittelbar bewirkter Erfolge
94
§ 1 Konstellationen außerhalb der Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
I. Die Verursachung rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
1. Der Begriff der Mittelbarkeit im Mehr-Personenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
2. Die vorsätzliche Verursachung des rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens . .
96
a) Verursachung des Drittverhaltens bei § 25 I Alt. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . .
96
b) Verursachung des Drittverhaltens außerhalb von §§ 25 I Alt. 2, 26 StGB
97
II. Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
1. Der Begriff der Mittelbarkeit im Ein-Personenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
2. Sukzessive Tatbegehung und Blutrausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
3. Sonstige Fälle mehraktiger Tatbegehung – der Jauchegrubenfall . . . . . . . . . . . .
99
III. Gemeinsamkeit zu den Vorverschuldensfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
§ 2 Vorsätzliche Verursachung des Drittverhaltens bei den §§ 25 ff. StGB . . . . . . . . .
99
I. Erfolgszurechnung über das Kriterium der Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Die unmittelbare Täterschaft als Handlungsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Die mittelbare Täterschaft als Willensherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Die Willensherrschaft kraft Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Die Willensherrschaft kraft Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Die Willensherrschaft kraft organisatorischen Machtapparats . . . . . . . . . . . 104 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium der §§ 25, 26 StGB . . . . . . . . 105 b) Überschneidungen von § 25 I Alt. 2 und § 26 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Vorverschuldensfällen . . . . . . . . . 108
14
Inhaltsverzeichnis II. Erfolgszurechnung über die normative Kombinationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Erfolgszurechnung über das Verantwortungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Die Freiheit des Menschen als Grundlage strafrechtlicher Verantwortung . . . 115 a) Die Herleitung von Kausalität aufgrund menschlicher Freiheit . . . . . . . . . . 116 b) Das Begriffsverständnis der Äquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 V. Die Zurechnungsstruktur des Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Lösungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Die Anwendung der für Begehungsdelikte geltenden Regeln . . . . . . . . . . . . 126 b) Die Theorie der Einheitstäterschaft qua Pflichtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Die Theorie der Einheitsbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Die Lösung über die Entsprechungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 e) Die Unterscheidung nach der Art der Pflichtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Sicherungspflicht aus Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Pflicht zur Sicherung einer Gefahrenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Institutionalisierte Obhutspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Herrschaft über den Grund des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130 131 133 136 136
f) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 VI. Auswirkungen auf die Vorverschuldensproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 § 3 Vorsätzliche Verursachung des Drittverhaltens jenseits der §§ 25 ff. StGB . . . . . 142 I. Täterschaft als Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Das Enden der Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Die Kausalität des mittelbar bewirkten Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Die objektive Zurechnung des mittelbar bewirkten Erfolges . . . . . . . . . . . . . (1) Das Regressverbot in der älteren Lehre der objektiven Zurechnung (2) Der Regress in der aktuellen Lehre der objektiven Zurechnung . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 145 146 147
c) Die subjektive Zurechenbarkeit des mittelbar bewirkten Erfolges . . . . . . . 148
Inhaltsverzeichnis
15
d) Die Unterbrechungslehre im Rahmen der Täterlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Regress qua vorsätzlicher Nebentäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Regressverbot und restriktiver Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Zusammenhang zu den Vorverschuldensfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 § 4 Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Die Zurechnungsstruktur in den Fällen sukzessiver Tatbegehung . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Beispiel: Der Blutrauschfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Ausgangspunkt: Die Annahme einer Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Koinzidenzprinzip und Versuchsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4. Schlussfolgerungen für die Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Die Zurechnungsstruktur in sonstigen Fällen mehraktiger Tatbegehung . . . . . . . . 164 1. Beispiel: Der Jauchegrubenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Unterschied zum Blutrauschfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Lösungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Die Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Die objektiven Zurechenbarkeit des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Die subjektive Zurechenbarkeit des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Lehre vom dolus generalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die unwesentliche Abweichung im Kausalverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Ausschluss der Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 167 169 169
d) Die Lösung über die Täterlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Vorverschuldensfällen . . . . . . . . . 173 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Kapitel 3 Übertragung auf die Fälle vorsätzlichen Vorverschuldens
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§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Täterschaft und aktuelle Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Täterschaft ohne aktuelle Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Das Bombenlegerbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Der Blutrauschfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
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Inhaltsverzeichnis 3. Die Unterlassungshaftung aus Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4. Sonderfall: der Jauchegrubenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
§ 2 Die Tatherrschaft über den Ursprung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Ursprüngliches Bestehen vollumfänglicher Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Die vorsätzliche Beseitigung bzw. Beeinträchtigung der Tatherrschaft . . . . . . . 182 1. Das Bombenlegerbeispiel und die omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Der Blutrauschfall und die actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Tatherrschaft und actio illicita in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Das Verhältnis von Rechtfertigung und Verantwortungsausschluss . . . . . 184 b) Die Notwehr nach § 32 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Der Notstand nach § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 d) Die Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Eintritt ins Versuchsstadium und Strafbarkeit des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Die vorsätzlich herbeigeführte Handlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Die vorsätzlich herbeigeführte Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Die vorsätzlich herbeigeführte Schuldunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Auswirkungen auf den Rücktritt vom Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IV. Vorliegen aller Strafbarkeitsmerkmale bei Eintritt ins Versuchsstadium . . . . . . 200 V. Ursächlichkeit der Versuchshandlung für die Vollendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 VI. Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 VII. Überprüfung des Ergebnisses am Koinzidenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 VIII. § 25 I Alt. 1 StGB, Tätigkeitsdelikte und eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . 203 IX. Unterschiede zu Schünemanns „Tatherrschaft über den Grund“ . . . . . . . . . . . . . . 205 Kapitel 4 Die Zurechnung fahrlässig mittelbar bewirkter Erfolge
206
§ 1 Das vorsätzliche Dazwischentreten eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Die Annahme eines grundsätzlichen Regressverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Der restriktive Täterbegriff im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . 208 a) Die Argumentation anhand der §§ 25 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
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2. Der extensive Täterbegriff im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . 210 a) Nichtanwendbarkeit der §§ 25 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Der unterschiedliche Wortlaut der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte . . . 211 c) Die Argumentation anhand von § 14 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Das Erfordernis einer flexiblen Erfolgszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 e) Kriminalpolitische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Das argumentum e contrario mittels der §§ 25 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässigen Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die fahrlässige Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die fahrlässige mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 214 219 222
c) Das Wortlautargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Die Argumentation anhand spezieller Haftungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . 223 e) Die fahrlässige Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstverletzung . . 223 f) Die Parallele zu § 14 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 g) Kriminalpolitische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 h) Historische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 i) Die drittvermittelte Erfolgsbewirkung als Ausdruck fremder Freiheit . . . . (1) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Naucke . . . . . . . . . . . (2) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Welp . . . . . . . . . . . . . (3) Das Verantwortungsprinzip nach Lenckner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Renzikowski . . . . . . (5) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Diel . . . . . . . . . . . . . .
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II. Weitere Ansätze zur Begründung eines grundsätzlichen Regressverbots . . . . . . . 232 1. Die Steuerbarkeit der Dritthandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Die Beherrschbarkeit der Dritthandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Die Haftung aufgrund von Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 4. Die Haftung aufgrund von Urheberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5. Das Gebot differenzierter Verantwortungszuschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Alternativen zum Regressverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Die Einschränkung der Sorgfaltspflicht beim Ersthandelnden . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Die Vorhersehbarkeit des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Der Vertrauensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (1) Ausnahme: konkrete Anhaltspunkte für fremdes Fehlverhalten . . . . . 241 (2) Ausnahme: erkennbare Tatgeneigtheit des Vordermanns . . . . . . . . . . . . 241
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Inhaltsverzeichnis c) Die Zuständigkeit für den eigenen Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Die Abwägungslösung Frischs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Der Ausschluss des Risikozusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Mittelbare und unmittelbare Risikoschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Die Differenzierung nach dem Verschuldensgrad des Dritten . . . . . . . . . . . . 246 c) Die Modifikation des Ausgangsrisikos durch den Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 247 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 V. Auswirkungen auf die Lösung der Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
§ 2 Das fahrlässige Dazwischentreten eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Die Lösung über den restriktiven Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Die Lösung über den extensiven Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Die Haftung für fahrlässiges Drittverhalten im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Die unbeschränkte Regressmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Das Durchgängigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 d) Die Abstufung der Fahrlässigkeitsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 e) Die Differenzierung nach der Begehungsweise des Dritten . . . . . . . . . . . . . . 254 f) Verdrängung und Variation der Ausgangsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 g) Die Kombinationslösung Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Sonderproblem: die Haftung im Falle gefahrgeneigter Tätigkeit . . . . . . . . . . . . 259 a) Das erlaubte Risiko als „scheinbare Fahrlässigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Der Rechtfertigungsgrund der Güterkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 c) Der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 d) Die Beschränkung der subjektiven Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 e) Die Beschränkung der Haftung auf der Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . 266 f) Beschränkung der Arzthaftung über §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 g) Neuformulierung einer Haftungsprivilegierung de lege ferenda . . . . . . . . . 268 h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 § 3 Die Erfolgsherbeiführung durch das Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 I. Die Erfolgszurechnung bei Selbstschädigung des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
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2. Die Lösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Beteiligung am Suizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Erfolgszurechnung bei nachträglichem Fehlverhalten des Opfers . . . . . . . . 272 3. Stellungnahmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Der Suizid als chronisch psychisch-pathologische Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Voraussetzungen des autonom vollzogenen Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Maßgeblichkeit der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maßgeblichkeit der Grundsätze über die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . (3) Maßgeblichkeit der „Ernstlichkeit“ i. S. v. § 216 StGB . . . . . . . . . . . . . .
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c) Dogmatische Verankerung des Autonomiekriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 II. Die Erfolgszurechnung bei Selbstgefährdung des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Zurechnungsausschluss bei Eigenverantwortlichkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . 282 a) Maßgeblichkeit der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Maßgeblichkeit der Grundsätze über die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Relevanz einer Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4. Dogmatische Verankerung des Autonomiekriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Autonomie als Begrenzung der objektiven Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Autonomie als Begrenzung der objektiven Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . 287 (1) Der Schutzbereich der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Die Beherrschbarkeit des Geschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Autonomie als Begrenzung der Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 d) Autonomie als Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 III. Die Schädigung Dritter bei Rettungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Berufsmäßige Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Unanwendbarkeit des Autonomieprinzips bei Rettungsverpflichtung . . . . 290 c) Anwendbarkeit des Autonomieprinzips bei Rettungsverpflichtung . . . . . . 291 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Retter in notstandsähnlicher Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Zurechnung aufgrund des Schutzzwecks der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Zurechnung nach den Grundsätzen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
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Inhaltsverzeichnis d) Zurechnung bei Auslösen einer Rettungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 e) Die Billigung der Rettungshandlung durch die Rechtsordnung . . . . . . . . . . 296 f) Die Erfolgsaussichten der Rettungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4. Auswirkungen auf die Lösung der Vorverschuldensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Kapitel 5 Übertragung auf die Fälle fahrlässigen Vorverschuldens
301
§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Fahrlässige Täterschaft und Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Die potentielle Tatherrschaft als Ausdruck von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 § 2 Keine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 302 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 II. Der Versuch bei den Fahrlässigkeitsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Der Versuch bei den erfolgsqualifizierten Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 IV. Überprüfung des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Abkürzungsverzeichnis a. A.
anderer Ansicht
a. F.
alte Fassung
Anm.
Anmerkung
Aufl.
Auflage
BAG
Bundesarbeitsgericht
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des BGH in Strafsachen
BGHZ
Entscheidungen des BGH in Zivilsachen
bzw.
beziehungsweise
ff.
folgende (Seiten oder Randnummern)
FS
Festschrift
FG
Festgabe
GA
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht
GerS
Der Gerichtssaal
h. L.
herrschende Lehre
i. e.
das heisst
i. S. d.
im Sinne des / der
JA
Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen
JR
Juristische Rundschau
JuS
Juristische Schulung
JRE
Jahrbuch für Recht und Ethik
JZ
Juristenzeitung
L
Lernbogen
LG
Landgericht
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NStE
Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
NZV
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
ÖJZ
Österreichische Juristenzeitschrift
OLG
Oberlandesgericht
RG
Reichsgericht
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
22
Abku¨rzungsverzeichnis
Rn.
Randnummer
RR
Rechtsprechungs-Report
S.
Seite
sog.
sogenannt(en)
StrRG
Strafrechtsreformgesetz
StV
Strafverteidiger
VersR
Zeitschrift für Versicherungsrecht
vgl.
vergleiche
Wistra
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht
z. B.
zum Beispiel
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
zit.
zitiert
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einleitung Die Frage, ob und inwieweit täterschaftliche Erfolgszurechnung an eine bloß mittelbar zum Erfolg führende Ursache anknüpfen kann, zählt zu einem der umstrittensten Gebiete der Strafrechtswissenschaft, welche zahlreiche Themenkreise des Allgemeinen Teils berührt. Die Problematik der Zurechenbarkeit mittelbar bewirkter Erfolge stellt sich zunächst in all den Situationen, in denen der Täter den Erfolg „durch sich selbst“ bewirkt, womit namentlich die Vorverschuldensfälle angesprochen sind. Aufsehenerregend war insoweit insbesondere die Entscheidung des BGH zur sog. actio libera in causa aus dem Jahre 1996,1 die einen entscheidenden Wandel in der Vorverschuldenslehre herbeiführte: der BGH lehnte nämlich in dieser Entscheidung eine Berücksichtigung des Vorverschuldens für alle eigenhändigen Delikte – insbesondere die Straßenverkehrsdelikte – ab, da der Unrechtsgehalt dieser Delikte in der persönlichen Verwirklichung einer gesetzlich vertypten Tathandlung und nicht in der bloßen Verursachung des Erfolges liege. Diese partielle Absage an die actio libera in causa wurde als „Anfang vom Ende“ der Rechtsfigur eingeschätzt. In seinem Beschluss vom 19. 2. 19972 stellte der BGH jedoch ausdrücklich klar, dass er an den Grundsätzen der actio libera in causa außerhalb der eigenhändigen Delikte festhalte. Die Vorverschuldensfälle stellen also auch weiterhin ein Teilgebiet der mittelbaren Rechtsgutsverletzung dar, das sich durchaus nicht auf die sog. actio vel omissio libera in causa3 oder die sog. actio illicita in causa4 beschränkt. Es liegt nämlich immer dann eine Vorverschuldenskonstellation vor, wenn zum Zeitpunkt der un1 BGHSt 42, 235 ff. m. Anm. Gottwald, DAR 1997, 302 ff.; ders., JA 1998, 343 f.; Fahnenschmidt / Klumpe, DRiZ 1997, 77 ff.; Mutzbauer, JA 1997, 97 ff.; Spendel, JR 1997, 133 ff.; Hirsch, JR 1997, 391 ff.; Otto, Jura 1999, 217 ff.; Martin, JuS 1997, 377 ff.; Hruschka, JZ 1997, 22 ff.; Wolff, NJW 1997, 2032 ff.; Ambos, NJW 1997, 2256 ff.; Satzger, NStZ 1998, 112 ff.; Hardtung, NZV 1997, 97 ff.; Neumann, StV 1997, 23 ff.; Horn, StV 1997, 264 ff. 2 BGH NStZ 1997, 230 ff. 3 Mit dem Begriff der „actio libera in causa“ sind dabei überwiegend Fälle der selbstverschuldeten Schuldunfähigkeit gemeint; die Bezeichnung erfasst aber auch Konstellationen, in denen eine Person durch eigenes Verschulden darauf hinwirkt, dass ihrem späteren aktiven Verhalten bereits jedweder Handlungscharakter fehlt; dazu ausführlich unten Kap. 1, § 1 II. Ihr Pendant findet letztgenannte Konstruktion im Bereich des Unterlassungsdelikts in der „omissio libera in causa“, bei der der Täter durch eigenes Verschulden den Verlust seiner Handlungsfähigkeit herbeiführt. 4 Gemeint ist die schuldhafte Herbeiführung einer Rechtfertigungslage.
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Einleitung
mittelbar zum Erfolg führenden Handlung irgendeines der verbrechenskonstitutiven Merkmale fehlt und der Handelnde dies aufgrund seines vorausgehenden Verhaltens selbst verschuldet hat. Der schuldhaft herbeigeführte Defekt kann demnach auf jeder Deliktsstufe auftreten. Denkbar ist damit auch eine sog. actio dolosa in causa5, bei der der Handelnde in vorwerfbarer Weise seine eigene Unwissenheit herbeigeführt hat. Die Diskussion um die Zurechnung im Vorverschuldensfall kreist primär um die Frage, ob ein bloß mittelbar zum Erfolg führender Akt als „Tatbestandshandlung“ verstanden werden kann. Richtigerweise ist die Zurechnungsfrage aber ein Problem der Täterlehre. Das zeigt sich ganz klar in dem Bereich des fahrlässigen Vorverschuldens, wo nach h. M. auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs jeder (auch mittelbare) Verursachungsbeitrag taugliche Tathandlung sein können soll. Umstrittener ist die Frage der Erfolgszurechnung im Fall des vorsätzlichen Vorverschuldens, da im Bereich der Vorsatzdelikte – ausgehend von der Wertung des § 25 I Alt. 2 StGB – ein restriktiver Täterbegriff angenommen wird. Hier treffen als Zurechnungsmodelle vor allem das Tatbestands- und das Ausnahmemodell aufeinander. Letzteres sieht allein die Defekttat als Gegenstand des Strafbarkeitsvorwurfs an, lässt dem Täter in Anbetracht seines schuldhaften Vorverhaltens die jeweils einschlägige Exkulpation jedoch nicht zugute kommen. Allein nach dieser Lösung stehen Vorverschulden und Täterlehre in keinerlei Zusammenhang. Anders verhält es sich nach dem Ansatz des sog. Tatbestandsmodells, dessen Anhänger die Herbeiführung des eigenen Defektes vereinzelt unter direkter Anwendung des § 25 I Alt. 2 StGB oder unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken der mittelbaren Täterschaft als Tatbegehung i. S. v. § 25 I StGB verstehen wollen. Nur wenige Stimmen rekurrieren in diesem Zusammenhang explizit auf die Norm des § 25 I Alt. 1 StGB; die überwiegende Meinung lässt im Ergebnis offen, welche Form der Täterschaft den Vorverschuldensfällen zugrunde liegt. Die Täterlehre wird also eher beiläufig mit der Vorverschuldensproblematik in Zusammenhang gebracht. Eine ähnliche Tendenz ist bei anderen Konstellationen mittelbarer Rechtsgutsverletzung zu beobachten. Insbesondere handelt es sich hierbei um Fälle, in denen der Ersthandelnde durch sein Verhalten ein rechtsgutsverletzendes Drittverhalten verursacht. Die drittvermittelte Erfolgsbewirkung ist vor allem geläufig aus dem Gebiet der mittelbaren Täterschaft; sie ist aber auch und gerade im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte anzutreffen. Die Diskussion um die Zurechenbarkeit des drittvermittelten Erfolges wird dort – ähnlich wie beim Vorverschulden – überwiegend kritiklos auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs geführt und widmet sich daher vor allem der Suche nach haftungseinschränkenden Kriterien, wie etwa denen der 5
Vgl. Herzberg, FS-Spendel, 1992, S. 203, 217 f.
Einleitung
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Vorhersehbarkeit des Erfolges, der Abstufung nach Fahrlässigkeitsgraden von Erstund Drittverhalten, dem Schutzzweck der Norm, der Differenzierung nach der Begehungsweise des Dritten oder dem Kriterium der Verdrängung und Variation der Ausgangsgefahr. Weiter gibt es – wie der sog. Bratpfannen-6 oder der Gnadenschussfall7 zeigen – auch Beispiele mittelbarer Erfolgsverursachung, die sich weder eindeutig dem Bereich des § 25 I StGB, noch dem des Fahrlässigkeitsdelikts zuordnen lassen. Im Brennpunkt der Diskussion steht auch hier weniger die Täterlehre, 8 als denn die Frage, ob die Erstverursachung im Erfolg kausal geworden ist bzw. inwieweit der Erfolg dem Erstverursacher objektiv und subjektiv zurechenbar ist. Allein bei den Unterlassungsdelikten wird die Frage der Zurechenbarkeit mittelbar bewirkter Erfolge in direkte Verbindung mit der Täterlehre gebracht. Dies dürfte daran liegen, dass dort in besonderem Maße umstritten ist, was das Wesen der Täterschaft ausmacht. Ausgangspunkt der vorliegenden Darstellung ist der Befund, dass die Wissenschaft insgesamt eine klare Linie bei der Zurechenbarkeit mittelbar bewirkter Erfolge vermissen lässt. Soweit ersichtlich, wurde die Problematik der mittelbaren Rechtsgutsverletzung bislang noch nicht fallgruppenübergreifend unter dem Aspekt der Täterlehre betrachtet. Auch fehlt es an einem einheitlichen Zurechnungskonzept für die verschiedenen Fälle mittelbarer Erfolgsverursachung. Dies zeigen die in sich stark divergierenden Lösungsansätze zu den Vorverschuldensfällen einerseits und den Fällen drittvermittelter Erfolgsverwirklichung andererseits. Ziel der Untersuchung ist daher vor allem, die verschiedenen Konstellationen mittelbarer Rechtsgutsverletzung zusammenzutragen und systematisch aufzuarbeiten, um – soweit möglich – ein einheitliches, an der Täterlehre orientiertes Zurechnungskonzept zu entwickeln. Das Anliegen dieser Darstellung ist dabei weniger die Darstellung der überkommenen Zurechnungsmodelle, welche nur zu dem Zwecke erfolgt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Konstellationen zu veranschaulichen. Primär dient die Untersuchung der Entwicklung einer einheitlichen Zurechnungsdogmatik für die Fälle mittelbarer Rechtsgutsverletzung. Damit ist zugleich der Aufbau dieser Arbeit vorgegeben: in Kapitel 1 werden zunächst die unterschiedlichen Vorverschuldensfälle als Beispiel mittelbarer Rechts6 Vgl. BGH NJW 1966, 1823: die A hatte dem B dreimal mit einer schweren Bratpfanne auf den Hinterkopf geschlagen und war dann weggelaufen. Anschließend hatte die C unabhängig davon mindestens noch einmal und später die A ein weiteres Mal mit der Pfanne auf den Kopf des B eingeschlagen, ohne dass feststellbar war, ob bereits die ersten oder einer der nachfolgenden Schläge den Tod herbeigeführt hatten. 7 BGH NStZ 2001, 29: dort hatte der Ersthandelnde das Opfer mit Tötungsvorsatz niedergeschossen und dadurch einen Dritten dazu veranlasst, dem Verletzten den „Gnadenschuss“ zu geben. 8 Eine Ausnahme bildet insoweit Jägers Ansatz, vgl. FS-Schroeder, 2006, S. 241, 249.
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Einleitung
gutsverletzung zusammengetragen und die hierzu vertretenen Lösungsansätze vorgestellt. Da diese wesentlich davon abhängen, ob das Vorverschulden fahrlässiger oder vorsätzlicher Natur ist, soll im Folgenden zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher mittelbarer Rechtsgutsverletzung unterschieden werden. Dementsprechend folgt in Kapitel 2 zunächst eine Auseinandersetzung mit anderen Fällen vorsätzlich mittelbarer Rechtsgutsverletzung wie etwa dem Jauchegruben9- und dem Blutrauschfall10, aber auch Fällen drittvermittelter Erfolgsverwirklichung im Rahmen von § 25 I Alt. 2 StGB und solchen Konstellationen, die sich außerhalb des § 25 I Alt. 2 StGB bewegen, wozu insbesondere der Bratpfannen- oder auch der Gnadenschussfall zählen. Die Zusammenschau dient der Erarbeitung gemeinsamer Zurechnungsstrukturen unter dem Blickwinkel der Täterlehre. In Kapitel 3 soll sodann eine eigene Zurechnungskonzeption für die Fälle vorsätzlichen Vorverschuldens entwickelt werden, die erhebliche Unterschiede gegenüber der Lösung der h. M. aufweist. Kapitel 4 befasst sich mit der Zurechnung fahrlässig mittelbar bewirkter Erfolge, wozu insbesondere die Erfolgsvermittlung durch einen Dritten, aber auch durch das Opfer selbst zu rechnen sind. In Kapitel 5 werden die gewonnenen Erkenntnisse dazu genutzt, ein eigenes Zurechnungskonzept für das fahrlässige Vorverschulden zu entwickeln.
9 10
BGHSt 14, 193. BGHSt 7, 235 ff.
Kapitel 1
Einführung in die Problematik der Vorverschuldensfälle § 1 Begriff und Konstellationen des Vorverschuldens Eine Straftat ist die deliktstatbestandsmäßige, rechtswidrige und zur Schuld zurechenbare Vornahme oder Unterlassung einer Handlung.1 Fehlt zum Zeitpunkt der unmittelbar zum Erfolg führenden Handlung eines dieser konstitutiven Strafbarkeitsmerkmale2 und hat der Handelnde dies aufgrund seines vorausgehenden Verhaltens selbst bewirkt, so ist oftmals von einem Vorverschulden3 oder auch einer Vor-Verantwortlichkeit4 die Rede. Diese Bezeichnung legt wegen des Präfixes „vor“ nahe, dass das entsprechende Verhalten der eigentlichen Tatbegehung vorausgeht, also selbst nicht zur „Tat“ gehört. Ob und inwieweit dies der Fall ist, soll näher untersucht werden. Da der Begriff des Vorverschuldens im Grunde genommen aber bereits eine Wertung enthält (nämlich die, dass die in Rede stehende Handlung nicht Teil der Tatbegehung sei), sollen die einschlägigen Konstellationen im Folgenden primär unter dem Aspekt der „mittelbaren Erfolgsverwirklichung“ betrachtet werden. Zunächst wird der Begriff des „Vorverschuldens“ jedoch der Kürze halber beibehalten. Damit soll aber in keiner Weise ungeprüft eine Aussage darüber getroffen werden, ob die zum Defekt führenden Handlung Teil der Tat ist oder nicht. In diesem Abschnitt wird dargestellt, welche strafbarkeitsbegründenden Merkmale im Einzelnen aufgrund eines „Vorverschuldens“ des Täters entfallen können.5 Die hierzu herangezogenen Beispiele haben sowohl Fälle vorsätzlichen als auch fahrlässigen „Vorverhaltens“ zum Gegenstand, wobei die Fälle fahrlässiger Defektherbeiführung bei Weitem überwiegen.6 Vgl. zu dieser allgemein anerkannten Definition Hruschka, Strafrecht, S. 6. Das Fehlen des entsprechenden Merkmals wird in diesen Fällen in Anlehnung an die Terminologie der mittelbaren Täterschaft als „Defizit“ – oder „Defektzustand“ des Handelnden bezeichnet, vgl. statt vieler Kühl, AT, § 11, Rn. 13; Hruschka, Strafrecht, S. 37 ff. Begrifflich ist dies etwas ungenau, da streng genommen nicht der Täter defizitär ist, sondern die zum Erfolg führende Handlung entweder nicht tatbestandsmäßig oder rechtwidrig oder schuldhaft ist. 3 So etwa Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 18. 4 Vgl. Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 417, 418. 5 Vgl. hierzu auch die Übersicht bei Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 417, 419; Hruschka, Strafrecht, S. 277 ff.; Übler, actio libera in causa, 2003, S. 52 ff. 6 Vgl. auch Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 307, 311. 1 2
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
I. Der Defekt im objektiven Tatbestand Ein Defekt im objektiven Tatbestand liegt vor, wenn der Handelnde durch sein Vorverhalten7 bewirkt, dass das unmittelbar zum Erfolg führende Verhalten keinen Tatbestand erfüllt. Die Gründe für diesen Defekt können unterschiedlich sein.
1. Das Fehlen des rechtlich relevanten Unterlassens (omissio libera in causa) Als omissio libera in causa8 bezeichnet man den Fall, dass ein erfolgsabwendungspflichtiger Garant seine Handlungsfähigkeit beseitigt und deshalb nicht mehr imstande ist, ein ihn treffendes Handlungsgebot zu erfüllen.9 In diesen Fällen geht dem Erfolgseintritt zwar unmittelbar eine Untätigkeit des Garanten voraus, diese stellt sich aber – wie im Folgenden kurz erörtert werden soll – nicht als rechtlich relevantes Unterlassen dar. a) Der Unterlassungsbegriff Unterlassen im Sinne des Strafrechts bedeutet Nichtvornahme einer bestimmten Gebotserfüllungshandlung, zu deren Vornahme der untätig Bleibende verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung zur Vornahme einer bestimmten Handlung entsteht bei den unechten Unterlassungsdelikten jeweils in dem Moment, in dem ein zu schützendes Rechtsgut der Gefahr des Erfolgseintritts ausgesetzt ist;10 die Handlungspflicht gebietet also ein bestimmtes Verhalten in einer konkreten Situation. Das Entstehen einer Pflicht hat jedoch zur Voraussetzung, dass gerade demjenigen Menschen, dessen Untätigkeit beurteilt wird, die Ausführung der gebotenen Handlung in der konkreten Tatsituation überhaupt möglich ist.11 Die Nichtvornahme einer unmöglichen Handlung ist demnach kein Unterlassen, sondern strafrechtlich 7 Der Begriff des Vorverhaltens soll nur als Kurzformel für die zum Defekt führende Handlung weiter verwandt werden, ohne hiermit dieses Verhalten als tatbestandslos zu präjudizieren. 8 Wörtlich übersetzt bedeutet dies „eine in ihrer Verursachung freie Unterlassung“. Der Begriff zeigt bereits, dass die Konstruktion auf den Bereich der Unterlassungsdelikte zugeschnitten ist. Sie wird gleichermaßen im Bereich der echten wie auch der unechten Unterlassungsdelikte herangezogen, vgl. Baier, GA 1999, 272, 276. 9 Vgl. etwa Brammsen, GA 2002, 193, 211 f.; s. hierzu auch Roxin, FS-Engisch, 1969, S. 380, 383 f.; Engisch, FS-Gallas, 1973, S. 163, 165 f.; NK-Seelman, § 13, Rn. 26.; Seelmann, JuS 1987, L 33, 35; Stoffers, JA 1992, 140; Struensee, FS-Stree / Wessels, 1991, S. 133, 146 f.; Satzger, Jura 2006, 513. 10 Roxin, AT II, § 31 Rn. 177 f. 11 Vgl. Androulakis, Unterlassungsdelikte, 1962, S. 115; Krey, AT 2, § 36 Rn. 327 m. w. N.; Hruschka, Strafrecht, S. 58; Vogel, Unterlassungsdelikte, 1992, S. 43; Kindhäuser, GA 1994, 197, 204.
§ 1 Begriff und Konstellationen des Vorverschuldens
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grundsätzlich ein „nullum“.12 Der Begriff der omissio libera in causa ist daher irreführend.13 Dennoch hat sich diese Kurzformel zur Bezeichnung der vorsätzlich herbeigeführten Handlungsunfähigkeit durchgesetzt.14
b) Beispiele aus der Literatur Zur schuldhaft15 herbeigeführten Handlungsunfähigkeit zieht die Literatur gängigerweise vor allem das Bademeister16- und das Bahnwärterbeispiel17 heran. Im ersten Fall betrinkt sich ein Bademeister des Abends, obwohl er genau weiß, dass er am nächsten Morgen früh zum Dienst an den Strand muss. Er ist sich dabei aus Erfahrung darüber im Klaren, dass er am folgenden Tag aufgrund der Alkoholisierung und der Übermüdung erheblich in seinen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt und damit im Ernstfall außerstande sein wird, den Rettungsdienst zu verrichten. Dennoch spricht er dem Alkohol tüchtig zu, da er es leid ist, berufsbedingt Freizeiteinschränkungen hinzunehmen. Dabei hält er es ernsthaft für möglich, dass es zu einem Notfall kommen kann. Tatsächlich zieht am nächsten Tag ein Unwetter auf, durch das ein Schwimmer in Not gerät. Der Bademeister sieht dies zwar vom Strand aus, erkennt aber auch, dass er aufgrund seiner lädierten Konstitution keinesfalls rechtzeitig bei dem Schwimmer sein kann, um ihn zu retten. Ohne den Alkoholgenuss am Vortage wäre dies dagegen ohne Weiteres möglich gewesen. Der Badende ertrinkt. Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 15 Rn. 15. Streng genommen geht es nämlich nicht um die Frage der Frei – bzw. der Unfreiheit einer Unterlassung, sondern darum, ob überhaupt ein Unterlassen vorliegt. Hat man dieses aufgrund der bestehenden Handlungsunfähigkeit des Täters verneint, so ist auch der Begriff der „omissio libera in causa“ unzutreffend, denn es fehlt schon an einer omissio. Vgl. auch Roxin, AT II, § 31, Rn. 103; Hruschka, Zurechnung, 1976, S. 62 m. Fn. 53. 14 Der Grund hierfür ist offenbar der, dass eine Parallele zu der noch zu erörternden vorsätzlich herbeigeführten Schuldunfähigkeit gezogen wird, welche man herkömmlich als actio libera in causa bezeichnet. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sollen auf die Fälle der vorsätzlich herbeigeführten Handlungsunfähigkeit übertragen werden können, da beide Konstellationen eng miteinander verwandt seien; vgl. Samson, FS-Welzel, 1974, 579, 581 f. Androulakis, Unterlassungsdelikte, 1962, S. 156 verwendet die Begriffe „omissio libera in causa“ und „actio libera in causa“ sogar synonym, vgl. ferner LK-Jähnke, 11. Auflage, § 20, Rn. 76; Sch / Sch-Lenckner / Perron, § 20, Rn. 34; SK-Rudolphi, § 20, Rn. 29a. Auch Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 19, Rn. 36 f.; Krause, FS-Mayer, 1966, S. 308 ff.; ders., Jura 1980, 169 f.; Maurach, JuS 1961, 373 f.; Maurach / Zipf, AT I, § 36, Rn. 55; Otto, Jura 1986, 426, 434 und Puppe, JuS 1980, 346, 347 übertragen die zur actio libera in causa entwickelten Grundsätze auf andere Fälle des Vorverschuldens. Krit. Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 33. 15 Unter schuldhafte Defektherbeiführung fällt sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten. 16 Vgl. etwa Hruschka, Strafrecht, S. 57. Der Fall wird hier vereinfacht und auf eine Variante reduziert wiedergegeben. 17 Vgl. etwa Roxin, AT II, § 31, Rn. 103. 12 13
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
Ganz ähnlich ist das Bahnwärterbeispiel gebildet, in welchem sich ein Bahnwärter im Dienst betrinkt, obwohl er weiß, dass er durch den Alkohol regelmäßig in den Schlaf fällt und dann nicht mehr für die Umstellung der Weichen bzw. der Signale sorgen kann. Wie vom Bahnwärter vorhergesehen, kommt es zu einem Zugzusammenstoß, bei dem mehrere Insassen getötet werden. In beiden Fällen fehlt es zu dem Zeitpunkt, da der Erfolgseintritt hätte abgewendet werden müssen, an der Handlungsfähigkeit des Täters, so dass das Untätigbleiben im Defektzustand für sich betrachtet kein Unterlassen im Rechtssinne darstellt: Zwar kann der Bademeister – anders als der Bahnwärter – zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts noch bestimmte Handlungen durchführen und etwa am Strand entlang laufen. Der Begriff der Handlungsunfähigkeit setzt jedoch nicht zwingend einen Totalausfall jedweder faktischen Handlungsmöglichkeit voraus. Entscheidend ist allein der Verlust der Fähigkeit zur Vornahme der rechtlich geforderten Handlung. Der Bademeister ist also insoweit handlungsunfähig, als er sich außerstande sieht, die strafrechtlich allein interessierende Rettungshandlung vorzunehmen. Aus diesem Grunde kann der Täter in beiden Beispielen jedenfalls dann nicht wegen Tötung durch Unterlassen bestraft werden, wenn man nur das Verhalten im Defektzustand für strafrechtlich relevant erachtet. Anders verhält es sich, wenn man das vorsätzliche Herbeiführen des Defekts in der strafrechtlichen Bewertung der Fälle mitberücksichtigt. 18 c) Beispiele aus der Rechtsprechung Auch die Rechtsprechung befasste sich mehrfach mit Fällen der schuldhaft herbeigeführten Handlungsunfähigkeit. Auffallend ist, dass die Diskussion sich hier nicht etwa um die Frage rankt, ob und inwieweit die Berücksichtigung des Vorverhaltens überhaupt in Einklang mit den strafrechtlichen Zurechnungsregeln steht. Vielmehr beurteilt die Rechtsprechung die strafrechtliche Relevanz des Vorverhaltens offensichtlich primär nach der Auslegung des in Rede stehenden Straftatbestands, ohne sich um den Nachweis oder die Ermittlung allgemeiner Zurechnungsgrundsätze zu bemühen. Es stehen also – wie nachfolgend ersichtlich wird – Fragen der jeweiligen Verbotsnorm im Vordergrund. In der Rechtsprechung ist die selbstverschuldete Handlungsunfähigkeit vor allem bei § 266a StGB von Relevanz. Ausgelöst wurde die Diskussion durch das Urteil des OLG Düsseldorf vom 18. Juni 1993,19 dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt: Die Klägerin (Krankenkasse) nahm die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese als Geschäftsführerin der T-GmbH für die Zeit vom 10. Mai bis 18 Als Zurechnungsmodelle, die das Vorverschulden einbeziehen, sind vor allem das Tatbestands- und das Ausnahmemodell zu nennen. Näher hierzu in Kap. 1, § 2. 19 OLG Düsseldorf NJW- RR 1993, 1448 f.
§ 1 Begriff und Konstellationen des Vorverschuldens
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3. August 1991 die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt hatte. Die Beklagte trug daraufhin vor, sie habe sämtliche liquiden Mittel der T-GmbH noch vor Fälligkeit der Sozialversicherungsanteile für die Bezahlung der Arbeitnehmer verwendet. Das LG wies die Klage ab, da die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage – § 823 II BGB i.V. m. § 266a StGB – nicht erfüllt seien. Auch die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das OLG führt aus, dass Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dann i. S. d. § 266a StGB vorenthalten werden, wenn sie bei Fälligkeit nicht an die zuständige Einzugsstelle abgeführt werden.20 Da es sich bei § 266a StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt handle, setze die Tatbestandsverwirklichung voraus, dass der Arbeitgeber im Fälligkeitszeitpunkt21 die Möglichkeit zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge hatte. Wenn dem Täter die geschuldete Beitragsleistung zu diesem Zeitpunkt unmöglich sei, liege ein Fall der Handlungsunfähigkeit in Form der Zahlungsunfähigkeit vor, so dass es an einem rechtlich relevanten Unterlassen fehle. Sodann wendet sich das Berufungsgericht der logisch zweitrangigen Frage zu, ob der Beklagten das Herbeiführen der Zahlungsunfähigkeit als bedingt vorsätzliches pflichtwidriges Verhalten zur Last gelegt werden kann, was – entgegen der aktuellen Rechtsprechung22 – verneint wurde. In der Folgezeit musste sich die Rechtsprechung auch weiterhin regelmäßig mit der Frage der selbstverschuldeten Handlungsunfähigkeit bei § 266a StGB auseinandersetzen.23 Die Diskussion beschränkt sich dabei auf die Frage der Auslegung von § 266a StGB und berührt die Frage der Zurechnungsstruktur in den Vorverschuldensfällen eher am Rande.24 Festzuhalten bleibt, dass nach inzwischen ständiger Rechtsprechung die gem. § 266a StGB strafbewehrte Zahlungsverpflichtung aus § 22 SGB IV Vorrang gegenüber allen anderen Verpflichtungen des Schuldners haben soll, so dass § 266a StGB auch dann einschlägig sein soll, wenn der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit durch sein vorausgehendes Verhalten vereitelt hat.25 Vgl. auch BGH VersR 1991, 1378, 1379 und VersR 1996, 1541. Gem. § 23 I SGB IV ist dies der 15. des der Lohnzahlung folgenden Kalendermonats. 22 Vgl. etwa BGH JZ 1997, 100; BGH NJW 2002, 2480 ff.; BGH NStZ 2003, 154 ff. 23 BGHZ 134, 304; OLG Celle Wistra 1996, 114 f. m. Anm. Bente, Wistra 1996, 116, BGH Wistra 1997, 102 ff. m. Anm. Bente, BGH JZ 1997, 1002 m. Anm. Hellmann, JZ 1997, 1005 ff.; OLG Celle NStZ-RR 1997, 324 f.; OLG Celle, JR 1997, 478 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 689 ff.; OLG Celle NStZ 1998, 303 f.; BGH ZIP 1999, 1977, 1979; BGHZ 149, 100 ff.; OLG Hamm NJW-RR 1999, 915; OLG Celle, NJW 2001, 2985 f.; BGH NJW 2002, 2480 ff.; BGH NStZ 2003, 154 ff. Zur Diskussion in der Lit. vgl. Brückl / Kersten, NJW 2003, 272, Frister, JR 1998, 63 ff.; Rönnau, Wistra 1997, 13 ff.; SK-Samson / Günther, § 266a, Rn. 30. 24 Anders aber das AG Hamburg, 509 C 57 / 06 in seinem Urteil vom 23. 02. 2007, wo – wenn auch knapp – explizit auf die Zurechnung qua omissio libera in causa Bezug genommen wird; ähnlich auch das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 21. 12. 2007, III-5 Ss 288 / 07 IV, 5 Ss 288 / 07 – 166 / 07. 25 Bahnbrechend war insoweit das Urteil des BGH vom 21. Januar 1997, vgl. BGH JZ 1997, 1002. 20 21
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Ferner beschäftigte sich das BVerfG26 in jüngerer Zeit im Rahmen von § 92 I Nr. 1 AuslG mit der vorsätzlich herbeigeführten Handlungsunfähigkeit. Gem. § 92 I Nr. 1 AuslG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich entgegen § 3 I 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 AuslG besitzt. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, war mit gefälschtem Reisepass in die BRD eingereist und hatte seine eigenen Identitätspapiere bewusst im Heimatland zurückgelassen. Nach der Ablehnung seines Asylantrags war der Beschwerdeführer vom Ausländeramt über die Illegalität seines Aufenthalts belehrt und mehrfach aufgefordert worden, Angaben zum Nachweis seiner Identität zu machen, damit für ihn ein Heimreisedokument besorgt werden könne. In der Folgezeit legte der Beschwerdeführer keine Dokumente vor, so dass die Ausländerbehörde die syrische Botschaft ersuchte, einen sog. „Laissez-passer“ auszustellen, was jedoch ebenfalls daran scheiterte, dass der Beschwerdeführer die entsprechenden Dokumente nicht beibrachte. Auf Antrag des Beschwerdeführers wurde diesem schließlich eine Aussetzung der Abschiebung (sog. Duldung) bewilligt, da der Ausreise tatsächliche Gründe (nämlich der fehlende Identitätsnachweis) entgegenstanden. Daraufhin verurteilte das AG Kempten den Beschwerdeführer gem. § 92 I Nr. 1 AuslG, da er bis zur Aussetzung der Abschiebung jedenfalls keine förmliche Duldung besessen habe. Dass es sich vorliegend um einen Fall vorsätzlich herbeigeführter Handlungsunfähigkeit handelt – der Täter hat durch das Zurücklassen seiner echten Personalpapiere sowie durch Fälschen eines Ausweises selbst die Ursache dafür gesetzt hat, dass er seiner Pflicht zur Ausreise nicht nachkommen konnte – wird vom AG ebenso wenig wie vom Berufungsgericht gesehen. Erst das Revisionsgericht erkennt die Konstellation und erklärt die spätere Handlungsunfähigkeit des Täters aufgrund seines Vorverschuldens für irrelevant, ohne freilich näher zu erörtern, wie die Zurechnung des Vorverschuldens dogmatisch zu begründen ist. Das schlussendlich erfolgreich angerufene BVerfG greift diesen Ansatz leider nicht auf, sondern begründet seinen Beschluss allein damit, dass eine Strafbarkeit gem. § 92 I Nr. 1 AuslG bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung bestand. Dieser Anspruch bestehe unabhängig davon, ob der Ausländer das Entstehen des Ausreisehindernisses zu vertreten habe oder nicht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers beruhe daher auf einer willkürlichen Auslegung des § 92 I Nr. 1 AuslG. Die Entscheidung des BVerfG trägt insofern zur dogmatischen Einordnung des Vorverschuldens nichts bei. 2. Das Fehlen eines rechtlich relevanten Handelns (actio libera in causa) Ihr Pendant findet die schuldhafte omissio libera in causa im Bereich der Begehungsdelikte27, wenn der Täter vorsätzlich darauf hinwirkt, dass sein unmittelbar 26
Vgl. NStZ 2003, 488 f. m. Anm. Kudlich, StV 2005, 214.
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zum Erfolg führendes Verhalten keine Handlungsqualität aufweist. Solchenfalls ist von einer sog. actio libera in causa die Rede.28 Diese Bezeichnung wurde ursprünglich für die vorsätzlich herbeigeführte Schuldunfähigkeit entwickelt und wird dort auch immer noch verwendet.29 Die actio libera in causa kennzeichnet darüber hinaus jedoch auch Fälle, in denen der Täter vorsätzlich darauf hinwirkt, dass das unmittelbar zum Erfolg führende Verhalten keine Handlungsqualität aufweist.30 a) Der Handlungsbegriff Nach ganz h. M. hat der Handlungsbegriff zur Mindestvoraussetzung, dass ein willensgetragenes menschliches Verhalten vorliegt.31 Ist das zum Erfolg führende Verhalten nicht von einem natürlichen Handlungswillen getragen, so gilt es mangels Handlungsqualität strafrechtlich als grundsätzlich irrelevant. b) Beispiele aus der Literatur In der Literatur wird als Beispiel für das vorwerfbare32 Herbeiführen eines Verhaltens ohne Handlungsqualität vor allem die Mutter angeführt, die ihr kleines Kind zu sich ins Bett nimmt, obwohl sie sehr wohl um ihre unruhigen Schlafbewegungen weiß, und das Kind im Schlaf erdrückt oder aus dem Bett stößt.33 Das fahrlässige Vorverhalten kann hier darin erblickt werden, dass die Mutter sich in 27 Unter einem Begehungsdelikt versteht man ein Delikt, bei dem die Tatbestandsverwirklichung an ein aktives Tun anknüpft. Im Gegensatz dazu ist das Unterlassungsdelikt ein Delikt, bei dem der Täter den tatbestandsmäßigen Erfolg durch Nichtstun, d. h. durch bloßes Unterlassen erfüllt. Erklärungsbedürftig wird diese Einteilung im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte, welche originär und der Formulierung nach an als Verbot gefasste Tätigkeitsdelikte anknüpfen. Diese werden jedoch durch das Eingreifen von § 13 StGB in Gebotsnormen gewandelt. Infolge dieser Transformation verlieren sie ihren im Ursprung gegebenen Charakter als Begehungsdelikte und werden zu Unterlassungsdelikten, die man als „unecht“ bezeichnet, weil sie – anders als die echten Unterlassungsdelikte wie § 323c StGB – aufgrund der Formulierung der Tatbestandsnorm das Unterlassen gerade nicht erfassen, sondern nur ein „Tun“ unter Strafe stellen. Vgl. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 1959, S. 259; insoweit übereinstimmend Jakobs, AT, 28 / 12. 28 Wörtlich übersetzt bedeutet dies: eine in ihrer Verursachung freie Handlung. Wiederum ist der Begriff irreführend, da es in den Fällen fehlender Handlungsqualität um das Fehlen der actio, nicht aber um deren Freiheit oder Unfreiheit geht. Die Bezeichnung hat sich dennoch durchgesetzt, was wohl auf die Ähnlichkeit mit den Fällen der vorsätzlich herbeigeführten Schuldunfähigkeit zurückzuführen ist. 29 Vgl. statt vieler Roxin, AT I, § 20, Rn. 56. 30 Diese äußerst selten erörterte Konstellation erkennen Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 417, 419. 31 Vgl. statt vieler Ebert, AT, S. 22. 32 Der Begriff des vorwerfbaren Vorverhaltens wird im Folgenden als Oberbegriff für fahrlässige und vorsätzliche Verursachung des Erfolges verwandt. 33 Ebert, AT, S. 22.
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Kenntnis ihrer Schlafgewohnheiten und im Zustand der Müdigkeit neben den Säugling gelegt und nicht gegen den Schlaf angekämpft hat.
c) Beispiel aus der Rechtsprechung In der Rechtsprechung wurden verschiedentlich Fälle entschieden, in denen sich die Frage stellte, ob das Fehlen der Handlungsqualität im konkreten Fall in vorwerfbarer Weise34 herbeigeführt wurde. Zunächst ist auf ein Urteil des BGH35 hinzuweisen, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der Angeklagte litt als Folge einer schweren Hirnverletzung regelmäßig unter epileptischen Anfällen, die trotz vorschriftsmäßiger Medikamenteneinnahme immer wieder und in unterschiedlicher Stärke – teilweise bis hin zu Bewusstseinsstörungen i. S. eines Dämmerzustandes – vor allem in Situationen besonderer Belastung eintraten. Der Angeklagte führte ein Fahrzeug, obwohl er von den behandelnden Ärzten darauf hingewiesen worden war, dass er wegen seiner Krankheit nicht Auto fahren dürfe, solange er nicht mindestens zwei Jahre anfallfrei sei; derselbe Hinweis fand sich auf dem Beipackzettel des vom Angeklagten eingenommenen Medikaments. Am 19. Juli 1993 fuhr der Angeklagte eine Strecke von mehr als 450 km unter widrigen Verkehrs- und Witterungsbedingungen. Dabei erlitt er in einer Innenstadt innerhalb von Sekundenbruchteilen einen Anfall, der zu einer Verkrampfung seines rechten Beines führte und von einer Dämmerattacke begleitet war. Infolge der Verkrampfung des Beines wurde das Gaspedal heruntergedrückt und der Angeklagte fuhr in eine Gruppe von Fußgängern. Bis das Fahrzeug vor einem Hindernis zum Stehen kam, wurden mehrere Verkehrsteilnehmer – zum Teil tödlich – verletzt. Der BGH führte aus, dass es in der unmittelbaren Unfallsituation mangels willensmäßiger Steuerung oder Beherrschbarkeit an einer strafrechtlich erheblichen Handlung des Angeklagten gefehlt habe. Die Tathandlung der §§ 222, 229 StGB liege aber bereits in der Inbetriebnahme des Fahrzeugs, welche sich angesichts der Häufigkeit und der Intensität der Anfälle als sorgfaltspflichtwidrig im Hinblick auf andere Verkehrsteilnehmer dargestellt habe. Der actio libera in causa bedürfe es dabei aber nicht, da im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte jede sorgfaltspflichtwidrige Vorfeldhandlung Tathandlung sein könne. Insoweit sei die Vorverlagerung unproblematisch. Im Ergebnis ist dem BGH zuzustimmen. Dass die Lösung nicht über die actio libera in causa führen kann, liegt jedoch nicht an der speziellen Struktur der Fahrlässigkeitsdelikte, sondern daran, dass der Autofahrer den epileptischen Anfall (also die Defekttat) nicht durch die Inbetriebnahme des Fahrzeugs herbeigeführt hat. Vielmehr trat der Anfall anlässlich der Fahrt auf, die für sich genommen be34 Die Urteile betreffen jedoch nur Fälle, in denen hinsichtlich des Vorverhaltens allenfalls Fahrlässigkeit in Betracht kommt. 35 BGHSt 40, 341 ff.
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reits deshalb sorgfaltspflichtwidrig war, weil der Fahrer stets damit rechnen musste, von einem Anfall überrascht zu werden. Das Autofahren war damit zwar kausal für den Erfolgseintritt, nicht aber für die Herbeiführung des Defektes. In den Vorverschuldensfällen genügt es aber nicht, dass der Täter den Erfolg verursacht hat – vielmehr muss er auch den Eintritt des Defektes herbeigeführt haben; es ist also eine durchgängige Kausalität zwischen Defektherbeiführung und Defekttat erforderlich.36 Weitere Fälle zur vorwerfbaren Verursachung einer Nicht-Handlung finden sich in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung.37 So sprach das LG Düsseldorf 38 bei der Prüfung eines Schadensersatzanspruches nach § 823 BGB nicht nur die Frage an, ob eine Handlung vorliegt, wenn der Beklagte sich nach dem Kentern eines Bootes in Panik an den Mitinsassen klammert und ihm dadurch einen Schaden zufügt, sondern auch, ob der Beklagte die Gefahrenlage – und damit letztendlich die Panikreaktion – verschuldet hat. Die Problematik wird von den Zivilgerichten jedoch nicht im Rahmen einer allgemeinen Vorverschuldenszurechnung erörtert. Dies ist in manchen Fällen auch nicht erforderlich, da das BGB für Schäden, welche einem anderen im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zugefügt werden, einen Verantwortungsausschluss in Gestalt des § 827 S. 1 BGB vorsieht, der gem. § 827 S. 2 BGB dann nicht zugunsten des Schädigers greift, wenn dieser seinen Zustand durch Getränke oder ähnliche Mittel widerrechtlich verursacht hat. Die Relevanz der zivilgerichtlichen Urteile für das Strafrecht erschöpft sich also darin, dass ihnen Sachverhalte zugrunde liegen, die veranschaulichen, in welcher Weise es in der Praxis zu einem vom Schädiger herbeigeführten Fehlen der Handlungsqualität kommen kann.
3. Das Fehlen sonstiger Tatbestandsmerkmale Neben den Fällen der vorwerfbar herbeigeführten Handlungsunfähigkeit bzw. der Nicht-Handlung kommen weitere Möglichkeiten des vorwerfbar herbeigeführten Tatbestandsausschlusses in Betracht, nämlich das tatbestandsausschließende Einverständnis und die Umgehung von Tatbestandsmerkmalen. Ausführlich dazu unten Kap. 3 § 2 II. Vgl. LG Düsseldorf, VersR 1996, 513 ff.; BGHZ 98, 135 ff. Bei den beiden Urteilen handelt es sich – wie erwähnt – zwar um zivilgerichtliche Entscheidungen, die das vorwerfbar herbeigeführte Fehlen der Handlungsqualität im Rahmen der §§ 823 ff. BGB ansprechen. Dennoch können diese Urteile hier zur Veranschaulichung herangezogen werden, da die Mindestvoraussetzungen an eine menschliche Handlung im Zivilrecht und im Strafrecht übereinstimmen. 38 LG Düsseldorf, VersR 1996, 513 ff. 36 37
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a) Das tatbestandsausschließende Einverständnis (1) Der Begriff des tatbestandsausschließenden Einverständnisses Bestimmte Strafvorschriften verlangen ihrem Wortlaut oder dem Sinn der Deliktsbeschreibung nach, dass sich die tatbestandsmäßige Handlung unmittelbar und ausschließlich gegen den Willen des Betroffenen richtet. Zu nennen sind hier vor allem solche Delikte, die eine Nötigung enthalten (etwa die §§ 240, 177 I Nr. 1 StGB). Das Gesetz liefert aber auch sonst zahlreiche Beispiele wie die §§ 123, 242, 248b StGB. Der das Unrecht begründende Umstand liegt in diesen Fällen in dem Handeln gegen den Willen des Verletzten.39 Erklärt sich der Betroffene einverstanden, so verwandelt sich die potentiell strafbare Handlung in einen normalen sozialüblichen Vorgang mit der Folge, dass der Tatbestand des jeweiligen Delikts ausgeschlossen ist.40 Diese Wirkung soll grundsätzlich auch dann eintreten, wenn der Täter das Einverständnis des Opfers durch Täuschung oder durch Drohung erlangt hat.41 (2) Beispiele aus der Rechtsprechung Die in der Rechtsprechung entschiedenen Fälle des vorwerfbar erlangten und doch wirksamen Einverständnisses betreffen vornehmlich das durch Täuschung erschlichene Einverständnis. So verneinte etwa das OLG Stuttgart42 eine Strafbarkeit wegen Vergewaltigung gem. § 177 StGB dann, wenn das Opfer aufgrund einer Täuschung sein Einverständnis in die Aufnahme der sexuellen Beziehung erteilt hat. Das Einverständnis in die Ausübung des Geschlechtsverkehrs werde nicht dadurch unwirksam, dass der Angeklagte es durch Täuschung erschlichen habe. Dem Urteil lag der bizarre Fall des „Rotbarts von Tübingen“ zugrunde, in dem der Angeklagte zahlreiche Frauen durch die Vorspiegelung, er sei andernfalls in der Gefahr zu verblöden und zu erblinden, zur Aufnahme sexuellen Kontakts veranlasst hatte. Das tatbestandsausschließende Einverständnis spielt aber auch jenseits der Sexualdelikte in der Rechtsprechung eine Rolle. So befasste sich der BGH in seinem Urteil vom 05. 05. 198343 mit der Frage, ob ein Diebstahl gem. § 242 StGB oder ein Betrug gem. § 263 StGB vorliegt, wenn der Angeklagte seiner vorgefassten Absicht entsprechend an einer Selbstbedienungstankstelle tankt und wegfährt, ohne zu bezahlen. Der BGH verneint einen Diebstahl, weil der Angeklagte das Benzin nicht – wie für § 242 StGB erforderlich – durch Wegnahme, sondern mit 39 40 41 42 43
Näher hierzu Geerds, GA 1954, 262, 264 ff. Jescheck / Weigend, AT, S. 372; vgl. auch Roxin, AT I, § 13, Rn. 2; Jakobs, AT, 7 / 104. Vgl. statt vieler Geerds, GA 1954, 262, 268 ff. OLG Stuttgart, NJW 1962, 62; vgl. dazu Arzt, JuS 1982, 717, 725. BGH NJW 1983, 2827 ff.
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Einverständnis des Tankstelleninhabers an sich gebracht habe. Dass der Angeklagte das Einverständnis mittels einer Täuschung über seine Zahlungsbereitschaft erlangt habe, sei unbeachtlich. Die Fälle des erschlichenen einverständlichen Gewahrsamsübergangs seien vielmehr über § 263 StGB zu lösen. In einem anderen Fall führte der BGH mit Beschluss vom 18. 02. 199344 aus, dass der Tatbestand des Verwahrungsbruchs gem. § 133 StGB nicht einschlägig sei, wenn der Verwalter durch Täuschung veranlasst wurde, die verwahrte Sache herauszugeben. Der Angeklagte hatte die Ausfertigung eines landgerichtlichen Beschlusses verfälscht und durch Vorlage dieser Urkunde erreicht, dass ihm ein rechtskräftig eingezogenes Motorrad von der Beweisstückverwaltung der Staatsanwaltschaft wieder herausgegeben worden war. Die Sache ist nach der Rechtsprechung nicht der dienstlichen Verfügung des Verwahrers entzogen worden, weil die Entfernung des amtlich verwahrten Objekts nicht, wie tatbestandlich vorausgesetzt, gegen seinen Willen, sondern mit seinem (wenn auch erschlichenen) Einverständnis erfolgte. (3) Beispiele aus der Literatur Als Beispiel für ein abgenötigtes und doch wirksames Einverständnis nennt Roxin45 den Fall, dass der Täter das Einverständnis in sexuelle Handlungen durch die Drohung mit einem Skandal erzwingt. Die Irrelevanz einer solchen Drohung für die Wirksamkeit des Einverständnisses ergebe sich aus dem Wortlaut der §§ 177, 178 StGB, der nur die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben pönalisiere. Ebenso wenig sei es ein Diebstahl gem. § 242 StGB, wenn der Täter durch Nötigung erreiche, dass der Eigentümer es ihm gestatte, seine Sache an sich zu nehmen. Derartige Verhaltensweisen seien bereits vom Tatbestand der Erpressung gem. § 253 StGB erfasst.46 Für die Beurteilung der Frage, ob Täuschung oder Zwang die Wirksamkeit des Einverständnisses beseitigen, ist die Auslegung der einschlägigen Verbotsnorm also häufig mitentscheidend.47 Es fehlt mithin an einer tatbestandsübergreifenden Regel, die besagt, unter welchen Voraussetzungen Täuschung und Zwang die Wirksamkeit des Einverständnisses beseitigen.48 Infolgedessen können die Fälle des BGH MDR 1993, 719. Roxin, AT I, § 13, Rn. 117. 46 Das gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass man für § 253 StGB eine Wegnahme genügen lässt. 47 So auch Roxin, AT I, § 13, Rn. 106. 48 Vgl. auch Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 17, Rn. 93; Jescheck / Weigend, AT, S. 374. Dies zeigt nicht zuletzt ein Fall aus der Rechtsprechung, in dem die Täuschung – anders als in den hier erörterten Fällen – die Wirksamkeit des Einverständnisses beseitigen sollte, vgl. OLG München, NJW 1972, 2275: dort wurde das von Rauschgifthändlern erteilte Einverständnis zum Betreten einer Wohnung im wesentlichen deswegen für unwirksam erachtet, weil die Berechtigten sich darüber irrten, dass es sich bei den „Eindringlingen“ um Rauschgiftfahnder handelte. 44 45
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vorwerfbar erlangten Einverständnisses bei der Erarbeitung und Begründung einer allgemeinen Vorverschuldenshaftung außer Betracht gelassen werden.
b) Die Umgehung von Tatbestandsmerkmalen Neben den genannten Fallgruppen sind auch Konstellationen denkbar, in denen der Täter in anderer Weise als durch Einwirken auf die eigene Handlungsfähigkeit bzw. auf die Willensbildung beim Opfer dafür Sorge trägt, dass ein tatbestandliches Merkmal fehlt. (1) Beispiele aus der Rechtsprechung In der Rechtsprechung wird das vorwerfbar verursachte Fehlen eines Tatbestandsmerkmals vor allem im Rahmen von § 249 StGB diskutiert, namentlich wenn der Täter die Wegnahme nicht unter Einsatz eines Nötigungsmittels vollzieht, sondern statt dessen die fortdauernde Nötigungswirkung einer zuvor von ihm verübten Gewaltanwendung zur Wegnahme ausnutzt.49 So hatte der BGH50 über einen Fall zu entscheiden, in dem die in einem Hotel eingemieteten Angeklagten den Portier am Ende ihres Aufenthalts in ihrem Zimmer gefesselt und eingesperrt hatten, um alsdann Geld aus der Kasse der unbesetzten Rezeption zu entnehmen und zu verschwinden. Der BGH hatte die Angeklagten lediglich wegen Diebstahls verurteilt, da die Nötigungshandlung bei der Wegnahme bereits abgeschlossen gewesen sei und lediglich die Nötigungswirkung noch fortgedauert hätte.51 Erst Otto52 hat in dieser Konstellation einen Bezug zu den Vorverschuldensfällen gesehen und sich aus diesem Grunde dafür ausgesprochen, das Problem gemäß den Grundsätzen über die actio libera in causa53 zu lösen. Diesem Vorschlag liegt der Gedanke zugrunde, dass sich der Täter durch sein eigenes vorwerfbares Vorverhalten der Notwendigkeit enthoben hat, weitere aktive Gewalt einsetzen zu So auch das Beispiel von Otto, BT, § 46 Rn. 18 ff. Vgl. BGHSt 32, 88; hierzu näher Jäger, Examensrepetitorium BT, § 8, Rn. 291 f. 51 Anders Eser, NJW 1965, 377, 379 f., der eine Gewaltanwendung durch Unterlassen bejaht, welche der aktiven Gewaltanwendung gleichstehe. Der Täter trage auch eine Garantenstellung aus Ingerenz, welche sich aus dem vorherigen Fesseln und Einsperren des Opfers ergebe. Ihm folgend Sch / Sch-Eser, § 249, Rn. 6; Jakobs, JR 1984, 385, 386; Mitsch, BT II / 1, § 3, Rn. 27; Schünemann, JA 1980, 349, 353. Ablehnend Tröndle / Fischer, § 249, Rn. 9a; SKGünther, § 249, Rn. 34; LK-Herdegen, § 249, Rn. 16; Wessels / Hillenkamp, BT, Rn. 336 f.; NK-Kindhäuser, § 249, Rn. 38; Jäger, Examensrepetitorium BT, § 8, Rn. 292. In BGHSt 48, 365 ff. hat sich der BGH jedoch inzwischen der Eserschen Ansicht angeschlossen. Ablehnend hierzu Otto, JZ 2004, 365 ff.; vermittelnd Walter, NStZ 2005, 240, 243. 52 Otto, JZ 2004, 364, 365; ders., BT, § 46, Rn. 21. 53 Vgl. zu dieser dem Tatbestandsmodell angehörenden Zurechnungskonstellation nachfolgend Kap. 1, § 2 II. 49 50
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müssen. Der Gedanke des Vorverschuldens verfängt im vorliegenden Fall jedoch nicht: § 249 StGB ist ein Vorsatzdelikt. Eine vorsätzliche actio libera in causa liegt jedoch nur dann vor, wenn der Täter schon bei der ersten Handlung (also dem Fesseln des Opfers) Vorsatz hinsichtlich seines späteren Tuns (der Wegnahme) hat. Richtet sich der Vorsatz des Täters indes von Beginn an auf eine Wegnahme, so besteht der für § 249 StGB geforderte Finalzusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme, so dass das dargestellte Problem entfällt.54 Bei der geschilderten Konstellation handelt es sich also lediglich um einen Scheinfall des Vorverschuldens, so dass sie im Folgenden außer Betracht zu lassen ist. (2) Beispiel aus der Literatur Als Beispiel für das vorsätzliche Herbeiführen der Tatbestandslosigkeit des Verhaltens bildet Hruschka55 den Fall, dass ein Beamter, der über Jahre hinweg rechtswidrig Baugenehmigungen für Projekte einer bestimmten Großbaugesellschaft erteilt hat, auf Antrag aus dem Dienst ausscheidet, und sodann – wie von Anfang an geplant – mit der Forderung an die Gesellschaft herantritt, ihn nachträglich für die Erteilung der Baugenehmigungen zu bezahlen, was auch geschieht. Hier hat der Beamte durch sein Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst seine Amtsträgereigenschaft i. S. v. § 11 I Nr. 2a StGB verloren und kann daher nicht mehr gem. § 332 StGB bestraft werden, es sei denn, der Antrag auf Entlassung im Wissen um die geplanten Forderungen käme als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit in Betracht. Hiergegen spricht jedoch, dass es ganz unplausibel wäre, könnte die Herbeiführung der Unverbotenheit einer Handlung – außerhalb der Fälle von Täuschung und Zwang – einen Strafbarkeitsvorwurf begründen: Die Rechtsordnung enthält nämlich weder das Gebot noch die Obliegenheit56, auf die Verbotenheit einer Handlung hinzuwirken. Die Verantwortlichkeit des Täters für diese Form der Tatbestandslosigkeit seines Verhaltens stellt daher keine Fallgruppe des Vorverschuldens dar.57 Hierfür spricht auch, dass Vorkehrungen zur Nichterfüllung eines Tatbestandes schon nicht als Versuch der jeweiligen Tat qualifiziert werden können.58
So bereits Walter, NStZ 2005, 240, 243. Hruschka, Strafrecht, S. 351 f. Ein weiteres Beispiel findet sich bei Hruschka, SchwZStR 90, 46, 75. 56 Den Begriff der Obliegenheit verwendet Hruschka, Strafrecht, S. 354. Der Verstoß gegen eine Obliegenheit soll – anders als der Verstoß gegen eine abgeleitete Gebotsnorm – noch nicht zu einer Versuchsstrafbarkeit, sondern allenfalls zu einer Versagung von Exkulpationsregeln führen. Vgl. auch Hruschka, Rausch, 2003, 291, 300 f. Näher hierzu sogleich Kap. 1, § 2 I. 57 So auch Kolz, actio libera in causa, 1970, S. 103; Neumann, GA 1985, 389, 390. 58 Vgl. Übler, actio libera in causa, 2003, S. 55. 54 55
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II. Der Defekt im subjektiven Tatbestand – § 16 StGB (actio dolosa in causa) Die Diskussion um das Vorverschulden setzt sich im Bereich der subjektiven Zurechnung fort.59 1. Beispiel aus der Rechtsprechung Das vorwerfbare Herbeiführen der eigenen Unwissenheit ist ein Phänomen, das die Rechtsprechung bislang, soweit ersichtlich, höchst selten beschäftigt hat. Gleichwohl ist es denkbar, dass ein Täter ihm unangenehme Umstände oder Ereignisse durch aktive Verdrängungsmechanismen bewusst oder unbewusst gänzlich ausblendet bzw. ins Unterbewusstsein verschiebt, so dass es ihm in der Folge am Vorsatz fehlt. Ein derartiger Sachverhalt lag einem Urteil des BGH vom 11. 12. 200160 zugrunde: Der Angeklagte war – ebenso wie seine mitangeklagte Freundin – Halter eines Kampfhundes. Beide Hunde verfügten über eine erhebliche Bisskraft und waren darauf trainiert, große Höhen zu überspringen. Die Tiere waren wiederholt auffällig geworden, weil sie andere Hunde angegriffen und zum Teil erheblich verletzt hatten. Das Wirtschafts- und Ordnungsamt ordnete daher an, dass die Hunde außerhalb der Wohnung stets an der Leine zu halten seien, einen Maulkorb tragen müssten und nicht zusammen ausgeführt werden dürften. Als kurze Zeit später der Hund der Angeklagten erstmals Menschen anfiel und verletzte, forderte das Amt die Angeklagte auf, das Tier dem Amtstierarzt vorzuführen. Die Angeklagte wollte zu diesem Zeitpunkt den Hund aus Angst vor weiteren Angriffen auf Menschen töten lassen. Hiervon ließ sie sich jedoch durch ihren ihr überlegenen und in der Hundeerziehung vermeintlich erfahreneren Freund abbringen, der den Vorfall als einmalig bagatellisierte und ihr gleichsam „die Verantwortung“ abnahm. Der Angeklagte selbst war überzeugt davon gewesen, dass die Angeklagte die Situation dramatisiert hatte. Die Angeklagte kam der Vorführanordnung angesichts dieser Selbstberuhigung nicht nach, da sie weitere Eskalationen für ausgeschlossen hielt und fürchtete, ihren Hund zu verlieren. Die Tiere wurden in der Folgezeit angeleint und in der Regel nur noch einzeln ausgeführt. Nur in dem zum Hause der Angeklagten gehörenden Innenhof, der an das Gelände einer Grundschule angrenzte, ließen die Angeklagten die Tiere jeweils kurz von der Leine, da die Tiere daran gewöhnt waren, ihr „Geschäft“ unangeleint zu verrichten. Nachdem der Hund der Angeklagten einen Maulkorb zerbissen hatte, unterließen die Halter die Anschaffung weiterer Maulkörbe, da ihnen diese zu kostspielig waren. Als der Angeklagte mit Wissen der Mitangeklagten die Tiere zusammen in den Innenhof führte und dort von der Leine ließ, sprangen sie – angelockt von den Geräuschen auf dem 59 60
Vgl. auch Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 418, 419. BGH NStZ 2002, 315 ff.
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benachbarten Schulhof, wo sich die Kinder in ihrer großen Pause aufhielten – über die 1,40 Meter hohe Schulhofsmauer und fielen einen sechsjährigen Jungen an, den sie abwechselnd in Kopf und Hals bissen. Der Angeklagte schaffte es trotz intensivster Bemühungen weder, die Hunde von dem Kind wegzureißen, noch das Kind mit seinem Körper zu schützen. Das Kind verstarb noch auf dem Schulhof. Der BGH verneinte das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes, da die Angeklagten trotz aller gravierenden Warnzeichen und amtlicher Hinweise die von den Hunden ausgehende Gefahr verkannt und in hohem Maße verdrängt hätten: Das Denken und Handeln beider Angeklagten sei von Unverstand, Verleugnung und Verdrängung als erlernter Problembewältigungsstrategie, Nachlässigkeit, Achtund Sorglosigkeit und in hohem Maße auch von Egoismus und Rücksichtslosigkeit geprägt. Beide Angeklagten wurden daher nur gem. § 222 StGB verurteilt. Der Sachverhalt zeigt insbesondere im Hinblick auf die Angeklagte, die zunächst das erforderliche Gefahrenbewusstsein hatte, sich dieses aber aus Sorge um ihr Tier selbst ausredete, dass es möglich ist, ein bestimmtes Wissen zu verdrängen. Letztendlich liegt hierin ein Fall selbst herbeigeführter Unwissenheit. Der BGH hat jedoch keine Ausführungen mehr zu der Frage gemacht, inwieweit die Angeklagten diesbezüglich ein Vorwurf trifft. Dies liegt wohl daran, dass das Gericht von einer bloß fahrlässigen Verdrängung seitens der Angeklagten ausging, die gem. § 16 I 1 StGB ohnehin nicht zu einer Vorsatzbestrafung hätte führen können.61
2. Beispiel aus der Literatur Dass es psychologisch möglich ist, ein bestimmtes Wissen unbewusst zu verdrängen, steht – wie gezeigt – außer Frage. Eine ganz andere Frage ist hingegen, ob sich die bewusste Verdrängung des Wissens oder die bewusste Verhinderung der Wissenserlangung als vorsätzliches Herbeiführen der Fahrlässigkeit klassifizieren lässt und zu einer Vorsatzbestrafung führen kann. Als Beispiel einer bewussten Wissensverdrängung bildet Herzberg62 den Fall, dass eine Hausfrau die offene Zerstörung des hässlichen Hochzeitsgeschenks, namentlich einer großen Bodenvase, scheut und die Vase – die eigene Vergesslichkeit einkalkulierend – in der Erwartung hinter die Kellertür stellt, dass sie beim Öffnen der Tür zu Bruch gehen werde, um sodann ein Alibi für die Zerstörung zu haben. Herzberg spricht in diesem Fall in Anlehnung an die actio libera in causa von einer actio dolosa in causa.63 61 Ebenso verhält es sich bei der actio libera in causa: auch dort kann nur das vorsätzliche Sich-Betrinken zu einer Vorsatzbestrafung führen. 62 Herzberg, FS-Spendel, 1992, S. 203, 217 f. Weitere Beispiele finden sich bei Hruschka, Strafrecht, S. 322 ff. 63 Gemeint ist: eine Handlung, die – an sich unvorsätzlich – in ihrem Ursprung vorsätzlich ist.
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Die bewusste Verhinderung der Wissenserlangung ist z. B. in dem Fall denkbar, dass ein Autohändler einen Gebrauchtwagen von einem Kollegen kauft: Als letzterer auf die Frage der Unfallfreiheit zu sprechen kommt und den Händler auf einen Unfallschaden des Wagens aufmerksam machen möchte, unterbricht ihn der Händler mit den Worten, er kaufe den Wagen wie gesehen. Der Händler möchte sich nämlich vorsorglich seine Gutgläubigkeit erhalten, um den Wagen später als unfallfrei weiterverkaufen zu können. Geht dieser Plan auf, so stellt sich die Frage, ob sich der Autohändler gem. § 263 StGB zu Lasten des Endabnehmers strafbar gemacht hat. Problematisch ist hier bereits das Merkmal der „Täuschung“, welches eine bewusst irreführende Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Opfers voraussetzt.64 Hat der Händler bei dem Verkauf an seinen Kunden nur noch in Erinnerung, dass ihm jedenfalls kein Unfallschaden bekannt ist, so fehlt es bereits an einer bewussten Irreführung und folglich auch am Tatvorsatz. Damit ist allerdings noch nichts darüber gesagt, ob die Parallele zur actio libera in causa tatsächlich verfängt. Auf diese Frage soll im Laufe der Bearbeitung noch näher eingegangen werden.65
III. Der Defekt in der Rechtswidrigkeit So wie der Täter auf das Fehlen eines Tatbestandsmerkmales hinwirken kann, so sind auch Fälle denkbar, in denen der Täter darauf hinwirkt, dass sein unmittelbar zum Erfolg führendes Verhalten nicht als rechtswidrig beurteilt werden kann.
1. Das Herbeiführen einer rechtfertigenden Einwilligung a) Der Begriff der Einwilligung Die überlieferte Meinung kennt im Anschluss an Geerds66 neben dem tatbestandsausschließenden Einverständnis die Einwilligung, welche nur rechtfertigende Wirkung haben soll.67 Das geschützte Rechtsgut werde in diesem Fall selbst Rengier, BT 1, § 13, Rn. 4. Vgl. unten Kap. 2, § 4 II.; Kap. 3, § 1 II. 4. 66 Geerds, Einwilligung, 1953; ders. GA 1954, 262 ff. 67 Vgl. etwa Dreher / Tröndle, Vorbem. 3a, b vor § 32; Hruschka, FS-Dreher, 1977, 189, 197; Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 453; Dreher, FS-Heinitz, 1972, S. 207, 220; Amelung, ZStW 109 (1997), 490; Jescheck / Weigend, AT, S. 375; Kühl, AT, § 9, Rn. 22; Otto, AT, § 8, Rn. 127; Wessels / Beulke, AT, Rn. 370. Zur im Vordringen befindlichen Gegenansicht, derzufolge die Einwilligung einen Tatbestandsausschließungsgrund darstellt, vgl. etwa Roxin, AT I, § 13, Rn. 12 ff.; ders., JuS 1988, 425, 426; ders., GS-Noll, 1984, S. 275 f.; ders., ZStW 84 (1972), 993, 1001 f.; ders., ZStW 85 (1973), 76, 100 f.; ders., Offene Tatbestände, 1970, S. 129 f.; Niedermair, Einwilligung, 1999, S. 30, 101; Rudolphi, GS-Kaufmann, 1989, S. 371, 374 f.; Schünemann, GA 1985, 341, 353. 64 65
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dann beeinträchtigt, wenn die Tat mit Willen des Berechtigten geschieht. Die im Tatbestand beschriebene Handlung wird also nicht als normaler Fall des Soziallebens gewertet, sondern führt zu einer Einbuße an Rechtsgütern, die der Träger des Rechtsguts im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit hinzunehmen bereit ist.68 Die Einwilligung muss vor dem Eingriff erklärt werden und grundsätzlich frei von Täuschung, Irrtum oder Zwang sein.69
b) Beispiele aus der Rechtsprechung Ein Fall der durch Täuschung erlangten Einwilligung liegt dem Urteil des BGH vom 1. 2. 196170 zugrunde: Die beiden Angeklagten – damals Studenten der Medizin – waren als sog. Famuli in einem Landkrankenhaus tätig. Während dieser Zeit behandelten sie selbständig Verletzungen und machten Eingriffe bei Patienten, von denen sie für Ärzte gehalten wurden. Der BGH setzte sich hier mit der Frage auseinander, ob die Angeklagten wegen Körperverletzung strafbar seien und befand, dass der Irrtum des Patienten über die Approbation des ihn Behandelnden in Ausnahmefällen bedeutungslos sei. Dies gelte bei solchen Heileingriffen, die – wie im vorliegenden Fall – nicht die besonderen Kenntnisse des Arztes voraussetzten. Erwähnenswert ist auch ein Beschluss des OLG Hamm71 von 1988, welches befand, dass die Injektion mit einem Placebo-Mittel zwar objektiv eine Körperverletzung darstelle, aber durch Einwilligung des Patienten selbst dann gedeckt sei, wenn der Patient irrig an die Nützlichkeit und Wirksamkeit des im Rahmen einer Diät verabreichten Präparats glaubte. Tatsächlich hatte das Präparat wegen seiner sehr geringen Dosierung keinerlei Wirkung und überhaupt keinen physiologischen Einfluss auf den Erfolg der Kur und war nur deshalb verabreicht worden, um den Kunden bei der besonders streng kontrollierten Diät psychisch zu unterstützen und ihn gleichsam zur Selbstdisziplin zu überlisten.
Vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 373. Vgl. BGHSt 4, 113, 118; Jakobs, AT, 14 / 8. Heftig umstritten ist, welche Willensmängel die Wirksamkeit der Einwilligung ausschließen; näher dazu Rönnau, Jura 2002, 665, 670. Die überkommene Lehre misst grundsätzlich jedem Willensmangel unwirksamkeitsbegründende Bedeutung zu, vgl. statt vieler Krey, AT 1, Rn. 620. Arzt, Willensmängel, 1970, S. 19 ff., erachtet demgegenüber nur rechtsgutsbezogene Defekte für relevant; krit. hierzu Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 500, der es als Widerspruch ansieht, dass Arzt eine durch Drohung abgenötigte Einwilligung als unwirksam erachtet. 70 Vgl. BGHSt 16, 309 ff. Näher hierzu auch Amelung, Einwilligung, 1998, S. 63, der den täuschungsbedingten Irrtum nur dann als wirksamkeitsausschließend für die Einwilligung erachtet, wenn die Einwilligung im „Widerspruch zum Wertesystem des Einwilligenden“ steht. Die Rechtsgutsverletzung soll dem Eingreifenden aber nur dann anzulasten sein, wenn sie ihm nach allgemeinen Regeln objektiv zurechenbar ist. Zum Fall auch Rönnau, Jura 2002, 665, 673. 71 Vgl. OLG Hamm, NStE Nr. 2 zu § 226 a StGB. 68 69
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c) Beispiele aus der Literatur Als Beispiel für eine durch Täuschung erlangte, wirksame Einwilligung nennt Arzt72 den Fall, dass ein Blutspender über ein zu erwartendes Entgelt getäuscht wird und sich nur hierdurch zu der Blutentnahme motivieren lässt. Eine trotz Drohung wirksame Einwilligung ist dagegen in dem Fall denkbar, dass ein Sportler nur dann zu einem Wettkampf zugelassen wird, wenn er einen Blut-Dopingtest mit Venenpunktion über sich ergehen lässt.73 Ab welchem Grad der Einflussnahme die Einwilligung im Einzelnen unwirksam wird, ist freilich umstritten. An dieser Stelle interessiert jedoch primär, dass es Fälle einer erschlichenen oder erzwungenen und dennoch wirksamen Einwilligung gibt. Nur hier stellt sich nämlich die Frage, ob die Erfolgszurechnung am Vorverhalten anknüpfen kann.
2. Das Herbeiführen einer mutmaßlichen Einwilligung a) Der Begriff der mutmaßlichen Einwilligung Ein Rechtfertigungsgrund eigener Art ist die mutmaßliche Einwilligung,74 die nach heute herrschender Ansicht strukturell einen Fall erlaubten Risikos darstellt und im Übrigen den Regeln der Einwilligung folgt, dieser gegenüber jedoch subsidiär ist.75 Die mutmaßliche Einwilligung kann nur dort Wirkung entfalten, wo eine Einwilligungserklärung nicht vorliegt und entweder überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Ist dies ohne größere Gefahr für den Betroffenen möglich, so muss grundsätzlich dessen Entscheidung abgewartet werden; keinesfalls darf das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers dadurch unterlaufen werden, dass vorschnell auf die mutmaßliche Einwilligung zurückgegriffen wird.76 Die mutmaßliche Einwilligung kann nur rechtliche Wirkung entfalten, wenn auch eine tatsächliche Einwilligung zulässig gewesen wäre. Entscheidend ist, was der individuelle Rechtsgutsträger mutmaßlich gewollt hätte – mag dies auch noch so unvernünftig sein. Lediglich wenn es an Indizien hinsichtlich des konkreten individuellen Willens fehlt, darf ein objektiver Maßstab unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angelegt werden. Während die Einwilligung vor dem Eingriff erklärt werden muss, ist die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung für den Zeitpunkt des Tatvollzugs gedacht. Arzt, Willensmängel, 1970, S. 21. Kühl, AT, § 9, Rn. 36, der die Drohung am Maßstab des § 240 StGB – einschließlich der Verwerflichkeitsprüfung – misst. Für eine Anwendung des § 35 StGB – Maßstabs dagegen Joecks, StGB, Vor § 32, Rn. 26; erwogen auch von Rudolphi, ZStW 86 (1974), 85. 74 Vgl. zur Entwicklung dieser Lehre Mezger, GS 89 (1924), 207. 75 Roxin, FS-Welzel, 1974, S. 447 ff.; Sch / Sch-Lenckner, Vor § 32, Rn. 56. 76 Maurach / Zipf, AT I, S. 385. 72 73
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Problematisch wird das Vorverschulden bezüglich einer Rechtfertigungslage hier vor allem im Bereich der Operationserweiterung.
b) Beispiel aus der Rechtsprechung Diskutiert wurde das Vorverschulden im sog. Myomfall77: Der Angeklagte, Chefarzt eines gynäkologischen Krankenhauses, behandelte eine 46-jährige Patientin wegen Unterleibsbeschwerden und stellte fest, dass sie an der Gebärmutter ein doppelfaustgroßes Myom (Geschwulst) hatte. Auf seinen Rat hin willigte sie in die operative Entfernung des Myoms ein. In der Operation stellte sich allerdings heraus, dass das Myom so fest mit der Gebärmutter verwachsen war, dass es nicht ohne sie entfernt werden konnte. Daraufhin räumte der Arzt den gesamten Gebärmutterkörper aus. Er hatte die Patientin vor der Operation über diese von ihm erkannte Möglichkeit nicht aufgeklärt und ihre diesbezügliche Einwilligung nicht eingeholt, weil er angesichts der eindeutigen Interessenlage der Patientin, welche kurz vor dem Klimakterium stand, eine solche Aufregung nicht für nötig hielt. Er ging freilich davon aus, dass die Maßnahme ihrem Willen entspreche. Der BGH schloss sich dem Urteil des LG an, den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen: Zwar sei das unmittelbare Entfernen der Gebärmutter nicht durch eine tatsächlich erklärte, aber immerhin durch die mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt. Insbesondere habe eine tatsächliche Einwilligung nicht eingeholt werden können, da der Arzt die Operation hätte abbrechen müssen, um das Erwachen der Patientin abzuwarten. In diesem Fall hätte es aber einer weiteren Operation bedurft. Gleichwohl habe der Arzt fahrlässig gehandelt, indem er es vor der Operation versäumt hatte, die Zustimmung der Patientin hinsichtlich der unter Umständen erforderlichen Entfernung der Gebärmutter einzuholen. Roxin78 hat gegen diese Lösung eingewandt, dass die ärztliche Aufklärungspflicht überdehnt werde, wenn sie auch auf Umstände erstreckt werde, durch die sich kein vernünftiger Mensch von einer Einwilligung abhalten lasse. Es müsse daher nur über solche Folgen informiert werden, die für die Zustimmung des Patienten in irgendeiner Hinsicht bedeutungsvoll sein können. Das Handeln des Arztes sei daher von der erteilten Einwilligung mitumfasst gewesen. Im Übrigen scheide eine mutmaßliche Einwilligung auch deshalb aus, weil es ja faktisch möglich gewesen sei, die tatsächliche Zustimmung der Patientin durch Abwarten einzuholen. BGHSt 11, 111. Roxin, HRR AT, S. 172. Anders Puppe, AT 1, § 28, 17 f., die – wie der BGH – eine mutmaßliche Einwilligung annimmt und eine Lösung über die actio illicita in causa sucht. Damit übersieht Puppe allerdings, dass hier das Einholen der tatsächlichen Einwilligung möglich war, so dass die bloß subsidiäre mutmaßliche Einwilligung gar nicht zur Anwendung kommen kann. 77 78
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Hier ist es aber bereits äußerst zweifelhaft, dass die Patientin dem Eingriff indifferent gegenübergestanden haben soll. Der Arzt befürchtete ja gerade eine heftige Reaktion seitens der Patientin; er konnte also nicht davon ausgehen, dass die Entfernung des Organs für sie bedeutungslos war. Sieht man im Übrigen den Kern der Einwilligung gerade im Selbstbestimmungsrecht des Patienten,79 so kann durchaus in Frage gestellt werden, dass der Arzt in derartig gravierenden Fällen eigenmächtig soll entscheiden dürfen: Immerhin ging es vorliegend um die (freilich medizinisch indizierte) Entfernung eines Organs. Letztendlich werden bei einer Reduzierung der ärztlichen Aufklärungspflichten Erwägungen, die dem Bereich der subsidiären mutmaßlichen Einwilligung angehören, in den Bereich der tatsächlichen Einwilligung verlagert: dem Patienten braucht nämlich nicht mehr die vollständige Dimension des Eingriffs gezeigt zu werden, weil unterstellt wird, dass Eingriffe, die (objektiv) keine spürbaren Folgen für den Patienten haben und objektiv sinnvoll sind, sowieso seinem Willen entsprechen. Sieht man jedoch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten als tragenden Grund der tatsächlichen Einwilligung, so ist (im Rahmen der gesetzlichen Grenzen) allein maßgeblich, was der Patient tatsächlich wollte – mag dieser Wille auch objektiv nicht vernünftig sein. Hat der Arzt bereits vor dem Eingriff erkannt, dass unter Umständen weiterreichende Eingriffe nötig werden, so muss er dies dem Patienten nach der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich vor der Operation mitteilen. Fehlt eine Aufklärung bezüglich der weitergehenden Eingriffe, so sind diese von der erteilten Einwilligung nicht erfasst. Die vorwerfbare Nichtaufklärung hat aber nicht zur Folge, dass die Regeln über die mutmaßliche Einwilligung kategorisch ausgeschlossen sind. Der Grundsatz der Subsidiarität wäre missverstanden, wollte man aus ihm herleiten, bei vorwerfbar ungenutzter Einholung einer früheren Einwilligung sei eine spätere Rechtfertigung über das Institut der mutmaßlichen Einwilligung im Tatzeitpunkt prinzipiell ausgeschlossen.80 Die mutmaßliche Einwilligung ist als Rechtfertigungsgrund nämlich nur ausgeschlossen, wenn und soweit im Tatzeitpunkt eine tatsächliche Einwilligung herbeigeführt werden kann. Der Grundsatz der Subsidiarität besagt in diesem Sinne, dass das Abstellen auf den mutmaßlichen Willen überall dort unstatthaft ist, wo nach Lage des konkreten Falls durchaus abgewartet werden kann, in welcher Weise der Rechtsgutsträger entscheiden wird. So lag es im Myomfall. Die Entscheidung eilte aus medizinischer Sicht nicht. Der Arzt handelte in diesem Fall also nicht gerechtfertigt. Soweit er davon ausging, zum Wohl der Patientin einschreiten zu dürfen, handelt es sich um einen Erlaubnisirrtum, der den Vorsatz bezüglich der Körperverletzung unberührt lässt. 79 So die ganz überwiegende Meinung, vgl. Rönnau, Einwilligung, 2001, S. 9; Amelung, Einwilligung, 1981, S. 29; Sternberg-Lieben, Einwilligung, 1997, S. 17 ff.; Otto, FS-Geerds, 1995, 603, 608 f.; Roxin, AT I, § 13, Rn. 12 ff.; Göbel, Einwilligung, 1992, S. 22. 80 Geppert, JZ 1988, 1024, 1027.
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Ein ähnlicher Fall lag dem Urteil des BGH vom 04. 10. 199981 zugrunde, in dem zwei Ärzte eine 24-Jährige im Anschluss an eine Entbindung mittels Kaiserschnitts eigenmächtig sterilisiert hatten, weil sie meinten, eine weitere Schwangerschaft sei zu riskant für die Patientin. Diese Diagnose stellte sich nachträglich als falsch heraus, so dass die Sterilisation gar nicht von Nöten gewesen wäre. Die Patientin hatte die Operationserweiterung zuvor sogar ausdrücklich abgelehnt. Das LG verurteilte die Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung, da ein vorsatzausschließender Erlaubnistatbestandsirrtum über das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung vorgelegen habe. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Eine Sterilisation habe jederzeit später ohne weiteres durchgeführt werden können. Im Übrigen habe außerdem die Möglichkeit bestanden, eine erneute Schwangerschaft mittels selbstbestimmter kontrazeptorischer Maßnahmen zu verhindern. Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung sei daher nicht anwendbar. Auch sei statt eines Erlaubnistatbestandsirrtums ein Verbotsirrtum in Betracht zu ziehen, da die Ärzte genau um den entgegenstehenden Willen der Patientin wussten und lediglich dachten, sie dürften sich kraft überlegener Sachkunde über diesen Willen hinwegsetzen. Insofern komme nicht eine fahrlässige, sondern eine vorsätzliche schwere Körperverletzung in Betracht. Dieses Urteil verdient im Hinblick auf Sinn und Zweck der Einwilligungsregeln uneingeschränkt Beifall. Eine Einwilligung muss allerdings ausnahmsweise nicht abgewartet werden, wenn eine Verzögerung der Operation ein lebensgefährliches Risiko für den Patienten bedeutet (sog. „vitale Indikation“) oder wenn der neue Befund nach allen im Zeitpunkt der Operation möglichen medizinischen Erkenntnissen ohne die beabsichtigte Änderung des Operationsplanes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod des Patienten in absehbarer Zeit führen müsste oder bei Abbruch bzw. Unterbrechung der Operation zum Zwecke der erweiterten Aufklärung ernsthaft mit zusätzlichen gefährlichen Komplikationen gerechnet werden müsste, die bei sofortiger Operationserweiterung nicht entstünden (sog. „akute Indikation“).82 Gerechtfertigt handelt der Arzt in diesen beiden Fällen aber auch nur dann, wenn ihm ein der Operationserweiterung entgegenstehender Wille des Patienten nicht bekannt ist bzw. wenn ein solcher ernsthaft nicht zu erwarten wäre.83 In den beiden soeben erörterten Beispielen fehlt es bei genauerer Betrachtung an der Rechtfertigung der Tat, so dass beide Fälle nur Scheinfälle der verschuldeten Rechtfertigungslage darstellen. Die Nichtanwendbarkeit der mutmaßlichen Einwilligung verhindert im Übrigen die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums, so dass nach dieser Ansicht in beiden Fällen eine Vorsatztat zu bejahen BGH NJW 2000, 885 ff. Geppert, JZ 1988, 1024, 1028. In diesen Fällen ist ausnahmsweise das Wohl des Patienten gegenüber der Ermittlung seines tatsächlichen Willens ausschlaggebend, vgl. Rüping, Jura 1979, 90, 91. 83 So bereits die zivilrechtliche Entscheidung des OLG Frankfurt, NJW 1981, 1322 ff. 81 82
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gewesen wäre. Soweit die Ärzte ihre Eingriffe irrig für gerechtfertigt hielten, kommt lediglich ein Erlaubnisirrtum in Betracht.84
c) Schlussfolgerung Bei der Rechtfertigung qua mutmaßlicher Einwilligung wird die Frage des ärztlichen Vorverschuldens hinsichtlich etwaiger Aufklärungsmängel einerseits überlagert von dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, andererseits von dem Bestreben, seine mutmaßlichen Interessen bestmöglich wahrzunehmen. Aus diesem Grunde ist zu differenzieren: Kann die Operationserweiterung gefahrlos aufgeschoben werden, so greift der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung – wie in den beiden soeben erörterten Beispielen – gar nicht erst ein. Diese Fälle scheiden aus der Vorverschuldensproblematik aus. Besteht dagegen eine vitale oder eine akute Indikation, so ist zu unterscheiden: Handeln die Ärzte gegen den erklärten Willen des Patienten, sind sie nicht gerechtfertigt, sondern machen sich entweder der vorsätzlichen oder der fahrlässigen Körperverletzung schuldig, sofern sie einem Erlaubnistatbestandsirrtum erlegen sind. Handeln sie jedoch gemäß dem mutmaßlichen Willen des Patienten, so sind sie gerechtfertigt, woran ein vorausgehender Aufklärungsfehler nichts ändert. Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung kann also trotz eines Vorverschuldens bei der Aufklärung noch eingreifen. Die Subsidiaritätsklausel bezieht sich mit anderen Worten nicht auf die verflossene Möglichkeit, eine Einwilligung vor Beginn der gesamten Operation einzuholen, sondern auf die gegenwärtige bzw. zukünftige Möglichkeit, die erforderliche Einwilligung vor Erweiterung der bereits begonnen Operation zu erlangen. Diese Möglichkeit besteht in den oben genannten Indikationslagen nicht, so dass die mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund eingreift. Eine andere Auslegung der Subsidiaritätsklausel würde dazu führen, dass sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gegen ihn kehrte: Dies wäre der Fall, wenn Ärzte aus Furcht vor einem für sie nicht überschaubaren Risiko strafrechtlicher Verfolgung bei einem gegenwärtig nicht einwilligungsfähigen Patienten eine dringend gebotene und in aller Regel dem Willen des Patienten entsprechende Operationserweiterung unterließen. Zwar wäre es denkbar, den Arzt im Vorverschuldensfall jedwede Rechtfertigung zu versagen und ihn also in jedem Falle zu bestrafen, nämlich entweder, weil er die Operationserweiterung ohne Einwilligung vornimmt oder weil er sie trotz seiner Garantenpflicht nicht vornimmt und dadurch zusätzliche Gefahren für seinen Patienten schafft. Hierdurch würden die Ärzte allerdings in einen argen 84
BGHSt 45, 219, 224 f.
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Engpass getrieben: in aller Regel wird die Aufklärung über eine etwaige erforderliche Operationserweiterung wohl fahrlässig unterbleiben. Stellt sich nun im Verlaufe der Operation heraus, dass weiterreichende Eingriffe dringend von Nöten sind, müsste der Arzt regelmäßig „wählen“ zwischen vorsätzlicher Begehungs- und Unterlassungsstrafbarkeit. In einer solchen Lage liegt es aus Sicht der Ärzte nahe, die Operationserweiterung mit der Schutzbehauptung aufzuschieben, man sei von einer mangelnden Indikation ausgegangen und habe daher erst die Einwilligung des Patienten einholen wollen, so dass allenfalls eine Bestrafung wegen fahrlässiger Unterlassung in Betracht käme. Dies würde die Entscheidungsfreude der Ärzte in den genannten Indikationslagen zu Lasten der Patienten hemmen. Das Vorverschulden schließt daher im Interesse des Patienten eine Rechtfertigung qua mutmaßlicher Einwilligung dann nicht aus, wenn die Operationserweiterung keinen Aufschub duldet und nicht dem erklärten Patientenwillen widerspricht. Insoweit ist davon auszugehen, dass der mutmaßliche Patientenwille auf die Wahrung seines körperlichen Wohls gerichtet sein wird.
3. Das Herbeiführen einer Notwehrsituation – § 32 StGB a) Der Begriff der Notwehrprovokation Nach ganz h. M. beruht das Notwehrrecht gem. § 32 StGB auf den Prinzipien des Individualschutzes und der Rechtsbewährung.85 Es verleiht demjenigen, der sich einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt sieht, die Befugnis, sich gegen den Angreifer zur Wehr zu setzen. Äußerst umstritten ist allerdings, ob und inwieweit das Notwehrrecht eingreift, wenn der Verteidiger den Angriff durch sein vorhergehendes Verhalten provoziert hat. Dies soll davon abhängen, ob der Verteidiger die Eskalation absichtlich, mit bedingtem Vorsatz oder fahrlässig herbeigeführt hat. Teilweise wird sogar ein solches Vorverhalten berücksichtigt, das „nur“ sozialethisch missbilligenswert war.86 Die vertretenen Lösungsansätze sind von nahezu unerschöpflicher Vielfalt.87 Im Fall der Absichtsprovokation reicht das Spektrum der vertretenen Ansichten von der vollständigen Versagung des Notwehrrechts wegen Rechtsmissbrauchs88 über eine sozialethische Einschränkung des Abwehrrechts mittels der Gebotenheitsklausel89 bis hin zum vollständigen ErVgl. statt vieler Roxin, AT I, § 15, Rn. 1. BGHSt 42, 97; Wessels / Beulke, AT, Rn. 349; krit. dazu Kühl, AT, § 7, Rn. 223 a. 87 Eine Übersicht findet sich bei Bockelmann, FS-Honig, 1970, S. 19, 22 ff.; Stuckenberg, JA 2001, 172 ff., ders., JuS 2001, 894 ff.; Bitzilekis, Notwehrrecht, S. 151 ff. sowie bei Engels, Angriffsprovokation, 1992, S. 11 ff. 88 So die wohl h. M., vgl. etwa Geilen, Jura 1981, 372; Wessels / Beulke, AT, Rn. 347; Berz, JuS 1984, 340; Krey, AT 1, Rn. 510; Lackner / Kühl, § 32, Rn. 14. Aus der Rspr. ist etwa zu nennen: BGH NStZ 1983, 452; BGH JZ 2001, 665; BGH JZ 2003, 964. 85 86
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halt der Verteidigungsbefugnis90. Wieder andere lassen das Notwehrrecht zwar bestehen, bestrafen den Provokateur aber wegen der willentlichen Herbeiführung der Notwehrlage als vorsätzlichen Täter des von ihm verursachten Erfolges.91 Diese Ansicht, die im Ergebnis auf eine Bestrafung des Provokateurs hinausläuft, greift auf die Konstruktion der sog. actio illicita in causa92 zurück. Im Fall der fahrlässig herbeigeführten Notwehrlage geht die Tendenz demgegenüber zu einer bloßen Einschränkung des Notwehrrechts93 bzw. zu einer Fahrlässigkeitsbestrafung, wobei es umstritten ist, ob es hierzu der Rechtsfigur der actio illicita in causa überhaupt bedarf.94
b) Beispiele aus der Rechtsprechung Sämtliche BGH-Entscheidungen zur „Notwehrprovokation“ in den letzten dreißig Jahren betreffen Fälle der „sonst schuldhaften Herbeiführung einer Notwehrlage“.95 Zu nennen ist hier beispielsweise der sog. Schrotflintenfall, der dem Urteil des BGH vom 22. 1. 200096 zugrunde lag: Der Angeklagte hatte den Auftrag angenommen, dem späteren Opfer (M) ins Bein zu schießen. Er lockte daher den M unter dem Vorwand eines illegalen Zigarettengeschäfts an einen einsamen Ort. In der Erkenntnis, dass M ihm körperlich überlegen war, wollte A diesen zunächst mit einem unerwartet heftigen Faustschlag zu Boden werfen, um ihm sodann mit 89 Jescheck / Weigend, AT, S. 346, Sch / Sch-Lenckner / Perron, § 32, Rn. 57 m. w. N; Kuhlen, GA 2008, 282, 290, der darauf verweist, dass die zurechenbare Herbeiführung der Eskalation die Schutzwürdigkeit der Interessen des Provokateurs herabsetze. 90 Bockelmann, FS-Honig, 1970, S. 28, 31 f.; W. Hassemer, FS-Bockelmann, 1979, S. 243; Hillenkamp, Opferverhalten, 1981, S. 130; Mitsch, GA 1986, S. 545; Renzikowski, Notwehr, 1994, S. 111 ff., 302 ff. 91 Z. B. Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 17, Rn. 17 ff.; Mitsch, Opferverhalten, 2003, S. 397 ff.; Schmidhäuser, StuB AT, 6 / 83. 92 Gemeint ist: eine (an sich erlaubte) in ihrem Ursprung unerlaubte Handlung. Die Bezeichnung hat sich – wie auch die oben schon erwähnten Begriffe der omissio libera bzw. der actio dolosa in causa – in Anlehnung an den Begriff der actio libera in causa entwickelt, vgl. auch Luzón, JRE 1994, 353; Lenckner, GA 1961, 299, 303; Maurach, JuS 1961, 373, LPK § 32, Rn. 56. Ablehnend Bockelmann, FS-Honig, 1970, S. 19; Constadinidis, actio illicita in causa, 1982, S. 52 ff.; Dencker, JuS 1979, 779, 782; Küper, Notstand, 1983, S. 87 f.; Neumann, Zurechnung, 1985, S. 142; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 541, 550. 93 BGHSt 24, 358 ff.; 26, 143 ff.; BGH NStZ 88, 269. Vgl. auch Marxen, Notwehr, 1979, S. 59; Jakobs, AT, 12 / 54; Rudolphi, GS-A. Kaufmann, 1989, S. 395; Vahle, DVP 2006, 309, 311. 94 Dafür Arzt, FS-Schaffstein, 1975, S. 83 ff.; krit. dazu Beulke, JR 1990, 381. 95 BGH NJW 1983, 2267 spricht die Absichtsprovokation an, verneint sie aber im konkreten Fall. Einen guten Überblick über die Rechtsprechung zur vorwerfbar herbeigeführten Notwehrlage verschafft Roxin, HRR AT, Fälle 18 – 20, S. 23 – 27 und 165 – 167. 96 BGH NStZ 2001, 143 ff. m. Anm. Eisele, NStZ 2001, 416; Roxin, JZ 2001, 667; Jäger, JR 2001, 510; Engländer, Jura 2001, 534.
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der Schrotflinte ins Knie zu schießen. M durchschaute dieses Vorhaben jedoch rechtzeitig und schlug den Angeklagten seinerseits mit einem Totschläger zu Boden. Mit dem Totschläger ausholend beugte er sich mit den Worten „Du Schwein, Dich bringe ich um“ über den am Boden Liegenden. Dieser wusste sich nicht anders zu retten, als dadurch, dass er dem M mit der schussbereiten Schrotflinte aus nächster Nähe in die Brust schoss. M war sofort tot. Der BGH nimmt zwar an, dass der tödliche Schuss des Angeklagten durch Notwehr gerechtfertigt war. In dieser Situation komme auch eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen Provokation des Angriffs nicht in Frage, da niemand verpflichtet sei, sich von Rechts wegen totschlagen zu lassen. Deshalb hob der BGH die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf, zog aber das vorausgehende Provokationsverhalten des Angeklagten als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung heran. Der Sache nach wendet der BGH damit die Rechtsfigur der actio illicita in causa an, welche er bislang97 verworfen hatte, ohne sie allerdings beim Namen zu nennen. Der Regress98 erfolgt hier zwar nur zur Begründung einer fahrlässigen Erfolgszurechnung, ist aber gleichwohl in der Literatur auf massive Kritik gestoßen, da die actio illicita in causa auf den Widerspruch hinauslaufe, dass sowohl die Notwehrhandlung als auch der Verletzungserfolg zugleich als rechtmäßig und rechtswidrig qualifiziert würden.99 Kritik rief – aus anderen Gründen – auch das Urteil des BGH vom 21. 3. 1996100 hervor, welches ein bloß sozialethisch beanstandenswertes Vorverhalten als Grund für eine Einschränkung des Notwehrrechts nahm. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte, ein Reisender 1. Klasse, fühlte sich durch das angetrunkene Opfer, welches sich ohne eine entsprechende Fahrkarte in seinem Abteil aufhielt, gestört. Er entschloss sich daher, das nur leicht bekleidete Opfer mit Kaltluft aus dem Abteil zu vertreiben. Dazu öffnete er mehrfach das Fenster, welches von dem Opfer immer wieder geschlossen wurde, bis die Situation eskalierte. Der Angeklagte reagierte auf die bevorstehenden Prügel des über ihm stehenden Opfers, indem er es mit einem Messer ungezielt in den Bauch stach. Das BGH NJW 1983, 2267; NStZ 1988, 401, 405; NStZ 1989, 113, 114. Mit dem Begriff des „Regresses“ ist hier der Rückgriff auf die nur mittelbar zum Erfolg führende Handlung gemeint. 99 Jäger, Examensrepetitorium AT § 4, Rn. 122 weist daraufhin, dass die rechtswidrige Verursachung eines rechtmäßigen Erfolges keinerlei Erfolgsunwert bewirken könne. Der bloße Handlungsunwert, den die vorausgehende Provokation erfüllt, könne daher für die Bestrafung aus dem Erfolgsdelikt als vollendeter Tat nicht genügen. Anders Freund, GA 2006, 267 ff., der vorbringt, dass auch im Falle der mittelbaren Täterschaft Konstellationen denkbar seien, in denen der Erfolg im Hinblick auf das Handeln des Werkzeugs gerechtfertigt sei, während die Rechtsordnung den Erfolg im Hinblick auf das Verhalten des Hintermanns mißbillige. Das trifft zwar zu, verkennt aber, dass bei der actio illicita in causa der Erfolg – anders als bei dem Einsatz eines rechtmäßig handelnden Werkzeugs – nicht durch zwei, sondern nur durch eine Person herbeigeführt wird. 100 BGHSt 42, 97 ff. m. Anm. Krack, JR 1996, 468 ff.; Martin, JuS 1997, 468 ff.; Kühl, StV 1997, 298 f. 97 98
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Opfer verstarb noch am selben Tag. Nach Ansicht des LG war die Tat des Angeklagten, eine Körperverletzung mit Todesfolge, nach § 32 StGB gerechtfertigt. Sein provozierendes, „unsoziales“ Vorverhalten könne nicht zur Einschränkung des Notwehrrechts führen. Auf die Revision des Nebenklägers hob der BGH das Urteil auf, da auch sozialethisch missbilligenswertes Verhalten eine Einschränkung des Notwehrrechts nach sich ziehen könne.101 Dem ist entgegenzuhalten, dass derjenige, der sich sozialethisch tadelnswert verhält, immerhin noch rechtmäßig handelt. Was nicht verboten ist, ist von Rechts wegen hinzunehmen oder mit gleicher Münze heimzuzahlen; wenn man sich stattdessen zu einem Angriff hinreißen lässt, bewährt der Verteidiger das Recht ohne Abstriche.102 Neben diesen beiden Beispielen einer fahrlässigen bzw. sozialethisch missbilligenswerten Provokation bleibt noch auf das Urteil des BGH vom 26. 10. 1993103 hinzuweisen, welches einen Fall der bedingt vorsätzlichen Provokation zum Gegenstand hatte: Bei einer Prügelei in einem Billard-Cafe hatte der P den Angeklagten besiegt und nicht unerheblich verletzt. Der Angeklagte war ohne seine Jacke, in der sich 16.000 DM befanden, geflohen und hatte sich ein abgesägtes, geladenes Schrotgewehr besorgt. Hiermit kehrte er in das Cafe zurück. Der Angeklagte hoffte zwar, dass sich P beugen werde, ohne dass es des Waffeneinsatzes bedurfte. Für den Fall, dass P sich bewaffnet zur Wehr setzen würde, war der Angeklagte aber bereit, rücksichtslos von der Schusswaffe gegen P Gebrauch zu machen und die Gefährdung von Leib und Leben der anderen in dem Lokal anwesenden Gäste hinzunehmen. An seinem Ziel angekommen, richtete er die Waffe auf die Beine des P und forderte sein Geld heraus. P zog den unbeteiligt neben ihm stehenden L als Schutzschild an sich und schoss zweimal in Richtung des Angeklagten. Der eine Schuss ging fehl, der andere traf den zufällig neben dem Angeklagten stehenden S tödlich. Der Angeklagte schoss daraufhin zweimal auf P, traf aber nur den L tödlich. Dem P gelang es, leicht verletzt zu entfliehen. Das Schwurgericht verurteilte den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag und Vergehen nach dem Waffengesetz. Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos. Der BGH führte aus, dass Ps Schüsse rechtswidrig waren, da dessen Notwehrrecht aufgrund seiner vorausgehenden rechtswidrigen Provokation eingeschränkt gewesen sei. Daher habe ein rechtswidriger Angriff des P auf den Angeklagten vorgelegen. Hieraus folge aber nicht, dass letzterer in rechtmäßiger Notwehr handelte. Auch auf Seiten des Angeklagten habe eine Notwehreinschränkung bestanden, denn dieser habe die Eskalation durch seine Bedrohung mit der Waffe zumindest mit bedingtem Vorsatz provoziert. Daher habe er versuchen müssen, aus dem Lokal zu fliehen, als P Anstalten machte, auf ihn zu schießen. Wenn ihm dies zeitlich nicht möglich war, hätte er in Ansehung der Widerrechtlichkeit seiner Drohung zumindest die eigene Waffe hinwerfen müssen, um die Bedrohung des P zu be101 Ablehnend Krey, AT 1, § 12, Rn. 154; Kühl, AT, § 7, Rn. 219; SK-Günther, § 32, Rn. 125 m. w. N. 102 Roxin, AT I, § 15, Rn. 73. 103 BGHSt 39, 374 ff. m. Anm. Arzt, JZ 1994, 314 ff.; Spendel, NStZ 1994, 279 f.
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enden. Da der Angeklagte diese Alternativen nicht ergriffen hatte, wurde sein Verhalten vom BGH als nicht gerechtfertigt eingestuft. c) Beispiele aus der Literatur Ein Beispiel für die in der Praxis schwer nachweisbare Absichtsprovokation findet sich bei Haft104: T möchte seinem Feind O eine Abreibung verpassen. Um sich selbst nicht strafbar zu machen, plant er, den reizbaren O so lange durch Sticheleien zu provozieren, bis dieser ihn angreift, um ihn sodann unter dem Deckmantel der Notwehr verletzen zu können. Tatsächlich geht Ts Plan auf und er streckt den O mit einem kräftigen Fausthieb nieder. In einem solchen Fall versagt die wohl h. M. dem T die Berufung auf das Notwehrrecht als rechtsmissbräuchlich.105 Als Argument wird angeführt, dass der Provokateur in diesem Fall weder des Schutzes gegen die vorsätzliche Selbstgefährdung bedarf,106 die er durch sein provozierendes Verhalten veranlasst hat, noch er das Recht bewährt, wenn er einen Angriff allein zu Schädigungszwecken inszeniert.107 Diese Argumentation hat zur Folge, dass sich die Figur der actio illicita in causa bei der Absichtsprovokation erübrigt, denn bereits die unmittelbar zum Erfolg führende Verteidigungshandlung ist unerlaubt und damit Anknüpfungspunkt der Erfolgszurechnung. Das Vorverschulden wird nur inzident berücksichtigt. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob in den Fällen sonst schuldhafter Provokation die Möglichkeit einer actio illicita in causa besteht. Dieser Frage soll im Verlaufe der Untersuchung noch nachgegangen werden.108
4. Das Herbeiführen einer Notstandslage – § 34 StGB a) Der verschuldete rechtfertigende Notstand Der in § 34 StGB geregelte rechtfertigende Notstand beruht im Gegensatz zur Notwehr allein auf dem Prinzip der Erhaltung des gefährdeten höherwertigen Interesses, während der Gedanke der Rechtsbewährung hier keine Rolle spielt.109 Heute besteht Einigkeit darüber, dass ein Verschulden der Notstandslage die Be104 Haft, Fallrepetitorium, Nr. 123; ähnlich auch Hillenkamp, 2. AT-Problem, Bsp. 1, S. 12 mit Lösung S. 17. 105 Geilen, Jura 1981, 372; Wessels / Beulke, AT, Rn. 347; Berz, JuS 1984, 340; Krey, AT 1, Rn. 510; Lackner / Kühl, § 32, Rn. 14; BGH NStZ 1983, 452; BGH JZ 2001, 665; BGH JZ 2003, 964. 106 Vgl. Wagner, Notwehrbegründung, 1984, S. 69 ff.; Rudolphi, GS-A. Kaufmann, 1989, S. 395. 107 Roxin, AT 1, § 15, Rn. 65. 108 Vgl. dazu unten Kap. 3, § 2 II. 3. 109 Jescheck / Weigend, AT, S. 361.
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rufung auf § 34 StGB nicht ausschließt.110 Die Erreichung des erforderlichen wesentlichen Interessenübergewichts wird aber erschwert, denn die Tatsache des Mitverschuldens für die Notstandslage soll zu Lasten des Täters in die Interessenabwägung einfließen können.111 Außerdem soll der Täter, der sein Rechtsgut in vorwerfbarer Weise in die Notstandslage gebracht hat, unter Umständen deshalb zur Verantwortung gezogen werden können.112 Die letztgenannte Lösung läuft auf die bereits angesprochene Anwendung der sog. actio illicita in causa hinaus.113
b) Beispiele aus der Rechtsprechung Eben diesen Weg ging das OLG Hamm in einem Beschluss vom 26. 2. 1970114, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der Fahrer eines Lastzuges befuhr eine schneeglatte Straße mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km / h. Als er sich etwa 3 bis 8 Meter vor einer Ampelanlage befand, die für ihn aus einer Entfernung von mehr als 100 Metern erkennbar war, schaltete die Ampel nach einer Gelbphase von 3 Sekunden auf „Rot“. F hielt jedoch nicht an, sondern setzte seine Fahrt zügig fort. Im Verfahren gab er an, das Rotlicht gesehen, aber bewusst nicht gebremst zu haben, weil er schon vorher bemerkt hatte, dass der Anhänger beim Bremsen auf der glatten Straße ins Schleudern geraten werde: in diesem Fall wären mit Sicherheit die auf der anderen Seite der Ampel befindlichen Personenkraftwagen beschädigt worden. Das AG hielt diese Einlassung für nicht widerlegbar, aber irrelevant und nahm einen fahrlässigen Verstoß gegen § 2 StVO115 an, da F nur so schnell habe fahren dürfen, dass er die Verkehrszeichen beachten konnte und der Lastzug auch bei einer Vollbremsung nicht ins Schleudern geriet. Das OLG führte demgegenüber auf die Rechtsbeschwerde hin aus, dass angesichts der Schleudergefahr zwar tatsächlich ein Fall des rechtfertigenden Notstands gem. § 12 OWiG116 vorVgl. hierzu grundlegend Küper, Notstand, 1983, S. 24 ff. Küper, JZ 1976, 515, 518; Gropp, AT, § 6, Rn. 140; Kühl, AT, § 8, Rn. 142; Roxin, AT I, § 16, Rn. 53; Wessels / Beulke, AT, Rn. 312; LK-Hirsch, 11. Auflage, § 34, Rn. 70; a. A. Hruschka, JR 1979, 124, 126. 112 Jescheck / Weigend, AT, S. 363; Kühl, AT, § 8, Rn. 144; Küper, Notstand, 1983, S. 157 f.; Lenckner, Notstand, 1965, S. 141 ff.; Luzón, JRE 1994, 360 ff.; ablehnend aber Roxin, AT I, § 16, Rn. 64. 113 Das Rechtsinstitut der actio illicita in causa soll dabei nach BayObLGSt 28, 1978; 82, 82 f.; Delonge, Interessenabwägung, 1988, S. 136 ff.; Küper, Notstand, 1983, S. 39 f. neben der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB Anwendung finden. Nach a. A. soll das Vorverschulden allein über die Rechtsfigur der actio illicita in causa berücksichtigt werden, vgl. Schmidhäuser, AT, 9 / 110. Kiefner, Provokation, 1991, S. 120 plädiert dagegen dafür, das Vorverschulden ausschließlich in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. 114 OLG Hamm, VM 1970, 86. 115 § 2 StVO vom 13. 11. 1937 / 29. 3. 1956 ist der Vorgänger des heutigen § 37 StVO (Wechsellichtzeichen und Dauerlichtzeichen). 116 Heute: § 16 OWiG. Die Norm entspricht im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts § 34 StGB und kann daher hier als Beispiel herangezogen werden. 110 111
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gelegen habe, so dass sich der F über die Norm des § 2 StVO als jedenfalls im Augenblick geringerwertiges Rechtsgut hinwegsetzen durfte. Gleichwohl sei dem AG im Ergebnis zuzustimmen, da der Betroffene die Konfliktsituation fahrlässig herbeigeführt habe. Ähnlich argumentierte das BayObLG in einem Beschluss vom 26. 5. 1978117: Lastwagenfahrer L war mit dem 22 Tonnen schweren und teuren Wagen eines Fäkalienabfuhrunternehmers in einen Feldweg eingebogen, der für Wagen dieser Art – wie der Betroffene erkannte – nicht geeignet war. Nach wenigen Metern Fahrt brach der Wagen auf dem Feldweg ein. Um der zu erwartenden schweren Beschädigung des Fahrzeugs zu begegnen, entleerte der Betroffene die Ladung auf das anliegende landwirtschaftliche Grundstück, dessen Eigentümer dazu keine Genehmigung erteilt hatte. Tatsächlich entstand nur ein geringer Schaden. Nach der Entleerung war die Gefahr, dass das Fahrzeug umstürzen werde, beseitigt. Das BayObLG nahm an, dass im Zeitpunkt des Abladens kein Verstoß gegen § 61 I Nr. 1 / 2 i.V. m. § 27 KrW / AbfG (fahrlässige Ablagerung von Abfällen) vorgelegen habe, da sich der Betroffene zu diesem Zeitpunkt gem. § 16 OWiG in einem rechtfertigenden Notstand befunden habe. Gleichwohl liege eine Ordnungswidrigkeit i. S. v. § 61 I Nr. 1 / 2 i.V. m. § 27 KrW / AbfG darin, dass L überhaupt in den Feldweg eingebogen sei und damit die spätere Notstandssituation in vorhersehbarer Weise verursacht habe.118 c) Beispiel aus der Literatur Als Beispiel für eine vorwerfbar herbeigeführte Notstandslage gem. § 34 StGB nennt Hruschka den Fall, dass ein Bereitschaftsarzt während der Dienstzeit Alkohol trinkt. Als er zu einem Unfallopfer gerufen wird, das zu verbluten droht, fährt er mit seinem Pkw zu der Unfallstelle, obwohl er infolge des Alkoholgenusses zwar nicht schuldunfähig, aber – wie er auch selbst weiß – doch nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug im Sinne des § 316 StGB „sicher“ zu führen. Bei der Fahrt auf der einsamen Landstraße wird niemand gefährdet. Am Unfallort angekommen, nimmt der Arzt die erforderlichen medizinischen Eingriffe vor, so dass das Opfer gerettet wird. Ohne die in Betracht kommenden Lösungswege vorwegzunehmen, sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass das OLG Düsseldorf119 in einem ähnlichen Fall eine Rechtfertigung des Arztes angenommen, die Möglichkeit einer fahrlässigen Erfüllung des § 316 StGB aber prinzipiell nicht bezweifelt hatte. Im konkreten Fall wurde aber ein fahrlässiges Verhalten des Arztes verneint, da dieser – anders 117 BayObLG NJW 1978, 2046 ff. m. Anm. Hruschka, JR 1979, 124 ff.; Dencker, JuS 1979, 779 ff. Vgl. hierzu auch Hruschka, ZStW 113 (2001), 870, 871 f. 118 Ablehnend Roxin, AT I, § 16, Rn. 64, der darauf hinweist, dass das Befahren eines Feldweges noch kein Ablagern von Abfällen darstelle, so dass die Lösung der Rspr. gegen das Analogieverbot verstoße. 119 OLG Düsseldorf, VM 1967, 38.
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als im hiesigen Beispielsfall – nicht Bereitschaftsarzt gewesen war und ihn daher auch keine Pflicht traf, nüchtern zu bleiben.
5. Das Herbeiführen einer rechtfertigenden Pflichtenkollision a) Der Begriff der Pflichtenkollision Eine Pflichtenkollision liegt vor, wenn jemand eine ihm obliegende Rechtspflicht nur auf Kosten einer anderen ihm gleichfalls obliegenden Rechtspflicht erfüllen kann, wobei nach heute überwiegender Auffassung von einer Pflichtenkollision nur dort die Rede sein kann, wo zwei verschiedene Handlungspflichten bestehen.120 Begründet wird diese Form der Rechtfertigung damit, dass das Recht als Verhaltensanordnung dem Einzelnen nichts Unmögliches abverlangen dürfe. Aus diesem Grunde wird dem Betroffenen, der von mehreren Pflichten nur eine erfüllen kann, ein Wahlrecht zur Normbefolgung eingeräumt.121 Nach der Gegenansicht soll die Pflichtenkollision auch in Fällen eingreifen, in denen eine Handlungs- mit einer Unterlassungspflicht kollidiert.122 In diesem Fall würde die Pflichtenkollision aber nicht bloß ein Wahlrecht zur Normbefolgung, sondern darüber hinaus auch ein Recht zur Normverletzung geben. Die Rechtfertigung eines aktiven Eingriffs in Rechtsgüter anderer unterliegt aber grundsätzlich123 den durch § 34 StGB vorgegebenen Grenzen, der höhere Anforderungen an die Rechtfertigung der Tat stellt als die Pflichtenkollision und daher spezieller ist.124 Daher scheidet eine Rechtfertigung über die Pflichtenkollision aus, wenn eine Handlungsmit einer Unterlassungspflicht kollidiert.
b) Beispiel aus der Literatur In der Literatur findet sich ein Beispiel für die vorwerfbar herbeigeführte Pflichtenkollision bei Hruschka125, der einen Fall aus der Rechtsprechung126 aufgreift: Der Betroffene war fahrlässig über eine Autobahnausfahrt auf die Autobahn gelangt und fuhr daher entgegen der Fahrtrichtung. Nachdem er dies bemerkte, hielt er auf der Mitte der Autobahn an, um den Gegenverkehr vorbeizulassen; sodann wendete er ohne Gefährdung anderer sein Fahrzeug und fuhr entsprechend der Fahrtrichtung auf derselben Fahrbahn zurück. 120 121 122 123 124 125 126
Vgl. auch Küper, Pflichtenkollision 1979, S. 16. Vgl. Jäger, Jura 2004, 34, 35. Vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 365. Zur Ausnahme vgl. nachfolgend Kap. 1, § 1 III. 5. b). Vgl. auch Küper, Pflichtenkollision, 1979, S. 116, 119. Hruschka, JZ 1984, 241 ff. s. insoweit den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 22. 8. 1983, JZ 1984, 240 ff.
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Das AG hatte eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen § 18 II StVO angesichts des Befahrens der Autobahn über die Ausfahrt sowie gegen § 18 VII StVO wegen des Wendens auf der Autobahn festgesetzt. Die daraufhin vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg, da das OLG eine Rechtfertigung nicht über die Pflichtenkollision, sondern über § 16 OWiG127 annahm, weil der Betroffene in der konkreten Situation nur entweder gegen das auf Autobahnen geltende Wendeverbot verstoßen konnte oder gegen das Verbot, in entgegengesetzter Richtung auf der Autobahn zu fahren. Eine rechtmäßige Verhaltensalternative stand ihm nicht zur Verfügung. Hruschka128 versteht diesen Sachverhalt jedoch nicht als Fall einer verschuldeten Notstandslage: Der Autofahrer habe sich zwei Unterlassungspflichten gegenüber gesehen. Er habe in entgegengesetzter Fahrtrichtung weiterfahren können, hätte dann aber gegen das aus § 2 I, II StVO resultierende Verbot, auf der linken Straßenseite zu fahren verstoßen. Er habe auch wenden können, hätte dann jedoch gegen § 18 VII StVO verstoßen. Ein Anhalten sei ihm gem. § 18 VIII StVO untersagt gewesen. Jede der in Betracht kommenden Handlungsmöglichkeiten sei also verboten gewesen, was die typische Situation der Pflichtenkollision sei. Hruschka sieht in dieser Konstellation einen Anwendungsbereich der Pflichtenkollision im Rahmen der Begehungsdelikte.129 Es stellt sich indes die Frage, ob vorliegend wirklich zwei Unterlassungspflichten kollidierten: Gropp130 hat hiergegen eingewandt, dass zwar ursprünglich eine Unterlassungspflicht bestanden habe, der zufolge es dem Täter untersagt gewesen sei, rückwärts zu fahren. Diese Pflicht habe sich aber zum Zeitpunkt, da der Pflichtverstoß bereits vorlag, in eine Handlungspflicht verwandelt. Strukturell handele es sich um eine Handlungspflicht aus Ingerenz, da der Täter durch den Verstoß gegen die Unterlassungspflicht ein gefährliches Geschehen in Gang gesetzt habe.131 Dieser Konstruktion bedarf es indes vorliegend gar nicht: Wie Gropp selbst erkennt, handelt es sich genau besehen beim Fahren entgegen der vorgeschriebenen Richtung nicht bloß um ein Rückwärtsfahren i. S. v. § 18 VII StVO, sondern zudem um einen Verstoß gegen § 2 I StVO (sog. Rechtsfahrgebot).132 Diese Norm stellt aber nicht – was Gropp Wie bereits erwähnt entspricht die Norm § 34 StGB. Hruschka, JZ 1984, 241 ff. 129 Vgl. hierzu Jescheck / Weigend, AT, S. 366; Schönke / Schröder-Lenckner, Rn. 71, 76, vor § 32. Üblicherweise wird die Pflichtenkollision jedoch im Rahmen der Unterlassungsdelikte, namentlich bei der Kollision zweier gleichrangiger Handlungspflichten, thematisiert. 130 Gropp, FS-Hirsch, 1999, 207, 220 f. 131 Zur Veranschaulichung greift Gropp, FS-Hirsch, 1999, S. 207, 220 auf das Beispiel zurück, dass der Täter dem Opfer versehentlich Arsen anstatt Zucker in den Tee geschüttet hat und dies bemerkt, bevor das Opfer trinkt. Auch hier verstoße der Täter nicht gegen eine Unterlassungs- sondern gegen eine Handlungspflicht, wenn er nichts unternehme, denn es stehe nicht mehr der Tatbestand des § 222 StGB sondern die Norm des §§ 212, 13 StGB in Rede. 132 Aus seiner Sicht fährt der Geisterfahrer zwar sowohl rechts als auch vorwärts und nur gegen die Verkehrsrichtung; maßgeblich für die Bewertung des Fahrverhaltens ist aber die 127 128
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und auch Hruschka übersehen – eine Verbotsnorm dar, sondern eine Gebotsnorm, der ohnedies eine Handlungspflicht korrespondiert. Diese Pflicht hat der Täter mit Befahren der Autobahn in die falsche Richtung verletzt und er verletzt sie auch weiterhin, solange er nicht anhält oder wendet. Diese Alternativen verstoßen freilich gegen die Verbote des § 18 VII, VIII StVO. Der Täter befindet sich daher – insoweit ist Gropp beizupflichten – in einer Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflichten, welche über § 34 StGB bzw. § 16 OWiG zu lösen ist.133 Der Beschluss des OLG verdient daher Zustimmung. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass eine Kollision von Unterlassungspflichten logisch generell undenkbar ist.134 Dies sei an einer Abwandlung von Hruschkas135 „Elbtunnel-Fall“ näher untersucht: Aufgrund weitreichender Bauarbeiten ist im Hamburger Elbtunnel nur eine Fahrspur befahren. Während der Rush-Hour wird diese – durch Lichtzeichen geregelt – wechselnd einmal in Richtung Norden, einmal in Richtung Süden freigegeben. Fährt nun ein Autofahrer in den Tunnel, obwohl die Ampel bereits auf „gelb“ umgesprungen ist, und wird dann die Fahrtrichtung gewechselt, während sich der Fahrer noch in der alten Fahrtrichtung befindet, so entsteht eine Kollisionslage: Würde der Autofahrer umkehren bzw. anhalten, läge ein Verstoß gegen § 18 VII bzw. VIII StVO vor. Würde er hingegen weiterfahren, so läge nun – anders in dem vom OLG entschiedenen Fall – ausschließlich ein Verstoß gegen das Rückfahrverbot (§ 18 VII StVO), nicht aber ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 I StVO) vor. In diesem Fall kollidieren also tatsächlich mehrere Unterlassungspflichten, es sei denn, dass sich – wie von Gropp behauptet – eine Unterlassungspflicht im Falle ihrer Verletzung in eine Handlungspflicht wandelt. Dass eine solche Transformation grundsätzlich möglich ist, dürfte anerkannt sein. Zu denken ist hier nur an die Garantenpflicht aufgrund fahrlässiger Vorhandlung:136 wer etwa fahrlässig einen Passanten anfährt und das Opfer vorsätzlich ohne Hilfe lässt, wird gem. §§ 212, 13 StGB bestraft, wenn das Opfer verblutet. Dass sich in diesem Fall die dem Fahrlässigkeitsdelikt entstammende Unterlassungspflicht jedoch in eine Handlungspflicht wandeln kann, liegt daran, dass der Erfolg trotz Verletzung der Unterlassungspflicht noch nicht eingetreten ist, aber eintreten wird, sofern nicht der Täter Gegenmaßnahmen ergreift. Demgegenüber bedeutet der Verstoß gegen das Rückwärtsfahrverbot zugleich die Verwirklichung des verbotenen „Erfolges“, da § 18 VII StVO der Struktur nach ein Tätigkeitsdelikt darstellt. Die Weiterverwirklichung des „Erfolges“ (i. e. die Vornahme der verbotenen Tätigkeit) wird demnach schon bereits dadurch gehindert, dass der Perspektive derjenigen, die in der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahren. Aus Sicht der ordnungsgemäß fahrenden Verkehrsteilnehmer bewegt sich der Geisterfahrer gegen den Verkehrsfluss, also rückwärts und er fährt auch auf der falschen Straßenseite. 133 Vgl. dazu oben Kap. 1, § 1 III. 5. a). 134 So aber Gropp, FS-Hirsch, 1999, S. 207, 217 ff. 135 Leicht abgewandelt nach Hruschka, FS-Larenz, 1983, S. 261 ff. 136 Vgl. das Beispiel aus Fn. 125; ferner Roxin, AT II, § 32, Rn. 191.
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Täter das Weiterfahren unterlässt – mag er auch dadurch gegen anderweitige Unterlassungspflichten verstoßen.137 Daher kann hier nicht davon die Rede sein, dass eine Unterlassungspflicht in eine Handlungspflicht umschlägt. Die Rechtsfigur der Pflichtenkollision umfasst demnach nicht bloß die Kollision von Handlungs- sondern auch von Unterlassungspflichten: dass die Verhaltensanweisungen einmal als Verbote, einmal als Gebote formuliert sind, kann keinen Unterschied für die Lösung der Fälle machen. In beiden Fällen sieht sich der Täter mehreren rechtlichen Pflichten gegenüber, die er nicht zugleich erfüllen kann. Da der Betroffene die Kollision im letztgenannten Fall vorwerfbar herbeigeführt hat, indem er trotz Umschaltung der Ampel in den Tunnel gefahren ist, liegt hier eine klassische Vorverschuldenskonstellation vor.
c) Beispiel aus der Rechtsprechung Einige Zeit später hat sich das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 22. 2. 1994138 mit einer auf den ersten Blick vergleichbaren Konstellation auseinandergesetzt: Ein Pkw-Fahrer war irrtümlich in einen nur Bussen vorbehaltenen Sonderfahrstreifen eingefahren, der an seinem Ende mit einem Dauerrotlicht gesichert war, das nur von Busfahrern per Funk auf „Grün“ umgeschaltet werden konnte. Nachdem er fünf Minuten abgewartet hatte, war der Pkw-Fahrer bei Rot über die Kreuzung gefahren. Das OLG prüfte hier einen qualifizierten Rotlichtverstoß gem. § 1 I BKatV an, nahm aber eine Rechtfertigung über die Pflichtenkollision an.139 Vorliegend bestand aber bei genauer Betrachtung gar keine Pflichtenkollision: Den Betroffenen traf zwar aufgrund des § 1 I BKatV eine Verpflichtung, das Überfahren der Kreuzung bei Rot zu unterlassen. Ihn traf aber keine Unterlassungsverpflichtung bezüglich eines Zurücksetzens auf der Spur: Von dem auf Autobahnen geltenden Rückfahrgebot gem. § 18 VII StVO abgesehen ist das vorsichtige Zurücksetzen auf einer Straße nämlich durchaus zulässig, wie sich aus § 9 V StVO ergibt. Damit handelt es sich hier nur um einen Scheinfall der verschuldeten Pflichtenkollision.140
137 Inwieweit solchenfalls tatsächlich von einem Pflichtenverstoß die Rede sein kann, soll noch näher untersucht werden, vgl. dazu unten Kap. 3, § 2 II. 3. d). 138 OLG Hamm, DAR 1994, 409 ff. 139 Zugleich schloss es eine Berücksichtigung des Vorverhaltens im Wege der actio illicita in causa aus, da es sich vorliegend um ein Tätigkeitsdelikt im Straßenverkehr handele, auf welches das Tatbestandsmodell nicht anwendbar sei. Vgl. zu diesem Argument nachfolgend Kap. 3, § 2 VIII. 140 Anders aber Otto, Pflichtenkollison, 1978, 82 ff., der bereits den Verstoß gegen eine Unterlassungspflicht zur Begründung einer Pflichtenkollision genügen lässt. Hierdurch wird aber jede Abgrenzung zu der Interessenkollision des § 34 StGB unmöglich.
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IV. Der Schulddefekt: Das Herbeiführen der Schuldunfähigkeit – § 20 StGB Schließlich bleibt die Herbeiführung der Schuldunfähigkeit als Vorverschuldenskonstellation zu untersuchen. Diese Fallgruppe macht in der Rechtsprechung bei weitem den größten Anteil aller Vorverschuldensfälle aus. Sie ist es auch, an der die nachstehend erörterten Zurechnungsmodelle maßgeblich entwickelt wurden.
1. Der Begriff der Schuld- bzw. der Schuldunfähigkeit Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Erwachsene, der strafrechtliches Unrecht verwirklicht, normalerweise schuldfähig ist, also sowohl die Unrechtseinsicht als auch eine entsprechende Steuerungsfähigkeit besitzt. Wie sich aus § 20 StGB ergibt, kann die Schuldfähigkeit aber ausnahmsweise aufgrund einer der dort genannten psychopathologischen Befunde fehlen. Hat der Täter darauf hingewirkt, dass seine Schuldfähigkeit ausgeschlossen ist, so fehlt es zwar an der Freiheit der unmittelbar zum Erfolg führenden Handlung. Diese Unfreiheit wurde aber durch eine vorausgehende freie Handlung bewirkt. Für diese Konstellation hat sich der Name „actio libera in causa“141 herausgebildet, welcher Pate für die (mehr oder weniger geglückten) Bezeichnungen anderer Vorverschuldensfälle stand. Genannt seien hier nur die omissio libera in causa, die actio dolosa in causa und die actio illicita in causa.142 Die vorwerfbar herbeigeführte Schuldunfähigkeit kommt vor allem in Betracht bei den tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen.
2. Beispiele aus der Rechtsprechung Eine der frühesten Entscheidungen zur actio libera in causa ist der sog. Milchfahrerfall aus dem Jahre 1892143: In diesem Fall hatte ein sinnlos betrunkener Kutscher einen Straßenarbeiter überfahren. Nach der Entscheidung des RG war der Kutscher bei der Vornahme der unmittelbar zum Erfolg führenden Handlung zwar schuldunfähig. Dies habe der Kutscher aber durch eine zuvor gesetzte Ursache im Zustand der Schuldfähigkeit bewirkt, so dass er wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden könne. Bis in die jüngste Vergangenheit setzte sich die Rspr. wiederholt mit der vorwerfbar herbeigeführten Schuldunfähigkeit auseinander.144 Die MehrWörtlich: Eine in ihrer Verursachung freie Handlung. Vgl. hierzu bereits oben Kap. 1, § 1. 143 RGSt 22, 413. 144 Vgl. etwa RG JW 1930, 909, Nr. 7; RG JW 1936, 514, Nr. 17; RG HRR 1939, Nr. 1316; RGSt 73, 177 ff.; BGHSt 2, 14 ff.; 10, 247 ff.; BGH NJW 1955, 1037 ff.; BGH VRS 21, 263 ff.; BGHSt 17, 259 ff.; 333 ff.; BGHSt 42, 235 ff. 141 142
§ 1 Begriff und Konstellationen des Vorverschuldens
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zahl aller Urteile betrifft Fälle der Trunkenheit im Straßenverkehr. Während die Rechtsprechung hier zunächst – wie auch im Kutscherfall – auf die Verursachung der Schuldunfähigkeit abstellte,145 zeigte sich mit dem Urteil des BGH vom 22. 8. 1996146 ein entscheidender Wandel: Dort lehnte der BGH eine Berücksichtigung des Vorverschuldens für alle eigenhändigen Delikte – insbesondere die Straßenverkehrsdelikte – ab, da der Unrechtsgehalt dieser Delikte in der persönlichen Verwirklichung einer gesetzlich vertypten Tathandlung und nicht in der bloßen Verursachung des Erfolges liege.147 Diese partielle Absage an die actio libera in causa bedeutet allerdings nicht – wie zunächst vorschnell proklamiert wurde148 – dass die Konstruktion der verschuldeten Schuldunfähigkeit generell aufgegeben wurde. Im Gegenteil hat der BGH in seinem Beschluss vom 19. 2. 1997149 noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass er an den Grundsätzen der actio libera in causa außerhalb der eigenhändigen Delikte festhalte.150 Dies zeigt auch ein Urteil des BGH vom 7. 6. 2000151, in welchem der stark betrunkene Angeklagte das Opfer mit Ästen verprügelt und mit einem Elektroschocker misshandelt hatte. Das LG hatte den Täter gem. § 224 StGB verurteilt, angesichts der stark verminderten Schuldfähigkeit aber bei der Strafzumessung von der Milderungsmöglichkeit der §§ 21, 49 I StGB Gebrauch gemacht. Die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision hiergegen hatte Erfolg, da der BGH die Schuldverminderung angesichts des vorhergehenden Verschuldens des Täters für unbeachtlich erklärte. Obwohl der letztgenannte Fall nicht die Schuldunfähigkeit, sondern bloß die verminderte Schuldfähigkeit zum Gegenstand hat, vermag er den Blick darauf zu lenken, dass die actio libera in causa faktisch bei jedem Delikt (im geschilderten Sachverhalt etwa bei § 224 StGB) denkbar ist. Soweit der BGH diese Rechtsfigur bei eigenhändigen Delikten aufgegeben hat, liegt dies nicht etwa daran, dass es dort an einer vorwerfbaren Verursachung des Defektes fehlte, sondern allein daran, dass die vorwerfbare Verursachung bei diesen Delikten noch nicht tatbestandsmäßig sein soll. Die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit des Vorverhaltens ist aber eine Frage, die sich erst stellt, wenn man bejaht hat, dass ein Fall der Defektherbeiführung vorliegt. Ob der Regress auf die bloß mittelbar zum Erfolg führende Handlung zulässig ist, ist eine andere Frage, der später nachgegangen werden soll.152 Vgl. etwa BGHSt 17, 333; BGH VRS 23, 209; OLH Hamm NJW 1983, 2456. BGHSt 42, 235 ff. m. Anm. Otto, Jura 1999, 217 ff. sowie ablehnend Spendel, JR 1997, 133 ff. 147 Vgl. hierzu Jäger, Examensrepetitorium AT, § 5, Rn. 182. 148 So etwa Ambos, NJW 1997, 2296; Horn, StV 1997, 264; Fahnenschmidt / Klumpe, DRiZ 1997, 77; Wolf, NJW 1997, 2032; tendenziell auch Hruschka, JZ 1997, 22, 23. Auch Neumann, StV 1997, 23 verheißt der actio libera in causa nur „begrenzte Überlebenschancen“, obschon er freilich erkennt, dass der BGH die Rechtsfigur nicht grundsätzlich, sondern nur hinsichtlich einer bestimmten Fallkonstellation aufgegeben hat. 149 Vgl. BGH NStZ 1997, 230 ff. 150 Vgl. auch Jerouschek, FS-Hirsch, 1999, S. 241, 243. 151 BGH NStZ 2000, 584 f. 152 Vgl. hierzu unten Kap. 2, §§ 2, 3, 4. 145 146
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
3. Beispiele aus der Literatur In der Literatur werden in Bezug auf die actio libera in causa häufig Beispiele aus dem Bereich der Delikte gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit angeführt, so etwa der Fall, dass der Täter sich Mut antrinkt, um seine Hemmungen zu überwinden und seinen Widersacher zu verprügeln.153
V. Zusammenfassung Im Rückblick auf die dargestellten Konstellationen bleibt festzuhalten, dass die Auswirkung eines Vorverschuldens bei dem tatbestandsauschließenden Einverständnis ganz von der in Rede stehenden Verbotsnorm abhängt und insofern nichts zur Entwicklung einer allgemeinen Zurechnungskonzeption bei Vorverschulden beiträgt: entweder, das Einverständnis wurde wirksam erteilt, dann ist das Vorverschulden unbeachtlich. Oder die Einverständniserklärung ist unwirksam, dann fehlt es bereits an einer Defektherbeiführung. Die vorwerfbare Umgehung eines Tatbestandsmerkmals ohne Ausübung von Täuschung und Zwang stellt rechtlich ebenfalls keinen Fall des Vorverschuldens dar: das Gesetz kennt nämlich keine Anweisung, auf die Verbotenheit des eigenen Verhaltens hinzuwirken.154 Ferner ist das Vorverschulden bezüglich eines durch mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigten Verhaltens in rechtlicher Hinsicht ein bloßer Scheinfall des Vorverschuldens. Das Vorverschulden bezüglich eines ärztlichen Aufklärungsmangels wird nämlich als irrelevant erachtet, wenn die Operation aus medizinischen Gründen nicht ohne Gefahren für den Patienten abgebrochen werden kann, sofern der Arzt mit der Operationserweiterung den mutmaßlichen Willen des Patienten wahrnimmt. Die vorwerfbare Nichtaufklärung kann hier nicht dazu führen, dass eine Rechtfertigung bezüglich der Operationserweiterung versagt wird. Andernfalls steht zu befürchten, dass die Ärzte aus Angst vor Bestrafung vor gebotenen, akuten Operationserweiterungen zurückschrecken und sich das Selbstbestimmungsrecht, das dem Schutze des Patienten zu dienen bestimmt ist, gegen ihn wendet.155 Die übrigen untersuchten Beispiele haben jedoch gezeigt, dass sich auf jeder Deliktsstufe Konstellationen denken lassen, in welchen der Täter fahrlässig oder sogar vorsätzlich darauf hinwirkt, dass das unmittelbar zum Erfolg führende Verhalten für sich genommen nicht bestraft werden kann, weil ihm ein verbrechenskonstitutives Merkmal fehlt. 153 154 155
Beispiel in Anlehnung an Roxin, AT I, § 20, Rn. 56. Siehe hierzu oben Kap. 1, § 1 I. 3. b). Vgl. hierzu im Einzelnen oben Kap. 1, § 1 III. 2.
§ 2 Zurechnungsmodelle zur Lo¨sung der Vorverschuldensfa¨lle
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Als Vorverschuldensfälle sind hier zu nennen die vorwerfbar herbeigeführte Handlungsunfähigkeit, Einwilligung oder Notwehr- oder Notstandslage, Pflichtenkollision oder Schuldunfähigkeit. Mit dem Nachweis der Existenz bestimmter Vorverschuldenskonstellationen ist aber noch nichts darüber gesagt, ob und inwieweit die Berücksichtigung des Vorverhaltens in den verschiedenen Varianten eine Zurechnung der Tat zum Täter ermöglicht bzw. wie eine solche Zurechnung gegebenenfalls dogmatisch zu begründen ist. Dieser Frage soll im nun folgenden Abschnitt nachgegangen werden. Eine noch näher zu untersuchende Sonderstellung nimmt schließlich das vorwerfbare Herbeiführen der Unvorsätzlichkeit herbei, welche gem. § 16 I 2 StGB immerhin als fahrlässige Deliktsverwirklichung zu bestrafen ist, sofern ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt existiert. Diese Besonderheit lässt bereits ahnen, dass die sog. actio dolosa in causa grundlegende Unterschiede zu den anderen (im Übrigen ihrerseits durchaus auch nicht gänzlich homogenen) Vorverschuldensfällen aufweist.156
§ 2 Zurechnungsmodelle zur Lösung der Vorverschuldensfälle Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Zurechnungsmodelle zur Lösung der Vorverschuldensfälle bestehen. Dabei werden nur solche Ansätze erörtert, die die Frage nach der Zurechnung unabhängig von der Eigenart des jeweiligen Defektes zu beantworten suchen und damit den Anspruch erheben, allgemeine Zurechnungsregeln für die Vorverschuldensfälle bereit zu halten. Als allgemeine Zurechnungslehren sind das Ausnahmemodell und das Tatbestandsmodell zu nennen.157 Siehe hierzu unten Kap. 2, § 4 II.; Kap. 3, § 1 II. 4. Daneben kommt zwar theoretisch auch das sog. Ausdehnungsmodell in Betracht, demzufolge die Defektherbeiführung keine Tatbestandshandlung, sondern eine unrechtsindifferente Vorbereitungshandlung darstellen soll, welche ex post aufgrund einer Ausdehnung des § 20 StGB dann an Schuldrelevanz gewinnen soll, wenn sich ihr ein Versuch anschließt, vgl. Streng, ZStW 101 (1989), 273 ff.; ders., JZ 1994, 709 ff.; ders., JZ 2000, 22 ff.; ihm nahestehend Frisch, ZStW 101 (1989), 538 ff.; Küper, Notstand (1983), 82 ff.; ders., FS-Leferenz, 1983, S. 545; Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 116 ff. Dadurch wird der Begriff „Tat“ auf den ganzen Lebensvorgang ausgeweitet, wie es auch im prozessualen Sinne üblich ist, wo der Begriff der „Tat“ seit jeher im weiteren Sinne eines bestimmten historischen Ereignisses verstanden wird, vgl. hierzu Roxin, Strafverfahrensrecht, § 20 Rn. 5. Ein derartiges Verständnis gilt auch beim strafzumessungsrechtlichen Tatbegriff, bei dem bestimmte Vorund Nachzonen der Tat als ein „historisches Ereignis“ einbezogen werden, ohne dass dies als eine Überschreitung des Wortsinns von „Tat“ empfunden wird, vgl. Lang-Hinrichsen, FS-Engisch, 1969, 353, 360; Frisch, ZStW 101 (1989), 538, 608. Das Ausdehnungsmodell wurde jedoch bislang – soweit ersichtlich – nicht als allgemeine Zurechnungsregel im Falle des Vorverschuldens herangezogen, sondern beschränkt sich in seinem Anwendungsbereich auf die schuldhaft herbeigeführte Schuldunfähigkeit und soll daher hier außer Acht gelassen werden. Im Übrigen spricht gegen diese Lösung, dass eine Ausweitung des materiellen Tatbegriffs 156 157
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
I. Das Ausnahmemodell Nach dem Ausnahmemodell kommt in den Fällen der Defektherbeiführung allein die Defekttat als Gegenstand des Strafbarkeitsvorwurfs in Betracht.158 Die Tat im Defekt, nicht die Herbeiführung des Defekts, ist die Pflichtverletzung, welche Strafe nach sich ziehen würde, läge nicht ein Defekt vor. Angesichts des Umstandes, dass die Defekttat durch das Fehlen eines verbrechenskonstitutiven Merkmals gezeichnet ist, kann sie jedoch für sich betrachtet – also im Wege ordentlicher Zurechnung159 – keinen Strafbarkeitsvorwurf begründen: Strafe setzt voraus, dass eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung vorliegt, woran es aber gerade fehlt. Ausnahmsweise soll der Defekt den Täter jedoch nicht exkulpieren,160 wenn er selbst den Defekt in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat. Das Vorverschulden des Täters bildet also den Grund dafür, dass eine bestimmte Exkulpationsregelung nicht zugunsten des Täters eingreift. Es findet also – gewissermaßen in einem zweiten Schritt – eine außerordentliche Zurechnung der Tat statt.161 Die dogmatischen Begründungen hierfür variieren.
1. Die Begründung über die Obliegenheitsverletzung Um die Erarbeitung eines übergreifenden Zurechnungskonzeptes in den Vorverschuldensfällen hat sich vor allem Hruschka verdient gemacht, der zuerst und am ausführlichsten das Ausnahmemodell entwickelt hat.162 Nach Hruschka hängt die Möglichkeit der außerordentlichen Zurechnung davon ab, ob der Täter mit der Herbeiführung des Defektes gegen eine „Obliegenheit“ verstoßen hat, kraft derer er dazu angehalten wird, sich die Fähigkeit zur Normbefolgung zu erhalten.163 Der Begriff der Obliegenheiten umschreibt nach Hruschka sekundäre Ge- und Verbote, die im Wege teleologischer Ableitung aus den primären Ge- und Verboten des StGB zu gewinnen seien:164 der Zweck der Strafnormen werde nur dann optieine Mutation des bloßen „dolus antecendes“ zum Tatvorsatz zur Folge hätte. Der materielle Tatbegriff kann daher nicht an den prozessualen Tatbegriff angepasst werden. 158 Hruschka, JZ 1997, 22, 23 f. 159 Hruschka, ZStW 96 (1984), 661, 667. 160 Der Begriff des „Exkulpierens“ wird nachfolgend im weiteren Sinne verwandt, meint also nicht bloß die Entlastung vom Vorwurf der Schuldhaftigkeit (culpa) des Handelns, sondern auch die Entlastung vom Vorwurf der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit. 161 Hruschka, ZStW 96 (1984), 661, 668. 162 Vgl. z. B. Hruschka, Strafrecht, S. 39 ff., 43, 294, 327; ders., JuS 1968, 554 ff.; ders., JZ 1989, 169 ff. 163 Hruschka, Strafrecht, S. 406 ff. 164 Auch Kindhäuser geht davon aus, dass Obliegenheitsverletzungen eine sekundäre Zurechenbarkeit begründen, vgl. ders., JRE 1994, 339, 345.
§ 2 Zurechnungsmodelle zur Lo¨sung der Vorverschuldensfa¨lle
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mal umgesetzt, wenn sie nicht bloß solches Verhalten zu verhindern suchen, das ihren Verhaltensanweisungen direkt zuwiderlaufe, sondern auch solches Verhalten, das zur Befolgung der Normen außerstande setze, sich also nur mittelbar in der Normübertretung niederschlage.165 Während allein die Übertretung der Strafnorm eine strafbewährte Pflichtverletzung darstelle, sei die Obliegenheitsverletzung als solche straflos. Dies ändere aber nichts an ihrer strafrechtlichen Relevanz:166 komme es nämlich anschließend tatsächlich zu einer Defekttat, so werde der Täter angesichts des Vorverschuldens so behandelt, als läge der ihn exkulpierende Defekt nicht vor.167 Um eine zu weit reichende Ausdehnung der außerordentlichen Zurechnung zu vermeiden, unterstellt Hruschka die abgeleitete Obliegenheit ihrerseits der Tatbestandsdogmatik; so kann diese etwa gerechtfertigt oder entschuldigt sein.168 Solchenfalls kommt eine Aufhebung der Exkulpationsregelung nicht in Betracht; der Defekt des Täters hat also im Ergebnis doch exkulpierende Wirkung. Der Sache nach handelt es sich hierbei um die Rückausnahme von einer Ausnahme, welche wiederum dann eingeschränkt werden soll, wenn der Täter auch die Rechtfertigung oder Entschuldigung der Obliegenheitsverletzung in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat. Es kann deshalb erforderlich sein, mehrere hintereinander liegende Obliegenheiten und deren Verletzungen zu erörtern.169 Zu betonen ist noch einmal, dass es Hruschka zur Einschränkung der außerordentlichen Zurechung nicht auf die Rechtfertigung oder Entschuldigung der Defekttat ankommt, sondern allein darauf, ob die zur Defekttat führende Obliegenheitsverletzung gerechtfertigt oder entschuldigt werden kann. Zur Unterstützung seines Modells führt Hruschka aus, dass der Gesetzgeber der Zurechnung des Erfolges qua verantwortlicher Verletzung einer Obliegenheit durchaus Rechnung getragen habe, wie sich den §§ 17 S. 1, 35 I 2 StGB oder auch § 323a StGB im Verhältnis zu § 20 StGB170 entnehmen lasse: dort werde die Hruschka, FS-Bockelmann, 1979, S. 421, 426 f. Hruschka, Strafrecht, S. 407. 167 Hruschka, FS-Bockelmann, 1979, S. 424. 168 Vgl. Hruschka, Zurechnung, 1976, S. 43 ff. Krit. Landgraf, Schuldfähigkeit, 1988, S. 72; Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 267; Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 1959, S. 12. 169 Dabei verlangt Hruschka, FS-Bockelmann, 1979, S. 429 für die Zurechenbarkeit, dass am Ende einer Obliegenheits-Kette eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung steht, der Täter also vorsätzlich handelte, d. h. entsprechendes Tatsachenwissen hatte. Anders insoweit Rudolph, Korrespondenzprinzip, 2006, S. 87 ff., der zwar ebenfalls eine außerordentliche Zurechnung aufgrund von Obliegenheitsverletzungen anerkennt, aber bezüglich Obliegenheitsbzw. Pflichtverletzung bloße „Erkennbarkeit“ genügen lässt: die finale Sichtweise Hruschkas könne nämlich in der Praxis dazu verleiten, die „Kenntnis der Erkennbarkeit“ mit dem „Erkannt-Haben“ gleichzustellen, was die Grenze zwischen potenzieller Finalität und Finalität verwische. 170 Auch wenn in § 323a StGB nominell das Sichberauschen bestraft und dies im Besonderen Teil versteckt werde, könne dies nicht über den Ausnahmecharakter der Norm hinwegtäuschen, zumal die sich aus § 323a II StGB ergebende Strafrahmendivergenz gegenüber der 165 166
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
„freie“ Handlung unter gewissen Voraussetzungen mit der „unfreien“ Handlung gleichgesetzt.171 Das Schuldprinzip verlange also ausnahmsweise keine zeitliche Koinzidenz, sondern nur Kongruenz von Unrecht und Schuld.172 Letztere sei in den Vorverschuldensfällen gewahrt, da der Täter die Defekttat vor dem Eintritt des Defektes vorausgesehen habe oder sie doch zumindest voraussehen konnte und er dennoch den Defekt herbeiführte.173 Soweit es an einer expliziten gesetzlichen Regelung fehlt, ergebe sich die Zulässigkeit des Ausnahmemodells bereits aus seiner langanhaltenden gewohnheitsrechtlichen Anerkennung.174 Im Allgemeinen Teil des StGB stelle das Gewohnheitsrecht eine zulässige Argumentationsfigur dar, da der nulla-poena-Grundsatz des Art. 103 II GG angesichts des fragmentarischen Charakters der dortigen Regelungen nur eingeschränkt gelte.175
2. Die Begründung über den Verantwortungsdialog Hruschkas Obliegenheitsmodell wird auch von Neumann befürwortet, der die Obliegenheiten jedoch nicht aus den Strafnormen herleitet, sondern als Verwirkung einer Verteidigungsmöglichkeit interpretiert.176 Der Täter soll sich also angesichts seines Vorverschuldens auf bestimmte Verteidigungsregeln nicht berufen dürfen. Der Gedanke der Verwirkung könne freilich nur in einem dialogisch strukturierten System Berücksichtigung finden.177 Deutlich werde dies an dem in den Vorverschuldensfällen häufig gebrauchten Argument des „Rechtsmissbrauchs“:178 Die an sich einschlägigen Defekttat den Charakter einer obligatorischen Milderung habe, vgl. Hruschka, Strafrecht, S. 294. 171 Hruschka, SchwZStr 90, 48, 72. 172 Hruschka, JuS 1968, 554, 555. Zustimmend Jerouschek, FS-Hirsch, 1999, 241, 257 f.; der den Wortlaut des § 20 StGB „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat . . .“ dahingehend auslegt, dass das Wort „bei“ extensiv im Sinne von „bezüglich“ auszulegen sei. Schließlich sei auch allgemein anerkannt, dass die Beihilfe gem. § 27 StGB mitnichten zum Zeitpunkt der Tat geleistet werden müsse, sondern bereits im Vorfeld der Tat erfolgen könne. Dies trifft zwar zu. Ob hieraus aber Rückschlüsse für die Auslegung von § 20 StGB gezogen werden können, erscheint durchaus zweifelhaft; vgl. auch Schlüchter, FS-Hirsch, 1999, S. 345, 347. Schließlich heißt es in der Norm des § 27 StGB nicht, dass sich strafbar mache, wer einem anderen „bei“ dessen Tat Hilfe geleistet hat, sondern „zu dessen . . . Tat“. Jerouschek kann sich also allein auf die Überschrift der Norm stützen. Dass die Beihilfe im Vorfeld geleistet werden kann, wird aber nach ganz h. M. nicht mit der Überschrift des § 27 StGB, sondern mit dem (von § 20 StGB abweichenden) Wortlaut der Norm begründet. 173 Hruschka, JuS 1968, 554, 558. 174 Von dieser Auffassung nimmt Hruschka jedoch inzwischen Abstand, vgl. JZ 1989, 310, 312; JZ 1996, 64, 68; JZ 1997, 22, 24. 175 Hruschka, JuS 1968, 554, 558 f.; Jescheck, Strafrecht, S. 360; Sch / Sch–Perron, 26. Aufl., § 20, Rn. 35; anders mittlerweile Sch / Sch-Perron, 27. Aufl., § 20, Rn. 35a. 176 Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 268. 177 Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 280. 178 Vgl. hierzu Kölbel, GA 2005, 36, 39 ff.
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Ausübung eines bestehenden Rechts könne niemals rechtsmissbräuchlich sein, da das Recht dann keinen Inhalt hätte. Rechtsmissbräuchlich könne allenfalls die (z. B. arglistige) Berufung auf ein existierendes Recht sein. Zwar kenne nach überkommener Meinung nur das Strafverfahrensrecht die Möglichkeit der Verwirkung bestimmter (prozessualer) Rechte.179 Das materielle Strafrecht betreffe dieser Ansicht zufolge nur die Ermittlung von Tatsachen nach festgeschriebenen Regeln; ob es zulässig bzw. unzulässig ist, sich auf bestimmte Regeln zu berufen, sei dagegen nicht von Belang. Neumann behauptet im Gegensatz hierzu, dass auch das materielle Strafrecht eine Vorwurfs – sowie eine Verteidigungsstation enthalte und daher dialogisch strukturiert sei:180 Der Tatbestand diene der Begründung des Vorwurfs, während die Entschuldigungsgründe der Verteidigungsstation angehören sollen. Zweifelhaft sei die Einordnung der Rechtfertigungsgründe, denn die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen habe gezeigt, dass es von der Gesetzestechnik her durchaus auch möglich sei, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen zur Begründung des Tatvorwurfs heranzuziehen. Die Ebene der Rechtfertigung gehöre jedoch letztendlich der Verteidigungsstufe an, da ausnahmsweise der Tatbestandserfolg nicht als Unrecht gewertet werde. Die Grenze zwischen Tatbestandsmerkmal und Rechtfertigungsgrund sei nach materiellen Gesichtspunkten zu ermitteln: entscheidend sei, ob die Zustimmung des Opfers bereits den möglichen Tatvorwurf entfallen lasse oder ob sich hieraus nur eine Rechtfertigung der Tat (mithin eine Verteidigungsmöglichkeit) ergebe.181 Die Regeln, die die Berufung auf ein Recht ausnahmsweise ausschließen sollen, will Neumann anhand alltagsmoralischer Regeln der Verantwortungszuschreibung gewinnen, um an ihnen ein allgemeines Prinzip „gerechter Zurechnung“ zu konstruieren. Ein Vorverschulden des Täters soll sich nur dann auswirken können, wenn es die Verteidigungsstation betrifft.182 Die schuldhaft herbeigeführte Handlungsunfähigkeit183, welche bereits zum Fehlen des Tatvorwurfs führt, soll also straflos sein. Dagegen soll dem Täter, der bei schuldhaft herbeigeführter Schuldunfähigkeit184 eine Tat begeht, die Berufung auf die Entschuldigung verwehrt werden, so dass er zu bestrafen wäre.
179 Gemeint sind hier etwa die Regeln über die Verwirkung von Verfahrensrügen, vgl. Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 277. 180 Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 277. 181 Ersteres soll bei dem tatbestandsausschließenden Einverständnis, letzteres bei der rechtfertigenden Einwilligung der Fall sein, vgl. Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 290. 182 Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 288. 183 Sog. omissio libera in causa. 184 Sog. actio libera in causa.
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3. Stellungnahme Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit die von Hruschka und Neumann vertretenen Obliegenheitsmodelle dogmatisch tragfähig sind und ob die sporadisch vorhandenen gesetzlichen Regelungen zum Vorverschulden ein allgemeines Prinzip außerordentlicher Zurechnung erkennen lassen. a) Das Obliegenheitsmodell Hruschkas Hruschkas Obliegenheitsmodell gründet darauf, dass aus den Normen Obliegenheiten ableitbar sind, sich zur Befolgung des Normbefehls imstande zu halten, andernfalls die fragliche Exkulpationsregel nicht zugunsten des Täters eingreife.185 Die Normen statuieren also kategorische Imperative und damit unbedingte Verpflichtungen,186 während die Derivate dieser Normen – die Obliegenheiten – bloß hypothetische Imperative aussprechen. Logisch zwingend ist diese Ableitung allerdings nicht: Ebenso gut ist es nämlich denkbar, aus der Verhaltensanweisung eine Pflicht abzuleiten, sich zur Normbefolgung imstande zu erhalten.187 In diesem Falle würde die Effizienz der Verhaltensanweisung sogar umso stärker gesichert, da der Verstoß gegen die abgeleitete Pflicht gleichzusetzen wäre mit dem Verstoß gegen die Verhaltensanweisung. Bedenken bestehen ferner daran, dass Hruschka das Vorverschulden (also Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit) im defektfreien Zustand188 als Grund der Zurechnung erachtet: Wenn nach dem Ausnahmemodell die Defekttat selbst strafbar ist, will nicht recht einleuchten, warum es dann noch auf den Vorsatz vor dem Defekteintritt ankommen soll und nicht bloß auf den Vorsatz zur Zeit des Defekts.189 Genau dies geschieht jedoch, wenn man aufgrund des Vorverschuldens eine teleologische Reduktion der §§ 20, 21 StGB vornimmt. Zumindest bei der vorsätzlichen Defektherbeiführung stellt dieser Rückgriff auf einen lange vor der Defekttat gefassten Tatentschluss nach h. M. einen Fremdkörper in der Strafrechtsdogmatik dar: Nirgendwo im Strafrecht bildet das bloße „Fassen“ eines Vorsatzes oder der bloße Eintritt eines Erfolges für sich genommen den Grund der Strafbarkeit. Von strafrechtlicher Bedeutung ist vielmehr stets die „Betätigung“ eines Willens zur TatausVgl. hierzu auch Rudolph, Korrespondenzprinzip, 2006, S. 91 ff. Dass streng genommen nicht das Strafgesetz selbst den Imperativ ausspricht, hat bereits Binding, Normen I, S. 45 erkannt: Während das Strafgesetz nur die Straffolge einer Normübertretung regelt, gibt die (regelmäßig ungeschriebene) Norm als solche die Verhaltensanweisung (also ein rechtliches Gebot oder Verbot) vor, ohne nähere Hinweise auf die Rechtsfolge zu enthalten. Die Norm geht dem Strafgesetz also begrifflich voraus. 187 Vgl. Neumann, Zurechnung, 1985, S. 263, der zutreffend darauf hinweist, dass der Zweck einer bestimmten Verhaltensanweisung lediglich umschreibt, was das zu erreichende Ziel ist, nicht aber, wie dieser Zweck erreicht werden kann. 188 Hruschka, JuS 1968, 554, 558. 189 Jescheck / Weigend, AT, S. 360 f.; Landgraf, Schuldfähigkeit, 1988, S. 35. 185 186
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führung, wobei als Mindestvoraussetzung die Grenze zum Versuch überschritten worden sein muss.190 Außerdem ist die Kongruenz von vorausgehender Schuld und dem Unrecht der Defekttat in „quantitativer“ Hinsicht nicht zwingend: So will Hruschka eine pflichtwidrig nicht vorhergesehene, im Defekt aber vorsätzlich ausgeführte Tat nur als Fahrlässigkeitstat zugerechnet wissen,191 während die im defektfreien Zustand geplante Tat, die im Defekt fahrlässig verübt wurde, als Vorsatztat geahndet werden soll. In zeitlicher Hinsicht fehlt es sogar gänzlich an einer Kongruenz von Unrecht und Schuld.192 Das Ausnahmemodell ersetzt nämlich fehlende verbrechenskonstitutive Merkmale dadurch, dass auf Surrogate rekurriert wird, welche zeitlich vor der als Tatausführung verstandenen Defekttat liegen. Im Ergebnis wird durch diese Ersetzung einzelner Verbrechensmerkmale also schlicht die Erfolgsverursachung bestraft.193 Es kommt mit anderen Worten zu einer das Schuldprinzip verletzenden Verknüpfung von einer schuldlosen Ausführung der Tat mit einem im Vorfeld der Tat liegenden, strafrechtlich irrelevantem Verschulden.194 Ferner begegnet das Ausnahmemodell auch in methodologischer Hinsicht Bedenken: das Ausnahmemodell verkehrt den eindeutigen Wortlaut der §§ 20, 21 StGB in sein Gegenteil. Die Auslegung ist aber nur innerhalb des vom Gesetz gezogenen begrifflichen Rahmens zulässig, der hier überschritten wurde.195 Die teleologische Auslegung bedeutet nämlich die Herausnahme einer bestimmten FallHorn, GA 1969, 289, 292 f.; Küper, FS-Leferenz, 1983, S. 582. Hruschka, SchZStr 90, 48, 72. 192 Vgl. Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 310. Das Ausnahmemodell verstößt daher nach zutreffender Ansicht gegen das Schuldprinzip, welches die zeitliche Koinzidenz von Tat und Schuld verlangt, vgl. Horn, GA 1969, 289 ff.; Puppe, JuS 1980, 346 ff.; Behrendt, Affekt, 1983, S. 65. 193 Horn, GA 1969, 294. 194 Vgl. Streng, JuS 2001, 540, 544 f.; Eschenbach, Jura 1992, 637, 639. Hirsch, JR 1997, 391, 392; ders., FS-Nishihara, 1998, S. 94 bezeichnet das Konzept des Ausnahmemodells als Bestrafung einer vorgelagerten „Unmäßigkeitsschuld“. Anders Renzikowski, Rausch, 2003, S. 317, 323, demzufolge eine Obliegenheitsverletzung voraussetzt, dass der Täter mit der Möglichkeit gerechnet hat, im Stadium der rauschbedingten Schuldunfähigkeit eine bestimmte Straftat zu begehen. Bei diesem subjektiven Bezug zwischen actio praecedens und Rauschtat könne keine Rede von einer bloßen Lebensführungsschuld sein. Prinzipiell widerspreche eine außerordentliche Zurechnung daher nicht dem Schuldprinzip, auch wenn sie sich auf der Grundlage des derzeitigen Rechts nicht begründen lasse. Diese de lege lata bestehende Unvereinbarkeit von Ausnahmemodell und Gesetz zeigt in der Tat auch die Begründung zum Entwurf 1962. Dort heißt es: „Auf solche Merkmale“ (nämlich: „welche das Unrecht der Tat mit begründen“) „müssen sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit erstrecken, weil die Tat als Ganze dem Täter nur dann zum Vorwurf gemacht werden darf, wenn sich der Vorwurf auf sämtliche Umstände erstreckt, die zur Begründung oder Erhöhung des Tatunrechts gehören“, vgl. Kaufmann, JZ 1963, 425, 426. 195 Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 310. 190 191
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gruppe aus dem Anwendungsbereich einer Norm, die ihrem Wortlaut nach diese Fallgruppe erfasst.196 Reduziert man eine dem Täter günstige Norm, so wirkt sich dies ebenso zu seinen Lasten aus wie die analoge Anwendung einer ihm ungünstigen Norm. Daher liegt ein Verstoß gegen das Analogieverbot gem. Art. 103 II GG vor. Insoweit kann auch der fragmentarische Charakter des Allgemeinen Teils kein Gegenargument mehr bieten,197 zumal auch der Besondere Teil des StGB (naturgemäß) fragmentarischer Natur ist. Gerade dies lässt die Frage nach der Unzulässigkeit bzw. der Zulässigkeit von Wortlautüberschreitungen dort sogar besonders häufig aufkommen.198 Eine Einschränkung des nullum-crimen-Prinzips zur Lösung des Problems wird dort durchaus nicht befürwortet, so dass nicht ersichtlich ist, warum im Rahmen des Allgemeinen Teils anderes gelten soll,199 sofern Normen in Rede stehen, die strafbegründend oder – erweiternd sind.200 Im Übrigen kann es kaum der richtige Weg sein, mit dem Hinweis auf den fragmentarischen Charakter auch noch das Wenige, was positiviert ist, außer Kraft zu setzen.201 Nicht zuletzt erscheint auch die Behauptung fraglich, dass das Gesetz zumindest stellenweise ein Prinzip außerordentlicher Zurechnung anerkenne. Hruschka verweist hier zunächst auf § 323a StGB, der eine verkappte gesetzliche Ausprägung des Ausnahmemodells darstelle.202 Die Regelung sei ein „Gesetzgebungsfehler“, welcher die Rauschtat nicht mehr unter ihrem eigenen Namen (als Totschlag, Sachbeschädigung usw.) bestrafe, sondern unter der Bezeichnung „Vollrausch“. Dies zeige sich daran, dass die Strafe für den Vollrausch gem. § 323a II StGB die Strafe für die im Rausch begangenen Tat nicht überschreiten dürfe. Hruschka spricht sich aus diesem Grunde für eine Ersetzung des § 323a StGB durch Einfügung einer Ausnahmeregelung in Gestalt eines § 20 II StGB aus. Ob hierdurch den Fällen der actio libera in causa besser entsprochen wird, ist indes fraglich: am Ende lässt sich auch hier erwidern, dass eine Falschetikettierung stattfindet und der Täter nicht Larenz, Methodenlehre, 1983, S. 376; Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 81. So aber zunächst noch Hruschka, JuS 1968, 554, 558 f. Wesentlich zurückhaltender jedoch ders., JZ 1989, 312, wo er die Auffassung, eine teleologische Auslegung verstoße gegen Art. 103 II GG, jedenfalls für vertretbar hält. 198 Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 83; Hirsch, FS-Lüderssen, 2002, 253, 263. 199 Hettinger, actio libera in causa, 1983, 444; Übler, actio libera in causa, 2003, S. 64 m. w. N., 167; Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 85. Für ein Verbot strafbegründenden und strafschärfenden Gewohnheitsrechts im Allgemeinen Teil des StGB auch Bockelmann / Volk, AT, § 4 C I 3; Freund, AT, § 4, Rn. 34; Otto, AT, § 2, Rn. 29; Krey, Strafe, 1983, Rn. 124; ders., Studien, 1977, S. 228. 200 § 20 StGB ist zwar nicht unmittelbar strafbegründend, sondern stellt im Gegenteil eine Exkulpationsregelung dar. Die strafbegründende Wirkung entsteht aber dadurch, dass das Ausnahmemodell § 20 StGB im Falle des Vorverschuldens nicht zur Anwendung kommen läßt, also die an sich ausgeschlossene Strafbarkeit wieder aufleben lässt. 201 Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 363. 202 Hruschka, Strafrecht, S. 291 ff. 196 197
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wegen seiner „Tötungsschuld“, sondern wegen seiner „Unmäßigkeitsschuld“ in Ansehung des Rauschzustandes bestraft werde. Ein Streit, welcher Vorwurf in Wahrheit erhoben wird, erscheint wenig weiterführend.203 Soweit Hruschka § 17 StGB als Ausdruck des Ausnahmeprinzips anführt, ist zuzugeben, dass es in Rechtsprechung und Schrifttum heißt, bei vermeidbarem Verbotsirrtum sei die Tat schuldhaft gewesen, weil der Täter sich zuvor nicht ausreichend erkundigt oder eine gegenüber den Rechtspflichten gleichgültige Lebensführung betrieben habe.204 Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, § 17 S. 2 StGB kodifiziere das Obliegenheitsmodell. Die Vermeidbarkeit bei § 17 S. 2 StGB stellt vielmehr eine Art „Rechtsfahrlässigkeit“ dar,205 so dass eine Parallele zum fahrlässigen Delikt – speziell zur Konstellation des Übernahmeverschuldens206 – nahe liegt.207 Bei diesem wird der Täter nicht dafür verantwortlich gemacht, dass er ein rechtliches Gebot verletzt hat, bestimmte Informationen einzuholen oder sich sonst sachkundig zu machen.208 Vielmehr wird ihm angelastet, dass er verbotswidrig eine Handlung vorgenommen hat, obwohl er nicht über einen ausreichenden Informationsstand verfügte.209 Dementsprechend geht es auch bei der Vermeidbarkeitsfrage im Falle des Verbotsirrtums um Koinzidenz mit der im Irrtum begangenen Dencker, JZ 1984, 453, 460; Landgraf, Schuldfähigkeit, 1988, S. 42 f. BGHSt 2, 194, 201, 208 f.; LK-Schroeder, 11. Auflage, § 17, Rn. 41 ff.; Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, 1969, S. 252 ff. 205 Die strukturelle Ähnlichkeit zum Fahrlässigkeitsdelikt beschränkt sich allerdings auf die Voraussetzungen der Vermeidbarkeit und nicht auf § 17 StGB insgesamt. § 17 S. 2 StGB begründet nämlich gerade keinen Vorsatzausschluss, sondern führt auf der Rechtsfolgenseite nur zu einer fakultativen Reduzierung des Vorsatzstrafrahmens. Dass die fahrlässige Verfehlung einer Sorgfaltspflichtverletzung zum Anlass genommen wird, die ohne Unrechtseinsicht und Selbsthemmungsvermögen verübte Tat als vorsätzliches Delikt zu bestrafen, wird von Herzberg, FS-Spendel, 1992, 203, 235 kritisiert, der daher auch davor warnt, § 17 StGB als Vorbildnorm des Ausnahmemodells zu qualifizieren. 206 Die Rechtsfigur der Übernahmefahrlässigkeit entspricht strukturell der fahrlässigen actio libera in causa mit dem Unterschied, dass der Täter im Augenblick der Tat nicht schuldunfähig i. S. d. § 20 StGB ist, sondern „nur“ individuell leistungsunfähig ist, vgl. Roxin, AT I, § 24, Rn. 118. Während Gropp, AT, § 12, Rn. 25 ff.; Jakobs, AT, 9 / 6 ff.; Otto, AT, § 10 I 3 aufgrund der individuellen Leistungsunfähigkeit bereits eine Sorgfaltspflichtverletzung verneinen und also den Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts entfallen lassen, siedelt die h. M., welche bei der Ermittlung der Sorgfaltspflichtwidrigkeit einen an objektiven Kriterien orientierten Durchschnittsmaßstab zugrunde legt, das Problem auf der Schuldebene an, vgl. etwa Sch / Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 133; Jescheck / Weigend, AT, § 54 I 3; vermittelnd Roxin, AT I, § 24 Rn. 57 ff. Dabei wird die fahrlässige Tätigkeitsübernahme von der h. M. als selbständige tatbestandsmäßige Handlung herangezogen, vgl. Geilen, JZ 1964, 11; LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 11; Sch / Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 142; anders Rudolphi in: Henkel-FS, 1974, S. 207; Schick, ÖJZ 29 (1974), S. 283, Fn. 78; Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 203 ff., die die Übernahmefahrlässigkeit als Ausnahme vom Schuldgrundsatz erachten. 207 Vgl. auch Roxin, AT I, § 21, Rn. 50. 208 Vgl. Hirsch, FS-Nishihara, 1998, S, 88, 93. 209 Jescheck / Weigend, AT, S. 581, LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 139. 203 204
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Tat, namentlich um die Frage, ob der Täter bei Ausführung der Tat hätte erkennen können, dass er von der Möglichkeit, sich zuvor über die Rechtslage zu informieren, keinen oder nur unzureichenden Gebrauch gemacht hat.210 Auch eine entsprechende Deutung von § 35 I StGB ist abzulehnen: Die „Verursachungsklausel“ bedeutet zwar, dass eine Pflichtwidrigkeit, die im Vorfeld liegt und die Notstandstat zur Folge hat, berücksichtigt wird. Dies kann aber deshalb geschehen, weil beim entschuldigenden Notstand kraft gesetzlicher Entscheidung die Überschreitung einer bestimmten Belastbarkeitsgrenze zur Entschuldigung führt. Hat der Täter selbst durch eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit die Notstandslage herbeigeführt, so ist es folgerichtig, wenn das Gesetz die Belastbarkeitsgrenze, die im Zeitpunkt der Tat über die Entschuldigung entscheidet, für solche Fälle erhöht.211 Abgesehen davon schloss die anders lautende Regelung des § 54 a. F. StGB die Berufung auf den Notstand allein aus, wenn dieser vom Täter verursacht worden war. § 35 I 2 StGB lenkt dagegen den Blick von der bloß vorwerfbaren Gefahrverursachung auf die besondere Gefahrtragungspflicht beruflich zur Rettung Verpflichteter, denen die Hinnahme der Gefahr mit Blick auf das Gemeinwohl in gesteigertem Maße zuzumuten ist.212 Damit fließen normative Erwägungen in die Frage nach der Exkulpation ein, die mit dem Ausnahmemodell nicht vereinbar sind.213 Schließlich trifft den beruflich zur Rettung Verpflichteten ja nicht deshalb eine erhöhte Gefahrtragungspflicht, weil ihm seine Berufswahl als „schuldhaft“ im strafrechtlichen Sinne vorgeworfen wird. Der Grund für die erhöhte Gefahrtragungspflicht liegt darin, dass das Gemeinwohl Schaden leiden würde, wenn z. B. in Katastrophenfällen die zum Schutze der Allgemeinheit eingesetzten Personen straflos ihre Pflichten versäumen könnten.214 Im Übrigen spricht auch ein anderer Grund dagegen, die §§ 17, 35 StGB als Ausdruck des Ausnahmemodells zu verstehen: dem Ausnahmemodell geht es in den Vorverschuldensfällen um Schuldbegründung. Dagegen gehen die §§ 17, 35 StGB davon aus, dass eine an sich bereits begründete Schuld so verringert wird, dass die Rechts-Schuld entfällt.215 Die Vorverschuldensfälle und die §§ 17, 35 StGB nähern sich der Schuld somit „von verschiedenen Seiten“. Die fehlende gesetzliche Normierung des Ausnahmemodells kann – wie Hruschka inzwischen selbst einräumt216 – auch nicht dadurch ausgeglichen werden, dass man von dessen gewohnheitsrechtlicher Anerkennung ausgeht.217 Denn 210 211 212 213 214 215 216
Hirsch, JR 1997, 391, 392. Hirsch, FS-Nishihara 1998, S. 88, 94. Vgl. Roxin, AT I, § 22, Rn. 38. Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 307, 310. Roxin, AT I, § 22, Rn. 43. Schmidhäuser, actio libera in causa, 1992, S. 20; Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 307, 310 f. Hruschka, JZ 1989, 310, 312; JZ 1996, 64, 68; JZ 1997, 22, 24.
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zum einen kann von einer mit Gesetzeskraft ausgestatteten gewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer wie auch immer gearteten Behandlung der Vorverschuldensfälle angesichts der vielen Widersprüchlichkeiten und Differenzierungen in Lehre und Rechtsprechung nicht die Rede sein.218 Zum anderen geht die h. M. ausdrücklich gerade nicht von einer telelogischen Reduktion der §§ 20, 21 StGB und damit von einer Bestrafung der Defekttat aus, sondern hält die Defektbegründung für die entscheidende Handlung, an die die Strafe anzuknüpfen habe.219 Das Obliegenheitsmodell vermag daher weder dogmatisch – konstruktiv, noch mit Blick auf eine vermeintliche Verankerung des Ausnahmeprinzips im Gesetz zu überzeugen. b) Der Verantwortungsdialog Neumanns Über die soeben geäußerten Bedenken am Ausnahmemodell kann auch Neumanns Lösung des Verantwortungsdialogs nicht hinweghelfen: Vielmehr kommt hier zu der bereits geäußerten Kritik hinzu, dass es kaum durchführbar erscheint, Regeln über die Verwirkung von Verteidigungsmöglichkeiten aus dem Bereich der „Alltagsmoral“ zu gewinnen. Erstens ist dieser Begriff mehr als unbestimmt und verstößt daher gegen Art. 103 II GG: es gibt nicht „die“ Alltagsmoral schlechthin. Zweitens behauptet Neumann zwar, dass die Rechtfertigungsebene der Verteidigungsstation angehöre – eine Begründung lässt er indes vermissen und begnügt sich mit der Behauptung, das Einverständnis gehöre als Tatbestandsausschluss zur Vorwurfsstation, während die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund der Verteidigungsstation zuzurechnen sei. Interessant wäre an dieser Stelle, zu erfahren, warum die Zustimmung so unterschiedliche Wirkungen soll zeitigen können. Eine Antwort hierauf bleibt Neumann schuldig. Im Übrigen spricht gegen die von Neumann befürwortete dialogische Struktur des Strafrechts, dass es dem Täter im tatsächlichen Bereich zwar zweifelsohne freisteht, über seine Verteidigungsmöglichkeiten zu disponieren, indem er etwa entlastende Momente nicht vorträgt und es unterlässt, entsprechende Beweisanträge zu stellen. Genauso zweifelsfrei stehen aber die Rechtsgrundsätze, nach denen das Tatverhalten zu beurteilen ist, nicht zu seiner Verfügung: der Richter hat von sich aus zu prüfen, ob ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund eingreift. Weder kann der schizophrene Täter auf seine Exkulpation nach § 20 StGB verzichten, noch kann der in Notwehr Handelnde auf seine Rechtfertigung Einfluss nehmen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen.220 217 Zu den begrifflichen Voraussetzungen für die Annahme von Gewohnheitsrecht vgl. Jescheck, AT, S. 87 f. Grundsätzliche Einwände gegen die Annahme gewohnheitsrechtlicher Verfestigungen von Rechtsfiguren im Allgemeinen Teil finden sich bei SK-Rudolphi, § 1, Nr. 17 ff. 218 So auch Krause, Jura 1980, 169, 172; Hettinger, actio libera in causa, 1983, S. 448. 219 Vgl. hierzu ausführlich unten Kap. 1, § 2 II. 220 Ziegert, Vorverschulden, 1987, S. 189.
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Daher erscheint das Obliegenheitsmodell auch in der Begründung von Neumann nicht als tragfähige Grundlage für die Begründung des Ausnahmeprinzips.
II. Das Tatbestandsmodell Nach dem Tatbestandsmodell stellen die Grundsätze der actio libera in causa eine bloß scheinbare Ausnahme vom Erfordernis der Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung dar:221 Der Strafbarkeitsvorwurf wird nämlich nicht an die Defekttat, sondern an das den Defekt herbeiführende Verhalten geknüpft,222 sofern sich dieses Verhalten als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung qualifizieren lässt.223 In dem Fall, dass alle verbrechenskonstitutiven Elemente zur Zeit der „actio praecedens“ versammelt sind, sei dem Koinzidenzprinzip Genüge getan.224 Hiernach hat die Definition der Straftat als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Vornahme oder Unterlassung einer Handlung zwingend zur Folge, dass von einer Straftat nur dann die Rede sein kann, wenn sämtliche verbrechenskonstitutiven Merkmale erfüllt sind.225 Der wesentliche Unterschied zum Ausnahmemodell besteht also darin, dass das Tatbestandsmodell das zum Defekt führende Verhalten als Tathandlung ansieht.226 Als Mindestanforderung für das Vorliegen einer Tathandlung wird zum Teil darauf abgestellt, dass die zum Defekt führende Handlung den Anfang der Tatausführung bildet, also zu221 222 223 224
Neumann, Zurechnung, 1985, S. 128 m. Fn. 348. Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 307. Neumann, Zurechnung, 1985, S. 25 f.; Küper, FS-Leferenz, 1983, S. 577. Behrendt, Affekt, 1983, S. 141. Ablehnend Stratenwerth, GS-Kaufmann, 1989, S. 485,
493. 225 Vgl. Hruschka, Strafrecht, S. 7, der allerdings vom Simultaneitätsprinzip spricht; Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 417, LPK § 20, Rn. 16 sowie Behrendt, Affekt, 1983, S. 103 f.; Spendel, FS-Hirsch, 1999, 379, 380 sowie Herzberg, FS-Spendel, 1992, 203, 204 halten dem entgegen, dass dieser Grundsatz im Gesetz jedenfalls nicht positiv, sondern nur negativ und noch dazu unvollständig (nämlich nur im Rahmen von § 20 StGB) formuliert sei. Objektive und subjektive Seite der Tat müssten sich keineswegs zeitlich decken. So könne eine Person auch dann wegen Mordes bestraft werden, wenn sie zwar bei Installation der Bombe schuldfähig war, zum Zeitpunkt der Explosion jedoch bewusstlos im Krankenhaus lag. Das trifft zwar zu. In dem vom Spendel genannten Beispiel geht es aber nicht um die das Koinzidenzprinzip bewegende Frage, nämlich ob die Tathandlung (Installation der Bombe) vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft war – dies ist ohne weiteres der Fall, so dass alle Verbrechensmerkmale vorliegen. Es geht vielmehr um die Frage, ob diese Merkmale bis zum Erfolgseintritt fortbestehen müssen, was nach einhelliger Ansicht verneint wird, vgl. statt vieler Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 307, 313 f. Im Übrigen weist Schlüchter, FS-Hirsch, 1999, S. 345, 347 richtig darauf hin, dass sich das Koinzidenzprinzip indirekt nicht nur aus § 20 StGB, sondern ebenfalls aus § 16 I 1 StGB ergibt und zur Säule des Schuldgrundsatzes geworden ist, vgl. auch Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6, 13; ders., ZStW 99 (1987), 191, 194. 226 Das Tatbestandsmodell unternimmt damit den Versuch, die Gleichzeitigkeit von Tatbestandserfüllung und Defektfreiheit nachzuweisen.
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mindest ein unmittelbares Ansetzen zur Tat gem. § 22 StGB beinhaltet.227 Fällt nach Eintritt ins Versuchsstadium ein verbrechenskonstitutives Merkmal weg, so soll dies der Zurechenbarkeit des Erfolges prinzipiell nicht entgegenstehen.228 Ausscheiden sollen dagegen von vornherein all jene Verhaltensweisen, die sich im Planungs- oder Vorbereitungsstadium befinden und damit unrechtsirrelevant sind – mögen sie auch nachfolgend innerhalb des Kausalverlaufs Bedeutung erlangen.229 Sowohl die Defekttat als auch die Herbeiführung des Defekts müssen nach überwiegender Ansicht vom Vorsatz des Täters erfasst sein.230 Es entspricht den allgemeinen Regeln, den Vorsatz sowohl auf die Handlung wie auch auf den Erfolg zu beziehen.231 Der Vorsatz hat nämlich stets das Handlungs- wie auch ein etwaiges Erfolgsunrecht zu umfassen.232 Betrinkt sich der Täter daher fahrlässig oder gar schuldlos, fehlt es am Tatentschluß und eine Vorsatzbestrafung scheidet aus.233 Die im Folgenden dargestellten Begründungsansätze für das Tatbestandsmodell setzen sich in unterschiedlichem Maße mit der Frage auseinander, ob die zum Defekt führende Handlung bereits als im Versuchsstadium befindliche Tathandlung soll verstanden werden können. Zur Erklärung hierfür wird regelmäßig die Zurechnungsstruktur der mittelbaren Täterschaft direkt oder auch nur indirekt herangezogen. Lediglich der Begründungsansatz über die Äquivalenztheorie schweigt zur Frage des Versuchsbeginns. 1. Die Begründung über die Äquivalenztheorie Teile der Lit. greifen die vom BGH234 verwandte Formulierung auf, dass das Sichbetrinken einen Geschehensablauf „in Gang gesetzt“ habe, an dessen Ende die Rauschtat und damit letztendlich der tatbestandliche Erfolg stehe.235 Hinter diesem Vgl. Landgraf, Schuldfähigkeit, 1988, S. 59. Vgl. hierzu Horn, GA 1969, 292, Fn. 15; Roxin, AT I, § 20, Rn. 60; ders., FS-Lackner, 1987, 307, 313 f. 229 Geilen, JuS 1972, 73, 74. 230 Vgl. Horn, GA 1969, 289 ff.; Puppe, JuS 1980, 346 ff.; Jakobs, AT, 17 / 63; Streng, JZ 1994, 709, 713 f. Auch die Rspr. verlangt einen sog. Doppelvorsatz, vgl. BGHSt 2, 15, 17; 23, 133, 135; 356, 358; anders allerdings noch BGHSt 21, 381 ff. m. Anm. P. Cramer, JZ 1968, 273 ff., der hinsichtlich des Verlusts der Schuldfähigkeit keinerlei Verschulden für erforderlich hält. Dagegen wird Fahrlässigkeit für ausreichend erachtet von Maurach, JuS 1961, 373 ff.; Hruschka, JuS 1986, 554 ff. 231 Behrendt, Affekt, 1983, S. 68. 232 Hierzu vgl. insbesondere Horn, GA 1969, 289, 95 ff. 233 Vgl. SK-Rudolphi, § 20, Nr. 30. 234 BGHSt 23, 133, 135; 23, 356, 357 f.; 42, 235, 239. 235 Vgl. i. E. auch Baumann / Weber / Mitsch, § 14, Rn. 19; Bertel, JZ 1965, 54; Puppe, JuS 1980, 347; SK-Wolters / Horn, § 323a Rn. 29; SK-Rudolphi, § 22, Rn. 21. Ablehnend Ambos, NJW 1997, 2296, 2297; Hruschka, JZ 1996, 64, 67; ders., JZ 1997, 22; Kindhäuser, Gefährdung, 1989, S. 124 ff.; Krause, FS-H. Mayer, 1966, S. 306, 308; Neumann, Vorverschulden, 227 228
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bei vorsätzlicher wie fahrlässiger Defektherbeiführung gleichermaßen herangezogenen Ausgangspunkt verbirgt sich nichts anderes als die Anwendung der Äquivalenztheorie, nach deren conditio sine qua non-Formel jede Handlung äquivalentkausal für den Erfolg ist, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.236 Die ebenfalls der Äquivalenztheorie zuzuordnende Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung verlangt hingegen für das Vorliegen von Kausalität, dass die in Frage stehende Handlung die zeitlich nachfolgende Veränderung in der Außenwelt mit naturgesetzlicher Notwendigkeit nach sich gezogen hat.237 Nach beiden Formeln spielt es für die Ermittlung der Kausalität keine Rolle, ob die Bedingung den Erfolg unmittelbar oder nur mittelbar über eine Kette weiterer für den Erfolg äquivalent-kausaler Handlungen herbeigeführt hat.238 Die Zahl der in Betracht kommenden Tathandlungen müsste also ins Unendliche streben, da nach der Äquivalenztheorie jede Teilursache der Bedingungsgesamtheit als selbständige Ursache behandelt wird: in der Jurisprudenz kommt es eben nicht auf die Gesamtheit aller Bedingungen an, sondern nur darauf, den Zusammenhang eines bestimmten menschlichen Handlungsaktes mit dem Erfolg festzustellen.239 Jede Erfolgsbedingung ist demnach „äquivalent“ kausal. Angesichts der hierdurch eröffneten, nahezu uferlosen strafrechtlichen Haftung ist heute in der Literatur ganz überwiegend anerkannt, dass die Erfolgsursächlichkeit einer Handlung nur notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Zurechnung zum objektiven Tatbestand ist.240 Die Kausalität markiert – so verstanden – nur die äußerste Grenze der strafrechtlichen Haftung; eine Einschränkung erfolgt erst durch die Lehre von der objektiven Zurechnung:241 Hiernach muss die als Tathandlung in Betracht kommende Handlung eine Gefahr qualifizierter Art geschaffen bzw. erhöht haben und gerade diese Gefahr (und keine andere!) muss sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert haben.242 1985, S. 26 ff.; ders. FS-A. Kaufmann, 1993, S. 583 f.; Otto, Jura 1986, 426, 427 f.; Rath, JuS 1995, 405, 408. 236 Vgl. hierzu grundlegend v. Buri, Causalität, 1873, S. 105; RGSt 1, 373, 374; BGHSt 1, 332, 333; Wessels / Beulke, AT, Rn. 156. 237 Engisch, Kausalität, 1931, S. 21; Jescheck / Weigend, AT, § 28 II 4. Näher hierzu Erb, JuS 1994, 449, 450. 238 Vgl. auch Leupold, Tathandlung, 2005, S. 37. 239 Vgl. hierzu Radbruch, Verursachung, 1902, S. 1 ff. 240 Vereinzelte Kritik findet sich etwa bei Samson, FS-Lüderssen, 2002, S. 587 ff. sowie bei Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 14, Rn. 100, die Zurechnungseinschränkungen lieber bei Rechtswidrigkeit und Schuld vornehmen möchten. Skeptisch ferner Hilgendorf, FS-U. Weber, 2004, S. 33 ff., der die Ergebnisse der objektiven Zurechnung zu unbestimmt findet. In diesem Sinne spricht sich auch Leupold, Tathandlung, 2005 gegen die Bestimmung der Tathandlung mittels der objektiven Zurechnung aus. 241 Diel, Regressverbot, 1995, S. 29; vgl. hierzu auch Otto, Jura 1992, 90, 96 ff. mit besonderer Berücksichtigung der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs. 242 Vgl. statt vieler Kühl, AT, § 4, Rn. 43 m.w.N und Haas in: Zurechnung, 2004, S. 198.
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Die Lehre von der objektiven Zurechnung wurde jedoch bislang nicht von der Rechtsprechung rezipiert.243 Die Rechsprechung ermittelt also die Tathandlung der Erfolgsdelikte nach wie vor ausschließlich über die Äquivalenztheorie. Ob diese Vorgehensweise zulässig und ausreichend ist, soll im Anschluss an die Darstellung der weiteren Begründungen für das Tatbestandsmodell untersucht werden.244
2. Die Begründung über die mittelbare Täterschaft Jakobs245 sieht das vorsätzliche Herbeiführen des eigenen Defektes zur Begehung einer Defekttat als einen direkten Fall der mittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 2 StGB an. Im Standardfall der mittelbaren Täterschaft gebe der mittelbare Täter das Werkzeug nach der „Präparierung“ aus der Hand. Nicht anders liege es in den Vorverschuldensfällen, denn dort behalte sich der Täter nur in der Hand, solange der Defekt noch nicht eingetreten sei.246 Sobald der letzte Akt, der zur Herbeiführung des Defektes erforderlich ist, vollzogen sei, sei die Grenze zum Versuchsstadium überschritten.247 Jakobs stellt also maßgeblich darauf ab, dass der Täter durch das Herbeiführen des Defektes zum „Werkzeug seiner selbst“ wird, so dass der Versuch der Tat durch das Herbeiführen des Defektes ausgelöst werde.248 In ähnlicher Weise argumentieren auch Hardtung249 und Hirsch250, die hervorheben, dass der Defekttäter seine eigene Person als Tatmittel einsetze.251 AllerVgl. Roxin, AT I, § 11, Rn. 46 m. w. N. Vgl. dazu unten Kap. 1, § 2 II. 5. a). 245 Vgl. Jakobs, AT, 17 / 64 f. Auch Jakobs entwickelt sein Modell allerdings zunächst an der vorsätzlich herbeigeführten Schuldunfähigkeit. Als Unterfall der mittelbaren Täterschaft wird die actio libera in causa auch verstanden von Hirsch, Beiträge, S. 9; Constadinidis, actio illicita in causa, 1983, S. 73; Kienapfel, AT, S. 212; Dold, GA 2008, 427, 429 und Koch, actio libera in causa, 1956, S. 10 ff. 246 Jerouschek, JuS 1997, 385, 387 bezeichnet dies anschaulicherweise als „juristische IchSpaltung“. 247 Vgl. Jakobs, AT, 17 / 68. 248 Vgl. auch Jakobs, FS-Nishihara, 1998, S. 119: „Unter einem anderen muss . . . ein nicht verantwortlicher Mensch verstanden werden; auf die Identität oder Nicht-Identität der massa carnis etc. kommt es nicht an.“ Ebenso Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 19, Rn. 45. 249 Hardtung, NZV 1997, 97 ff. 250 Hirsch, JR 1997, 392; ders., NStZ 1997, 232; ders. FS-Nishihara, 1998, S. 88, 96 f., der aus diesem Grunde das Tatbestandsmodell entgegen BGHSt 42, 235 auch auf eigenhändige Delikte anwenden möchte. Zustimmend Spendel, FS-Hirsch, 1999, 379, 384, 386 f., der jedoch unmittelbare Täterschaft annimmt; ders.; JR 1997, 133, 135 f.; ablehnend Jerouschek, FS-Hirsch, 1999, S. 241, 248. Näher dazu unten Kap. 2, § 2 III. 251 Krit. Streng, JZ 2000, 20, 21, der dieser Lösung vorwirft, dass die Begründung beliebig pendelt zwischen dem aus der Hand Geben des Kausalverlaufs einerseits und der eigenhändigen Tatbestandsverwirklichung andererseits und also Elemente von mittelbarer und unmittelbarer Täterschaft beliebig verbinde. Ähnlich Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 133, die 243 244
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
dings greift Hardtung anders als Jakobs zur Annahme der mittelbaren Täterschaft nicht auf § 25 I Alt. 2 StGB, sondern auf § 25 I Alt. 1 StGB zurück: § 25 I StGB kenne nur eine Form der Täterschaft, nämlich die Alleintäterschaft. Dabei regele Alt. 1 den Fall, dass der Täter den Erfolg selbst herbeiführe, während Alt. 2 die Fälle erfasse, in denen der Täter den Erfolg nur mittelbar, nämlich unter Einsatz eines anderen Menschen bewirke. Hardtung rückt also den Begriff der Alleintäterschaft in den Mittelpunkt; die Begriffe „mittelbar“ und „unmittelbar“ sollen nur darauf hinweisen, in welcher Weise der Hintermann den Erfolg herbeigeführt habe, nicht aber zwei verschiedene Täterschaftsformen begründen. Sowohl in Alt. 1 als auch in Alt. 2 habe der Täter den Erfolg „selbst“ bewirkt – im ersten Fall unter Einsatz eines gegenständlichen oder tierischen Werkzeugs oder unter Einsatz seiner selbst, im zweiten Fall unter Einsatz eines anderen Menschen.252 Stelle die Tötung „durch einen anderen“ eine Tat des Hintermanns dar, dann töte erst Recht „selbst“, wer „sich selbst“ zum Werkzeug einsetze. Solchenfalls müsse der Täter aus Alt. 1 bestraft werden, da Alt. 2 dem Wortlaut nach voraussetze, dass ein „anderer“ als der Täter den Erfolg herbeiführe. Begrifflich könne von einer mittelbaren Täterschaft oder auch von einer „bloß quasi – mittelbaren Täterschaft“ nach § 25 I Alt. 1 StGB gesprochen werden. Setze der Täter dagegen einen anderen als sein Werkzeug ein, so sei es ein Gebot möglichst naher Gesetzesanwendung, die mittelbare Täterschaft gem. § 25 I Alt. 2 zu bejahen. Allerdings kennzeichne der Begriff „mittelbare Täterschaft“ nicht eine eigene Täterschaftsform, sondern verdeutliche nur, dass es sich um eine Alleintäterschaft unter Einsatz eines menschlichen „Tatmittels“ handele. Mit dieser Interpretation des § 25 I StGB greift Hardtung die bereits von Schild vertretene Auffassung auf, dass die Regelung der mittelbaren Täterschaft in § 25 I Alt. 2 StGB der Sache nach überflüssig sei, da auch derjenige, der ein Werkzeug einsetze, „selbst“ i. S. d. dann verwirklichten Tatbestandes handele.253 Auch Schild folgert hieraus, dass es im Rahmen von § 25 I StGB nur eine Alleintäterschaft gebe, welche durch das Ausüben von Tatherrschaft charakterisiert sei.254 Neu an diesem Ansatz ist vor allem, dass das Kriterium der Tatherrschaft auf den Fall der Alleintäterschaft bezogen wird, während es herkömmlich vor allem für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme (vor allem von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung) nutzbar gemacht wurde und also die Beteiligung mehrerer an einer Straftat voraussetzte.255 Damit wirft Schild ganz gezielt die Frage nach dem Täterbegriff in § 25 I StGB auf, der im Verlaufe dieser Untersuchung noch näher nachgegangen werden soll.256 die Frage aufwirft, in welchen Fällen der Täter des § 25 I Alt. 1 StGB denn nicht durch sich selbst handele – so verstanden müssten die actio libera in causa – Fälle also der unmittelbaren Täterschaft zugeordnet werden. 252 In gleicher Weise argumentiert auch Herzberg, FS-Spendel, 1992, S. 219. 253 Schild, Täterschaft, 1994, S. 24 (ähnlich 28). 254 Schild, Täterschaft, 1994, S. 6. 255 Vgl. auch Bloy, GA 1996, 239. 256 Vgl. unten Kap. 2, §§ 2, 3; Kap. 4, §§ 1, 2.
§ 2 Zurechnungsmodelle zur Lo¨sung der Vorverschuldensfa¨lle
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3. Die Begründung über den Rechtsgedanken der mittelbaren Täterschaft Gegen die von Jakobs präferierte direkte Anwendung des § 25 I Alt. 2 StGB haben sich zahlreiche Stimmen in der Literatur257 erhoben, welche kritisieren, dass § 25 I Alt. 2 StGB dem Wortlaut „anderer“ zufolge ganz klar voraussetze, dass zwischen Täter und Werkzeug Personenverschiedenheit bestehe. Der Täter könne niemals in Bezug auf sich selbst „zum anderen“ werden; daran vermöge der Eintritt eines Defektes nichts zu ändern.258 § 25 I Alt. 2 StGB sei daher nicht direkt anwendbar, sondern es greife in den vorliegenden Fällen allenfalls die Idee259 bzw. der Rechtsgedanke260 der mittelbaren Täterschaft bzw. es handele sich nur um eine Fallgruppe, bei der der Versuch früher beginnen könne, wie bei der mittelbaren Täterschaft.261 Teilweise wird darüber hinaus einschränkend betont, der Vergleich mit § 25 I Alt. 2 StGB passe nur für die Fälle der absichtlichen Defektherbeiführung.262 Damit ist freilich wohl nichts anderes gemeint, als dass der Täter Vorsatz sowohl hinsichtlich des Defektes als auch hinsichtlich der Defekttat haben muss. Der Begriff der „Absicht“ wird hier also in einem untechnischen Sinne verwandt, um von der fahrlässigen Defektherbeiführung abzugrenzen. In der Tat soll dort nach ganz h.M. eine Anwendung des Rechtsgedankens der mittelbaren Täterschaft nicht in Betracht kommen, da § 25 I Alt. 2 StGB im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte nicht gelte.263 Die gewählten Formulierungen von der „Idee der mittelbaren Täterschaft“ oder dem „vergleichbar frühen Versuchsbeginn“ sind ersichtlich von dem Bestreben getragen, den Begriff der Analogie zu vermeiden.264 Teils wird denn auch ausdrücklich hervorgehoben, dass das Augenmerk nicht auf § 25 I Alt. 2 StGB, sondern auf den §§ 22 ff. StGB liege, so dass eine verbotene Analogie zu einer täterschaftsbegründenden Norm (§ 25 I Alt. 2StGB) nicht vorliege.265 257 Vgl. etwa LK-Jähnke, 11. Auflage, § 20, Rn. 77; LK-Spendel, § 323 a, Rn. 36; Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 345, 409 f., 444, 463; Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 518; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; Streng, JZ 1994, 709, 710. Anders nun wohl Roxin, AT I, § 20, Rn. 61 m. Fn. 167, der freilich nur den Gedanken der mittelbaren Täterschaft heranzuziehen scheint. 258 Vgl. auch Baier, GA 1999, 272, 280. 259 So Otto, AT, S. 193, mit der Bemerkung, dies sei mehr ein Bild als eine Konstruktion. 260 Krause, Jura 1980, 169. 261 Vgl. Jäger, Examensrepetitorium AT, § 5, Rn. 177. 262 So etwa Puppe, JuS 1980, 348 mit Fn. 18; LK-Vogler, 11. Auflage, § 22 Rn. 105. 263 Näher dazu unten Kap. 4, § 1 I. 2. 264 Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 346, 382 bezeichnet die Rede von der Vergleichbarkeit mit der mittelbaren Täterschaft denn auch als „entschiedene Unentschiedenheit“ und damit als ein Ausweichen vor der Entscheidung bzw. eine Hilfserwägung zur Überdeckung eines Begründungsdefizits. 265 Vgl. Jäger, Examensrepetitorium, AT, § 5, Rn. 177.
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
Die daraus zwingend zu ziehende Konsequenz wäre, die Vorverschuldensfälle als Fälle unmittelbarer Alleintäterschaft unter § 25 I Alt. 1 StGB zu fassen. Hierzu schweigen die Auffassungen, die eine direkte Anwendung der mittelbaren Täterschaft ablehnen, freilich nahezu ausnahmslos.266
4. Auswirkungen auf die Tathandlungsbestimmung Bei den beiden letztgenannten Begründungswegen zum Tatbestandsmodell besteht jedenfalls in einem Punkte Konsens: Die Defektherbeiführungshandlung muss sich zumindest als Versuchshandlung qualifizieren lassen;267 ob man hierzu § 25 I Alt. 2 StGB direkt oder nur dem Rechtsgedanken nach anwendet oder ob man in den Vorverschuldensfällen gar § 25 I Alt. 1 StGB als täterschaftsbegründende Norm heranzieht, ist demgegenüber eine zweitrangige Frage. Diese auf den Versuchsbeginn konzentrierte Betrachtungsweise ist es, die die beiden zuletzt erörterten Begründungsansätze maßgeblich von der Argumentation anhand der Äquivalenztheorie unterscheidet: während die Äquivalenztheorie die Tathandlung bei vorsätzlicher und fahrlässiger Defektherbeiführung nach den gleichen Kriterien bestimmt, müssen die Begründungsansätze, die mit dem Versuchsbeginn argumentieren, notwendigerweise zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterscheiden, da ein fahrlässiger Versuch der Konstruktion nach zwar jedenfalls bei bewusster Fahrlässigkeit denkbar, aber regelmäßig ohnedies nicht strafbar wäre, da die Fahrlässigkeitstaten in aller Regel Vergehen darstellen. In Ermangelung eines strafbaren fahrlässigen Versuchs wird daher auch von denjenigen Anhängern des Tatbestandsmodells, die bei vorsätzlicher Defektherbeiführung die §§ 25 ff. StGB heranziehen, für den Bereich der Fahrlässigkeit auf die Äquivalenztheorie zurückgegriffen: Angesichts der offenen Formulierung der Fahrlässigkeitstatbestände, 268 die statt einer 266 Lediglich Spendel, FS-Hirsch, 1999, 379, 384 sowie Schlüchter, FS-Hirsch, 1999, 341, 355 bekennen Farbe und ordnen die Vorverschuldensfälle als Fall der unmittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 1 StGB ein. Freilich unterscheidet sich Spendel von den Autoren, die mit dem frühen Versuchsbeginn wie bei der mittelbaren Täterschaft argumentieren dadurch, dass sich nach seinem Ansatz die Defektherbeiführung nicht zwingend als Versuch darstellen lassen muss, sofern es nur später wenigstens zur versuchten Defekttat kommt. Ex post soll in die Vollendung oder in den Versuch hineinführen können, was ex ante nur Vorbereitungshandlung ist, vgl. auch Herzberg, FS-Spendel, 1992, S. 203 ff.; Schlüchter, FS-Hirsch, 1999, S. 345, 351. Damit unterscheiden sich die genannten Autoren in ihrer Argumentation kaum noch von dem Ausdehnungsmodell Strengs, vgl. ders., ZStW 101 (1989), 273 f., 310 ff., der sich in Fn. 126 denn u. a. auch auf Spendel beruft. Gegen diese Lösung wendet Hettinger, FS-Geerds, 1995, S. 623, 641 f. zutreffend ein, dass durch Wechsel der Beobachterposition eine „straffreien Deliktsvorbereitung“ nicht zur „Begehung der Tat“ werde. Im Übrigen bewirke die Argumentation Herzbergs, dass ein bloßer „dolus antecendes“ zum Tatvorsatz mutiere. Zustimmend Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 564. Von Spendels Lösung zu trennen ist die bereits erörterte Ansicht, die die Vorverschuldensfälle als Fälle einer mittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 1 StGB versteht. 267 Vgl. auch Behrendt, Affekt, 1983, S. 66 m. w. N.
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zumindest näher spezifizierten Tatbestandshandlung bereits eine den Erfolg zurechenbar verursachende Sorgfaltspflichtverletzung genügen lassen, bestehe keine Notwendigkeit, stets auf die dem Erfolg zeitlich nächste Handlung zu rekurrieren.269 Vielmehr soll die tatbestandsmäßige Fahrlässigkeitshandlung in der zum Erfolg führenden Kausalkette theoretisch beliebig weit zurückverlegt werden können.270 Art. 103 II GG stehe dem angesichts der Formulierung der Fahrlässigkeitstatbestände nicht entgegen. Die zeitlich-räumliche Entfernung des pflichtwidrigen Vorverhaltens soll nur insofern eine Rolle spielen, als die Norm das Ausbleiben eines Erfolges wie des eingetretenen bezweckt haben muss.271 Im Bereich der fahrlässigen Defektherbeiführung treffen sich also alle drei Begründungsansätze bei dem Gedanken der Erfolgsverursachung.272 Die „Vorverlegbarkeit“ der Tathandlung bei fahrlässiger Defektherbeiführung soll allerdings kein besonderes Spezifikum der Vorverschuldensfälle sein, sondern ein Merkmal der Fahrlässigkeitsdelikte im Allgemeinen darstellen.273 5. Stellungnahme für die Fälle vorsätzlicher Defektherbeiführung Im Folgenden soll untersucht werden, ob und inwieweit die dargestellten Begründungsansätze für das Tatbestandsmodell zu überzeugen vermögen. Dabei soll unterschieden werden zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Defektherbeiführung. Für die vorsätzliche Defektherbeiführung wird – wie bereits erörtert – eine Erfolgszurechnung über die Äquivalenztheorie wie auch über eine direkte Anwendung der mittelbaren Täterschaft vorgeschlagen. Außerdem wird diskutiert, ob in den Vorverschuldensfällen der Versuch wie bei der mittelbaren Täterschaft früher beginne, ohne dass es sich um einen Fall derselben handele. 268 Vgl. die Formulierung bei Welzel, Strafrechtssystem, 1961, S. 32; Küper, Notstand, 1983, S. 50 ff., 60 ff. 269 BGHSt 42, 235 ff.; Horn, GA 1969, 289; Fahnenschmidt / Klumpe, DRiZ 1997, 77, 80 f.; Ranft, JA 1983, 193, 195; Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 524 ff.; Puppe, JuS 1980, 346, 350; Landgraf, Schuldfähigkeit, 1988, S. 60; Schild, Täterschaft, 1994, S. 27. Anders Hettinger, GA 1989, 1, 13 ff.; ders., Vollrausch, 2001, S. 195, 271; Leupold, Tathandlung, 2005, S. 137 ff., 197 f. 270 Vgl. Horn, GA 1969, 289; Puppe, JuS 1980, 346, 350; Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 312; Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513; Übler, actio libera in causa, 2003, S. 76. Dazu näher unten Kap. 4, § 1 II. 2. 271 So ursprünglich Horn, GA 1969, 289, der sich inzwischen jedoch gegen die Fahrlässigkeitsdogmatik des BGH gewandt hat und im Wege eines Erst-Recht-Schlusses argumentiert, dass eine Handlung nicht als fahrlässige strafbar sein könne, wenn sie vorsätzlich begangen straflos wäre, vgl. Horn, StV 1997, 264, 265 f. 272 So i. E. auch Übler, actio libera in causa, 2003, S. 157. 273 Maurach, JuS 1961, 380; Horn, GA 1969, 289; Puppe, JuS 1980, 346, 350; Otto, Jura 1986, 426, 433 ff.; Ranft, JA 1983, 193, 195. Zur Kritik vgl. Küper, Notstand, 1983, S. 50 ff., 52 f. m. Fn. 163; ablehnend auch Krause, Jura 1980, 169, 172.
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
a) Die Erfolgszurechnung mittels der Äquivalenztheorie Die Bemühungen, die Defektherbeiführung mittels der Äquivalenztheorie als Tathandlung darzustellen, sind zum Scheitern verurteilt. Nach der Äquivalenztheorie kommt als Ursache eines Erfolges im Sinne der conditio sine qua non-Formel nämlich jeder Beitrag in Betracht, sofern er in irgendeiner Weise zu dem Eintritt des Erfolges einen Beitrag geleistet hat.274 So etwa wäre nach dieser Formel nicht bloß der Mörder kausal für den Erfolg, sondern auch dessen Eltern bzw. deren Eltern usw. Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung erachtet demgegenüber nur eine solche Handlung als ursächlich, die unter Berücksichtigung der bekannten Naturgesetze den Schaden im konkreten Fall (d. h. ex post betrachtet) zur Folge hatte und ist damit zwar enger als die conditio sine qua non-Formel: so etwa gibt es im soeben genannten Beispiel kein Naturgesetz, welches besagt, dass die Zeugung eines Kindes zu einem Mord führt, so dass die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung die Zeugung des Kindes erst gar nicht als potentielle Tathandlung in Betracht ziehen würde. Gleichwohl stellen beide Varianten der Äquivalenztheorie lediglich auf die – unter Umständen auch bloß mittelbare – schuldhafte Verursachung des Erfolges ab. Das „Bewirken des Taterfolges“ kann jedoch zumindest im Bereich der Vorsatzdelikte vor dem Hintergrund der §§ 22 ff. StGB nicht mit dem „Begehen der Tat“ gleichgesetzt werden.275 Die Regelungen über den Versuchsbeginn setzen nämlich ausdrücklich voraus, dass als Tathandlung nur eine solche Handlung in Betracht kommt, die zumindest ein unmittelbares Ansetzen zur Tat darstellt.276 Wer dennoch eine nicht näher qualifizierte schuldhafte Verursachung des Erfolges als Tatbestandshandlung heranziehen möchte, übergeht entweder die Regelung der §§ 22 ff. StGB oder er begreift „Schuld“ nicht als (Tat-)Unrechtsschuld,277 sondern als „finales Ursachesetzen“ und damit als eine über das spezifische Unrechtsgeschehen hinausgehende Verantwortlichkeit278 bzw. als Täterschuld. Dazu kommt, dass das Gesetz vielfach Rechtsgutsverletzungen nur dann erfasst, wenn sie in einer ganz bestimmt konturierten Modalität erfolgen.279 Dies ist insbesondere bei den verhaltensgebundenen Delikten der Fall, wo der Erfolg nicht schlichtweg verursacht worden sein darf, sondern in einer ganz bestimmten Weise erfolgen muss.280 Vgl. v. Buri, Causalität, 1873, S. 105 f. Vgl. auch Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 343 m. w. N. 276 Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 37. 277 Landgraf, Schuldfähigkeit, 1988, S. 59. 278 Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 310, 321. 279 Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 38. 280 Inwieweit das Tatbestandsmodell bei diesen Delikten anwendbar ist, wird in Kap. 3, § 2 VIII. näher untersucht. 274 275
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Es bestehen also grundsätzliche Bedenken daran, die Tathandlung der vorsätzlichen Erfolgsdelikte ausschließlich über die Äquivalenztheorie zu bestimmen. Ob eine Tathandlung vorliegt, ist dort allein am Gradmesser der Versuchsregelungen zu prüfen.281 Die Kausalität, welche die Verknüpfung zwischen Tathandlung und Erfolg nachweist, ist demgegenüber allein maßgeblich für die Frage, ob der Versuch ins Vollendungsstadium gedrungen ist, was für die Zurechnung des Erfolges auch – aber eben nicht ausschließlich – Voraussetzung ist.
b) Die Erfolgszurechnung über § 25 I Alt. 2 StGB Die Bewertung des zum Defekt führenden Verhaltens als Tathandlung unter Rückgriff auf die Versuchsregelungen und die mittelbare Täterschaft ist unter den Anhängern des Ausnahmemodells auf lebhafte Kritik gestoßen.
(1) Die Paradoxie von der zweifachen Erfolgsverwirklichung Zunächst wird eingewandt, dass das Vorverlagerungsmodell zu dem absurden Ergebnis führe, dass es letztlich zwei den Tatbestand erfüllende Handlungen gäbe, nämlich einerseits die Handlung, die den Defekt herbeigeführt und damit mittelbar den Erfolg bewirkt habe und andererseits die Handlung im Defekt, welche unmittelbar zu dem Erfolg geführt habe.282 Letzterer Einwand kommt freilich nur in den Fällen überhaupt in Betracht, in denen das Verhalten im Defekt überhaupt Handlungsqualität hat. Hieran fehlt es etwa im Falle der omissio libera in causa, so dass die dem Tatbestandsmodell im Allgemeinen vorgeworfene Paradoxie von der zweifachen Verwirklichung des Tatbestandes durch ein- und denselben Täter dort gar nicht droht:283 Wertet man das Verhalten im Defekt nicht als Handlung, so gibt es in dem gesamten zum Erfolg führenden Geschehen nämlich nur eine Handlung, i. e. die Defektherbeiführungshandlung.284 Vgl. auch Puppe, JuS 1980, 346, 348 f.; Wolter, FS-Leferenz, 1983, S. 554, 555 f. Hruschka, Strafrecht, S. 41. 283 Diese Besonderheit erkennt freilich auch Hruschka, JuS 1968, 554, 555 in Fn. 13, der diese Fallgruppe daher auch nicht als Anwendungsbereich der actio libera in causa sieht. 284 Vgl. Hettinger, actio libera in causa, 1983, S. 409; Leupold, Tathandlung, 2005, S. 179, 180, der das Vorliegen einer Nichthandlung allerdings nicht im Rahmen der fehlenden Handlungsfähigkeit beim Unterlassungsdelikt, sondern im Rahmen der fehlenden Handlungsalternative beim Begehungsdelikt untersucht. Auch Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 137 weist auf die Besonderheit der omissio libera in causa hin: dort stelle die Defektbegründungshandlung nicht eine bloße Interferenzerscheinung dar, an deren Ende die „(Defekt)Handlung“ des Täters stehe, sondern die Herbeiführung des Defekts bewirke den Erfolg, indem sie den Körper heteronomen Fallkräften aussetze; nur hier habe also der Täter alles zur Erfolgsbewirkung getan. 281 282
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Kap. 1: Einfu¨hrung in die Problematik der Vorverschuldensfa¨lle
Hat die Defekttat freilich Handlungsqualität, wie dies z. B. bei einer Handlung im Zustand der Schuldunfähigkeit der Fall ist, so stellt sich in der Tat die Frage, ob die unmittelbar zum Erfolg führende Defekttat in Ansehung des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 II GG) nicht ein Regressverbot bezüglich vorausgehender Handlungen zur Folge haben muss. Hiergegen spricht jedoch folgende Erwägung: das Tatbestandsmodell besagt nicht, dass es neben der unmittelbaren Tatbestandshandlung eine weitere – bloß mittelbare – Tatbestandshandlung gebe. Es wertet die Defektherbeiführungshandlung gerade nicht als Tatbestandserfüllungshandlung, sondern bloß als potentiell unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandserfüllung: mit Eintritt ins Versuchsstadium wird das Verhalten des Täters strafrechtlich relevant, sofern es die verbrechenskonstitutiven Merkmale aufweist. Fällt eines dieser Merkmale im Zeitraum zwischen Versuch und Vollendung der Tat weg, so soll dies prinzipiell unbeachtlich für die Erfolgszurechnung sein, sofern der Täter den durch die defekte Tatbestandshandlung herbeigeführten Erfolgseintritt durch die Versuchshandlung zurechenbar verursacht hat. Da das Gesetz neben der eigentlichen Tatbestandshandlung ausweislich der §§ 22 ff. StGB auch die Versuchshandlung als Bestandteil der Tat anerkennt, kann hierin kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gesehen werden.285 Anders verhielte es sich, wenn auf bloße Vorbereitungshandlungen, die die Grenze zum Versuchsstadium noch nicht erreicht haben, abgestellt würde286 – derartige Handlungen sind strafrechtlich grundsätzlich irrelevant.287 Dem Tatbestandsmodell geht es jedoch um die Ermittlung der Versuchshandlung, die den Beginn der Tat darstellt. Letztlich ist für die Anhänger des Tatbestandsmodells also nicht der Begriff der Tatbestandshandlung, sondern der umfassendere Begriff der Tathandlung maßgeblich, der einerseits das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung als Versuchshandlung, andererseits aber auch die zum Erfolg führende Tatbestandshandlung als Vollendungshandlung erfasst.288 Das Versuchsstadium ist nämlich ein Stadium, das der Erfüllung zeitlich vorausliegt und immer – zwangsläufig – durchlaufen wird, wenn ein strafrechtlicher Erfolg vorsätzlich herbeigeführt wird: Hat 285 Auch Hettinger, FS-Geerds, 1995, 623, 653 räumt – obschon er das Tatbestandsmodell ablehnt – ein, dass der Tatbegriff sowohl die vollendete als auch die versuchte Straftat umfasst. 286 Zur Unzulässigkeit einer Bestrafung bloßer Vorbereitungshandlungen vgl. Behrendt, Affekt, 1983, S. 67. 287 Als Ausnahme ist die Verbrechensverabredung zu nennen: § 30 II StGB erklärt eine solche Verabredung, der an sich bloßer Vorbereitungscharakter beikommt, angesichts der durch sie geschaffenen besonderen Gefahr ausdrücklich für strafbar. 288 Insoweit geht Hettingers Kritik, es sei nicht einzusehen, warum die vorsätzlich herbeigeführte Schuldunfähigkeit die Tatbestandsmäßigkeit der Defekttat berühren solle, fehl; vgl. Hettinger, Vollrausch, 2001, S. 195, 250: die schuldlos ausgeführte Defekttat bleibt als Erfüllung der Norm tatbestandsmäßig – der strafrechtliche Vorwurf setzt allerdings an die Versuchshandlung an, welche dank § 22 StGB als der Tatbestandserfüllung vorgelagerte, strafrechtliche relevante Vorzone ausgeprägt wurde.
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der Täter beschlossen, sein Opfer zu erschießen, so beginnt der Versuch grundsätzlich289 in dem Moment, in dem er auf das Opfer anlegt. Die eigentliche Tatbestandshandlung ist jedoch erst der das Opfer tödlich verletzende Schuss. Dass die Versuchshandlung in einem solchen Fall nicht gesondert geprüft wird, liegt nicht daran, dass sie nicht existent oder strafrechtlich irrelevant wäre, sondern allein daran, dass das Unrecht des Versuchs aufgeht im Unrecht der Erfolgsherbeiführung: das aus Handlungs- und Erfolgsunwert bestehende Erfolgsunrecht umfasst im Falle vorsätzlicher Tatbestandserfüllung nämlich zwangsläufig immer auch das Versuchsunrecht, welches sich im Handlungsunwert erschöpft. Die Relevanz der Versuchshandlung für die Erfolgszurechnung zeigt im Übrigen der berühmte Blutrauschfall,290 in dem die Täterin nach Versuchsbeginn, aber noch vor Vollendung der Tötung infolge eines durch die Tat hervorgerufenen Affektes in eine die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Bewusstseinsstörung geriet und in diesem Zustand den Erfolg herbeiführte. Der BGH verurteilte sie nicht nur wegen versuchter, sondern wegen vollendeter Tat, da die Art der Vollendung sich nicht wesentlich anders gestaltet habe, als die Täterin es sich im Zustand der Zurechnungsfähigkeit – also bei Versuchsbeginn – vorgestellt habe.291 Dem ist die ganz h. M. gefolgt.292 Der Fall zeigt, dass als Tathandlung nicht zwingend ausschließlich der unmittelbar zum Erfolg führende Akt mit Handlungsqualität in Betracht kommen muss, sondern dass es denkbar ist, die Erfolgszurechnung an die Defektherbeiführung (etwa das Herbeiführen der Schuldunfähigkeit) zu knüpfen, sofern diese sich als Versuchshandlung qualifizieren lässt. Zwar wird eingewandt, dass hierdurch jegliche Versuchshandlung eine schon hinreichende Grundlage der Erfolgszurechnung darstelle, so dass die „Begehung der Tat“ i. S. v. § 20 StGB reduziert werde auf das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung.293 Diese Kritik verkennt jedoch, dass selbstverständlich die Vollendungsstrafbarkeit sowohl die Vornahme der Tatbestandshandlung als auch den hierdurch zurechenbar verursachten Eintritt des Erfolgs voraussetzt. Das Abstellen auf den Versuchsbeginn setzt ja nicht die Voraussetzungen der Erfolgszurechnung außer Kraft, sondern lenkt nur den Blick darauf, dass es für die Ermittlung der verbrechenskonstitutiven Merkmale unter Umständen auf den Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Tat ankommt. Ob die Defektherbeiführung den Versuchsbeginn darstellt, ist freilich nicht pauschal zu beantworten, sondern bedarf einer gesonderten Prüfung anhand des einDie Vorverschuldensproblematik soll hier ausgeklammert werden. BGHSt 7, 325 ff. Dazu ausführlich unten Kap. 2, § 4 I. 291 Vgl. hierzu Roxin, HRR, Nr. 13, S. 16 f. 292 Vgl. statt vieler Roxin, AT I, § 12, Rn. 171 f. m. w. N. 293 Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 380 und S. 440. Dort heißt es: „In Ansehung einer Vollendungszurechnung genügt die Qualität des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung, ohne dass es zur tatbestandlichen Handlung selbst oder wenigstens zu einer Teilverwirklichung kommen muß.“ Hiervon kann jedoch keine Rede sein! 289 290
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zelnen Falls.294 Unter welchen Voraussetzungen hiervon die Rede sein kann, soll noch näher untersucht werden.295 Einstweilen bleibt festzuhalten, dass der Einwand, es könne keine zweifache Erfolgsverwirklichung durch ein- und denselben Täter geben, die Unterscheidung von Tatbestands- und Versuchshandlung verkennt, welche grundlegende Prämisse für das Tatbestandsmodell ist. Es geht eben nicht darum, dass der Begriff der Tatbestandshandlung ausgedehnt wird. Tatbestandshandlung ist nur die unmittelbar zum Erfolg führende Handlung. Neben diese Handlung tritt aber eine weitere, ebenfalls vom Unrechtstatbestand erfasste Handlung,296 nämlich die Versuchshandlung.297 Die Erfolgszurechnung setzt voraus, dass der durch die Tatbestandshandlung herbeigeführte Erfolg durch diese Anfangshandlung zurechenbar verursacht wurde und dass bei ihrer Vornahme die verbrechenskonstitutiven Merkmale vorlagen.298 Es geht also streng genommen nicht um ein Vorverschulden, sondern um ein (vom Unrechtstatbestand miterfasstes) schuldhaftes Handeln im Versuchsstadium. Insofern ist die Bezeichnung als „Tatbestandsmodell“ irreführend; zutreffender wäre es, den auch die Versuchshandlung umfassenden Begriff des „Tathandlungsmodells“ zu verwenden.
(2) Der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG Weiterhin wird kritisiert, dass das Tatbestandsmodell im Bereich der vorsätzlichen Erfolgsdelikte nicht mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG vereinbar sei.299 Insbesondere deren bildhafte Prägung stehe dieser Bewertung entgegen: wer trinke, töte nach allgemeinem Sprachgebrauch noch nicht.300 Wie bereits dargestellt, besagt das Tatbestandsmodell indes nicht, dass die zum Defekt führende Handlung eine mittelbare Tatbestandshandlung sei – vielmehr wird sie lediglich als Versuchshandlung aufgefasst. Erst wenn der Täter das Versuchsstadium erreicht, erhält sein Verhalten (bei entsprechender Versuchsstrafbarkeit) strafrechtliche Relevanz. Das der Tatvollendung vorausgehende Versuchsstadium ist nämlich eine unmittelbare Vorstufe zur Ausführung der Tat, welche ausweislich der §§ 22 ff. StGB ausdrücklich Strafe begründen kann. Der Unrechtstatbestand hat zudem nur die Funktion, dasjenige Geschehen zu schildern, das für die vorSo auch Horn, GA 1969, 289, 300; Behrendt, Affekt, 1983, S. 71. Dazu nachfolgend Kap. 3, § 2 III. 296 Vgl. Schmidhäuser, actio libera in causa, 1992, S. 68. 297 Auch Horn, GA 1969, 298 hebt hervor, dass die Versuchshandlung vom Unrechtstatbestand miterfasst ist, klassifiziert sie aber als tatbestandsmäßige Handlung. Demgegenüber wird hier die Versuchshandlung als eigene, der Tatbestandshandlung vorausgehende Handlung verstanden, die allerdings von dem Oberbegriff der Tathandlung mitumfasst ist. 298 Rudolphi, JuS 1969, 461, 465. 299 Küper, Notstand, 1983, S. 65, vgl. auch Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 102. 300 Hruschka, Strafrecht, S. 40. 294 295
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gesehene Strafe mindestens vorliegen muss.301 Diese Mindestvorgaben sind in Gestalt der §§ 22 ff. StGB getroffen. Angesichts der zu passierenden Versuchsgrenze kann keine Rede davon sein, dass die Tatbestandshandlung immer weiter und weiter ausgedehnt und nach vorne verlegt werde.302 Das Tatbestandsmodell verstößt daher nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.
(3) Der Verstoß gegen den Wortlaut des § 25 I Alt. 2 StGB Erachtet man demzufolge den Eintritt in das Versuchsstadium als den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der unrechtskonstitutiven Merkmale,303 so ist damit noch nicht die Frage beantwortet, warum der Versuch bereits mit Herbeiführung des Defektes soll beginnen können. Wie bereits dargestellt, wird dies zum Teil damit begründet, dass die Vorverschuldensfälle unter § 25 I Alt. 2 StGB fallen sollen mit der Folge, dass der Versuch nach der herrschenden modifizierten Einzellösung304 früher beginne als sonst. Jakobs stellt zur Begründung für die Anwendung von § 25 I Alt. 2 StGB darauf ab, dass die Identität der massa carnis nicht entscheidend sein könne,305 maßgeblich sei vielmehr, dass der Täter durch Verlust seiner Verantwortlichkeit normativ ein anderer geworden sei.306 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen: soweit der Begriff des „anderen“ andernorts im StGB verwandt wird (z. B. §§ 26, 27, 224 I Nr. 4 StGB), setzt er immer faktische Personenmehrheit voraus,307 so dass nicht ersichtlich ist, warum bei § 25 I Alt. 2 eine unterschiedliche Begrifflichkeit gelten soll.308 Daher kommt eine direkte Anwendung des § 25 I Alt. 2 StGB nicht in Betracht.309
Schmidhäuser, actio libera in causa, 1992, S. 36. So aber Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 102. 303 Ausgenommen sind natürlich die Merkmale der Tatvollendung, die zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns naturgemäß noch nicht vorliegen können. 304 Hierzu Roxin, AT II, § 29, Rn. 233, 244 ff. 305 Vgl. Jakobs, FS-Nishihara, 1998, S. 119. 306 So auch Dold, GA 2008, 427, 429. Ablehnend Ambos, NJW 1997, 2296, 2297; Herzberg; FS-Spendel, 1992, S. 203, 209; Hruschka, SchwZStR 90 (1974), S. 48, 66; Schmidhäuser, actio libera in causa, 1992, S. 25. 307 Paeffgen, ZStW 97 (1985) 513, 518, i.E. auch Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 345; Baier, GA 1999, 272, 280; Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 132. 308 So auch Übler, actio libera in causa, 2003, S. 152, der dieses Ergebnis aus der Differenzierung des § 25 I Alt. 1 und Alt. 2 StGB herleitet. 309 Vgl. auch Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 131, die zutreffend darauf hinweist, dass im Rahmen von § 25 I Alt. 2 allenfalls eine Identität von Werkzeug und Opfer, nicht aber eine Identität von Täter und Werkzeug diskutiert wird. 301 302
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c) Die Erfolgszurechnung über den Gedanken des § 25 I Alt. 2 StGB Teile der Lit. wollen daher den Versuchsbeginn nur wie bei der mittelbaren Täterschaft vorverlegen.310 Dort beginnt der Versuch nach der heute vorherrschenden modifizierten Einzellösung nicht erst in dem Moment, in dem der Tatmittler in den Wirkungskreis des Opfers eintritt, sondern bereits dann, wenn der Hintermann die Kontrolle über den weiteren Ablauf verliert, weil er „das Geschehen aus der Hand gibt“.311 Die Versuchsstrafbarkeit des mittelbaren Täters beginnt danach bereits zu einem Zeitpunkt, der dem eigentlichen Angriff auf das Rechtsgut unter Umständen weit vorausliegt. In Übertragung dieser Grundsätze auf die Vorverschuldensfälle wird der mittelbare Täter mit dem Defekttäter verglichen, der sich durch Herbeiführen des Defektes zu seinem eigenen Werkzeug macht, um seinen Plan auszuführen. Auf den ersten Blick scheint diese Formel ohne weiteres auf die Vorverschuldensfälle anwendbar: immerhin verliert z. B. der Handlungsunfähige jede Kontrolle über sich, während der Schuldunfähige zumindest an Steuerungs- bzw. Einsichtsfähigkeit einbüßt. Dieser Verlust an verantwortlicher Beherrschung des Geschehens könnte dazu führen, dass der Defekttäter ins Versuchsstadium überwechselt.312 Eine derart vorschnelle Argumentation kann die Vergleichbarkeit der Vorverschuldensfälle mit der mittelbaren Erfolgsbewirkung im Fall des § 25 I Alt. 2 StGB aber nicht hinreichend begründen. Zwar ist richtig, dass der Hintermann bei § 25 I Alt 2 StGB „etwas“ aus der Hand gibt, wenn er sein Werkzeug endgültig aus seinem Machtbereich entlässt: er verliert nämlich die Möglichkeit, weiterhin auf das Werkzeug einzuwirken, sei es durch Zwang, sei es durch Täuschung. Damit ihm aber der Erfolg zugerechnet werden kann – und darum geht es ja auch in den Vorverschuldensfällen – muss der mittelbare Täter trotz des Verlustes der Steuerungsfähigkeit bei Erfolgseintritt noch die Tatherrschaft über den Tatmittler innegehabt haben. Die Begriffe der Einwirkungsmöglichkeit und der Tatherrschaft dürfen daher nicht gleichgesetzt werden. Eine mittelbare Täterschaft ohne Ausübung von Tatherrschaft gibt es im Rahmen von § 25 I Alt. 2 StGB nicht. Es existiert aber eine mittelbare Täterschaft ohne aktuelle Einwirkungsmöglichkeit auf das Werkzeug. Die Einwirkungsmöglichkeit ist nämlich lediglich ein Mittel, das den Fortbestand der einmal begründeten Tatherrschaft potentiell zu sichern vermag. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass die Vorverschuldensfälle eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur aufweisen, dann muss berücksichtigt werden, dass die mittelbare Täterschaft gem. § 25 I Alt. 2 StGB nach ganz h. M. Tatherrschaft voraussetzt. Dies wirft in Bezug auf die Vorverschuldensfälle zuVgl. statt vieler Jäger, Examensrepetitorium AT, § 5, Rn. 177. Hierzu grundlegend Roxin, FS-Maurach, 1972, 213 ff.; vgl. auch Jakobs, AT, 21 / 105; Streng, ZStW 109 (1997), 862, 886; Zaczyk, Unrecht, 1989, S. 320 ff.; BGHSt 30, 363. 312 Roxin, FS-Maurach, 1972, 213, 230; ders., FS-Lackner, 1987, S. 307, 314. 310 311
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nächst die Frage auf, ob man seitens des Defekttäters überhaupt noch von einem Ausüben der Tatherrschaft sprechen kann.313 Hierzu bedarf es einer näheren Auseinandersetzung mit dem Begriff der Tatherrschaft und der Struktur der §§ 25 ff. StGB.314 Im Übrigen stellt sich die Frage, inwieweit die Argumentation mit dem Rechtsgedanken des § 25 I Alt. 2 StGB mit einer Analogie zu einer täterschaftsbegründenden Norm (§ 25 I Alt. 2 StGB) verbunden ist, was Bedenken im Hinblick auf Art. 103 II GG weckt. Löst man die Vorverschuldensfälle dagegen unter Rückgriff auf die §§ 22 ff. StGB und führt § 25 I Alt. 2 StGB nur als ein Beispiel für einen frühen Versuchsbeginn an, was denkbar erscheint, so kann die täterschaftsbegründende Norm nur § 25 I Alt. 1 StGB sein.315 Insoweit stellt sich allerdings die Frage, ob die Tatbegehung als Alleintäter i. S. v. § 25 I Alt. 1 StGB nicht ebenfalls Tatherrschaft voraussetzt. Dies ist bislang stets bejaht worden, versinnbildlicht der Alleintäter doch grundsätzlich den Prototyp des Tatherrn kraft Handlungs- und Willensherrschaft.316 Ganz deutlich kommt dies bei Jescheck / Weigend zum Ausdruck, die zunächst die Tatherrschaftslehre als allgemeines Kriterium der Täterschaft abhandeln und erst im Anschluss die unmittelbare, die mittelbare und die Mittäterschaft als Erscheinungsformen der Tatherrschaft darstellen.317 Auch bei der Alleintäterschaft werden jedoch Konstellationen diskutiert, in denen der Täter deshalb ins Versuchsstadium eintreten soll, weil er „den Geschehens313 Diesen Aspekt erkennt Küper, FS-Leferenz, 1983, S. 573, 590. Die Tatherrschaft wird im Falle der Schuldunfähigkeit etwa verneint von Kolz, actio libera in causa, 1970, S. 35; Otto, Jura 1986, 426, 428 f.; Übler, actio libera in causa, 2003, S. 155; Mitsch, FS-Küper, 2007, S. 347, 359, der meint, die actio libera in causa ähnele strukturell eher der Anstiftung als denn der mittelbaren Täterschaft. Da § 26 StGB aber nur die Bestimmung eines „anderen“ unter Strafe stelle, könne die Defekttat in Anbetracht der Gesetzeslage nur als fahrlässige Täterschaft erfasst werden! Diese These veranschaulicht, dass die Fahrlässigkeitshaftung auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs mehr und mehr zu einem Auffangbecken für all das wird, was man für strafwürdig hält, ohne es hinreichend dogmatisch begründen zu können. Bejaht wird das Vorliegen von Tatherrschaft in den Vorverschuldensfällen von Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; Roxin, FS-Lackner, 1987, 307, 314. 314 Dazu nachfolgend Kap. 2, § 2. 315 In diese Richtung gehend argumentieren auch Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 518; Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 345; Schmidhäuser, actio libera in causa, 1992, S. 25. 316 So verstanden erscheinen unmittelbare und mittelbare Täterschaft als a priori gleichberechtigte und normativ gleichwertige, nur in faktischer Hinsicht differierende Varianten des durch Ausübung von Tatherrschaft definierten allgemeinen Täterbegriffs, vgl. Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 73. Auch Roxin, FS-Honig, 1970, S. 133, 146 verlangt für die Täterhandlung Tatherrschaft, ohne zwischen den Täterschaftsformen des § 25 I Alt. 1 und Alt. 2 StGB zu differenzieren. 317 Jescheck / Weigend, AT, S. 651 f.; vgl. auch Küper, JZ 1983, S. 361 ff. Gleiches gilt für die Lehre Roxins, in der die Tatherrschaft aus dem Leitbild des Täters als der „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“ hergeleitet wird, vgl. Täterschaft, 2006, S. 25 ff., 107 ff., 127 ff.
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verlauf aus seinem eigenen Herrschaftsbereich entlassen“ habe. Zu denken ist insbesondere an den beendeten Versuch, bei dem der Täter aus seiner Sicht alles zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche getan hat, jedoch noch eine Mitwirkungshandlung des Opfers notwendig ist.318 So verhält es sich etwa, wenn der Täter sich nach Vergiftung des für das Opfer bereitgestellten Getränks entfernt. Aber kann hier wirklich von einem Tatherrschaftsverlust die Rede sein? Inwieweit unterscheidet sich der Fall von der Tatbegehung in mittelbarer Täterschaft? Diese Fragen zeigen, dass die Vorverschuldensfälle ein Problem der Täterlehre sind. Letztlich geht es nämlich darum, unter welchen Voraussetzungen eine bloß mittelbare Erfolgsbewirkung Täterschaft begründen kann.319 Dieser Frage soll in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden.
6. Stellungnahme für die Fälle fahrlässiger Defektherbeiführung Im Bereich der fahrlässigen Defektherbeiführung ist die Diskussion um die Bestimmung der Tathandlung der Erfolgsdelikte nur um weniges klarer. Zunächst bleibt auch hier die Frage, ob der Rückgriff auf das zum Defekt führende pflichtwidrige Verhalten einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG darstellt: nach diesem bereits angesprochenen Gebot muss aus dem Gesetz klar hervorgehen, welches Verhalten strafbar ist. Die Fahrlässigkeitsdelikte unterscheiden sich aber – wie zuvor erörtert – bereits ihrer Formulierung nach von den vorsätzlichen Delikten dadurch, dass bei ihnen nach h. M. die bloße Verursachung des Erfolges genügen soll, sofern sich diese als Sorgfaltspflichtverletzung darstellt.320 Gegen diesen Ansatz wendet Leupold ein, dass die Begriffe der Tathandlung und der Sorgfaltspflichtverletzung strikt voneinander zu trennen seien.321 Während unter Tathandlung die den tatbestandsmäßigen Erfolg verursachende Handlung zu verstehen sei, sei es Aufgabe der Sorgfaltspflichtverletzung, dem Täter die durch die Tathandlung herbeigeführte Rechtsgutsverletzung als „fahrlässig“ vorzuwerfen. Die Tathandlung stelle demnach den Gegenstand der Bewertung dar, während die Sorgfaltspflichtverletzung den Maßstab der Bewertung bilde.322 Tathandlung und Sorgfaltspflichtverletzung sollen daher auseinanderfallen können. Das Gesetz fordere nämlich im Verhältnis von Erkenntnispflicht und Verursachung – anders als beim Verhältnis von Tathandlung und Vorsatz (§§ 15, 16 I 1 StGB) bzw. von Tathandlung und Schuldfähigkeit (vgl. § 20 StGB) – keine Koinzidenz, so dass der Vgl. hierzu Roxin, AT II, § 29, Rn. 195 ff. Dies wird – soweit ersichtlich – erstmals von Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 243 in aller Klarheit erkannt. 320 BGHSt 42, 235, 236. 321 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 198. 322 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 198. 318 319
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Fahrlässigkeitsvorwurf an ein vor der Tathandlung liegendes Verhalten anknüpfen könne.323 Als Tathandlung komme sowohl bei Vorsatz- wie auch bei Fahrlässigkeitsdelikten nur das Verhalten in Betracht, das zeitlich am Nächsten am Erfolg liege. Voraussetzung sei lediglich, dass dieses Verhalten von einem natürlichen Handlungswillen getragen sei. Tathandlung soll also immer nur die „Letztursache“ sein können. Dies gebiete der Bestimmtheitsgrundsatz, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und der allgemeine Gleichheitssatz.324 Auf den ersten Blick hat diese Argumentation etwas Verführerisches, beantwortet sie doch ganz unkompliziert die Frage, was die Tathandlung ist: „Tat“ ist immer nur die eigentliche, unmittelbar auf das Tatobjekt bezogene Verletzungshandlung. Die die Fahrlässigkeit begründende Sorgfaltspflichtverletzung soll dagegen aus dem Geschehensabschnitt vor der Tat stammen. Ob diese Lösung dem Bestimmtheitsgrundsatz allerdings besser gerecht wird, erscheint mehr als fraglich. Soll der Schuldvorwurf an ein beliebiges Verhalten im Vorfeld der Tat anknüpfen können, entfernt man sich in bedenklicher Weise von einem Verständnis der Schuld als „Tatschuld“325: dem Täter wird in diesem Fall nämlich nicht die Tat vorgeworfen, sondern die Verletzung einer von der Tat unabhängigen Pflicht. Auf diese Weise wird die Verbindung zwischen Unrecht und Schuld aufgehoben und die Schuld auf ein Geschehen vorverlagert, das kein Unrecht darstellt.326 Eine solche „freischwebende“ Schuld ist dem Strafrecht indes fremd:327 der Schuldvorwurf kann nach dem auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte geltenden § 20 StGB nur dahin gehen, dass der Täter in der konkreten Tatsituation den Anforderungen des Rechts nicht nachgekommen ist, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Die Sorgfaltspflichtverletzung ist also kein von der Tathandlung losgelöster Akt, sondern dient der näheren Charakterisierung derselben und stellt damit den Bezugspunkt des Schuldvorwurfs dar.328 Nur so kann sinnvollerweise von einer „Tatschuld“ die Rede sein. 323 Betrachtet man freilich unvoreingenommen das Gesetz (namentlich die hier in Rede stehenden §§ 16, 20 StGB), aus dem Leupold das Koinzidenzprinzip herleitet, so fällt auf, dass dort der Grundsatz zeitlicher Koinzidenz so keineswegs positiv formuliert ist, sondern dass nur negativ gesagt wird, wann bei einer Deliktsausführung der Täter ohne Vorsatz bzw. ohne Schuld gehandelt hat, vgl. schon Herzberg, FS-Spendel, 1992, 203, 204 m. Fn. 8 a.E.; Spendel, JR 1997, 133, 134. Das Koinzidenzprinzip lässt sich daher allenfalls indirekt im Wege eines Umkehrschlusses aus den genannten Normen herleiten. 324 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 137 ff., 198. 325 Vgl. zur Tatbezogenheit der Schuld BVerfGE 50, 125, 133 sowie Hirsch, FS-Lüderssen, 2002, S. 253, 262 ff. 326 Schmidhäuser, actio libera in causa, 1992, S. 12. 327 Letztendlich rückt Leupold mit seinem Lösungsvorschlag in die Nähe der alten, längst überholten Lehre vom „versari in re illicita“; dazu Ulsenheimer, JZ 1969, 364, 367. 328 Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 47 ff. weist zutreffend darauf hin, dass das Koinzidenzprinzip auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte gilt. Hierzu auch Hettinger, GA 1989, 1, 13; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 563.
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Selbst wenn man die Tathandlung der Fahrlässigkeitsdelikte mittels der erfolgsursächlichen Sorgfaltspflichtverletzung schärfer konturiert, stellt sich allerdings die Frage, ob damit die für Art. 103 II GG erforderliche Bestimmtheit erreicht ist.329 Dies hängt nicht zuletzt davon ab, ob man aus der offenen Formulierung der Fahrlässigkeitsdelikte einen restriktiven oder einen extensiven Täterbegriff herleitet.330 Hierfür ist wiederum maßgeblich, ob die Wertungen der §§ 25 ff. StGB auch für den Bereich der Fahrlässigkeit gelten oder nicht. Letztendlich läuft auch hier wieder alles auf die Frage hinaus, ob und inwieweit eine bloß mittelbare Erfolgsbewirkung Täterschaft begründen kann. Dies soll im Folgenden näher untersucht werden.
III. Zusammenfassung Die nähere Auseinandersetzung mit dem Ausnahme- und dem Tatbestandsmodell hat gezeigt, dass die Frage nach der Erfolgszurechnung in den Vorverschuldensfällen zwar eine nicht enden wollende Flut von Publikationen ausgelöst hat. Gleichwohl finden sich nur wenige Ansätze, die die Vorverschuldensproblematik in einem größeren Zusammenhang betrachten.331 Dabei gilt es einerseits, Parallelen der verschiedenen Fallgestaltungen zu erarbeiten, andererseits aber auch die Unterschiede der einzelnen Konstellationen nicht zu übergehen. Letzterer Vorwurf trifft insbesondere das Ausnahmemodell, welches überhaupt nicht zwischen der Art des herbeigeführten Defektes differenziert, da eine ungeschriebene Ausnahmeregel von geltenden Exkulpationsnormen natürlich auf jeder Deliktsstufe denkbar ist. Das Ausnahmemodell vermag jedoch nicht zu überzeugen: einerseits begründet es der Sache nach eine strafrechtliche Haftung unter Rückgriff auf Handlungen, die seiner Wertung zufolge nicht als Tathandlung verstanden werden können, um hieraus einen Schuld- oder Unrechtsvorwurf herzuleiten und verstößt damit gegen das Schuldprinzip. Zum anderen findet es aber auch methodologisch weder eine Stütze im Gesetz noch im Gewohnheitsrecht. Die Begründung mittels einer teleologischen Reduktion der die Defekttat exkulpierenden Norm ist im Hinblick auf Art. 103 II GG nicht haltbar. Aber auch das Tatbestandsmodell lässt viele Fragen offen: kann man die Vorverschuldensfälle angesichts des klaren Wortlauts der Norm nicht unter § 25 I Alt. 2 StGB fassen, so kann es sich hierbei nur um eine Tatbegehung nach § 25 I Alt. 1 StGB handeln. Dieser Konsequenz entgeht nicht, wer sich auf den Standpunkt flüchtet, es werde lediglich der Versuchsbeginn wie bei der mittelbaren Täterschaft 329 Krit. Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 563 m. w. N. in Fn. 30, 31; ausführlich zur Problematik Duttge, Bestimmtheit, 2001, S. 135 ff. 330 Hierzu unten Kap. 4, § 1 I. 331 Zu nennen sind hier freilich z. B. Neumann, Vorverschulden, 1985 sowie Übler, actio libera in causa, 2003, die ihre Erörterungen zumindest partiell nicht auf die Standardfälle der omissio bzw. actio libera in causa beschränken. Für eine übergreifende Betrachtung spricht sich auch Jubert, JRE 1994, 327, 328 aus.
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bestimmt. Insofern stellt sich nämlich die Frage, ob die Vorverschuldensfälle der mittelbaren Täterschaft strukturell ähneln oder ob es sich schlechterdings einfach um zwei völlig unabhängige Erscheinungsformen des beendeten Versuchs handelt. Auch hier spitzt sich alles auf die Frage zu, ob solche Ursachen, die einen Erfolg bloß mittelbar verursacht haben, auch jenseits des § 25 I Alt. 2 StGB – also im „Ein-Personenverhältnis“ – Anknüpfungspunkt einer Vollendungszurechnung sein können. Die gleiche Frage stellt sich bei fahrlässiger Defektherbeiführung. Auch dort gilt es zu untersuchen, inwieweit sich aus der Täterlehre Kriterien für die Zurechnung bloß mittelbar bewirkter Erfolge herleiten lassen. Dieser Frage soll in den beiden folgenden Kapiteln nachgegangen werden. Hierzu erfolgt ein Vergleich mit anderen Fällen mehraktiger Erfolgsbewirkung, bei denen ebenfalls diskutiert wird, ob und inwieweit die Erfolgszurechnung an eine bloß mittelbar wirkende Ursache anknüpfen kann.
Kapitel 2
Die Zurechnung vorsätzlich mittelbar bewirkter Erfolge § 1 Konstellationen außerhalb der Vorverschuldensfälle Die in den Vorverschuldensfällen aufgezeigte Fragestellung, ob die täterschaftliche Erfolgszurechnung auch an eine bloß mittelbar zum Erfolg führende Ursache anknüpfen kann, stellt sich immer dann, wenn mehrere zeitlich aufeinander folgende Akte zum Erfolg geführt haben. Der Erfolg wird also nicht unmittelbar durch die Ersthandlung, sondern erst durch eine sich an den Primärakt anschließende Zweithandlung herbeigeführt.1 Angesichts der Tatsache, dass bei den Erfolgsdelikten aufgrund der herrschenden Äquivalenztheorie als potentielle Tathandlung jeder Akt in Betracht kommt, der nur irgendwie erfolgsursächlich geworden ist, sind Fälle ausschließlich unmittelbarer Erfolgsverwirklichung freilich undenkbar: jede zum Erfolg führende Ursache beruht ihrerseits auf weiteren Ursachen – der Tod des Opfers beruht etwa nicht bloß auf dem Schuss des Täters, sondern auch darauf, dass dieser von seinen Eltern gezeugt wurde, für deren Existenz wiederum die Großeltern des Täters verantwortlich sind, usw. Theoretisch müsste daher jede auch noch so weit vom Erfolg entfernte Ursache als mittelbare Tathandlung in Betracht kommen. Um einen solchen regressus in infinitum auszuschließen, wurde – wie bereits erwähnt – die Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt, welche verlangt, dass sich in dem Erfolg die vom Täter geschaffene, rechtlich missbilligte Gefahr in vorhersehbarer Weise realisiert.2 Mit dieser Formel wird der Kreis der in Frage kommenden Tathandlungen zwar erheblich eingeengt – erledigt hat sich die Problematik der mittelbaren Erfolgsverwirklichung damit aber nicht. Die Lehre von der objektiven Zurechnung hilft nämlich nur, eine beliebige Handlung als Tathandlung zu qualifizieren – sie sagt aber selbst nichts darüber aus, ob und inwieweit die Erfolgszurechnung auch an weitere vom Ersthandelnden vorgenommene Ursachen anknüpfen kann, die ebenfalls den Kriterien objektiver Zurechnung genügen. Ebensowenig enthält sie Vorgaben zu der Frage, unter welchen Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 241. Vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 287 ff.; Küper, FS-Lackner, 1987, S. 248 ff.; Roxin, FSHonig, 1980, S. 135 ff. 1 2
§ 1 Konstellationen außerhalb der Vorverschuldensfa¨lle
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Voraussetzungen das Dazwischentreten eines Dritten die Zurechnung soll unterbrechen können. Deutlich wurde dies in den Vorverschuldensfällen: ganz offensichtlich stellt der tödliche Schuss des schuldunfähigen Täters auf das Opfer die (gem. § 20 StGB straflose) Tatbestandshandlung dar. Ob die Erfolgszurechnung an die der Tatbestandshandlung vorausliegende Defektherbeiführung anknüpfen darf, sofern sich diese als Versuch der Tat darstellt und die Kriterien der objektiven Zurechnung erfüllt, ist hingegen eine völlig andere Frage. Ihre Beantwortung hängt von der Reichweite des in § 25 StGB verankerten Täterbegriffs ab. Eng damit verbunden ist die Frage, ob das Strafrecht ein Regressverbot kennt. In diesem Kapitel soll untersucht werden, welche Fälle mittelbarer Erfolgsverursachung es außerhalb der Vorverschuldensfälle gibt und ob diese eine einander verwandte Struktur aufweisen, aus der sich Rückschlüsse für eine allgemeine Zurechnungsdogmatik bei Vorverschulden ziehen lassen. Dabei soll zunächst nur die vorsätzliche mittelbare Erfolgsverursachung erörtert werden. Insofern ist zu unterscheiden zwischen der vorsätzlichen Verursachung rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens im Rahmen der §§ 25 ff. StGB sowie außerhalb der §§ 25 ff. StGB. Im Anschluss daran wird die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens (außerhalb der Vorverschuldensfälle) untersucht.3
I. Die Verursachung rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens Eine Verursachung rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens liegt z. B. vor, wenn der Ersthandelnde mit Tötungsvorsatz gegen das Opfer vorgeht, dieses jedoch nur verletzt und das Opfer erst durch die Handlung eines Dritten getötet wird, der an die vorgefundene Lage anknüpft.4 In diesem Fall wirkt sich nicht nur die Handlung des Zweithandelnden, sondern – mittelbar – auch die Handlung des Erstagierenden im Erfolg aus: knüpft die Handlung des Zweiten nämlich an die des Ersten an, so kann nach der Äquivalenztheorie dessen Beitrag nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Die Kausalität des ersten Akts für den Erfolgseintritt ist also nach der Äquivalenztheorie zu bejahen.
1. Der Begriff der Mittelbarkeit im Mehr-Personenverhältnis In der soeben beschriebenen Konstellation führen mehrere zeitlich hintereinander liegende Akte zum Erfolg, von denen jeder eine Handlungsqualität hat. Dass nicht nur der erste, sondern auch der zweite Akt Handlungsqualität hat, also sich 3 4
Vgl. zu dieser Einteilung Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 250, 252. Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 250.
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Kap. 2: Die Zurechnung vorsa¨tzlich mittelbar bewirkter Erfolge
als willensgetragenes menschliches Verhalten darstellt,5 ist Voraussetzung, damit von einer mittelbaren Erfolgsverwirklichung die Rede sein kann.6 Stellt das Verhalten des Zweiten nämlich schon keine Handlung dar, so liegt aus Sicht des Ersten keine mittelbare, sondern eine unmittelbare Tatbegehung vor, sofern dessen Handlung sämtliche Strafbarkeitsmerkmale aufweist. Stößt etwa A den B in eine Schaufensterscheibe, so dass diese zerbricht, so stellt das von vis absoluta gesteuerte Verhalten des B keine Handlung dar und ist strafrechtlich daher völlig irrelevant. Auch wenn A also den Erfolg „mittels des B“ herbeigeführt hat, ist er wegen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB in unmittelbarer Täterschaft strafbar. Die Begriffe der „Mittelbarkeit“ und des „Mittels“ sind also zu unterscheiden. Nicht jeder Einsatz eines Mittels führt zur mittelbaren Tatbegehung. Diese Differenzierung leuchtet insbesondere ein, wenn der Täter sich eines gegenständlichen Werkzeugs bedient. Hierin liegt ersichtlich ein Fall unmittelbarer Tatbegehung.7 Nichts anderes gilt, wenn der Täter– wie im soeben erörterten Beispiel – einen anderen Menschen als handlungsunfähiges Werkzeug einsetzt.8 In diesem Fall übt nämlich der Ersthandelnde, nicht der Zweite, die Handlungsherrschaft über das zum Erfolg führende Geschehen aus und handelt daher eigenhändig.9 Dies ist nach ganz h. M. typisch für die unmittelbare Tatbegehung nach 25 I Alt. 1 StGB.
2. Die vorsätzliche Verursachung des rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens Bei der vorsätzlichen Verursachung des rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens durch den Ersttäter ist zu unterscheiden zwischen der mittelbaren Tatbegehung nach § 25 I Alt. 2 StGB einerseits, der Veranlassung der fremden Tat gem. § 26 StGB andererseits sowie der bloßen Veranlassung der Rechtsgutsverletzung durch einen Dritten außerhalb der §§ 25 I Alt. 2, 26 StGB.
a) Verursachung des Drittverhaltens bei § 25 I Alt. 2 StGB Unter dem Aspekt der Beteiligung kann sich die Verursachung fremder Erfolgsherbeiführung darstellen als mittelbare (und damit eigene) Tatbegehung nach Vgl. Ebert, AT, S. 21 f. So auch Donna, FS-Gössel, 2002, S. 261, 264, 266. 7 Hierzu bereits Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 253, der die Konstellation allerdings unter dem Aspekt der Kausalverlaufsabweichung untersucht. 8 So auch Spendel, FS-Lange, 1976, S. 147, 150. 9 Vgl. zum Begriff der Handlungsherrschaft Roxin, Täterschaft, 2006, S. 626; Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 14, 38, 44, 79; Jakobs, AT, 21 / 35; Ebert, AT, S. 190; Freund, AT, § 10, Rn. 42; Krey, AT 2, § 27, Rn. 94; Stratenwerth / Kuhlen, AT, § 12, Rn. 46; Wessels / Beulke, AT, Rn. 538. 5 6
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§ 25 I Alt. 2 StGB – d. h. als Täterschaft – oder als bloße Veranlassung der fremden Tatbegehung nach § 26 StGB, d. h. als Teilnahme. Als verhältnismäßig einfacher Fall mittelbarer Täterschaft mag das Beispiel dienen, dass A den B durch die Drohung, ihn oder einen seiner Angehörigen umzubringen, zu einer Straftat, etwa einem Überfall gem. § 224 I Nr. 3 StGB, nötigt.10 Eine Anstiftung läge dagegen vor, wenn A den Tatentschluss des B nicht durch Nötigung erzwungen, sondern durch bloße „Anregung“ hervorgerufen hätte. Die Grenze zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung verläuft freilich nicht immer so klar.11 Sie entscheidet darüber, ob der mittelbare Tatbeitrag des Ersthandelnden als eigene Tatbegehung „durch einen anderen“ i. S. v. § 25 I Alt. 2 StGB verstanden werden kann oder ob er nur die Veranlassung fremder Tatbegehung gem. § 26 StGB darstellt.12
b) Verursachung des Drittverhaltens außerhalb von §§ 25 I Alt. 2, 26 StGB Keine der beiden soeben genannten Beteiligungsformen liegt vor, wenn der Ersthandelnde dem Opfer eine tödliche Verletzung zufügt, der Erfolg aber erst durch die todbringende Zweithandlung eines Dritten herbeigeführt wurde, ohne dass dieser dem Einfluss des Ersttäters ausgesetzt gewesen wäre. Zu nennen ist hier etwa der berühmte Gnadenschussfall, in dem der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz niedergeschossen und dadurch einen Dritten (ohne direkte Einflussnahme) dazu veranlasst hat, dem Verletzten den „Gnadenschuss“ zu geben.13 Dieser Fall wirft die Frage auf, ob der bloß mittelbare wirkende vorsätzlich geleistete Tatbeitrag außerhalb des § 25 I Alt. 2 StGB Täterschaft hinsichtlich des Erfolges begründen kann oder ob sich insoweit ein Regressverbot aus der Zweithandlung ergibt. Besteht kein Regressverbot, kommt allenfalls eine Alleintäterschaft in Form unmittelbarer Tatbegehung nach § 25 I Alt. 1 StGB in Betracht.
II. Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens Auf den ersten Blick ungewöhnlich mutet die Fallgruppe der Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens an: wird der Erfolg nur durch eine einzige Person bewirkt, so gründet die Täterschaft nämlich in aller Regel auf der Roxin, AT II, § 25, Rn. 47. Vgl. dazu unten Kap. 2, § 2 III. 2. c). 12 Vgl. auch Donna, FS-Gössel, 2002, S. 261, 265. 13 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1956, 526. Hierzu auch Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241 ff. 10 11
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Kap. 2: Die Zurechnung vorsa¨tzlich mittelbar bewirkter Erfolge
Handlung, welche dem Erfolg zeitlich am Nächsten vorausliegt, sofern diese alle Strafbarkeitsmerkmale aufweist. Die Täterschaft resultiert solchenfalls aus § 25 I Alt. 1 StGB. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn bei Vornahme der unmittelbar zum Erfolg führenden Handlung ein Strafbarkeitsmerkmal fehlt, wie dies etwa bei den Vorverschuldenskonstellationen der Fall ist. Darf hier auf eine bloß mittelbar wirkende Handlung zurückgegriffen werden, durch die der Täter das eigene Folgeverhalten verursacht hat? Mit anderen Worten: gibt es eine Täterschaft gem. § 25 I Alt. 1 StGB, welche auf einem bloß mittelbar wirkenden Tatbeitrag gründet? Diese Problematik stellt sich auch in anderen Fallkonstellationen der mehraktigen Erfolgsbewirkung durch eine Person, wie etwa dem noch näher darzustellenden berühmten Jauchegrubenfall14 oder dem sog. Blutrauschfall.15
1. Der Begriff der Mittelbarkeit im Ein-Personenverhältnis Führt eine einzige Person durch mehrere Handlungen den Erfolg herbei, so kommt allein eine Täterschaft gem. § 25 I Alt. 1 StGB in Frage, sofern man – wie auch hier vertreten – davon ausgeht, das § 25 I Alt. 2 StGB ausschließlich für die fremdhändige Tatbegehung geschaffen wurde. Auch im Ein-Personenverhältnis setzt der Begriff der Mittelbarkeit voraus, dass der unmittelbar zum Erfolg führende Akt Handlungsqualität hat. Der einzige Unterschied zu den soeben angesprochenen Fällen der Verursachung rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens liegt darin, dass die zweite Handlung ebenfalls von dem Täter der Ersthandlung vorgenommen wird. Die Mittelbarkeit ergibt sich also nicht daraus, dass der Erfolg erst durch eine fremde Handlung herbeigeführt wird, sondern daraus, dass die unmittelbar vom Täter selbst vorgenommene Zweithandlung rechtlich als Anknüpfung für einen Strafbarkeitsvorwurf nicht trägt, etwa, weil der Täter bei ihrer Ausführung schuldunfähig i. S. v. § 20 StGB war. Obwohl solchenfalls beide Akte vom Täter selbst vorgenommen werden, passt der Begriff der mittelbaren Erfolgsherbeiführung hier: es geht ja gerade um die Frage, ob die Täterschaft auf einen bloß mittelbar wirkendenden Tatbeitrag gründen kann. 2. Sukzessive Tatbegehung und Blutrausch In diesem Zusammenhang soll die Zurechnungsstruktur in solchen Fällen sukzessiver Tatbegehung untersucht werden, in denen der Täter während der Ausfüh14 BGHSt 14, 193; vgl. hierzu auch Krey, AT 1, § 10, Rn. 387; Lackner / Kühl, § 15, Rn. 11; Sch / Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 58. Näher hierzu unten Kap. 2, § 4 II. 15 BGHSt 7, 325 ff. Dazu ausführlich in Kap. 2, § 4 I.
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rung seiner von Anfang an geplanten Tat plötzlich in einen schuldausschließendenden Affekt („Blutrausch“) gerät, in dem er die Tat dann zu Ende führt.16
3. Sonstige Fälle mehraktiger Tatbegehung – der Jauchegrubenfall Von der zuletzt erörterten Fallkonstellation sind solche Fälle zu unterscheiden, bei denen das zum Erfolg führende Geschehen anders verläuft, als der Täter sich dies vorgestellt hat. Hier geht es nicht um die Auslösung eines ungeplanten Affekts, sondern darum, dass der Täter bei Vornahme des ersten Akts mit Tötungsvorsatz, bei Vornahme des 2. Akts dagegen nur fahrlässig handelte. Die Diskussion um den nachträglichen Wegfall des Vorsatzes wurde insbesondere durch den sog. Jauchegrubenfall17 ins Leben gerufen.
III. Gemeinsamkeit zu den Vorverschuldensfällen Alle bislang geschilderten Konstellationen haben mit den Vorverschuldenskonstellationen gemein, dass es um die Frage geht, unter welchen Voraussetzungen ein nur mittelbar wirkender Tatbeitrag Täterschaft begründen kann. Zur Beantwortung dieser Frage ist eine nähere Auseinandersetzung mit der in § 25 StGB ausgestalteten Täterlehre erforderlich.
§ 2 Vorsätzliche Verursachung des Drittverhaltens bei den §§ 25 ff. StGB Die §§ 25, 26 und 27 StGB lassen ein geteiltes System erkennen, in welchem unterschieden wird zwischen Täterschaft in Form der unmittelbaren und mittelbaren Alleintäterschaft nach § 25 I StGB sowie der Mittäterschaft gem. § 25 II StGB einerseits und der Teilnahme in Form der Anstiftung gem. § 26 StGB und der Beihilfe gem. § 27 StGB andererseits.18 Mit der Einführung der §§ 25 ff. StGB in der Fassung des 2. Strafrechtsreformgesetzes vom 2. 1. 1975 wurde der Einheitstäterlösung, der zufolge jedwede Verursachung einer Rechtsgutsverletzung ohne Rücksicht auf ihr sachliches Gewicht Täterschaft begründen sollte,19 endgültig 16 BGHSt 7, 325 ff.; 23, 133 ff.; BGH, GA 1956, 26 ff. Vgl. hierzu auch Krause, Jura 1980, 169, 174; Sch / Sch / Perron, § 20, Rn. 40; Oehler, GA 1956, 1 ff.; ders.; JZ 1970, 380 f.; Schwinghammer, actio libera in causa, 1966, S. 48 ff.; Geilen, JuS 1972, 73 ff.; Krause, FS-Mayer, 1965, S. 305, 311; Mayer, JZ 1956, S. 109 ff. 17 BGHSt 14, 193. Ähnliche Fallgestaltungen lagen RGSt 70, 257; OGHSt 1, 75; 2, 285 zugrunde. Näher dazu unten Kap. 2, § 4 II. 18 Vgl. zur Entwicklung dieser Einteilung Roxin, AT II, § 25, Rn. 1 ff.
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Kap. 2: Die Zurechnung vorsa¨tzlich mittelbar bewirkter Erfolge
die Absage erteilt.20 Statt des extensiven Täterbegriffs wurde – zumindest im Rahmen der Vorsatzdelikte21 – die Grundlage gelegt für die Geltung eines restriktiven Täterbegriffs:22 Täter kann danach nur sein, wer die Tat „begeht“, d. h. den Tatbestand verwirklicht. Anstiftung und Beihilfe sind dagegen Strafausdehnungsgründe, die über den Kernbereich der Strafbarkeit, der durch die Täterschaft bezeichnet wird, hinausgreifen.23 Die Täterschaft als „Begehung“ der Tat setzt dabei – wie sich aus der mittelbaren Täterschaft gem. § 25 I Alt. 2 StGB ergibt – nicht zwingend eine eigenhändige Vornahme der Tathandlung voraus.24 Mit der Schaffung des § 25 I Alt. 2 StGB wurde die mittelbare Täterschaft jedoch nur als Phänomen legislatorisch verankert, ohne dass damit zum Ausdruck käme, unter welchen Voraussetzungen jemand die Tat „durch einen anderen begeht“ und nach welchen Kriterien dies zu beurteilen ist.25 Insbesondere trifft die gesetzliche Regelung keine Aussagen über die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung.26 Daher hat sich ein beachtliches Spektrum an Abgrenzungskriterien entwickelt, deren umfassende Darstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Es kann an dieser Stelle nur auf die grundlegendsten Konzeptionen eingegangen werden. Zu nennen ist hier die von der absolut h. L. vertretene Tatherrschaftslehre sowie daneben die normative Kombinationstheorie der Rechtsprechung und das Autonomieprinzip.27 19 Vgl. Bock, Jura 2005, 673, 674. Die erste moderne Einheitstäterlösung wurde bereits von Stübel, Ueber die Theilnahme, 1828, S. 11, 22 f., 39 f., 67, 73 vertreten, der davon ausging, dass die Zurechnung der Tat „an sich“ (im Gegensatz von der Zurechnung der Tat zur Strafe) nur von der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg abhänge und sich dabei ausdrücklich auf v. Schirach, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 415, 432 ff. bezog, der als erster die These aufgestellt hatte, die Tatbeiträge aller an einem Verbrechen Beteiligten seien unter Kausalitätsgesichtspunkten gleichwertig. 20 Maiwald, FS-Bockelmann, 1979, S. 343, 344; Bock, Jura 2005, 673, 674. 21 Zum Täterbegriff der Fahrlässigkeitsdelikte s. u. Kap. 4, § 1 I. 2. 22 Die Termini „restriktiver“ und „extensiver“ Täterbegriff stammen von Zimmerl, ZStW 49 (1929), S. 39 ff. 23 Roxin, AT II, § 25, Rn. 7. Vgl. auch Otto, FS-Spendel, 1992, S. 271, 272; SK-Hoyer, vor § 25, Rn. 9; Detzer, Einheitstäterlösung, 1972, S. 66. 24 Der formal-objektiven Theorie ist durch die Neufassung der Vorschrift über die Täterschaft also endgültig die Grundlage entzogen worden, vgl. statt vieler Cramer, FS-Bockelmann, 1979, S. 389, 391 m. w. N. 25 Cramer, FS-Bockelmann, 1979, S. 389, 390. 26 Dadurch sollte nach der Intention des Gesetzgebers zukünftigen Entwicklungen in Wissenschaft und Rechtsprechung Raum gegeben werden, vgl. BT-Drucks. V / 4095, S. 12 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. IV / S. 149. Aus der Gesetzesfassung läßt sich allerdings soviel entnehmen, dass es eine nichtakzessorische Beteiligungsform der mittelbaren Täterschaft und eine akzessorische Beteiligungsform der Anstiftung geben soll. 27 Daneben seien zumindest erwähnt: Schmidhäusers Ganzheitstheorie, vgl. Schmidhäuser, LB AT, 14 / 156 ff.; Steins Lehre von der Dringlichkeit der Verhaltensnorm, vgl. Stein, Beteiligungsformenlehre, 1988, S. 241 ff. sowie Heinrichs Hemmschwellentheorie, vgl. Heinrich, Entscheidungsträgerschaft, S. 354 ff.
§ 2 Vorsa¨tzliche Verursachung des Drittverhaltens bei den §§ 25 ff. StGB
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I. Erfolgszurechnung über das Kriterium der Tatherrschaft Die aus verschiedenen Ansätzen hervorgegangene Tatherrschaftslehre, welche auf der Konzeption Welzels28 beruht, ist erstmals von Roxin29 umfassend ausgearbeitet worden. Nach dieser Ansicht sind die Delikte dreizuteilen in Herrschaftsdelikte, Pflichtdelikte und eigenhändige Delikte. Täter der Pflichtdelikte soll nur der Pflichtige sein können, während Täter der eigenhändigen Delikte nur der sein könne, der den Tatbestand mit eigener Hand verwirklicht. Für die Herrschaftsdelikte gelte eine derartige Beschränkung des Täterkreises jedoch nicht. Dort komme als Täter allerdings nur derjenige in Betracht, der das zur Deliktsverwirklichung führende Geschehen beherrscht, also die zentrale Rolle im zum Erfolg führenden Vorgang einnimmt. Nach der in § 25 I Alt. 1 und Alt. 2 StGB vorgefundenen Differenzierungen werden dabei unterschieden die Beherrschung des Geschehens qua Handlungsherrschaft und die Beherrschung des Geschehens qua Willensherrschaft.
1. Die unmittelbare Täterschaft als Handlungsherrschaft Die unmittelbare Täterschaft wird durch das Ausüben von Handlungsherrschaft charakterisiert. Wer also den Tatbestand eigenhändig verwirklicht, ihn „selbst begeht“, der kann allenfalls Täter i. S. v. § 25 I Alt. 1 StGB sein. Die Handlungsherrschaft wird dabei vermittelt durch die Vornahme einer von einem natürlichen Handlungswillen getragenen Willensäußerung.30 Die besondere Hervorhebung der Eigenhändigkeit und der Handlungsherrschaft trägt ihren Grund in der Abgrenzungsfunktion zur mittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 2 StGB. Dies darf aber nicht den Eindruck erwecken, als genüge die Handlungsherrschaft allein, um Täterschaft i. S. v. § 25 I Alt. 1 StGB zu begründen. Von einer vollständigen Ausübung der Tatherrschaft und also von einer Täterschaft kann nur die Rede sein, wenn sich die Handlung des Täters als freie Willensäußerung darstellt. Dies hat in positivrechtlicher Hinsicht indirekt seinen Niederschlag z. B. in §§ 19 – 21 StGB und § 35 StGB gefunden. Nach §§ 19 – 21 StGB ist die strafrechtliche Verantwortung ausgeschlossen, wenn dem Menschen etwa aufgrund eines psychischen Defekts die Möglichkeit fehlt, sich so zu verhalten, wie es die Rechtsordnung von ihm erwartet. § 35 StGB bildet eine normative Freistellung von Verantwortlichkeit für den Fall, dass bei Begehung der Tat eine bestimmte Zwangslage vorlag, die es dem Täter unmöglich gemacht hat, sich gemäß den rechtlichen Erwartungen zu verhalten.31 28 29 30 31
Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491 ff. Roxin, Täterschaft, 1. Auflage 1963 – 8. Auflage 2006. Vgl. auch Leupold, Tathandlung, 2005, S. 179 f. Diel, Regressverbot, 1996, S. 282.
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Kap. 2: Die Zurechnung vorsa¨tzlich mittelbar bewirkter Erfolge
Die Tatherrschaft umfasst – wie sich diesen Normen im Umkehrschluss entnehmen lässt – mit anderen Worten immer sowohl ein subjektives Moment (die Willensfreiheit) als auch ein objektives Moment (die Handlungsherrschaft). Dieser später noch weiterzuverfolgende Gedanke wird allzu leicht von den griffigen Abgrenzungsformeln der unmittelbaren Täterschaft „als Handlungsherrschaft“ einerseits und der mittelbaren Täterschaft „als Willensherrschaft“ andererseits in den Hintergrund gedrängt, so dass der Eindruck entsteht, § 25 I Alt. 1 und Alt. 2 StGB beruhten auf völlig unterschiedlichen Herrschaftsbegriffen. Das trifft so nicht zu. Die eigenhändig vorgenommene Tathandlung des unmittelbaren Täters muss von dessen Willen beherrscht sein, damit von Täterschaft die Rede sein kann. Entsprechendes gilt im Rahmen von § 25 I Alt. 2 StGB: der einzige Unterschied zur Alt. 1 besteht darin, dass nicht der Täter selbst, sondern ein anderer – vom Willen des Hintermanns beherrscht – die Tatbestandshandlung vornimmt.
2. Die mittelbare Täterschaft als Willensherrschaft Angesichts der Tatsache, dass bei der mittelbaren Täterschaft die Handlungsherrschaft nicht bei dem Hintermann als dem potentiellen Täter, sondern bei dem Tatmittler liegt, soll eine Tatherrschaft seitens des Hintermanns nur dann in Betracht kommen, wenn dieser die fremde Tatausführung beherrscht, indem er den Willen des unmittelbar Agierenden lenkt. Eine derartige Willensherrschaft kann nach der h. M. begründet werden durch Nötigungsherrschaft, durch Irrtumsherrschaft und durch Herrschaft kraft organisatorischen Machtapparats. a) Die Willensherrschaft kraft Nötigung Nach h. M. kommt eine Willensherrschaft kraft Nötigung in Betracht, wenn der vom Hintermann auf den Willen des Vordermanns durch Drohung ausgeübte Druck den Voraussetzungen des § 35 StGB entspricht, etwa wenn der mittelbare Täter die Begehung einer Straftat verlangt, andernfalls er den Tatmittler töten werde. Ebenso sollen Fälle erfasst werden, in denen der Hintermann eine dem § 35 StGB entsprechende äußere Situation herbeiführt, ohne durch Drohung auf den Willen des Vordermanns eingewirkt zu haben.32 Roxin geht in diesen Fällen davon aus, dass der Tatmittler unfrei handele, wie sich aus der in § 35 StGB zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung ergebe. Der Tatmittler habe nach dieser Regelung den Deliktsvorgang normativ nicht zu verantworten, während der Hintermann aufgrund des von ihm verübten Drucks für den Deliktsvorgang verantwortlich sei.33 Vgl. Roxin, AT II, § 25, Rn. 47 ff.; ihm folgend Krey, AT 2, Rn. 54; Kühl, AT, § 20, Rn. 27. Vgl. Roxin, Täterschaft, 2006, S. 143 ff. Das Verantwortungsprinzip wurde u. a. aufgegriffen von Jakobs, AT, 21 / 91 ff.; Kühl, AT, § 20, Rn. 64; Küper, JZ 1989, 935, 948 und Krey, AT 2, Rn. 99 f. 32 33
§ 2 Vorsa¨tzliche Verursachung des Drittverhaltens bei den §§ 25 ff. StGB
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b) Die Willensherrschaft kraft Irrtums Die Irrtumsherrschaft beruht nach Roxin nicht auf der Unfreiheit des Werkzeugs, sondern auf dessen „Blindheit“:34 der Hintermann steuere das Geschehen, weil er den Sinn des vom Ausführenden gewählten Verhaltens richtig erfasse; der Ausführende bleibe in seinem Entschluss frei, ihm blieben an sich alle Möglichkeiten offen, wenngleich sein Irrtum Hemmungen hinwegräume und damit den Entschluss erleichtere. In diesen Fällen greife das Verantwortungsprinzip daher – anders als bei der Nötigungsherrschaft – nicht ein.35 Nötigungsherrschaft und Willensherrschaft werden also als strukturell verschieden verstanden. Dabei unterscheidet Roxin zwischen vier Fallgestaltungen. Zu nennen ist hier zunächst der Einsatz eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs, dass nicht in seiner spezifischen menschlichen Qualität als final handelndes Wesen in den Geschehensablauf eintrete, sondern lediglich als blinder, den außermenschlichen Mitursachen gleichzusetzender Bedingungsfaktor in den determinierenden Tatplan verwoben sei.36 Ferner sei das Hervorrufen oder Ausnutzen eines Verbotsirrtums bei dem die Tat ausführenden Vordermann durch den Hintermann eine Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft. Roxin möchte § 25 I Alt. 2 StGB dabei unabhängig davon anwenden, ob der Irrtum vermeidbar war oder nicht.37 Zwar nehme § 17 S. 2 StGB dem Täter – anders als § 35 I 1 StGB – die Verantwortung nicht ab; das Verantwortungsprinzip gelte aber – wie ausgeführt – im Rahmen der Irrtumsherrschaft auch nicht.38 Entscheidend sei daher nicht, was der Vordermann habe wissen können, sondern was er tatsächlich wusste: beim vermeidbaren Verbotsirrtum beherrsche der Hintermann das Geschehen psychologisch gesehen nämlich um keinen Deut weniger als beim unvermeidbaren.39 Als weitere Anwendungsfälle der mittelbaren Täterschaft nennt Roxin schließlich den Irrtum über die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands40 sowie den Fall, dass der Vordermann zwar volldeliktisch handelt, der Hintermann aber Art und Ausmaß der Schädigung besser übersieht als sein Werkzeug. In diese heftig umstrittene Fallgruppe rechnet er die Täuschung über die Unrechtshöhe, die Täuschung über qualifikationsbegründende Umstände sowie die Täuschung über die Identität des Opfers. Eine Täuschung über die Unrechtshöhe soll etwa vorliegen, wenn dem Werkzeug, welches Krit. Küper, JZ 1989, 935, 945. Näher Roxin, Täterschaft, 2006, S. 170 ff., 659 ff. 36 Roxin, Täterschaft, 2006, S. 172 ff. In diese Gruppe rechnet Roxin auch den Erlaubnistatbestandsirrtum, bei dem der Täter über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes irrt. 37 Roxin, AT II, § 25, Rn. 82. 38 Roxin, FS-Lange, 1976, S. 179. 39 Sehr str., ablehnend etwa Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 347 ff., 351; Herzberg, JuS 1974, 374; Jakobs, AT, 21 / 96; Krey, AT 2, § 28, Rn. 148 ff. 40 Roxin, AT II, § 25, Rn. 91. 34 35
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Kap. 2: Die Zurechnung vorsa¨tzlich mittelbar bewirkter Erfolge
eine fremde Sache – z. B. einen Kandinsky – beschädigt, der wahre Wert des Gegenstandes verschleiert wird. Der Hintermann habe nämlich durch seine Manipulation wesentliche Hemmungsfaktoren ausgeschaltet und sich das Werkzeug so gefügig gemacht.41 Eine Täuschung über qualifikationsbegründende Umstände liege dagegen z. B. vor, wenn der Hintermann den Vordermann auffordert, einem Dritten ein angeblich harmloses Tränengas in die Augen zu sprühen, welches tatsächlich – wie der Hintermann wusste – die Zerstörung des Augenlichts i. S. v. § 226 I Nr. 1 StGB bewirkt.42 Diese Fallgruppe stellt nach Roxin vielfach nur einen Spezialfall der Täuschung über die Unrechtshöhe dar und soll nur dann selbständige Bedeutung gewinnen, wenn die Qualifikation auf schulderhöhenden Umständen beruht.43 Eine Täuschung über die Identität des Opfers liege dagegen vor, wenn der Vordermann eine bestimmte Person (O) erschießen möchte, statt dessen aber infolge eines error in persona den X erschießt, weil ein arglistiger Hintermann ihm vorgetäuscht hat, dass es sich bei dem des Weges kommenden X um den erwarteten O handelt. Die mittelbare Täterschaft soll hier darauf gründen, dass die Umlenkung der Tathandlung von O auf X die Tat zu einer anderen mache.44
c) Die Willensherrschaft kraft organisatorischen Machtapparats Die letzte Form mittelbarer Täterschaft beruht nach Roxin darauf, dass der Hintermann über einen Machtapparat gebietet, der die Ausführung von Befehlen auch ohne Zwang und Täuschung sichert, weil der Apparat als solcher den Vollzug gewährleistet.45 Als Beispiel dient die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, unter der Hitler sicher sein konnte, dass ein einmal erteilter Tötungsbefehl auch ausgeführt wurde, selbst wenn der ursprüngliche Adressat sich weigerte.46
41 Für Anstiftung sprechen sich dagegen aus Bottke, Täterschaft, 1992, S. 71; Gropp, AT, § 10, Rn. 53 f.; Jakobs, AT, 21 / 101; Krey, AT 2, § 28, Rn. 162; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 82; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 75. 42 Roxin, AT II, § 25, Rn. 99. 43 Roxin, FS-Lange, 1976, S. 188. 44 Roxin, Täterschaft, 2006, S. 212 ff.; i.E. auch Kühl, AT, § 20, Rn. 74; Küpper, GA 1998, 528 f.; Sch / Sch-Cramer / Heine, § 25, Rn. 23. A.A. etwa Herzberg, JuS 1974, 576; Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 358 ff.; Gropp, AT, § 10, Rn. 53 f. 45 Roxin, AT II, Rn. 25, Rn. 105 f. sowie F.-C. Schroeder, Täter, 1965, S. 119 ff. Dieser Ansicht haben sich u. a. angeschlossen Bottke, Täterschaft, 1992, S. 60 ff., 71 ff.; Ebert, AT, S. 198; Hirsch, Strafrecht, 1996, S. 22 f.; Ingelfinger, Anstiftervorsatz, 1992, S. 183 f.; Kühl, AT, § 20, Rn. 73 f.; Küpper, GA 1998, 523 ff.; Lackner / Kühl, § 25, Rn. 2; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 75 f. Dagegen etwa Herzberg, Individuelle Verantwortung, 2000, S. 39; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 89; Rotsch, ZStW 112 (2000), 518, 530 f. 46 Vgl. auch Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 75.
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3. Stellungnahme Die Tatherrschaftslehre führt zu klaren Abgrenzungen von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft. Im Bereich von Täterschaft und Teilnahme bleibt jedoch in Grenzfällen vage, unter welchen Voraussetzungen eine bloß mittelbar wirkende Erfolgsursache Täterschaft soll begründen können und wann dagegen lediglich Anstiftung vorliegt. a) Die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium der §§ 25, 26 StGB Der große Verdienst der Tatherrschaftslehre besteht darin, die Aufschlüsselung der Tatherrschaft in Handlungs- und Willensherrschaft erkannt zu haben. Während der Täter nach § 25 I Alt. 1 StGB mit der eigenhändigen Vornahme der Tathandlung seinen freien Willen verwirklicht, gelingt dem Täter des § 25 I Alt. 2 StGB seine Willensverwirklichung durch die Handlung eines anderen. Die mittelbare Täterschaft greift demnach ein, wenn Handlungs- und Willensherrschaft auseinanderfallen. Anders verhält es sich bei der Anstiftung nach § 26 StGB: Dort hat der Anstifter weder Handlungs- noch Willensherrschaft; beides vereint sich in der Person des Angestifteten. b) Überschneidungen von § 25 I Alt. 2 und § 26 StGB Diese auf den ersten Blick ganz eindeutige Abgrenzung leidet freilich darunter, dass die Tatherrschaftslehre im Laufe der Zeit mehr und mehr von normativen Erwägungen beeinflusst wurde und damit am Ende mehr einer Ansammlung von Fallgruppen als denn einer dogmatisch begründeten Täterschaftslehre gleicht.47 Besonders deutlich zeigt dies die Fallgruppe des „Täters hinter dem Täter“: diese Rechtsfigur bricht aus rein normativen Erwägungen mit dem Grundsatz, dass die Veranlassung eines strafrechtlich vollverantwortlichen Verhaltens nur eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zur Tat zur Folge haben kann. Dieser Bruch vollzieht sich ohne Not, räumt § 26 StGB doch die Möglichkeit ein, den Anstifter „gleich dem Täter“ zu bestrafen. Grund für die Konstruktion ist wohl die unbewusste, 47 Dies zeigt nicht zuletzt Roxins Aussage, die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft lasse sich zwar nicht auf hierarchische Strukturen in wirtschaftlichen Unternehmen übertragen; diesbezüglich müsse aber eine andere täterschaftsbegründende Konstruktion ergänzend hinzutreten, vgl. Roxin, AT II, § 25, Rn. 138. In dieser Aussage zeigt sich ganz deutlich die Begründung eines Ergebnisses über ein (noch zu findendes) Wort und damit eine völlige Abkehr vom Versuch systematischer Begründung. In diesem Sinne auch Renzikowski, Zurechnung, 2004, S. 147, 150. Marlie, Beteiligung, 2009, S. 224, 230 hält die Tatherrschaftslehre gar schlechthin für ungeeignet zur Abgrenzung der Beteiligungsformen, da sie letztlich zu einem Einheitstätersystem führe. Krit. auch Rotsch, Einheitstäterschaft, 2009, S. 482 ff., der die Unterscheidung in Täterschaft und Teilnahme als Zurechnungsstrukturen verwirft und statt dessen eine monistische normative Zurechnungslehre entwickelt, die nur noch die strafzumessungsrelevanten Kategorien unmittelbarer und mittelbarer Zuständigkeit kennt.
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gefühlsbedingte Empfindung, dass Tatbeteiligte wie ein Schreibtischtäter, die ein Regime mit so viel verbrecherischer Energie steuern, nur als „Täter“ und nicht bloß als „Anstifter“ angemessen charakterisiert seien,48 hat man doch schon früher die Anstiftung gelegentlich als die leichtere Beteiligungsform gegenüber der Täterschaft bezeichnet.49 Bei allen Kontroversen um den Strafgrund der Teilnahme lässt sich jedoch nicht leugnen, dass der Anstifter „mehr“ anrichtet, als der (mittelbare und unmittelbare) Täter – er führt den Erfolg zwar nicht durch eigene Begehung herbei, macht aber einen anderen zum Verbrecher.50 Im Übrigen rückt das Kriterium der Organisationsherrschaft durch Einführung einer normativen Tatherrschaft (notwendig) weit ab von dem Gedanken der faktischen Tatbeherrschung.51 Dies wirft die Frage auf, ob die Annahme einer (im Rahmen der §§ 25, 26 StGB systemwidrigen) normativen Tatherrschaft tatsächlich erstrebenswert ist, lenkt sie doch davon ab, dass die Entscheidung zur Befehlsausführung letztendlich von dem einzelnen Untergebenen abhängt. Dies erscheint zwar angesichts des durch das Machtsystem aufgebauten Drucks einerseits verständlich, andererseits ändert es aber nichts an der Tatsache, dass die Mitläufer nicht die Opfer des Systems, sondern dessen Grundlage sind. Ein System, dem sich die Mitläufer versagen, bricht schließlich zusammen, wie sehr sich auch die Befehlshaber darum bemühen, an der Macht zu bleiben.52 Dieser Erkenntnis trägt die Rechtsfigur des „Täter hinter dem Täter“ ja gerade Rechnung, indem sie den Vordermann strafrechtlich voll zur Verantwortung zieht. Aus diesen Gründen wird der Annahme einer normativen Tatherrschaft, die – anders als die Handlungs- und Willensherrschaft – in § 25 I StGB keinen Anhaltspunkt findet, hier die Gefolgschaft versagt. Spendel, FS-Lüderssen, 2002, S. 605, 610. Sauer, Strafrecht, 1921, S. 471. 50 Bereits Feuerbach wollte den Anstifter als „intellectuellen Urheber“ strenger bestrafen als den physischen, weil er ihn für gefährlicher hielt, vgl. Feuerbach, Revision II, Achtes Kapitel, S. 254 f.; ders., Lehrbuch, § 148, S. 114 f. Vgl. auch Spendel, FS-Lange, 1976, S. 147, 164 f., der zutreffend darauf hinweist, dass die Anstiftung wie die Täterschaft geahndet wird und in den Fällen, in denen für das Delikt keine absoluten, sondern nur relative Strafen (Strafrahmen) festgesetzt sind, sogar strenger geahnt werden kann. Auch H. Mayer stellt heraus, dass „die Täterschuld keineswegs schwerer wiegt als die Anstifterschuld“, vgl. ders., Strafrecht, S. 306. 51 Letztere ließe sich freilich auch nicht begründen: zum einen mag es sein, dass nicht mmer Ersatzleute bereitstehen, um den Befehl bei Verweigerung zu vollziehen. Rotsch, ZStW 112 (2000), 518, 528 weist zutreffend darauf hin, dass die Grenzsoldaten der DDR überhaupt nicht oder daneben hätten schießen können, so dass dieser Grenzdurchbruch jedenfalls nicht hätte verhindert werden können. Zwar sind auch Fallgestaltungen denkbar, in denen eine Anweisung ohne weiteres auch später noch durch einen anderen hätte ausgeführt werden können, so etwa bei der Anweisung, eine Menschengruppe in die Gaskammer zu schicken. Dass ein Ersatzmann zur Ausführung des Befehls bereit gestanden hätte, stellt jedoch nur eine hypothetische Erwägung über künftige Möglichkeiten dar, ist aber nicht geeignet, eine faktische Tatherrschaft hic et nunc zu begründen. Vgl. etwa Renzikowski, Zurechnung, 2004, S. 147, 154. 52 Hierzu Renzikoswski, Zurechnung, 2004, S. 147, 153. 48 49
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Auch hinsichtlich der anderen beiden Formen der Willensherrschaft, Nötigungsherrschaft und Irrtumsherrschaft, erscheint – zwar nicht bezüglich der Herrschaftsformen an sich, wohl aber hinsichtlich ihrer Begründungen – manches zumindest zweifelhaft: insbesondere stellt sich die Frage, wie das sich irrende Werkzeug – speziell im Falle des unvorsätzlich handelnden Werkzeugs, das mit einem blinden Bedingungsfaktor verglichen wird – als völlig „frei“ soll bezeichnet werden können. Gibt es denn eine schärfere Kennzeichnung der Unfreiheit als die Gleichsetzung menschlichen Handelns mit einem „überdeterminierten Bedingungsfaktor“ des Geschehensablaufs?53 Diese Perspektive lässt sich allenfalls mit der Regelung des § 16 I 1 StGB begründen, demzufolge den Irrenden immerhin ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffen kann. Insofern wird er tatsächlich als frei behandelt. Bezüglich einer Vorsatzstrafe nimmt das Gesetz jedoch mittels des Vorsatzausschlusses in § 16 I 1 StGB die gegenteilige Stellung ein. Die Fähigkeit zur Tatsachenkenntnis wird also nur im Rahmen der Fahrlässigkeit als Freiheitsspielraum begriffen. Der irrende Täter handelt somit nicht absolut, sondern nur relativ (im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten) frei bzw. unfrei.54 Demgegenüber weiß das genötigte Werkzeug immerhin genau, was es tut – es hat die volle Unrechtseinsicht und hat damit mehr entscheidungsrelevantes Wissen als das undolose Werkzeug, um einen Entschluss hinsichtlich der ihm angesonnenen Tat zu fassen. Zwar stellen sich auch dem Genötigten Hindernisse auf dem Weg zum rechtmäßigen Handeln. Aber sie sind nicht in demselben Maße unüberwindlich wie die, welche aus der Unzurechnungsfähigkeit, mangelndem Vorsatz oder fehlendem Unrechtsbewusstsein folgen: sie bestehen nämlich nicht nur aus solchen Tatsachen, auf die der Handelnde keinen Einfluss nehmen kann.55 Vielmehr resultieren die Hindernisse letztlich aus einem Mangel an Fähigkeit zur Widerstandsfähigkeit, Beharrlichkeit und Selbstaufgabe des Genötigten, der weniger verwerflich ist als andere Charakterfehler, wie sie gewöhnlich in strafbaren Handlungen zu Tage treten. Das genötigte Werkzeug handelt daher zumindest personell in der Willensbildung autonom, auch wenn sein Entscheidungsspielraum ihm bekanntermaßen eingeengt ist. Innerhalb dieses Handlungsspielraums ist der Genötigte jedoch grundsätzlich frei. Ein Mangel an Autonomie lässt sich hier nur – wie von Roxin vorgeschlagen – darüber begründen, dass § 35 StGB den personell verantwortlich Handelnden aufgrund der entschuldigenden Notstandslage normativ entlastet.56 Die Möglichkeit einer Willenslenkung qua Nötigung zählt denn auch zum klassischen Fall des (normativ) unfreien Werkzeugs.57 Der Notstand ist aber nicht deshalb Entschuldigungsgrund, weil die Not unvermeidlich die Schuld ausschlösse, sondern weil auf die Erhebung 53 Küper, JZ 1989, 935, 947; ähnlich auch Renzikoswski, Zurechnung, 2004, S. 147, 151: „Wer unvorsätzlich handelt, der handelt nicht frei.“ Ähnlich auch S. 156: „So handelt das vorsatzlose ( . . . ) Werkzeug nicht frei im kantischen Sinne.“ 54 So auch Küper, JZ 1989, 935, 942. 55 Bockelmann, Untersuchungen, 1957, S. 84. 56 Ähnlich auch Otto, Jura 1987, 246, 254. 57 Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 76.
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eines Schuldvorwurfs im Falle der Selbstrettung aus einer die physische Existenz bedrohenden Gefahr verzichtet werden soll. Hieraus erklärt sich, dass die Voraussetzungen jenes Verzichts auf den Schuldvorwurf eng begrenzt sind. Ähnlich wie bei dem irrenden Werkzeug liegt bei Eingreifen von § 35 StGB ein Fall vor, in dem der unmittelbar Handelnde zwar nicht absolut, aber relativ unfrei ist.58 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Tatherrschaftslehre die strukturellen Unterschiede von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft aufzuzeigen vermag, dass aber gerade im Verhältnis zur Anstiftung einiges unklar bleibt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das Kriterium der Willensherrschaft zu ergebnisorientiert bestimmt wird und sich dadurch nicht mehr hinreichend klar von der bloßen Willensbeeinflussung nach § 26 StGB unterscheidet. Im Übrigen bleibt unklar, inwieweit Nötigung und Täuschung die Willensfreiheit tangieren. Damit lassen sich der Tatherrschaftslehre zwar in weiten Zügen Anhaltspunkte für die Zurechnung bloß mittelbar bewirkter Erfolge entnehmen, die Begründung erscheint jedoch bisweilen willkürlich und nebulös. Für die Frage, inwieweit die Verursachung rechtsgutsverletzenden Drittverhaltens Täterschaft begründen kann und wann sie zur Anstiftung führt, muss man sich nämlich mit Fallgruppen begnügen, die unter dem Aspekt der Willensherrschaft kein homogenes Zurechnungssystem erkennen lassen.
4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Vorverschuldensfällen Da sich in den Vorverschuldensfällen jedoch keine Abgrenzungsfragen zu § 26 StGB stellen, bleibt zu untersuchen, ob die von Roxin erarbeitete Differenzierung in Handlungs- und Willensherrschaft im Rahmen der Vorverschuldensfälle Aufschlüsse über die Möglichkeit der Erfolgszurechnung gibt. Wie bereits herausgearbeitet59 kommt dort allenfalls eine Tatbegehung nach § 25 I Alt. 1 StGB, gegebenenfalls unter Anwendung des Rechtsgedankens von § 25 I Alt. 2 StGB, in Betracht. Letzteres setzt aber voraus, dass die Vorverschuldensfälle eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur aufweisen – andernfalls sind deren Regelungen über den Versuchsbeginn auf die Vorverschuldensfälle nicht anwendbar. Ausgangspunkt soll dabei die von der herrschenden Gesamtbetrachtungslehre verwandte Formulierung sein, der Versuch beginne bei der mittelbaren Täterschaft in dem Moment, in dem der Hintermann das Geschehen „aus der Hand gebe“. Diese Formel besagt im Rahmen des § 25 I Alt. 2 StGB nicht mehr, als dass der mittelbare Täter mit Entlassen des Werkzeugs aus seinem Machtbereich die Möglichkeit zu dessen Beeinflussung verliert. Der Vordermann erlangt dagegen eigene 58 Im Gegensatz zur relativen Unfreiheit läge absolute Unfreiheit vor, wenn der Agierende handlungsunfähig wäre oder sich in einem unvermeidbaren Tatbestands- oder Verbotsirrtum befände. 59 Vgl. oben Kap. 1, § 2 III.
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Handlungsherrschaft, i. e. die Fähigkeit, die Tatbestandsverwirklichung zu gestalten (d. h. sie ablaufen zu lassen, zu hemmen oder abzubrechen), bleibt aber Werkzeug des Hintermanns, da sein Wille nach der Konzeption der Tatherrschaftslehre – wie dargestellt – durch den Hintermann kraft Nötigung oder kraft Irrtums gesteuert wird.60 Die mittelbare Täterschaft ist also gekennzeichnet durch Handlungsherrschaft des Werkzeugs sowie Willensherrschaft des Hintermanns. Ob sich diese Herrschaftsspaltung auf die Vorverschuldensfälle übertragen lässt, hängt davon ab, was der Vorverschuldenstäter aus der Hand gibt. Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr ist danach zu differenzieren, wie sich der jeweilige Defekt auf die Tatherrschaft des Defekttäters auswirkt. Dies soll anhand der für die mittelbare Täterschaft entwickelten Kriterien beurteilt werden, da nur eine einheitliche Terminologie Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Konstellationen aufzuzeigen vermag. Im Folgenden wird daher auch hier die Einteilung der Tatherrschaft in Handlungsherrschaft und Willensherrschaft zugrunde gelegt, zumal – wie bereits erörtert – auch die Täterschaft nach § 25 I Alt. 1 StGB grundsätzlich umfassende Tatherrschaft als Herrschaft über das Geschehen aufgrund einer freien Willensbildung voraussetzt. Dabei wird der Begriff der Handlungsherrschaft i. S. d. mittelbaren Täterschaft als Äußerung eines natürlichen Willens verstanden, während sich die Willensherrschaft auf die Freiheit der Willensäußerung bezieht. Die Willensherrschaft setzt daher einen personal und normativ zu verantwortenden Tatentschluss zur Verwirklichung des Unrechts seitens des Täters voraus. Führt der Defekt zur Handlungsunfähigkeit des Täters, wie etwa in dem Beispiel, dass der Täter so viel trinkt, dass er sich bei der anschließenden Heimfahrt im Taxi übergeben muss,61 so ist der Täter nicht mehr in der Lage, das Geschehen willentlich zu steuern – es nimmt gewissermaßen zwangsläufig seinen Gang. Ob dieser vollständige Verlust an Steuerungsfähigkeit die Vorverschuldensfälle der mittelbaren Täterschaft vergleichbar macht, ist indes mehr als fraglich: die mittelbare Täterschaft ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass der Hintermann sein Werkzeug „lenkt“, also Tatherrschaft in Form von Willensherrschaft ausübt. Der Handlungsunfähige hat aber in actu weder Handlungs- noch Willensherrschaft. Da er das Geschehen schon faktisch nicht mehr steuern kann, erübrigt sich die Frage nach der Autonomie des Handelns gar. Zwar wird eingewandt, dass mittelbare Täterschaft nicht voraussetze, dass der Hintermann sein Werkzeug bis zum Erfolgseintritt unausgesetzt beherrsche62 – andernfalls dürfte er nicht von dessen Seite weichen, um sicherstellen zu können, dass die Wirkungen der Nötigung bzw. des Irrtums erhalten bleiben. In der Tat ist Vgl. Roxin, AT II, § 29, Rn. 47 ff., 61 ff. Ein solcher Fall liegt dem Urteil des AG Köln vom 25. 11. 2005 zugrunde, Az. 145 C 37 / 05. Das Gericht zieht hier im Rahmen eines Schadensersatzanspruches gem. § 823 BGB die actio libera in causa heran. 62 Vgl. etwa Jäger, Examensrepetitorium AT, § 5, Rn. 177. 60 61
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ein Großteil der Fälle mittelbarer Täterschaft dadurch gekennzeichnet, dass der Hintermann sein Werkzeug gerade nicht bis zur Tatvollendung begleitet, sondern es sich vielmehr zunächst durch Nötigung oder Irrtumserzeugung gefügig macht, um es sodann zur Tatausführung auf den Weg zu schicken und selbst im Hintergrund zu bleiben. Entlässt der Hintermann nun das Werkzeug aus seinem Herrschaftsbereich, so verliert er zwar an Einflussmöglichkeiten.63 Der Erfolg wird ihm jedoch auch nur dann zugerechnet, wenn die Wirkungen seiner Tatherrschaft andauern. Die Willensherrschaft muss sich also im Geschehen auswirken,64 was ihr Fortbestehen voraussetzt.65 So etwa setzt die Erfolgszurechnung in dem berühmten Giftspritzenfall66 voraus, dass die Krankenschwester bei Vornahme der tödlichen Injektion nichtsahnend bezüglich des Ampulleninhalts ist. Hat sie vor Verabreichung der Spritze erfahren, dass diese ein tödliches Gift enthält und handelt sie dennoch, so macht sich der Hintermann eben nicht einer vollendeten Tötung in mittelbarer Täterschaft schuldig, sondern ist nur wegen Versuchs zu bestrafen.67 Die Formel von dem „aus der Hand Geben des Geschehens“ ist insoweit irreführend. Sie erweckt den Eindruck, als gebe der Hintermann die Tatherrschaft auf.68 Er verliert aber nur die Einwirkungsmöglichkeit, welche – insoweit ist der Kritik Recht zu geben – nicht Voraussetzung der Erfolgszurechnung ist. Dass die Erfolgszurechnung nur möglich ist, wenn die Tatherrschaft faktisch trotz fehlender Kontrollmöglichkeiten seitens des Hintermanns fortgedauert hat, bedingt den Unterschied zwischen mittelbarer Täterschaft und den Fällen der schuldhaft herbeigeführten Handlungsunfähigkeit. Dort vernichtet der Täter seine Tatherrschaft; er unterscheidet sich in diesem Fall von dem Tatmittler dadurch, dass er keine Handlungsherrschaft hat (er kann das Geschehen nicht beeinflussen), von dem Hintermann dagegen dadurch, dass er keine Willensherrschaft über sich hat (er handelt unfrei). Beim besten Willen lässt sich daher nicht sagen, im Erfolg wirke die ursprüngliche Tatherrschaft des Täters fort. Die Vorverschuldensstruktur unterscheidet sich in diesem Fall in jeder Hinsicht von der des § 25 I Alt. 2 StGB. Dem entspricht es, wenn die h. M. Fälle, in denen der Täter den Erfolg durch eine über vis aboluta gesteuerte Person herbeiführt, über 25 I Alt. 1 StGB löst.69 Vgl. auch Hruschka, FS-Gössel, 2002, S. 145, 151. Roxin, Täterschaft, 2006, S. 186, 191, 211, 331. 65 Vgl. auch Übler, actio libera in causa, 2003, S. 150. 66 Vgl. etwa Jäger, Examensrepetitorium AT, § 5, Rn. 238. 67 Roxin, AT II, § 25, Rn. 164. 68 Diesem Irrtum erliegt Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 136 f., die denn auch davon spricht, dass es bei der mittelbaren Täterschaft Fälle gebe, bei denen der Hintermann im Zeitpunkt der Tatausführung durch den Mittelsmann keine Tatherrschaft mehr innehabe. Das trifft so nicht zu: nicht die Tatherrschaft des Hintermanns hat geendet, sondern dessen Einwirkungsmöglichkeit auf das Werkzeug. Beide Begriffe sind – wie erörtert – voneinander zu unterscheiden. Es gibt im Rahmen von § 25 I Alt. 2 StGB zwar eine Tatherrschaft ohne aktuelle Einwirkungsmöglichkeit auf das Werkzeug, nicht aber eine mittelbare Täterschaft ohne Tatherrschaft. 69 Vgl. statt vieler Leupold, Tathandlung, 2005, S. 179 f. 63 64
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Führt der Defekt zur Rechtfertigung der Tat, wie dies etwa bei der provozierten Notwehrlage der Fall sein kann, so ist ebenfalls fraglich, ob der Täter das Geschehen aus der Hand gibt: durch die Provokation des Dritten erlangt der weitere Ablauf der Dinge keinerlei Automatismus. In diesem Moment beherrscht der Täter das Geschehen daher keineswegs vollständig. Die weitere Entwicklung hängt vielmehr entscheidend davon ab, ob der Dritte sich provozieren lässt oder nicht.70 Wenn aber der Plan des Provokateurs aufgeht und der Dritte ihn angreift, hat er es als Verteidiger faktisch grundsätzlich in der Hand, zu fliehen oder jedenfalls zu wählen zwischen günstigstenfalls verschiedenen Arten der Abwehr und dem Verzicht auf Verteidigung. Anders als bei der mittelbaren Täterschaft vereint der Provokateur im Zeitpunkt des Angriffs in seiner Person daher sowohl Handlungs- als auch Willensherrschaft;71 dies unterscheidet ihn zugleich von dem Handlungsunfähigen: der Provokateur kann frei wählen zwischen den verschiedenen Verhaltensalternativen. Dass er aus rechtlicher Sicht prinzipiell weder fliehen noch sich verletzen lassen muss, hat bei der Frage nach den tatsächlich bestehenden Möglichkeiten zur Beeinflussung des Geschehens keine Bedeutung. Die Tatherrschaft hängt nämlich grundsätzlich rein faktisch nur von Willen und Interventionsfähigkeit des Täters ab.72 Dem steht nicht entgegen, dass neben der faktisch verstandenen Tatherrschaft inzwischen in gewissem Rahmen von der h. M.73 auch eine normative Willensherrschaft (qua Organisationsherrschaft) anerkannt wird, wie dies bei der mittelbaren Täterschaft in der Konstellation des sog. „Täter hinter dem Täter“ der Fall ist. In letzterer Fallgruppe wird nicht die faktische Tatherrschaft des Vordermanns aufgrund normativer Erwägungen verneint, sondern zusätzlich zu der faktischen Tatherrschaft des Vordermanns wird eine normative Tatherrschaft des Hintermanns anerkannt, um diesen ebenfalls bestrafen zu können.74 Der Gedanke der normativen Tatherrschaft wird also nur bemüht, wenn eine Person zwar weder Handlungs- noch Willensherrschaft ausübt, aber deshalb strafwürdig erscheint, weil sie das Geschehen kraft eines organisatorischen Machtapparats gesteuert hat.75 Dieses 70 Vgl. hierzu auch Roxin, ZStW 75 (1963), 554; Dencker, JuS 1979, 779, 782; Hinz, JR 1993, 353, 355; Hruschka, FS-Gössel, 2002, S. 145, 151 m. Fn. 20. 71 So auch Bertel, ZStW 84 (1972), 1, 25 f., der annimmt, dass der Täter mit der Provokation ins Versuchsstadium eintritt, ohne freilich in diesem Zeitpunkt das Geschehen zu beherrschen, was sich jedoch in dem Moment ändern soll, da der Provozierte auf die Provokation des Täters eingeht. Inwieweit hier jedoch schon von einem Eintritt ins Versuchsstadium die Rede sein kann, ist mehr als fraglich. 72 Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 140. 73 Dazu grundlegend Roxin, GA 1963, 193; ders., Täterschaft, 2000, S. 242 – 252, 677 ff. Angeschlossen haben sich ihm u. a. Ebert, AT, S. 198, Kühl, AT, § 20, Rn. 73 f.; Lackner / Kühl, § 25, Rn. 2; Sch / Sch-Cramer / Heine, § 25, Rn. 25 f.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 541; BGHSt 35, 353; ablehnend Herzberg, Individuelle Verantwortung, 2000, S. 39; Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 ff., 528; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 89; SK-Hoyer, § 25, Rn. 90; Schroeder, JR 1995, 178; Freund, AT, § 10, Rn. 92. 74 Vgl. zu dieser Konstruktion eingehend Roxin, AT II, § 25, Rn. 105 ff.
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Zurechnungsmodell dient also ausschließlich dem Zweck, den Hintermann, der angesichts der faktischen Tatherrschaft des Vordermanns an sich nur als Anstifter zu bestrafen wäre, aufgrund seiner Organisationsherrschaft als Täter zu qualifizieren. Diese Problematik stellt sich indes in den Vorverschuldensfällen nicht, so dass dort allein die faktische Tatherrschaft maßgeblich ist. Einzugehen bleibt schließlich auf die Fälle, in denen sich der Defekt auf der Schuldebene auswirkt, z. B. wenn sich der Täter betrinkt oder mit Drogen berauscht: ab einem gewissen Grade des Rauschzustandes ist er nicht mehr in der Lage, dass Unrecht seines Verhaltens einzusehen und verliert damit auch die Fähigkeit, sich zur Normbefolgung motivieren zu können.76 Die Herbeiführung des Defektes geht in diesem Fall mit einem Kontrollverlust einher.77 Ob dies den Vergleich mit § 25 I Alt. 2 StGB rechtfertigt, erscheint indessen aus zwei Gründen fraglich: zum einen ist bereits die Prämisse, dass aus dem Verlust der Schuldfähigkeit auf den Verlust der Steuerungsfähigkeit geschlossen werden kann,78 zweifelhaft: Würde das von dem Täter in Gang gesetzte Geschehen nach Eintritt der Schuldunfähigkeit zwangsläufig so ablaufen, wie dieser es sich vorgestellt hat, dann hätte der Täter mit Herbeiführen der Schuldunfähigkeit den Kausalverlauf tatsächlich völlig aus der Hand gegeben. Hiervon kann jedoch in dieser Allgemeinheit keine Rede sein: der schuldunfähige Täter ist nicht ohne Weiteres einem Naturereignis oder einer Maschine vergleichbar.79 Es stellt einen Unterschied dar, ob sich der Täter nach Programmierung der Zeitbombe einen Rausch antrinkt oder ob er sich zunächst betrinkt, um sodann im Zustand der Schuldunfähigkeit das Tatopfer niederzustechen. In letztgenanntem Fall kann und muss der Täter noch weiter agieren, er kann sich noch umentscheiden und er muss sich eventuell einer veränderten Situation anpassen; ebenso gut kann sich der Tatentschluss im Rausche 75 Stratenwerth, FS-Eb. Schmidt, 1961, S. 383, 391 hält dem entgegen, dass die Kategorie der Tatherrschaft das Verhältnis zwischen dem vollverantwortlich Handelnden und dem „Hintermann“ nicht erfasse: der Begriff der Tatherrschaft kennzeichne das Verhältnis des Handelnden zu einem in der Sachwelt sich vollziehenden Geschehensablauf, wozu auch der instrumentale Einsatz einer anderen Person als (unfreies) Werkzeug zähle, nicht aber der Einsatz eines Menschen, der selbst die vollumfängliche Tatherrschaft inne hat. Demnach verneint Stratenwerth eine Anwendbarkeit des § 25 I Alt. 2 StGB immer dann, wenn der Vordermann als „Person“, d. h. aufgrund eines freien Willens handelt. 76 Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 41. 77 Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass dieses Argumentationsmuster auf jedweden Defekt passt. Es sind aber zumindest Fälle denkbar, in denen der Täter aufgrund seines Defektes die Herrschaft über das Geschehen verliert. Bei welchen Defekten dies der Fall ist, soll nachfolgend erörtert werden. Vgl. hierzu Kap. 3, § 2 II. 78 So etwa Kolz, actio libera in causa, 1970, S. 34 ff. 79 Ähnlich auch Lenckner, GA 1961, 304; Hettinger, actio libera in causa, 1988, S. 344. Dies erkennt freilich auch Roxin, FS-Lackner, 1987, S. 307, 315, der darauf hinweist, dass man sich auch im Normalfall der mittelbaren Täterschaft nie sicher sein könne, ob das schuldunfähige Werkzeug die Tat vollende. Das trifft zwar zu. Allerdings geht es dort auch nicht um die Frage, ob der Hintermann noch Handlungsherrschaft ausübt – dieser Aspekt steht bei den Vorverschuldensfällen im Vordergrund.
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aber auch verflüchtigen.80 Er besitzt also bei der Defekttat noch Handlungsherrschaft, mag auch die Hemmschwelle für die Verwirklichung des ursprünglichen Tatvorhabens nicht selten sinken.81 Dagegen fehlt es ihm jedoch an Autonomie, denn die Freiheit der Willensbildung ist um das Element der normativen Motivierbarkeit vermindert.82 Verstößt der Täter gegen die Strafnorm, so kann ihm die unmittelbare Tatbestandsverwirklichung nicht vorgeworfen werden, denn das unmittelbar zum Erfolg führende Verhalten äußert sich nicht als freie Entscheidung für das Unrecht. Insoweit ist seine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Entscheidung über den Fortgang des Geschehens bleibt jedoch – anders als bei der mittelbaren Täterschaft – seine eigene Entscheidung.83 Ihrer Struktur nach ähnelt diese Konstellation der der mittelbaren Täterschaft trotz dieses Unterschieds noch am meisten: Hier hat der Handelnde nämlich – ähnlich dem Werkzeug – Handlungsherrschaft,84 aber keine Willensherrschaft. Nur insoweit lässt sich von einem Verlust an Tatherrschaft sprechen, der letztlich zur Unfreiheit des Werkzeugs führt und es rechtfertigt, dessen Verhalten in der rechtlichen Wertung wie die Äußerung eines Naturereignisses anzusehen. Gleichwohl passt der Gedanke des § 25 I Alt. 2 nicht: dort wirkt die Willensherrschaft des Hintermanns fort; genau dies führt ja dazu, dass der Vordermann nicht autonom handelt, etwa weil er einen wesentlichen Tatumstand nicht kennt. Es kommt also zu einer Überlagerung der Handlungsherrschaft beim Vordermann durch die Willensherrschaft des Hintermanns. In der zuletzt erörterten Vorverschuldensgruppe besteht aber die bei Defektherbeiführung gegebene Willensherrschaft nicht fort, sondern läuft aus.85 Insgesamt zeigt sich daher, dass keine der drei erörterten Fallgruppen strukturell mit der mittelbaren Täterschaft verwandt ist. Bei der omissio vel actio libera in causa hat der Defekttäter bei Vornahme der Defekttat im Unterschied zum Werkzeug keine Handlungsherrschaft, im Unterschied zum Hintermann keine Willensherrschaft. Bei der actio illicita in causa hat er dagegen bei Eintritt der RechtVgl. Jerouschek, FS-Hirsch, 1999, S. 241, 251. So auch Küper, FS-Leferenz, 1983, S. 573, 590; Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 34 f.; Hruschka, FS-Gössel, 2002, S. 145, 152; Rath, JuS 1995, 405, 409; Rönnau, JA 1997, 707, 710; Herzberg, FS-Spendel, 1992, S. 207; Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 136; Ebert, AT, S. 90. 82 Kuhn-Päbst, actio libera in causa, 1984, S. 66; Maurach / Gössel / Zipf, AT II, S. 191. 83 Hruschka, FS-Gössel, 2002, S. 145, 152, der den quasi-mittelbaren Täter daher auch als eine contradictio in adjecto bezeichnet und ihn mit einem „einsamen Staffelläufer“ vergleicht. 84 Anders Übler, actio libera in causa, 2003, S. 155. 85 Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 135 weist darauf hin, dass eine Tatherrschaft des Hintermanns (i.e.: des nüchternen Täters) über das Werkzeug (i.e.: der betrunkene Täter) schon deshalb nicht angenommen werden könne, weil der nüchterne Täter zu dem Zeitpunkt, da der betrunkene Täter als angebliches Werkzeug agiere, schon gar nicht mehr existiere und bereits deshalb keine Tatherrschaft ausüben könne. 80 81
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fertigungslage Handlungs- und Willensherrschaft, was – von der nicht einschlägigen Ausnahmekonstellation des Täters hinter dem Täter abgesehen – gar nicht zu § 25 I Alt. 2 StGB passt. Bei der omissio vel actio libera in causa auf Schuldebene hat der Täter in actu zwar die Handlungsherrschaft, aber es besteht keine Willensherrschaft mehr fort. Der Vergleich mit dem Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft i. S. v. § 25 I Alt. 2 StGB verfängt also in keinem der untersuchten Fälle. Die Vorverschuldensfälle können daher bei Anwendung der Tatherrschaftslehre allenfalls als Tatbegehung gem. § 25 I Alt. 1 StGB eingeordnet werden. Eine „Anleihe“ bei § 25 I Alt. 2 StGB kommt nicht in Betracht.
II. Erfolgszurechnung über die normative Kombinationstheorie Erwähnt sei ferner die Erfolgszurechnung über die normative Kombinationstheorie der heutigen Rechtsprechung,86 die aus der subjektiven Theorie im strikten Sinne hervorgegangen ist, aber auch Elemente der Tatherrschaftslehre vorweist.87 Nach dieser Ansicht soll die Willensrichtung des Handelnden darüber entscheiden, ob er Täter oder nur Teilnehmer der Tat ist. Indizien sind dabei etwa das Interesse an der Tat, ferner aber auch objektiv wertende Kriterien wie der Umfang der Tatbeteiligung. Die Schwäche der Kombinationstheorie liegt jedoch darin, dass die Wertungskriterien, nach denen die Täterschaft bestimmt werden soll, weder abschließend genannt noch in eine Rangfolge gebracht oder in ein bestimmtes System eingebettet werden.88 Dies führt zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten. Deutlich wird dies an den von Roxin genannten Beispielen, dass jemand zwar mit erheblichem Eigeninteresse, aber ohne Tatherrschaft oder umgekehrt mit Tatherrschaft, aber ohne besonderes Eigeninteresse handelt. Ferner stellt das Interessenkriterium ohnedies einen Fremdkörper in § 25 StGB dar, der das „Begehen der Tat“, mithin ein objektives Merkmal in den Vordergrund rückt. Schließlich ist nicht zu sehen, wie sich das Kriterium des Eigeninteresses mit dem Umstand verträgt, dass mehrere Tatbestände – wie §§ 259, 263 StGB – ausdrücklich auch eine Täterschaft bei Handeln im Drittinteresse anerkennen.89 All diese Gründe sprechen dagegen, aus der normativen Kombinationstheorie Kriterien für die Zurechnung mittelbar bewirkter Erfolge herleiten zu wollen.
86 Faktisch weicht diese selten von den Ergebnissen der Tatherrschaftslehre ab, vgl. Bock, Jura 2005, 673, 680. 87 Einen Überblick über die Entwicklung mit umfassenden Nachweisen gibt LK-Roxin, 11. Auflage, § 25, Rn. 16 – 29. 88 Roxin, AT II, § 25, Rn. 25 f. 89 Roxin, AT II, § 25, Rn. 26.
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III. Erfolgszurechnung über das Verantwortungsprinzip Nähere Betrachtung verdient aber noch die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme anhand des Verantwortungsprinzips.
1. Die Freiheit des Menschen als Grundlage strafrechtlicher Verantwortung Das Verantwortungsprinzip baut auf einem philosophischen Zurechnungsbegriff auf und fragt allein danach, ob der Mensch im konkreten Fall fähig war, unter mehreren Handlungsalternativen eine bestimmte nach freier Selbstbestimmung auszuwählen.90 In diesem Sinne bedeutet Freiheit die Fähigkeit, sich dem Richtigen zuzuwenden.91 Wie bereits erörtert, lässt auch das positive Recht diesen Gedanken indirekt – etwa in Gestalt des § 20 StGB – erkennen. „Zurechnen“ bedeutet also, einen Vorgang als freie Handlung ansehen.92 Diesen systematischen Ansatz wählte erstmals der Naturrechtler Pufendorf mit seiner Imputationslehre,93 der das Augenmerk darauf lenkte, dass eine frei handelnde Person sich mittels Setzung einer causa libera aus der Kategorie bloß kausal-mechanischer Wirksamkeit abhebe und hierdurch zum Urheber94 des Erfolges werde.95 Damit hat Pufendorf als einer der Ersten die menschlichen Handlungen zum Bezugspunkt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit erhoben, so dass der Gedanke der Strafe sinnvoll mit der Person verbunden werden konnte.96 Die Zu90 Vgl. hierzu Zaczyk, Unrecht, 1989, S. 21; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, 1927, S. 46 ff., 65. Als Begründer der Bezeichnung „Verantwortungsprinzip“ darf – soweit ersichtlich – Gallas gelten, vgl. Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 99. Der Gedanke der Eigenverantwortung findet sich aber auch in der von Maurach entwickelten „Lehre von der Tatverantwortung“, vgl. hierzu AT, S. 377 ff. 91 Wolff, Kausalität, 1965, S. 72. 92 Nach Kant ist „Zurechnung (imputatio) in moralischer ( . . . ) Bedeutung das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird“, vgl. ders., Metaphysik der Sitten, S. 227. 93 Pufendorf, De iure et gentium, Ausgabe 1688, liber I, caput V, § 1; dazu Welzel, Naturrechtslehre, 1958, S. 84 ff. 94 Der Urheberbegriff wurde bereits im 18. Jahrhundert von Westphal, Das Criminalrecht, Zwölfte Anmerkung, § 3, S. 52, als Zurechnungskategorie verwandt. Urheber soll nach Westphal jedoch nur sein, wer die Tat für sich tut. Wer sie um eines anderen Willen ausübt, soll dagegen Beyständer sein. Dieser Urheberbegriff unterscheidet sich von dem durch Pufendorf geprägten dadurch, dass ausschließlich das Interesse an der Tat, nicht die Freiheit in der Ursachensetzung zum maßgeblichen Abgrenzungskriterium von Täterschaft und Teilnahme wird. 95 Auch Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 234 hebt hervor, dass die Kausalität nur die Zurechnung des Erfolges zur Handlung erkläre, nicht aber, „worauf es letztlich ankommt: die Zurechnung zur Person.“ 96 Ähnlich Krauß, ZStW 76 (1964) 19, 66: „Es gibt keine Unrechtstatbestände, die allein auf die Verursachung eines Erfolges abstellen. Der Erfolg kommt als Träger des Unrechtsvor-
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rechnung nach dem Maßstab frei gesetzter Ursachen lässt nach Pufendorf allerdings nicht nur die Verantwortlichmachung für eigene Taten zu, sondern – unter der Voraussetzung der durch Teilnahme vermittelten Kausalität – auch für fremde. Die einzelnen Beteiligungsformen sollen durch eine Gewichtung der mitwirkenden Kausalitätsanteile voneinander abgegrenzt werden, indem zwischen causa principalis und causa minus principalis unterschieden wird. Dabei gibt Pufendorf aber keine Kriterien an, anhand derer sich der Verlauf der Grenze zwischen beiden Verursachungsgraden bestimmen ließe.97 Die Vorstellung, dass Zurechnung auf Autonomie basiert, findet sich bei Kant wieder, der das menschliche Wesen als auf Freiheit und Selbstverantwortung angelegtes versteht: „wir rechnen (etwas) zu, wenn es simpliciter zugeeignet, d. i. aus Freiheit entsprungen vorgestellt wird.“98 Dieser Gedanke wird von der strafrechtlichen Hegelschule, namentlich von Köstlin, aufgegriffen, demzufolge „zum Begriff der Urheberschaft gehört, daß eine rechtsverletzende Handlung ihr Princip unmittelbar oder mittelbar in der freien . . . Selbstbestimmung eines Subjekts habe.“99 Der Unzurechnungsfähige ist dagegen nicht als Urheber des Verbrechens anzusehen, da sein Verhalten sich nicht als Äußerung eines freien Willens – also als Freiheit des Wollens mit genügender Erkenntnisgrundlage100 – darstellt. Die Wendung, Urheberschaft setze Willensfreiheit voraus, wirft freilich die Frage auf, in welchem Verhältnis Verursachung kraft freien Willens und Verursachung kraft naturnotwendiger Gesetzmäßigkeit stehen.101 a) Die Herleitung von Kausalität aufgrund menschlicher Freiheit Die beiden Perspektiven unterscheiden sich dadurch, dass erstere den Standpunkt der Freiheit, letztere einen deterministischen (naturalistischen) Standpunkt verkörpert. Natürlich kann jeder der beiden Standpunkte eingenommen werden – jedoch kann eine Willensäußerung nicht als frei und zugleich als naturnotwendig verursacht i. S. v. determiniert aufgefasst werden.102 Naturnotwendigkeit und freie wurfs in Betracht nur, wenn er sich als Konsequenz einer menschlichen Fehlleistung darstellt und deshalb seinem Urheber zugerechnet werden kann.“ 97 Diese Einteilung wurde in der Folgezeit durch andere Autoren aufgegriffen, die etwa zwischen physischer und moralischer Beteiligung unterscheiden wollten, vgl. Ziegler, Disputatio, 1674, § 15. Diese Einteilung legte Boehmer, meditationes, 1770, Art. 177, § 2, Ziff. II und V dahingehend aus, dass causa physica nur die Vornahme der Tatbestandshandlung sein könne, womit der Grundstein für die formal-objektive Theorie gelegt war. 98 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 157. 99 Köstlin, Neue Revision, 1845, S. 450 f. 100 Zu diesem Willensbegriff Lampe, ZStW 77 (1965), S. 287 ff. 101 Vgl. hierzu Engisch, Kausalität, 1931, S. 7, der die Kausalität kraft Natur als „deskriptive Kausalität“ im Gegensatz zum philosophischen Kausalitätsbegriff bezeichnet. 102 Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 587; ähnlich Donna, FS-Gössel, 2002, S. 261, 280, 283.
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Verursachung schließen einander aus. Während Naturnotwendigkeit die Abhängigkeit eines Ereignisses – der Handlung – von der Summe aller Anfangsbedingungen103 oder der sie determinierenden Einzelbedingung104 in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, geht die Perspektive der Freiheit davon aus, dass ein Ereignis (die Handlung) unabhängig von der Summe der Anfangsbedingungen ist. Eine actio libera soll daher per definitionem keine actio causata sein können, sondern selbst eine causa setzen. Dem entspricht es, wenn die Autoren des 18. Jahrhunderts den „actiones liberae“ die „actiones physice necessariae“ gegenüberstellen.105 Die Gegensätzlichkeit von Freiheit und Determinismus sucht Kant dadurch aufzulösen, dass er die von der menschlichen Freiheit geprägten Veränderungen als „intelligible Kausalität“ in das empirische Dasein eingliedert und damit den Naturbedingungen zur Seite stellt. Die Wirklichkeit soll also sowohl aus naturhaft zu verstehenden Ursachen bestehen als auch aus solchen Ursachen, mittels derer ein selbstbestimmtes Wesen die Wirklichkeit zu gestalten vermag, i. e. frei gesetzten Ursachen.106 Der Mensch ist also nicht ausschließlich den Naturgesetzen unterworfen, sondern vermag zudem auch aufgrund des eigenen Willens zu handeln. Der Begriff der „Tat“ ist folglich nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der „Handlung“, sondern eine „Tat“ (factum) ist das Ergebnis eines Zurechnungsurteils, nämlich die Wertung eines Geschehens als „freie Handlung“.107 Wer z. B. als freiverantwortlicher Suizident ein tödliches Präparat zu sich nimmt, stirbt naturnotwendig an den Wirkungen des Mittels. Dass der Betreffende sich diesen Wirkungen aber überhaupt ausgesetzt hat, wurde verursacht durch seine entsprechende freie Willensbildung. Dieser Wille trägt im Falle freien Handelns seine Ursache in sich und ist nicht determiniert: die Willensbildung kann allenfalls auf einen äußeren Anlass zurückzuführen sein, der aber nicht Ursache derselben sein kann. In gleicher Weise begreift auch Hegel den Menschen als autonomes Wesen, dessen Wille ihn nicht instinkthaft treibe, sondern ihm die Fähigkeit zur Selbstbestimmung verleihe.108 Durch die Tätigkeit der Reflexion werde der menschliche Wille zu einem Phänomen der Seinswelt umgewandelt und stelle einen Bestandteil der äußeren Welt dar.109 Anders als Kant versteht Hegel also „Kausalität kraft Freiheit“ und „empirische Kausalität“ nicht als zwei nebeneinanderstehende Kausalitätsformen. Vielmehr geht nach seiner Vorstellung erstere in letzterer auf, da der Mensch als vernunftbegabtes Wesen in der Lage sei, einen Zweck vermittels seines Willens in die Objektivität zu übersetzen.110 Auch Hegel erachtet den freien Willen als ver103 104 105 106 107 108 109 110
Mill, A System of Logic, 1843, Book III Ch. V Sec. 3; London 1949, S. 217. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 447. Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 583. Vgl. hierzu auch Larenz, Hegels Zurechnungslehre, 1927, S. 14 ff. Näher zu Kants Zurechnungsbegriff Hruschka, Zurechnung, 2004, S. 17, 19. Hegel, Grundlinien, § 4, S. 46 f. Hegel, Grundlinien, § 4, S. 47. Hegel, Grundlinien, § 8, S. 58, § 9, S. 59 ff.
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ursachend111 und knüpft mit der Fokussierung auf die „causa libera“ an die Imputationslehre Pufendorfs an, ohne – wie dieser – die Teilnahme als kausale Bewirkung einer fremden Tat (als causa minus principalis) anzusehen. Sowohl Kant als auch Hegel erkennen damit eine Kausalität kraft Freiheit an, die die empirische Kausalität ergänzt bzw. überlagert und den Grundstein des Verantwortungsprinzips bildet. Beide Erscheinungen von Kausalität sind identisch in ihren Wirkungen; sie determinieren einen bestimmten Erfolg. Dagegen unterscheiden sie sich in ihrer Entstehung: der naturnotwendige Kausalverlauf ist unfrei und determiniert, der frei angelegte Kausalverlauf trägt seine Ursache in sich, d. h. in der Willensbildung und -äußerung des Handelnden. Das grundlegende Prinzip strafrechtlicher Haftung soll nicht die naturnotwendige Kausalität, sondern die menschliche Freiheit bilden, da ein Strafbarkeitsvorwurf nur da erhoben werden könne, wo die Rechtsgutsverletzung auf eine menschliche Handlung rückführbar sei. In der Tat wird bei der Bewertung einer Handlung als strafbare normalerweise die Freiheitsperspektive bezogen.112 Dies zeigt das Beispiel einer vollverantwortlich begangenen Tötung: die Wenigsten werden die Tötungshandlung als rein physikalisches Ereignis oder als Zwischenbedingung eines seit Urzeiten determinierten Geschehensablaufs ansehen, sondern auf den freien Willen des Täters als Neuanfang eines Ursachenzusammenhangs zurückführen. Ganz deutlich wird der Begriff der „Kausalität kraft Freiheit“ in der von Hegel beeinflussten Verbrechenslehre Ludens: Luden geht davon aus, dass die Freiheit des Handelnden den Grund für die Existenz des Verbrechens bildet.113 Allein Urheberschaft lasse sich als Verursachung des Verbrechens begreifen.114 Die Urheberschaft könne physischer, aber auch intellektueller Natur sein, wie es bei der mittelbaren Täterschaft der Fall sei. Letztere setze voraus, dass der Erfolg über die Benutzung eines unfreien Werkzeugs herbeigeführt werde. Dagegen liege Anstiftung vor, wenn der Teilnehmer nur einen Beitrag zur Hervorbringung des Verbrechens leiste, ohne es selbst zu verursachen:115 dies sei der Fall, wenn wegen der Freiheit des eingeschalteten Dritten kein naturgesetzlicher Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg begründet werden könne. Luden benutzt den Begriff 111 Diese Erkenntnis bildet zugleich den Grundstein zu Welzels finaler Handlungslehre, der davon ausgeht, dass menschliche Handlungen Vorgänge von besonderer Eigenart sind, die sich von anderen Ereignissen, namentlich von reinen Verursachungen, grundsätzlich unterscheiden. Letztere seien blind-kausal, während das menschliche Handeln davon geprägt sei, sich in Gedanken Ziele zu setzen und zur Umsetzung derselben die erforderlichen Mittel auszuwählen. Das Handlungsgeschehen wird also als Willensverwirklichung, d. h. als Zwecktätigkeit begriffen, vgl. Welzel, Handlungslehre, 1949, S. 21 ff. 112 Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 585. 113 Luden, Abhandlungen I, 1836, S. 3. Näher zur Zurechnungslehre Ludens Ling, Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, 1996, S. 184 ff. 114 Luden, Abhandlungen II, 1840, S. 382 ff. 115 Luden, Abhandlungen II, 1840, S. 365, 383 ff.
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der „intellectuellen Urheberschaft“ nicht mehr – wie seine Vorgänger116 – synonym für Anstiftung und mittelbare Täterschaft, sondern grenzt vermittels seines philosophisch geprägten Kausalitätsbegriffs klar ab zwischen Täterschaft und Teilnahme und vertritt damit einen restriktiven Täterbegriff. Während der intellektuelle Urheber als mittelbarer Täter den Erfolg vermittels eines naturgesetzlichen Wirkungszusammenhangs verursache, leiste der Anstifter nur einen Beitrag zur fremden Verursachung des Erfolges.117 Da Luden Teilnahme als Erfolgsbewirkung durch die Tätigkeit einer frei handelnden Person versteht, wird der bloß akzessorische Charakter der Teilnahme besonders offensichtlich. Das freie Handeln eines dazwischen geschalteten Dritten lasse es nicht mehr zu, das Geschehen in vollem Umfang als Ausdruck der freien Entfaltung der Person des Ersthandelnden zu betrachten. Der Teilnehmer werde daher nicht wegen der Verursachung des Erfolges bestraft, sondern wegen seiner personalen Beziehung zum Täter, die das Unrecht, das dem Teilnehmer angelastet werde, als Derivat des täterschaftlichen Unrechts erscheinen lasse.118 Ludens Kausalitätsbegriff legt damit den Grundstein für die Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs,119 welche später von Frank unter dem Ausdruck des Regressverbots weitergeführt wird.120 Danach soll das freie Dazwischentreten eines Dritten den Kausalzusammenhang unterbrechen.121
116 Die Bezeichnung des Anstifters als „intellectueller Urheber“ stammt von den Autoren der Aufklärungszeit, und sollte von der physischen Urheberschaft abgrenzen. Im Urheberbegriff existierte also einerseits der Täterbegriff der formal-objektiven Theorie weiter (physischer Urheber); andererseits wurde die Anstiftung in die Täterschaft eingegliedert (intellectueller Urheber), was sich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ändern sollte, vgl. Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 70 f. m. w. N. Namentlich Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 125 schlug vor, die herkömmliche Grundeinteilung in Urheber und Gehülfen durch die Begriffe „unmittelbare und mittelbare Teilnahme“ zu ersetzen, wobei als Täterschaft im heutigen Sinne nur die unmittelbare Teilnahme (also physische Urheberschaft) gelten sollte, während die intellectuelle Urheberschaft (ohne zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft zu differenzieren) neben der Beyhülfe eine Unterform der mittelbaren Teilnahme bilde. Dies ergibt das Bild einer an der formal-objektiven Theorie orientierten Beteiligungslehre. 117 Eine Zusammenfassung der unter dem Einfluss von Hegel ausgeformten Lehre von Täterschaft und Teilnahme aus der Perspektive der Kausalität findet sich bei Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, 1868, S. 145 f. sowie bei Schütze, Die nothwendige Theilnahme, 1869, S. 248 f., die beide an dem Gedanken festhalten, dass Anstiftung als Bestimmung zur Selbstbestimmung keinen determinierenden Wirkungszusammenhang begründen könne. Auf derselben Linie liegt v. Bar, der gleichfalls nur dann von Anstiftung spricht, wenn die Tat von einem frei Handelnden ausgeführt wird, vgl. ders., Versuch und Theilnahme, 1859, S. 43 f. 118 Vgl. hierzu Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 127. 119 Dieser Begriff wurde erstmals von Goltdammer, GA 15 (1867), S. 19 erwähnt und erfuhr bei v. Bar, Causalzusammenhang, 1871, S. 22 ff. erste gründlichere wissenschaftliche Behandlung. 120 Frank, StGB, 18. Auflage 1931, § 1 Bem. III 2a. Ausführlich hierzu Diel, Regressverbot, 1996. 121 Zusammenfassende Darstellung der Unterbrechungslehren bei Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 23 ff.
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b) Das Begriffsverständnis der Äquivalenztheorie Dieses philosophisch geprägte Kausalitätsverständnis gerät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgrund der durch v. Buri entwickelten Äquivalenztheorie ins Wanken. Von Buri geht von der Äquivalenz aller zum Erfolg führenden Beiträge aus und behandelt jeden Beitrag, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, als selbständige Erfolgsursache. Die Begriffe „Beitrag“ und „Ursache“ werden also gleichgesetzt, ohne – wie in der strafrechtlichen Hegelschule – den Ursachenbegriff für determinierende Wirkungszusammenhänge zu reservieren. Auch der Anstifter soll nach v. Buri durch seinen Tatbeitrag die ganze Tat verursacht haben. Die Zurechnung des Erfolges zum Anstifter legitimiert sich aus dessen Ursächlichkeit für den Erfolg. Dieses Zurechnungsverständnis zeigt deutlich Parallelen zu der von Stübel auf Kausalitätserwägungen aufgebauten Einheitstäterlehre und schwächt die Betrachtung der Teilnahme als akzessorische Beteiligung am Verbrechen. Von Buri präsentiert die Anstiftung denn auch wieder in bekannter Manier gemeinsam mit der mittelbaren Täterschaft als intellectuelle Urheberschaft und unterscheidet die Beteiligungsform allein anhand der Willensbeschaffenheit des Handelnden:122 verfolgt dieser eigene Interessen, so sei er Täter; verfolgt er dagegen fremde Interessen, so soll Teilnahme vorliegen.123 Ob der zur Tatausführung Veranlasste einen freien Willen hat, ist für die Kausalitätsfrage irrelevant. Deutlich zeigt sich hier die Abkehr von einem philosophischen zu einem mehr naturalistisch geprägten Kausalbegriff. Von Buri selbst hat allerdings darauf hingewiesen, dass die „Ursachen“ der Äquivalenztheorie den Erfolg nicht determinieren, so dass also von einer naturnotwendigen Kausalität keine Rede sein könne.124 Der Satz „Stets dann, wenn die Ursache gegeben ist, wird die Wirkung – unabänderlich – eintreten“ gelte für sie gerade nicht. Ursächlichkeit i. S. d. Äquivalenztheorie muss also verstanden werden als „einen Beitrag leistend.“125 Die Äquivalenztheorie setzt also nicht einen deterministischen Standpunkt voraus, sondern beurteilt ex post, ob ein bestimmtes Verhalten – sei es naturnotwendig, sei es aufgrund freien Willens – aufgrund eines beliebigen Beitrags zu dem Erfolg geführt hat.126 Sie lässt sich mit der Freiheitsperspektive vereinbaren, weil sie sowohl freie v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 29; ders., GA, Bd. 17 (1869), S. 311. v. Buri kann damit als Anhänger der subjektiven Theorie auf der Basis der Äquivalenztheorie bezeichnet werden. 124 v. Buri bildet zur Illustration folgendes Beispiel: Ein Mühlrad dreht sich nur, wenn eine bestimmte Menge Wasser es in Bewegung versetzt. Ein erster Flussarm liefert vier Fünftel der erforderlichen Menge, ein zweiter liefert ein Fünftel. Hier ist Ursache für die Bewegung des Mühlrads im naturwissenschaftlichen Sinne die gesamte Wassermenge aus beiden Flussarmen – die einzelnen Flussarme leisten zu der Bewegung nur einen „Beitrag“. Vgl. v. Buri, Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885, S. 2 f. Hierzu auch Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 590. 125 Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 591. 126 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 164. 122 123
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als auch naturnotwendige Akte ihrer Wirkung nach als kausal anerkennt. Die frei gesetzte Ursache soll für den Erfolg ebenso kausal sein wie die naturnotwendige. So macht es z. B. nach der Äquivalenztheorie keinen Unterschied, ob ein gem. § 20 StGB schuldunfähiger Triebtäter das Opfer tötet, oder ob eine vollverantwortlich handelnde Person dies aus eigenem freien Antrieb tut oder ob ein Dritter den Täter gem. § 26 StGB zur Tat bestimmt hat. Alle Bedingungen eines Erfolges sind gleichermaßen ursächlich.127 Ganz deutlich zeigt sich hier, dass die Frage nach der realen Kausalität getrennt wird von der Frage, wie der im Einzelfall faktisch bestehende Kausalverlauf unter Zurechnungsaspekten zu bewerten ist. Hintergrund dieser Trennung ist die am Regressverbot geübte Kritik, dass ein Kausalverlauf nur entweder bestehen oder nicht bestehen, keinesfalls aber unterbrochen werden könne.128 Eine unterbrochene Kausalität sei ein Widerspruch in sich und verkenne, dass die Teilnehmerkausalität für die Rechtsgutsverletzung gerade erst durch den Teilnehmer vermittelt werde.129
2. Stellungnahme Der Vorteil der Äquivalenztheorie besteht darin, dass sie auch solche Wirkungszusammenhänge fassbar macht, in denen ein bestimmter Beitrag den Erfolg zwar nicht determiniert, aber im Einzelfall trotzdem tatsächlich einen Beitrag zu dem Erfolg geleistet hat. Der Kausalitätsbegriff der Äquivalenztheorie ist also weiter als der Begriff der Kausalität kraft Freiheit. Hiernach soll von einer Ursache ja nur dort die Rede sein, wo ein freier Wille eine bestimmte Wirkung determiniert. Alles andere soll eine nicht-kausale Veranlassung des Erfolges darstellen. Unproblematisch ist die letztgenannte Konzeption, wenn sich der freie Wille direkt in der eigenhändigen (und freien) Vornahme der Tatbestandshandlung äußert – aber kann tatsächlich von einer Determinierung des Geschehens die Rede sein, wenn etwa im Fall des § 25 I Alt. 2 StGB der Hintermann auf ein schuldunfähiges Werkzeug einwirkt? Wie bereits erörtert ist der Schuldunfähige zwar unter Umständen darin eingeschränkt, eine Gegenmotivation zu der ihm angesonnen Tat zu bilden. Ausgeschlossen ist dies aber nicht. Insofern kann von einem naturnotwendigen Ablauf der Dinge nicht die Rede sein. Ähnlich verhält es sich z. B. bei der actio libera in causa: es kann sein, dass der Trunkene die Tat ausführt; es kann aber ebenso gut sein, dass er einschläft und es daher nicht zur Tat kommt. Diesen Schwierigkeiten kann der Kausalitätsbegriff Ludens nicht begegnen, weil sein Ursachenbegriff auf einen naturnotwendigen Zusammenhang 127 Damit musste Feuerbachs Versuch, Urheberschaft und Teilnahme über eine Unterscheidung in Haupt- und Nebenursache zu bestimmen, mit Anerkennung der Äquivalenztheorie undurchführbar werden, vgl. hierzu Maiwald, FS-Bockelmann, 1979, S. 343, 349 f. 128 Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177. 129 So bereits Müller, Kausalzusammenhang, 1912, S. 65.
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von Handlung und Erfolg gründet, der im Falle „psychisch vermittelter Kausalität“130 eben nicht nachzuweisen ist. Die Beeinflussung eines Irrenden oder Schuldunfähigen unterscheidet sich graduell durchaus von der Einwirkung auf eine Naturkraft.131 Der Einfluss auf den Willen einer anderen Person ist – selbst im Falle ihrer Unfreiheit – niemals mit gleicher Sicherheit erreichbar wie die Wirkung, die unter Einsatz eines „toten Werkzeugs“ herbeigeführt wurde. Daher kann nicht die Rede davon sein, dass jede freie Willensäußerung den Erfolg naturnotwendig determiniere. Bei der durch Irrtumsherrschaft psychisch vermittelten Kausalität i. S. v. § 25 I Alt. 2 StGB ist dies jedenfalls nicht der Fall,132 und doch soll diese Urheberschaft begründen können. Damit zeigt sich, dass die Kausalität nicht die richtige Einkleidung für die Ermittlung des Urhebers ist. Die Prämisse darf nicht lauten: „Urheber ist, wer kausal ist. Kausal ist, wer frei handelnd einen naturnotwendigen Geschehensablauf auslöst.“ Damit werden einerseits real gegebene Wirkungszusammenhänge wie etwa im Fall der physischen Beihilfe normativ als nicht-kausal verschleiert133, andererseits wird die Einwirkung auf einen Unfreien selbst dann wie der Einsatz einer Naturkraft behandelt, wenn das Werkzeug (wie im Fall der §§ 16 I 2, 35 StGB) lediglich relativ unfrei war. Der philosophisch geprägte Kausalitätsbegriff lenkt demnach zwar treffend das Augenmerk darauf, dass alle Zurechnung nur Zurechnung zum freien Willen einer Person sein kann. Der Begriff der Kausalität ist aber nicht die passende Verankerung für diesen Gedanken. Kausalität, Urheberschaft und Freiheit werden nach Luden letztlich als synonyme Begriffe verstanden. Täterschaft als Urheberschaft setzt aber nicht Freiheit der Willensäußerung als Kausalität voraus, sondern Freiheit der Willensäußerung und Kausalität. Im Rahmen der Kausalität ist dabei nicht erforderlich, dass ein naturnotwendiger Zusammenhang gesetzt wurde, sondern es genügt, wenn im konkreten Fall eine bestimmte Willensäußerung ex post betrachtet einen Beitrag zu dem Erfolgseintritt geleistet hat.134 Dies entspricht auch dem Ansatz Horns,135 der den psychisch vermittelten Wirkungszusammenhang als „durch fremde Willensfreiheit vermittelte Kausalität“ ansieht und damit einerseits dem Umstand Rechnung trägt, dass es bei der psychischen Beeinflussung des freien Willens einer Person an einer naturgesetzlich-zwangsläufigen Entwicklung des Geschehens fehlt, dass aber andererseits immerhin ein Beitrag zu dem Erfolg geleistet wurde. Vgl. zu diesem Begriff Horn, GS Bd. 54 (1897), S. 365. Anders verhält es sich allerdings bei dem Einsatz von vis absoluta. 132 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 112. 133 Man denke etwa an den Fall, dass A, der weiß, dass sein Freund B abends in eine Villa einbrechen möchte, rein altruistisch und ohne Wissen des B kurz vor dessen Erscheinen eine Leiter an den Tatort trägt, die es B ermöglicht, durch das offene Fenster im 2. Stock einzusteigen. 134 In diesem Sinne auch Rothenfußer, Kausalität, 2003, S. 40. 135 A. Horn, GS Bd. 54 (1897), S. 321, 365. 130 131
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Ob dieser Beitrag frei geleistet wurde oder nicht, ist keine Frage der Kausalität, sondern der Verhaltens- bzw. Schuldzurechnung. Auch eine freie Entscheidung kann nämlich (wie im Falle der erfolgreichen Anstiftung) verursacht worden sein.136 Trotzdem ist nicht der Anstifter, sondern der Angestiftete der Urheber der Tat, da er sich frei für die Herbeiführung des Erfolges entschieden hat.137 Dagegen erscheint der Vordermann i. S. v. § 25 I Alt. 2 StGB nicht als Urheber, da er (zumindest relativ) unfrei ist. Der Sache nach ist dem aus der strafrechtlichen Hegelschule hervorgegangenem Verantwortungsprinzip also zuzustimmen, soweit es darum geht, dass alle Zurechnung letztlich Willenszurechnung ist. Der Ort, diese Zurechnung festzumachen, ist aber nicht die Kausalität. Letztere richtet sich allein danach, ob im Einzelfall empirisch bzw. psychologisch ein Motivationszusammenhang bestanden hat zwischen der Einwirkungshandlung auf den fremden Willen und den durch fremde Willensäußerung schlussendlich herbeigeführten Erfolg.
IV. Stellungnahme Das Verantwortungsprinzip besticht durch die klare Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung, indem es davon ausgeht, dass eine freie Willensäußerung – wie § 26 StGB zeigt – ein Regressverbot statuiert.138 Jede Person ist demnach nur für ihr eigenes Verhalten verantwortlich und nicht für das Verhalten frei verantwortlicher Dritter.139 Dem entspricht es, wenn die Anhänger des Verantwortungsprinzips die Rechtsfigur des Täters hinter dem Täter weitestgehend (und konsequent) nicht anerkennen.140 Hinter einem freiverantwortlichen Täter soll allenfalls ein Anstifter stehen können, der selbst nicht Urheber der Tat sei, sondern 136 Lampe, ZStW 77 (1965), S. 262, 269 f. differenziert zwischen „nezessitierender Kausalität“, welche eine determinierte Reihe auslöst, und dem „Bestimmen“, welches eine (zwischen dem Willensakt des Anstifters und dem vom Angestifteten Erfolg verlaufende) indeterminierte Reihe zum Gegenstand hat. 137 Urheber ist also der letztlich frei Handelnde, vgl. zum Urheberbegriff Pufendorfs oben Kap. 2, § 2 III. 1. 138 Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 586; ders., ZStW 113 (2001), 870, 877; übereinstimmend Diel, Regressverbot, 1997, S. 270 ff.; Koriath, Zurechnung, 1994, S. 518 ff.; Naucke, ZStW 76 (1964), 409 ff.; Stratenwerth, Stratenwerth, FS-Eb. Schmidt, 1961, S. 390 ff.; Renzikowski, Zurechnung, 2004, S. 147, 149. 139 Vgl. dazu auch Köhler, AT, S. 188 f.; Lenckner, FS-Engisch, 1969, S. 506 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 68 ff., 74 ff.; Reyes, ZStW 105 (1993), S. 108, 109 f.; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 19 ff.; Walther, Eigenverantwortlichkeit, 1991, S. 78 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 274 ff.; 314 f.; Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 401; Walther, Eigenverantwortlichkeit, 1991, S. 78 ff. 140 Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 606 f.; Renzikowski, Zurechnung, 2004, S. 147, 149; Donna, FS-Gössel, 2002, S. 261, 284. Eingehend dazu mit Darstellung des Streitstands Otto, Jura 2001, 755 ff.
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diese nur veranlasst habe. Die Tätigkeit des früher auch als „intellectuellen Urheber“ bezeichneten Anstifters stellt sich somit als Bestimmen zur freien Selbstbestimmung dar.141 Schwächen dieser Konzeption zeigen sich freilich im Bereich von mittelbarer und unmittelbarer Täterschaft: Gibt es eine mittelbare Täterschaft unter Einsatz eines Werkzeugs, welches sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befindet? Immerhin wird dieses gem. § 17 S. 2 StGB strafrechtlich für voll verantwortlich erklärt, indem es die Rechtsordnung als Vorsatztäter bestraft! Ähnlich verhält es sich bei dem Einsatz eines vorsatzlosen, aber fahrlässig handelnden Werkzeugs i. S. v. § 16 I 2 StGB. Dieses trifft der Fahrlässigkeitsvorwurf doch nur deshalb, weil Freiheit und Verantwortung im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte bereits die (objektive und subjektive) Möglichkeit einer rechtskonformen Entscheidung voraussetzen.142 Niemand würde sagen, ein Fahrlässigkeitstäter handle – für sich genommen – nicht autonom. Das Dilemma des Verantwortungsprinzips liegt darin, dass Autonomie nicht nur fehlen oder vorhanden sein kann, sondern graduell vielfältig abgestuft vorkommt.143 Von welchem Grade an aber ein Autonomiedefizit beim Ausführenden zur mittelbaren Täterschaft eines Hintermanns führt, kann nicht mehr aus dem Autonomieprinzip hergeleitet werden – dieses lenkt den Blick nämlich einseitig auf den Mittelsmann. An dieser Stelle ist es die Tatherrschaftslehre, die wichtige Erkenntnisse liefert: so ist der Irrtumstäter zwar unter Umständen für sich betrachtet als Fahrlässigkeitstäter frei; im Verhältnis zu dem Hintermann ist der aktuell Unwissende, in Bezug auf den Erfolg nicht final handelnde Fahrlässigkeitstäter jedoch kognitiv eindeutig unterlegen und damit relativ unfrei. Aus genau diesem Grunde ist er auch dem lenkenden Einfluss des Hintermanns unterworfen. Die Tatherrschaftslehre ist es also, welche die notwendige Brücke zwischen Vorder- und Hintermann schlägt. Beschränkt man die Tatherrschaft auf solche Fälle, in denen ein Verantwortungsgefälle zwischen Vorder- und Hintermann vorliegt, so ist eine klare Systematik für die §§ 25 ff. StGB gefunden. Dass diese Lösung nicht mehr alle Fallgruppen der mittelbaren Täterschaft trägt (zu denken ist etwa an den Täter hinter dem Täter), liegt auf der Hand. Dies hat aber – wie § 26 StGB zeigt – in den seltensten Fällen Straffreiheit zur Folge. Im Rahmen des § 25 I Alt. 2 StGB übt der mittelbare Täter also Willensherrschaft aus, indem er über ein unfrei handelndes Werkzeug gebietet. In diesem Zusammenhang bleibt freilich zu klären, ab wann eine Beeinflussung durch Täuschung oder Zwang zur Unfreiheit des Vordermanns führt – mit anderen Worten: ab welcher Grenze sich Freiheit und Unfreiheit vonLeupold, Tathandlung, 2005, S. 184. Küper, JZ 1989, 935, 942. 143 Roxin, AT II, § 25, Rn. 177. Allerdings wird auch in den klassischen Fällen mittelbarer Täterschaft die Autonomie des Tatmittlers nie gänzlich aufgehoben sein, außer vielleicht bei dem Einsatz von ganz kleinen Kindern oder schwer geisteskranken, die erfahrungsgemäß häufig nur auf äußere Anreize reagieren und keinen eigenständigen Gedankengang bilden können, vgl. Charalambakis, GA 1986, 485, 497. 141 142
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einander scheiden. § 35 StGB gibt hier zwar eine Grenze für einen normativ motivierten Verantwortungsausschluss vor – aber wie steht es um die Verantwortlichkeit des Handelnden, wenn ein Rechtfertigungsgrund (z. B. §§ 32, 34 StGB oder §§ 228, 904 BGB) eingreift? Aus dem eng begrenzten Geltungsbereich des § 35 StGB kann jedenfalls entnommen werden, dass nicht jede Beeinflussung Unfreiheit des Werkzeugs zur Folge haben soll. Das verdeutlicht im Übrigen folgendes banales Beispiel: F sucht die Wohnung ihres Freundes X auf, um diesem ihr nagelneues, teures Designerkleid vorzuführen. Als X mit seinem verschlammten Hund vom Regenspaziergang heimkehrt, stürzt dieser auf X’ Ruf „lauf zur F“ freudig auf diese zu. F fürchtet um ihr Kleid und nimmt eine Vase, mit welcher sie nach dem Hund wirft. Die Vase, die X’ Mitbewohnerin R gehört, zerbricht. Sie war zwar materiell wertlos, aber ein Andenken an Rs Großmutter. In einem solchen Fall mag die Sachbeschädigung der F zwar gem. § 904 BGB gerechtfertigt sein – sicher liegt das aber nicht daran, dass sie sich in einer ihre Autonomie ausschließenden Lage befand. Es stellt sich also die Frage, ob sich die Rechtfertigungsgründe überhaupt auf die Autonomie des Handelnden beziehen, wie §§ 20, 35 StGB es beispielsweise tun. Dieser Frage, die zusammenfällt mit der Frage nach der Systematik von Rechtfertigungsund Entschuldigungsgründen, soll im Verlauf der Untersuchung noch nachgegangen werden.144
V. Die Zurechnungsstruktur des Unterlassungsdelikts Im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit eine Person für eine bloß mittelbare Erfolgsverursachung in Regress genommen werden kann, verdient der durch Unterlassen geleistete „Primärakt“ besondere Beachtung. Insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, ob ebenso wie bei den Herrschaftsdelikten bei den unechten Unterlassungsdelikten ein Regressverbot gilt mit der Konsequenz, dass demjenigen, der eine Garantenpflicht verletzt hat, solche Folgen seiner Pflichtverletzung nicht zugerechnet werden können, die durch das vorsätzliche und schuldhafte Fehlverhalten eines Dritten im Kausalverlauf vermittelt werden. Dies hängt davon ab, wo bei dem Unterlassungsdelikt die in § 25 I Alt. 2 StGB bzw. in §§ 26, 27 StGB markierten Grenzen von Täterschaft und Teilnahme verlaufen.
1. Beispiel Die Rechtsprechung hat sich mehrfach mit Konstellationen auseinandergesetzt, in denen die Täterschaft des Unterlassenden in Frage stand. Zu nennen ist hier etwa ein Fall unterlassener Selbstmordhinderung: eine Frau hatte ihren Mann, der 144
Dazu unten Kap. 3, § 2 II. 3. a).
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sich erhängen wollte und schon bewusstlos, aber noch zu retten war, vorsätzlich nicht abgeschnitten.145 Der BGH hatte die Hilfspflichtige unter Abkehr von der subjektiven Theorie deshalb als Täterin i. S. v. §§ 212, 13 StGB verurteilt, weil sie angesichts der Ohnmacht ihres Mannes die Herrschaft über die Sachlage errungen und dem Geschehen jederzeit eine Wendung habe geben können.146 In einem anderen Fall hatte der Vater tatenlos zugesehen, wie die Mutter das neugeborene Kind tötete.147 Der BGH möchte die Täterschaft des Vaters hier nach dessen Willensrichtung, Tatherrschaft und Interesse am Taterfolg beurteilen, zieht also – anders als im erstgenannten Beispiel – sowohl den Tatherrschaftsgedanken als auch die subjektive Theorie heran, ohne freilich im konkreten Fall das Ergebnis des Verfahrens zu nennen.
2. Lösungsmodelle Die uneinheitliche Verfahrensweise der Rechtsprechung zur Lösung der exemplarisch herausgegriffenen Fälle lässt bereits ahnen, dass das Unterlassungsdelikt strukturell Besonderheiten aufweist, welche die Anwendbarkeit der für Begehungsdelikte geltenden Regeln in Frage stellen.
a) Die Anwendung der für Begehungsdelikte geltenden Regeln Gleichwohl schlägt die Rechtsprechung diesen Lösungsweg ein und stellt teils (rein objektiv) auf das Kriterium der Tatherrschaft ab,148 teils aber auch rein subjektiv auf den Täterwillen,149 teils werden dagegen beide Kriterien kumulativ herangezogen.150 Durch dieses beliebige Austauschen verschiedener Kriterien kann ersichtlich keine klare Linie zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme erreicht werden. Letztendlich liegt das Ergebnis im Ermessen des Richters. Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass die Rechtsprechung die Differenzierung vor allem im Falle unterlassener Selbstmordhinderung dazu nutzt, die Unterlassenden einmal straffrei zu lassen (die Beihilfe zum Selbstmord ist nicht strafbar), ein anderes mal dagegen zu bestrafen.151 BGHSt 2, 150. In diesem Sinne auch BGH MDR 1960, 939; tendenziell auch BGHSt 32, 367, 374. 147 BGH LM Nr. 10 vor § 47, vgl. auch Arzt, JA 1980, 553 ff.; AK-Seelmann, § 13, Rn. 94 f. 148 BGHSt 2, 150; BGH MDR 1960, 939. 149 BGH StV 1986, 59; BGH NStZ 1992, 31. 150 BGH LM Nr. 10 vor § 47; BGH NJW 1966, 1763. 151 Dies ist von der Frage der Beteiligungsform streng genommen jedoch völlig unabhängig und hängt vielmehr davon ab, ob dem Dritten eine Garantenstellung für das Leben des Suizidenten zukommt oder ob er den Willen des Selbstmörders respektieren darf, vgl. Schwab, Täterschaft, 1996, S. 84. 145 146
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Neben dieser uneinheitlichen Vorgehensweise der Gerichte ist aber auch die Tragfähigkeit der angelegten Kriterien zweifelhaft. Es ist nicht ersichtlich, warum das Bestehen einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit, welches Voraussetzung eines jeden Unterlassens ist, Tatherrschaft soll begründen können. Die rein faktische Tatherrschaft der vorsätzlichen Begehungsdelikte setzt notwendig ein aktiv beherrschendes Steuern des Kausalverlaufs voraus und kann durch bloßes Nichtstun nicht erlangt werden.152 Das Kriterium der faktischen Tatherrschaft vermag die Unterlassungstäterschaft daher nicht zu erklären.153 Aber auch eine Abgrenzung anhand subjektiver Kriterien wie Täterwille und Eigeninteresse begegnet Bedenken, kann man doch mehr oder weniger an einem Erfolg interessiert sein, so dass hier keine deutliche Grenze zwischen den Beteiligungsformen zu ziehen ist.154 Vor dem Hintergrund eines Tatstrafrechts kann die Unterscheidung in Täterschaft und Teilnahme nicht von der inneren Einstellung der Beteiligten abhängen,155 sondern nur von deren tatbestandsmäßigem Verhalten.156 b) Die Theorie der Einheitstäterschaft qua Pflichtenstellung Angesichts der Tatsache, dass der Unterlassende faktisch das Geschehen nicht beherrscht, hat sich Roxin für diese Deliktsgruppe um den Nachweis einer eigenständigen, von der Tatherrschaftslehre unabhängigen Zurechnungsstruktur bemüht. Demzufolge stellen die Unterlassungsdelikte Pflichtdelikte dar. Ihr Täterschaftskriterium ist die Verletzung einer Erfolgsabwendungspflicht und die Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen,157 insbesondere des Nichteinschreitens bei 152 Gallas, JZ 1960, 649, 650; Bloy, Beteiligungsform, 1984, S. 141; Roxin, AT II, § 31, Rn. 133, der darauf hinweist, dass andernfalls auch Anstifter und Gehilfen aufgrund ihrer (mit dem aktiven Tatbeitrag einhergehenden) Erfolgsabwendungsmöglichkeit Tatherrschaft durch Unterlassen innehaben und somit zu Tätern i. S. d. Unterlassungsdelikten werden müssten. Diese Folgerung ist indes nicht zwingend, setzt das Unterlassen doch auch eine Garantenstellung voraus. Eine solche könnte man zwar angesichts des Gehilfen- oder Anstifterbeitrags aus Ingerenz herleiten; dann würden die Grenzen zwischen Täterschaft und Teilnahme aber vollständig ausgehebelt. Näher dazu unten Kap. 2, § 2 V. 2. e). 153 So auch Gallas, JZ 1952, 372, der dem unterlassenden Teilnehmer bloß „potentielle“ Tatherrschaft zuspricht, die ihn so lange nicht zum Täter zu machen vermag, als sie mit der faktischen Tatherrschaft des positiv Handelnden konkurriert; ähnlich Franzheim, Teilnahme, 1961, S. 38 ff. Dagegen spricht sich Kielwein, GA 1955, 225, 27 für eine Aufteilung der Tatherrschaft aus: hängt der Eintritt des Erfolges ausschließlich von dem Garanten ab, so soll dieser neben dem Begehungstäter als Täter bestraft werden. Ähnlich wohl auch Gössel, ZStW 96 (1984), 321, 334; Busse, Täterschaft, 1974, S. 253. Diese Lösung geht aber darüber hinweg, dass der Unterlassende keine Tatherrschaft ausübt. 154 Krit. gegenüber einer subjektiven Abgrenzung auch Gallas, JZ 1960, 649, 650. 155 Gallas, JZ 1960, 649, 650. 156 Roxin, AT II, § 31, Rn. 139. 157 Roxin, AT II, § 31, Rn. 140; ebenso Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 148; SK-Rudolphi, Vor § 13, Rn. 37 ff.; Schwalm, FS-Engisch, 1969, S. 552; i. E. auch Stratenwerth, AT, 3. Aufl., Rn. 1061 ff.
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Erfolgsabwendungsmöglichkeit, das teils als potentielle Tatherrschaft bezeichnet wird.158 Der unterlassende Pflichtige ist mit anderen Worten grundsätzlich Täter. Der Vater des getöteten Kindes wäre nach Roxins Pflichtdeliktstheorie aufgrund seiner Beschützergarantenstellung also gem. §§ 212, 13 StGB zu bestrafen, da er nicht zugunsten des Kindes eingeschritten ist. Eine Ausnahme macht Roxin freilich, wenn der Garant der Verwirklichung eines eigenhändigen Delikts untätig beiwohnt – hier kommt nur eine Beihilfe durch Unterlassen in Betracht, da im Bereich der eigenhändigen Delikte niemand Täter sein kann, der die Tat nicht selbst vollzogen hat.159 Eine weitere Ausnahme soll gelten, wenn der unterlassende Garant nur dazu verpflichtet ist, die Beihilfehandlung eines anderen zu verhindern.160 Im Übrigen lehnt Roxin die Möglichkeit einer Beihilfe durch Unterlassen aber ab.161 Dem ist entgegen gehalten worden, dass der Unterlassende nach dieser Lösung ungerechterweise regelmäßig härter bestraft würde, als derjenige, der einen aktiven Tatbeitrag leiste und doch nur allenfalls über § 27 StGB als Gehilfe zur Verantwortung gezogen werde.162 Tatsächlich macht es wertungsmäßig keinen Unterschied, ob eine Mutter ihr Kind bewusst verhungern lässt oder dem Täter zur Tötung ihres Kindes einen Revolver leiht. Im Übrigen besteht im Einzelfall aufgrund des § 13 II StGB immer noch die Möglichkeit einer Strafmilderung für das Unterlassungsdelikt.163 Auch die vermeintliche Diskrepanz zwischen der Straflosigkeit der versuchten aktiven Beihilfe im Verhältnis zu einer Strafbarkeit der versuchten Unterlassungstäterschaft trägt nicht: ein Beschützergarant, der aktiv Beihilfe zur Verletzung des ihm anvertrauten Rechtsguts zu leisten versucht, begeht zugleich einen täterschaftlichen Unterlassungsversuch, denn er kann nicht deshalb von seiner Strafbarkeit befreit werden, weil er sogar aktiv Hilfe zur Verletzung des Rechtsguts leisten wollte!164 Roxin ist also darin zuzustimmen, dass das Kriterium der Pflichtenstellung im Unterlassungsbereich an die Stelle der faktischen Tatherrschaft tritt. Zugleich stellt sich aber die Frage, wie sich Pflichtenbindung und Autonomieprinzip zueinander verhalten. Haftet der Garant immer – d. h. unabhängig von der Art der Garantenstellung – für fremdes und autonomes Fehlverhalten? Solchenfalls bestünde ein Gallas, JZ 1952, 372; Franzheim, Teilnahme, 1961, S. 38 ff. So die ganz einhellige Meinung, vgl. statt vieler Kielwein, GA 1955, 225. 160 Ein Vater schreitet z. B. nicht dagegen ein, dass sein 15-jähriger Sohn Beihilfe zu einer Körperverletzung leistet. 161 Zustimmend Sch / Sch-Cramer / Heine, vor §§ 25 ff., Rn. 102, da sich ein Unterlassen grundsätzlich nicht als Hilfeleistung i. S. d. § 27 StGB darstellen lasse. 162 Schwab, Täterschaft, 1996, S. 171 ff. 163 Roxin, AT II, § 31, Rn. 145. 164 Im Ergebnis zustimmend Rudolphi, Unterlassungsdelikte, 1966, S. 138 ff.; A. Kaufmann, 1959, S. 291 ff.; Grünwald, GA 1959, 110 ff. 158 159
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gravierender Unterschied zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten: während bei ersteren – von der Ausnahme des § 25 I Alt. 2 StGB abgesehen – in Ansehung des Autonomieprinzips ein restriktiver Täterbegriff gilt, würde bei den Unterlassungsdelikten für den Garanten ein extensiver Täterbegriff gelten. Die Garantenhaftung würde in diesem Fall nicht nur eine Haftung für eigenes, sondern auch eine Haftung für fremdes Verhalten umschließen. Die Unterscheidung der Täterschafts- und Teilnahmeformen gemäß der §§ 25 I Alt. 1, Alt. 2, 26, 27 StGB wäre damit weitestgehend und von den oben genannten Beispielen abgesehen aufgegeben. Ein solcher extensiver Täterbegriff widerspricht indes einem personalen Tatstrafrecht, das verschiedene Verantwortungssphären zu trennen sucht. Grundsätzlich ist nicht jeder für alles verantwortlich. Daher bleibt zu untersuchen, ob und inwieweit bei den Unterlassungsdelikten eine Eingrenzung der Verantwortungsbereiche zur Individualisierung einer Einzelperson als Urheber durchführbar ist.165
c) Die Theorie der Einheitsbeihilfe Im Vergleich zur Pflichtdeliktstheorie gelangt die Theorie von der Einheitsbeihilfe zu geradezu entgegengesetzten Ergebnissen. Dieser Theorie zufolge soll neben einem aktiven Begehungstäter der unterlassende Garant immer nur Gehilfe sein können, solange der aktiv Handelnde den Tatablauf noch beherrscht.166 Erst wenn die Tatherrschaft des aktiven Begehungstäters endet, er etwa das schwer verletzte Opfer allein am Tatort zurücklässt, soll eine Unterlassungstäterschaft des untätig Bleibenden in Betracht kommen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass der unterlassende Garant neben dem aktiven Begehungstäter nur eine Randfigur sei, da letzterer ersterem den unmittelbaren Zugang zum Erfolg verstelle. Hier schwingt die Erkenntnis mit, dass es dem unterlassenden Garanten schlicht an der Tatherrschaft fehlt, weshalb er nach diesem Kriterium nicht als Täter in Betracht kommt. Faktisch hat der Unterlassende allerdings auch beim Fehlen eines Begehungstäters durchaus keine Tatherrschaft, sondern haftet nur kraft seiner Pflichtenstellung. Es ist nicht plausibel, dass die Theorie von der Einheitsbeihilfe dem Unterlassungstäter die Tatherrschaft zuschreibt, sobald die Tatherrschaft des Begehungstäters nicht mehr fortbesteht. Auch dann unterlässt der Garant lediglich die Erfolgsabwendung, so dass von einer Beherrschung des Geschehens keine Rede sein kann. Niemand beherrscht durch Nichtstun. Die Unterlassungstäterschaft ist daher nicht von dem Tatherrschaftskriterium geprägt, sondern (zumindest grundsätzlich) von dem Gedanken der Haftung qua Pflichtenstellung.167 Dazu unten Kap. 2, § 2 V. 3. Grundlegend Gallas, JZ 1952, 372; ders., JZ 1960, 687; ihm folgend etwa Kielwein, GA 1955, 225; Ranft, ZStW 94 (1982), 815, 830 f.; Kühl, AT, § 20, Rn. 230; Lackner / Kühl, § 27, Rn. 5; LK-Jescheck, 11. Auflage, § 13, Rn. 57. 167 Ausführlich dazu Roxin, AT II, § 31, Rn. 153. 165 166
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Gegen die Theorie der Einheitsbeihilfe spricht schließlich, dass sie beim Versuch zu unstimmigen Ergebnissen gelangt:168 Ein Vater, der seinem Kind nicht zur Hilfe eilt, wäre wegen versuchter Beihilfe straflos, wenn er davon ausginge, dass es ermordet werde. Dagegen wäre er wegen versuchten Mordes zu verurteilen, wenn er sein Kind fälschlicherweise für verunglückt hielt. Wertungsmäßig liegen beide Fälle aber gleich, so dass der gravierende Unterschied in der rechtlichen Beurteilung völlig willkürlich erscheinen muss.
d) Die Lösung über die Entsprechungsklausel Der Theorie von der Einheitsbeihilfe steht Schwabs Lösung mit Hilfe der Entsprechungsklausel des § 13 StGB nahe.169 Maßgeblich soll danach sein, ob das Unterlassen einer Begehungstäterschaft oder einer Beihilfe entspricht. In der Regel soll der Unterlassende neben dem Aktivtäter nur Randfigur, also Gehilfe sein können. Eine Ausnahme gelte dann, wenn der Begehungstäter außer seinem Hauptziel zugleich auch noch bedingt vorsätzlich einen Folgeschaden herbeiführt, den der unterlassende Garant hätte verhindern können. Dass der Garant solchenfalls aber in die Position der Zentralgestalt aufrücken soll, erscheint nicht plausibel: die Erfolgsabwendungsmöglichkeit kann nicht das hierfür entscheidende Kriterium sein, denn sie ist immer Voraussetzung der Unterlassungsstrafbarkeit. Demnach kann die Behandlung des Garanten als Zentralgestalt des Geschehens allein darauf beruhen, dass der Begehungstäter hinsichtlich des Folgeschadens lediglich mit dolus eventualis gehandelt hat. Warum aber der Vorsatz des Begehungstäters über die Täterschaft des Unterlassenden soll entscheiden können, erscheint nicht plausibel. Im Übrigen spricht gegen Schwabs Lösung auch, dass die Entsprechungsklausel sich nicht auf die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bezieht, sondern darauf, wann ein Unterlassen schlechthin strafbar ist.170
e) Die Unterscheidung nach der Art der Pflichtenstellung Schließlich gibt es zahlreiche Versuche, die Täterschaft bei den Unterlassungsdelikten von der Art der Garantenstellung abhängig zu machen.171 Insofern findet Grünwald, GA 1959, 116 ff. Schwab, Täterschaft, 1996, S. 189. 170 Roxin, AT II, § 31, Rn. 167. 171 Sch / Sch-Cramer / Heine, vor §§ 25 ff., Rn. 98 ff.; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 277; Seier, JA 1990, 382 ff.; Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 83 ff. In diesem Zusammenhang ist auch ein Differenzierungsvorschlag Jakobs zu nennen, demzufolge zwischen Pflichten kraft Organisationszuständigkeit und Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit unterschieden werden soll, vgl. Jakobs, AT, 29 / 101 ff. Während bei Ersteren eine Differenzierung der Beteiligungsformen wie beim Begehungsdelikt durchzuführen sei, habe ein Verstoß gegen die Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit immer eine Unterlassungstäter168 169
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sich überwiegend eine Dreiteilung in die Art der Garantenpflichten, namentlich: die Sicherungspflicht aus Ingerenz, die Pflicht zur Sicherung einer Gefahrenquelle und institutionalisierte Obhutspflichten.172 Der Beschützergarant, der ein Rechtsgut vor allen Gefahren zu bewahren hat, soll bei Verletzung seiner Pflicht immer Unterlassungstäter sein. Der Überwachungsgarant, der zur Sicherung einer Gefahrenquelle verpflichtet ist, soll dagegen grundsätzlich nur als Teilnehmer in Betracht kommen. Die Krankenschwester, die den Medikamentenschrank bewusst nicht verschließt, ist dieser Ansicht zufolge nur gem. §§ 212, 27 i.V. m. § 13 StGB zu bestrafen, wenn ein Dritter ein Gift stiehlt und damit sein Opfer tötet. Bei der Sicherungspflicht aus Ingerenz gehen die Meinungen dagegen auseinander, ob ein Beitrag zur Tat eines anderen angesichts der hierdurch geschaffenen Gefahr eine täterschaftsbegründende Ingerenzgarantenstellung nach sich ziehen soll. Auf diese besonders umstrittene Fallgruppe soll zuerst eingegangen werden.
(1) Die Sicherungspflicht aus Ingerenz Die Ingerenzgarantenstellung beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der eine Gefahr für den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung geschaffen hat, verpflichtet ist, den drohenden Schaden zu verhindern. Das Entstehen dieser Pflichtigkeit ist dort unproblematisch, wo der Erfolg unmittelbar auf die der Gefahrschaffung nachfolgenden Untätigkeit des Garanten zurückzuführen ist. So verhält es sich etwa, wenn ein Autofahrer einen Passanten fahrlässig anfährt und diesen hierdurch schwer verletzt und dann – statt der noch möglichen Rettung des Opfers – vorsätzlich das Weite sucht, so dass das Opfer am Unfallort stirbt. Hier macht sich der Autofahrer nicht nur gem. § 222 StGB, sondern auch zumindest gem. §§ 212, 13 StGB strafbar. Umstritten ist die Annahme einer Ingerenzgarantenpflicht jedoch dann, wenn das pflichtwidrige Vorverhalten darin besteht, dass der potentielle Garant zur Tat eines anderen einen Beitrag geleistet hat. Zu denken ist etwa daran, dass ein Kleinkrimineller seinem Freund einen Baseballschläger leiht, damit dieser sein Opfer zusammenschlagen kann. Während der Schläger gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB zu bestrafen ist, kommt seitens des Freundes jedenfalls eine Beihilfe, unter Umständen aber auch eine Unterlassungstäterschaft in Form von §§ 223, 224 I Nr. 2, 13 StGB in Betracht, sofern man aus dem Beihilfebeitrag eine Ingerenzgarantenpflicht herleitet. Hiergegen spricht aber, dass die Strafbarkeit wegen Unterlassens die Teilnahmevorschriften der §§ 26, 27 StGB dann praktisch gegenstandslos machen würde, denn jede Teilnahme durch positives Tun würde gleichzeitig die schaft zur Folge, denn dort gehe es darum, den Bestand des betroffenen Rechtsguts gegen jedwede Gefahr zu garantieren. Der Sache nach läuft dies auf die hier erörterte Differenzierung in Ingerenz- und Überwachungsgarant einerseits und Beschützergarant andererseits hinaus. 172 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 139 ff.
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Tatbestandsverwirklichung eines Unterlassungsdelikts nach sich ziehen.173 Damit würde der einheitliche Strafrahmen des § 13 StGB den unterschiedlichen Strafrahmen der §§ 26, 27 StGB nivellieren.174 Zudem überspielt die Annahme einer Ingerenzgarantenpflicht aufgrund Gehilfenbeitrags, dass das Unrecht der Teilnahme sich durchaus von dem Unrecht des unechten Unterlassungsdelikts unterscheidet. Der Teilnehmer schafft lediglich die Voraussetzungen für eine fremde Tatbegehung. Der Erfolg kann dem Teilnehmer nicht als eigener zugerechnet werden, da ein anderer ihn eigenverantwortlich bewirkt hat. Dem Unterlassungstäter wird die Rechtsgutsverletzung dagegen deshalb als eigene zugerechnet, weil er sie nicht verhindert hat. Eine solche täterschaftliche Zurechnung des Erfolges als eigenen ist jedoch grundsätzlich nur dort möglich, wo die (hypothetische) Kausalität nicht durch eine zeitlich nachfolgende eigenverantwortliche Handlung vermittelt wird. Zwar könnte man eine extensive Haftung des Ersthandelnden für solche Fällen erwägen, in denen der Unterlassende mit seiner Sorgfaltspflicht gegen eine Verhaltensnorm verstoßen hat, deren Zweck gerade darin besteht, Folgeschädigungen durch Dritte zu verhindern. Zu denken ist etwa an den Fall, dass A einen Passanten versehentlich anfährt, den Schaden entdeckt und sich dennoch in dem sicheren Wissen, das nur alsbaldige Hilfe das Opfer retten kann, davon macht. Der Autofahrer B überfährt daraufhin versehentlich das immer noch auf der Strasse liegende Opfer ein zweites Mal und tötet es. Hier ist B jedenfalls gem. § 222 StGB zu bestrafen; seitens des A stellt sich jedoch die Frage, ob dieser „nur“ gem. §§ 229 StGB; 212, 13, 22, 23 StGB zu bestrafen ist oder sogar wegen fahrlässiger Körperverletzung und vollendeter Tötung durch Unterlassen. Sofern man – wie hier vertreten – eine extensive Ingerenzgarantenhaftung grundsätzlich ablehnt, lässt sich die extensive Haftung des A nur damit begründen, dass er gerade gegen eine Verhaltensnorm verstoßen hat, die den Schutz des Opfers vor Fremdschädigungen bezweckte. § 229 StGB kommt insofern nicht in Betracht, denn die Norm will das Opfer vor Schädigungen des Täters selbst schützen und nicht davor, dass Gefahrenlagen für Schädigungen durch Dritte geschaffen werden. Die Norm wendet sich insofern immer unmittelbar an den jeweils Handelnden und schafft keine Haftung für fremdes Verhalten. Auch eine Argumentation anhand von § 142 StGB scheidet aus, da diese Norm ausschließlich das private Feststellungsinteresse der Unfallbeteiligten und Geschädigtem zu dem Zwecke schützt, zivilrechtliche Ansprüche zu sichern bzw. abzuwehren.175 In Betracht kommt insofern allein § 323c StGB, der die Individualrechtsgüter desjenigen schützt, der plötzlich in Not geraten ist. Diese Norm ist aber darauf gerichtet, eine schon entstandene bzw. bestehende Notlage abzuwenden. Sie ist also sozusagen reflexiv und bezweckt nicht, das Hinzutreten einer völlig neuen Notlage zu verhindern. Wer damit argumentiert, dass das 173 174 175
Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 140; Schwalm, FS-Engisch, 1969, S. 557. Herzberg, Unterlassung, 1972, S. 260. Rengier, BT 2, 2006, § 46, Rn. 1.
§ 2 Vorsa¨tzliche Verursachung des Drittverhaltens bei den §§ 25 ff. StGB
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Überfahren des Opfers durch den Zweithandelnden keine neue, sondern nur eine Intensivierung der ursprünglichen Notlage darstellt, der argumentiert letztendlich nicht mit dem abstrakten Zweck der Norm, sondern mit der Wahrscheinlichkeit und Vorhersehbarkeit des schädigenden Zweitereignisses im konkreten Fall: es ist wohl durchaus naheliegend, dass das auf der Strasse liegende Opfer durch einen nachfolgenden Autofahrer erneut überfahren wird. Anders verhielte es sich etwa, wenn der Zweithandelnde das hilflose Opfer durch einen Pistolenschuss töten würde, da diese Erfolgsherbeiführung sich nicht mehr als Verwirklichung eines straßenverkehrstypisches Risikos darstellt. Genau diese Differenzierung zeigt aber, dass nicht anhand eines abstrakten Zwecks des § 323 c StGB argumentiert wird, sondern dass letztendlich die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Dies mindert wiederum die Verbindlichkeit der Kriterien, welche die Strafbarkeit begründen. Berücksichtigt man zudem, dass das Institut des „Schutzzwecks der Norm“ zum Zwecke der Haftungsbegrenzung und nicht der Haftungserweiterung geschaffen wurde, so vermag diese Lösung nicht zu überzeugen. Pflichtwidriges Vorverhalten, welches erst über die Einschaltung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten zu einer Rechtsgutsverletzung führen kann, begründet demnach keine Pflicht zur Abwendung dieser Rechtsgutsverletzung.176 Der Gehilfe kann allenfalls dazu verpflichtet werden, seinen Beitrag rückgängig zu machen. Die Verletzung dieser Pflicht ist aber im Verhältnis zur Teilnahme subsidiär.177 (2) Die Pflicht zur Sicherung einer Gefahrenquelle Die Verantwortung für eine Gefahrenquelle begründet die Verpflichtung, die Gefahrenquelle zu sichern und zu überwachen, um von ihr drohende Rechtsgutsverletzungen zu verhindern. So etwa ist ein Züchter von Kampfhunden dazu verpflichtet, die Tiere einzusperren oder anzuleinen und mit Maulkörben zu versehen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach und wird dadurch ein Mensch getötet, ist der Züchter gem. §§ 212, 13 StGB strafbar. Auch bei dem Überwachungsgaranten wird der Haftungsumfang jedoch dort fragwürdig, wo fremdes und eigenverantwortliches Fehlverhalten zum Erfolg führt. Soll etwa ein Waffeninhaber, der seinen Waffenschrank versehentlich nicht abgesperrt hat, gem. §§ 222, 13 StGB bestraft werden, wenn ein Dieb ein Gewehr entwendet und damit sein Opfer erschießt? Wie, wenn der Dieb Sprengstoff aus einem nicht ordnungsgemäß abgesicherten Lager entwendet und damit ein Passagierflugzeug in die Luft sprengt? Ist der zuständige Überwachungsgarant solchenfalls z. B. wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen in 500 Fällen strafbar? In diesem Sinne spricht sich ein großer Teil der Literatur mit der Begründung aus, dass das Gesetz selbst zwischen besonders gefährlichen und alltäglichen Ge176 177
So tendenziell auch Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 57, Fn. 191. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 142.
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genständen differenziere, indem es nur im ersten Fall besondere Sicherungspflichten normiere. Der Inhaber dieser Gegenstände sei zu einer umfassenden Gefahrenabwehr verpflichtet.178 Es sei daher irrelevant, ob die Gefahr sich durch eigenverantwortliches Drittverhalten oder durch eine Naturursache realisiert habe.179 Genau dies ist aber die Frage. Wie bereits gezeigt ist es auch im Bereich der Unterlassungsdelikte ohne weiteres möglich, Täterschafts- und Teilnahmeverhaltensnormen zu unterscheiden. Während der Täter das von ihm unmittelbar angegriffene Rechtsgut verletzt, schafft der Teilnehmer nur die Voraussetzungen für die Haupttat, die ihm nicht als eigene zugerechnet werden kann. So verhält es sich, wenn ein Dritter einen sicherungspflichtigen Gegenstand vollverantwortlich zur Herbeiführung eines Erfolges einsetzt. Der Missbrauch der Sache fällt hier allein in den Verantwortungsbereich des Täters; der Überwachungsgarant ist daher allenfalls wegen Beihilfe durch Unterlassen strafbar.180 Diese Differenzierung wird überspielt, wenn man die Verletzung einer Sicherungsgarantenpflicht mit der Unterlassungstäterschaft gleichsetzt. Die Sicherungspflicht dient nämlich nicht dazu, eine Haftung für fremdes Fehlverhalten unter Leugnung fremder Autonomie zu begründen.181 Fremde Verantwortung steht der Zurechnung – anders als Natur – grundsätzlich entgegen.182 Wollte man dies für den Bereich der Unterlassungsdelikte bestreiten, so müsste die Selbstmordteilnahme an sich strafbar sein, wenn der vollverantwortliche Dritte sich mit einem sicherungspflichtigen Gegenstand tötet,183 und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Suizident bereits das Bewusstsein verloren hat – ein Umstand, der für die Rechtsprechung184 bekanntlich erst zur 178 Vgl. statt vieler LK-Weigend, § 13, Rn. 59; Roxin, AT II, § 31, Rn. 162; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 247 ff.; Puppe, AT 2, S. 236 f., die allerdings eine täterschaftsbegründende Sicherungspflicht nur bei solchen Gegenständen annimmt, denen in besonderem Maße die Gefahr anhaftet, dass mit ihnen Straftaten begangen werden. Hiervon nimmt sie beispielsweise Kraftfahrzeuge aus, da jeder ein Kfz benutzen und führen darf, sofern er nur die dazu erforderlichen Fähigkeiten erlangt und durch eine Prüfung nachgewiesen hat. Die Pflicht des Fahrzeughalters nach § 7 III StVG stelle demnach keine Garantenpflicht dar. 179 Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 399 f., der die Bedeutung der freien Erfolgsverursachung zwar anerkennt, im Ausnahmefall aber den Haftungsumfang für die Folgen bestimmter Handlungen normativ erweitert. 180 Sch / Sch-Stree, § 13, Rn. 44; Bottke, Täterschaft, 1992, S. 108; Sch / Sch-Cramer / Heine, Vor § 25, Rn. 106. Vgl. auch Kratzsch, FS-Oehler, 1985, S. 65, 74, demzufolge aus dem Autonomieprinzip folgt, dass jeder sein Verhalten nur darauf einzurichten hat, dass er selbst geschützte Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber darauf, dass andere dies nicht tun. 181 So bereits Goltdammer, GA 15 (1867), S. 15, 19: „Wer ein geladenes Gewehr stehen läßt, hat allerdings den nun von einem Anderen daraus auf einen Menschen abgefeuerten Schuß möglich gemacht, aber er hat den anderen nicht daran gehindert, die ihm nach der allgemeinsten menschlichen Vorsicht und Ueberlegung vor dem Schuß obliegende Untersuchung, ob das Gewehr geladen sei oder nicht, anzustellen.“ 182 Zur Ausnahme vgl. unten Kap. 2, § 2 V. 2. e) (3). 183 Letztendlich steht einer Teilnehmerstrafbarkeit jedoch entgegen, dass Garantenstellungen nicht zur Bevormundung führen dürfen. Dieser Gedanke findet seine Berücksichtung bei der Zurechnungsunterbrechung kraft freiverantwortlicher Selbstgefährdung. 184 Vgl. BGHSt 32, 367, 373 ff.; BGH NJW 1960, 1821; BayObLG NJW 1973, 565.
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Auslösung der Rettungspflicht führt. Der Polizeibeamte, der seine geladene Dienstwaffe im Fahrzeug zurückließ und so den Selbstmord seiner Freundin ermöglichte, wäre also Unterlassungstäter – ein Ergebnis, das – soweit ersichtlich – von niemandem vertreten wird.185 Zwar könnte man dahingehend argumentieren, dass die gesetzlich eigens normierte Sicherungspflicht zu einem „Nebeneinander“ verschiedener Verantwortungsbereiche führe, da diese Pflichten eigens dazu dienen, Situationen zu vermeiden, in denen Straftaten begangen werden. Renzikowski hat aber ganz zutreffend darauf hingewiesen, dass eben dieser Zweck (wenn auch weniger spezifisch) ebenfalls von den Teilnahmevorschriften verfolgt wird.186 Gegen die Anerkennung extensiver Verursachungsverbote im Bereich der Sicherungspflichten spricht weiter, dass die Auflistung der Gegenstände, die vom Gesetz als besonders gefahrenträchtig eingestuft werden, durchaus als willkürlich erachtet werden kann: so etwa lassen sich Tranchier-, Teppich- oder Rasiermesser, Gaspistole, Axt, Beil und Kettensäge mindestens als ebenso gefährlich einstufen wie z. B. eine Schrotflinte. Dies wird nicht zuletzt durch den Umstand belegt, dass zahlreiche Delikte mit diesen allgemein zugänglichen Gegenständen begangen werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht adäquat, den Verleiher eines Beils nur wegen Beihilfe zum Totschlag, den Verleiher einer Schrotflinte dagegen zusätzlich als Unterlassungstäter zu bestrafen. Der Sicherungsgarant haftet nur dafür, dass andere Personen die sicherungspflichtigen Gegenstände vorschriftswidrig in die Hände bekommen – er haftet hingegen nicht auch für die Tat, die vollverantwortliche Dritte mit diesen Gegenständen begehen. Sobald nämlich die Gegenstände in den fremden Herrschaftsbereich des Ditten gelangt sind, fehlt es dem Sicherungsgarant an der Steuerbarkeit des Geschehens, so dass der vollverantwortliche Dritte den Garanten aus der Verantwortung drängt. Anders verhält es sich freilich, wenn die zu überwachende Gefahrenquelle eine nicht schuldfähige Person (etwa ein Geisteskranker) ist, dem es gelingt, seinem Überwacher zu entschlüpfen und ein Delikt zu begehen. Hier haftet der Überwachergarant gerade deshalb als Unterlassungstäter, weil der Erfolg nicht durch eine vollverantwortliche Person, sondern quasi durch eine „Naturursache“ vermittelt wurde.187 185 Vgl. nur BGHSt 24, 342; Bottke, Suizid, 1982, S. 270; Dölling, GA 1984, 76 f.; Schünemann, JA 1975, 715, 720; Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241, 243; Laubenthal, JuS 1993, 907, 912, der darauf abstellt, dass den Polizisten „als Privatperson“ keine Beschützergarantenstellung bezüglich deliktisch bedrohter Rechtsgüter Dritter trifft, ohne freilich den Aspekt einer etwaigen Überwachergarantenhaftung zu thematisieren. 186 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 144. 187 Im Ergebnis auch Sch / Sch-Cramer / Heine, Vor § 25 Rn. 106. Von einer Naturursache kann zwar insofern keine Rede sein, als der Schuldunfähige immerhin willentlich handelt – allerdings fehlt es ihm an Unrechtseinsicht, so dass er nicht der Seite der freiverantwortlichen Personen zuzurechnen ist, sondern wie ein blinder Kausalverlauf agiert. Anders Roxin, AT II § 31, Rn. 161, der die Annahme einer Unterlassungstäterschaft bei menschlicher und unfreier
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(3) Institutionalisierte Obhutspflichten Während weder bei der Ingerenz- noch bei der Überwachergarantenstellung ein extensiver Täterbegriff gilt, zeigen sich Besonderheiten im Bereich der Beschützergarantenstellung. Der Beschützergarant ist damit betraut, auf bestimmte, ihm nahestehende Personen Obacht zu geben.188 Beispiele sind etwa die Eltern, die für ihre Kinder verantwortlich sind, aber auch Ehegatten untereinander. Hier wirkt sich die Autonomie eines Dritten nicht im Sinne eines Regressverbots aus. Es spielt mit anderen Worten keine Rolle, ob das Opfer durch natürliche Gefahren oder durch freiverantwortliches Drittverhalten zu Schaden kommt.189 Dies liegt daran, dass der Beschützergarant ganz allgemein für die Unversehrtheit des ihm anvertrauten Rechtsguts haftet; er muss es gegen jedwede Schädigung gleich welcher Art schützen.190 Ob der Erfolg durch eine andere vollverantwortliche Person oder durch eine Naturursache vermittelt wurde, ist also unerheblich.191 Die Obhutsverpflichtung umfasst selbstverständlich auch die Verpflichtung, die Initiierung eines schädigenden Verlaufs zu unterlassen. Wer demnach als Beschützergarant einen Gehilfenbeitrag zur Verletzung des seiner Sorge unterstehenden Rechtsguts leistet, ist nicht nur als Teilnehmer, sondern zugleich auch als Unterlassungstäter zu bestrafen.192 Der Vater, der der Mutter das Messer zur Tötung des Kindes reicht, ist daher nicht bloß Teilnehmer an der Tat der Mutter, sondern selbst als Unterlassungstäter zu bestrafen. Ihre Grenzen findet die Obhutsverpflichtung freilich dort, wo das freiverantwortlich agierende Opfer selbst Hand an sich legt.193 (4) Die Herrschaft über den Grund des Erfolges Einen ähnlichen Ansatz vertritt Schünemann, der im Ergebnis ebenfalls dem Lager derer zuzurechnen ist, die Täterschaft und Teilnahme beim unechten Unterlassungsdelikt von der Art der Pflichtenstellung abhängig machen. Ausgangspunkt seiner Lehre ist die These, dass die Zurechnungsstruktur von unechtem Unterlassungs- und Begehungsdelikt gemeinsame Leitprinzipien aufweist. Maßgeblich für die Erfolgszurechnung sei in beiden Fällen die TatherrGefahrenquelle für inkonsequent hält. Dieses Ergebnis liegt jedoch genau auf der Linie eines aus dem Verantwortungsprinzip begründeten Regressverbots, das hier gerade nicht eingreift. 188 Weitere Beispiele etwa bei Brammsen, Garantenpflichten, 1986, S. 190 ff. 189 Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 1959, S. 296; Grünwald, GA 1959, 115, die allerdings eine Differenzierung in Täterschaft und Teilnahme im Bereich des Unterlassens überhaupt ablehnen. 190 Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 83; ders., JA 1985, 180. 191 So auch Kielwein, GA 1955, S. 225, 227. 192 Näher dazu Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 147; Seier, JA 1990, 382, 384; Sch / Sch-Cramer / Heine, Vor § 25, Rn. 104. 193 Zum Zusammentreffen von Pflichtenstellung und Opferverantwortlichkeit bereits oben § 2 V 2. e) (2).
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schaft, welche Schünemann als „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ versteht.194 Im Bereich der Begehungsdelikte sei diese gekennzeichnet durch die gegenwärtige absolute Herrschaft der Person über den Körper, welche in der zum Erfolg führenden Handlung zum Ausdruck komme. Dementsprechend könne die Erfolgszurechnung im Bereich der unechten Unterlassung ebenfalls nur begründet werden durch eine gegenwärtige, mit der Unterlassung zeitlich zusammenfallende Herrschaftsbeziehung. Zur Konkretisierung dieser Beziehung unterscheidet Schünemann im Bereich des Unterlassens zwei Fallgruppen: „die Herrschaft über eine Station des Kausalverlaufs selbst“ („wesentliche Ursache“) oder „die besondere Hilflosigkeit bzw. Anfälligkeit des Opfers“. Diese Unterteilung berührt sich partiell mit der üblichen Unterscheidung in die Garantenpflichten qua Überwachung einer Gefahrenquelle und solche zum Schutz eines Rechtsgutes, also der Obhutsgarantenpflicht.195 Wie auch nach Renzikowski soll Schünemann zufolge die Herrschaft über die Anfälligkeit des Opfers Täterschaft begründen, wohingegen die Herrschaft über eine gefährliche Sache nur zur Beihilfe führe. Eine Garantenpflicht aus Ingerenz lehnt Schünemann dagegen gänzlich ab, da die Herrschaft des Unterlassenden in diesen Fällen in der Vergangenheit liege, so dass es am zeitlichen Zusammentreffen von Herrschaftsbeziehung und Unterlassung fehle.196 Zweifelhaft an Schünemanns Ansatz ist, dass er versucht, die Begehungsähnlichkeit des Unterlassens mit dem Bestehen einer aktuellen Herrschaftsbeziehung im Bereich des Unterlassens zu begründen. Tatsächlich kann aber bei dem schlafenden Waffenhändler, aus dessen unverschlossenem Laden des nachts Waffen gestohlen werden, ebenso wenig von einer aktuellen Herrschaftsbeziehung über die sicherungspflichtigen Gegenstände die Rede sein wie bei dem Obhutsgaranten, der der Tötung seines Kindes tatenlos zusieht. Insofern besteht durchaus ein Unterschied zwischen dem aktuellen Zuordnungsverhältnis (der Vater ist Obhutsgarant für sein Kind, der Waffenhändler Sicherungsgarant für seine Waffen) und der tatsächlichen Ausübung von Tatherrschaft. Die bloße Garantenstellung allein ist eben nicht identisch mit der tatsächlichen Ausübung eines Herrschaftsverhältnisses. So aber muss man Schünemann verstehen, wenn er sein Zurechnungskonzept auf die vermeintliche Aktualität von Herrschaftsbeziehung und Unterlassung stützt. Der Unterlassende beherrscht das Geschehen aber faktisch gerade nicht. Hier kann allenfalls die Rede sein von einer in der Vergangenheit liegenden aktuellen Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache, die sich nunmehr zu einer Näher hierzu LK-Schünemann, § 25, Rn. 39. Allerdings richtet sich die Obhutsgarantenstellung Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 341 ff. zufolge danach, dass jemand über die „konstitutionelle“ Hilflosigkeit des Opfers kraft existentieller Vorgegebenheit (Eltern-Kind-Verhältnis) oder eigenen Zugriffs oder aufgrund fremden Vertrauensaktes die tatsächliche personale Schutzherrschaft ausübt, so dass etwa Ehegatten untereinander nicht ohne weiteres garantenpflichtig sind. 196 Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 316. 194 195
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potentiellen Herrschaft verdünnt hat.197 Ein derartiges Zurechnungskonzept lehnt Schünemann aber entschieden ab. Nichtsdestotrotz wäre eine solche Konstruktion jedenfalls imstande, die Ingerenzhaftung zu begründen und kann – wie noch gezeigt werden soll – auch zur Lösung der Vorverschuldensfälle beitragen. Ihr soll daher im Verlaufe der Untersuchung noch näher nachgegangen werden.
f) Stellungnahme Insgesamt spricht einiges für die Lösung, welche die Regressfrage bei den Unterlassungsdelikten nach der Art der Pflichtenstellung entscheidet. Dass der Beschützergarant insofern in größerem Umfang haftet als der Überwachergarant ist gerechtfertigt, weil ersterer genau übersehen kann, für wessen Wohl er zu sorgen hat. Der Überwachergarant kann demgegenüber nur seine Gefahrenquelle überblicken und vor Zugriffen sichern; hat erst ein Dritter einen der sicherungspflichtigen Gegenstände entwendet, so kann der Überwachergarant regelmäßig das weitere Geschehen überhaupt nicht mehr steuern, da dieses allein in den Zuständigkeitsbereich des Dritten fällt. Daher kann ihm nicht der Erfolg als solcher, sondern nur die Pflichtverletzung (etwa ein Verstoß gegen das Waffen- oder Betäubungsmittelgesetz) zugerechnet werden; gegebenenfalls begleitet von einer Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen.198 Gegen diese Differenzierung wird allerdings eingewandt, dass die Abgrenzung von Beschützer- und Überwachungsgaranten oftmals nicht plausibel durchführbar sei.199 So etwa wirft Jakobs die Frage auf, ob der Bademeister Beschützer der Gäste vor den Gefahren des Wassers oder Überwacher dieser Gefahr sei.200 Auf den ersten Blick lässt sich dies in der Tat nicht leicht beurteilen – immerhin könnte der Bademeister (ähnlich einem Kindermädchen) eine zeitlich begrenzte Beschützergarantenstellung für alle die Personen inne haben, die das Schwimmbad besuchen. Während das Kindermädchen oder auch eine Grundschullehrerin allerdings die ihr anvertrauten Rechtsgüter vor jedweder Verletzung schützen muss, muss der Bademeister die Badegäste nur vor den Gefahren des Wassers schützen. Greift etwa der Hund eines Badegastes einen anderen Gast an, so muss der Bademeister also nicht zugunsten des Letzteren einschreiten – diese Pflicht trifft allein den Hundebesitzer. Er muss auch nicht den Boden in den Umkleidekabinen trocken wischen, auf dass niemand ausrutsche.201 Herzberg, Unterlassung, 1972, S. 193. So i.E. auch Schall, JuS 1993, 719, 723, der am Beispiel der Umweltdelikte regelmäßig nur eine Beihilfestrafbarkeit des Überwachergaranten annimmt, weil der Staat andernfalls mit „seinen Organen und Amtsträgern zum allumfassenden Garanten avancieren“ würde und damit die Verantwortung dafür trüge, dass die Bürger keinerlei Straftaten begehen. 199 Roxin, AT II, § 31, Rn. 160. 200 Jakobs, AT, 29 / 72. 201 Ähnlich Busse, Täterschaft, 1974, S. 356 f. 197 198
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Alles andere würde dazu führen, dass der Bademeister schlankerhand für alles zuständig wäre und seine eigentliche Aufgabe – den Schutz der Gäste vor dem Wasser – aus den Augen verlieren müsste. Allerdings muss der Bademeister – auch wenn er nicht zum Schutz der Gäste schlechthin verpflichtet ist – die Badegäste umfassend vor den Gefahren des Wassers schützen und gleichermaßen eingreifen, wenn ein Nichtschwimmer zu ertrinken droht, wie auch wenn ein Badegast von einem anderen unter Wasser gedrückt wird. Die Besonderheit des von Jakobs genannten Beispiels liegt also darin, dass Elemente der Beschützergarantenstellung (Schutzverpflichtung hinsichtlich eines klar eingegrenzten Personenkreises, dessen individuelle Zusammensetzung freilich variiert) und Elemente der Überwachergarantenstellung (Schutz vor der Gefahrenquelle „Wasser“) zusammentreffen. Der Bademeister ist also innerhalb des Bereichs der Gefahrenquelle vollumfänglich dafür verantwortlich, dass niemand der seiner Obhut unterstehenden Badegäste zu Schaden kommt. Dieser Umstand spricht dafür, den Bademeister als Beschützergaranten einzustufen, weil er genau übersehen kann, wen er vor dem Ertrinken zu schützen hat. Ähnlich verhält es sich bei dem Bauherrn, der verantwortlich für die Konstruktion eines Gebäudes ist: er muss den klar umgrenzten, wenngleich wechselnden Personenbestand der Gebäudebesucher umfassend vor den sich am Gebäude verwirklichenden Gefahren schützen, gleichviel ob diese unmittelbar aus Baufehlern resultieren, wie etwa Statikfehler, die zum Einstürzen des Gebäudes führen können, oder ob der Baufehler nur Bedeutung gewinnt anläßlich einer anderweitigen Gefahrschaffung. Zu denken ist hier insbesondere an Verstöße gegen Brandschutzvorschriften, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht: zündet ein Dritter ein Hotel an und breitet sich der Brand deshalb ungehindert aus, weil die eingebauten Brandschutztüren mangelhaft sind, so wäre es verfehlt, dem Bauherrn die Gefahrschaffung an sich anzulasten: Von dem Gebäude selbst geht die Gefahr an sich ja gar nicht aus. Die Brandschutztüren sind nämlich – auch im Falle ihrer Fehlerhaftigkeit – für sich genommen keine Gefahrenquelle, sondern ein Mittel, diese einzudämmen. Versagen sie, so schafft dies keine Gefahr, sondern führt nur dazu, dass eine bereits ausgebrochene Gefahr nicht eingegrenzt oder reduziert werden kann. Insofern läßt sich ein unzureichend gegen Brandstiftung gesichertes Hotel nicht mit einem Atomkraftwerk gleichsetzen, das schon aus sich heraus eine Gefahrenquelle beherbergt. Dem Hotelinhaber kann also im Beispielsfall nicht die Gefahrschaffung, sondern nur die unzureichende Gefahreindämmung angelastet werden. Ein derartiger strafrechtlicher Vorwurf kann sich nicht auf die Annahme einer Überwachergarantenstellung stützen. Das Beispiel zeigt, dass der Gebäudeeigentümer extensiv haftender Beschützergarant für die in dem Haus befindlichen Personen ist. Ob der durch die Pflichtwidrigkeit des Bauherrn begünstigte Brand durch Kurzschluss oder deliktisches Verhalten Dritter entstanden ist, ist daher für die Erfolgszurechnung irrelevant.202 202 So im Ergebnis auch Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 399, der dieses Ergebnis allerdings vom Zweck der Verhaltensnorm ableitet.
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Kap. 2: Die Zurechnung vorsa¨tzlich mittelbar bewirkter Erfolge
Im Falle des Waffenhändlers zeigen sich zwar auf den ersten Blick Elemente der Beschützergarantenstellung, wenn man auf die Personen abstellt, die das Geschäft betreten, also ähnlich den Schwimmbad- oder Opernhausbesuchern in einen bestimmten Gefahrenbereich eindringen. Allerdings ist dieser Personenkreis keineswegs abschließend umgrenzt – der Waffenhändler soll ja nach h. M. auch dann haften, wenn es zu einem Waffendiebstahl kommt, die Waffen weiter gereicht und eine beliebige Zahl von Personen getötet werden. Wer bei einer solchen Abspaltung eines gefährlichen Gegenstandes aus der Gefahrenquelle bestimmungsgemäß mit der Gefahr in Berührung kommt, lässt sich aber nicht mehr sagen, so dass in diesem Beispiel von einer reinen Überwachergarantenstellung auszugehen ist. Der Waffenhändler haftet also nur für das von ihm überschaubare Risiko, nämlich die Gefahrenquelle selbst, nicht aber für fremdes Fehlverhalten. Eine Differenzierung nach Art der Garantenstellung ist also sinnvoll, setzt aber voraus, dass vorab genau ermittelt wird, ob die Elemente der Beschützer- oder Überwachergarantenstellung überwiegen. Entscheidend ist hierfür, ob der Betreffende für einen klar bestimmten Personenkreis innerhalb eines bestimmten Lebensbereichs verantwortlich ist.
3. Zusammenfassung Im Bereich der Unterlassungsdelikte kann – wie bereits erörtert – der Tatherrschaftsgedanke nicht herangezogen werden, um Täterschaft zu begründen. Stattdessen ergibt sich die Täterschaft grundsätzlich aus der Innehabung der Pflichtenstellung und der Erfüllung der übrigen Tatbestandsmerkmale, ohne dass die Garantenstellung allein darüber zu entscheiden vermag, ob Täterschaft oder bloß Teilnahme seitens des Handelnden vorliegt. Vielmehr ist je nach Art der Pflichtenbindung zu differenzieren: Veranlasst ein Ingerenzgarant ein vorsätzliches vollverantwortliches Drittverhalten, welches den Erfolg herbeiführt, so ist der Garant nur wegen Beihilfe durch Unterlassen zu bestrafen. Beispiel: Autofahrer A fährt in einem von der Drogenszene beherrschten Stadtviertel den Fußgänger G fahrlässig an. Als einige umstehende Personen den verletzten G am Boden sehen, eilen sie hinzu, entreißen ihm sein Geld und seine Tasche und prügeln ihn tot. A sieht ihnen dabei tatenlos zu, wobei ihm anzusehen ist, dass er erleichtert darüber ist, sich des Unfallopfers entledigt zu wissen. Entsprechendes gilt in dem Fall, dass ein Überwachungsgarant ein vorsätzliches erfolgsursächliches Drittverhalten auslöst.203 Beispiel: Waffenhändler A weiß, dass sein Freund F sich seit längerem seiner Frau entledigen möchte. Bei einem gelegentlichen Zusammentreffen zeigt er daher 203
So i. E. grundsätzlich auch Sch / Sch-Eser / Cramer / Heine vor §§ 25 ff., Rn. 108.
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dem F seinen Waffenschrank und „vergisst“, diesen abzuschließen. Wie von A erwartet stiehlt F eine Waffe und erschießt damit seine Frau. In beiden Beispielen begrenzt das auch im Unterlassungsbereich grundsätzlich geltende Autonomieprinzip die Garantenhaftung: autonomes Drittverhalten konstituiert ein Regressverbot, denn niemand ist verpflichtet, das autonome Verhalten eines anderen sowie daraus entspringende Folgen zu verhindern. Der Garant ist in diesen Fällen jeweils nur als Gehilfe zu bestrafen, es sei denn, der Dritte handelt ersichtlich nicht autonom. Beispiel: A arbeitet als Betreuer in einer Psychiatrie. Als er eines Tages den B auf dessen Freigang begleitet, bekommt dieser einen Anfall und geht – wie schon öfters vorgekommen – auf eine Frau los, die er verprügelt. A sieht dabei tatenlos zu. In diesem Fall kommt ein aus dem Autonomieprinzip hergeleitetes Regressverbot nicht in Betracht, da B schuldunfähig ist. Damit bleibt der Rückgriff auf den A eröffnet, der gem. §§ 223, 25 I Alt. 2, 13 StGB zu bestrafen ist. Dass A hier als Täter zu verurteilen ist, liegt daran, dass er zuständig für die Überwachung der Gefahrenquelle (namentlich seines psychisch kranken Patienten) ist. Anders als im Beispiel des Waffendiebstahls hat die Verletzung dieser Überwachungspflicht direkt zum Erfolg geführt, ohne dass ein außenstehender Dritter eigenverantwortlich auf die Gefahrenquelle Zugriff genommen hätte. Die Besonderheit des Falls liegt freilich darin, dass die Gefahrverwirklichung nicht durch eine Naturursache (etwa Explosion eines Sprengstoffsatzes), sondern durch menschliches Handeln ausgelöst wird. Aus diesem Grunde greift hier auch § 25 I Alt. 2 StGB ein, der hier allerdings nicht auf dem Tatherrschaftsgedanken beruht, sondern – insoweit ist Roxin beizupflichten – auf dem Gedanken der Pflichtenstellung.204 Eine Sonderstellung in der Regressverbotslehre nimmt der Beschützergarant ein. Die Beschützergarantenpflichten richten sich auf die Abwehr der dem geschützten Rechtsgut drohenden Schäden unabhängig davon, ob sie durch natürliche Verläufe oder das Handeln Dritter drohen. Wer als Beschützergarant trotz entsprechender Möglichkeiten nicht zugunsten des ihm anvertrauten Rechtsguts eingreift, ist immer als Unterlassungstäter zu bestrafen.205
204 Gegen eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen Schwab, Täterschaft, 1996, S. 215, demzufolge § 25 I Alt. 2 StGB voraussetzt, dass der Hintermann den Vordermann durch aktives Tun einschaltet. Eine solche Einschränkung läßt sich dem Gesetzeswortlaut aber nicht entnehmen. Wertungsmäßig macht es keinen Unterschied, ob der Garant den ihm anvertrauten psychisch Kranken zur Tötung seines Opfers veranlasst oder schlichtweg hiergegen nicht einschreitet – aus diesem Grunde wollen ja auch die Gegner einer mittelbaren Unterlassungstäterschaft den Garanten als Täter bestrafen. So etwa gibt auch Schwab, Täterschaft, 1996, S. 224 f. zu, dass im Bereich des Unterlassens Konstellationen existieren, die der mittelbaren Täterschaft entsprechen – und zieht für diese § 25 I Alt. 1 StGB heran. Hierdurch wird aber verwässert, dass ein menschliches Handeln den Erfolg herbeigeführt hat. Daher ist die Alt. 2 vorzuziehen, die – wie bereits erwähnt – freilich nicht auf dem Tatherrschaftsgedanken aufbaut. So auch bereits Busse, Täterschaft, 1974, S. 338 f. 205 Vgl. auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 152.
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VI. Auswirkungen auf die Vorverschuldensproblematik Das Verantwortungsprinzip hat die wichtige Erkenntnis vermittelt, dass nur eine freie Handlung Urheberschaft zu begründen vermag. Die Strafbarkeitsdefekte begründen daher dann nicht ein Regressverbot, wenn sie die Handlung zu einer unfreien machen. Solchenfalls müsste grundsätzlich ein Durchgriff auf die Defektherbeiführung zulässig sein, sofern diese einerseits als Tatbegehung nach § 25 I Alt. 1 StGB verstanden werden kann. Insofern bleibt freilich festzuhalten, dass die Struktur des § 25 I Alt. 2 StGB nicht als Argumentationsmuster verwandt werden kann. Andererseits wäre im Fall der Anwendbarkeit des § 25 I Alt. 1 StGB eine Zurechnung nur möglich, wenn sich die Defektherbeiführung ihrerseits als freie, zumindest im Versuchsstadium befindliche Verursachung des Erfolges begreifen ließe. Wann dies der Fall ist, hängt von der Eigenart des Defekts ab und soll noch näher untersucht werden.
§ 3 Vorsätzliche Verursachung des Drittverhaltens jenseits der §§ 25 ff. StGB Leistet der Ersthandelnde einen Tatbeitrag, ohne auf den Dritten einzuwirken, so kommen §§ 25 I Alt. 2, 26 StGB zur Lösung der Regressfrage nicht in Betracht. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob der Ersthandelnde dennoch über § 25 I Alt. 1 StGB als Täter einzustufen ist. Insoweit ist zu klären, ob und inwieweit in diesen Fällen noch von einer Tatherrschaft des Ersten die Rede sein kann.
I. Täterschaft als Tatherrschaft Das System der §§ 25 ff. StGB hat erkennen lassen, dass sich der Begriff der Tatherrschaft aufspaltet in Handlungsherrschaft einerseits und Willensherrschaft andererseits. Erst das Zusammentreffen beider Herrschaftsformen, also die vollumfängliche Tatherrschaft, macht denjenigen, der ein Rechtsgut verletzt, grundsätzlich zum Täter. So wird dem Hintermann im Rahmen von § 25 I Alt. 2 StGB aufgrund seiner Willensherrschaft die Handlung des Vordermanns als eigene zugerechnet, d. h. er wird rechtlich so behandelt, als hätte er faktisch die Tatbestandshandlung eigenhändig verwirklicht. Durch die Zurechnung der fremden Handlung wird der mittelbare Täter also rechtlich letztlich dem unmittelbaren Täter nach § 25 I Alt. 1 StGB gleichgestellt. Auch dieser ist (die Vorverschuldensproblematik einmal beiseite gelassen) grundsätzlich nur strafbar, wenn er bei „Begehung der Tat“206 die vollumfängliche Tatherrschaft ausübte. 206
Zur Bedeutung des Begriffs der Tatbegehung vgl. Kap. 1, § 2 II. 5. b).
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Die in § 25 StGB zum Ausdruck kommende Systematik – Täterschaft aufgrund von Handlungs- und Willensherrschaft – entspricht dem Ansatz des Verantwortungsprinzips, welches darauf gründet, dass Urheberschaft eine freie, erfolgsursächliche Willensäußerung voraussetzt.207
II. Das Enden der Tatherrschaft Umso fraglicher erscheint es, ob eine Täterschaft ohne Ausübung von Tatherrschaft denkbar ist. Hier ist zunächst an die Vorverschuldensfälle als mittelbare Erfolgsverursachung im Einpersonenverhältnis zu denken: weder im Fall der omissio noch der actio libera in causa übt der Defekttäter bei Erfüllung des Tatbestandes vollumfängliche Tatherrschaft aus. Dies spricht gegen die Möglichkeit einer Täterschaft nach § 25 I Alt. 1 StGB. Allerdings werden noch andere Konstellationen bloß mittelbarer Erfolgszurechnung diskutiert, in denen die Täterschaft bei der mittelbaren Erfolgsbewirkung ansetzt, obwohl sich die ursprünglich bestehende Tatherrschaft nicht in dem unmittelbar zum Erfolg führenden Akt fortsetzt. Zu denken ist hier an solche Fälle, in denen eine Person eine Rechtsgutsverletzung durch Dritte veranlasst, ohne mittelbarer Täter oder Anstifter zu sein. Grundsätzlich werden solche Fälle nahezu ausschließlich allein unter dem Aspekt des Drittverhaltens untersucht. Vorliegend soll jedoch der Blick auf das Erstverhalten gerichtet werden, wobei in diesem Abschnitt allein das vorsätzliche Erstverhalten interessiert. 1. Beispiele Fallkonstellationen dieser Art sind häufiger, als es scheint.208 Zu denken ist etwa an den berühmten Gnadenschussfall, in dem der Ersthandelnde das Opfer mit 207 Zwar wird vereinzelt vorgetragen, dass man auch den unfrei Tötenden als Täter des § 212 StGB bezeichne, obschon dieser mangels Schuld straflos bliebe, vgl. Maiwald, FSBockelmann, 1979, S. 343, 357. Letztlich handelt es sich dabei aber um eine ungenaue Terminologie, die wohl darauf zurückzuführen ist, dass der Begriff des „Täters“ als Kurzformel synonym verwandt wird zur Bezeichnung der Person, die den Tatbestand verwirklicht hat; vgl. etwa tendenziell Bottke, Täterschaft, 1992, S. 20 f. Krit. Lesch, GA 1994, 112, 114 der darauf hinweist, dass ein solches Begriffsverständnis letztlich nur den unmittelbaren Täter erfassen müsste, was bekanntlich bei der Mittäterschaft und der mittelbaren Täterschaft von vornherein zweifelhaft wäre. Zudem verweist er auf die romanischen Sprachen, in denen der Begriff „autor“ nicht die Eigenhändigkeit, sondern die Urheberschaft in den Vordergrund stellt. Ob der Begriff des „Täters“ aber für jeden gilt, der die Tatbestandshandlung vorgenommen hat, oder ob er reserviert ist für denjenigen, der dabei auch frei gehandelt hat, ist letztlich eine Frage des Beliebens. Jedenfalls wird niemand auf die Idee kommen, den Geisteskranken aus dem eben genannten Beispiel als „Straftäter“ zu bezeichnen. 208 Vgl. die Übersicht bei Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241 ff., auf die hier Bezug genommen wird.
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Tötungsvorsatz niedergeschossen und dadurch einen Dritten dazu veranlasst hat, dem Verletzten den „Gnadenschuss“ zu geben.209 Eine strukturell ähnliche Situation lag dem bekannten Bratpfannenfall zugrunde.210 Dort hatte die A dem B dreimal mit einer schweren Bratpfanne auf den Hinterkopf geschlagen und war dann weggelaufen. Anschließend hatte die C unabhängig davon mindestens noch einmal und später die A ein weiteres Mal mit der Pfanne auf den Kopf des B eingeschlagen, ohne dass feststellbar war, ob bereits die ersten oder einer der nachfolgenden Schläge den Tod herbeigeführt hatten.211
2. Lösungsmöglichkeiten In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob der Ersthandelnde wegen vorsätzlicher Tat bestraft werden kann, wenn (zumindest nach dem Grundsatz in dubio pro reo) der konkrete Erfolg erst durch die an die Ersthandlung anknüpfende Zweithandlung unmittelbar bewirkt wurde. Alle Fälle weisen die Gemeinsamkeit auf, dass der Ersthandelnde zwar über den mittelbar erfolgsursächlichen, nicht aber über den unmittelbar zum Erfolg führenden Akt Tatherrschaft ausübte. Die Problematik der Erfolgszurechnung weist insofern eine den Vorverschuldensfällen verwandte Struktur auf. In den genannten Fällen fokussiert sich die Diskussion auf die Frage, ob die unmittelbare Erfolgsbewirkung durch einen Dritten dem Ersthandelnden objektiv und subjektiv zugerechnet werden kann oder nicht. a) Die Kausalität des mittelbar bewirkten Erfolges Heute besteht nach h. M. Einigkeit darüber, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem nicht tödlichen Erstakt und dem tödlichen Zweitakt besteht. Die bereits angesprochene Regressverbotslehre Franks konnte sich insoweit nicht durchsetzen.212 Von der früher geführten Diskussion um das Regressverbot sind freilich BGH NStZ 2001, 29. BGH NJW 1966, 1823. 211 Zu erwähnen bleibt auch der jüngst entschiedene Pflegemutterfall, in dem das Pflegekind A dem Pflegekind B im Eifersuchtskampf um die Gunst der Mutter mit einem Messer in Bauch, Rücken und Hals gestochen hatte. Als das Messer im Zuge der Stecherei im Gesicht der B stecken blieb, so dass A es nicht mehr herausziehen konnte, suchte A ihren Freund F auf und berichtete ihm, sie habe die B erstochen. Beide kehrten zum Tatort zurück. B wartete jedoch draußen. F, der dem „Ganzen“ ein Ende setzen wollte, schlug mehrfach mit einer Glasflasche auf Bs Kopf. Die B starb entweder in Folge der Schläge oder in Folge der Messerstiche durch Verbluten. Vgl. BGH 2 StR 204 / 00, Urteil vom 30. August 2000. Der BGH hat die Zurechnungsfrage in diesem Fall freilich auf den Nachweis eines Kausalitätszusammenhangs beschränkt; dazu krit. Otto, FS-Lampe, 2003, S. 491 ff. 212 Zwar hatte der BGH in NJW 1966, 1823 (Bratpfannenfall) noch einen Abbruch der Kausalität aufgrund des Zweitverhaltens angenommen; jedoch handelt es sich dabei ersicht209 210
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solche Fälle zu unterscheiden, in denen das spätere Ereignis völlig unabhängig von der Ersthandlung eine neue Kausalkette eröffnet, die zum Erfolg führt. Solchenfalls geht es nicht darum, dass die zweite Handlung an einen real bestehenden Kausalverlauf anknüpft und diesen normativ unterbrechen soll, sondern darum, dass die erste Handlung schon überhaupt nicht ursächlich geworden ist. Den Eingangs geschilderten Fällen ist indes gemein, dass das Zweitverhalten jeweils an das Erstverhalten anknüpft, so dass von einer neu eröffneten, überholenden Kausalkette nicht die Rede sein kann. In Fällen dieser Art ist die Kausalität des Erstverhaltens vor dem Hintergrund der Äquivalenztheorie zu bejahen.
b) Die objektive Zurechnung des mittelbar bewirkten Erfolges (1) Das Regressverbot in der älteren Lehre der objektiven Zurechnung Der historisch gewachsene Ansatz zur Bestimmung rechtlicher Haftung über die Kausalität erfährt in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine grundlegende Änderung: es wird zwar an dem der Äquivalenztheorie zugrunde liegenden empirischen Kausalverständnis festgehalten; die Ursächlichkeit wird jedoch nur noch als die äußerste Grenze strafrechtlicher Haftung erachtet.213 Das Kriterium, das unter normativen Erwägungen zur Einschränkung der Strafbarkeit im objektiven Bereich führen soll, wird jetzt als „objektive Zurechnung“ bezeichnet und gründet nicht zuletzt auf die von der Adäquanz- und Relevanztheorie entwickelten Gesichtspunkte: objektiv zurechenbar soll ein durch menschliche Handlung (im Sinne der Bedingungstheorie) verursachter Erfolg nur dann sein, wenn die Handlung eine rechtlich verbotene Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts geschaffen und die Gefahr sich in dem tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklicht hat.214 Den ausschlaggebenden Aspekt für die Abkehr von einer reinen Verursachungshaftung hin zu einer objektiven Haftung im Sinne von Urheberschaft bildet der Gedanke, dass der Täter nicht für das Ingangsetzen eines kausalen, aber bloß zufällig zum Erfolg führenden Geschehensverlaufs soll bestraft werden könlich um eine aus dem Rahmen fallende höchstrichterliche Fehlentscheidung, vgl. Jäger, FSSchroeder, 2006, S. 241, 243 m. Fn. 10. 213 Davon zu trennen sind die Bestrebungen, den Haftungszusammenhang im Rahmen der Kausalität zu begrenzen, wie dies etwa v. Kries, ZStW 9 (1889), S. 528 mittels der von ihm begründeten Adäquanztheorie versucht hat. Hiernach soll nur eine solche Handlung als erfolgsursächlich angesehen werden können, bei deren Vornahme der Erfolgseintritt bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich ist. Eine Haftungsbegrenzung wurde auch mit der Relevanztheorie angestrebt, der zufolge jeweils nach dem Sinn des in Frage stehenden Tatbestandes festzustellen ist, auf welche Erfolgsbedingung die strafrechtliche Haftung im Einzelfall zu beschränken ist, vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 286. Beide Lehren erkennen zwar rein empirisch die Gleichwertigkeit aller zum Erfolg führenden Bedingungen an, schränken die Haftung dann aber wertend ein. 214 Vgl. statt vieler Roxin, FS-Honig, 1970, S. 133 ff.; Jakobs, AT, 7 / 35 ff.; Otto, FS-Maurach, 1972, S. 91 f.; Wolter, Strafrechtssystem, 1984, S. 330 f.; Ulsenheimer, JZ 1969, 364 ff.
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nen.215 In diesem Zusammenhang beruft man sich auf die strafrechtliche Hegelschule und macht das objektive Zurechnungsurteil davon abhängig, ob der Täter den Kausalverlauf durch seinen Willen beherrschen konnte.216 In der älteren Lehre von der objektiven Zurechnung besteht der Kern der Unterbrechungslehre nun im Gewande der objektiven Zurechnung fort; jedoch wird ein genereller Haftungsausschluss nur für die Fallgruppe des vorsätzlich dazwischentretenden Dritten befürwortet, ohne näher Stellung zur Qualität des Erstverhaltens zu nehmen.217 Bei fahrlässigem Zusammenwirken finden sich lediglich pauschale Ausführungen dazu, dass jeder Verursacher für den Erfolg zu haften habe.218 Als Begründung für den generellen Haftungsausschluss wird angeführt, das vorsätzliche Dazwischentreten eines Dritten schließe die Beherrschbarkeit des Geschehens durch den Ersten aus219 oder es bestehe kein Bedürfnis, den Ersten zu bestrafen, da die Tat bereits von einem Dritten „gesühnt werde“.220 Zum Teil wird auch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit221 herangezogen, demzufolge jeder nur für eigenes Fehlverhalten einzustehen habe. Insgesamt zeigt sich das Bestreben, den Haftungsausschluss mit einheitlichen Kriterien zu bestimmen. (2) Der Regress in der aktuellen Lehre der objektiven Zurechnung Mit der Zeit wird das generelle Regressverbot für die Fallgruppe des vorsätzlichen Drittverhaltens jedoch als zu starr abgelehnt222 und stattdessen versucht, flexiblere Lösungsmöglichkeiten zu finden.223 Dabei unterscheiden sich die Begründungsansätze zumeist nicht gravierend voneinander. Als maßgebliches Kriterium zur Ermittlung des Haftungsumfangs wird überwiegend darauf abgestellt, ob das Dazwischentreten eines Dritten in der Ausgangsgefahr zumindest nicht untypisch begründet liegt.224 So etwa ist für Otto maßgeblich, ob die Zweithandlung in der Erstgefährdung angelegt war.225 Ausschlaggebend soll dabei sein, ob der Täter ein „eigenständiges 215 Honig, FG-Frank, 1930, S. 174, 176 f.; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, 1927, S. 61; H. Mayer, Strafrecht, 1953, S. 131. 216 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, 1927, S. 77, 84; Honig, FG-Frank, 1930, S. 174, 183 f. 217 Naucke, ZStW 76 (1964), S. 409 , 439; H. Mayer, Strafrecht, S. 138; Lampe, ZStW 71 (1959), S. 579, 615. 218 H. Mayer, AT, S. 138. 219 Larenz, NJW, 1955, 1009, 1012; Naucke, ZStW 76 (1964), S. 409, 413; Ebert / Kühl, Jura 1979, 561, 569. 220 H. Mayer, AT, S. 138; ähnlich Lampe, ZStW 71 (1959), S. 579, 616. 221 Larenz, NJW 1955, 1009, 1111. 222 Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 187 f.; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 241 f. 223 Otto, FS-Spendel, 1992, S. 271, 279; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 18 ff. 224 Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 14, Rn. 162 ff. m. w. N. 225 Otto, FS-Lampe, 2003, S. 491, 501.
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Risiko“ für das Opfer geschaffen oder erhöht hat, welches sich in der Dritthandlung typischerweise realisiert hat.226 Hieran soll es fehlen, wenn sich in dem Erfolg eine durch den Dritten freiverantwortlich begründete, selbständige Gefahr unmittelbar verwirklicht hat.227 Auch nach Wessels / Beulke hängt die Haftung des Ersthandelnden davon ab, ob das Drittverhalten typischerweise in der Ausgangsgefahr mitbegründet war.228 Wann dies der Fall ist, ist freilich eine schwer zu entscheidende Einzelfrage, wie die vagen Begründungen Wessels / Beulkes zu den eingangs erörterten Fällen zeigen:229 „So wird im Gnadenschussfall der Ersttäter A wegen vollendeter Tötung zu bestrafen sein; ebenso ist im Pflegemutterfall das Pflegekind R zu bestrafen. Im Bratpfannenfall ist S hingegen wohl nur wegen Versuchs zu belangen.“ Zum Teil wird daher im Bemühen um größere Konkretisierung die Haftungsfrage davon abhängig gemacht, ob sich der Dritte zur Deliktsbegehung in für den Ersten erkennbarer Weise entschlossen hatte.230 Nach wohl überwiegender Ansicht soll der Ersthandelnde hingegen bereits dann haften, wenn das Eingreifen des Dritten nicht völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung lag.231 (3) Stellungnahme Insgesamt bleibt bei den verschiedenen, einander stark ähnelnden Lösungsvorschlägen der neueren Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit völlig unklar, wann das Eintreten eines Dritten eine typischerweise im Erstverhalten mitangelegte Gefahr darstellen soll.232 Was gerade das „Typische“ der Realisierung der Erstgefahr darstellt, wird nicht deutlich. Soweit diesbezüglich das Kriterium der Vorhersehbarkeit bemüht wird, ist wenig gewonnen: es werden weder gesetzliche Richtlinien noch allgemeine Grundsätze zur Konkretisierung der Vorhersehbarkeit entwickelt, so dass die Beurteilung der Haftung unkontrollierbar und willkürlich wird.233 Die Vorhersehbarkeit als Modell der Haftungseinschränkung kann sich somit ins Gegenteil im Sinne einer Haftungserweiterung verkehren, sofern kriminalpolitische Interessen dies nahe legen.234 Davon abgesehen kann mittels des KriOtto, FS-Spendel, 1992, S. 271, 280. Otto, FS-Lampe, 2003, S. 491, 502. 228 Wessels / Beulke, AT, Rn. 192. 229 Vgl. Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 244. 230 Stratenwerth / Kuhlen, AT 1, Rn. 1164. 231 Vgl. zu den Vertretern dieser Auffassung, die sich allerdings vielfach auf fahrlässiges Erstverhalten bezieht, bei Hillenkamp, 32. Problem zum AT mit zahlreichen Nachweisen. 232 Vgl. Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 244. 233 Wie wenig eindeutig das Kriterium der Vorhersehbarkeit ist, zeigt – von den bereits angesprochenen Fällen abgesehen – etwa die gegensätzliche Beurteilung der durch die Blutereigenschaft des Opfers bedingten Folgen einer Verletzung in BGHSt 14, 52 und RGSt 54, 349: während der BGH meint, dass die Blutereigenschaft nicht mehr im Rahmen der Lebenserfahrung liegt, hat das RG seine Entscheidung in einem durchaus parallel gelagerten Fall gerade auf die gegenteilige Annahme gestützt. 226 227
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teriums der Vorhersehbarkeit nicht danach differenziert werden, ob eine fremde menschliche Handlung oder eine bloße Naturursache den Erfolg bewirkt hat.235 Damit wird Pufendorfs Rückführung strafrechtlicher Verantwortung auf die Freiheit des menschlichen Willens zumindest partiell aufgegeben. Insgesamt zeigt sich, dass die im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit gebildeten Begründungsansätze daran kranken, dass sie schlichtweg postulieren, der Haftungsumfang des Ersthandelnden richte sich nach der Gefahrenanlage in der Ersthandlung, der Förderung oder der Vorhersehbarkeit fremder Tatgeneigtheit, ohne dass dies dogmatisch näher begründet wird. Dem entspricht das bunte Sammelsurium sich ergänzender und überschneidender Kriterien, welches letztlich einer Aufstellung von Fallgruppen gleichkommt. Demgegenüber weist die Lösung der älteren Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit den Vorteil auf, dass die Annahme eines generellen Regressverbots im Falle vorsätzlichen Drittverhaltens die Zurechnung des Erfolges auf die freie Willensäußerung des Dritten zurückführt und damit bereits die von Pufendorf, Kant und Hegel hervorgehobene Verknüpfung von strafrechtlicher Verantwortung einerseits und Urheberschaft als Willensfreiheit andererseits ermöglicht.236 Zugleich wird damit Ludens Unterbrechungslehre im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit logisch fortgesetzt.
c) Die subjektive Zurechenbarkeit des mittelbar bewirkten Erfolges Die Diskussion um die Frage, ob der Erfolg dem Ersthandelnden zugerechnet werden kann, erschöpft sich nicht in Erörterungen zur Kausalität und objektiven Zurechenbarkeit. Insbesondere in der Rechtsprechung, die die Lehre von der objektiven Zurechnung ablehnt, werden die mehraktigen Geschehensabläufe vor allem unter Vorsatzaspekten erörtert. Dabei geht die Rechtsprechung von der überlieferten Prämisse aus, dass der konkrete Kausalverlauf ein Tatumstand sei, auf den sich der Vorsatz erstrecken müsse. Allerdings hat die h. M. niemals alle Einzelheiten des Kausalverlaufs237 – die niemand vorhersehen kann – sondern nur seine „wesentlichen Züge“ als Gegenstand des Vorsatzes betrachtet, so dass unwesentliche Abweichungen den Vorsatz nicht beeinträchtigen sollen.238 Entscheidend sei, ob sich die Abweichungen im Geschehensverlauf gegenüber dem vorgestellten Verlauf noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halte und 234 Rudolphi, JuS 1969, 549, 556; Otto, JuS 1974, 702, 703; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 231; Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 7. 235 Diel, Regreßverbot, 1996, S. 201. 236 Vgl. hierzu oben Kap. 2, § 2 III. 237 So aber noch Herzberg, ZStW 85 (1973), S. 867 ff.; anders hingegen ders., JA 1981, S. 369 ff., 470 ff. 238 Roxin, AT I, § 12, Rn. 151.
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keine andere Bewertung der Tat rechtfertige.239 Sowohl im Pflegekind- als auch im Gnadenschussfall hat der BGH angenommen, dass die vorsätzliche Tötung des schwerst verletzten Opfers durch einen Dritten nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege, so dass dem Ersthandelnden der Erfolg in subjektiver Hinsicht zurechenbar sei. Eine derartig ausgreifende Bejahung der Vorhersehbarkeit ist in der Literatur240 auf Kritik gestoßen. Zum einen werde nicht begründet, warum der Vorsatz bei dem Erfolgsdelikt die Art und Weise der Erfolgsherbeiführung umfassen müsse, während bei der Fahrlässigkeit die Erkennbarkeit des Erfolges ausreiche. Andererseits müsse der Grundsatz, dass sich der Vorsatz auf das nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbare erstrecke, dazu führen, dass bei der aberratio ictus, soweit der Täter fahrlässig hinsichtlich des Erfolges gehandelt hat, eine Vollendungsbestrafung aus dem Vorsatzdelikt hinsichtlich des versehentlich getroffenen Opfers angenommen werden müsste. Dies steht jedenfalls im Gegensatz zur ganz h. L., die davon ausgeht, dass sich der Vorsatz auf die tatsächlich anvisierte Person konkretisiert hat, so dass hinsichtlich des tatsächlich getroffenen Opfers allenfalls eine Bestrafung aus dem Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht kommt.241 Neben diesen Bedenken spricht gegen die systematische Einordnung der Zurechnungsfrage in den subjektiven Tatbestand aber auch, dass es sich bei der Frage nach wesentlicher oder bloß unwesentlicher Abweichung des Kausalverlaufs letztlich um eine beliebige Leerformel handelt, die keine festen Kriterien dafür vorgibt, wann ein Regress auf den Ersthandelnden zulässig sein soll oder nicht. Daher mehren sich auch die Stimmen, die im Anschluss an F.-C. Schroeder242 auf eine Kenntnis des Kausalverlaufs allgemein verzichten wollen und allein die Tauglichkeit des ins Auge gefassten Angriffsmittels verlangen.243 Ist diese gegeben, so sollen dem Täter auch ungewöhnliche und unvorhersehbare Verwirklichungen seines Angriffs (der von der Brücke Geworfene zerschellt am Brückenpfeiler, wird von dem Mast eines unerwartet daher kommenden Segelschiffs aufgespießt, wird von einem im Fluss 239
BGHSt 7, 329; vgl. auch BGH NStZ 2001, 30 sowie BGH bei Dallinger, MDR 1956,
526. Vgl. etwa Herzberg, ZStW 85 (1973), S. 867, 873. Vgl. auch LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 31 m. zahlr. w. Nachw. 242 LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 29. Ähnlich Frisch, Zurechnung, 1988, S. 464, 607. Krit. Driendl, GA 1986, S. 253, 259, demzufolge Schroeders Ansatz zur Konsequenz hat, dass einmal selbst atypische und völlig inadäquate Kausalverläufe dem Täter zugerechnet werden, zum anderen selbst bei typischen und adäquaten Kausalverläufen eine Versuchslösung eingreifen könne: wer etwa einen Nichtschwimmer in der Intention des Ertränkens von der Brücke werfe, sei selbst dann wegen Vollendung zu bestrafen, wenn das Opfer vor dem möglichen Ertrinken von einem überraschend auftauchenden Hai gefressen werde, während derjenige, der nur einen vermeintlichen Nichtschwimmer von der Brücke werfe, selbst dann nur wegen Versuchs strafbar sei, wenn das Opfer am Eisbrecher zerschelle. 243 Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 246; ferner Wolter, ZStW 89 (1977), S. 649 ff.; Puppe, GA 1981, 16; Driendl, GA 1986, 253 ff.; F.-C. Schroeder, GA 1979, 327 f.; Prittwitz, GA 1983, 129. 240 241
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verirrten Hai gefressen)244 nicht entlasten können.245 Bei aller Richtigkeit an der Kritik hinsichtlich des Konstrukts von der Abweichung des Kausalverlaufs fällt allerdings auf, dass sämtliche Beispiele F.C.-Schroeders zur Erfolgstauglichkeit des Angriffsmittels solche Kausalverläufe betreffen, in denen die Abweichung sich vermittels einer „Naturursache“ vollzieht, also gewissermaßen mechanischen Charakter und nicht Handlungsqualität haben. Dass in diesen Fällen ein Regress auf den Akt des Handelnden als unmittelbaren Täter grundsätzlich zulässig sein muss, ist offensichtlich: denn natürlich ist der Täter nicht nur dann wegen vorsätzlicher Begehung strafbar, wenn er das Opfer ins Herz schießt, sondern auch dann, wenn er absichtlich einen schweren Kronleuchter von der Decke schießt, damit dieser das darunter stehende Opfer erschlägt.246 Die Problematik der mittelbaren Erfolgsbewirkung stellt sich jedoch primär nicht in solchen Fällen, in denen eine mechanische Wirkung den Erfolgseintritt vermittelt, sondern in Fällen, in denen ein Dritter den Erfolg herbeiführt, indem er an die vom Ersthandelnden geschaffene Situation anknüpft. Das alleinige Abstellen auf die Tauglichkeit des Angriffsmittels lässt hier völlig außer Betracht, dass nicht eine Naturursache, sondern ein Dritter den Erfolg willentlich herbeigeführt hat. d) Die Unterbrechungslehre im Rahmen der Täterlehre Neben den bereits erörterten Lösungsversuchen wird vereinzelt auch vorgeschlagen, die Problematik der drittvermittelten Erfolge über die den §§ 25 ff. StGB zugrunde liegende Täterlehre zu lösen. (1) Regress qua vorsätzlicher Nebentäterschaft In Betracht kommt zunächst die Möglichkeit, Erst- und Zweithandelnden als Nebentäter (d. h. als nebeneinander agierende Einzeltäter nach § 25 I Alt. 1 StGB) einzustufen, sofern weder Mittäterschaft noch mittelbare Täterschaft gegeben sind. Solchenfalls könnte der Erfolg dem Ersthandelnden zugerechnet werden, sofern sich aus den §§ 25 ff. StGB kein Regressverbot ergibt. In der Tat wird teilweise inzwischen auch im Bereich der Vorsatzdelikte eine Nebentäterschaft für möglich gehalten.247 Das Zusammenwirken mehrerer an der Herbeiführung eines Erfolges erfolgt solchenfalls ohne gegenseitiges Einverständnis.248 Das verbindende Element der Nebentäterschaft soll darin bestehen, dass jeLK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 29. F.-C. Schroeder, GA 1979, 321, 328. 246 Vgl. hierzu Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 249. 247 RGSt 55, 79, 68; 251, 256; BGHSt 4, 20, 21; Bockelmann / Volk, AT, S. 180. Ursprünglich war die Nebentäterschaft jedoch auf den Bereich der Fahrlässigkeit beschränkt, vgl. v. Liszt, Lehrbuch, S. 204. 248 Welzel, Strafrecht, S. 111; näher hierzu auch LK-Schünemann, § 25, Rn. 221 ff. 244 245
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der Nebentäter für den Erfolg kausal wird und so gemeinsam die Rechtsgutsverletzung verursacht.249 Unproblematisch dürften in diesem Zusammenhang die Fälle alternativer Kausalität sein, in denen verschiedene Personen zeitgleich, aber unabhängig voneinander in der Weise auf das Opfer einwirken, dass der Erfolg aufgrund beider Ursachen eintritt, obwohl bereits jede Ursache für sich genommen zur Erfolgsbewirkung genügt hätte. So liegt es etwa, wenn die Attentäter A und B zeitgleich ihr Opfer erschießen und jeder Schuss für sich genommen zur Erfolgsherbeiführung genügt hätte, im konkreten Fall aber beide Verletzungen zum Tode des Opfers geführt haben. Hier verlaufen die Einwirkungshandlungen auf das Opfer genau parallel; der Erfolg wurde durch jeden der Beteiligten verursacht und ist ihnen auch jeweils objektiv sowie subjektiv zurechenbar: jeder der Beteiligten hat die Gefahr geschaffen, dass das Opfer unmittelbar an der Schussverletzung stirbt. Diese Gefahr hat sich in vorhersehbarer Weise realisiert. Auch weichen Art und Zeitpunkt der tatsächlichen Rechtsgutsverletzung nicht von dem ab, was der Täter sich vorgestellt hat. Die Regressfrage stellt sich hier gar nicht, weil Art, Zeitpunkt und Auswirkungen der Angriffe im Falle der alternativen Kausalität völlig kongruent sind. Schwieriger gestaltet sich die Lage, wenn die Einwirkungshandlungen auf das Opfer zeitlich aufeinanderfolgen, wie etwa in dem bekannten Dohnafall:250 F erfährt von den Attentatsplänen des S, der ihm an einsamer Stelle auflauert. Durch eine fingierte Rendezvous-Einladung lockt nun F seinen Feind L zum Tatort. Wie erwartet, verwechselt S die beiden und schießt L tot. Während ein Teil der Literatur hier eine mittelbare Täterschaft des F kraft Ausnutzung eines fertigen Tatentschlusses251 oder Hervorrufen eines Irrtums über den Handlungssinn in Form des error in persona252 annimmt, befürworten andere Stimmen in der Literatur eine unmittelbare Täterschaft des F im Wege der Nebentäterschaft.253 Die Begründungen dafür bleiben freilich dürftig und erschöpfen sich darin, hervorzuheben, dass sowohl F als auch S einen Ursachenbeitrag gesetzt haben, die Tat für den F vorhersehbar gewesen sei und eine Kollision mit § 25 I Alt. 2 StGB deshalb nicht bestehe, weil der Hintermann dort auf das Werkzeug einwirke, während F im Dohnafall auf das Opfer eingewirkt habe.254 Allein Murmann holt weiter aus und führt an, dass der S zwar durch Abgabe des Schusses ein deliktisches Verhältnis zu einer ihm tatsächlich fremden Person (L) begründet habe, diese Gestaltungsleistung aber nicht autonom erfolgt sei, da der S die Wirklichkeit im Hinblick auf den F habe Murmann, Nebentäterschaft, 1993, S. 138. Vgl. hierzu Spendel, FS-Lange, 1976, S. 147, 167; Herzberg, JuS 1974, 574, 576. 251 F.-C. Schroeder, Täter, 1965, S. 143 ff. 252 Roxin, ZStW 78 (1966), S. 222, 227 f. 253 Murmann, Nebentäterschaft, 1993, S. 218 f.; Spendel, FS-Lange, 1976, S. 147, 167; Herzberg, JuS 1974, 574, 576 254 Spendel, FS-Lange, 1976, S. 147, 168 bezeichnet dies als Kollateralmitwirksamkeit. 249 250
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verändern wollen. Damit erscheine die Verletzung gerade der konkreten Person (L) als Gestaltungsleistung des „Hintermanns“ (F). Nicht nur die Verwendung des Begriffs „Hintermanns“ sondern auch die Argumentation mit dem error in persona und der daraus gefolgerten Einschränkung der Gestaltungsautonomie (so zweifelhaft diese Folgerung auch sein mag) erinnern allerdings eher an den Versuch, eine mittelbare Täterschaft zu begründen, als eine Nebentäterschaft. Murmann räumt denn auch selbst ein, dass sein Ergebnis und die Argumente im Wesentlichen mit der Ansicht Roxins übereinstimmen.255 Ein anderes Beispiel für eine vorsätzliche Nebentäterschaft findet sich bei Herzberg:256 A hat zufällig erfahren, dass B erwägt, den X zu vergiften. Er erkennt, dass die von B für ausreichend erachtete Dosis, wenn sie tödlich sein soll, verdoppelt werden muss. In der Hoffnung auf Bs spätere Tat gibt er dem X ein erstes Quantum in den Kaffee. Eine Stunde später wird B sich schlüssig. Er führt dem X die noch fehlende Menge zu, ohne von As Beitrag zu wissen. Zweifelsohne liegt hier ein Fall kumulativer Kausalität vor, denn der Erfolg ist erst durch das zeitgleiche Zusammenwirken der beiden Giftgaben eingetreten. Gleichwohl stellt sich die Situation für die Handelnden sehr unterschiedlich dar: während A von den Erwägungen des B Kenntnis erlangt hat, also den weiteren Verlauf zumindest vorhersehen konnte, wusste B nichts von den Plänen des A. Anders als in dem soeben geschilderten Attentatfall hat B hier – für sich genommen – noch keine Todesgefahr für das Opfer geschaffen, so dass mehr als zweifelhaft ist, ob dem B der Erfolg überhaupt zurechenbar ist, wozu Herzberg kein Wort verliert. Dennoch ist der Giftgabefall hier deshalb von Interesse, weil er recht deutlich eine verwandte Struktur zu dem Bratpfannen-, Gnadenschuss- und Pflegekindfall aufzeigt: der Ersthandelnde hat nämlich hier wie dort selbst ausschließlich auf das Opfer eingewirkt und erst durch die hierdurch geschaffene Situation (Verletzung des Opfers) bewirkt, dass der Zweithandelnde den Erfolg herbeigeführt hat. Letztlich liegen also zwei nebeneinander stehende Einwirkungshandlungen auf das Opfer vor, die im Erfolg zusammentreffen. Allerdings unterscheiden sich die zuletzt genannten Fälle von dem Dohnafall und dem Giftgabefall insofern, als der Ersthandelnde dort weder einen Irrtum des Zweithandelnden zu erregen suchte noch dessen Eingreifen eingeplant hatte. Sowohl im Bratpfannen-, Gnadenschuss- als auch im Pflegekindfall verhielt es sich vielmehr so, dass allein der Zweithandelnde Kenntnis vom vorangegangenen Tun des Ersten hatte. Dies stünde einer vorsätzlichen Nebentäterschaft indes nicht per se entgegen, da diese zwar ein kausales Zusammenwirken, nicht aber Kenntnis um die Handlung des anderen voraussetzen soll.257 Da nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ davon ausgegangen werden muss, dass der konkrete Erfolg in diesen Fällen erst 255 256 257
Murmann, Nebentäterschaft, 1993, S. 218 m. Fn. 106. Herzberg, JuS 1974, 574, 577. Vgl. zu den verschiedenen Fallgruppen Murmann, Nebentäterschaft, 1993, S. 186 ff.
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durch eine an die Ersthandlung anknüpfende Zweithandlung unmittelbar bewirkt wurde,258 liegt eine kumulative Verursachung des Erfolges durch Erst- und Zweithandlung vor, so dass zwar eine Nebentäterschaft in Betracht kommt. Allein diese Konstruktion entbindet nicht von den Voraussetzungen der objektiven sowie subjektiven Zurechenbarkeit, so dass letztlich gegenüber den bereits erörterten Lösungsansätzen keine neue Erkenntnis zur Frage eines Regressverbots gewonnen ist. Die ohnedies recht konturenlose Konstruktion der Nebentäterschaft macht letztlich also nur dann Sinn, wenn – wie in den Fällen alternativer Kausalität – feststeht, dass verschiedene Personen den Erfolg jeweils objektiv und subjektiv zurechenbar verursacht haben, wie es seltenst der Fall sein dürfte. Diese Gewissheit besteht in den erörterten mehraktigen Geschehensabläufen nach den bereits dargestellten Lösungsansätzen gerade nicht, wie die heftige Diskussion um die objektive Zurechenbarkeit gezeigt hat. Anders verhielte es sich allenfalls, wenn man für die vorsätzliche Nebentäterschaft einen extensiven Täterbegriff gelten lassen wollte, der die bloße Erfolgsverursachung als täterschaftsbegründend ausreichen ließe. Diese Auffassung wird indes – soweit ersichtlich – nicht vertreten und lässt sich angesichts des ausdifferenzierten Regelungssystems der §§ 25 ff. StGB auch nicht vertreten.259
(2) Regressverbot und restriktiver Täterbegriff Genau dieses Regelungssystem ist es, bei dem neuerdings Jäger zur Lösung der Fälle mittelbarer Erfolgsbewirkung ansetzt: 25 StGB bestrafe nur den als Täter, der die Tat in den dort genannten Erscheinungsformen des § 25 I Alt. 1 oder Alt. 2 bzw. § 25 II StGB „begehe“.260 Täterschaft bedeute – wie sich aus der Formulierung der Norm ergebe – nicht Verursachung des Erfolges, sondern Tatbestandsverwirklichung, so dass von einem restriktiven Täterbegriff auszugehen sei. Danach soll eine bloß mittelbare Tatverursachung jenseits des § 25 I Alt. 2 StGB grundsätzlich keine Täterschaft begründen können. Als Ausnahmefall nennt Jäger das Beispiel, dass der Täter nicht direkt auf das Opfer schießt, sondern den über dem Opfer hängenden Leuchter abschießt, so dass dieser das Opfer erschlägt.261 In diesem Fall wurde freilich der Erfolg auch nicht durch eine menschliche Handlung, sondern durch eine mechanisch wirkende Ursache vermittelt, so dass der Täter ohnedies gem. § 25 I Alt. 1 StGB zu bestrafen wäre. Die hier interessierenden mehraktigen Geschehensabläufe sind jedoch gerade dadurch gekennzeichnet, dass der Erfolg durch eine vorsätzliche Handlung eines Dritten vermittelt wurde. Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 242. Vgl. ausführlich hierzu Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 13 ff.; LK-Roxin, 11. Auflage, § 25, Rn. 9 ff.; F.-C. Schroeder, Täter, 1965, S. 44. 260 Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 249. 261 Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 249. 258 259
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Genau aus diesem Grunde wertet Jäger die in Rede stehenden Fälle auch als Begehung des Dritten, nicht aber des Ersten. Letzterer habe bloß die Voraussetzungen geschaffen, an die ein Dritter zur eigenen vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung angeknüpft habe. Sofern nicht ein Fall mittelbarer Täterschaft oder Mittäterschaft gegeben sei, könne dies nicht als täterschaftliche Tatbegehung begriffen werden. Wenn nämlich schon die an einen Dritten ergehende Aufforderung zur Tötung des Opfers nur als Anstiftung zur Tötung erfassbar sei, so könne erst recht die bloße Schaffung tatsächlicher Voraussetzungen, an die der Dritte zur Tötung des Opfers anknüpft, keine Täterschaft begründen.262 Etwas anderes gelte allenfalls dann, wenn der Ersthandelnde arbeitsteilig aufgrund eines gemeinsamen Tatplans die taterleichternden Voraussetzungen schaffe, an die der Zweittäter in Absprache zur Tötung des Opfers anknüpfe. Jäger erarbeitet damit im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit anhand der Beteiligungsformen Zurechnungsregeln, hinter denen allgemeine Erwägungen zur objektiven und subjektiven Zurechenbarkeit zurücktreten sollen.263 Dabei leitet er im Ergebnis aus dem restriktiven Täterbegriff die grundsätzliche Geltung eines Regressverbots her, aufgrund dessen er sowohl im Gnadenschuss-, als auch im Pflegemutter- und im Bratpfannenfall bereits das Vorliegen einer Vorsatztat seitens des Ersthandelnden verneint. Dieses Regressverbot soll allerdings nur im Bereich der Vorsatzdelikte, nicht auch für die Fahrlässigkeitsdelikte gelten. Jägers Rückgriff auf die Täterlehre hat den Vorteil, dass klar umrissen ist, wann auf eine bloß mittelbare Erfolgsbewirkung zur Begründung der Täterschaft zurückgegriffen werden darf. Dies ist nur unter den engen Voraussetzungen entweder des § 25 I Alt. 2 bzw. II StGB der Fall oder wenn es an einer Handlung des Zweitakteurs fehlt, so dass § 25 I Alt. 1 StGB eingreift. Zu denken ist etwa an das hinreichend erwähnte Beispiel, dass A den B in eine Schaufensterscheibe stößt. Dieser Ansatz liegt auf einer Linie mit der älteren Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit, welche (unter Adaption von Ludens Unterbrechungslehre) den Erfolg letztlich allein auf die freie Willensäußerung des Dritten zurückführte, sofern nicht ein Fall des § 25 I Alt. 2 oder II StGB gegeben war. Auch nach dieser Lehre konnte der Ersthandelnde allenfalls wegen Versuchs bestraft werden. Gleichsam zwischen den beiden zuletzt genannten Konzeptionen steht Eschenbach, der § 25 StGB – ähnlich wie Jäger – als Zurechnungsnormen für die Regressfälle heranzieht und einen Rückgriff auf den Ersthandelnden nur im Falle der mittelbaren Tatbegehung nach § 25 I Alt. 2 StGB zulässt.264 Anders als Jäger verneint er im Falle freiverantwortlichen Dritthandelns aber die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges, ohne weiter auf die in § 25 StGB wurzelnde Frage einzugehen, ob sich das Drittverhalten noch als Tatbegehung des Ersten darstellen läßt. Außerdem zieht Eschenbach die Argumentation anhand des 262 263 264
Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 250. Jäger, FS-Schroeder, 2006, S. 241, 251. Eschenbach, Jura 1992, 637, 640 ff.
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§ 25 StGB im Gegensatz zu Jäger auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte heran.265 Von der älteren Lehre der objektiven Zurechenbarkeit unterscheidet sich Eschenbach dadurch, dass er als Grund für das Eingreifen des Regressverbots nicht primär die Willensfreiheit des Dritten, sondern die gesetzliche Regelung des § 25 StGB aufgreift, in dessen Ausgestaltung die Frage der Willensfreiheit freilich Berücksichtigung gefunden hat. Im Ergebnis liegen alle drei Ansätze nah beieinander und bringen zum Ausdruck, dass der Erfolgseintritt durch eine fremde Willensäußerung vermittelt wurde und sich daher – mangels Einschlägigkeit von § 25 I Alt. 2 bzw. II StGB – nicht mehr als Werk des Ersthandelnden darstellen lässt. Hierin zeigt sich auch der Unterschied zwischen einer bloß mechanischen und einer freien, willentlichen Erfolgsvermittelung. Alle drei Ansätze fragen letztlich danach, wer Täter i. S. v. Urheber ist: Jäger, der seine Konzeption auf den Begriff der Tatbegehung stützt, verfolgt freilich einen Ansatz, der auf den ersten Blick die Tat als Außenweltfaktum in den Mittelpunkt rückt. Dies relativiert sich indes dadurch, dass die Begehung von zahlreichen subjektiven Momenten abhängt (so etwa setzt Mittäterschaft einen gemeinsamen Tatplan voraus; mittelbare Täterschaft erfordert Tatherrschaftswillen). Die ältere Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit lenkt den Blick dagegen darauf, als wessen Willenswerk sich die Tat darstellt. Dies ist nicht im Sinne einer subjektiven Theorie mißzuverstehen, denn erforderlich ist nicht bloß ein Täterwille, sondern auch eine entsprechende Willensäußerung, i.e. die Begehung der Tat. Auf diese Weise münden die genannten Zurechnungsmodelle letztlich in dem auf Pufendorf zurückzuführenden Gedanken, dass die strafrechtliche Verantwortung bei der menschlichen Willensfreiheit ansetzt.
III. Zusammenhang zu den Vorverschuldensfällen Die in diesem Kapitel untersuchten Fälle mehraktiger Erfolgsbewirkung haben gezeigt, dass die Frage des Regresses letztlich davon abhängt, wer als Urheber der Tat erscheint. Dies kann den §§ 25 ff. StGB entnommen werden. Bei den Vorverschuldensfällen stellt sich die Frage, wer Urheber der Tat ist, freilich nicht: dort kommt ohnedies nur eine Person als Täter in Betracht. Gleichwohl ist die Darstellung der Entwicklung der Täterlehre insofern für die Vorverschuldensfälle zu verwerten, als sich aus ihr ergibt, wann Urheberschaft vorliegt: die Entwicklung von einer kausalen zu einer personalen Täterlehre hat gezeigt, dass Täter nur sein kann, wer die Tat aufgrund eines freien Willensentschlusses begeht. Eine freie Willensäußerung begründet ein Regressverbot, während im Falle unfreier Willensäußerung ein Regress grundsätzlich in Betracht kommen muss. Unter 265
Eschenbach, Jura 1992, 637, 643 ff.
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welchen Voraussetzungen ein solcher Regress in den Vorverschuldensfällen eine täterschaftliche Erfolgszurechnung ermöglicht, ist damit aber noch nicht gesagt.
§ 4 Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens Daher sollen andere Fälle der Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens ins Auge gefasst werden, um zu ermitteln, ob diese eine auf die Vorverschuldensfälle übertragbare Zurechnungsstruktur aufweisen.
I. Die Zurechnungsstruktur in den Fällen sukzessiver Tatbegehung Zunächst interessiert hier die Zurechnungsstruktur im Falle sukzessiver Tatbegehung. Eine sukzessive Tatbegehung liegt vor, wenn der Täter einen Tatbestand schrittweise erfüllt, etwa wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz niederschlägt, es anschließend zur Bewusstlosigkeit würgt, ihm sodann mehrere Fußtritte versetzt und es danach – wie von Anfang an geplant – mit einem Pflasterstein erschlägt.266 Ganz offensichtlich liegen hier mehrere Akte ein- und derselben Person vor, was die Frage aufwirft, an welchen Akt die Erfolgszurechnung anzuknüpfen hat. Diese Frage spitzt sich zu, wenn im Verlaufe des Geschehens Umstände eintreten, aufgrund derer im Zeitpunkt der unmittelbaren Erfolgsherbeiführung (d. h. bei Vornahme des letzten Aktes) eines der verbrechenskonstitutiven Merkmale entfällt, so dass der Täter nicht bestraft werden könnte, wenn allein der letzte Akt die Begehung der Tat darstellte.
1. Beispiel: Der Blutrauschfall Diese Problematik veranschaulicht der sog. Blutrauschfall267, der freilich selten unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Erfolgsbewirkung betrachtet wird. Dort hatte die Angeklagte ihrem Opfer mit Tötungsvorsatz mehrfach mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen. Durch den Anblick des schwer verletzten Opfers geriet die Angeklagte in einen Blutrausch, in dem sie, ohne die folgenden Handlungen in ihr Bewusstsein aufzunehmen, ein zufällig dastehendes Beil ergriff und damit auf den Kopf des Opfers einschlug. Die Angeklagte verstarb infolge dieser Einwirkungen, wobei nicht festgestellt werden konnte, welche von den Schlägen letztlich 266 Beispiel nach Wessels / Beulke, AT, Rn. 763. Warda, FS-Hirsch, 1999, S. 391, 400 spricht davon, dass sich die Tatbegehung dem Erfolg „nach und nach nähert“. 267 BGHSt 7, 325 ff.
§ 4 Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens
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tödlich waren. Das Schwurgericht ist daher zugunsten der Angeklagten davon ausgegangen, dass der Tod des Opfers durch die Beilhiebe herbeigeführt worden sei, für die die Angeklagte infolge des über sie hereingebrochenen Blutrausches, der zum Ausschluss der Schuldfähigkeit führt, nicht mehr verantwortlich gemacht werden könne. Dieses Urteil hat der BGH auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben und an das Schwurgericht zurückverwiesen. Hier soll, was der BGH268 in einem Parallelurteil gegenüber dem Schwurgericht immerhin hat klarstellen müssen, nicht nur Versuch, sondern ohne Rücksicht auf die Hochgradigkeit des Affekts auch vollendete Tötung bejaht werden, wenn die „Art der Vollendung“ nicht wesentlich von der in noch zurechnungsfähigem Zustand gefassten Vorstellung abweicht269 und eine Kausalverbindung zu den einleitenden, noch schuldhaft vorwerfbaren Handlungen hergestellt werden kann.270 Allerdings ist mit dem Kausalitätsmerkmal im Blutrauschfall wohl mehr als die ohnehin selbstverständliche conditio-sine-qua-non-Verknüpfung gemeint.271 Es wird ein innerer, psychogener Zusammenhang zwischen den vorausgegangenen Handlungen und dem Ausbruch des Affekts verlangt. Der BGH konkretisiert dies in einer späteren Entscheidung272 dahingehend, dass der Täter sich selber „losgelassen“ haben muss. Zur Begründung verweist der BGH im Übrigen auf die in der Rechtsprechung unter dem Schlagwort des sog. dolus generalis273 diskutierten Fälle, in denen der Täter den Tod seines Opfers nicht unmittelbar durch die vorsätzliche Tötungshandlung herbeiführt, sondern erst mittelbar durch eine die Tötungshandlung als Ursache voraussetzende spätere Handlung, bei der sich der Täter der jetzt erst eintretenden Tötungswirkung nicht mehr bewusst ist.274 So wie in den dolus-generalisFällen das Tatgeschehen ohne den Tötungsvorsatz weiterlaufe, so spiele sich in den Fällen einer den Täter überkommenen Bewusstseinsstörung das weitere Geschehen ohne die Gegensteuerung durch Einsichts- oder Hemmungsvermögen ab.275 Auch dort werde in ständiger Rechtsprechung wegen vollendeter Tötung bestraft.276
BGH GA 1956, S. 27. Dass sich die Tatentwicklung durch den Affekt meist besonders expansiv gestaltet, soll jedoch noch keine relevante Abweichung begründen, vgl. BGHSt 23, 133, 134. 270 Anders hingegen das nur 2 Tage vor dem Blutrauschurteil ergangene Urteil 5 StR 91 / 55 vom 19. 4. 1955, in dem sich der BGH in einem ganz ähnlichen Fall für eine Versuchsstrafe aussprach. Näher dazu Oehler, GA 1956, 1 ff. 271 Geilen, FS-Maurach, 1972, S. 173, 180. 272 BGHSt 23, 133, 136. 273 Näher dazu unten Kap. 3, § 4 II. 3. c). 274 BGHSt 7, 325, 330 m. w. N. 275 Vgl. hierzu Geilen, JuS 1972, 73, 76. 276 Maßgeblich ist der Gedanke, dass der Täter die Ausführung der Tat im Zustand der Schuldfähigkeit begonnen hat. Fehlt es hieran, verfällt etwa der Handelnde bereits im Vorbereitungsstadium in Schuldunfähigkeit, so hat dies Straflosigkeit zur Folge. Vgl. auch Oehler, GA 1956, 1, 2. Die Strafbarkeit kann also frühestens zu dem Zeitpunkt ansetzen, in dem der Handelnde ins Versuchsstadium eintritt, wie es für die Vorverschuldensfälle diskutiert wird. 268 269
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2. Ausgangspunkt: Die Annahme einer Handlungseinheit Die Fälle des sogenannten Blutrausches werden überwiegend als relativ unproblematisch angesehen.277 Grundsätzlich wird dabei in Anlehnung an die Ausführungen des BGH damit argumentiert, dass der Täter zu Beginn der tatbestandlichen Ausführungshandlung noch voll schuldfähig war und nur ein Fall einer unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf vorliege, so dass ihm die Tat in vollem Umfang zugerechnet werden könne.278 Ausgangspunkt dieser Lösung ist die Annahme, dass bei den verschiedenen Geschehensakten – ähnlich wie in den Fällen des früheren dolus generalis279 – ein einheitliches Handlungsgeschehen vorliege, bei dem der Tatvorsatz alle zum Erfolg führenden Akte umfassen soll.280 Mehrere reale Einzelakte (d. h. mehrere Handlungen im natürlichen Sinne) werden also zu einer Handlung im juristischen Sinne, d. h. zu einer Handlungseinheit, zusammengefasst.281 Dieser konkurrenzrechtlich geprägte Handlungsbegriff muss streng von dem allgemeinen, vortatbestandlichen Handlungsbegriff der Strafrechtslehre unterschieden werden:282 während letzterer nur die Grundfunktion erfüllt, eine strafrechtlich relevante Handlung von einer Nicht-Handlung abzugrenzen, ermöglicht der konkurrenzrechtliche Handlungsbegriff es, verschiedene Akte schon auf Tatbestandsebene zu einer Handlungseinheit zusammenzuziehen. 283 Zur Konstruktion eines solchen einheitlichen Geschehens sind zwei Wege gangbar: einerseits die Annahme einer tatbestandlichen, andererseits die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit. 277 Eine Außenseiterrolle nimmt insoweit Maurach, JuS 1961, 373, 378 ein, der auch in dieser Konstellation einen Fall der actio libera in causa annehmen möchte, selbst wenn der Vorsatz des Täters nicht auf die Herbeiführung des Defekts gerichtet war. 278 Geilen, JuS 1972, 73, 74; Krause, FS-Mayer, 1965, S. 306, 312; ders., Jura 1980, 169, 174; Oehler, GA 1956, 1, 3 f.; ders.; JZ 1970, 380, 381; Schwinghammer, actio libera in causa, 1966, S. 51. 279 Vgl. dazu Maiwald, ZStW 78 (1966), S. 30 ff. sowie nachfolgend Kap. 2, § 4 II. 3. c). 280 Krit. hierzu Hruschka, JuS 1982, 317, 325. 281 Für eine isolierte Betrachtung der Akte wohl Binding, Normen II, S. 610 f., der in Fällen des hochgradigen Affekts während der Ausführungshandlung nur wegen Versuchs bestrafen möchte, a. A. H. Mayer, AT, S. 243. 282 Seher, JuS 2004, 392. 283 Auch der strafprozessrechtliche Begriff der „Tat“ i. S. v. § 264 StPO hat eine andere Funktion: er umfasst den gesamten, dem angeklagten Verhalten des Täters zu Grunde liegenden geschichtlichen Vorgang und hat angesichts des in Art. 103 II GG dargelegten Grundsatzes „ne bis in idem“ Bedeutung vor allem für die Frage des Strafklageverbrauchs, vgl. Seher, JuS 2004, 392, 393. Der „Tatbegriff“ der StPO ist im Übrigen weiter als der konkurrenzrechtliche Handlungsbegriff: er erfasst nicht bloß die Fälle der Handlungseinheit, sondern es können auch mehrere Handlungen i. S. d. § 53 StGB eine einzige prozessuale Tat darstellen, wie das Beispiel eines Verkehrsunfalls mit nachfolgender Unfallflucht zeigt.
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a) Die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit Eine tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinne liegt vor, wenn der gesetzliche Tatbestand mehrere natürliche Willensbetätigungen zu einer rechtlichsozialen Bewertungseinheit verbindet, wie dies etwa bei den mehraktigen Delikten und den Dauerdelikten der Fall ist.284 Von diesen relativ unproblematischen Erscheinungsformen einer tatbestandlichen Handlungseinheit abgesehen, beziehen einige Autoren auch solche Fälle als tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinne ein, in denen der Täter den gleichen Tatbestand in kurzer zeitlicher Abfolge wiederholt verwirklicht (iterative Tatbegehung) oder in denen er sich durch eine Folge von Einzelakten dem Erfolg im Wege fortlaufender Tatbestandsverwirklichung nähert (sukzessive Tatbegehung), sofern die Tätigkeitsakte auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen.285 Der Zusatz „im weiteren Sinne“ soll zum Ausdruck bringen, dass das Gesetz – anders als bei den mehraktigen Delikten – hier nicht zwingend mehrere natürliche Handlungen zur Tatbestandsverwirklichung erfordert, sondern dies dem Wortlaut nach nur zulässt.286 Damit werden äußerlich getrennte Tätigkeiten also im Einzelfall auf Tatbestandsebene als „ein Angriff“ auf das geschützte Rechtsgut gewertet.287 Bei Zugrundelegung dieser Sicht käme man im Blutrauschfall zu dem Ergebnis, dass die verschiedenen Hiebe mit Axt und Beil juristisch nur eine vom Versuch in die Vollendung übergehende Tat gem. § 212 StGB darstellen. Da die Angeklagte bei Eintritt ins Versuchsstadium schuldfähig war und der weitere Kausalverlauf nur unwesentlich von dem abweicht, was sich die Angeklagte vorgestellt hatte, soll hiernach eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tötung vorliegen.
b) Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit Mit der umstrittenen Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit288 versucht insbesondere die Rechtsprechung, mehrere reale Handlungen zu einer juristischen Handlungseinheit zusammenzufassen, sofern die gleichartigen Verhaltensweisen von einem einheitlichen Willen getragen werden und auf Grund ihres räumlichzeitlichen Zusammenwirkens derart eng miteinander verbunden sind, dass das ge284 Wessels / Beulke, AT, Rn. 760 ff.; Warda, FS-Hirsch, 1999, S. 391, 400; Jescheck / Weigend, AT, S. 711 f. 285 Warda, FS-Hirsch, 1999, S. 391, 400 m. w. N.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 763; LK-Rissing van Saan, 11. Auflage, Vor §§ 52 ff., Rn. 10 ff., 20 ff.; jetzt wohl auch BGH wistra 2003, 99. 286 Sowada, Jura 1995, 245, 247 m. Fn. 14. 287 Damit soll das Verhalten nur eine Gesetzesverletzung darstellen, was sowohl Tatmehrheit i. S. v. § 53 StGB als auch Tateinheit gem. § 52 I Alt. 2 StGB ausschließt, vgl. Sowada, Jura 1995, 245, 247. 288 Hierzu näher Warda, FS-Oehler, 1985, S. 241 ff.
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samte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehöriges Tun erscheint.289 Die Rechtsprechung nimmt dabei insbesondere im Falle sukzessiver und iterativer Tatbegehung eine natürliche und nicht eine tatbestandliche Handlungseinheit an, da sich die Einheit des Geschehens nicht direkt aus dem Tatbestand, sondern aus einer zusammenfassenden Bewertung von Einzelakten ergebe. Freilich ist auch eine so verstandene Handlungseinheit im weiteren Sinne insofern eine tatbestandliche Handlungseinheit, als es immer darum geht, ob die verschiedenen Einzelakte sich als eine Tatbestandshandlung darstellen lassen.290 Beide Modelle zeigen, dass der Begriff der Tathandlung nicht zwingend eng, d. h. als willentlicher Einzelakt im Sinne einer natürlichen Handlung, definiert werden muss, sondern dass es ebenso gut möglich ist, mehrere von einem Entschluss getragene Einzelakte als eine Tat im konkurrenzrechtlichen Sinne zu bezeichnen.291 Der über den Begriff der Tatbestandshandlung hinausreichende Begriff der Tathandlung umfasst daher bei einem entsprechenden Konnex alle Akte vom Eintritt ins Versuchsstadium bis zur Herbeiführung des Erfolges.292 Tatbestandliche und natürliche Handlungseinheit unterscheiden sich demnach nur in der Begründung: die tatbestandliche Handlungseinheit setzt bei der Norm an und fragt, ob diese eine mehraktige Begehung zwingend voraussetzt oder zumindest aufgrund einer pauschalisierten Handlungsbeschreibung zulässt, wie dies etwa in §§ 29 I Nr. 1, 29a I Nr. 2 BtMG (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) der Fall ist.293 Die natürliche Handlungseinheit geht dagegen nicht von der Norm, sondern – wie der Name bereits andeutet – von einer faktischen Betrachtung aus.294 Dabei werden die verschiedenen Akte sukzessiver und iterativer Tatbegehung (ebenso wie nach der tatbestandlichen Handlungseinheit) nicht nur zu einer Handlung, sondern auch zu einer Tat im Sinne einer Gesetzesverletzung zusammengefasst.295 Diesen Weg ist die Rechtsprechung im Blutrauschfall gegangen: der Vollendung des Delikts sind zwar Einzelakte vorausgegangen, die bei isolierter Betrachtung jeweils einen Tötungsversuch darstellen. Dies steht einer Gesamtbewertung des BGHSt 10, 230; 43, 312, 315; BGH JZ 77, 609; BGH NStZ 97, 276. Hierzu näher Roxin, AT II, § 33, Rn. 29. 291 Sowada, Jura 1995, 245, 253. 292 Während der Begriff der Tathandlung die Versuchshandlung mit umfasst, bezieht sich der Begriff der Tatbestandshandlung nur auf Ausführungshandlungen. Zur Reichweite des Tathandlungsbegriffs aufgrund natürlicher Handlungseinheit auch Oehler, FS-Warda, 1985, S. 241, 246. 293 Seher, JuS 2004, 392, 394. 294 Seher, JuS 2004, 392, 395. 295 BGHSt 4, 219; BGH GA 1965, 289; BGH GA 1969, 92; BGH StV 1981, 396 f. Warda, FS-Oehler, 1985, S. 241, 245 weist darauf hin, dass der natürlichen Handlungseinheit damit die Funktion zukommt, die Tateinheit i. S. v. § 52 StGB nicht zu begründen, sondern im Gegenteil auszuschließen. 289 290
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Verhaltens als einer schließlich erfolgreich verlaufenen Tötungsaktion jedoch nach einhelliger Auffassung nicht entgegen,296 da bei natürlicher Betrachtungsweise die Wertung nahe liegt, dass die unmittelbar aufeinander folgenden und auf einem einheitlichen Willensentschluss basierenden Einzelakte nur einen einzigen, schrittweise verwirklichten Verstoß gegen das gesetzliche Tötungsverbot darstellen.297 Ähnlich liegt es in den Fällen der iterativen Tatbestandserfüllung: Ohrfeigt etwa T den O dreimal, so soll nur „eine“ Gesetzesverletzung mit einem lediglich quantitativ gesteigerten Unrechtserfolg vorliegen.298 Insoweit besteht im Ergebnis Übereinstimmung mit den Kritikern der natürlichen Handlungseinheit. Diese möchten die Handlungseinheit jedoch deshalb aus der Norm herleiten, weil die „natürliche Betrachtungsweise“ insbesondere wegen ihrer Weite und Unbestimmtheit keinen tauglichen Maßstab für die Handlungszusammenfassung gebe.299 c) Stellungnahme Zwar trifft es zu, dass die natürliche Betrachtungsweise kein sehr konturenscharfes Kriterium ist. Daran allein ist die natürliche Handlungseinheit aber auch gar nicht ausgerichtet. Erforderlich sind vielmehr die oben bereits genannten Voraussetzungen gleichartiger Betätigungen in unmittelbar zeitlich-räumlichem Zusammenhang, die von einem einheitlichen Willen getragen sind300 und sich objektiv auch für einen Dritten erkennbar als zusammengehöriges einheitliches Tun darstellen. Nicht erforderlich ist dabei in objektiver Hinsicht die Gleichartigkeit der Einzelakte in ihrer Begehungsweise, wie sie für die frühere fortgesetzte Handlung allgemein und für die natürliche Handlungseinheit bisweilen als charakteristisch angesehen wird.301 Vielmehr können von einer pauschalierenden Handlungsbeschreibung auch mehrere dem äußeren Erscheinungsbild nach unterschiedliche Verhaltensweisen erfasst werden.302 Freilich bedürfen auch diese Kriterien im Einzelnen noch der näheren Präzisierung. Aber vor der Schwierigkeit, das äußere Erscheinungsbild und etwaige subjektive Voraussetzungen des für eine Zusammenfassung in Betracht kommenden mehraktigen Geschehens möglichst eindeutig zu bestimmen, steht jeder Versuch Warda, FS-Oehler, 1985, S. 241, 246. Warda, FS-Oehler, 1985, S. 241, 245. 298 So auch eine im Vordringen befindliche Ansicht in der Lit., vgl. statt vieler Wessels / Beulke, AT, Rn. 764 und LK-Rissing-van Saan, 11. Auflage, Vor §§ 52 ff., Rn. 10 ff., 20 ff. 299 Vgl. etwa Jakobs, AT, 32 / 35; SK-Samson / Günther, vor § 52 ff., Rn. 13, 17 f.; Werle, Konkurrenz, 1981, S. 105 ff. 300 Dieser einheitliche Wille stellt sich als „echter dolus generalis“ i. S. eines allgemeinen Vorsatzes dar, vgl. auch Driendl, GA 1986, 253, 260; LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 31. 301 BGH NStZ 1990, 490, 491; BGH NStZ 1995, 46, 47; BGH NJW 1998, 619. Der Wechsel des Angriffsmittels ist also nicht von entscheidender Bedeutung. 302 BGHSt 15, 259, 262; Warda, FS-Hirsch, 1999, S. 391, 404 m. w. N. 296 297
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der Bildung von Handlungseinheiten. Man entgeht diesen Schwierigkeiten nicht, indem man als übergeordneten, leitenden Gesichtspunkt statt auf die natürliche Betrachtung auf den durch Auslegung zu ermittelnden Sinn des jeweils verwirklichten Tatbestandes verweist.303 Dieses Problem stellt sich selbst dann, wenn der Tatbestand aufgrund der pauschalisierten Handlungsbeschreibung eine Begehung durch mehrere Akte zulässt, wie es etwa bei dem Merkmal des „Quälen“ gem. § 225 StGB der Fall ist. Aus der Verwendung solcher Pauschalbegriffe durch das Gesetz zeigt sich nämlich nur, dass eine Mehrheit von Betätigungsakten eine einzige Tatbestandsverwirklichung sein kann. Sie ist es dagegen nicht eo ipso.304 Daher vermag die Zusammenfassung mehrer Willensbetätigungen zu einer Deliktseinheit durch eine vermeintlich tatbestandlich vermittelte Handlungseinheit nicht zu überzeugen. Vielmehr sind die Kriterien der natürlichen Handlungseinheit maßgeblich für die Zusammenfassung mehrer Willensakte auf Tatbestandsebene.
3. Koinzidenzprinzip und Versuchsbeginn Nimmt man aufgrund einer natürlichen Betrachtungsweise an, dass im Blutrauschfall nur ein Angriff auf das Leben des Opfers vorliegt, bei dem die Ausführungshandlungen zunächst im Zustand der Schuldfähigkeit begangen wurde, so ist das Koinzidenzprinzip gewahrt, auch wenn nachträglich verbrechenskonstitutive Merkmale entfallen: dieses Prinzip verlangt lediglich, dass die verbrechenskonstitutiven Merkmale bei „Begehung der Tat“ vorliegen. Der Begriff der Tatbegehung umfasst aber nicht nur die unmittelbare Tatvollendung, sondern auch ins Versuchsstadium überleitende Handlungen sowie erst recht solche Handlungen, die sich – wie im Blutrauschfall305 – bereits als tatbestandliche Ausführungshandlung im Stadium zwischen Versuch und Vollendung darstellen.
4. Schlussfolgerungen für die Vorverschuldensfälle Der Blutrauschfall findet seine Parallele zu den Vorverschuldensfällen darin, dass die Erfolgszurechnung nicht an den unmittelbar zum Erfolg führenden Akt ansetzen kann, weil zu diesem Zeitpunkt ein Verbrechensmerkmal fehlt. Aus diesem Grunde wird der bei natürlicher Betrachtung bloß mittelbar wirkende Akt als Anknüpfungspunkt für die Erfolgszurechnung herangezogen, weil zu diesem frühen Zeitpunkt noch alle verbrechenskonstitutiven Merkmale gegeben waren. Von den Vorverschuldensfällen unterscheidet sich der Blutrauschfall allerdings dadurch, dass die Angeklagte dort mit Vornahme des ersten Einzelakts ersichtlich 303 304 305
Warda, FS-Oehler, 1985, S. 241, 258. Warda, FS-Oehler, 1985, S. 241, 258. Sydow, actio libera in causa, 2002, S. 43; Übler, actio libera in causa, 2003, S. 61.
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mit der tatbestandsmäßigen Ausführung begonnen hatte, so dass es keiner weiteren Überlegungen mehr bedurfte, ob sie durch Vornahme des mittelbar erfolgsursächlichen Akts ins Versuchsstadium eingetreten sei.306 Auch stehen die verschiedenen Einzelakte im Blutrauschfall als sukzessive Tatbegehung einander wesentlich näher als Defektherbeiführung und Defekthandlung der Vorverschuldensfälle. An dieser Stelle interessiert vorerst jedoch nur die Zurechnungsstruktur, die der normativ begründeten Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit zugrunde liegt. Geht man davon aus, dass die strafrechtliche Zurechnung nur bei einer freien Willensäußerung ansetzen kann, so ist offenkundig, dass der strafrechtliche Vorwurf sich nicht auf die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Akte beziehen kann. Zu diesem Zeitpunkt fehlte es an einer freien Willensäußerung der Angeklagten, so dass ein Regress auf vorausgehende freie Willensäußerungen zulässig erscheint, sofern diese sich als „Begehung der Tat“ verstehen lassen. Dies ist hier unproblematisch, da die Angeklagte im Zustand freier Willensentschließung sogar schon mit der Tatbestandsausführung begonnen und daher aufgrund der Setzung einer „causa libera“ als Urheberin der Tat anzusehen ist.307 Noch eines zeigt der Blutrauschfall ganz klar: Die Tatherrschaft des Handelnden muss nicht zwingend bis zur Vollendung der Tat aufrecht erhalten werden. Es genügt, wenn sie zu Beginn der Tatbegehung bestanden hat. Diese Erkenntnis ist deshalb bedeutsam, weil der Prototyp täterschaftlicher Begehung normalerweise durch das Ausüben der Tatherrschaft vom Versuchsbeginn bis zur Vollendung gekennzeichnet ist. Dass dies aber nicht immer so sein muss, zeigt die einhellige Auffassung, dass wegen vorsätzlicher vollendeter Tat zu bestrafen ist, wer eine Zeitbombe programmiert, sich dann aber noch vor deren Explosion sinnlos betrinkt und infolgedessen im Zeitpunkt des Erfolgseintritts schuldunfähig ist.308 Hier hat der Täter zwar im Zustand der Schuldunfähigkeit – anders als im Blutrauschfall – gar nicht mehr gehandelt, sondern musste nur noch die Auswirkungen seines vorherigen Tuns abwarten. Hier liegt deshalb auch ganz unprob306 Oehler, GA 1956, S. 1, der zudem hervorhebt, dass die Angeklagte den Zustand der Schuldunfähigkeit im Blutrauschfall nicht willentlich herbeigeführt habe. Das trifft zu, grenzt aber nur zu der vorsätzlichen actio libera in causa ab. Hätte die Angeklagte hingegen (etwa aufgrund ihres Naturells) damit rechnen müssen, in einen Rauschzustand zu verfallen, müsste freilich zur fahrlässigen actio libera in causa abgegrenzt werden. Der Unterschied liegt drin, dass der Defekt bei der actio libera in causa vor der Ausführung der eigentlichen Tatbestandshandlung eintritt, was im Blutrauschfall gerade anders ist. 307 Der Begriff der „actio libera in causa“ sollte indes aus Klarstellungsgründen für die Vorverschuldensfälle reserviert bleiben. Zwar lässt sich auch im Blutrauschfall daran denken, dass die Angeklagte ihre Schuldunfähigkeit fahrlässig herbeigeführt hat, so dass ein „Verschulden zu einem der Vollendung vorausgehenden Zeitpunkt“ unter Umständen bejaht werden könnte. Da die Angeklagte aber schon mit der Ausführungshandlung, d. h. mit der Vornahme der eigentlichen Tatbestandshandlung begonnen hatte, liegt hier streng genommen kein „Vor-Verschulden“ im Sinne eines Verschuldens bei Eintritt ins Versuchsstadium vor, sondern ein Verschulden bei Übergang vom Versuchs- ins Vollendungsstadium. 308 Vgl. Horn, GA 1969, 289, 292; ihm folgend Krause, Jura 1980, 169, 172.
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lematisch ein Fall unmittelbarer Täterschaft vor. Ob der Erfolg durch eine bloß mechanisch wirkende Ursache vermittelt wird oder durch eine unfreie Handlung, kann jedoch für die Regressfrage insofern keinen Unterschied machen, als die unfreie Handlung nicht Ausdruck freier Willensäußerung ist und damit keine Urheberschaft309 zu begründen vermag.310 Damit kommt prinzipiell eine Anknüpfung an die mittelbar zum Erfolg führende Handlung in Betracht, sofern diese sich zumindest als Versuch der Tat darstellt. Genau an dieser Stelle zeigt sich freilich ein Unterschied zwischen dem Bombenleger-, dem Blutrausch,– und den Vorverschuldensfällen: im Bombenlegerfall ist der Versuch beendet, als der Defekt eintritt. Im Blutrauschfall hat der Angeklagte sogar schon mit der Vornahme der tatbestandlichen Ausführung begonnen, als es zur Schuldunfähigkeit kommt. In den Vorverschuldensfällen fehlt es dagegen bei der Defektherbeiführung noch gänzlich an der tatbestandlichen Ausführung. In Betracht kommt allenfalls ein Eintritt ins Versuchsstadium, wobei durchaus zweifelhaft ist, ob der Versuch als „beendet“ bezeichnet werden kann, da der Täter (anders als im Bombenlegerfall!) immerhin noch handeln muss.311 Die Frage nach dem Eintritt ins Versuchsstadium ist aber eine Frage, die sich erst stellt, wenn ein Regress prinzipiell möglich ist. Dies ist in allen der drei genannten Konstellation der Fall.
II. Die Zurechnungsstruktur in sonstigen Fällen mehraktiger Tatbegehung Einen anderen Fall mehraktiger Tatbegehung stellt der bereits erwähnte Jauchegrubenfall dar.312
309 H. Mayer, JZ 1956, 109, 110 f. stellt den Mensch als Rechtspersönlichkeit dem Menschen als bloßes Naturwesen entgegen. Eine Handlung, für die der Mensch nicht die rechtliche Verantwortung trage, sei daher nicht anders zu bewerten als die Äußerung einer Naturkraft. Ähnlich ordnet auch Frisch, Zurechnung, 1988, S. 616 solches menschliches Verhalten dem Bereich der unbeherrschbaren Kausalverläufe zu, das nach den Wertungen der Rechtsordnung nicht mehr als sinnhafte Motivation verstanden werden kann, wozu er das Verhalten eines nichtverantwortlichen Individuums zählt. 310 Infolgedessen vermag sie auch kein Regressverbot zu begründen, wie die Norm des § 25 I Alt. 2 StGB zeigt. 311 Lediglich bei der omissio libera in causa stellt sich die Situation so dar, dass der Täter gar nichts mehr tun muss, was die Annahme eines beendeten Versuchs für diese Konstellation besonders nahe legt. Näher dazu unten Kap. 3, § 2 III. 1. a). 312 Ähnliche Fallgestaltungen liegen RG 67, 258; BGHSt 14, 193; BGH bei Dallinger, MDR 1952, 16 zugrunde.
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1. Beispiel: Der Jauchegrubenfall Dort hatte die A der B mit bedingtem Tötungsvorsatz zwei Hände voll Sand in den Mund gestopft, um sie am Schreien zu hindern. Als die B schließlich regungslos dalag, hielt A sie für tot und warf sie – um die vermeintliche Leiche zu beseitigen – in eine Jauchegrube. Die späteren Feststellungen ergaben, dass der Tod in Wahrheit erst durch Ertrinken in der Jauchegrube eingetreten war.313 Ähnlich wie im Blutrauschfall stellt sich auch hier die Frage, ob die Angeklagte als Täterin eines vollendeten Vorsatzdeliktes bestraft werden kann.
2. Unterschied zum Blutrauschfall Der Vergleichspunkt zwischen Blutrausch- und Jauchegrubenfall liegt darin, dass einmal die Schuldfähigkeit, einmal der Vorsatz nachträglich wegfällt. Gleichwohl weist der Jauchegrubenfall einen entscheidenden Unterschied im subjektiven Bereich auf: die Angeklagte hielt die Tat dort bei Vornahme des unmittelbar zum Erfolge führenden Aktes nicht nur für versuchsbeendet, sondern sogar für vollendet, glaubte also, den Erfolg bereits herbeigeführt zu haben.314 In dem zweiten Akt wirkte demnach – anders als im Blutrauschfall – nicht mehr der ursprüngliche Handlungsentschluss bzw. die Motivation fort, das Opfer töten zu wollen. Vielmehr ging es der Angeklagten darum, die vermeintliche Leiche zu beseitigen, also die Straftat zu vereiteln. Dies ist aber ein ganz andersartiger Handlungsentschluss, der allenfalls unter dem Aspekt der Fahrlässigkeit einen Angriff auf das Rechtsgut „Leben“ darstellt. Ob hier die Erfolgszurechnung auf der Grundlage einer natürlichen Handlungseinheit an dem ersten Akt ansetzen kann, erscheint zweifelhaft.315 Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
3. Lösungswege Würde man im Jauchegrubenfall den zweiten Akt isoliert betrachten, wäre die Angeklagte allenfalls einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB schuldig. Da sie aber bereits vor dem zweiten Akt mit Tötungsvorsatz auf ihr Opfer eingewirkt hat, wird diskutiert, ob die Zurechnung des Erfolges auf den bloß mittelbar wirkenden, vorsätzlich geleisteten Erstakt gründen kann.
BGHSt 14, 193. Geilen, JuS 1972, 73, 76. Näher hierzu auch Oehler, GA 1956, 1 ff.; ders., JZ 1970, 380; H. Mayer, JZ 1956, 109 ff. 315 Gegen das Vorliegen einer Handlungseinheit spricht sich Hettinger, FS-Spendel, 1992, S. 237, 250 aus. 313 314
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a) Die Kausalität Mit der allgemeinen Anerkennung der Äquivalenztheorie v. Buris wurde der von Luden entwickelten und von Frank aufgegriffenen Lehre von der Unterbrechung des Kausalverlaufs mittels Annahme eines Regressverbots die Grundlage entzogen. Heute herrscht Übereinstimmung darin, dass die vorsätzliche Ersthandlung nicht dadurch an Kausalität verliert, dass der Täter später eine andere Handlung vornimmt.316 Dies gilt unabhängig davon, ob der Agierende bei Vornahme der zweiten Handlung frei war oder nicht. Hierin zeigt sich die Abkehr von einem philosophischen zu einem mehr naturwissenschaftlichen Kausalbegriff.317 b) Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges Auffallend ist, dass in Konstellationen wie dem Jauchegrubenfall vielfach oft nicht danach gefragt wird, ob sich der Erfolg rechtlich als Realisierung der Ausgangsgefahr darstellt.318 Dies erstaunt umso mehr, als im Falle fahrlässigen Drittverhaltens die objektive Zurechenbarkeit häufig als das Kernproblem angesehen wird. Im Jauchegrubenfall wird dagegen von denjenigen, die die Frage ansprechen, überwiegend angenommen, dass der objektive Zurechnungszusammenhang bestehe: der Täter habe durch die Ersthandlung die Gefahr geschaffen, dass er sein Opfer irrtümlich für tot halte. Das anschließende tödliche Verbergen der vermeintlichen Leiche bewege sich daher durchaus noch im Rahmen der geschaffenen Gefahr.319 Eine andere Ansicht bejaht die Realisierung des durch die Ersttat gesetzten Erfolgsrisikos dagegen nur dann, wenn der Täter von vornherein vorhatte, die Leiche später zu beseitigen.320 Schließlich finden sich auch Stimmen in der Literatur, die den Zurechnungszusammenhang verneinen: die Angeklagte habe für das Opfer lediglich die Gefahr des Erstickens, nicht aber des Ertrinkens, geschaffen.321 Der Täter habe durch die erste Handlung seinen Tötungsvorsatz eben nicht verwirklicht, d. h. er sei im Versuch steckengeblieben. Bei der zweiten Handlung habe er sich dagegen in einem Tatumstandsirrtum befunden, weil er meinte, eine Leiche anstatt eines Menschen vor sich zu haben, so dass ihm der durch die Zweithandlung bewirkte Erfolg gem. § 16 I 2 StGB allenfalls als fahrlässige Tötung angelastet werden könne, welche in Realkonkurrenz zu der versuchten BGHSt 14, 193; Roxin, AT I, § 12, Rn. 162 ff. m. w. N. Vgl. dazu oben Kap. 2, § 2 III. 1. 318 Jäger, FS-F.C. Schroeder, 2006, S. 241, 245. 319 Vgl. etwa Roxin, FS-Würtenberger, 1977, S. 117 f.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 262. 320 SK-Rudolphi, § 16, Rn. 35a; Wolter, ZStW 89 (1977), 687; Stratenwerth / Kuhlen, AT, § 8, Rn. 93. 321 Frisch, Zurechnung, 1988, S. 465; Otto, AT, § 7, Rn. 91; Jakobs, AT, 8 / 78; F.-C. Schroeder, FS-Androulakis, 2003, S. 668; Freund, AT, § 7, Rn. 140 – 143; Hettinger, FS-Spendel, 1992, S. 237, 252 ff.; Jerouschek / Kölbel, JuS 2001, 417, 422 ff.; Hruschka, JuS 1982, 317, 320. 316 317
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Tötung trete.322 Die verschiedenen Ansätze zeigen einmal mehr, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung letztlich keine festen Kriterien vorgibt und für nahezu jede Argumentation Raum lässt. Schafft derjenige, der in Tötungsabsicht auf das Opfer einwirkt, für dieses die Gefahr des Todes oder die Gefahr, für tot gehalten zu werden und bei der Beseitigung der vermeintlichen Leiche ums Leben zu kommen? Naheliegender dürfte Ersteres sein, eine zuverlässige objektive Prognose ist indes kaum möglich.323 Auch kann die Bestimmung der Gefahr, die der Täter mit der ersten Handlung für das Rechtsgut schafft, kaum davon abhängig sein, was der Täter nach Ausführung der Tat mit dem Opfer vorhat. Die Gefahr, bei der Entsorgung ums Leben zu kommen, ist eine Gefahr, die nicht der ersten Handlung anhaftet, sondern der zweiten. Schließlich scheint es wenig hilfreich, auf die konkret begründete Todesgefahr (Tod durch Ersticken bzw. Ertrinken) abzustellen. Dies zeigt eine Fallabwandlung, bei der der Täter vorsätzlich auf das Opfer schießt, welches zusammenbricht. Löst sich nun aufgrund einer Unachtsamkeit ein zweiter Schuss des Täters, der das Opfer tödlich trifft, so verwirklicht sich die Gefahr, an einer Schusswunde zu sterben. Genau diese Gefahr hat der Täter aber auch durch den ersten Akt geschaffen. Die auf den ersten Blick griffige Abgrenzung nach der konkreten Todesart hilft hier nicht weiter. Insgesamt zeigt sich, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung sich schwer damit tut, die Frage nach dem Zurechnungszusammenhang zufriedenstellend zu beantworten. c) Die subjektive Zurechenbarkeit des Erfolges Der Jauchegrubenfall wird daher überwiegend auch unter dem Aspekt der subjektiven Zurechnung systematisiert. (1) Die Lehre vom dolus generalis Die 1825 von Heinrich Benedikt von Weber324 begründete Lehre vom dolus generalis betrachtet die beiden Handlungen als einen einheitlichen Lebensvorgang mit einem das ganze Geschehen überspannenden „generellen“ Vorsatz mit der Folge, dass das Verbergen der Leiche als vorsätzliche Tötungshandlung eingestuft wurde.325 Der Vorsatz, den der Täter bei Vornahme des ersten Akts hat, wird 322 Hruschka, Strafrecht, 1988, S. 25 ff.; Reuter, dolus generalis, 1949, S. 37 ff., 68 f., 73; so i. E. auch Rudolph, Korrespondenzprinzip, 2006, S. 130, der bei Zugrundelegung der exante – Perspektive annimmt, dass der Täter zwei Gefahren für sein Opfer geschaffen habe – eine durch das „Würgen“, die andere durch das „Ertränken“, wobei sich ex-post betrachtet nur die letztere, fahrlässig geschaffene verwirklicht habe. 323 Ähnlich Frisch, Zurechnung, 1988, S. 465. 324 v. Weber, NArchCrimR 7 (1825), S. 549, 565, 576 ff.
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also auf den zweiten Akt erstreckt, so dass trotz zwischenzeitlicher Fehlvorstellung des Täters eine einzige, vollendete vorsätzliche Tat vorliegt. Diese Auffassung lässt sich nur geschichtlich verstehen: vor dem Durchbruch der modernen Vorsatzlehre gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Vorliegen des dolus regelmäßig über objektive Indizien ermittelt, wobei Folgeschäden im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung regelmäßig als vorsätzlich erachtet wurden. Dieser Folgeschäden umfassende Vorsatz wurde als „dolus indirectus“ bezeichnet. Die Konstruktion wurde jedoch mit Entwicklung der modernen Vorsatzlehre zunehmend fragwürdig, da der Täter nach neuem Verständnis nur dann wegen einer vorsätzlichen Tat sollte bestraft werden können, wenn er durch sein Tun gerade den wirklich eingetretenen Erfolg bewusst herbeigeführt hatte. Die neue Lehre zeitigte damit die Konsequenz, dass auch derjenige nicht als vorsätzlicher Täter angesehen werden sollte, der die Tötung zwar gewollt, sie aber erst durch ein der vorsätzlichen Tötungshandlung nachfolgendes unbewusstes Tun herbeigeführt hatte.326 Solche Fälle waren nach der Lehre vom dolus indirectus ohne weiteres als vorsätzlich bewertet worden, konnten aber nun unter diesem Begriff ersichtlich nicht mehr gelöst werden. Offenbar entsprach dies nicht dem Rechtsempfinden, das insoweit noch dem dolus indirectus verhaftet war. Die Lehre vom dolus generalis wurde daher nicht zuletzt deshalb entwickelt, um gewisse Vorteile des dolus indirectus zu erhalten.327 Die Lehre vom dolus generalis verstößt jedoch gegen das in § 16 I 1 StGB zum Ausdruck kommende Koinzidenzprinzip, demzufolge der Täter „bei Begehung der Tat“ vorsätzlich handeln muss. Im Jauchegrubenfall lässt sich das Tatgeschehen jedoch – anders als im Blutrauschfall – nicht mehr als ein einheitlicher Lebensvorgang begreifen, da die Angeklagte bei Versenken der vermeintlichen Leiche subjektiv nicht mehr den Handlungsentschluss verfolgte, den sie bezüglich des Erstickungsversuchs gefasst hatte. Während sie das Opfer mittels des ersten Akts töten wollte, wollte sie mittels des zweiten Akts nur die vermeintliche Leiche beseitigen. Diese unterschiedliche Willensrichtung sprengt die Bewertung des Geschehens als ein einheitliches Gesamtgeschehen. Der zweite Akt beruht nicht auf einer bewussten und gewollten Entscheidung gegen das Rechtsgut „Leben“ und stellt daher keine vorsätzliche, sondern eine fahrlässige Willensäußerung dar. Aus Sicht des zweiten Akts handelt es sich bei dem ursprünglich gegebenen Vorsatz demnach um einen unbeachtlichen dolus antecedens.328 Infolge der massiven Kritik329 wird die Lehre vom dolus generalis heute nicht mehr vertreten.330 325 Vgl. zuletzt noch etwa Welzel, Strafrecht, 1969, S. 74; näher dazu Wolter, FS-Leferenz, 1983, S. 449 f. Überblick über weitere frühere Vertreter dieser Ansicht bei Maiwald, ZStW 78 (1966), S. 30, 31. 326 H. Mayer, JZ 1956, 109, 110. 327 Vgl. etwa Köstlin, Neue Revision, 1845, S. 263 ff. m. w. N. Dieser Lehre hat Geyer, GA 1865, 239, 313 ff. den Todesstoß versetzt. 328 Geyer, GA 1865, 239, 241. Vgl. auch Hruschka, JuS 1982, 317, 318, der darauf hinweist, dass der dolus antecedens deshalb kein Vorsatz ist, weil er der Tatbestandserfüllung vorausgeht.
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(2) Die unwesentliche Abweichung im Kausalverlauf Damit hat sich die Würdigung einer solchen Tat als „vollendeter Totschlag“ aber auch nach derzeit h. M.331 nicht erledigt. Der BGH hat in seiner Entscheidung zwar die Zurechnungsfigur des dolus generalis verworfen, den Schuldspruch des Tatgerichts aber bestätigt. Die Begründung lautet denkbar einfach: als die Angeklagte ihrem Opfer Sand in den Mund stopfte, habe sie mit Tötungsvorsatz gehandelt. Diese Handlung war mittelbar erfolgsursächlich im Sinne der Äquivalenztheorie, da es ohne sie nicht zu der weiteren Handlung des Versenkens gekommen wäre. Die Erfolgszurechnung dürfe daher an dem ersten Akt des Geschehens anknüpfen, soweit der tatsächliche Kausalverlauf nicht wesentlich von dem abweiche, was die Angeklagte sich vorgestellt habe.332 Eine unwesentliche Abweichung wie im vorliegenden Fall sei dagegen unschädlich, da sich ein Kausalverlauf nie in allen Einzelheiten vorhersehen lasse. Diese Argumentation ist es, die auch im Blutrauschfall angewandt wurde, um zur Vollendungsstrafbarkeit zu gelangen.333 Roxin möchte diesen grundsätzlich von ihm geteilten Ansatz der h. M. einschränken: nach der von ihm begründeten Planverwirklichungslehre soll eine Erfolgszurechnung nur dann in Betracht kommen, wenn „der Täter bei der Ersthandlung die Absicht hatte, sein Opfer zu töten.“334 Gelinge ihm dies nun schlussendlich, so habe der Täter – wie hier – erreicht, was er wollte, so dass eine für den Vorsatz unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf anzunehmen sei. Habe er dagegen nur mit dolus eventualis hinsichtlich der Erfolgsherbeiführung gehandelt, stelle die Erfolgsbewirkung eine wesentliche Abweichung dar, weil der Täter diesen Ablauf nicht geplant, sondern „nur wohl oder übel in Kauf“ genommen habe.335 (3) Der Ausschluss der Vorsatzzurechnung Eine im Vordringen befindliche Literaturauffassung lehnt dagegen die Vorsatzzurechnung im Falle mehraktiger Geschehensabläufe grundsätzlich ab, da der VorInsbesondere Geyer, GA 1865, 239, 313 ff. Gleichwohl wird der Begriff immer noch schlagwortartig zur Kennzeichnung der vorliegenden Konstellation verwandt. 331 Überblick bei Roxin, FS-Würtenberger, 1977, S. 110 ff., der hierin logisch „eine vollkommen einwandfreie Konstruktion“ sieht und den Täter der Zweithandlung ohne nähere Begründung als blinden Kausalfaktor abtut. Vgl. auch Jescheck / Weigend, AT. S. 314; Wessels / Beulke, AT, Rn. 265; Sch / Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 58. 332 Driendl, GA 1986, 253, 262 ff. stellt diesbezüglich auf die Prognostizierbarkeit des Geschehensverlaufes ab. 333 Ablehnend LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 31, der allein auf die Erfolgstauglichkeit der Ersthandlung abstellt, an der es im Jauchegrubenfall gefehlt habe. 334 Roxin, FS-Würtenberger, 1977, S. 120. 335 Roxin, AT I, § 12, Rn. 177. 329 330
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satz bei Vornahme der Sekundärhandlung erloschen sei und daher nur ein versuchter Totschlag sowie realkonkurrierend eine fahrlässige Tötung anzunehmen seien.336
d) Die Lösung über die Täterlehre Jäger337 löst auch diesen Fall mehraktiger Erfolgsbewirkung unter Rückgriff auf die Täterlehre: gem. § 25 I Alt. 1 StGB könne nur als Täter bestraft werden, wer die Tat „begehe“. Die Ersthandlung stelle aber nur die täterschaftliche Begehung eines Versuchs, nicht aber einer Vollendung dar. Die Vollendung sei durch die Ersthandlung nur verursacht worden. Eine solche „Verursachung eigener Begehung“ könne angesichts des im Vorsatzbereich geltenden restriktiven Täterbegriffs nicht mit der „eigenen Begehung“ gleichgesetzt werden. Hierüber könne auch nicht der Gedanke des § 25 I Alt. 2 StGB hinweghelfen, der etwa bei der actio libera in causa herangezogen werde, wenn sich der Täter selbst zum Werkzeug der Vollendung seines Versuchs macht: In den Fällen des vorsätzlichen Vorverschuldens plane der Täter nämlich seinen Defekt, handele also in der Absicht, sich selbst zum Werkzeug einzusetzen. Hieran fehle es im Jauchegrubenfall ersichtlich, weil die Angeklagte keinen Willen zur Erzeugung ihres Irrtums hatte.
4. Stellungnahme Im Ergebnis verdient die Ansicht Jägers sowie die eine Vorsatzzurechnung verneinende Auffassung Zustimmung. Die Lösung über die bloß unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf greift nämlich letztlich auf die Grundlagen der dolus generalis-Konstruktion zurück und kleidet diese in ein neues Gewand.338 Dies zeigt sich darin, dass der BGH – wie die Lehre vom dolus generalis – davon ausgeht, dass ein einheitliches Geschehen vorliegt. Zwar stellt der BGH die Zweithandlung nicht als vorsätzlich dar, er erachtet aber ihre Unvorsätzlichkeit angesichts des „Anfangsvorsatzes“ für unmaßgeblich und betrachtet die zum Erfolg führenden Akte als eine Handlungs- und Sinneinheit. Richtig ist zwar, dass beide Akte im Erfolg äquivalent kausal geworden sind, was den BGH zu der Annahme verleitet, es handele sich lediglich um eine Ab336 Vgl. etwa Freund, AT, § 7, Rn. 143; Engisch, Vorsatz, 1930, S. 72; Maurach / Zipf, AT I, § 23, Rn. 33 ff.; NK-Puppe, § 16, Rn. 102 ff.; Schlehofer, Vorsatz, 1996, S. 177; i. E. auch Herzberg, ZStW 85 (1973), S. 888, der das Wissensmoment um die Erfolgsherbeiführung zum Zeitpunkt der Zweithandlung verneint. Ähnlich auch Hruschka, JuS 1982, 317, demzufolge sich das Geschehen im Jauchegrubenfall nicht mehr als Handlungs- und Sinneinheit verstehen lässt. Der Irrtum über das Tatobjekt wird als Zäsur im Geschehensablauf verstanden, deren Überbrückung einen verkappten Rückgriff auf die dolus generalis- Lehre darstelle und gegen das Simultaneitätsprinzip verstoße. 337 Jäger, F.-C. Schroeder, 2006, S. 241, 253 ff. 338 Hruschka, JuS 1982, 317, 320.
§ 4 Die Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens
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weichungsfrage. Das Abstellen auf die Ersthandlung führt aber dazu, dass der BGH letztlich einem kausalen Täterbegriff verfällt, mit dem die h. L. seit langem gebrochen hat: das tatbestandliche Unrecht erschöpft sich nicht im bloßen Kausieren eines Erfolgs durch den Täter, sondern besteht gerade darin, dass die Tat als sein persönliches Unrechttun begriffen werden muss.339 Ganz zu recht hat Maiwald daher zur Lösung der vorliegenden Konstellation auf den Grundgedanken der Zurechnungslehre überhaupt zurückgegriffen: „Zurechnungssubjekt ist der Mensch, wenn und soweit er verantwortlich handelt. . . Wann immer sich der Mensch aber entscheidet, ist er Zurechnungssubjekt. Die Frage der Zurechnung ist damit punktuell immer von neuem zu stellen. Erweist sich im konkreten Fall, dass eine bestimmte Gestaltung der Außenwelt Ergebnis verantwortlichen Handelns ist . . . , so kann nicht ein Abschnitt davon bei der rechtlichen Betrachtung außer Acht gelassen werden, weil ein vorangegangener Abschnitt gleichsam schon ein genügendes Maß an Schuld hat zutage treten lassen.“340 Die Erfolgszurechnung setzt also grundsätzlich bei der letzten strafrechtlich relevanten Willensäußerung an. Als eine solche kommt nur eine Willensäußerung in Betracht, die frei und erfolgsursächlich ist. Fehlt es hieran, ist ein Rückgriff auf die vorausgehende Willensäußerung prinzipiell zulässig, sofern diese sich bereits als Begehung der Tat qualifizieren lässt.341 Im Jauchegrubenfall wurde die Zweithandlung aber gerade freiverantwortlich vorgenommen: das Versenken des vermeintlich toten Opfers stellt eine fahrlässige Tötung und somit nicht nur eine vorrechtliche Handlung, sondern gerade eine Handlung im strafrechtlichen Sinne dar. Trotz des vorsatzausschließenden Irrtums ist diese Handlung eine rechtlich freie,342 wie der Strafvorwurf des § 222 StGB zeigt.343 Der BGH behandelt den zweiten Akt jedoch wie eine rein mechanische Wirkung der ersten Handlung und setzt ihn damit einem bloßen Kausalverlauf gleich.344 Das geht hier aber angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem zweiten Akt um eine freie Willensäußerung des Täters handelt, gerade nicht. Genau hierin liegt der Unterschied zum Blutrauschfall, wo die Zweithandlung im Zustand der Unfreiheit vorgenommen wurde und es also an einer Urheberschaft hinsichtlich dieser Handlung fehlte. Im Jauchegrubenfall ist hingegen die ZweitHettinger, FS-Spendel, 1992, S. 237, 243 m. w. N. Maiwald, ZStW 78 (1966), 54. 341 Driendl, GA 1986, 253, 259 wirft Maiwald vor, er zerlege ein einheitliches Handlungsgeschehen doktrinär künstlich in eine Vielzahl von Entscheidungen. Dem ist aber nicht so, da als eine Willensäußerung auch eine auf einem Entschluss beruhende Mehrzahl natürlicher Handlungen beruhen kann, welche sich konkurrenzrechtlich als Handlungseinheit verstehen lässt. Dazu bereits oben Kap. 2, § 4 I. 2. 342 H. Mayer, JZ 1956, 109, 110. 343 Dass es gleichwohl eine mittelbare Täterschaft unter Einsatz eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs gibt, erklärt sich daraus, dass dieses im Verhältnis zum Hintermann unfrei ist. Das ändert aber nichts daran, dass das Werkzeug – für sich betrachtet – frei handelt. 344 Hruschka, JuS 1982, 317, 320. 339 340
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handlung als fahrlässige Willensäußerung Ausdruck der Urheberschaft der Angeklagten. Jäger verdeutlicht dieses Ergebnis an einer Abwandlung des Jauchegrubenfalls,345 der zufolge der Täter zunächst sein Opfer mit Tötungsvorsatz anschießt, das Opfer aber erst zu Tode kommt, weil der Täter das Opfer noch einmal – fahrlässig – anschießt. Ein ähnlicher Fall ist in der Rechtsprechung tatsächlich bereits entschieden worden.346 Während das Schwurgericht den Angeklagten in diesem Fall wegen versuchter Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung verurteilt hat, kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass eine vollendete Tötung i. S. v. § 212 StGB sowie eine fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB vorliege, welche jedoch gegenüber § 212 StGB als subsidiär zurücktrete. Als Begründung verweist der BGH darauf, dass letztlich beide Schüsse zu dem Erfolg geführt hätten. Wolter kritisiert ganz zu Recht an diesem Urteil, dass es die Problematik der mittelbaren Erfolgsbewirkung allein unter dem Aspekt der Kausalität beleuchtet, welche unproblematisch bestand.347 Kein Wort verliert der BGH hingegen zu dem normativen Zurechnungszusammenhang. Wolter wirft diesbezüglich die Frage auf, ob der Täter sich durch sein fahrlässiges Zweitverhalten gleichsam „selbst“ das Risiko des vollendeten Totschlags abgenommen habe und zieht eine Parallele zu anderen Konstellationen mehraktiger Erfolgsbewirkung, in denen etwa das Opfer selbst (z. B. durch „selbstmörderische Behinderung seiner Rettung) oder ein Dritter (z. B. ein Arzt durch einen groben Kunstfehler) nach einem vorsätzlichen Tötungsversuch ein Regressverbot auslöse. Eine solche Unterbrechung der objektiven Zurechenbarkeit verneint er zunächst unter dem Aspekt, dass hier nicht – wie im Falle des Zweitverhaltens durch Dritte – eine Umgestaltung der Ausgangsgefahr vorliege, sondern dieselbe Person die Gefahr schuldhaft verstärke.348 Im Ergebnis gelangt Wolter 345 Jäger, FS-F.C. Schroeder, 2006, S. 241, 252: Im Einzelnen schießt A mit einer Schrotflinte in Tötungsabsicht auf seine Frau B. B bricht blutüberströmt, aber wegen der Streuwirkung der Schrotladung keineswegs tödlich getroffen, zusammen. A, der nun selbst über seine Tat erschrocken ist und davon ausgeht, die B sei tot, tritt entsetzt an diese heran. In seiner Aufregung vergisst er dabei den zitternden Finger vom Abzug zu nehmen, so dass sich versehentlich ein zweiter Schuss löst, der die B tödlich ins Gesicht trifft. Jäger weist darauf hin, dass hier niemand vollendete Tötung annehmen würde, obwohl die Konstellation dem Jauchegrubenfall durchaus entspreche. Dies zeige, dass der Jauchegrubenfall möglicherweise nur deshalb als Vorsatztat begriffen werde, weil der Täter sich dort – anders als hier – innerlich nicht von seinem Vorsatz verabschiedet habe. Genau diesen Fall bildet auch Wolter, JR, 1994, 466, 469, der ebenfalls nur wegen Versuchs und Fahrlässigkeit bestrafen will. Jägers Argumentation zeigt, dass die h. M. im Jauchegrubenfall letztendlich einen fortwirkenden Vorsatz fingiert: In dem Moment, in dem die Angeklagte ihr Opfer versenkte, äußerte sich ihr Wille als Ausdruck einer fahrlässigen – nicht einer vorsätzlich handelnden – Persönlichkeit. Daran ändert sich auch nichts, wenn man (im Sinne des früheren dolus generalis) argumentiert, die Angeklagte habe töten wollen und dies sei ihr im Ergebnis ja auch gelungen. 346 BGH JR 1994, 466 ff. m. Anm. Wolter. 347 Insoweit besteht freilich ein Unterschied zu dem von Jäger, FS-F.C. Schroeder, 2006, S. 241, 252 gebildeten Beispiel, wo die Ersthandlung als solche nicht zur Tötung geeignet war. 348 Wolter, JR 1994, 468, 469.
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jedoch zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs, da es am Unmittelbarkeitszusammenhang349 zwischen Erst- und Zweitrisiko fehle: Letzteres müsse typischerweise in der vorsätzlich ins Werk gesetzten Ausgangsgefahr mitangelegt sein und „in Ausübung der Ersthandlung“, nicht nur bei „Gelegenheit“ der Vorsatztat eintreten. Hieran fehle es in dem vom BGH entschiedenen Fall, denn der zweite Schuss mit seinen Risiken sei nicht typischerweise in dem ersten Schuss und seinen Risiken mitangelegt.350 Folglich sei der Angeklagte nur wegen versuchten Totschlags in Tatmehrheit mit fahrlässiger Tötung zu bestrafen. Für dieses Ergebnis spricht, dass der Erfolg letztlich erst durch den Akt herbeigeführt wurde, der sich als eine fahrlässige Willensäußerung darstellte. Alle vorhergehenden Willensäußerungen scheiden damit als Anknüpfungspunkt der Erfolgszurechnung aus, da die Urheberschaft im Zeitpunkt der Zweithandlung ein Regressverbot statuiert.
5. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Vorverschuldensfällen Der Jauchegrubenfall zeigt Ähnlichkeiten mit der actio dolosa in causa: in beiden Fällen folgen erst ein vorsätzlicher, dann ein fahrlässiger Akt aufeinander. Wie Jäger allerdings schon zutreffend festgestellt hat, handelt der Täter in den Fällen des vorsätzlichen Vorverschuldens vorsätzlich in Bezug auf die Defektherbeiführung.351 Die Angeklagte handelte im Jauchegrubenfall jedoch nicht willentlich in Bezug auf die Entstehung ihres Irrtums. Im Übrigen sind die Konstellationen einander jedoch verwandt, so dass es nahe liegt, auch im Falle der actio dolosa in causa bei Vorliegen einer strafrechtlich relevanten fahrlässigen Willensäußerung ein Regressverbot anzunehmen.352
III. Zusammenfassung Die Fälle der Verursachung eigenen rechtsgutsverletzenden Verhaltens haben gezeigt, dass es keine pauschale Antwort darauf gibt, ob die Erfolgszurechnung ausschließlich am unmittelbar zum Erfolge führenden Akt anknüpfen darf. Vielmehr ist zu differenzieren: stellt die Zweithandlung eine (strafrechtlich relevante) 349 Wolter, JR 1994, 468, 469 f. nimmt mit dem Kriterium des Unmittelbarkeitszusammenhangs expressis verbis eine Anleihe bei den erfolgsqualifizierten Delikten vor. 350 Das Unmittelbarkeitskriterium versteht Wolter scheinbar i.S. einer akut gesteigerten Adäquanz. Wann diese gegeben ist, insbesondere ob die Folge noch typischerweise durch das Erstverhalten mit ausgelöst wurde, wird indes nicht immer leicht zu beantworten sein, wie man nicht zuletzt am Jauchegrubenfall sieht. 351 Jäger, FS-F.-C. Schroeder, 2006, S. 241, 254. 352 Näher dazu unten Kap. 3, § 1 II. 4.
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freie, erfolgsursächliche Willensäußerung dar, so begründet dies Urheberschaft mit der Folge, dass ein Regressverbot hinsichtlich aller vorausgehenden Akte besteht.353 Fehlt es hingegen an einer freien, erfolgsursächlichen Willensäußerung, so begründet die Zweithandlung keine Urheberschaft mit der Folge, dass kein Regressverbot besteht. Die Erfolgszurechnung kann solchenfalls prinzipiell an der Ersthandlung ansetzen, sofern diese sich als „Begehung der Tat“ darstellt. Der Begriff der „Tatbegehung“ umfasst dabei auch die „Begehung der versuchten Tat“, nicht aber bloße Vorbereitungshandlungen. Diese Systematik, welche strafrechtliche Zurechnung als „Zurechnung zum freien Willen“ versteht, steht im Einklang mit § 26 StGB, der im Falle einer freien Willensäußerung ein Regressverbot aufstellt. Darüber hinaus erklärt sich diese Konzeption aus der mittelbaren Täterschaft gem. § 25 I Alt. 2 StGB, für die das Handeln durch ein (zumindest relativ) unfreies Werkzeug charakteristisch ist.354 Dass die genannten Normen sich auf eine Personenmehrheit beziehen, ist unschädlich, da der Urheberbegriff grundsätzlich nicht von der Zahl der Beteiligten abhängt. Eine Besonderheit zeigt sich nur im Falle der mittelbaren Täterschaft unter Einsatz eines unvorsätzlichen Werkzeugs: dort ist nicht nur das Werkzeug Urheber (seiner fahrlässig begangenen Tat), sondern der Hintermann ist zudem Urheber des entsprechenden Vorsatzdelikts, weil das Werkzeug im Verhältnis zu ihm unfrei ist, so dass insofern eine Regressmöglichkeit besteht.
So liegt es im Jauchegrubenfall. H. Mayer, JZ 1956, 109, 111 setzt die Handlung des Werkzeugs daher grundsätzlich mit der Äußerung einer Naturkraft gleich. 353 354
Kapitel 3
Übertragung auf die Fälle vorsätzlichen Vorverschuldens § 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB Die Untersuchungen zur Zurechnungsstruktur der §§ 25 ff. StGB haben gezeigt, dass die täterschaftliche Erfolgszurechnung grundsätzlich an derjenigen Willensäußerung anknüpft, die in der zum Erfolg führenden Ursachenkette das letzte Glied bildet. Die Zurechnung des Erfolges kann an frühere Akte prinzipiell nicht anschließen, es sei denn, die unmittelbar zum Erfolg führende Handlung stellt sich als unfrei dar und es sind die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft gegeben oder es handelt sich um eine Unterlassungshaftung des Beschützergaranten. Diese Ergebnisse beziehen sich freilich auf die Erfolgsbewirkung durch mehrere Personen, wovon in den Vorverschuldensfällen keine Rede sein kann. Ausweislich des klaren Wortlauts der Norm können die Fälle, in denen der Täter „durch sich selbst“ den Erfolg herbeiführt, daher nicht unter § 25 I Alt. 2 StGB fallen. Als täterschaftsbegründende Norm kommt damit allein § 25 I Alt. 1 StGB in Betracht. Die Erfolgszurechnung kann demnach nicht auf eine „Anleihe“ bei der mittelbaren Täterschaft in Gestalt des § 25 I Alt. 2 StGB gestützt werden. Diese ist nämlich gerade dadurch gekennzeichnet, dass bei der Erfolgsbewirkung mittels des Werkzeugs durchaus aktuelle Tatherrschaft – lediglich gespalten auf zwei Personen – ausgeübt wird: der Vordermann hat die Handlungsherrschaft inne, der Hintermann lenkt das Geschehen kraft seines überlegenen Willens. In den Vorverschuldensfällen kann jedoch – wie bereits angesprochen wurde1 und nachstehend vertieft werden soll – von einer vergleichbaren Situation keine Rede sein. Die Erfolgszurechnung in den Vorverschuldensfällen bedarf daher einer eigenständigen Begründung, deren Entwicklung sich das gegenwärtige Kapitel widmet. Dabei soll die Anwendung von § 25 I Alt. 1 StGB nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vorverschuldensfälle als eine Form mittelbarer Tatbegehung zu verstehen sind. Dass der Gesetzgeber diese Form der Tatbegehung nicht eigens normiert hat, dürfte daran liegen, dass selbstverständlich auch derjenige eine Tat „selbst“ begeht, der sie „durch sich selbst“ verwirklicht. Dies dürfte spätestens die insoweit ganz einhellige Lösung des Blutrauschfalls gelehrt haben. 1
Hierzu bereits oben Kap. 2, § 2 I. 4.
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¨ bertragung auf die Fa¨lle vorsa¨tzlichen Vorverschuldens Kap. 3: U
I. Täterschaft und aktuelle Tatherrschaft Problematisch an der Anwendung von § 25 I Alt. 1 StGB erscheint freilich, dass auch hier nach überkommener Auffassung Täterschaft aktuelle Tatherrschaft zum Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung voraussetzt. Bei der mittelbaren Täterschaft wird Tatherrschaft verstanden als Ausübung von Willensherrschaft über ein Werkzeug, dass seinerseits Handlungsherrschaft innehat. Beide Komponenten des Tatherrschaftsbegriffs können auf die unmittelbare Täterschaft übertragen werden, allerdings spaltet sich die Tatherrschaft dort nicht, sondern eine Person allein übt die Handlungs- und Willensherrschaft über das Geschehen aus. Dies ist an sich eine Selbstverständlichkeit, denn der Wille allein kann als bloßes „internum“ noch keine Erfolgsbewirkung darstellen, während eine Handlung, die nicht final durch den freien Willen auf den Erfolg hin ausgerichtet wurde, nicht als Persönlichkeitsäußerung i. S. einer Vorsatztat verstanden werden kann. In den Vorverschuldensfällen fehlt es aber bei Vornahme der Defekthandlung entweder bereits an der Handlungsherrschaft (so bei der omissio libera in causa) oder jedenfalls der Willensherrschaft (so bei der actio libera in causa). Allein in den Fällen der actio illicita in causa kommt ein Zusammentreffen von Handlungs- und Willensherrschaft in Betracht. Der Notwehrprovokateur weiß nämlich immerhin genau, was er tut bzw. getan hat und handelt also frei von Irrtümern. Dass faktisch seine Handlungsmöglichkeiten aufgrund der von ihm provozierten Notwehrlage beschränkt sind auf schlimmstenfalls zwei Alternativen, nämlich Abwehr und Nichtabwehr des Angriffs, schließt nicht seine grundsätzliche Handlungsherrschaft aus: Handlungsherrschaft bedeutet nur, dass der Täter ein Geschehen überhaupt mitgestalten kann, nicht aber, dass er es allein dominiert. Dies zeigt das Beispiel einer Schlägerei, an der vier Personen beteiligt sind; zwei gleichstarke, ein wesentlich schwächerer sowie ein erheblich kräftigerer Gegner. Hier würde niemand auf die Idee kommen, allein dem voraussichtlichen Sieger die Handlungsherrschaft zuzusprechen. Die Beschränkung der zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen berührt also die Handlungsherrschaft des Notwehrprovokateurs nicht. Allerdings könnte sich der Umstand, dass der Provokateur sich einer Angriffssituation ausgesetzt sieht, unter dem Aspekt der Nötigung auf die Willensfreiheit und damit die Willensherrschaft auswirken. Maßgeblich hierfür ist, bis zu welchem Nötigungsdruck noch von einer freien Willensäußerung des Handelnden die Rede sein kann. Die Antwort hierauf lässt sich dem Gesetz entnehmen: der Gesetzgeber entlastet im Rahmen der mittelbaren Täterschaft den unmittelbar Handelnden um des vom Hintermann ausgeübten Druckes willen von der Verantwortung, wenn die Voraussetzungen des § 35 StGB gegeben sind. Ein Handeln unterhalb dieser Schwelle wird demnach grundsätzlich als freie Willensäußerung des Täters erachtet,2 die bei Eingreifen eines Erlaubnissatzes oftmals nur aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht sanktioniert wird. 2
LK-Roxin m. w. N., 11. Auflage, § 25, Rn. 61 ff.
§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB
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Dies verleitet zu der Annahme, dass der actio illicita in causa-Täter bei Nötigungen unterhalb der Schwelle des § 35 StGB stets willentlich frei handelt, also im Moment der Rechtsgutsverletzung die volle Herrschaft über sein Verhalten innehat. Eine solche Schlussfolgerung ist jedoch vorschnell: an einer freien Willensäußerung des Täters fehlt es nicht nur in den von § 35 StGB erfassten Fällen. Der entschuldigende Notstand gibt nur Auskunft über die Verantwortlichkeit des Handelnden bei Bestehen einer psychischen Notlage. Die Verantwortlichkeit des Täters kann aber auch aus anderen Gründen entfallen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn zugunsten des Handelnden ein Erlaubnissatz eingreift, der seinen Grund im gänzlichen Fehlen bzw. im Bestehen fremder Verantwortung hat. Existiert ein derartiges Verantwortungsdefizit auf Täterseite, so stellt sich die Frage, ob dies die Tatherrschaft des Handelnden berührt. Wäre das der Fall, so würde sich die actio illicita in causa unter dem Gesichtspunkt des Tatherrschaftsverlusts nämlich der actio vel omissio libera in causa annähern. Hierauf soll im Zusammenhang mit der Struktur der einzelnen Erlaubnissätze noch näher eingegangen werden.3 Einstweilen bleibt festzuhalten, dass die täterschaftliche Erfolgszurechnung über § 25 I Alt. 1 StGB jedenfalls bei der actio vel omisio libera in causa nicht mit der Ausübung aktueller Tatherrschaft begründet werden kann. Bei Vornahme des unmittelbar rechtsgutsverletzenden Aktes fehlt es nämlich gerade an der Handlungsbzw. Willensherrschaft. Die Defekthandlung ist unfrei. Allerdings eröffnet dieser Mangel die Möglichkeit eines Regresses auf den zeitlich vorausliegenden Akt.
II. Täterschaft ohne aktuelle Tatherrschaft Eine derartige Durchgriffsmöglichkeit auf bloß mittelbar zum Erfolg führende Akte wirft aber gerade in den Vorverschuldensfällen die Frage auf, ob Täterschaft möglich ist, wenn zum Zeitpunkt der unmittelbaren Tatbegehung die Tatherrschaft fehlt. An dieser Stelle ist es hilfreich, sich noch einmal der Konstellationen zu vergewärtigen, in denen die Tatherrschaft ebenfalls nicht bis zum Erfolgseintritt aufrecht erhalten wurde. 1. Das Bombenlegerbeispiel Zu nennen ist hier zunächst das klassische Bombenlegerbeispiel, bei dem der Täter eine Bombe programmiert, sich sodann vom Tatort entfernt, betrinkt und schlafen legt, noch bevor die Bombe zündet. Klar ist, dass der Täter hier bei Eintritt ins Versuchsstadium die vollständige Tatherrschaft über sich ausübte, diese aber noch vor Eintritt ins Vollendungsstadium wieder aufgegeben hat. Zwar stellt dieser Fall – so wenig wie die ihm verwandte omissio libera in causa – tatsächlich 3
Dazu nachfolgend Kap. 3, § 2 II. 3.
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¨ bertragung auf die Fa¨lle vorsa¨tzlichen Vorverschuldens Kap. 3: U
einen Regress dar, denn es fehlt ja gerade an einer zweiten Handlung. Diese Besonderheit hat aber nur zur Folge, dass die Anwendung von § 25 I Alt. 1 StGB zwanglos möglich ist, denn es liegt ein Fall unmittelbarer Tatbegehung vor. Das eigentlich Interessante an dem Beispiel ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass eine Erfolgszurechnung auch an eine in der Vergangenheit liegende Tatherrschaft anknüpfen kann, wenn der Täter selbst diese im Stadium zwischen Versuch und noch vor Vollendung beseitigt hat, sofern es nur in der Folge tatsächlich zum Erfolgseintritt kommt. 2. Der Blutrauschfall Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch der Blutrauschfall. Auch hier handelt es sich um eine zumindest zweifelhafte Regresskonstellation, sofern man – wie nach der hier vertretenen Auffassung – die einander unmittelbar folgenden Messerstiche tatbestandlich zu einer Handlung zusammenfasst. Eine derartige Betrachtung des Geschehens bleibt jedoch immer normativ und ändert nichts daran, dass faktisch mehrere von einem natürlichen Handlungswillen getragene Einzelakte vorliegen, so dass hier – anders als im Bombenlegerfall – durchaus die Rede von einer faktisch mittelbaren Erfolgsbewirkung sein kann. Bemerkenswert an der ganz einhelligen Lösung des Blutrauschfalls ist, dass auch hier die Erfolgszurechnung an den Akt anknüpft, der den Versuch der Tat einleitet, nämlich den ersten, mit voller Tatherrschaft ausgeführten Messerstich. Dass die Täterin danach aufgrund des schuldausschließenden Blutrauschs die Tatherrschaft über sich selbst verloren hat, wird im Hinblick auf die Erfolgszurechnung für unschädlich erachtet. Es zeigt sich also, dass die Tatherrschaft nicht bis zur Vollendung der Tat aufrechterhalten werden muss, selbst wenn – anders als im Bombenlegerbeispiel – noch weitere Akte des Täters erforderlich sind. Auch hier knüpft die Erfolgszurechnung an die Versuchshandlung an, welche freilich bereits ins Stadium der (Teil-)Tatbestandsverwirklichung vorgedrungen war. Hiervon kann bei dem Beispiel der Bombeninstallation mit Blick auf § 212 StGB noch keine Rede sein, denn die Programmierung und Installation der Bombe stellt zwar den Versuchsbeginn bezüglich des Tötungsdelikts dar, aber noch nicht dessen Teilverwirklichung. Dieser Unterschied zeigt jedoch nur, dass es nicht entscheidend auf das Versuchsstadium ankommt, sondern nur darauf, dass der Täter überhaupt ins Versuchsstadium eingetreten ist.
3. Die Unterlassungshaftung aus Ingerenz Auch die allseitig anerkannte Unterlassungshaftung aus Ingerenz kennt eine Täterschaft ohne Ausübung aktueller Tatherrschaft, zu deren Begründung ein Rückgriff auf die in der Vergangenheit liegende Beherrschung des Geschehens erfolgt.
§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB
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Als Beispiel diene folgender Fall: A erkennt auf der Heimfahrt von der Discothek am Straßenrand seinen Nebenbuhler B, den er mit Tötungsvorsatz anfährt. Als er aussteigt, bemerkt er, dass B zwar nicht tödlich verletzt, aber derart gehandicappt ist, dass er voraussichtlich aus eigener Kraft nicht schnell genug Hilfe erlangen kann und in der kalten Winternacht erfrieren wird, sofern sich niemand seiner annimmt. Dies ist dem A nur Recht, zumal er aufgrund eines spontanen Entschlusses die Gelegenheit ergreift und dem B seine Habe abnimmt. B erfriert tatsächlich einsam am Wegesrand. Hier kann das Unterlassen des A nicht als bloße Kehrseite seines vorangegangen Tuns gewertet werden, denn ursprünglich wollte der A durch das Überfahren des B Tötungsunrecht verwirklichen, während er nun durch das Unterlassen der Rettung aus Habgier sogar Mordunrecht begeht. Dem Unterlassen kommt daher eine eigenständige Bedeutung zu. Dies hat zur Folge, dass A sogar wegen Mordes durch Unterlassens zu bestrafen ist, weil er trotz seiner Möglichkeit zur Rettung nicht zugunsten des B eingeschritten ist. Hierzu wäre er aber aufgrund seines in der Vergangenheit liegenden Tuns verpflichtet gewesen. Die in der Vergangenheit liegende Tatherrschaft hinsichtlich des Anfahrens wird also aufgegriffen, um eine Pflichtenstellung des A zu begründen. Die Unterlassungshaftung aus Ingerenz ist demnach eine Haftung, bei der eine in der Vergangenheit liegende aktuelle Tatherrschaft indirekt zum Anknüpfungspunkt der Erfolgszurechnung gemacht wird, obwohl sich die aktuelle Tatherrschaft zwischen Versuch und Vollendung der Tat durch Nichtergreifen weiterer Tatherrschaft zu einer bloß potentiellen Tatherrschaft verdünnt hat. Allerdings bleibt Tathandlung des Delikts hier der Zweitakt, also das Unterlassen. Die Unterlassungshaftung aus Ingerenz liefert demnach ein weiteres Beispiel dafür, dass es Täterschaft ohne Bestehen aktueller Tatherrschaft gibt. Zwar liegt dies auch an der besonderen Struktur des Unterlassungsdelikts, welches in erster Linie dem Gedanken der Pflichtenstellung und nicht dem der aktuellen Tatherrschaft verbunden ist: der Unterlassende übt ja gerade keine Tatherrschaft aus. Wie das Beispiel zeigt, können aber durchaus Erwägungen hinsichtlich der vergangenen Tatherrschaft in die Unterlassungshaftung hineinspielen.
4. Sonderfall: der Jauchegrubenfall Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang schließlich der Jauchegrubenfall, denn auch hier hat der Täter bei Vornahme der Primärhandlung volle Tatherrschaft, die sich allerdings bei Versenkung der vermeintlichen Leiche in die Grube aufgrund des Tatbestandsirrtums über das Merkmal „Mensch“ bereits auf die bloß potentielle Tatherrschaft des Fahrlässigkeitsdelikts reduziert hat. Rein konstruktiv kann auch hier von einem Verlust finaler Tatherrschaft zwischen Versuch und Vollendung der Tötung die Rede sein.
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Gleichwohl kommt eine Anknüpfung der Erfolgszurechnung an den vorsätzlichen ersten Akt nicht in Betracht, denn § 16 I 2 StGB führt hinsichtlich des zweiten Akts bereits zu einer Bestrafung aus dem fahrlässigen Erfolgsdelikt. Die Besonderheit der Konstellation liegt darin, dass die fahrlässige Tatbegehung trotz des offensichtlichen Mangels an aktueller Tatherrschaft als prinzipiell freie Tat verstanden wird. Die fahrlässige Täterschaft baut nämlich in Bezug auf den Erfolg nicht auf finaler Tatherrschaft auf, sondern sie gründet diesbezüglich auf die Existenz einer potentiellen Tatherrschaft.4 Diese besteht, sofern der Täter nur die Möglichkeit hatte, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufzubringen. Hierin liegt ein ganz wesentlicher Unterschied gegenüber der vorsätzlichen actio libera in causa: selbst wenn der Täter dort theoretisch durchaus noch die Möglichkeit hat, im Zustand der Trunkenheit seinen Tatentschluss aufzugeben und sich etwa mit dem Opfer zu verbrüdern, ändert das doch nichts an seiner einmal eingetretenen Unfreiheit i. S. v. § 20 StGB. Auch wenn der Täter sich normgemäß verhielte, würde dies vom Gesetz im Rahmen von § 20 StGB als Zufälligkeit, nicht als freier Entschluss gewertet. Dass die fahrlässige Tat dagegen selbst dann als frei angesehen wird, wenn sie auf einem Irrtum beruht, liegt daran, dass sich im Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gerade ein freier Wille äußert, nämlich der Wille des nachlässig Handelnden. Dass auch solche Willensäußerungen strafbar sein sollen, ist dem Gesetz angesichts der Vertypung der Fahrlässigkeit zu einer eigenen Form strafrechtlichen Handelns klar zu entnehmen. Damit scheidet ein Regress in Gestalt der actio dolosa in causa im Jauchegrubenfall aus, denn die fahrlässige Erfolgsbewirkung stellt keinen Fall unfreier Tatbegehung dar. Als Gegenargument lässt sich auch nicht anführen, dass es eine mittelbare Täterschaft unter Einsatz eines fahrlässig handelnden Werkzeugs gibt. Die Erfolgszurechnung zum Hintermann beruht nämlich nicht darauf, dass das Werkzeug für sich genommen strafrechtlich als unfrei angesehen würde – im Gegenteil wird der Fahrlässigkeitstäter bei Bestehen eines entsprechenden Delikts selbstverständlich bestraft. Die mittelbare Täterschaft gründet hier vielmehr auf der Willensherrschaft des Hintermanns kraft Irrtums; es gibt also im Zeitpunkt der Tatbegehung zwischen Werkzeug und Hintermann ein Verantwortungsgefälle. Nur deshalb wird das Werkzeug in Bezug auf den Hintermann als unfrei angesehen. Bei der actio dolosa in causa fehlt es indes an einem solchen Verantwortungsgefälle, denn in dem Zeitpunkt, in dem der Täter die vermeintliche Leiche versenkte, hatte er bezüglich seines Irrtums kein überlegenes Wissen. Der Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal kann nicht in einer Person zusammenfallen mit dem Wissen um den Irrtum. Insoweit schließen Vorsatz und Fahrlässigkeit einander aus.
4
Näher dazu unten Kap. 5, § 1.
§ 2 Die Tatherrschaft u¨ber den Ursprung der Tat
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5. Schlussfolgerung Die angeführten Beispiele haben gezeigt, dass Täterschaft nicht zwingend aktuelle Tatherrschaft voraussetzt. Vielmehr existieren verschiedene Konstellationen, in denen die Erfolgszurechnung auf eine in der Vergangenheit liegende tatsächliche Tatherrschaft aufbaut, welche aber zwischen Versuch und Vollendung der Tat entfallen ist. Diese Zurechnungskonzeption ist nicht mißzuverstehen als „Täterschaft ohne Tatherrschaft“, sondern als „Täterschaft ohne Fortbestehen aktueller Tatherrschaft bis ins Vollendungsstadium“. Welche Schlußfolgerungen sich hieraus für die Lösung der Vorverschuldensfälle ergeben, soll nachfolgend untersucht werden.
§ 2 Die Tatherrschaft über den Ursprung der Tat Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass die Tatherrschaft über das eigene Verhalten nicht bis zum Eintritt des Erfolgs aufrecht erhalten werden muss, so dass mit anderen Worten im Rahmen von § 25 I Alt. 1 StGB eine Täterschaft ohne Ausübung aktueller Tatherrschaft im Zeitpunkt des Erfolgseintritts möglich ist, wenn nur bei Beginn der Tat Tatherrschaft gegeben war. Die Tatherrschaft bezieht sich dabei – anders als bei der mittelbaren Täterschaft – nicht auf die Beherrschung fremden Verhaltens, sondern allein auf das Vermögen des Täters, sein eigenes Verhalten zu beherrschen. Im Folgenden sollen die einzelnen Voraussetzungen einer Zurechnung wegen Tatherrschaft über den Ursprung der Tat als Täterschaftsform i. S. v. § 25 I Alt. 1 StGB erschlossen werden.
I. Ursprüngliches Bestehen vollumfänglicher Tatherrschaft Wie bereits erläutert muss der Täter im Ursprung der Tat Tatherrschaft besessen haben, d. h. er muss die volle Willensherrschaft über die von ihm in diesem Stadium vorgenommene Handlung gehabt haben. Ist dies – etwa aufgrund einer psychischen Erkrankung i. S. v. § 20 StGB – zu keiner Zeit der Fall gewesen, scheidet eine Erfolgszurechnung in jedem Fall aus. Ebenso verhält es sich, wenn der Täter im Versuchsstadium aufgrund eines Irrtums davon ausgegangen ist, kein Unrecht zu verwirklichen. Sowohl bei der actio vel omissio libera in causa wie bei der actio illicita in causa übte der Täter in den genannten Beispielen zunächst Tatherrschaft über sein Verhalten aus. Entscheidend ist insoweit der Beginn des ersten Akts. Zwar tritt bei der durch Alkoholisierung herbeigeführten actio vel omissio libera in causa im Laufe des Sich-Betrinkens bereits eine Tatherrschaftslockerung ein, da der Täter ins Sta-
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dium verminderter Schuldfähigkeit hinübergleitet. Das hindert eine Anknüpfung an den Erstakt aber nicht, denn zunächst hat der Täter diesen im Vollbesitz seiner Tatherrschaft begonnen. Zudem ist die Lockerung der Tatherrschaft zwar ein Durchgangsstadium auf dem Weg zum Verlust der Tatherrschaft, aber nicht gleichbedeutend damit. Dies zeigt sich bereits daran, das § 21 StGB nur die Möglichkeit einer Strafmilderung vorsieht, woraus geschlossen werden kann, dass die mit der verminderten Schuldfähigkeit einhergehende Einschränkung der Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit noch nicht derart gravierend ist, dass von einer unfreien Handlung die Rede sein kann.
II. Die vorsätzliche Beseitigung bzw. Beeinträchtigung der Tatherrschaft Die Erfolgszurechnung setzt weiter voraus, dass der Täter seine ursprünglich vollumfängliche Tatherrschaft vorsätzlich beseitigt oder zumindest beinträchtigt hat. Der Vorsatz muss sich dabei sowohl auf die Beseitigung der Tatherrschaft als auch auf die spätere Defekttat beziehen, da andernfalls keine Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt möglich ist.
1. Das Bombenlegerbeispiel und die omissio libera in causa Kurz erwähnt seien hier noch einmal der Bombenlegerfall und die omissio libera in causa: beiden Fällen ist gemeinsam, dass der Täter durch das Betrinken und Schlafengehen seine Handlungs- und Willensherrschaft vernichtet hat. Er hat also seine Tatherrschaft vollumfänglich beseitigt. Im Bombenlegerfall ist der Täter allerdings ersichtlich ins Versuchsstadium gedrungen, was bei der omissio libera in causa – je nach Fallkonstellation – zweifelhaft erscheint. Die Ausführungen hierzu sollen jedoch der Klarheit halber erst im nächsten Schritt5 erfolgen, da einstweilen nur die Beseitigung der ursprünglichen Tatherrschaft in Rede steht.
2. Der Blutrauschfall und die actio libera in causa Im Blutrauschfall bzw. bei der actio libera in causa bleibt der Täter dagegen im Besitz seiner Handlungsherrschaft, verliert aber die Willensherrschaft und beeinträchtigt daher seine Tatherrschaft. Allerdings hatte die Täterin im Blutrauschfall keinen Vorsatz bezüglich der Defektherbeiführung, so dass insoweit die Parallele versagt. Dies ist aber hier eher nebensächlich, da es nicht darum geht, den Blutrauschfall als actio libera in causa werten zu wollen, sondern nur verwandte Züge 5
Dazu unten Kap. 3, § 2 III.
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zwischen beiden Fällen aufzuzeigen. So etwa waren in beiden Fällen bei natürlicher Betrachtungsweise nach dem ersten Akt noch weitere Akte des Täters erforderlich, um den Erfolg herbeizuführen. In beiden Fällen konnten diese Akte aufgrund des vorausgehenden Tatherrschaftsverlustes in Gestalt der Schuldunfähigkeit nicht mehr als freie Willensäußerung angesehen werden. Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass von einem Verlust der Tatherrschaft erst dann die Rede sein kann, wenn der Täter tatsächlich das Stadium der Schuldunfähigkeit erreicht hat. Solange er noch vermindert schuldfähig ist, liegt eine bloße Lockerung der Tatherrschaft vor.
3. Tatherrschaft und actio illicita in causa Zweifelhaft ist der Tatherrschaftsverlust bei der actio illicita in causa. Wie bereits gezeigt wird eine menschliche Handlung unter normativen Gesichtspunkten erst dann als unfrei angesehen, wenn sie in einer Nötigungs- / Notlage verübt wurde, welche vom psychischen Druck der in § 35 StGB normierten Notstandslage zumindest gleichkommt. Dies ist aber eher die Ausnahme. In aller Regel erreicht die Mehrzahl aller Nötigungslagen die Schwelle des § 35 StGB nicht, so dass in Bezug auf das bloße Bestehen einer Rechtfertigungssituation kein Verantwortungsausschluß unter dem Aspekt der psychischen Zwangslage in Betracht kommt. Gerechtfertigte Handlungen werden also regelmäßig nicht unter dem Gesichtspunkt der Unfreiheit qua Nötigung straflos gestellt werden. Dennoch wäre es vorschnell, die actio illicita in causa an dieser Stelle pauschal zu verwerfen. Die reine Argumentation anhand des § 35 StGB ist insoweit unvollständig. Zwar ist es richtig, dass aus der Norm geschlossen werden kann, dass Not- und Nötigungslagen unterhalb der Schwelle des § 35 StGB noch nicht zu einem normativen Verantwortungsausschluss führen. Allerdings kann ein Verantwortungsausschluss auch auf anderen Gründen basieren als auf einer unzumutbar starken psychischen Zwangslage. An dieser Stelle ist es wichtig, sich die verschiedenen Erlaubnissätze der Notwehr, Einwilligung, Pflichtenkollision, mutmaßlichen Einwilligung oder des Notstands noch einmal vor Augen zu führen. Einige dieser Erlaubnissätze sind nämlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet, wohingegen andere ihren Grund allein im Bestehen von Fremdverantwortung oder im gänzlichen Fehlen von Verantwortung tragen und insofern durchaus als Anknüpfungspunkt für einen Verantwortungsausschluss auf Täterseite in Betracht kommen. In diesen Fällen kommt die Möglichkeit einer Erfolgszurechnung zumindest in Frage, sofern der Täter durch das vorsätzlich herbeigeführte Eingreifen des Erlaubnissatzes seine ursprünglich bestehende Verantwortlichkeit für die Tat vernichtet hat. Dies ist nur der Fall, wenn der Verantwortungsausschluß die Tatherrschaft des Täters berührt.
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a) Das Verhältnis von Rechtfertigung und Verantwortungsausschluss In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, ob solche Erlaubnissätze, die ihren Grund allein in dem Ausschluss von Verantwortung tragen, wirklich als Rechtfertigungsgründe verstanden werden können. Wie bereits gezeigt findet ein Verantwortungsausschluß nämlich typischerweise auf Tatbestands- oder Schuldebene (§§ 20, 35 StGB) statt, wobei insbesondere der Verantwortungsausschluss aufgrund fremder Verantwortung in die Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit, also in den objektiven Tatbestand eingebettet wird.6 Die Rechtfertigungsgründe sind dagegen zumindest nach den sog. monistischen Theorien auf den Leitgedanken der Wertabwägung zurückzuführen,7 während die pluralistischen Theorien8 die Rechtfertigung nicht nur auf das Prinzip des „überwiegenden“, sondern auch des „mangelnden“ Interesses stützen. Hintergrund dieser Unterscheidung ist das Bestreben, die Einwilligung, die man nicht als Fall der Interessenkollision zu erklären vermochte, ins System der Rechtfertigung zu integrieren.9 Die Einwilligung stellt aber nach zunehmender und richtiger Ansicht in Wirklichkeit bereits einen Tatbestandsausschluss dar,10 so dass es eines zusätzlichen Prinzips des „mangelnden Interesses“ gar nicht bedarf. Unabhängig davon treffen sich monistische und dualistische Begründung der Rechtfertigung jedoch in dem Gedanken, dass alle Rechtfertigungsgründe die Regulierung kollidierender 6 Allerdings hat Puppe, JZ 1989, 728, 729 die Frage aufgeworfen, ob sich die Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit nicht auch auf der Rechtfertigungsebene nutzbar machen lasse. In diesem Zusammenhang bildet sie das Beispiel, dass ein Notwehrtäter das ihm mögliche und ex ante mildere Mittel übergeht und statt eines Warnschusses sogleich zur Trutzwehr greift. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass das vermeintlich mildere Mittel erfolglos geblieben wäre. In dieser Konstellation müsste an sich der Notwehrtäter mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung, welche sich aus ex ante-Sicht beurteilt, wegen § 212 StGB bestraft werden. Puppe tendiert hingegen zu einer Versuchsstrafbarkeit, da der Verzicht auf den Warnschuss ja keine Rechtsgüterverletzung zur Folge gehabt habe. Der Sache nach gründet diese Überlegung darauf, parallel zur Tatbestandsebene eine Art „rechtmäßigen Alternativverhaltens auf Rechtfertigungsebene“ einzuführen. Ähnlich auch Kuhlen, FS-Roxin, 2001, S. 331; Dreher, Objektive Erfolgszurechnung, 2003, S. 156 ff. Dieser Ansatz überzeugt insofern, als dass erst Tatbestand und Rechtswidrigkeit zusammen das Unrecht der Tat bilden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob es einer Fortbildung der Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit auf Rechtfertigungsebene zumindest in puncto „Fremdverantwortung“ überhaupt bedarf. Dies ist nicht der Fall, weil die Einwilligung bereits als Tatbestandsausschluss zu verstehen ist, vgl. hierzu näher unten Kap. 3, § 2 3. e). 7 Vgl. in diesem Sinne etwa Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, 1905, S. 48 f.; Sauer, Strafrecht, S. 56; Noll, ZStW 77 (1965), 1 ff.; Schmidhäuser, StuB AT 6 / 1, 5; Hirsch in: Rechtfertigung und Entschuldigung III, 1991, S. 27, 48; Rudolphi, GS-Kaufmann, 1989, S. 371, 378. 8 Mezger, Strafrecht, S. 204 ff.; Sch / Sch-Lenckner, vor § 32, Rn. 7. 9 Roxin, AT I, § 14, Rn. 40. 10 Roxin, AT I, § 13, Rn. 12 ff.; ders., JuS 1988, 425, 426; ders., GS-Noll, 1984, S. 275 f.; ders., ZStW 84 (1972), 993, 1001 f.; ders., ZStW 85 (1973), 76, 100 f.; ders., Offene Tatbestände, 1970, S. 129 f.; Niedermair, Einwilligung, 1999, S. 30, 101; Rudolphi, GS-Kaufmann, 1989, S. 371, 374 f.; Schünemann, GA 1985, 341, 353.
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Interessen bezwecken.11 Diesen Ansatz hat Jäger sich zu Nutze gemacht, um eine Differenzierung zwischen tatbestandsausschließenden Erlaubnissätzen einerseits und rechtfertigenden Erlaubnissätzen andererseits zu entwickeln: „Immer dann ist schon der Tatbestand negativ betroffen, wenn dem Täter die Verantwortung für den Erfolg nicht zugeschrieben werden kann, weil der Grund des Erlaubnissatzes allein in der Fremdverantwortung oder gar in einem gänzlichen Fehlen von Verantwortung liegt. Besteht der Grund der Erlaubnis dagegen (zumindest auch) in Verhältnismäßigkeitserwägungen, so genießt das Rechtsgut vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit weiter seinen rechtlichen Schutz, so dass die Erlaubnis nur die zweite Stufe der Rechtfertigung betreffen kann.“12 Angesichts dieser klaren Einteilung sollen nun die für das Vorverschulden relevanten Erlaubnissätze daraufhin überprüft werden, ob sie die Verantwortlichkeit des Täters tangieren oder nicht. Nur wenn ein Erlaubnissatz als Verantwortungsausschluss fungiert, stellt sich nämlich überhaupt die Frage der Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der eigenen Tatherrschaft.
b) Die Notwehr nach § 32 StGB Das geltende Notwehrrecht beruht nach h. M. auf zwei Prinzipien, dem des Individualschutzes und der Interessenabwehr.13 Liegt ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut vor, so darf der Verteidiger die erforderliche Abwehrmaßnahme ergreifen. Hierunter fällt bei Bestehen mehrerer gleich geeigneter Verteidigungsarten diejenige, die dem Angreifer den geringsten Schaden zufügt.14 Allerdings braucht sich der Angegriffene bei der Wahl des Mittels auf kein Risiko einzulassen. Die Erforderlichkeit der Verteidigung hängt auch nicht davon ab, dass der angerichtete Schaden im Vergleich zum abgewehrten Schaden verhältnismäßig ist. Im Rahmen der Erforderlichkeit kennt das Notwehrrecht also auf den ersten Blick keine Rechtsgüterabwägung. Hintergrund des Verzichts auf die Verhältnismäßigkeit ist dabei das Rechtsbewährungsprinzip,15 das dem Gedanken „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ Tribut zollt. Diese Ausgestaltung spricht auf den ersten Blick dafür, das Notwehrrecht als einen Erlaubnissatz zu klassifizieren, der dem Prinzip des Verantwortungsausschlusses verpflichtet ist. Von einem Ausgleich zwischen Angreifer- und Verteidigerinteresse kann nämlich insoweit keine Rede sein, als die betroffenen Rechtsgüter der Beteiligten zumindest in puncto Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung in keinerlei Verhältnis zueinander gesetzt werden. Vielmehr kommt in dem 11 12 13 14 15
Roxin, AT I, § 14, Rn. 41; Lenckner, GA 1985, 295. Jäger, Zurechnung, 2006, S. 18 f. Roxin, AT I, § 15, Rn. 1. BGH GA 1956, 49. Roxin, AT I, § 15, Rn. 47.
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auf das Rechtsbewährungsprinzip zurückzuführenden Verzicht auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Art vorweggenommener Abwägung zugunsten des Verteidigers zum Ausdruck, was die Schärfe des Notwehrrechts erklärt. Dies alles legt es nahe, die Notwehr als Verantwortungsausschluss einzustufen. Wohl als Erster gesehen hat diese Möglichkeit Jäger, der im Rahmen seiner Untersuchungen zum Verhältnis von Rechtfertigung und Tatbestandsausschluss die Frage aufwirft, ob der Verteidiger bei § 32 StGB von der Verantwortung für den Erfolg aufgrund Fremdzurechnung befreit wird.16 Hierfür spreche immerhin, dass die ganz h. M. bei bloßem fahrlässigen Provokationsverhalten eine Fahrlässigkeitsbestrafung auf der Grundlage der actio illicita in causa nicht zulässt und dies auf die Erwägung stützt, dass das Opfer der Provokation sich durch seinen Angriff selbst gefährde.17 Betrachtet man den Angriff aber als Selbstgefährdung, müsste die Notwehr in der Tat folgerichtig als Tatbestandsausschluss gewertet werden. Zweifelhaft hieran ist jedoch, dass der Provozierte wohl regelmäßig bei dem Angriff nicht die Gefährdung eigener, sondern die Verletzung fremder Rechtsgüter im Auge hat. Davon abgesehen enthält das Notwehrrecht bei genauerer Betrachtung doch mehr Verhältnismäßigkeitsaspekte, als es auf den ersten Blick scheint.18 Ganz klar zeigt sich dies, wenn man nach dem eigentlichen Bezugspunkt der Erforderlichkeitsprüfung fragt: nach der h. M. bezieht sich die Erforderlichkeit nur auf die Verteidigungshandlung, während anderer Ansicht zufolge auch der Erfolg (also das betroffene Rechtsgut) bei der Ermittlung des mildesten Mittels mitberücksichtigt wird.19 Zutreffend an letztgenannter Auffassung ist, dass sich die Erforderlichkeit des gewählten Mittels insoweit am Erfolg orientiert, als dass die Wahl eines solchen Mittels vorgeschrieben wird, dass die Rechtsgüter des Angreifers möglichst schont. Die Frage nach dem mildesten Mittel ist daher notwendig immer relativ, nämlich auf den Erfolg bezogen. Es gibt kein „mildestes Mittel schlechthin“. Bereits dies zeigt, dass es bei der Notwehr nicht ausschließlich um die Wahrnehmung der Verteidigerinteressen geht, sondern – in gewissen Grenzen – auch die Belange des Angreifers eine Rolle spielen. Noch deutlicher wird dies, wenn man den Blick auf das Merkmal der „Gebotenheit“ richtet, welches nach ganz h. M. dazu dient, das Notwehrrecht in Sonderfällen unter sozialethischen Aspekten zu beschränken. Erwähnung verdient hier insbesondere die Fallgruppe der Notwehreinschränkung aufgrund unerträglich Jäger, Zurechnung, 2006, S. 31. Jäger, Zurechnung, 2006, S. 31 m. w. N. zur Ansicht der h. M. 18 So auch Courakis, Notwehr, 1978, S. 103, 104, demzufolge die Rechtsordnung in manchen Fällen kein Interesse an der heftigen Abwendung des Angriffs hat: „Je kleiner der Wert der genannten Interessen ist, desto mehr geht die Notwehr- in eine Notstandslage über, und es bedarf wenigstens in gewissen Grenzen der Einhaltung der Verhältnismäßigkeit oder – womöglich – der Subsidiarität der Abwehr.“ 19 Klose, ZStW 89 (1977), 61, 90 ff.; F.-C. Schroeder, FS-Maurach, 1972, S. 127, 138 ff. 16 17
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krassen Mißverhältnisses zwischen den beteiligten Rechtsgütern. Als Beispiel diene der bekannte Fall, dass ein im Rollstuhl sitzender Bauer nicht mit seiner Schrotflinte auf einen Kirschen stehlenden Knaben feuern darf.20 Obschon sich der Bauer einem Angriff auf sein Eigentum ausgesetzt sah und dieses aufgrund seiner Lähmung auch nicht anders schützen konnte, wurde ihm angesichts der Hochrangigkeit der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit im Verhältnis zum Eigentum kein Notwehrrecht zugebilligt. Selbst wenn man mit der h. M. diese Ausnahme mit dem Gedanken des Rechtsmißbrauchs begründet und als bloß „negative“ Verhältnismäßigkeitsprüfung21 versteht, zeigt sie doch deutlich, dass das Notwehrrecht nicht frei von Wertabwägungen ist.22 Insgesamt spricht daher mehr dafür, die Notwehr als einen Erlaubnissatz einzuordnen, der nicht dem Verantwortungs- sondern dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet ist. Folglich kommt die Notwehr als Verantwortungsausschluss nicht in Betracht. Der provozierte Angreifer nimmt dem sich verteidigenden Provokateur nicht die Verantwortung für sein Tun ab. Damit erübrigt sich für die Fälle der Notwehrprovokation die Möglichkeit einer Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft. Es bleibt hier nur die Möglichkeit, die Provokation im Rahmen der Gebotenheitsprüfung zu berücksichtigen. Als Tathandlung kommt sie dagegen nicht in Betracht, weil der Provokateur trotz des Angriffs die Tatherrschaft über sich selbst nicht verliert. Daher ist die Verteidigungshandlung als frei zu bewerten und es bleibt kein Raum für einen Durchgriff auf die Provokationshandlung. Auch unter einem anderen Aspekt spricht einiges gegen eine Beseitigung der Tatherrschaft: der Provokateur hat hier (anders als bei der actio vel omissio libera in causa) nämlich nicht auf sich selbst eingewirkt, sondern auf einen anderen. Dies führt nicht zu einer Vernichtung der eigenen Tatherrschaft; vielmehr findet diese lediglich ihre Grenzen in dem Bereich fremder Selbstbestimmung. Durch eine derartige Begrenzung der Tatherrschaft wird aber nur festgestellt, in welchem Rahmen Tatherrschaft besteht. Nicht zu verwechseln ist diese Begrenzung mit der Beseitigung der Tatherrschaft, welche nicht die Reichweite, sondern die Existenz der Tatherrschaft angreift.
c) Der Notstand nach § 34 StGB Einfacher ist die Zuordnung im Falle des rechtfertigenden Notstands, der nach ganz einhelliger Auffassung vorrangig auf dem in der Interessenabwägung zum RGSt 23, 116, 117; Kühl, AT, § 7, Rn. 117; Wessels / Beulke, AT, Rn. 343. Vgl. LK-Spendel, 11. Auflage, § 32, Rn. 314. 22 Deutlich wird dies auch am Beispiel der Notwehrprovokation, vgl. Perron in: Rechtfertigung und Entschuldigung III, 1991, S. 79, 88: „Im Falle der Notwehrprovokation sind sowohl das Rechtsbewährungsinteresse als auch die Notwendigkeit der Respektierung des Selbstschutzinteresses eingeschränkt, weil der Angegriffene die Entstehung der Konfliktlage . . . mitzuverantworten hat.“ Ähnlich auch Renzikowski, Notwehr, 1994, S. 31. 20 21
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Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsprinzip beruht.23 Damit bildet der Notstand einen Erlaubnissatz, der als Kollisionsregelung eindeutig der Rechtfertigungsebene zuzuordnen ist und definitiv nicht auf dem Gedanken des Verantwortungsausschlusses beruht.24 Folglich kann die schuldhafte Herbeiführung einer Notstandslage allenfalls in der Interessenabwägung Berücksichtigung finden,25 keineswegs aber unter dem Aspekt der Beseitigung von Verantwortung eine Erfolgszurechnung begründen. d) Die Pflichtenkollision Ob der Pflichtenkollision das Prinzip der Interessenabwägung oder der Gedanke des Verantwortungausschlusses zugrunde liegt, richtet sich im Wesentlichen danach, von welchen Voraussetzungen das Eingreifen dieses Erlaubnissatzes abhängig gemacht wird. Stützt man sich ganz allgemein darauf, dass eine Pflichtenkollision bereits dann vorliegt, wenn der Täter von mehreren beliebigen Handlungspflichten nur eine erfüllen kann, so greift der Erlaubissatz prinzipiell auch beim Bestehen verschiedener ungleichrangiger Pflichten ein.26 Es bleibt in diesem Fall bei der Anwendung des Erlaubnissatzes zu prüfen, welche Pflicht der Retter wahrzunehmen hatte, wobei dies nach h. M. die höherrangige Pflicht ist.27 So verstanden findet im Rahmen der Pflichtenkollision durchaus eine Abwägung statt, da die jeweils höherrangige Pflicht ermittelt werden muss. Dies ist problematisch, wenn den Täter ungleichartige Handlungspflichten bezüglich zweier gleichwertiger Rechtsgüter treffen, er also z. B. nur entweder seinen Sohn oder den Nachbarsjungen vor dem Ertrinken retten kann. Teilweise wird hier allein die gleichartige Qualität der Rechtsgüter für maßgeblich erachtet, so dass der Täter frei wählen kann, welches Rechtsgut er rettet.28 Nach der Gegenauffassung soll auch die unterschiedliche Pflichtenbindung eine Rolle spielen, so dass der Garant die ihn treffende Solidarpflicht nach § 323c StGB vernachlässigen müsste.29 Hiergegen spricht, dass sowohl bei der Schutzgarantenstellung als auch bei der allgemeinen Hilfspflicht der Gedanke der Erfolgsabwendung, also des Rechtsgutserhalts im Vordergrund steht. Die unterschiedliche Pflichtenbindung beinhaltet keine Aussage über einen unterschied23 Vgl. statt vieler Ebert, AT, S. 80; Krey, AT 1, Rn. 558; Sch / Sch / Lenckner-Perron, § 34, Rn. 1; Küper, JuS 1987, 81 f. 24 So bereits Jäger, Zurechnung, 2006, S. 33. 25 Roxin, AT I, § 16, Rn. 62; Küper, Notwehr, 1983, S. 32 f.; dagegen Hruschka, JR 1979, 126; Renzikowski, Notstand, 1994, S. 54 ff. 26 Kühl, AT, § 18, Rn. 134. 27 Küper, JuS 1971, 475; Gropp, FS-Hirsch, 1999, S. 207, 214. 28 SK-Rudolphi, vor § 13, Rn. 29; Joecks, StGB, § 13, Rn. 54; Schmidhäuser, StuB AT, 12 / 64. 29 Sch / Sch-Lenckner, vor § 32, Rn. 75; Stratenwerth / Kuhlen, AT 1, § 9, Rn. 122; grundsätzlich auch Roxin, AT I, § 16, Rn. 123, der aber noch weitere Gesichtspunkte wie etwa Verschulden des Opfers an der Notlage einbezieht, also eine regelrechte Abwägung vornimmt.
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lichen Erhaltenswert der bedrohten Rechtsgüter, sondern wirkt sich letztendlich nur bei der Sanktionierung der Nichterfüllung der jeweiligen Pflicht aus. Daher liegt es näher, die Gleichrangigkeit der Handlungspflichten allein aus der Gleichrangigkeit der bedrohten Rechtsgüter herzuleiten. Dann kann die Pflichtenkollision allerdings zumindest bei Gefährdung gleichwertiger Rechtsgüter nicht auf dem Gedanken beruhen, dass das höherrangige Gut und damit das überwiegende Interesse30 gewahrt wurde. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip trägt hier zur Begründung der Pflichtenkollision nichts bei. Dies wirft die Frage auf, ob die Pflichtenkollision sinnvollerweise überhaupt unter dem Aspekt der Interessenabwägung betrachtet werden kann. Möglich wäre es nämlich auch, sie als Verantwortungsausschluss zu begreifen. Zu diesem Ergebnis gelangt, wer den Erlaubnissatz der Pflichtenkollision überhaupt erst eingreifen lässt, wenn zwei gleichrangige Handlungspflichten kollidieren.31 Die Rechtsgüterabwägung findet dann nämlich gleichsam im Vorfeld des Erlaubnisatzes statt und bezieht sich damit auf seine Anwendbarkeit, nicht aber seine Anwendung. Immer, aber auch nur dann wenn der Täter von mehreren gleichrangigen Rechtsgütern bloß eines retten kann, liegt demnach eine Pflichtenkollision vor. In diesem Falle handelt der Täter stets erlaubt, wenn er von den verschiedenen betroffenen Rechtsgütern nur eines rettet. So verstanden enthält der Erlaubnissatz der Pflichtenkollision selbst keinerlei Abwägung. Vielmehr wird das Verhalten desjenigen, der unter diesen Umständen eines von zwei Rechtsgütern opfert, deshalb als erlaubt angesehen, weil der Retter in der konkreten Situation ohnedies nicht imstande ist, mehr als den Erhalt eines Rechtsguts zu leisten. Auf den ersten Blick erinnert dies an eine Privilegierung des Retters aus Unzumutbarkeitserwägungen, die der Schuldstufe angehört. Bei genauerer Betrachtung ist aber der Gedanke ausschlaggebend, dass die Rechtsordnung dem Einzelnen nichts Unmögliches abverlangen kann.32 Zutreffend ist daher auch Freunds Erwägung, dass die genannte Konstellation im Grunde gar nicht als Pflichtenkollision bezeichnet werden dürfte: Kann der Retter ohnedies nur eines von zwei Rechtsgütern wahren, so liegt hinsichtlich des geopferten Rechtsguts schon gar kein Verstoß gegen eine Verhaltensnorm vor.33 In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es, bereits das Vorliegen eines tatbestandsmäßig mißbilligten Verhaltens zu verneinen.34 Denn wie bereits die Figur der omissio libera in causa gelehrt hat, fehlt es dort an einem tatbestandlichen Unterlassen, wo der Täter zur Handlung gar nicht imstande war. Ähnlich ist es hier: zwar ist der Retter prinzipiell durchaus handlungsfähig, aber nur „partiell“ – er 30 Auf das Interessenprinzip stellen etwa ab Kindhäuser, § 34, Rn. 60; LK-Hirsch, 11. Auflage, Vor § 32, Rn. 70; Renzikowski, Notwehr, 1994, S. 218; Jakobs, AT, 15 / 6. 31 Vgl. hierzu Jäger, Examensrepetitorium AT, § 5, Rn. 210. 32 Küper, JuS 1987, 81, 89 f.; Lenckner, GA 1985, 295, 304; Stratenwerth / Kuhlen, AT 1, 9 / 123. 33 Freund, Unterlassen, 1992, S. 281; ähnlich Hoyer, Strafrechtsdogmatik, 1997, S. 144; Scheid, Pflichtenkollision, 2000, S. 150 ff., 157. 34 So auch Jäger, Zurechnung, 2006, S. 30.
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kann eben nicht alle Rechtsgüter erhalten, sondern muss eines dem anderen opfern. Dies spricht dafür, die Pflichtenkollision als Verantwortungsausschluss auf Tatbestandsebene einzustufen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Pflichtenkollision die Verantwortlichkeit des Täters streng genommen nicht begrenzt, sondern sie ihm – allerdings nur zu einem Teil – erst gar nicht auferlegt. Kann der Täter von mehreren Pflichten nur eine erfüllen, so trifft ihn eben auch nur eine Pflicht. Rein rechtlich wird der Untätige bei Bestehen einer Pflichtenkollision also letztendlich ähnlich behandelt, als wäre er partiell handlungsunfähig. Anders als bei der omissio libera in causa handelt es sich dabei aber nicht um eine faktische, sondern eine wertende Betrachtung: der Täter kann ja grundsätzlich eingreifen, nur nicht zugunsten aller bedrohten Rechtsgüter. Führt der Täter nun vorsätzlich eine Lage herbei, in der er nur einer von verschiedenen Pflichten nachkommen kann und muss, so kann dabei durchaus die Rede von einem Tatherrschaftsverlust sein, wie der Elbtunnelfall35 zeigt. Der Täter bringt sich nämlich solchenfalls in eine Situation, in der er – im Hinblick auf die Gesamtheit der betroffenen Rechtsgüter – bei wertender Betrachtung einen Teil seiner potentiellen Handlungsherrschaft einbüßt. Er wird von einer Pflicht freigestellt, weil er faktisch nicht allen Pflichten nachkommen kann. Bei der „klassischen“ omissio libera in causa wird im Moment der Untätigkeit dagegen deshalb kein Verhaltensvorwurf erhoben, weil der Täter ohnedies von vornherein überhaupt nicht handlungsfähig ist. Ob der Täter schlechthin oder nur in Bezug auf eine der erforderlichen Rettungshandlungen handlungsunfähig ist, macht aber keinen Unterschied. Entscheidend ist nur, dass er im konkreten Moment die jeweilige Handlung nicht vornehmen kann. Dies ist bei der Pflichtenkollision der Fall, stellt man in Rechnung, dass der Täter seine Handlungsfähigkeit zugunsten eines anderen Rechtsguts „aufgebraucht“ hat. Nach alldem kann die vorsätzlich herbeigeführte Pflichtenkollision also durchaus unter dem Aspekt des Tatherrschaftsverlusts betrachtet werden. Allerdings stellt sie eine actio illicita in causa auf Tatbestandsebene dar, die streng genommen Züge einer partiellen omissio libera in causa aufweist. e) Die Einwilligung Auch in Bezug auf die Einwilligung stellt sich die Frage, ob sie als Verantwortungsausschluss oder als Rechtfertigungsgrund einzuordnen ist. Anders als bei den bisher angesprochenen Erlaubnissätzen ist bei der Einwilligung seit jeher umstritten, ob sie bereits den Tatbestand36 oder erst die Rechtswidrigkeit ausschließt.37 In Dazu näher oben Kap. 1, § 1 III. 5. Vgl. etwa Roxin, AT I, § 13, Rn. 12 ff.; Jäger, Zurechnung, 2006, S. 22 f.; Krack, Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 117 ff., 123 ff.; Niedermair, Einwilligung, 1999, S. 101 ff.; Rönnau, Einwilligung, 2001, S. 124 ff., 131 f.; ders., Jura 2002, 595, 598; Tag, Körperverletzungstatbestand, 2000, S. 285; Rath, Rechtsfertigungselement, 2002, S. 596 ff.; Ingelfinger, Tötungs35 36
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diesem Zusammenhang sei nur an die Diskussion um die Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Heileingriffs erinnert. Weil sich die Einwilligung mit dem Gedanken des „überwiegenden Interesses“ schwer erklären lässt, führen die Befürworter der Rechtfertigungslösung die Einwilligung auf das „Prinzip des mangelnden Interesses“ zurück. Da der einwilligende Rechtsgutsinhaber sein Gut dem Zugriff eines anderen preisgebe, bestehe kein Grund, ihn gegen Verletzungen zu schützen.38 Damit setze sich das Selbstbestimmungsrecht des Art. 2 I GG im Strafrecht unmittelbar als Rechtfertigungsgrund durch.39 Sieht man die Einwilligung aber als Ausdruck der Handlungsfreiheit, so liegt es näher, ihr bereits tatbestandsausschließende Wirkung zuzusprechen.40 Immerhin begibt sich das Opfer selbst frei in den Wirkungskreis der Rechtsgutsbeeinträchtigung und übernimmt daher die Verantwortung für die bei ihm eintretende Schädigung.41 Der Konstruktion nach ist die einverständliche Fremdverletzung damit der einverständlichen Fremdgefährdung verwandt, die nach ganz h. M. die Zurechnung des Erfolges ausschließen soll. Für diese Lösung spricht auch, dass die Einwilligung im System der Rechtfertigungsgründe einen Fremdkörper darstellen würde, da sie selbst im Rahmen ihrer Anwendbarkeit keinerlei Interessenabwägung – auch nicht bezüglich der Erforderlichkeit – enthält.42 Unerheblich ist insoweit, dass dem Eingriff eine Interessenabwägung des Betroffenen zugrunde liegt.43 Maßgeblich ist allein, dass der Eingriff selbst nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt, soweit er sich nur im Rahmen der wirksam erteilten Einwilligung hält.44 Auch der in § 228 StGB verwandte Begriff des rechtswidrigen Handelns steht einer Einordnung der Einwilligung als Tatbestandsausschluss nicht entgegen.45 verbot, 2004, S. 208 ff.; Kindhäuser, FS-Rudolphi, 2004, S. 135, 137 ff.; A. Kaufmann, FSKlug, 1983, S. 282; Kientzy, Einwilligung, 1970, S. 65 ff.; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 80; Weigend, ZStW 98 (1986) 47 ff.; Zipf, Einwilligung, 1970, S. 28 ff. 37 Vgl. statt vieler Kühl, AT, § 9, Rn. 22. 38 Lenckner, GA 1985, 295, 302. 39 Kühl, AT, § 9, Rn. 23. 40 So auch Schmidhäuser, FS-Lackner, 1987, S. 77, 90, demzufolge die Einwilligung bereits die Unrechtsbegründung entfallen lässt. 41 Jäger, Zurechnung, 2006, S. 22. 42 Ausführlich dazu Roxin, AT I, § 13, Rn. 22 f., der darauf hinweist, dass diese Unstimmigkeit Mezger, Strafrecht, § 27 überhaupt erst dazu veranlasst hat, ein dualistisches System der Rechtfertigungsgründe zu entwickeln, in dem die Rechtfertigung zumeist auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses, bei der Einwilligung aber auf das Prinzip des mangelnden Interesses zurückzuführen sein soll. 43 Jäger, Zurechnung, 2006, S. 23. 44 Jäger, Zurechnung, 2006, S. 23. Auch § 228 StGB kann keine Abwägung entnommen werden, denn die Norm bezieht sich nur auf die Grenzen der Wirksamkeit, also auf den Anwendungsbereich, nicht aber die eigentliche Anwendung des Erlaubnissatzes. 45 Roxin, AT I, § 13, Rn. 29; Jäger, Zurechnung, 2006, S. 23.
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Dieser Wendung kann nämlich keineswegs entnommen werden, dass eine wirksame Einwilligung nur die Rechtswidrigkeit, nicht aber den Tatbestand ausschließt.46 Der Gesetzgeber hat den Begriff der Rechtswidrigkeit auf das Gesamtunrecht bezogen, wie er § 11 I Nr. 5 StGB zugrunde liegt. Hiernach ist eine rechtswidrige Tat nur eine solche, die „den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht.“ Auch das nicht tatbestandsmäßige Verhalten ist „nicht rechtswidrig“, so dass die Einwilligung unter formalen Gesichtspunkten ebenfalls als Tatbestandsausschluss begriffen werden kann. Insoweit bleibt festzuhalten, dass die Einwilligung ähnlich der Pflichtenkollision einen Erlaubnissatz darstellt, der als Verantwortungsausschluss zu verstehen ist. Dieser Verantwortungsausschluss findet seinen Grund aber nicht darin, dass es seitens des Handelnden im Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung an Tatherrschaft fehlt. Die Tatherrschaft des Täters besteht bei der Fremdschädigung unter Einwilligung nämlich fort und findet lediglich ihre Grenzen in dem Bereich fremder Selbstbestimmung: ist die Einwilligung wirksam, so handelt der Täter aus freien Stücken im erklärten Willen des Opfers, zu dessen „Handlanger“ er sich macht. Er übt dabei hinsichtlich seines eigenen Verhaltens sowohl Handlungs- als auch Willensherrschaft aus und wird lediglich deswegen nicht bestraft, weil sein Handeln dazu dient, das Selbstbestimmungsrecht des Opfers zu verwirklichen. Keinesfalls genießt er dagegen Straflosigkeit, weil es ihm an Tatherrschaft fehlt. Ist die Einwilligung dagegen unwirksam, weil das Opfer sich z. B. in einem Irrtum über das preisgegebene Rechtsgut befindet, so ist klar, dass der (täuschende) Täter Willensherrschaft nicht nur über sein Handeln, sondern vielmehr auch über das Opfer und seine Entscheidung hat. In diesem Fall scheidet eine Entlastung des Täters von vornherein mangels fremder Selbstbestimmung aus. Nach alldem kann das schuldhafte Erwirken einer Einwilligung nicht unter dem Aspekt des Tatherrschaftsverlusts und der actio illicita in causa betrachtet werden. Die Frage lautet hier nämlich – anders als bei der Pflichtenkollision – nicht, ob sich der Täter seiner Handlungsmöglichkeiten oder seiner Willensfreiheit begeben hat, sondern ob die Entscheidung des Opfers für die Rechtsgutsverletzung noch als autonom erachtet werden kann. Bei der Einwilligung geht es demnach nicht um einen Verantwortungsverlust auf Täterseite, sondern darum, ob auf der Opferseite eine eigenverantwortliche Entscheidung gefällt wurde oder aber der Täter Willensherrschaft über das Opfer errungen hat. Der gegebenenfalls eingreifende Tatbestandsausschluss gründet also auf der Existenz fremder Verantwortung, nicht aber auf dem Fehlen von Verantwortung seitens des Täters.
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So aber Dreher, FS-Heinitz, 1972, S. 207, 220.
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f) Zusammenfassung Die Untersuchung der verschiedenen Erlaubnissätze hat gezeigt, dass die Rechtsfigur der actio illicita in causa nicht pauschal angewandt werden kann. Vielmehr ist zu unterscheiden: führt der Täter schuldhaft eine Situation herbei, in der die Rechtsordnung sein Verhalten allein unter Verhältnismäßigkeitserwägungen als erlaubt ansieht, so berührt dies seine Verantwortlichkeit nicht. Eine Zurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft kommt hier von vornherein nicht in Betracht. Die actio illicita in causa verfängt daher weder bei der Notwehr noch bei dem rechtfertigenden Notstand. Ist sein Verhalten dagegen von einem Erlaubnissatz gedeckt, der seinen Grund im Fehlen von Verantwortung auf Täterseite hat, so kommt eine Zurechnung wegen Tatherrschaftsaufgabe prinzipiell in Frage. Zu denken ist hier an den Erlaubnissatz der Pflichtenkollision, der auf dem Gedanken beruht, dass der Täter dann nicht für einen Erfolgseintritt haften soll, wenn ihm die Abwendung des Erfolges aufgrund der Wahrnehmung einer gleichrangigen Verpflichtung nicht möglich war. Er handelt im Zeitunkt der Untätigkeit also unfrei. Hat der Täter sich vorsätzlich eines Teiles seiner potentiellen Handlungsherrschaft beraubt, so bestehen unter dem Aspekt des Regressverbots also keine Bedenken, das der Untätigkeit vorausliegende Verhalten als Tathandlung in Betracht zu ziehen. Anknüpfungspunkt ist insofern die Beseitigung von Handlungsmöglichkeiten als Form eines Tatherrschaftsverlusts. Hiervon zu unterscheiden ist der Erlaubnissatz der Einwilligung, der seinen Grund nicht im Fehlen von Verantwortung auf Täterseite hat, sondern im Bestehen von Verantwortung auf Opferseite. Entscheidet sich das Opfer autonom für die Rechtsgutsverletzung, so setzt der Täter bei dem Eingriff die Tatherrschaft über sein Verhalten ein, um das Selbstbestimmungsrecht des Opfers wahrzunehmen. Die Tatherrschaft besteht also fort und wird nur begrenzt durch die Autonomie des Opfers. War das Opfer in seiner Entscheidung dagegen unfrei, so stellt sich allein die Frage, ob der Täter durch eine Täuschung oder Zwang Willensherrschaft über das Opfer errungen hat. In keinem Fall steht also ein Tatherrschaftsverlust auf Täterseite in Rede. Die actio illicita in causa (verstanden als unerlaubte Bewirkung einer erlaubten Handlung) kommt daher auch bei der Einwilligung nicht in Betracht. Das Vorverschulden wirkt sich hier – ebenso wie bei Notwehr und rechtfertigendem Notstand – nur bei der Frage nach der Erlaubtheit der unmittelbaren Verletzungshandlung aus.
III. Eintritt ins Versuchsstadium und Strafbarkeit des Versuchs Von allen untersuchten Vorverschuldenskonstellationen kommen also nur die actio vel omissio libera in causa und die actio illicita in causa in Gestalt der schuldhaft herbeigeführten Pflichtenkollision für eine Erfolgszurechnung qua Tatherr-
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schaft über den Ursprung der Tat in Betracht. Allein die Beseitigung der eigenen Tatherrschaft kann eine Erfolgszurechnung jedoch nicht stützen. Erforderlich ist weiterhin, dass der Täter mit der Beseitigung bzw. Beeinträchtigung seiner Tatherrschaft zumindest ins Versuchsstadium i. S. d. §§ 22 ff. StGB eingedrungen ist, denn erst ab diesem Zeitpunkt beginnt „die Tat“ im strafrechtlich relevanten Sinne.
1. Problemstellung Nachfolgend soll untersucht werden, ob sich die Herbeiführung des Defekts bei den noch verbleibenden Vorverschuldenskonstellationen als Versuchsbeginn oder als bloße Vorbereitung der Tat darstellt. Gelegentlich findet sich die Formulierung, dass der Täter sowohl bei der omissio als auch bei der actio libera in causa ins Versuchsstadium eintrete, weil er sich mit der Herbeiführung des Defekts zu seinem eigenen Werkzeug mache und „das Geschehen aus der Hand gebe“.47 Diese Begründung fußt ersichtlich auf einer Parallele zu § 25 I Alt. 2 StGB und dem daraus resultierenden Bestreben, den Versuchsbeginn für Vorverschulden und mittelbare Täterschaft zu synchronisieren. Nur so erklärt sich der Rückgriff auf die Formel vom aus der Hand Geben des Geschehens. Die Bestimmung des Versuchsbeginns anhand der für die mittelbaren Täterschaft geltenden Regeln verfängt jedoch nicht: die mittelbare Täterschaft setzt anders als die Vorverschuldensfälle voraus, dass bis zur Vornahme der Tatbestandshandlung die volle Tatherrschaft fortbesteht, welche sich lediglich aufteilt in Willensherrschaft auf Seiten des Hintermanns und Handlungsherrschaft auf Seiten des Werkzeugs. Der Hintermann verliert nicht an Tatherrschaft, sondern an faktischer Einwirkungsmöglichkeit, indem er das Werkzeug aus seinem Machtkreis entlässt – und selbst dies ist nicht zwingend, denn es bleibt dem Hintermann ja theoretisch unbenommen, seinem Werkzeug nachzueilen, um es zurückzuhalten. Er könnte also seine Einwirkungsmöglichkeiten durchaus wiederherstellen. Anders liegt es bei den Vorverschuldensfällen: hier verliert der Täter – wie gezeigt wurde – tatsächlich (und für den Moment irreversibel) an Tatherrschaft. Insofern kommt eine Parallele zu § 25 I Alt. 2 StGB nicht in Betracht, so dass auch die dort entwickelten Grundsätze zum Versuchsbeginn nicht übernommen werden können. Damit kann sich die Abgrenzung von Vorbereitungshandlung und Versuch nur nach den allgemeinen, für § 25 I Alt. 1 StGB geltenden Regeln – namentlich § 22 StGB – richten.48 Dabei ist freilich der Umstand zu berücksichtigen, dass der Täter in den Vorverschuldensfällen seine Tatherrschaft beseitigt hat, was durchaus von Relevanz für den Versuchsbeginn ist. Die Hauptschwierigkeit bei der Abgrenzung liegt in der Konkretisierung des § 22 StGB. Hiernach tritt der Täter ins Versuchsstadium ein, wenn er nach seiner 47 48
Vgl. etwa Roxin, AT I, § 20, Rn. 61. So auch Schweinberger, JuS 2006, 507, 509.
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Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt. Dies ist unproblematisch bei der sog. Teilverwirklichung, welche im Blutrauschfall bereits angesprochen wurde. Sowohl bei der actio vel omissio libera in causa als auch bei der schuldhaft herbeigeführten Pflichtenkollision ist allerdings klar, dass kein Fall der Teilverwirklichung vorliegt. Die Ausgestaltung des § 22 StGB, mit der der Gesetzgeber den Versuch nahe an den Bereich der eigentlichen Tatbestandsausführung herangerückt hat, setzt aber auch nicht voraus, dass der in Aussicht genommene Tatbestand bereits zum Teil verwirklicht wurde.49 Es gibt mit anderen Worten eine Versuchszone, die der eigentlichen Tatbestandsausführung wie auch der Teilverwirklichung vorausliegt. Erforderlich ist nach der vorherrschenden Zwischenaktstheorie lediglich, dass der nächste Teilakt des Gesamtverhaltens des Täters bei ungestörtem Fortgang in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll.50 Dabei ist bei der Anwendung dieser Formel darauf zu achten, dass das Gesamtverhalten des Täters nicht künstlich in ein „Zeitlupen-Strafrecht“ aufgespalten wird. Das Erfordernis bloß unwesentlicher Zwischenakte hindert den Eintritt ins Versuchsstadium also nicht. Wer z. B. mit gezogener Pistole in Tötungsabsicht auf sein Opfer zugeht, ist nicht deshalb noch im Vorbereitungsstadium, weil er noch den Arm heben, Anlegen und Abdrücken muss.51 An der Handlungs-Unmittelbarkeit fehlt es also nur, wenn nach der letzten ausgeführten Handlung bis zu der eigentlichen Tatbestandsausführung noch weitere wesentliche Zwischenakte erforderlich wären. Weiteren Aufschluss über den Versuchsbeginn liefert der natürliche Sprachgebrauch des Wortes „unmittelbar“, dem sich entnehmen läßt, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der potentiellen Versuchs- und Tatbestandsausführungshandlung bestehen muss. Es scheiden also solche Fälle aus dem Versuchsstadium aus, in denen der Täter den letzten Teilakt bereits längere Zeit vor der eigentlichen Tatbestandsausführung vorgenommen hat.52 Die genannten Kriterien zeigen, dass die Frage des Versuchsbeginns niemals pauschal beantwortet werden kann, sondern immer von der Vorstellung des Täters und der individuellen Tatsituation abhängt. Daher sollen die verschiedenen Defektherbeiführungshandlungen gesondert auf ihre Versuchstauglichkeit hin untersucht werden. a) Die vorsätzlich herbeigeführte Handlungsunfähigkeit Aus Sicht der Handlungs-Unmittelbarkeit unproblematisch ist die vorsätzlich herbeigeführte Handlungsunfähigkeit des Täters. Legt sich etwa ein Vater am Strand Kühl, AT, § 15, Rn. 55. BGHSt 26, 203; 35, 8 f.; 37, 297 f.; 34, 40, 44; BGH NJW 2002, 1057; 2003, 3068, 3070; 2005, 1589, 1590; aus der Literatur vgl. etwa Ebert, AT, S. 121; Jescheck / Weigend, AT, S. 519. 51 Kühl, AT, § 15, Rn. 60. 52 LK-Hillenkamp, 11. Auflage, § 22, Rn. 136. 49 50
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schlafen, um sich zur Rettung seines im ansteigenden Wasser planschenden 3-jährigen Stiefsohns außerstande zu setzen, so ist klar, dass der Herbeiführung der Handlungsunfähigkeit die zum Erfolg führende Untätigkeit auf dem Fuße folgt. Auch das Kriterium des engen zeitlichen Zusammenhangs wird man bejahen können, wenn es aus Sicht des Vaters nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das Kind in Bedrängnis gerät. Es spricht daher bei Anwendung des § 22 StGB zugrunde liegenden Maßstabs einiges für die Annahme eines beendeten Versuchs, der dann vorliegt, wenn der Täter nach Abschluss des letzten Teilakts mit der nach den Umständen nicht ganz fernliegenden Möglichkeit rechnet, dass der Erfolg schon aufgrund seines bisherigen Handelns eintreten werde.53 Die omissio libera in causa weist jedoch die Besonderheit auf, dass regelmäßig nicht eine Begehungs-, sondern eine Unterlassungsstrafbarkeit in Rede steht. Der Versuch des Unterlassungsdelikts beginnt aber erst dann, wenn die Rechtsordnung aktuell vom Garanten verlangt, dass er seine Garantenpflicht nicht durch Untätigkeit verletzt.54 Dies wirft die Frage auf, ab wann die Lage für das gefährdete Rechtsgut so bedrohlich ist, dass sich die Handlungspflicht des Garanten aktualisiert. Nach ganz überwiegender Auffassung ist dies weder der Zeitpunkt der ersten noch der letzten Erfolgsabwendungsmöglichkeit, sondern der Moment, in dem für das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters eine unmittelbare und konkrete Gefahr entsteht, die jederzeit in einen Schaden umschlagen kann.55 Im Eingangs genannten Beispiel ist das Bestehen einer solchen Gefahr angesichts des Alters des Kindes und der Nähe der Gefahrenquelle in Gestalt des ansteigenden Wassers zu bejahen. Der Vater ist daher in dem Moment ins Versuchsstadium eingetreten, in dem er sich vorsätzlich zum Schlafen legte. Allgemeine Schlussfolgerungen für den Versuchsbeginn bei der omissio libera in causa lassen sich hieraus freilich nicht ableiten. So sind ohne weiteres Fälle denkbar, in denen eine Versuchsstrafbarkeit am Bestehen einer Gefahr und der damit verbundenen Aktualisierung der Garantenpflicht scheitert. Betrinkt sich etwa ein Bahnwärter bis zur völligen Handlungsunfähigkeit und ist er daraufhin außerstande, die Weichen auf einer Nebenstrecke umzustellen, so tritt er dennoch nicht ins Versuchsstadium ein, wenn er für die Dauer seiner Trunkenheit nicht mit dem Herannahen eines Zuges rechnete. Solange sich die Gefahr noch nicht verdichtet hat, besteht nämlich auch keine Handlungsverpflichtung und damit keine aktualisierte Garantenpflicht. Ähnlich verhält es sich im Beispiel des Bademeisters, der sich am Feierabend derart betrinkt, dass er am nächsten Morgen zwar noch zum Dienst wanken kann, keineswegs aber imstande ist, Rettungsmaßnahmen durchzuführen. Die Defektherbeiführung fällt hier nämlich in einen Zeitraum, in dem noch gar keine aktualisierte Rettungspflicht bestand. Der Jescheck / Weigend, AT, S. 541. Vgl. SK-Rudolphi, Vor § 13, Rn. 51. 55 Jescheck / Weigend, AT, S. 638; LK-Weigend, § 13, Rn. 50; Krey, AT 2, Rn. 443; Otto, AT, 18 / 45; Kühl, AT, § 18, Rn. 148. 53 54
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Handelnde kommt der Aktualisierung seiner Verpflichtung im genannten Beispiel also gerade zuvor.56 Damit führt die Defektherbeiführung bei der omissio libera in causa nur in engen Grenzen zum Eintritt ins Versuchsstadium. Der Versuch beginnt nämlich erst dann, wenn der Garant zum Einschreiten verpflichtet ist. Die Herbeiführung des Defekts muss also in diesen eng umrissenen Zeitraum fallen.
b) Die vorsätzlich herbeigeführte Pflichtenkollision Ganz ähnlich verhält es sich bei der Pflichtenkollision, die typischerweise ebenfalls auf das Unterlassungsdelikt zugeschnitten ist. Wie bereits dargestellt ist die Pflichtenkollision der omissio libera in causa insoweit verwandt, als der Täter sich gleichfalls seiner Handlungsmöglichkeiten beraubt, ohne diese freilich völlig einzubüßen. Er kann also zwar noch tätig werden, aber nicht mehr in Bezug auf alle gefährdeten Rechtsgüter. Auch hier tritt der Täter ins Versuchsstadium ein, wenn er bei Bestehen einer aktuellen Garantenpflicht vorsätzlich eine Lage herbeiführt, in der ihm die Rettung aller gefährdeten Rechtsgüter unmöglich wird. Zögert der erbschleichende Sohn bei dem Hausbrand die Rettung seiner alten Mutter und seines kleinen Kindes so lange heraus, bis er nur noch einen von beiden aus den Flammen retten kann, so tritt er in dem Moment ins Versuchsstadium ein, in dem er durch das Zuwarten seine Rettungsmöglichkeiten unnötig einengt. Ist die Verletzung eines des bedrohten Rechtsgüter daraufhin zwingend, so liegt ebenfalls ein beendeter Versuch vor.
c) Die vorsätzlich herbeigeführte Schuldunfähigkeit Von den vorstehend untersuchten Konstellationen unterscheidet sich die actio libera in causa zunächst dadurch, dass in aller Regel auf die Defektherbeiführung eine Defekthandlung i. S. eines positiven Tuns folgt. Der Versuchsbeginn hängt also nicht von dem Bestehen einer aktuellen Garantenpflicht ab, sondern richtet sich allein nach den in § 22 StGB verwurzelten Kriterien. Problematisch ist hierbei, dass die Defektherbeiführung selbst noch nicht unmittelbar gegen das später verletzte Rechtsgut gerichtet ist. Das Sich-Betrinken stellt für sich genommen eine neutrale Handlung dar und erhält erst durch die finale Bestimmung zur Enthemmung und Rauschtat überhaupt eine konkrete Ausrichtung auf ein bestimmtes Rechtsgut hin. Gleichwohl kann hier von einem Eintritt ins Versuchsstadium die Rede sein, wenn zwischen dem Sich-Betrinken und der unmittelbaren Tatbestandsausführung (also der Defekthandlung) keine wesentlichen Zwischenschritte mehr liegen und auch in zeitlicher Hinsicht die Tatbestandsaus56
Satzger, Jura 2006, 513, 518.
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führung der Defektherbeiführung unmittelbar folgt. Dies ist z. B. der Fall, wenn sich der Ehemann zur Überwindung seiner Skrupel betrinkt, um seine im Nebenzimmer schlafende Ehefrau unmittelbar im Anschluss mit dem bereitgelegten Messer zu ermorden. Nach der Vorstellung des Täters stellt das Sich-Betrinken als Mittel der für notwendig befundenen Enthemmung den ersten Akt auf dem Weg zur Tötung dar und führt daher ins Versuchsstadium. Das Trinken ist dabei als ein Akt zu verstehen, auch wenn der Täter mehrmals einen natürlichen Willen zum Schlucken bilden muss. Eine andere Bewertung würde auf das bereits angesprochene Zeitlupenstrafrecht hinauslaufen, demzufolge auch Handlungen wie Anlegen eines Revolvers und Abdrücken als wesentliche Zwischenschritte behandelt werden müssten, was – soweit ersichtlich – zu Recht von niemanden vertreten wird. Zwischen dem Akt des Trinkens und der eigentlichen Tötung liegen im hier gebildeten Beispiel angesichts des engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs von letztem Teilakt und eigentlicher Tatbestandsausführung keine weiteren wesentlichen Zwischenschritte mehr. Anders verhielte es sich etwa, wenn der betrunkene Täter sein Opfer erst noch finden oder sich die Tatwaffe erst noch beschaffen müsste.57 Die noch erforderliche Ausführung der Tötung selbst kann dagegen nicht als wesentlicher Zwischenschritt verstanden werden, denn sie ist die eigentliche Tatbestandsverwirklichung. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Versuch bei einem nüchternen Täter erst in dem Moment beginnt, in dem er mit dem Messer ausholt, um sein Opfer zu erstechen. Der Versuchsbeginn hängt nämlich immer davon ab, welchen Tatplan der Täter seinem Vorgehen zugrunde gelegt hat. In dem Beispiel des trunkenen Ehemanns spielt die Enthemmung eine wesentliche Rolle im Tatplan. Sie führt dazu, dass der Täter die Tatherrschaft über sein Verhalten einbüßt und es nur noch vom Zufall abhängt, wie sich das weitere Geschehen entwickelt, ob er also etwa von seinem Vorhaben Abstand nimmt oder einschläft oder ob er es wie beabsichtigt ausführt. Dies unterscheidet die Enthemmung von der bloßen Vorbereitungshandlung wie etwa dem Besorgen der Tatwaffe. Dort kann der Täter nämlich noch jederzeit und aus freien Stücken den Fortgang des Geschehens beeinflussen. Er bleibt Herr seiner selbst. Aus Sicht des Täters stellt das Sich-Betrinken freilich einen unbeendeten Versuch dar, weil er mit der bloßen Alkoholisierung noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung von der Tat zum Erfolgseintritt notwendig erscheint. Dies ist für die Zurechnung nach § 25 I Alt. 1 StGB jedoch irrelevant. Entscheidend ist allein, dass der Täter überhaupt ins Versuchsstadium eingetreten ist, nicht aber das Stadium, in dem sich der Versuch befindet. Die Formel vom „aus der Hand Geben des Geschehens“, welche für den beendeten Versuch bei der mittelbaren Täter57 Auch Schweinberger, JuS 2006, 507, 509 verneint in einem solchen Falle den Versuchsbeginn.
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schaft und die Fälle der Opferbeteiligung entwickelt wurde, passt nämlich auf die Vorverschuldensfälle nicht.
2. Auswirkungen auf den Rücktritt vom Versuch Stellen die omissio libera in causa und die schuldhaft herbeigeführte Pflichtenkollision Fälle des beendeten Versuchs dar, so kann der Täter nach § 24 I 1 Alt. 2 StGB nur Strafbefreiung erlangen, indem er „die Vollendung verhindert“. Dies verlangt vom Täter, dass er Gegenaktivitäten zur Verhinderung des als möglich erkannten Erfolgseintritts entfaltet.58 Ein derartiges Gegensteuern wird praktisch deshalb nicht vorkommen, weil der Tatherrschaftsverlust in den genannten Konstellationen irreversibel ist: der gänzlich Handlungsunfähige ist zu einem positiven Tun sowieso außerstande und der partiell Handlungsunfähige, der immer nur eines von mehreren Rechtsgütern retten kann, kann die unabänderlich versäumte Rettungshandlung nicht nachträglich vornehmen. In diesen Fällen ist ein Rücktritt also faktisch ausgeschlossen. Anders verhält es sich bei der actio libera in causa, die als unbeendeter Versuch eingestuft wurde und daher gem. § 24 I 1 Alt. 1 StGB bereits dann rücktrittsfähig ist, wenn der Täter die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgibt. Tatsächlich sind gerade bei der vorsätzlich herbeigeführten Schuldunfähigkeit Fälle denkbar, in denen der Täter etwa einschläft oder sich mit seinem Opfer verbrüdert und es daher nicht zur Ausführung der Tat kommt. Dies würde an sich zur Erlangung der Straffreiheit genügen, sofern sich die Entwicklung des Geschehens noch als freiwillige Tataufgabe darstellen ließe. Verlangt man für die Freiwilligkeit Freiverantwortlichkeit, so könnte der Schuldunfähige niemals von seiner Tatausführung zurücktreten.59 Der „freiwillige Rücktritt“ stellt jedoch nicht einen philosophisch, sondern einen kriminalpolitisch motivierten Verantwortungsausschluss dar, der eingreifen soll, wenn eine Bestrafung sowohl spezial- als auch generalpräventiv nicht erforderlich ist.60 Unter Opferschutzgesichtspunkten spricht dabei Einiges für eine rücktrittsfreundliche Auslegung des Freiwilligkeitskriteriums, die einen natürlichen Umkehrwillen des Täters genügen lässt.61 Vgl. statt vieler Kühl, AT, § 16, Rn. 64. Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 39; Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 195; Jakobs, AT, 17 / 68; NK-Zaczyk, § 24, Rn. 76. Jäger, der den Rücktritt als Gefährdungsumkehr versteht, beschreitet hier unter doppelter Anwendung des „in dubio pro reo“-Grundsatzes einen Mittelweg: so wie man bei der Tatbegehung im Zweifel für den Angeklagten Zurechnungsunfähigkeit annehmen müsse, sei beim Rücktritt im Zweifel Zurechnungsfähigkeit anzunehmen, vgl. ZStW 112 (2000), 783, 799. 60 So i.E. auch Fahl, JuS 2005, 1076, 1079, demzufolge § 24 StGB nicht die Schuld betrifft, sondern einen persönlichen Strafaufhebungsgrund darstellt. 61 BGH NStZ 2003, 199; BGH NStZ 2004, 324; Kühl, AT, § 16, Rn. 62 a. 58 59
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Zudem hat § 20 StGB offensichtlich den Zweck zu exkulpieren. Es wäre systemwidrig, wenn die Schuldunfähigkeit nun im Rahmen des Rücktritts als Argument benutzt würde, um eine sonst gebotene Exkulpation zu vereiteln.62 Auch der Schuldunfähige kann daher durch bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung Straffreiheit erlangen.63
IV. Vorliegen aller Strafbarkeitsmerkmale bei Eintritt ins Versuchsstadium Weitere Voraussetzung der Erfolgszurechnung ist selbstverständlich, dass in dem Moment, in dem der Täter ins Versuchsstadium eintritt, sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen gegeben sind. Der Täter darf also weder gerechtfertigt noch entschuldigt sein, wenn er zur Tatausführung ansetzt. So handelt beispielweise der vorsätzliche actio libera in causa-Trinker bei Eintritt ins Versuchsstadium durchaus schuldhaft: der Versuch beginnt in dem Moment, in dem der Täter mit dem Ziel der Enthemmung und der anschließenden Tatbestandsverwirklichung anfängt zu trinken. Zwar braucht es eine Weile, bis der Täter tatsächlich die Herrschaft über sich selbst verliert, da er zunächst das Stadium der verminderten Schuldfähigkeit und damit der bloßen Herrschaftslockerung durchlaufen muss. Dieses Stadium zählt jedoch auch schon zum (freilich unbeendeten) Versuch, bei dessen Beginn der Täter voll schuldfähig war. Der Einwand, dass die actio libera in causa ihrer Konstruktion nach stets zu einer Strafmilderung nach § 21 StGB führen müsse, geht daher fehl.64
V. Ursächlichkeit der Versuchshandlung für die Vollendung Die Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft setzt ferner voraus, dass der Verlust der Tatherrschaft für die spätere Defekttat ursächlich geworden ist. Teilweise wird die Kausalität zwischen Tatherrschaftsverlust und nachfolgender Tatbestandsverwirklichung mit der Behauptung bestritten, es sei nie nachzuweisen, dass nicht ohne den Defekt (z. B. Trunkenheit) alles in derselben Weise abgelaufen wäre.65 Dieser Einwand baut auf der Äquivalenztheorie auf, derzufolge eine Handlung nur dann erfolgsursächlich ist, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt. Bei der bewussten Enthemmung sollen aber gerade Roxin, AT I, § 20, Rn. 66. MüKo StGB-Streng, § 20, Rn. 146; Schweinberger, JuS 2006, 507, 510; anders Jäger, Rücktritt, 1996, S. 105 ff., 130. 64 Roxin, AT I, § 20, Rn. 65; anders Neumann, Vorverschulden, 1985, S. 36 ff. 65 Neumann, Vorverschulden, 1985, 26 ff.; ders., FS-A. Kaufmann, 1993, S. 581, 583 ff. 62 63
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Barrieren überwunden werden, um die Tatbegehung zu ermöglichen. Selbst wenn unklar ist, ob der Täter die Tat auch in nüchternem Zustand begangen hätte, wurde jedoch durch die Beseitigung der Tatherrschaft die Art und Weise der Tatbestandsverwirklichung modifiziert, denn ein freiverantwortlich gesteuerter Kausalverlauf entwickelt sich anders als ein Kausalverlauf, den der Täter nicht mehr beherrscht.66 Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch die von Rothenfußer entwickelte Lehre von der notwendigen Bedingung, derzufolge sich Ursächlichkeit definiert als Deduzierbarkeit einer historischen Zustandsveränderung aus den vorangegangenen Ereignissen.67 Danach verliert ein ex post tatsächlich bestehender Kausalverlauf nicht dadurch an Ursächlichkeit, dass sich das Geschehen auch anders hätte entwickeln können, aber nicht entwickelt hat. Es genügt, wenn ein Ereignis im Nachhinein betrachtet einen Beitrag zur Erfolgsverwirklichung geleistet hat. Nimmt man diesen Gedanken in die Äquivalenztheorie auf, so wird klar, dass man die Kausalität des Tatherrschaftsverlustes für die Rauschtat nicht leugnen kann, wenn der Täter sein Opfer plangemäß im Zustand der Enthemmung niedersticht. Im Falle einer Unterlassungshaftung können diese Überlegungen allerdings nicht ohne Modifizierung übernommen werden. Der Unterlassende greift nämlich nicht in das Kausalgeschehen ein, sondern lässt den Dingen ihren Lauf. Es kann daher nicht von einem realen Kausalzusammenhang gesprochen werden.68 Dieser Umstand hindert aber nicht, von einer Quasi-Kausalität zwischen dem Unterlassen der Rettung und der Erfolgsabwendung auszugehen, deren Bestehen nach den Grundsätzen der Äquivalenztheorie ermittelt werden kann.69 Danach ist das Unterlassen des Garanten (hypothetisch) kausal für den Eintritt des Erfolges, wenn die Vornahme der von ihm erwarteten Handlung diesen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.70 Die in dieser Formel steckende Restriktion der „mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ findet ihre Berechtigung darin, dass sich eine hundertprozentige Gewißheit hinsichtlich des Ausbleibens des Erfolges bei Vornahme der Rettungshandlung kaum je erlangen lässt.71 Hätte der Täter sich nicht seiner Tatherrschaft beraubt, wäre er zur Rettung des betroffenen Rechtsguts imstande gewesen. Allerdings stellt sich die Frage, ob er von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht hätte. Dafür spricht, dass der Täter die Enthemmung oftmals deshalb in seinen Tatplan aufgenommen haben wird, um Skrupel zu überwinden oder sich der Strafbarkeit zu entziehen. Dies legt nahe, dass er die Tat im Zustand der Nüchternheit nicht bzw. zumindest so nicht begangen hätte. Davon abgesehen hilft hier wieder eine ex post-Betrachtung des Gesche66 67 68 69 70 71
Vgl. auch Roxin, AT I, § 20, Rn. 60. Rothenfußer, Kausalität, 2002, S. 111 f. Vgl. Lackner / Kühl, Vor § 13, Rn. 12. Arzt, JA 1980, 553, 556; Gössel, ZStW 96 (1984), 321, 331. Krey, AT 2, Rn. 328; Wessels / Beulke, AT, Rn. 711. Vgl. LK-Jescheck, 11. Auflage, § 13, Rn. 17.
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hens: durch den Verlust der Tatherrschaft hat der Täter seine Handlungsfähigkeit faktisch beseitigt. Deshalb konnte er das Opfer nicht retten. Dieser einmal bestehende Zusammenhang zwischen Unterlassen und Erfolg wirkt ausnahmsweise deshalb besonders real, weil der Täter nicht bloß untätig geblieben ist, sondern auch, weil er gar nicht hätte tätig werden können. Die hypothetische Kausalität des Unterlassens verdichtet sich hier ausnahmsweise sehr in Richtung einer realen Kausalität. Die Überlegung „Hätte der Täter nicht getrunken, hätte er das Opfer vielleicht trotzdem umkommen lassen“ verkennt, dass der Täter faktisch seine Tatherrschaft vernichtet hat und ab diesem Zeipunkt feststand, dass jedenfalls er das Opfer nicht würde retten können. Was er getan hätte, wenn er nicht getrunken hätte, interessiert deshalb nicht. Zudem mutet es abstrus an, wenn man (letztlich zugunsten des Täters) die Kausalität des Enthemmens für die Rauschtat deshalb verneint, weil er vorträgt, er habe das Opfer so oder so töten wollen. Daher liegt es näher, aufgrund einer ex post-Betrachtung des Geschehens die Unterlassenskausalität bei der omissio libera in causa zu bejahen.
VI. Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges Der Erfolg muss dem Täter auch objektiv zurechenbar sein, d. h. es muss sich die vom Täter geschaffene Gefahr im Erfolg verwirklicht haben. Das ist immer dann der Fall, wenn das Geschehen sich nach Tatherrschaftsverlust so entwickelt, wie vom Täter geplant. Dagegen fehlt es beispielsweise an der objektiven Zurechenbarkeit des Todeserfolgs, wenn der Trinker sein Opfer im Zustand der Schuldunfähigkeit nur leicht verletzt und ein Dritter das benommene Opfer letztlich unabhängig vom Ersthandelnden tötet. Hier unterbricht das Bestehen fremder Autonomie die Verantwortung des Täters für den Erfolg „Totschlag“. Der Trinker muss daher nur für die von ihm zu verantwortende Körperverletzung einstehen.
VII. Überprüfung des Ergebnisses am Koinzidenzprinzip Die Erfolgszurechnung aufgrund der Beseitigung der Tatherrschaft hält auch den Forderungen des Koinzidenzprinzips stand, demzufolge sämtliche Verbrechensmerkmale bei Begehung der Tat vorliegen müssen. Der Begriff der Tatbegehung umfasst nämlich nicht nur die eigentliche Tatbestandsausführung, sondern ausweislich der §§ 22 ff. StGB auch das ihr vorausgelagerte Versuchsstadium. Bei Eintritt ins Versuchsstadium war der Täter in allen hier abgehandelten Vorverschuldenskonstellationen „Herr seiner selbst“. Diese Tatherrschaft muss nicht bis zum Eintritt des Erfolges aufrecht erhalten werden, wenn sie nur einmal „bei Begehung der Tat“ bestanden hat. Die Zurechnung des im Rausch herbeigeführten Erfolges darf daher am Versuch anknüpfen, ohne dass von einer Gefährdungshaftung die Rede sein kann. Dieses Ergebnis lässt sich auch unter Strafwürdigkeitserwägungen
§ 2 Die Tatherrschaft u¨ber den Ursprung der Tat
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vertreten. Wer sich enthemmt, um eine Rauschtat begehen zu können, muss für sein Verhalten einstehen, wenn das Geschehen plangemäß abläuft.
VIII. § 25 I Alt. 1 StGB, Tätigkeitsdelikte und eigenhändige Delikte Löst man die Vorverschuldensfälle über § 25 I Alt. 1 StGB, so stellt sich die Frage, ob der Täter auch dann für den Erfolg haftet, wenn die Rauschtat in der Begehung eines eigenhändigen Delikts besteht. Dort kommt als Täter naturgemäß nur in Betracht, wer die Tathandlung in eigener Person ausgeführt hat. So muss z. B. der Täter einer Straßenverkehrsgefährdung i. S. v. § 315 c StGB selbst das Kraftfahrzeug führen. Eine mittelbare Täterschaft i. S. v. § 25 I Alt.2 StGB ist daher nicht möglich. Die ganz h. M., die auf die Vorverschuldensfälle nicht § 25 I Alt. 1, sondern § 25 I Alt. 2 StGB direkt oder dem Rechtsgedanken nach anwendet, hält eine Erfolgszurechnung in diesen Fällen für ausgeschlossen. Wo, wie bei eigenhändigen Delikten, eine mittelbare Täterschaft nicht möglich ist, kann nämlich auch eine auf diesem Gedanken basierende actio vel omissio libera in causa nicht in Betracht kommen.72 Handelt der Täter hingegen „durch sich selbst“, so ist das Erfordernis der Eigenhändigkeit ja durchaus gewahrt. Der Gesichtspunkt der persönlichen Tatbestandsverwirklichung steht einer Erfolgszurechnung über § 25 I Alt. 1 StGB nicht im Wege, denn der Täter wird nicht dadurch ein anderer, dass er die Tatherrschaft über sich verloren hat. Die Erfolgszurechnung nach den Grundsätzen des vorsätzlichen Tatherrschaftsverlusts ist daher z. B. bei § 315c StGB durchaus möglich.73 Zwar hat die Rechtsprechung74 die Anwendung der actio libera in causa auf Verkehrsdelikte mit der Begründung abgelehnt, dass das Sichbetrinken noch kein Teilstück der geforderten, eigenhändig auszuführenden Tathandlung sei, weil der Bewegungsvorgang erst mit dem Anfahren beginne. Dieses Argument überzeugt aber jedenfalls bei dem konkreten Gefährdungsdelikt des § 315c StGB nicht, welches ebenso wie z. B. § 212 StGB ein Erfolgsdelikt darstellt. Aus dem bloßen Umstand, dass Art und Weise der Tatbegehung bei § 315c StGB näher umschrieben sind als bei dem reinen Erfolgsdelikt des § 212 StGB lässt sich nicht folgern, dass der Versuch im Falle der Verkehrsgefährdung erst mit der unmittelbaren Tatbegehung beginnt. Die Beschränkung auf bestimmte Angriffsmodalitäten verfolgt nicht 72 Roxin, AT I, § 20, Rn. 62; Jakobs, AT, 17 / 67; Stäcker, Mittelbare Täterschaft und actio libera in causa, 1991, S. 106. 73 Anders die auf § 25 I Alt. 2 StGB gründende ganz h. M., vgl. statt vieler Roxin, AT I, § 20, Rn. 62; Satzger, Jura 2006, 513, 516. 74 BGHSt 42, 235, 239 f.
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den Zweck, bei verhaltensgebundenen Erfolgsdelikten75 eine vollkommenere Kontrolle des Täters über den Kausalverlauf zu verlangen als bei den reinen Erfolgsdelikten. Beabsichtigt ist vielmehr, lediglich solche Angriffsweisen unter Strafe zu stellen, die für das Opfer von besonderer Gefährlichkeit sind.76 Dies wirkt sich aber nicht auf den Versuchsbeginn aus, der der eigentlichen Tatbestandsausführungshandlung durchaus vorausgelagert sein kann. So dringt z. B. der Dieb, der ins Schlafzimmer einsteigt, um den auf der Kommode liegenden Schmuck zu entwenden, bereits in dem Moment ins Versuchsstadium ein, in dem er durchs Fenster klettert – nicht erst in dem Zeitpunkt, zu dem er den Schmuck tatsächlich an sich nimmt.77 Dann muss es auch für alle anderen Erfolgsdelikte mit besonders ausgestalteter Handlungsmodalität die Möglichkeit einer der unmittelbaren Tatbestandsausführung vorgelagerten Versuchszone geben. Probleme ergeben sich jedoch dort, wo der Täter im Defektzustand ein Tätigkeitsdelikt begeht. Hierunter versteht man ein Delikt, bei dem sich die Tatbestandsverwirklichung in einer schlichten Handlung des Täters erschöpft.78 Anders als bei den Erfolgsdelikten wird also kein von der Handlung abtrennbarer Erfolg vorausgesetzt.79 Als Beispiel mag etwa § 153 StGB gelten, der nicht verlangt, dass es aufgrund der Falschaussage zu einer unrichtigen Entscheidung kommt.80 Der Tatbestand beschränkt sich also auf die bloße Falschaussage. Diese soll nach der zutreffenden Zu dem Begriff vgl. Lackner / Kühl, StGB, Vorbemerkung, Rn. 32. Puppe, JuS 1980, 346, 347; Dold, GA 2008, 427, 440. 77 Vgl. zu diesem Bsp. Ebert, AT, S. 121. 78 Ebert, AT, S. 41. Krit. zur Differenzierung in Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte MüKoFreund, § 13, Rn. 215 ff., demzufolge auch Tätigkeitsdelikte so etwas wie einen Außenwelterfolg kennen sollen, der allerdings nicht als tatbestandstypischer Erfolg i. S. d. Erfolgsdelikte zu verstehen sei, sondern auch sonstige tatbestandsrelevante Ereignisse umfasse. Als Beispiel nennt er die uneidliche Falschaussage, die immerhin erfordere, dass das falsch Gesagte auch verstanden worden sei. Eine derartige Auslegung des Erfolgsbegriffs entfernt sich aber zu weit von dem, was nach gängigem Sprachverständnis unter dem Begriff der „Falschaussage“ zu verstehen ist, nämlich: schlicht das falsche Aussagen, nicht auch das Verstanden-werden. 79 Vgl. etwa Börner, Jura 2006, 415 f. Walter, GA 2001, 131, 141 spricht sich hingegen dafür aus, die Unterscheidung in Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte generell aufzugeben und statt dessen alle Delikte als Erfolgsdelikte zu betrachten: jede Tatbestandsverwirklichung könne nämlich bei genauer Betrachtung eine Kausalkette umfassen und kein gesetzlicher Tatbestand könne garantieren, dass die Kausalkette besonders „kurz“ (Tätigkeitsdelikt) oder besonders „lang“ (Erfolgsdelikt) sei. Dem ist inswoweit zuzustimmen, als auch bei den Erfolgsdelikten Konstellationen denkbar sind, wo Tathandlung und Erfolg zusammenfallen können (etwa im Falle einer Ohrfeige); dies ist aber nicht tatbestandlich zwingend, wie das Gegenbeispiel der Verabreichung eines langsam wirkenden Gifts zeigt. Dies unterscheidet die Erfolgsdelikte eben von den Tätigkeitsdelikten, wo Tathandlung und Erfolg stets und zwingend zusammenfallen, weil die Tatbestandshandlung eben den Erfolg verkörpert. 80 A. A. Walter, GA 2001, 130, 132, demzufolge § 153 StGB deshalb ein Erfolgsdelikt darstellt, weil die Tat erst dann vollendet sei, wenn der Richter die Befragung und der Zeuge seine Bekundung zum Gegenstand der Vernehmung beendet haben. 75 76
§ 2 Die Tatherrschaft u¨ber den Ursprung der Tat
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und ganz h. M. aber erst in dem Moment beginnen, in dem der Täter zur Aussage selbst ansetzt. Es gibt hier also keine der Tatbestandsausführung vorgelagerte Versuchszone, weshalb ein Rückgriff auf die zum Defekt führende Handlung nicht in Betracht kommt.81 Diese Beschränkung der Tatbegehung auf die unmittelbare Tatbestandsverwirklichung ist aber deshalb berechtigt, weil hier (anders als bei den reinen Erfolgsdelikten und den Erfolgsdelikten mit besonderer Tathandlungsbeschreibung) nur die Handlung an sich, kein von ihr abtrennbarer Erfolg pönalisiert ist.82 Daher tritt der Täter nicht schon mit der Beseitigung der Tatherrschaft, sondern erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur eigentlichen Tatbestandsverwirklichung ins Versuchsstadium ein. Dort fehlt seinem Verhalten in den Vorverschuldensfällen aber ein verbrechenskonstitutives Merkmal, so dass eine Erfolgszurechnung bei den Tätigkeitsdelikten ausscheidet.
IX. Unterschiede zu Schünemanns „Tatherrschaft über den Grund“ Die vorstehend erarbeitete Konzeption der Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft gründet auf dem Gedanken, dass eine Zurechnung auch dort möglich sein muss, wo der Täter bei Realisierung des Erfolges zwar keine Tatherrschaft über sein Verhalten mehr innehat, er aber immerhin bei Eintreten ins Versuchsstadium aktuelle Tatherrschaft über sein Verhalten ausübte, welche er später vorsätzlich beseitigt hat. Dieses Modell erinnert an das von Schünemann für das Unterlassungsdelikt entwickelte Zurechnungsmodell der Tatherrschaft über den „Grund“ der Tat.83 Schünemann ist allerdings um den Nachweis bemüht, dass auch die Unterlassungshaftung auf dem Tatherrschaftsprinzip beruht und möchte daher belegen, dass z. B. der unterlassende Ingerenzgarant aufgrund seines vorhergehenden Beitrags aktuell durchaus Tatherrschaft ausübt. Er geht also davon aus, dass die im Vorverhalten zum Ausdruck kommende Tatherrschaft als „Grund der Tat“ im sich anschließenden Unterlassen fortwirkt. Anders liegt es nach dem hier vertreten Konzept. Die Zurechnung basiert nicht auf dem Gedanken, dass der Täter kraft seines Vorverschuldens, das den Ursprung der Tat bildet, Tatherrschaft innehat. Ganz im Gegenteil wird davon ausgegangen, dass der Täter mit Herbeiführung des Defekts seine Tatherrschaft verloren hat. Gerade wegen der Aufgabe der Tatherrschaft wird ihm der Erfolg zugerechnet, nicht aber, weil seine Tatherrschaft angesichts des Vorverschuldens fingiert wird. 81 So i. E. auch Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 136, grundsätzlich wohl auch Hoyer, GA 2008, 711, 715. 82 Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass man die Tatbestandsverwirklichung an sich als den Erfolg bezeichnet, denn Tathandlung und Erfolg fallen auch dann immer noch zwingend zusammen. 83 Hierzu ausführlich oben Kap. 2, § 2 V. 2. e) (4).
Kapitel 4
Die Zurechnung fahrlässig mittelbar bewirkter Erfolge Konnten aus der Systematik der §§ 25 ff. StGB Zurechnungsregeln für die Erfolgszurechnung vorsätzlich mittelbar bewirkter Erfolge gewonnen werden, so bleibt zu überprüfen, ob diese Regeln auch im Falle fahrlässig mittelbar bewirkter Erfolge tragen. Den Ausgangspunkt bilden dabei – wie schon in Kapitel 2 – nicht die Vorverschuldensfälle, sondern andere Konstellationen mittelbarer Erfolgsverwirklichung. Es handelt sich auch hier zunächst um Fälle der Erfolgsbewirkung durch mehrere Personen, von denen eine fahrlässig eine Ursache dafür setzt, dass eine weitere Person den Erfolg schlussendlich herbeiführt. Dabei soll einerseits unterschieden werden zwischen der Opferschädigung durch vorsätzliches und fahrlässiges Dazwischentreten eines Dritten und andererseits der Erfolgsherbeiführung durch das Opfer selbst aufgrund fremder Veranlassung.
§ 1 Das vorsätzliche Dazwischentreten eines Dritten Beruht der Erfolg auf einem vorsätzlichen Dazwischentreten Dritter, so teilen sich die Meinungen zu der Regressfrage in zwei Lager: während teilweise dafür plädiert wird, dass das vorsätzliche Zweitverhalten ein absolutes Regressverbot zur Folge hat, soll nach anderer Ansicht die Zurechnungsfrage flexibel und einzelfallbezogen beantwortet werden.1 Die Rechtsprechung hat sich mehrfach2 mit der fahrlässigen Verursachung einer Vorsatztat und dem damit verbundenen Problem der Erfolgszurechnung auseinandergesetzt und die Regressfrage dabei stets flexibel gehandhabt. 1 Ein zugegebenermaßen etwas konstruiertes Beispiel aus der Literatur findet sich bei Maiwald, JuS 1984, 439, 440, in dem der fahrlässig Verletzte im Krankenhaus von einem Attentäter erschossen wird. 2 Vgl. etwa die Entscheidung RGSt 58, 366, die die fahrlässige Verursachung einer vorsätzlichen ungenehmigten Ausfuhr betraf. Hier bejahte das Gericht eine fahrlässige Tatbegehung. Auch in RGSt 61, 318 rechnete das Gericht den durch eine vorsätzliche Brandstiftung verursachten Erfolg dem fahrlässigen Ersthandelnden, der eine feuergefährliche Wohnung vermietet hatte, zu. Ablehnend Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 194, demzufolge die bloße Eröffnung einer Möglichkeit zur Tatbegehung nicht die Gefahr einer Vorsatztat begründet.
§ 1 Das vorsa¨tzliche Dazwischentreten eines Dritten
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In dem Sachverhalt, der einer Entscheidung des RG3 zugrunde liegt, hatte die Geliebte mit dem Ehemann längere Zeit über die Beschaffung von Gift für die Ehefrau verhandelt; beide hatten auch schon vorher über eine eheliche Verbindung für den Fall gesprochen, dass die Gattin sterben sollte. Schließlich hatte die Geliebte jedoch gegenüber dem Ehemann geäußert, er werde doch seiner Frau nichts anhaben wollen. Die Geliebte war – nachdem der Ehemann seine Frau tatsächlich vergiftet hatte – wegen fahrlässiger Tötung bestraft worden, da die Annahme eines geplanten Giftmordes für die Angeklagte sehr nahe gelegen habe. In eine ganz andere Richtung weist das freisprechende Urteil des schweizerischen Kassationshofs.4 Dort hatte die Angeklagte, die Erbin eines Bauernhauses, dessen Instandsetzung beträchtliche Kosten verursacht hätte, gegenüber zwei Bekannten geäußert, es wäre das Beste, wenn man das Haus „warm abbräche“, d. h. in Brand setze. Als ihre Bekannten erwiderten, dies sei für sie eine Kleinigkeit und nachfragten, wie viel ihr die Angelegenheit wert sei, nannte die Angeklagte den Betrag von 5000 Franken und beschrieb den beiden die Lage des Hofes und den Weg dorthin. Beim Auseinandergehen sagte die Angeklagte schließlich noch zu den beiden, sie sollten „keinen Weich“ machen. Sodann verreiste sie für mehrere Tage, während ihre Bekannten das Haus anzündeten, da sie der Auffassung waren, die Angeklagte habe ihr Angebot ernst gemeint. Dies wurde von letzterer freilich bestritten. Das Gericht verneinte daraufhin den Anstiftervorsatz, lehnte aber auch die fahrlässige Verursachung einer Feuerbrunst gem. Art. 222 des schweizerischen StGB ab, da die Entwicklung des Geschehens für die Angeklagte nicht vorhersehbar gewesen sei.5 Beide Beispiele deuten darauf hin, dass das Kriterium der Vorhersehbarkeit einer gewissen Beliebigkeit Tür und Tor öffnet. Im Folgenden sollen daher zunächst eine Auseinandersetzung mit alternativen Lösungsvorschlägen erfolgen.
I. Die Annahme eines grundsätzlichen Regressverbots Im Bereich des vorsätzlichen Zweitverhaltens gewinnt in jüngerer Zeit eine Ansicht an Anhängerschaft, welche sich dafür ausspricht, dass der fahrlässig Ersthandelnde hinsichtlich des durch den Dritten vermittelten Erfolgs nicht mehr haften soll.6 RGSt 63, 370; zustimmend Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 192. BGE 105 IV, S. 330 ff. 5 Krit. Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 192 f., der hervorhebt, dass das Verhalten der Angeklagten sogar nach seinem äußeren Erscheinungsbild für eine Anstiftung ausgereicht hätte. Außerdem habe die Angeklagte die durch ihr Geldangebot hervorgerufene Tatgeneigtheit ihrer Bekannten durchaus erkannt. In der Tat scheint es vor diesem Hintergrund schwer begründbar, die Adäquanz der Brandstiftung zu verneinen, weshalb sich Roxin für eine Fahrlässigkeitsbestrafung ausspricht. 3 4
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Kap. 4: Die Zurechnung fahrla¨ssig mittelbar bewirkter Erfolge
Die hier vorzufindenden Begründungen decken sich teilweise mit der soeben dargestellten Argumentation für eine Zurechnungsunterbrechung bei der Verursachung vorsätzlichen Drittverhaltens außerhalb der §§ 25 I Alt. 2, 26 StGB.7 Zum Teil wird aber auch gezielt auf die Struktur des Fahrlässigkeitsdelikts und dem ihm zugrunde liegenden Täterbegriff eingegangen.
1. Der restriktive Täterbegriff im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte Immer wieder zeigen sich in diesem Zusammenhang Bestrebungen, ein Regressverbot damit zu begründen, dass auch im Bereich der Fahrlässigkeistdelikte ein restriktiver Täterbegriff gelte.8 a) Die Argumentation anhand der §§ 25 ff. StGB Ausgangspunkt ist dabei der im Rahmen der Vorsatzdelikte inzwischen einhellig anerkannte Täterbegriff der §§ 25 ff. StGB – insbesondere auch der §§ 26, 27 StGB.9 Zwar gelten §§ 26, 27 StGB ihrer Fassung nach ausdrücklich nur für vorsätzliche Verursachungsbeiträge. Hierin liege jedoch keineswegs ein Präjudiz dafür, dass eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen im Bereich der Fahrlässigkeit unmöglich sei. Vielmehr sei eine Unterscheidung auch dort ohne weiteres möglich10 und erforderlich, da auch im Fahrlässigkeitsbereich unterschiedliche Handlungen ein unterschiedliches Maß an Verantwortung bewirken könnten. Dementsprechend habe auch dort eine differenzierte Verantwortungszuschreibung zu erfolgen,11 welche lediglich nicht mit dem Instrumentarium des Finalismus erklärt werden könne, da dieses im Bereich der Fahrlässigkeit mangels spezifischer Zweckverfolgung nicht zum Tragen komme.12 6 Zu nennen sind aus der älteren Literatur etwa Frank, StGB, § 1 Anm. III 2 a; v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 219 ff.; Wuttig, Fahrlässige Teilnahme, 1902, S. 116 ff.; Binding, Grundriß, S. 152 f., 171; Naucke, ZStW 76 (1964), 424 ff., 432 ff.; H. Mayer, Strafrecht, S. 138; Larenz, NJW 1955, 1012; Lampe, ZStW 71 (1959), 615. Aus der neueren Literatur vertreten diese Auffassung beispielsweise Diel, Regressverbot, (1997), S. 279 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 300 ff.; Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 609 f.; Haas, in: Zurechnung, 2004, S. 193, 220; Leupold, Tathandlung, 2005, S. 200. 7 Dazu oben Kap. 2, § 3. 8 Vgl. etwa Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 110; Diel, Regressverbot, 1997, S. 279 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 300 ff.; Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 609 f.; Leupold, Tathandlung, 2005, S. 200; Spendel, JuS 1974, 749, 754. Tendenziell auch Lesch, GA 1994, 112, 120. 9 LK-Roxin, 11. Auflage, vor § 25, Rn. 10; SK-Hoyer, vor § 25 Rn. 8. 10 Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 609 f. 11 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 138. 12 Lesch, GA 1994, 112, 120; Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 609.
§ 1 Das vorsa¨tzliche Dazwischentreten eines Dritten
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Von dem Täter des Vorsatzdelikts unterscheidet sich der Täter des Fahrlässigkeitsdelikts in der Tat allein dadurch, dass er das Geschehen nicht bewusst auf den Erfolg hin steuert, dennoch aber als Steuerungssubjekt erscheint, weil er derjenige ist, der die Rechtsgutsverletzung zu verantworten hat.13 Jakobs nennt in diesem Zusammenhang als Beispiel einer fahrlässigen Anstiftung, dass ein Landwirt in einer Gastwirtschaft äußert, seinem Nachbarn sei finanziell nur noch durch einen Scheunenbrand zu helfen. Er denkt dabei nicht daran, dass aufgrund der Bemerkung einer der Zuhörer die Scheune anzünden werde, was dann aber trotzdem geschieht.14 Dass eine fahrlässige Anstiftung konstruktiv möglich ist, kann auch laut Hruschka nicht bezweifelt werden. Nicht zu bezweifeln sei allerdings auch, dass der Strafausdehnungsgrund des § 26 StGB expressis verbis nur die vorsätzliche Anstiftung unter Strafe stelle, woraus die Straflosigkeit der fahrlässigen Anstiftung folge.15 Dem entspreche es, dass die bloß fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstverletzung bzw. -gefährdung nicht strafbar sei, was damit begründet werde, dass sogar ein vorsätzliches Verhalten des Ersthandelndem in diesem Zusammenhang straflos bliebe.16
b) Das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG Dieses Ergebnis wird auch damit begründet, dass – unabhängig von den §§ 25 ff. StGB – der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG einen restriktiven Täterbegriff im Bereich der Fahrlässigkeit gebiete. Bereits aus der gesetzlichen Unrechtsbeschreibung der Tatbestände müsse erkennbar sein, ob und wie ein Verhalten sanktioniert werde.17 Nur so könne der Bürger der Norm entnehmen, welchem Risiko einer Bestrafung er sich aussetze und sein Verhalten entsprechend ausrichten.18 Der extensive Einheitstäterbegriff untergrabe diese Steuerungsfunktion, da ihm zufolge jedwedes sorgfaltspflichtwidrige Verhalten untersagt sein müßte, das auf irgendeine Weise eine Bedingung für den Erfolg setze.19 Letztendlich wird also Otto, JuS 1974, 702, 705. Jakobs, AT, 24 / 17. 15 Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 609 f.; Leupold, Tathandlung, 2005, S. 197, 200, 203. 16 BGHSt 32, 262, 264 f. m. w. N.; 36, 1, 17; BGH NJW 1991, 308; Spendel, JuS 1974, 749 ff.; Otto, FS-Spendel, 1992, S. 276; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 110 ff. Ausgerechnet Welzel, der eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei den Fahrlässigkeitsdelikten strikt ablehnt, spricht freilich im Zusammenhang mit der Suizidbeteiligung von einer „fahrlässigen Beihilfe“, vgl. Welzel, Strafrecht, S. 99, 102. Näher dazu unten Kap. 4, § 3 I. 17 BVerfGE 25, 269, 285; 37, 201, 207; 47, 109, 120; 64, 389, 393 f.; 71, 109, 115; 85, 69, 73; BGHSt 23, 167, 171. 18 NK-Puppe, vor § 13, Rn. 21. 19 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 55, 141. 13 14
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Kap. 4: Die Zurechnung fahrla¨ssig mittelbar bewirkter Erfolge
damit argumentiert, dass die fahrlässigen Erfolgsdelikte an Kontur verlören, legte man ihnen einen extensiven Täterbegriff zugrunde.20
2. Der extensive Täterbegriff im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte Die Literatur geht dennoch weithin davon aus, dass das geltende Strafrecht nicht zwischen der fahrlässigen Täterschaft und der fahrlässigen Teilnahme differenziere, sondern auf Abstufungen verzichte und nur den Einheitstäter kenne.21 Jedes Maß der Mitursächlichkeit für den unvorsätzlich herbeigeführten tatbestandlichen Erfolg durch eine sorgfaltspflichtwidrige Handlung soll Täterschaft hinsichtlich des betreffenden fahrlässigen Delikts begründen können.22
a) Nichtanwendbarkeit der §§ 25 ff. StGB Besonders häufig wird darauf verwiesen, dass die §§ 25 ff. StGB im Bereich der Fahrlässigkeit nicht anwendbar wären. Dies trifft auf die §§ 26, 27 ff. StGB freilich zu. § 25 StGB beschränkt die Täterschaftsformen der unmittelbaren, der mittelbaren sowie der Mittäterschaft jedoch nicht expressis verbis auf Vorsatztaten, so dass diesbezüglich entsprechende Differenzierungen auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte nicht a priori ausgeschlossen sind. Dies wird freilich von der h. M. mit der Begründung bestritten, dass im Bereich der Fahrlässigkeit eine Differenzierung nach dem Kriterium der Tatherrschaft gar nicht möglich sei, weil wegen der fehlenden Kenntnis vom Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges bei keinem Beteiligten von einer Beherrschung des Gesamtgeschehens ausgegangen werden könne.23 In der Tat bleibt für die zur vorsätzlichen Täterschaft entwickelten Abgrenzungskriterien kein Raum, da der Fahrlässigkeitstäter nicht final im Hinblick auf den Erfolg handelt.24 Damit ist aber nicht gesagt, dass eine Verantwortungsabschichtung im Bereich der Fahrlässigkeit per se ausgeschlossen ist.25 In dieser Richtung auch Otto, FS-Spendel, 1992, S. 271, 274. Welzel, Strafrecht, S. 99; ders., ZStW 58 (1939), 491, 540; Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 90 ff.; Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 99 ff.; Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 178; Mitsch, JuS 2001, 105 ff. Hirsch, FS-Lenckner, 1998, S. 119, 140 begründet diesen Unterschied zum Vorsatzdelikt damit, dass bei der Fahrlässigkeit eine allgemeine Risikohandlung, nicht die konkrete Erfolgsverwirklichungshandlung bestraft werde. 22 Vgl. hierzu etwa Satzger, Jura 2006, 513, 516. 23 Vgl. etwa Jescheck / Weigend, Strafrecht, S. 533; Puppe, Jura 1998, 21, 26. Einschränkend Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 27; Materialien I, S. 130, 146, der die Tatherrschaft als finale Sinnbeziehung zum tatbestandsmäßigen Erfolg immerhin auch beim bewußt fahrlässig herbeigeführten Erfolg für möglich hält. 24 Dazu auch LK-Roxin, 11. Auflage, § 25, Rn. 156. 25 Dazu unten Kap. 4, § 1 I. 3. b). 20 21
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b) Der unterschiedliche Wortlaut der Vorsatzund Fahrlässigkeitsdelikte Als weiteren Grund für die Geltung eines extensiven Täterbegriffs im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte nennt die h. M. die unterschiedliche Formulierung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten:26 während die Vorsatzdelikte die Tathandlung bildlich genau umschreiben, genüge im Fahrlässigkeitsbereich jedwede pflichtwidrige Erfolgsverursachung. So heißt es etwa in § 212 StGB „Wer einen Menschen tötet . . .“, wohingegen § 222 StGB lautet: „Wer . . . den Tod eines Menschen verursacht, . . .“.27 Bereits diese Wendung lasse erkennen, dass bei der Fahrlässigkeit ein weiter Täterbegriff gelte. Schünemann beruft sich zudem darauf, dass in bestimmten Vorschriften des Waffen- und Arzneimittelrechts „vorgelagerte Sorgfaltspflichten“ enthalten seien, welche den allgemeinen Gedanken erkennen ließen, dass für das Fehlverhalten Dritter im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte zu haften sei.28
c) Die Argumentation anhand von § 14 OWiG Zum Teil wird insbesondere in der Rechtsprechung29 die Geltung eines extensiven Täterbegriffs im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte mit einer Parallele zum Ordnungswidrigkeitenrecht begründet. In diesem Zusammenhang wird vor allem § 14 I 1 OWiG genannt, demzufolge jeder, der sich an einer Ordnungswidrigkeit beteiligt, „ordnungswidrig“ handelt, d. h. Täter ist. Hier entfällt also – anders als in §§ 25 ff. StGB – einerseits die Unterteilung in Täterschaft und Teilnahme, andererseits die Unterteilung in Vorsatz und Fahrlässigkeit. Diese Norm zeigt, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht von einem Einheitstäterbegriff ausgeht, demzufolge die fahrlässige Mitwirkung an einer fremden vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit ohne weiteres als fahrlässige Mittäterschaft bestraft werden kann.30 Diese Gegebenheit soll auf das Strafrecht übertragbar sein.
d) Das Erfordernis einer flexiblen Erfolgszurechnung Maßgeblicher Grund für die Ablehnung eines generellen Regressverbots scheint letztendlich jedoch das als notwendig empfundene Bedürfnis zu sein, die Zurechnungsfrage im Falle drittvermittelter Erfolge flexibel handhaben zu können, um den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen zu können.31 Als Be26 27 28 29 30
Vgl. etwa Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 211 f. Vgl. Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 100. Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 210. Vgl. etwa OLG Karlsruhe MDR 1986, 431. Vgl. dazu auch BT Drucks. V / 1269, S. 49.
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gründung für diese Notwendigkeit werden jedoch keine dogmatischen Ableitungen vorgenommen, sondern die Kritik beschränkt sich darauf, vor einer „Pauschalbeurteilung“ zu warnen. So etwa bezeichnet Puppe die Annahme eines generellen Regressverbots als bloßes Postulat, das auf die Konsequenz „den letzten beißen die Hunde“ hinauslaufe.32 In diesen Äußerungen spiegelt sich die Einschätzung wider, dass eine ausdifferenzierte strafrechtliche Verantwortungszuschreibung im Wege eines generellen Regressverbots weder erreichbar noch dogmatisch zu begründen ist. Die Kritik bleibt freilich am Ende den Beweis schuldig und entspricht wohl eher einem unbestimmten Rechtsgefühl, das einer Bestrafung des Ersthandelnden nicht prinzipiell entgegensteht.33 In einer Entscheidung des RG heißt es gar, ein Regreßverbot sei der Rechtsprechung „hinderlich“34 und verbaue angemessene Lösungen35. Stattdessen wird versucht, auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs eigenständige Fallgruppen und Kriterien zur Zurechnungsunterbrechung zu entwickeln. Diese ergebnisorientierte Vorgehensweise soll im Verlaufe der vorliegenden Untersuchung einer näheren Überprüfung unterzogen werden.36 e) Kriminalpolitische Argumente Die Ablehnung eines generellen Regreßverbots und der Ruf nach einer flexiblen Handhabung der Fälle nachträglichen Fehlverhaltens scheint auch von kriminalpolitischen Gründen getragen. Sehr einprägsam hat Engisch dies auf den Punkt gebracht: „Man könnte (im Absehen vom Regressverbot) vielleicht eine Neigung zur Anerkennung einer geschärften sozialen Verantwortung sehen.“37 Dieser Gesichtspunkt fußt ersichtlich auf den Gedanken der General- und Spezialprävention, da einerseits die sozialpsychologische Wirkung, der „Eindruck“ der Tat auf die Allgemeinheit, andererseits die Besserungsfähigkeit des Ersthandelnden mitberücksichtigt werden. Dabei verfolgt die Generalprävention die Zwecke, potentielle Täter abzuschrecken38 und das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung zu stabilisieren39. Bei der Spezialprävention steht hingegen die Resozialisierung des Täters und der Schutz der Gesellschaft im Vordergrund.40 Ob diese zusätz31 Roxin, FS-Honig, 1970, S. 132, 144; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 210; Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 136, 138; Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 50. 32 NK-Puppe, Vor § 13, Rn. 162. 33 Auf das „Rechtsgefühl“ beruft sich etwa RGSt 64, 319, 320. 34 RGSt 64, 319. 35 RGSt 64, 373. 36 Vgl. dazu unten Kap. 4, § 1 III. 37 Engisch, Kausalität, 1931, S. 86. 38 Feuerbach, Revision I, S. 49. 39 Weiterführend Wolff, ZStW 97 (1985), 786 ff.; Kindhäuser, GA 1994, 197, 201; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 29. 40 Naucke, Strafrecht, § 1, Rn. 141.
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lichen Gesichtspunkte zur Erreichung aktzeptabler Ergebnisse wirklich unabdingbar sind, darf freilich bezweifelt werden.41
3. Stellungnahme a) Das argumentum e contrario mittels der §§ 25 ff. StGB Die von der h. M. gezogene Schlussfolgerung, dass im Fahrlässigkeitsbereich anders als bei den Vorsatzdelikten ein extensiver Täterbegriff gelten müsse, ist keineswegs zwingend.42 Zunächst ist es – wie Jakobs Beispiel zeigt – ohne weiteres möglich, auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten in Täterschaft und Teilnahme zu differenzieren.43 Die Täterschaft lässt sich lediglich nicht als finale Tatherrschaft darstellen.44 Der Täter des Fahrlässigkeitsdelikts steuert nämlich – anders als der Täter des Vorsatzdeliktes – das Geschehen nicht bewusst auf einen deliktischen Erfolg hin, erscheint aber gleichwohl als Steuerungssubjekt des tatbestandlich erfaßten sozialen Sinngehalts, weil er derjenige ist, der die Rechtsgutsverletzung unmittelbar zu verantworten hat.45 Daraus kann aber nur gefolgert werden, dass die für das vorsätzliche Begehungsdelikt entwickelten Täterkriterien nicht auf das Fahrlässigkeitsdelikt übertragen werden können, so dass es insoweit anderer Kriterien bedarf.46 Versteht man die Teilnahmeregelungen als Strafbarkeitsausdehnungsgründe, so ist ersichtlich, dass eine fahrlässige Teilnahme mit Blick auf Art. 103 II GG nur dann strafbar sein kann, wenn es – was nicht der Fall ist – eine den §§ 26, 27 StGB entsprechende Regelung gäbe. Kurz: hätte der Gesetzgeber neben der vorsätzlichen auch die fahrlässige Teilnahme an fremder Haupttat erfassen wollen, hätte er dies normieren müssen.47 Da dies nicht geschehen ist, widerspricht eine Umdeutung Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 421. Näher dazu unten Kap. 4, § 1 I. 3. g). Eschenbach, Jura 1992, 637, 643. 43 Dies belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass die fahrlässige Mittäterschaft in der Literatur seit jeher häufig für möglich gehalten wurde, vgl. etwa Goltdammer, GA 15 (1867), 17; Binding, Grundriß, 1913, S. 152; Roxin, Täterschaft, 2006, S. 531 f. Kamm, Fahrlässige Mittäterschaft, 1999, S. 195 ff.; Otto, FS-Maurach, 1992, S. 104; Dencker, Kausalität, 1996, S. 174 ff. 44 Nur insoweit ist Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 178 zuzustimmen. Nicht geteilt werden kann hingegen der Schluss, dass eine Unterscheidung in Täterschaft und Teilnahme deshalb schlechterdings unmöglich sei: die Fahrlässigkeitsdelikte weisen eine von den Vorsatzdelikten verschiedene Struktur auf, die eine abweichende Bestimmung der täterschaftsbegründenden Umstände nicht bloß erlaubt, sondern sogar gebietet. Im Übrigen sind die im Bereich der Vorsatzdelikte anerkannten Kriterien der Tatherrschaftslehre nicht seit ehedem fest im Gesetz verankert, sondern wurden erst im Laufe der Zeit durch die Literatur entwickelt. 45 Otto, Jura 1987, 246, 258. 46 Dazu nachfolgend Kap. 5, § 1. In diesem Sinne auch Becker, additive Mittäterschaft, 2009, S. 176. 47 Spendel, JuS 1974, 756. Dass eine solche Regelung möglich wäre, beweist etwa § 20 I Nr. 2, III Alt. 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen, welche einen Fall fahr41 42
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strafloser fahrlässiger Teilnahme in strafbare fahrlässige Täterschaft der gesetzgeberischen Entscheidung.48 Die täterschaftliche Verantwortlichkeit für eine Fahrlässigkeitstat kann nicht weiter reichen als für die entsprechende Vorsatztat:49 es wäre sinnwidrig, wenn die Verwirklichung einer geringeren Schuldform Sanktionen auslöste, wo nicht einmal das Vorliegen der schwereren Schuldform (i. e. des Vorsatzes) zur Bestrafung führt.50 Die Fahrlässigkeitshaftung umfasst daher nicht einen der Teilnahme analogen Bereich, sondern allein jenen, der der Haftung als „Täter“ des Vorsatzdeliktes entspricht.51 b) Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässigen Taten Freilich wirft dies die Frage auf, wie die Täterschaft im Fahrlässigkeitsbereich zu bestimmen und von der Teilnahme abzugrenzen ist. Hierzu kann – wie bereits erörtert – nur auf § 25 StGB zurückgegriffen werden, der seinem Wortlaut nach (anders als §§ 26, 27 StGB) nicht auf die vorsätzliche Tatbegehung beschränkt ist.52 Dass eine Unterteilung in Täterschaft und (straflose) Teilnahme auch bei dem fahrlässigen Delikt theoretisch möglich ist,53 hat das von Jakobs gebildete Beispiel der fahrlässigen Anstiftung zur Brandstiftung gezeigt. Dass zudem auch verschiedene Täterschaftsformen bei der Fahrlässigkeit denkbar sind,54 soll nachfolgend dargelegt werden.55 Erörterungsbedürftig erscheinen insofern die fahrlässige mittelbare Täterschaft sowie die fahrlässige Mittäterschaft. (1) Die fahrlässige Mittäterschaft Vor allem letztere hat in der Literatur – anders als in der Rechtsprechung – inzwischen kontinuierlich Anhänger gewonnen.56 lässiger Beihilfe unter Strafe stellt. Bei Zugrundelegung der h. L., welche einen extensiven Täterbegriff für die Fahrlässigkeitsdelikten vertritt, ist diese Norm freilich überflüssig und sogar fehlleitend. 48 Spendel, JuS 1974, 756; Otto, FS-Spendel, 1992, S. 274 f.; Diel, Regreßverbot, 1997, S. 330. Auch BayOblGSt 12, 418 lehnt eine Umdeutung der fahrlässigen Anstiftung in eine fahrlässige Täterschaft expressis verbis ab. 49 H. Mayer, AT, S. 312; vgl. auch Wehrle, Beteiligung, 1986, S. 83. 50 Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241, 245. 51 Otto, JuS 1974, 702, 705, der es als widersprüchlich bezeichnet, wenn ein- und dieselbe Rechtsordnung einerseits die Haftung im Vorsatzbereich streng begrenzt, andererseits im Fahrlässigkeitsbereich ausdehnt. 52 Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 22, Rn. 74; Becker, additive Mittäterschaft, 2009, S. 173. 53 Bejahend auch Spendel, JuS 1974, 749, 754. 54 Vgl. auch Renzikowski, GA 2007, 560, 576 f. 55 Vgl. hierzu auch LK-Schünemann, § 25, Rn. 217 ff. 56 Vgl. bereits Goltdammer, GA 15 (1867), 17; Binding, Grundriß, 1913, S. 152; Roxin, Täterschaft, 2006, S. 531 f.; Bindokat, JZ 1979, 434 ff.; Brammsen, Jura 1991, 537 f.; Dencker,
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Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich im Bereich der Gremienentscheidungen ein großes praktisches Bedürfnis für diese Zurechnungskonstruktion gezeigt hat:57 wenn etwa bei einem Beschluss über die Freigabe eines gesundheitsschädlichen Produkts ein Abstimmungsergebnis zustande kommt, bei dem auch eine Gegenstimme am Verlauf der Dinge nichts geändert hätte, ist die Kausalität des jeweiligen Abstimmungsverhaltens schwer begründbar. Denn jedes Gremienmitglied kann sich darauf berufen, dass bei einem Hinwegdenken seines zustimmenden Votums der weitere Kausalverlauf und der Erfolg dieselben gewesen wären.58 Dieses Problem entfällt bei Annahme einer fahrlässigen Mittäterschaft, denn dort ist eine Kausalität jedes einzelnen Mittäters für den Erfolg nicht unbedingt erforderlich. Es genügt, dass das gemeinsame Verhalten als solches zum Erfolg geführt hat und dass es auf den Beitrag des einzelnen bei einer Betrachtung ex ante hätte ankommen können.59 Dies veranschaulicht folgender Fall: A und B verabreden, ein Motorradwettrennen auf der Landstrasse durchzuführen. Sie sind sich dabei der Gefährlichkeit ihres Verhaltens bewusst, vertrauen aber darauf, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen werde. Tatsächlich wird aber ein Passat beim Überqueren der Strasse erfasst. Ob A oder B den Passanten getötet hat, lässt sich nicht feststellen. Dies ist aber auch nicht maßgeblich, da die Mittäterschaft nicht voraussetzt, dass jeder Beteiligte kausal für den Erfolg geworden ist. Sowohl A als auch B sind daher gemäß §§ 222, 25 II StGB zu bestrafen. Kausalität, 1996, S. 177 ff.; Eschenbach, Jura 1992, 643 f.; Hilgendorf, NStZ 1994, 563 f.; Kamm, Fahrlässige Mittäterschaft, 1999, S. 175 f.; Knauer, Kollegialentscheidung, 2001, S. 181 ff.; Küpper, GA 1998, 526 f.; Lesch, GA 1994, 119 ff.; Otto, FS-Maurach, 1972, S. 104 f.; ders.; JuS 1974, 702 ff.; ders.; Jura 1990, 47 ff.; ders.; Spendel-FS, 1992, S. 271 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 261, 282 ff.; Spendel, JuS 1974, 749 ff.; Weißer, Kollegialentscheidungen, 1995, S. 146 ff.; dies.; JZ 1998, 230 ff.; Lampe, ZStW 106 (1994), 692 f.; Utsumi, Jura 2001, 538 ff. Anders Exner, FG-Frank, 1930, S. 569, 572; Frank, StGB, vor § 47 a.F., Anm. IV, § 47 a.F., Anm. III; Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 73; Bottke, GA 2001, 463 ff.; Puppe, GA 2004, 129 ff.; Vassilaki, FS-Schreiber, 2003, S. 499 ff.; Becker, additive Mittäterschaft, 2009, S. 181 f.; Haas, Tatherrschaft, 2008, S. 142. 57 Berühmtheit hat insoweit die Lederspray-Entscheidung des BGH in BGHSt 37, 106, 130 f. erlangt, der – vereinfacht – folgender Sachverhalt zugrunde lag: eine Firmengruppe produzierte und vertrieb Ledersprays, bei denen im Lauf der Zeit der Verdacht aufkam, ihr Gebrauch würde Gesundheitsschäden verursachen. Obwohl sich die Verdachtsmomente verstärkten, beschlossen die Geschäftsführer gemeinsam, die Produkte nicht zurückzurufen, sondern – mit Warnhinweisen versehen – weiterzuvertreiben. Der BGH verurteilte die Geschäftsführer wegen mittäterschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, weil sie einen Rückruf nur gemeinsam hätten durchführen können. Für einen Teil der Schadensfälle bejahten die Richter dagegen fahrlässige Körperverletzung, obwohl jeder Angeklagte nur einen Teilbeitrag zum Unterbleiben des gebotenen Rückrufs geleistet habe. Dieses Ergebnis setzt zwingend die Anerkennung einer fahrlässigen Mittäterschaft voraus: denn wenn im Vorsatzbereich die Haftung nur über die Figur der Mittäterschaft begründet werden kann, ist nicht ersichtlich, wie dies im Fahrlässigkeitsbereich bei objektiv gleichen Tatbeiträgen anders sein könnte; vgl. auch Dencker, Kausalität, 1996, S. 188 ff.; Hoyer, GA 1996, 173; Lesch, GA 1994, 122. 58 Roxin, AT II, § 25, Rn. 241. 59 Roxin, AT II, § 25, Rn. 241, 211.
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Die fahrlässige Mittäterschaft hat sich heute weitgehend durchgesetzt.60 Soweit eingewandt wird, dass es an einem auf gemeinsame Erfolgsverwirklichung gerichteten Entschluss und eine darauf abzielende arbeitsteilige Ausführung fehle,61 bleibt einmal mehr zu betonen, dass die Kriterien der vorsätzlichen Mittäterschaft selbstverständlich die fahrlässige Mittäterschaft nicht zu erklären vermögen.62 Das ist allerdings offensichtlich, da auch die Fahrlässigkeit selbst eine Modifikation der für die Vorsatztat geltenden Zurechnungskriterien erfordert.63 So etwa würde niemand behaupten, dass Alleintäterschaft bei Fahrlässigkeit Vorsatz in Bezug auf den deliktischen Erfolg voraussetzt – dann ist nicht ersichtlich, warum dies bei der (fahrlässigen) Mittäterschaft, die eine der Alleintäterschaft gleichwertige Täterschaftsform ist, anders sein sollte.64 Daher kann die Zurechnungsfigur der Mittäterschaft mit entsprechenden Modifikationen auf das Fahrlässigkeitsdelikt angewandt werden. Zwar wird teilweise behauptet, dieser Lösungsweg sei in vielen Fällen entbehrlich, da jeder, der ohne gemeinsamen Tatentschluss gemeinschaftlich eine Rechtsgutsverletzung verursacht, ohnehin als fahrlässiger Nebentäter erfasst werde.65 Als Beispiel nennt Roxin den „Felsbrocken-Fall“ des Schweizer Bundesgerichts, der letztlich dem soeben erörterten Motorradrennenfall entspricht: A und B rollen aufgrund gemeinsamen Entschlusses jeder einen Felsbrocken zu Tal. Der Bergwanderer C wird dadurch getötet; es lässt sich aber nicht klären, welcher der beiden Steine den Erfolg verursacht hat.66 Hier könne man statt einer fahrlässigen Mittäterschaft auch eine nebentäterschaftlich begangene fahrlässige Tötung annehmen, indem man davon ausgehe, dass jeder der Beteiligten (für sich) die Gefahr mitgesetzt habe. Diese Erklärung des Kausalprozesses übergeht aber den Umstand, dass der Stein des einen das Opfer nicht getroffen hat, sich also mit anderen Worten im Erfolg nur die Gefahr verwirklicht hat, die durch das Handeln des anderen gesetzt wurde. Die Brücke kann nur über die Zurechnungsnorm des § 25 II StGB geschlagen werden. Insoweit hilft es auch nicht weiter, darauf abzustellen, dass der eine den anderen zu dem rechtsgutsverletzenden Tun verleitet habe.67 Solchenfalls erklärt man nämlich die bloße Verabredung gemeinsamen Handelns für maßgeb60 Anders etwa Baumann, JuS 1963, 86; Jescheck / Weigend, AT, S. 676; Haas, Mehrtäterschaft, 1898, S. 45 f.; Kraatz, Mittäterschaft, 2006, S. 290. 61 Vgl. etwa Puppe, FS-Spinellis, 2001, S. 915, 922; Bottke, GA 2001, 463, 481; Vassilaki, FS-Schreiber, 2003, S. 499, 502. 62 So auch Roxin, AT II, Rn. 242; Otto, Jura 1990, 48; ders., FS-Spendel, 1992, S. 281; Weißer, Kausalitätsprobleme, 1996, S. 146; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 284. 63 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 284. 64 Binding, Schuld, 1919, S. 162; Exner, FG-Frank, 1930, S. 572; Becker, additive Mittäterschaft, 2009, S.176. 65 Jescheck / Weigend, AT, S. 679; Baumann, JuS 1963, S. 86; Donatsch, SJZ 1989, 111. 66 Roxin, AT II, § 25, Rn. 240; hierzu auch Walder, FS-Spendel, 1992, S. 362, 370, der wohl zur Annahme einer fahrlässigen Mittäterschaft neigt. 67 So etwa der BGH im sog. Wettfahrt-Fall, vgl. BGHSt 7, 115.
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lich, die ein typisches Merkmal der Mittäterschaft bildet und ausweislich des § 30 II StGB noch nicht die mittäterschaftliche Tatbestandsverwirklichung darstellt.68 Es bedarf eben auch einer gemeinsamen Ausführungshandlung, die in Roxins Konzept der getrennten Gefahrschaffung keinen Platz hat. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass auch Roxin, der § 25 StGB grundsätzlich für die Fahrlässigkeitsdelikte nicht gelten lassen will, im Rahmen von § 25 II StGB eine Ausnahme macht, da das Gesetz nur eine gemeinschaftliche Begehung, nicht aber deren Vorsätzlichkeit verlange. Damit ist zumindest partiell zugegeben, dass § 25 StGB seinem Wortlaut nach keine Beschränkung auf Vorsatztaten enthält.69 Diese Einsicht stellt allerdings ganz offensichtlich ein aus der Not geborenes Zugeständnis an die Schwierigkeit des Kausalitätsnachweises bei Gremienentscheidungen dar. Die Konstruktion wird aber überwiegend allein um des Ergebnisses willen akzeptiert. Weitestgehend fehlt es an Versuchen, die fahrlässige Mittäterschaft anhand der Zurechnungsstrukturen des Fahrlässigkeitsdelikts zu erklären. Anders verhält es sich seitens derer, die § 25 StGB generell auch auf Fahrlässigkeitstaten anwenden wollen und sich daher der dogmatischen Begründung der fahrlässigen Mittäterschaft näher widmen. Zu nennen ist zunächst der Ansatz Ottos, der die fahrlässige Mittäterschaft als gemeinschaftliche Verantwortung für ein Risiko versteht.70 In diesem Zusammenhang bildet er folgendes Beispiel: an einem Bahnübergang kommt es zu einem Unfall mit einem Reisebus und einem Zug, wobei einerseits der Busfahrer vorschriftswidrig das Fenster geschlossen hatte, so dass er den Warnton der Lokomotive nicht hören konnte, andererseits aber der Lokomotivführer ein Signal auch gar nicht gegeben hatte. Hier möchte Otto beiden Beteiligten nicht das Verhalten des jeweils anderen zurechnen, sondern ihnen die Berufung auf die Pflichtwidrigkeit des anderen mit Verweis auf die eigene Pflichtwidrigkeit versagen. Er behandelt also beide Beteiligten angesichts ihrer beiderseitigen Verantwortlichkeit als Einheit. Renzikowski hat hiergegen allerdings zutreffend eingewandt, dass es dieser Konstruktion bei den Unterlassungsdelikten gar nicht bedarf: Denn sofern nur mehrere Personen durch gemeinsames Tätigwerden einen Erfolg abwenden können, reicht bereits die Untätigkeit einer Person aus, um den Erfolgseintritt vollständig zu erklären – und zwar ohne dass die Kausalität noch durch das Verhalten eines anderen vermittelt werden muss.71 Nur so erklärt sich, dass derjenige, an dessen Untätigkeit allein eine etwaige Rettung scheitert, als Alleintäter zu verurteilen ist. Eine gemeinsame Verletzung der Rettungspflicht ist bei dem Unterlassungsdelikt nämlich gar nicht erforderlich. Ottos Ansatz ist auch im Übrigen insofern zu weit, als er beabsichtigt, die strafrechtliche Haftung Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 285. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 288. Völlig unproblematisch ist dies für diejenigen Autoren, die § 25 StGB ohnehin nur deklaratorische Natur zusprechen, da sich die Täterschaftsform sozusagen „aus der Natur der Sache“ ergebe, vgl. Schild, Täterschaft, 1994, S. 24. 70 Otto, FS-Maurach, 1972, S. 104; ders., FS-Spendel, 1992, S. 283 f. 71 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 290. 68 69
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in Großunternehmen mittels des Kriteriums der gemeinschaftlichen Verantwortlichkeit zu lösen. Die durch Arbeitsteilung geprägte Unternehmensorganisation hat aber regelmäßig gerade den Zweck, verantwortlichkeitsentlastend zu wirken.72 Nach anderer Ansicht ergibt sich die gemeinschaftliche Unterlassungshaftung aus der Verletzung einer Garantenpflicht zur Verhütung der aus dem arbeitsteiligen Vorgehen erwachsenden Gefahren, mithin aus dem unechten fahrlässigen Unterlassungsdelikt.73 Sperren etwa zwei Bauarbeiter ihre Baustelle nicht ab, um sodann bei der gemeinsamen Räumung des Dachstuhls Balken auf die Straße zu werfen, wodurch ein Passant verletzt wird, so soll jeder der Bauarbeiter deshalb haften, weil er es unterlassen hat, die Baustelle ordnungsgemäß zu sichern. Die unmittelbar zum Erfolg führende rechtlich missbilligte Gefahr ist jedoch nicht das Außerachtlassen der gebotenen Aufmerksamkeit hinsichtlich einer etwaigen Absperrung, sondern das Schaffen der Gefahr durch Herabwerfen der Balken. Das Unterlassen ist diesem Begehen nur vorgelagert und schafft selbst noch keine unmittelbare Gefahr.74 Der Umstand, dass die Baustelle nicht abgesperrt wurde, wirkt sich nämlich erst dadurch im Erfolg aus, dass die Bauarbeiter freiverantwortlich (wenngleich lediglich fahrlässig) die Balken auf die Strasse warfen. Eine Garantenpflicht zur Verhinderung eigenverantwortlichen deliktischen Verhaltens kann es aber grundsätzlich nicht geben.75 Im Vordringen befindlich ist schließlich eine Auffassung, die in Parallele zum Vorsatzdelikt eine gemeinschaftliche Gefahrschaffung und Gefahrrealisierung im Bewusstsein, arbeitsteilig an einem gemeinsamen Werk zu arbeiten, verlangt.76 Eine kausale Verknüpfung zwischen dem Erfolg und dem jeweiligen Tatbeitrag soll nicht erforderlich sein. Allerdings setze die Zurechnung voraus, dass jeder Beteiligte die Gefährlichkeit des Gesamtprojekts erkennen konnte und musste.77 Diese Konzeption vereint die Grundsätze der Mittäterschaft mit den Besonderheiten des Fahrlässigkeitsdelikts, ohne deren Struktur zu verbiegen: der Mittäterschaft wird das gemeinsame Handlungsprojekt (i. e. die gemeinsame Ausführungshandlung) sowie das Bewußtsein der gemeinschaftlichen Gefahrschaffung entnommen, welches dem „Tatplan“ bei der vorsätzlichen Mittäterschaft entspricht. Zugleich wird aber hervorgehoben, dass hinsichtlich des eingetretenen Erfolges gerade kein finales Zusammenwirken, sondern lediglich Fahrlässigkeit vorliegt. So etwa ist im „Bauarbeiter-Fall“ das Herabwerfen der Balken auf die ungesperrte Straße Ausdruck der nachlässigen und unsorgfältigen Persönlichkeit der beiden Heine, Verantwortlichkeit, 1995, S. 35 ff. Walder, FS-Spendel, 1992, S. 363; krit. Weißer, JZ 1998, 230, 235. 74 Hierzu näher Renzikoswki, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 291. 75 Hierzu näher unten Kap. 4, § 3 I. 2. 76 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 288; Weißer, JZ 1998, 230, 235; Kamm, Fahrlässige Mittäterschaft, 1999, S. 209; Küpper, GA 1998, 519, 526; Ransiek, ZGR 1999, 613, 644; Pfeiffer, Jura 2004, 519; Knauer, Kollegialentscheidung, 2001, S. 221. 77 Lampe, ZStW 106 (1994) 705; Otto, Jura 1990, S. 49; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 289. 72 73
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Arbeiter und also eine fahrlässige Willensäußerung. Beide Arbeiter erscheinen zusammen als Urheber der Tat und sind daher in dem Fall, dass das Opfer zu Tode kommt, gemäß §§ 222, 25 II StGB zu verurteilen. (2) Die fahrlässige mittelbare Täterschaft Es soll an dieser Stelle zumindest kurz darauf eingegangen werden, ob und inwieweit eine fahrlässige mittelbare Täterschaft denkbar ist.78 Diese könnte etwa Situationen erfassen, in denen eine nicht voll verantwortliche Person durch einen Hintermann fahrlässig zu einer vorhersehbaren Rechtsgutsverletzung veranlasst wird, obwohl die mangelnde Verantwortung des Vordermanns erkennbar oder bekannt war.79 Wie schon bei der Mittäterschaft steht auch bei der mittelbaren Täterschaft der Wortlaut des § 25 I Alt. 2 StGB einer Anwendung auf Fahrlässigkeitsdelikte nicht entgegen. Problematisch erscheint allein, ob sich eine Tatherrschaft im Sinne einer übergeordneten Verantwortung des Hintermanns konstruieren lässt: von einer finalen Steuerung des Vordermanns auf den Tatbestandserfolg hin kann jedenfalls keine Rede sein, da die Fahrlässigkeit gerade in der nichtwissentlichen (und nichtwillentlichen) Erfolgsherbeiführung besteht.80 Dies hindert die Möglichkeit einer fahrlässigen mittelbaren Täterschaft jedoch nicht, sondern bedeutet nur, dass das Kriterium der Tatherrschaft mit den Besonderheiten des Fahrlässigkeitsdelikts abzustimmen ist. Teils heißt es in diesem Zusammenhang, das Pendant zur finalen Tatherrschaft beim vorsätzlichen Delikt sei bei den fahrlässigen Straftaten die potentielle Tatherrschaft, welche sich bei der fahrlässigen Tatbegehung durch einen anderen aus der überlegenen Vermeidemacht des Hintermanns kraft überlegenen Wissens ergebe.81 Damit ist das Wesen der Fahrlässigkeit zum Teil 78 Der etwa bei Jescheck / Weigend, AT, S. 664 aufzufindende Hinweis, diese Zurechnungsfigur sei bei den Fahrlässigkeitsdelikten entbehrlich, da dort aufgrund eines extensiven Täterbegriffs ohnedies jede sorgfaltswidrige Herbeiführung einer Rechtsgutsverletzung die Haftung begründe, ist lediglich eine These, deren Haltbarkeit hier gerade untersucht werden soll. 79 Otto, Jura 1998, 409, 413. 80 Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 29, Rn. 120; Sch / Sch-Cramer / Heine, §§ 25 ff., Rn. 114; Hünerfeld, ZStW 99 (1987), 235; Diel, Regressverbot, 1997, S. 250, 315. 81 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 273; ihm folgend Leupold, Tathandlung, 2005, S. 145 f.; Haas, in: Zurechnung, 2004, S. 193, 220. Für eine fahrlässige mittelbare Täterschaft sprechen sich ebenfalls aus SK-Hoyer, § 25, Rn. 81; Otto, FS-Spendel, 1992, S. 286 ff.; ders.; Jura 1998, 409, 412 f.; Franzheim, Teilnahme, 1961, S. 38 ff., der das Kriterium der potentiellen Tatherrschaft ferner im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte zur Scheidung von Täterschaft und Teilnahme heranzieht. Diese Parallele zwischen Fahrlässigkeit und Unterlassen ist insofern nicht von der Hand zu weisen, als dass die Täterschaft sowohl bei den unechten Unterlassungsdelikten als auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten eine Pflichtverletzung voraussetzt, die aber nur vorliegt, wenn überhaupt zur Tatzeit die Möglichkeit zum Eingreifen bzw. zum sorgfaltsgemäßen Verhalten existierte. Für zumindest prinzipiell möglich halten eine fahrlässige mittelbare Täterschaft LK-Roxin, 11. Auflage, § 25, Rn. 220; ders., Täterschaft, 2006, S. 225; Sch / Sch-Cramer / Heine, vor §§ 25 ff., Rn. 144.
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durchaus zutreffend erfasst, allerdings weckt das einseitige Abstellen auf die potentielle Tatherrschaft Assoziationen an das Unterlassungsdelikt, bei dem der Täter gerade keine aktuelle Herrschaft über das Geschehen ausübt. Das ist bei dem Fahrlässigkeitsdelikt jedoch anders: auch wenn der Täter seine Handlung nicht final auf den Tatbestandserfolg hin ausgerichtet hat, so stellt sich die von ihm verübte Sorgfaltspflichtverletzung doch als sein „Willenswerk“ dar. Bezugspunkt des Willens ist also nicht der Erfolg, sondern die Handlung. Im Fall der bewussten Fahrlässigkeit leuchtet dies ohne weiteres ein, aber auch die unbewusste Fahrlässigkeit ist auf eine Willensäußerung des Handelnden zurückzuführen. Der jeweils gebildete Wille bezieht sich einmal auf die Vornahme einer als sorgfaltspflichtwidrig erkannten Handlung, einmal dagegen auf die Vornahme einer aus Sicht des Agierenden strafrechtlich neutralen Handlung, deren Sorgfaltspflichtwidrigkeit der Handelnde nicht erkannt hat. Sowohl bei der bewusst wie auch bei der unbewusst fahrlässigen Handlung hat der Täter die Herrschaft über sein Verhalten inne. Wer bei rot sehenden Auges über die Ampel fährt, der hat die von ihm vorgenommene Sorgfaltspflichtverletzung beherrscht. Gleiches gilt für denjenigen, der in Gedanken über die rote Ampel gefahren ist. Das mangelnde Bewusstsein der Sorgfaltspflichtverletzung beseitigt nicht das Bestehen einer natürlichen Willensherrschaft über das eigene Verhalten. Diese Herrschaft wird lediglich nicht final zur Erreichung eines strafrechtlichen Erfolges eingesetzt, was angesichts der Vertypung der Fahrlässigkeit zu einem eigenen Delikt auch gar nicht erforderlich ist. Wenn man also von einer potentiellen Tatherrschaft des Fahrlässigkeitstäters spricht, so muss man sich dabei vergegenwärtigen, dass die Tatherrschaft nur im Bezug auf die Vermeidung des Erfolges potentiell ist, dass hinsichtlich des eigenen Verhaltens aber durchaus aktuelle Herrschaft besteht. Dies unterscheidet die Fahrlässigkeit vom Unterlassungsdelikt. Wer also fahrlässig durch einen anderen eine Straftat begeht und dabei überlegene Vermeidemacht hat, dem kommt im Hinblick auf die Steuerung fremden Verhaltens demnach durchaus reale Tatherrschaft zu. Anders verhält es sich, wenn der Hintermann kein überlegens Wissen innehat. Renzikowski illustriert diesen Gedanken am sogenannten „Heroinspritzen-Fall“:82 dort hatte die Angeklagte dem 20-jährigen Opfer sehr starkes Heroin verkauft, dabei aber auf die Risiken des Konsums hingewiesen. Das nicht drogenabhängige Opfer, das gelegentlich Drogen nahm, konsumierte die erworbene Dosis entgegen der ihm erteilten Warnung in einem Zuge und verstarb infolgedessen. Die Angeklagte wurde vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen, da das Opfer die Risiken genau gekannt habe und bewusst eingegangen sei. Die Angeklagte habe auch kein überlegenes Sachwissen gehabt, da sie das Opfer auf die besondere Gefährlichkeit des Rauschmittels hingewiesen und ihm eine entsprechende Anleitung zum Konsum gegeben habe. Daher sei das Opfer eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte 82 BGHSt 32, 265; vgl. auch BGH NJW 2000, 2286 ff.; BGH NStZ 2001, 324 ff. m. krit. Anm. Duttge, NStZ 2001, 546 ff.; Horn, JR 1984, 514.
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Selbstgefährdung eingegangen, deren Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung straflos sei.83 Anderes gelte nur, wenn der Veranlasser der Selbstgefährdung kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst habe als der sich selbst Gefährdende. Dieses Abgrenzungskriterium wendet die Rechtsprechung bei vorsätzlicher und fahrlässiger Tatveranlassung gleichermaßen an. Im Falle vorsätzlicher Tatveranlassung dient es ihr zur Begründung der mittelbaren Täterschaft, derer es im Falle fahrlässiger Veranlassung allein deshalb nicht bedarf, weil die Rechtsprechung bei § 222 StGB ohnehin von einem extensiven Täterbegriff ausgeht. Dass dieser Täterbegriff den Fahrlässigkeitsdelikten aber nicht zugrunde gelegt werden darf, will Renzikowski gerade nachweisen und läßt daher den Rückgriff auf das Erstverhalten auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten nur unter den Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB zu, in dessen Rahmen er – wie die Rechtsprechung – auf das Kriterium des überlegenen Wissens zurückgreift. Verfügen Hinter- und Vordermann über den gleichen Wissensstand, soll bei beidseitiger Fahrlässigkeit eine Erfolgszurechnung beim Hintermann mangels überlegener Vermeidemacht ausscheiden. Die mittelbare Täterschaft setzt also stets eine höherstufige Einsicht des Hintermannes voraus, etwa ein unbewusst fahrlässiges Handeln des Tatmittlers bei mindestens bewusster Fahrlässigkeit des Hintermanns.84 Aber auch bei bewusster Fahrlässigkeit des Vordermanns kommt eine mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn der Vordermann von einem geringeren Risiko als der Hintermann ausgeht. Dies ist etwa der Fall, wenn der Rauschgiftkonsument (anders als der Hintermann) nur um die allgemeinen Risiken des Drogenkonsums weiß, nicht aber um die besondere Stärke des ihm verkauften Heroins.85 Auch die fahrlässige mittelbare Täterschaft gründet also auf ein Verantwortungsgefälle, welches zur Folge hat, dass der Vordermann instrumentalisiert wird. Dabei bezieht sich die Instrumentalisierung freilich auf die Vornahme der gefährlichen Handlung, nicht auch auf den (vorhersehbaren) Erfolg.86 Für die Konstruktion der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft spricht, dass – wie gezeigt wurde – auch im Fahrlässigkeitsbereich verschiedene Verantwortungsbereiche abgeschichtet werden können. Es wäre völlig undifferenziert, wollte man jeden, der irgendwie sorgfaltspflichtwidrig zum Erfolg beigetragen hat, als Täter bestrafen. Auch im Fahrlässigkeitsbereich gilt der Grundsatz, dass man prinzipiell seine Mitmenschen als autonome Wesen anerkennen darf, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte ein Verantwortungsdefizit anzeigen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wollte man an die Haftung für fremdes Verhalten im Bereich der Fahrlässigkeit geringere Anforderungen stellen als bei der Vorsätzlichkeit. Es besteht daher kein Anlass, vor dem Hintergrund eines extensiven Täterbegriffs bei der Fahrlässigkeit eine Standardhaftung für fremdes Fehlverhalten einzuführen. Liegt allerdings ein Verantwortungsdefizit beim Vordermann vor, so Näher dazu unten Kap. 4, § 3 II. Zu etwa denkbaren Konstellationen vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 275. 85 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 275. 86 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 277. 83 84
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darf dieser davon ausgehen, dass der Hintermann ihn nicht zu Verhaltensweisen veranlassen wird, deren spezifische Gefährlichkeit er, der Vordermann erkennbar nicht erfasst hat.87 So verstanden stellt sich § 25 I Alt. 2 StGB als eine Norm dar, die die Reichweite der Handlungsverbote von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten erweitert und die strafrechtliche Verantwortung auf Personen erstreckt, die nicht unmittelbarer Täter sind, aber gleichwohl als Urheber der Tat erscheinen, da der Vordermann ein (zumindest relatives) Verantwortungsdefizit aufweist. Besteht beim Vordermann ein solches Defizit nicht, so kommt bei fahrlässigem Handeln des Hintermanns nur eine fahrlässige Teilnahme in Betracht, die der Gesetzgeber bislang jedoch nicht unter Strafe gestellt hat.88 (3) Zusammenfassung Auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte ist es möglich, verschiedene Verantwortungsbereiche voneinander abzugrenzen. Ausgehend davon, dass jede Zurechnung ihren Grund im Willen des Handelnden trägt, ist auch hier – wie bei den Vorsatzdelikten – davon auszugehen, dass das unmittelbar zum Erfolg führende autonome Verhalten des Täters als Äußerung seines Willens ein Regressverbot begründet. Der in der Fahrlässigkeit zum Ausdruck kommende Wille des Täters ist allerdings nur auf die Vornahme der Handlung, nicht auch auf die Herbeiführung des Erfolges gerichtet. Handelt der Vordermann entweder nicht autonom oder fehlt es ihm jedenfalls im Vergleich zum Hintermann an der Einsicht in den deliktischen Charakter oder die möglichen Auswirkungen des Geschehens, so erscheint der Hintermann als Urheber der Tat und kann (gegebenfalls neben dem eingeschränkt verantwortlichen Vordermann) gemäß § 25 I Alt. 2 StGB zur Verantwortung gezogen werden. Neben der „vertikalen Zurechnung“ der mittelbaren Täterschaft greift im Übrigen auch die „horizontale Zurechnung“ der Mittäterschaft, welche auf einem gemeinschaftlichen Zusammenwirken in Kenntnis der Gefährlichkeit des Verhaltens basiert. c) Das Wortlautargument Auch das Wortlautargument, demzufolge die unterschiedliche sprachliche Fassung der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte für einen extensiven Täterbegriff bei der Fahrlässigkeit spreche, vermag nicht zu überzeugen: bereits Goltdammer hat darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Ausdruckweise wechselte, um den Unterschied zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Begehung zum Ausdruck zu brinRenzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 276. Leupold, Tathandlung, 2005, S. 146; ähnlich auch Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 609 f. 87 88
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gen.89 § 212 StGB verwendet demzufolge das Verb „töten“, um das Tun desjenigen zu beschreiben, dessen Handlung final auf die Erfolgsherbeiführung gerichtet ist, während der Begriff der „Verursachung des Todes“ in § 222 StGB dem Fehlen dieser finalen Verbindung Rechnung trägt. Die sprachliche Differenzierung im Gesetzeswortlaut dient also dazu, die subjektive Einstellung des Täters zu kennzeichnen, nicht aber dazu, einen zweiten Täterbegriff im StGB einzuführen.
d) Die Argumentation anhand spezieller Haftungsregelungen Nicht überzeugend ist ferner Schünemanns Versuch, spezielle Sorgfaltspflichten als Ausdruck einer allgemeinen Haftung für fremdes Fehlverhalten einzustufen. Selbst wenn die angesprochenen Normen des Waffen – und Arzneimittelrechts 90 eine Haftung für Drittverhalten begründeten, erlaubt dies noch keinen Rückschluss auf die Zulässigkeit eines Regresses im Allgemeinen.91 Von besonderen Pflichtenanforderungen in speziellen Lebensbereichen kann nicht auf ein allgemeines Prinzip geschlossen werden. Vielmehr liegt hier gerade der umgekehrte Schluss nahe: wenn die Haftung für fremdes Fehlverhalten ausdrücklich normiert wurde, so scheint dies gerade eine Abweichung von dem grundsätzlichen Prinzip des Regressverbots zu sein.92 Würde die Fahrlässigkeitshaftung die Haftung für drittes Fehlverhalten generell umschließen, so wäre nicht einzusehen, warum überhaupt spezielle Regelungen in Gestalt von Gefährdungstatbeständen geschaffen werden müssten.
e) Die fahrlässige Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstverletzung Hat die Befürwortung eines restriktiven Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsbereich auch nominell noch keine umfassende Gefolgschaft gefunden, so hat sie sich dennoch sachlich durchgesetzt: so etwa gilt im Bereich der Selbstschädigung nach allgemeiner Auffassung, dass die bloße Veranlassung, Förderung oder Ermöglichung eines freiverantwortlichen Suizids dem Mitverursacher nicht zugerechnet werden darf.93 Im Falle der Beteiligung an einer Selbstverletzung ist also eine ZurechGoltdammer, GA 15 (1867), 17; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 111 f. Gemeint sind die §§ 11, 14 f. Reichswaffengesetz vom 18.3. 1938 sowie § 35 ArzneimittelG vom 16. 5. 1961, vgl. Schünemann, Unterlassungsdelikte, 1971, S. 210 f. 91 Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 286, 287 räumt zwar ein, dass die genannten Normen eine Schadensherbeiführung vermeiden sollen. Gleichwohl hindere die fremde Freiheit den Regress hinsichtlich des drittvermittelten Erfolges. In ähnlicher Weise argumentiert auch Diel, Regreßverbot, 1997, S. 213, welche die Haftung auf die pflichtwidrige Handlung, nicht aber auf den Erfolg bezieht. 92 Diel, Regreßverbot, 1997, S. 212. 93 Andernfalls wäre zwar die vorsätzliche Beihilfe zur vorsätzlichen Selbsttötung straflos, die fahrlässige Beihilfe müsste aber als fahrlässige Täterschaft zu strafen sein. Diesen „Mut 89 90
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nungsunterbrechung anerkannt, wohingegen die fahrlässige Beteiligung an einer Fremdverletzung zumeist als fahrlässige Täterschaft erfasst wird.94 Diese Ausnahme von der Einförmigkeit des extensiven Täterbegriffs der Fahrlässigkeitsdelikte95 wird damit erklärt, dass die Autonomie des Suizidenten die Zurechnung unterbreche. Der Grundsatz der Selbstverantwortung des Suizidenten steht jedoch nicht isoliert im Rechtssystem, sondern ist nur Ausdruck eines allgemeinen Grundprinzips strafrechtlicher Haftung: letztlich geht es bei der Zurechnung eines Erfolges immer um die Ermittlung des Verantwortlichen.96 Ob ein Dritter oder das Opfer selbst für den Erfolg verantwortlich ist, kann für den Ersthandelnden jedoch keinen Unterschied machen. Grundsätzlich hat jeder nur dafür einzustehen, dass er selbst keine fremden Rechtsgüter verletzt, nicht aber dafür, dass andere dies unterlassen,97 soweit der Gesetzgeber dies nicht explizit bestimmt hat. Insoweit stellt die von der ganz h. M. gemachte Ausnahme der Zurechnungsunterbrechung bei freiverantwortlicher Selbstverletzung letztlich ein verkapptes Zugeständnis an den restriktiven Täterbegriff dar.
f) Die Parallele zu § 14 OWiG Gegen die Parallele zu § 14 OWiG spricht, dass das StGB nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich nicht vom Einheitstäterbegriff ausgeht.98 Als Begründung wird angeführt, dass der Einheitstäterbegriff zu stark vereinfachend und deshalb inhaltlich unklar sei.99 Interessant an dieser Begründung ist, dass sie genau das aufgreift, was den Befürwortern eines generellen Regressverbots vorgeworfen wird, nämlich Undifferenziertheit und Pauschalisierung. So wird etwa vorgetragen, dass ein restriktiver Täterbegriff bei den Fahrlässigkeitsdelikten eine differenzierte, flexible Verantwortungszuschreibung unmöglich mache, weil ein Regress generell ausgeschlossen sei. Dieser Vorwurf verkennt, dass ein Regressverbot – geht man von Kants und Hegels Zurechnungsverständnis aus – nur dann eingreifen soll, wenn eine freie Willensäußerung des Dritten zum Erfolg geführt hat. Handelt diezur Folgerichtigkeit“ scheut die h. M., welche hier eine Ausnahme vom extensiven Täterbegriff der Fahrlässigkeitdelikte macht, verständlicherweise. Vgl. hierzu Lampe, ZStW 71 (1959), 579, 614. 94 Otto, FS-Spendel, 1992, S. 270, 274; Lesch, GA (1994), S. 112, 120. 95 Lesch, GA (1994), S. 112, 120; Spendel, JuS 1974, 750. 96 Otto, FS-Spendel, 1992, S. 270, 276. 97 Lenckner, FS-Engisch, 1969, S. 506 f.; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 19 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 274 ff., 314 f.; Otto, GS-Schlüchter, 2002, S. 77, 80. 98 Eine § 14 I 1 OWiG entsprechende Regelung fehlt im StGB; hierzu Eschenbach, Jura 1992, 637, 643. 99 Entwurf 1958 zu § 28, S. 35; Entwurf 1962, S. 147. Aus diesem Grunde spricht sich Welp, Vorangegangenes Tun, 1972, 300 ff. auch gegen die Einheitstäterkonzeption im Ordnungswidrigkeitenrecht aus, welche er als „dogmatisch unhaltbar und kriminalpolitisch verfehlt“ bezeichnet, vgl. Otto, JuS 1974, 702, 705.
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ser dagegen unfrei, kommt prinzipiell ein Regress in Betracht.100 Abgesehen von dieser Differenzierung darf nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass auch die Eröffnung einer generellen Regressmöglichkeit als holzschnitzartig und pauschalisierend erachtet werden kann, da grundsätzlich jeder sorgfaltspflichtwidrig Handelnde als Fahrlässigkeitstäter „hinter“ dem vorsätzlich oder fahrlässig handelndem Dritten soll belangt werden können, unabhängig davon, ob er leicht oder grob fahrlässig gehandelt hat und welcher Art das Verschulden des Dritten ist.
g) Kriminalpolitische Argumente Zwar erhöht eine extensive Interpretation der Fahrlässigkeitsdelikte die Anforderungen an die soziale Verantwortung, die sich in der Verurteilung des Ersthandelnden ausprägt. Allerdings harrt die Behauptung des präventiven Nutzens einer extensiven Fahrlässigkeitshaftung durchaus noch der empirischen Aufarbeitung. So erscheint die generalpräventive Erforderlichkeit durchaus fraglich: der Rechtssicherheit wird Genüge getan, wenn der Zweithandelnde, der die Tat vorsätzlich ausgeführt hat, zur Verantwortung hinsichtlich des unmittelbar durch ihn bewirkten Erfolges gezogen wird. Die Handlung des Ersten bleibt ungeachtet dessen insoweit strafbar, als sie für sich genommen gegen einen Straftatbestand verstößt, z. B. gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes oder des Waffengesetzes. Damit wird in ausreichender Weise klar gemacht, dass die Rechtsordnung gestört wurde und diese Störung nicht ohne weiteres hingenommen wird.101 Zur Rechtsbewährung bedarf es daher des Regresses nicht. Ob eine extensive Haftung für fremdes Fehlverhalten darüber hinaus tatsächlich abschreckende und damit im Ergebnis normstabilisierende Wirkung hat, erscheint ebenfalls mehr als fraglich: die erstrebte Motiviation des Bürgers zum sorgfaltsgemäßen Handeln müßte in den Regressverbotsfällen dahin gehen, stets so zu handeln, dass keine Situationen geschaffen werden, in denen weitere Personen straffällig werden. Eine derartige Motivationsfähigkeit hinsichtlich fremden Fehlverhaltens wird erheblich dadurch erschwert, dass das Fehlverhalten eigenverantwortlich handelnder Dritter der Kontrolle des Ersten entzogen ist, denn wie ein Dritter sich in einer vom Ersten geschaffenen Situation verhalten wird, unterliegt aus Sicht des Ersten lediglich einer Prognose. Besteht die Gefahr einer Bestrafung in solcher Weise, dass man aufgrund jedweder sorgfaltspflichtwidrig geschaffenen Situation für die von Dritten herbeigeführten Schäden haftbar gemacht wird, so ließe sich eine Strafbarkeit wirkungsvoll allein durch unausgesetzt sorgfaltsgemäßes Verhalten unter Nichteinschaltung Dritter vermeiden. Dies wiederum entspricht nicht dem Bedürfnis einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft, Aufgaben und die damit verbundenen Risiken angesichts der Komplexität alltäglicher Lebensvorgänge auf mehrere Personen 100 Wann dies im Einzelnen der Fall ist, soll nachfolgend näher untersucht werden. Dazu unten Kap. 4, § 3. 101 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 427.
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verteilen zu können. Eine solche Aufgabenverteilung birgt offensichtlich Gefahren und Risiken für Fehlleistungen und Schäden, denen im Grunde nur durch ein vollständiges Handlungsverbot begegnet werden könnte, welches unter dem Aspekt der Freiheit des Bürgers wenig wünschenswert wäre. Insgesamt erscheint die Motivationsfähigkeit eines extensiven Täterbegriffs zur Verhinderung vorsätzlicher Straftaten Dritter nicht zuletzt deshalb unwahrscheinlich, weil das Drittverhalten unabhängig von der Verhaltensweise des Ersten zustande kommt.102 Auch unter spezialpräventiven Gesichtspunkten erscheint eine Bestrafung des fahrlässig Ersthandelnden wenig sinnvoll. Der Ersthandelnde dürfte (anders als der vorsätzlich Zweithandelnde) regelmäßig ein unauffälliger Bürger sein, der nicht in gleicher Weise wie der unmittelbar den Erfolg Herbeiführende erzogen, resozialisiert und in die Gesellschaft wieder eingegliedert werden muss: immerhin unterscheidet er sich vom Vorsatztäter dadurch, dass er das Geschehen nicht final auf den Erfolg zusteuert, von dem „normalen Fahrlässigkeitstäter“ hingegen dadurch, dass nicht seine Sorgfaltspflichtverletzung für sich genommen zu dem Erfolg geführt hat, sondern erst das nachträgliche Fehlverhalten eines Dritten. Sämtliche Bürger, die sich in einem Lebensbereich bewegen, der aufgrund der hohen Technisierung in besonderer Weise fehleranfällig ist (wie z. B. Straßenverkehr und Medizin), wären von einer möglichen Kriminalisierung betroffen. Die genannten Lebensbereiche bewegen sich aber gerade innerhalb des gesellschaftlichen Lebens, so dass die Personen, die im Rahmen dieser Lebenssituationen fahrlässiges Unrecht verwirklichen, gerade nicht zu stigmatisierten Außenseitern der Gesellschaft werden sollten.103 Zudem hätte die Leugnung eines Regressverbots zur Folge, dass sich der Umfang strafrechtlicher Ermittlungen gravierend erweitern würde: bei jedem vorsätzlichen Erfolgsdelikt, das auch fahrlässig begangen werden kann, müßte nicht nur nach Teilnehmern im eigentlichen Sinne, sondern wegen des Legalitätsprinzips, auch nach Leuten gefahndet werden, die fahrlässig Vorbedingungen für die vorsätzliche Ausführung des Delikts gegeben haben.104 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass auch unter kriminalpolitischen Erwägungen die Geltung eines Regressverbots im Fahrlässigkeitsbereich überzeugt.
h) Historische Argumente Naucke105 weist im Übrigen darauf hin, dass das Regressverbot historisch nicht nur faktisch Anerkennung gefunden hat, sondern zudem auch vom Gesetzgeber 102 Diel, Regressverbot, 1997, S. 365. So im Ergebnis auch Cornacchia, FS-Jakobs, 2007, S. 63 ff.: „niemand soll sich normalerweise darum kümmern müssen, wie eine andere Person die Folgen seines Verhaltens als Leistung ausnutzen wird.“ Im Prinzip soll sich jeder also nur darum kümmern, dass sein Organisationskreis keinen Bürger schädigt. 103 Diel, Regressverbot, 1997, S. 361. 104 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 425. 105 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 432.
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befürwortet wurde. Der preußische Gesetzgeber von 1851 erklärte die fahrlässige Teilnahme ausdrücklich für straflos,106 was der h. M. entsprach.107 Davon unberührt blieb freilich eine Bestrafung des fahrlässigen Verhaltens als selbständige Normübertretung etwa wegen unachtsamen Umgangs mit Waffen oder Giften. Zudem enthielt das PrStGB noch einen Letalitätsparagraphen, demzufolge nur der im rechtlichen Sinne tötete, der dem Opfer eigenhändig eine tödliche Wunde beigebracht hatte. Eine derartige Regelung würde etwa im Giftgabefall einer Strafbarkeit der Geliebten gem. § 222 StGB entgegenstehen.108 Dieser Paragraph wurde zwar im StGB für den Norddeutschen Bund und im RStGB ersatzlos gestrichen; hierdurch sollte aber nicht der objektive Tatbestand der fahrlässigen Tötung ausgeweitet werden. Vielmehr wurde eine ausdrückliche Vorschrift über den Kausalzusammenhang deshalb für überflüssig erachtet, weil in Gestalt von Art. 38 des Sächsischen StGB von 1855 bereits ein Vorläufer der heutigen Äquivalenztheorie anerkannt war, demzufolge das Beibringen einer Wunde dann kausal für den späteren Tod sein sollte, wenn das Handeln nicht hinweggedacht werden konnte, ohne dass der Erfolg entfiele.109 Die Gesetzesänderung beruhte also allein darauf, dass das Letalitätsproblem als gelöst galt, da nunmehr Grundsätze zur Ermittlung der Kausalität gefunden waren. Die Mindestvoraussetzung für den objektiven Tatbestand der täterschaftlichen Tötung, das Beibringen der Wunde, sollte hingegen nicht fallen gelassen werden.110
i) Die drittvermittelte Erfolgsbewirkung als Ausdruck fremder Freiheit Die historische Entwicklung hat gezeigt, dass seit über 200 Jahren von einem Regressverbot ausgegangen wurde, sofern der Erfolg als das Werk eines fremden, freien Willens anzusehen war. Zwar wurden diese Erwägungen zunächst im Rahmen der Kausalität unter der Bezeichnung „Unterbrechung des Kausalverlaufs“111 angestellt und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts dank der neu entwickelten Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit als normatives Problem verstanden. Dieser Wandel Vgl. Beseler, Kommentar zum PrStGB, 1851, S. 157 f. Näher hierzu Berner, Theilnahme, 1847, S. 212 f., 260, 270 ff.; Köstlin, Neue Revision, 1845, S. 502, 513. 108 Entsprechendes dürfte in dem Fall des „warm abzubrechenden“ Bauernhauses für die Hoferbin gelten, welche die Einwirkungshandlung nicht selbst vorgenommen hatte. Vgl. zur Regressfrage bei der Brandstiftung auch Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 438. 109 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 436 f. 110 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 437 m. Nachw. auf die Beratungen zum StGB des Norddeutschen Bundes. 111 Diese Formulierung wird von den Anhängern der Äquivalenztheorie verwandt, während die Anhänger der Adäquanztheorie, die für ein Regressverbot eintreten, von Inadäquanz, Unbeachtlichkeit und Nichtberechenbarkeit des Kausalzusammenhangs reden, vgl. v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 209. 106 107
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zeigt aber nur, dass das Kausalitätsverständnis angesichts der am Ende des 19. Jahrhunderts sich entfaltenden Anziehungskraft des Naturalismus nicht länger philosophisch, sondern naturwissenschaftlich geprägt ist.112 Beschrieben wird eine mechanische Kausalität, wie sie in den Naturwissenschaften denkbar ist. Dass nach wie vor ein Bedürfnis besteht, einen Rückfall in den Versari-Gedanken113 zu vermeiden, zeigen die zahlreichen Bemühungen, die Regressmöglichkeit zu beschränken.114 Die derart geförderte Fallgruppenbildung bringt zwar eine große Flexibilität hinsichtlich des jeweils gewünschten Ergebnisses mit sich, sie verschleiert aber den bereits von Pufendorf geäußerten Gedanken, dass die Besonderheit menschlichen Handelns in der Rückführbarkeit auf einen freien Willen liegt. Im Falle des vorsätzlichen Drittverhaltens wird dies besonders deutlich. Letztlich verwirklicht sich in der Erfolgsherbeiführung nicht der Wille des fahrlässig Ersthandelnden, sondern der des vorsätzlich agierenden Dritten. In den Fällen des vorsätzlichen Dazwischentretens eines Dritten spricht daher insgesamt einiges für die Anerkennung eines restriktiven Täterbegriffs. Grundsätzlich läuft dies auf ein Regressverbot hinaus, es sei denn, das Drittverhalten lässt sich nicht als freie, erfolgsursächliche Willensäußerung begreifen. (1) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Naucke In diesem Zusammenhang ist vor allem auf Naucke hinzuweisen, der – basierend auf der Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus – davon ausgeht, dass nicht die bloße Ursächlichkeit für ein Geschehen, sondern nur eine Handlung im Sinne eines vom Willen beherrschbaren Tuns strafrechtliche Verantwortung begründen kann.115 Die Eigenverantwortlichkeit des Zweithandelnden soll den Ersthandelnden von der Beherrschbarkeit des Geschehens ausschließen, da das vollverantwortliche Handeln des Zweiten nicht mehr der willentlichen Herrschaft des Ersten unterliege,116 so dass es an der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolges fehle.117 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 415. Die von den Postglossatoren aus dem kanonischen Recht übernommene Versari-Theorie hatte eine doppelte Aufgabe: sie sollte nicht nur ungewollten Folgen einer vorsätzlichen Handlung, sondern auch diejenigen Schuldmomente erfassen, die außerhalb der eigentlichen Handlung liegen, also die Vorbereitungsakte und die Auswahl der Umstände. Vgl. hierzu A. Löffler, Schuldformen, 1895, S. 136 ff.; Engelmann, Schuldlehre, 1895, S. 218 ff. Diese Lehre vermochte sich jedoch nicht durchzusetzen, da ihr zu Recht vorgeworfen wurde, sie gehe über den Boden eines Schuldstrafrechts hinaus und mache den Täter für Folgen verantwortlich, die mit seiner Pflichtwidrigkeit in keinem inneren Zusammenhang stünden. Letztendlich läuft dies auf eine (Zufalls-)Haftung für alle Konsequenzen, die sich aus einem gefahrbegründenden Vorverhalten ergeben können, hinaus. Ausführlich hierzu Bindokat, JZ 1977, 549, 551; Küper, FS-Lackner, 1987, S. 247, 252 f. 114 Dazu nachfolgend Kap. 4, § 1 III. 115 Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 427. 116 Ähnlich auch H. Mayer, AT, S. 131, 133; Larenz, NJW 1955, 1011; Lampe, ZStW 71 (1959), 615, die unter dem Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit zu dem Ergebnis kommen, 112 113
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(2) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Welp Ähnlich argumentiert auch Welp, bei dem es heißt: „Unmittelbar determinierendes Bewirken realer Außenweltsveränderungen und motivierende Beeinflussung fremder Freiheit sind strukturell verschiedene Modi menschlicher Wirkungsmöglichkeiten; während der unmittelbare Zugriff auf die äußere Welt die eingetretene Folge mit „nezessitierender Notwendigkeit“ hervorbringt, ist eine Motivierung des anderen nur durch dessen Selbstbestimmung möglich. Sofern der andere frei – d. h. gegenwärtig: vorsätzlich-volldeliktisch – handelt, erweist sich das an ihn herangetragene Motiv als bloße Versuchung und damit als ein vom unmittelbaren Bewirken verschiedener Gegenstand. Die gesetzliche Pönalisierung der vorsätzlichen Teilnahme ist daher der Sache nach die Diskriminierung eines Verhaltens, das ohne die gesetzliche Statuierung nicht verboten wäre.“118 Dementsprechend verneint Welp die Strafbarkeit der fahrlässigen Teilnahme an fremder vorsätzlicher Tat mangels gesetzlicher Regelung. Bei diesem Hinweis belässt er es indes nicht, sondern führt weiter aus, dass die unvorsätzliche Beeinträchtigung fremder Freiheit grundsätzlich sozialadäquat sei, weil niemand bei seinem Tun damit rechnen müsse, dass ein anderer dieses zu kriminellen Handeln ausnutzen werde.119 Schließlich sei der Dritte frei, das an ihn herangetragene Motiv zurückzuweisen, da er seinem Versucher als unabhängiges und selbständiges Rechtssubjekt gegenüberstehe. Eine Ausnahme will Welp allerdings machen, wenn der unvorsätzlich handelnde Schutzvorkehrungen ausschaltet. Solchenfalls sei eine Zurechnung möglich, da das Verhalten des Ersten sozial inadäquat sei.120 Vergisst also etwa jemand, die Haustür abzuschließen, so soll er verantwortlich sein, wenn der Mörder auf diese Weise leichter den Weg zu seinem Opfer findet. Lässt dagegen jemand unvorsichtig eine Schusswaffe liegen, haftet er nicht für das von einem Dritten verübte Tötungsdelikt.121 Diese Differenzierung leuchtet jedoch nicht ein, da sich die indirekte Förderung der Tat weder von einer unmittelbar dem Täter gewählten Hilfe unterscheidet noch die Entschlussfreiheit des Täters beseitigt. An der Eigenverantwortlichkeit des Täters ändert sich hierdurch nichts.122 Davon abgesehen ist Welp jedoch darin zuzustimmen, dass die Eigenverantwortlichkeit des frei handelnden Vordermanns den Rückgriff auf den Ersthandelnden ausschließt.123 dass es nicht möglich sei, eine Tat zugleich als Willenswerk des vorsätzlich Handelnden und des fahrlässigen Erstverursachers anzusehen. 117 Naucke, ZStW 76 (1964), 429 f. 118 Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 285. 119 Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 286; ders., JR 1972, 427, 429. 120 Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 294 ff. 121 Beispiel nach Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 203. 122 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 204; Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 181; Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 80. 123 Handelt der Vordermann unfrei, so differenziert Welp hinsichtlich der Regressmöglichkeit: bei unvermeidbarem Irrtum des Vordermanns soll der Hintermann für jede irrtums-
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(3) Das Verantwortungsprinzip nach Lenckner Nach Lenckner, der ebenfalls von dem Verantwortungsprinzip ausgeht, hat jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf einzurichten, dass er selbst keine Rechtsgüter gefährdet, nicht aber darauf, dass andere dies nicht tun. Das Verhalten anderer soll grundsätzlich nicht mehr in die Zuständigkeit des Ersthandelnden fallen.124 Eine im Verantwortungsprinzip begründete Ausnahme gelte nur, wenn bei dem Vordermann die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln (etwa infolge von Defektzuständen, Unreife oder mangels Risikobewusstseins) ohne weiteres erkennbar oder aufgrund von dem Hintermann selbst zu verantwortender Weise fehle. Überlagert werde das Autonomieprinzip jedoch von der Garantenhaftung, bei der ein Regress stets möglich sei. Davon abgesehen soll ein Regress auf den Ersthandelnden auch dann möglich sein, wenn eine Abwägung anhand der Art und Schwere der Rechtsgutsverletzung ergebe, dass der Ausschluss der Erfolgszurechnung zum Hintermann unerträglich sei.125 Spätestens mit dieser Fallgruppe verliert Lenckner allerdings seine Prämisse – die Geltung des Autonomieprinzips – zugunsten einer Differenzierung anhand von Strafwürdigkeitserwägungen aus dem Auge. Die Abwägungslösung vermag wegen der Vagheit der relevanten Kriterien nicht zu überzeugen, auch wenn Lenckner in seinem Ausgangspunkt Zustimmung verdient. (4) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Renzikowski Renzikowski spricht sich – ähnlich wie Naucke und Welp – dafür aus, dass aufgrund des Autonomieprinzips, welches auch im Bereich der Fahrlässigkeit gelte, ebendort von einem restriktiven Täterbegriff auszugehen ist. Fahrlässige Täterschaft, die nicht unmittelbare Alleintäterschaft sei, könne deshalb nur in den Formen des Handelns über andere (mittelbare Täterschaft) und des Handelns gemeinsam mit anderen (Mittäterschaft) auftreten.126 Fahrlässige Teilnahme bleibe hingegen, wie sich e contrario aus den §§ 26, 27 StGB ergebe, straflos.127 Daran soll grundsätzlich auch die Garantenpflicht eines Hintermanns nichts ändern können: wenn etwa der Ingerenzgarant das von ihm fahrlässig verletzte Opfer ohne Tötungsvorsatz zurücklässt und ein Dritter dieses eigenverantwortlich tötet, so soll der Ersthandelnde nicht wegen fahrlässiger Erfolgsherbeiführung haften, da andernfalls die Unterlassensdogmatik die Abgrenzung der Beteiligungsformen der §§ 25 ff. StGB überspiele. Ähnlich verhalte es sich bei dem Überwachergaranten, bedingte erfolgsursächliche Handlung haften, sofern er selbst den Irrtum hervorgerufen hat. Hat er den Irrtum dagegen nur vorgefunden, soll er nur haften, wenn die Zweithandlung für ihn vorhersehbar war. 124 Sch / Sch-Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 101 c. 125 Sch / Sch-Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 101 e. 126 Zu Renzikowskis Begründung von fahrlässiger Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft vgl. oben Kap. 4, § 1 I. 3. b). 127 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 261 ff.
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der nicht gehalten sei, eine fremde eigenverantwortliche Tat als solche zu verhindern, sondern nur den Gegenstand selbst vor deliktischer Benutzung zu sichern. Hierbei handele es sich nur um eine Teilnehmerverhaltenspflicht.128 Im Unterschied zur fahrlässigen Verletzung einer Sicherungsgarantenpflicht soll dagegen die Verletzung einer Obhutspflicht unabhängig vom Eintreten eines Dritten in den Kausalverlauf zur fahrlässigen Täterschaft führen, da der Beschützergarant das ihm anvertraute Rechtsgut gegen Schädigungen – gleich welcher Art – zu verteidigen habe.129 Die Obhutsgarantenpflicht ist also die einzige Garantenpflicht, die eine extensive Haftung begründet. Ein Verstoß gegen das Autonomieprinzip ist hierin insofern nicht zu sehen, als die Haftungssperre fremder Verantwortung hier gerade nicht gelten soll. Renzikowski gründet sein Haftungssystem also nicht ausschließlich auf das Autonomieprinzip. Diese Differenzierung leuchtet ein: die Haftung für fremdes Fehlverhalten ist ein Fremdkörper im StGB. Diese Ausnahme erklärt sich im Fall des Beschützergaranten unmittelbar aus Umfang, Art und Zweck der Pflichtigkeit: der Obhutspflichtige ist gewissermaßen allzuständig dafür, dass dem ihm anvertrauten Rechtsgut nichts zustößt. Hierdurch unterscheidet er sich von dem Ingerenz- und dem Sicherungsgaranten, die nicht über andere Personen, sondern nur über die von ihnen eröffnete Gefahrenquelle zu wachen haben.130 Zwar ist diese Unterscheidung der Garantenpflichten nicht expressis verbis im Gesetz angelegt. Gleichwohl vermag der undifferenzierte Wortlaut des § 13 StGB die Argumentation nicht zu entkräften. § 13 StGB sagt nämlich nur etwas darüber aus, wann das Unterlassen strafbar ist, nicht aber über die Täterschafts- und Teilnahmeregeln im Falle des Unterlassens.
(5) Eigenverantwortlichkeit und Regressverbot nach Diel Diel sieht die freie Selbstbestimmung als Verantwortungsgrenze und begründet daher ebenfalls einen restriktiven Täterbegriff.131 Allerdings lehnt sie – anders als etwa Renzikowski – die fahrlässige mittelbare Täterschaft ab, da bei allseitiger Fahrlässigkeit keine Differenzierung mehr möglich sei.132 Dass dies sehr wohl der Fall ist, zeigt das Beispiel eines bewusst fahrlässigen Hintermanns, der den unbewusst fahrlässigen Vordermann nicht über gewisse, nur ihm bekannte Risiken aufklärt. Liefert zum Beispiel133 eine Apothekerin mangels aktueller Vorrätigkeit 128 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 142 ff. Anders Frisch, Zurechnung, 1988, S. 305; ähnlich Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 107 f. 129 Die Untersuchung der Regressproblematik unter dem Aspekt der Garantenlehre ist nicht neu und geht wohl auf Exner, FG-Frank, 1930, S. 595 f. zurück, der sich aber vorwiegend mit der Haftung des Beschützergaranten auseinandersetzt. 130 Ausführlich dazu oben Kap. 2, § 2 V. 131 Diel, Regreßverbot, 1996, S. 281 f., 291 f., 312, 322. 132 Diel, Regreßverbot, 1996, S. 249 f. 133 Leicht abgewandelt nach OLG Celle, NJW 1956, 1848.
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anderer Präparate entgegen der ärztlichen Verordnung bewusst fahrlässig zu starke Vitamintabletten an ihre Kundin, die diese für ihr 5 Monate altes Kind benötigt, und stirbt das Kind daraufhin an einer Vitaminvergiftung, weil die Mutter die Überdosierung nicht erkannt hat, so liegt ein Fall der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft vor.
II. Weitere Ansätze zur Begründung eines grundsätzlichen Regressverbots Neben der Begründung eines restriktiven Täterbegriffs über das Autonomieprinzip haben sich noch zahlreiche andere Ansätze herausgebildet, die sich für die Geltung dieses Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsbereich aussprechen. All diesen Ansichten ist gemein, dass sie die Haftung des Ersthandelnden zu beschränken suchen, unter bestimmten Voraussetzungen aber ausnahmsweise eine Regressmöglichkeit anerkennen. 1. Die Steuerbarkeit der Dritthandlung Otto will die Frage der Erfolgszurechnung bei der fahrlässigen Verursachung fremden Verhaltens grundsätzlich über das Kriterium der Steuerbarkeit lösen:134 der fahrlässig Handelnde steuere das Geschehen zwar nicht – wie der Vorsatztäter – bewusst auf den Erfolg hin. Gleichwohl habe er die Rechtsgutsverletzung im Rahmen der Fahrlässigkeitshaftung zu verantworten, sofern er die Möglichkeit hatte, den Erfolg zu verhindern.135 Die Vorhersehbarkeit soll eine Voraussetzung der Steuerbarkeit sein. Da nicht jedes vorhersehbare Ereignis der Steuerbarkeit desjenigen unterliegt, der den Eintritt dieses Ereignisses voraussieht, wird die Erfolgszurechnung nach dieser Ansicht jedoch enger gezogen als nach der Rechtsprechung. Otto unterstellt die Steuerbarkeit einer Tat sowohl faktischen als auch normativen Grenzen. Faktisch ende die Steuerbarkeit dort, wo es an der Möglichkeit fehlt, das Geschehen durch Einsatz kausaler Mittel zu beeinflussen. Die normativen Grenzen der Steuerbarkeit sollen dagegen relevant werden, wenn ein anderer über das „Wie“ und „Ob“ der Tat frei entschieden hat und damit unmittelbar verantwortlich für die Rechtsgutsverletzung ist.136 Dieser schließe andere, die sorgfaltspflichtwidrig eine Voraussetzung für die Rechtsgutsverletzung geschaffen haben, von der Verantwortung aus. Bis dahin liegt Ottos Ansatz durchaus ganz auf der Otto, FS-Lampe, 2003, S. 491, 497; ders., Jura 1984, 536, 540. Otto, JuS 1974, 702, 705. 136 Otto, JuS 1972, 702, 706, der die normativen Grenzen der Steuerbarkeit aus dem Grundsatz herleitet, dass Strafe an die persönliche Verantwortung des Täters anzuknüpfen habe. 134 135
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Linie derer, die ein absolutes Regressverbot verlangen und nur dann einen Rückgriff auf den Ersthandelnden zulassen wollen, wenn die Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB vorliegen:137 die Eigenverantwortung des Zweithandelnden setzt der strafrechtlichen Haftung des Ersten Grenzen; die fahrlässige Förderung fremder Taten kann keine Haftung als Täter eines Fahrlässigkeitsdelikts begründen.138 Im Unterschied zu den Befürwortern eines absoluten Regressverbots macht Otto jedoch eine Ausnahme, wenn die Haftung des Ersthandelnden gesetzlich besonders normiert ist oder ihn andere spezielle Pflichten – insbesondere eine Garantenpflicht – treffen.139 Die faktische Steuerung des Geschehens durch den Dritten soll den Ersthandelnden in diesen Fällen nicht entlasten können.140 Das Kriterium der Steuerbarkeit wird also ersetzt durch das einer erhöhten Vermeidepflicht. Ob eine Ausdehnung der Vermeidepflicht vorliegt, sei durch Auslegung zu ermitteln, für deren Ergebnis der Schutzumfang der Norm eine wesentliche Rolle spiele: zu fragen sei, ob Gefahren, die sich durch anknüpfendes Verhalten eines Dritten realisiert haben, bereits in einer Erstgefährdung angelegt waren und durch deren Verbot vermieden werden sollten.141 Die rechtspflichtwidrige Begründung eines im Hinblick auf weitere Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbotenen Gefahrenpotentials sei der entscheidende Anknüpfungspunkt der Verantwortungszuweisung. Eine nach dem Schutzzweck der Norm verbotene Gefahrenanlage soll etwa gegeben sein, wenn ein Schütze fahrlässig ein ungesichertes Gewehr auf den Schanktisch legt und ein anderer bei näherer Begutachtung des Objekts einen Schuss auslöst, der einen Dritten trifft.142 Auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Zweiten komme es dabei nicht an. Hervorzuheben ist, dass Otto die Haftung des Ersten hier nicht auf die Steuerbarkeit des Geschehens durch diesen stützt – hieran fehlt es sowohl bei vorsätzlichem als bei fahrlässigem Dritthandeln. Die Haftungsausdehnung beruht vielmehr darauf, dass den Schützen erhöhte Vermeidepflichten treffen, die das Kriterium der Steuerbarkeit ausnahmsweise überlagern.143 Diese Haftungserweiterung 137 Dies wird ganz deutlich bei Otto, GS-Schlüchter, 2002, S. 77, 90, wo es heißt: „Steuerbarkeit heißt Rückführbarkeit eines Geschehens auf eine Person als Subjekt des Geschehens, d. h. auf die Person, die für den Erfolg verantwortlich ist.“ 138 Otto, Jura 1987, 246, 258; ders., GS-Schlüchter, 2002, S. 77, 92. Vgl. zu dem sog. Prinzip der Eigenverantwortlichkeit auch Lenckner, FS-Engisch, 1969, S. 506 f.; Otto, FS-Wolff, 1998, S. 400; Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 19 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 274 ff., 314 f. 139 Eine Ausnahme macht freilich in gewissen Grenzen auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 152 insofern, als er den Obhutsgaranten unabhängig davon haften lässt, ob die Erfolgsverwirklichung durch eine natürlichen Verlauf oder das Handeln eines freien Dritten eingetreten ist. 140 Otto, JuS 1972, 702, 706. 141 Otto, GS-Schlüchter, 2002, S. 77, 93 f.; ders., FS-Lampe, 2003, S. 491, 501. 142 Otto, GS-Schlüchter, 2002, S. 77, 94. 143 Dies übersieht Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 182, der Otto vorwirft, dass es dem Ersten auch bei fahrlässigem Dritthandeln an der Steuerbarkeit fehle, so dass Otto eine fahrlässige Täterschaft entgegen der h. M. verneinen müsse.
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erfolgt bei Otto auf der Grundlage eines restriktiven Täterbegriffs im Bereich der Fahrlässigkeitshaftung. Entscheidend für die Haftung ist allein, dass den Ersthandelnden eine besondere, gesetzlich normierte Pflicht zur Vermeidung des Erfolges trifft.144 Anders als die strenge Regreßverbotslehre kann Otto also Fälle berücksichtigen, in denen der Ersthandelnde als Garant für das Ausbleiben der Rechtsgutsverletzung haftet. Eine solche Haftung besteht aber – wie bereits gezeigt – nur im Falle des Beschützergaranten. Der Überwachergarant haftet dagegen nicht für das Ausbleiben der drittvermittelten Rechtsgutsverletzung, sondern nur für die Verletzung der ihn treffenden Sicherungspflicht. Bezüglich des drittvermittelten Erfolges steht die Autonomie des Dritten einer Erfolgszurechnung zum Ersthandelnden entgegen. Diese unterschiedliche Prägung der Garantenhaftung wird von Otto nicht berücksichtigt.
2. Die Beherrschbarkeit der Dritthandlung Auch Stratenwerth hält einen Rückgriff auf den fahrlässig Ersthandelnden hinter einem vollverantwortlichen Zweithandelnden für begründungswürdig und sucht eine Lösung über die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen.145 Im Bereich der Vorsatzdelikte richte sich die strafrechtliche Verantwortung danach, wer das tatbestandliche Geschehen erfülle. Die bloß akzessorische Teilnahme stelle demgegenüber nur eine derivierte Form der Mitwirkung dar. Im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte müsse dagegen ein eigenes, der Tatherrschaft korrespondierendes Kriterium zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gefunden werden, welches Stratenwerth in der „Beherrschbarkeit“ (verstanden als Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit) sieht.146 Hieran fehle es, wenn ein Geschehensablauf durch eine andere Person vollverantwortlich beherrscht werde. Solchenfalls liege seitens des fahrlässigen Ersthandelnden nur ein Verstoß gegen abgeleitete Sorgfaltspflichten, mithin eine straflose fahrlässige Teilnahme, vor.147 144 Eine derartige Haftungserweiterung soll Otto zufolge unabhängig davon eintreten, ob der Ersthandelnde vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, vgl. Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 406. Der Sache nach läuft dies auf die von Roxin vertretene Pflichtdeliktstheorie hinaus, der zufolge den Garanten immer eine extensive Haftung trifft, dazu oben Kap. 2, § 2 V. 2. b). 145 Stratenwerth, FS-Schmidt, 1961, S. 390 ff. 146 Stratenwerth, FS-Schmidt, 1961, S. 390, 391. 147 Kritisch Rudolphi, Unterlassungsdelikte, 1966, S. 134, demzufolge auch die Beherrschung fremder Vorsatztat nach ganz alltäglicher Erfahrung möglich sei: „Ebenso wie ein gefährlicher Brand von Menschenhand gelöscht werden kann, also beherrschbar ist, ebenso kann auch der Durchschnittsmensch Straftaten seiner Mitmenschen verhindern, und zwar vielfach sogar durch bloßen Zuruf, weil der Täter dann bereits aus Furcht vor Entdeckung und Strafe von seiner Tat Abstand nehmen wird.“ Mit dieser Gleichsetzung von Naturgeschehen und freiem menschlichen Verhalten ist das Problem freilich nicht gelöst, sondern nur in Worte gefasst.
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Wie freilich etwas, das nicht beherrschbar ist, Gegenstand von Sorgfaltspflichten soll sein können, lässt Stratenwerth unbeantwortet.148 Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn den Ersthandenden „sekundäre Sorgfaltspflichten“ träfen, insbesondere wenn die Erwartung sorgfaltsgemäßen Verhaltens anderer durch konkrete, in der Situation oder in der Person des anderen liegenden Umstände entkräftet würde oder – vor allem im Bereich der Arbeitsteilung – Pflichten zur Überwachung nicht hinreichend qualifizierter Personen sowie zur Vermeidung von Kommunikations- oder Koordinationsmängeln bestünden.149 Inwieweit derartige konkrete Ansatzpunkte für eine fremde Vorsatztat vorliegen, macht Stratenwerth in der zweiten Auflage seines Lehrbuchs davon abhängig, ob dem Ersthandelnden die Tatentschlossenheit des Vorsatztäters erkennbar war.150 In der dritten Auflage des Lehrbuchs hat er diese Auffassung jedoch bereits als zu eng aufgegeben.151 Einerseits könne die Vorsatztat eines anderen auch ohne dessen erkennbare Tatentschlossenheit evident sein, andererseits dürfe der Ersthandelnde auch bei einem Tatentschlossenen grundsätzlich noch darauf vertrauen, dass dieser sich noch umbesinnen und nach dem Rechte richten werde. Stratenwerth vertritt nunmehr die Auffassung, dass eine sekundäre Sorgfaltspflicht nur bei Offensichtlichkeit der fremden Vorsatztat entsteht.152 Das deliktische Verhalten muss so nahe liegen, dass es unvernünftig wäre, nicht mit ihm zu rechnen. Die konkreten Umstände, die eine Vorsatztat als offensichtlich erscheinen lassen, müssen dem Ersthandelnden bekannt – nicht bloß erkennbar – sein. Ob das Kriterium der Beherrschbarkeit unter Zuhilfenahme sekundärer Sorgfaltspflichten imstande ist, eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche für das Fahrlässigkeitsdelikt zu leisten, erscheint freilich fraglich: im Falle der mittelbaren Täterschaft sind durchaus Konstellationen häufig, in denen das (beispielsweise gem. § 35 StGB entschuldigte) Werkzeug partiell Tatherrschaft i. S. v. Handlungsherrschaft ausübt, ohne dass der Hintermann deshalb seine Willensherrschaft (geschweige denn die Beherrschbarkeit des Geschehens) einbüßt. Einwände bestehen im Übrigen auch gegen die Art und Weise, in der Stratenwerth den Nachweis sekundärer Sorgfaltspflichten führen will: das Abstellen auf die Umstände und die Erwartungen in der konkreten Situation kommt – wie Stratenwerth selbst zugibt – dem Kriterium der Vorhersehbarkeit gleich und ist den hiergegen bereits vorgebrachten Vorbehalten – insbesondere dem Vorwurf der Beliebigkeit – ausgesetzt. Setzt man zudem die Haftungsschwelle erst bei der Evidenz der Vorsatztat an, so dürfte die unbewusste Fahrlässigkeit seltenst zu einem Regress führen können. Weiß der Ersthandelnde dagegen um die Offensichtlichkeit der Vorsatztat, so dürfte 148 149 150 151 152
Wilhelm, Jura 1985, S. 185. Stratenwerth, FS-Schmidt, 1961, S. 390, 392. Stratenwerth, AT, 2. Auflage, 1162. Stratenwerth, AT, 3. Auflage, 1164. Stratenwerth, Schw. AT, 16 / 57.
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häufig zumindest dolus eventualis zu bejahen sein, so dass eine unvorsätzliche strafbare Beteiligung an der Vorsatztat eines Dritten kaum vorkommen wird und das von Stratenwerth vorgeschlagene haftungserweiternde Korrektiv praktisch zur Bedeutungslosigkeit verdammt ist.153
3. Die Haftung aufgrund von Sorgfaltspflichten Schumann vertritt im Fahrlässigkeitsbereich auf der Grundlage des Selbstverantwortungsprinzips einen restriktiven Täterbegriff, demzufolge jeder nur dafür verantwortlich ist, dass es durch sein eigenes unmittelbares Handeln nicht zu rechtlich missbilligten Erfolgen kommt.154 Nur unter besonderen Voraussetzungen könne ein bloß mitursächlicher Erfolgsbeitrag täterschaftliche Verantwortung begründen.155 So soll die Reichweite des Verantwortungsbereichs des Ersthandelnden davon abhängen, ob diesen eine „über das Normale hinausgehende Pflicht“ treffe.156 Dies sei nur der Fall, wenn ausnahmsweise eine bestimmte Pflicht dem Täter gebiete, darauf zu achten, dass der Erfolg nicht durch anknüpfendes Verhalten herbeigeführt werde.157 Erweiterte Sorgfaltspflichten nimmt Schumann etwa an bei besonderer Pflichtenübernahme, Fachkompetenz oder Produktverantwortung des Ersthandelnden. Allerdings fragt sich, auf welcher dogmatischen Grundlage diese Pflichten basieren. Immerhin handelt es sich hierbei um gesetzlich nicht geregelte Verhaltensnormen, aus denen sich eine Verantwortlichkeit für fremdes Fehlverhalten ergeben soll. Ähnlich Schumann argumentiert auch Wehrle, der die Verantwortung des Vorsatztäters als Durchgriffsschwelle versteht und – insoweit bestehen Parallelen zu Jakobs – nur Schutz- und Überwachungsgaranten sowie besondere Verkehrssicherungspflichtige haften lassen möchte, da diese eine unmittelbare, vom Handlungsbereich des Dritten losgelöste Verantwortlichkeit treffe.158 Hierbei handele es sich um eine Sonderverantwortlichkeit, die im Begehungsbereich zwar regelmäßig durch die Regelungen des Handlungsdelikts verdeckt werde. Dies ändere aber nichts daran, dass ein Garant, der im Sinne eines vorsätzlichen Handlungsdelikts nur Teilnehmer ist, gleichwohl Täter des entsprechenden Unterlassungsdelikts sein könne. Denn wer sich durch Unterlassung der Verhinderung strafbar machen So auch Wehrle, Regressverbot, 1986, S. 69. Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 70. 155 Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 108 schlägt vor, den Ausnahmecharakter dieser Konstruktion durch die Bezeichnung „fahrlässige mittelbare Täterschaft“ zum Ausdruck zu bringen. Hierfür spricht, dass ein solcher Name bereits den Ausgangspunkt (restriktiver Täterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich) zeigt. 156 Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 22; hierzu auch Frisch, Zurechnung, 1988, S. 238 f.; ähnlich auch Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 50 f. 157 Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 107. 158 Wehrle, Regreßverbot, 1986, S. 101 ff. 153 154
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könne, der mache sich selbstverständlich umso mehr strafbar, wenn er den Erfolg, den er hindern sollte, sogar positiv fördert.159 Dem ist mit Einschränkungen zuzustimmen. Dass der Beschützergarant losgelöst von fremder Autonomie haftet, wurde bereits dargelegt.160 Für den Fall des Überwachergaranten gilt dies aber gerade nicht. Dort beansprucht das Autonomieprinzip aus den genannten Gründen Geltung. 4. Die Haftung aufgrund von Urheberschaft Bindokat will die Frage der Zurechnung fremdvermittelter Erfolge mit Hilfe der Urheberlehre beantworten.161 Verursachen mehrere Akteure einen Erfolg, so sei zu ermitteln, wer von ihnen der Urheber sei, der die Gefahrschaffung ins Werk gesetzt habe. Sei dies der Zweithandelnde, so schließe er einen kausal gewordenen Ersthandelnden von der Fahrlässigkeitshaftung aus. Soweit liegt Bindokats Wiederbelebung des Urhebergedanken noch ganz auf der Linie derer, die ein generelles Regressverbot befürworten. Allerdings legt Bindokat eine stark wertende Betrachtung zugrunde, bei der er nicht – wie die ursprüngliche Urheberlehre und wie man erwarten würde – die Eigenverantwortlichkeit des Dritten zum maßgeblichen Ausschlusskriterium der Haftung des Ersten macht. Urheber soll nämlich auch der sein, der ein eigenverantwortliches Drittverhalten veranlasst hat, wie dies etwa bei der Provokation einer Selbstgefährdung der Fall ist. So sei im Wettfahrt-Fall162 dem BGH darin zuzustimmen, dass bei einer gefährlichen Wettfahrt, bei welcher der Fahrer der schwächeren Maschine ums Leben kam, der andere Teilnehmer nicht im Hinblick auf die Selbstverantwortung des Verletzten freizusprechen war. Der andere Fahrer habe durch das Wettangebot nämlich das gefährliche Fahrmanöver veranlasst und daher den späteren Unfall mitverursacht. Im Heroinspritzenfall neigt Bindokat dagegen eher dazu, den Drogendealer freisprechen zu wollen. Warum der Ersthandelnde hier einmal Urheber und also Fahrlässigkeitstäter, ein anderes Mal dagegen bloß fahrlässiger Gehilfe und damit straflos sein soll, vermag nicht ganz einzuleuchten – immerhin geht Bindokat in beiden Fällen davon aus, dass der Verletzte selbst ebenfalls Urheber des Erfolges war.163
5. Das Gebot differenzierter Verantwortungszuschreibung Die jüngste Stellungnahme zur Regressverbotsproblematik stammt von Leupold, der sich anlässlich seiner Untersuchung zur actio libera in causa mit der Regressfrage auseinandersetzt. Ausgangspunkt für seine Kritik am extensiven Täterbegriff 159 160 161 162 163
Exner, FG-Frank, 1930, S. 596. Vgl. oben Kap. 2, § 2 V. Bindokat, JZ 1986, S. 421 ff. BGHSt 7, 112. Bindokat, JZ 1986, 421, 423.
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sind verfassungsrechtliche Vorgaben wie Art. 103 II GG, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und Art. 3 I GG, welche eine differenzierte Verantwortungszuschreibung geböten. Die Gleichbehandlung von Täterschaft und Teilnahme im Fahrlässigkeitsbereich sei daher unzulässig.164 Derart weite, undifferenzierte Handlungsverbote müssten nämlich zur Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Fahrlässigkeitsnormen (etwa § 222 StGB) führen, da der Umfang strafbaren Verhaltens nicht genau bestimmt werden könne.165 Diese Folge könne nur durch einen restriktiven Täterbegriff vermieden werden, der – auch im Bereich der Fahrlässigkeit – nur unter den Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 als mittelbare Täterschaft einen Regress erlaube.166 Soweit deren Voraussetzungen (überlegene Vermeidemacht des Hintermanns) nicht gegeben seien, sei der Ersthandelnde als bloß fahrlässiger Teilnehmer in Bezug auf den drittvermittelten Erfolg straflos. Damit reiht sich Leupold in das allmählich Anhängerschaft gewinnende Lager derer, die den extensiven Täterbegriff für das Fahrlässigkeitsdelikt ablehnen.
III. Alternativen zum Regressverbot Ganz anders stellt sich die Frage der Erfolgszurechnung dar, wenn man mit der h. M. von einem extensiven Täterbegriff ausgeht, demzufolge der fahrlässig Ersthandelnde grundsätzlich für drittvermittelte Schäden haftbar ist.167 Offenbar wird dieses Ergebnis jedoch als unbillig empfunden, wenn neben dem sorgfaltspflichtwidrigen Verhalten einer Person auch eine Selbstgefährdung, eine Einwilligung oder ein Mitverschulden des Opfers bedeutsam ist oder der vorhersehbare Erfolg erst durch eigenständiges Verhalten Dritter ausgelöst wurde. In all diesen Fällen wird ausnahmsweise eine Zurechnungsunterbrechung diskutiert, so dass die Regel (Haftung des Erstagierenden) vor dem Hintergrund der Ausnahmen (Zurechnungsunterbrechung) nur noch mühsam auszumachen ist und sich die Ergebnisse oftmals mit den Resultaten decken, welche die Anhänger des restriktiven Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsbereich erzielen.168 Ob die Zurechnung unterbrochen wird, soll nicht zuletzt davon abhängen, ob der Dritte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.169 Im Falle des vorsätzlichen DrittLeupold, Tathandlung, 2005, S. 52 ff., 141. Ähnlich auch Diel, Regreßverbot, 1996, S. 179, 236. 166 Leupold, Tathandlung, 2005, S. 145. 167 Im Einzelnen dazu Bähr, Restriktiver Täterschaftsbegriff, 1933, S. 50 f.; Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 28, Rn. 13; Bottke, Täterschaft, 1992, S. 23 ff.; Erb, JuS 1994, 449, 453 f.; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 303 f.; Gallas, Beiträge, 1968, S. 90 ff.; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, 1994, S. 63; Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 99 f.; Küper, Notstand, 1983, S. 68. 168 Otto, GS-Schlüchter, 2002, S. 77, 79 ff. 169 Zum fahrlässigen Drittverhalten s. u. Kap. 4, § 2. 164 165
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verhaltens wird bei fahrlässigem Erstverhalten die Zurechnung weitestgehend verneint, ohne freilich die Konsequenz eines generellen Haftungsausschlusses zu ziehen.170 Vor dem Hintergrund einer Einheitstäterkonzeption im Fahrlässigkeitsbereich erscheint dieses etwas widersprüchlich: der Fahrlässigkeitstäter müsste streng genommen unabhängig vom Verschulden des Dritten in jedem Fall haften. Von dieser Schlussfolgerung ist die Lehre aber weit entfernt. Sowohl hinsichtlich der Begründung als auch der dogmatischen Verankerung der Ergebnisse gehen die Ansichten freilich auseinander.171 Die ganz überwiegende Auffassung neigt dazu, die Zurechnungsfrage im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit zu problematisieren.
1. Die Einschränkung der Sorgfaltspflicht beim Ersthandelnden Am häufigsten wird versucht, die Haftung des Ersthandelnden durch eine Einschränkung der Sorgfaltspflicht zu begrenzen.172 Über die Möglichkeiten einer solchen Restriktion gehen die Meinungen auseinander. a) Die Vorhersehbarkeit des Erfolges Vor allem die Rechtsprechung rechnet dem Ersthandelnden den Erfolg nur dann als sorgfaltspflichtwidrig zu, wenn die Entwicklung des Geschehens für ihn vorhersehbar war.173 Der Täter braucht dabei nicht den konkreten Geschehensablauf in allen Einzelheiten vorhersehen können; ihm muss aber der Erfolg in seinem Endergebnis voraussehbar sein.174 Auf derselben Linie liegen diejenigen Autoren aus dem Schrifttum, die eine Sorgfaltspflichtverletzung immer dann befürworten, wenn das fehlerhafte Drittverhalten nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegt.175 In dem so geschaffenen weiten Rahmen ist auch für eine Versari-Haftung Platz. Ob der Dritte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, spielt grundsätzlich keine 170 Maiwald, JuS 1989, 186, 187; Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 185; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 117; Otto, FS-Spendel, 1992, S. 271, 279; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 305. 171 Vgl. etwa Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 274 ff.; Otto, FS-Maurach, 1972, S. 98 f.; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 ff., 22 ff.; Wolter, Zurechnung, 1981, S. 344 ff. 172 Vgl. Puppe, Jura 1998, 21, 27. 173 BGHSt 12, 75 m. w. N.; OLG Hamm NJW 1973, 1422 f.; BGHSt 3, 62, 63 f.; OLG Celle NJW 1985, 271; OLG Braunschweig SJZ 130, 131; vgl. hierzu auch Bindokat, JZ 1977, 549, 551. 174 RGSt 35, 131; 54, 351; BGHSt 3, 63 f.; 12, 77; 17, 226; vgl. auch Stratenwerth, FSGallas, 1973, S. 238. 175 Wessels / Beulke, AT, Rn. 164 f.; wohl auch Jescheck / Weigend, AT, S. 573 f.; Namias, Zurechnung, 1993, S. 164; Donatsch, SJZ 1989, S. 113.
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Rolle, so dass eine flexible, einzelfallbezogene Entscheidung über die Frage der Haftung für fremdes Fehlverhalten möglich ist. Allerdings bleibt das Kriterium der Vorhersehbarkeit vage. Es besteht die Gefahr, dass der Umfang der Strafbarkeit verdeckt dem kriminalpolitischen Interesse angepasst wird. Der allgemeinen Lebenserfahrung kann nämlich alles zugerechnet werden, womit gerade angesichts der kriminalpolitischen Situation auch gerechnet werden soll.176 Hat das Erstverhalten gar eine gefährliche Situation geschaffen, die später aufgrund fremden Fehlverhaltens in einen Schaden umschlägt, müsste nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig die Vorhersehbarkeit zu bejahen sein. Damit ergibt sich eine unübersehbare Haftung für drittvermittelte Erfolge, so dass sich die Vorhersehbarkeit als Modell der Haftungseinschränkung gerade in ihr Gegenteil – namentlich eine Haftungserweiterung – verkehrt. Im Übrigen verschleiert das Kriterium der Vorhersehbarkeit den Unterschied zwischen menschlicher Handlung und bloßer Naturursache. Lässt etwa ein Hundebesitzer sein Tier bewusst fahrlässig frei laufen, obwohl dieses auf Fahrradfahrer aggressiv reagiert und kommt es infolgedessen zur Tötung des Opfers, so ist eine Strafbarkeit des Tierhalters gem. § 222 StGB zu bejahen. Lässt der Hundebesitzer dagegen versehentlich den Schlüssel am Zwinger stecken, so dass sein Nachbar – wie bereits mehrfach – das Tier mit bedingtem Tötungsvorsatz frei lässt, um dessen Eigentümer Scherereien zu bereiten, so könnte man zwar daran denken, letzteren gem. § 222 StGB zu belangen. Solchenfalls wird aber der Unterschied zu erstgenanntem Beispiel nivelliert, dass nämlich dort der Erfolgseintritt unmittelbar auf den nachlässigen Willen des Tierhalters zurückzuführen ist, während hier der Erfolg unmittelbar auf dem finalen Willen des Zweithandelnden beruht. Schließlich zeigen sich Ungereimtheiten, wenn man die Vorhersehbarkeit nicht auf den konkreten Geschehensablauf, sondern nur auf den Erfolg in seinem Endergebnis bezieht: solchenfalls müsste der Ersthandelnde auch für die Folgen eines ärztlichen Kunstfehlers haften sowie für etwaiges leichtfertiges Verhalten des Verletzten, der sich etwa entgegen dem ärztlichen Rat körperlich übermäßig strapaziert. All diese Folgen liegen ebenso wenig außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren wie etwa die Tötung eines Verletzten durch einen Unfall des Krankenwagens. Wenn die Rechtsprechung trotz Anerkennung des Grundsatzes, dass es nicht auf die Vorhersehbarkeit des konkreten Geschehensablaufs, sondern nur auf die des Erfolges in seinem Endergebnis ankommt, diese Konsequenzen immer noch nicht zieht, so begünstigt sie damit den Anschein der Zufälligkeit und Willkürlichkeit der Entscheidung vergleichbarer Sachverhalte.177
176 Diel, Regressverbot, 1997, S. 200; ähnlich kritisch auch Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 4. 177 Otto, JuS 1974, 702 f.
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b) Der Vertrauensgrundsatz Nach anderer Ansicht178 soll der von der Rechtsprechung ursprünglich für den Bereich des Straßenverkehrs179 entwickelte Vertrauensgrundsatz zur Einschränkung der Sorgfaltspflichtverletzung herangezogen werden können. Nach diesem Grundsatz soll jeder zunächst prinzipiell darauf vertrauen dürfen, dass andere sich normgemäß verhalten. Denkt man diesen Gedanken zu Ende, liefe dies auf ein generelles Regressverbot hinaus: jedwedes deliktische Drittverhalten müsste – angesichts des Vertrauens in normgemäßes Verhalten – die Haftung des Ersten beschränken. Dem wird jedoch vorgebeugt, indem sich nach überwiegender Auffassung nur der auf den Vertrauensgrundsatz soll berufen können, der sich selbst rechtmäßig verhalten hat.180 Darüber hinaus soll der Ersthandelnde dann keinen Vertrauensschutz genießen, wenn er Anzeichen für das fremde Fehlverhalten hatte. Welche Art von Anzeichen im Einzelnen zur Annahme einer extensiven Haftung führen sollen, ist freilich umstritten. (1) Ausnahme: konkrete Anhaltspunkte für fremdes Fehlverhalten Teilweise wird verlangt, dass konkrete Anhaltspunkte auf das fremde Fehlverhalten hindeuten müssen.181 Als Beispielsfälle, bei denen der Erste mit dem Fehlverhalten weiterer Personen rechnen musste, dienen etwa erkennbar verkehrsungewandte Personen, insbesondere Kinder und alte Menschen. Das Kriterium der „triftigen Veranlassung“ ist allerdings recht vage und führt dazu, dass man bei dem geringsten Anzeichen für die Vorsatztat eines Dritten alle möglicherweise mittelbar erfolgsverursachenden Handlungen zu unterlassen hätte. Eine derartige Einschränkung der Handlungsfreiheit steht außer Verhältnis zum effektiven Vorkommen vorsätzlicher Delikte. (2) Ausnahme: erkennbare Tatgeneigtheit des Vordermanns Roxin zufolge soll der Vertrauensgrundsatz dann nicht zur Beschränkung der Sorgfaltspflicht herangezogen werden können, wenn die Tatgeneigtheit des Dritten für den Ersten generell oder aufgrund Sonderwissens erkennbar war, da die ErstStratenwerth, FS-Eb. Schmidt, 1961, S. 392 ff.; krit. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 12. RGSt 70, 71 ff., 73; BGHSt 4, 182 ff.; 9, 92; 12, 81, 83. Der Vertrauensgrundsatz soll aber auch im Rahmen der ärztlichen Arbeitsteilung eine Rolle spielen und hat sich zunehmend als allgemein im Strafrecht geltender Grundsatz durchgesetzt, vgl. Stratenwerth, Eb. Schmidt-FS, 1961, S. 383, 387 ff.; Murmann, Nebentäterschaft, 1993, S. 274 ff. 180 Kirschbaum, Vertrauensschutz, 1980, S. 122; Maiwald, JuS 1989, S. 186 ff.; anders hingegen Rudolphi, JuS 1969, 549, 556 m. Fn. 53, der den Vertrauensgrundsatz auch bei sorgfaltswidrigem Erstverhalten generell für anwendbar erklären will. 181 Rudolphi, JuS 1969, 549, 556; ferner Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 12; Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 139 f.; BGHSt 12, 83; 13, 172 f. 178 179
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handlung solchenfalls die Bedeutung habe, fremde Tatgeneigtheit zu fördern.182 Auch Roxins Ansatz vermag allerdings nicht zu überzeugen: Roxin selbst wirft Stratenwerth, der sich zeitweise für eine Haftungserweiterung bei erkennbarer Tatentschlossenheit des Dritten ausgesprochen hat, vor, dass der Tatentschluss des Dritten einen inneren und somit schwer erkennbaren Vorgang darstelle.183 Dies trifft zu, nur leuchtet nicht ein, wodurch sich das von Roxin befürwortete Kriterium der Förderung fremder Tatgeneigtheit von der Erkennbarkeit der Tatentschlossenheit eines Dritten unterscheiden soll.184 Letztendlich bewegt man sich hier auf dem Boden reiner Spekulationen, denn ob der Dritte aus Sicht des Ersthandelnden tatgeneigt war oder nicht, kann niemals ganz sicher festgestellt werden.
c) Die Zuständigkeit für den eigenen Rechtskreis Jakobs bejaht eine Sorgfaltspflichtverletzung nur dann, wenn die Folgen der Tat dem Organisationskreis des Ersthandelnden zuzurechnen sind.185 Für drittvermittelte Erfolge hafte der Erste also nur dann, wenn sie in seine Zuständigkeit fallen. Dies soll zunächst immer dann der Fall sein, wenn die Ausgestaltung eines Bereichs einer bestimmten Person als deren Aufgabe zugewiesen ist, namentlich im Bereich der Garanten nach den Grundsätzen der unechten Unterlassungsdelikte.186 Jakobs geht also davon aus, dass sich sowohl die Begehungs- als auch die Unterlassungshaftung als Haftung für den eigenen Organisationskreis darstellen und damit ein einheitliches System bilden. Der Garant hat demnach keine Möglichkeit, sich von den Folgen seines Handelns unter Berufung auf das Drittverhalten freizusprechen. Für ihn gilt – ähnlich wie nach Ottos Konzeption – ein extensiver Täterbegriff. Anders soll dies dagegen bei dem Nicht-Garanten sein: dieser hafte nur dann für von ihm verursachte Fernwirkungen, wenn er entweder sein Verhalten selbst als Teil eines Deliktsplans definiert habe (mag ihm auch – bei der Fahrlässigkeit – das Deliktische an der Planung nur erkennbar gewesen sein) oder wenn er sein Verhalten solchen Plänen eines anderen anpasst, die nur deliktisch motiviert sein können.187 Dies sei der Fall, wenn der einzige Zweck der Ersthandlung darin gesehen werden könne, eine fremde Deliktsbegehung zu fördern.188 Dagegen soll sich der Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 190. Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 189. 184 Vgl. Diel, Regreßverbot, 1996, S. 220. 185 Jakobs, AT, 7 / 57 und 24 / 15; ähnlich auch Kratzsch, FS-Oehler, 1985, S. 65, 70 f.; Wolter, Strafrechtssystem, 1984, S. 344; Frisch, Zurechnung, 1988, S. 230 ff., der das Problem jedoch nicht in der objektiven Zurechenbarkeit verankert, sondern allgemein die Tatbestandsmäßigkeit des Erstverhaltens verneint. 186 Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 21. 187 Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 23. 188 Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 23. 182 183
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Ersthandelnde von dem Erfolg distanzieren können, wenn sein Verhalten für sich genommen keinen tatbestandlichen Sinn hat und lediglich die Voraussetzungen für die Tatbestandsverwirklichung eines Dritten erhalten hat.189 An Jakobs Ansatz ist bemerkenswert, dass er einerseits die verschärfte Garantenhaftung auch im Rahmen der Begehungsdelikte berücksichtigt und andererseits zugleich Kriterien für die Haftungseinschränkung beim Nicht-Garanten gibt. Bedenken begegnen dieser Lösung aber insoweit, als sie einerseits von einer völlig unbeschränkten Garantenhaftung ausgeht und insoweit dem Autonomieprinzip jede Geltung abspricht. Wie bereits gezeigt, trifft eine solche Auslegung der Garantenpflicht aber nur im Falle des Beschützergaranten zu, der – anders als z. B. der Überwachergarant – Grund und vor allem Umfang seiner Haftung genau übersehen kann und daher unabhängig davon, ob das ihm anvertraute Rechtsgut durch Natur oder menschliches Verhalten verletzt zu werden droht, zum Einschreiten verpflichtet ist. Aber auch das für Nicht-Garanten vorgesehene Kriterium des deliktischen Sinngehalts verschafft wenig Klarheit: theoretisch kann jede Handlung eines Menschen dem deliktischen Verhalten Dritter dienlich sein und somit selbst als „deliktisch sinnvoll“ eingestuft werden. Außerdem sind auch deliktsfördernde Verhaltensweisen denkbar, die sich im konkreten Fall ex post als deliktisch sinnlos erweisen.190 Letztendlich kann der Sinn der Ersthandlung nicht objektiv ex ante ermittelt werden, sondern ergibt sich im konkreten Fall immer erst aus dem Zusammenspiel mit der Dritthandlung. Die Strafbarkeit eines Verhaltens darf aber, nimmt man § 29 StGB ernst, grundsätzlich nur aufgrund eigenen Fehlverhaltens erfolgen.191 Im Übrigen führt die Berücksichtigung der Dritthandlung bei der Beurteilung des Sinngehalts der Ersthandlung dazu, dass letztendlich wieder die Wahrscheinlichkeit bzw. die Vorhersehbarkeit eines solchen Verhaltens ins Zentrum der Betrachtung rückt.
d) Die Abwägungslösung Frischs Wolfgang Frisch hingegen sucht tatbestandsmäßiges und nicht-tatbestandsmäßiges Verhalten des Ersthandelnden über Strafwürdigkeitserwägungen abzugrenzen: „Es geht – zusammengefaßt – darum, in einer Art zweistufigem Verfahren zu ventilieren, erstens: ob die Mißbilligung bestimmter risikobeladener Verhaltensweisen im Blick auf die Handlungsfreiheit als geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Erhaltung bestimmter Güter erscheint, und zweitens: ob es zur Aufrechterhaltung der Geltungskraft und Unverbrüchlichkeit der Norm erforderlich und angemessen erscheint, auf die solchermaßen mißbilligten Risikoschaffungen im Gewand der Erfolgsdelikte mit Strafe zu reagieren.“192 189 190 191 192
Jakobs, AT, 24 / 15. Diel, Regreßverbot, 1996, S. 219. Diel, Regreßverbot, 1996, S. 219. W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 80; ders., NStZ 1992, 62, 63.
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Bei Verhaltensweisen, die rechtsgutsbeeinträchtigendes Verhalten Dritter ermöglichen, sei zu unterscheiden: Beschützer- und Überwachergaranten sollen für fremdes Fehlverhalten haften, wenn ihnen dies aufgrund konkreter Anhaltspunkte erkennbar war.193 Nicht-Garanten sollen dagegen grundsätzlich nur haften, wenn ihr Verhalten einen eindeutig „deliktischen Sinnbezug“ aufweist und der Ersthandelnde die das fremde Fehlverhalten begründenden Umstände erkannt hat.194 Bei Verhaltensweisen ohne eindeutigen deliktischen Sinnbezug sei eine Erfolgszurechnung nur ausnahmsweise möglich, wenn das Gesetz selbst die unbeteiligte Person zur Verhütung bestimmter Güterbeeinträchtigungen in Pflicht nimmt und also deren Handlungsspielräume beschneide, wie dies etwa bei den §§ 138, 323 c StGB der Fall sei. Auch dann soll das Erstverhalten aber nur tatbestandsmäßig im Sinne des später vermittelten Delikts sein, wenn die Anzeige oder Hilfe die Chance der Verhinderung des Drittverhaltens vereitelt oder nachweisbar reduziert hätte.195 Diesem stark differenzierenden Lösungsvorschlag ist einerseits entgegenzuhalten, dass er Beschützer- und Überwachergaranten zu Unrecht hinsichtlich des sie treffenden Haftungsumfangs gleichsetzt. Der Überwachergarant haftet aber – anders als der Beschützergarant – für fremdes autonomes Fehlverhalten nicht. Darüber hinaus ist auch das Kriterium des deliktischen Sinnbezugs abzulehnen, da nahezu jede Handlung auf die eine oder andere Art einen deliktischen Sinnbezug aufweisen kann und das Kriterium daher nicht zur Eingrenzung der tatbestandsmäßigen Handlung geeignet ist. Zudem kann ein Modell, das auf die Abwägung von Handlungsinteresse einerseits und Gütererhaltungsinteresse andererseits abstellt, nur für den Einzelfall sagen, was die tatbestandsmäßige Handlung kennzeichnet und erscheint damit als von Strafwürdigkeitserwägungen geprägt und willkürlich. 2. Der Ausschluss des Risikozusammenhangs Das Erfordernis des Risikozusammenhangs besagt ganz allgemein, dass ein adäquat verursachter Erfolg seinem Urheber nur dann zuzurechnen ist, wenn er sich als Verwirklichung gerade desjenigen Risikos erweist, dem die übertretene Verhaltensnorm gezielt entgegenwirken wollte.196 Dieses Kriterium wird unter anderem auf die Konstellationen des nachträglichen Fehlverhaltens angewandt. Anders als das Merkmal der Sorgfaltspflichtwidrigkeit, welches strafbares von schlechthin nicht strafbarem Verhalten abgrenzt, dient der Ausschluss des Risikozusammenhangs dazu, in Ausnahmefällen die Erfolgszurechnung zu unterbrechen, obwohl das Erstverhalten rechtlich missbilligt wird, mit anderen Worten: eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. 193 194 195 196
W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 247 ff., 305 f., 354. W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 306 f., 345. W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 314. Burgstaller, FS-Jescheck, 1985, S. 357, 362.
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a) Mittelbare und unmittelbare Risikoschaffung In der Literatur wird in diesem Zusammenhang danach differenziert, ob das Erstverhalten für sich genommen bereits eine Gefahr für das später verletzte Rechtsgut begründet hat oder nicht.197 Stellt das Erstverhalten nur eine Bedingung dafür dar, dass später der Erfolg herbeigeführt wird, ohne bereits selbst das Rechtsgut zu gefährden, ist von einer bloß mittelbaren Risikoschaffung die Rede. Beispiel: F gibt ihrem Geliebten G als Scherz ein Messer, damit dieser „seine Ehefrau aus dem Wege räume“. G tötet seine Ehefrau tatsächlich. Hier soll der Risikozusammenhang unterbrochen werden, da die Gefahr nur mittelbar – über das „Medium eines freien Willen“198 geschaffen wurde. Da der Erstverursacher nur den Anlass zur Begehung einer Straftat gegeben hat, schließt der Anlass Nehmende den Ersthandelnden wegen seiner verantwortlichen Entscheidung zur vorsätzlichen199 oder fahrlässigen200 Handlung von der Verantwortung aus. Jede Abweichung von dieser Regel, die auch dem bloßen Veranlasser den drittvermittelten Erfolg objektiv zurechnet, ist nach diesem Ansatz begründungspflichtig, da sie den eigenen Verantwortungsbereich erweitert.201 Anders verhalte es sich, wenn sich schon das Erstverhalten als unmittelbare Risikoschaffung darstelle. Beispiel: A fährt versehentlich den Passanten P schwer an. P bleibt verletzt auf der Strasse liegen, wo er von dem nachfolgenden Auto des B erfasst und getötet wird. Hier habe der Erstverursacher immerhin durch sein fehlerhaftes Verhalten selbst eine Gefahr für Rechtsgüter des Opfers geschaffen, so dass durchaus in Zweifel gezogen werden könne, ob ihm fremdes Fehlverhalten die Verantwortung abnimmt. Die Frage lautet also, ob die von dem Zweithandelnden verschuldete Gefahr die vom Ersthandelnden begründete Gefahr verdrängt oder ob sich in dem drittvermittelten Erfolg noch die Ausgangsgefahr realisiert. Zur Beantwortung dieser Frage leistet das Kriterium der unmittelbaren Risikoschaffung indes wenig Hilfe: unabhängig davon, ob der Ersthandelnde bereits allein durch sein Verhalten eine Gefahr für das letztlich verletzte Rechtsgut geschaffen hat oder nicht hat er jedenfalls das Risiko geschaffen, dass ein Dritter das Opfer verletzt. Hierbei handelt es sich aber um ein Risiko, welches sich nur mittelbar auswirkt. Insofern ist es in den Fällen nachträglichen Fehlverhaltens wenig förderlich, auf die unmittelbare Gefahrschaffung abzustellen – im Erfolg hat sich ja eben nicht die vom Ersthandelnden ausgehende unmittelbar geschaffene Gefahr verwirklicht 197 Hierzu Sch / Sch–Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 101, 102; Kühl, AT, § 4, Rn. 85; Wilhelm, Verantwortung, 1984, S. 31. 198 Sch / Sch–Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 101, 101 a. 199 Sch / Sch–Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 101, 101 a. 200 Vgl. OLG Stuttgart NStZ 1997, 190 sowie den Brandstiftungs-Unterlassungsfall des OLG Rostock NStZ 2000, 199 f. 201 Als Begründung wird z. B. die mangelnde Erfahrung oder Reife des Zweitverursachers angeführt, vgl. OLG Stuttgart JR 1985, 478 f. oder der Umstand, dass das Zweitverhalten aufgrund konkreter Anhaltspunkte erkennbar war, vgl. BGHSt 49, 1.
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(dann wäre die Rechtsgutsverletzung bereits ohne das fremde Fehlverhalten eingetreten), sondern das Risiko eines fehlerhaften Folgeverhaltens Dritter – mithin das mittelbare Risiko. Dies verdeutlicht das soeben angesprochene Beispiel des Autofahrers: der erste Autofahrer hat den Passanten eben nicht getötet – die unmittelbare Realisierung der Lebensgefahr wurde erst durch den zweiten Autofahrer herbeigeführt. Daher kann keine Rede davon sein, dass der Ersthandelnde wegen Schaffung und Realisierung einer von ihm ausgehenden unmittelbaren Gefahr für das Rechtsgut haften müsse.202
b) Die Differenzierung nach dem Verschuldensgrad des Dritten Andere Lösungsvorschläge gehen dahin, den Blick von dem Ersthandelnden auf den Dritthandelnden zu lenken. So soll nach Burgstaller zunächst entscheidend sein, ob der zum Enderfolg führende Kausalverlauf aufgrund des nachträglichen Fehlverhaltens völlig außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegt. Ist dies der Fall, so stelle sich die Frage des Risikozusammenhangs gar nicht erst, da bereits der Adäquanzzusammenhang entfallen soll.203 Anders verhalte es sich, wenn der Kausalverlauf vorhersehbar war: solchenfalls möchte Burgstaller nach dem Verschuldensgrad des Drittverhaltens differenzieren. Wenn das nachträgliche Fehlverhalten in Bezug auf den Enderfolg vorsätzlich oder grob fahrlässig gesetzt wurde und dieser Erfolg ohne das bezeichnete Fehlverhalten zumindest wahrscheinlich nicht eingetreten wäre, fehle es am Risikozusammenhang.204 Bei bloß leichter Fahrlässigkeit des Dritten sei die Zurechnung zum Ersthandelnden dagegen problemlos zu bejahen. Diese Differenzierung begründet Burgstaller damit, dass ein grob fahrlässiges Verhalten des Zweittäters – anders als ein nur leicht fahrlässiges Verhalten – den Zusammenhang zwischen Erstverhalten und Enderfolg ganz in den Hintergrund treten lasse. Sowohl unter general- als auch unter spezialpräventiven Erwägungen bestehe also kein Bedürfnis, den Enderfolg neben dem Zweitverursacher auch dem Erstverursacher zuzurechnen. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit soll nur einen auffallenden und ungewöhnlichen Sorgfaltsverstoß umfassen, der den Erfolg nicht bloß als entfernt möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich erwarten lässt.205 Damit sollen Fehler, wie sie jedermann hin und wieder unterlaufen können, aus dem Begriff der groben Fahrlässigkeit eindeutig ausgeschlossen werden. Aber auch von anderen Autoren wird eine Abstufung der Verschuldensgrade vorgenommen.206 Häufig wird damit argumentiert, dass mit einem grob fahrlässi202 203 204
So auch Schmoller, FS-Triffterer, 1996, S. 223, 237. Burgstaller, FS-Jescheck, 1985, S. 357, 375. Burgstaller, FS-Jescheck, 1985, S. 357, 364 ff.; ders., Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 117,
121 f. Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 119, 203 ff. Otto, JuS 1974, 702, 709; ders., Jura 1992, 90, 98; Ebert, AT, S. 46 f.; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, 1986, S. 164; Sch / Sch-Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 102. 205 206
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gen oder gar vorsätzlichen Fehlverhalten im Allgemeinen nicht gerechnet zu werden brauche.207 Die Formulierungen bleiben aber insgesamt vage und dehnbar – weder das von Burgstaller befürwortete „erlebnismäßige Gewicht der Zweithandlung“ noch eine „im allgemeinen bestehende Unvorhersehbarkeit bestimmter Ereignisse“ lässt klar erkennen, welche Verhaltensweisen die Zurechnung ausschließen sollen. Hier schimmert der eigentliche Hintergrund der Differenzierungslösung durch, nämlich Strafbarkeits- und Praktibilitätserwägungen. Noch schwerwiegendere Bedenken ergeben sich allerdings gegenüber der generellen Zulässigkeit der Abstufung von Fahrlässigkeitsgraden, welche von den Autoren nicht begründet wird. § 15 StGB kennt insoweit gerade keine Differenzierung, sondern lediglich die Bestimmung, dass fahrlässiges Handeln nur strafbar ist, wenn es der jeweilige gesetzliche Tatbestand so vorsieht. Auch in den Fahrlässigkeitstatbeständen des Besonderen Strafrechtsteils, etwa in den §§ 222, 229 StGB, werden diesbezüglich keine Abstufungen vorgenommen. Diese Kritik wird noch dadurch gestützt, dass es einige Vorschriften im Besonderen Teil gibt, in denen Besonderheiten bezüglich der Strafbarkeit für „leichtfertiges Verhalten“ normiert sind, so etwa in §§ 239a III, 251 StGB.208 Wo das Gesetz jedoch selbst nichts über die Quantität der Fahrlässigkeit aussagt, kann diese nicht entscheidend sein für die Strafbarkeit einer anderen Person.209 c) Die Modifikation des Ausgangsrisikos durch den Dritten Zum Teil wird auch danach differenziert, ob der Zweithandelnde in die Kausalreihe eingegriffen und das Erstrisiko verändert hat oder ob sich trotz des nachfolgenden Verhaltens das ursprüngliche Risiko verwirklicht hat. So etwa erkennt Roxin einen Zurechnungsausschluss an, wenn der Zweitverursacher das Ausgangsrisiko modifiziert, was nur bei einem aktiven Eingriff in den Kausalverlauf der Fall sei.210 Unterlassungen als nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten der Außenweltgestaltung vermögen demnach das Ausgangsrisiko nicht zu verändern und kommen daher grundsätzlich nicht als zurechnungsausschließend in Frage. Allerdings will Roxin aus kriminalpolitischen Erwägungen gleichwohl im Falle des Unterlassens einen Zurechnungsausschluss annehmen, wenn dieses sich als grob fahrlässig darstellt. Die Bestrafung des Ersthandelnden sei in diesem Falle 207 Sch / Sch-Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 102; ähnlich Otto, JuS 1974, 702, 709; ders., Jura 1992, 90, 98. 208 Diel, Regressverbot, 1996, S. 229. 209 Ablehnend auch Puppe, Jura 1998, 21, 25, die zu Recht darauf hinweist, dass die grobe Fahrlässigkeit die leichte auch dann überwiegt, wenn es überhaupt keinen Erstschaden gibt, sondern beide, der grob fahrlässig Handelnde und der leicht fahrlässig Handelnde, gemeinsam nur einen Schaden verursachen. Streng genommen müsse die grobe Fahrlässigkeit auch in diesen Fällen die leichte Fahrlässigkeit verdrängen, was aber von niemandem vertreten werde. 210 Roxin, AT I, § 11, Rn. 109 f.
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unter Strafzweckgesichtspunkten nicht erforderlich. Gegen diese Ausnahme spricht, dass sie einerseits der dogmatischen Grundlage entbehrt, andererseits aber der Sache nach wieder auf eine Differenzierung nach der Quantität des Drittverschuldens hinausläuft, welche – wie soeben erörtert – abzulehnen ist.211
IV. Zusammenfassung Die auf einem extensiven Täterbegriff aufbauenden Versuche, die Fahrlässigkeitshaftung über den Begriff der Sorgfaltspflicht oder den Risikozusammenhang flexibel einzuschränken, vermögen nicht zu überzeugen. Im Übrigen verstößt die Annahme eines extensiven Täterbegriffs bei der Fahrlässigkeit gegen die Systematik und den Wortlaut der §§ 25 ff. StGB. Auch bei der Fahrlässigkeit ist also von einem restriktiven Täterbegriff auszugehen, der keineswegs eine starre Lösung der Regressproblematik nach dem Motto „den letzten beißen die Hunde“ zur Folge hat. Dies zeigen die Regressmöglichkeiten bei fahrlässiger mittelbarer Täterschaft, bei fahrlässiger Mittäterschaft oder bei der vom Autonomieprinzip unabhängigen extensiven Beschützergarantenhaftung.
V. Auswirkungen auf die Lösung der Vorverschuldensfälle Die im letzten Abschnitt angestellte Untersuchung hat gewichtige Auswirkungen auf die Lösung der Fälle fahrlässigen Vorverschuldens: bislang wird überwiegend auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs davon ausgegangen, dass die Tathandlung des Fahrlässigkeitsdelikts zeitlich beliebig weit nach vorne verlagert werden kann. Die bloße Verursachung des Erfolges in vollverantwortlichem Zustand soll also tatbestandsmäßig im Sinne der einschlägigen Fahrlässigkeitsnorm sein. Nach dem hier vertretenen restriktiven Täterbegriff ist ein solches Procedere unzulässig. Tathandlung kann grundsätzlich nur die unmittelbar zum Erfolg führende Handlung sein, es sei denn, diese ist unfrei. Solchenfalls kommt ein Rückgriff auf bloß mittelbar zum Erfolg führende Handlungen theoretisch in Betracht. Als täterschaftsbegründende Norm kommt allerdings – angesichts des Wortlauts von § 25 I Alt. 2 StGB – nur § 25 I Alt. 1 StGB in Frage. § 25 I Alt. 2 StGB erfasst nämlich mit der Tatbegehung „durch einen anderen“ nur Fälle der Personenmehrheit. Wer die Tat „durch sich selbst“ begeht, kann demnach nur Alleintäter i. S. v. § 25 I Alt. 1 StGB sein.
211 Ablehnend auch NK-Puppe, Vor § 13, Rn. 230; Schmoller, FS-Triffterer, 1996, 223, 233 m. Fn. 38; Diel, Regreßverbot, 1996, S. 227 ff.
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§ 2 Das fahrlässige Dazwischentreten eines Dritten Von der vorsätzlichen Erfolgsvermittlung sind die – wesentlich häufiger vorkommenden – Fälle zu unterscheiden, in denen der Dritte fahrlässig an die vom Ersthandelnden gesetzte Ursache anknüpft und den Erfolg herbeiführt.
I. Beispiele Eine berühmte RG-Entscheidung setzte sich mit einem Sachverhalt auseinander, in dem ein Theaterbesucher an der Garderobe seinen Mantel abgegeben hatte, in dessen Tasche sich allerdings noch ein geladener und entsicherter Revolver befand. Als dieser beim Aufhängen des Mantels auf den Boden fiel, legte der Logenschließer „zum Scherz“ auf einen Theateraufseher an und traf diesen tödlich.212 Folgt man der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre, so ist nicht nur der Logenschließer, sondern auch der Theaterbesucher wegen fahrlässiger Tötung zu belangen. Diese Entscheidung dürfte wohl überwiegend deshalb auf Beifall gestoßen sein, weil der Theaterbesucher Überwachergarant hinsichtlich der ihm gehörenden, sicherungspflichtigen Waffe war. Noch häufiger sind in der Praxis freilich Fälle, in denen ein ärztlicher Kunstfehler die Rechtsgutsverletzung bei dem verletzten Opfer herbeiführt. Der BGH hatte etwa einen Fall zu entscheiden, in dem der Angeklagte das Opfer von einem Hochsitz gestoßen hatte. Dieses brach sich – trotz der Fallhöhe von 3,50 m – nur den rechten Knöchel. Der Patient wurde im Krankenhaus behandelt und nach 19 Tagen entlassen, ohne dass man ihm – wie es medizinisch indiziert gewesen wäre – blutverflüssigende Mittel gegeben hätte oder ihm Anweisungen erteilt hätte, wie er sich nach dem Eingriff verhalten solle. Der Verletzte hütete daraufhin überwiegend das Bett und erlitt daher eine Lungenembolie nebst Lungenentzündung, an der er verstarb.213 Der BGH verurteilte nicht nur den behandelnden Arzt wegen fahrlässiger Tötung,214 sondern auch den Ersthandelnden wegen Körperverletzung mit Todesfolge, da der tödliche Ausgang vorhersehbar gewesen sei. Berücksichtigt man, wie relativ geringfügig die (freilich auf gefährliche Weise zugefügte) Körperverletzung war, erscheint diese Bewertung sehr fragwürdig und führt einmal mehr die Beliebigkeit des Vorhersehbarkeitskriteriums vor Augen. Außerdem lässt sich – anders als im ersten Beispiel – nicht mit einer schon bestehenden Garantenpflicht des Ersthandelnden für eine Haftungserweiterung argumentieren, da diese erst durch die Pflichtwidrigkeit (in Form einer Ingerenzgarantenstellung) entstanden ist.
212 213 214
RGSt 34, 91; ähnlich auch RG GA 44, 398. BGHSt 31, 96 m. Anm. Maiwald, JuS 1984, 439 ff. Zustimmend Puppe, Erfolgszurechnung, 2000, S. 143.
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II. Die Lösung über den restriktiven Täterbegriff Dementsprechend finden sich in der Literatur Stimmen, die auch für die Fälle des fahrlässigen Dazwischentretens eines Dritten ein Regressverbot aufrecht erhalten wollen. Die Befürworter des Autonomieprinzips führen an, dass der Dritte auch im Falle der Fahrlässigkeit frei handele, so dass diese Konstellation grundsätzlich nicht anders zu bewerten sei als das vorsätzliche Drittverhalten.215 Die Autonomie des zweiten Fahrlässigkeitstäters soll eine Erfolgszurechnung zu dem Ersthandelnden demnach unterbrechen.216 Als Ausnahme werden Fälle der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft anerkannt, so etwa wenn der Hintermann bewusst fahrlässig, der Vordermann dagegen bloß unbewusst fahrlässig gehandelt hat.217 Eine weitere Ausnahme bilden die Fälle, in denen der Erste trotz der Autonomie des Dritten soll in Regress genommen werden können, weil er aufgrund einer Garantenpflicht in erweitertem Umfang zu haften habe. Wie bereits dargestellt gehen die Meinungen in diesem Punkte darüber auseinander, ob der Garant immer auch für fremdes Fehlverhalten haften muss oder nur im Falle der Beschützergarantenstellung. Letztgenannte Auffassung erscheint vorzugswürdig, da der Beschützergarant für das ihm anvertraute Rechtsgut unabhängig davon einzustehen hat, ob es einem menschlichen Angriff oder einem „naturmäßigen“ Geschehen zum Opfer zu fallen droht. Der Haftungsumfang ist hier ganz klar umrissen; der Obhutsgarant darf das Rechtsgut weder schädigen noch schädigen lassen. Der Überwachergarant ist dagegen nur zur Sicherung der gefährlichen Gegenstände verpflichtet. Gelangen diese in fremde Hände, so dass andere Personen zu Schaden kommen, haftet der Überwachergarant nicht für den entsprechenden Erfolg, weil die Verhinderung des Erfolges nicht mehr in seinen Händen liegt. Außerdem ist der Umfang der Haftung für den Überwachergarant völlig unüberschaubar: haftet der Waffenhändler, dem ein Gewehr gestohlen wird, auch für ein Blutbad, das der Profikiller über Jahrzehnte hinweg mit immer neuer Munition anrichtet? Dies erscheint überzogen. Die Überwachergarantenpflicht wird daher – anders als die Obhutsgarantenpflicht – durch fremde Autonomie unterbrochen.218
215 Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 313 betont zwar, dass sich die fremde Freiheit bei der Fahrlässigkeit ihrer nicht inne werde – aber auch der, der sich seiner Freiheit nicht bewusst ist, ist objektiv frei. 216 So wohl etwa Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 210; Leupold, Tathandlung, 2005, S. 144; Hruschka, ZStW 1998 (110), S. 528 ff. 217 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 262 ff. 218 Bei einer rein normativen Betrachtung ist es natürlich auch ohne weiteres denkbar, den Überwachergaranten extensiv haften zu lassen. Allerdings sollte man sich vor Augen führen, dass dies wiederum einen Bruch mit dem Grundsatz, dass jeder nur für eigenes Verhalten zu haften hat, bedeutet. Diese Ausnahme, die sich bei der von vornherein auf bestimmte Personen begrenzte Beschützergarantenstellung gut vertreten lässt, würde bei dem Überwachergaranten eine grenzenlose Allzuständigkeit auslösen.
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III. Die Lösung über den extensiven Täterbegriff Die überwiegende Meinung in der Literatur geht allerdings davon aus, dass die Fälle fahrlässigen Drittverhaltens über einen extensiven Täterbegriff zu lösen sind, so dass neben dem Dritten auch der fahrlässige Ersthandelnde für den Erfolg haften muss.
1. Die Haftung für fahrlässiges Drittverhalten im Allgemeinen Inwieweit dieser Grundsatz Ausnahmen oder Haftungsbegrenzungen zulässt, ist umstritten. Ähnlich wie im Falle vorsätzlichen Dazwischentretens Dritter hat sich diesbezüglich ein breites Meinungsspektrum herausgebildet.
a) Die unbeschränkte Regressmöglichkeit Maiwald spricht sich in diesem Zusammenhang für einen extensiven Täterbegriff aus. Die Zurechnung zum Ersttäter begründet er damit, dass der fahrlässig Ersthandelnde durch das fahrlässige Handeln Dritter von der Verantwortung für den so verursachten Erfolg nicht frei werde, da der Vertrauensgrundsatz nur bei tadellosem Erstverhalten eingreife.219 Dass der zeitlich früher Handelnde, der seine Pflichten verletzt, dann nicht für den Erfolg hafte, wenn auch ein anderer fahrlässig gehandelt habe, leuchte von vornherein nicht ein: „Da es häufig vom Zufall abhängt, welche von mehreren fahrlässig handelnden Personen ihren Fehler zuletzt begeht, kann das zeitliche Nacheinander unmöglich das über die Strafbarkeit entscheidende Kriterium sein.“220 Dies soll erst Recht gelten, wo der Vertrauensgrundsatz von vornherein nicht eingreift, namentlich im Sonderfall der Kontrollpflichten über eine zu überwachende Person. Maiwalds Haupteinwand gegen das Regressverbot findet sich in ähnlichem Gewande bei Puppe wieder: „eine allgemeine Regel, daß von mehreren, die nacheinander für einen Schaden ursächlich werden, immer nur den letzten die Hunde beißen sollen“, sei nicht begründbar.221 Vielmehr setze jeder, der sorgfaltspflichtwidrig handele, für sich allein eine unerlaubte Gefahr und müsse daher für den Erfolg haften, wenn sich die Gefahr in einem Schadensprozess realisiere.222 Diese Argumentation führt zu einem Einheitstätersystem im Fahrlässigkeitsbereich, bei dem Täterschafts- und Teilnehmerverhaltensnormen nicht mehr voneinander geschieden werden. Wie bereits gezeigt, ist es aber ohne weiteres möglich 219 220 221 222
Maiwald, JuS 1984, 439, 441. Maiwald, JuS 1984, 439, 441. Puppe, JR 1992, 511, 514. NK-Puppe, vor § 13, Rn. 163.
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– und geboten –, auch im Bereich der Fahrlässigkeit eine Differenzierung in Täterschaft und Teilnahme vorzunehmen.223 Dass hier ganz andere Zurechnungsgrundsätze gelten sollen als im Vorsatzbereich, bedürfte statt des bloßen Postulats zumindest näherer Begründung – immerhin geht es in den Fällen des drittvermittelten Erfolges um eine Haftung für fremdes Verhalten. Dass der bloß fahrlässig Ersthandelnde generell als Täter neben dem Dritten soll bestraft werden können, erscheint wertungswidersprüchlich: hätte er seinen Beitrag sogar vorsätzlich geleistet, so dass ihn eine größere Schuld träfe, so wäre er nämlich bloß als Teilnehmer im Sinne von §§ 26, 27 StGB anzusehen. Warum er dann als Täter bestraft werden soll, wo er nur fahrlässig handelt, leuchtet nicht ein und ist wohl auf die Tendenz zurückzuführen, alles bestrafen zu wollen, was rechtlich missbilligenswert erscheint. Dass hierfür – auch unter präventiven Erwägungen – kein Bedürfnis besteht, wurde bereits nachgewiesen. Viel gravierender wiegen aber die dogmatischen Bedenken gegen einen extensiven Täterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich: wie bereits angedeutet wurde und noch näher erarbeitet werden soll, folgen Fahrlässigkeits- und Vorsatzzurechnung prinzipiell gleichen Regeln. b) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit Rechtsprechung224 und ein Teil der Literatur225 wollen auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs auch im Bereich der Fahrlässigkeit das im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit verwurzelte Kriterium der Vorhersehbarkeit als Haftungsbegrenzung verwenden. Angesichts der Tatsache, dass häufiger mit fahrlässigem als mit vorsätzlichem Fehlverhalten zu rechnen sei, soll dem Vertrauensgrundsatz hier eine wesentlich geringere Bedeutung zukommen als im Falle der vorsätzlichen Erfolgsverwirklichung durch den Dritten. Die Vorhersehbarkeit ist aber kein geeignetes Kriterium, um eine strafrechtliche Haftung zu begründen. Es ist nicht nur äußerst vage und beliebig, sondern verschleiert zudem, dass die Haftung im Strafrecht nicht darauf gründet, welche Prognosen der Betroffene ziehen durfte, sondern dass sich der Erfolg als sein Willenswerk darstellen lässt. Dieses Zurechnungsverständnis gilt – wie noch gezeigt werden soll – auch im Fahrlässigkeitsbereich, denn auch die fahrlässige Tat stellt sich als Willensäußerung des sorgfaltspflichtwidrig Handelnden dar. c) Das Durchgängigkeitserfordernis Ebenfalls von der Lehre der objektiven Zurechenbarkeit ausgehend versucht Puppe, die Frage der Erfolgszurechnung bei drittvermittelten Erfolgen über das Dazu oben Kap. 4, § 1 I. 3. b). BGHSt 4, 360, 362; 7, 268, 269 f.; 11, 353, 355. 225 Baumann / Weber / Mitsch, § 14, Rn. 33; Tröndle / Fischer, Vor § 13, Rn. 38; Jescheck / Weigend, AT, S. 574. 223 224
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von ihr eingeführte Zurechnungselement des „Durchgängigkeitserfordernisses“ zu lösen. Hiernach ist ein Erfolg dem Ersthandelnden nur dann zuzurechnen, wenn zwischen der den Kausalverlauf auslösenden unerlaubten Ersthandlung und dem Erfolg eine „ununterbrochene Kette unerlaubter Zustände“ besteht.226 Das Täterverhalten mit seinen unerlaubten Eigenschaften muss demnach „mit dem Erfolgseintritt durch eine Kausalkette dergestalt verknüpft sein, dass jedes Glied dieser Kette ein unerlaubtes Element enthält.“227 Als Beispiel bildet Puppe den Fall, dass jemand sein Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz niedersticht, dieses aber nicht lebensgefährlich verletzt, so dass sich das Opfer noch imstande sieht, ein Taxi zu rufen, um ins Krankenhaus zu fahren. Unterwegs kommt es aufgrund eines Fahrfehlers des Taxifahrers zu einem Verkehrsunfall, bei dem das Opfer tödlich verletzt wird.228 Puppe lehnt hier eine Erfolgszurechnung ab, da es nicht unerlaubt sei, einen anderen in die Situation zu bringen, mit einem Taxi fahren zu müssen. Zwischen die unerlaubte Ersthandlung (Messerstich) und die unerlaubte Zweithandlung (Fahrfehler) trete daher ein eigenständiges erlaubtes Element, welches die für die Zurechnung erforderliche Durchgängigkeit der illegalen Ursachen unterbreche. Trotz der Plausibilität des Ergebnisses kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Dies zeigt bereits eine Abwandlung des Falls dahingehend, dass das Opfer nicht mit dem Taxi, sondern mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus befördert werden muss. Sicherlich kann es nicht als erlaubt angesehen werden, einen anderen in eine Situation zu versetzen, in der er der Hilfe des Rettungsdienstes bedarf. Die Fallabwandlung veranschaulicht, dass die Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter Gefahrschaffung fließend sind und letztlich nicht unerheblich davon abhängen, wie gefahrträchtig eine bestimmte Situation typischerweise erscheint. Da eine Krankenwagenfahrt häufig unter größerer Eilbedürftigkeit stattfinden wird als eine Taxifahrt, erscheint sie prinzipiell als unfallträchtiger und wird daher eher als Situation eingestuft werden, deren Verursachung unerlaubt ist. Die Erfolgszurechnung kann aber kaum davon abhängen, welchen Transportmittels sich das verunglückte Opfer auf dem Weg ins Krankenhaus bedient hat. Auch erscheint die These bedenklich, dass eine Zurechnung schlechthin möglich sein soll, sofern nur zwischen Ersthandlung und Erfolg eine durchgängige Kette unerlaubter Handlungen und Situationen besteht.229 Solchenfalls würde letztendlich die Erfolgsverursachung zum maßgeblichen Prinzip der Zurechnung erhoben, was auch im Bereich der Fahrlässigkeit der Wertung des § 25 I Alt. 2 StGB zuwiderläuft.
226 227 228 229
Puppe, ZStW 99 (1987), 595, 615; dies., Erfolgszurechnung, 2000, S. 105. Puppe, FS-Bemmann, 1997, S. 227, 228. Puppe, Erfolgszurechnung, 2000, S. 103. Krit. auch Namias, Folgeschäden, 1993, S. 109.
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d) Die Abstufung der Fahrlässigkeitsgrade Wie bereits dargestellt macht Burgstaller die Zulässigkeit des Regresses davon abhängig, ob der Dritte grob fahrlässig, vorsätzlich oder lediglich leicht fahrlässig gehandelt hat. Nur im letzten Fall soll der Erfolg dem Ersthandelnden zugerechnet werden.230 Unterstützung findet diese Differenzierung von Rengier231 und Otto232, die beide eine Unterbrechung der Zurechnung erst im Falle grober Fahrlässigkeit befürworten. Auch diese Ansicht vermag indes nicht zu überzeugen. Das Gesetz wertet grobe und leichte Fahrlässigkeit grundsätzlich gleich, was sich daran zeigt, dass der Dritte sich jedenfalls der fahrlässigen Begehung strafbar macht. Soweit man beide Fahrlässigkeitsgrade in Bezug auf die Strafbarkeit des Ersthandelnden unterschiedlich behandelt, ist dies schlussendlich nur auf die Überlegung zurückzuführen, womit der Ersthandelnde rechnen durfte. Damit entscheidet sich wieder alles nach der Vorhersehbarkeit des Drittverhaltens, die als täterschaftsbegründendes Kriterium nicht geeignet ist. Versteht man sowohl leicht – als auch grob fahrlässiges Verhalten des Dritten als freie Willensäußerung, kann die Regressmöglichkeit nicht vom Verschuldensgrad des Dritten abhängen.233 e) Die Differenzierung nach der Begehungsweise des Dritten Rudolphi vertritt die Meinung, dass für fremdes Fehlverhalten aufgrund des Vertrauensgrundsatzes i.d.R. nicht gehaftet werden müsse.234 Sofern dieser Grundsatz jedoch angesichts bestimmter Anzeichen für fremdes Fehlverhalten nicht eingreift, soll die Haftung des Ersten davon abhängen, ob der Dritte den Erfolg durch positives Tun oder durch Unterlassen herbeigeführt hat. Für fremdes Fehlverhalten durch positives Tun hafte der Erste – unabhängig vom Verschuldensgrad des Drittverhaltens – überhaupt nicht.235 „In diesem Fall stellt sich der Tod nicht mehr als eine weitere Realisierung der sich bereits in der Primärverletzung verwirklichten rechtswidrigen Gefahr, sondern als Verwirklichung der rechtlich nicht missbilligten Möglichkeit dar, dass der Unfallverletzte infolge eines pflichtwidrigen Verhaltens“ Dritter stirbt.236 Liegt dagegen seitens des Dritten ein Unterlassen vor, soll der Erfolg dem Ersthandelnden zuzurechnen sein. In diesem Fall sei es „gerade die vom Burgstaller, FS-Jescheck, 1985, S. 356 ff. Rengier, Jura 1986, 143, 147: „Insofern spricht vieles dafür, daß der tödliche Ausgang im Ergebnis dem Angeklagten deshalb nicht zur Last gelegt werden kann, weil Dritte den schadensvertiefenden Kausalverlauf zwischen der Primär- und Sekundärverletzung in einer Weise beeinflußt haben, die das Prädikat grob fahrlässig verdient.“ 232 Otto, FS-E.A. Wolff, 1998, S. 395, 409. 233 Im Ergebnis auch Rudolphi, JuS 1969, 549, 556, der die Regressfrage von der Frage löst, ob dem Arzt ein schwerer, mittlerer oder leichter Kunstfehler zur Last fällt. 234 SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 74. 235 Rudolphi, JuS 1969, 549, 556. 236 Rudolphi, JuS 1969, 549, 556. 230 231
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Ersttäter geschaffene Gefährdung, die sich auch noch in dem Zweitschaden realisiert.“237 Zuzugeben ist Rudolphi, dass der Dritte im Falle des Unterlassens tatsächlich den zum Erfolg führenden Kausalverlauf nicht verändert, so dass sich hier in dem Schaden ungebrochen das Risiko der Ersthandlung realisiert. Andererseits ist dies oftmals zumindest ähnlich, wenn der Dritte aktiv in das Geschehen eingreift. Prügelt etwa A den B ohne Tötungsvorsatz bewusstlos, um ihn anschließend sich selbst zu überlassen und trifft daraufhin der C das Opfer an, der (ebenfalls ohne Tötungsvorsatz) auf den Ohnmächtigen einschlägt – was den Tod des B beschleunigt – so wäre es lebensfremd, wollte man annehmen, dass die von A gesetzte Gefahr nicht mehr im Erfolg mitwirkt. Auch A hat nämlich eine Gefahr für das Opfer geschaffen; diese hat sich lediglich erst mittelbar verwirklicht, nachdem ein Dritter auch noch auf das Opfer eingewirkt hat. Die Kausalitätsbeziehung zwischen Erstgefahr und Schaden lässt sich jedenfalls nicht bestreiten. Weiterhin wird Rudolphi vorgeworfen, dass er dem Unterlassen des Dritten aus Sicht des Ersten jede Bedeutung abspricht. Nehme man die Gleichstellungsregelung des § 13 StGB ernst, so sei nicht einzusehen, warum der Erste haften soll, nur weil der Dritte die Erfolgsabwendung unterlässt anstatt sie durch aktives Tun herbeizuführen.238 Tatsächlich liegt es auf den ersten Blick nahe, die Gleichstellung von pflichtwidrigem Unterlassen und Tun nicht nur bei der Haftungsbegründung, sondern auch bei der Haftungsbegrenzung zu befürworten. Immerhin ist der nachträglich Unterlassende ebenso für den Erfolgseintritt verantwortlich wie der nachträglich Handelnde, was die Annahme eines Regressverbots rechtfertigen könnte.239 Gegen ein Regressverbot bei nachträglichem Unterlassen spricht aber, dass das Unterlassen – selbst wenn es eine eigenständige autonome Willensäußerung darstellt – sich niemals als eigenverantwortliche Gestaltung des Geschehens qualifizieren lässt. Dagegen steht bei dem aktiv handelnden Dritten die Veränderung der Wirklichkeit in eigener Verantwortung der Verantwortung desjenigen entgegen, der nur eine Bedingung für diese Veränderung gesetzt hat.240 Eine derartige Änderung des Geschehens liegt im Falle pflichtwidrigen Unterlassens niemals vor. Daher verdrängt der Unterlassungstäter den Handlungstäter nicht aus seiner Position, sondern er tritt neben ihn. Der Ersthandelnde wird also durch nachfolgendes Unterlassen nicht entlastet, auch wenn das Unterlassen ebenso wie das Tun Ausdruck der Autonomie des Dritten ist. Im Ergebnis, nicht aber in der vom Vertrauensgrundsatz ausgehenden Begründung, ist Rudolphi damit beizupflichten. SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 74. Diel, Regreßverbot, 1997, S. 234. 239 In diesem Sinne konsequent Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 118 f.; ders., FS-Jescheck, 1985, S. 365. 240 Otto, FS-Lampe, 2003, S. 491, 504. 237 238
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Kap. 4: Die Zurechnung fahrla¨ssig mittelbar bewirkter Erfolge
Dies sollen einige Beispiele veranschaulichen: der Liebhaber L von Frau F überfährt deren Mann M im Beisein der F. F läßt M verbluten. Haben L und F jeweils vorsätzlich gehandelt, so ist L gem. § 212, F dagegen jedenfalls gem. §§ 212, 13 StGB zu bestrafen. Sofern L den M von vornherein töten wollte, kommt der auf den aktiven Beitrag folgenden Unterlassung des L keine eigenständige Bedeutung zu, da sich die Unterlassung in solchem Fall als bloße Kehrseite des aktiven Tuns darstellt. Lag dagegen von beiden Seiten nur Fahrlässigkeit vor, so haftet L – wenn er den M irrtümlich für tot hält und deshalb keine Hilfe ruft – mangels eigenständiger Bedeutung der Unterlassung gem. § 222 StGB, F dagegen gem. §§ 222, 13 StGB. Hat L den M nur versehentlich überfahren und hält ihn sodann irrtümlich für tot, läßt F ihn aber vorsätzlich verbluten, so ist L „nur“ gem. § 222 StGB zu bestrafen, während F sich gem. §§ 212, 13 StGB strafbar gemacht hat. Im umgekehrten Fall – F ruft keine Hilfe, weil sie M (anders als L) schon für tot hält – wäre L mangels eigenständiger Bedeutung seines Unterlassens gem. § 212 StGB, F hingegen gem. §§ 222, 13 StGB zu bestrafen. Unterlässt der Dritte die Erfolgsabwendung, haftet der aktive Ersttäter also in vollem Umfang für den Erfolg. Von der Unterlassung durch Dritte sind die Fälle strikt zu trennen, in denen der Ersthandelnde eine Bedingung durch Unterlassen gesetzt hat, die ein Dritter für eine Begehungstat ausnutzt. Hier verdrängt der Begehungstäter den Unterlassungstäter grundsätzlich aus der Haftung. Beispiel: A vergisst, sein Auto abzuschließen. X steigt daraufhin hocherfreut in das Auto, um eine Spritztour zu unternehmen, bei der er fahrlässig den O überfährt. Hier ist ganz offensichtlich nur der X gem. § 222 StGB strafbar. Dieses ganz eindeutige Ergebnis soll nach h. M. jedoch – wie bereits erörtert241 – dann nicht mehr gelten, wenn der Ersthandelnde Überwachergarant hinsichtlich des vom Dritten verwandten Gegenstands ist. Hat A seinen Waffenschrank versehentlich nicht abgeschlossen und kommt es infolgedessen zu einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Straftat, so soll A für den durch Dritte bewirkten Erfolg haften. Dem ist zu widersprechen. Der Überwachergarant haftet nur dafür, dass der sicherungspflichtige Gegenstand nicht in die Hände Unbefugter gelangt, also für die Gefahrenquelle selbst – er haftet nicht auch für die Erfolge, die autonome Dritte im Falle eines Verstoßes herbeiführen. Anders verhält es sich wiederum bei dem Beschützergaranten, der für das ihm anvertraute Rechtsgut auch dann Sorge tragen muss, wenn dieses durch das eigenverantwortliche Handeln Dritter verletzt zu werden droht. Kurz gefasst: der Überwachergarant haftet grundsätzlich nur unmittelbar für die Gefahrenquelle selbst. Der Beschützergarant muss dagegen dafür einstehen, dass das ihm anvertraute Rechtsgut nicht Ziel von Verletzungen (gleich welcher Art) wird. 241
Dazu oben Kap. 2, § 2 V.
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Diese Überlegungen zeigen, dass Rudolphi Recht damit hat, dass hinsichtlich der Regressfrage unterschieden werden muss zwischen nachfolgender Unterlassung und nachfolgendem Tun.
f) Verdrängung und Variation der Ausgangsgefahr Nach anderer Ansicht soll die Regressmöglichkeit davon abhängen, ob sich in dem durch fremdes Fehlverhalten beeinflussten Erfolg die durch die Erstverletzung geschaffene „Modellgefahr“, das mit ihr typischerweise einhergehende Risiko – wenn auch modifiziert durch die nachfolgende Handlung – verwirklicht hat. In diesem Fall soll unabhängig von dem Verschuldensgrad des fremden Fehlverhaltens der Erste für den Erfolg haften. Anders seien dagegen Fälle zu beurteilen, in denen das fremde Fehlverhalten nicht mehr im Rahmen des typischen Verletzungsrisikos liege, sondern eine eigenständige Gefahrenquelle eröffne.242 Schwierigkeiten bereitet diese Lösung allerdings insofern, als die Abgrenzung zwischen Realisierung der Ausgangsgefahr und Neueröffnung einer Gefahrenquelle schwer zu ziehen ist: während Jakobs den zum Tode führenden Fehlschnitt bei der Operation des verletzten Opfers wohl als modifizierte Realisierung der Ausgangsgefahr betrachtet, scheint er den Tod infolge eines Narkosefehlers als Aliud, mithin als neueröffnete Gefahrenquelle zu verstehen, so dass der Erfolg nur dem behandelnden Arzt soll zugerechnet werden können.243 Diese Trennung scheint nicht nachvollziehbar. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der Kausalität als auch der Vorhersehbarkeit ist nicht zu sehen, was den Narkosefehler zur Schaffung eines eigenständigen Risikos macht:244 immerhin erfolgt auch die Narkose nur aus Anlass der zu behandelnden Erstverletzung. Ganz deutlich wird dies bei Wolfgang Frisch, der – ähnlich wie Jakobs – zwischen Variation und Verdrängung der vom Täter geschaffenen Gefahr durch das Drittverhalten unterscheidet, für den Fall des Narkosefehlers aber zu dem Ergebnis kommt, dass das Narkoserisiko als unverzichtbares Teilmoment des vom Ersttäter geschaffenen Risikos anzusehen sei.245 Das genannte Abgrenzungskriterium der Neueröffnung einer Gefahrenquelle verdient daher keine Zustimmung.
Jakobs, Studien, 1972, S. 92 ff., 100; Schünemann, JA 1975, 715, 719. Jakobs, Studien, 1972, S. 93. 244 So auch Jäger, Examensrepetitorium AT, § 2, Rn. 43 mit der Begründung, dass der Ersttäter die ärztlichen Gefahren „allesamt“ eröffne. 245 W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 437 ff., der ein „Überholen“ des vom Ersthandelnden geschaffenen Risikos nur bei „fallunspezifischen“ Risiken annehmen möchte, wie etwa der Verabreichung eines kontraindizierten Medikaments. Mehr an Klarheit ist hierdurch allerdings nicht gewonnen, denn ab wann wird eine Fehlbehandlung fallunspezisch? 242 243
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g) Die Kombinationslösung Roxins Zu nennen ist schließlich noch die Kombinationslösung Roxins, der einerseits wie Jakobs, W. Frisch und Schünemann darauf abstellt, ob das Fehlverhalten die vom Täter geschaffene Gefahr verdrängt. In diesem Fall könne der Erfolg dem Ersthandelnden keineswegs zugerechnet werden, einerlei, ob der Arzt leicht oder grob fahrlässig gehandelt hat.246 Der Ersthandelnde hafte beispielsweise weder für Narkosefehler, noch für die Verabreichung kontraindizierter Medikamente, da diese Behandlungsfehler ein eigenständiges Risiko für den Patienten begründen sollen. Andererseits möchte Roxin dem Erstverursacher den Erfolg im Falle bloßer Gefahrmodifizierung nicht schlechthin zurechnen. Entscheidend sei vielmehr, welches Verschulden den Dritten hinsichtlich des Behandlungsfehlers treffe.247 Wenn eine normalerweise leicht zu heilende Verletzung nur infolge grober ärztlicher Fahrlässigkeit zum Tode führe, so erlange das ärztliche Fehlverhalten ein solches Übergewicht, dass kriminalpolitisch kein Bedürfnis bestehe, den Enderfolg „zusätzlich auch noch dem Täter des Ausgangsdelikts zuzurechnen.“248 Liege das Fehlverhalten des Arztes dagegen unterhalb dieser „Grobheitsschwelle“, so seien beide wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen. Dieser Ansatz, der eine äußerst flexible Handhabung der Regressfrage gestattet, mag das Gerechtigkeitsempfinden im Einzelfall befriedigen – überzeugen kann er dennoch nicht. Einerseits greifen die genannten Bedenken gegen die Differenzierung in Verdrängung bzw. Modifizierung der Ausgangsgefahr. Andererseits ist auch der von Burgstaller übernommene Ansatz der Abstufung in Verschuldensgrade abzulehnen, da das Gesetz grobe und leichte Fahrlässigkeit grundsätzlich gleich behandelt, so dass nicht ersichtlich ist, warum die verschiedenen Verschuldensgrade sich unterschiedlich auf den Haftungsumfang des Ersthandelnden auswirken können sollen. Dies wäre allein unter Vorhersehbarkeitserwägungen ein gangbarer Weg, der aber ebenfalls nicht überzeugt.
h) Zusammenfassung Die genannten Ansätze zur Beschränkung der Haftung für fremdvermittelte Erfolge auf der Grundlage eines extensiven Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsbereich vermögen allesamt nicht zu überzeugen. Im Fahrlässigkeitsbereich ist von einem restriktiven Täterbegriff auszugehen. Das fahrlässige Drittverhalten konstituiert daher ein Regressverbot, sofern es sich als freie, erfolgsursächliche Willensäußerung darstellt. Der Grad des den Dritten treffenden Verschuldens ist insofern un246 247 248
Roxin, AT I, § 11, Rn. 142 f. Roxin, AT I, § 11, Rn. 143. Burgstaller, FS-Jescheck, 1985, S. 365.
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maßgeblich. Entscheidend ist allein, als wessen Werk sich der Erfolg darstellen lässt. Das ist grundsätzlich derjenige, der als das letzte autonom handelnde Glied in der zum Erfolg führenden Kausalkette handelt.249 Ausnahmen von diesem Regressverbot gelten nur im Falle fahrlässiger mittelbarer Täterschaft und im Falle der Beschützergarantenhaftung, die unabhängig von dem Autonomieprinzip ist und sich als reine Pflichtenhaftung versteht.
2. Sonderproblem: die Haftung im Falle gefahrgeneigter Tätigkeit Dieses Zurechnungskonzept wirft allerdings dort Probleme auf, wo der Dritte eine typischerweise und in hohem Maße schadensgeneigte Situation antrifft, innerhalb derer er tätig werden muss. Angesprochen ist insbesondere die ärztliche Behandlungstätigkeit. Angesichts der Tatsache, dass Ärzte oftmals unter besonders hohem Druck arbeiten und regelmäßig in Situationen tätig werden, in denen eine Verletzung von Rechtsgütern des Patienten verhältnismäßig nahe liegt, sollen die Ärzte von dem Damoklesschwert der leichten Fahrlässigkeit befreit werden. In Fällen bloß leichter Sorgfaltspflichtverletzungen sei zu überprüfen, ob überhaupt ein Vorwurf gegen den Täter erhoben werden könne.250 Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion berührt weniger die Frage, ob der Ersthandelnde für den ärztlichen Behandlungsfehler haften soll. Vielmehr geht es um die Frage, ob der Arzt als „Dritter“ von der Haftung freigestellt werden kann. Diese Überlegungen tangieren die Regressproblematik dennoch insoweit, als unter Umständen auch bei Zugrundelegung eines restriktiven Täterbegriffs ein Rückgriff auf den Ersthandelnden dann möglich ist, wenn der Arzt nicht wegen leichter Behandlungsfehler zur Verantwortung gezogen werden kann. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Arzthaftung würde allerdings den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Daher kann an dieser Stelle die Diskussion nur in ihren Grundzügen wiedergegeben werden. a) Das erlaubte Risiko als „scheinbare Fahrlässigkeit“ Jakobs anerkennt eine Beschränkung der Fahrlässigkeitshaftung im Rahmen des erlaubten Risikos.251 Niemand sei imstande, „die Idealforderung ständiger, gespanntester Aufmerksamkeit und raschester, zweckmäßigster Reaktion zu verwirk249 Im Bereich der Auffahrunfälle wird dies immerhin auch von Roxin vertreten, der eine Haftung des Ersthandelnden als versari in re illicita bezeichnet, vgl. Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241, 257 f. 250 Otto, JuS 1974, 702, 707; dazu auch Bockelmann, Vekehrsstrafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 1967, S. 216 ff. 251 Jakobs, AT, 9 / 26.
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lichen.“252 Umgekehrt könne es dem Betreffenden nicht angesonnen werden, die in Rede stehende Handlung angesichts der bloßen Möglichkeit einer Fehlleistung zu unterlassen.253 Da prinzipiell nämlich immer mit leichten Fehlleistungen gerechnet werden muss, würde ansonsten die Ausübung jedweder Tätigkeit paralysiert. Zur Lösung dieses Interessenkonflikts zwischen der Vermeidung von Fehlleistungen einerseits und der Erlahmung jedweden sozialen Kontaktes andererseits möchte Jakobs in gewissem Umfang ein erlaubtes Risiko anerkennen, welches die objektive Zurechenbarkeit ausschließt.254 Sofern der Handelnde die Erkenntnisse über die Erfolgsvermeidung nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand habe gewinnen können, sei ihm sein Verhalten nicht mehr vorzuwerfen, sondern stelle sich als Unglück dar.255 In diesem Fall bestehe seitens der Rechtsgemeinschaft kein Interesse an einer Sanktionierung. Erst wenn das Maß des erlaubten Risikos überschritten wurde, der Handelnde sich also die erforderlichen Kenntnisse mit verhältnismäßigem Aufwand hätte zueignen können, soll Strafe erforderlich werden. Dieser Ansatz erweckt jedoch aus verschiedenen Gründen Bedenken: zum einen bleibt unklar, wo die Grenze zwischen Unglück und Sorgfaltswidrigkeit verläuft. Insofern hilft es auch nicht, danach zu fragen, ob der Arzt sich mit verhältnismäßigem Aufwand über Möglichkeiten der Erfolgsvermeidung hätte informieren können. Was verhältnismäßig ist und was nicht, liegt im Auge des Betrachters. Außerdem dürfte der Arzt hinsichtlich der einzelnen in Rede stehenden Maßnahme regelmäßig die Möglichkeit der Erkenntnis gehabt haben, da andernfalls schon kein sorgfaltswidriges Verhalten vorliegt. Das zeigt sich bereits daran, dass ein anderer Arzt oftmals jedenfalls den betreffenden Behandlungsfehler nicht gemacht hätte. Zum anderen überdehnt Jakobs aber auch den Anwendungsbereich des erlaubten Risikos: dieses gestattet aufgrund einer globalen, einzelfallunabhängigen Abwägung des Gesetzgebers ein generell gefahrgeneigtes Verhalten, weil überwiegende Interessen des Gemeinwohls dies verlangen.256 So zum Beispiel ist das Autofahren trotz der damit verbundenen Gefahren gestattet; ebenso verhält es sich mit der Ausübung ärztlicher Heiltätigkeit. Diese Tätigkeiten werden aber nicht schlechthin erlaubt, sondern vermögen den Tatbestand nur auszuschließen, wenn eine Rechtsgutsverletzung trotz Beobachtung aller Verkehrsregeln bewirkt worden ist. Wenn Autofahrer A den Fußgänger B verletzt, entfällt der Tatbestand der Körperverletzung also nur, wenn A die Verkehrsregeln eingehalten, sich also tadellos verhalten hat. In den Fällen des ärztlichen Behandlungsfehlers steht aber (wie die Bezeichnung bereits sagt) auch im Falle lediglich leichter Fahrlässigkeit außer Frage, dass ein Fehlverhalten des Arztes vorliegt. Es hat sich nicht das Risiko einer 252 253 254 255 256
Stratenwerth / Kuhlen, AT 1, § 15, Rn. 56; vgl. auch Jakobs, AT, 9 / 26. Jakobs, AT, 9 / 26. Jakobs, AT, 7 / 39 ff. Jakobs, AT, 9 / 26; ders., Schuld, 1976, S. 25. Roxin, AT I, § 11, Rn. 66.
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zwar generell gefährlichen, aber ordnungsgemäßen Behandlung verwirklicht, sondern das Risiko einer fehlerhaften Behandlung. Hier vermag der Aspekt des erlaubten Risikos nicht mehr zu helfen. Zwar könnte man Jakobs dahin verstehen, dass leichte Fahrlässigkeit angesichts der Fehlbarkeit menschlichen Verhaltens noch als Regeleinhaltung bewertet werden muss, so dass mit den Prämissen des erlaubten Risikos nicht gebrochen würde. Einer solchen Bewertung der leichten Fahrlässigkeit steht jedoch der Gesetzeswortlaut des StGB entgegen, der alle Abstufungen fahrlässigen Verhaltens auf der Unrechtsebene gleich behandelt, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich anderes verlangt, wie dies bei der vereinzelt benannten „Leichtfertigkeit“ der Fall ist. Solange hier keine Privilegierung leicht fahrlässigen Verhaltens vorzufinden ist, scheint es mit dem Wortlaut des Gesetzes unvereinbar, diesen leichten Sorgfaltsmängeln die Tatbestandsmäßigkeit abzusprechen.
b) Der Rechtfertigungsgrund der Güterkollision Gössel möchte eine Haftungsbeschränkung mittels der Pflichtenkollision vornehmen: sorgfaltswidrige Handlungen sollen in bestimmten Maße gerechtfertigt sein, wenn sie zur Verfolgung rechtlich gebilligter Zwecke vorgenommen werden.257 Dabei greift Gössel auf die von Maurach258 entwickelte Unterscheidung zwischen Gesamtbetrieb einerseits und Betriebshandlung andererseits zurück. Der Gesamtbetrieb sei die Einrichtung, welche der Erreichung bestimmter sozial erstrebenswerter und rechtlich gebilligter Ziele dient. Die Umsetzung dieser Aufgabe erfordere jedoch eine Vielzahl menschlicher Handlungen (i. e. Betriebshandlungen), denen die Gefahr anhaftet, fremde Rechtsgüter beeinträchtigen zu können.259 Es bestehe daher ein Spannungsgefälle zwischen der sorgfaltsgemäßen Ausübung der einzelnen Betriebshandlung und der Funktionsfähigkeit des Gesamtbetriebs: es sei dem Menschen nicht möglich, sämtliche Betriebshandlungen stets und ausnahmslos unter Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt durchzuführen. Hier überzogene Anforderungen zu stellen hieße den gesamten Betrieb zu lähmen.260 Um dessen Funktionsfähigkeit zu erhalten, müssten bestimmte Beeinträchtigungen durch sorgfaltswidrige Betriebshandlungen noch als angemessen eingestuft werden können. Dies sei aber nur bei ganz leichten Beeinträchtigungen der Fall, keineswegs bei schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar Tötungen.261 Maurach / Gössel / Zipf, AT II, § 44, Rn. 27, 35. Maurach, AT, § 43 II B 2. 259 Gössel, FS-Bengl, 1984, S. 23, 38. 260 Maurach / Gössel / Zipf, AT II, § 44, Rn. 33. 261 Maurach / Gössel / Zipf, AT II, § 44, Rn. 35. Die in Rn. 36 aufgeführten Beispiele der Rechtfertigung bei ärztlicher Operation mit tödlichem Ausgang behandeln allesamt Fälle, in denen der Arzt die lex artis einhält und zudem keine weniger gefährlichen Eingriffsarten zur Verfügung standen. Solchenfalls fehlt es aber schon an einer Sorgfaltspflichtverletzung, d. h. der Tatbestand des § 222 StGB ist bereits nicht einschlägig. 257 258
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Gegen dieses Modell sprechen jedoch verschiedene Erwägungen: blickt man auf die den Arzt treffenden Pflichtigkeiten, so steht auf der einen Seite die Pflicht, solche sorgfaltswidrigen Betriebshandlungen zu unterlassen, die zur Verletzung von Rechtsgütern führen. Handelt der Arzt dieser Unterlassungspflicht zuwider, kommt grundsätzlich eine Strafbarkeit (etwa gemäß §§ 222, 229 StGB) in Betracht. Auf der anderen Seite steht die den Arzt treffende Pflicht, den Gesamtbetrieb als solchen funktionsfähig zu erhalten. Die Verletzung dieser Pflicht ist als solche aber nicht strafbewehrt und daher nicht tatbestandsmäßig. Es gibt keine Verpflichtung einer Einzelperson zur Betreibung einer sozial wertvollen und nützlichen Einrichtung. Derartige Verpflichtungen treffen vielmehr in bestimmten Umfang den Staat, der als Straftäter aber nicht in Frage kommt. Die Störung des betrieblichen Ablaufs kann allenfalls weitere Pflichtverletzungen durch die zuständigen Einzelpersonen zur Folge haben, so etwa wenn der Arzt aufgrund einer übergründlichen Kontrollmaßnahme bei dem ersten Patienten nicht rechtzeitig bei dem zweiten Patienten eintrifft, so dass dieser verstirbt. Stellt man auf die einzelne Folgepflichtverletzung ab, kann aber nicht die Rede davon sein, dass eine Rechtfertigung zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesamtbetriebs eingreift. Vielmehr konkurrieren im vorstehenden Beispiel die Pflicht des Arztes zur sorgfaltsgemäßen Behandlung des ersten Patienten mit der Verpflichtung zur sorgfaltsgemäßen Behandlung des zweiten Patienten, also zwei prinzipiell gleichrangige Verpflichtungen bezüglich zweier Betriebshandlungen miteinander. Gössels Ansatz ist daher nicht mit dem Institut der Pflichtenkollision vereinbar. Außerdem dürfte die Rechtfertigungslösung kaum praktische Bedeutung erlangen,262 da Gössel sie auf Bagatellschäden wie Gesundheitsschäden durch sorgfaltswidrig verursachte Abgasentwicklung im Straßenverkehr begrenzt. Bei ärztlichen Behandlungsfehlern stehen aber regelmäßig gravierende Folgeschäden im Vordergrund. c) Der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit Auch Roxin befürwortet eine Straflosigkeit lediglich geringfügig fahrlässigen Verhaltens, welches sich – auf das Ganze der Lebensführung gesehen – selbst für gewissenhafte Menschen nicht immer vermeiden lasse.263 Zwar bejaht er in den Fällen des leicht fahrlässigen ärztlichen Behandlungsfehlers fahrlässiges Unrecht, wofür spricht, dass weder der Tatbestandsausschluss des erlaubten Risikos noch eine Rechtfertigung nach den Regeln der Güterkollision in Betracht kommen.264 Allerdings soll unter Berücksichtigung des Umstands, dass die ärztliche Tätigkeit eine besonders gefahrgeneigte ist, bei geringfügigen Fehlern eine Entschuldigung des Arztes in Betracht kommen. § 35 StGB, der nur auf vorsätzliche Taten AnwenSo auch Roth, Strafbarkeit, 1995, S. 139. Roxin, AT I, § 24, Rn. 92; ders., FS-Henkel, 1973, S. 171, 192; ders., FS-A. Kaufmann, 1993, S. 519, 522. 264 Vgl. auch Roxin, SchwZStR 104 (1987), 356, 374. 262 263
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dung finde, sei insoweit zwar nicht einschlägig.265 Da fahrlässige Taten aber weniger strafwürdig seien als Vorsatztaten, möchte Roxin den exkulpierenden Gedanken des § 35 StGB unter Anerkennung eines selbständigen übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes der „Unzumutbarkeit“266 analog auf Fahrlässigkeitstaten anwenden,267 wenn der Täter in einer Ermüdungs-, Erregungs- oder Drucksituation handelt, also in einem Zustand, der den in §§ 20, 33, 35 StGB beschriebenen nahe kommt.268 Speziell in der Situation der gefahrgeneigten Arbeit könne bei geringfügiger Fahrlässigkeit von Strafe abgesehen werden, da die Schwelle zum Unrecht nur wenig überschritten sei und eine lebenslange maschinenhafte Präzision nicht verlangt werden könne.269 Es genüge daher der zivilrechtliche Schadensausgleich, zumal es angesichts der besonderen Fallumstände an einem präventiven Strafbedürfnis fehle.270 In letzterer Wendung klingt Roxins Neukonzept des Schuldbegriffs an, demzufolge Schuld als Verantwortlichkeit sich vor allem nach kriminalpolitischen Gesichtspunkten, vor allem der Strafzwecklehre, richten soll.271 Diese Lösung ist nicht unangefochten geblieben. Es treffe nicht zu, dass § 35 StGB nur für vorsätzliche Delikte gelte und bei den weniger strafwürdigen Delikten also in behutsamer Analogie erweitert werden müsse. Die Norm unterscheide nämlich nicht zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten, sondern entschuldige ganz allgemein „rechtswidrige“ Taten, die begangen werden, um eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit abzuwenden – ein Motiv, das auch für die Fahrlässigkeitsdelikte denkbar sei.272 In der Tat sind Fälle einer Gefahrenabwehr durch Fahrlässigkeitstat ohne weiteres vorstellbar. Kommt etwa dem Autofahrer A auf der Autobahn überraschend ein Geisterfahrer entgegen und kann A die Kollision nur vermeiden, indem er unverzüglich (und ohne den vorgeschriebenen SchulRoxin, AT I, § 24, Rn. 123. Die Unzumutbarkeit wird als Schuldausschluss bei Fahrlässigkeit heute überwiegend anerkannt, vgl. etwa RGSt 30, 25; BGHSt 4, 20; OLG Hamm HESt 2, 283; Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 22, Rn. 59; Burgstaller, Fahrlässigkeit, 1974, S. 198 ff.; Ebert, AT, S. 170; Jakobs, AT, 20 / 35 ff.; Jescheck / Weigend, AT, S. 539; Kühl, AT, § 17, Rn. 97; Sch / Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 204; Stratenwerth / Kuhlen, AT, § 15, Rn. 51 ff.; a. A. SKHoyer, Anh. zu § 16, Rn. 101 ff.; ablehnend jedoch Maurach / Gössel / Zipf, AT / 2, 44 / 42 ff.; MüKo-Schlehofer, vor §§ 32 ff., Rn. 224 ff. 267 Roxin, AT I, § 24, Rn. 123, 128; mit Einschränkungen dagegen Maiwald, FS-SchülerSpringorum, 1993, S. 475, 487, der die Unzumutbarkeit nur bei der bewussten Fahrlässigkeit und in den durch § 35 StGB vorgegebenen Grenzen als Entschuldigungsgrund anerkennt. Ablehnend auch Achenbach, Jura 1997, 631, 635, der die Unzumutbarkeit als eine der Gesetzesbindung entgegenstehende Leerformel kritisiert, zugleich aber betont, dass Art. 103 II GG Raum für solche Entwicklungen lasse, die den Täter begünstigen; namentlich die Analogie zugunsten des Täters. Um eine solche handelt es sich aber bei dem Exkulpationsgrund der Unzumutbarkeit. 268 Vgl. auch BGH VRS 10 (1956), 213; Kühl, AT, § 17, Rn. 97. 269 Roxin, AT I, § 24, Rn. 126. 270 Roxin, AT I, § 24, Rn. 92. 271 Roxin, FS-Henkel, 1973, S. 171, 182; ders., Kriminalpolitik, S. 40. 272 SK-Hoyer, Anh. zu § 16, Rn. 103; Jescheck / Weigend, AT, S. 594. 265 266
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terblick vorzunehmen) auf die Überholspur ausweicht, so ist es möglich, dass A bedingt vorsätzlich davon ausgeht, einen dritten (überholenden) Autofahrer abzudrängen; es ist aber auch möglich, dass er sich dieser Folgen angesichts der gefährlichen Lage überhaupt nicht bewusst ist und die Karambolage also fahrlässig herbeiführt. Der Wortlaut des § 35 StGB steht im letzteren Fall einer Entschuldigung der Fahrlässigkeitstat ebenso wenig entgegen wie der Gedanke der Norm: sowohl Handlungs- als auch Erfolgsunwert der Tat erscheinen durch den vom Täter verfolgten berechtigten Zweck der Gefahrenabwehr herabgesetzt, welche der Rettung eines anderen Rechtsguts dient. Berücksichtigt man zudem die außergewöhnliche Lage, die die normgemäße Selbstbestimmung des Täters zwar nicht ausschließt, aber doch erschwert, so ist nicht ersichtlich, warum § 35 StGB auf Fahrlässigkeitstaten nicht anwendbar sein soll. Immerhin ist die Tat auch hier nicht in gleichem Maße Ausdruck einer tadelnswerten Rechtsgesinnung des Täters, wie wenn sie unter gewöhnlichen Umständen stattgefunden hätte. Es ist Roxin freilich darin zuzustimmen, dass auch beim Fahrlässigkeitsdelikt Fälle denkbar sind, in denen es sinnvoll erscheint, unter normativen Gesichtspunkten von der Erhebung des strafrechtlichen Schuldvorwurfs abzusehen, auch wenn Unrecht und Schuld an sich (wenngleich in geminderter Form) gegeben sind. Bedenken bestehen allerdings an der systematischen Verortung des Problems: die Anerkennung eines ungeschriebenen Entschuldigungsgrundes der Unzumutbarkeit aufgrund präventiver Erwägungen ist recht vage und führt zu vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Privilegierungen jenseits des § 35 StGB. Es sollte daher vorrangig geprüft werden, ob § 35 StGB einschlägig ist. Solchenfalls hat der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit – wie Roxin273 selbst anerkennt – keine Berechtigung. Soweit der eng gefasste § 35 StGB, der eine Gefahr für den Täter, dessen Angehörige oder andere ihm nahestehende Personen verlangt, nicht einschlägig ist, was speziell bei der gefahrgeneigten Arbeit oftmals der Fall sein wird, kann eine Berücksichtigung angesichts der Regelung des § 35 StGB allenfalls nach den allgemeinen Kriterien zur Eingrenzung der Fahrlässigkeitsschuld erfolgen.
d) Die Beschränkung der subjektiven Sorgfaltspflicht Tatsächlich finden sich Ansätze, den Gedanken der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens274 an anderer Stelle fruchtbar zu machen, namentlich bei der Begrenzung der den Täter persönlich treffenden Sorgfaltspflicht.275 Der subjektive 273 Roxin, AT I, § 22, Rn. 145: „Es ist also unzulässig, den Richter generell mit Hilfe einer Leerformel wie der Unzumutbarkeit zu Straffreistellungen zu ermächtigen, die keine Grundlage im Gesetz haben.“ 274 Grundlegend hierzu Henkel, FS-Mezger, 1954, S. 251 ff.; Freudenthal, Schuld, 1922, S. 6, 10 f., 17. 275 OLG Frankfurt VRS 41, 32, 35; Jescheck / Weigend, AT, S. 597; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 199; ablehnend Maiwald, FS-Schüler-Springorum, 1993, S. 475, 491,
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Sorgfaltspflichtverstoß ist nach ganz h. M. ein Kernstück der Fahrlässigkeitsschuld.276 Die Individualisierung des Fahrlässigkeitsvorwurfs setzt voraus, dass der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage war, die objektive Sorgfaltspflicht zu erfüllen und ihm sowohl der Erfolg als auch der zum Erfolg führende Kausalverlauf in seinen Grundzügen erkennbar war.277 Reichen seine geistigen und körperlichen Kräfte, seine Kenntnisse und Erfahrungen nicht aus, so kann ihm der individuelle Sorgfaltspflichtverstoß – außer im Falle des sogenannten Übernahmeverschuldens – nicht individuell vorgeworfen werden.278 Unter dem Aspekt, dass niemand stets hundertprozentige Aufmerksamkeit aufbringen kann und Ärzte zudem regelmäßig in einer besonders gefahrgeneigten Situation tätig werden, soll eine normative Privilegierung der objektiv leicht fahrlässigen Behandlungsfehler (auch im Falle schwerer Folgen, wie sie bei ärztlichen Fehlern allzumeist anzutreffen sind) erfolgen.279 In der Tat lassen sich individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit eines Risikos ohnehin nur feststellen, indem unter normativen Gesichtspunkten entschieden wird, wie viel an Ausschöpfung aller ihm zugänglichen Erkenntnismittel vom Handelnden erwartet und ihm zugemutet werden darf.280 Zu denken ist etwa an die Rechtsprechung in dem für die Fahrlässigkeitsdogmatik berühmt gewordenen Leinenfängerfall281, in dem ein Kutscher, um seinen Arbeitsplatz zu behalten, der Anweisung seines Dienstherrn folgend weiterhin mit einem Pferd durch die Stadt fuhr, von dem beide wussten, dass es zum „Durchgehen“ neigte. Die dadurch verursachte Verletzung eines Passanten konnte mangels überwiegenden Interessen des Kutschers am Erhalt seines Arbeitsplatzes nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt und auch nicht nach § 35 StGB entschuldigt werden. Das Gericht führte aus, dass der Kutscher gleichwohl berechtigte Interessen wahrgenommen habe und ihm das insoweit geminderte Unrecht mangels Zumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens nicht individuell vorwerfbar sei.282 Ähnder die individuelle Unzumutbarkeit auf Schuldebene nur im Rahmen des § 35 StGB berücksichtigt. 276 RG 39, 2, 5; 56, 343, 349; 58, 130, 134 f.; BGHSt 40, 341, 348; BGH NStZ-RR 2002, 304; Jescheck / Weigend, AT, S. 594; Mitsch, JuS 2001, 105, 111. Nach a.A. sind die subjektive Erfüllbarkeit der Pflicht und die individuelle Voraussehbarkeit des Erfolges bereits konstituierende Elemente des Unrechts und damit der Tatbestandsebene zuzuordnen, vgl. Freund, AT, 5 / 22; Gropp, AT, § 12, Rn. 82 ff.; Jakobs, AT, 9 / 5 ff.; Otto, AT, 19 / 13 ff.; Stratenwerth / Kuhlen, AT, 15 / 11 – 15; Castaldo, GA 1994, 497 ff. Diese Auffassung steht aber im Widerspruch dazu, dass auf Unrechtsebene grundsätzlich nur das generelle Urteil über das Verhalten der Person gefällt wird und erst auf der Schuldebene die Individualität des Betroffenen berücksichtigt wird. Zudem wird auch bei den Vorsatzdelikten das individuelle Andershandelnkönnen der Schuld zugeordnet, vgl. etwa Sch / Sch-Lenckner / Eisele, Vor §§ 13 ff., Rn. 118. 277 Vgl. statt vieler Kühl, AT, § 17, Rn. 90 ff. 278 Kühl, AT, § 17, Rn. 90. 279 SK-Hoyer, Anh. zu § 16, Rn. 104. 280 MüKo-Duttge, § 15, Rn. 109. 281 RGSt 30, 25. 282 So auch Roxin, AT I, § 24, Rn. 116; Kühl, AT, § 17, Rn. 97; Stratenwerth / Kuhlen, AT, § 15, Rn. 52; LK-Hirsch, 11. Auflage, Vor § 32, Rn. 207.
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lich verhielt es sich in einem Fall, in dem eine Frau, die von dem lebensgefährlichen Unfall ihres Mannes erfuhr, sofort zur Unfallstelle eilte, ohne zuvor das Bügeleisen abzuschalten, was einen Wohnungsbrand zur Folge hatte.283 Die Einschränkung der individuellen Sorgfaltspflicht im Falle gefahrgeneigter Arbeit aufgrund normativer Erwägungen stellt also keinen Fremdkörper im System der Fahrlässigkeitsschuld dar. Der Sache nach wird damit Roxins Gedankengang übernommen und findet nur eine andere dogmatische Verankerung. Diese Lösung ermöglicht sachgerechte Ergebnisse, ohne auf das Mittel der Rechtsfortbildung zurückgreifen zu müssen. Der leicht fahrlässig handelnde Arzt hat Unrecht verwirklicht; es wird unter normativen Erwägungen aber ausnahmsweise von der Erhebung eines Schuldvorwurfs abgesehen. Dies ist dank des Erfordernisses der individuellen Sorgfaltspflichtverletzung, bei deren Feststellung auch die Tatsituation zu berücksichtigen ist, möglich. Mehr noch als durch die Schaffung eines allgemeinen übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes wird damit der Ausnahmecharakter einer Entschuldigung im Falle gefahrgeneigter Arbeit betont. e) Die Beschränkung der Haftung auf der Rechtsfolgenseite Ostler284 zieht dagegen zur Beschränkung der Arzthaftung den arbeitsrechtlichen Grundsatz der gefahrgeneigten Arbeit heran, den das BAG285 zur Begrenzung der Arbeitnehmerhaftung entwickelt hatte. Hiernach konnte der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer keinen Schadensersatz verlangen, „wenn die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch dem sorgfältigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die – für sich allein betrachtet – zwar jedesmal vermeidbar wären, also fahrlässig herbeigeführt worden sind, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit als mit einem typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist.“286 Der in Ausübung gefahrgeneigter Arbeit leicht fahrlässig handelnde Arbeitnehmer sollte also von der zivilrechtlichen Haftung freigestellt werden, was teils mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers287, teils aber auch mit dessen Betriebsrisiko288 begründet wurde. Ostler zufolge soll diese Haftungsfreistellung auf der Rechtsfolgenseite im Strafrecht ebenfalls greifen. Der leicht fahrlässig handelnde Arzt soll also Straffreiheit erlangen können, wohingegen der in besonderem Maße fahrlässig Handelnde für den Erfolg einzustehen habe. Hiergegen wird eingewandt, dass das Kriterium der gefahrgeneigten Arbeit sehr vage 283 RGSt 36, 81; BGH NStZ 1989, 21. Ähnlich auch RGS 7 58, 30; hierzu Heitzer, NJW 1951, 828 f. 284 Ostler, NJW 1962, 1229. 285 BAGE 5, 1, 7 ff. 286 BAGE 5, 1, 7 ff. 287 BAGE 5, 1, 8. 288 BAGE 42, 130, 136.
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sei und dass außerdem inzwischen auch die Zivilrechtsprechung die Haftungsbeschränkung nicht mehr allein von der Gefahrgeneigtheit der Arbeit abhängig mache, sondern sie prinzipiell bei allen betrieblichen Tätigkeiten zulasse und auf die Umstände des Einzelfalls abstellt. Das Merkmal der gefahrgeneigten Arbeit ist also nur noch eines von verschiedenen Kriterien, das zur Freistellung des Arbeitnehmers führen kann.289 Schwerer wiegt aber noch der Einwand, dass der arbeitsrechtliche Grundsatz der gefahrgeneigten Arbeit seinen Ursprung in dem spezifischen Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat. An einem solchen Verhältnis fehlt es im Strafrecht, was der „Anleihe“ aus dem Zivilrecht entgegensteht.290 f) Beschränkung der Arzthaftung über §§ 153, 153a StPO In der Literatur wird vertreten, dass das Prozeßrecht – insbesondere die § 153, 153a StPO – der geeignete Ort zum Ausschluß der Strafbarkeit wegen mangelnden strafwürdigen Unrechts oder bestrafungswürdiger Schuld sei.291 Durch die Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen oder Weisungen i. S. v. § 153a StPO sei es möglich, auch ohne Gesetzesänderungen zu angemessenen Lösungen zu gelangen. Diese Möglichkeit ist trotz ihrer hohen praktischen Relevanz in der Literatur auf Ablehnung gestoßen. Neben Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Norm im Hinblick auf Art. 103 II GG,292 die Unschuldsvermutung des Art. 6 EMRK293 sowie das Gewaltenteilungsprinzip 294 wird vorgebracht, es fehle an einer einheitlichen Handhabung der Einstellungsvoraussetzungen,295 was eine ermessensähnliche Entscheidungsmacht der Staatsanwaltschaft zur Folge habe.296 Letztendlich entscheidet also die Rechtsauffassung des jeweiligen Staatsanwalts, was um so problematischer erscheint, als die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung nach ganz überwiegender Ansicht nicht der gerichtlichen Nachprüfbarkeit unterliegt.297 Gegen eine strafprozessuale Lösung über § 153a StPO spricht schließlich auch, dass der Gesetzgeber mit der Norm das Ziel verfolgte, durch ein vereinfachtes und beschleunigtes Verfahrten Gerichte und Verfolgungsorgane im Bereich der Kleinkriminalität zu entlasten,298 was vor allem geringfügige Vermögens- und Eigen289 290
Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 62 m. w. N. Koch, Entkriminalisierung, 1998, S. 88; Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004,
S. 63. 291 Lampe, FS-Schmitt, 1992, S. 77, 93; Tröndle, DRiZ 1976, S. 129 f.; AK-Zielinski, §§ 15, 16, Rn. 98; Maurach / Gössel / Zipf, AT II, § 44, Rn. 50. 292 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 14, Rn. 14. 293 Hirsch, ZStW 92 (1980), 233. 294 Hirsch, ZStW 92 (1980), 231. 295 AK-Schöch, § 153a Rn. 73; Kunz, Einstellung, 1980, S. 19. 296 Paschmanns, Verfahrenseinstellung, 1988, S. 32. 297 Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 161 m. w. N. 298 BT-Drucks. VI / 3250, S. 283 f.; BT-Drucks. VII / 750, S. 297 f.
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tumsdelikte betrifft. Ärztliche Behandlungsfehler ziehen aber regelmäßig schweres Erfolgsunrecht wie das einer Körperverletzung oder gar Tötung nach sich, so dass § 153a StPO seinem ursprünglichen Zweck nach hier nicht anwendbar ist. g) Neuformulierung einer Haftungsprivilegierung de lege ferenda Die wohl jüngste Auseinandersetzung mit dem ärztlichen Behandlungsfehler findet sich bei Jürgens299, der sich gegen eine Haftung des Arztes im Falle leichter Fahrlässigkeit ausspricht.300 Dabei verweist er zunächst auf die in England und Österreich geltenden Rechtsordnungen, in denen die culpa lata die Untergrenze der strafrechtlichen Verantwortung des Arztes bildet.301 Eine solche Haftungsbeschränkung sei angesichts der Gefahrgeneigtheit ärztlichen Handelns auch für das deutsche Recht wünschenswert. Es sei nämlich äußerst wahrscheinlich, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler, der sich in irgendeiner Zustandsveränderung manifestiert, zugleich eine rechtswidrige Verletzung der strafrechtlich geschützten Güter Leib oder Leben darstelle.302 Da diese Besonderheit strafrechtlich bislang keine Berücksichtigung gefunden habe, sei in der Praxis eine Tendenz zur risikoscheuen Defensivmedizin festzustellen, welche letztlich patientenschädlich sei.303 Dieser Entwicklung könne durch eine Entkriminalisierung der leicht fahrlässigen Behandlungsfehlerhaftung entgegengewirkt werden, wofür auch spreche, dass dort aus rechtsdogmatischer Sicht kein Strafbedürfnis bestehe:304 Strafe dürfe stets nur ultima ratio des Rechtsgüterschutzes sein. Im Falle eines leichten Behandlungsfehlers werde der Rechtsgüterschutz aber bereits durch das Zivilrecht, das öffentliche Recht und das Standesrecht erreicht.305 Das Strafrecht könne sich daher darauf beschränken, ausschließlich mindestens leichtfertige Behandlungsfehler zu pönalisieren.306 Jürgens geht allerdings davon aus, dass eine derartige HaftungsprivileJürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004. Ähnlich auch Wolter, Zurechnung, 1981, S. 348, der das Berufsbild aber im Rahmen des Risikozusammenhangs berücksichtigen möchte. 301 Dabei ist die Haftungsbegrenzung freilich nur in Österreich als Sonderregelung für die ärztliche Tätigkeit ausgewiesen; näher dazu Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 77, 85 ff. 302 Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 243. 303 Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 118 ff. 304 Ähnlich auch schon Hoffmann, NZV 1993, 209, 212, der die Haftung im Straßenverkehr auf besonders unfallträchtiges Verhalten begrenzen möchte, namentlich Trunkenheit im Verkehr und die in § 315c I Nr. 2 StGB normierten Verhaltensweisen, die seines Erachtens als Ergänzung in den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung aufgenommen werden sollten. Das Merkmal der „Rücksichtslosigkeit“ möchte Hoffmann allerdings durch den Begriff der groben Fahrlässigkeit ersetzt sehen, um Beweisschwierigkeiten vorzubeugen. 305 Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 135 ff. So auch Roth, Strafbarkeit 1996, S. 99 ff.; Zipf, FS-Krause, 1990, S. 437. 306 So auch Arzt, GS-Schröder, 1978, S. 119, 130; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 201; Stratenwerth / Kuhlen, AT, § 15, Rn. 56 f.; MüKo-Freund, vor § 13, Rn. 223; Volk, GA 299 300
§ 2 Das fahrla¨ssige Dazwischentreten eines Dritten
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gierung de lege lata nicht nachzuweisen ist, und plädiert daher dafür, eine entsprechende Sonderregelung in die §§ 222, 229 StGB einzufügen.307 Diese Forderung führt freilich sehr weit: mittelschweren Behandlungsfehlern knapp unter der Schwelle der Leichtfertigkeit wird bereits die objektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit abgesprochen; einer Haftungsfreistellung der Ärzte wird damit im weiten Rahmen Tür und Tor geöffnet. Damit wird verschleiert, dass eine solche Privilegierung gerade angesichts der Verantwortung der Ärzte für ihre Patienten nur Ausnahmecharakter haben kann, so dass unter besonderen Umständen nach normativen Gesichtspunkten von der Erhebung des Schuldvorwurfs abzusehen ist. h) Zusammenfassung Im Falle leicht fahrlässiger ärztlicher Behandlungsfehler, aber auch bei anderen Fällen leichter Fahrlässigkeit in Ausübung einer in besonderem Maße gefahrgeneigten Tätigkeit entfällt ausnahmsweise der Schuldvorwurf. Das Absehen von der individuellen Vorwerfbarkeit beruht darauf, dass der fehlerhaft Handelnde die objektive Sorgfaltspflicht nur gering und in Ausübung einer gefahrgeneigten Arbeit verletzt hat, bei der das Eintreten einer Rechtsgutsverletzung abstrakt besonders nahe liegt. Trifft den Arzt als Dritten ausnahmsweise deshalb kein Vorwurf, weil niemand „ein Leben lang“ jedwede leichte Fahrlässigkeit meiden kann, so ist auch bei Zugrundelegung eines restriktiven Täterbegriffs im Bereich der Fahrlässigkeit ein Rückgriff auf den Ersthandelnden prinzipiell zulässig, sofern im Falle eines normativen Schuldausschlusses erstens von der Unfreiheit des Dritten die Rede sein kann und zweitens der Erste Täter im Sinne von § 25 StGB ist. Insofern kommt nur eine fahrlässige mittelbare Täterschaft in Betracht: immerhin finden sich auch im Bereich der vorsätzlichen Delikte Stimmen, die ausnahmsweise dann eine mittelbare Täterschaft bejahen, wenn der Hintermann zwar nicht unmittelbar auf den Willen des Vordermanns einwirkt, aber eine Situation schafft, in der es nahe liegt, dass der Vordermann eine unfreie Handlung vornehmen wird.308 Leiht der eifersüchtige A seinen Bekannten B und C, in denen er Liebhaber seiner Ehefrau vermutet, vorsätzlich ein nur noch begrenzt fahrtaugliches Motorboot aus, bei dem der Motor durchzubrennen droht, und fängt das Boot tatsächlich auf hoher See Feuer, so muss demnach A als mittelbarer Täter für den Erfolg haften, wenn einer der Bootsinsassen den anderen zur Rettung des eigenen Lebens tötet und dabei im entschuldigten Notstand handelt. Dasselbe muss gelten, wenn der Hintermann in einer entsprechenden Situation fahrlässig handelt. Maßgeblich ist allein, dass der Hintermann das Geschehen beeinflusst hat und den unmittelbar Handelnden damit 1976, S. 177 ff. Ähnlich auch Ida, FS-Hirsch, 1999, S. 239; Schlüchter, Fahrlässigkeit, 1996, S. 17; Koch, Entkriminalisierung, 1998, S. 224 ff.; ebenso Webel, Strafbarkeit, 1999. 307 Jürgens, Ärztliche Behandlungsfehler, 2004, S. 232 ff. 308 Roxin, Täterschaft, 2006, S. 149 m. w. N.
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in eine Lage bringt, in der der Gesetzgeber ihn der Verantwortung für seine Entscheidung enthebt. Ob das Absehen vom Schuldvorwurf seitens des Vordermanns dabei auf dem Eingreifen von § 35 StGB oder auf einer (ausnahmsweise) normativ begründeten Ablehnung einer individuellen Sorgfaltspflichtverletzung beruht, kann keinen Unterschied machen, da in jedem Fall der Handelnde unter wertenden Aspekten angesichts der besonderen Situation und der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als nicht verantwortlich für die Folgen seiner Tat erachtet wird, obwohl er prinzipiell das Unrecht der Tat einsehen und anders hätte handeln können.
§ 3 Die Erfolgsherbeiführung durch das Opfer Einen besonderen Fall der Erfolgsherbeiführung durch Dritte stellt die Konstellation dar, in der das Opfer selbst den Erfolg unmittelbar herbeiführt. Angesprochen ist damit die Problematik der Teilnahme an einer Selbstschädigung bzw. Selbstgefährdung, mithin Fälle, in denen das Opfer sich den Schaden von eigener Hand zufügt.309 Im Vordergrund stehen hier Sachverhalte aus der Rauschmittelszene. Zudem werden aber auch die Fälle erfasst, in denen das Opfer durch das Ergreifen von Rettungsbemühungen in einer vom Ersthandelnden geschaffenen Notlage eigene Rechtsgüter verletzt.
I. Die Erfolgszurechnung bei Selbstschädigung des Opfers Eine Selbstschädigung des Opfers liegt vor, wenn dieses den Erfolg bewusst entweder dadurch herbeiführt, dass es sich selbst eine Verletzung eigenhändig durch aktives Tun zufügt oder bei einer durch Dritte zugefügten Verletzung die Annahme der noch möglichen Hilfe verweigert. Entscheidend ist also, dass das Opfer mit Wissen um die Folgen willentlich eine Handlung vornimmt, die ein eigenes Rechtsgut beeinträchtigt. 1. Beispiele A, der – wie B ohne weiteres hätte erkennen können– ernstlich aus dem Leben scheiden möchte, bittet diesen, ihm hierzu eine Flasche Wodka und Schlaftabletten einzukaufen. B kommt diesem Wunsch nach und A bringt sich mittels des Alkohols und der Medikamente im Zustand voller Entscheidungsfähigkeit um. 309 Die hiervon abzugrenzende Fremdgefährdung bzw. Fremdschädigung soll deshalb ausgeklammert werden, weil dort der Ersthandelnde selbst unmittelbar den Schaden herbeiführt, so dass es hier nicht um die Frage geht, ob ein Drittverhalten den Regress auf das Erstverhalten ausschließt.
§ 3 Die Erfolgsherbeifu¨hrung durch das Opfer
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Ein weiteres Beispiel bieten Fälle des nachträglichen „Fehlverhaltens“ des Opfers: A hat den B bei einem Verkehrsunfall fahrlässig verletzt. B stirbt an den Unfallfolgen, weil er die rettende Bluttransfusion angesichts seiner Religionszugehörigkeit in voller Kenntnis der Folgen ablehnt.310
2. Die Lösung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung neigt dazu, beide Fallkonstellationen unterschiedlich zu behandeln. a) Beteiligung am Suizid Der BGH hat bereits früh erklärt, dass Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich nicht strafbar sei.311 Dahinter steht der Gedanke, dass der eigenverantwortliche Suizident keine Straftat begeht, so dass die Teilnahmestrafbarkeit des Mitwirkenden an dem Erfordernis einer teilnahmefähigen Haupttat scheitert.312 Daraus sei zu folgern, dass eine Strafbarkeit des Mitwirkenden allenfalls unter den Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB in Betracht komme, wenn nämlich der Suizident nicht eigenverantwortlich in den Tod gegangen ist.313 Dennoch gelangt die Rechtsprechung in einer Vielzahl von Urteilen zu einer Strafbarkeit des am Suizid Mitwirkenden, indem sie ihn wegen Unterlassens der Erfolgsabwendung bestraft:314 In dem Moment, in dem der Suizident das Bewusstsein verliert, soll die Tatherrschaft auf den anwesenden Mitwirkenden übergehen,315 der entweder als Beschützergarant oder jedenfalls qua Ingerenz316 zur Rettung des Suizidenten verpflichtet sei. Ein ähnlicher Fall findet sich bei OLG Celle StrV 2002, 366. BGHSt 2, 150; ferner BGHSt 6, 147; 13, 162; 19, 135; 24, 342; 32, 38; 32, 367, vgl. ferner die Darstellung bei Bringewat, ZStW 87 (1975), 623, 626 f.; Gropp, NStZ 1985, 97, 98; dazu auch Simson, Suizidtat, 1976. 312 Anders Schmidhäuser, FS-Welzel, 1974, S. 801 ff., der den Selbstmord als „Tötung eines Menschen“ unter § 212 StGB fasst und den Suizidenten, der gegen seine Pflicht zum Weiterleben verstoßen habe, – so er überlebt – lediglich analog § 35 StGB entschuldigen möchte. Diese Ansicht hat sich nicht zuletzt deshalb nicht durchsetzen können, weil § 212 StGB seinem Wortlaut nach klar die Tötung eines „anderen“ voraussetzt, vgl. auch Herzberg, JA 1985, 131, 132; Hirsch, JR 1979, 429, 431; Munoz Conde, ZStW 106 (1994), 547. Sie verdient aber auch deshalb Ablehnung, weil es keine Rechtspflicht zum Weiterleben gibt, vgl. Roxin, FS-Dreher, 1977, S. 331, 336 f.; im Ergebnis auch Dölling, GA 1984, 71, 76; Charalambakis, GA 1986, 485, 487. 313 Wann dies der Fall ist, wird freilich äußerst kontrovers beurteilt. Dazu näher Kap. 4, § 3 I. 3. b). 314 Vgl. die Übersicht bei Gropp, NStZ 1985, 97. 315 BGHSt 2, 150. 316 BGHSt 7, 287; 11, 353. 310 311
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Dem kann so nicht zugestimmt werden. Einerseits greift das Argument der „springenden Tatherrschaft“ schon deshalb nicht ein, weil bei den Unterlassungsdelikten die Täterschaft nicht auf dem Gedanken der Tatherrschaft, sondern der Pflichtenbindung und dem Autonomieprinzip beruht. So, wie der Unterlassende (vom Beschützergaranten abgesehen) nicht für fremdes drittschädigendes Verhalten zu haften hat, haftet er auch nicht für fremdes selbstschädigendes Verhalten, sofern sich die Schädigung als autonomes Verhalten des Suizidenten darstellt. Die Fälle der Erfolgsherbeiführung durch das Opfer weisen aber auch in Bezug auf die Haftung des Beschützergaranten eine Besonderheit gegenüber den Fällen fremder Drittschädigung auf: es geht hier nicht darum, ob der Obhutsgarant das ihm anvertraute Opfer vor Dritten schützen muss, sondern darum, ob er das Opfer vor sich selbst zu schützen verpflichtet ist. Dies ist im Falle freiverantwortlichen Handelns seitens des Opfers zu verneinen, da andernfalls dessen Autonomie gänzlich ignoriert würde, was auf eine Entmündigung des Suizidenten hinausliefe. Schließlich steht die Unterlassungslösung im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass die Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbsttötung straflos ist. Die Rechtsprechung nimmt also mit der einen Hand, was sie zuvor mit der anderen gegeben hat und verdient daher Ablehnung.317
b) Erfolgszurechnung bei nachträglichem Fehlverhalten des Opfers In den Fällen, in denen das Opfer nicht durch Suizid, sondern – wie in dem Bluttransfusionsfall – durch nachträgliches Fehlverhalten sehenden Auges in den Tod geht, möchte der BGH die Zurechung nur bei einer offenkundigen Unvernünftigkeit der Operationsverweigerung ausschließen,318 während die Literatur überwiegend zu einem Zurechnungsausschluss neigt.319 Allerdings finden sich auch Stimmen, die in Übereinstimmung mit dem BGH die Straffreiheit des Ersthandelnden auf die Fälle beschränken möchten, in denen das Opfer entgegen aller Vernunft die Behandlung ablehnt.320 Problematisch an dem Kriterium der „Vernünftigkeit“ ist nicht nur seine Unbestimmtheit. Bedenklich ist vor allem, dass die höchst subjektive Entscheidung des Betroffenen, aus dem Leben zu gehen, fremder Bewertung unterworfen wird und sich an Kriterien wie „vernünftig“ und „unvernünftig“ messen lassen muss. Ein solches Urteil über eine fremde Lebenssituation ist nicht nur bevormundend, sondern der Sache nach auch nicht hilfreich: es wahrt zwar unter Umständen die Fortexistenz des Betroffenen, bietet ihm darüber hinaus aber keine So auch Gallas, JZ 1960, 649, 652; Fahl, JA 1998, 105, 109. BGH NStZ 1994, 394 ff.; BGH NJW 2001, 2816. Ablehnend Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 398. 319 Vgl. statt vieler Otto, FS-E.A. Wolff, 1998, S. 398 f.; Roxin, AT I, § 11, Rn. 118; ders., FS-Gallas, 1973, S. 241, 248. 320 SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 72; ähnlich auch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 121 ff.; ders., FS-Pallin, 1989, S. 39, 42 ff.; Wolter, Zurechnung 1981, S. 346. 317 318
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Hilfe in der von ihm als ausweglos empfundenen Situation. Der Haftungsumfang bei Fehlverhalten des Opfers kann daher nicht von der Rationalität oder Nachvollziehbarkeit seines Todeswunsches abhängen.
3. Stellungnahmen in der Literatur In der Literatur zeigt sich sowohl bei der Beteiligung am Suizid als auch bei dem nachträglichen Fehlverhalten des Opfers eine Tendenz zur Annahme von Straflosigkeit des Ersthandelnden hinsichtlich des vom Opfer bewusst und eigenverantwortlich herbeigeführten Erfolges.321 Dies soll unabhängig davon gelten, ob der Ersthandelnde vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Wenn nämlich bereits die vorsätzliche Beteiligung am Suizid straflos ist, so müsse dies erst Recht für die fahrlässige Beteiligung gelten.322 Die Haftung für Fahrlässigkeit könne schließlich nicht weiter reichen als für Vorsatz, weil es sinnwidrig wäre, wenn die Verwirklichung einer geringeren Schuldform Sanktionen auslöste, wo nicht einmal das Vorliegen der schwereren Schuldform (des Vorsatzes) zur Bestrafung führt.323 Dieser von der ganz h. M. akzeptierte Satz müsste an sich dazu anregen, die Geltung des extensiven Täterbegriffs bei dem Fahrlässigkeitsdelikt zu überdenken, der im Gegensatz zu dem restriktiven Täterbegriff bei der Vorsatztat steht. Allein diese Schlussfolgerung wird nicht gezogen. Diesem Widerspruch wird ein weiterer hinzugefügt, wenn in den Suizidfällen auf Grundlage zweier unterschiedlicher Täterbegriffe bei vorsätzlicher als auch bei fahrlässiger Verursachung gleichermaßen die Autonomie des Opfers den Zurechnungszusammenhang durchtrennen soll. a) Der Suizid als chronisch psychisch-pathologische Tat Allerdings wird von einigen Stimmen in der Literatur generell bezweifelt, dass ein Suizid autonom begangen werden kann. 321 Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 101 f.; ders., Jura 2004, 670, 671; Otto, Jus 1974, 702, 709 f.; Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241, 243 ff.; Sax, JZ 1975, 137, 145 f.; Spendel, JuS 1974, 702, 709 f.; Welp, JR 1972, 427. Anders Bringewat, ZStW 87 (1975), S. 623 ff., 646 ff., der die Straflosigkeit der (versuchten) Selbsttötung als einen Fall der Strafausschließung i. S. v. § 28 II StGB auffasst. In Ermangelung der Opferqualität soll der Teilnehmer an dem Strafausschluß nicht partizipieren dürfen. Herzberg, JA 1985, 131, 133 f. hat dem zutreffend entgegengehalten, dass § 28 II StGB den Effekt hat, den Teilnehmer vor einer Bestrafung zu schützen, die über §§ 26, 27 StGB konstruktiv möglich wäre. Bringewat wendet die Norm dagegen gerade umgekehrt an, was dazu führt, dass den Mitwirkenden Strafe trifft, obwohl die §§ 26, 27 StGB dies für sich betrachtet gerade nicht zulassen. 322 So auch BGHSt 24, 342. 323 Herzberg, JA 1985, 131, 135 m. w. N.
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Dabei hat – wohl als Erster – Geilen die Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten allgemein in Frage gestellt, indem er auf die psychiatrische Komponente des Selbstmords verweist und zu dem Ergebnis kommt, dass „fast jeder Selbstmord als Endpunkt einer Krankheit oder einer krankhaften Entwicklung angesehen werden“ müsse.324 Ganz ähnlich äußert sich im Anschluss an Geilen auch Jähnke, demzufolge der Suizident unter einer Einengung des Vorstellungsvermögens leidet, so dass er sich verhalte, „als hätte er eine Brille auf, durch die er alles verzerrt wahrnimmt“.325 Ausgehend von diesem Befund läge es an sich nahe, bei jedem Selbstmord die Autonomie des Suizidenten zu verneinen, was in großem Ausmaß zur (mittelbaren) Täterschaft des Mitwirkendenden führen müsste. Dies wird zu Recht überwiegend abgelehnt.326 Die These, dass jedem Selbstmord eine existentielle Krise und seelische Verzweiflung des Opfers vorausgeht, trifft zwar weitestgehend zu,327 zwingend ist sie aber – wie beispielsweise Fälle eines Selbstmordattentates zeigen – durchaus nicht. Zudem kann auch Verzweiflung eine „völlig rationale Ursache“ haben und eine „normale psychologische Reaktion“ sein,328 wie dies etwa der Fall sein mag, wenn der spätere Suizident davon erfährt, dass er an einer schweren, langsam und qualvoll zum Tode führenden Krankheit leidet. In solchen und anderen Fällen, in denen der Suizident bei klarem Bewusstsein und ohne irgendwelche Zwangsvorstellungen handelt, bestehen an der Autonomie seines Entschlusses keine Zweifel.
b) Voraussetzungen des autonom vollzogenen Suizids Uneinigkeit besteht in der Literatur damit primär hinsichtlich der Voraussetzungen des Zurechnungsausschlusses, namentlich bei der Bestimmung der Eigenverantwortlichkeit des Opfers. (1) Maßgeblichkeit der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG Einige Autoren wollen die Eigenverantwortlichkeit anhand der allgemeinen Schuldfähigkeits- bzw. Entschuldigungsregeln (§§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG) bestimmen, die zwar mangels strafbarer Handlung nicht unmittelbar, aber analog herangezogen werden sollen.329 324 Geilen, JZ 1974, 145, 152 f., Anm. 60a ff. unter eingehender Darstellung der psychiatrischen Fachliteratur. 325 LK-Jähnke, vor § 211, Rn. 27 f. Ähnlich auch Bringewat, ZStW 87 (1975), 623, 625. 326 Vgl. etwa Bottke, GA 1983, 22 ff.; Sowada, Jura 1985, 75 ff.; Herzberg, JA 1985, 336, 342; Munoz Conde, ZStW 106 (1994), 547, 557; Simson, Suizidtat, 1976, S. 80 f. 327 Vgl. auch Krey / Heinrich, BT 1, § 1, Rn. 89. 328 Simson, Suizidtat, 1976, S. 14 f. 329 Roxin, NStZ 1984, 71; ders., FS-Dreher, 1977, S. 331 ff.; Bottke, GA 1983, 22 ff.; ders., Suizid, 1982, S. 247 ff.; ders., Täterschaft, 1992, S. 77 ff.; Gallas, JZ 1960, 649, 686,
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Gegen die Anwendung der für die Fremdschädigung konzipierten Exkulpationsregeln wird allerdings vorgebracht, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht auf die Selbstschädigung passten.330 Richtig daran ist, dass die Selbstverletzung als solche kein Unrecht gegenüber dem verletzten Rechtsgut darstellt, da es ihr – isoliert betrachtet – an dem für Recht und Unrecht wesentlichen Interpersonalbezug fehlt.331 Die in § 20 StGB vorausgesetzte Fähigkeit zur Unrechtseinsicht bzw. die Fähigkeit, entsprechend dieser Einsicht zu handeln, können jedoch dahingehend modifiziert werden, dass es auf die Fähigkeit des Suizidenten ankommt, die Bedeutung der Tat richtig einzustufen und sich nach dieser Einsicht zu motivieren. Befindet sich der Suizident also in einem dem § 16 StGB entsprechenden Tatbestandsirrtum, d. h. weiß er nicht um den selbstschädigenden Charakter seiner Handlung, oder ist er im Zustand der Schuldunfähigkeit oder wird durch den vom Hintermann ausgeübten Druck in eine dem § 35 StGB entsprechende Notlage versetzt, so soll es an der Autonomie des Selbsttötungsentschlusses fehlen.332 Solchenfalls ist ein Regress auf die Handlung des Außenstehenden prinzipiell möglich, denn der Erfolg kann hier jedenfalls nicht als ins Werk gesetzter Wille des Suizidenten im Sinne eines selbstbestimmten Handelns begriffen werden. Zieht man zur Bestimmung der Autonomie also die relativ strengen Voraussetzungen der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG heran, so hat dies freilich zur Konsequenz, dass eine Zwangslage unterhalb der Schwelle des Nötigungsnotstandes oder auch der bloße Motivirrtum als irrelevant eingestuft werden.333 Bringt sich der Suizident also etwa nur deshalb um, weil ihm zu Unrecht zugetragen wurde, seine Frau habe von seiner Geliebten erfahren und wolle ihn verlassen, so ist nach der soeben vorgestellten Lösung der einflüsternde Dritte für den Erfolgseintritt nicht als Täter eines Tötungsdelikts strafbar, auch wenn seine Lüge 692; Schünemann, NStZ 1982, 60, 62 f.; von Dellingshausen, Sterbehilfe, 1981, S. 262 f.; Dölling, GA 1984, 76; Hirsch, JR 1979, 429, 432 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, 1997, S. 94 ff. 330 Geilen, JZ 1974, 145, 150 f.; Herzberg, JuS 1974, 379; ders., Täterschaft, 1977, S. 36 f.; Neumann, JuS 1985, 677, 679. Roxin, Täterschaft, 2006, S. 633 hat dem entgegengehalten, dass der Suizident bezüglich seiner Selbstschädigung ebenfalls eine Hemmschwelle überwinden müsse, die regelmäßig sogar höher liege, als bei der Verletzung anderer. Das ist eine Betrachtung, die durchaus zutreffen, aber ebenso nicht zutreffen und daher keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung über die Anwendbarkeit der §§ 19, 20 StGB; 3 JGG nehmen kann. 331 Vgl. Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 26. 332 Vgl. LK-Roxin, 11. Auflage, § 25, Rn. 52 – 54 m. w. N.; Bottke, Suizid, 1982, S. 257; anders Neumann, JuS 1985, 677, 680. 333 Charalambakis, GA1986, 485, 500; Munoz Conde, ZStW 106 (1994), 547, 563; dagegen Herzberg, JA 1985, 342 f.; vermittelnd insoweit Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 44 f., der darauf abstellt, ob es beim Opfer durch den Willensmangel zu einer Reduzierung von Handlungsalternativen gekommen ist, so dass sich seine Entscheidungssituation verengt hat. Diese Ansicht bietet Flexibilität, aber auch Unbestimmtheit – wann liegt z. B. bei Trunkenheit unterhalb der Schwelle des § 20 StGB eine Reduzierung von Handlungsalternativen vor?
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zweifelsohne hierfür ursächlich war. Der Suizident ist sich nämlich völlig darüber im Klaren, welches Rechtsgut er preisgibt. Zur Strafbarkeit des Dritten wegen Tötung könnte man in diesem Beispiel allenfalls von einem deterministischen Standpunkt aus gelangen, was die Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten überspielen würde. Zu bedenken bleibt auch, dass bei einem solchen Ansatz, der jedes von außen irgendwie beeinflusste Handeln als unfrei ansieht, unter Umständen auch der Dritte dann nicht zur Verantwortung gezogen werden könnte, wenn er seinerseits durch weitere Personen zu der Einflüsterung verleitet wurde. Letztlich begäbe man sich mit einem solchen Modell auf eine ausweglose Suche nach der Erstursache, was die Zurechnung ins Uferlose ausdehnen würde. Daher spricht mehr dafür, die Unfreiheit des Handelns erst ab einem gewissen Grad der Beeinflussung anzunehmen, wofür die §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG immerhin eine klare Richtlinie zur Verfügung stellen, welche im Wesentlichen bei dem konstitutionellen Unvermögen des Suizidenten ansetzt. Zu beachten ist aber, dass die Unfreiheit des Suizidenten allein nicht genügt, um dem Außenstehenden die Rolle des Täters zuzuschreiben. Dazu bedarf es eines zusätzlichen Begründungsschritts, der mehr umfassen muss als eine irgendwie geartete Einflussnahme. Im Falle des vorsätzlich handelnden Hintermanns wird dieser Zusammenhang gebildet durch die Ausübung von Tatherrschaft über den Suizidenten,334 der als „Werkzeug gegen sich selbst“ fungiert und letztlich nur eine fremde Entscheidung unter fremder Willensherrschaft nachvollzieht. Bei der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft hingegen tritt an die Stelle finaler Willensherrschaft die überlegene Vermeidemacht des Hintermanns, die dessen Täterschaft begründet. (2) Maßgeblichkeit der Grundsätze über die Einwilligung Einen anderen Ansatz zur Abgrenzung zwischen strafbarer und strafloser Mitwirkung zur Selbsttötung vertritt Schilling, der sich von dem Teilnahmeargument der ganz h. M. distanziert.335 Der Mitwirkende habe nämlich „ungeachtet einer strafrechtlich unerheblichen Einordnung als Teilnahme an tatbestandsloser Haupttat“ in strafrechtlicher Hinsicht den Tod eines anderen Menschen verursacht, so dass ihm die – im Hinblick auf die Tötungsdelikte notwendige – Tatherrschaft zukomme,336 welche auf dem tatbestandslosen Handeln des Opfers basiere.337 Die Strafbarkeit des Mitwirkenden soll dann erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt der Einwilligung relevant werden.338 Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 44. Schilling, JZ 1979, 159 f. 336 Schilling, JZ 1979, 159, 166. 337 Schilling, JZ 1979, 159, 167. 338 So auch Amelung, NStZ 1994, 338; Wagner, Selbstmord, 1975, S. 147; Neumann, JuS 1985, 677, 680. 334 335
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Hiergegen spricht, dass das Begründen der Tatherrschaft mit der schlichten Kausalität ein Relikt aus den Zeiten des abzulehnenden Einheitstäterbegriffs darstellt, die dem „Sinn und der gesetzlichen Unterscheidung von Täterschaft und Anstiftung“ widerspricht.339 Tatherrschaft setzt im Bereich der Vorsatzdelikte außer einer Erfolgsverursachung prinzipiell die objektive Beherrschung und Steuerung der Tat voraus, an der es fehlt, wenn der Suizident die letzte Entscheidung über seinen Tod fällt.340 Hier begründet der freie Wille des Suizidenten ein Regressverbot hinsichtlich der vorausgegangenen Beiträge.341 Dem entspricht es, dass nach ganz einhelliger Auffassung von einer mittelbaren Täterschaft nur dort die Rede sein kann, wo ein freier Selbsttötungsentschluss des Suizidenten fehlt.342 Ganz abgesehen von dieser spezifischen Kritik an Schillings Konstruktion spricht gegen die ausschließliche Lösung über das Institut der Einwilligung aber auch, dass sich dort das Opfer fremder Handlungsherrschaft unterwirft, die es bei der Selbstverletzung aber gerade behält. Genau dieser Unterschied rechtfertigt es, die Entscheidung des Opfers im Falle der Fremdverletzung schon bei leichten Willensbeeinträchtigungen für unbeachtlich zu erklären, denn das Opfer liefert sich dort fremder Tatherrschaft aus. Anders liegt es in den hier untersuchten Fällen der Selbstschädigung: dort hat der Suizident selbst die Tatherrschaft über die entscheidendenden Schritte, so dass er nicht in dem Maße schutzwürdig ist, wie das Opfer einer Fremdschädigung. Außerdem zieht § 216 StGB dem Dispositionsrecht über das eigene Leben Grenzen. Eine Einwilligung in lebensbeendende Maßnahmen von fremder Hand ist daher unwirksam und vermag das Unrecht der Tat nur bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen der Tötung auf Verlangen zu mindern. Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht angebracht ist, die für die einverständliche Fremdschädigung geltende Regelung des § 216 StGB zur Harmonisierung von Fremd- und Selbstschädigung auf den autonomen Suizid zu übertragen. (3) Maßgeblichkeit der „Ernstlichkeit“ i. S. v. § 216 StGB Herzberg343 möchte aus diesem Grunde die Autonomie des Suizidenten anhand der Ernstlichkeit von dessen Sterbewunsch beurteilen. Dieser Lösungsansatz ist auf das Bestreben zurückzuführen, den Fall des Suizids mit dem Fall der gesetzlich geregelten Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) in Einklang zu bringen. In beiden Fällen schlage die freiverantwortliche Entscheidung des Lebensmüden unrechtsRoxin, NStZ 1984, 71. Dölling, GA 1984, 71, 77; Herzberg, JA 1985, 131, 134. 341 Ähnlich Charalambakis, GA 1986, 485, 488; Neumann, JuS 1985, 679. 342 Vgl. auch Hirsch, JR 1979, 429, 431. 343 Herzberg, JA 1985, 336 ff.; ders., Täterschaft, 1977, S. 40 f.; vgl. auch Krey / Heinrich, BT 1, § 1, Rn. 89, der kumulativ auch die Regeln der Einwilligung heranzieht, sowie Geilen, JZ 1974, 145, 151 f. 339 340
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erheblich für den Mitwirkenden zu Buche; nur dass der Beteiligte sich bei der eigentlichen Tatausführung im Falle des Suizids – anders als bei der Tötung auf Verlangen – heraushalte. Daher seien in beiden Fällen gleiche Maßstäbe anzulegen.344 Dem kann nicht zugestimmt werden. Das Kriterium der Ernstlichkeit besagt, dass der Wille des Opfers zielgerichtet, wohlüberlegt und aufgrund freier Willensbildung auf die Herbeiführung des Todes gerichtet sein muss.345 Es ist also nicht identisch mit dem Kriterium der Eigenverantwortlichkeit, sondern setzt dieses – neben weiteren Voraussetzungen – voraus, so dass es nicht als Antwort auf die Frage nach der Eigenverantwortlichkeit dienen kann. Die Ernstlichkeit der Entscheidung erfordert nämlich sogar noch mehr als bloße Eigenverantwortlichkeit, die freilich (zieht man die Grundsätze über die Einwilligung heran) grundsätzlich durch jede Täuschung oder Druckausübung soll beseitigt werden können.346 Dass § 216 StGB als Voraussetzung der Privilegierung mit der Ernstlichkeit ein zusätzliches Kriterium verlangt, erklärt sich – wie Charalambakis347 zutreffend ausführt – mit der unterschiedlichen Struktur des Suizids und der Tötung auf Verlangen: im Falle des § 216 ist die Handlung des Tötenden rechtswidrig und strafbar und weist lediglich einen geminderten Unrechtsgehalt auf, wenn sie dem ausdrücklichen und ernsthaften Wunsch des (vollverantwortlichen) Opfers entspricht. Hier schlägt sich der Gedanke nieder, dass der dem Opfer zum Tode Verhelfende regelmäßig altruistisch motiviert ist, wobei das Merkmal der Ernstlichkeit vor einer voreiligen Umsetzung dieser Motivation schützen soll. Bei dem Suizid hingegen ist die Mitwirkungshandlung von vornherein straffrei, sofern der Suizident freiverantwortlich handelt. Dieser Unterschied ergibt sich aus dem Umstand, dass im Falle des autonomen Selbstmords der Tötungsakt in den Händen des frei handelnden Opfers liegt und deshalb nicht als Werk des Mitwirkenden betrachtet werden kann. Eines Hemmungskriteriums bedarf es hier von vornherein nicht, denn der Suizident kann ja aus freien Stücken jederzeit seine Meinung ändern und das Geschehen, welches – zumindest zunächst – in seinen Händen liegt, aufgeben. Es geht also gerade nicht um die Übertragung von Handlungsherrschaft auf einen Dritten.348 Herzberg, JA 1985, 336, 340. Lackner / Kühl, § 216, Rn. 2. 346 Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 402 weist freilich darauf hin, dass auch nach den Kriterien der Einwilligung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten worden sein muss, welche nach der Rechtsordnung bei Drohung und Zwang erst dann erreicht sei, wenn eine verwerfliche Nötigung i. S. v. § 240 StGB vorliege. Im Falle der Täuschung sei zu differenzieren zwischen der relevanten Täuschung über die Grundlagen der Entscheidung und der irrelevanten Täuschung über die Folgen der Entscheidung. 347 Charalambakis, GA 1986, 485, 491; ähnlich auch Bottke, Suizid, 1982, S. 254 sowie Roxin, FS-Dreher, 1977, S. 344. 348 Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 36. 344 345
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Bei der Tötung auf Verlangen nimmt hingegen der Mitwirkende den eigentlichen Tötungsakt auf Wunsch des Opfers vor, so dass sich der Erfolg letztlich als sein (wenn auch altruistisches) Werk darstellt. Hier ist es angesichts der „Ohnmacht des Opfers“ durchaus sinnvoll, zusätzliche Hemmschwellen einzubauen, die den Mitwirkenden von vorschnellem Handeln abhalten. Das Opfer unterwirft sich nämlich gerade fremder Tatherrschaft, so dass es entscheidend auf die Beachtlichkeit dieser Unterwerfung ankommt. Vollzieht das Opfer dagegen die verletzende Handlung selbst, dann würde die Bewertung dieses Handlungsvollzugs mit „ernstlich“ oder „nicht ernstlich“ letztlich in einem Urteil über die subjektive Motivation des Opfers münden. Das liefe auf eine inhaltliche Überprüfung der Suizidentscheidung hinaus, die von Eser zu Recht als paternalistisch gerügt wurde.349 Zutreffend ist insoweit auch Zaczyks Hinweis darauf, dass die subjektive Entscheidung eines anderen über den Entschluss des Suizidenten gar nicht leisten kann, was sie implizit verspricht: „dem anderen die Lasten seines Lebens tragen zu helfen.“350 Angesichts dieser strukturellen Unterschiede zwischen Suizid und Tötung auf Verlangen ist auch ein Rückgriff auf § 216 StGB abzulehnen. Berücksichtigt man die spezielle Eigenart der Selbstschädigung im Vergleich zur Fremdschädigung, spricht daher insgesamt mehr dafür, die Autonomie der Entscheidung anhand der §§ 16, 20, 35 StGB; 3 JGG zu beurteilen.
c) Dogmatische Verankerung des Autonomiekriteriums Steht nun fest, anhand welcher Kriterien die Autonomie des Suizidenten bemessen werden soll, so ist damit noch nichts darüber gesagt, an welcher Stelle die Haftungsfrage dogmatisch zu verankern ist. Von der ganz überwiegenden Ansicht wird die Regressproblematik mit unterschiedlichen Begründungen in der objektiven Zurechenbarkeit verortet: teils wird dabei mit dem Schutzzweck der verletzten Norm argumentiert, teils soll dem Autonomiegedanken unter dem Stichwort des Regressverbots in einer eigenen Fallgruppe innerhalb der objektiven Zurechnung Rechnung getragen werden.351 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch Jägers Ansatz, der die Regressthematik unter dem Blickwinkel der Täterschaftslehre betrachtet und nur dann eine Zurechnung vornimmt, wenn die Ersthandlung aufgrund einer der in § 25 StGB genannten Täterschaftsformen zum Erfolg führt.352 Speziell für die Suizidproblematik führt dies mit der h. M. zwanglos zu dem Ergebnis, dass der Erfolg dem ErsthanSinngemäß Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff., Rn. 34. Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 35. 351 Für Letzteres John, Regressverbot, 2007, S. 204. Grundlegend Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241 ff.; ders., FS-Honig, 1970, S. 132, 143; SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 71 ff.; Rudolphi, JuS 1969, 549, 555 f.; Wolter, Strafrechtssystem, 1984, S. 343 ff. 352 Dazu näher oben Kap. 2, § 3 II. 2. d). 349 350
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delnden nur dann soll zugerechnet werden können, wenn die Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB vorliegen. Die Verankerung der Regressfrage im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit birgt zudem den Vorteil, dass dieses Institut der Haftungsbegrenzung dient. Genau hierum geht es bei der Frage nach der Reichweite strafrechtlicher Haftung für fremdes Fehlverhalten.
II. Die Erfolgszurechnung bei Selbstgefährdung des Opfers Von der Selbstschädigung unterscheidet sich die Selbstgefährdung dadurch, dass das Opfer sich zwar der Gefahren seines Verhaltens bewusst ist, aber im Vertrauen darauf handelt, dass der Erfolg ausbleiben werde.
1. Beispiele A und B unternahmen im leicht angetrunkenen Zustand, aber bei voller Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der damit verbundenen Gefahren ein Motorradrennen, bei dem B aufgrund eigenen Verschuldens tödlich verunglückte.353 Der BGH hat den Angeklagten A daraufhin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, da dieser einen „vorhersehbaren und vermeidbaren Erfolg pflichtwidrig verursacht“ habe.354 Zu demselben Ergebnis gelangte der BGH in dem berühmt gewordenen Pockenfall355, in dem ein Arzt sich auf seiner Indienreise mit den Pocken infiziert hatte und nach seiner Heimkehr seine Arbeit in der Klinik wieder aufnahm, obwohl er sich sehr angegriffen fühlte. Daraufhin steckte er einige Ärzte und Patienten, aber auch den Krankenhausseelsorger mit den Pocken an, der sich – in Kenntnis des Risikos – freiwillig zu den Erkrankten begeben hatte und an der eigenen Infektion verstarb. Überwiegend handelt es sich bei der Beteiligung an fremder Selbstgefährdung aber um Fälle der Rauschmittelverschaffung. Während der BGH hier ursprünglich356 seiner bereits gezeichneten Linie getreu den Angeklagten auch dann wegen fahrlässiger Tötung verurteilte, wenn das Opfer sich des mit dem Rauschmittelkonsum verbundenen Risikos bewusst war, ist er seit BGHSt 32, 262 ff. überwiegend davon ausgegangen, dass in den Fällen der freiverantwortlichen Selbstgefährdung dem Ersthandelnden der Erfolg nicht zugerechnet werden könne.357 Allerdings hat BGHSt 7, 112 ff. BGHSt 7, 112 ff.; ablehnend Dölling, GA 1984, 71, 78; NK-Puppe, vor § 13, Rn. 224; Roxin, AT I, § 11, Rn. 108; Schaffstein, FS-Welzel, 1974, S. 572. 355 BGHSt 17, 359; ablehnend Roxin, AT I, § 11, Rn. 109; Rudolphi, JuS 1969, 556 f.; LKSchroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 182; Schünemann, JA 1975, 715, 721; P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, 1973, S. 152 f. 356 Vgl. BGHSt 7, 112; 17, 359; BGH MDR 1980, 985; BGH NJW 1981, 2015 und auch noch BGH NStZ 1981, 350; zustimmend Hardtung, NStZ 2001, 206, 208. 353 354
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der BGH die Straflosigkeit in mehreren Fällen358 auf die aktive Mitwirkung an der Selbstgefährdung beschränkt und dann aber wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen bestraft, wenn der Drogenkonsument das Bewusstsein verloren hat. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur mit Recht weitestgehend auf Kritik gestoßen, da sie durch die Hintertür die Straffreiheit des sich an fremder freiverantwortlicher Selbstgefährdung Beteiligenden zunichte macht.359 Die Straflosigkeit der aktiven Beteiligung an Selbstgefährdung begründet die ganz h. M. mit einem Erst-Recht-Schluss: wenn bereits die vorsätzliche oder fahrlässige Teilnahme an der Selbstschädigung (d. h. am Suizid) mangels Haupttat prinzipiell straflos ist, müsse dies erst recht für die bloße Selbstgefährdung gelten,360 ungeachtet dessen, ob der Mitwirkende vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.361 Diese Ansicht steht freilich im Widerspruch zu der sonst anzutreffenden Ablehnung einer Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei den Fahrlässigkeitsdelikten:362 wenn nämlich dort ein Einheitstäterbegriff gälte, könnte der bloße Akzessorietätsgedanke einer Erfolgszurechnung kaum im Wege stehen.363 Das Argument zeigt, dass die inkonsequente h. M. zu Unrecht den restriktiven Täterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich negiert. Auch hat unlängst Jäger mit Recht darauf hingewiesen, dass der erst-RechtSchluss der h. M. bei genauer Betrachtung nicht verfängt. Ebenso gut könne man argumentieren, dass die freiverantwortliche Selbstgefährdung nicht zurechnungsausschließend ist, weil ein „Ausschluss der Erfolgszurechnung verlangt, dass das Opfer freiverantwortlich nicht nur die Gefährdung, sondern den Erfolg will, da auch nur auf diese Weise die Erfolgszurechnung ausgeschlossen sein kann. Dies aber ist nur bei der Teilnahme an der freiverantwortlichen Selbsttötung, nicht aber bei der Teilnahme an freiverantwortlicher Selbstgefährdung der Fall.“364 357 Vgl. nur BGHSt 32, 262 ff. m. Anm. Roxin; 36, 1, 17; 37, 179, 181; BGH NStZ 1985, 25 f., 319; 1986; 266; 1987, 406; 1992, 489; 2001, 205; BGH JR 2001, 467. 358 Vgl. etwa BGH NStZ 1984, 452 f.; zum berühmten „Stechapfelteefall“ BGH NStZ 1985, 319. 359 Roxin, AT I, § 11, Rn. 112; Geppert, Jura 2001, 490, 493. 360 Hierzu grundlegend Schünemann, NStZ 1982, 60 ff.; ferner Dölling, GA 1984, 71, 77; Roxin, AT I, § 11, Rn. 107; ders., FS-Gallas, 1973, S. 241, 246. Gegen diese Ableitung als „argumentum a maiore ad minus“ wendet sich zu Recht Spendel, JuS 1974, 749, 751, der darauf hinweist, dass eine Folgerung vom Vorsatz und dessen Rechtsfolge auf die Fahrlässigkeit und deren Rechtsfolge in der Form einer Unterordnung nicht möglich sei, da beide zueinander nach ganz h. M. in einem aliud-Verhältnis stehen. Die Argumentation vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit kann daher nicht mittels eines logischen Schlusses, sondern nur mittels einer teleologischen Betrachtung gestützt werden, welche von einer juristisch weitergehenden auf eine weniger weitgehende Rechtsregel schließt. Anders sieht dies Palm, Selbsttötung in mittelbarer Täterschaft, 2009, S. 76, die die fahrlässige Tat als Minus zur vorsätzlichen Tat einstuft. 361 Hirsch, JR 1979, 429; Dölling, GA 1984, 71, 77; Fahl, JA 1998, 105, 107. 362 Vgl. Fünfsinn, StV 1985, 57. 363 So auch Bloy, Beteiligungsform, 1985, S. 147; Hardtung, NStZ 2001, 206. 364 Jäger, Zurechnung, 2006, S. 10.
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2. Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens Burgstaller365 differenziert auch in den Fällen des Fehlverhaltens seitens des späteren Opfers danach, welchen Verschuldensgrad das Opfer hinsichtlich der von ihm vorgenommenen, sich selbst schädigenden Handlung trifft. Erst bei mindestens grober Fahrlässigkeit, die konstellations- und fallgruppenbezogen zu konkretisieren sei, entfalle der Risikozusammenhang. Dagegen spricht zunächst einmal, dass der Begriff des Verschuldens sich auf fremdschädigende Handlungen bezieht, also auf die Pflichtwidrigkeit der Verletzung fremder Rechtsgüter. Bei der Verletzung eigener Rechtsgüter kann allenfalls von einer Obliegenheitsverletzung die Rede sein, und selbst das erscheint fraglich, da niemand gehalten ist, möglichst sorgsam mit eigenen Rechtsgütern umzugehen. Das Kriterium des Verschuldens ist daher hier – auch jenseits terminologischer Spitzfindigkeiten – völlig fehl am Platze. Die Nichtzurechenbarkeit eines Erfolges im Falle einer Selbstgefährdung des Opfers kann nicht über dessen Schuld, sondern allein über dessen Autonomie (verstanden als Risiko-, nicht Unrechtsbewusstsein) begründet werden. Burgstallers Ansatz verdient daher – abgesehen von der bereits geäußerten grundsätzlichen Kritik – auch in dieser speziellen Konstellation keine Zustimmung. 3. Zurechnungsausschluss bei Eigenverantwortlichkeit des Opfers Die ganz h. M. möchte auch im Bereich der Selbstgefährdung die Frage des Regresses davon abhängig machen, ob das Opfer eigenverantwortlich gehandelt hat oder nicht.366 Ähnlich wie bei der Diskussion um die Beteiligung an der Selbstverletzung stellt sich auch hier das Problem, wann von der Eigenverantwortlichkeit des Opfers die Rede sein kann. a) Maßgeblichkeit der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG Wie schon bei der Beteiligung am Suizid stellen einige Autoren auch bei der bloßen Beteiligung an einer Selbstgefährdung auf eine entsprechende Anwendung der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG ab.367 Dem wird entgegengehalten, dass etwa 365 Burgstaller, FS-Jescheck, 1985, S. 357, 370; ders., FS-Pallin, 1989, S. 38, 42 f.; ähnlich Sch / Sch-Lenckner / Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 102; Jakobs, AT, 7 / 55; Wolter, Zurechnung, 1981, S. 343 ff.; Otto, JuS 1974, 702, 709. 366 Vgl. etwa Kienapfel, JZ 1984, 751 f.; Schünemann, NStZ 1982, 60, 63, der mit Recht darauf hinweist, dass es angesichts des bis zu vier Jahren reichenden Strafrahmens des § 29 BtMG weder geboten noch zweckmäßig erscheint, die Haftung für fahrlässige Tötung im Drogenbereich zu verschärfen. Anders Hillenkamp, Opferverhalten, 1981, S. 17 – 199, 310 ff., der das Mitverschulden des Opfers unter Hinweis auf § 213 StGB nur als Strafzumessungsfaktor berücksichtigen möchte; krit. Kratzsch, FS-Oehler, 1985, S. 65, 71. 367 Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241, 243; ders., FS-Dreher, 1977, S. 343; Dölling, GA 1984, 71, 79; Hirsch, JR 1979, 429 ff.; wohl auch Otto, FS-Lampe, 2003, S. 491, 511.
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§ 20 StGB den Täter deshalb von der strafrechtlichen Verantwortung freistelle, weil ihm infolge seines Defektes die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht fehle und er deshalb von der Appellwirkung des rechtlichen Verbots nicht mehr erreicht und somit hinsichtlich der Deliktsbegehung enthemmt werde.368 Da in den Fällen der Selbstschädigung und Selbstgefährdung aber nicht die Überwindung eines rechtlichen Appells in Rede stehe, bedürfe es der strengen Voraussetzungen der für die Fremdschädigung bzw. -gefährdung konzipierten Regelungen nicht.369 Jedoch spielt auch bei der Selbstgefährdung die Überwindung einer Hemmschwelle eine Rolle370 – der Selbsterhaltungstrieb des Menschen dürfte oftmals zumindest ebenso ausgeprägt sein wie das Bestreben, rechtstreu zu handeln. Zudem dürfte es sich von selbst verstehen, dass es bei der Selbstgefährdung aus Sicht des sich Gefährdenden nicht um die Verwirklichung strafrechtlichen Unrechts geht und daher die Voraussetzungen der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG einer Modifikation dahingehend bedürfen, dass es entscheidend auf die Einsicht in die Tragweite des Handelns für den sich Gefährdenden und die Möglichkeit einer entsprechenden Motivationsbildung ankommt.
b) Maßgeblichkeit der Grundsätze über die Einwilligung Anderer Auffassung zufolge verzichtet das Opfer bei der Selbstgefährdung auf den Schutz seiner Rechtsgüter.371 Die Wirksamkeit eines solchen Verzichts soll sich nach den Voraussetzungen der Einwilligung bemessen,372 was zur Folge hat, dass bereits jeder Motivirrtum, jeder Zustand i. S. d. § 21 StGB oder jeder Druck unterhalb der Schwelle des § 35 StGB die Autonomie der Selbstgefährdung ausschließen. § 216 StGB soll einer Wirksamkeit der Einwilligung deshalb nicht entgegenstehen können, weil die Norm ihrem Sinn nach nicht für fahrlässige Taten gelte:373 § 216 StGB diene dazu, die Achtung vor dem Menschenleben zu wahren, welche durch eine vorsätzliche (wenngleich erwünschte) Tötung erschüttert werde. Von der bloßen Gefährdung eines Menschenlebens gehe eine derartig erschütternde Wirkung aber nicht aus.374 Geilen, JZ 1974, 145; Herzberg, Täterschaft, 1977, S. 36 f. Vgl. Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 402. 370 Vgl. Dölling, GA 1984, 71, 79; Roxin, FS-Dreher, 1977, S. 331, 346. 371 Dach, NStZ 1985, 24 f. 372 Arzt / Weber, BT, Rn. 283; Schaffstein, FS-Welzel, 1974, S. 557, 570 ff.; Dach, Einwilligung, 1979, S. 28 f., 54 f.; Kellner, Einwilligung, 1974, S. 86 ff.; Quillmann, Einwilligung, 1978, S. 42; Hansen, Einwilligung, 1963, S. 114. 373 Anders freilich BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 114; BayObLG, NJW 1957, 1245. Allerdings soll nach der Rechtsprechung unter Umständen die Pflichtwidrigkeit des Täterverhaltens entfallen, wenn sich das Opfer in klarer Erkenntnis in Lebensgefahr begeben hat. 374 Dach, NStZ 1985, 24, 25; Sowada, JZ 1994, 663, 664. Anders Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 992 ff.; Maurach / Gössel / Zipf, AT II, S. 81 f.; Preuß, Risiko, 1974, S. 136 ff., 144 ff., 160 f. 368 369
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Der Einwilligungslösung steht einerseits entgegen, dass das Opfer keinesfalls in den Erfolg, sondern nur in das Risiko eingewilligt hat375 – ein Rechtsgüterverzicht ist insoweit eine reine Fiktion.376 Andererseits wird durch die analoge Anwendung der Einwilligungsregeln der Unterschied zwischen Fremdgefährdung und Teilnahme an der Selbstgefährdung eingeebnet. Da im Falle der Fremdgefährdung nicht das Opfer, sondern der andere die Tatherrschaft ausübt, ist es aus Gründen des Opferschutzes sinnvoll, dort die strengen Voraussetzungen der Einwilligung gelten zu lassen. Wo aber – wie bei der Selbstgefährdung – das Opfer selbst das Geschehen in der Hand hält, erscheint es mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht des sich Gefährdenden angezeigt, den Mitwirkenden erst dann haften zu lassen, wenn sich die Entscheidung des Opfers nicht mehr als autonom darstellen lässt, was sich entsprechend der §§ 19, 20, 35 StGB; 3 JGG beurteilt.377
c) Relevanz einer Garantenstellung Umstritten ist schließlich auch, ob den Garanten eine Erfolgsabwendungspflicht trifft, wenn sich das in der Selbstgefährdung angelegte Risiko realisiert. Bejaht man dies, so wäre der untätig bleibende Garant wegen Unterlassens zu bestrafen. Im Falle der vorsätzlichen Selbstschädigung verneint die ganz h. M. eine Erfolgsabwendungspflicht des Garanten nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des eigenverantwortlichen Suizidenten, da ansonsten die Autonomie der vom Opfer gefällten Entscheidung nachträglich missachtet würde: das Opfer hat die Rechtsgutsverletzung ja gerade bewusst und willentlich herbeigeführt. Ganz anders stellt sich die Lage bei der Selbstgefährdung dar: das Opfer geht dort zwar die Gefahr ein; den Erfolgseintritt möchte es aber gerade nicht, was dafür spricht, dass die Selbstgefährdung insoweit anderen Regeln folgt als die Selbstschädigung. Zwar könnte man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass Gefahrpotential und Gefahrverwirklichung zusammenhängen, so dass das Opfer angesichts der freiwillig eingegangenen Gefahr auch den Schaden zu tragen hat. Damit würde aber gerade der bedeutende Unterschied zwischen beiden Konstellationen verkannt, dass nämlich einmal das Opfer den Erfolg will, wohingegen es ein anderes Mal auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut. Angesichts dieses gegenüber dem Selbstmörderwillen unterschiedlichen Willens plädiert die ganz h. M. daher dafür, den Garanten im Falle einer Gefahrrealisierung bei Selbstgefährdung zur Erfolgsabwendung zu verpflichten.378 Da aber nicht grundsätzlich eine Obhutspflicht für andere besteht, gilt 375 Schaffstein, FS-Welzel, 1974, S. 557, 567 f.; Mélia, ZStW 111 (1999), 357, 365; Geppert, Jura 1987, 672; Göbel, Einwilligung, 1992, S. 25; Eb. Schmidt, JZ 1954, 372; Fiedler, Fremdgefährdung, 1990, S. 71 f.; Kohlhaas, DAK 1960, 348, 349; Walther, Eigenverantwortlichkeit, 1991, S. 37 f.; Da Costa Andrade, Consentimento, 1991, S. 296; Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 49 f., 51. 376 Hillenkamp, JuS 1977, 166, 171; Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 50. 377 Roxin, FS-Dreher, 1977, S. 331, 346; ihm folgend Dölling, GA 1984, 71, 78.
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diese Abwendungsverpflichtung nur für den Beschützergaranten,379 der das seiner Obhut unterstehende Rechtsgut – anders als der Überwacher- und Ingerenzgarant – gegen jedwede Schädigung zu schützen hat.
4. Dogmatische Verankerung des Autonomiekriteriums Auch bei der Selbstgefährdung ist die Verankerung des haftungsbegrenzenden Autonomiegedanken umstritten.
a) Autonomie als Begrenzung der objektiven Sorgfaltspflicht Der Haftungsausschluss bei Veranlassung fremder Selbstgefährdung wird zunächst unter dem Aspekt der objektiven Sorgfaltpflicht diskutiert. Im Rahmen des erlaubten Risikos380 liegende Handlungen bzw. sozial übliche Handlungen381 seien von der Haftung auszuschließen. Interessant an erstgenanntem Ansatz ist, dass die Lehre vom erlaubten Risiko ihrem Ursprung nach ein abstrakt gefährliches Verhalten nur dann als erlaubt einstuft, weil damit ein besonderer, von der Rechtsordnung gebilligter Zweck verfolgt wird, zu dessen Erreichung die Vornahme der gefährlichen Handlung notwendig ist. Auch das Kriterium der Sozialadäquanz orientierte sich originär an einem abstrakt-generellen Maßstab und bot daher an sich keinen Raum für den Autonomiegedanken. Der Gedanke der personellen Zurechnung im Strafrecht legt aber auf den ersten Blick nahe, die Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährden378 Vgl. Stree, JuS 1985, 179, 184, der den Ingerenzgaranten freilich ausnimmt, da das Opfer diesem endgültig die Verantwortung abgenommen habe. Dies überzeugt, sofern man davon ausgeht, dass seitens des Ersthandelnden angesichts der Autonomie des Opfers schon gar keine Ingerenzgarantenstellung entstanden ist, was voraussetzt, dass man – der Lehre von dem erlaubten Risiko folgend – davon ausgeht, dass die Opferautonomie der Gefahrenveranlassung ihren pflichtwidrigen Charakter genommen hat. Solchenfalls kommt natürlich eine Ingerenzgarantenstellung von vornherein nicht in Betracht. Hiergegen spricht aber, dass die Überlassung der Drogen – insbesondere angesichts des § 29 BtMG, der ja jedenfalls verletzt ist – durchaus als pflichtwidrig bewertet werden muss, so dass es näher liegt, die Opferautonomie nicht schon bei der Tathandlung, sondern erst bei der Erfolgszurechnung zu berücksichtigen. 379 So tendenziell auch Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 65. 380 Vgl. z. B. Engisch, Vorsatz, 1930, S. 287 f.; Jescheck / Weigend, AT, S. 573; Herzberg, Unterlassung, 1972, S. 305; ähnlich NK-Puppe, vor § 13, Rn. 129 f. 381 Welzel, ZStW 58 (1939) 491, 517, der völlig sozial-normale Tätigkeiten von vornherein aus den Deliktstatbeständen ausscheiden möchte. Vgl. ferner den Gastwirtfall BGHSt 19, 152, 154, in dem eine Haftung des Gastwirts deshalb verneint wurde, weil der Alkoholausschank sich als sozial übliches und von der Allgemeinheit gebilligtes Verhalten darstelle; ferner Welp, Vorangegangenes Tun, 1968, S. 317; Rudolphi, Unterlassungsdelikte, 1966, S. 166; Jakobs, AT, 24 / 17.
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den Rechtsgutsinhabers bei der Bewertung einer konkret-individuellen Gefahrschaffung für ein fremdes Rechtsgut mit zu berücksichtigen. Daher wurden in der Folgezeit sowohl der Gedanke des erlaubten Risikos als auch der der Sozialadäquanz in verschiedener Weise mit dem Gedanken der Gefahrübernahme wegen „Einwilligung“ verbunden: gerade die eigenverantwortliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die Verletzung eigener Rechtsgüter begründe die Sozialadäquanz eines an sich inadäquaten Verhaltens bzw. die Erlaubtheit des Risikos.382 In eine ähnliche Richtung weisen auch die Bestrebungen, die Sorgfaltspflicht unter dem Aspekt der geminderten Schutzwürdigkeit des Verletzten zu verneinen, da dieser seiner Obliegenheit zum Selbstschutz nicht nachgekommen sei und das Strafrecht dort subsidiär sei, wo mildere Rechtsschutzmöglichkeiten gegeben sind.383 Diese Ansätze, welche den Gedanken der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mit dem Institut des erlaubten Risikos bzw. der Sozialadäquanz verbinden, erscheinen jedoch nicht unbedenklich: sowohl das Kriterium des erlaubten Risikos als auch das der Sozialadäquanz dienten ja ursprünglich dazu, bestimmte Handlungen aufgrund generell-abstrakter Erwägungen für strafrechtlich irrelevant zu erklären. Verquickt man diesen Ausgangspunkt mit einer konkret-individuellen Betrachtungsweise, so wird die Besonderheit der Selbstgefährdungsfälle gegenüber den Standardfällen des erlaubten Risikos nivelliert. Derjenige, der einen anderen zur Teilnahme an einem gefährlichen Motorradwettrennen auf einer unübersichtlichen Wegstrecke bewegt, überschreitet nämlich das grundsätzlich mit der Teilnahme am Straßenverkehr verbundene Risiko ohne Not erheblich. Dass eine derartige Risikosteigerung an sich durchaus nicht von der Rechtsordnung gebilligt wird, tritt wesentlich klarer zu Tage, wenn die gegebenenfalls haftungsausschließende Selbstgefährdung erst später, also sozusagen auf zweiter Stufe im Zuge eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Berücksichtigung findet. Schließlich bleibt zu bedenken, dass das erlaubte Risiko dazu dient, eine prinzipiell extensive Haftung des Dritten normativ einzuschränken. Die hier vertretene Auffassung verfolgt demgegenüber einen restriktiven Haftungsansatz, der nur in Ausnahmefällen erweitert werden soll – nämlich dann, wenn es an der Freiheit der Suizidentscheidung fehlt und der Dritte zudem in einer mittelbare Täterschaft begründenden Weise für diese Unfreiheit verantwortlich ist. Es geht also gerade darum, ausnahmsweise eine extensive Haftung zu begründen, nicht aber darum, sie 382 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 95 f.; Maurach / Gössel / Zipf, AT II, § 43, Rn. 49. Ähnlich auch Preuß, Risiko, 1974, S. 147 ff.; Geppert, ZStW 83 (1981), 947, 996, der allerdings den Terminus der Einwilligung als unpassend ablehnt und statt dessen den Begriff der freiwilligen Selbstgefährdung heranzieht. Dem Gedanken nach macht dies aber keinen wesentlichen Unterschied, obschon der Begriff der „Einwilligung“ – insoweit ist Geppert zuzustimmen – an sich dem Gebiet der Fremdgefährdung entstammt. 383 P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, 1973, S. 86 ff., demzufolge der Strafgesetzgeber nicht ein Rechtsgut an sich schützen wolle, sondern das Interesse des Rechtsgutsinhabers an diesem Schutz. Ähnlich bereits R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit, 1972, S. 22 ff., 82 ff.
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ausnahmsweise auszuschließen. Die Kriterien des erlaubten Risikos und der Sozialadäquanz helfen bei einem solchen Ansatz nicht weiter. b) Autonomie als Begrenzung der objektiven Zurechenbarkeit Die überwiegende Ansicht diskutiert die haftungsbegrenzende Wirkung des Autonomieprinzips daher in unterschiedlicher Einkleidung im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit. (1) Der Schutzbereich der Norm Nach einer beachtlichen Literaturauffassung soll auch im Falle der Selbstgefährdung der Schutzbereich des übertretenen Sorgfaltsgebots über den Haftungsumfang entscheiden.384 Da es kein Gebot der Verhinderung vorsätzlicher autonomer Selbstschädigung gebe, könne erst Recht nichts anderes für die Beteiligung an einer bloßen Selbstgefährdung gelten, sofern diese nur autonom erfolge.385 Hierfür spreche auch, dass die Normen der §§ 222, 229 StGB lediglich Fremdverletzungen erfassen.386 Letzterem ist zu Recht entgegengehalten worden, dass das Opfer der Selbstgefährdung aus Sicht des Veranlassers, dessen Strafbarkeit in Rede steht, durchaus ein „anderer“ im Sinne des § 222 StGB ist.387 Vertritt man im Rahmen der Fahrlässigkeitshaftung einen extensiven Täterbegriff, so müsste die sorgfaltspflichtwidrige Gefahrverursachung daher an sich konsequenterweise bejaht werden, zumal insbesondere in den zahlreichen Fällen des Drogenmissbrauchs angesichts des § 29 I Nr. 1 BtMG die Schaffung eines unerlaubten Risikos zu bejahen ist. Der ausschlaggebende Gedanke kann also nicht in dem Wortlaut der §§ 222, 229 StGB liegen. Maßgeblich ist vielmehr allein die die Sorgfaltspflichtverletzung begründende Verhaltensnorm, also hier die Verbotsnorm des § 29 BtMG. Bei dieser Norm, die zur Vermeidung der mit Betäubungsmitteln einhergehenden Gefahren bestimmte Verhaltensweisen verbietet, müsste aber die Schutzzwecklehre an sich gerade zur Bejahung der Erfolgszurechnung gelangen: immerhin untersagt die Norm den Vertrieb von Drogen angesichts der mit ihrem Konsum verbundenen Risiken.388 Ob der Endabnehmer die Drogen schlussendlich eigenverantwortlich einnimmt oder ob es nur deshalb zu dem Konsum kommt, weil das spätere Opfer von dem Dealer über die Gefährlichkeit der Droge getäuscht wurde, müsste daher 384 Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241, 246; ders., NStZ 1984, 411 ff.; Schünemann, JA 1975, 435 ff.; Fünfsinn, StV 1985, 57 ff.; Kienapfel, JZ 1984, 751 ff.; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit, 1965, S. 143 ff. 385 Rudolphi, Unterlassungsdelikte, 1966, S. 149 f.; ders., JuS 1969, 549, 557. 386 Roxin, FS-Tröndle, 1989, S. 177, 185. 387 Renzikowski, JR 2001, 248 f. 388 So auch Puppe, Jura 1998, 21, 29.
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im Grunde genommen unerheblich sein. Realisiert hat sich nämlich jedenfalls das mit dem Drogenkonsum einhergehende Risiko, dessen faktisches Bestehen nicht von der Autonomie des Opfers abhängt. Dass die Vertreter der Schutzzwecklehre dennoch einhellig die Erfolgszurechnung verneinen, liegt daran, dass die Rechtsordnung gemeinhin niemanden vor sich selbst schützt.389 Dieser Gedanke hat aber nichts mit dem besonderen Schutzzweck des § 29 BtMG zu tun, der nur der Eindämmung der von Drogen ausgehenden Gefahren droht. Die Schutzzwecklehre kommt also – nimmt man sie ernst – nur auf Umwegen zu dem erwünschten Ergebnis.390 Dass § 29 BtMG vor drogentypischen Gefahren schützen soll, zugleich aber auf Wahrung der Opferautonomie gerichtet ist, ist jedenfalls schwer einleuchtend.391 Hinter dem durchaus überzeugenden Ergebnis einer Zurechnungsunterbrechung steht im Grunde nämlich nicht die spezifische Schutzrichtung der einschlägigen Verhaltensnorm, sondern allgemeine Erwägungen zur Unterbrechung der Erfolgszurechnung bei Autonomie des Opfers. Diesem Gedanken kann ehrlicher Rechnung getragen werden, wenn man die Erfolgszurechnung auf einen restriktiven Täterbegriff gründet, womit auch die Unstimmigkeiten der h. M. in der Behandlung von Selbst – und Drittschädigungen behoben wären. (2) Die Beherrschbarkeit des Geschehens Nach Otto entscheidet auch im Falle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung das Kriterium der Beherrschbarkeit über die Erfolgszurechnung. Derjenige, der einen anderen nur zu der Selbstgefährdung veranlasst oder ihn dabei unterstützt, beherrsche das Geschehen „weder aktuell noch potentiell, wenn der andere sich des Risikos voll bewusst ist und freiverantwortlich handelnd den gefährlichen Kausalverlauf steuert“.392 Dem ist zuzugeben, dass in einem solchen Falle tatsächlich kein Verantwortungsgefälle zwischen Gefahrveranlasser und sich Gefährdendem besteht, wie es etwa für die mittelbare Täterschaft unter Einsatz eines aufgrund Tatbestandsirrtums bloß fahrlässig handelnden Werkzeugs charakteristisch ist. Hat der Gefahrveranlasser keine überlegene Vermeidemacht im Vergleich zum sich Gefährdenden, so scheidet in der Tat eine fahrlässige mittelbare Täterschaft mangels Beherrschung des Werkzeugs aus. Insofern kann der restriktive Täterbegriff durchaus im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit fruchtbar gemacht werden. Zu diesem Gedanken Stree, JuS 1985, 179, 181. Die Kritik der Schutzzwecklehre richtet sich – das sei hier betont – allein gegen ihre Tauglichkeit zur Bewältigung der Fälle mittelbarer Erfolgsverwirklichung. 391 Puppe, Erfolgszurechnung, 2000, S. 166 stuft die Norm daher als solche ein, bei deren Schaffung der Gesetzgeber dem Einzelnen gegen seinen Willen Vernunft aufgezwungen und den anderen in gewissen Grenzen zu seinem Vormund gemacht hat. 392 Otto, FS-Maurach, 1972, S. 91 ff.; ders., JuS 1974, 702, 706; ders., Jura 1984, 536, 540; ders., FS-Lampe, 2003, S. 491, 497. 389 390
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c) Autonomie als Begrenzung der Täterschaft Renzikowski löst die Frage der Zurechenbarkeit bei Selbstgefährdung ebenfalls über den restriktiven Täterbegriff, ohne freilich die Thematik im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit zu verankern. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass nur der restriktive Täterbegriff die „Straflosigkeit der Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ begründen könne.393 Der Veranlasser sei aber nur dann straflos, wenn der sich selbst Gefährdende sich autonom für die Rechtsgutsverletzung entschieden habe. Anderenfalls nimmt Renzikowski eine Zurechenbarkeit des mittelbar bewirkten Erfolges unter Anwendung von § 25 I Alt. 2 StGB an. Diesbezüglich stützt er sich auf eine Formulierung des BGH, der zufolge dem Veranlasser der Erfolg der Selbstgefährdung dann zugerechnet werden können soll, wenn er im Vergleich zum Opfer mit „überlegenem Wissen“ gehandelt hat. Dass dieser Lösungsweg mit dem Gesetz durchaus im Einklang steht, wurde bereits ausführlich erörtert.
d) Autonomie als Rechtfertigung Die Eigenverantwortlichkeit des Opfers soll nach Ansicht derer, die der Einwilligungslösung folgen und der Einwilligung rechtfertigende Wirkung zusprechen, die Strafbarkeit des Veranlassers unter dem Aspekt der Rechtfertigung ausschließen. Dieser Lösung kann jedoch aus den bereits genannten Gründen nicht gefolgt werden: das Opfer willigt nicht in den Erfolg, sondern bloß in das Risiko ein; auch unterscheidet sich die Selbstgefährdung wesentlich von der Fremdgefährdung dadurch, dass das Opfer selbst – nicht ein Dritter – das Geschehen in den Händen hält und von daher die Einwilligungsregeln nicht recht passen wollen. Ein Ausschluss der Rechtfertigung könnte allerdings auch unter dem Aspekt des erlaubten, gerechtfertigten Risikos in Betracht kommen. Nach der Lehre vom gerechtfertigten Risiko394 sollen Rechtsgutsverletzungen, die auf sozial normalen, aber gefahrträchtigen Verhaltensweisen beruhen, kein Unrecht darstellen, wenn das Opfer einen Eigenanteil an der Mitverursachung von Gefahr und Erfolg trägt und alle in der konkreten Situation möglichen Vorkehrungen getroffen wurden, um einen deliktischen Erfolg zu vermeiden. Letztendlich werden hier Elemente der Sozialadäquanz mit dem Gedanken der Einwilligung verbunden,395 was aber unter dreierlei Aspekten problematisch erscheint: erstens entstammen die Fälle, die von der Lehre des gerechtfertigten Risikos beleuchtet werden, im Wesentlichen dem Renzikowski, JR 2001, 248 f. Ausführlich zum erlaubten Risiko als Rechtfertigungsgrund Sch / Sch-Lenckner, vor § 32, Rn. 100; Schmidhäuser, LB AT, 6 / 107; mit Einschränkungen auch Preuß, Risiko, 1974, S. 30, 46 ff.; ablehnend Kienapfel, Risiko, 1966, S. 22 ff., 26 ff.; LK-Hirsch, 11. Auflage, vor § 32, Rn. 33 m. w. N. 395 Walther, Eigenverantwortlichkeit, 1991, S. 40. 393 394
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Bereich der einverständlichen Fremdgefährdung396 und sind damit nach der hier vertretenen Auffassung für die eigenverantwortliche Selbstgefährdung nicht ohne weiteres verwertbar; zweitens kann die Einwilligung in eine Gefährdung die Erfolgszurechnung nicht ausschließen und drittens müsste die Sozialadäquanz des gefahrträchtigen Verhaltens an sich schon zu einem Tatbestandsausschluss führen. Bereits diese Gründe sprechen – abgesehen von der generellen Frage, ob es einen eigenen Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos gibt – gegen diese Lösung.
III. Die Schädigung Dritter bei Rettungshandlungen Einen Sonderfall in der Fallgruppe der Selbstgefährdung durch das Opfer bilden die Fälle, in denen das Opfer bei einer fremdnützigen Rettungshandlung zu Schaden kommt. Im Einzelnen ist danach zu differenzieren, ob der Retter aufgrund einer beruflichen Verpflichtung, einer notstandsähnlichen Lage oder aus purem Altruismus zur Rettung eines bedrohten Rechtsguts schreitet.
1. Berufsmäßige Retter a) Beispiel Situationen, in denen berufsmäßige Helfer wie Feuerwehrmänner oder Polizeibeamten bei einer Rettungsaktion verletzt werden, sind relativ häufig. Kommen sie bei einer durch Straftat ausgelösten Rettungshandlung wie etwa einer Brandstiftung zu Schaden, so ist streitig, ob der Erfolg auf einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung beruht. b) Unanwendbarkeit des Autonomieprinzips bei Rettungsverpflichtung Da die Angehörigen dieser Berufsgruppen primär aufgrund ihrer beruflichen Verpflichtung handeln, wird von der h. M. vorgebacht, dass es an einem freien Entschluss zur Gefährdung eigener Rechtsgüter fehle.397 Dem ist zuzugeben, dass die in Rede stehenden Berufsträger von Gesetzes wegen zur Vornahme der Rettungshandlung verpflichtet werden, andernfalls sie als Unterlassungstäter strafbar sind. § 35 I 2 StGB versagt ihnen sogar im Falle der Rettung nahestehender Personen die Vgl. etwa die Bsp. bei Sch / Sch-Lenckner, vor § 32, Rn. 102. W. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 472 ff.; ders., FS-Nishihara, 1998, S. 66, 81; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 15 ff.; SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 80 f.; ders., JuS 1969, 549, 557; Sch / Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 168; LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 182; Wolter, Zurechnung, 1981, S. 344 f.; Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 57, Fn. 191. 396 397
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Berufung auf den normativen Verantwortungsausschluss des § 35 I 1 StGB. Die beruflich zum Helfen verpflichteten Retter haben faktisch also nur die Wahl zwischen Straflosigkeit bei tatsächlicher Gefährdung eigener Rechtsgüter und der Vermeidung etwaiger Risiken bei Unterlassensstrafe. Dieser Bredouille trägt die h. M. Rechnung, indem sie das Autonomieprinzip im Falle der beruflichen Retter zu deren Schutz nicht zugunsten des Ersthandelnden anwendet, so dass dieser für Retterschäden haften muss.398 c) Anwendbarkeit des Autonomieprinzips bei Rettungsverpflichtung Hiergegen ließe sich freilich einwenden, dass bei beruflichen Rettern ausweislich des § 35 I 2 StGB sogar bei persönlicher Betroffenheit der normative Verantwortungsausschluss des § 35 I StGB nicht eingreift. Diese Regelung könnte man als Indiz dafür werten, dass solche Berufsgruppen, die typischerweise von Berufs wegen mit besonderen Gefahren konfrontiert werden, diese als Folge ihrer freien Berufswahl hinnehmen müssen. Daraus wiederum könnte man folgern, dass beruflich zur Rettung Verpflichtete in Anbetracht des § 35 I 2 StGB stets als autonom handelnd einzustufen sind. Dann müssten an sich erst Recht solche beruflichen Retter als frei handelnd betrachtet werden, die – jenseits des § 35 StGB – zur Rettung ihnen unbekannter Personen eilen. Mit der Norm des § 35 I 2 StGB soll jedoch in erster Linie sichergestellt werden, dass die Angehörigen der betroffenen Berufsgruppen im Ernstfalle ihre Pflichten erfüllen, was tatsächlich nur deshalb von ihnen erwartet und verlangt werden kann, weil sie ihren Beruf in Kenntnis der Risiken, also gewissermaßen sehenden Auges ergriffen haben. Die eigenverantwortliche Risikoübernahme liegt also nicht im Ergreifen der Rettungshandlung, sondern vorgelagert im Ergreifen des Berufes, das in eigener Kompetenz und Verantwortung erfolgt.399 Auf den ersten Blick erscheint es daher durchaus sachgerecht, die Haftung des Ersttäters auch in den Fällen einer Rettungsverpflichtung zu begrenzen.400 398 Kritisch in Bezug auf die Annahme der Freiwilligkeit bei rechtlich gebotener Handlung auch Sowada, JZ 1994, 663, 665. 399 Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 411; ders., NJW 1980, 422; ders., JuS 1974, 702, 710. In diesem Sinne bereits Roxin, FS-Honig, 1970, S. 142 f.; ders., FS-Gallas, 1973, S. 241, 247; ders., AT I, § 11, Rn. 115 ff., der zudem damit argumentiert, dass der Gesetzgeber nicht durch Errichtung eines Handlungsgebotes für bestimmte Berufsgruppenträger die strafrechtliche Verantwortung auf Dritte abwälzen dürfe. Diese Argumentation ist aber angesichts der Neufassung von § 306 c StGB fragwürdig geworden. Ähnlich wie Roxin aber auch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 1974, S. 115; Schünemann, JA 1975, 715, 721 f. sowie Schumann, Handlungsunrecht, 1986, S. 70 f. 400 Ganz anders BGH JZ 1994, 687 sowie Jescheck / Weigend, AT, S. 288, die damit argumentieren, dass die Gefährdung des Helfers zur Risikosphäre des Ersthandelnden gehöre. Das Merkmal der Risikosphäre kann aber in den Fällen der Selbstgefährdung gerade nicht weiterhelfen, da es der Autonomie des Helfers keine Bedeutung zumisst.
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d) Stellungnahme § 35 I 2 StGB hat aber nicht den Sinn, die persönlich betroffenen beruflichen Retter im Hinblick auf durch Straftat geschaffene Gefahren rechtlich schutzlos zu stellen, sondern die Befolgung der gesetzlichen Rettungsverpflichtung zu sichern. Mit anderen Worten: Die Retter sollen in Ansehung der ihnen drohenden Unterlassungsstrafbarkeit dazu bewogen werden, ihrer Verpflichtung nachzukommen, so dass eine effiziente Gefahrenabwehr gewährleistet ist.401 § 35 I 2 StGB beabsichtigt dagegen nicht eine Haftungsfreistellung des deliktisch handelnden Ersttäters. Dies zeigt nicht zuletzt die Änderung des § 306c StGB, durch die der Gesetzgeber gerade Feuerwehrleute angesichts der sie treffenden berufstypischen Gefahren unter erhöhten Schutz stellen wollte.402 Die Auslegung des § 35 StGB als in Betracht kommende haftungsbegrenzende Norm ergibt also, dass persönlich betroffene berufliche Retter sich nur aus Gefahrenabwehrgründen nicht auf den Verantwortungsausschluss sollen berufen können. Damit erschöpft sich die Relevanz der Norm in der Frage, ob der berufliche Retter selbst sich gegebenenfalls durch Unterlassen der Rettung strafbar gemacht hat, da § 35 I 2 StGB ihn angesichts seiner Verpflichtung nicht exkulpiert. Diese Versagung der Exkulpationsmöglichkeit dient jedoch allein der Erreichung eines bestimmten gemeinnützigen Zwecks und kann nicht gleichgesetzt werden mit dem Bestehen tatsächlicher Autonomie: der Retter handelt nämlich angesichts der ihn treffenden Verpflichtung bei der Rettung faktisch nicht frei. Er darf sich wegen des von ihm gewählten Berufsrisikos lediglich nicht auf seine Unfreiheit berufen. Die Versagung der Exkulpationsmöglichkeit ist aber nicht gleichbedeutend mit der Annahme von Freiheit – sie setzt nämlich gerade Unfreiheit voraus. Dem Ersthandelnden sind demnach über § 25 I Alt. 2 StGB solche Erfolge zuzurechnen, die dem beruflich verpflichteten Retter im Zuge seiner Rettungshandlung entstanden sind.
2. Retter in notstandsähnlicher Lage Von den Fällen beruflicher Rettungsverpflichtung zu unterscheiden sind solche Situationen, in denen der Retter aufgrund einer notstandsähnlichen Zwangslage eigene Rechtsgüter gefährdet. a) Beispiel Zu nennen ist hier etwa das Urteil des BGH vom 8. 9. 1993403, dem – verkürzt – folgender Sachverhalt zugrunde liegt: Der stark alkoholisierte, aber schuldfähige Jakobs, Schuld, 1976, S. 21. Jäger, Examensrepetitorium BT, § 15, Rn. 520; ders., Examensrepetitorium AT, § 2, Rn. 50. 403 BGH NJW 1994, 205 f. 401 402
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Angeklagte hatte des Nachts das Wohnhaus der Familie H angezündet. Als der 22-jährige Sohn S des Hauseigentümers, der sich bei Brandausbruch außerhalb des Hauses befand, das Feuer bemerkte, versuchte dieser, in das Obergeschoss zu gelangen, um entweder „Sachen vor dem Feuer in Sicherheit zu bringen“ oder Menschen zu retten, darunter seinen 12-jährigen Bruder, der – wie S nicht wusste – aber bereits in Sicherheit war. S, der ebenfalls stark alkoholisiert, war, kam bei seinem Rettungsversuch ums Leben. Der BGH hat den Angeklagten unter weitestgehendem Zuspruch der Literatur404 wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung bestraft, da der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit geschaffen habe, dass ein Dritter zu einer sich selbstgefährdenden Handlung veranlasst werde, um ihm nahestehende Personen zu retten. Dahinter steht der Gedanke, dass die Veranlassung der Gefährdung sich in den Retterfällen nicht einverständlich unter Mitwirkung des Opfers vollzieht, sondern die Gefährdung vielmehr die Reaktion auf ein deliktisches, ohne Einverständnis des Opfers vorgenommenes Verhalten bildet.
b) Zurechnung aufgrund des Schutzzwecks der Norm Teile der Literatur405 haben sich dem Urteil des BGH unter Berufung auf den Schutzzweck der Norm angeschlossen. Es gehöre von vornherein zum Gefahrenpotential einer Brandstiftung, dass Familienmitglieder versuchen könnten, Menschenleben und zum Teil auch sicherlich unersetzbare Sachwerte unter Einsatz von Leib und Leben zu retten. Das Urteil des BGH relativiere daher zu Recht in den Retterfällen die Grundsätze zur sogenannten bewussten Selbstgefährdung und grenze diese damit zutreffend von den Fällen des Betäubungsmittelgenusses ab.406 Im Ergebnis ist dieser Ansicht zwar zuzustimmen. Die Begründung vermag aber nicht zu überzeugen: einerseits kann die Reichweite des Schutzbereichs insofern keine Lösung der Regressfrage bieten, als sie gerade das Problem darstellt, sofern man dieses recht vage Kriterium407 überhaupt anerkennt. Die Argumentation mit dem Schutzzweck der Norm ist zirkelschlüssig.408 Andererseits ist fraglich, ob die Rechtsprechung des BGH überhaupt eine Relativierung der Grundsätze der Selbst404 W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 472 ff.; SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 80 f.; für diesen speziellen Fall auch Roxin, AT I, § 11, Rn. 117; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 15 ff.; LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 182. Zu dieser gleichwohl nicht unumstrittenen Entscheidung auch Alwart, NStZ 1994, 84; Amelung, NStZ 1994, 338; Derksen, NJW 1995, 240; NK-Puppe, vor § 13, Rn. 168 ff.; Sowada, JZ 1994, 663. 405 Grundlegend Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 241 ff.; ders., FS-Honig, 1970, S. 132, 143; SK-Rudolphi, vor § 1, Rn. 71 ff.; Rudolphi, JuS 1969, 549, 555 f.; Wolter, Strafrechtssystem, 1984, S. 343 ff. 406 Alwart, NStZ 1994, S. 84; Fahl, JA 1998, 105, 111. 407 W. Frisch, Zurechnung, 1988, S. 82 ff., der das Kriterium des Schutzzwecks als inhaltsleer bezeichnet. 408 So auch Derksen, NJW 1995, 240 f.
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gefährdung bedeutet:409 geht man davon aus, dass eine Selbstgefährdung die Zurechnung ausschließt, wenn sie freiverantwortlich – d. h. in voller Kenntnis der Risiken und aus freien Stücken – erfolgt, so sind damit sicher richtig die Voraussetzungen freien Handelns genannt. Geht man weiter davon aus, dass das Opfer (was zweifelhaft erscheint) hier trotz seiner Alkoholisierung das Risiko überschauen konnte, ist damit aber noch nicht das endgültige Urteil über die Freiheit der Entscheidung gefällt. Genau dies meint der BGH wohl, wenn er darauf abstellt, dass der Täter eine Lage geschaffen hat, in der das Opfer zu einer Rettungshandlung veranlasst werden musste. Maßgeblich kann aber nicht sein, dass das Opfer irgendeine beliebige Rettungshandlung vorgenommen hat, sondern eine solche, die unter einem § 35 StGB vergleichbaren Motivationsdruck stattgefunden hat. Erachtet man diese Norm nämlich zutreffend als normativen Verantwortungsausschluss, weil sich der Täter psychisch in einer Notlage befindet, so ist es nur konsequent, den Gedanken des § 35 StGB auch hier in Bezug auf die Selbstgefährdung des Opfers anzuwenden. Das hat aber mit dem Schutzbereich des § 222 StGB oder auch des § 306b StGB nichts zu tun. Vielmehr beruht der Verantwortungsausschluss darauf, dass der Täter, der in eine dem § 35 StGB entsprechende Lage rettend eingreift und dabei selbst zu Schaden kommt, aus denselben Gründen handelt wie derjenige, der bei seiner Rettungsaktion Dritte verletzt. Beide Male weiß der Rettende, was er tut; allerdings tritt bei der Selbstgefährdung das Risikobewusstsein an die Stelle des Unrechtsbewusstseins. Beide Male überwindet der Rettende die mit diesem Bewusstsein verbundenen Hemmungen angesichts der Notlage der ihm nahestehenden Personen und genau diese psychische Zwangslage spricht dafür, seine Entscheidung normativ als unfreiwillige anzusehen.410 Anders als in den Standardfällen der Selbstgefährdung (z. B. Konsum von Drogen) resultiert der Entschluss zur Eingehung der Gefahr hier nämlich nicht aus freiem Belieben. Damit stellt sich die Selbstschädigung in notstandsähnlicher Lage nicht als freiverantwortlich dar,411 so dass der Ersthandelnde nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft (auch bei fahrlässiger Begehung) zur Verantwortung zu ziehen ist. c) Zurechnung nach den Grundsätzen der Einwilligung Nach anderer Ansicht soll zwar ebenfalls das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit über die Erfolgszurechnung entscheiden. Die Freiwilligkeit von Selbstgefährdungshandlungen könne sich aber nicht an dem auf Fremdschädigungen ausgerichteten § 35 StGB messen lassen, sondern sei analog den Grundsätzen über die Einwilligung zu beurteilen.412 Diese soll nach h. M.413 unwirksam sein, wenn sie So auch Amelung, NStZ 1994, 338. So im Ergebnis auch Otto, FS-E.A.Wolff, 1998, S. 395, 411. 411 Ähnlich Amelung, NStZ 1994, 338. 412 Amelung, NStZ 1994, 338; Walther, Eigenverantwortlichkeit, 1991, S. 102; W. Frisch, NStZ 1992, 1 ff., 62 ff., 64; Otto, FS-Tröndle, 1989, S. 157, 174; Sowada, JZ 1994, 663. 413 Vgl. statt vieler Kühl, AT, § 9, Rn. 35 ff. m. w. N. 409 410
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unter Willensmängeln zustande gekommen ist, welche durch Drohung, Gewalt oder Täuschung herbeigeführt wurden. Für diese Anleihe spricht, dass die Einwilligung für die Beeinträchtigung eigener Rechtsgüter gedacht ist, während § 35 StGB auf die Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter gemünzt ist. Aus diesem Grunde hat § 35 StGB mit Rücksicht auf die unschuldigen Opfer auch strengere Voraussetzungen als die Einwilligung und entbindet den Handelnden nur dann der Verantwortung, wenn er zum Schutze seiner selbst oder ihm nahestehender Personen und im Falle der Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit die Tat begeht. Eine solche Eingrenzung erscheint speziell in den Retterfällen allerdings auch sinnvoll, andernfalls würde der Ersthandelnde für sämtliche Schädigungen haften, die durch das Eingreifen jedweder unbeteiligter Dritter entstehen. Personen, die aber an sich persönlich gar nicht von der Lage betroffen sind, würden damit in ihrer Entscheidung als unfrei erachtet, wofür kein Anlaß besteht, weil sie sich eben nicht in der besonderen Zwangslage des § 35 StGB befinden, sondern die Gefahr aus freien – wenngleich ehrenwerten Motiven – suchen.414 Es mutet denn auch etwas gekünstelt an, wenn man das Antreffen einer allgemeinen Notlage ohne besondere Beziehung zu den gefährdeten Personen als Nötigung zu einer bestimmten Handlung begreifen oder mit einer solchen gleichsetzen wollte.415 Speziell für die Retterunfälle können daher die Grundsätze der Einwilligung den Zurechnungsausschluss nicht begründen.416 d) Zurechnung bei Auslösen einer Rettungspflicht Teils wird auch vertreten, dass die Zurechenbarkeit des Erfolges in den Retterfällen davon abhängt, dass der Ersthandelnde unerlaubt eine fremde Selbstgefährdungspflicht ausgelöst hat. Solchenfalls müsse der Ersthandelnde für die Verletzung des Opfers im Zuge der Rettung haften.417 Als haftungsbegründende Pflichtigkeiten werden Garantenpflichten, aber auch die allgemeine Hilfspflicht des Retters aus § 323c StGB benannt.418 Besteht nicht einmal eine allgemeine Anders Geppert, Jura 2001, 490, 495. So Amelung, NStZ 1994, 338, der einen Vergleich zu dem Fall zieht, dass der Ersthandelnde den Bruder des späteren Opfers mit der Pistole bedroht und ihn so nötigt, das Haus zu betreten. 416 Es wäre allerdings formalistisch, wollte man die Einwilligung allein deshalb ablehnen, weil diese sich nur auf ein künftiges Tun oder Unterlassen, nicht aber ein schon vergangenes (das Entstehen der Gefahr durch Brandlegung) beziehen könne, so aber BGHSt 17, 359 ff. Es geht nämlich nur um eine Analogie, d. h. um eine Anwendung des Rechtsgedankens der Einwilligung. 417 Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 15 f., 34; Rudolphi, JuS 1969, 549, 556 f.; Derksen, Gefahr, 1992, S. 200 ff., 207 ff.; Fiedler, Selbstgefährdung, 1990, S. 187 f.; Zaczyk, Selbstverantwortung, 1993, S. 57; ablehnend Roxin, FS-Honig, 1970, S. 142; ders., FS-Gallas, 1973, S. 246 ff. 418 Derksen, NJW 1995,240, 241, der zusätzlich auch noch verlangt, dass die Rettungshandlung – gemessen an der Wertigkeit der zu bewahrenden Güter und den bestehenden Risiken – verhältnismäßig war. 414 415
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Hilfspflicht, soll die Zurechnung der Retterunfälle dagegen ausscheiden, weil sich die Selbstgefährdung des Retters solchenfalls als „freies Privatvergnügen“ darstelle.419 Richtig an dieser Ansicht ist, dass jedenfalls beruflich zur Rettung Verpflichtete in der Regel angesichts der sie treffenden Gefahrtragungspflicht zur Rettung tätig werden. Hier ist also tatsächlich das Bestehen der besonders stark ausgeprägten Gefahrtragungspflicht maßgeblich für die Annahme einer unfreien Entscheidung. Im Übrigen kann aber nicht das Bestehen irgendeiner allgemeinen Pflicht ausschlaggebend sein für die Verneinung von Autonomie: entscheidend ist vielmehr, ob sich der Private in einer Notstands- oder zumindest notstandsähnlichen Lage befindet, was nicht primär von der rechtlichen Pflichtenstellung, sondern vielmehr von der psychischen Zwangslage abhängt. Richtig an der „Pflichtenlösung“ ist freilich die Schlussfolgerung, dass derjenige, den keinerlei Garanten- oder allgemeine Hilfspflicht trifft, sich regelmäßig auch nicht in einer dem § 35 StGB entsprechenden Situation befinden wird, so dass ein altruistisch motiviertes Einschreiten in der Tat als autonom und daher haftungsbegrenzend zu bewerten ist.
e) Die Billigung der Rettungshandlung durch die Rechtsordnung Wolfgang Frisch beurteilt die Frage, ob das Erstverhalten tatbestandsmäßig ist,420 anhand einer Kombination der bisher genannten Kriterien. Tatbestandsmäßig sei das Erstverhalten, wenn die Veranlassung einer Situation, in der Selbstgefährdungen nahe liegt, nach dem Schutzzweck der Norm verboten ist.421 Dies sei der Fall, wenn ein (Schutz)interesse des betroffenen Rechtsgutsträgers am Unterbleiben der Handlung besteht, in deren Gefolge es zu einer Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter kommen kann. Ein solches Schutzinteresse fehle zwar bei der Selbstgefährdung durch einverständlichen Akt (etwa im Fall des Drogenkonsums),422 nicht aber bei den Retterfällen. Unproblematisch seien insofern von vornherein die Fälle, in denen die Personen nach ihrer Rolle, aufgrund von Garantenpflichten oder der allgemeinen Hilfspflichten nach § 323c StGB zur Rettung verpflichtet seien.423 Soweit keine Handlungspflicht des Retters besteht, sei eine Erfolgszurechnung gleichwohl möglich, wenn das Fehlen einer gesetzlichen Verpflichtung nur auf dem Gedanken der Unzumutbarkeit beruht, die Rettungshandlung an sich aber gleichwohl erwünscht ist, d. h. wenn bei einer Gesamtabwägung der Risiken und Chancen das RettungsSchünemann, JA 1975, 185, 192. W. Frisch, NStZ 1992, 62. 421 W. Frisch, FS-Nishihara, 1998, S. 66, 77 ff. 422 Frisch verneint in diesem Fall bemerkenswerterweise bereits das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Handlung, nicht erst die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges. Vgl. ders., NStZ 1992, 1, 5. 423 Hierzu auch W. Frisch, NStZ 1992, 1, 3. 419 420
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vorhaben sinnvoll und vernünftig erscheine.424 Diese Grundsätze sollen auf die fahrlässige Schaffung der Notlage freilich nicht ohne weiteres übertragbar sein.425 Gegen diese Lösung melden sich verschiedene Bedenken: letztlich beurteilt Frisch die Tatbestandsmäßigkeit der Ersthandlung als Kriterium der Erfolgszurechnung nur danach, ob die Rechtsordnung ein Eingreifen des Dritten verlangt oder zumindest erwünscht. Die etwaige Autonomie bei der Entscheidung zur Rettung tritt demgegenüber völlig in den Hintergrund. Es wird völlig bedeutungslos, ob der Retter als Unbeteiligter aus bloßer Philantropie und damit auf eigenes Risiko handelt, oder ob er sich in einer existentiellen Notlage wie der in § 35 StGB umschriebenen befindet und durch die Umstände psychisch förmlich zur Eingehung der Selbstgefährdung getrieben wird. Wie bereits ausführlich in zahlreichen Konstellationen gezeigt, kann die Zurechnung eines Erfolges im Strafrecht aber nur damit begründet werden, dass der Erfolg und die zum Erfolg führende Handlung sich als Willenswerk des Handelnden darstellen. Dies ist bei einer Selbstgefährdung „ohne Not“ der Fall, nicht aber bei einer Selbstgefährdung in einer notstandsähnlichen Lage, wie aus dem Gesetz ganz klar hervorgeht. Bedenken an einer Tatbestandskonturierung qua Interessenabwägung426 bestehen auch insoweit, als das Verhältnis von Tatbestands- und Rechtfertigungsebene verunklart wird: zwar liegt auch der Entscheidung, welches Verhalten strafbewährt sein soll, ganz klar eine Interessenabwägung zu Grunde. Diese findet aber im Vorfeld der Tat (namentlich im Gesetzgebungsverfahren), also ohne konkreten Fallbezug, statt. Erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wird der Blick darauf gerichtet, ob das individuelle Verhalten ausnahmsweise erlaubt ist. Erst hier kommen Kategorien wie die „Verhältnismäßigkeit im konkreten Fall“ zum Einsatz. Frisch selbst sieht dieses Problem der Abgrenzbarkeit von Tatbestands- und Rechtfertigungsebene zwar und möchte die Interessenabwägung auf Tatbestandsebene ganz allgemein halten und die dem Gedanken des überwiegenden Interesses verpflichteten Rechtfertigungsgründe erst auf zweiter Stufe eingreifen lassen.427 Da Frisch allerdings bereits auf Tatbestandsebene die Sinnhaftigkeit des Geschehens im Einzelfall prüfen möchte, kann von einer abstrakten Tatbestandskonturierung nicht mehr die Rede sein. Es werden nämlich Erwägungen, die der Rechtfertigungsebene 424 W. Frisch, FS-Nishihara, 1998, S. 66, 82, 85; ähnlich ders., Zurechnung, 1988, S. 160. In diesem Sinne auch Rudolphi, JuS 1969, 549, 557, der darauf abstellt, ob die Rechtsordnung die Rettungshandlung gutheißt, was er nur im Falle eines krassen Mißverhältnisses von erstrebtem Rechtsgüterschutz und aufs Spiel gesetzten Rechtsgütern verneint. Im übrigen heiße die Rechtsordnung aber auch solche Rettungsmaßnahmen für gut, zu deren Vornahme es keine Verpflichtung gebe. Ähnlich auch Sowada, JZ 1994, 663, 665, der den Ersthandelnden dann für Retterschäden haften lassen will, wenn die Rettungshandlung sozial erwünscht war, was er anhand einer an §§ 34 StGB, 228 BGB angelehnten Abwägung von Erhaltungsinteresse und mit dem Rettungsvorhaben verbundenen Gefahr beurteilen will. 425 W. Frisch, FS-Nishihara, 1998, S. 66, 86. 426 W. Frisch, NStZ 1992, 1, 6; ders., Vorsatz, 1983, S. 139 ff. 427 W. Frisch, NStZ 1992, 1, 7.
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angehören, in den Tatbestand gezogen. Hierdurch wird die durch den dreistufigen Deliktsbau erreichte Unterscheidung in allgemein unrechtskonstituierende und ausnahmsweise unrechtsausschließende Elemente zumindest geschwächt. Von dieser ganz grundsätzlichen Kritik einmal abgesehen verwässert Frischs Lösungsvorschlag dort, wo er in einer Gesamtabwägung Chancen und Risiken des Rettungsvorhabens gegeneinander aufwiegen will. Er selbst hält die Grenze für konkretisierungsbedürftig und wirft die (unbeantwortete) Frage auf, ob die Vernünftigkeit des Unterfangens nach objektiven oder subjektiven Maßstäben zu erfolgen habe.428 Hier deutet sich einmal mehr die so oft erstrebte, sorgsam getarnte Einzelfallgerechtigkeit als Lösung aller Probleme an. Dass zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Frisch zögert, den fahrlässigen Veranlasser für den Tod des Retters haften zu lassen – Hintergrund dürfte hier wohl die Erwägung sein, dass der Fahrlässigkeitstäter ja weniger „schlimm“ sei als der Vorsatztäter.429 Dies kann man in dieser Allgemeinheit allerdings durchaus bezweifeln:430 der Verkehrssünder, der des nachts vorsätzlich über die rote Ampel fährt, dabei aber im Bewußtsein seines Verstoßes genau kontrolliert, dass kein Gegenverkehr vorhanden ist, dürfte zumindest objektiv weniger gefährlich sein als derjenige, der in Gedanken die rote Ampel überfährt, ohne dies überhaupt wahrzunehmen. Auch jenseits dieser Erwägungen ist der vorgestellte Ansatz abzulehnen. Die Erfolgszurechnung hängt nicht maßgeblich davon ab, ob eine Handlung rechtlich gefordert oder als sinnvoll erwünscht ist, sondern davon, ob sich der Erfolg als Willenswerk des etwaigen Täters darstellt.
f) Die Erfolgsaussichten der Rettungshandlung Ferner hat die Rechtsprechung431, aber auch Stimmen in der Literatur432 den Haftungsumfang davon abhängig machen wollen, ob die Rettungshandlung sich ex ante bei objektiver Betrachtung als vernünftig darstellt. Eine Fremdverantwortung für sinnlose und unvernünftige Handlungen könne es nämlich nicht geben.433 Solchermaßen freiverantwortlich vorgenommene Handlungen und die daraus resultierenden Schäden seien dem Ersthandelnden damit nicht zurechenbar. Bei der W. Frisch, FS-Nishihara, 1998, S. 66, 85. Vgl. insoweit W. Frischs Formulierung in FS-Nishihara, 1998, S. 66, 86: „Aber geht es nicht vielleicht doch etwas zu weit, bei geringfügigen situativen Versehen eine strafbare fahrlässige Tötung potentieller Retter anzunehmen?“ 430 So auch Neumann, JA 1987, 244, 248. 431 BGHSt 39, 322, 326; BGH NJW 1994, 205. 432 Derksen, NJW 1995, 240 f.; Rudolphi, JuS 1969, 556 f.; tendenziell auch Jakobs, ZStW 89 (1977), 34; P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, 1973, S. 124 f. 433 Ähnlich auch Puppe, Jura 1998, 21, 30, die darauf abstellt, ob der Retter einen vernünftigen und respektablen Grund hatte, sich in die Gefahr zu begeben. 428 429
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Bewertung der Sinnhaftigkeit der Rettungshandlung sei das Motiv des Retters unmaßgeblich; statt dessen sollen die Erfolgsaussichten der Rettung sowie der Rang des zu sichernden Rechtsguts den Ausschlag geben. Insbesondere bei der Sicherung von Sachwerten sei in aller Regel die Rettung als unvernünftig einzustufen, so dass dem Ersthandelnden die dem Retter entstandenen Schäden nicht mehr zurechenbar sein sollen. Dagegen spricht zunächst, dass bei der Berücksichtigung des zu rettenden Rechtsguts doch indirekt zumindest auch die Motive des Retters miteinbezogen werden, deren Beurteilung mehr als beliebig ist. Auch ist es kritikwürdig, die Rettung eines Rechtsguts nur deshalb als „freiwillig“ zu bezeichnen, weil der Retter dabei in riskanter Weise ein Rechtsgut auf ’s Spiel setzt, das andere vielleicht als zu wertvoll ansehen würden.434 Der Rang der preigegebenen bzw. erretteten Güter kann nicht über die Autonomie des Retters entscheiden. Solchenfalls müßte der Retter plötzlich seine Güter in eine Rangfolge bringen, obschon ihm die Rechtsordnung gleichmäßig die Existenz der verschiedenen Schutzobjekte garantiert.435
3. Zusammenfassung Die angestellten Überlegungen haben gezeigt, dass in den Fällen der Retterschäden zu differenzieren ist: Der beruflich zur Rettung Verpflichtete handelt angesichts der ihn treffenden Gefahrtragungspflicht bei der Rettung regelmäßig unfrei; gleiches gilt für private Retter in Notstands- oder notstandsähnlicher Lage. In diesen Fällen kann nicht die Rede davon sein, dass der letztendlich zu Schaden gekommene Retter – wie in den klassischen Fällen der Selbstgefährdung – freiwillig in Bezug auf die Preisgabe seiner Rechtsgüter gehandelt hat. Aus diesem Grunde besteht auch prinzipiell die Möglichkeit, den Ersthandelnden wegen der Schaffung der Gefahrenlage, welche den Betroffenen das Einschreiten förmlich abzwingt, als (gegebenenfalls fahrlässigen) mittelbaren Täter haften zu lassen. Handelt der Retter dagegen aus gänzlich freien Stücken, ohne sich in der geschilderten Notlage zu befinden, so muss von einer freien Selbstgefährdung ausgegangen werden, welche eine Haftung des Gefahrschaffers ausschließt.
4. Auswirkungen auf die Lösung der Vorverschuldensfälle Kehrt man nun zu dem Ausgangspunkt dieses Kapitels zurück, so zeigt die Untersuchung der verschiedenen Fallgruppen deutlich, dass auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte ein restriktiver Täterbegriff gilt, der seine Grenzen findet, wenn 434 435
Amelung, NStZ 1994, 338. Amelung, NStZ 1994, 338.
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der Erfolg vermittels fremder Autonomie herbeigeführt wurde. Eine Ausnahme gilt auch hier wieder nur für den fahrlässigen Beschützergaranten, der (ebenso wie der vorsätzliche Beschützergarant) umfassend für das seiner Obhut unterstehende Rechtsgut zu sorgen hat. Mit anderen Worten: bei Annahme eines restriktiven Täterbegriffs im Bereich der Fahrlässigkeit decken sich Fahrlässigkeits- und Vorsatzhaftung ihrer Reichweite nach im Bereich der Täterschaft, da § 25 StGB auch auf das Fahrlässigkeitsdelikt anwendbar ist. Die Fahrlässigkeitshaftung ist nur insoweit gegenüber der Vorsatzhaftung eingeschränkt, als die Strafausdehnungsgründe der §§ 26, 27 StGB für sie nicht gelten. Dies lässt sich damit erklären, dass die Fahrlässigkeit gegenüber dem Vorsatz die geringere Schuldform darstellt.436
436 M. E. Mayer, Schuldhafte Handlung, 1901, S. 141; Beling, Unschuld, 1910, S. 28 ff.; Großmann, Grenze von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1924, S. 15 f.; Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1930, S. 50.
Kapitel 5
Übertragung auf die Fälle fahrlässigen Vorverschuldens Ausgehend von der Prämisse, dass Vorsatz- und Fahrlässigkeit einen identischen Haftungsumfang haben, soll nun untersucht werden, ob auch im Falle fahrlässigen Vorverschuldens eine Erfolgszurechnung wegen Verlusts der Tatherrschaft in Betracht kommt.
§ 1 Anwendbarkeit von § 25 I Alt. 1 StGB Als täterschaftsbegründende Norm kommt allein § 25 I Alt. 1 StGB in Betracht, da § 25 I Alt. 2 weder seinem Wortlaut noch seinem Gedanken nach auf die Vorverschuldensfälle anwendbar ist. Insoweit kann auf die Ausführungen zum vorsätzlichen Vorverschulden verwiesen werden, da § 25 I StGB nicht zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tatbegehung unterscheidet und mit einer Modifikation des Tatherrschaftsgegenstands durchaus auf das Fahrlässigkeitsdelikt angewandt werden kann.
I. Fahrlässige Täterschaft und Tatherrschaft Diese Modifikation ist nötig, weil der Fahrlässigkeitstäter keine finale Tatherrschaft ausübt. Trotzdem stellt sich die fahrlässige Tat als Äußerung eines freien Willens dar und unterscheidet sich nur durch die mangelnde subjektive Verknüpfung von Handlung und Erfolg von der vorsätzlichen Tat.1 Hinsichtlich seines Verhaltens übt der Fahrlässigkeitstäter jedoch durchaus aktuelle Tatherrschaft aus; er handelt bei der bewussten Fahrlässigkeit sogar final in Bezug auf die Sorgfaltspflichtverletzung. 2 Bei der unbewussten Fahrlässigkeit hat er immerhin natürliches Handlungsbewusstsein und ist daher Herr seines Verhal1 Vgl. auch Hirsch, ZStW 94 (1981), 831, 857 ff.: „Zunächst ist einmal festzustellen, dass auch beim fahrläßigen Delikt eine wirkliche finale Handlung vorliegt. Deren Finalität bezieht sich nicht auf den Erfolg, „sondern auf ein dem Erfolg vorgelagerten [s] finalen [s] Tun“. 2 Vgl. Wolter, Zurechnung, 1981, S. 309, der die bewusste Fahrlässigkeit daher dem bedingten Vorsatz gleichstellen will. Das führt aber zu weit, denn der dolus eventualis-Täter nimmt die Erfolgsverwirklichung – anders als der Fahrlässigkeitstäter – billigend in Kauf.
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¨ bertragung auf die Fa¨lle fahrla¨ssigen Vorverschuldens Kap. 5: U
tens.3 Er steuert es lediglich nicht auf einen Erfolg hin, obwohl ihm dies möglich wäre. Nur in Bezug auf den Erfolg übt der Fahrlässige also bloß potentielle Tatherrschaft aus. Der im Vergleich zum Vorsatzdelikt eingeschränkte Bezugspunkt der Tatherrschaft (nur das Verhalten, nicht auch der Erfolg) ergibt sich aus der Natur der Fahrlässigkeit. Da der Gesetzgeber die Fahrlässigkeit als eigene Deliktsform ausgestaltet hat, bestehen auch keine Bedenken, den Begriff der Tatherrschaft hier allein auf das Verhalten des Täters, nicht aber auch auf den Erfolg zu beziehen.
II. Die potentielle Tatherrschaft als Ausdruck von Freiheit Daher versteht es sich, dass auch die fahrlässige Willensäußerung eine freie Persönlichkeitsäußerung des nachlässigen Willens ist. Sie unterscheidet sich nur durch ihren Bezugspunkt von der vorsätzlichen Willensäußerung. Der Täter ist zudem nur dann wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn für ihn die Möglichkeit des Erfolgseintritts objektiv vorhersehbar war und er den Erfolg hätte vermeiden können. Beides setzt voraus, dass der Täter potentiell überhaupt imstande ist, eine entsprechende Voraussicht und demgemäß ein Unrechtsbewusstsein zu bilden und sich im Sinne dieser Erkenntnis auf die Vermeidung des Erfolges hin zu verhalten. Sowohl bei der fahrlässigen actio vel omissio libera in causa als auch bei der schuldhaften Herbeiführung einer Pflichtenkollision hat sich der Täter der Herrschaft über sein Verhalten und der Möglichkeit der Erfolgsvermeidung beraubt und ist daher unfrei geworden: mit dem gänzlichen Verlust der Handlungsfähigkeit ist dem Fahrlässigkeitstäter jede Vermeidemacht von vornherein abgeschnitten. Entsprechend verhält es sich, wenn dem Täter aufgrund einer Pflichtenkollision nur die jeweils geforderte Vermeidehandlung unmöglich wird. Im Falle der Schuldunfähigkeit hat er die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht bzw. einer dementsprechenden Motivierung verloren. Insoweit gelten die zum vorsätzlichen Vorverschulden gemachten Ausführungen entsprechend.
§ 2 Keine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft Diese Parallelität wirft die Frage auf, ob sich auch für den Bereich des fahrlässigen Vorverschuldens eine Erfolgszurechnung wegen schuldhafter Beseitigung der eigenen Tatherrschaft begründen lässt. 3 Schließlich beherrscht der Täter auch im Falle unbewusster Fahrlässigkeit das Geschehen kraft seines Willens; ohne den Willensinhalt könnte gar nicht bestimmt werden, was Gegenstand des Sorgfaltswidrigkeitsurteils sein soll.
§ 2 Keine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft
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I. Problemstellung Für eine solche Zurechnung spricht zunächst, dass sich auch der Fahrlässigkeitstäter – wie gezeigt wurde – der Herrschaft über sein Verhalten berauben kann. Damit entfällt zugleich die potentielle Tatherrschaft als Möglichkeit zur Vermeidung des Erfolges. Dies allein genügt aber nicht für die Erfolgszurechnung. Der Täter müßte sich bei Beseitigung der Tatherrschaft im Versuchsstadium befunden haben.4
II. Der Versuch bei den Fahrlässigkeitsdelikten Zwar steht der Konstruktion eines fahrlässigen Versuchs zumindest bei der bewussten Fahrlässigkeit nichts entgegen,5 denn der Täter kann nach seiner Vorstellung von der Tat sehr wohl zur Ausführung der Sorgfaltspflichtwidrigkeit ansetzen. Bei der unbewussten Fahrlässigkeit setzt der Täter allerdings lediglich mit allgemeinem Handlungsbewusstsein zur Ausführung einer aus seiner Sicht strafrechtlich neutralen Handlung an, er hat also kein „Tatbewusstsein“ im Sinne von Unrechtsbewusstsein.6 Die Diskussion um die Möglichkeiten eines fahrlässigen Versuchs erübrigt sich de lege lata jedoch deshalb, weil das Gesetz einerseits nicht zwischen unbewusster und bewusster Fahrlässigkeit unterscheidet, andererseits aber den Versuch gem. § 23 I StGB nur bei Verbrechen stets unter Strafe stellt, während bei Vergehen i. S. v. § 12 II StGB die Strafbarkeit des Versuchs gesetzlich angeordnet sein muss. Sämtliche Fahrlässigkeitstaten des StGB stellen jedoch Vergehen dar, so dass es hier zwar faktisch eine der Tatbestandsverwirklichung vorausgehende Versuchszone gibt. Diese ist aber rechtlich irrelevant und kann daher auch nicht als Anknüpfungspunkt der Erfolgszurechnung dienen. Daher kommt eine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft bei fahrlässigem Vorverschulden nicht in Betracht.
4 Ähnlich argumentiert auch Horn, StV 1997, 264, 265: „Das (schuldhafte) fahrlässige Verursachen eines tatbestandsmäßigen Erfolges erfüllt den Tatbestand eines Erfolgsdelikts nur, wenn das gleiche Verhalten – unterstellt, der Täter hätte hierbei den entsprechenden Erfolgsverursachungs-Vorsatz aufgewiesen, die Voraussetzungen des Versuchsbeginns erfüllen würde.“ Zustimmend auch Hoyer, GA 2008, 711, 722, der es auch bei dem Fahrlässigkeitsdelikt als unzulässig ansieht, im Kausalstrang zeitlich ad infinitum zurückzugehen. 5 Zur Anerkennung eines subjektiven Tatbestandes bei bewusster Fahrlässigkeit auch Roxin, AT I, § 24, Rn. 73; anders zu Unrecht Übler, actio libera in causa, 2003, S. 147. 6 Daher wird teilweise die Forderung nach der Straflosigkeit unbewusster Fahrlässigkeit laut, vgl. etwa Köhler, AT, S. 178 ff.; A. Kaufmann, Schuldprinzip, 1976, S. 156 ff., 162.
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III. Der Versuch bei den erfolgsqualifizierten Delikten Zu untersuchen bleibt, ob eine Erfolgszurechnung wegen schuldhafter Aufgabe der Tatherrschaft im Rahmen der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen in Betracht kommt. Angesprochen sind damit die erfolgsqualifizierten Delikte. Hierbei handelt es sich um vorsätzliche Straftaten, deren Begehung einen weiteren, schwereren Erfolg nach sich zieht und die daher einem erhöhten Strafrahmen unterliegen.7 § 18 StGB verlangt dabei, dass dem Täter hinsichtlich der Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt. Die erfolgsqualifizierten Delikte setzen sich also (wie etwa die Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB zeigt) aus einem vorsätzlichen Grunddelikt und einer hierdurch verursachten fahrlässigen Folge zusammen. Dies wirft die Frage auf, wie sich der Täter strafbar macht, wenn er bei Begehung des Grunddelikts, aber noch vor Eintritt der besonderen Folge die Tatherrschaft über sich verliert. Ein Beispiel möge das Problem verdeutlichen: T möchte seinem Rivalen einen Denkzettel verpassen und ihn verletzen, aber nicht töten. Da er Skrupel vor der Tatausführung hat, lädt er sein Opfer zu einem vermeintlichen Aussöhnungsgespräch ein, bei dem sich beide (wie von T geplant) stark betrinken. T weiß, dass er im Zustand der Trunkenheit zu starken körperlichen Aggressionen neigt und hat sich daher vorsorglich ein Messer eingesteckt. Tatsächlich wird er durch den Alkoholgenuss derart enthemmt, dass er auf seinen Gast losgeht und ihm das Messer einmal tief in die Seite sticht. Daraufhin verblutet das Opfer, was T, der das Ausmaß des von ihm angerichteten Schadens nicht mehr überblicken kann, nicht gewollt hat. Eine Strafbarkeit des T gem. § 212 StGB wie auch gem. §§ 212, 13 StGB scheitert mangels Tötungsvorsatzes. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 StGB. In dem Moment, in welchem der Täter zur unmittelbaren Tatausführung (Körperverletzung) ansetzte, war er allerdings schuldunfähig. Jedoch gibt es aufgrund von § 22 StGB bei den Vorsatzdelikten eine der unmittelbaren Tatbestandsverwirklichung vorgelagerte Versuchszone, die ebenfalls zur „Tat“ gehört. In diese Versuchszone ist der Täter in dem Moment eingetreten, in dem er zur Beseitigung seiner Tatherrschaft angesetzt hat. Daher kann im Hinblick auf §§ 223, 224 StGB eine Erfolgszurechnung nach den Grundsätzen über die vorsätzliche Beseitigung der Tatherrschaft erfolgen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dem T auch eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB angelastet werden kann, was mitentscheidend für die Frage ist, ob eine Strafbarkeit nach § 227 StGB in Betracht kommt. Maßgeblich hierfür ist, ob die Versuchszone des Grunddelikts auch als Anknüpfungspunkt der fahrlässig herbeigeführten besonderen Folge herangezogen werden 7
Roxin, AT I, § 10, Rn. 108.
§ 2 Keine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft
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kann. Hiergegen spricht, dass der Versuch des vorsätzlichen Grunddelikts aus Sicht des Fahrlässigkeitsdelikts strafrechtlich irrelevant ist. Mangels Strafbarkeit des fahrlässigen Versuchs kann das Sich-Betrinken zwecks Körperverletzung nicht als Anknüpfungspunkt für die Zurechnung der fahrlässig herbeigeführten Todesfolge dienen. Die fahrlässige actio libera in causa lässt einen Rückgriff auf den Versuchsbeginn, der vor der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung liegt, gerade nicht zu.8 Anders verhält es sich freilich, wenn der Täter seine Tatherrschaft erst im Zuge der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung verliert, wie das folgende Beispiel zeigt: Der Täter will seinem Opfer einen Denkzettel verpassen, ohne es zu töten. Er weiß aber, dass er bei dem Anblick von Blut außer Kontrolle gerät. Verfällt er nun nach dem ersten Stich in einen Blutrausch und tötet das Opfer fahrlässig mit einem zweiten, so scheidet eine Strafbarkeit wegen § 212 StGB bereits mangels Vorsatzes aus. Allerdings kann hier eine Tötung nach § 222 StGB angenommen werden, da es sich bei den beiden einander unmittelbar folgenden Stichen unter Fahrlässigkeitsgesichtspunkten um „eine Tat“ handelt, die sukzessive begangen wurde. Insofern kann hier ausnahmsweise durchaus auf den ersten Teilakt, der bereits unmittelbar zur eigentlichen Tatbestandsverwirklichung gehört, abgestellt werden und der Täter wegen der fahrlässigen Beseitigung seiner Tatherrschaft zur Verantwortung gezogen werden. Dementsprechend ist hier auch eine Bestrafung nach § 227 StGB möglich. Der Unterschied zum vorausgehenden Fall liegt darin, dass der erste Stich bereits unmittelbar gegen das gefährdete Rechtsgut gerichtet ist und eine Teilverwirklichung des Tötungstatbestandes darstellt. Zudem werden beide Messerstiche nach den Grundsätzen der sukzessiven Tatbegehung zu einer Tat zusammengefasst, so dass der Versuch der Tat in ihrer Vollendung aufgeht. Anders verhält es sich im vorausgehenden Fall: dort kann das Sich-Betrinken deshalb nicht in der Tatvollendung aufgehen, weil es nicht unmittelbar gegen das gefährdete Rechtsgut gerichtet ist. Das Sich-Betrinken stellt nur die der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung vorgelagerte Versuchszone dar und kann daher nicht über die Grundsätze der sukzessiven Tatbegehung als Teil der Tatbestandsausführungshandlung angesehen werden. Festzuhalten bleibt, dass eine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft bei den Fahrlässigkeitsdelikten grundsätzlich nicht möglich ist, da die dem Tabestand vorgelagerte Versuchszone dort strafrechtlich irrelevant ist. Anders verhält es sich nur, wenn die Versuchszone – wie bei der sukzessiven Tatbegehung – Teil der eigentlichen Tatbestandsausführung ist und bei wertender Betrachtung nur eine Tat vorliegt, in der der Versuch aufgeht. 8 Anders LK-Schöch, § 20, Rn. 206 mit dem pauschalen Argument, dass Anknüpfungspunkt für die Fahrlässigkeitsschuld jedes in Bezug auf den Erfolg sorgfaltswidrige Verhalten sein könne. Diese These basiert aber auf der Annahme eines für das Fahrlässigkeitsdelikts geltenden extensiven Täterbegriffs, der abzulehnen ist.
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IV. Überprüfung des Ergebnisses Dieses Ergebnis mag aus Sicht der h. M. überraschen. Es findet seine Grundlage allerdings in der Prämisse, dass Vorsatz und Fahrlässigkeit in Bezug auf die Täterschaft grundsätzlich einen identischen Haftungsumfang haben, der geprägt ist vom restriktiven Täterbegriff.9 Ein Durchgriff auf bloß mittelbar erfolgsursächliche Akte kommt daher im Bereich der Vorsatzhaftung nur unter den Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 2 StGB bzw. nach den Grundsätzen über die Haftung wegen Beseitigung der Tatherrschaft im Rahmen von § 25 I Alt. 1 StGB in Betracht. Die letztgenannte Zurechnungsmöglichkeit gibt es bei den Fahrlässigkeitsdelikten deshalb nicht, weil die Versuchsphase dort strafrechtlich nicht von Bedeutung ist, sofern sie nicht mit der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung zusammenfällt.10 Die Erfolgshaftung bei fahrlässigem Vorverschulden ist also im Vergleich zur Erfolgshaftung bei vorsätzlichem Vorverschulden eingeschränkt. Dass die h. M. dies anders sieht, liegt allein daran, dass sie bei der Fahrlässigkeitshaftung einen extensiven Täterbegriff annimmt. Eine solche Zweiteilung des Täterbegriffs lässt sich im StGB aber nicht nachweisen. Auch für das Fahrlässigkeitsdelikt gilt daher ein restriktiver Täterbegriff, der einen Regress auf mittelbar erfolgsursächliche Akte grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB (im Mehr-Personenverhältnis) zulässt.11 In Anbetracht der sich beim Fahrlässigkeitsdelikt ergebenden Problematik einer am Versuchsstadium anknüpfenden Erfolgszurechnung erscheint die unterschiedliche Behandlung von fahrlässigem und vorsätzlichem Vorverschulden nicht zuletzt deshalb gerechtfertigt, weil die Fahrlässigkeit gegenüber dem Vorsatz die geringere Schuldform darstellt.12 Das auf dem restriktiven Täterbegriff basierende Ergebnis ist daher auch unter Strafwürdigkeitserwägungen haltbar, zumal es sich bei Fahrlässigkeitstätern in aller Regel um gesellschaftlich integrierte, sozial unauffällige Bürger handelt. De lege lata macht sich derjenige, der fahrlässig seine Tatherrschaft beseitigt, also nur dann strafbar, wenn er die Tatherrschaft im Zuge sukzessiver Tatbegehung Eine Ausnahme gilt für die Haftung des Beschützergaranten. Gemeint ist damit die sukzessive Tatbegehung, bei der die einzelnen Akte wertend als eine Handlung begriffen werden, so dass sich Versuchs- und Vollendungshandlung nicht voneinander scheiden lassen, obwohl eine solche Trennung bei natürlicher Betrachtung durchaus möglich wäre. 11 Eine Ausnahme bildet neben der bereits erwähnten extensiven Haftung des Beschützergaranten nur die Fallgruppe der sukzessiven Tatbegehung, bei der feilich auch nur bei natürlicher Betrachtung von einer mittelbaren Erfolgsverwirklichung die Rede sein kann. Wertend betrachtet liegt nämlich nur eine sukzessiv zum Erfolg führende Handlung vor, so dass es sich um einen Scheinfall der mittelbaren Erfolgsverwirklichung handelt. 12 Mir Puig, GS-A.Kaufmann, 1989, S. 253, 259. 9
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§ 2 Keine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft
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verliert oder wenn der Verlust der Tatherrschaft für sich genommen unter Strafe gestellt ist, wie es etwa bei der Berauschung mit bestimmten Drogen der Fall ist. Für andere Fälle der fahrlässigen Berauschung (wie etwa der Alkoholisierung) besteht dagegen in gewissem Umfang Straffreiheit, obwohl die Auswirkungen übermäßigen Alkoholkonsums auf die Kontrollfähigkeit des Trinkers hinlänglich bekannt sind. Dieser „Privilegierung“ sozial anerkannter Rauschmittel lässt sich jedoch nicht mit einem extensiven Täterbegriff begegnen. Sofern hier eine ausgedehntere Haftung für erforderlich gehalten wird, könnte eine Lösung in der Einführung eines fahrlässigen Versuchs13 im Wege ausdrücklicher Anordnung oder durch die Anhebung des Strafrahmens i. S. v. § 12 I StGB bei besonders gravierenden Delikten wie § 222 StGB liegen, was beides eine Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der Tatherrschaft ermöglichte. Solange dies nicht der Fall ist, genießt der Trinker und Fahrlässigkeitstäter zugegebenermaßen in gewissem Umfang Schutz vor Strafe. Das ist aber kein Problem des Täterbegriffs, sondern der sozialen Akzeptanz von Alkohol.
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Hierfür auch Lazaro, GA 2005, 700 ff.
Resümee Die vorliegende Darstellung hat versucht, Grund und Grenzen der Erfolgszurechnung bei mittelbarer Rechtsgutsverletzung dogmatisch aufzuarbeiten. 1. In Kapitel 1, § 1 wird der Begriff der mittelbaren Rechtsgutsverletzung zunächst am Beispiel des Vorverschuldens erörtert. a) In diesem Zusammenhang werden Fälle aus Rechtsprechung und Literatur zusammengetragen, die unterschiedlichste Erscheinungsformen des Vorverschuldens aufzeigen. Damit soll einerseits verdeutlicht werden, dass sich die Problematik der Erfolgszurechnung bei Vorverschulden prinzipiell auf jeder Deliktsstufe stellen kann und sich bei weitem nicht auf die aus der Praxis vor allem bekannte actio libera in causa – Konstruktion beschränkt. Andererseits werden schon an dieser Stelle solche Konstellationen ausgeschieden, die zwar unter dem Stichwort des Vorverschuldens diskutiert werden, dieser Kategorie aber nur scheinbar angehören. Hierunter fällt das Vorverschulden bezüglich der Erlangung eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses, der Umgehung von Tatbestandsmerkmalen und der Herbeiführung einer mutmaßlichen Einwilligung. b) Im zweiten Teil von Kapitel 1 folgt eine Auseinandersetzung mit den für das Vorverschulden entwickelten Zurechnungsmodellen. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf das Ausnahme – und das Tatbestandsmodell, die beide unabhängig von der Eigenart des jeweiligen Defekts argumentieren und daher allein als Anknüpfungspunkt für die Entwicklung einer allgemeinen Vorverschuldensdogmatik in Betracht kommen. Wie gezeigt wird, vermögen dabei weder das Ausnahmenoch das Tatbestandsmodell in seiner gängigen Ausprägung die Erfolgszurechnung im Vorverschuldensfalle zu stützen. Dabei verdeutlicht die nähere Auseinandersetzung mit dem Tatbestandsmodell, dass die Vorverschuldensfälle vorschnell in Zusammenhang mit der mittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 2 StGB gebracht werden. Zwar stellt sich in beiden Konstellationen die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein bloß mittelbar zum Erfolg führender Tatbeitrag Täterschaft begründen kann. Dies lässt sich aber nicht einfach unter Rückgriff auf die im Rahmen von § 25 I Alt. 2 StGB für den Versuchsbeginn entwickelte Formel vom „aus der Hand Geben des Geschehens“ beantworten. Bevor Anleihen bei der mittelbaren Täterschaft erfolgen, muss zuerst aufgearbeitet werden, welche Prämissen die täterschaftliche Erfolgszurechnung dort hat. Erst dann können Schlussfolgerungen für die Vorverschuldenskonstellationen gezogen werden, die bei genauer Betrachtung ebenfalls Fälle der mittelbaren Erfolgsverwirklichung darstellen.
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2. Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung ist daher die grundsätzliche Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Täterschaft nach allgemeinen Zurechnungsregeln an bloß mittelbar zum Erfolg führende Akte anknüpfen kann. In Anbetracht der bislang vorherrschenden Auffassung, derzufolge § 25 I Alt. 2 StGB nur im Falle vorsätzlicher Tatbegehung anwendbar ist und also allenfalls Rückschlüsse für das vorsätzliche Vorverschulden erlaubt, widmet sich Kapitel 2 zunächst der vorsätzlich mittelbaren Erfolgsbewirkung. a) In § 1 werden zuerst die in Betracht kommenden Konstellationen vorgestellt. Zu nennen sind hier die Verursachung rechtsgutsverletztenden Drittverhaltens im Rahmen der §§ 25 ff. StGB sowie Fälle, in denen das Drittverhalten nicht durch die in den §§ 25 ff. StGB geschilderte Beeinflussung ausgelöst wurde. Von Relevanz sind auch Fälle, in denen der Täter selbst die Erfolgsverwirklichung durch eigenes, strafrechtlich defizitäres Verhalten herbeigeführt hat. Erwähnung verdienen hier insbesondere der Blutrausch- und der Jauchegrubenfall. Letztgenannte Konstellation ist der des Vorverschuldens insofern am Ähnlichsten, als dass dort ebenfalls nur eine Person den Erfolg (durch verschiedene Akte) bewirkt hat. b) In § 2 erfolgt eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Täterbegriff des § 25 StGB und dem dort entwickelten Zurechnungssystem. Prototyp des Alleintäters i. S. v. § 25 I StGB ist der unmittelbare Täter gem. der Alt. 1, der sowohl Handlungs- als auch Willensherrschaft über das zum Erfolg führende Geschehen innehat. Handlungsherrschaft versteht sich dabei als das Vermögen, einen Geschehensablauf durch Willensäußerung zu beeinflussen, während sich die Willensherrschaft auf die Freiheit der Willensäußerung bezieht. Diese Begriffsbestimmung findet ihre Wurzeln in dem Verantwortungsprinzip, demzufolge strafrechtliche Zurechnung nur möglich ist, wo der Erfolg durch das freie Handeln einer Person bewirkt wurde. Dies ist bei den Vorverschuldenskonstellationen allerdings in Bezug auf die Defekttat gerade zweifelhaft, weswegen die Zurechnung hier vielfach mit einer Anleihe bei der mittelbaren Täterschaft gestützt wird. Auch die Täterschaft nach § 25 I Alt. 2 StGB basiert jedoch auf Tatherrschaft, welche sich aufteilt in Willensherrschaft auf Seiten des Hintermanns und Handlungsherrschaft auf Seiten des Vordermanns. Diese Herrschaftsverhältnisse lassen sich – wie gezeigt wird – auf die Vorverschuldensfälle allerdings nicht übertragen. Eine Ausnahme von der Täterschaft kraft Tatherrschaft findet sich nur im Bereich der Unterlassungsdelikte, welche auf dem Gedanken der Pflichtenstellung basieren. Die Unterlassungstäterschaft beruht dennoch nicht pauschal auf einem extensiven Täterbegriff. Vielmehr findet auch im Bereich des Unterlassens das Verantwortungsprinzip Anwendung, welches eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ermöglicht. Für fremde Taten haftet nur der Beschützergarant als Täter. c) In § 3 wird die Zurechnungsstruktur in Fällen der drittvermittelten Erfolgsverwirklichung jenseits der §§ 25 ff. StGB (also z. B. im Gnadenschussfall) untersucht. Die Frage des Haftungsumfangs stellt sich hier ebenfalls als Problem der Täterlehre dar. Besitzt der Erste über den eigenmächtig handelnden Dritten keine
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Willensherrschaft, so kann ihm ausweislich der in § 25 StGB festgelegten Täterformen der Erfolg auch nicht als eigener zugerechnet werden. Die freie Handlung des Dritten begründet ein Regressverbot, das es unmöglich macht, die Primärhandlung als Tatbegehung i. S. v. § 25 I Alt. 2 StGB zu verstehen. Auch eine Tatbegehung nach § 25 I Alt. 1 StGB scheidet aus, da der Primärhandelnde nur über seine Handlung, nicht aber über den unmittelbar zum Erfolg führenden Akt Tatherrschaft ausübt. d) § 4 widmet sich solchen Fällen, in denen der Täter den Erfolg „durch sich selbst“ herbeiführt, indem er durch seine Primärhandlung eine eigene rechtsgutsverletzende Sekundärhandlung auslöst. Dies betrifft insbesondere den Blutrauschwie den Jauchegrubenfall. Der Blutrauschfall stellt aber nur dann einen Fall mittelbarer Erfogsverwirklichung dar, wenn man von einer rein natürlichen Betrachtung ausgeht und jeden einzelnen Hieb auf das Opfer als eigenständigen Angriff ansieht. Geht man dagegen angesichts der sukzessiven Tatbegehung unter Annahme einer natürlichen Handlungseinheit davon aus, dass nur eine Ausführungshandlung und damit eine Tat vorliegen, so ist es völlig unproblematisch, die Erfolgszurechnung auf den ersten, im Zustand der Schuldfähigkeit ausgeführten Hieb zu stützen. Bei wertender Betrachtung liegt hier also gar keine Regresskonstellation vor. Diese Grundsätze lassen sich freilich auf das Vorverschulden nicht unbesehen übertragen, denn die Defektherbeiführung führt dort allenfalls in den Versuch, während der erste Hieb mit dem Hammer im Blutrauschfall bereits ins Stadium tatbestandlicher Ausführung fällt und damit zeitlich zwischen Versuch und Vollendung anzusiedeln ist. Ähnlich verhält es sich im Jauchegrubenfall, in dem der Täter mit Vornahme des ersten (vorsätzlichen) Akts ebenfalls ins Stadium der tatbestandlichen Teilverwirklichung vorgedrungen ist. Gleichwohl verbietet sich hier die Annahme einer Handlungseinheit, weil der zweite (fahrlässige) Akt nicht mehr mit der ursprünglichen Willensrichtung durchgeführt wurde. Der zweite Akt ist demgemäß auch selbständig als Fahrlässigkeitsdelikt zu bestrafen. Er stellt eine freie Willensäußerung im strafrechtlichen Sinne dar, die einen Regress auf zeitlich vorausgehende Handlungen ausschließt. Auswirkungen hat dies auf die Behandlung der actio dolosa in causa, bei der das Tatbestandsmodell ebenfalls an seine Grenzen stösst. 3. Aufbauend auf den in Kapitel 2 gewonnen Erkenntnissen wird in Kapitel 3 ein eigenständiges Zurechnungskonzept zur Lösung der Vorverschuldensfälle entwickelt. a) Ausgangspunkt ist dabei die in § 1 angestellte Überlegung, dass sich eine Täterschaft dort nur aus § 25 I Alt. 1 StGB ergeben kann, weil § 25 I Alt. 2 StGB explizit nur die Tatbegehung durch einen anderen, d. h. vom Täter verschiedenen Menschen, erfasst. Auch der Gedanke der mittelbaren Täterschaft kann zur Begründung der Erfolgszurechnung im Rahmen von § 25 I Alt. 1 StGB nicht fruchtbar gemacht werden: wie in Kapitel 2 gezeigt wurde, setzt die mittelbare Täterschaft Tatherrschaft voraus. Insofern unterscheidet sie sich durch nichts von dem
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Prototyp der Alleintäterschaft nach § 25 I Alt. 1 StGB. Der Defekttäter gebietet aber zumindest bei der actio vel omissio libera in causa zum Zeitpunkt der unmittelbar zum Erfolg führenden Handlung nicht (mehr) über die aktuelle Tatherrschaft. Allerdings zeigen sowohl der hinlänglich bekannte Bombenleger- als auch Blutrauschfall, dass die täterschaftliche Erfolgszurechnung kein Fortbestehen der Tatherrschaft bis zum Erfolgseintritt voraussetzt. Vielmehr genügt es, wenn die Tatherrschaft bei Eintritt ins Versuchsstadium bestanden hat. Dieses Stadium kann der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung durchaus vorausgehen. Der Begriff des Tatbestandsmodells, der nur auf die unmittelbare Tatausführung abstellt, ist insofern zu eng. Angesichts der Zugehörigkeit des Versuchsstadiums zur Tat ist es richtiger, vom „Tatmodell“ zu sprechen. Eine Täterschaft ohne Ausübung aktueller Tatherrschaft findet sich auch bei der Unterlassungshaftung aus Ingerenz: der Unterlassende beherrscht im Moment der Untätigkeit des Geschehen nicht. Seine in der Vergangenheit liegende Tatherrschaft wird jedoch zur Begründung seiner Hilfsverpflichtung herangezogen. Die für das Unterlassungsdelikt typische potentielle Tatherrschaft führt also erst unter Berücksichtigung der vergangenen Tatherrschaft zur Täterschaft. Der Aspekt des Tatherrschaftsverlusts erinnert schließlich auf den ersten Blick auch an den Jauchegrubenfall, in dem sich die aktuelle Tatherrschaft des mit Vorsatz ausgeführten Primäraktes zur bloß potentiellen Tatherrschaft des Fahrlässigkeitsdelikts verdünnt hat. Da die fahrlässige Willensäußerung jedoch für sich genommen als freie Tat bewertet wird, scheidet ein Regress auf den Primärakt von vornherein aus. Die übrigen Konstellationen zeigen jedoch, dass Täterschaft nicht zwingend den Fortbestand der in der Vergangenheit liegenden Tatherrschaft voraussetzt. Zwar gibt es keine Täterschaft ohne Tatherrschaft. In den hier untersuchten Fällen war die Tatherrschaft jedoch bei Eintritt ins Versuchsstadium, also bei Beginn der Tat, gegeben. Es gibt demnach eine Täterschaft wegen Tatherrschaft über den Ursprung der Tat. b) Dieser Ansatz dient in § 2 zur Lösung der Vorverschuldensproblematik. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass der Täter in den relevanten Konstellationen regelmäßig zunächst Tatherrschaft (also Handlungs- und Willensherrschaft) hinsichtlich seiner eigenen Person hatte. Zumindest durch Herbeiführen der Handlungs- bzw. Schuldunfähigkeit (actio vel omissio libera in causa) hat er diese Herrschaft über sich selbst aufgegeben. Zweifelhaft erscheint der Herrschaftsverlust freilich bei der actio illicita in causa: der gerechtfertigt Handelnde beherrscht sein Verhalten und handelt auch freien Willens, da Nötigungen unterhalb der Schwelle des § 35 StGB die Willensfreiheit nicht aufheben. Die Nichtsanktionierung der gerechtfertigten Tat kann demnach nicht auf dem Gedanken der Unfreiheit beruhen. Vielmehr ist das Absehen von Strafe hier auf Verhältnismäßigkeitserwägungen zurückzuführen. Die Rechtfertigung einer Tat bedeutet nämlich nichts anderes, als dass die Interessen des Angrei-
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fers bei Abwägung der Gesamtumstände der Tat hinter den Interessen des Verteidigers zurückzutreten haben. Dies zeigt sich besonders deutlich an der Interessenabwägung des § 34 StGB. Aber auch die Notwehr enthält Elemente einer Verhältnismäßigkeitsprüfung: der Verteidiger muss unter mehreren gleich geeigneten Mitteln dasjenige wählen, welches die Rechtsgüter des Angreifers am Wenigsten beeinträchtigt. Ferner kann der Verteidiger im Rahmen der Gebotenheitsprüfung zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Angreifers verpflichtet werden, wie etwa die Notwehreinschränkung bei Bagatellangriffen oder besonderem persönlichen Näheverhältnis zeigt. Die in den §§ 32, 34 StGB kodifizierten Erlaubnissätze verstehen sich demzufolge als Normen, die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen und nicht der Unfreiheit des Täters (verstanden als Mangel an Herrschaft über sich selbst) Tribut zollen. Der Gedanke der Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der im Ursprung gegebenen Tatherrschaft verfängt daher hier nicht. Der Verteidiger behält ja die Herrschaft über sich und handelt frei, so dass ein Regressverbot hinsichtlich der vorausgehenden Akte besteht. Das Vorverschulden kann daher nur im Rahmen der Güterabwägung Berücksichtigung finden, nicht aber als eigene Tathandlung herangezogen werden. Doch nicht alle Erlaubnissätze sind dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet. Es gibt auch solche Erlaubnissätze, die ihren Grund im Bestehen fremder Verantwortung haben und daher nicht der Ebene der Rechtfertigung zuzuordnen sind, sondern bereits den Tatbestand ausschließen. Zu nennen ist vor allem die Einwilligung, die die Verantwortlichkeit des Täters zwar nicht aufhebt, aber angesichts der Autonomie des Opfers begrenzt. Der Täter verliert hier (ebensowenig wie im Falle der §§ 32, 34 StGB) die Tatherrschaft über sich selbst: der Arzt, der im Einvernehmen mit dem voll aufgeklärten Patienten eine Operation durchführt, hat selbstverständlich die Herrschaft über sich; er übt sie im Interesse des Opfers aus und wird nur deshalb nicht für den Erfolg zur Verantwortung gezogen. Die Erfolgszurechnung kann daher ebenfalls nicht mit der Beseitigung der ursprünglichen Tatherrschaft begründet werden. Das Vorverschulden kann nur Relevanz für die Frage gewinnen, ob der Arzt Tatherrschaft über seinen Patienten errungen hat, nicht aber dafür, ob er seine Tatherrschaft aufgegeben hat. Alle der bislang angesprochenen Erlaubnissätze vermögen die actio illicita in causa bereits ihrer Struktur nach nicht zu tragen. Als einzige Ausnahme ist nur die schuldhaft herbeigeführte Pflichtenkollision zu nennen. Dieser Erlaubnissatz hat seinen Grund im gänzlichen Fehlen von Verantwortung auf Täterseite und ist daher als Verantwortungsausschluss auf Tatbestandsebene anzusiedeln: die tatbestandliche Verpflichtung zur Rettung besteht nämlich nur dort, wo eine Rettung auch möglich ist. Kann der Täter von mehreren Rechtsgütern nur eines retten, so haftet er im Übrigen nicht, wird also aufgrund einer wertenden Betrachtung im Ergebnis quasi behandelt, als wäre er partiell handlungsunfähig. Im Gegensatz zur faktischen Handlungsunfähigkeit, die das Tatbestandsmerkmal des „Unterlassens“ zu Fall bringt, führt die Unmöglichkeit der
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Errettung aller gefährdeten Rechtsgüter jedoch zu einem Erlöschen der nicht einhaltbaren rechtlichen Verpflichtung. Diese Unterscheidung verdeutlicht, dass die Handlungsunfähigkeit bei der omissio libera allein auf dem faktischen Unvermögen des Täters beruht, während der Täter bei der Pflichtenkollision an sich zwar handlungsfähig ist, aber eben nur einen Teil der erforderlichen Handlungen vornehmen kann, so dass er unter normativen Erwägungen nicht für die Erfolge haftet, die er ohnehin nicht hätte abwenden könne. Hat der Täter sich durch unnötiges Zuwarten vorsätzlich in eine Lage gebracht, in der er nicht mehr alle der ursprünglich gegebenen Rettungsmöglichkeiten ausschöpfen kann, so liegt eindeutig ein Tatherrschaftsverlust vor: der Täter hat nämlich seine Handlungsmöglichkeiten dergestalt begrenzt, dass bei einer Gesamtbetrachtung der erforderlichen Rettungsmaßnahmen ein Teil der Handlungen schlichtweg unmöglich geworden ist. In Anbetracht dessen hat der Täter an Handlungsherrschaft eingebüßt. Die Erfolgszurechnung wegen Beseitigung ursprünglich gegebener Herrschaft kommt daher bei der selbstverschuldeten Pflichtenkollision als Grundlage des Tatmodells in Betracht. Dies ist die einzige Konstellation einer actio illicita in causa, die freilich auf Tatbestandsebene zu prüfen ist. Die Beseitigung der Tatherrschaft kann allerdings nur dann den Grund der Erfolgszurechnung bilden, wenn sie zeitlich ins Versuchsstadium fällt. Erst ab diesem Zeitpunkt liegt strafrechtlich gesehen eine „Tat“ vor. Der Eintritt ins Versuchsstadium bemisst sich dabei nicht anhand der für die mittelbaren Täterschaft geltenden Regeln, die ja auf die Vorverschuldensfälle nicht anwendbar sind. Ausschlaggebend sind allein die im Rahmen von § 22 StGB entwickelten Grundsätze, denen zufolge der Versuch beginnt, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. Zwischen Versuch und Tatbestandsverwirklichung dürfen also keine wesentlichen Zwischenschritte mehr liegen. Der Eintritt ins Versuchsstadium hängt demnach immer vom Einzelfall ab. Er ist z. B. zu bejahen, wenn sich der Ehemann betrinkt, um unmittelbar im Anschluss die im Nebenzimmer schlafende Gattin mit dem bereitgelegten Messer zu morden. Soweit eine Unterlassungshaftung in Rede steht, ist allerdings zu beachten, dass der Versuch dort erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem sich die Pflicht des Garanten wegen der besonderen Gefahrennähe aktualisiert hat. Die Defektherbeiführung muss also in diesen Zeitraum fallen. Schließlich setzt die Erfolgszurechnung wegen Beseitigung der im Ursprung gegebenen Tatherrschaft außer dem Erfolg voraus, dass bei Eintritt ins Versuchsstadium alle Strafbarkeitsvoraussetzungen vorliegen und der Verlust der Tatherrschaft für den Erfolg ursächlich (bzw. im Fall des Unterlassens: hypothetisch ursächlich) geworden ist. Auch die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges muss selbstverständlich gegeben sein. Sind all diese Voraussetzungen erfüllt, so ist dem Defekttäter der von ihm bewirkte Erfolg zuzurechnen. Tathandlung ist die der unmittelbaren Tatausführung vorausgelagerte Versuchshandlung, mit der der Täter sich seiner Tatherrschaft be-
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raubt hat und auf die angesichts der Unfreiheit der unmittelbaren Tatbestandshandlung auch zurückgegriffen werden kann. Es liegt solchenfalls eine Täterschaft nach § 25 I Alt. 1 StGB vor, die man in Anbetracht des Regresses auf die Defektherbeiführung durchaus als eine Form mittelbarer Tatbegehung einstufen kann. Gründet die Erfolgszurechnung auf § 25 I Alt. 1 StGB, so hat dies zur Konsequenz, dass das Tathandlungsmodell entgegen der h. M. auch bei eigenhändigen Delikten verfangen muss. Anders verhält es sich dagegen im Fall der Tätigkeitsdelikte, die nur die unmittelbare Tatbestandsverwirklichung (also die Vornahme der verbotenen Tätigkeit) als Erfolg kennen und keinen davon „abtrennbaren“ Erfolg. Dort beginnt der Versuch nämlich erst in dem Moment, in dem der Täter zur unmittelbaren Tatbestandsverwirklichung ansetzt. Insoweit gibt es kein der Tatbestandsverwirklichung vorausgelagertes Versuchsstadium. Die Defektherbeiführung ist hier also bloße Vorbereitungshandlung. c) Insgesamt haben die Untersuchungen im ersten Teil (Kapitel 1 bis 3) zum Ergebnis, dass die Erfolgszurechnung über das Tathandlungsmodell ihren Grund in der Beseitigung der ursprünglich gegebenen Tatherrschaft hat. Ein solcher Tatherrschaftsverlust ist zu bejahen bei der actio vel omissio libera in causa und bei der actio illicita in causa in Gestalt der vorsätzlich herbeigeführten Pflichtenkollision. Der Regress auf die bloß mittelbar zum Erfolg führende Versuchshandlung ist hier zulässig, weil eine ohne Tatherrschaft (ergo: unfrei) vorgenommene Tatbestandshandlung kein Regressverbot begründen kann. Die Täterschaft ergibt sich aus § 25 I Alt. 1 StGB. Sie findet ihre Grenzen im Bereich der Tätigkeitsdelikte. 4. Der letzte Teil der Untersuchung (Kapitel 4 und 5) widmet sich der Auseinandersetzung mit der Zurechnungsstruktur des Fahrlässigkeitsdelikts. Gilt dort – wie von der h. M. vertreten – ein extensiver Täterbegriff, so kann die Erfolgszurechnung ohne weiteres auch bei bloß mittelbar erfolgsursächlichen Handlungen anknüpfen. Eine Einschränkung des Regresses wie in § 25 I Alt. 2 StGB gibt es dann nicht. Dies ist von gewichtiger Bedeutung für die Lösung der Vorverschuldensfälle: nach h. M. kann dort ein Durchgriff auf die Defektherbeiführung ohne dogmatische Schwierigkeiten erfolgen, da die Fahrlässigkeitsdelikte „tatbestandlich offen“ seien. Des Tatbestandsmodells und der Zuhilfenahme der actio vel omissio libera in causa soll es daher erst gar nicht bedürfen. Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn man mit einer im Vordringen befindlichen Meinung davon ausgeht, dass auch für das Fahrlässigkeitsdelikt ein restriktiver Täterbegriff gilt. Solchenfalls wäre der Bereich täterschaftlicher Haftung bei Vorsatz und Fahrlässigkeit identisch; in beiden Fällen käme eine Täterschaft nur unter den Voraussetzungen des § 25 StGB in Betracht. Damit wären den Durchgriffsmöglichkeiten auf bloß mittelbar erfolgursächliche Handlungen enge Grenzen gesetzt. Die fahrlässige Defektherbeiführung könnte nur dann als Anknüpfungspunkt der Erfolgszurechnung dienen, wenn sie sich als eine Form der Tatbegehung i. S. v. § 25 StGB darstellen ließe.
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Die Diskussion um den Täterbegriff des Fahrlässigkeitsdelikts ist von enormer Mannigfaltigkeit. Die h. M., die prinzipiell eine extensive Haftung bejaht, macht die Haftung des Ersthandelnden regelmäßig auch davon abhängig, ob der Dritte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Für die Gegenauffassung, die von einem restriktiven Täterbegriff ausgeht, spielt die Art des Drittverschuldens dagegen keine Rolle. In Anbetracht der h. M. wird in Kapitel 4 jedoch danach unterschieden, ob der Dritte den Erfolg vorsätzlich oder bloß fahrlässig bewirkt hat. a) § 1 widmet sich der fahrlässigen Verursachung vorsätzlichen Drittverhaltens. In dieser Fallgruppe trachtet auch die h. M. oftmals nach Möglichkeiten, die Haftung des Ersten auszuschließen oder zumindest zu begrenzen. Teils wird das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung verneint, wenn der fahrlässig Ersthandelnde die Tat des Ditten nicht vorhersehen konnte oder er darauf vertrauen durfte, dass kein anderer die von ihm geschaffene Gefahr zur Begehung einer Straftat ausnutzen werde. Teils soll der Erste aber auch nur für solche Erfolge haften, für deren Verhinderung er zuständig gewesen wäre, die also in seinen Rechtskreis fallen. Nach wieder anderer Auffassung hängt die Haftung des Ersthandelnden von den Umständen des Einzelfalls ab, die abzuwägen sind. Andere verneinen dagegen das Bestehen eines Risikozusammenhangs, wenn der Erste eine bloß mittelbare Gefahr für das Rechtsgut geschaffen hat, der Dritte das Ausgangsrisiko modifiziert oder vorsätzlich gehandelt hat. Vor dem Hintergrund der Ausnahmen (Haftungsfreistellung) ist der Grundsatz (Haftung des Ersten) schwer erkennbar. Recht unproblematisch ergibt sich die Nicht-Täterschaft des Ersten dagegen, wenn man auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten einen restriktiven Täterbegriff annimmt. Solchenfalls kommt ein Durchgriff auf bloß mittelbar erfolgsursächliche Handlungen im Mehr-Personenverhältnis nämlich nur im Falle des Beschützergaranten oder bei Vorliegen einer fahrlässigen mittelbaren Täterschaft in Betracht. Dass letztere konstruktiv durchaus möglich ist und nur nicht mit einer final ausgerichteten Tatherrschaft begründet werden kann, wird in § 1 gezeigt. Zugleich ist damit der Nachweis geführt, dass auch im Bereich der Fahrlässigkeit Täterschaftsund Teilnahmeformen voneinander unterschieden werden können und der Wortlaut des § 25 StGB eine Anwendung auf Fahrlässigkeitsdelikte durchaus zulässt. Auch die unterschiedliche Formulierung von Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten vermag – wie ein Blick auf die Geschichte zeigt – die Annahme zweier verschiedener Täterbegriffe nicht zu rechtfertigen. In dogmatischer Hinsicht lässt sich u. a. über einen restriktiven Täterbegriff begründen, warum der fahrlässige Veranlasser für vorsätzliche Selbstverletzungen eines anderen nicht haftet. Diese und weitere Argumente sprechen für die Anerkennung eines restriktiven Täterbegriffs im Bereich der Fahrlässigkeit, der einen Regress auf die Erstverursachung bei freiem Drittverhalten grundsätzlich ausschließt. Unter dieser Prämisse macht es natürlich keinen Unterschied, ob der Erfolg vorsätzlich oder fahrlässig durch einen Dritten vermittelt wurde. Der Ersthandelnde haftet für den Enderfolg nie, wenn nicht ein Fall der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft oder eine extensive Beschützergarantenhaftung vorliegen, die ihre Grenzen
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freilich in der Autonomie des Opfers bei freiverantwortlicher Selbstverletzung findet. Zu anderen Ergebnissen gelangen diejenigen, die die Haftung des Ersthandelnden vom Verschuldensgrad des Drittverhaltens abhängig machen und sich daher grundsätzlich für einen extensiven Täterbegriff aussprechen. b) Eine Auseinandersetzung mit diesem Ansatz findet in § 2 statt. Im Einzelnen werden die verschiedenen Kriterien vorgestellt, mittels derer die extensive Haftung des Erstverursachers ausnahmsweise eingeschränkt werden soll. Zu nennen sind etwa die Vorhersehbarkeit des Erfolges, das Durchgängigkeitserfordernis, die Abstufung nach dem Grad des Drittverschuldens, das Kriterium der Verdrängung der Ausgangsgefahr, die Differenzierung nach der Begehungsweise des Dritten oder Kombinationen der verschiedenen Kriterien. All diesen Ansätzen ist zu Gute zu halten, dass sie vielfältige Ausnahmen und Rückausnahmen erlauben und damit eine hohe Flexibilität für den Einzelfall gewähren. Allerdings geht bei dieser Betrachtung völlig unter, dass auch die fahrlässige Tat eine freie Willensäußerung darstellt. Nach dem Gedanken, dass bei der strafrechtlichen Zurechnung die Freiheit der Person ganz im Vordergrund steht, kann ein Regress auf den Erstverursacher nur unter den Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB in Betracht kommen. In diesem Zusammenhang drängt sich freilich die Frage auf, ob der Dritte auch dann (allein) haftet, wenn er eine in hohem Maße schadensgeneigte Situation antrifft, innerhalb derer er zur Rettung des Rechtsguts tätig werden muss. Angesprochen ist damit vor allem die ärztliche Behandlungstätigkeit, bezüglich derer zunehmend Haftungsprivilegien gefordert werden. Als solche kommen z. B. eine Erweiterung des erlaubten Risikos für gefahrgeneigte Tätigkeiten in Betracht, oder eine Rechtfertigung über die Pflichtenkollision, eine Entschuldigung über einen eigenen Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit oder eine Einschränkung der subjektiven Sorgfaltspflicht. Diskutiert werden ferner eine Privilegierung der Tat auf der Rechtsfolgenseite analog den arbeitsrechtlichen Grundsätzen über die gefahrgeneigte Arbeit oder eine Einstellung des Verfahrens gem. §§ 153, 153a StPO. Unter all diesen Ansätzen ist die Lösung über eine Einschränkung der subjektiven Sorgfaltspflicht vorzugswürdig, denn sie berücksichtigt Unzumutbarkeitserwägungen, die auf der Schuldebene (wie § 35 StGB zeigt) ihren Platz haben, ohne dass ein eigener Entschuldigungsgrund geschaffen werden müsste. Im Falle leicht fahrlässiger ärztlicher Behandlungsfehler, aber auch bei leichter Fahrlässigkeit in Ausübung einer anderen in besonderem Maße gefahrgeneigten Tätigkeit entfällt daher ausnahmsweise unter wertenden Gesichtspunkten (ähnlich wie bei § 35 StGB) der Schuldvorwurf. Diese Lösung ermöglicht einen Regress auf die Erstverursachung unter den Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB. Das Vorliegen einer mittelbaren Täterschaft wird nach der h. M. auch dann bejaht, wenn der Hintermann zwar nicht unmittelbar auf den Willen des Vordermanns einwirkt, aber eine Situation schafft, in der es
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nahe liegt, dass der Vordermann eine unfreie Handlung vornehmen wird. Wertet man die dem Dritten unzumutbare Handlung als unfrei, haftet in dieser besonderen Konstellation nur der Erstverursacher für den Erfolg. Das Modell zeigt, dass die Annahme eines restriktiven Täterbegriffs in Anbetracht des § 25 I Alt. 2 StGB durchaus nicht holzschnitzartig zu einer Alleinhaftung des Dritten führt. c) Berücksichtigung verdienen in diesem Zusammenhang auch die in § 3 untersuchten Fälle der Erfolgsbewirkung durch das Opfer selbst aufgrund fremder Veranlassung. Hierbei handelt es sich um Selbstschädigung und Selbstgefährdung, wobei die Kategorie der Retterunfälle eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Im Fall der fahrlässigen Veranlassung einer Selbstschädigung nimmt die Rechtsprechung überwiegend an, dass der fahrlässige Verursacher nicht oder jedenfalls erst dann hafte, wenn der Suizident die Tatherrschaft über das Geschehen verloren hat. Die Tatherrschaft wachse dann dem Veranlasser (qua Ingerenz oder Beschützergarantenstellung) zu. Damit wird einerseits die autonome Entscheidung des Opfers unterlaufen, andererseits aber die Struktur der Unterlassungshaftung dogmatisch verkannt: das Tatherrschaftskriterium gilt dort gerade nicht. Ebensowenig überzeugt es, wenn die Rechtsprechung das nachträgliche Fehlverhalten des Opfers dem Erstverursacher nur dann nicht zurechnen will, wenn das Opfer bei seiner Entscheidung grob unvernünftig gehandelt hat. Die Literatur hat sich daher überwiegend von der Rechtsprechung distanziert und plädiert in Anbetracht der Opferautonomie für einen Zurechnungsausschluss, was letztlich (zumindest partiell) auf die Anerkennung eines restriktiven Täterbegriffs hinausläuft. Uneinigkeit besteht insoweit nur hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen noch von einer autonomen Entscheidung des Opfers die Rede sein kann. Als Maßstab werden teils die §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG herangezogen, teils sollen aber auch die Grundsätze über die Einwilligung oder das Ernstlichkeitskriterium des § 216 StGB ausschlaggebend sein. Das letztgenannte Kriterium kann keine abschließende Antwort ermöglichen, da die Ernstlichkeit einer Entscheidung i. S. v. § 216 StGB ein Aspekt ist, der zur Eigenverantwortlichkeit hinzutreten muss, diese also nicht näher umschreibt. Auch die Einwilligungsregeln passen nicht recht auf die Selbstschädigung: dort übt der Suizident selbst die Tatherrschaft über das Geschehen aus und kann jederzeit von seinem Vorhaben Abstand nehmen; bei der für die Fremdschädigung geschaffenen Einwilligung hält dagegen ein anderer als das Opfer das Geschehen in der Hand. Das Opfer unterwirft sich fremder Tatherrschaft und ist daher besonders schutzbedüftig, weshalb die Wirksamkeit der Einwilligung schon bei Einwirkungen unterhalb der Schwelle der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG soll entfallen können. Da eine derartige Schutzbedürftigkeit bei der Selbstschädigung nicht besteht, liegt es näher, dort die für die Fremdschädigung konzipierten Exkulpationsregelungen heranzuziehen. Selbstverständlich bedarf die Anwendung der entsprechenden Normen gewisser Modifikationen, da der Selbstschädigung der für das Strafrecht typische Interpersonalbezug fehlt. Insoweit ist z. B. im Rahmen von § 20 StGB die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht bzw. die Fähigkeit, entsprechend dieser Einsicht zu
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handeln, durch die Fähigkeit zu ersetzen, die Bedeutung der Tat richtig einzustufen und sich nach dieser Einsicht zu motivieren. Durch die Anwendung der dergestalt angepassten Normen finden sich klare Kriterien für die Überprüfung der Autonomie. Handelt das Opfer autonom, besteht ein Regressverbot und der Veranlasser der Tat ist straflos. Liegen dagegen die Voraussetzungen des § 25 I Alt. 2 StGB vor, so haftet der Veranlasser. Zu untersuchen bleibt, ob diese Grundsätze auch für die Veranlassung bloßer Selbstgefährdung passen. Auch dort wird von der ganz h. M. bei autonomer Entscheidung des Opfers ein Haftungsausschluss befürwortet. Zum Teil wird dabei auf die Rechtsfigur der Einwilligung rekurriert, die hier freilich noch weniger passt als bei der Selbstschädigung: der sich selbst Gefährdende willigt ja gerade nicht in den Erfolg, sondern nur in gewisse Risiken ein. Eine Einwilligung in die Gefahr im Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolges kann aber nicht die Erfolgszurechnung ausschließen. Daher liegt es auch hier näher, die Autonomie an den Vorgaben der §§ 16, 19, 20, 35 StGB; 3 JGG zu orientieren. Unterschiede zur Selbstschädigung ergeben sich aber in Bezug auf die Relevanz einer Beschützergarantenstellung: während sich der Selbstmörder beim Suizid für den Tod entschieden hat und die Respektierung seines Entschlusses auch dann erwarten darf, wenn er selbst schon die Tatherrschaft über das Geschehen verloren hat, vertraut der sich selbst Gefährdende auf das Ausbleiben des Erfolges. Soweit die Realisierung des Erfolges droht und der sich Gefährdende keine Herrschaft mehr über sich inne hat, ist der Beschützergarant daher zum Einschreiten verpflichtet, denn er handelt damit nicht gegen, sondern im Willen des Opfers. Gesonderter Betrachtung bedarf die Selbstschädigung bzw. Selbstgefährdung in den Retterfällen. Insoweit ist zu unterscheiden nach beruflichen Rettern, Rettern in notstandsähnlicher Lage und rein altruistisch motivierten, prinzipiell unbeteiligten Rettern. Während die völlig unbeteiligten Retter ihre Rechtsgüter zweifelsohne freiwillig der Gefährdung aussetzen, ist dies bei Rettern in einer notstandsähnlichen Lage ersichtlich nicht der Fall. Insoweit kommt also ein Regress auf den Verursacher der Gefahrensituation in Betracht. Problematisch erscheint das Vorliegen einer autonomen Entscheidung damit vor allem im Falle beruflich zur Rettung Verpflichteter: diese haben sich ja immerhin aus freien Stücken für den gefahrenträchtigen Beruf entschieden und können sich sogar bei Bestehen einer für sie notstandsähnlichen Lage nicht auf die Exkulpation des § 35 I 1 StGB berufen. § 35 I 2 StGB hat aber nicht den Sinn, den Verursacher der Gefahrensituation von der Haftung freizustellen, sondern die Funktionsfähigkeit der Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Ausserdem setzt die Versagung einer Exkulpationsmöglichkeit logisch ihr prinzipielles Bestehen voraus. Demzufolge ist die Entscheidung der beruflichen Retter angesichts der sie treffenden Verpflichtung zum Einschreiten normativ als unfrei zu werten. Daher haftet der Erstverursacher auch hier für die Retterschäden. Die in § 3 gefundenen Ergebnisse bestätigen die Geltung eines restriktiven Täterbegriffs bei den Fahrlässigkeitsdelikten.
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5. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Lösung der Fälle fahrlässigen Vorverschuldens, welche den Gegenstand von Kapitel 5 bildet. Haben Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt in Bezug auf die Täterschaft grundsätzlich einen identischen Haftungsumfang, so kommt als täterschaftsbegründende Norm auch bei fahrlässigem Vorverschulden nur § 25 I Alt. 1 StGB in Betracht, da § 25 I Alt. 2 StGB die Tatbegehung „durch einen anderen“, also Personenmehrheit vorausssetzt. a) In § 1 wird zunächst untersucht, inwieweit der Tatherrschaftsgedanke bei der fahrlässigen Tat eine Rolle spielt. Wie gezeigt wird, übt auch der Fahrlässigkeitstäter Tatherrschaft aus, die sich allerdings allein auf sein Verhalten bezieht, ohne dies am tatbestandlichen Erfolgs auszurichten. Hinsichtlich der Erfolgsvermeidung kommt dem Fahrlässigkeitstäter also lediglich potentielle Tatherrschaft zu. Beseitigt der Täter nun die Tatherrschaft über sein Verhalten, so verliert er damit zugleich die Möglichkeit, den Erfolgseintritt aus freiem Willen zu verhindern. Eine Anwendung der für das vorsätzliche Vorverschulden entwickelten Erfolgszurechnung wegen Aufgabe der Tatherrschaft kommt daher auf den ersten Blick auch bei Fahrlässigkeit in Betracht. Der Tatherrschaftsverlust ist jedoch nur dann strafrechtlich relevant, wenn er zeitlich mindestens ins Versuchsstadium fällt. Faktisch ist auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten ein Versuch denkbar, wobei die Vorstellung des Täters im Falle bewusster Fahrlässigkeit auf die Vornahme einer Sorgfaltspflichtverletzung gerichtet ist, während bei der unbewussten Fahrlässigkeit nur ein allgemeines Handlungsbewusstsein besteht. Wie sich aus der Typisierung der Fahrlässigkeit zu einer eigenen Deliktsform ergibt, genügt dort das Bestehen eines bloß handlungsbezogenen Willens, wenn dem Handelnden die Möglichkeit des Erfolgseintritts nur vorhersehbar war. b) Wie in § 2 gezeigt wird, scheidet eine Anknüpfung der Erfolgszurechnung an die fahrlässige Beseitigung der Tatherrschaft jedoch regelmäßig aus. Das Fahrlässigkeitsdelikt kennt nämlich ausweislich der gesetzlichen Regelung keine der unmittelbaren Tatbestandsverwirklichung vorausgelagerte Versuchszone, da sämtliche Fahrlässigkeitsdelikte Vergehen darstellen und damit im Hinblick auf ihren Versuch nicht strafbewehrt sind. Alles, was der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung zeitlich vorausgelagert ist, ist damit strafrechtlich irrelevant und kann nicht als „Tat“ gewertet werden. Das gilt auch im Falle der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen, etwa des § 227 StGB. Dort kann sich das Sich-Betrinken im Rahmen des § 223 StGB durchaus als strafrechtlich relevanten Eintritt in das Versuchsstadium darstellen, so dass der Erfolg des § 223 StGB bei der Aufgabe der Tatherrschaft ansetzen kann. Aus Sicht des in § 227 StGB enthaltenen Fahrlässigkeitsdelikts (§ 222 StGB) stellt das Sich-Berauschen aber noch nicht die unmittelbare Tatbestandsausführung dar, sondern eine strafrechtlich irrelevante Vorzone, so dass die Zurechnung nicht bei der Defektherbeiführung ansetzen kann, sondern erst bei der Rauschtat (nämlich der unmittelbaren Körperverletzung im Zustand der Schuldunfähigkeit). In Anbetracht des dort vorzufindenden Defektzustandes kommt eine Strafbarkeit insoweit nicht in Betracht.
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Resu¨mee
Dieser von der h. M. erheblich abweichende Ansatz (Erfolgszurechnung bei vorsätzlicher, nicht aber fahrlässiger Beseitigung der Tatherrschaft) findet seine Grundlage in der Geltung des restriktiven Täterbegriffs bei fahrlässiger Tat. Ein Regress ist daher nur bei unfreier Tat möglich, sofern sich die Defektherbeiführung als strafrechtlich relevanter Versuch der Tat darstellt. Hieran gebricht es sämtlichen Fahrlässigkeitsdelikten. Die Defektherbeiführung kann daher nur bestraft werden, wenn sie eine für sich strafbewehrte Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. In allen anderen Fällen ist der fahrlässige Defekttäter nach geltender Rechtslage frei, wird also gegenüber dem vorsätzlichen Defekttäter privilegiert. Diese Besserstellung findet ihre Berechtigung darin, dass die Fahrlässigkeit gegenüber dem Vorsatz die geringere Schuldform darstellt. Im Übrigen findet eine Privilegierung der fahrlässigen Tat auch im Bereich der Teilnahme statt, wie die Nichtanwendbarkeit der §§ 26, 27 StGB zeigen. Sie stellt insofern keinen Fremdkörper im System des StGB dar. Einem gegebenenfalls bestehenden Bedürfnis nach Strafe kann nur durch Anheben des Strafrahmens besonders schwerwiegender Fahrlässigkeitsdelikte (§§ 222, 229 StGB) i. S. v. § 12 I StGB Genüge getan werden. Solchenfalls gäbe es bei den entsprechenden Delikten eine der unmittelbaren Tatbestandsverwirklichung vorausgelagerte Versuchszone, so dass die Defektherbeiführung den Anknüpfungspunkt der Erfolgszurechnung begründen könnte. Dies alles setzt natürlich voraus, dass man die Möglichkeit eines fahrlässigen Versuchs anerkennt. In konstruktiver Hinsicht bestehen insoweit keine Bedenken; wem allerdings das natürliche Handlungsbewusstsein bei unbewusster Fahrlässigkeit „zu wenig“ für die Annahme des Tatentschlusses ist, der dürfte sich im Lager derer wiederfinden, die generell für die Straflosigkeit der unbewussten Fahrlässigkeit plädieren. Allerdings sollte man sich vor Augen führen, dass der Mangel an subjektivem Erfolgsbezug bis zu einem gewissen Grade zum Wesen der Fahrlässigkeit gehört und immerhin durch das Kriterium der Vorhersehbarkeit des Erfolges kompensiert wird.
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Sachregister aberratio ictus 149 Absichtsprovokation 49, 53 actio dolosa in causa 40 ff., 180, 310 actio illicita in causa – bei der Einwilligung 42 ff. – bei der Notwehr 49 ff. – bei dem Notstand 53 ff. – bei der Pflichtenkollision 56 ff. – Tatherrschaft 111, 176 f., 183 ff., 187, 190, 193, 311 f. actio libera in causa 23 – auf Schuldebene 60 ff. – auf Tatbestandsebene 32 ff. – bei eigenhändigen Delikten 61, 203 f., 314 – bei Tätigkeitsdelikten 204 f., 314 – beim Fahrlässigkeitsdelikt 314 – Rücktritt vom Versuch 199 f. – Tatherrschaft 113, 176 f., 182 f., 311 – Umgehung von Tatbestandsmerkmalen 38 f., 62 – Versuchsbeginn 194 ff., 197 ff. Analogieverbot 70, 79 Anstiftung 154 Approbationsfall 43 Äquivalenztheorie s. Kausalität ärztliche Aufklärungspflicht 45, 46 ff. ärztlicher Behandlungsfehler 257 ff. Ausdehnungsmodell 63 Ausnahmemodell – Obliegenheitsmodell 64 ff., 68 ff. – Verantwortungsdialog 66 f., 73 f. autonomer Suizid – §§ 16, 19, 20, 35 StGB 274 ff., 282 f. – Ernstlichkeit 277 ff. – Einwilligungslösung 276 f., 284 f. Autonomie – bei Irrtum 103, 107
– bei Nötigung 102, 176 – Verantwortungsprinzip 115 ff., 228 ff., 291 ff., 309 Bademeisterfall 29 Bahnwärterfall 30 Behandlungsfehler 257 ff. Beihilfe durch Unterlassen 128, 134, 140 Beschützergarant s. Unterlassungsdelikt Bestimmtheitsgebot 84, 86 f., 90, 92, 209 f. Blutrauschfall 26, 85, 98 f., 156 ff., 177, 310 Bombenlegerfall 177 Bratpfannenfall 25, 144 causa minus principalis 116 causa principalis 116 conditio sine qua non-Formel s. Kausalität culpa lata 268 Defektherbeiführung 28 ff., 74 Defekttat 27 ff., 65, 68, 74 Dohnafall 151 f. dolus antecedens s. Vorsatz dolus eventualis s. Vorsatz dolus generalis s. Vorsatz dolus indirectus s. Vorsatz Drittverhalten 95 ff. – Beherrschbarkeit 146, 288 – Durchgängigkeitserfordernis 252 ff. – Haftung aufgrund von Sorgfaltspflichten 236 f. – Haftung aufgrund von Urheberschaft 237 – Haftung nach Verschuldensgrad 246 f., 254, 282 – Kombinationslösung 258 – Steuerbarkeit 232 ff. – Vorhersehbarkeit 148 ff., 206 f., 239
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Sachregister
eigenhändige Delikte 61, 203 f., 314 eigenverantwortliche Selbstverletzung 223 f., 270 ff. Eigenverantwortlichkeit s. Autonomie Einheitstäterlehre 99 f. Einschlaffall 33 f. Einverständnis 36, 62 – Drohung 37 – Täuschung 36 f. Einwilligung – als Tatbestandsausschluß 42, 191 f., 312 – bei Operationserweiterung 45 ff. – mutmaßliche 44 ff., 62 – Prinzip des mangelnden Interesses 191 – rechtfertigende 42, 289 f. Elbtunnelfall 58 f. Epileptikerfall 34 f. Erlaubnissätze – rechtfertigende 184 ff., 312 – tatbestandsausschließende 184 ff., 312 erlaubtes Risiko 259 ff., 285 f., 289 error in persona 104, 151 Fahrlässigkeitsdelikt – Anwendbarkeit der §§ 25 ff. StGB 92, 208 ff., 214 ff. – Autonomie 107, 250 – extensiver Täterbegriff 81, 210 ff., 251 ff., 314 – fahrlässige Mittäterschaft 214 ff. – fahrlässige mittelbare Täterschaft 219 ff., 231 f., 315 – restriktiver Täterbegriff 208 ff., 248, 250, 281, 306, 314 f., 320 – Risikozusammenhang 244 ff. – Sorgfaltspflicht 90, 223, 264 ff., 285 f. – Sorgfaltspflichtverletzung 91 – Tatbestandshandlung 90 – Tatherrschaft 301 f., 319 – Teilnahme 213 ff., 230 f. – Versuch 303, 319 f. – Vertrauensgrundsatz 231 f., 253 Fehlverhalten des Opfers 272 ff. Felsbrockenfall 216 Folgeschäden 130, 168 Fremdschädigung 277 ff., 317
Garant s. Unterlassungsdelikt Garantenpflicht s. Unterlassungsdelikt gefahrgeneigte Tätigkeit 259 ff., 316 Gefahrtragungspflicht 72 Gesamtbetrachtungslehre s. Versuchsbeginn Giftgabefall 152 f. Giftspritzenfall 110 Gnadenschussfall 25, 97, 143 Handlung – Begriff 33, 96 – fortgesetzte 161 Handlungseinheit – natürliche 159 ff. – tatbestandliche 157 ff. Handlungsfähigkeit 29 ff. Handlungsherrschaft s. Tatherrschaft Handlungsunfähigkeit 28 ff. – partielle 190 Heroinspritzenfall 220 f., 237 Imputationslehre 115, 118 ff. in dubio pro reo 152 f. Ingerenzgarant s. Unterlassungsdelikt Jauchegrubenfall 26, 99, 164 ff., 179, 310 Kampfhundfall 40 f. Kausalität – alternative 151 – Äquivalenztheorie 76 ff., 80, 82, 120 ff., 166 – conditio sine qua non-Formel 76, 82 – empirische 116 ff. – kraft Freiheit 116 ff. – kumulative 152 – Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung 76, 82 – Lehre von der notwendigen Bedingung 201 – psychisch vermittelte 122 – Unterbrechungslehre 119, 144 f. Kausalverlauf – unwesentliche Abweichung 148, 157, 169 Koinzidenzprinzip 69, 74, 90, 162, 202 Kollision – von Handlungspflichten 56 – von Unterlassungspflichten 57 ff.
Sachregister Ledersprayfall 215 Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung s. Kausalität Lehre von der objektiven Zurechnung 76 f., 94, 145 ff., 166, 279 – Beherrschbarkeit des Geschehens 146, 234 ff. – Schutzzweckzusammenhang 233, 279 – Vorhersehbarkeit 147, 252 Leinenfängerfall 265 Milchfahrerfall 60 mittelbare Täterschaft – Abgrenzung zur Anstiftung 97, 100, 105, 119 – nach § 25 I Alt. 1 StGB 77 f., 83 ff., 310 f. – nach § 25 I Alt. 2 StGB 77, 79, 87 – Rechtsgedanke 79 – Versuchsbeginn 108 mutmaßliche Einwilligung s. Einwilligung Myomfall 45 f. Nebentäterschaft 150 ff. normative Kombinationstheorie s. Täterschaft normative Tatherrschaft s. Tatherrschaft Notstand – selbstverschuldeter entschuldigender 72, 107 – selbstverschuldeter rechtfertigender 53 ff. – Verhältnismäßigkeitsprinzip 187 f. Notwehr – Gebotenheit 186 f. – Interessenabwägung 53 f. – Verantwortungsausschluss 185 ff. – Verhältnismäßigkeitsaspekte 185 ff. Notwehrprovokation 49 ff., 111 nulla-poena-Grundsatz 66 Obhutspflichten s. Unterlassungsdelikt Obliegenheit 64 omissio libera in causa 28 – Kausalität 201 f. – Rücktritt vom Versuch 199 – Tatherrschaft 109, 176, 311 – Versuchsbeginn 195 ff.
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Pflegekindfall 144 Pflichtenkollision 56, 261 f. – bei gleichrangigen Pflichten 188 f. – bei ungleichrangigen Pflichten 188 f. – Interessenabwägung 188 f. – selbstverschuldete 56 ff., 313 – Verantwortungsausschluss 189 f., 313 – Versuchsbeginn 197 Pflichtverletzung 65 Placebofall 43 Pockenfall 280 Rechtfertigungsgründe – Fehlen von Verantwortung 184 ff. – Fremdverantwortung 184 ff. – monistische Theorien 184 – pluralistische Theorien 184 – Verantwortungsausschluß 184 ff. – Verhältnismäßigkeitsprinzip 184 ff. Regressverbot 95, 119, 123, 141, 154, 174, 206 ff., 225 ff. Retter – berufsmäßiger 290 ff., 318 – in notstandsähnlicher Lage 292 ff., 318 Schrotflintenfall 50 f. Schuldprinzip 66, 69, 92 Schuldunfähigkeit 60 f. Schutzzweck der Norm 287 f., 293 f. Selbstbestimmung s. Autonomie Selbstbestimmungsrecht 44, 46 ff. Selbstgefährdung 280 ff., 318 Selbstschädigung 270 ff., 317 f. Sozialadäquanz 285 f. Strafausdehnungsgrund 100 subjektive Theorie s. Täterschaft Tatbegehung – iterative 159 ff. – sukzessive 98 f., 156 ff., 305 Tatbestandshandlung 84 f. Tatbestandslosigkeit – vorsätzlich herbeigeführte 28 ff. Tatbestandsmodell 74 ff. Täter hinter dem Täter 105 f., 111, 123
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Sachregister
Täterbegriff 24 – extensiver 81, 129, 210 ff., 306 – restriktiver 100, 119, 129, 153 ff., 208 ff., 213 ff., 238, 306 Täterschaft – Autonomieprinzip 100 – normative Kombinationstheorie 114 – ohne Ausübung von Tatherrschaft 88, 137, 143, 177 f., 311 – subjektive Theorie 114 Tathandlung 84, 90 Tatherrschaft 100 ff., 142 – aktuelle 176 ff. – Begrenzung 187 – bei Eintritt ins Versuchsstadium 200 – Beseitigung bzw. Beeinträchtigung 182 ff., 302 ff. – und Einwirkungsmöglichkeit 88, 109 f. – finale 179, 301 – Handlungsherrschaft 89, 96, 101 f., 109, 176 – Lockerung 182 – normative 105 f., 111 f. – potentielle 127 f., 219 ff., 302, 311 – springende 126, 271 – über den Grund 136 ff., 205 – über den Ursprung der Tat 181 ff., 311 – Verlust 90, 163, 311 – Willensherrschaft 89, 102 ff., 109, 176 Tatherrschaftslehre 100 ff. Tätigkeitsdelikte 204 f. Tatschuld 82, 90 Tatumstandsirrtum 107 Tötung auf Verlangen 277 ff. Übernahmeverschulden 71 Überwachergarant s. Unterlassungsdelikt Unterbrechungslehre s. Kausalität Unterlassen – Begriff 28 Unterlassungsdelikt 33 – Autonomieprinzip 141, 279 – Beschützergarant 136, 138 ff., 230 f., 250, 256 – Entsprechungsklausel 130 – Garantenpflicht 131 ff., 242 f., 284 f. – hypothetische Kausalität 201 f.
– Ingerenzgarantenstellung 131 ff., 138 ff., 230 – Obhutspflichten 136 – Pflichtdeliktstheorie 127 ff. – Täterschaft 125 ff. – Tatherrschaft 126 ff. – Theorie der Einheitsbeihilfe 129 f. – Überwachergarant 133 ff., 138 ff., 230 f., 250, 256 – Versuchsbeginn 196 Unzumutbarkeit 262 ff., 316 Urheberschaft 115 f., 118 f., 122 f., 155 Verantwortungsausschluss 184 ff. – Fremdverantwortung bzw. Fehlen von Verantwortung 184 ff. – normativ motivierter 125, 294 Verantwortungsdialog 66 f., 73 ff. Verantwortungsgefälle 124 f., 221 f. Verantwortungsprinzip s. Autonomie vermeidbarer Verbotsirrtum 71 f., 124 verminderte Schuldfähigkeit 60, 182 Versuch – bei erfolgsqualifiziertem Delikt 304 – Freiwilligkeit des Rücktritts 199 f. – Rücktritt 199 f. – tatbestandliche Teilverwirklichung 195, 305, 310 – Vorbereitungshandlung 84, 174, 314 Versuchsbeginn – bei der mittelbaren Täterschaft 87 ff., 194 f. – bei der unmittelbaren Täterschaft 194 f. – Gesamtbetrachtungslehre 108 – modifizierte Einzellösung 88 Versuchshandlung 85 f. Verwirkung von Rechten 66 vis absoluta 96 Vollrausch 70 f. Vorhersehbarkeit 206 f., 239, 252 Vorsatz – dolus antecedens 80, 168 – dolus eventualis 169 – dolus generalis 157 f., 167 ff. – dolus indirectus 168 – Planverwirklichungslehre 169 f. Vorverschulden 23 f., 27, 93, 108 ff.
Sachregister Wettfahrt-Fall 215, 237, 280 Willensbildung – freie 274 ff., 282 ff. Willensfreiheit – bei Irrtum 103 f., 107 – bei Nötigung 102, 107 f.
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Willensherrschaft s. Tatherrschaft – Irrtumsherrschaft 103 f. – kraft organisatorischen Machtapparats 104 – Nötigungsherrschaft 102, 107 Willenszurechnung 123