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German Pages 313 Year 2006
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Band 161
Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht Ein Beitrag zur Konkretisierung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei der Tathandlung „Äußerung“
Von
Matthias Rahmlow
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MATTHIAS RAHMLOW
Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Heinrich Dörner Dr. Dirk Ehlers Dr. Ursula Nelles
Band 161
Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht Ein Beitrag zur Konkretisierung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei der Tathandlung „Äußerung“
Von
Matthias Rahmlow
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D6 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-11836-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Anfang 2005 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Professor Dr. Stein. Er betreute mich umfassend über die gesamte Zeit der Arbeit, erstattete das Erstgutachten und stand mir stets für umfassende und tiefgreifende Diskussionen zur Verfügung. Für die umgehende Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Frau Professorin Dr. Velten. Für wertvolle Anregungen und Unterstützung danke ich insbesondere Frau Karin Maiberg, Herrn Alejandro Kiss, Herrn Alexander Kessler, Herrn Bernd J. Hartmann, Herrn Marcus Mues sowie allen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Kriminalwissenschaften an der Universität Münster. Münster, im August 2005
Matthias Rahmlow
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung
21
1. Abschnitt Problemaufriss I.
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Die Äußerungsdelikte als verhaltensgebundene Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
II. Die Auslegungsbedürftigkeit von Äußerungen im Strafrecht. . . . . . . . . . . . 1. Auslegung von menschlichem Verhalten im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht . . . . . . . . . . a) Die herkömmliche Abgrenzung von Gesetzesauslegung und Auslegung einer Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Problem der rechtlichen Legitimation von Auslegungsgrundsätzen für Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Integration der Auslegung der Äußerung in die Auslegung des Gesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Auslegung als Teil der Bestimmung des unerlaubten Verhaltens . . . . a) Auslegung von Äußerungen auch bei „Nicht-Äußerungsdelikten“ . . . . b) Der „Abstand“ zwischen textlicher Fassung der Norm und subsumtionsfähigem Obersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 24 25 26 27 29 30 30 32
III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Abschnitt Grund der Untersuchung I.
Intensivierung der (straf-)rechtlichen Regelungen von Kommunikation als „Vorfeldkriminalisierung“ oder „Klimaschutz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der „Kernbereich“ des klassischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorfeldkriminalisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Zusammenhang zwischen Vorfeldkriminalisierungen, „Klimaschutz“ und Äußerungen als Tathandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
36 36 36 37
II. Die besondere Qualität der (straf-)rechtlichen Regelung von Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
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Inhaltsverzeichnis 1. Das strafrechtlich sanktionierte Verbot einer Äußerung als Eingriff in Art 5 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Verhältnis von strafrechtlich sanktionierten Verboten und Grundrechten im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis von strafrechtlich sanktionierten Verboten und Grundrechten im Allgemeinen bei den Äußerungsdelikten . . . . . . . . . . c) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige Eingriffe in Art 5 GG aufgrund strafrechtlicher Vorgaben . . . . . a) Eingriffe durch Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriffe durch in anderen Rechtsgebieten zu verortende Eingriffe . .
39 39 40 40 41 41 42
III. Die besondere Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten: Die „Umgehungsproblematik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 IV. Die unzureichende Erfassung der Problematik (am Beispiel von „Soldaten-sind-Mörder“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ehrbegriff als vermeintliches Zentralproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die tatsächliche Relevanz der Ehrbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Geschichte der Beschreibung von Auslegungsproblemen als „richtige“ Bestimmung des Ehrbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die heutigen Auswirkungen des Diskussionsverlaufs . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auslegung der Äußerung als tatsächliches Zentralproblem . . . . . . . . .
45 46 46 47 47 49
V. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Abschnitt Gang der weiteren Untersuchung I.
51
Der erste Teil der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
II. Der zweite Teil der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Die Anwendung der Untersuchungsergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2. Teil Das Risiko
54
4. Abschnitt Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz I.
54
Inhaltsbestimmung des Begriffs „Rechtsgut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Systemimmanenter Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Systemkritischer Rechtsgutsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Inhaltsverzeichnis
9
II. Eine Systematisierung der Delikte anhand des Rechtsgutsbegriffs (am Beispiel der Urkundenfälschung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Urkundenfälschung als „Erfolgsdelikt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Urkundenfälschung als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ . . . . . . . . . . . . . 3. Die Urkundenfälschung als „verhaltensgebundenes Delikt“ . . . . . . . . . . . . . 4. Verallgemeinerung und Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 59 60 61 61
III. Inwieweit lassen sich die anerkannten Rechtsgüter auf den Schutz grundlegenderer Werte zurückführen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monistische Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das „personale“ monistische Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das „staatliche“ monistische Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dualistische Konzeption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen für die Betrachtung der Äußerungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . .
63 63 63 63 64 64
IV. Die Bedeutung der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Kausalität bei Delikten, die eine Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsgutes“ voraussetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung der Kausalität bei Delikten, die eine (konkrete) Gefährdung des „Grund-Rechtsgutes“ voraussetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bedeutung der Kausalität bei Delikten, die eine abstrakte Gefährdung des „Grund-Rechtsgutes“ genügen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfüllung des Tatbestandes durch tatsächlich erfolgsmächtiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfüllung des Tatbestandes durch möglicherweise erfolgsmächtiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erfüllung des Tatbestandes auch durch nicht erfolgsmächtiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Legitimität der Schaffung abstrakter Gefährdungstatbestände . . . . . . . a) Die Menge der überkommenen abstrakten Gefährdungsdelikte . . . . . . . b) Unkontrollierbarkeit der geschaffenen Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . c) Mittelbare Gefahren – insbesondere die Vorbildwirkung. . . . . . . . . . . . . d) Die Ungeklärtheit des Ablaufs eines Motivationsprozesses . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 67 68 69 69 69 70 70 71 71 72 73
V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5. Abschnitt Das Verbot von Äußerungen als nur mittelbarer Rechtsgüterschutz I.
76
Einschränkung der Betrachtung auf § 185 StGB in der Konstellation der Äußerung gegenüber dem Beleidigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Entbehrlichkeit solcher Betrachtungen beim Schutz der Ehre? . . . . . . . . . . 77 2. Der Anfangs- und Endpunkt des zu verhindernden Kausalverlaufs . . . . . . 79
10
Inhaltsverzeichnis 3. Die Gründe für die Strukturierung des § 185 StGB (in der Variante der Äußerung gegenüber dem Beleidigten) als abstraktes Gefährdungsdelikt der „personalen Entfaltung“ und als verhaltensgebundenes Delikt . . . . . . a) Die Beleidigung als abstraktes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beleidigung als verhaltensgebundenes Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eine psychische Reaktion auf die Äußerung als notwendiger Bestandteil des Kausalverlaufs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Faktischer Ehrbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normativer Ehrbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die prinzipielle Verstehbarkeit für den Beleidigten als Bestandteil des Handlungsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Ausweitung der Betrachtung auf die Konstellation der Äußerung gegenüber Dritten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Anfangs- und Endpunkt des zu verhindernden Kausalverlaufs . . . . . . 2. Die Gründe für die Strukturierung des § 185 StGB (in der Variante der Äußerung gegenüber Dritten) als abstraktes Gefährdungsdelikt gegen die „personale Entfaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die prinzipielle Verstehbarkeit für den Rezipienten als Bestandteil des Handlungsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausweitung der Betrachtung auf alle Äußerungen, bei denen die Verbotenheit am Inhalt anknüpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Straftatbestände, die „zwischen“ Beleidigung und Anstiftung stehen (insbes. § 130 Abs. 1 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Volksverhetzung als „abgemilderte“ Form der Anstiftung . . . . . . . b) Die Volksverhetzung als „gefährlichere“ Form der Beleidigung . . . . . 2. Anstiftung und anstiftungsähnliche Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Begehung von Straftaten durch Äußerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Eine Parallele beim Betrug: der „Betrug durch Behaupten wahrer Tatsachen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen das Analogieverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Missachtung des Selbstverantwortungsprinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Richtigkeit der Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 82 82 84 85 86 87 88 89
90 91 92 92 93 93 94 95 96 97 98 99 99
V. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
6. Abschnitt Abweichende Konzeptionen: „Subjektive“ Theorie der Rechtsprechung und Ansicht von Klug I.
102
„Auslegungsregeln“ in der Rechtsprechung – insbesondere die „subjektive“ Theorie des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Inhaltsverzeichnis
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1. Die nur teilweise Befassung mit der Problematik aufgrund des Revisionsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Darstellung der Position anhand einiger verallgemeinerungsfähiger Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Einwände gegen die „subjektive Theorie“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Die „subjektive Theorie“ als Gesinnungsstrafrecht?. . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Die „subjektive Theorie“ als Vermischung von Vollendung, Versuch und Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Exkurs: Die Grundlagen der „subjektiven Theorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Übertragung der Auslegungsregeln für Gesetze (Klug) . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Der Gehalt der Auslegungscanones bei Übertragung auf Äußerungen. . . . 109 2. Einwände gegen die Ansicht Klugs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Die Unterschiede in der Sprachverwendung des Gesetzgebers und einer sich äußernden natürlichen Person. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Die Unterschiede zwischen gesetzlicher Systematik und hinter Äußerungen stehender Systematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Weitere Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Die Anerkennung der Ansicht Klugs als Verstoß gegen das Postulat der Identität von Auslegung der Äußerung und Auslegung des Gesetzes . . . . 115 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
7. Abschnitt Die Abgrenzung des durch Verbot von Äußerungen bewirkten mittelbaren Rechtsgüterschutzes von anderen Fällen des mittelbaren Rechtsgüterschutzes (Definition der Äußerung) 118 I.
Vorüberlegungen zur Definition der Äußerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Die „Äußerung“ als außerrechtlicher Begriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Die Notwendigkeit, Begriffe rein rechtlich zu definieren . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Die Bildung von Definitionen nach dem damit verfolgten Zweck . . . . . . . 121 a) Der Zweck als gleiche Behandlung gleicher Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Die Berücksichtigung von Ungleichheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Überlegungen zur Vorgehensweise bei der Entwicklung einer Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
II. Vermittlung eines Gedankeninhalts (Abgrenzung der Äußerung von der Tatsachenmanipulation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Darstellung der Problematik anhand des § 164 Abs. 1 StGB. . . . . . . . . . . . 125 a) Der durch § 164 Abs. 1 StGB bewirkte Rechtsgüterschutz als mittelbarer Rechtsgüterschutz im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
12
Inhaltsverzeichnis b) Der durch § 164 Abs. 1 StGB bewirkte Rechtsgüterschutz durch Verhinderung der Vermittlung (falscher) Information . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der vermittelte Informationsgehalt als Gedankeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Die Verknüpfung von Zeichen und Gedankeninhalt durch die Verkehrsanschauung – am Beispiel des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) . . . a) Abschichtung der Ansicht, die keine Einwirkung auf das Vorstellungsbild verlangt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Einwirkung auf das Vorstellungsbild als „Äußerung“? . . . . . . . . . .
III. Gedankeninhalt des Täters (Abgrenzung der Äußerung eines Gedankeninhalts von der Verbreitung eines Gedankeninhalts). . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verbreitungstatbestände als Kriminalisierungen im Vorfeld von Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Zusammenhang zwischen „Äußern“ und „Verbreiten“ . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beziehung zwischen dem Gedankeninhalt der Äußerung und der Täterpsyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Die Äußerungsdelikte als Pflichtdelikte?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 127 128 129 129 131 131 133 134 136
IV. Keine Erkennbarkeit des konkret Äußernden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 V. Ergebnis der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
8. Abschnitt Exkurs – Allgemeines zu Tatbeständen, die in einem Zusammenhang mit der Struktur der Äußerung stehen I.
Die Äußerungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Delikte, die allgemein als Äußerungsdelikte anerkannt sind . . . . . . . . . . . . 2. Die Wortsinngrenze (Art 103 Abs. 2 GG) als Grund, ein Delikt als Äußerungsdelikt anzusehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Wortsinngrenze im Allgemeinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Wortsinn einiger beispielhafter Handlungsbeschreibungen . . . . . . c) Das Verhältnis zu den anderen Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die systematische Auslegung als Grund, ein Delikt als Äußerungsdelikt anzusehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die systematische Auslegung innerhalb einer Vorschrift . . . . . . . . . . . . b) Die systematische Auslegung anhand der Gesamtrechtsordnung im Allgemeinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die systematische Auslegung im Bereich der Regelung wirtschaftlichen Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die systematische Auslegung bei der Bestechung und der Bestechlichkeit und im Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139 140 140 141 141 142 143 144 144 146 146 147
II. Delikte, die nicht durch Äußerungen begangen werden können . . . . . . . . 148 1. Beispiel: Die „Trunkenheit im Verkehr“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Inhaltsverzeichnis
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2. Die allgemeine Behandlung der „eigenhändigen Delikte“. . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Delikte, die regelmäßig durch Äußerungen begangen werden . . . . . . . . . . . 151 1. Eine eindeutige Auslegung des Tatbestands als „Äußerungsdelikt“ ist nicht möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Die Herbeiführung des Erfolgs ohne Kommunikation ist statistisch unwahrscheinlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Exkurs: Die handlungskoordinierende Funktion von Kommunikation in der menschlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Das geschützte Rechtsgut ist „porös“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5. Die Entstehung von Zweifelsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. Delikte, die den Umgang mit Äußerungen erfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Verfälschung und Hervorbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Vernichtung, Beschädigung und Vorenthalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Gebrauch und Weitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 V. Delikte, die an äußerungsähnliche Strukturen anknüpfen . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Der Täter „kommuniziert“ mit einer Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Eine Maschine „kommuniziert“ mit einem Menschen – Straftatbestände, die an den Umgang mit äußerungsähnlichen Verkörperungen anknüpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 9. Abschnitt Die Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines möglichen Kausalverlaufs I.
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Der Beurteilungszeitpunkt – ex ante oder ex post? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Der Ex-post-Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Die Maßgeblichkeit des Ex-ante-Zeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Die Begründung durch die Bestimmungsfunktion der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Die Folgen der Ex-ante-Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
II. Die genaue Beschreibung des Beurteilungswissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Objektiver Dritter aus dem Verkehrskreis des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Der „objektive Dritte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Der Verkehrskreis des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Zurechnung von individuellem Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Rein individuelle Bestimmung des Wissensbestandes? . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Stellungnahme in Bezug auf die Wissensgrundlage bei der Bedeutungszuschreibung von Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Das Wissen beim Verhalten „Äußerung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Das Grundwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
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Inhaltsverzeichnis a) Allgemeine Regeln der Bedeutungszuschreibung in der deutschen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umgangssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbreitete Gesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Rollenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fachsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Privater Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Sonderwissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vereinbarte Bedeutungszuschreibungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zufällige Kenntniserlangung von Rollenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Komplette Individualisierung des Beurteilungswissens?. . . . . . . . . . . . . . . .
173 174 174 175 176 177 177 178 179 179
IV. Die Besonderheiten des Wissens um Bedeutungszuschreibungsregeln . . . 1. Die nahezu unendliche Anzahl der Bedeutungszuschreibungsregeln . . . . . 2. Die „Vermischung“ von Verkehrsanschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die ungenaue Konturierung der Verkehrsanschauungen . . . . . . . . . . . . . . . .
180 180 181 182
V. Die Besonderheiten bei der Anwendung des Wissensbestandes . . . . . . . . . 1. Keine „normale“ Subsumtion möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umformulieren als Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenz zur Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 183 183 184 186 186 187
VI. Exkurs: Fahrlässige Äußerungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das fahrlässige Äußerungsdelikt des leichtfertigen Subventionsbetrugs (§ 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB) im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das fahrlässige Äußerungsdelikt des leichtfertigen Subventionsbetrugs nicht als Ausnahme, Fahrlässigkeit im Bereich der Vermögensdelikte straflos zu lassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das fahrlässige Äußerungsdelikt des leichtfertigen Subventionsbetrugs als Ausnahme, Fahrlässigkeit im Bereich der Äußerungsdelikte straflos zu lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189 189
189
190
VII. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
10. Abschnitt Abweichende Konzeption: Eindruck I.
192
Der „Eindruck“ als Gegenteil der „subjektiven Theorie“ . . . . . . . . . . . . . . 192
II. Einwände gegen die Relevanz des „Eindrucks“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Die Unvorhersehbarkeit des „Eindrucks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. „Korrektur“ eines unzutreffenden „Eindrucks“ auf subjektiver Ebene? . . 194
Inhaltsverzeichnis
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3. Der unzutreffende „Eindruck“ als Anknüpfungspunkt für weitere rechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 III. Zutreffende Aspekte im Konzept des „Eindrucks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 11. Abschnitt Anwendung der Erkenntnisse auf konkrete Fälle I.
196
Fälle des „Scherzes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Die zivilrechtliche Scherzerklärung als objektiv ordnungsgemäße Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die zivilrechtliche Scherzerklärung als „missverstehbare“ Erklärung . . . . 197 3. Die Fälle des Nichtvorliegens einer zivilrechtlichen Erklärung als auch strafrechtlich irrelevanter „Scherz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
II. Fälle des Nichtvorliegens eines eigenen Gedankeninhalts . . . . . . . . . . . . . . . 199
3. Teil Die Erlaubtheit des Risikos
202
12. Abschnitt Die Notwendigkeit der Anerkennung eines Bereichs des „erlaubten Risikos“ I.
202
Die Notwendigkeit der Beschränkung des Bereichs unerlaubten obwohl voraussehbar „gefährlichen“ Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Im Speziellen bei Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
II. Das „erlaubte Risiko“ als Sozialadäquanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Die Vagheit des Begriffs der sozialen Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Die Anerkennung des Prinzips der sozialen Adäquanz als Aushöhlung des Art 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Die Sozialädaquanz einer Verhaltensweise im Allgemeinen. . . . . . . . . . 206 b) Die Sozialädaquanz einer Verhaltensweise als Hindernis ihres gesetzlichen Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Das „erlaubte Risiko“ als freiheitssichernde Abgrenzung von Freiheitssphären. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Das „erlaubte Risiko“ im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Das Urteil über die Erlaubtheit der Eingehung eines Risikos als Ergebnis einer Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Die für die Abwägung geltenden Maßstäbe – die Bewertung durch „einfaches“ Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
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Inhaltsverzeichnis c) Die für die Abwägung geltenden Maßstäbe – die Bewertung durch Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nichtigkeit von Verfassungsrecht widersprechendem „einfachen“ Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die „Wechselwirkungslehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das „erlaubte Risiko“ in Bezug auf drittmotivierendes Verhalten . . . . . . . a) Der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz als Bestandteil der „objektiven Wertordnung“ des Grundgesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz als Bestandteil der „einfachen“ Rechtsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die mittelbare verfassungsrechtliche Verbürgung des Eigenverantwortlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das „erlaubte Risiko“ in Bezug auf Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 211 211 212 213 213 214 214 215 216
IV. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
13. Abschnitt Einseitige Betonung der Gefahr: Konzeption der h. M. und Übertragung der Auslegungsvorschriften aus anderen Rechtsgebieten
218
Objektiver Sinngehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der objektive Sinngehalt als vorgegebene Struktur in der Wirklichkeit?. a) Der „psychologische“ Begriff der Äußerung bei Kern . . . . . . . . . . . . . . b) Der strafrechtliche Begriff der Äußerung bei Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das „Weiterleben“ von ontologischen Vorstellungen in der heutigen Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der objektive Sinngehalt als Ergebnis einer Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „Objektivität“ der Wertung – „objektiv“ heißt nicht „generell“ . . b) Die Anwendung der Wertungsmaßstäbe auf die Tatsachen . . . . . . . . . . c) Der „objektive“ Sinngehalt als im Rezipienten voraussehbar reproduzierter Gedankeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219 220 220 221
II. Auslegungsregeln aus anderen Rechtsgebieten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auslegung von Verwaltungsakten und Prozesshandlungen. . . . . . . . . . 2. Die Auslegung im Zivilrecht als Vorbild für die Auslegung in anderen Rechtsgebieten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Auslegung von Willenserklärungen im Zivilrecht im Einzelnen . . . . a) Die Auslegung einer Willenserklärung als Erforschung des wahren Willens aufgrund des „Empfängerhorizonts“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinsamkeiten zur Auslegung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterschiede zur Auslegung im Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224 224
I.
221 223 223 223 224
225 226 226 228 228
Inhaltsverzeichnis
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4. Die Vermischung von Vollendung, Versuch und Vorbereitung bei der Übertragung der zivilrechtlichen Auslegungslehre auf das Strafrecht . . . . 229 a) Informationsübermittlung bereits zum Beginn eines Kommunikationsbeitrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Rechtliche Wirkung erst mit formellem Abschluss und Zugang des Kommunikationsbeitrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Zusammenfassung der Einwände gegen beide Konzeptionen . . . . . . . . . . . 231 14. Abschnitt Ergänzung der Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung durch Berücksichtigung des „erlaubten Risikos“ I.
233
Die bisherige Definition der Äußerung unter Berücksichtigung der Ex-ante-Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
II. Die Verwendungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Die Tathandlung des „Verwendens“ eines Kennzeichens . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Die Einschränkung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Die Einschränkung der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Die Struktur des „Verwendens“ eines Kennzeichens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Das Verwenden eines Kennzeichens als „Äußerung ohne erlaubtes Risiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Die Überbürdung des Missverstehensrisikos auf den Verwender. . . . . . 239 c) Die Verwendungsdelikte als „doppelt abstrakte Gefährdungsdelikte“ 240 3. Exkurs: Das verwendete Kennzeichen, insbesondere das verwechselungsfähige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Die bisherige Definition des verwechselungsfähigen Kennzeichens (§ 86 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Die heutige Definition des verwechselungsfähigen Kennzeichens (§ 86 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 15. Abschnitt Die Wertungen der Grundrechte als Ausgangspunkt für die Umschreibung des erlaubten Risikos I.
245
Die Beschränkung der Betrachtung auf die Meinungs- und Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Die praktische Wichtigkeit der Meinungs- und Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . 246 2. Die Meinungsfreiheit als „Muttergrundrecht“ bei kommunikativer Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
II. Der Inhalt und die Struktur der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
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Inhaltsverzeichnis 1. Der Begriff der Meinung (insbesondere im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unfruchtbarkeit des bloßen Anknüpfens an den verfassungsrechtlichen Begriff der Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Begriffe des „Äußerns“ und „Verbreitens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Struktur des grundrechtlichen Schutzes von Kommunikation . . . . . . .
III. Der Zweck der Etablierung der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die individualrechtliche Komponente der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 2. Die Notwendigkeit der Existenz einer überindividuellen Komponente in der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Inhalt des überindividuellen Zwecks der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . a) Selektion im „Kampf der Meinungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Synthese verschiedener Meinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Schaffung von genuin „Neuem“ bei der Synthese . . . . . . . . . . . . . . 4. Das überindividuelle Element als hinter der Norm stehende (abstrakte) Vermutung der Nützlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das überindividuelle Element als Öffnung der Rechtsordnung auf Zukunftsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Verhältnis des individuellen und kollektiven Elements der Meinungsfreiheit zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
249 250 250 252 253 254 255 256 256 256 257 258 259 260
IV. Der Inhalt der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Mannigfaltigkeit des Aussagegehalts“ als Merkmal der Kunst im Sinne des Art 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Größerer Bereich der möglichen negativen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Schutzbedürftigkeit der möglichen positiven Wirkungen. . . . . 4. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kunst und Pornografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Satire als Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Übergang von der Kunst- zur Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . .
260
V. Die „Übertragungsmetapher“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Inhalt der „Übertragungsmetapher“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kritik an der „Übertragungsmetapher“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Neuere Vorstellungen über Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Problem des Übergangs vom Vorbereitungsstadium zum unmittelbaren Ansetzen beim Versuch zur Vollendung des Delikts . . . . . . . . . . . . . 5. Der „Erfolg“ der „Übertragungsmetapher“ in der Rechtswissenschaft . . .
265 266 266 267 268 269
VI. Zusammenfassung: Die Auswirkungen auf die Auslegungsregeln . . . . . . . 1. Die Auslegung einer Äußerung als Ergebnis einer Abwägung . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen eines „klaren“ Abwägungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Eindeutige“ Äußerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafrechtlich relevante „zivilrechtliche Willenserklärungen“ . . . . . . . .
270 270 271 271 271
261 261 262 262 262 263 264
Inhaltsverzeichnis
19
16. Abschnitt Mögliche Einwände gegen dieses Konzept I.
273
„Liquidierung“ des Ehrenschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Ursachen und Folgen eines falschen Verständnisses des Art 5 Abs. 2 GG als Ausgangspunkt der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Der tatsächliche Kritikpunkt: übergroßer Einfluss der Meinungsfreiheit 274 3. Ein falsches Verständnis von Kommunikation als Grundlage der Kritik 274 a) Die unzutreffende Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 274 b) Die unzulässige Reduktion von Kommunikation auf die Übertragung eines Inhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
II. Unanwendbarkeit des Art 5 Abs. 1 GG auf Auslegungsfragen?. . . . . . . . . 276 1. Die Auslegung als Tatsachenfeststellung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Der Unterschied zwischen Tat- und Rechtsfrage im Allgemeinen . . . . . . . 277 3. Die Auslegung von Äußerungen als Rechtsfrage im materiellen Sinne. . . 278 III. „Unnatürliche“ Aufspaltung der Wirkungen eines Grundrechts? . . . . . . . 278 1. Die Einwirkung öffentlich-rechtlicher Dogmatik auf das Strafrecht. . . . . . 279 2. Exkurs: Die Erklärung der rechtfertigenden Wirkung des § 193 StGB . . . 281 a) Die Regelung des § 193 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Die Interessenabwägung als „Kernstück“ des § 193 StGB . . . . . . . . . . . 282 c) Die Konkretisierung des Interesses als Abgrenzungsmerkmal zur Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 d) Die in der Dogmatik bekannte Unterscheidung von „Globalabwägung“ und „Abwägung konkreter Interessen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
4. Teil Schlussbetrachtung
285
17. Abschnitt Ergebnis und beispielhafte Anwendung auf konkrete Fälle I.
285
Ein „Schema“ zur Auslegung von Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Der erste Schritt: Erfassung des gesamten Kontextes im „Empfängerhorizont“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Grundlage der Auslegung: Beschreibung der Lage des Empfängers . . 286 b) Beispiel: Die Entscheidung des BVerfG zu „Soldaten-sind-Mörder“ 286 2. Der zweite Schritt: Relativierung des Empfängerhorizonts durch die Vorhersehbarkeit der Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Der dritte Schritt: Bestimmung möglicher anderer Verständnismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
20
Inhaltsverzeichnis a) Beispiel: Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zu „Verkehrskontrolle als ‚Wegelagerei‘ “. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiel: Die Entscheidung des BVerfG zu „Soldaten-sind-Mörder“ . 4. Der vierte Schritt: Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Einfluss der betroffenen Rechtsgüter und die Breite des Feldes der voraussehbaren Verständnismöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiel: Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zu „Verkehrskontrolle als ‚Wegelagerei‘ “. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290 291 291 291 292
II. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
1. Teil
Einleitung 1. Abschnitt
Problemaufriss Es gibt im Strafrecht1 Straftatbestände, bei denen man sich einig ist, dass sie als strafbares Verhalten prinzipiell nicht jegliches Tun2, das den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeiführt, erfassen.3 Bei diesen Straftatbeständen ist das tatbestandsmäßige Verhalten, das zunächst dadurch charakterisiert ist, dass es kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg geworden ist, über dieses Erfordernis hinaus genauer beschrieben: Es wird eine bestimmte Art und Weise des Vorgehens des Täters verlangt.4 Man spricht hier von verhaltensgebundenen Erfolgsdelikten. Nicht jegliches Tun, das für den Erfolg ursächlich wird, ist hier zur Tatbestandserfüllung ausreichend, sondern nur ein solches Tun, das auch der weiteren Beschreibung entspricht. So wird in § 263 Abs. 1 StGB beispielsweise nicht jedes Handeln, das zur Schädigung des Vermögens eines anderen führt, als Tathandlung eines Betrugs angesehen, sondern das tatbestandsmäßige Verhalten muss sich als „Vorspiegelung falscher oder . . . Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“ darstellen. 1
Die Straftatbestände, die im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein sollen, finden sich im Strafgesetzbuch genauso wie in strafrechtlichen Nebengesetzen. In der Untersuchung wird trotzdem im Wesentlichen nur auf die Tatbestände des Strafgesetzbuchs eingegangen. Zum einen finden sich zu den hier normierten Tatbeständen mehr veröffentlichte Entscheidungen und diese Tatbestände sind auch ausführlicher in der Literatur behandelt; zum anderen lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse zu der „Auslegung von Äußerungen“ zwanglos auf alle anderen gleich strukturierten Tatbestände übertragen. 2 Hier wird zur Vereinfachung nur auf ein aktives Tun – im Gegensatz zu einem Unterlassen – eingegangen. 3 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13, Rn. 18; Lackner/Kühl, vor § 13, Rn. 32; Jescheck/Weigend AT, S. 629; Wessels/Beulke AT, Rn. 730; Kühl AT, § 18, Rn. 123. 4 Jescheck/Weigend AT, S. 629; Schmidhäuser AT, 6/11; Lackner/Kühl, vor § 13, Rn. 32; Studienkommentar-Joecks, § 13, Rn. 45; Wessels/Beulke AT, Rn. 730.
22
1. Teil: Einleitung
Nun gibt es nicht nur Delikte, die die Herbeiführung eines Erfolges – sei es durch jegliches Handeln oder ein spezieller beschriebenes Handeln – unter Strafe stellen (Erfolgsdelikte), sondern auch Delikte, die bereits an das bloße Vorliegen einer Handlung anknüpfen, ohne dass es zu einem durch die Handlung verursachten Erfolg gekommen sein muss (Tätigkeitsdelikte)5. Hier ist die spezielle Beschreibung der Art und Weise des Vorgehens des Täters das einzige Merkmal, das darüber entscheidet, ob der Täter den Tatbestand erfüllt hat oder nicht. I. Die Äußerungsdelikte als verhaltensgebundene Delikte Als eine besondere Gruppe solcher verhaltensgebundener Delikte werden die Kundgabe- oder Äußerungsdelikte6 angesehen. Das tatbestandsmäßige Verhalten dieser Gruppe von Delikten wird als Kundgabe oder Äußerung beschrieben. Nur ein Verhalten, das die Eigenschaft hat, eine „Äußerung“ zu sein, kann den Tatbestand erfüllen. Nur der Täter, der sich mit seinem Verhalten äußert, kann solch einen Tatbestand erfüllen. Der Unterschied zwischen reinen Tätigkeitsdelikten und Erfolgsdelikten kehrt auch hier wieder: So gibt es Delikte, die als reine Tätigkeitsdelikte angesehen werden, wie die Beleidigung (§ 185 StGB),7 die überdies das erste Delikt ist, an das man bei dem Begriff des Äußerungsdelikts denkt. Weitere Äuße5
Schmidhäuser AT, 8/38; Jescheck/Weigend AT, S. 263; StudienkommentarJoecks, Vor § 13, Rn. 69; Roxin AT I, § 10, Rn. 103; Wessels/Beulke AT, Rn. 24. Walter (GA 2001, S. 131, 132 und 141) hält diese Unterscheidung nicht für sinnvoll. Er stützt seine Ansicht u. a. darauf, dass es auch Sachverhalte gebe, die man unter ein Erfolgsdelikt subsumieren müsse, bei denen keine lange Kausalkette eine Veränderung in der Außenwelt verursacht habe (S. 133) und es auch Sachverhalte gebe, die unter ein Tätigkeitsdelikt subsumiert werden müssten, obwohl eine Kausalkette vorliege, die eine Veränderung in der Außenwelt verursacht habe (S. 132). Seine Einwände mögen berechtigt sein, doch hat sich die Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten allgemein durchgesetzt, weshalb auch hier auf sie zurückgegriffen wird. Es ist mit ein Anliegen von Walter, darzustellen, dass sich auch bei Delikten, die gemeinhin als Tätigkeitsdelikte angesehen werden, Probleme bei der Kausalität bzw. objektiven Zurechung stellen können (S. 133). Da in dieser Abhandlung Ähnliches versucht werden wird, liegen die folgenden Ausführungen insofern ganz auf seiner Linie. 6 Die Begriffe des Kundgabe- bzw. Äußerungsdelikts werden im Folgenden synonym verwendet, zwischen einer Kundgabe und einer Äußerung wird nicht unterschieden, wie das z. B. noch von Kern in seiner grundlegenden Monografie aus dem Jahre 1919 getan wurde (Äußerungsdelikte, S. 3). 7 Zumindest teilweise wird die Beleidigung hier wohl eingeordnet, vgl. bereits RGSt 57, 193, 194, Urt. v. 16. Februar 1923, – IV 847/22 –; OGHSt 2, 291, 311 – Urt. v. 12. Dezember 1949, – StS 365/49 –; Christiansen, Beleidigung, S. 23; anders hingegen: BGHSt 46, 212, 225, Urt. v. 12. Dezember 2000, – 1 StR 411/00 –; Roxin, AT I, § 10, Rn. 102.
1. Abschn.: Problemaufriss
23
rungsdelikte, die relativ bekannt und ähnlich strukturiert sind wie die Beleidigung, sind die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ (§ 166 Abs. 1 StGB) sowie die „Volksverhetzung“ (§ 130 Abs. 1 StGB).8 Als Äußerungsdelikt, das sich als Erfolgsdelikt darstellt, kann man die „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ (§ 111 Abs. 1 StGB) ansehen.9 Diesen Straftatbestand erfüllt, wer zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, sich also äußert.10 Weiterhin muss die Aufforderung die Begehung einer Straftat zur Folge haben. Das ergibt sich aus der Regelung des § 111 Abs. 2 StGB, denn hier ist die „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“, die ohne Erfolg geblieben ist, unter Strafe gestellt.11 Doch unter den Äußerungsdelikten überwiegen die (angeblich) reinen Tätigkeitsdelikte wie die Beleidigung. Bei ihnen hängt die Beantwortung der Frage nach der Strafbarkeit eines Verhaltens somit ganz wesentlich davon ab, ob eine solche Äußerung vorliegt, wie das Gesetz sie fordert. Und hier beginnt eine (angebliche) Besonderheit der Äußerungsdelikte. II. Die Auslegungsbedürftigkeit von Äußerungen im Strafrecht Die Besonderheit der Äußerungsdelikte soll in Folgendem bestehen: Um zu prüfen, ob durch ein Verhalten ein solcher Straftatbestand erfüllt wurde, so wird gesagt, sei eine bloße Auslegung des Gesetzes mit anschließender Subsumtion des Sachverhalts darunter nicht ausreichend. Vielmehr müsse auch das Verhalten des Täters, die Äußerung selbst, einer Auslegung unterzogen werden.12 Dass das Gesetz ausgelegt werden muss, um den Sachverhalt darunter zu subsumieren, zeichnet jegliche Rechtsanwendung aus, schließlich muss das Gesetz als abstrakte und generelle Regelung konkretisiert werden; sein Sinngehalt muss erfasst werden, um festzustellen, welche Regelung es für den in Rede stehenden konkreten Fall enthält.13 Dass nun aber auch ein 8
Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vor § 185, Rn. 10. Tröndle/Fischer, § 111, Rn. 2. 10 KG, JR 2001, S. 472 f., Urt. v. 29. Juni 2001, – (3) 1 Ss 388/00 (115/00) –, Aufruf an Soldaten, nicht am Kosovo-Krieg teilzunehmen; Rogall, GA 1979, S. 11, 14; Tröndle/Fischer, § 111, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 111, Rn. 3. 11 Tröndle/Fischer, § 111, Rn. 8; Eser, in: Schönke/Schröder, § 111, Rn. 21; Studienkommentar-Joecks, § 111, Rn. 3. 12 Allgemein zum Erfordernis der Auslegung von Äußerungen: Grünwald, KJ 1979, S. 291, 298; Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 590f. Speziell zu der Auslegung bei § 185 StGB vgl. statt aller: Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 8. 13 Vgl. allgemein zur Auslegung von Strafgesetzen: Jescheck/Weigend AT, S. 150 ff. 9
24
1. Teil: Einleitung
menschliches Verhalten als Teil des Sachverhalts, den es unter das Gesetz zu subsumieren gilt, ausgelegt werden muss, mutet – zumindest für das Strafrecht – sehr ungewöhnlich an. 1. Auslegung von menschlichem Verhalten im Recht Üblicherweise ist die Problematik der Auslegung menschlichen Verhaltens – im Gegensatz zu der Auslegung des Gesetzes – in erster Linie aus dem Zivilrecht bekannt: Hier werden Verträge (vgl. § 157 BGB) sowie Willenserklärungen (§ 133 BGB) – also auch Testamente (vgl. §§ 2066 ff. BGB und § 2084 BGB) – ausgelegt. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass auch in anderen Bereichen der Rechtsanwendung eine Auslegung menschlichen Verhaltens vorgenommen wird: So wird z. B. im Verwaltungsrecht ein Verwaltungsakt ausgelegt, um seinen Regelungsgehalt (vgl. § 35 S. 1 VwVfG) zu ermitteln, und in den Prozessrechten müssen die Prozesshandlungen ausgelegt werden. Nun ist es aber nicht ohne weiteres einsehbar, weshalb im Strafrecht die Äußerung als menschliches Verhalten und nicht nur das Gesetz ausgelegt werden soll. Das liegt an Folgendem: Das Zivilrecht eröffnet dem Einzelnen mit der Vertragsfreiheit einen Freiraum, in dem er seine Angelegenheiten eigenverantwortlich – privatautonom – regeln kann. Dieser Freiraum – die Privatautonomie – wurzelt im Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art 2 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 GG).14 Die Vertragsfreiheit als Teilbereich15 der Privatautonomie wäre nichts wert, sie wäre kein Freiheitsbereich, wenn das Recht nicht Rücksicht darauf nehmen würde, auf welche Art und Weise die Menschen diesen Freiraum für sich ausgefüllt haben, wie sie mithin in diesem Freiheitsbereich selbstgestaltend tätig geworden sind. Deshalb muss das Rechtsgeschäft im Zivilrecht ausgelegt werden: Die Auslegung des Rechtsgeschäfts im Zivilrecht ist Erkenntnis der Regelungen, die die Beteiligten sich selbst geschaffen haben. Ähnlich liegt es in den anderen – oben beispielhaft angesprochenen – Rechtsgebieten, in denen menschliches Verhalten ausgelegt wird. Das Verwaltungsrecht gibt durch manche Normen den Verwaltungsträgern die Befugnis zur einseitigen rechtlichen Regelung von Verhältnissen (vgl. § 35 S. 1 VwVfG). Was für eine rechtliche Regelung durch den Verwaltungsakt geschaffen wurde, muss durch Auslegung erkannt werden. Aus Art 103 Abs. 1 GG folgt, dass die Prozessrechte im Rechtsstaat dem Prozessbeteiligten ein Recht gewähren müssen, sich über14
BGHZ 129, 66, 72, Urt. v. 23. Feb. 1995, – I ZR 68/93 –; Flume AT, S. 1; Medicus AT, Rn. 172; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 145, Rn. 7. 15 BGHZ 125, 206, 209, Urt. v. 24. Feb. 1994, – IX ZR 93/93 –; Flume AT, S. 1, Fn. 1; Medicus AT, Rn. 174; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 145, Rn. 7.
1. Abschn.: Problemaufriss
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haupt zu äußern,16 und weiterhin ihm das Recht geben, dass das Geäußerte vom Gericht „in Erwägung“ gezogen wird.17 Wie die Beteiligten sich inhaltlich geäußert haben, was das Gericht mithin inhaltlich in Erwägung ziehen muss, muss durch Auslegung erkannt werden. Der Unterschied zum Strafrecht wird deutlich: Im Gegensatz zum Zivilrecht mit der Privatautonomie (ähnlich liegt es in den anderen beispielhaft angeführten Fällen) etabliert das Strafrecht für die Rechtsunterworfenen keinen Freiheitsbereich, in dem sie ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln dürfen. Das Strafrecht ermöglicht es ja gerade nicht, dass sich die Rechtsunterworfenen durch Äußerungen (wie z. B. die Willenserklärungen, die zum Vertragsschluss notwendig sind) eine eigene Rechtsordnung schaffen, die es dann zu erkennen gilt.18 Somit muss die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht einen ganz anderen Zweck verfolgen als die Auslegung von Äußerungen im Zivilrecht (und die Auslegung von menschlichem Verhalten in den anderen Bereichen).19 2. Die Bedeutung der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht Daher gilt es, zunächst zu bestimmen, welche Bedeutung die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht hat. Das soll hier anhand eines konkreten Beispiels geschehen: Eine Punkband druckt auf ein Plattencover eine Abbildung, die ein ans Kreuz genageltes Schwein zeigt.20 Hier steht eine Straf16 BVerfGE 81, 123, 126, Beschl. v. 29. Nov. 1989, – 1 BvR 1011/88 –; Jarass/ Pieroth, Art 103, Rn. 4. 17 BVerfGE 70, 288, 293, Beschl. v. 8. Okt. 1985, – 1 BvR 33/83 –; Jarass/ Pieroth, Art 103, Rn. 8. 18 Eine Ausnahme könnte die Einwilligung darstellen. Hier ist es so, dass die Rechtsordnung dem Willen des Rechtsgutsinhabers gemäß nach dem Grundsatz „nulla iniuria est, quae in volentam fiat“ (Dig. 47, 10. 1. 5) den (Straf-)Rechtsschutz suspendiert (Kindhäuser, in: FS für Rudolphi, S. 135). Dass der Umfang einer Einwilligung sich vielleicht als das Ergebnis einer Auslegung darstellt (die nur das Ziel hat, den Willen zu erkennen, als deren Ergebnis sich aber nicht unbedingt der tatsächlich vorhandene Wille ergibt) wird in der Literatur nicht diskutiert (vgl. den bei Wessels/Beulke AT, Rn. 481 gebildeten Fall). So abwegig, wie dieser Gedanke auf den ersten Blick erscheint, dürfte er aber nicht sein, schließlich wird die Existenz des Rechtsinstituts der Einwilligung z. T. explizit auf den Gebrauch der persönlichen Freiheit (Art 2 Abs. 1 GG) gestützt (Amelung/Eymann, JuS 2001, S. 937, 939; Jescheck/Weigend AT, S. 377), worin auch die Vertragsfreiheit wurzelt. Eine Rückkehr zum Verständnis der Einwilligung als Rechtsgeschäft ist damit nicht verbunden, es würden hier andere Auslegungsgrundsätze gelten. 19 Auf die Auslegungsgrundsätze aus den anderen Rechtsgebieten (insbesondere dem Zivilrecht) wird unten im 13. Abschnitt noch umfassend eingegangen. 20 Dieser Grundsachverhalt entspricht dem eines Beschlusses des OLG Nürnberg (NStZ-RR 1999, S. 238 ff., Beschl. v. 23. Juni 1998 – Ws 1603/97 –).
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1. Teil: Einleitung
barkeit der Mitglieder der Band gem. § 166 Abs. 1 StGB in Rede. Prüft man, ob sich jemand nach dieser Norm strafbar gemacht hat, so muss zunächst geklärt werden, was darunter zu verstehen ist, wenn das Gesetz davon spricht, dass der „. . . Inhalt des religiösen . . . Bekenntnisses anderer . . . beschimpft . . .“ wird, wie mithin der Begriff der Beschimpfung zu definieren ist. Hierbei handelt es sich um eine herkömmliche Gesetzesauslegung. Diese Auslegung, d.h. die Konkretisierung des Gesetzes dahin, dass man darunter subsumieren kann, unterscheidet sich bei den Äußerungsdelikten bis hierhin nicht von der Auslegung anderer Tatbestände. So muss ja auch beim bereits angesprochenen Betrug geklärt werden, was unter einer „Vorspiegelung falscher . . . Tatsachen“ zu verstehen ist. In der Rechtsprechung (und ihr folgend in der Literatur) wird das „Beschimpfen“ bei § 166 Abs. 1 StGB als „durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung“ definiert.21 a) Die herkömmliche Abgrenzung von Gesetzesauslegung und Auslegung einer Äußerung Nun beginnt das, was als das Besondere bei den Äußerungsdelikten angesehen wird: Jetzt – nach der Konkretisierung des Gesetzes – müsse noch geprüft werden, ob der Täter mit dem, was er gesagt hat, besonders verletzend seine Missachtung geäußert hat.22 Um zu ermitteln, ob der Täter eine besonders verletzende Äußerung getan hat, müsse der Sinn des vom Täter Gesagten ermittelt werden, mithin seine Äußerung selbst ausgelegt werden. Ein bestimmtes Verhalten des Täters könne „als bloßes Verhalten“ nicht Anknüpfungspunkt eines strafrechtlichen Vorwurfs sein; das könne nur das Verhalten als Verkörperung eines gewissen Sinns sein.
21 RGSt 57, 209, 211, Urt. v. 23. März 1923, – IV 885/22 – (Herv. v. Verf.); aus der heutigen Literatur vgl. statt aller: Tröndle/Fischer, § 166, Rn. 7 i. V. m. § 90 a, Rn. 5. 22 Wenn Küpper (ZRP 1991, S. 249, 250) bezüglich des Äußerungsdelikts der Beleidigung (im Rahmen von Ausführungen zum Bestimmtheitsgrundsatz des Art 103 Abs. 2 GG) darlegt, nach der Definition der Beleidigung als „Kundgabe der Nichtachtung, Geringschätzung oder Missachtung“ bewege sich die „weitere Konkretisierung . . . durchaus im Rahmen üblicher Subsumtionstechnik“, dann ist das zumindest missverständlich: Denn eine Auslegung der Kundgabe dahin, ob in ihr Nichtachtung, Geringschätzung oder Missachtung ausgedrückt ist, ist nach dem oben (unter II.) Gesagten weiterhin erforderlich. Dass eine Auslegung eines Verhaltens im Strafrecht stattfindet, ist aber – im Gegensatz z. B. zum Zivilrecht – auf den ersten Blick erstaunlich (vgl. oben unter II. 1.), sodass man kaum von „üblicher Subsumtionstechnik“ sprechen kann.
1. Abschn.: Problemaufriss
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b) Das Problem der rechtlichen Legitimation von Auslegungsgrundsätzen für Äußerungen Es scheint relativ unproblematisch zu sein, sich ein Urteil dahin gehend zu bilden, dass die Mitglieder der Band durch dieses Verhalten ein religiöses Bekenntnis beschimpft – also besonders verletzend ihre Missachtung kundgegeben haben: Christus am Kreuz – das Symbol des Christentums – wird gleichgesetzt mit einem Schwein, „das üblicherweise als Symbol verwendet [wird], wenn es darum geht, andere zu verunglimpfen und herabzusetzen“23. Die Frage ist, ob sich an diesem Ergebnis etwas ändern würde, wenn Folgendes festgestellt wäre: Die Mitglieder der Band sind allesamt Veganer, lehnen also jegliche Nahrung tierischen Ursprungs – selbst Eier und Milch – ab. Aus dieser Haltung heraus haben sie ein Lied geschrieben, in dem es um die „Ausbeutung der Kreatur Tier durch den Menschen“ geht; nach diesem Lied ist auch die Schallplatte benannt, auf deren Cover sich das oben beschriebene Bild befindet. Die Mitglieder der Band „wollten“ also kein religiöses Bekenntnis abwerten, sondern nur ein Symbol des Christentums verwenden, um auf (angebliche) allgemein-gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Prüft man unter dieser Voraussetzung eine Strafbarkeit nach § 166 Abs. 1 StGB nochmals, so ist nicht mehr eindeutig, ob durch das Bild unter den zusätzlich geschilderten Gegebenheiten eine Religionsgemeinschaft beschimpft wird. Die Entscheidung hängt davon ab, ob man den Umstand der Einstellung der Mitglieder, der außerhalb der eigentlichen Tathandlung liegt und zum Teil in dem Lied zum Ausdruck kommt, bei der Ermittlung des Sinns der Abbildung mit berücksichtigen darf.24 Wenn man diese Frage bejaht, ist es weiterhin fraglich, ob der Umstand der Einstellung auch dann noch berücksichtigt werden darf, wenn das Bild nicht mehr nur auf dem Cover der Schallplatte verbreitet wird, sondern – wie es heutzutage allgemein üblich ist – auch auf T-Shirts25 23
OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, S. 238, 240. Man kann hiergegen nicht einwenden, der Fall lasse sich eindeutig im subjektiven Tatbestand lösen, es komme darauf an, ob die Mitglieder der Band das Christentum herabsetzen wollten oder nicht. Denn ob der subjektive Tatbestand erfüllt ist oder nicht, richtet sich in erster Linie danach, welche Voraussetzungen man für das Gegebensein des objektiven Tatbestands verlangt (vgl. insoweit das parallel liegende Problem der Abhängigkeit der Gestalt des Vorsatzes von der Ehrdefinition bei § 185 StGB: Engisch, FS f. Lange, S. 410, 417). Wenn man festgestellt hat, dass jemand den Inhalt eines religiösen Bekenntnisses beschimpft hat, so ist Vorsatz immer (schon) dann gegeben, wenn er zumindest mit der Möglichkeit rechnete, dass seine Äußerung beschimpfend aufgefasst wird. Es kommt nicht darauf an, ob er mit seiner Äußerung beschimpfen „wollte“ oder nicht. 25 Auch im Beschluss des OLG Nürnberg ging es maßgeblich um ein T-Shirt, das im Internet vertrieben wurde. 24
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1. Teil: Einleitung
und anderen so genannten Merchandising-Artikeln. Welche Umstände zur Auslegung mit herangezogen werden können (und dann auch müssen!) und welche nicht (und dann auch nicht dürfen!), ist eine Fragestellung, die Gegenstand dieser Abhandlung sein soll. Es geht damit um die Ermittlung der Tatsachenbasis für eine Auslegung. Aber noch auf einer zweiten Ebene stellt sich ein Problem: Im oben geschilderten Fall führt das OLG Nürnberg aus, das Schwein sei das Symbol eines unreinen Tieres und Christus werde durch das Bild damit gleichgesetzt.26 Weshalb gibt es eine Regel dahingehend, dass man die Darstellung eines Schweins als Symbol für ein unreines Tier ansehen darf und wodurch ist die Anwendung einer solchen Regel rechtlich legitimiert?27 Denn einer rechtlichen Legitimation für die Anwendung dieser Regel bedarf es; schließlich wird wegen eines Rechtsverstoßes gestraft. Die Mitglieder der Band werden diese Regel wohl nicht so einfach anerkennen. Problematisch ist also zum einen, nach welchen Regeln ermittelt wird, welche Tatsachen zur Auslegung mit heran gezogen werden dürfen und müssen (hier: etwas wurde auf das Cover gedruckt, die Äußernden haben eine gewisse Einstellung), und zum anderen, wie die ermittelten Tatsachen zu werten sind (hier: das Gedruckte stellt ein Schwein am Kreuz dar und das ist ein Symbol für etwas).28 Und dann stellt sich noch die Frage nach der rechtlichen Legitimation der Antworten auf diese Fragen. Alle diese Fragen klingen eigenartig, sind in der Literatur kaum behandelt und scheinen daher nicht recht geeignet zu sein bei der Erarbeitung von Auslegungsregeln für Äußerungen im Strafrecht. Vermutlich klingen diese Fragen nur deshalb so eigenartig, weil die Frage nach der Auslegung einer Äußerung nach dem bisher Dargelegten eine merkwürdige „Zwischenstellung“ zwischen der Auslegung – also Konkretisierung – des Gesetzes auf der einen Seite und der Subsumtion des Sachverhaltes darunter auf der anderen Seite einnimmt.29 Doch muss das nicht so sein: 26
OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, S. 238, 240. Wahrscheinlich ist schon problematisch, weshalb man eine Anordnung von Strichen – mehr findet sich ja auf dem Cover nicht – als „Schwein“ und „Kreuz“ ansehen darf. 28 Zu dieser Zweiteilung des Auslegungsvorgangs, der häufig nicht genug herausgearbeitet wird, in zivilrechtlicher Hinsicht: Kilian, in: Juristische Methodenlehre, S. 271, 272. 29 Neumann (GA 1988, S. 387, 401) siedelt die Auslegung einer Äußerung in einem dritten Bereich der Rechtsanwendung an, der die Deutung des Sachverhalts beinhalte und weder dem Bereich der Tatsachenfeststellung noch dem der Rechtsanwendung zuzuordnen sei. Zöbeley merkt für die Kunstfreiheit (Art 5 Abs. 3 GG) an, „daß auf diesem Gebiet die ‚Tatsachenfeststellung‘ so eng mit den verschiedensten normativen Elementen verbunden ist, daß eine strenge Trennung, etwa mit revisionsrechtlichen Kategorien, nicht immer möglich ist“ (NJW 1998, S. 1372, 1373, Herv. im Original). 27
1. Abschn.: Problemaufriss
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c) Integration der Auslegung der Äußerung in die Auslegung des Gesetzes? Man kann genauso gut die Auslegung der Äußerung nicht als Auslegung der in Rede stehenden konkreten Äußerung ansehen, sondern als Entscheidung darüber, welche Art von Verhaltensweisen – also was für eine Klasse von Sachverhalten, denen der in Rede stehende Sachverhalt zuzuordnen ist – unter das Gesetz zu subsumieren ist.30 Dabei zieht man dann – abstrakt und generell – die Grenze zu jener Art von Verhaltensweisen, die nicht mehr unter das Gesetz zu subsumieren sind. Bei einer solchen Betrachtung nimmt man das Verhalten, den Sachverhalt, nicht mehr als auslegungsbedürftige Äußerung wahr, sondern als bloßes Geschehen, das es unter das Gesetz zu subsumieren gilt. Alle – häufig sehr feinsinnigen – Auslegungsmöglichkeiten einer Äußerung sind dann nicht mehr Deutungen der Äußerung, sondern unterschiedliche – wenn gleich auch genau so feinsinnige – Auslegungsmöglichkeiten des Gesetzes. Die Gesamtheit der (zutreffenden) Deutungen einer Äußerung wäre dann die Gesamtheit aller genaueren, auf einer tieferen Ebene stehenden, Definitionen von „durch Form und Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung“. Die Frage ist dann im obigen Beispiel nicht mehr, ob das Verhalten, die Fertigung der oben beschriebenen Abbildung, einen gewissen Sinn hat, sondern ob die Fertigung der oben beschriebenen Art von Abbildungen zu der Art von Verhaltensweisen gehört, die § 166 Abs. 1 StGB verbietet. Die Frage, ob die Verhaltensweise der Fertigung der Abbildung anders auszulegen ist, wenn sich das genannte Lied auf der Schallplatte befindet, müsste dann dahin umformuliert werden, ob § 166 Abs. 1 StGB so zu verstehen ist, dass diese Vorschrift auch die Klasse der Verhaltensweisen „Fertigung einer oben beschriebenen Abbildung“ erfasst, wenn sie zusammen mit anderen Texten (dem Lied) verbreitet wird. Diese Überlegungen geben einen Hinweis darauf, dass es in Wirklichkeit bei der Subsumtion eines bestimmten Verhaltens unter einen Äußerungstatbestand nicht des eigenständigen Schritts der Auslegung der Äußerung – der gleichbedeutend zwischen der Auslegung des Gesetzes und der Subsumtion des Sachverhalts steht – bedarf, sondern dass man die Auslegung der Äußerung als einen Teil der Konkretisierung der Norm verstehen kann. Genauer formuliert: Die Auslegung einer Äußerung ist ein Teil der Bestimmung des so genannten unerlaubten Verhaltens als Bestandteil der Auslegung des gesamten Tatbestandes. Diese Sichtweise bedarf freilich noch genauerer Begründung, um als Ansatzpunkt für die folgende Untersuchung 30 Für reine Rechtsanwendung hält auch Wittig (GA 2000, S. 267, 270 und 284) die Auslegung einer Äußerung, allerdings ist ihre Begründung dafür unklar.
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1. Teil: Einleitung
dienen zu können. Aber folgende Gedanken können den oben gewonnenen Eindruck bestätigen: 3. Die Auslegung als Teil der Bestimmung des unerlaubten Verhaltens Ging es bisher noch um Tatbestände, die nur durch eine Äußerung erfüllt werden können, so kann man den Blick erweitern: Auch Delikte, die keine verhaltensgebundenen Delikte sind,31 können durch eine Äußerung als Tathandlung begangen werden. So begeht der A einen Totschlag in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1, 1. Var. StGB), wenn er den B durch die wahrheitswidrige Äußerung, der von B wahrgenommene Schatten sei der eines „kapitalen Keilers“, zum tödlichen Schuss auf den Treiber motiviert. Dass das Verhalten des A sich als Äußerung darstellt, wie sie hier verstanden werden soll, muss an dieser Stelle freilich noch unbewiesen bleiben, denn eine Definition der Äußerung wird erst im Verlauf der Untersuchung erarbeitet.32 a) Auslegung von Äußerungen auch bei „Nicht-Äußerungsdelikten“ So muss dann auch die folgende Behauptung zumindest vorerst ohne näheren Beweis bleiben, was ihre Überzeugungskraft dafür, dass sie eine taugliche Basis für die folgende Untersuchung darstellen kann, aber nicht mindert: Stellt sich das Verhalten des Täters als Äußerung dar, die in gewisser Weise auf einen Dritten wirkt (oder wirken kann oder wirken soll), so kann man auch hier davon sprechen, dass eine Auslegung der Äußerung erforderlich sei. Freilich ist es hier sprachlich nicht mehr so eingängig, von einer Auslegung zu sprechen, vielmehr wird diese „Auslegung“ direkt als Bestimmung des so genannten „unerlaubten Verhaltens“ bezeichnet. Doch ein weiteres Beispiel33 aus der Rechtsprechung, das auch in der literarischen Diskussion behandelt wird, kann das eben Gesagte verdeutlichen: Der A sagt zu B, nachdem ihm B von seinen Geldproblemen erzählt hat: „Dann müsstest du eine Bank oder Tankstelle machen.“ Daraufhin überfällt B eine Sparkasse. Es geht hier um die Frage, ob der A den B zu der von ihm begangenen räuberischen Erpressung angestiftet hat.34 Der Bundesgerichtshof 31 Oder in anderer Hinsicht als im Hinblick auf das Vorliegen einer Äußerung verhaltensgebundene Delikte sind, wie es beispielsweise die h. M. bzgl. des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) annimmt. 32 Siehe unten 7. und 14. Abschnitt. 33 Fall nach BGHSt 34, 63 ff., Urt. v. 21. April 1986, – 2 StR 661/85 – („Du müsstest eine Bank oder Tankstelle machen“). 34 Dass in diesem Fall kein Straftatbestand in Form eines einzelnen § aus dem BT in Rede steht, sondern die Beteiligung in Form der Anstiftung an einer von
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problematisiert zur Lösung dieser Frage, ob der A den Vorsatz hatte, zu einer hinreichend konkreten Haupttat anzustiften.35 Darin folgt ihm ein Großteil der Literatur.36 Damit wird die Erfüllung des objektiven Tatbestands implizit bejaht und zur Lösung des Falles auf subjektive Kriterien zurückgegriffen. Dagegen bestehen jedoch gewichtige Bedenken: Verneint man in diesem Fall den Vorsatz des B, zu einer hinreichend konkreten Haupttat des A anzustiften, so hieße das, dass der B einem Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB unterlegen gewesen wäre. Er hätte einen Tatumstand nicht gekannt. Dass B sich aber falsche (oder gar keine) Vorstellungen über die Wirkungen seiner Worte gemacht hat, kann man wohl nicht behaupten.37 Daher ist in diesem Fall die Lösung – im Einklang mit Ansätzen in der Literatur – schon im objektiven Tatbestand zu suchen.38 Es muss hier darum gehen, ob der B mit seiner Rede eine – wie im Einzelnen auch immer zu beschreibende – hinreichende Gefahr dafür geschaffen hat, dass der A diesen konkreten Überfall ausführt. Es geht also darum, objektive (!) Kriterien dafür zu finden, nach denen man den Bereich des erlaubten Verhaltens von dem Bereich des (im Hinblick auf das Unrecht der Anstiftung zur räuberischen Erpressung) unerlaubten Verhaltens abgrenzt. Bezüglich eines Teils aller möglichen Tathandlungen – eben jener später zu definierenden Äußerungen – kann ein Stück dieser Tätigkeit der Beurteilung Auslegung genannt werden. In dem Anstiftungsfall kann also die Frage nach der Schaffung einer unerlaubten Gefahr dahin umformuliert werden, ob die Rede des A (1) dahin auszulegen ist, dass B eine Bank oder Tankstelle überfallen solle39 und einem anderen begangenen Tat, ist nicht relevant. Denn theoretisch ist es denkbar, dass der Gesetzgeber auf eine Regelung der Beteiligung an fremden Straftaten im Allgemeinen Teil verzichtet hätte und ohne sachliche Änderung im einschlägigen Straftatbestand – etwa jeweils in einem zusätzlichen Absatz – die Beteiligung unter Strafe gestellt hätte. Im geltenden StGB sind die Vorschriften über die Beteiligung also nur aus Gründen der Übersichtlichkeit „vor die Klammer“ gezogen worden. 35 BGHSt 34, 63, 64. 36 Jescheck/Weigend AT, S. 688; Roxin, JZ 1986, S. 908 (vgl. aber jetzt: Roxin, AT II, § 26, Rn. 85); Ingelfinger (Anstiftervorsatz, S. 79 f.) hält die Anstiftungshandlung für eine objektiv subjektive Sinneinheit – was immer so etwas auch sein mag –, in der maßgeblich auf die innere Seite abzustellen sei (S. 80 f.) 37 Ähnlich Herzberg, JuS 1987, S. 617, 618. 38 Herzberg, JuS 1987, S. 617, 620; Jakobs AT 24/17 a. E.; Roxin, AT II, § 26, Rn. 85. 39 Ingelfinger (Anstiftervorsatz, S. 78) spricht explizit von der „Auslegung“ des Verhaltensvorschlags, bei dem ja problematisch ist, wie konkret er – entgegen seiner Ansicht: objektiv! – sein muss, damit man in ihm eine Anstiftung sehen kann.
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1. Teil: Einleitung
(2) ab wann der auf die o. g. Weise vermittelte Sinn für eine Anstiftung ausreichend ist (Konkretisierungsproblem). Als Ergebnis können wir festhalten: Die Auslegung einer Äußerung kann auch als Teil der Bestimmung des unerlaubten Verhaltens angesehen werden. Die Nachteile einer solchen Anschauung, die ja nur eine bloße „Umetikettierung“ darstellt – Argumentationsgesichtspunkte werden von der Auslegung der Äußerung in die Auslegung des Gesetzes verschoben –, sind natürlich folgende: Zunächst ist es ja in Anlehnung an das sonstige Vorgehen im Recht relativ eingängig von der Auslegung menschlichen Verhaltens zu sprechen (allerdings auch nur relativ eingängig, das erste Beispiel der Veranlassung zu einer Tötung durch Äußerung verdeutlicht das). Zum anderen wird die Menge der Obersätze, bis zu denen man das Gesetz zu konkretisieren hat, bevor man unter den gewonnen Obersatz subsumieren kann, sehr groß und – dadurch bedingt – wird die Menge möglicher Obersätze, zu denen sich das Gesetz konkretisieren lässt, sehr umfangreich.40 b) Der „Abstand“ zwischen textlicher Fassung der Norm und subsumtionsfähigem Obersatz Da dieser „Abstand“ von der Norm, wie sie im Gesetz textlich verkörpert ist, und der Form, in der sie angewendet werden kann, also sehr groß ist, gewinnt etwas stark an Bedeutung, was auch allgemein erkannt ist: Das so genannte „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“.41 Bei der Anwendung des Gesetzes auf einen Sachverhalt braucht nicht jegliche Möglichkeit der Auslegung einer Norm aktualisiert werden; es muss nicht der Text der Norm durch Auslegung in seiner gesamtem Breite entfaltet werden; es ist nicht nötig, den gesamten Regelungsbereich, den eine Norm erfasst, darzustellen. Sondern zur Bildung des Obersatzes braucht nur die Möglichkeit der Auslegung des Gesetzes expliziert zu werden, die in dem vorliegenden Sachverhalt möglicherweise einschlägig 40 Vgl.: Wittgenstein, Tractatus, 4.002 a. E.: „Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.“ (Herv. v. Verf.) Sie sind erheblich komplizierter als beispielsweise die Naturgesetze, auf die die entsprechenden Normen bei den Erfolgsdelikten bzgl. des kausalen naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg verweisen. 41 Diese bekannte Formulierung geht auf Engisch (Studien, S. 15) zurück. Sie wird u. a. von Bydlinski (Juristische Methodenlehre, S. 421) und Larenz (Methodenlehre, S. 206 f. und 281) aufgegriffen. Das hiermit zusammenhängende Problem des sog. hermeneutischen Zirkels (Engisch, Einführung, S. 74, Fn. 4) bzw. der hermeneutischen „Spirale“ spielt für die folgenden Betrachtungen keine besondere Rolle.
1. Abschn.: Problemaufriss
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ist.42 So muss beispielsweise in einem Fall, in dem der Täter dem Opfer Bargeld abgeschwindelt hat, bei der Anwendung des § 263 Abs. 1 StGB nicht aktualisiert werden, dass u. U. auch eine Art der Vermögensgefährdung einen Vermögensschaden darstellen kann.43 Kann man dies das „Wandern des Blickes vom Lebenssachverhalt auf den Obersatz“ nennen, so ist entsprechend das Umgekehrte, das „Wandern des Blickes vom Obersatz auf die Sachverhaltsfeststellung“, auch nötig: Nur gewisse – zum Gesetz „passende“ – Tatsachen müssen festgestellt werden; andere Tatsachen, die sich ersichtlich nicht zur Subsumtion unter den Obersatz eignen, brauchen nicht festgestellt zu werden.44 Schwindelt der Täter dem Opfer eine ec-Karte samt Geheimzahl ab, und hebt der Täter dann damit Geld ab, so braucht bei der Anwendung des § 263 Abs. 1 StGB beispielsweise nicht festgestellt zu werden, wie hoch unmittelbar nach dem Abschwindeln die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Geldabhebungsversuchs war (= eventuelle „schadensgleiche Vermögensgefährdung“), da ein Vermögensschaden wegen der tatsächlich erfolgten Abhebung hier ohne Rückgriff auf die Figur der Vermögensgefährdung bejaht werden kann. Nun ist bei dem Verbot von Äußerungen die Bandbreite der zutreffenden Konkretisierungen der entsprechenden Normen so groß und deshalb der Weg zur Findung des passenden Obersatzes und zur Feststellung und Benennung der entsprechenden relevanten Tatsachen so umfangreich, dass dieses „Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“ ein Eigenleben entfaltet, welches sich sprachlich eingängiger als Auslegung der Äußerung bezeichnen lässt. Indes: Die Rede von der Auslegung der Äußerung ist nur eine Abkürzung, die aber wegen ihrer Eingängigkeit (aber nur deshalb!) auch hier im Folgenden verwendet werden soll. III. Ergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass sich die „Auslegung von Äußerungen“ im Strafrecht auch als Auslegung des Gesetzes ansehen lässt. Handelt es sich bei dieser Einordnung zwar zunächst nur um eine andere Betrachtungsweise, so gibt es aber trotzdem ein materielles Argument dafür, die folgenden Ausführungen auf diese Betrachtungsweise zu gründen: Man kann bei einer solchen Sichtweise nämlich gesicherte Erkenntnisse anwenden. Zur Beantwortung der Frage nach den Auslegungsgrundsätzen kann man auf die Erkenntnisse zur Bestimmung des unerlaubten Verhaltens 42 43 44
Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 420 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 280. Vgl. statt aller: Tröndle/Fischer, § 263, Rn. 31. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 419; Larenz, Methodenlehre, S. 280.
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1. Teil: Einleitung
der jeweiligen Delikte – u. U. systematisiert zu Deliktsgruppen – zurückgreifen. Solche Erkenntnisse könnten nicht angewendet werden, wenn man einfach nur über die „richtigen“ Auslegungsmethoden für Äußerungen im Strafrecht nachdenkt.
2. Abschn.: Grund der Untersuchung
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2. Abschnitt
Grund der Untersuchung Welche Methoden bei der Auslegung einer Äußerung, also bei der Ermittlung ihres Sinnes, anzuwenden sind, ist in neuerer Zeit umfassend noch nicht behandelt worden. Dass dieses Problem der Auslegung nur selten angesprochen wird, beklagte Sauer bereits im Jahre 1915: „Erörterungen hierüber [i. e. die Auslegung der Äußerung] treten . . . in der Literatur meist ganz in den Hintergrund“1. Intensiver mit diesem Problem hat sich nur Kern in seiner Monografie „Die Äußerungsdelikte“ aus dem Jahre 1919 befasst. Seine Thesen und Begründungen entsprechen aber – wie zu zeigen sein wird – nicht mehr dem Stand der heutigen strafrechtlichen Dogmatik. Danach ist das Thema allgemein nicht mehr Gegenstand einer umfassenden Darstellung gewesen.2 Dass bis heute eine ausgereifte strafrechtliche Auslegungslehre fehle, beklagt neuerdings Wittig in einem Beitrag darüber, ob (und inwieweit) die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht revisibel ist.3 Doch braucht allein der Umstand, dass diese Problematik bisher noch nicht umfassend behandelt wurde, kein Argument dafür zu sein, dass eine Notwendigkeit für eine solche Behandlung besteht. Deshalb muss zunächst dargelegt werden, weshalb herausgearbeitet werden soll, wie man eine Äußerung auszulegen hat, welche Regeln also bei der Auslegung einer Äußerung4 gelten. Zunächst ist auch ohne eine genauere Betrachtung des hier zu Grunde liegenden Begriffs der Äußerung offenbar, dass Äußerungen etwas mit Kommunikation zu tun haben, dass also durch eine Strafandrohung für eine Äußerung eine gewisse Art von Kommunikation, nämlich Kommunikation mit einem bestimmten Inhalt (ehrenrührig, volksverhetzend etc.), unterbunden werden soll. Es scheint so zu sein, dass die rechtliche Regelung von Kommunikation einen großen Stellenwert einnimmt. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen kann der Eindruck entstehen, dass Kommunikation vermehrt rechtlich geregelt wird bzw. eine rechtliche Regelung von Kommunikation verstärkt für legitimationsbedürftig gehalten wird (unten I.), zum anderen hat ein strafrechtlich sanktioniertes Verbot von Kommunikation – ins1
Sauer, Ehre, S. 78. Man könnte insofern nur einen Beitrag von Klug (Festschrift für Jescheck, S. 583 ff.) nennen. Speziell auf diese Ansicht von Klug wird unten im 6. Abschnitt genau eingegangen. 3 Wittig, GA 2000, S. 267, 269 (insbes. Fn. 10). 4 Was wir hier – wie oben herausgearbeitet – als Konkretisierung des Gesetzes (genauer: Bestimmung des sog. unerlaubten Verhaltens) ansehen wollen. Die Rede von der Auslegung der Äußerung dient ja (vgl. oben unter: 1. Abschnitt, II. 3. b) a. E.) nur der sprachlichen Vereinfachung. 2
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1. Teil: Einleitung
besondere im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Freiheiten – eine besondere Qualität (unten II.); zuletzt stellen sich bei der Anwendung des Rechts auf Äußerungen gewisse Probleme, die sich allgemein auch stellen, hier aber besonders deutlich werden (unter III.). Überdies sind diese Problembereiche bisher unzureichend dogmatisch erfasst, was zahlreiche Missverständnisse verursacht hat; das soll hier am Beispiel der Reaktionen auf die „Soldaten-sind-Mörder-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts genauer dargestellt werden (unten IV.). I. Intensivierung der (straf-)rechtlichen Regelungen von Kommunikation als „Vorfeldkriminalisierung“ oder „Klimaschutz“ Übersieht man die historische Strafrechtsentwicklung und Entwicklung der Strafrechtswissenschaft, so fällt – ungeachtet der bei einem solchen Überblick nicht zu vermeidenden Ungenauigkeit – Folgendes auf: Ursprünglich stand hier die Befassung mit einem „Kernbereich“ im Vordergrund.5 1. Der „Kernbereich“ des klassischen Strafrechts Dieser „Kernbereich“ zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm Verhaltensweisen bei Strafe verboten werden, die durch einen intensiven Eingriff in die Rechtssphäre eines anderen charakterisiert sind.6 Dieser andere, in dessen Rechte eingegriffen wird, kann selbstverständlich auch der Staat sein; die „klassischen“ Staatsschutzdelikte gehören also auch hierher. Die überwiegende Befassung mit diesem Kernbereich – Jakobs spricht vom bürgerlichen Strafrecht7 – spiegelt sich z. B. darin wider, dass in strafrechtlichen Lehrbüchern heute noch Fragen nach der Kausalität eines Verhaltens für einen Erfolg (bzw. die Zurechnung des Erfolgs zum Verhalten) im Mittelpunkt der Erörterungen stehen, also Fragen nach der Verantwortlichkeit für den als „Erfolg“ angesehenen Eingriff in Rechte anderer.8 2. Vorfeldkriminalisierungen Um diesen Bereich des „Kernstrafrechts“ lagert sich seit jeher ein Bereich herum, in dem dieses Schema – also die Frage danach, ob ein Verhal5
Müller-Dietz, FS f. Arthur Kaufmann, S. 95, 96. Jakobs, ZStW 1985, S. 751, 756. 7 Jakobs, ZStW 1985, S. 751, 756. 8 Kühl (AT § 3, Rn. 8) hält die Frage nach der Kausalität bzw. Zurechenbarkeit eines Erfolges für „genuine AT-Materie“. 6
2. Abschn.: Grund der Untersuchung
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ten einen Erfolg verursacht hat bzw. ein Erfolg dem Verhalten zugerechnet werden kann – nicht so uneingeschränkt gilt. Hier wurde nicht der sinnenfällige Eingriff in Rechte Anderer bestraft, sondern bloße unerwünschte Verhaltensweisen beschrieben. So liegt es z. B. bei § 166 a. F. StGB, der die Gotteslästerung bestrafte. Allerdings standen diese Delikte nicht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen; ihre Existenz wurde im Wesentlichen einfach hingenommen – wohl auch, weil sie überkommen waren und sich ihre Existenz in das vorherrschende Weltbild jener Zeit (noch) einfügte. 3. Der Zusammenhang zwischen Vorfeldkriminalisierungen, „Klimaschutz“ und Äußerungen als Tathandlungen Im Verlauf der Zeit änderte sich dies aber: Zum einen gerieten diese überkommenen Straftatbestände ins Gerede. Das geschah z. B. in der Diskussion um die Legitimität der abstrakten Gefährdungsdelikte, auch wenn diese Delikte – u. U. weil man die von ihnen zu verhindernde Situation als Rechtsgutsverletzung kennzeichnete –9 nicht als solche firmieren.10 Zum anderen aber schuf der Gesetzgeber zunehmend neue Delikt solcher Art, während der „Kernbereich“ des Strafrechts bis heute nicht wesentlich umgestaltet wurde.11 Hierher gehört z. B. § 140 StGB, diese Vorschrift wurde durch das 3. StRÄG aus dem Jahre 195312 geschaffen,13 sowie § 131 StGB, der durch das 4. StrRG 197314 in das Strafgesetzbuch eingefügt wurde.15 Diese neuen Tatbestände waren und sind in ihrer Legitimität ebenfalls nicht unumstritten; häufig wird hier – meistens zum Teil abwertend gemeint – von „Klimaschutzdelikten“ gesprochen bzw. beklagt, dass so der Bereich des Strafbaren in die Vorbereitungsphase ausgeweitet werde, der Strafrechtsschutz also vorverlagert werde.16 Auffällig und zur Begründung wesentlich, weshalb man sich mit der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht beschäftigen sollte, ist nun Folgendes: Bei den meisten dieser Delikte – seien sie überkommen oder neu geschaffen – handelt es sich um Äußerungsdelikte.17 So nennt Jakobs als Bei9
Dazu noch genauer die Ausführungen unten im 4. Abschnitt. Jakobs, ZStW 1985, S. 751. 11 Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 22. 12 BGBl. I, S. 735 ff. 13 Diese Regelung geht auf Straftatbestände aus den Republikschutzgesetzen der Weimarer Republik zurück, vgl.: Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 23. 14 BGBl. I, S. 1725 ff. 15 Vgl.: Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 23. 16 Vgl.: Bemmann, Meinungsfreiheit, S. 17. 17 Weshalb die Bestrafung einer bloßen Äußerung immer eine Vorfeldkriminalisierung ist, wird im 5. Abschnitt dargelegt. 10
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1. Teil: Einleitung
spiele für diese Delikte die §§ 241, 126 Abs. 1, 140 Nr. 2, 130, 131, 80 a und 111 StGB,18 Müller-Dietz benennt im Wesentlichen dieselben19 und diese Delikte sind überwiegend Äußerungsdelikte. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen der verstärkten Kriminalisierung im Vorfeld und der Kriminalisierung von Äußerungen, teilweise werden diese beiden Phänomene, die miteinander zusammenhängen, sogar in eins gesetzt.20 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Fragen, die sich um die Zulässigkeit von bereits vorhandenen Vorfeldkriminalisierungen ranken, bzw. Fragen nach der Legitimität von Klimaschutzdelikten sich besser klären lassen, wenn man weiß, was diese Delikte überhaupt erfassen – und das betrifft zum Teil die Frage nach der Auslegung einer Äußerung. Über die Legitimität, die hier nicht Thema sein soll, lässt sich eben erst dann urteilen, wenn man genau weiß, welches Verhalten diese Delikte überhaupt erfassen. Zum anderen lässt sich – ob man es gutheißt oder nicht – nicht übersehen, dass durch solche Kriminalisierungen von Äußerungen von Seiten der Politik Gesellschaftssteuerung mit Mitteln des Strafrechts betrieben wird (oder werden soll).21 Da nicht zu erwarten ist, dass diese Entwicklung aufhören oder sich abschwächen wird – sie wird sich im Gegenteil wohl eher noch intensivieren, diese Delikte werden also eher wichtiger als unwichtiger –, liegt darin ein Grund für die nähere Befassung mit ihnen. Denn um eine solche Steuerung betreiben zu können, muss man wissen, was solcherlei Delikte überhaupt erfassen und erfassen können, und zur Beantwortung dieser Fragen muss man die Frage nach den Auslegungsgrundsätzen stellen. II. Die besondere Qualität der (straf-)rechtlichen Regelung von Kommunikation Doch dieses Ergebnis solcher Erwägungen zu gesellschaftlichen und politischen Phänomenen, die dazu geführt haben, dass es sinnvoll erscheint, sich auf der Ebene des (Straf-)Rechts mit der Auslegung von Äußerungen zu befassen, kann noch untermauert werden. Man kann noch eine weitere rechtliche Ebene, die der des Strafrechts übergeordnet ist, in die Betrachtung mit einbeziehen: Die Bestrafung von Äußerungen, also das rechtliche Verbot gewisser Kommunikation, das durch strafrechtliche Sanktionen bewehrt ist, greift tief in die grundrechtlich geschützte Freiheit des Einzelnen ein. 18
Jakobs, ZStW 1985, S. 751, 774. Müller-Dietz, FS f. Arthur Kaufmann, S. 95, 98. 20 So Müller-Dietz (FS f. Arthur Kaufmann, S. 95), der die Begriffe des „Klimaschutzdelikts“ mit dem des „Kommunikationsdelikts“ in eins setzt. 21 Müller-Dietz, FS f. Arthur Kaufmann, S. 95; vgl. allgemein zu solchen Tendenzen auch: Hassemer, NStZ 1989, S. 553, 557; ders., StV 1990, S. 328, 330. 19
2. Abschn.: Grund der Untersuchung
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1. Das strafrechtlich sanktionierte Verbot einer Äußerung als Eingriff in Art 5 GG In der Regel unterfällt das Verhalten, durch das ein Äußerungsdelikt nur begangen werden kann, also eine Äußerung – schließlich sind die Äußerungsdelikte verhaltensgebundene Delikte22 – dem Schutzbereich des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG.23 D.h. das Verhalten, dessen Strafbarkeit in Rede steht, ist nicht nur durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art 2 Abs. 1 GG24 geschützt, sondern fast immer ist ein besonderer grundrechtlicher Schutz durch das spezielle Freiheitsrecht des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG gegeben. Dementsprechend sind die Äußerungsdelikte als Strafgesetze meistens eine Aktualisierung der Schranke der „allgemeinen Gesetze“ – bzw. sie konstituieren wie §§ 185 ff. StGB das „Recht der persönlichen Ehre“ (Art 5 Abs. 2 GG). Diese besondere – zumindest grundsätzliche – Verstärkung des Schutzes des Verhaltens, durch das die Äußerungsdelikte nur begangen werden können, bei gleichzeitigem Verbot dieses Verhaltens durch eben den entsprechenden Straftatbestand, führt zu folgender Konstellation: Mit Beginn des Bereichs des verbotenen Verhaltens beginnt gleichzeitig der Bereich des strafbaren Verhaltens.25 a) Das Verhältnis von strafrechtlich sanktionierten Verboten und Grundrechten im Allgemeinen Das ist bei der überwiegenden Anzahl der Delikte anders. Hier ist der Bereich, den die Straftatbestände als strafbares Verhalten umschreiben, mit einem Bereich umgeben, in dem „nur“ verbotenes bzw. sozialethisch missbilligtes Verhalten stattfindet. So beschreiben z. B. Rechtsnormen aus dem Bürgerlichen Recht einen Bereich des unerlaubten Verhaltens, also einen Bereich dessen, wie man sich im Rechtsverkehr von Rechts wegen nicht verhalten darf. Hierher gehören z. B. die §§ 123 Abs. 1, 138 Abs. 1, 2 BGB. Nur ein Teil der Verhaltensweisen, die hierdurch erfasst sind, i. e. hierdurch 22
s. o. im 1. Abschnitt unter I. Auf besonders dieses Grundrecht und seine Wirkung wird später noch erheblich genauer einzugehen sein. 24 So jedenfalls die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem sog. Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32, 36, Urt. v. 16. Januar 1957 – 1 BvR 253/56 –). Gegen die Interpretation des Art 2 Abs. 1 GG im Sinne der „allgemeinen Handlungsfreiheit“ wendet sich die „Persönlichkeitskerntheorie“ (abw. Meinung Grimm, BVerfGE 80, 164, 265, Beschl. v. 6. Juni 1989 – 1 BvR 921/85 – Reiten im Walde), die indes jedenfalls dem Willen der „Väter und Mütter des Grundgesetzes“ nicht entspricht (vgl. JöR n. F., Bd. 1, S. 54 ff.). 25 Grünwald in: Lüderssen, Vom Nutzen, S. 489, 502; ders., KJ 1979, S. 291, 293. 23
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rechtlich geregelt sind, sind aber durch § 263 Abs. 1 StGB als Betrug mit Kriminalstrafe bedroht. b) Das Verhältnis von strafrechtlich sanktionierten Verboten und Grundrechten im Allgemeinen bei den Äußerungsdelikten Bei den Äußerungsdelikten gibt es diesen Bereich des „nur verbotenen“ bzw. sozialethisch missbilligten Verhaltens nicht.26 Das Verbot gewisser Äußerungen ist gleichzeitig immer ein Verbot, dessen Missachtung durch Strafe sanktioniert ist. Es gibt hier immer nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Verhalten ist durch ein gesetzliches Verbot erfasst – und damit immer auch strafbar! – oder die Äußerung unterfällt diesem Verbot nicht, was zur Folge hat, dass das Verhalten erlaubt ist und überdies durch Art 5 Abs. 1 GG (zumindest in der Regel) grundrechtlich besonders geschützt ist. Diese Konstellation – ein Verbot ist immer auch ein mit Strafe sanktioniertes Verbot – kann mittelbar zu einer Selbstzensur führen: Der Einzelne, der sich äußern will, überlegt sich im Voraus, ob seine Äußerung überhaupt erlaubt oder bei Strafe verboten ist. Und wenn er – auch nur im Entferntesten – mit der Möglichkeit rechnet, dass die Äußerung verboten sein könnte, so wird er sie häufig unterlassen, weil bei Verstoß gegen das Verbot sofort Strafe droht.27 c) Auswirkungen So kann das Verbot einer Äußerung durch einen Straftatbestand nicht nur dazu führen, dass Äußerungen unterbunden werden, die ihm unterfallen. Sondern schon im Bereich von Äußerungen, die nicht unter einen Straftatbestand fallen und also nicht durch ein rechtliches Verbot erfasst sind – und das heißt hier umgekehrt: den besonderen Schutz des Art 5 Abs. 1 GG genießen –, kann die „Schere im Kopf“28 einsetzen und den Einzelnen dazu bewegen, sich nicht zu äußern.29 Dieser Gefahr, dass das Grundrecht des Art 5 Abs. 1 GG über Gebühr durch den oben beschriebenen Mechanismus faktisch eingeschränkt wird, kann nur dadurch entgegengewirkt werden, dass die Grenzlinie zwischen dem Bereich des erlaubten (und somit beson26 Grünwald in: Lüderssen, Vom Nutzen, S. 489, 502; ders., KJ 1979, S. 291, 293; zur Beleidigung: v. d. Decken, NJW 1983, S. 1400, 1401. 27 Grünwald in: Lüderssen, Vom Nutzen, S. 489, 502; ders., KJ 1979, S. 291, 293. 28 Dieses bekannte Wort findet sich z. B. bei Müller-Dietz (FS f. Arthur Kaufmann, S. 95, 98). 29 Bemmann, Meinungsfreiheit, S. 15; Grünwald in: Lüderssen, Vom Nutzen, S. 489, 502; ders., KJ 1979, S. 291, 293.
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ders geschützten) Verhaltens und dem Bereich des verbotenen (und somit zugleich strafbaren) Verhaltens möglichst genau beschrieben wird. Und da die Verbote von Äußerungen am Sinn von Äußerungen ansetzen – was immer das auch genau heißt –, ist es erforderlich, möglichst genau zu beschreiben, wie man den Sinn ermittelt, um möglichst trennscharf die Grenzlinie zu bestimmen. Diese Grenzziehung muss aber so weit wie möglich allgemein erfolgen und darf sich selbstverständlich nicht nur in bloßer Kasuistik erschöpfen,30 ansonsten kann auch die Verfassungswidrigkeit der Inkriminierung von Äußerungen, die wiederholt behauptet wurde, in greifbare Nähe rücken.31 2. Sonstige Eingriffe in Art 5 GG aufgrund strafrechtlicher Vorgaben Wurde oben nur der Bereich des materiellen Strafrechts betrachtet, so verschärft sich die zuvor geschilderte Problematik noch durch eine weitere: Steht eine mögliche Strafbarkeit eines Verhaltens im Raum, so geben die Straftatbestände nicht nur die Befugnis, den Täter – wenn seine Schuld in einem Strafverfahren erwiesen wurde – zu bestrafen. a) Eingriffe durch Strafverfolgungsmaßnahmen Vielmehr knüpft an die mögliche Strafbarkeit einer Verhaltensweise auch die Befugnis an, strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zu ergreifen32 und auch das bloße von einem Strafverfahren Betroffen-Sein stellt ein Übel dar,33 das es, soweit das möglich ist, zu verhindern gilt. Oben wurde beschrieben, wie die Ungewissheit über die Strafbarkeit bei Äußerungen in hohem Maße mit der Auslegung der Äußerung und damit einer rechtlichen Wertungsfrage zusammenhängt. Insbesondere diese Ungewissheit ist es auch, die bewirkt, dass strafprozessuale Zwangsmaßnahmen häufig gegen Personen gerichtet werden, die tatsächlich unschuldig sind. Denn nicht so sehr die faktische Ungewissheit, ob jemand etwas Bestimmtes geäußert 30
Ignor, Beleidigung, S. 198. Das ist nicht nur von „abwegigen Außenseitermeinungen“ verfochten worden. Beispielsweise erklärte Jescheck in den Beratungen der großen Strafrechtskommission, § 185 StGB (in der auch noch heutigen Fassung) verstoße „zweifellos“ gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art 103 Abs. 2 GG (Niederschriften, Bd. IX, S. 50). 32 Müller-Dietz, FS f. Arthur Kaufmann, S. 95, 102. 33 Bemmann, Meinungsfreiheit, S. 14 f.; Grünwald in: Lüderssen, Vom Nutzen und Nachteil, S. 489. So wird auch das Drohen mittels einer Strafanzeige ein Strafverfahren in Gang zu setzen (vgl. § 154 c StPO) überwiegend als Drohen mit einem „empfindlichen Übel“ im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB angesehen (vgl. statt aller: Lackner/Kühl, § 240, Rn. 13). 31
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hat, sondern die Ungewissheit, wie etwas Bestimmtes rechtlich zu werten ist, führt häufig dazu, dass strafprozessuale Maßnahmen wegen Äußerungen einen tatsächlich Unschuldigen treffen. Der Einwand des Betroffenen wird häufig nicht der des „Das habe ich nicht gesagt“ sondern der des „Das habe ich nicht gemeint, das habe ich damit nicht gesagt“ sein. Nun ist der Umstand, dass sich strafprozessuale Maßnahmen gegen Unschuldige richten, weil die Tatsachen noch nicht aufgeklärt sind, den Regelungen der StPO immanent. Die von solchen Maßnahmen betroffenen Personen zahlen sozusagen den Preis, den es dafür zu entrichten gilt, dass überhaupt eine effektive Strafverfolgung stattfindet, woran ein gesamtgesellschaftliches Interesse besteht. Es ist aber rechtsstaatlich sehr bedenklich, wenn das auf einer unzureichenden Erfassung der Rechtslage beruht.34 Dass Tatsachen noch nicht geklärt sind, ist der Regelfall, aufgrund dessen sich strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen die (im Endeffekt) unschuldige Person richten; dass rechtlich zunächst unzutreffend gewertet wird und aufgrund dessen Zwangsmaßnahmen die falsche Person treffen, kann durch genauere Beschreibung der Rechtslage, die diese Arbeit anstrebt, verhindert werden. b) Eingriffe durch in anderen Rechtsgebieten zu verortende Eingriffe Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass an das rechtliche Verbot einer Äußerung nicht nur strafprozessuale Maßnahmen geknüpft werden können, sondern auch in anderen Rechtsgebieten die Bewertungen gewisser Äußerungen durch das Strafrecht übernommen werden. Vermeidbare Eingriffe in Art 5 Abs. 1 GG drohen somit nicht nur durch die Strafe selbst oder die damit in einem inneren Zusammenhang stehenden strafprozessualen Maßnahmen, sondern auch durch Maßnahmen, die ihre Rechtsgrundlage in anderen Rechtsgebieten finden. So kann es sein, dass zunächst jemandem ordnungsbehördlich oder polizeilich verboten wird, sich in einer gewissen Weise zu äußern, weil man – vorläufig noch – davon ausgeht, es sei nicht erlaubt sich so zu äußern. Insbesondere wenn es um Äußerungen in Zusammenhang mit Demonstrationen geht, wird diese Fallkonstellation praktisch. Geht man zu Unrecht davon aus, dass es verboten ist, sich in einer gewissen Weise zu äußern, so können die auf diesem Fehler beruhenden Verbote nach Polizei- bzw. Ordnungsrecht dann vermieden werden, wenn es mög34 Das dürfte auch das Bundesverfassungsgericht dazu bewogen haben, Rechtsmittel gegen prozessuale Zwangsmaßnahmen auch nach sog. prozessualer Überholung dann zuzulassen, wenn die Zwangsmaßnahme einen „tiefgreifenden Grundrechtseingriff“ darstellte (BVerfGE 96, 27, 40, Beschl. v. 30. April 1997, – 2 BvR 817/90, 728/92, 802 und 1065/95 –).
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lich ist, genauer zu bestimmen, wann eine Äußerung verboten ist und wann nicht. Auch hier kann die Freiheitseinschränkung, die darauf beruht, dass unzutreffend der Sinn einer Äußerung erfasst wird, durch genauere Kriterien zur Erfassung des Sinns minimiert werden. Der Grund dafür, dass das Strafrecht hier im Bereich der Gefahrenabwehr von großer Relevanz ist, liegt in Folgendem: Durch auf die Generalklauseln (§ 8 PolG NW, § 14 OBG NW) gestützte Maßnahmen können drohende Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit unterbunden werden. Ein jeglicher drohender Rechtsverstoß begründet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Nun finden sich Rechtsnormen, die Kommunikation durch Anknüpfen an den Inhalt rechtlich regeln, ganz überwiegend im Strafrecht. Außerhalb des Strafrechts ist die rechtliche Regelung von Kommunikation dadurch, dass an den Inhalt angeknüpft wird, kaum vorhanden.35 So ist es dann auch kein Wunder, dass die Pressegesetze der Länder die Berufspflichten der Presseangehörigen durch Verweis auf das Strafrecht regeln: § 21 PresseG NW statuiert die Verpflichtung, Druckwerke von Inhalten frei zu halten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. Es lässt sich also Folgendes sagen: Im Bereich der rechtlichen Regelung von Kommunikation bilden die Verhaltensnormen des Strafrechts das „Grundgerüst“; andere Rechtsgebiete knüpfen mit den ihnen eigenen Rechtsfolgen (meistens) an ein Verbot an, das durch das Strafrecht statuiert wird. Die anderen Rechtsgebiete sind insofern akzessorisch zum Strafrecht, was erstaunlich ist, da es im Regelfall umgekehrt ist: Das Strafrecht vollzieht die Wertungen anderer Rechtsgebiete nach und belegt gravierende Normbrüche teilweise mit Kriminalstrafe. Das Problem der Auslegung von Äußerungen greift insofern also weit über das Strafrecht hinaus und ist umso drängender, als es auch in anderen Rechtsgebieten relevant ist.
35 Nur teilweise wird auch hier Kommunikation rechtlich anhand ihres Inhalts bewertet, z. B. darf sich ein Richter auch außerhalb seines Amtes politisch nur insoweit betätigen, als das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird (§ 39 DRiG). Da politische Betätigung meistens im Äußern einer politischen Meinung besteht, darf der Richter also aufgrund dieser Regelung keine Meinung solchen Inhalts äußern, der die Gefahr des Verlusts des Vertrauens in seine Unabhängigkeit inne wohnt. Es findet also eine rechtliche Regelung von Kommunikation anhand des Inhalts statt und diese rechtliche Regelung befindet sich nicht im Strafrecht. Weitere Beispiele finden sich in sonstigen Gesetzen, in denen das berufliche Verhalten von Personen geregelt wird (vgl. § 35 Abs. 2 BRRG). „Normale“ Bürger sind von ihnen in der Regel nicht betroffen. Sie haben sich bei Äußerungen nur nach rechtlichen Beschränkungen (die den Inhalt betreffen) zu richten, die durch Strafgesetze statuiert werden.
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III. Die besondere Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten: Die „Umgehungsproblematik“ Noch ein weiteres Problem stellt sich bei den Äußerungsdelikten. Allgemein ist bekannt, dass man sich durch das Äußern gewisser Gedankeninhalte strafbar macht. Über dieses Verbot setzt sich eine Gruppe von Tätern einfach hinweg: Hier werden in der Regel dann Gedankeninhalte geäußert, die eindeutig beleidigend, volksverhetzend usw. sind. Diese Fälle sind im Hinblick auf die Auslegung einer Äußerung unproblematisch. Das Gemeinte kommt nämlich meistens zum Ausdruck, und die Täter rechnen entweder nicht damit, für ihre Äußerung strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, oder ihnen ist es gleichgültig, ob sie bestraft werden. Manchmal ist ihnen das Äußern ihrer Meinung auch wichtiger als eine u. U. erfolgende Bestrafung.36 Es gibt aber auch Fälle, in denen die jeweiligen Täter danach trachten, den entsprechenden Gedankeninhalt zu äußern, aber die Worte ihrer Äußerung so zu wählen versuchen, dass sie einer Bestrafung wegen ihrer Äußerung entgehen. Sie versuchen, den Gedankeninhalt so zu „verpacken“, dass sie meinen, die Zuhörer würden noch erkennen, wie ihre Ansichten über andere Menschen (§ 185 StGB), den Staat (§ 90 a StGB), Religionsgemeinschaften (§ 166 StGB) und insbesondere Minderheiten (§ 130 Abs. 1 StGB) usw. sind, sie sich aber gegenüber anderen – und insbesondere vor Gericht – darauf berufen können, dass das, was man ihnen unterstellt, gar nicht gesagt worden sei.37 Diese Täter versuchen, straflos das zu äußern, was sie äußern wollen; insofern kann man davon sprechen, dass sie eine Strafbarkeit umgehen wollen. Diese Fälle zu entscheiden, kann sehr problematisch sein. Grundsätzlich kommt es zwar nicht auf den Wortlaut des Gesagten an, somit ist es gleichgültig, wie der gedankliche Inhalt „verpackt“ ist, doch sind auch Fälle denkbar, in denen in dem Geäußerten nicht mehr der inkri36 Ein Beispiel dafür sind viele Fälle der so genannten Auschwitz-Lüge. Die vermeintliche Wahrheit zu äußern, schätzen die Täter für wichtiger ein als das Risiko dafür bestraft zu werden. 37 Ein berühmtes Beispiel für die vielgestaltigen Möglichkeiten, die die menschliche Sprache insofern bietet, ist die (schriftliche) Äußerung des Marquess of Queensbury gegenüber Oscar Wilde: Queensbury behauptete nicht, dass Wilde „widernatürliche Unzucht“ mit dem Sohn von Queensbury, Lord Alfred Douglas, treibe, sondern nur, dass Wilde sich gefalle, so zu posieren (Grote, NJW 2004, S. 588). Diese Worte waren „gleichzeitig Schild und Speer“. Speer insofern, als Wilde gegen diese Äußerung angehen musste, weil er sie als beleidigend empfinden musste, Schild deswegen, weil Queensbury sich u. U. – und hier zeigt sich die Relevanz der Auslegung wegen der Umgehung einer eindeutig beleidigenden Äußerung – hätte darauf berufen können, er habe nicht behauptet, Wilde treibe widernatürliche Unzucht, sondern gebärde sich nur so (vgl.: Jacta, Berühmte Strafprozesse – England, Bd. I, S. 67, 74).
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minierte Gedankeninhalt zum Ausdruck kommt. Dass man in diesen Fällen nicht mehr nur darauf abstellen kann, dass der Betreffende hat beleidigen etc. wollen, dürfte heutzutage unumstritten sein.38 Man muss in solchen Fällen der (versuchten) Gesetzesumgehung prüfen, ob das Verhalten noch unter den Straftatbestand fällt oder schon aus dem Bereich des Strafbaren herausfällt. Fällt es aus dem Bereich der durch Auslegung konkretisierten Norm heraus, dann tritt Straflosigkeit ein; eine etwa analoge Anwendung der Norm kommt nicht in Betracht (Art 103 Abs. 2 GG).39 Die Rede wurde in einem solchen Fall so „verpackt“, dass das Beleidigende, Volksverhetzende etc. eben gar nicht mehr zum Ausdruck kam. Hier die Grenze zu ziehen, ist die Aufgabe der Auslegung der Äußerung. Hiergegen mag man einwenden, diese Problematik der „Umgehung“ stelle sich überall im Strafrecht: Wird eine Verhaltensweise als strafbar erkannt, so versuchen die Täter den gleichen Erfolg wie mit dieser bei Strafe verbotenen Verhaltensweise durch anderes Verhalten zu erreichen. So stecken Ladendiebe zu stehlende Sachen nicht mehr in ihre Bekleidung, mitgebrachte Taschen etc. (eindeutig Diebstahl), sondern verbergen diese Dinge z. B. in Verpackungen für andere Waren, um sie so durch die Kasse zu schleusen, und hier stellt sich das Problem der Abgrenzung vom Betrug. Doch in solchen Fällen sind die auftauchenden Rechtsfragen zu einem großen Teil beantwortet, die Dogmatik beschäftigt sich seit langer Zeit mit ihnen. Überdies gibt es nicht sehr viele Möglichkeiten, Sachen aus der Herrschaftssphäre des einen gegen seinen Willen in die eigene zu verbringen; die Möglichkeiten einen Ladendiebstahl im weiteren Sinne zu begehen sind endlich und überschaubar. In dem Bereich, in dem die Äußerungsdelikte sich befinden, liegt es anders: Die durch diese Tatbestände geschützten Rechtsgüter sind erheblich vager, nicht so genau umrissen wie im Kernbereich des Strafrechts. Überdies zeigt sich hier wiederum40 – und daraus ergibt sich die besondere Problematik –, dass die Sprache dem Menschen unglaublich vielgestaltige Möglichkeiten gibt, sich auszudrücken. IV. Die unzureichende Erfassung der Problematik (am Beispiel von „Soldaten-sind-Mörder“) Reichen die obigen Ausführungen an sich aus, um zu begründen, weshalb man sich mit dem Thema der Auslegung von Äußerungen befassen sollte, so sollten trotzdem noch die Fehlentwicklungen, die auf der unzureichenden Befassung mit dem Thema ergeben, betrachtet werden. Das soll hier anhand 38 Auf die Ansicht, die dies im Wesentlichen für maßgeblich hielt, wird unten im 6. Abschnitt eingegangen. 39 Vgl. Otto, JURA 1999, S. 97. 40 Vgl. schon die Ausführungen oben (1. Abschnitt, II. 3).
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der Reaktionen auf das „Soldaten-sind-Mörder-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts aufgezeigt werden. Auf diese Fälle wird als Beispiele für die hier behandelte Problematik auch noch im weiteren Verlauf der Untersuchung zurückzukommen sein. In der erwähnten Entscheidung ging es um vier Fälle, die sich zusammenfassend so darstellen lassen: Die Beschwerdeführer äußerten in unterschiedlichen Konstellationen den Satz „Soldaten sind Mörder“. Soldaten der Bundeswehr fühlten sich dadurch getroffen und stellten Strafanträge. Die erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen hob das Bundesverfassungsgericht mit der Begründung auf, die Auslegung der jeweiligen Äußerung verletze die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art 5 Abs. 1 S. 1 GG.41 1. Der Ehrbegriff als vermeintliches Zentralproblem Beim Tatbestand der Beleidigung hat man lange Zeit in der Literatur und der Rechtsprechung den Begriff der Ehre in den Mittelpunkt gestellt.42 Überwiegend wurde problematisiert wie das geschützte Rechtsgut – die Ehre – zu definieren sei und dabei verlor man aus den Augen, dass – unabhängig von der Definition des Rechtsguts – die Beleidigung ein bestimmtes Verhalten, nämlich eine Äußerung mit einem gewissen Sinn, erfordert. a) Die tatsächliche Relevanz der Ehrbegriffe Der Leser ist aufgerufen, an dieser Stelle ein einfaches Gedankenexperiment zu machen: Er versuche, sich Fälle ins Gedächtnis zu rufen, für die es bei der rechtlichen Bewertung erheblich ist, auf welche Weise man die „Ehre“ zu definieren hat. Er wird zu dem Ergebnis kommen, dass es kaum Fälle gibt, in denen die bekannte Kontroverse zwischen dem „normativen“ Ehrbegriff, dem „faktischen“ Ehrbegriff und den sonst vertretenen „Theorien“ oder gar zwischen ihren unterschiedlichen, kaum zählbaren Varianten43 von Relevanz ist. Fallkonstellationen, in denen der Streit um den Ehrbegriff eine Rolle spielt, sind meistens solche, die der so genannten Lehrbuchkriminalität angehören. In der Menge der von der Rechtsprechung entschiedenen Sachverhalte spielen sie keine große Rolle, hier steht meistens das Problem der Auslegung der Äußerung in Rede. 41 BVerfGE 93, 266 ff., Beschl. v. 10. Okt. 1995, – 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92 –. 42 Hier sind in erster Linie die umfangreichen Monografien zum Ehrbegriff von Tenckhoff (Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände) und Hirsch (Ehre und Beleidigung) zu nennen. 43 Tenckhoff hat im Jahr 1988 „über sechzig verschiedene Ehrbegriffe“ gezählt (JuS 1988, S. 199, 201).
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b) Die Geschichte der Beschreibung von Auslegungsproblemen als „richtige“ Bestimmung des Ehrbegriffs Diese an sich verfehlte Schwerpunktsetzung hat eine lange Tradition, die nicht erst durch die wesentlichen Werke zum Ehrbegriff von Tenckhoff und Hirsch begründet wurde. Sie führte insbesondere in der Zeit des so genannten Dritten Reichs dazu, dass durch einen angeblich gewandelten Ehrbegriff Verhalten strafrechtlich sanktioniert wurde, das noch nicht einmal eine Äußerung darstellte.44 Auch in der Bundesrepublik – der Ehrbegriff hatte sich wieder zurückverwandelt – wird die Lösung von Problemen trotzdem noch überwiegend bei der Definition des Rechtsguts gesucht. Das führte dann zu Entscheidungen, die nach heutiger Sicht wohl einhellig als falsch beurteilt werden, weil gar keine Äußerung vorlag.45 c) Die heutigen Auswirkungen des Diskussionsverlaufs Auch heutzutage lässt sich diese einseitige Ausrichtung auf den Rechtsgutsbegriff bei der Diskussion über Probleme in diesem Bereich noch beobachten und hier ist wieder auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Äußerung „Soldaten sind Mörder“46 und die sich an dieser Entscheidung entzündende literarische Diskussion zurückzukommen. In den Äußerungen wird die Ablehnung der Entscheidung maßgeblich damit begründet, dass durch das Urteil Soldaten der Ehrenschutz versagt werde. Es wird also gesagt, dass das Rechtsgut „Ehre“ durch diese Entscheidung nicht ausreichend geschützt würde. Das zeigt sich schon an den Titeln der Anmerkungen: „Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz“47 oder „Ehrenschutz und Meinungsfreiheit“48. Bereits früher sprach Kiesel von der „Liquidierung des 44 Bekanntestes Beispiel dürfte der so genannte Bierreise-Fall sein (RGSt 70, 94 ff., Urt. v. 13. Februar 1936 – 3 D 710/35 – ). Hier wurde das Unternehmen der nächtlichen „Bierreise“ mit einer verheirateten Frau als Beleidigung des Ehemannes angesehen. Durch eine solche Fahrt werde nämlich der gute Ruf der Ehefrau verletzt (S. 99), was den Mann in seiner Ehre treffe (S. 98). Eine Äußerung soll in der Reise zwar liegen, doch wird das nur behauptet (S. 99). Im Wesentlichen wird das Ergebnis nur mit einem gewandelten Ehrbegriff begründet (S. 97). 45 BGHSt (GS) 11, 67 ff., Beschl. v. 18. Nov. 1957, – GSSt 2/57 – (Beate Uhse). Zur Kritik hieran und zur überholten „Sexualbeleidigung“ vgl. Ignor (Beleidigung, S. 47 und 66) und Amelung (FS für Rudolphi, S. 373, 378). 46 Das freisprechende Urteil des KG (Urt. v. 17. Nov. 1932, – 2 S 686/32 –) im Verfahren gegen den „Erfinder“ dieses Satzes, Kurt Tucholsky, ist in der Juristischen Wochenschrift 1933 (S. 972 ff.) veröffentlicht. 47 Stark, JuS 1995, S. 689 ff. 48 Otto, JURA 1997, S. 139 ff.
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Ehrenschutzes durch das BVerfG“49. In diesen Stellungnahmen wird zwar meistens konzediert, dass die Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit der getanen Äußerung – und damit die Richtigkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – davon abhängt, ob die Äußerung in einem ehrverletzenden Sinn zu verstehen ist oder nicht, wie sie mithin auszulegen ist.50 Doch in den daran anschließenden Erörterungen wird überwiegend nur damit argumentiert, dass, würde man im Sinne des Bundesverfassungsgerichts auslegen, der Ehrenschutz der Soldaten nicht mehr vorhanden sei.51 Teilweise wird zwar ganz kurz, ohne genauere Begründung und ohne das konsequent durchzuführen, gesagt, es sei auf die Umgangssprache abzustellen.52 Doch es zeigt sich, dass die Autoren in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen hätten anders entscheiden wollen, um die Ehre der Soldaten zu schützen, folglich sehen sie die Ehre als durch den Beschluss nicht geschützt an. Es wird also vorausgesetzt, dass die zugrunde liegenden Verhaltensweisen der Beschwerdeführer die Ehre der Soldaten angreifen, doch das ist ja gerade die entscheidende Frage: Ist der einzelne Soldat der Bundeswehr durch die Äußerung denn tatsächlich getroffen? Die Frage, ob der Sinngehalt dahin geht, dass jeder Soldat der Bundeswehr als Mörder bezeichnet wird, wird nur in dem verteidigenden Beitrag von Dencker in dieser Deutlichkeit gestellt.53 Allerdings wird auch hier nach dieser Feststellung nicht näher herausgearbeitet, wie der Sinngehalt der Äußerungen ermittelt werden muss, sondern es wird gesagt, dass mit dieser Äußerung nicht die Ehre des einzelnen Soldaten geschmälert sei, sondern ein Berufsstand abqualifiziert werde.54 Letztlich wird also auch hier wieder mit dem Ehrbegriff argumentiert – die Ehre ist nicht betroffen, wenn „nur“ ein Berufsstand abqualifiziert wird – und nicht auf den Punkt gebracht, wann die Ehre des einzelnen Soldaten getroffen ist und wann nur ein Berufsstand abqualifiziert wird.
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NVwZ 1992, S. 1129 ff. Grasnick, JR 1995, S. 162, 164; Stark, JuS 1995, S. 689, 691 f.; Herdegen, NJW 1994, S. 2933, 2934. 51 Nach Stark (JuS 1995, S. 689, 692) ist der Beschluss ein „weiterer Schritt in Richtung einer ehrenlosen Gesellschaft“; vgl. weiterhin: Grasnick, JR 1995, S. 162, 165; Herdegen, NJW 1994, S. 2933, 2934; Otto, JURA 1997, S. 139, 146. 52 Stark, JuS 1995, S. 689, 692; Herdegen, NJW 1994, S. 2933, 2934; Otto, JURA 1997, S. 139, 146. 53 Dencker, FS f. Bemmann, S. 291, 295; in diese Richtung auch: Gounalakis, NJW 1996, S. 481, 482. 54 Dencker, FS f. Bemmann, S. 291, 296. Die zur Begründung durchgeführte Umformulierung hat aber ihre Berechtigung, vgl. unten 9. Abschnitt. 50
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2. Die Auslegung der Äußerung als tatsächliches Zentralproblem Es ist unstreitig, dass mit der Bezeichnung eines anderen als Mörder beleidigt wird. In den „Soldaten-sind-Mörder-Fällen“ ist aber fraglich, ob das getan wurde. Daher ist die Zuspitzung „Ehrenschutz“ oder „Meinungsfreiheit“ zumindest sehr ungenau. Sie ist in einer allgemeinen Weise richtig, denn wenn man annimmt, dass eine Äußerung die Ehre eines anderen angreift, dann kann sich der Äußernde nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Umgekehrt muss man dem Äußernden den Schutz der Meinungsfreiheit zuerkennen, wenn die Äußerung nicht ehrenrührig ist. Daher ist die Zuspitzung „Ehrenschutz“ oder „Meinungsfreiheit“ im Konkreten unbrauchbar: Die Frage, ob die Ehre, die insoweit unstreitig existiert, überhaupt betroffen wurde, oder ob die Meinungsfreiheit eingreift, ist die zentrale Frage. Und sie muss durch Auslegung der Äußerung, die das Thema dieser Arbeit sein soll, herausgefunden werden.55 Eben die Frage nach der Auslegung der Äußerung besitzt so etwas wie die „Schlüsselfunktion“ zur zutreffenden rechtlichen Bewertung einer Äußerung.56 Alle anderen Schritte sind der Ermittlung des Sinnes nachrangig, so beispielsweise die Fragen danach, wie die Ehre zu definieren ist,57 welches Rechtsgut § 166 Abs. 1 StGB schützt und wann eine Eignung zur Friedensstörung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB zu bejahen ist. Weshalb das Zentralproblem der Auslegung von Äußerungen bisher nicht als solches behandelt wurde, darüber lässt sich nur spekulieren und es soll deshalb hier auch nicht im Mittelpunkt stehen. Es ist aber ein häufig zu beobachtender Umstand, dass Zusammenhänge, die uns aus dem täglichen Le55 Für einen Teilbereich der Äußerungsdelikte, den Aussagedelikten gem. §§ 153 ff. StGB, weist Stein überzeugend nach, dass die Ermittlung des Behauptungsgegenstands einer Aussage durch ihre Auslegung (neben der Festlegung, was überhaupt eine Aussage im Sinne der §§ 153 ff. StGB ist) das zentrale Sachproblem ist (FS für Rudolphi, S. 553, 568 ff.). 56 BGH, NJW 1982, 1805, Urt. v. 9. Feb. 1982, – VI ZR 123/80 –; BVerfGE 82, 43, 50 f., Beschl. v. 19. April 1990, – 1 BvR 40,42/86 – (Anti-Strauß-Komitee); BVerfGE 82, 272, 280 f., Beschl. v. 26. Juni 1990, – 1 BvR 1165/89 – (Zwangsdemokrat); Nolte, Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie, S. 55. 57 Anders: Kubiciel/Winter, ZStW 113 (2001), S. 305, 306: . . . [D]er Umfang des Beleidigungsschutzes . . . [lässt sich] . . . überzeugend nur von einem klar bestimmten Rechtsgut ableiten . . .“ Nach dem oben Gesagten ist das unrichtig: Selbst für den bekannten Streit zwischen normativen und faktischen Ehrbegriff lässt sich kaum ein praktisches Beispiel finden. Später führen Kubiciel/Winter aus, ein Vorteil des zivilrechtlichen gegenüber einem strafrechtlichen Ehrenschutz sei, dass der zivilrechtliche Ehrenschutz nicht unbedingt am Inhalt der Äußerung ansetze, sondern formaler sein könne und deshalb einfacher zu handhaben sei (S. 330). Das ist inkonsequent, denn damit wird eingeräumt, dass die Inhaltsermittlung beim strafrechtlichen Ehrenschutz eine zentrale Rolle spielt.
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ben allgemein bekannt sind, erst spät allgemein behandelt werden. So wurde die Schwerkraft insbesondere in ihren Naturgesetzmäßigkeiten erst in der Neuzeit entdeckt, wohl weil sie uns in praktischen Situationen im täglichen Leben ständig begleitet.58 Genauso liegt es mit Äußerungen und ihrer Sinnermittlung: Tagtäglich ist jeder Mensch mit Unmengen von Äußerungen konfrontiert und äußert sich selbst viele Male. Jedes Mal läuft die Ent- und Verschlüsselung nahezu automatisch ab, sodass man den Prozess der Auslegung als selbstverständlich voraussetzt.59 V. Ergebnis Der Umstand, dass die Äußerungsdelikte – und insbesondere die Beleidigung – eine Äußerung mit einem gewissen Sinngehalt erfordern, sollte dazu führen, dass sich die Diskussion diesem Aspekt zuwendet. Das steht im Gegensatz zur Befassung mit der Beschreibung des Rechtsguts, die bisher im Mittelpunkt der literarischen Diskussion – insbesondere der Beleidigungstatbestände – stand. Die stärkere Betonung des Aspekts der Auslegung der Äußerung kann dazu dienen, den Äußerungsdelikten deutlichere Konturen zu verleihen; es kann dann genauer konkretisiert werden, welches Verhalten unter einen Äußerungstatbestand zu subsumieren ist und welches nicht. Hirsch ist zuzustimmen, wenn er ausführt, die Beleidigung sei „so etwas wie die Dirne des BT . . .: ein Tatbestand, der sich nur allzu bereitwillig anbietet . . . ein echtes oder vermeintliches Strafbedürfnis“ zu erfüllen.60 Nur liegt das entgegen seiner Ansicht nicht an der mangelhaften Durchdringung des Ehrbegriffs, sondern daran, dass der Problematik der Auslegung von Äußerungen nicht genügend Beachtung geschenkt wird. Denn zur (straf-)rechtlichen Erfassung eines Konflikts, der sich angelegentlich der Äußerung eines Menschen stellt, besitzt die Auslegung die „Schlüsselfunktion“, der gegenüber alle anderen Schritte nachrangig sind. Die Möglichkeit zu einer differenzierteren Betrachtung in diesem Bereich durch stärkere Betonung der Auslegung kann einen Gewinn an Rechtsstaatlichkeit bedeuten, was insbesondere wichtig ist, weil die durch Äußerungsdelikte inkriminierten Verhaltensweisen meistens speziellen Grundrechtsschutz nach Art 5 Abs. 1 S. 1 GG genießen. Auch die Gerichte sind dann in der Lage, genauer offen zu legen, wie sie diesen Teilbereich der Rechtsordnung konkretisieren, wozu sie von Verfassungs wegen – so weit es möglich ist – verpflichtet sind.61 Einen Versuch dazu soll die Abhandlung liefern. 58 59 60 61
Krippendorff, in: Metaphern und Modelle der Kommunikation, S. 79, 81. Krippendorff, in: Metaphern und Modelle der Kommunikation, S. 79, 81. Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 70. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 59 f.
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3. Abschnitt
Gang der weiteren Untersuchung Um die allgemeinen Regeln herauszuarbeiten, die bei der Auslegung einer Äußerung im Strafrecht gelten, soll vom Zweck des Strafrechts, dem Rechtsgüterschutz, ausgegangen werden. In dieses übergeordnete Konzept des Strafrechts als Rechtsgüterschutz soll die Problematik der Auslegung von Äußerungen – die man, wie oben gezeigt, auch als Auslegung des Gesetzes ansehen kann – integriert werden. Nun verfolgt das Strafrecht das Ziel des Rechtsgüterschutzes aber nicht um jeden Preis. Wie bereits seit langem anerkannt ist, darf man sich die zu schützenden Rechtsgüter nicht als „Museumsstücke vorstellen, die sorgfältig vor schädlichen Einflüssen in Vitrinen verwahrt“ werden.1 Das heißt, dass die zu schützenden Rechtsgüter nichts Starres, einmal Gegebenes sind; dass sie also nicht einen einmaligen Bestand darstellen, den es einzig und allein zu bewahren und zu erhalten gilt. Sondern die zu schützenden Rechtsgüter sind Entfaltungspotenziale2 jedes Einzelnen, die stets miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Das bedeutet, dass das Strafrecht es auch mit der Folge der Erlaubtheit eines Verhaltens hinnehmen muss, dass teilweise Rechtsgüter beeinträchtigt werden; sei es, weil ansonsten gar kein menschliches Leben in der heutigen Gesellschaft mehr möglich ist, sei es, dass die Beeinträchtigungen daraus resultieren, dass es geboten ist, der einen Funktionseinheit den Vorzug vor der anderen zu geben, das eine Potenzial sich also auf Kosten des anderen entfalten zu lassen.3 I. Der erste Teil der Untersuchung Damit ist eine Zweiteilung der Untersuchung vorgegeben: Zunächst muss dargelegt werden, was man darunter zu verstehen hat, wenn man vom Strafrecht als Rechtsgüterschutz spricht. Es muss dazu ein Konzept des Rechts1
Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 514. Den Begriff des „Potentials“ benutzt Loos (FS f. Welzel, S. 879, 888), Rudolphi spricht von „werthaften Funktionseinheiten“ und dürfte insofern dasselbe meinen (Systematischer Kommentar, Vor § 1, Rn. 8). 3 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 515: „Alles soziale Leben besteht ja im Einsatz und Verbrauch von ‚Rechtsgütern‘, wie letztlich alles Leben zugleich Verbrauch des Lebens ist.“ Vgl. dazu auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive BVerfGE 7, 198, 220 (Lüth): „Da im Zusammenleben in einer großen Gemeinschaft sich notwendig ständig Interessen- und Rechtskollisionen zwischen den einzelnen ergeben, hat im sozialen Bereich ständig ein Ausgleich und eine Abwägung der einander entgegen stehenden Rechte nach dem Grade der Schutzwürdigkeit stattzufinden.“ (Herv. v. Verf.) 2
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1. Teil: Einleitung
güterschutzes durch Strafrecht entwickelt werden, in das sich jegliche Bestrafung von Äußerungen einfügt. Mit diesem Konzept müssen also alle Äußerungsdelikte erklärt werden können und gleichzeitig auch alle anderen Tatbestände, die durch Äußerung begangen werden können.4 Nur so kann jegliche Bestrafung von Äußerungen unter einem Blickwinkel betrachtet werden. Dabei wird sich zeigen, dass die Kriminalisierung von Äußerungen immer eine Vorfeldkriminalisierung ist. Durch das strafrechtlich sanktionierte Verbot einer Äußerung wird also immer nur mittelbarer Rechtsgüterschutz betrieben.5 Indem diese spezielle Form des mittelbaren Rechtgüterschutzes von anderen Formen des mittelbaren Rechtsgüterschutzes abgegrenzt wird, erhält man eine (vorläufige) Definition der einen Tatbestand erfüllenden Äußerung.6 Bereits auf dieser Stufe der Ausarbeitung können die bisher gewonnenen Ergebnisse angewendet werden.7 II. Der zweite Teil der Untersuchung Doch ist die Definition der tatbestandsmäßigen Äußerung bis hierher nur eine vorläufige. Sie ist es deswegen, weil sich die Struktur des Rechtsgüterschutzes durch das (durch einen konkreten Straftatbestand strafrechtlich sanktionierte) Verbot von Äußerungen nicht dadurch vollständig charakterisieren lässt, dass man beschreibt, wie das Recht Rechtsgutsverletzungen verhindern will. Denn es gehört auch zur Beschreibung eines solchen Schutzmechanismus, zu umreißen, welche Beeinträchtigungen von Rechtsgütern als notwendig hingenommen werden, inwieweit Rechtgüter also nicht geschützt werden.8 Das lenkt den Blick auf den zweiten Teil der Untersuchung, in dem es darum geht, herauszuarbeiten, welche (möglichen) Beeinträchtigungen der als Potenziale begriffenen Rechtgüter deswegen hinzunehmen sind, weil ansonsten andere Potenziale nicht zur Entfaltung gelangen können. Da es hier um Äußerungen geht und Äußerungen als kommunikatives Verhalten im Regelfall in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 GG fallen, muss an dieser Stelle auf das Verfassungsrecht eingegangen werden. Regelmäßig wird also im Zweck der Etablierung der Meinungsfreiheit das Potenzial zu verorten sein, das – um zur Geltung zu gelangen – anderen Rechtsgütern zumindest insofern den absoluten Schutz versagt.9 Dieser Ansatz wird dann erweitert und um ihn um4 Vgl. oben unter: 1. Abschnitt II. 3. a). Zu Tatbeständen, die niemals durch Äußerung erfüllt werden können, siehe unten im 8. Abschnitt unter II. 5 Siehe unten im 5. Abschnitt. 6 Siehe unten im 7. Abschnitt. 7 Siehe unten im 11. Abschnitt. 8 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 3. 9 Siehe unten im 15. Abschnitt unter II.
3. Abschn.: Gang der weiteren Untersuchung
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fassender zu erläutern, wird beispielhaft die Kunstfreiheit des Art 5 Abs. 3 GG in das Bild eingearbeitet.10 Auf strafrechtlicher Ebene werden diese Gedanken in der geläufigen „Lehre von der objektiven Zurechnung“ verortet und zwar genauer innerhalb der Regeln, nach denen sich bestimmt, ob die Schaffung eines Risikos unerlaubt ist.11 Das Blickfeld wird auf strafrechtlicher Ebene durch eine Einordnung der heutzutage gemeinhin als Rechtfertigungsgrund angesehenen „Wahrnehmung berechtigter Interessen“12 erweitert.13 III. Die Anwendung der Untersuchungsergebnisse Als letztes müssen die insgesamt gewonnenen Ergebnisse noch praktisch angewendet werden. Das soll durch erneutes Eingehen auf den dem „Soldaten-sind-Mörder-Beschluss“ zugrunde liegenden Sachverhalt geschehen.14 Am Ende der Untersuchung steht dann eine strafrechtliche Auslegungslehre, die aus den im Strafrecht allgemein geltenden Grundsätzen entwickelt wurde. Soweit diese Auslegungslehre mit anderen bisher vertretenen Ansichten über die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht nicht im Einklang steht, wird auf abweichende Ansichten jeweils dort eingegangen, wo einem Aspekt, der aus allgemeinen Prinzipien hergeleitet wurde, nicht genügend Beachtung geschenkt wurde.15
10
Siehe unten im 15. Abschnitt unter III. Siehe unten im 15. Abschnitt. 12 BVerfG, NJW 2000, S. 3196, 3197, 3. Kammer des zweiten Senats, Beschl. v. 28. März 2000, – 2 BvR 1392/96 –; BGHSt 18, 182, 184, Urt. v. 15. Januar 1963, – 1 StR 478/62 – (Callgirl-Ring); BGHZ 31, 308, 312, Urt. v. 22. Dezember 1959, – VI ZR 175/58 –; OLG Jena, NJW 2002, S. 1890, 1891, Beschl. v. 4. Juli 2002, – 1 Ss 157/01 –; AG Pforzheim, NJW 2003, S. 202, 203, Urt. v. 8. November 2002, – 8 Cs 85 Js 3774/02 –; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 193, Rn. 1; Lackner/ Kühl, § 193, Rn. 1. 13 Siehe unten im 16. Abschnitt unter II. 2. 14 Siehe unten im 17. Abschnitt, vgl. auch oben im 2. Abschnitt unter IV. 15 Siehe unten im 6., 10. und 13. Abschnitt. 11
2. Teil
Das Risiko 4. Abschnitt
Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz Wie oben bereits ausgeführt, sollen im Folgenden die Grundsätze, die bei der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht gelten, aus den Prinzipien, die im Strafrecht gelten, entwickelt werden. Angesetzt werden muss dazu bei der Beantwortung der Frage, was das Strafrecht überhaupt mit der Androhung von Kriminalstrafe für bestimmte Verhaltensweisen bezweckt. Danach kann spezieller untersucht werden, was das Strafrecht mit dem Verbot von gewissen Verhaltensweisen – Äußerungen – bezweckt. Wurde diese Zwecksetzung genauer beschrieben, kann beschrieben werden, wann ein strafrechtlich sanktioniertes Verbot1 einer Äußerung dem Zweck dienlich ist. Mittlerweile ist man sich einig darüber, dass das Strafrecht, das sich als aufgeklärtes Strafrecht versteht, nur einem weltlichen Zweck dienen kann. Als dieser Zweck des Strafrechts wird heutzutage einhellig der Rechtsgüterschutz angegeben.2, 3 Und wenn der Rechtsgüterschutz die einzige Aufgabe 1 Oben (2. Abschnitt, II.) wurde nachgewiesen, dass sich rechtliche Regelungen von Kommunikation, die am Inhalt ansetzen, fast ausschließlich im Strafrecht finden. Daher ist die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen für die Erarbeitung der strafrechtlichen Auslegungsregeln irrelevant. Für die Untersuchung gilt also: Mit dem Bereich des Unerlaubten beginnt (fast) immer schon der Bereich des Strafbaren. 2 Vgl. dazu nur: Appel, KritV 1999, S. 278; Frisch, FS f. Stree/Wessels S. 69, 70; Baumann/Weber/Mitsch AT, § 3 Rn. 10 ff.; Ebert AT, S. 1; Jescheck/Weigend AT, S. 7 f.; Köhler AT, S. 22; Maurach/Zipf AT/1 § 19 Rn. 4ff.; Noll AT, S. 22; Otto AT, § 1 Rn. 22; Roxin AT I, § 2 Rn. 1 ff.; Welzel, Lehrbuch, S. 2 f.; Wessels/ Beulke AT Rn. 6; Hassemer, in: Nomos Kommentar, vor § 1, Rn. 247, 255 ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor § 13, Rn. 8 ff.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 1, Rn. 2 ff. 3 Wie der Einsatz von Kriminalstrafe diesem Zweck – dem Rechtsgüterschutz – dient (vgl. Roxin, AT I, § 3 Rn. 1), ist hingegen nicht einhellig anerkannt. Hierbei handelt es sich um die Frage nach den Strafzwecken (General- oder Spezialprävention? Wenn ein Zweck auch die Generalprävention ist, positive oder negative Gene-
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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des Strafrechts ist – und nur die einzige Aufgabe des Strafrechts sein kann –, dann muss das auch für das Verbot von Äußerungen gelten. Das gilt für Straftatbestände, die nur Äußerungen erfassen, genauso wie für alle anderen Straftatbestände, die (insoweit) keine verhaltensgebundenen Delikte statuieren und auch durch Äußerungen erfüllt werden können. Durch das Verbot von Äußerungen müssen Rechtsgüter geschützt werden. I. Inhaltsbestimmung des Begriffs „Rechtsgut“ Die Aufgabe des Rechtsgüterschutzes erfüllt das Strafrecht dadurch, dass es in den Straftatbeständen des Besonderen Teils4 Rechtsgutsbeeinträchtigungen – unter Umständen bei den verhaltensgebundenen Delikten nur auf eine spezielle Art herbeigeführte – mit Kriminalstrafe belegt.5 Allgemein herrscht hier eine große Unklarheit und überdies Verwirrung über die Verwendung der Begriffe. Es kann nicht Aufgabe der folgenden Ausführungen sein, den gesamten Rechtsgutsbegriff zu klären. Doch das ist gar nicht notwendig, in diesem Zusammenhang interessieren nur gewisse Aspekte. Einer Inhaltsbestimmung der relevanten Facetten des Rechtsgutsbegriffs nähert man sich am Besten mittels einer Abgrenzung: Der Begriff des Rechtsguts ist von dem des Tatobjekts6 zu unterscheiden.7 Das Tatobjekt stellt sich als das „concrete[ ], thatsächlich vorhanderalprävention? Wie verhalten sich dazu die „absoluten“ Straftheorien mit dem Sühnegedanken, in dem auch das Schuldprinzip wurzelt?). Die Frage nach den Strafzwecken ist bis heute nicht eindeutig geklärt, insbesondere in der Rechtsprechung wird „bald dieser, bald jener Gesichtspunkt besonders akzentuiert“ (Roxin, AT I, § 3 Rn. 35). Für unsere Betrachtungen ist das aber irrelevant. 4 Wird hier vom Besonderen Teil gesprochen, so sind damit immer auch Regelungsgegenstände gemeint, die zwar im Allgemeinen Teil zu finden sind, aber nur gesetzestechnisch hier zu verorten sind, wie z. B. die Regelung der Beteilungsformen (vgl. die Ausführungen oben im 1. Abschnitt unter II. 3. a), insbes. Fn. 33). Überdies sind damit auch die Tatbestände des Nebenstrafrechts gemeint. 5 Teilweise wird gesagt, dass es nicht immer zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen müsse, als Beispiel wird die Strafbarkeit des so genannten untauglichen Versuchs angeführt (Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor § 13, Rn. 11). Wie man aber auch hier evtl. von einer Rechtsgutsbeeinträchtigung sprechen kann, dazu weiter unten (Fn. 41). 6 Oder Angriffsobjekt (Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor § 13, Rn. 9); andere Begriffe, die in diesem Zusammenhang Verwendung finden und teilweise mit einem abweichenden Inhalt verwendet werden, was für die obenstehenden Ausführungen aber irrelevant ist, sind: Schutzobjekt (Blei AT, § 24 II.), was nach Blei gleichbedeutend mit Angriffsobjekt sein soll (AT, § 24 II.). Was hier als Tatobjekt bezeichnet wird, bezeichnet Blei als Handlungsobjekt (AT, § 24 II.) und Schmidhäuser als Rechtsgutsobjekt (Schmidhäuser AT 2/31). 7 Hassemer, in: Nomos Kommentar, Vor § 1, Rn. 263 f.
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2. Teil: Das Risiko
ne[] Etwas“8, das beeinträchtigt wird, dar.9 So ist das Tatobjekt im Fall des § 303 Abs. 1 StGB die Sache (z. B. eine Vase), die durch die Handlung zerstört wird (z. B. durch einen Hammerschlag). Tatobjekt im Fall des § 212 Abs. 1 StGB ist der einzelne Mensch, der z. B. nach einem Messerstich ins Herz verblutet ist. 1. Systemimmanenter Rechtsgutsbegriff Der Begriff des Rechtsguts hingegen ist vom jeweiligen konkreten Sachverhalt abgelöst und steht insofern auf einer höheren Abstraktionsstufe.10 Der Rechtsgutsbegriff beschreibt etwas Ideelles, was allen möglichen Tatobjekten gemeinsam ist. Es ist die Eigenschaft des Tatobjekts, und zwar diejenige, die bewirkt, dass ein Objekt zu einem tauglichen Tatobjekt des jeweiligen Delikts wird. § 303 Abs. 1 StGB ist immer dann einschlägig, wenn fremde Sachen zerstört werden; allen Sachverhalten, die unter § 303 Abs. 1 StGB fallen, ist somit gemeinsam, dass fremde Sachen zerstört werden. Genauer heißt das Folgendes: Da Eigentum nur an Sachen bestehen kann,11 ist allen Fällen, die unter § 303 Abs. 1 StGB fallen, gemeinsam, dass fremdes Eigentum beeinträchtigt wird. § 303 Abs. 1 soll auf einer abstrakten Ebene also das Eigentum schützen, Rechtsgut des § 303 Abs. 1 StGB ist mithin also das Eigentum.12 Selbstverständlich folgert man nicht aus der Summe aller Sachverhalte, in denen ein Straftatbestand einschlägig ist, das Rechtsgut.13 Denn dann hätte der Begriff des Rechtsguts keine Funktion, die über eine Terminologie 8
V. Gerland, GS 59, S. 81, 99. Wessels/Beulke AT, Rn. 8; eine körperliche Existenz braucht des Rechtsgutsobjekt aber nicht zu haben (Walter, GA 2001, 131, 135). So sind die meisten Fälle des Betrugs solche, bei denen ein Anspruch (Bankguthaben o. ä.) – also etwas unkörperliches – beeinträchtigt wird (S. 135). 10 Walter, GA 2001, 131, 134. 11 Zumindest nach dem zivilrechtlichen Begriff des Eigentums (§§ 90, 903 S. 1 BGB). Dieser zivilrechtliche Begriff des Eigentums soll aber im Strafrecht bei § 303 Abs. 1 StGB maßgeblich sein (Stree, in: Schönke/Schröder, § 303, Rn. 4 i. V. m. Eser, in: Schönke/Schröder, § 242, Rn. 12). Zwingend – etwa vom Wortsinn her (§ 1 StGB, Art 103 Abs. 2 GG) – ist das aber nicht. 12 Vgl. statt aller: Stree, in: Schönke/Schröder, § 303, Rn. 1. 13 Teilweise wird aber gesagt, genau so müsse man bei der Gesetzesanwendung vorgehen. Aus einer Summe von Fällen, die das Gesetz im Auge habe, die also ganz sicher unter den Tatbestand fallen, den so genannten Normalfällen, müsse man ableiten, was man unter einem Begriff zu verstehen habe (Haft, Juristische Rhetorik, S. 70 ff.) Danach besteht die Rechtsanwendung in einem „Ähnlichkeitsvergleich“ von Fällen (vgl. auch: Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 175 und 212). Dieses Konzept soll hier nicht weiter verfolgt werden, durchschlagende Argumenten dagegen bei Hoerster, JuS 1985, S. 665 ff. 9
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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hinausgeht. Im Gegenteil geht man davon aus, dass bekannt sei, welches Rechtsgut eine Vorschrift schützt, und folgert dann umgekehrt daraus, ob ein Sachverhalt unter einen Tatbestand subsumiert werden muss oder nicht. Man betrachtet also das im konkreten Sachverhalt beeinträchtigte Handlungsobjekt und prüft dann, ob das Handlungsobjekt eine Eigenschaft aufweist, deren abstrakte Beschreibung das Rechtsgut liefert. Ein Beispiel zur schon oben angesprochenen Sachbeschädigung: Zerstört der Eigentümer seine Sache, an der ein anderer ein Pfandrecht besitzt, so muss man fragen, ob die konkrete Sache die Eigenschaft aufweist, in fremdem Eigentum zu stehen, da § 303 Abs. 1 StGB das Eigentum schützt.14 Diese Funktion des Rechtsgutsbegriffs, wie sie oben beschrieben wurde, dient also dazu, zu ermitteln, ob eine bestimmte Verhaltensweise unter einen Straftatbestand fällt oder nicht. Und das geschieht im Hinblick auf den Schutz des jeweiligen Rechtsguts, d.h. im Hinblick auf Sinn und Zweck der Norm. Die Frage nach dem Rechtsgut (wie es vorstehend beschrieben wurde), das durch einen Tatbestand geschützt wird, ist somit identisch mit der Frage nach dem Sinn und Zweck der Norm, mithin nach dem telos der Norm, wie er durch die teleologische Auslegung ermittelt wird.15 § 303 Abs. 1 StGB ist also im Beispiel von oben nicht einschlägig:16 Der Zweck des § 303 Abs. 1 StGB ist es, fremdes Eigentum zu schützen; das Eigentum ist sein Rechtsgut und Eigentum eines Dritten wird im Sachverhalt nicht beeinträchtigt. Von daher kann man von diesem Rechtsgutsbegriff sagen, dass er eine „Abreviatur des Zweckgedankens“ sei.17 Da ein solcher Rechtsgutsbegriff – der durch teleologische Auslegung ermittelte Gesetzeszweck – die Normen des Strafrechts nicht beurteilen kann – sie sind ihm vorgegeben und dürfen nur interpretiert werden – und von daher nur bei der Anwendung des Strafrechts von Nutzen ist, wird er auch teleologischer18, positivistischer19 oder systemimmanenter20 Rechtsgutsbegriff genannt. 14
Siehe oben Fn. 12. Honig, Die Einwilligung, S. 94. 16 Gegen das Abstellen auf den telos des § 303 Abs. 1 StGB kann man nicht einwenden, dass das hier nicht erforderlich sei, weil der Fall sich schon nicht unter den Wortsinn des § 303 Abs. 1 StGB fassen lasse (§ 1 StGB, Art 103 Abs. 2 GG). In Anlehnung an Jakobs lässt sich vielmehr sagen, dass die Sache so liegt, dass es nicht juristisch vorgebildeten Personen überhaupt nicht eigenartig vorkommt, auch nichtkörperliche Gegenstände – also auch Rechte – als Sachen zu bezeichnen (vgl. Jakobs AT, 4/35, Fn. 63a). Zwar ist es umstritten, ob es beim Analogieverbot des Art 103 Abs. 2 GG allein auf den „natürlichen“ Sprachgebrauch ankommt. Jedenfalls ist das Analogieverbot noch nicht betroffen, wenn man mit dem „natürlichen“ Sprachgebrauch den Sinn entgegen der juristischen Terminologie in einem anderen Rechtsgebiet festsetzt (Jarrass/Pieroth, Art 103, Rn. 47). 17 Grünhut, FG Frank I, S. 58. 18 Rudolphi, FS f. Honig, S. 151, 152. 19 Noll AT, S. 22; Suhr, JA 1990, S. 303, 304. 15
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2. Teil: Das Risiko
2. Systemkritischer Rechtsgutsbegriff Doch der Begriff des Rechtsguts, wie er überwiegend in der strafrechtlichen Literatur verwendet wird, weist über den oben skizzierten Aspekt, eine andere Formulierung für den Zweck der jeweiligen Norm zu sein, noch eine andere Funktion auf: Es wird gesagt, da das Strafrecht die Aufgabe habe, Rechtsgüter zu schützen21 – und nur diese Aufgabe –, dürften durch strafrechtliche Normen ausschließlich solche Güter geschützt werden, die in einem materiellen Sinne Rechtsgüter seien. Und was ein solches, durch Strafrecht schützbares Rechtsgut sei, kann nicht durch die Normen des Strafrechts selbst entschieden werden.22 Das aber wäre der Fall, wenn man als Rechtsgut nur den – durch Auslegung zu ermittelnden, aus dem Gesetz herauszulesenden – Gesetzeszweck ansehen würde.23 Der hier zu skizzierende Aspekt des Rechtsgutsbegriffs weist also über das Strafrecht hinaus: Es geht darum, inhaltliche Anforderungen an das Strafgesetz zu stellen und Aussagen darüber zu treffen, ob eine Norm des Strafrechts legitim ist – und das ist sie, wenn sie ein Rechtsgut schützt – oder illegitim ist – das ist der Fall, wenn die Norm kein Rechtsgut schützt. Insofern kann man mit diesem Aspekt des Rechtsgutsbegriffs – unabhängig vom positiven Recht – Aussagen über das Strafrecht machen; mithin kann man diesen Rechtsgutsbegriff auch systemkritisch oder systemtranszendent24, oder – soweit er dagegen gerichtet ist, dass prinzipiell jeglicher Zweck durch Gesetz zum Rechtsgut gemacht werden kann – liberal25 nennen. Indem man mit diesem Aspekt des Rechtsgutsbegriffs die Frage nach der Legitimität von Strafnormen stellt, muss man diesen Aspekt des Rechtsgutsbegriffs in dem Rechtsgebiet ansiedeln, das heutzutage dafür zuständig ist, die Legitimität von (einfachgesetzlichen) Normen rechtlich zu bewerten. Es handelt sich um das Verfassungsrecht, das Aussagen darüber trifft, wann einfachgesetzliche Normen – also auch solche des StGB – gegen höherrangiges Recht – nämlich die Verfassung (vgl. Art 20 Abs. 3 1. HS. GG) – verstoßen.26 Der systemtranszendente Aspekt des Rechtsgutsbegriffs trifft 20
Hassemer, in: Alternativ Kommentar, Vor § 1, Rn. 259. Vgl. die oben in Fn. 2 genannten. 22 Rudolphi, FS f. Honig, S. 151, 154. 23 Rudolphi, FS f. Honig, S. 151, 154. 24 Hassemer, GS f. Schlüchter, S. 133, 152; Hassemer, in: Alternativ Kommentar, Vor § 1, Rn. 259. 25 Rudolphi, FS f. Honig, S. 151, 158f. und 166. 26 So sehr dezidiert Appel (KritV 1999, S. 278, 301), der explizit die Frage, ob ein Strafgesetz ein Rechtsgut schützt, mit der Frage, ob das Gesetz ein legitimes gesetzgeberisches Ziel verfolgt, gleichsetzt. Ähnlich: Samson, FS f. Grünwald, S. 585, 602. 21
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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also Aussagen darüber, wann ein Strafgesetz ein legitimes gesetzgeberisches Ziel – und das ist der Rechtsgüterschutz – verfolgt. Da es in dieser Untersuchung nicht darum gehen soll, zu beurteilen, ob es (verfassungsrechtlich) legitim ist, einen strafrechtlichen Vorwurf an eine Äußerung zu knüpfen,27 ist der soeben skizzierte Aspekt des Rechtsgutsbegriffs für die folgenden Ausführungen von nur untergeordneter Relevanz. II. Eine Systematisierung der Delikte anhand des Rechtsgutsbegriffs (am Beispiel der Urkundenfälschung) Für unseren Zweck reicht es aus, als Rechtgut nur den Sinn und Zweck der jeweiligen Strafnorm anzusehen. Nun kann man den Zweck einer Norm aber auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen festlegen. Das sei an einem Beispiel verdeutlicht: Bei § 267 Abs. 1 StGB (Urkundenfälschung) ist das geschützte Rechtsgut die „Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs“.28 1. Die Urkundenfälschung als „Erfolgsdelikt“ Zumindest wenn jemand im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde gebraucht (§ 267 Abs. 1 3. Var. StGB), z. B. in einem Prozess als Beweismittel vorlegt, verletzt er dadurch das durch § 267 Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgut. Denn gleichzeitig verletzt er auch die berechtigten Interessen seines Gegenübers und des Gerichts, er führt also einen „Erfolg“ herbei. Wenn eine unechte Urkunde gebraucht wird, d.h. der zu täuschenden Person zugänglich gemacht wird,29 dann ist der Rechtsverkehr nicht mehr so sicher und zuverlässig wie zuvor, da die Möglichkeit besteht, dass die Gedankenerklärung zu Unrecht dem vermeintlichen Aussteller zugerechnet wird. Indem hier berechtigte Interessen beeinträchtigt werden, in denen sich das Rechtsgut des § 267 Abs. 1 StGB manifestiert, kann man davon sprechen, dass der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist. § 267 Abs. 1 StGB ist in der Variante des „Gebrauchens“ also als Erfolgsdelikt anzusehen.30
27 Das wird insofern also unterstellt, vgl. aber auch die kurzen Ausführungen oben im 2. Abschnitt unter II. 1., dort insbesondere Fn. 31. 28 Vgl. statt aller: Cramer, in: Schönke/Schröder, § 267, Rn. 1. 29 BGHSt 36, 64 (65), Urt. v. 21. Dezember 1988, – 2 StR 613/88 –; Lackner/ Kühl, § 267, Rn. 23; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 267, Rn. 76. 30 Walter, GA 2001, 131, 139; Arzt/Weber, LH 4, Rn. 461.
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2. Teil: Das Risiko
2. Die Urkundenfälschung als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ Nun kann man die Frage stellen, weshalb § 267 Abs. 1 StGB eigentlich die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs schützt.31 Man kann fragen, was eigentlich hinter diesem Schutz steht. Auf den ersten Blick fällt schon auf, dass die Definition des Rechtsguts bei § 267 Abs. 1 StGB erheblich „technischer“ klingt, als das z. B. bei §§ 212 Abs. 1, 223 Abs. 1 StGB der Fall ist, die das menschliche Leben32 bzw. die körperliche Integrität und Gesundheit33 schützen. Hinter dem Schutz der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs dürfte Folgendes stehen: Den „Rechtsverkehr“ kann man definieren als den Inbegriff aller möglichen Akte, die Begründung, Aufhebung, Übertragung oder Inhaltsänderung von Rechten bewirken;34 der Rechtsverkehr ist somit die Summe aller „rechtserheblichen Einzeldispositionen“.35 Ist der Rechtsverkehr beeinträchtigt, so bestehen Gefahren in zweierlei Hinsicht: Zum einen besteht die Gefahr, dass bestehende Rechte nicht richtig erkannt werden (wegen der unechten Urkunde) und somit als nicht bestehend unterstellt werden. Das hat dann zur Folge, dass sie faktisch nicht mehr durchsetzbar sind. Zum anderen besteht die Gefahr, dass Personen, die keinerlei Pflichten ausgesetzt sind, unterstellt wird (wegen der unechten Urkunde), sie seien Pflichten ausgesetzt, und die (tatsächlich nicht bestehenden) Pflichten als faktisch bestehend angesehen werden. Hinter dem Schutz der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs steht also die Überlegung, dass nicht Rechtsinhabern Rechte verloren gehen sollen und dass tatsächlich nicht verpflichtete Personen nicht zu Unrecht einer Verpflichtung ausgesetzt werden sollen. Durch § 267 Abs. 1 StGB werden also mittelbar andere Positionen geschützt,36 nämlich die Rechte, die Gegenstand des Rechtsverkehrs sein können bzw. das Freisein von solchen Pflichten. Nach dieser Überlegung wäre die „Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs“ also nur eine Art „Zwischenrechtsgut“. Dahinter stehendes Schutzinteresse wären die tatsächlich bestehenden Rechte bzw. das Freisein von Pflichten.37 Im Ergebnis (z. B. der Anwendung des § 267 Abs. 1 StGB) ändert die Ersetzung des Rechts31 Und stellt damit – zumindest zum Teil – auf die systemkritische Funktion des Rechtsgutsbegriffs ab. 32 Vgl. statt aller: Lackner/Kühl, vor § 211, Rn. 1. 33 Vgl. statt aller: Eser, in: Schönke/Schröder, § 223, Rn. 1. 34 In gängigen Rechtswörterbüchern findet sich keine Definition dieses Begriffs. 35 Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 274, Rn. 1. 36 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 160, 167; ähnlich auch Arzt/Weber, LH 4, Rn. 457: Schutz aller denkbaren öffentlichen und privaten Interessen. Auch Maurach/Schröder/Maiwald BT/2, § 65, Rn. 6 gehen davon aus, dass der Schutz anderer Werte hinter § 267 Abs. 1 StGB stehe, halten es aber trotzdem für „wenig sinnvoll“ diese geschützten Werte als Rechtsgut des § 267 Abs. 1 StGB anzusehen.
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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guts durch ein „Zwischenrechtsgut“ und die Begründung des „Zwischenrechtsguts“ durch ein zu Grunde liegendes Rechtsgut (oder wie hier: durch mehrere zu Grunde liegende Rechtsgüter) nichts. 3. Die Urkundenfälschung als „verhaltensgebundenes Delikt“ Doch in der Terminologie würde sich etwas ändern. Wenn man vom Rechtsgut „Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs“ bei § 267 Abs. 1 StGB ausgeht, muss man die „berechtigten Interessen“ als Tatobjekt ansehen und § 267 Abs. 1 StGB in der Variante des „Gebrauchens“ wäre ein Erfolgsdelikt.38 Stellt man hingegen auf den Schutz der im Rechtsverkehr tangierten Rechte ab, ist Tatobjekt der Urkundenfälschung das jeweils in Rede stehende Recht und § 267 Abs. 1 3. Var. StGB schützte vor einer abstrakten Gefährdung – denn § 267 Abs. 1 3. Var. StGB ist auch dann erfüllt, wenn niemand die Urkunde für echt hält, z. B. weil sie zu dilettantisch gefälscht ist. § 267 Abs. 1 StGB müsste man dann als abstraktes Gefährdungsdelikt ansehen. Und noch etwas würde sich ändern: Es würde durch § 267 Abs. 1 3. Var. StGB nicht jegliches Verhalten, das eine (abstrakte) Gefährdung der hinter der „Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs“ stehenden Rechtsgüter bewirkt, verboten und inkriminiert, sondern nur eine solche Gefährdung, die durch ein speziell beschriebenes Verhalten bewirkt wird: Das Gebrauchen einer unechten Urkunde im Rechtsverkehr. Damit wäre § 267 Abs. 1 StGB auch als verhaltensgebundenes Delikt anzusehen. 4. Verallgemeinerung und Konsequenzen Die oben angestellten Überlegungen haben scheinbar nur Auswirkungen auf die Terminologie. Doch sie können die Existenz des § 267 Abs. 1 StGB besser rechtfertigen. Durch diese Differenzierungen kann besser begründet werden, weshalb der Schutz der „Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs“ ein legitimes gesetzgeberisches Ziel ist (vgl. den systemkritischen Aspekt des Rechtsgutsbegriffs).39 Im Übrigen scheint es bei 37 Extremes Beispiel: Gäbe es in Deutschland die Todesstrafe noch (vgl. Art 102 GG) und würde in einem Verfahren, in dem die Verhängung dieser Strafe in Rede steht, eine unechte Urkunde zum angeblichen Beweis der Schuld des tatsächlich Unschuldigen vorgelegt, so diente die Norm des § 267 Abs. 1 StGB, die das verbietet und ein solches Verhalten mit Kriminalstrafe belegt, mittelbar auch dem Schutz des Lebens. Das menschliche Leben wäre auch Rechtsgut des § 267 Abs. 1 StGB! 38 Vgl. oben Fn. 30. 39 So hat dann auch Appel aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen die abstrakten Gefährdungsdelikte (KritV 1999, S. 278, 303). Ebenfalls keine
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2. Teil: Das Risiko
den unterschiedlichen Delikten zum großen Teil häufig von historischen Gegebenheiten abzuhängen, ob zur Bestimmung des Rechtsguts einer Norm auf den Schutz ferner liegender Interessen (die dann nur gefährdet werden) abgestellt wird oder die Ungefährdetheit der Interessen – sprachlich zusammengefasst als (Zwischen-)Rechtsgut – als durch die Norm geschütztes Rechtsgut angesehen wird.40, 41 Ist ein Straftatbestand überkommen, wie z. B. die Urkundenfälschung, so hat es sich eingebürgert, die Abwesenheit einer von ihm zu verhindernden Gefährdungssituation als Rechtsgut zu bezeichnen und das Schutzobjekt analog dazu zu definieren. So kann man bei § 267 Abs. 1 StGB den Grundgedanken bis in das römische Recht, das bereits die Testaments- und Münzfälschung mit Strafe bedrohte, zurückzuverfolgen.42 Ist ein Straftatbestand dagegen jüngeren Datums, wie z. B. das Unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB), so hat es sich (noch?) nicht etabliert, die Abwesenheit der Gefährdungssituation mit einem Wort, das nicht auf etwas Gefährdetes, sondern Verletztes hinweist, zu umreißen. So ist es (bisher?) bei § 142 Abs. 1 StGB nicht üblich, möglicherweise bestehende Schadensersatzansprüche als Tatobjekte zu bezeichnen und analog dazu die Abwesenheit der abstrakten Vermögensgefährdungssituation43 mit einem Begriff als Rechtsgut zu benennen. Einwände gegen dieses Schutzkonzept hat Koriath, der allerdings nicht in erster Linie auf das Verfassungsrecht abstellt (GA 2001, 51, 74). Trotzdem weisen seine Gedankengänge gewisse Parallelen zur Argumentation Appels auf. 40 Diese Überlegung ist möglicherweise in der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht genügend beachtet worden. Denn nach den obigen Ausführungen müssten viele Erfolgsdelikte (wie hier § 267 Abs. 1 3. Var. StGB) als Gefährdungsdelikte angesehen werden. Anders herum könnte man bei vielen Gefährdungsdelikten aber auch ein „Zwischenrechtsgut“ bilden und als geschütztes Rechtsgut der jeweiligen Norm ansehen und erhielte damit ein Erfolgsdelikt. Bei § 316 Abs. 1 StGB könnte man die „Freiheit des Straßenverkehrs von fahruntüchtigen Personen“ als Rechtsgut ansehen, so dass mit einer Fahrt einer fahruntauglichen Person der Erfolg des § 316 Abs. 1 StGB eingetreten wäre. In der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit von Gefährdungsdelikten käme es dann nicht so sehr auf den Aspekt an, dass ein Delikt als Gefährdungsdelikt bezeichnet wird, sondern es käme vielmehr bei allen Delikten auf das Maß der Abstraktheit der Gefährdung eines allen Delikten zu Grunde liegenden Grund-Rechtsguts durch das tatbestandsmäßige Verhalten an. Es käme – bildlich gesprochen – auf den „Abstand“ des Verhaltens von der dadurch möglicherweise verursachten Beeinträchtigung des zu Grunde liegenden Grund-Rechtsguts an (vgl. Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 160, 168). 41 So könnte man auch beim untauglichen Versuch (oben Fn. 5) als Rechtsgut das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung ansehen (Jescheck/Weigend AT, S. 530), mit der Folge, dass auch der untaugliche Versuch ein „Erfolgsdelikt“ darstellte. 42 Tröndle, in: Leipziger Kommentar10, vor § 267, Rn. 8.
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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III. Inwieweit lassen sich die anerkannten Rechtsgüter auf den Schutz grundlegenderer Werte zurückführen? Wurde oben festgestellt, dass sich der Schutz vieler Rechtsgüter auf den Schutz anderer, grundlegenderer Rechtsgüter zurückführen lässt, so ist fraglich, wie weit das möglich ist. Hier stehen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber: 1. Monistische Konzepte Zum einen sind das die sog. monistischen Konzepte. Sie gehen davon aus, dass hinter jeglicher Strafnorm nur ein Zweck steht.44 Auf ein „Mutterrechtsgut“ könne der Zweck jeder Strafnorm zurückgeführt werden. Welches der „Endzweck“ der Strafnormen ist, ist hingegen umstritten. a) Das „personale“ monistische Konzept Es wird gesagt, jedes Rechtsgut, das durch eine Norm geschützt wird, werde deswegen geschützt, weil es zur „personalen Entfaltung“ des Menschen diene.45 Auch Rechtsgüter, die man gemeinhin dem Staat – oder, allgemeiner gesprochen: einer irgendwie gearteten verfassten Gemeinschaft – zuordnet, seien in letzter Instanz auf den Schutz der „personalen Entfaltung“ des Menschen zurückzuführen. So würde dann auch das Rechtsgut des § 113 StGB beispielsweise – die rechtmäßige Betätigung des Staatswillens46 – nur deswegen geschützt werden, weil jeder Einzelne ein Interesse habe, dass der Staat handlungsfähig bleibe. Allgemeiner heißt das, dass der Staat die Aufgabe habe, in der auch seine (einzige) Existenzberechtigung gesehen werden kann, dem einzelnen Menschen zu dienen.47 b) Das „staatliche“ monistische Konzept Ein anderer monistischer Ansatz ist auch denkbar und stellt das genaue Gegenteil des eben vorgestellten Ansatzes dar: Er stellt nicht auf die Individuen ab, deren „personale Entfaltung“ Strafnormen letztlich im Auge haben, sondern postuliert, dass alle Rechtsgüter Güter des Staates bzw. der 43
§ 142 Abs. 1 StGB wird als abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt angesehen (vgl. statt aller: Geppert, in: Leipziger Kommentar, § 142, Rn. 1). 44 Hassemer, in: Nomos Kommentar, Vor § 1, Rn. 271. 45 Marx, Rechtsgut, S. 79; vgl. auch: Hassemer, GS f. Schlüchter, S. 133, 156. 46 Vgl. statt aller: Lackner/Kühl, § 113, Rn. 1. 47 Marx, Rechtsgut, S. 79; vgl. auch: Hassemer, GS f. Schlüchter, S. 133, 156 f.
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2. Teil: Das Risiko
irgendwie verfassten Allgemeinheit seien.48 Auch Rechtsgüter, die klassisch als dem einzelnen Individuum zugehörig betrachtet werden, sind nach dieser Auffassung letztlich Güter der Allgemeinheit, z. B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Leben.49 Die Allgemeinheit ordnet diese Güter dann zwar in der näheren Ausgestaltung dem Einzelnen zu, doch geschieht das nur formell. Die Allgemeinheit hat ein Interesse daran, dass ihre Mitglieder körperlich unversehrt und am Leben bleiben.50 Diese – nach diesem Ansatz nur vordergründige – Zuordnung einzelner Rechtsgüter zum Einzelnen verhindert damit aber nicht, dass es sich letztlich um Güter der Allgemeinheit bzw. des Staates handelt, die nur, weil der Einzelne sie u. U. effektiver schützen kann, ihm (formell) zugeordnet sind. 2. Dualistische Konzeption Jedoch werden auch dualistische Konzepte vertreten. Sie gehen davon aus, dass jedes durch eine Norm geschützte Rechtsgut entweder auf den Schutz der verfassten Gemeinschaft zurückzuführen ist oder auf den Schutz der personalen Entfaltung des Einzelnen.51 Eine weitere Verallgemeinerung ist nach dieser Ansicht nicht möglich: Weder erfolgt der Schutz von Gemeinschaftsgütern, dort wo er erfolgt, um der einzelnen Individuen willen, noch erfolgt der Schutz von Rechtsgütern des Einzelnen – die ihm nur formal und vordergründig zugeordnet sind, weil er sie effektiver verteidigen kann – um des Schutzes der Allgemeinheit willen. 3. Konsequenzen für die Betrachtung der Äußerungsdelikte Der Streit darüber, wie weit sich der Schutz von anerkannten Rechtsgütern auf den Schutz grundlegenderer Werte zurückführen lässt, ist für die folgenden Betrachtungen zu einem großen Teil irrelevant. Gegen eine dualistische Konzeption spricht im Wesentlichen, dass dieser Konzeption der „gedankliche Schlußstein“ fehlt52 und es dieser Position insofern an Überzeugungskraft mangelt. Innerhalb der monistischen Positionen spricht gegen die Zurückführung aller Rechtsgüter auf die Allgemeinheit bzw. den Staat, dass solche Konzeptionen leicht dazu missbraucht werden können, dem Einzelnen Rechte abzusprechen;53 schließlich sind es in letzter Instanz ja 48 Binding, Normen I, S. 358; in diese Richtung auch: Honig, Einwilligung, S. 115. 49 Binding, Normen I, S. 358; in diese Richtung auch: Honig, Einwilligung, S. 115. 50 Vgl.: Jakobs AT, 2/9. 51 Maurach/Zipf AT 1, § 19, Rn. 10. 52 Hassemer, in: Nomos Kommentar, Vor § 1, Rn. 271.
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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nicht seine Rechtsgüter, sondern solche der Allgemeinheit, die ihm bloß vordergründig zur Wahrnehmung übertragen sind, weil er sie effektiver schützen kann. Einem liberalen Staatsverständnis, das den Staat vom Einzelnen her konzipiert, dürfte diese Auffassung nicht entsprechen.54 Eben deshalb dürfte diese Position auch nicht dem Grundgesetz entsprechen, für das die Freiheit des Einzelnen von überragender Bedeutung ist.55 Insgesamt betrifft der Streit die Legitimation des Rechts generell und hat damit seine Wurzeln im richtigen Staatverständnis.56 Hiermit kann sich diese Untersuchung nicht befassen. Deshalb wird im Folgenden die Position zu Grunde gelegt, die den Schutz der „personalen Entfaltung“ als jeglichem Rechtsgut zu Grunde liegend ansieht. Doch bedeutet das für die hier zu findenden Ergebnisse nichts: Alle Überlegungen, die im Fortgang angestellt werden, lassen sich selbstverständlich auch mit der Position begründen, die alle Rechtsgüter auf den Schutz der verfassten Allgemeinheit zurückführt. Man muss nur jeweils den Begriff der „personalen Entfaltung“ durch den Schutz der Allgemeinheit ersetzen. Wollte man dem dualistischen Ansatz den Vorzug geben, so gilt ähnliches: Man muss bei allen Straftatbeständen, die im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein werden und durch die ein überindividuelles Rechtsgut geschützt wird, die Allgemeinheit als geschützt denken; bei allen Straftatbeständen, bei denen ein Individualrechtgut geschützt wird, bleibt es beim Schutz der personalen Entfaltung des Einzelnen. IV. Die Bedeutung der Kausalität Wie ist nun diese Beeinträchtigung der „personalen Entfaltung“ – die wir im Folgenden als das „Grund-Rechtsgut“ ansehen wollen – mit dem konkreten Verhalten im Einzelfall verknüpft? Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Strukturierung des durch Strafrecht bewirkten Schutzes des „Grund-Rechtsguts“. 1. Die Bedeutung der Kausalität bei Delikten, die eine Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsgutes“ voraussetzen Eine Möglichkeit ist es, für die Tatbestandsmäßigkeit zu fordern, dass das Verhalten tatsächlich eine Beeinträchtigung eines Objekts, das zur personalen Entfaltung erforderlich ist, bewirkt hat. So liegt es bei manchen Er53
Hassemer, in: Nomos Kommentar, Vor § 1, Rn. 280. Hassemer, in: Nomos Kommentar, Vor § 1, Rn. 276; Hassemer, GS f. Schlüchter, S. 133, 156. 55 JÖR Bd. 1, S. 42; vgl. auch: Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 258 f. 56 Walter, GA 2001, S. 131, 136; Jakobs AT, 2/9. 54
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2. Teil: Das Risiko
folgsdelikten, nämlich denjenigen, bei denen der tatbestandsmäßige Erfolg einer Beeinträchtigung eines Objekts entspricht, in dem sich das „GrundRechtsgut“ der „personalen Entfaltung“ manifestiert.57 Zu dieser Art von Straftatbestand gehören § 212 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 1 StGB. Um die Tatbestandsmäßigkeit nach § 212 Abs. 1 StGB bejahen zu können, muss der Erfolg, der Tod eines Menschen, die intensivste Form der Beeinträchtigung der personalen Entfaltung – ihre komplette Aufhebung! – durch das Verhalten bewirkt worden sein; der Tod muss kausal auf die Handlung zurückzuführen sein. In § 223 Abs. 1 StGB wird eine Verhaltensweise beschrieben, die (im Regelfall)58 in geringerem Umfang zur Beeinträchtigung der personalen Entfaltung geführt hat, also kausal für den Verlust an personaler Entfaltung geworden ist. Man versteht unter Kausalität eine tatsächliche bestehende naturwissenschaftliche Beziehung zwischen der Handlung und dem Erfolg.59 Diese naturwissenschaftliche Beziehung gibt selbstverständlich nicht allein den Ausschlag dafür, ob der Handelnde als Täter für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zur Rechenschaft zu ziehen ist. Aber, da wir in einer Welt leben, in der die Dinge sich nach naturwissenschaftlichen Gesetzen verhalten, muss diese naturwissenschaftliche Beschreibung der Dinge die Grundlage dafür sein, eine Handlung mit einem Erfolg in Beziehung zu setzen. Die Kausalität bildet für die Zurechnungsfrage den äußeren Rahmen.60 Ein Erfolg, der noch nicht einmal naturwissenschaftlich auf den Täter zurückgeht, kann ihm auch strafrechtlich nicht zugerechnet werden.61 Doch das oben Ausgeführte betrifft nur die Erfolgsdelikte – genauer gesagt: die bestimmte Art von Erfolgsdelikt, bei denen sich der Erfolg als Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsgutes“ darstellt. So wird dann auch die Frage nach der Kausalität häufig nur bei den Erfolgsdelikten für relevant gehalten.62 57 Welche Delikte gemeinhin als Erfolgsdelikte angesehen werden, ist relativ ungeklärt, was in einem erstaunlichen Gegensatz zu der Häufigkeit und der Unbefangenheit steht, mit der der Begriff der Erfolgsdelikts verwendet wird (vgl. hierzu auch Degener, ZStW 103, S. 357, 359). Einen großen Einfluss dürfte die historische Entwicklung haben (vgl. die Ausführungen unter II. 4.) Einen Erfolgsbegriff im weiten Sinne (Jescheck/Weigend AT, S. 260), der jede „Objektivation einer wertwidrigen Intention“ (Degener, S. 359) wäre, leistet nichts (Degener, S. 359 f.) In der Untersuchung wird deshalb weder mit dem überkommenen – wie gesagt: gleichzeitig viel zu unscharfen – Erfolgsbegriff gearbeitet, noch wird mit dem weiten Erfolgsbegriff, nach dem jedes Delikt einen Erfolg hätte, argumentiert. 58 Das ist deshalb der Regelfall, weil es bereits bei § 223 Abs. 1 StGB Ausnahmen gibt: So stellt das Haare-Abschneiden im Einklang mit dem bloßen Willen zur Einwilligung keine Verletzung der „personalen Entfaltung“ dar. 59 Jescheck/Weigend AT, S. 278; Wessels/Beulke, Rn. 154. 60 Jescheck/Weigend AT, S. 278; Wessels/Beulke, Rn. 154. 61 Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vor § 13, Rn. 71. 62 So explizit Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vor § 13, Rn. 72.
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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2. Die Bedeutung der Kausalität bei Delikten, die eine (konkrete) Gefährdung des „Grund-Rechtsgutes“ voraussetzen Doch das ist in dieser Strenge unrichtig: Genau so wie die Kausalität einer Handlung für eine Beeinträchtigung der personalen Entfaltung das „Rückgrat“ für die strafrechtliche Zurechnung bei der Gruppe der oben angesprochenen Erfolgsdelikte bildet, so bildet bei einer anderen Klasse von Delikten eine mögliche Kausalität eines Verhaltens für eine Beeinträchtigung der personalen Entfaltung die Grundlage für die rechtliche Bewertung dieses Verhaltens.63 Bei dieser Klasse von Delikten braucht zur Bejahung des Tatbestands kein Kausalverlauf tatsächlich vorzuliegen, an dessen Endpunkt eine Beeinträchtigung eines Objekts, in dem sich das „Grund-Rechtsgut“ manifestiert, steht. Aber trotzdem ist bei diesen Delikten die Kausalität von Bedeutung. Zwar muss es, um die Erfüllung des Tatbestandes eines solchen Delikts bejahen zu können, nicht zu einer naturwissenschaftlichen Verursachung eines Erfolgs, der in der Beeinträchtigung der personalen Entfaltung liegt, gekommen sein. Doch heißt das auch nicht, dass damit der Kategorie der Kausalität hier jegliche Bedeutung abgesprochen wäre. Das Strafrecht verbietet nämlich nicht nur Handlungsweisen, die tatsächlich die „personale Entfaltung“ beeinträchtigt haben (wie es sich bei den oben angesprochenen §§ 223 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB verhält). Vielmehr wird in vielen Tatbeständen umfassender angesetzt und es sind Verhaltensweisen bei Strafe verboten, die im konkreten Fall mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit64 (die wie auch immer genauer zu quantifizieren ist) zu einer Verletzung der „personalen Entfaltung“ hätten führen können. Ein solcher Straftatbestand ist § 315 c Abs. 1 StGB. Hier werden (spezielle) Handlungen beschrieben, die u. U. im in Rede stehenden Fall (konkrete Gefährdung) zu einer Beeinträchtigung der personalen Entfaltung hätten führen können, nur ist es gerade „noch einmal gut gegangen“65. Damit stellen diese Delikte eine Vorverlagerung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes dar.
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Das erkennt auch Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vor § 13, Rn. 72 a. E. an. Eigentlich darf diese Kategorie der Wahrscheinlichkeit noch nicht behandelt werden, denn Wahrscheinlichkeit kann es immer erst dann geben, wenn man den Verlauf der Dinge aus einem eingeschränkten und nicht umfassenden Horizont (wie ihn der Laplace’sche Weltgeist besitzt) betrachtet (Samson, FS f. Grünwald, S. 585, 597). Damit hängt die Existenz des Begriff der Wahrscheinlichkeit vom Abstellen auf die Ex-ante-Sicht ab (vgl. unten im 9. Abschnitt). 65 So die plastische Formulierung des BGH (NJW 1995, S. 3131, 3132, Urt. v. 30.03.1995, – 4 StR 725/94 –). 64
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2. Teil: Das Risiko
3. Die Bedeutung der Kausalität bei Delikten, die eine abstrakte Gefährdung des „Grund-Rechtsgutes“ genügen lassen Nun kann diese Vorverlagerung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes aber noch weiter vorangetrieben werden: Es gibt auch Delikte – und das in großer Anzahl –, zu deren Begehung das Verhalten das Täters mit der Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsguts“ nicht durch eine tatsächliche Kausalität (oben unter 1.) oder eine mögliche Kausalität im konkreten Fall (oben unter 2.) verbunden zu sein braucht. Hier genügt es, dass das Verhalten generell geeignet ist, eine Beeinträchtigung eines Objekts zu verursachen, in dem sich das „Grund-Rechtsgut“ manifestiert. Eine kausale oder möglicherweise kausale Verknüpfung von Verhalten und „Grund-Rechtsgutsbeeinträchtigung“ wird hier nicht vorausgesetzt, sondern es reicht aus, dass das Verhalten abstrakt „grund-rechtsgutsgefährdend“ ist. Zu dieser Art von Delikten gehören alle die Delikte, die gemeinhin als abstrakte Gefährdungsdelikte angesehen werden, aber noch weit mehr: Nämlich all’ jene Delikte auch, die zwar als Erfolgs- oder konkrete Gefährdungsdelikte firmieren,66 aber als Erfolg keine „GrundRechtsgutsgefährdung“ beschreiben. Auch die meisten Äußerungsdelikte müssen in diese Gruppe eingeordnet werden. Trotzdem sind bei diesen Straftatbeständen das sie erfüllende Verhalten und eine „Grund-Rechtsgutsverletzung“ nicht vollkommen voneinander abgekoppelt in dem Sinne, dass die Kategorie der Kausalität überhaupt keine Rolle mehr spielte. Nur ist die oben beschriebene Entwicklung vom Erfordernis tatsächlicher Kausalität (oben unter 1.) zum Erfordernis einer möglichen Kausalität im konkreten Fall (oben unter 2.) noch weiter fortgeschritten: Eine mögliche Kausalität zwischen dem abstrakt gefährlichen Verhalten (d.h. dem Verhalten, das den Tatbestand erfüllt) und der „Grund-Rechtsgutsverletzung“ wird durch die Existenz diese Delikte unterstellt; es wird als möglich angesehen, dass solches Verhalten kausal für eine „Grund-Rechtsgutsverletzung“ werden kann – teilweise wird sogar gesagt: Es wird gesetzlich unwiderleglich vermutet, dass das durch diese Delikte beschriebene Verhalten – um dessen genauere Bestimmung es geht – kausal für eine „Grund-Rechtsgutsverletzung“ werden kann.67 Der Begriff der Vermutung dürfte zu weit gehen, aber man kann wohl davon sprechen, dass hinter dem gesetzlichen Verbot eine Vermutung des Normgebers steht. Diese Aussage bedarf der genaueren Erörterung: Zunächst kann man sagen, dass Delikte dieser Art mithin durch Verhaltensweisen begangen werden können, die sich in drei Klassen68 aufteilen lassen. 66
s. o. unter II. So bereits Binding (Die Normen, S. 381, Fn. 26); explizit darauf beruft sich auch Koriath, GA 2001, 51, 66. 67
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a) Erfüllung des Tatbestandes durch tatsächlich erfolgsmächtiges Verhalten Als erste und unproblematische Klasse ist hier Verhalten der Art zu nennen, das tatsächlich kausal für eine Beeinträchtigung der personalen Entfaltung eines Menschen wurde. Als Beispiel zum abstrakten Gefährdungsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB kann man die Trunkenheitsfahrt nennen, bei der ein Mensch bei einem Unfall stirbt, der auf die Fahruntüchtigkeit zurückzuführen ist. Hierher gehört auch der Fall, dass bei der Brandstiftung nach § 306 a Abs. 1 StGB – einem Tatbestand, der u. a. dem Schutz des menschlichen Lebens dient,69 der Grundvoraussetzung der personalen Entfaltung – ein Mensch zu Tode kommt. b) Erfüllung des Tatbestandes durch möglicherweise erfolgsmächtiges Verhalten Als zweite Klasse ist jene Art von Verhalten zu nennen, bei dem zwar tatsächlich keine Kausalität zwischen dem Verhalten und der „GrundRechtsgutsbeeinträchtigung“ besteht, was im konkreten Fall aber hätte so sein können; es mithin nur auf dem Zufall beruht, dass eine „Grund-Rechtsgutsverletzung“ nicht eintrat. Als Beispiele zu den oben genannten Delikten (§§ 316 Abs. 1, 306 a Abs. 1 StGB) kann man folgende Fälle nennen: Der Trunkenheitsfahrer fährt direkt auf einen Menschen zu, der sich gerade noch in Sicherheit bringen kann. Ein Mensch kann gerade noch aus der brennenden Wohnung fliehen. Eine mögliche Kausalität im Sinne der oben unter 2. behandelten Delikte ist hier also gegeben. c) Erfüllung des Tatbestandes auch durch nicht erfolgsmächtiges Verhalten Bei den oben angesprochenen beiden Klassen von Verhaltensweisen hat man keine Probleme, ein gesetzliches Verbot, bei dessen Missachtung Strafe droht, zu legitimieren. Aus Ex-ante-Sicht sind die Handlungen gleich. Anders sieht das bei der dritten Klasse von Verhaltensweisen aus. Verhalten dieser Art zeichnet sich dadurch aus, dass es im konkreten Fall absolut untauglich war, den Erfolg herbeizuführen; der Täter legt ein Verhalten an den Tag, das niemals zu einer Beeinträchtigung eines Objekts, in dem sich 68 Das geschieht in Anlehnung an Samson (FS f. Grünwald, S. 585, 598), der in erster Linie keine Systematisierung von Tatbeständen betreibt, sondern die einen Tatbestand erfüllenden Handlungen im Hinblick auf den Erfolgsunwert systematisiert. 69 Vgl. statt aller: Stein in: Dencker/Struensee/Nelles/Stein, 4. Teil, Rn. 2.
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2. Teil: Das Risiko
die personale Entfaltung manifestiert, hätte führen können. Hierher gehört der bekannte und umstrittene Fall, in dem der Täter bei der Inbrandsetzung der Wohnung (§ 306 a Abs. 1 StGB) mit Sicherheit ausschließen kann – etwa, weil des gesamte Gebäude lückenlos durch Bewegungsmelder überwacht wird und durch einen unüberwindlichen Zaun gesichert ist –, dass dadurch der Tod eines Menschen verursacht werden wird. Aber auch zum abstrakten Gefährdungsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB lassen sich Fälle bilden, so etwa folgendermaßen: Der Fahruntüchtige bewegt im Beisein des fahrtüchtigen und eingriffsbereiten Beifahrers das Fahrzeug auf der einsamen und absolut sicher zu überblickenden Landstraße nur wenige Meter. 4. Die Legitimität der Schaffung abstrakter Gefährdungstatbestände Umstritten sind in diesem Zusammenhang zwei Problemkreise, die miteinander zusammenhängen70: Zum einen ist umstritten, ob der Gesetzgeber legitimerweise durch solche Tatbestände Verhaltensweisen unter Strafe stellen darf, die tatsächlich nicht erfolgsmächtig sind, und zum anderen, ob man solche Straftatbestände teleologisch so zu reduzieren hat, dass Verhalten, bei dem jegliche Gefährdung absolut ausgeschlossen ist, nicht unter diese Straftatbestände zu subsumieren ist.71 Vorweggenommen werden kann schon, dass im Folgenden die Auffassung vertreten werden soll (und muss), dass zum einen der Gesetzgeber unter bestimmten Umständen dazu legitimiert ist, solche Straftatbestände aufzustellen, und dass zum anderen diese Straftatbestände folglich auch nicht generell teleologisch zu reduzieren sind. Das Thema reicht sehr weit und im Folgenden können die sich hier entzündenden Streitfragen nicht bis ins Einzelne verfolgt werden. Das wesentliche Problem ist, ob der Gesetzgeber zur Schaffung solcher Delikte legitimiert ist; sollte er das sein, so muss er sich durch den Gesetzesanwender beim Wort nehmen lassen und die entsprechenden Tatbestände dürfen nicht teleologisch reduziert werden.72 a) Die Menge der überkommenen abstrakten Gefährdungsdelikte Ein etwas vordergründiges Argument dafür, dass der Gesetzgeber abstrakte Gefährdungsverbote erlassen kann, liegt darin, dass er eine sehr große Anzahl solcher Straftatbestände erlassen hat, an deren Legitimität nicht gezweifelt wird: Es wurde oben gezeigt, dass eine am herkömmlichen Rechtsgutsbegriff orientierte Definition des Tatobjekts nicht in der Lage ist, 70 71 72
Stein in: Dencker/Struensee/Nelles/Stein, 4. Teil, Rn. 4 a. E. Vgl. statt aller: Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 306 ff., Rn. 3a ff. Horn, in: Systematischer Kommentar, Vor § 306, Rn. 17.
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die Erfolgs- von den Gefährdungsdelikten zu unterscheiden; so wurde als „Grund-Rechtsgut“ die personale Entfaltung eingeführt. Bezüglich der Verletzung eines Objekts, in dem sich dieses „Grund-Rechtsgut“ manifestiert, sind erheblich mehr Delikte abstrakte Gefährdungsdelikte, z. B. selbst die Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 3. Var. StGB oder auch fast alle Äußerungsdelikte. Alle diese Straftatbestände wären illegitim – ein Ergebnis, das wohl nicht ernsthaft vertreten werden kann. Über die Relevanz des Problems täuscht also hinweg, dass das Problem nahezu nur im Rahmen von Erörterungen zu § 306 a Abs. 1 StGB angesprochen wird. b) Unkontrollierbarkeit der geschaffenen Gefahrenlagen Doch weshalb soll der Gesetzgeber dazu befugt sein, die Herbeiführung abstrakter Gefährdungslagen zu verbieten und dieses Verbot durch Androhung von Kriminalstrafe zu sanktionieren? – Im Mittelpunkt dieser Frage steht ein Aspekt: Die Rede davon, dass es Fälle gibt, in denen eine Gefährdung absolut sicher ausgeschlossen ist, ist ungenau und insoweit auch unrichtig. So gibt es nahezu kein Gebäude, von dem man mit Sicherheit sagen kann, dass sich kein Mensch in ihm befindet. Außerdem sind manche Mittel so schwer zu beherrschen, die von ihnen ausgelösten Kausalverläufe so schwer zu steuern,73 dass man Gefährdungen nahezu niemals ausschließen kann. Schon das allein mag es rechtfertigten, dass der Gesetzgeber sich mit § 306 a Abs. 1 StGB (Tatmittel: Feuer!) über Bewertungen im Einzelfall (und im erforderlichen subjektiven Tatbestand: über die Bewertung des Einzelnen) hinwegsetzt und Gefährdungen postuliert, die der Einzelne niemals sehen könnte, insbesondere wenn – wie bei § 306 Abs. 1 StGB – ganz besonders schwere Beeinträchtigungen möglich sind.74 c) Mittelbare Gefahren – insbesondere die Vorbildwirkung Doch für die Masse der abstrakten Gefährdungsdelikte – z. B. § 142 Abs. 1 StGB: abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt – steht ein anderer Wirkmechanismus des oben dargestellten Aspekts, dass Gefährdungen nie absolut sicher ausgeschlossen sein können, im Mittelpunkt. Die Tatmittel können häufig mittelbar gefährlich sein.75 Wurde einmal ein Verhalten an 73
Koriath, GA 2001, S. 51, 68. Koriath, GA 2001, S. 51, 68. 75 BVerfGE 90, 145, 174, Beschl. v. 8 März 1994, – 2 BvL 43/92 u. a. –, Cannabis; insoweit besonders deutlich und vom Mehrheitsvotum nicht abweichend: Abw. Meinung Grashoff (BVerfGE 90, 199, 204). Grashoff setzt dann die ihrer Ansicht nach drohenden mittelbaren Gefahren als besonders groß an (S. 207 ff.) Hier dürfte die Ansicht der Mehrheit hingegen vorzugswürdig sein. 74
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den Tag gelegt, so kann das eine Vorbildwirkung entfalten.76 Das Besondere daran ist, dass diese Wirkung des Verhaltens im Einzelfall gar nicht überblickt werden kann – und nur das rechtfertigt die Existenz von abstrakten Gefährdungsdelikten, die (im Gegensatz zu § 306 a Abs. 1 StGB) nicht vor besonders schweren Beeinträchtigungen schützen sollen. Ein konkretes Beispiel zu § 142 Abs. 1 StGB: Hat einmal jemand (straflos) den Unfallort verlassen, so können später andere sich dadurch herausgefordert fühlen, sich selbst so zu verhalten, wobei dann aber nicht so peinlich genau auf eine fehlende Gefährdung geachtet wird. Denn nicht der Umstand der ausgeschlossenen Gefährdung wird ihnen im Gedächtnis verbleiben, sondern der Typus des Verhaltens „Verlassen eines Unfallorts“. Mag beim ersten Fall eine Gefährdung fremden Vermögens ausgeschlossen sein, weil der Verlassende den Unfall nicht verschuldet hat (oder u. U. sogar gar nicht verursacht hat, vgl. § 142 Abs. 5 StGB), so braucht das im nachfolgenden Fall nicht mehr der Fall zu sein; der konkrete Grund für die Straflosigkeit im ersten Fall wird den Handelnden im nachfolgenden Fall nicht mehr vor Augen stehen. Die Nachhandelnden erinnern sich nur an ein Geschehen, das sich typisiert in ihrem Gedächtnis befindet: Durch die Unfallflucht im ersten Fall wird so mittelbar die Unfallflucht im zweiten Fall bewirkt. Diesem (möglichen) Wirkmechanismus soll durch das Verbot einer abstrakten Gefährdung vorgebeugt werden. d) Die Ungeklärtheit des Ablaufs eines Motivationsprozesses Man kann hiergegen nicht einwenden, es könne auch ausgeschlossen sein, dass ein Verhalten Vorbildwirkung entfaltet, u. U. dann, wenn es gar nicht bekannt wird. Denn bei einem Verhalten, das gar nicht bekannt wird (die Flucht nach dem Unfall, den niemand bemerkt hat), kommt es niemals zu einer rechtlichen Beurteilung. Und wenn es zu einer rechtlichen Beurteilung kommt, dann ist das Verhalten bekannt und kann andere dazu beeinflussen, sich ebenso zu verhalten, wenn sie sich selbst in einer solchen Lage befinden. Allerdings ist es nun relativ ungeklärt, weshalb sich Menschen auf eine gewisse Art verhalten und weshalb nicht.77 Die Prozesse, 76 Samson (Festschrift f. Grünwald, S. 585, 601) spricht von einer „Erodierung der Normtreue“; Ähnliches meint wohl Koriath (GA 2001, S. 51, 70), der auf den Gedanken der Generalprävention abstellt. 77 Paeffgen, FS f. Hanack, S. 591, 618; Puppe, GA 1984, S. 101, 103 (und besonders deutlich S. 105: „Zur Verknüpfung von Veränderungen in der Außenwelt haben wir strikte allgemeine Kausalgesetze zu Verfügung, für psychische Reaktionen, insbesondere menschliche Entscheidungen, nicht.“), Puppe, FS f. Roxin, S. 287, 296; Kahlo, GA 1987, S. 66, 77; vgl. auch aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht Siegfried J. Schmidt (Kognitive Autonomie, S. 53), der darauf hinweist, dass
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die Motivationen auslösen, sind im Einzelnen völlig ungeklärt und können wohl auch nicht restlos geklärt werden. Weiterhin hängt an der Frage, weshalb sich jemand auf eine gewisse Weise verhalten hat, das gesamte Problem des Determinismus. Vor diesem Hintergrund kann es nicht zweifelhaft sein, dass der Gesetzgeber seinen – ihm unzweifelhaft zustehenden – Beurteilungsspielraum78 teilweise dahin ausübt, dass gewisse typisierend beschriebene Verhaltensweisen unerlaubt sind79 und für die Missachtung des Verbots auch Strafe androhen darf. Die grundsätzliche Legitimität solcher abstrakten Gefährdungsverbote wird noch dadurch unterstrichen, dass es häufig so liegt, dass zwar die einzelne Handlung u. U. ungefährlich ist, die Masse der Handlungen, die diesem Typus entspricht, aber gerade wegen ihrer Massenhaftigkeit gefährlich ist.80 5. Ergebnis Letztlich bleibt also immer ein Kausalverlauf Grundlage eines (strafrechtlich sanktionierten) rechtlichen Verbots: Gewisse Verhaltensweisen sind verboten, weil sie einen Verlust an personaler Entfaltungsmöglichkeit verursachen können. Einem gesetzlichen Verbot muss immer ein möglicher Kausalverlauf zugrunde liegen, den es mit dem Verbot zu verhindern gilt; für jeden Straftatbestand gibt es einen bestimmten Typus eines zu verhindernden Kausalverlaufs, der das Rückgrat des Verbots ist.81 Teilweise muss nun der Versuch der Medienwirkungsforschung, aus vermittelten Botschaften die dadurch verursachten Wirkungen vorherzusagen, fehlgeschlagen ist. 78 BVerfGE 90, 145, 173; ebenso die nur im Endergebnis abweichende Meinung von Grashoff (BVerfGE 90, 199, 202). 79 Damit weist dieser Aspekt deutlich über das Strafrecht hinaus: Es ist ein allgemeines Problem, inwieweit der Gesetzgeber im Tatbestand, an den sich belastende Rechtsfolgen – oder Gewährungen, die sich für andere mittelbar als Belastungen darstellen (Art 3 Abs. 1 GG) – anschließen, Typisierungen und Pauschalierungen vornehmen darf, auch wenn das zu Ungereimtheiten im Einzelfall führt. (Vgl. dazu: Jarrass/Pieroth, Art 2, Rn. 19 und Art 3, Rn. 21). 80 Abweichende Meinung Grashoff (BVerfGE 90, 199, 204); Heine, in: Schönke/ Schröder, Vorbem. §§ 306 ff., Rn. 4a. 81 Diese Betrachtungen werden heutzutage meistens angesiedelt im Bereich der sog. objektiven Zurechnung. Der Begriff der objektiven Zurechung bedeutet dann den Inbegriff aller Regeln, nach denen man das Handlungsunrecht zu bestimmen hat. Frisch (GA 2003, S. 719, 742) meint, man sollte den Inbegriff dieser Regeln besser „tatbestandsmäßiges Verhalten“ nennen, doch ist das nur eine Sache der Terminologie. Diese Regeln beruhen im Grundsatz auf einer naturwissenschaftlichen Gefährlichkeitsbetrachtung auf Basis der gesetzgeberischen Wertentscheidung und sind auf alle Tatbestände im Besonderen Teil anwendbar. (Reyes, ZStW 105, S. 108, 135; Frisch, GA 2003, S. 719, 742). Damit ist es obsolet zu klären, ob die objektive Zurechung im Allgemeinen oder Besonderen Teil des StGB anzusiedeln ist (so auch
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2. Teil: Das Risiko
ein schädigender Kausalverlaufs im Einzelfall gegeben gewesen sein, um die Erfüllung des Straftatbestandes bejahen zu können (Erfolgsdelikte wie §§ 212 Abs. 1, 223 Abs. 1 StGB). Teilweise braucht aber nur eine Gefährlichkeit im Einzelfall vorgelegen zu haben, es muss also ein Kausalverlauf vorliegen, an dessen Endpunkt zwar nicht tatsächlich eine Beeinträchtigung der „personalen Entfaltung“ stand, der aber im Einzelfall dieses Ende hätte haben können. Letztlich gibt es auch die Möglichkeit, dass die Gefährdungssituation typisiert beschrieben wird. Ein solches Verbot dient der Verhinderung des Eintritts eines Kausalverlaufs, der sich typischerweise an das Verhalten anschließt, obwohl das im Einzelfall nicht so zu sein braucht. Hinter einem solchen Verbot steht eine Vermutung des Normgebers. Ein gesetzliches Verbot einer Summe von Verhaltensweisen, von denen keine dazu führen kann, dass eine Beeinträchtigung der personalen Entfaltung eintritt, ist nicht zulässig.82 So wäre ein Verbot von Praktiken aus dem Bereich der „Schwarzen Magie“ mit dem gesetzlichen Ziel der Verhinderung des Eintritts von Beeinträchtigungen, die durch solche Praktiken (angeblich) bewirkt werden, nicht möglich. Denn keine solche Praktik (Einstechen von Nadeln in eine Puppe etc.) kann jemals Ausgangspunkt eines Kausalverlaufs sein, der zu einer Beeinträchtigung der personalen Entfaltung des (durch die Puppe dargestellten) Opfers führt.83 V. Ergebnis Als Ergebnis können wir damit für die Struktur des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes Folgendes festhalten: Welches Rechtsgut ein Straftatbestand schützt, lässt sich auf verschiedenen Ebenen bestimmen. Zumindest von einem ganz anderem grundsätzlichen Standpunkt aus: Armin Kaufmann, FS f. Jescheck, S. 251, 270). 82 Abweichende Meinung Grashoff: BVerfGE 90, 199, 201. 83 Damit soll nicht gesagt werden, dass es dem Gesetzgeber generell untersagt ist, ein solches strafrechtlich sanktioniertes Verbot aufzustellen. Nur kann das nicht in Hinblick auf die Gefahren, die sich aus solchen Praktiken unmittelbar als Folge ergeben (sollen), geschehen, also etwa zur Verhinderung des Kausalverlaufs: Das Opfer erleidet einen Herzinfarkt, weil in die Brust der Puppe eine Nadel gestochen wurde. Ein solcher Kausalverlauf kann gar nicht eintreten. Ein Verbot kann aber an den (möglichen) mittelbaren Wirkungen solcher Praktiken anknüpfen: Wenn die Gesellschaft allgemein sich noch auf einem Stand befindet, auf dem in weiten Kreisen der Bevölkerung an die unmittelbare Wirkung solcher Praktiken geglaubt wird, dann mag ein Verbot in Hinblick auf die mögliche Beeinflussung Dritter, die dann zu Beeinträchtigungen von personaler Entfaltung führen können, gerechtfertigt sein. Durch ein solches Verbot würde der öffentliche Friede geschützt, vgl. dazu die Ausführungen von Jescheck/Weigend (AT, S. 532) zum abergläubischen oder irrealen Versuch, die eine solche Praktiken erfassende Auslegung der Versuchsregeln deswegen ablehnen, weil solche Mittel „auf die Gemeinschaft keinen Eindruck mehr machen“.
4. Abschn.: Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz
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auf den Schutz der personalen Entfaltung des Menschen (oder auf den Schutz der Allgemeinheit oder zum Teil auf den Schutz der Allgemeinheit) lässt sich die Existenz jeglichen Rechtsguts zurückführen. Je abstrakter die Beschreibung dessen ist, was man als Rechtsgut des jeweiligen Straftatbestands ansieht, desto genauer muss die Angriffsrichtung beschrieben werden. Zweck aller Deliktstatbestände ist letztlich, den Eintritt eines Kausalverlaufs zu verhindern, der zu einer Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsguts“ – sei dieses monistisch oder dualistisch strukturiert – führt. Die Beurteilung des tatsächlich abgelaufenen Kausalverlaufs, des möglicherweise ablaufenden Kausalverlaufs bzw. des hinter dem gesetzlichen Verbot stehenden vermuteten Kausalverlaufs bildet die Grundlage zur Bestimmung der Unerlaubtheit eines Verhaltens. Ein Verhalten, das nicht zu einer Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsguts“ führt und dazu im Einzelfall auch nicht hätte führen können und bei dem der Gesetzgeber das auch nicht vermuten darf, kann nicht unerlaubt sein.
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2. Teil: Das Risiko
5. Abschnitt
Das Verbot von Äußerungen als nur mittelbarer Rechtsgüterschutz Auf welche Weise wird durch das Verbot von Äußerungen – und zwar Verbot von Äußerungen, das am „Inhalt“ ansetzt – das „Grund-Rechtsgut“ der personalen Entfaltung geschützt? Dies ist die Frage nach der Art von Kausalverlauf, der letztlich zu einer Verletzung der personalen Entfaltung führen kann und den es mit dem gesetzlichen Verbot zu verhindern gilt. Bei der Behandlung dieser Frage ist nach dem oben Ausgeführten1 eine Abgrenzung sehr wichtig: Inwieweit und in Bezug worauf muss im konkreten Fall die Prognose eine Gefährlichkeit des Verhaltens ergeben, um die Tatbestandsmäßigkeit bejahen zu können? Und inwieweit ist umgekehrt eine auf den konkreten Fall bezogene Gefährlichkeitsprognose nicht notwendig, weil hier hinsichtlich der Gefährlichkeit eine „legitime Vermutung“ des Normgebers hinter dem Gesetz steht? Dieser Komplex von Fragen muss behandelt werden, um den durch das Verbot von Äußerungen bewirkten Rechtsgüterschutz von den sonstigen Formen des Rechtsgüterschutzes abzugrenzen. Wurden diese Fragen beantwortet, dann kann man mit Hilfe des so herausgefundenen Zwecks des Verbots von Äußerungen feststellen, ob eine Klasse von Äußerungen im Hinblick auf Sinn und Zweck des jeweiligen Verbots von Äußerungen als „grund-rechtsgutsgefährdend“ anzusehen ist oder nicht. Damit ist aber noch nicht festgestellt worden, dass die konkrete Äußerung, die der Klasse von „grund-rechtsgutsgefährdenden“ Äußerungen angehört, damit auch unter den entsprechenden Straftatbestand fällt. Dazu muss noch geprüft werden, ob das geschaffene Risiko nicht u. U. ein erlaubtes ist. Es kann aber gegebenenfalls festgestellt werden, dass eine Äußerung sicher nicht unter einen Straftatbestand fällt. Das ist dann der Fall, wenn sie kein Risiko schafft. Das ist zu bejahen, wenn sie einer Klasse von Äußerungen angehört, die niemals Ausgangspunkt eines schädigenden Kausalverlaufs sein können, weil das entweder 1. tatsächlich nicht möglich erscheint, soweit man nach der gesetzlichen Konzeption den Kausalverlauf im Einzelnen nachzuvollziehen hat, und 2. eine Gefährdung auch deshalb nicht angenommen werden muss, weil hinter der Norm eine „legitime Vermutung“ des Normgebers steht. 1
s. o. im 4. Abschnitt unter IV. 3. c).
5. Abschn.: Verbot von Äußerungen als mittelbarer Rechtsgüterschutz
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I. Einschränkung der Betrachtung auf § 185 StGB in der Konstellation der Äußerung gegenüber dem Beleidigten Zur Vereinfachung der Betrachtungen wird im Folgenden nur das Äußerungsdelikt der Beleidigung (§ 185 StGB) betrachtet, schließlich wird die Beleidigung als das Äußerungsdelikt schlechthin angesehen.2 Die hier gewonnenen Erkenntnisse können später verallgemeinert werden: Sie können nämlich auf die anderen Äußerungsdelikte sowie auf jegliches Verbot von Äußerungen – gleich durch was für einen Straftatbestand3 – übertragen werden. Noch eine Vereinfachung soll bei den folgenden Ausführungen gemacht werden. Eine Beleidigung kann nach allgemeiner Meinung sowohl durch Äußerung gegenüber dem Beleidigten als auch durch Äußerung gegenüber Dritten begangen werden.4 Uns soll vorerst nur die Konstellation der Äußerung gegenüber dem Beleidigten interessieren; auf die Konstellation der Äußerung gegenüber Dritten wird danach eingegangen (unter II.). Die eingangs formulierte Fragestellung – auf welche Weise wird durch das Verbot gewisser Äußerungen die „personale Entfaltung“ des Menschen geschützt? – hat sich somit (vorerst) zu der Fragestellung reduziert: Auf welche Weise wird durch das Verbot von beleidigenden Äußerungen gegenüber dem Beleidigten die „personale Entfaltung“ des Beleidigten geschützt? Welchen Kausalverlauf, der eine Beeinträchtigung der „personalen Entfaltung“ des Beleidigten verursachen kann, hat das Verbot der Beleidigung im Auge? Und vor allem: Welche Abschnitte dieses Kausalverlaufs müssen im Einzelfall tatsächlich vorliegen und bei welchen Abschnitten greift die hinter dem gesetzlichen Verbot der Beleidigung stehende „Vermutung“ der Gefährlichkeit ein? 1. Entbehrlichkeit solcher Betrachtungen beim Schutz der Ehre? Zunächst muss im Hinblick auf diese Fragestellungen (die wir ja nur zur Vereinfachung auf § 185 StGB in einer bestimmten Konstellation beschränkt haben) einem möglichen Einwand begegnet werden. In Art 5 Abs. 2 GG wird als Schranke der Rechte aus Art 5 Abs. 1 GG das „Recht der persönlichen Ehre“ bezeichnet. Damit sind Strafnormen, die das „Recht der persönlichen Ehre“ schützen, unmittelbar aus dem Grundgesetz heraus legiti2 Kern benennt sie z. B. bei der Systematisierung von Äußerungsdelikten in seinem grundlegenden Werk als erstes (Äußerungsdelikte, S. 11). 3 s. o. im 1. Abschnitt unter II. 3. a). 4 Rengier, BT II, § 29, Rn. 23; Lackner/Kühl, § 185 Rn. 2; Küper, Definitionen Strafrecht BT, S. 69; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 185, Rn. 20.
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2. Teil: Das Risiko
miert.5 § 185 StGB muss also in verfassungsrechtlicher Hinsicht6 nicht dadurch legitimiert werden, dass mit ihm das „Grund-Rechtsgut“ der „personale Entfaltung“ geschützt wird, dass § 185 StGB also einen legitimen gesetzgeberischen Zweck verfolgt. Denn die Zwecksetzung „Schutz des Rechts der persönlichen Ehre“ reicht insoweit – wie sich unmittelbar aus Art 5 Abs. 2 GG ergibt – aus. Doch dieser Einwand würde an dem vorbei gehen, was Anliegen der folgenden Ausführungen sein soll. Es geht im Folgenden nicht um die Frage, ob die Norm des § 185 StGB verfassungsrechtlich zulässig ist; das wird vielmehr unterstellt und hat uns oben auch im Hinblick auf das – bei § 185 StGB weitaus problematischere – Bestimmtheitsgebot nicht interessiert.7 Es geht im Folgenden darum, die Struktur des Schutzes der personalen Entfaltung des Menschen durch Verbot gewisser Äußerungen am Beispiel des § 185 StGB zu erkennen, um in letzter Instanz Aussagen darüber zu machen, wie Äußerungen allgemein ausgelegt werden müssen. Greift man zu diesem Zweck tiefer, als das zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung erforderlich ist, so kann das nicht illegitim sein. Und wenn man diese spezielle Struktur des Rechtsgüterschutzes einmal erkannt hat, so hat man noch eine weitere Begründung des Ehrenschutzes durch das Strafrecht gefunden und unterstützt dadurch nur die Wertung, die in Art 5 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommt. Und schließlich ändert sich durch die Aufnahme eines Rechtsguts in die Verfassung (als Verfassungsgut) materiell insofern nichts, als weiterhin ungeklärt bleibt, wie dieses Rechtgut der „persönlichen Ehre“ inhaltlich beschaffen ist, was mithin das Grundgesetz (und nicht nur das StGB) unter „persönlicher Ehre“ versteht und schützt.8 Insoweit sind die folgenden Ausführungen also auch Ausführungen zur Verfassungsauslegung. 5 Kriele, NJW 1994, S. 1897, 1898 f. Nach dem Wortsinn des Art 5 Abs. 2 GG könnte man auch vertreten, dass das „Recht der persönlichen Ehre“ den Regelungsbereich des Art 5 Abs. 1 GG bereits von vornherein begrenzt, sodass es nicht der Aktualisierung des Ehrenschutzes durch Gesetz bedarf, wie das bei den anderen beiden Varianten des Art 5 Abs. 2 GG (den „gesetzliche[n] Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ und den „Vorschriften der allgemeinen Gesetze“) der Fall ist (Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 246; so im Grundsatz auch BVerfGE 33, 1, 16, Beschl. v. 14 März 1972, – 2 BvR 41/71 –, Strafgefangenen-Entscheidung). Das Bundesverfassungsgericht hat aber den Gedanken des allgemeinen Gesetzesvorbehalts fruchtbar gemacht und kommt zu dem Ergebnis, dass das Recht der persönlichen Ehre nicht von vornherein den Schutzbereich der Grundrechte begrenzt, sondern es auch hier – wie bei einer „normalen“ Schrankenregelung – eines Gesetzes bedarf, um den Ehrenschutz zu aktualisieren (BVerfGE 33, 1, 17). Darüber ist man sich in der Literatur mittlerweile auch weithin einig (Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 247; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 119; SchmidtJortzig, in: Hdb. d. Staatsrechts, VI, § 148, Rn. 48. 6 Vgl. hierzu wieder den systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff, s. o. im 4. Abschnitt unter I. 2. 7 s. o. im 2. Abschnitt unter II.
5. Abschn.: Verbot von Äußerungen als mittelbarer Rechtsgüterschutz
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Es bleibt also dabei, die Frage heißt: Wie wird durch das Verbot von beleidigenden Äußerungen gegenüber dem Beleidigten die personale Entfaltung des Beleidigten geschützt? Oder anders: Auf welche Art und Weise kann eine beleidigende Äußerung gegenüber dem Beleidigten dessen „personale Entfaltung“ beeinträchtigen? 2. Der Anfangs- und Endpunkt des zu verhindernden Kausalverlaufs Wie bereits gesagt, verlangt eine Antwort auf diese Frage eine Beschreibung des möglichen Kausalverlaufs, dessen Ablauf durch die dem Straftatbestand des § 185 StGB – in der Variante der Äußerung gegenüber dem Beleidigten – zugrunde liegenden Verhaltensnorm verhindert werden soll. Es ist zweckmäßig, zunächst den Anfangs- und den Endpunkt dieses Kausalverlaufs festzulegen. Am Anfang des dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegenden Kausalverlaufs steht – wie immer – der Entschluss des Täters, das Opfer zu beleidigen. An diese rein innerliche Gegebenheit kann das Strafrecht aber noch nicht anknüpfen.9 Am Endpunkt der zu verhindernden Kausalkette muss eine Beeinträchtigung der „personalen Entfaltung“ stehen. Dabei muss es sich um eine Beeinträchtigung der „personalen Entfaltung“ derjenigen Person handeln, die Äußerungsadressat und gleichzeitig Beleidigter ist, da die Überlegungen auf diese Konstellation vorläufig beschränkt werden. Auf die Frage, wie eine Beleidigung den Rezipienten in seiner „personalen Entfaltung“ beeinträchtigen kann, wird in der Literatur nur selten eingegangen. Meistens wird die Diskussion darüber geführt, welches der „richtige“ Ehrbegriff sei.10 Wenn man aber das Problem auf dieser darüber liegenden Ebene betrachtet, auf der man nach der Funktion der Ehre fragt, dann wird deutlich, dass der Straftatbestand des § 185 StGB mit seinem (vordergründigen) Ziel des Ehrenschutzes in letzter Instanz dazu dient, die Freiheit des Einzelnen zu schützen,11 und die Verletzung der Ehre nur eine abkürzende Beschreibung für eine gewisse Gefährdungssituation dieser Freiheit ist. Doch was für eine Gefährdungssituation genau ist gemeint? 8
Deswegen wird bei der Erörterung des verfassungsrechtlichen Begriffs der Ehre im Wesentlichen auf den Ehrbegriff des StGB verwiesen, vgl.: Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 289. 9 Im Übrigen ist auch nicht klar, wie dieser Entschluss inhaltlich beschrieben werden muss – das hängt davon ab, was man (objektiv) unter einer Beleidigung zu verstehen hat. 10 Auf die geringe praktische Relevanz der Definition der „Ehre“ im Gegensatz zur Auslegung der Äußerung wurde bereits oben im 2. Abschnitt unter IV. hingewiesen. 11 Wolff, ZStW 81, S. 886, 894; Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 18; ders., in: FS für Rudolphi, S. 373, 375; Kriele, NJW 1994, S. 1897.
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2. Teil: Das Risiko
Es geht beim Ehrenschutz – nach einer Formulierung von Otto, der sich ebenfalls mit diesen Grundlagen beschäftigt hat – darum, den Einzelnen gemeinschaftsfähig sein zu lassen.12 Was bedeutet das? Das menschliche Leben ist in ganz erheblichem Umfang nur möglich als menschliches Zusammen-Leben in der menschlichen Gemeinschaft.13 Damit ist gemeint, dass das menschliche Leben nur lebenswert im sozialen Miteinander mit anderen Individuen ist. Derjenige, der keine Möglichkeiten zum sozialen Kontakt mit Mitmenschen hat, kann – vom Biologischen einmal abgesehen – nicht überleben. Ein solcher Mensch kann sich personal allenfalls sehr gering entfalten: Alle Entfaltungsmöglichkeiten, die voraussetzen, dass andere Individuen sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten – und das sind insbesondere in der heutigen hoch ausdifferenzierten Gesellschaft die allermeisten – sind ihm verschlossen.14 So kann er sich z. B. nicht rechtsgeschäftlich verhalten, denn diese Verhaltensmöglichkeit setzt voraus, dass andere gewillt sind, mit ihm Rechtsgeschäfte abzuschließen.15 Es ist aber weiterhin eine Voraussetzung, um mit anderen Individuen sozial zusammen zu leben, mit ihnen also in soziale Interaktion zu treten, dass der Einzelne mit Selbstbewusstsein ihnen gegenüber auftritt.16 Doch dazu muss der einzelne Mensch in der Lage sein, ein solches Selbstbewusstsein zu entwickeln. Der einzelne Mensch muss sich selbst mit den anderen Individuen, die die Gesellschaft bilden, grundsätzlich als gleich geordnet begreifen. Darum soll es hier gehen, und diese Vorrausetzung will § 185 StGB in der betrachteten Konstellation sichern. Die dem § 185 StGB 12
Otto, FS f. Schwinge, S. 71, 74. Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 185, Rn. 5. 14 Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 18. 15 Insbesondere das darf in der modernen Gesellschaft nicht gering geachtet werden. Konnte man in früheren Zeiten, wenn man „sozial geächtet“ war, noch bar bezahlen, mithin Rechtsgeschäfte abschließen und sie dann wirksam erfüllen, so hat sich das heutzutage zum Teil geändert: Es ist für viele Rechtsgeschäfte erforderlich, eine Verpflichtung durch Verschaffung von Buchgeld zu erfüllen. Dazu ist ein Konto erforderlich. Der Gesetzgeber hat das erkannt und beispielsweise in § 4 Abs. 2 SparkassenVO NW bestimmt: „Die Sparkassen sind verpflichtet, für natürliche Personen aus dem Gewährträgergebiet auf Antrag Girokonten zur Entgegennahme von Einlagen in DM zu führen. Eine Verpflichtung zur Führung eines Girokontos besteht nicht, wenn a) die Kontoinhaberin oder der Kontoinhaber Dienstleistungen bei Kreditinstituten mißbraucht hat, b) das Konto ein Jahr lang umsatzlos geführt wurde, c) das Konto kein Guthaben aufweist und die Kontoinhaberin oder der Kontoinhaber trotz Aufforderung nicht für Guthaben sorgt, d) aus anderen wichtigen Gründen die Aufnahme oder Fortführung der Geschäftsbeziehung den Sparkassen im Einzelfall nicht zumutbar ist.“ 16 Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 31; ders., in: FS für Rudolphi, S. 373, 377. 13
5. Abschn.: Verbot von Äußerungen als mittelbarer Rechtsgüterschutz
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zugrunde liegende Verhaltensnorm soll den Eintritt eines Zustands verhindern, in dem sich der Einzelne nicht mehr als den anderen gleich geordnet begreift; ein Zustand, in dem er den anderen nicht mit Selbstbewusstsein gegenüber tritt.17 Durch das in § 185 StGB beschriebene Verhalten wird letzten Endes in dem einzelnen Menschen, gegenüber dem sich beleidigend geäußert wird, eine „Hemmung“ aufgebaut, sodass dieser sich im weiteren sozialen Umgang mit Menschen nicht mehr so unbefangen verhält, wie er sich sonst verhält. Er wird, indem ihm durch die Beleidigung ein Teil seines Selbstbewusstseins genommen wird, in seiner personalen Entfaltung gestört. Die beleidigende Äußerung führt dazu, dass der Beleidigte zum Teil gesellschaftlich ausgeschlossen wird, weil er – durch die ihm zugefügte Beleidigung – sich selbst nicht mehr für fähig hält, mit anderen Gemeinschaft zu haben. Er wird durch die Beleidigung dazu gebracht, sich selbst aus dem sozialen Leben zurückzuziehen.18 In ihm wird eine psychische Reaktion ausgelöst, die bewirkt, dass er durch sich selbst sozial desintegriert wird. Bleibt einem durch soziale Desintegration die Anerkennung als prinzipiell Gleichberechtigter grundlos versagt, dann führt das auch zu tatsächlichen Einbußen an personaler Entfaltung. Im Extremfall kann es bis zum Suizid kommen.19 3. Die Gründe für die Strukturierung des § 185 StGB (in der Variante der Äußerung gegenüber dem Beleidigten) als abstraktes Gefährdungsdelikt der „personalen Entfaltung“ und als verhaltensgebundenes Delikt Das Selbstbewusstsein des Einzelnen kann aber auch durch andere Verhaltensweisen als Beleidigungen – also jene Äußerungen, denen die Eigenschaft zukommt, beleidigend zu sein – gestört werden und umgekehrt braucht das Selbstbewusstsein des Einzelnen durch Beleidigungen nicht beeinträchtigt zu werden. Das führt zu folgenden zwei Fragen: Weshalb ist § 185 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt strukturiert [unten a)], denn zu der sozialen Desintegration braucht es offensichtlich nicht gekommen zu sein, um die Tatbestandsverwirklichung des § 185 StGB bejahen zu können? Weshalb erfasst § 185 StGB nur Äußerungen mit der Folge, dass andere Arten der Herbeiführung einer sozialen Desintegration durch Beeinträchtigung des Selbstbewusstseins dem Straftatbestand nicht unterfallen [unten b)]? 17 Otto, FS für Schwinge, S. 71, 74; Wolff, ZStW 81, 886, 894; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 185, Rn. 5; Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 31. 18 Kriele, NJW 1994, S. 1897, 1898. 19 Kriele, NJW 1994, S. 1897, 1898.
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2. Teil: Das Risiko
a) Die Beleidigung als abstraktes Gefährdungsdelikt Das soziale Miteinander der Menschen ist nicht immer einfach. Jeder Mensch hat die eine oder andere „Hemmung“ im Umgang mit anderen Menschen; jeder Mensch besitzt gegenüber manchen anderen nicht sein volles Maß an Selbstbewusstsein, sodass er in diesem Verhältnis nicht dasjenige Selbstbewusstsein hat, dessen er zur optimalen Ausnutzung seiner Möglichkeiten bedarf. So etwas ist – in einem gewissen Rahmen – normal. Wann jemand nun so sehr gehemmt ist, mithin so wenig Selbstbewusstsein hat, dass der Verursacher die Schwelle zum strafwürdigen Unrecht überschritten hat, ist nur sehr schwer, wenn nicht ganz und gar unmöglich abstrakt und generell zu beschreiben. Das ist der erste Grund dafür, weshalb § 185 StGB so strukturiert ist, wie er strukturiert ist: als Delikt, das nur eine abstrakte Gefährdung des „Grund-Rechtsguts“ ausreichen lässt. Und noch etwas ist der Grund dafür, dass in § 185 StGB in Bezug auf unsere Konstellation nicht der Endpunkt des zu verhindernden Kausalverlaufs, die Verursachung einer „Hemmung“, also die soziale Desintegration, als tatbestandsmäßiger Erfolg beschrieben ist: Dieser „Erfolg“– so schwer er auch zu beschreiben ist20 – kann nahezu nie auf eine konkrete Handlung zurückgeführt werden. Zwar lässt sich wohl grundsätzlich sagen, dass die allgemeine Bereitschaft der Beleidigten, die Rechte, die ihnen die Gesellschaft bietet, wahrzunehmen, abnimmt, wenn die Menge beleidigender Äußerungen gegenüber den Beleidigten ansteigt.21 Doch im Speziellen lässt sich der Beweis, dass das konkrete Individuum A, das eine mögliche Handlung unterlässt, dieses deswegen tut, weil es vorher durch eine beleidigende Äußerung verunsichert wurde, nahezu nie führen. Das liegt daran, dass es hier um Kausalverläufe geht, die sich in der menschlichen Psyche abspielen. Wie und durch was sich Menschen zu Handlungen und Unterlassungen motivieren lassen, ist zum einen nicht genau erforscht und kann auch in Zukunft nicht hinreichend genau erforscht werden.22 Zum anderen ist es aber dem Einzelnen häufig nicht einmal selbst bewusst, weshalb er so und nicht anders gehandelt hat, bzw. er hat die falschen Vorstellungen davon. b) Die Beleidigung als verhaltensgebundenes Delikt Nun ist die Beleidigung nach § 185 StGB aber nicht nur ein abstraktes Gefährdungsdelikt, sondern auch ein verhaltensgebundenes Delikt. Jakobs begründet diesen Umstand damit, dass er dem Ehrenschutz nach § 185 20 21 22
s. o. unter I. 2. Kübler, AöR 125 (2000), S. 109, 125 f. s. o. im 4. Abschnitt unter IV. 4. d).
5. Abschn.: Verbot von Äußerungen als mittelbarer Rechtsgüterschutz
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StGB auch einen öffentlichen Zweck zuschreibt.23 Der Schutz der Ehre diene dem Schutz der informellen Zurechnung in der Gesellschaft.24 Es gebe in der Gesellschaft nicht nur die Steuerungsfunktion des Rechtssystems, sondern es finde auch eine Verhaltenssteuerung durch Systeme außerhalb der Rechtsordnung statt. Auf informeller Basis durch Kirchen, Gewerkschaften, Vereine etc. würden Verhaltensanforderungen an den Einzelnen gestellt und bei ihrer Verletzung dann informelle Sanktionen verhängt,25 z. B. könnte – schon sehr extrem – die beleidigte Person gemieden werden. Damit diese informellen Sanktionen nicht fehlgehen, also denjenigen treffen, der gar nicht gegen die verhaltenssteuernden informellen Regeln verstoßen hat, benötige man einen Wahrheitsschutz. Diesem speziellen Wahrheitsschutz diene die Strafvorschrift des § 185 StGB. Doch gegen diese Konzeption spricht, dass man damit die Existenz des § 185 StGB nur insoweit erklären und legitimieren kann, als er die Konstellation mit drei Beteiligten betrifft. Es muss den Beleidigten geben, den Beleidiger und Dritte, die das sanktionierende System bilden, etwa den Sportverein. § 185 StGB ist nämlich unstreitig auch immer dann einschlägig, wenn der Beleidiger den Beleidigten unter vier Augen beleidigt und diese Äußerung niemals bekannt wird. Genau diese Konstellationen werden hier (vorerst) nur betrachtet. Doch Jakobs hat Recht, wenn er sagt, dass eine viel zu große Anzahl von Verhaltensweisen unerlaubt wären, wollte man die Beleidigung nicht als verhaltensgebundenes Delikt ansehen. Es geht also darum, die große Menge der Verhaltensweisen, die abstrakt gefährlich im Hinblick auf die soziale Integration sind,26 einzugrenzen. Es muss also eine Grenze innerhalb der abstrakt gefährlichen Verhaltensweisen gezogen werden; die eine Teilmenge der Verhaltensweisen wird im Hinblick auf die Freiheit der Handelnden als erlaubt angesehen, die andere als unerlaubt. Nun gelingen solche rechtlichen Grenzziehungen am besten, wenn das Recht Grenzen nachvollzieht, die auch allgemein anerkannt sind. Eine Norm, deren Inhalt im täglichen Leben weitgehend angewendet wird (etwa als moralische Norm), hat besonders gute Chancen, sich als Rechtsnorm auch durchzusetzen.27 Es lässt sich also zusammenfassen: Tatbestände, die wie die Beleidigung eine abstrakte Gefährdung des „Grund-Rechtsguts“ zu ihrer Erfüllung ausreichen lassen, haben die Tendenz, den Bereich möglicher Tathandlungen sehr weit zu ziehen. Die genauere Beschreibung der Tathandlung in § 185 23 24 25 26 27
Jakobs, FS f. Jescheck, S. 627, 628 und 638. Jakobs, FS f. Jescheck, S. 628 unter Berufung auf Jescheck/Weigend AT, S. 2. Jescheck/Weigend AT, S. 2. s. o. unter I. 2. Stein, Beteilungsformenlehre, S. 227.
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2. Teil: Das Risiko
StGB („Beleidigung“ = Äußerung mit ehrenrührigem Sinn), die die Beleidigung zu einem verhaltensgebundenen Delikt macht, wirkt der Ausweitungstendenz in zweierlei Hinsicht entgegen: Erstens wird dadurch die im Hinblick auf die Handlungsfreiheit zu große Zahl an unerlaubten Verhaltensweisen auf ein erträgliches Maß reduziert. Zweitens entspricht die so formulierte Verbotsnorm weitgehend einer allgemein bekannten und weithin akzeptierten außerrechtlichen Norm. Dadurch kann sie besser internalisiert werden und hat größere Chancen sich faktisch durchzusetzen. 4. Eine psychische Reaktion auf die Äußerung als notwendiger Bestandteil des Kausalverlaufs? Haben wir den Anfangs- und den Endpunkt des Kausalverlaufs, der dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegt, festgestellt, so müssen wir die weiteren Glieder dieses Kausalverlaufs noch genauer beschreiben. Welche weiteren Glieder die Kausalkette enthält, kann man durch Betrachtung der Kontroverse darüber, wann eine Beleidigung vollendet ist, ablesen.28 Damit ergibt sich unter Einbeziehung des schon oben definierten Anfangs- und Endpunktes folgendes Schema:29 1. Zunächst entschließt sich der Beleidiger, das Opfer zu beleidigen. An diesen rein innerlichen Akt kann das Strafrecht noch nicht anknüpfen. 2. Nun führt der Beleidiger die Tathandlung aus, d.h. er setzt die Zeichen, mit denen er seinem Entschluss Ausdruck verleiht. Meistens ist das ein Aussprechen des beleidigenden Wortes. 28 Die überwiegende Ansicht geht heutzutage davon aus, dass der Beleidigte Bedeutungskenntnis erlangt haben muss, um eine Vollendung annehmen zu können: BGHSt 9, 17, 20 (Urt. v. 12. Januar 1956, – 4 StR 470/55 –); Welzel, Lehrbuch, S. 266; Wessels/Hettimger BT/1, Rn. 487; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 26; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 185, Rn. 17; Regge, in: Münchener Kommentar StGB, § 185, Rn. 28. Die Gegenansicht, es sei nur Kenntniserlangung notwendig, vertreten: Schramm, FS f. Lenckner, S. 539, 560 ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 16; in einem Fall der sog. Sexualbeleidigung gegenüber einer 10jährigen hat auch der BGH dieser Ansicht zugestimmt (BGHSt 7, 129, 132, Urt. v. 16. Dezember 1954, – 3 StR 384/54 –). Amelung vertritt in neuerer Zeit eine vermittelnde Position. Er ist der Ansicht, grundsätzlich sei nur ein sprachliches Verstehen erforderlich, allerdings müsse die grundsätzliche Fähigkeit vorhanden sein, nachträglich den Bedeutungsgehalt zu erkennen (Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 57). Daran könne es beispielsweise bei geistig Behinderten fehlen. Umfassend zu diesem Problem: Brockamp, Die Tatvollendung bei den Beleidigungsdelikten. 29 Das Schema lehnt sich an das Schema an, das Brockamp (Tatvollendung, S. 4 ff.) zur Untersuchung, wann die Beleidigung vollendet ist, aufgestellt hat.
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3. Der Beleidigte vernimmt das beleidigende Wort; er nimmt die Tathandlung sinnlich wahr. 4. Dann ermittelt er ihren Inhalt, er erhält Inhaltskenntnis. 5. Danach wendet er den Inhalt auf die konkrete Situation an, er ermittelt ihre Bedeutung und versteht den Sinngehalt. 6. Danach fühlt er sich beleidigt oder herabgesetzt, er empfindet eine psychische Kränkung. 7. Als Endpunkt ist er so gekränkt, dass er sich in der Gesellschaft nicht mehr ungehemmt bewegen kann; er hat kein volles Selbstbewusstsein mehr und kann deshalb die Möglichkeiten, die die Gesellschaft ihm bietet, nicht mehr voll wahrnehmen. Er ist zum Teil sozial desintegriert. Den Eintritt des letzten Punktes, den Enderfolg, den es letztlich zu verhindern gilt, verlangt das Gesetz nicht zur Erfüllung des Tatbestandes des § 185 StGB. Durchgangsstadium zu diesem Punkt ist, dass der Beleidigte sich beleidigt fühlen muss. Ohne dass es dazu gekommen ist, kann die Wirkung nicht eintreten, dass der Beleidigte sich in der Gesellschaft nur noch gehemmt bewegt und er dadurch – durch sich selbst – „sozial desintegriert“ wird. Die Frage nun, ob dieser Punkt für das Vorliegen einer vollendeten Beleidigung tatsächlich gegeben sein muss, ist bekannt und umstritten. Die Problematik ist interessanterweise – soweit ersichtlich – noch nie aus der oben dargestellten Perspektive betrachtet worden. Es handelt sich hier um den Streit zwischen dem so genannten faktischen und dem normativen Ehrbegriff. Wann ein Gedankeninhalt beleidigend ist (wir gehen, da wir den dem rechtlichen Verbot zu Grunde liegenden Kausalverlauf vom „Enderfolg“ her verfolgen, davon aus, dass wir den Gedankeninhalt schon ermittelt haben), bestimmt sich danach, ob die Ehre betroffen ist, die herkömmlich, ohne dass das hinterfragt würde, als Rechtsgut des § 185 StGB angesehen wird. Wann ein Mensch „Ehre“ aufweist, kann man in ganz grundsätzlicher Weise unterschiedlich bestimmen. a) Faktischer Ehrbegriff Für die Vertreter des faktischen Ehrbegriffs ist die Ehre das tatsächliche Gefühl bzw. Bewusstsein des „Ehrenhaft-Seins“.30 Zum Begriff der Beleidigung gehört nach dem faktischen Ehrbegriff also (fast, s. u.) genau derjenige Abschnitt des zur sozialen Desintegration führenden Kausalverlaufs, welcher ihr unmittelbar vorausgeht. 30 Liepmann, Beleidigung, S. 14. Weitere Nachweise zu dieser heute nicht mehr vertretenen Position bei Tenckhoff (Ehrbegriff, S. 58).
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Das heißt aber nicht, dass konsequenterweise auch das Vorliegen aller vorangehenden Abschnitte des Kausalverlaufs zum Beleidigungsbegriff zählen muss. Denn selbst wenn man den faktischen Ehrbegriff vertritt und damit den Abschnitt des Kausalverlaufs, der „Sich-beleidigt-fühlen“ heißt, genau nachvollzieht – und damit an dieser Stelle des Beleidigungsbegriffs nicht normativiert –, so muss man das beim vorangehenden Abschnitt nicht zwangsläufig ebenfalls tun: Vertritt man den faktischen Ehrbegriff, so folgt daraus nicht, dass für die Frage, ob der Tatbestand erfüllt ist, auch auf das faktische Verständnis des Rezipienten31 abzustellen ist. Die Probleme eines faktisch verstandenen Ehrbegriffs32 liegen auf der Hand: Derjenige, der sich nicht beleidigt fühlt, kann nicht – eben auch nicht durch die gröbsten Worte – beleidigt werden, was als ungerecht angesehen wird.33 Wer in übelster Weise von seinem erbittertsten Gegner beschimpft wird, dieses aber beispielsweise als Zeichen dafür nimmt, dass er den Gegner richtig eingeschätzt hat („Von dem kann man ja nichts anderes erwarten“), und deshalb auf die Äußerung des Gegners nichts gibt, sich von den Beschimpfungen sogar noch bestärkt fühlt, der könnte nicht beleidigt sein. Durch den faktischen Ehrbegriff wird weiterhin – jedenfalls im Prinzip – auch demjenigen, der im täglichen Umgang nicht als ehrenhaft angesehen wird, Ehre dann zuerkannt, wenn er meint, eine solche zu besitzen. Das hat dann die Folge, dass auch diese Person beleidigt werden kann, was man ebenfalls als unbillig ansieht.34 Genau diese Konsequenzen wollen die Vertreter des faktischen Ehrbegriffs aber nicht ziehen und „verwässern“ den Ehrbegriff deshalb durch Wertungen. So führt Liepmann, ein Vertreter des faktischen Ehrbegriffs, zwar aus, das Wesen der Beleidigung bestehe in einer Verletzung des Ehrgefühls,35 dann relativiert er das aber, indem er behauptet: „Das Recht, nicht die gekränkte Empfindlichkeit des Einzelnen hat zu bestimmen, wann eine Beleidigung vorliegt. . .“36 b) Normativer Ehrbegriff Das führt uns zu dem anderen Extrempunkt, dem normativen Ehrbegriff: Er übernimmt nicht diesen dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegenden 31
Der so genannte Eindruck; darauf wird genauer im 10. Abschnitt eingegangen. Es gilt zu beachten, dass auch der faktische Ehrbegriff nicht vollständig faktisch ist. Wie Engisch nachgewiesen hat, muss wertend abgegrenzt werden, wann eine Gefühlskränkung eine solche des Ehrgefühls ist und wann die Kränkung ein anderes Gefühl, etwa das Schamgefühl, betrifft. (Engisch, FS f. Lange, S. 401, 411). 33 Engisch, FS f. Lange, S. 401, 410. 34 Engisch, FS f. Lange, S. 401, 410. 35 Liepmann, Beleidigung, S. 14. 36 Liepmann, Beleidigung, S. 25. 32
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Abschnitt des Kausalverlaufs in den Beleidigungsbegriff, sondern ermittelt aus Wertungen – im Gegensatz zum Erfordernis des tatsächlichen Vorliegens der Tatsache des „Sich-Beleidigt-Fühlens“ –, wann die Ehre betroffen ist.37 Verortet wird der normative Ehrbegriff dann in dem aus der Personenwürde entspringenden personalen Geltungswert des Betroffenen.38 Die Ehre des Einzelnen ist immer schon dann beeinträchtigt, wenn die Äußerung den Geltungswert beeinträchtigt. Das kann dazu führen, dass selbst derjenige beleidigt werden kann, der seinen eigenen Geltungswert überhaupt nicht anerkennt, also derjenige, der gar kein Selbstbewusstsein entwickelt hat. Umgekehrt kann aber derjenige nicht beleidigt werden, der sich (faktisch) einen Geltungswert zuschreibt, der selbstbewusst ist, dies nach den rechtliche relevanten gesellschaftlichen Wertungen aber eigentlich nicht sein dürfte, z. B. weil er seinen eigenen Geltungswert durch unehrenhafte Handlungen vermindert hat. Es soll nun nicht darum gehen, wie man die Ehre zu definieren hat. Auch durch das oben Gesagte ist nicht Stellung genommen in dem Streit, ob die Ehre stärker faktisch oder stärker normativ zu bestimmen ist. Es ist nur die Funktion des Begriffs der Ehre beschrieben worden. Der Streit um den „richtigen“ Ehrbegriff findet innerhalb dieses Rahmens statt.39 5. Die prinzipielle Verstehbarkeit für den Beleidigten als Bestandteil des Handlungsunrechts Nach dem oben Gesagten ist eines klar: Zu einem „Sich-beleidigt-Fühlen“ braucht es nicht gekommen zu sein, jedenfalls wenn man – wie es heute allgemeiner Auffassung entspricht – einen rein faktischen Ehrbegriff ablehnt. Damit muss sich die Untersuchung der Frage zuwenden, inwieweit die vor dem Prozess der geistigen Auseinandersetzung mit der Äußerung stehenden Abschnitte des dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegenden Kausalverlaufs für das Vorliegen einer Beleidigung tatsächlich gegeben sein müssen. Es handelte sich hierbei um die Punkte des sinnlichen Wahrnehmens der Tathandlung (oben Punkt 3.), des Erhaltens von Inhaltskenntnis (oben Punkt 4.) und letztlich des Ermittelns des Sinngehalts (oben Punkt 5.) Das erste 37 Auch hier gilt es wieder zu beachten, dass der normative Ehrbegriff ebenso wenig rein normativ ist, wie der faktische Ehrbegriff rein faktisch ist. Denn was für ein Geltungswert einem Menschen zukommt, bestimmt sich nach seinem Vorverhalten, das faktisch vorliegen muss, damit man es in einem zweiten Schritt bewerten kann (Engisch, FS f. Lange, S. 401, 413). 38 Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 29; Welzel, Lehrbuch, S. 263; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, vor § 185, Rn. 5–7. 39 Otto, FS f. Schwinge, S. 71, 76.
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Element des dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegenden Kausalverlaufs, das man der Sphäre des Rezipienten zuordnen muss, das sinnliche Wahrnehmen der Tathandlung, ist vom „Enderfolg“ aus gesehen gleichzeitig das letzte, bei dem man die Frage stellen kann, ob insoweit der dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegende Kausalverlauf zur Tatbestandsverwirklichung noch tatsächlich nachvollzogen wird oder ob auch hier normativiert werden muss. Denn hier könnte ebenfalls normativiert werden, etwa indem man es ausreichen lässt, dass der Rezipient hätte wahrnehmen müssen. Geht man aber noch einen Schritt zurück und betrachtet den Bereich des Äußernden (Ausführen der Tathandlung, oben Punkt 2.), so ist klar, dass dieses Element tatsächlich vorliegen muss. Hier darf nicht normativiert werden, denn diese in der Sphäre des Äußernden gelegenen Elemente müssen gegeben sein, damit man davon sprechen kann, dass das Handlungsunrecht der Beleidigung verwirklicht ist. Das folgt bei der Beleidigung bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 185 StGB. Eine „Beleidigung“ kann nicht gegeben sein, wenn nicht mindestens eine Handlung mit beleidigendem Charakter vorgenommen wurde. Es mag alles „gesetzlich vermutet“ werden, was die beleidigende Handlung im Rezipienten oder später als Reaktion auf das Verständnis auslösen kann. Aber alles was in der Sphäre des Äußernden (objektiv) vorliegen muss, kann nicht „vermutet“ werden. Ob die in der Sphäre des Rezipienten liegenden Elemente tatsächlich gegeben sein müssen oder ob hier normativiert werden muss, ist dafür relevant, ob und in welchem Maße die Beleidigung die Verwirklichung von Erfolgsunrecht voraussetzt. Als Handlungsunrecht setzt die Beleidigung aber voraus, dass die Äußerung zumindest wahrgenommen werden kann, ihr Inhalt ermittelt werden kann von dem dann der Sinngehalt ermittelt werden kann. Zumindest prinzipiell muss die Tathandlung wahrnehmbar und bezüglich ihres Inhalts und Sinns verstehbar gewesen sein. II. Ausweitung der Betrachtung auf die Konstellation der Äußerung gegenüber Dritten Bisher haben wir anhand des § 185 StGB nur Äußerungen gegenüber dem Beleidigten betrachtet. Nun geht es darum, unseren Untersuchungsgegenstand auf beleidigende Äußerungen gegenüber Dritten zu erweitern. Denn auch durch solche Äußerungen, die nie zu Ohren des Opfers gekommen sein müssen, kann man – wie allgemein anerkannt ist – das Opfer beleidigen.40 Auch hier müssen wir wieder von dem Kausalverlauf ausgehen, dessen Ablauf mit dem Verbot von beleidigenden Äußerungen gegenüber Dritten verhindert werden soll. Wie ist also in dieser Konstellation der tat40
Lackner/Kühl, § 185, Rn. 2.
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sächliche Kausalverlauf, der dem Verbot solcher Äußerungen zu Grunde liegt, beschaffen? 1. Der Anfangs- und Endpunkt des zu verhindernden Kausalverlaufs Als Anfangspunkt muss man auch hier wieder den Entschluss zur Mitteilung eines ehrenrührigen Inhalts ansehen, an den noch keine Sanktion geknüpft werden kann.41 Am Ende des Kausalverlaufs muss wieder die Beeinträchtigung des „Grund-Rechtsguts“ der personalen Entfaltung stehen, zu der es freilich tatsächlich nicht gekommen zu sein braucht. Das gesamte Schema des Kausalverlaufs, der das gesetzgeberische Motiv zum Verbot der Beleidigung darstellt, lässt sich dann folgendermaßen darstellen: 1. Der Beleidiger entschließt sich, das Opfer gegenüber einem Dritten zu beleidigen. Dieser (rein innerliche) Akt kann noch nicht als Anknüpfungspunkt für das Strafrecht dienen. 2. Der Beleidiger spricht gegenüber dem Dritten die Worte aus (= Ausführung der Tathandlung). 3. Der Dritte vernimmt die Worte, er vernimmt die Tathandlung sinnlich. 4. Er ermittelt ihren Inhalt, er erhält Innhaltskenntnis. 5. Danach wendet er den Inhalt auf die konkrete Situation an, er ermittelt ihre Bedeutung und versteht den Sinngehalt. 6. Danach sieht er den Beleidigten nicht mehr als „seinesgleichen“ an; er empfindet den Beleidigten als Menschen minderen Werts. 7. Deshalb gewährt er dem so in seiner Stellung Herabgewürdigten im weiteren sozialen Kontakt mit ihm nicht mehr das, was er ihm sonst gewährt hätte; der Beleidigte ist sozial desintegriert. Haben wir bei der Betrachtung von beleidigenden Äußerungen gegenüber dem Beleidigten die Beeinträchtigung der personalen Entfaltung darin erblickt, dass der Beleidigte durch die Wirkung der Worte im sozialen Umgang mit anderen Menschen „gehemmt“ wird, dass er sich nicht mehr so „frei“ unter ihnen bewegen kann wie vor der Beleidigung und deshalb nicht die Chancen, die die Gesellschaft ihm bietet, nutzen kann – sich somit selbst, bewirkt durch die Äußerung, „sozial desintegriert“ –,42 so soll durch das Verbot von beleidigenden Äußerungen gegenüber Dritten ebenfalls eine „soziale Desintegration“ des Beleidigten verhindert werden. Nur wird die „soziale Desintegration“ des Beleidigten hier nicht durch ihn selbst bewirkt, 41 42
s. o. unter I. 2. s. o. unter I. 2. a. E.
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sondern durch die Dritten, die Rezipienten der beleidigenden Äußerung waren. Diese Konsequenzen, die durch § 185 StGB in dieser Variante in letzter Instanz verhindert werden sollen, lassen sich damit so beschreiben, dass durch die Beleidigung das Verhalten von Dritten in negativer Hinsicht beeinflusst wird.43 Die Dritten hegen nunmehr Vorbehalte gegenüber dem Beleidigten, sie gewähren ihm nicht mehr das, was man einem Menschen zu gewähren hat, damit er in der menschlichen Gesellschaft, die auf Zusammenleben hin ausgerichtet ist, existieren kann.44 Der Beleidigte kann mit dem Dritten nicht mehr so umgehen, wie er das vorher konnte, weil die Dritten ihn nicht mehr als gleichberechtigt anerkennen.45 2. Die Gründe für die Strukturierung des § 185 StGB (in der Variante der Äußerung gegenüber Dritten) als abstraktes Gefährdungsdelikt gegen die „personale Entfaltung“ Der Grund dafür, weshalb diese „Grund-Rechtsgutsverletzung“ nicht als „Erfolg“ des § 185 StGB in dieser Konstellation angesehen wird, ist folgender: Nicht alles, was man einem Menschen zu gewähren hat, damit er sich frei entfalten kann, kann rechtlich festgelegt sein. Man denke hier nur an die Problematik des allgemeinen Kontrahierungszwangs im bürgerlichen Recht. Dort hat man bereits große Probleme, für dieses Institut eine Anknüpfung im Gesetz zu finden,46 und man ist gezwungen, auf § 826 BGB 43
Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 24. Otto, Festschrift für Schwinge, S. 71, 82; Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 24. 45 Häufig wird die Regelung der Kreditgefährdung in § 187 StGB unter der Überschrift „Beleidigung“ des 14. Abschnitts des StGB als verfehlt angesehen (vgl.: Tenckhoff, Ehrbegriff, S. 15; Lampe, FS f. Oehler, S. 275, 283). Es handele sich nicht um ein Ehrverletzungs-, sondern um ein Vermögensdelikt (Tenckhoff, Ehrbegriff, S. 15; Lange, FS f. Oehler, S. 275, 284). Nach den obigen Betrachtungen erscheint diese Kritik nicht als besonders durchschlagend: Auch bei dem Schutz des Kredits geht es darum, dem Opfer die Möglichkeiten zur personalen Entfaltung, die ihm die Gesellschaft bietet (faktisch oder zu Recht – auch hier kehrt der potenzielle Gegensatz, der im Ehrbegriff thematisiert wird, wieder) nutzbar zu halten. Nur geschieht das hier verengt auf einen Bereich der Gesellschaft, die Wirtschaft. Ob man dieses Delikt noch als Ehrverletzungsdelikt bezeichnen kann, ist angesichts eines ohnehin seit langer Zeit in der Auflösung befindlichen Ehrbegriffs (Kubiciel/Winter, ZStW 103 (2001), S. 305, 306; Jakobs, FS f. Jescheck, S. 627, 635; Gössel, GS f. Schlüchter, S. 295; Regge, in: Münchener Kommentar StGB, Vor § 185 ff., Rn. 7) von nachrangiger Wichtigkeit. Vielmehr ist es zweckmäßig, die Kreditgefährdung im Zusammenhang mit der Verleumdung im engeren Sinne zu regeln, weil die Art des Angriffs auf die Person identisch ist (vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 187, Rn. 1). 46 BGH, NJW 1990, 761, 762 f., Urt. vom 09. November 1989, – IX ZR 269/87 –; Kramer, in: Münchener Kommentar BGB, vor § 145, Rn. 13. 44
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(teilweise i. V. m. § 249 S. 1 BGB) zurückzugreifen.47 Tatbestandlich hat der allgemeine Kontrahierungszwang sehr enge Voraussetzungen, was dazu führt, dass er – im Gegensatz zum „normalen“ Vertragsschluss – nur äußerst selten Anwendung findet. Es ist die Rede davon, dass ein Kontrahierungszwang nur bei „lebenswichtigen Gütern“48 bzw. einer „Monopolstellung“49 des Anbieters in Betracht kommt. Kann also nicht einmal das Zivilrecht großflächig regeln, was einem in wirtschaftlicher Hinsicht als Gegenleistung für eine Leistung zusteht, wie sollte eine viel umfassendere – weil nicht nur wirtschaftliche Gegebenheiten erfassende – Regelung durch eine (strafbewehrte!) Vorschrift erfolgen? Wie sollten hier abstrakt und generell die Verhaltensweisen beschrieben werden, die dazu führen, dass ein Klima entsteht, in dem dem einzelnen Menschen nicht mehr das gewährt wird, was ihm zusteht? Tatsächlich beugt § 185 StGB der Entstehung eines solchen Klimas dadurch vor, dass mit dieser Norm Verhaltensweisen verboten sind, die eine solche „soziale Desintegration“ bewirken können. Damit ist der Grund, weshalb auch in dieser Konstellation die Beleidigung ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, nahezu derselbe, aus dem für eine Beleidigung gegenüber dem Beleidigten schon eine abstrakte Gefährdung ausreicht: Es ist zu schwer zu beschreiben, welche Verhaltensweisen konkret gefährlich oder sogar schädlich sind. Deshalb wird, um auf Rechtsgüterschutz hier nicht zu verzichten, eine abstraktere Beschreibung gegeben. Diese ist selbstverständlich weiter. Daher wird auch in der jetzt besprochenen Konstellation nicht jede Verhaltensweise verboten, die unter Umständen eine soziale Desintegration bewirken kann, sondern wieder nur jene abstrakt gefährlichen Handlungen, die sich als Äußerungen darstellen. 3. Die prinzipielle Verstehbarkeit für den Rezipienten als Bestandteil des Handlungsunrechts Nach allem ist auch hier klar, dass für das Vorliegen von Handlungsunrecht die Äußerung wieder zumindest prinzipiell verstehbar sein muss. Denn genau so, wie eine Äußerung nur dann den Rezipienten überhaupt zu „selbstschädigendem“ Verhalten beeinflussen kann, wenn sie prinzipiell verstehbar ist, so kann eine Äußerung nur dann den Rezipienten zu „drittschä47 RGZ 48, 114, 127, Urt. v. 11. April 1901, – VI 443/00 –; RGZ 148, 326, 334, Urt. v. 13. September 1935, – II 37/35 –; RGZ 155, 257, 284, Urt. v. 1. Juni 1937, – III 289/35 –. 48 Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 145, Rn. 10. 49 Flume AT, § 33 6. d.; Mertens, in: Münchener Kommentar BGB, § 826, Rn. 162.
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digendem“ Verhalten veranlassen, wenn sie für den Rezipienten zumindest prinzipiell verstehbar ist. III. Ausweitung der Betrachtung auf alle Äußerungen, bei denen die Verbotenheit am Inhalt anknüpft Bislang haben wir nur den „Prototyp“ der Äußerungsdelikte, die Beleidigung gem. § 185 StGB, betrachtet. Ebenso wie wir oben den Untersuchungsgegenstand im Rahmen des Betrachtung des § 185 StGB von Äußerungen gegenüber dem Beleidigten auf Äußerungen gegenüber Dritten erweitert haben, müssen wir jetzt den Untersuchungsgegenstand zunächst auf alle Äußerungsdelikte erweitern. Dann muss noch eine weitere Ausdehnung des Untersuchungsfeldes auf alle sonstigen Äußerungen, bei denen die Erfüllung eines Straftatbestandes in Rede steht, erfolgen.50 Diese beiden Erweiterungen des Untersuchungsfeldes werden im Folgenden zusammen behandelt. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Untersuchung dadurch nicht mit der Schwierigkeit belastet wird, festzustellen, welche Straftatbestände eine Äußerung zu ihrer Erfüllung voraussetzen und welche nicht.51 Außerdem wäre der Erkenntnisgewinn einer solchen Aufzählung auch gering und sie würde in erster Linie ermüdend wirken.52 Daher genügt es und ist es besser, die bei der Betrachtung des § 185 StGB gewonnenen Erkenntnisse zunächst auf einige andere Delikte zu übertragen, die entweder Äußerungsdelikte sind oder allermeistens durch Äußerungen begangen werden. Gleichfalls wird zu zeigen sein, dass dieses bisher gefundene Prinzip – für das Vorliegen von Handlungsunrecht ist es erforderlich, dass die Äußerung für den Rezipienten zumindest prinzipiell verstehbar ist – jeglichem Verbot einer Äußerung zu Grunde liegt. 1. Straftatbestände, die „zwischen“ Beleidigung und Anstiftung stehen (insbes. § 130 Abs. 1 StGB) Wandres spricht bei der Erörterung des § 130 Abs. 1 StGB davon, dass dieser Straftatbestand eine verborgene dogmatische Wurzel im Allgemeinen 50 Genauer: Es muss die Erfüllung eines Straftatbestandes durch Äußerung in Hinblick auf den in der Äußerung verkörperten Sinn in Rede stehen. Es geht nicht um die Äußerung als „bloßes Verhalten“, also beispielsweise die Auslösung der Lawine durch eine geschriene Beleidigung. 51 Zu der Problematik, wie man bestimmt, ob ein Straftatbestand eine Äußerung voraussetzt oder nicht wird im 8. Abschnitt unter I. Stellung genommen. 52 Bereits Kern (Äußerungsdelikte, S. 10 f.) bringt in seiner grundlegenden Monografie keine Aufzählung von Straftatbeständen, sondern beschränkt sich darauf, Gruppen von Äußerungsdelikten zu beschreiben.
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Teil habe.53 Damit meint er Folgendes: Die Volksverhetzung, die nach der Zielsetzung des Täters „erfolgreich“ ist (womit eine ähnliche Betrachtung wie oben bei § 185 StGB vorgenommen wird, indem der dem Verbot zu Grunde liegende Kausalverlauf betrachtet wird), zerfällt in zwei Abschnitte: (1) Zunächst spricht der Volksverhetzer die volksverhetzenden Worte aus, (2) danach schädigt die dadurch aufgebrachte und verhetzte Menge diejenigen, gegen die die Volksverhetzung sich richtete. a) Die Volksverhetzung als „abgemilderte“ Form der Anstiftung Damit ist auch § 130 Abs. 1 StGB – wie zuvor schon bei § 185 StGB herausgestellt – ein Straftatbestand, der letztlich das Verhalten von Dritten oder des Opfers selbst verhindern soll.54 Damit könnte man sagen, dass § 130 Abs. 1 StGB eine „abgemilderte“ Form einer Anstiftungshandlung unter Strafe stellt. Denn ebenso wie die Anstiftungshandlung nur deswegen verboten ist, weil sie Verhalten eines Dritten nach sich ziehen kann,55 ist die Volksverhetzung deswegen verboten, weil die verhetzende Äußerung Folgen haben kann. Nur braucht bei der Volksverhetzung das, was bei der Anstiftung (§§ 26, X StGB) als „Tat“ eines anderen konkretisiert ist, viel weniger bestimmt zu sein.56 Trotzdem ist es noch eingegrenzt; plakativ könnte man davon sprechen, dass § 130 Abs. 1 StGB den Eintritt alles dessen als Enderfolg verhindern will, was Bestandteil eines Pogroms sein kann. Diese Konzeption lässt sich auch historisch rechtfertigen: Zweifellos ist die Motivation vieler, die an den gesteuerten Ausschreitungen im Rahmen des Novemberpogroms 1938 teilgenommen haben, ein großes Stück weit auf die überall vorhandene volksverhetzende Agitation zurückzuführen. b) Die Volksverhetzung als „gefährlichere“ Form der Beleidigung Damit haben wir eine Parallele von § 130 StGB zur Anstiftung gezogen und dabei gesehen, dass § 130 StGB durch den Zweck der Verhinderung der Begehung von Handlungen Dritter legitimiert ist. Doch es lässt sich auch eine Parallele zu § 185 StGB aufzeigen. Die Volksverhetzung stellt nicht nur eine „abgemilderte“ Form einer Anstiftung dar, sondern auch eine „gefährlichere“ Form einer Beleidigung. Die Beleidigung in der Form der Äußerung gegenüber Dritten war als unerlaubt erkannt worden, weil die be53
Wandres, Auschwitz-Leugnen, S. 210. Streng, FS f. Lackner, S. 501, 512. 55 So jedenfalls die h. M. mit der sog. akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie, vgl. statt aller: Lackner/Kühl, Vor § 25, Rn. 8. 56 Wandres, Auschwitz-Leugnen, S. 211. 54
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leidigende Äußerung zur sozialen Desintegration des „Opfers“ durch die Rezipienten führen kann. Dabei blieb unbestimmt, welche Handlungen es genau sind, die diese soziale Desintegration nach sich ziehen; es sind jedenfalls die nicht, die eine soziale Integration bewirken. Bei der Volksverhetzung sind diese Handlungen der Dritten konkreter – wenn auch immer noch allgemeiner als bei der Anstiftung – bestimmt: Sie müssen nicht nur allgemein sozial desintegrierend sein, sondern auf eine bestimmte Art und Weise. Es geht um die soziale Desintegration, die an der Zugehörigkeit zu einem „Teil der Bevölkerung“ ansetzt, also um das, was oben plakativ als Bestandteil eines Pogroms bezeichnet wurde. In Anknüpfung an die Beleidigung darf auch eine weitere Wirkungsweise einer volksverhetzenden Äußerung nicht außer Acht bleiben. Eine Volksverhetzung ist auch deswegen verboten (und strafbar), weil diejenigen, gegen die die Volksverhetzung sich richtet, sich durch diese Herabsetzung tatsächlich minderwertig fühlen können (oder zumindest gezwungen sind, so zu tun als ob sie sich minderwertig fühlten) und diese psychischen Folgen dann dazu führen können, dass es zu einer Ausgrenzung durch die Ausgegrenzten selbst kommt.57 So ließe sich sicher beweisen, dass z. B. die Juden in der Anfangsphase des so genannten Dritten Reichs die ihnen zustehenden Rechte nicht mehr in dem Umfang wahrgenommen haben, wie sie das vorher taten. Und es ist auch offensichtlich, dass einen Anteil an diesem „Erfolg“ auch die Hetzpropaganda der Nazis hatte, somit diese (Kollektiv-)Beleidigungen ursächlich für diesen „Erfolg“ der Hemmung im gesellschaftlichen Umgang waren. Der Beweis im Konkreten, dass eine bestimmte Äußerung, etwa ein bestimmter Artikel, bewirkt hat, dass eine konkrete Person in einer konkreten Lage nicht das tat, was sie normaler Weise getan hätte, lässt sich wohl nahezu nie führen. Das rechtfertigt die Norm des § 130 Abs. 1 StGB: Anders als auf diese „abstrakte“ Weise (wobei dahin gestellt bleibt, ob § 130 Abs. 1 StGB ein konkretes oder abstraktes oder sog. potentielles Gefährdungsdelikt statuiert58, jedenfalls braucht es nicht zum Pogrom gekommen zu sein) kann man gewissen Gefährdungen nicht vorbeugen. 2. Anstiftung und anstiftungsähnliche Tatbestände Nach dem oben Dargestellten können wir ein Schema erstellen, das die Tatbestände danach ordnet, wie weit der dem gesetzlichen Verbot zugrunde liegende Kausalverlauf zur Tatbestandsverwirklichung tatsächlich vorzulie57 58
Kübler, AöR 125 (2000), S. 109, 125 f. Vgl. dazu Tröndle/Fischer, § 130, Rn. 8.
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gen braucht. Auf der untersten Stufe steht § 185 StGB. Hier ist der Zustand, dessen Eintritt es zu verhindern gilt, nur ganz unscharf zu fassen. Es geht hier allgemein um die Verhinderung einer „sozialen Desintegration“. Auf einer höheren Stufe stehen Tatbestände wie § 166 Abs. 1 StGB oder § 130 Abs. 1 StGB. Hier ist der Zustand, den es letztlich zu verhindern gilt, schon stärker eingegrenzt. Es geht um die Verhinderung einer sozialen Desintegration im religiösen Bereich bei § 166 Abs. 1 StGB. Bei § 130 Abs. 1 StGB soll ebenfalls nicht nur allgemein eine soziale Desintegration verhindert werden, sondern nur eine solche, die an der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Teil der Bevölkerung ansetzt. Dagegen steht auf der höchsten Stufe die Anstiftung zu einer Straftat (§§ 26, X StGB). Das Verbot der Anstiftung soll die Begehung der angesonnenen Tat verhindern;59 damit schützt die Strafnorm, die die Anstiftung verbietet, das „Opfer“ der Haupttat. Man könnte also in der hier verwendeten Terminologie davon sprechen, dass die Anstiftung die soziale Desintegration in Form des Zum-Opfer-Werdens einer Straftat verhindern soll. Das ist zwar eine sehr hölzerne Formulierung, doch wird dadurch deutlich, dass die Anstiftung den Endpunkt des angesprochenen Schemas darstellt, an der man Begriffe wie „soziale Desintegration“ nicht mehr zu verwenden braucht, weil nun das, was es letztlich zu verhindern gilt, viel konkreter zu fassen ist: Es handelt sich dabei um eine konkrete Straftat, also ein Verhalten, das durch die Straftatbestände des Besonderen Teils des StGB ganz genau beschrieben ist. Zwischen der Stufe, auf der Straftaten wie die Volksverhetzung stehen, und der Stufe, auf der die Anstiftung zu einer Straftat steht, ist noch eine weitere Differenzierung möglich. Hierbei handelt es sich die „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ gem. § 111 Abs. 1 StGB. Durch diesen Straftatbestand soll eine besondere, nicht durch §§ 26, 30 StGB erfasste Form der Anstiftung unter Strafe gestellt und gleichzeitig der innere Friede der Gemeinschaft mitgeschützt werden.60 3. Sonstige Begehung von Straftaten durch Äußerung Eines ist nach dem obigen Schema unmittelbar einsichtig: Es ist immer, wenn es um das Verbot einer Äußerung geht, das am Inhalt ansetzt, erforderlich, dass die Äußerung zumindest prinzipiell verstehbar ist. Andernfalls kann die Äußerung nicht in der Weise wirken, wie es das gesetzliche Verbot verhindern will. Damit ist grundsätzlich der Empfängerhorizont bei der Auslegung maßgeblich. Das gilt für alle oben angesprochenen Straftat59
s. o. Fn. 55. BayObLG, NJW 1994, S. 396, 397, Urt. vom 23. September 1993, – 2 St RR 190/92 –; OLG Karlsruhe, NStZ 1993, S. 389, 390, Urt. vom 12. Februar 1993, – 3 Ss 99/92 –; Eser, in: Schönke/Schröder, § 111, Rn. 1. 60
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bestände und alle Straftatbestände, die diesen ähnlich sind. Es muss sogar gelten, wenn es um die Begehung von Straftaten geht, die man gemeinhin nicht in Verbindung mit Äußerungen bringt. Ein Beispiel ist das bereits oben zu § 212 Abs. 1 StGB angesprochene:61 A bringt den kurzsichtigen B durch die wahrheitswidrige Aufforderung (= Äußerung), er solle den „kapitalen Keiler“ erlegen, dazu den Treiber zu erschießen. Hier kann man – auch wenn diese Formulierung etwas eigenartig anmutet – davon sprechen, dass diese Äußerung einen gewissen Sinn hat. Den Sinn wird man dahin bestimmen müssen, dass erstens die Information vermittelt wird, der Schatten sei ein Keiler, und zweitens, der (vermeintliche) Keiler solle getötet werden.62 Man spricht hier nicht von Auslegung einer Äußerung, sondern davon, dass die Handlung des A (des Hintermannes) geeignet sein müsse, eine Tatherrschaft über den B (den Tatmittler) zu begründen. Doch letztlich hat man auch hier wieder nur den Sinn der Äußerung aus dem „Empfängerhorizont“ bestimmt. Klar wird das durch die folgende Kontrollüberlegung: Das Ergebnis wäre ein anderes, wenn der Rezipient nicht kurzsichtig, sondern vielleicht sogar für seine besondere Sehkraft bekannt wäre. Nunmehr würde dem Sinn der Äußerung das Täuschungselement abgehen und man würde die Äußerung als eine scherzhafte ansehen müssen. IV. Exkurs: Eine Parallele beim Betrug: der „Betrug durch Behaupten wahrer Tatsachen“ Dass der „Empfängerhorizont“ grundsätzlich maßgeblich ist, was heißt, dass zur Ermittlung des Sinns einer Äußerung die Verständnismöglichkeit des Rezipienten den Ausgangspunkt bilden muss – und nicht, wie sie nach einem generellen Maßstab verstanden werden muss –, findet eine Parallele beim Betrug. Hier ist in der literarischen Diskussion63 und in der Rechtsprechung64 die Konstellation des „Betrugs durch Behaupten wahrer Tatsa61
s. o. im 1. Abschnitt unter II. 3. Dass mit dieser Äußerung etwas Unwahres kommuniziert wird, ist irrelevant. Denn auch bei anderen Straftatbeständen liegt es so, dass sie auch durch unwahrhaftige Äußerungen erfüllt werden können (jemand wird gezwungen, sich volksverhetzend zu äußern, obwohl er es eigentlich nicht so meint). Hier ist die einzige Besonderheit, dass eine Unwahrhaftigkeit vorliegen muss, um die Tatherrschaft bejahen zu können. Eine Unwahrhaftigkeit ist überdies auch für den gleich zu behandelnden Betrug erforderlich („Täuschung“). 63 In die literarische Diskussion wurde der Begriff des „Betrugs durch Behaupten wahrer Tatsachen“ durch Schröder eingeführt (Schröder, FS f. Peters, S. 153 ff.). 64 Ein bekannter Fall ist der vom LG Osnabrück entschiedene (MDR 1991, S. 468 f., Urt. v. 17. November 1989, – 12 Js 11665/88 Ns 14/98): Der Angeklagte vertrieb über freie Mitarbeiter Beutel mit Haushaltswaren für DM 19,00 durch Ver62
5. Abschn.: Verbot von Äußerungen als mittelbarer Rechtsgüterschutz
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chen“ bekannt. Dass der Betrug wohl nicht als Äußerungsdelikt angesehen werden kann, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle: Zum einen wird der Betrug allermeistens durch Äußerungen begangen;65 zum anderen wird hier ja die Ansicht vertreten, dass die Auslegung einer Äußerung Teil der Bestimmung des unerlaubten Verhaltens ist. In die allgemeinen Regeln über die Bestimmung des unerlaubten Verhaltens sollen daher ja auch die „Auslegungsregeln“ integriert werden. Daraus folgt, dass alle Äußerungen in gleicher Weise ausgelegt werden müssen, ganz gleich was für ein Delikt – sei es ein Äußerungsdelikt oder nicht – durch sie begangen wird. 1. Die Konstellation Beim „Betrug durch Behaupten wahrer Tatsachen“ liegt es so, dass der Täter eine Behauptung aufstellt, die für sich betrachtet wahr ist. Schröder hat das Beispiel geprägt, dass der Täter dem Opfer ein „frugales Mahl“ zu einem hohen Preis anbietet. Nun nimmt das Opfer dieses Angebot an in dem Glauben, auf den der Täter auch spekulierte, das Opfer verstehe seine Aussage dahin, es handele sich um ein besonders reichhaltiges Mahl.66 Wenn man in einem solchen Fall die Verwirklichung des gemeinhin Täuschung genannte Tatbestandsmerkmals, das im Gesetz als „Vorspiegelung falscher . . . Tatsachen“ umschrieben ist, bejahen will, dann darf man nicht auf einen generellen Maßstab abstellen. Denn dann würde eine „falsche Tatsache“ immer nur dann vorgespiegelt, wenn die Anwendung einer generellen und allgemeingültigen Bedeutungszuschreibungsregel dazu führt, dass der Sinngehalt entgegen den wirklich bestehenden Tatsachen festgesetzt werden muss. Schröder, der in diesem Fall eine Täuschung bejahen will, begründet das im Wesentlichen mit dem Zweck des § 263 Abs. 1 StGB. Der Betrugsstraftatbestand wolle das Vermögen des Geschädigten schützen. Diesen Zweck könne der § 263 Abs. 1 StGB nur erfüllen, wenn bei der Feststellung, ob durch das Verhalten „falsche Tatsachen“ vorgespiegelt werden, nicht auf einen generellen und allgemeingültigen, sondern auf einen zumindest indivikauf an der Haustür. Die Waren wurden in staatlich anerkannten Behindertenwerkstätten hergestellt und hatten einen Marktwert von maximal DM 5,00. Die Mitarbeiter waren angewiesen, auf die Herkunft der Waren hinzuweisen und erweckten dadurch und durch Vorzeigen einer „Bestätigungskarte“, die bei flüchtigem Hinsehen den Eindruck eines Ausweises vermitteln konnte, den unzutreffenden Eindruck, dass ein großer Anteil des Kaufpreises der Förderung von Behindertenwerkstätten diene. Explizit zu behaupten, ein Teil des Preises komme Behinderten zugute, bzw. sie verkauften die Waren im Auftrag einer Behindertenwerkstatt, verbot der Angeklagte den Verkäufern aber. 65 Krack, List, S. 51. Weshalb das so ist, dazu später im 8. Abschnitt unter III. 1. 66 Schröder, FS f. Peters, S. 153, 157.
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2. Teil: Das Risiko
dualisierten Maßstab abgestellt werde.67 Um zunächst die Terminologie klarzustellen: Wenn man den Maßstab individualisiert, legt man immer noch „objektiv“ aus; man hat den Maßstab, nach dem man „objektiv“ auslegt, nur von einem generellen zu einem (zumindest zum Teil) individuellen gemacht.68 Subjektiv wird der Maßstab dadurch nicht. Als subjektiv werden im Strafrecht immer nur psychische Gegebenheiten im Täter bezeichnet; alles, was außerhalb der Täterpsyche liegt – und sei es auch die Psyche eines Dritten, – ist objektiv. 2. Verstoß gegen das Analogieverbot? Nun wird aber gegen die Figur des „Betrugs durch Behaupten wahrer Tatsachen“ vorgebracht, sie überdehne den Wortsinn des § 263 Abs. 1 StGB. Der Betrug verlange die „Vorspiegelung falscher . . . Tatsachen“. Wann eine Tatsachenbehauptung falsch sei, sei nach der generellen Verkehrsanschauung zu bestimmen.69 Und wenn nach der generellen Verkehrsanschauung eine Behauptung wahr sei, dann könne man darin nicht eine „falsche“ Tatsachenbehauptung sehen; eine trotzdem erfolgende Bestrafung eines solchen Verhaltens verstoße gegen Art 103 Abs. 2 GG.70 Richtig daran ist, dass man eine wahre Tatsachenbehauptung nicht als falsche ansehen kann. Wollte man tatsächlich eine wahre Tatsachenbehauptung unter § 263 Abs. 1 StGB subsumieren, so läge darin sicherlich ein eklatanter Verstoß gegen das Analogieverbot. Doch damit ist nicht gesagt, wann man eine Behauptung als wahr und wann als falsch ansehen muss, wie mithin der Beurteilungsmaßstab für die Richtigkeit bzw. Falschheit bemessen sein muss. Der von Schumann gerügte Fehler soll darin liegen, als Sinn den Sinn festzusetzen, der sich bei Anwendung einer individualisierten – im Gegensatz zur generellen – Verkehrsanschauung ergibt. Doch ob man die Verkehrsanschauung auf die eine oder die andere Weise bestimmt – mit der Folge, dass die sonstigen Umstände (hoher Preis) nur bei einer individualisierenden Betrachtung Berücksichtigung finden können,71 ist keine Frage des Wortsinns des § 263 Abs. 1 StGB. Der Wortsinn gibt insofern 67
Schröder, FS f. Peters, S. 153, 157. In diese Richtung auch Schröder (FS f. Peters, S. 153, 157), der aber letztlich – entgegen der hier vorgenommenen Einordnung – maßgeblich wohl auf einen subjektiven Umstand abstellen will, nämlich dass der Täter es bezweckte, also die Absicht hatte, mit der nach generellen Maßstäben wahren Äußerung zu täuschen. Eine solche Einordnung nimmt wohl auch der BGH vor (wistra 2001, S. 255, 256, Urt. v. 26. April 2001, – 4 StR 439/00 –, Insertionsofferte). 69 Schumann, JZ 1979, S. 588, 589. 70 Schumann, JZ 1979, S. 588, 589. 71 Krack, JZ 2002, S. 613, 614, insbes. Fn. 10. 68
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nichts her, nach ihm ist nicht klar, wie man den Sinn der Behauptung zu bestimmen hat.72 3. Missachtung des Selbstverantwortungsprinzips? Weiter wird gegen diese Figur eingewandt, man müsse in die Betrachtung auch den Aspekt der Selbstverantwortung des Opfers mit einbeziehen. Es sei nämlich nicht die Aufgabe des Strafrechts, den Einzelnen gegen jegliche Risiken abzuschirmen. Und wenn die Verfügung allein auf das mangelnde Urteilsvermögen des Verfügenden zurückzuführen sei, dann könne das nicht dem Handelnden zur Last gelegt werden.73 Grundsätzlich ist richtig, dass man im Strafrecht zu akzeptieren hat, dass es auch einen Bereich gibt, in dem das Opfer für seine Handlungen selbst verantwortlich ist. Zu diesem Bereich wird sicher auch die Verantwortung gehören, den „zutreffenden“ Sinn von Äußerungen zu ermitteln, mit der Folge, dass die an eine unzutreffende Sinnermittlung anschließende Selbstschädigung dem Opfer zuzurechnen sein wird. So ist dann die Frage nach den Auslegungsgrundsätzen die Frage danach, wie man im Bereich der Bedeutungszuschreibungen die Grenze zwischen der Verantwortung des Handelnden und der Verantwortung des Rezipienten zu ziehen hat. Richtigerweise ist bei dieser Grenzziehung grundsätzlich zu individualisieren, womit nicht ausgeschlossen werden soll, dass dieses Prinzip womöglich bestimmten Einschränkungen unterliegt. Es hieße aber „das Kinde mit dem Bade auszuschütten“, zu behaupten, es komme grundsätzlich auf eine generelle Verkehrsanschauung an. Es ist nichts dafür dargetan, dass die Grenzziehung zwischen den Verantwortungsbereichen von Handelndem und Rezipienten den Regeln der generellen Verkehrsanschauung über die Bedeutung von sprachlichen Zeichen zu folgen hat. 4. Die Richtigkeit der Figur Ist somit klar, dass die Einwände nicht durchgreifen, so kann zur Begründung der Richtigkeit der Figur an dieser Stelle die teleologische Interpretation des § 263 StGB Abs. 1 StGB eingreifen: Wie schon oben erwähnt, soll der Betrugstatbestand das Vermögen des Opfers schützen, und zwar – und genau das zeichnet den Betrug als eine besondere Art strafbaren Vermögensangriffs aus – durch auf Täuschung und nachfolgendem Irrtum beru72
Überdies erfasst § 263 Abs. 1 StGB auch die „Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“. Hier dürfte die Wortsinngrenze noch weniger überschritten sein (Krack, JZ 2002, S. 613, 614, insbes. Fn. 10). 73 Schumann, JZ 1979, S. 588, 589 f.
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hende Vermögensverfügung des Geschädigten selbst.74 An dieser Stelle zeigt sich die Parallele zu den Äußerungsdelikten deutlich. Genauso wie der Betrug insofern als Selbstschädigungsdelikt konzipiert ist, so sollen auch die Äußerungsdelikte letztlich Selbst- bzw. Schädigungen durch Dritte unterbinden. Aus dem Wortsinn des § 263 Abs. 1 StGB, der eine „unwahre“ Tatsachenbehauptung verlangt, ergibt sich nicht, dass der generelle Maßstab der Verkehrsanschauung zur Ermittlung des Sinns zu wählen ist. Ganz im Gegenteil lässt sich der Sinn einer Äußerung gar nicht anhand einer generellen Verkehrsanschauung einfach feststellen, eine Erklärung hat nicht einfach generell und immer den gleichen Sinn. Eine Erklärung findet immer zwischen zumindest zwei Menschen statt, in diesem Verhältnis – und nur in diesem Verhältnis – konstituiert sich das, was man Sinn nennt.75, 76 Insoweit ist der Name „Betrug durch Behaupten wahrer Tatsachen“ auch unglücklich – wenn nicht sogar falsch – gewählt und diese verfehlte Terminologie scheint maßgeblich zu dem hier entstandenen Streit geführt zu haben: Es wird in dieser Konstellation gar nichts Wahres behauptet, sondern etwas Unwahres, weil der Empfängerhorizont im Grundsatz maßgeblich ist. Und die Unwahrheit sieht in solchen Fällen nur „vordergründig“ wie die Wahrheit aus.77 Genau so wie beim Betrug zur Ermittlung, ob eine unwahre Tatsachenbehauptung vorliegt, im Grundsatz auf den Empfängerhorizont abzustellen ist, so ist bei der Auslegung einer Äußerung generell – geht es um die Begehung eines Äußerungsdelikts oder steht die Erfüllung eines sonstigen Straf74 Maurach/Schröder/Maiwald BT/1 § 41, Rn. 11. Dass auch die Konstellation des Dreiecksbetrugs anerkannt ist, ändert daran nichts: Hier brauchen zwar der Verfügende und der Geschädigte nicht ein und dieselbe Person zu sein. Aber der Verfügende muss entweder im Lager des Geschädigten (so überwiegend die Rspr.) stehen bzw. er muss verfügungsbefugt sein (so teilweise die Literatur und die Rechtsprechung in einigen Fallkonstellationen, z. B. dem sog. Prozessbetrug). Durch das Erfordernis dieser Merkmale wird das Handeln des Verfügenden dem Geschädigten zugerechnet; ohne diese Zurechnung kann kein Betrug vorliegen, sondern u. U. eine andere Deliktsbegehung (z. B. ein Diebstahl) in mittelbarer (!) Täterschaft. Der Geschädigte schädigt sich hier also letztlich auch selbst, indem nicht der Verfügende als „Privatperson“, die nichts mit dem Geschädigten zu tun hat, ihn schädigt, sondern der Verfügende als sein „Vertreter“ handelt, somit der Geschädigte durch den Verfügenden als seinem verlängerten Arm sich selbst schädigt. 75 Schröder, FS f. Peters, S. 153, 155 und 157. 76 Dass es somit keinen Sinn „an sich“ gibt, der nach einer generellen Verkehrsanschauung zu bestimmen wäre, zeigt sich auch, wenn man die zeitliche Komponente in die Betrachtung mit einbezieht: Heutzutage ist gar nicht mehr so klar, dass man unter „frugal“ tatsächlich nicht auch „reichhaltig“ verstehen kann (vgl. Kluge, Ethymologisches Wörterbuch, Stichwort „frugal“: „In der Fügung frugales Mahl wird meist reichhaltig darunter verstanden“). Hier scheint ein „falscher“ Gebrauch zum Teil schon zu einer Bedeutungsänderung geführt zu haben. 77 Mayer, JURA 1992, S. 238, 241.
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tatbestandes durch Äußerung in Rede – im Grundsatz auf den Empfängerhorizont abzustellen. Dass nur im Grundsatz auf den Empfängerhorizont abzustellen ist, heißt, dass es nicht allein auf den Empfängerhorizont ankommt, wie also der Rezipient die Äußerung tatsächlich verstanden hat (der sog. Eindruck78). V. Ergebnis Wir sind also zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei einem rechtlichen Verbot von Äußerungen geht es ebenso wie bei jeglichem sonstigen rechtlichen Verbot darum, einen möglichen Kausalverlauf zu verhindern, der „grund-rechtsgutsschädigend“ sein kann. Äußerungen – im Gegensatz zu sonstigen Handlungen – sind immer deshalb unerlaubt (und nur deshalb unerlaubt!), weil durch sie in anderen Menschen psychische Reaktionen hervorgerufen werden können. Diese anderen Menschen können Dritte sein, die in ihrer Einstellung gegenüber dem „Opfer“ beeinflusst werden können. Der Dritte kann aber auch das „Opfer“ selbst sein, das in seiner Einstellung gegenüber sich selbst negativ beeinflusst werden kann. Die bewirkte psychische Reaktion kann dazu führen, dass die Dritten das Opfer schädigen bzw. das Opfer sich selbst schädigt. Damit stellt jedes rechtliche Verbot einer Äußerung eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass – jedenfalls prinzipiell – nur für Erfolge in der Außenwelt gehaftet wird, für die man selbst nur insofern verantwortlich ist, als sie nicht von Dritten verursacht worden sind. Mit den Äußerungen ist also eine Gruppe von Verhaltensweisen beschrieben, die deswegen unerlaubt sind (und nur deswegen unerlaubt sein können!), weil sie die Ursache für rechtlich unerwünschtes Verhalten Dritter (worunter auch das „Opfer“ selbst fällt) sein können. Äußerungen sind also unerlaubt, weil sie mittelbar die Ursache eines unmittelbar schädigenden Verhaltens sein können. Der zu verhindernde Kausalverlauf verläuft also immer über eine psychische Beeinflussung zumindest eines anderen Menschen dahin, dass in diesem Menschen eine Disposition zu „grundrechtsgutsschädigendem“ Verhalten hervorgerufen oder verstärkt wird. Äußerungen können aber so nur wirken, weil sie in ihrem Sinngehalt verstanden werden können; nur wenn Äußerungen vom Empfänger in ihrem Sinngehalt prinzipiell verstanden werden können, können sie diese Wirkungen haben. Daher sind zur Ermittlung des Sinnes die Gegebenheiten in diesem Menschen maßgeblich. Daher ist für die Frage nach der Auslegung einer Äußerung der „Empfängerhorizont“ im Grundsatz maßgeblich.
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Dazu unten im 10. Abschnitt.
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2. Teil: Das Risiko
6. Abschnitt
Abweichende Konzeptionen: „Subjektive“ Theorie der Rechtsprechung und Ansicht von Klug Oben wurde gezeigt, dass Äußerungen nur deswegen verboten sind (und nur deswegen verboten sein können), weil sie den Rezipienten auf eine gewisse Art und Weise zu Verhalten, das es eigentlich zu verhindern gilt, motivieren können.1 Daher muss der Gesichtspunkt, ob die einzelne in Rede stehende Äußerung zu der Klasse von Äußerungen gehört, bei der eine solche Gefahr als gegeben angesehen werden muss, im Mittelpunkt der Erarbeitung der „strafrechtlichen Auslegungsregeln“2 stehen. Im Folgenden gilt es zu prüfen, ob und inwieweit diese Erkenntnis bei – soviel sei vorweggenommen: relativ ungenau ausgearbeiteten – bisher vertretenen Konzepten für „strafrechtliche Auslegungsregeln“ in ausreichendem Maße beachtet wurde. Zunächst soll eine Ansicht, die in der älteren Rechtsprechung teilweise anklingt, betrachtet werden; danach wird auf einen von Klug vertretenen Ansatzpunkt eingegangen. Es wird sich herausstellen, dass beide Ansätze dieser Vorgabe nicht genügen. I. „Auslegungsregeln“ in der Rechtsprechung – insbesondere die „subjektive“ Theorie des Reichsgerichts Schon oben wurde angedeutet, dass die Rechtsprechung kein genau ausgearbeitetes Konzept der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht liefert. Es wird in ihr keine klare Linie erkennbar, welche allgemeinen Regeln zur Sinnfeststellung anzuwenden sind. Einzig das Reichsgericht hat sich umfassender mit diesen Problemen auseinander gesetzt. Aber auch das Reichsgericht entwickelt keine Methode der Auslegung in dem Sinne, dass es konkrete Anweisungen an die Untergerichte gibt, wie man den Sinn einer unter Umständen strafrechtlich relevanten Äußerung ermittelt. 1. Die nur teilweise Befassung mit der Problematik aufgrund des Revisionsrechts Das ist auch verständlich, denn schon damals ging man davon aus, dass die Auslegung einer Äußerung in den Bereich der Tatsachenfeststellung falle – und mithin nicht Rechtsanwendung gem. § 337 Abs. 2 StPO sei – 1 2
s. o. im 5. Abschnitt unter III. Die wir als Konkretisierung des Gesetzes erkannt hatten (1. Abschnitt, II. 3.).
6. Abschn.: Abweichende Konzeptionen
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und deshalb zumindest grundsätzlich nicht revisibel sei.3 In einigen Entscheidungen jedoch, in denen das Reichsgericht die Auslegung, die die Untergerichte in ihrem Urteil zu Grunde gelegt haben, für so unzutreffend hält, dass es darin eine Gesetzesverletzung erblickt, gibt es Hinweise, wie man vorgehen müsse, um den Sinn einer Äußerung zutreffend zu bestimmen. 2. Darstellung der Position anhand einiger verallgemeinerungsfähiger Beispiele Zum Tatbestand der Beleidigung führt es in zwei Entscheidungen aus, dass im Wesentlichen ausschlaggebend für das Verständnis einer Äußerung „Sinn und Absicht“ des Sprechenden seien.4 Der Sinn der Äußerung wird damit zum großen Teil auch danach bestimmt, welche Zwecke der Äußernde mit seiner Äußerung verfolgt, also nach einem subjektiven Umstand.5 Aufgrund dieser Prämisse geht das Reichsgericht dann konsequent davon aus, dass für eine Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand bei der Beleidigung nur in „sehr beschränktem Umfange Raum“ sei.6 „Beschränkt“ – und nicht vollständig obsolet – sei diese Unterscheidung deswegen, weil die Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand nicht gänzlich aufgegeben wird. Es kommt nur zum Teil auf die Absicht des Äußernden an, nämlich nur insoweit, als man sich „[i]nnerhalb des weiten Bereichs zweideutiger oder vieldeutiger Ausdrücke und Redewendungen. . .“ befinde.7 So hielt das Reichsgericht denjenigen wegen Beleidigung für strafbar, der sich gegenüber einem Beamten, der zum Entfernen aufforderte, verbeugte, sich empfahl und ihn zur Begleitung einlud, und zwar deswegen, weil die Absicht der Verhöhnung in diesem Verhalten sichtbar werde.8 Das Bayerische Oberste Landesgericht hielt das 3 RGRspr Bd. 4, 232, 233 f., Urt. v. 8. März 1882, – Rev. 388/82 –; RGSt 22, 238, 240, Urt. v. 24. November 1891, – Rev. 2470/91 –, (Die Reliquienverehrung des heiligen Rocks von Trier wird als „Humbug“ bezeichnet. Die Revision gegen die Verurteilung nach § 166 a. F. StGB kann grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass diese Äußerung keinen gotteslästerlichen Sinn habe). Heutzutage wird das noch genau so gesehen, vgl.: BGH, NJW 1989, S. 1365, 1366, Urt. v. 19. Januar 1989, – 1 StR 641/88 –; OLG Düsseldorf, JR 1990, S. 126, Urt. v. 7. Juli 1989, – 5 Ss 250/89 – 101/89 I –; Hanack, in: Löwe/Rosenberg, § 337, Rn. 117; MeyerGoßner, § 337, Rn. 32; Pikart, in: Karlsruher Kommentar, § 337, Rn. 3. 4 RGSt 18, 142, 144, Urt. v. 4. Oktober 1888, – Rev. 1682/88 –; RGSt 41, 49, 51, Urt. v. 7. Januar 1908, – IV 970/07 – (Hervorh. v. Verf.). 5 Daher soll dieser Ansatzpunkt im Folgenden als „subjektive Theorie“ bezeichnet werden. 6 RGSt 41, 49, 51; eine ähnliche Formulierung findet sich auch in RGSt 18, 142, 144. 7 RGSt 18, 142, 144. 8 RGSt 1, 390 f., Urt. v. 22. April 1880, – Rev. 880/80 –.
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2. Teil: Das Risiko
Ansprechen von jemandem, der einen „bürgerlichen“ Namen hatte, mit „Herr von . . .“ für beleidigend, weil die beleidigende Absicht hierin zu Tage trete.9 Der Bundesgerichtshof – der wegen der Gerichtsverfassung nur wenige Fälle zu entscheiden hatte, in denen die Auslegung einer Äußerung problematisch war – verfolgte den Ansatz des Reichsgerichts zwar nicht explizit weiter. In der Bezeichnung als „Jude“ sah er aber eine Beleidigung deswegen, weil der Äußernde dieser an sich (objektiv) nicht ehrverletzenden Äußerung erkennbar einen beleidigenden Sinn beilegte.10 Allerdings hat die Rechtsprechung diesen subjektiven Ansatz nicht konsequent durchgehalten: Ohne sich von den früheren Entscheidungen zu distanzieren, forderte schon das Reichsgericht teilweise nämlich auch, dass die Äußerung objektiv beleidigend sein müsse.11 Obwohl das Reichsgericht nur im Rahmen der Anwendung von Beleidigungstatbeständen explizit zum Problem der Auslegung von Äußerungen Stellung genommen hat, sind seine Aussagen verallgemeinerungsfähig, da in den Entscheidungen die Rede davon ist, wie Kundgebungen bzw. Äußerungen auszulegen seien.12 Auch in der Literatur ist man teilweise davon ausgegangen, dass eine objektiv nicht beleidigende Äußerung durch eine entsprechende (innere) Einstellung des Täters zu einer beleidigenden werden kann.13 3. Einwände gegen die „subjektive Theorie“ Der am nächsten liegende Einwand gegen diese Auffassung dürfte sein, dass durch diesen Ansatzpunkt zur Auslegung von Äußerungen die Gefahr besteht, dass hiermit nur die innere Einstellung des Täters bestraft wird.14 a) Die „subjektive Theorie“ als Gesinnungsstrafrecht? Zunächst ist der Bereich der zwei- bzw. vieldeutigen Ausdrücke nur schwer eingrenzbar; es ist kaum genau anzugeben, wann ein Ausdruck nicht mehr eindeutig ist. Betrachtet man die oben mitgeteilten Fälle, so fällt es schwer, zu begründen, weshalb gerade diese Äußerungen mehrdeutig sein sollen. Es ist wohl nahezu unmöglich, Kriterien anzugeben, die bewirken, dass eine Äußerung mehrdeutig wird. Im Gegenteil scheint es so zu sein, dass es kaum Äußerungen gibt, die insofern eindeutig sind, als sie 9
BayObLGSt 4, 196, Urt. v. 9. Januar 1904. BGHSt 8, 325 f., Urt. v. 29. November 1955, – 5 StR 322/55 – (Ollenhauer). 11 RGSt 23, 40, 42, Urt. v. 5. April 1892, – Rev. 778/92 –. 12 RGSt 18, 142, 144; RGSt 41, 49, 51. 13 v. Olshausen StGB, 10. Auflage, § 185, Nr. 3). 14 Schon Kern wendet gegen die Auffassung ein, dass sie im Endergebnis zur Bestrafung der „nuda cogitatio“ führe (Äußerungsdelikte S. 21). 10
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nicht auch in einem abweichenden Sinn verstanden werden können. Wohl nahezu alles Gesagte kann man auch in einem gegenteiligen Sinn verstehen („eine reife Leistung“, „ein Produkt von Weltniveau“). Man hat eine Äußerung – zumindest zum Teil – schon ausgelegt, hat mithin ihren Sinn zum Teil schon ermittelt, wenn man sagt, sie sei mehrdeutig. Davon abgesehen – und das dürfte der Haupteinwand sein – könnte nun die Gefahr bestehen, dass innerhalb des genannten Bereichs der objektiv zwei- und mehrdeutigen Ausdrücke und Redewendungen der Täter nur bestraft wird, weil er bei der Äußerung die „falschen“ Gedanken hatte, sprich: Gesinnungsjustiz stattfindet. Doch so einfach kann diese Ansicht nicht der Ablehnung verfallen. Der Vorwurf, es werde Gesinnungsjustiz betrieben, wird häufig gegen Konzeptionen vorgebracht, die Tatbestandsmerkmale durch Rückgriff auf subjektive Gegebenheiten definieren.15 Allgemein ist eine unbestrittene Definition dessen, was eine unzulässige Gesinnungsstrafe darstellt, nicht vorhanden. Eines ist jedenfalls sicher: Einer Ablehnung wegen unzulässigem Gesinnungsstrafrecht kann eine Ansicht nur verfallen, wenn die Strafdrohung nur daran anküpft, dass der Täter unzulässige Gedanken hatte.16 Das bedeutete, dass es gar keinen Anknüpfungspunkt im Objektiven geben dürfte. Doch das ist hier nicht der Fall, denn einen Anknüpfungspunkt im Objektiven gibt es: Der Täter legte ein Verhalten an den Tag; er äußerte sich, indem er interpretationsfähige Zeichen setzte, was er auch hätte unterlassen können. Ähnlich liegt es heutzutage bei der Bestrafung des Versuchs: § 22 StGB fordert zum einen den Tatentschluss und lässt dann jegliches unmittelbare Ansetzen als objektiven Anknüpfungspunkt ausreichen. Nach überwiegender Auffassung wird zur Beantwortung der Frage, wann ein unmittelbares Ansetzen vorliegt – der objektive Beitrag also für ein strafbares Versuchen ausreicht –, ebenfalls auf die Vorstellung des Täters abgestellt. Diese Vorstellung wird dann nur anhand eines objektiven Maßstabs beurteilt.17 Somit kann prinzipiell jegliches Handeln – ohne Rücksicht darauf, wie „ungefährlich“ oder wie weit es von der Vollendung tatsächlich noch „entfernt“ ist – zur Bestrafung wegen Versuchs führen, wenn nur der erforderliche Tatentschluss (etwas rein Subjektives!) vorliegt und der Täter meinte, sein Verhalten führe ohne wesentliche Zwischenschritte 15 Z. B. wendet Spendel (Leipziger Kommentar, § 32, Rn. 140) gegen die Ansicht ein, die (volle) Rechtfertigung erfordere ein – wie auch immer geartetes – subjektives Rechtfertigungselement, damit würde ein „ ‚böser Wille‘ geahndet“, was im Ergebnis eine „reine Gesinnungsstrafe“ sei (Herv. im Original). 16 Vgl. Degener, JZ 2001, S. 388, 389. 17 BGHSt 26, 201, 202, Urt. v. 16. September 1975, – 1 StR 264/75 – (Tankstelle); Jescheck/Weigend AT, S. 516; Wessels/Beulke AT, Rn. 601; Studienkommentar-Joecks, vor § 22, Rn. 13.
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zur Vollendung. So kann in dem Anbieten eines Getränks – einer objektiv „an sich“ überhaupt nicht zu beanstandenden Handlung – ein versuchter Mord (§ 211 StGB) liegen, wenn der Anbietende unzutreffend dachte, das Getränk sei mit einer tödlichen Dosis Gift versetzt. In diesem Fall wird der Täter nicht nur bestraft, weil er unzulässige Gedanken hatte; dieses subjektive Element interessiert uns ja nur deswegen, weil der Tatentschluss sich in der Handlung – mag sie auch objektiv ganz ungefährlich gewesen sein – objektiviert hatte. Ebensowenig wie hierin eine Bestrafung der bloßen Gesinnung liegt, stellt es auch kein Gesinnungsstrafrecht dar, wenn das Reichsgericht zur Ermittlung des Sinns einer Äußerung darauf abstellt, welche Zwecke der Äußernde mit seiner Äußerung, die als Verhalten ja objektiv vorliegt, verfolgt hat. b) Die „subjektive Theorie“ als Vermischung von Vollendung, Versuch und Vorbereitung Doch genau der oben angestellte Vergleich mit der Bestrafung des Versuchs, der ergeben hat, dass kein Gesinnungsstrafrecht in der Bestimmung des Sinns einer Äußerung nach der „subjektiven Theorie“ liegt, kann uns auf andere Weise einen Hinweis auf das zutreffende Argument zur Ablehnung dieser Auffassung geben. Fordert man für eine Äußerung mit einem strafrechtlich zu missbilligenden Sinn nämlich nur, dass objektiv ein „zweioder vieldeutiger“ Ausdruck vorliegt, und dann subjektiv, dass der Äußernde mit seinem Verhalten einen strafrechtlich zu missbilligenden Zweck verfolgt (z. B. der der Äußerung seiner Missachtung, § 185 StGB), so entspricht das eben genau der Struktur des Versuchs und sogar der Struktur der Inkriminierung von Vorbereitungshandlungen.18 Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Ein Punk gerät in eine Auseinandersetzung mit der Polizei und nimmt in seiner Rede für jeden erkennbar gerade noch Abstand davon (etwa aus Angst vor Strafe), die beteiligten Beamten als „Bullen“19 zu bezeichnen. Dieses Verhalten muss straflos bleiben: Wären die Worte ausgesprochen worden, dann wäre § 185 StGB erfüllt. Wer davon Abstand nimmt, hat nur den Tatentschluss zur Beleidigung; er hat unter Umständen 18
So auch Tenckhoff (Ehrbegriff, S. 46) im Rahmen von Ausführungen darüber, dass man zur Bestimmung dessen, was beleidigend ist, nicht darauf abstellen kann, ob der Täter es für beleidigend hält. Genau dasselbe Argument wird benutzt, um die Manifestationsformel der Rechtssprechung zum Zueignungsbegriff (Zueignung = jedes Verhalten, das auf den Willen der Zueignung schließen lässt, o. ä.) abzulehnen (Degener, JZ 2001, S. 388, 390 und 395; Dencker, in: Dencker/Nelles/Struensee/ Stein, 1. Teil, Rn. 51). Denn wenn man so definiert, bleibt kein Raum mehr für eine Versuchsstrafbarkeit oder die von Gesetz bezweckte Straflosigkeit, wenn eine Versuchsstrafbarkeit nicht angeordnet ist. 19 Es soll hierbei unterstellt werden, dass dieser Ausdruck beleidigend ist.
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sogar begonnen, diesen in die Tat umzusetzen, was indes bei § 185 StGB nicht strafbar ist und ansonsten wegen Rücktritts vom Versuch straflos wäre. Zeigen schon diese kurzen Erwägungen, dass die Ansicht des Reichsgerichts zu verwerfen ist und nicht als tauglicher Ansatzpunkt für die folgenden Untersuchungen dienen kann ist, so erscheint es doch interessant, auf die Grundlagen dieser Ansicht einzugehen. c) Exkurs: Die Grundlagen der „subjektiven Theorie“ Lange Zeit ging man im Zivilrecht bei der Definition der Willenserklärung davon aus, dass der Wille – und nicht seine objektive Manifestation – das Maßgebliche an der Willenserklärung sei.20 Friedrich Carl von Savigny, der der lange Zeit vorherrschenden und bis in die Zeit des BGB nachwirkenden „Willenstheorie“ ihre letztgültige Form gegeben hat, sprach davon, dass „der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden“ müsse.21 Weil der bloße Wille aber etwas rein Innerliches und deshalb dem Rezipienten nicht erkennbar sei, müsse er verkörpert werden. Das geschehe durch die Erklärung, einen objektiven Umstand. Da dieser objektive Umstand aber nur dazu diene, dem an sich maßgeblichen Willen Ausdruck zu verleihen, könne eine Willenserklärung nicht vorliegen, wenn der Wille fehle. An einer Willenserklärung fehle es aber nicht nur dann, wenn gar kein Wille hinter der Erklärung stehe (Beispiel: ein äußerer Erklärungstatbestand wird durch „vis absoluta“ erzwungen, dem Unterschreibenden wird die Hand geführt). Eine Willenserklärung fehle auch dann, wenn das Erklärte vom Willen abweiche, also ein Irrtum vorliege. Auf das Strafrecht übertragen hieße das: Eine Äußerung mit einem beleidigenden, volksverhetzenden, gotteslästerlichen etc. Sinn – kurz: einem den Tatbestand erfüllenden Sinn – liegt auch dann nicht vor, wenn ein entsprechender Wille – also etwas Subjektives – nicht dahinter steht. V. Savigny betont, Wille und Erklärung seien „schon ihrem Wesen nach als verbunden zu denken“. Das weist Parallelen zur Formulierung des Reichsgerichts auf, dass „[d]ie innere subjektive Seite . . . hier mit der objektiven zusammen[fällt]“22. Außerdem stellt v. Savigny, der sich nur zum Zivilrecht äußert, auf das „Wesen“ einer Erklärung ab. Und wenn es vom „Wesen“ einer Erklärung abhängt, wie ihr Sinn im Zivilrecht zu ermitteln ist, dann müsste sich dieses Wesen auch im Strafrecht auswirken. Nur: Die Grundlagen der Willenstheorie lagen im gemeinen Recht, und die Willenstheorie ist seit der positiven gesetzlichen Regelung von Mängeln bei Willenserklärungen im BGB (§§ 116 ff. BGB) überholt. Somit kann die „sub20 21 22
Flume, BGB AT, § 4 6. F. C. v. Savigny, System III, S. 258. RGSt 18, 142, 144.
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jektive Theorie“ der Rechtsprechung nicht einmal mehr von ihrer gedanklichen Grundlage her überzeugen. 4. Ergebnis Letztlich bleibt zur „subjektiven Theorie“ festzuhalten: Das Reichsgericht zieht aus der Tatsache, dass objektiver und subjektiver Tatbestand bei Äußerungsdelikten nur schwer zu unterscheiden sind, den falschen Schluss, dass diese Unterscheidung hier weitgehend irrelevant sei. Heute ist überall anerkannt, dass objektiver und subjektiver Tatbestand bei allen Delikten streng geschieden werden müssen. Daher verbietet es sich, zur Erarbeitung von „strafrechtlichen Auslegungsgrundsätzen für Äußerungen“ vom Standpunkt des Reichsgerichts auszugehen, zumal die Grundlagen dieser Position überholt sind (Willenstheorie). Dem Reichsgericht ist aber in seinem – offenbar von dem Bestreben nach Ausschaltung von „Wortklauberei“ getragenen – Standpunkt Recht zu geben, dass die bloße Möglichkeit, eine Äußerung in strafrechtlich relevantem Sinn zu verstehen, nicht dazu führen kann, sie als objektiv beleidigend, also „unerlaubt“ anzusehen.23 Das weist schon Ähnlichkeiten zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf (insbesondere der „Soldaten-sind-Mörder-Entscheidung“), was im Folgenden weiter ausgeführt werden wird.24 Nur wird man eine solche Einschränkung im Objektiven zu verorten haben. II. Übertragung der Auslegungsregeln für Gesetze (Klug) Nachdem sich der Ansatzpunkt der Rechtsprechung als nicht tauglich erwiesen hat, strafrechtliche Auslegungslehren für Äußerungen zu entwickeln, muss an dieser Stelle noch auf einen weiteren Ansatzpunkt eingegangen werden. Klug hat sich zum Thema der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht im Rahmen von Ausführungen zum Tatbestand des „Aufstachelns zum Angriffskrieg“ (§ 80 a StGB) geäußert.25 Zunächst geht Klug selbstverständlich davon aus, dass zur Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten gegen diesen Straftatbestand verstoße, zunächst das Gesetz ausgelegt werden müsse. Bei § 80 a StGB müsse vorab ermittelt werden, was man unter einem Aufstacheln zu verstehen habe.26 23
RGSt 18, 142, 144. Siehe unten im 17. Abschnitt. 25 Klug, FS f. Jescheck, S. 583 – 599; hier setzt Klug sich mit einem Urteil des LG Köln (NStZ 1981, S. 261, Urt. v. 9. Juli 1980, – 31 – 18/80 StA Köln 120 Js 32/79 –) auseinander. 26 Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 591. 24
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1. Der Gehalt der Auslegungscanones bei Übertragung auf Äußerungen Danach müsse das Verhalten des Täters, seine Äußerung, ausgelegt werden. Bezüglich dieser Problematik ist Klug der Ansicht, dass sich die Auslegung einer unter Umständen strafrechtlich relevanten Äußerung genau so vollziehe wie die Auslegung des Gesetzes.27 Bei der Auslegung des Gesetzes gelten die auf v. Savigny zurückgehenden Auslegungsmethoden.28 Wenn man diese Methoden nun auf eine Äußerung anwendet, deren Sinn man ermitteln will, um sie danach unter das – zuvor durch Auslegung konkretisierte – Gesetz zu subsumieren, dann würden hier (jedenfalls grundsätzlich) dieselben Auslegungsregeln gelten.29 Nur müssten die Auslegungsregeln entsprechend umformuliert werden: Es gehe dann bei der grammatischen Auslegung nicht mehr darum, die Bedeutung nach dem Wortsinn des Gesetzes festzusetzen, sondern nach dem Wortsinn der Äußerung. Bei der systematischen Auslegung gehe es nicht mehr darum, den Sinn einer gesetzlichen Vorschrift anhand anderer Vorschriften, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der in Rede stehenden Vorschrift stehen, zu ermitteln, sondern die Äußerung mit anderen Äußerungen, die mit ihr in Zusammenhang stehen (Kontext), abzugleichen. Ebenso sei nicht mehr danach zu fragen, was der Gesetzgeber mit der Norm erreichen wollte – historische Auslegung –, sondern danach, was der Äußernde mit der Äußerung hat sagen wollen, und letztlich sei an Stelle der Frage nach dem Zweck des Gesetzes – teleologische Auslegung – die Frage nach dem Zweck der Äußerung zu stellen.30 Obwohl Klug sich nur zum Tatbestand des § 80 a StGB äußert, geht er davon aus, dass sich dieses Problem der Auslegung einer Äußerung, die unter einen Straftatbestand subsumiert werden soll, grundsätzlich immer bei der Anwendung von Äußerungsdelikten stellt.31 Insofern müssen seine Ausführungen dahin verstanden werden, dass er seinen – anhand des § 80 a StGB herausgearbeiteten – Ansatzpunkt als eine „allgemeine Lehre der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht“ versteht. 2. Einwände gegen die Ansicht Klugs Zunächst ist am Ansatzpunkt von Klug hervorzuheben, dass er ein konkretes Programm liefert, wie die Sinnermittlung von Äußerungen, an die ein strafrechtlicher Vorwurf geknüpft werden soll, durchzuführen ist. Er 27 28 29 30 31
Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 593. F. C. v. Savigny, System I, S. 206 ff. Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 594. Bezüglich aller Auslegungsmethoden: Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 594. Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 591.
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2. Teil: Das Risiko
selbst führt als Argument für seine Vorgehensweise an, dass die Sinnermittlung bezüglich einer Äußerung genauso sorgfältig durchgeführt werden müsse wie die Ermittlung des Sinns der in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschrift.32 Das ist sicher zutreffend, doch betrifft dieses Argument ja nur die Frage danach, weshalb man überhaupt strafrechtlich relevante Äußerungen auszulegen hat. Die Frage, wie das zu geschehen hat, beantwortet dieser Hinweis nicht. Denn es gibt ja auch andere Möglichkeiten der Auslegung von rechtlich erheblichem Verhalten, z. B. die Auslegungsregeln für Willenserklärungen im Zivilrecht usw. Diese könnte man auch auf das Strafrecht übertragen33 und man kann von diesen Regeln nicht sagen, sie seien ungenau. Ganz im Gegenteil scheinen diese Regeln sogar genauer zu sein als die Regeln, nach denen man das Gesetz auszulegen hat. Um im Folgenden den oben dargestellten Vorschlag genauer einzuschätzen zu können, um also zu ermitteln, ob die ihm zu Grunde liegende Idee tauglich ist, ob mithin der Ansatz zu vertretbaren Lösungen führt, bietet sich das folgende Vorgehen an: Man sollte sich vor Augen führen, welchen Zwecken die Methoden der Auslegung des Gesetzes normalerweise dienen, und kann dann die Frage stellen, ob der Zweck, dem die Sinnermittlung von strafrechtlich relevanten Äußerungen dient, ein hinreichend ähnlicher ist. Wäre der Zweck, zu dem man Gesetze auslegt, von dem Zweck der Auslegung einer Äußerung im Strafrecht völlig verschieden, dann ist nicht einzusehen, weshalb dieselben Methoden – wenn auch abgewandelt bzw. umformuliert – auch hier gelten sollen. Dabei sei schon vorab auf eine Schwierigkeit hingewiesen: Der Zweck der Auslegung von Äußerungen kann hier noch nicht umfassend behandelt werden; hat man diesen Zweck nämlich genau bestimmt – worin schon die eigentliche Wertung, auf was es „ankommen“ soll, liegt –, dann hat man schon einen großen Teil der Entwicklung der Auslegungsregeln vorgenommen. Diese Regeln sollen erst später entwickelt werden. Aber eine genaue Bestimmung des Zwecks der Auslegung von Äußerungen kann hier noch unterbleiben: Denn es reicht zur Würdigung des Ansatzpunktes von Klug aus, festzustellen, ob die Zwecke der Auslegung des Gesetzes und der Auslegung von Äußerungen hinreichend ähnliche sind oder ob unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. Die Zwecke, insbesondere der Zweck der Auslegung von Äußerungen, müssen nicht genau verortet werden. Es genügt vielmehr, ihre Unterschiedlichkeit bzw. Ähnlichkeit darzulegen, mithin zu bestimmen, ob zwischen ihnen ein großer „Abstand“ liegt oder nicht.
32 33
gen.
Klug, FS f. Jescheck, S. 583, 593. Auf einen solchen Ansatzpunkt wird unten im 13. Abschnitt unter II. eingegan-
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a) Die Unterschiede in der Sprachverwendung des Gesetzgebers und einer sich äußernden natürlichen Person Beginnen wir die Untersuchung mit der Auslegung des Gesetzes (bzw. der Äußerung) nach dem Wortsinn. Die Gesetze sind sprachliche Gebilde, daher ist es eine (nahe liegende) Möglichkeit, ihren Bedeutungsgehalt nach den Regeln über den Sprachgebrauch festzusetzen.34 Der Gesetzgeber richtet die Befehle, die er in Gesetzen verkörpert, in erster Linie an den Bürger; von ihm will er verstanden werden und deshalb kann er auf ein „Mindestmaß an Allgemeinverständlichkeit“ nicht verzichten.35 Vor diesem Hintergrund ist es dann auch sinnvoll, Gesetze grammatisch auszulegen. Ganz im Gegenteil dazu steht u. U. die Sprachverwendung bei der Vornahme von Äußerungen, an die ein strafrechtlicher Vorwurf angeknüpft werden kann. Der Äußernde will natürlich grundsätzlich auch verstanden werden. Die Beleidigung, die niemand versteht, d.h. das Setzen von Zeichen, mit denen nur der Äußernde eine Missachtung verbindet, kann keine Beleidigung darstellen. Der in der Äußerung liegende missachtende Sinn muss von zumindest einem Menschen verstanden werden können.36 Doch häufig will der Äußernde nicht von allen Menschen (bzw. einem Großteil von ihnen) verstanden werden, um das Risiko einer Bestrafung möglichst gering zu halten.37 Dem trägt der Äußernde dann dadurch Rechnung, dass er die Wörter, mit denen er sich äußert, abweichend vom „normalen“ Sprachgebrauch wählt, etwa indem er auf einen „privaten“ Sprachgebrauch rekurriert, sodass er nur von wenigen (und im Extremfall sogar nur von einer Person) verstanden wird. Bei der Auslegung von solchen Äußerungen hilft die Auslegung nach dem „normalen“ Sprachgebrauch, um die es bei der Auslegung nach dem Wortsinn geht, nicht weiter.38 Dieses Ergebnis kann nur dadurch verhindert werden, dass man nicht mehr vom „normalen“ Sprachgebrauch ausgeht, sondern von einem speziellen, der u. U. nur von den Beteiligten gepflegt wird.39 34
Bydlinksi, S. 437 f.; Koch/Rüssmann, S. 166 f. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 320. 36 Schon Kern geht davon aus, dass eine nicht verständliche Äußerung keine Äußerung sei (Äußerungsdelikte, S. 5), somit an sie auch kein strafrechtlicher Vorwurf (wegen einer vollendeten Tat) geknüpft werden könne. 37 Vgl. bereits die oben im 2. Abschnitt unter III. dargestellten Konstellationen. 38 In dem Fall, den Klug zum Anlass genommen hat (LG Köln, NStZ 1981, S. 261, Urt. v. 9. Juli 1980, – 31 – 18/80 StA Köln 120 Js 32/79–), war das freilich nicht so. Der Äußernde wollte hier von möglichst allen Lesern seines Artikels verstanden werden. So ist es verständlich, dass Klug nicht darauf eingeht, ob man bei der Auslegung nach dem Wortsinn vom „normalen“ Sprachgebrauch auszugehen hat oder den Sprachgebrauch genauer zu bestimmen hat. 39 Außerdem äußert man sich regelmäßig nicht nur in Form von sprachlichen Zeichen, z. B. durch Reden oder Schreiben. Schon das Gesetz geht in § 185 StGB 35
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2. Teil: Das Risiko
Doch damit hätte man die ursprüngliche Regel der Auslegung von Gesetzen nach dem Wortsinn bereits nicht nur umformuliert, sondern sehr weit abgewandelt. Es fragt sich dann, ob es sich noch um die ursprüngliche (veränderte) Regel handelt, oder ob das Neue, was durch die Abwandlung hinzugekommen ist, den Gehalt der ursprünglichen Regel nicht nahezu vollständig verdrängt. b) Die Unterschiede zwischen gesetzlicher Systematik und hinter Äußerungen stehender Systematik Ist also dem Grundansatz, die Auslegungsregeln von Gesetzen zu Auslegungsregeln von Äußerungen umzuformulieren, bereits mit Skepsis zu begegnen, wenn man die grammatische Auslegung betrachtet, so verstärken sich die Bedenken noch, wenn man weiter verfolgt, dass die anderen Auslegungsregeln (systematische, historische und teleologische) mindestens ebenso stark modifiziert werden müssen wie die Auslegung nach dem Wortsinn. Die systematische Auslegung beruht auf dem Gedanken, die Rechtsordnung sei einheitlich aufgebaut, mithin dürfe keine Norm in der Rechtsordnung einer anderen widersprechen.40 Daher müssen die Anwendungsbereiche der Normen durch Auslegung so ausgestaltet werden, dass tatsächlich keine Norm der anderen widerspricht.41 Überträgt man diese Auslegungsregel auf Äußerungen, so hieße das, dass der Bedeutungsgehalt einer Äußerung so festgesetzt werden muss, dass sie anderen Äußerungen nicht widerspricht. Dafür müsste man davon ausgehen dürfen, dass die Gesamtheit der Äußerungen eines Menschen – ebenso wie die Rechtsordnung – einheitlich aufgebaut ist, dass sie also als „System“ begriffen werden muss. Die tagtägliche Erfahrung zeigt nun, dass das nicht der Fall ist. Diese davon aus, dass die Beleidigung – also das Äußerungsdelikt schlechthin – mittels „einer Tätlichkeit begangen“ werden kann, also z. B. durch eine Ohrfeige (Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 18). Es können aber auch andere Zeichen, z. B. Gesten oder Symbole benutzt werden (Fuhr, Äußerung, S. 27; Maurach/ Schröder/Maiwald BT/1 § 25, Rn. 12). Insbesondere das Fallmaterial zur Beleidigung ist hier sehr ergiebig, es seien beispielsweise genannt: Das Ausräuchern des Stuhls, auf dem zuvor jemand gesessen hat (RG, LZ 1915, S. 60 f., Urt. v. 5. Oktober 1914, – I 572/14 –), das Tippen an die Stirn (OLG Düsseldorf, NJW 1960, S. 1072 f., Urt. v. 2. März 1960, – 2 Ss 934/59 –) oder das Anspucken (OLG Zweibrücken, NStZ 1990, S. 541, Beschl. v. 18. Juni 1990, – 1 Ss 238/89 –). Außerdem ist allgemein anerkannt, dass man auch durch bildliche Darstellung beleidigen kann, so durch die Darstellung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Strauß als kopulierendes Schwein (OLG Hamburg, JR 1985, S. 429 f., Urt. v. 17. Januar 1985, – 1 Ss 168/84 –). In allen diesen Fällen noch von einem „Wortsinn“ zu sprechen, wirkt gekünstelt. 40 Engisch, Einführung, S. 76 und 95; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 325. 41 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 74.
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Prämisse darf also bei Äußerungen nicht zu Grunde gelegt werden. Kein Mensch geht davon aus, sein Gegenüber in der Kommunikation verhalte sich so, dass kein Kommunikationsbeitrag irgendeinem anderen vorher geleisteten widerspreche.42, 43 Auch wird kein Mensch von sich selbst behaupten, jede seiner Äußerungen widerspreche nicht zeitlich vorangegangenen Äußerungen.44 Damit ist nicht gesagt, dass der Gedanke der systematischen Auslegung bei Äußerungen völlig ohne Belang wäre. Es ist auch nicht so, dass Äußerungen eines Menschen in gar keinem inneren Zusammenhang zu einander stehen. Man wird die systematische Auslegung bei der Übertragung ihres Anwendungsbereichs auf Äußerungen aber so weit zu verändern haben, dass eine Äußerung nur noch mit Äußerungen, die in irgendeinem (inhaltlich näher zu bestimmenden) Zusammenhang mit der auszulegenden Äußerung stehen, auszulegen ist. Die wesentliche Aufgabe bei einer so verstandenen systematischen Auslegung dürfte dann in der Bestimmung dessen liegen, was noch als Zusammenhang begriffen werden darf und was nicht. Dagegen tritt das Erkennen der Systematik, der die Äußerungen folgen, deutlich zurück.45 Daher scheint es auch hier so zu sein, dass die systematische Auslegung bei der Sinnermittlung von Äußerungen nicht recht „passt“, dass die Regeln zu weit modifiziert werden müssen, um sie noch als (bloß umformulierte) Regeln über die Auslegung von Gesetzen ansehen zu können.
42 Klug scheint hier auch Unbehagen zu verspüren und spricht davon, dass die systematische Auslegung bei Gesetzen es nur gebiete, Normen mit anderen Normen in Einklang zu bringen, die in „sachliche[m] Zusammenhang“ mit der auszulegenden Norm stehen (S. 592). Das ist zwar richtig, doch kein Wesensmerkmal der systematischen Auslegung. Diese entspringt dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung (vgl.: Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 76 f.) und nur daraus ergibt sich, dass Normen, deren Anwendungsbereiche sich nicht berühren (also miteinander nicht in einem sachlichen Zusammenhang stehen), sich gegenseitig auch nicht beeinflussen können. 43 Im Übrigen kann man die Frage stellen, was hier nicht im Mittelpunkt stehen soll, ob Gesetze als Sollensanordnungen Äußerungen überhaupt insofern vergleichbar sind, als diese nicht unbedingt Sollenssätze darstellen, sondern häufig Aussagen sind, z. B.: „A ist ein Lump“ (§ 185 StGB). 44 So wird es z. B. als nicht besonders einfallsreich und eher geradezu als beschränkt angesehen, wenn ein Diskussionspartner denn Sinn der fremden Aussagen nur unter dem Gesichtspunkt ermitteln will (und natürlich daraus dann versucht, seine Gegenargumente herzuleiten), ob die Aussagen mit dieser und jener Äußerung von vor Jahr und Tag in Einklang zu bringen sind oder ihr widersprechen. 45 So auch Medicus (AT, Rn. 309) bezüglich des Vergleichs von Auslegungsgrundsätzen für Gesetze mit denen für Willenserklärungen.
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2. Teil: Das Risiko
c) Weitere Unterschiede Zu den beiden letzten Auslegungsregeln, der historischen und teleologischen Auslegung: Die historische Auslegung von Gesetzen fragt danach, welche Zwecke der historische Gesetzgeber mit der Norm verfolgte;46 die teleologische Auslegung objektiviert diese Fragestellung und fragt danach, welcher (objektive) Zweck der Norm heute zugeordnet werden muss.47 Wenn man diese Auslegungsmethoden auf die Auslegung von Äußerungen überträgt, bestehen zwischen ihnen keine Unterschiede mehr. Es kann bei der Auslegung von Äußerungen nur danach gefragt werden, welche Zwecke der Äußernde mit dieser Äußerung zum Zeitpunkt des Handelns verfolgt hat. Dieses ergibt sich daraus, dass für eine Strafbarkeit zum Zeitpunkt des Verhaltens alle Voraussetzungen des Straftatbestandes erfüllt sein müssen. Folgendes ist nicht vorstellbar: Die Auslegung einer Äußerung ergibt ursprünglich einen nicht zu beanstandenden Sinn (Beispiel: es wird geäußert, dass jemand dieselben Charaktermerkmale aufweise wie eine bekannte, tatsächlich in untadeligem Ruf stehende Person). Dann ändern sich die Verhältnisse (grobe Verfehlungen der bekannten Person, die bisher niemandem bekannt waren, werden aufgedeckt), sodass durch die objektivierende, teleologische Auslegungsmethode die Äußerung jetzt einen zu beanstandenden Sinn erhält. Denn wie sollte das Strafrecht nun an die einmal getane Äußerung anknüpfen, wo doch selbst die nachträgliche Billigung des neuen Sinnes wegen der Unbeachtlichkeit des „dolus subsequens“48 nicht zu einer Strafbarkeit führen kann? Worin wäre ein zu missbilligendes Verhalten zu sehen, wollte man auf das Unterlassen des Widerrufs abstellen, wenn man als Vorverhalten für eine Garantenstellung aus Ingerenz heute nahezu einmütig ein „pflichtwidriges“ Vorverhalten49 fordert? Umgekehrt ergibt sich das gleiche Problem: Eine ursprünglich in strafrechtlich relevanter Weise zu verstehende Äußerung mag durch den Einfluss der Veränderung der Verhältnisse in Verbindung mit der teleologischen Auslegungsmethode nun in einem „harmlosen“ Sinn erscheinen. Das verhindert jedoch nicht, dass eine einmal an diese Äußerung geknüpfte Sanktion nunmehr zulässig bleiben muss. Unterschiede zwischen historischer und teleologischer Auslegung 46 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 326 f.; Bydlinski, S. 449 f. Im Text ist nur die so genannte genetische Auslegung (vgl. Redeker/Karpenstein, NJW 2001, S. 2825; Bleckmann, JuS 2002, S. 942, 945) angesprochen. Die Auslegung nach der Dogmengeschichte, die auch der historischen Auslegung zuzurechnen ist (Bleckmann, JuS 2002, S. 942, 945), wird hier aus Vereinfachungsgründen weggelassen. Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, wie dieser Aspekt bei der Auslegung von Äußerungen fruchtbar gemacht werden könnte. 47 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 333 f.; Bydlinski, S. 454 f. 48 Roxin, AT I, § 12, Rn. 82. 49 Wessels/Beulke AT, Rn. 725; Lackner/Kühl, § 13, Rn. 13.
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können bei der Auslegung von Äußerungen also nicht bestehen, man braucht diese Auslegungsmethoden nicht zu unterscheiden. 3. Die Anerkennung der Ansicht Klugs als Verstoß gegen das Postulat der Identität von Auslegung der Äußerung und Auslegung des Gesetzes Auf den ersten Blick mag das Ergebnis nach diesen Erwägungen erstaunen. Denn oben wurde dargelegt, dass es die Auslegung einer Äußerung als eigenständigen Schritt nach der Auslegung des Gesetzes gar nicht gibt.50 Vielmehr stellt sich das, was man Auslegung einer Äußerung nennt, als Auslegung des Gesetzes dar, und zwar in Form der Frage, ob das in Rede stehende Verhalten unter jene Klasse von Verhaltensweisen fällt, die das Gesetz erfassen will. Die Beschreibung der Klassen von Verhaltensweisen, die eine genauere Beschreibung der unter das Gesetz fallenden Verhaltensweisen sind, sind nun aber häufig sprachlich kaum fassbar, und zudem ist die Menge aller Klassen von Verhaltensweisen so groß, dass man sie nicht alle darstellen kann. Doch trotzdem gibt es den Schritt der Auslegung der Äußerung neben (bzw. nach) der Auslegung des Gesetzes nicht. Daher müsste die Ansicht von Klug, die den Sinn einer Äußerung nach den Regeln über die Gesetzesauslegung feststellen will, in dieses Schema passen. Doch das ist nicht der Fall: Daraus, dass die Auslegung einer Äußerung Auslegung des Gesetzes ist, folgt nicht, dass man die Auslegung der Äußerung – die es als eigenständigen Schritt gar nicht gibt – nach den Regeln über die Gesetzesauslegung vorzunehmen hat. Vielmehr unterliegt Klug einem Irrtum: Indem er explizit nach dem Schritt der Gesetzesauslegung den Schritt der Auslegung der Äußerung ansetzt, verwechselt er die Objekte der Auslegung. An die Stelle des auszulegenden Gesetzes tritt die Auslegung der Äußerung; es geht nach der Konzeption von Klug jetzt nicht mehr um die Frage, ob das Gesetz so zu konkretisieren ist, dass das in Rede stehende Verhalten darunter zu fassen ist, sondern es wird – mit wie gezeigt untauglichen Mitteln – dem Sinn der Äußerung nachgespürt. 4. Ergebnis Es zeigt sich also letztlich, dass die Auslegungsmethoden für Gesetze nicht ohne wesentliche Umgestaltung (sei es, dass man sie nicht unbeträchtlich erweitern muss, wie die grammatische und systematische Auslegung, sei es, dass man sie zu einer Methode verschmelzen muss, wie die historische und teleologische) zur Auslegung von Äußerungen weithin untauglich 50
s. o. im 1. Abschnitt unter II. 2. c).
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2. Teil: Das Risiko
sind. Sie „passen“ bei bloßer Umformulierung, wie Klug sie vornimmt, einfach nicht. Bevor man deshalb also die Auslegungsregeln für Gesetze für den Zweck der Auslegung von Äußerungen „passend“ macht, d.h. so gravierend umformt, dass von ihrem ursprünglichen Gehalt kaum noch etwas übrig bleibt, sollte man besser Auslegungsregeln für Äußerungen selbstständig entwickeln.51 Es bleibt festzuhalten: Grundsätzlich mag man bei der Erarbeitung von Regeln über die Auslegung von Äußerungen so vorgehen, dass man die Regeln für die Auslegung von Gesetzen entsprechend modifiziert. Dieses Vorgehen bedeutet wohl, dass man aus speziellen Regeln des Verstehens (nämlich den über das Verstehen von Gesetzen) allgemeine Regeln über das Verstehen52 herausarbeitet und diese allgemeinen Grundsätze dann auf einen anderen Bereich anwendet und die Regeln den hier herrschenden Besonderheiten anpasst. Doch dann ist es erheblich zweckmäßiger, diese Regeln für den speziellen Bereich eigenständig zu entwickeln. Der Blick auf die Gesetzesauslegung hilft – wie gezeigt – nicht sehr viel weiter und aus dem Umstand, dass die Auslegung einer Äußerungen in Wirklichkeit eine Konkretisierung des Gesetzes darstellt, folgt auch nicht, dass man Äußerungen und Gesetze insofern über einen Leisten schlagen kann. Daher wird im Folgenden der Ansatz von Klug nicht weiter verfolgt. III. Ergebnis Es hat sich also gezeigt, dass sowohl die „subjektive Theorie“ des Reichsgerichts als auch die Ansicht von Klug keine tauglichen Ansatzpunkte zur Erarbeitung einer spezifisch strafrechtlichen Lehre darüber, wie Äußerungen ausgelegt werden müssen, darstellen. Das liegt – abgesehen 51 Neben dieser Erwägung, die hier im Vordergrund steht, gibt es natürlich noch eine Reihe weiterer Argumente gegen ein solches Vorgehen: So ist anerkannt, dass es bei der Auslegung von Gesetzen kein „richtiges“ Ergebnis geben kann. Das liegt daran, dass es kein Rangverhältnis unter den Auslegungsmethoden gibt. Es kommt dadurch in die Anwendung des Gesetzes notwendig ein Element der Ungenauigkeit. Diese Ungenauigkeit würde sich verdoppeln, wenn es um die Anwendung eines Äußerungsdelikts geht: Denn bei der Anwendung der Auslegungsmethoden für Gesetze auf Äußerungen käme die Ungenauigkeit nochmals bei der Auslegung der Äußerung zum Tragen. Die Ansicht, zumindest gewisse Äußerungsdelikte verstießen gegen Art 103 Abs. 2 GG (Bestimmtheitsgebot), gewönne dadurch an Auftrieb. Außerdem könnte man die Frage stellen, weshalb bei anderen Auslegungen im Recht, z. B. der Auslegung einer Willenserklärung oder einer Prozesshandlung, nicht auch entsprechend umformulierte bzw. modifizierte Auslegungsregeln für Gesetze Anwendung finden. Das wurde – soweit ersichtlich – noch niemals vertreten und liegt wohl auch daran, dass die Notwendigkeit der Auslegung hier (im Gegensatz zum Strafrecht) schon sei je her anerkannt ist. 52 Zu dieser „allgemeinen Hermeneutik“: Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 330 ff., vgl. auch: Betti, FS f. Rabel II, S. 79 ff.
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von den oben im Einzelnen ausgeführten Gesichtspunkten – ganz wesentlich daran, dass beide Ansatzpunkte nicht genügend beachten, weshalb Äußerungen überhaupt rechtlich verboten sind und sein können: Sie können im Rezipienten einen Verstehensprozess in Gang setzen, der die Ursache für rechtsgutsverletzendes Verhalten des Rezipienten sein kann. Zur Beantwortung der Frage nach den Auslegungsgrundsätzen muss daher diesem Mechanismus – genauer: seiner Widerspiegelung in rechtlichen Begriffen – weiter nachgegangen werden. Sowohl die „subjektive Theorie“ des Reichsgerichts als auch der Ansatzpunkt von Klug berücksichtigen das nicht. Eine Äußerung wird nicht allein deshalb „gefährlicher“, weil der Äußernde mit ihr bestimmte Gedanken verband, und auch die Auslegungsgrundsätze für Gesetze geben keine Hilfestellung, die Gefährlichkeit von Äußerungen zu bestimmen und rechtlich zu bewerten. Nach alledem muss eine Bestimmung des spezifischen Risikos, das mit Äußerungen verbunden ist, erfolgen. Daher muss im Folgenden herausgearbeitet werden, auf welche spezielle Weise der Rechtsgüterschutz durch Verbot von Äußerungen bewirkt wird.
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2. Teil: Das Risiko
7. Abschnitt
Die Abgrenzung des durch Verbot von Äußerungen bewirkten mittelbaren Rechtsgüterschutzes von anderen Fällen des mittelbaren Rechtsgüterschutzes (Definition der Äußerung) Oben wurde herausgearbeitet, dass die Verhaltensnormen des Strafrechts in Bezug auf Äußerungen niemals das Verhalten der Äußerung um ihrer selbst willen untersagen sollen. Es geht immer darum, dass Äußerungen nur deshalb rechtlich unerlaubt sind, weil sie bewirken können, dass sich an sie weiteres Verhalten des Rezipienten anschließt. Dieses weitere Verhalten kann sich als selbst- oder fremdschädigendes Verhalten darstellen. Mithin stellt jedes Verbot einer Äußerung immer nur einen mittelbaren Rechtsgüterschutz dar. I. Vorüberlegungen zur Definition der Äußerung Nun kann man aber unterschiedliche Strukturen mittelbaren Rechtsgüterschutzes unterscheiden: Alle haben gemeinsam, dass sie Kausalverläufe im Auge haben, die nicht unmittelbar schädigen. Aber sie unterscheiden sich in der Art der zu verhindernden Kausalverläufe: So zielen z. B. die Verhaltensnormen des BtMG darauf ab, die Einnahme von Betäubungsmitteln zu Konsumzwecken zu verhindern.1 Da der Konsumakt nicht von den durch strafrechtliche Sanktion ausgestatteten Verhaltensnormen erfasst wird,2 bewirken die Straftatbestände des BtMG einen mittelbaren Rechtsgüterschutz. Ganz offensichtlich ist mit ihnen aber eine andere Art des mittelbaren Rechtsgüterschutzes bewirkt, als er durch das Verbot von Äußerungen bewirkt wird.3 Die spezielle Struktur des Rechtsgüterschutzes durch Verbot einer Äußerung soll im Folgenden genauer dargestellt werden, mithin muss der zu verhindernde Kausalverlauf näher beschrieben werden. Wird die Art des zu verhindernden Kausalverlaufs genauer herausgearbeitet, so kann man diese Art des zu verhindernden Kausalverlaufs von anderen Arten unerwünschter Kausalverläufe abgrenzen. Dadurch erhält man dann eine Definition des Begriffs der Äußerung. 1
Nestler, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11, Rn. 23. Nestler, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11, Rn. 23. 3 Obwohl man nicht übersehen darf, dass sich auch im BtMG Straftatbestände befinden, die nur durch Äußerung erfüllt werden können. Ein Beispiel ist § 29 Abs. 1 Nr. 8 BtMG. Der Äußerungsdeliktscharakter ergibt sich aus dem Wortsinn („wirbt“), vgl. unten im 8. Abschnitt unter I. 2
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1. Die „Äußerung“ als außerrechtlicher Begriff? Nach Auffassung von Fuhr ist der Begriff der Äußerung (und somit der Begriff des Äußerungsdelikts) außerrechtlich zu bestimmen.4 Dem muss vehement widersprochen werden. Fuhr ist der Ansicht, die Notwendigkeit, die Äußerung außerrechtlich zu bestimmen, ergebe sich zum einen daraus, dass der Gesetzgeber in § 193 StGB diesen Begriff verwende, und zum anderen daraus, dass die mit dem Begriff der Äußerung verbundene Deliktsgruppenbildung eine solche sei, die nicht der Gesetzgeber, sondern die Rechtswissenschaft geschaffen habe.5 Doch tragen diese Argumente den Schluss nicht, dass der Begriff der Äußerung außerrechtlich zu bestimmen sei. Wenn der Gesetzgeber einen Begriff wie den der Äußerung in einer Vorschrift verwendet, dann ist es so, dass ermittelt werden muss, was der Gesetzgeber mit diesem Begriff gemeint hat (natürlich nicht unbedingt im Sinne der subjektiven Auslegungslehre). Wenn man im Zuge der Rechtsanwendung einen Begriff der Äußerung etabliert, um – wie Fuhr zutreffend erkennt – durch daran anknüpfende Deliktsgruppenbildung gemeinsame Leitgedanken der Auslegung verschiedener Straftatbestände zu finden,6 dann geht es auch darum, zu ermitteln, was der Gesetzgeber auf eine gewisse Weise nach übergeordneten Gesichtspunkten geordnet hat. (Selbstverständlich ist dies noch weniger als das zuvor Gesagte im Sinne der subjektiven Auslegungslehre gemeint; es gilt selbst dann, wenn keine der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen jemals einen solchen Gedanken hatte.) Wenn es aber beide Male darum geht, zu ermitteln, was der Gesetzgeber gemeint hat, dann handelt es sich um die Bedeutung eines rechtlichen Begriffs und allein darum. „Natürliche“ – und daher vom Recht losgelöste – Bedeutungen eines Begriffs kommen bei der Rechtsanwendung nur bei zwei (zusammenhängenden) Problematiken vor: Es geht bei der Wortsinnauslegung darum, die Bedeutung möglichst nahe am natürlichen Wortsinn festzusetzen, und im Strafrecht beim Analogieverbot darum, den Wortsinn einer Vorschrift nicht zum Nachteil des Betroffenen zu überschreiten.7, 8 Damit sind diese beiden 4
Fuhr, Äußerung, S. 24. Fuhr, Äußerung, S. 24. 6 Fuhr, Äußerung, S. 22 (insbes. Fn. 16). 7 Vgl. zum Analogieverbot bei § 263 auch unter IV. 2. im 5. Abschnitt und allgemein die kurzen Hinweise unter 8. Abschnitt unter I. 2. a., ob das generell überhaupt möglich ist. 8 Daher richtet sich Art 103 Abs. 2 GG in Form des Analogieverbots (entgegen Fuhr, Äußerung, S. 23, Fn. 19) auch und vor allem – man denke an die berühmte Entscheidung des BGH, in der ein Kraftfahrzeug als „bespanntes Fuhrwerk“ angesehen wird (BGHSt 10, 375 ff., Urt. v. 13. September 1957, – 1 StR 338/57 –) – 5
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2. Teil: Das Risiko
Aspekte die einzigen, die es gebieten, den Begriff der Äußerung durch außerrechtliche Strukturen zu bestimmen. Doch genau das führt nur dazu, dass man die Bedeutung des Begriffs Äußerung innerhalb des Wortsinns „Aussage, Ausspruch eines Sinngehalts“9 festzusetzen hat. Die weiteren Konkretisierungen des Begriffs, die Fuhr der Kommunikationswissenschaft entnimmt,10 ergeben sich also aus seinen Prämissen nicht. Sondern es geht darum, nachzuforschen, welche rechtliche Bedeutung der Begriff der Äußerung hat. Dass dabei im Ergebnis der rechtliche Begriff der Äußerung auf (außerrechtliche) Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft verweist, ist zutreffend und wird auch hier vertreten. Somit sind die Erkenntnisse von Fuhr inhaltlich nicht fehlerhaft, aber sie folgen nicht aus den von ihm angeführten Gründen. 2. Die Notwendigkeit, Begriffe rein rechtlich zu definieren Ein rechtlicher Begriff muss rein rechtlich bestimmt werden. Wenn sich dabei ergibt, dass das Recht mit der Begriffsverwendung auf außerrechtliche Strukturen verweist, so spricht das nicht gegen das Ergebnis. Im Gegenteil: Die meisten rechtlichen Begriffe verweisen unmittelbar auf außerrechtliche Strukturen (Beispiel: der Begriff „Vermögen“ verweist auf wirtschaftliche Gegebenheiten)11; im Endergebnis verweisen alle rechtlichen Begriffe mittelbar auf außerrechtliche Strukturen (Beispiel: der Begriff „fremd“ verweist auf die rechtliche Struktur des Eigentums,12 diese verweist dann auf außerrechtliche Strukturen, etwa Ansichnehmen einer Sache mit einem bestimmten Willen, § 958 Abs. 1 BGB). Doch Begriffe des Rechts, deren Definition nicht durch das Recht legitimiert wird, gibt es nicht. Deshalb ist es methodisch falsch, wenn Fuhr nach dem „Wesen“ der Äußerung forscht.13 Und wenn ein Begriff auf außerrechtliche Strukturen verweist – was, wie gesagt, zumindest mittelbar immer der Fall ist –, dann muss rechtlich begründet sein, auf welche außerrechtliche Strukturen verwiesen wird. Die Entscheidung über diese Frage – eine rechtliche Frage – ist die Definition. Wenn im Folgenden definiert werden soll, was unter einer Äußerung zu verstehen ist, dann muss man sich also unter einem an den Gesetzesanwender (vgl. statt aller: Eser, in: Schönke/Schröder, Vor § 1, Rn. 7). 9 Fuhr, Äußerung, S. 24 unter Verweis auf Wahrig. 10 Fuhr, Äußerung, S. 25 ff. 11 BGHSt 16, 220, 221, Beschl. v. 18. Juli 1961, – 1 StR 606/60 – (Gabardinehosen). 12 Vgl. statt aller: Lackner/Kühl, § 242, Rn. 4. 13 Fuhr, Äußerung, S. 24. Dabei scheint Fuhr selbst beim Begriff des Wesens Unbehagen zu verspüren, er setzt diesen Begriff in Anführungszeichen.
7. Abschn.: Abgrenzung des Rechtsgüterschutzes von anderen Fällen
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rechtlichen Blickwinkel fragen, weshalb das definiert werden soll. Denn Begriffe zu definieren ist kein Selbstzweck und man kann nach dem eben Gesagten nicht erwarten, dass durch eine Definition ein „an sich“ gegebenes „Wesen“ des zu Definierenden erfasst wird,14 man also durch eine Definition ein für alle Male dasjenige (zutreffend!) durch Bezeichnung einfängt, was das zu Definierende ausmacht.15 3. Die Bildung von Definitionen nach dem damit verfolgten Zweck Vielmehr muss man einen Begriff definieren im Hinblick auf den Zweck, der mit der Begriffsbildung verfolgt wird:16 Eine Definition soll dazu dienen, Phänomene, die gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen, gleich zu benennen, und deckt daher diese Gemeinsamkeiten zwischen Phänomenen auf. Das ist natürlich nur insoweit sinnvoll, als über die Phänomene, die diese Gemeinsamkeiten aufweisen, Aussagen getroffen werden sollen. Wenn ein Begriff kraft seiner Definition somit alles das erfasst, was gewisse Gemeinsamkeiten aufweist (und es insofern von allen anderen Phänomenen, die diese Gemeinsamkeiten nicht aufweisen, scheidet) und wenn die Norm gerade im Hinblick auf diese Gemeinsamkeiten bestimmte Rechtsfolgen vorsieht, dann ist eine Definition nützlich.17 Hier soll es darum gehen, herauszuarbeiten, welche allgemeinen Regeln bei der Auslegung von Äußerungen, die als Anknüpfungspunkt eines strafrechtlichen Vorwurfs in Rede stehen, gelten. Im Hinblick auf diesen Zweck – die Erarbeitung dieser allgemeinen Regeln, die nur bei Äußerungen gelten – muss die Äußerung definiert werden. Durch den Begriff der Äußerung müssen also jene Verhaltensweisen erfasst werden, bei denen eine hier im Mittelpunkt stehende Auslegung erforderlich ist. a) Der Zweck als gleiche Behandlung gleicher Fälle Wenn oben die Rede davon war, dass es der Zweck der Definition sein soll, den Anwendungsbereich von Regeln, die nur für das zu Definierende gelten, zu umreißen, so war das missverständlich: Die Rechtswissenschaft ist eine dogmatische Wissenschaft. Das heißt, dass es neben den Regeln, die unmittelbar aus dem Gesetz als Text hervorgehen (z. B. dass man keinen Menschen töten darf, §§ 211, 212 StGB), weitere Regeln gibt, nach de14 15 16 17
Noll, ZStW 77 (1965), S. 1, 3 f. Vgl.: Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 21. Noll, ZStW 77 (1965), S. 1, 3 f. Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 23 und 25.
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2. Teil: Das Risiko
nen man das Gesetz konkretisiert.18 Das sind Regeln, die zur Gesetzesanwendung auch benötigt werden (z. B. dass einen Menschen getötet hat, wer zurechenbar den Tod eines Menschen verursacht hat19).20 Diese Regeln dienen dazu, einem bloßen Text (und mehr ist das Gesetz zunächst einmal nicht) mehr zu entnehmen, als aus dem reinen Wortsinn hervorgeht. Diese Regeln, die Dogmen, stehen somit im Rang unter den Normen des Gesetzes.21 Gleichzeitig betreffen sie aber auch nicht die bloße Entscheidung des Einzelfalls. Sie stehen also auf „mittlerer Abstraktionshöhe“ zwischen dem Gesetz und der Entscheidung des Einzelfalls.22 Sie sind notwendig, damit gleich gelagerte Fälle auch gleich behandelt werden: Denn gäbe es sie nicht, so könnten gleiche Fälle nach dem jeweils nicht eindeutigen Wortsinn (dass „töten“ heißt, zurechenbar den Tod zu verursachen, geht aus dem Wortsinn der §§ 211, 212 StGB nicht hervor) unterschiedlich entschieden werden.23 Solch ein Ergebnis kann angesichts des allgemeinen Gleichheitssatzes, nach dem wesentlich Gleiches gleich behandelt werden muss,24 nicht statthaft sein; ein solches Vorgehen wäre willkürlich. b) Die Berücksichtigung von Ungleichheiten Das heißt, dass die Regeln zur Konkretisierung des Gesetzes, die Dogmen, je nach der Verschiedenheit der Fälle dieser Unterschiedlichkeit durch eigene Unterschiedlichkeit Rechnung tragen müssen, je nach der auch vorhandenen Gleichheit der Fälle aber ebenfalls einen gleichen Gehalt aufweisen müssen. Die Dogmen, die Lehrsätze zur Konkretisierung des Gesetzes, stehen also nicht beziehungslos nebeneinander: Je nach der Ähnlichkeit der zu entscheidenden Fälle sind sie sich ebenfalls ähnlich, wobei hier unter Ähnlichkeit der Gehalt an Gleichem in den Fällen und (daraus folgend) in den Dogmen verstanden werden soll. Damit diese Ähnlichkeit der Regeln gewährleistet ist, muss man versuchen, die Regeln, die 18
E. v. Savigny, Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, S. 104. Jähnke, in: Leipziger Kommentar, § 212, Rn. 3. 20 Was man unter einer zurechenbaren Verursachung eines Todeserfolgs zu verstehen hat, muss natürlich mit Hilfe weiterer Regeln dieser Art in Hinblick auf den konkreten Fall noch genauer gesagt werden (z. B. dass eine zurechenbare Verursachung immer dann ausgeschlossen ist, wenn der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz eingreift, vgl.: BGHSt 32, 262, 264 f., Urt. v. 14. Feb. 1984, – 1 StR 808/83 –; Wessels/Beulke AT, Rn. 185). 21 Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 45, insbes. Fn. 32. 22 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 13, 23. 23 E. v. Savigny, Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, S. 104.; auf den allgemeinen Gleichheitssatz zur Begründung des Existenz solcher Regeln stellt auch Kantorowicz (Der Begriff des Rechts, S. 47) ab. 24 Heun, in: Dreier, Art 3, Rn. 17. 19
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für eine begrenzte Fallgruppe gelten, aus übergeordneten und von daher allgemeineren Regeln, die für eine größere Fallgruppe oder für ein gesamtes Rechtsgebiet (oder sogar für das Recht an sich?) gelten, abzuleiten. So wird in der berühmten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Verbotsirrtum, in der der große Senat sich zur Schuldtheorie bekennt,25 das Dogma: „Der vermeidbare Verbotsirrtum schließt die Schuld nicht aus“26 aus dem Dogma „Schuld ist Vorwerfbarkeit“27 abgeleitet. Aus einem Lehrsatz, der für ein gesamtes Rechtsgebiet gilt, nämlich für das Strafrecht (was nichts anderes ist als die Summe aller Fälle, in denen Strafrecht anwendbar ist), wird eine Regel abgeleitet, die nur für bestimmte Fallkonstellationen gilt, nämlich für die des (vermeidbaren) Verbotsirrtums. Die gesamte Dogmatik stellt sich insofern also ähnlich dar wie ein physikalisches Kraftfeld: Im Kraftfeld stellen sich, je nach den Eigenarten eines gewissen Punktes (seiner räumlichen Lage), die hier geltenden Gegebenheiten als Ableitungen aus allgemeineren Gegebenheiten (einer allgemeinen Beschreibung der Form und der Feldstärke des Kraftfeldes) dar. Im Recht stellen sich, je nach den Eigenarten der einzelnen Fallgruppen, die hier geltenden Dogmen („Der vermeidbare Verbotsirrtum schließt die Schuld nicht aus“) als Ableitungen aus allgemeineren Dogmen dar („Schuld ist Vorwerfbarkeit“). Je nach Art der Fallgruppe wird also der eine Aspekt eines allgemeineren Dogmas stärker betont als der andere. c) Überlegungen zur Vorgehensweise bei der Entwicklung einer Definition Als zweckmäßig bietet sich zur Definition folgendes Vorgehen an: Wie schon oben in der Einleitung gezeigt, stellt sich das Problem, das hier im Mittelpunkt stehen soll, bei gewissen Tatbeständen, zu denen auf jeden Fall die §§ 185, 166 Abs. 1, 130 Abs. 1 StGB gehören. Bei diesen Tatbeständen wurde die Notwendigkeit einer „Auslegung“ zuerst erkannt, da bei diesen Delikten das strafbare Verhalten auf jeden Fall aus einer Äußerung besteht, wie sie hier definiert werden soll. D. h. hier hat man es sicher mit dem Verhalten, zu dessen rechtlicher Bewertung die hier behandelte Auslegung erforderlich ist, zu tun. Nun geht es um die genaue Bestimmung der Grenzen dieser Art von tatbestandsmäßigem Verhalten, das auch bei anderen Delikten vorkommt, um über dieses tatbestandsmäßige Verhalten allgemeine Aussagen zu machen. Eine solche Abgrenzung gelingt indes kaum, wenn man lediglich eine Reihe von Delikten betrachtet und versucht, Gemeinsam25 26 27
BGHSt 2, 194–212, Beschl. v. 18. März 1952, – GSSt 2/51 –. BGHSt 2, 194, 201. BGHSt 2, 194, 200.
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2. Teil: Das Risiko
keiten zu entdecken. Häufig sieht man dann nämlich „den Wald vor lauter Bäumen nicht“. Man läuft Gefahr, gewisse Phänomene nicht zu entdecken, weil der Kontrast zu denjenigen Delikten fehlt, die diese Gemeinsamkeiten nicht aufweisen. Deshalb muss man sich darauf besinnen, dass es bei einer Definition immer um eine Abgrenzung, eine Grenzziehung zwischen dem zu definierenden und dem anderen, das nicht hierzu gehört, geht. Eine solche Grenzziehung nimmt man daher am besten so vor, dass das hier interessierende Verhalten von anderem Verhalten, das bereits jenseits der Grenze liegt, mithin bereits keine Äußerung mehr darstellt, absondert. Dass ein bestimmtes Phänomen gegeben ist, bemerkt man am ehesten, wenn man den Blick auf die Fälle lenkt, in denen es (schon) abwesend ist. 4. Ergebnis Damit ist das Programm umrissen: Die Definition der Äußerung hat den Zweck, Phänomene unter einem Begriff zusammenzufassen, für die es sich lohnt, allgemeine Lehrsätze spezieller zu formulieren. Die folgende Definition muss also in der Lage sein, die Menge der Fälle zu umreißen, in denen gewisse Regeln gelten, die zwar aus allgemeineren Grundsätzen abgeleitet sind, aber alle auf eine bestimmte Weise hinreichend stark modifiziert sind. Ob sich die Definition insofern als „nützlich“ erweist,28 wird zu überprüfen sein. Dazu wird zunächst im folgenden 8. Abschnitt gezeigt werden, dass sich die Definition der Äußerung als Basis einer Systematisierung der im StGB vorhandenen Straftatbestände eignet. Indem bei Straftatbeständen, bei denen umstritten ist, ob durch sie Äußerungsdelikte geschaffen werden, dazu Stellung genommen wird, weshalb der Gesetzgeber teilweise nur eine Erfolgsherbeiführung durch Äußerung unter Strafe stellt, wird die Definition damit auch materiell weiter unterfüttert. II. Vermittlung eines Gedankeninhalts (Abgrenzung der Äußerung von der Tatsachenmanipulation) In der Literatur, soweit sie sich mit solchen allgemeinen Fragestellungen befasst, wird eine Äußerung definiert als „kommunikative Vermittlung eines Gedankeninhalts“29 oder „Abgabe von (ehrenrührigen) Informationen“30 bzw. als „objektivierter Beginn einer Kommunikation“31. Es scheint also so 28
Vgl.: Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 25. Welp, JuS 1967, S. 508, 510 im Rahmen von Ausführungen zu § 164 Abs. 1 StGB. 30 Küpper, JA 1985, S. 453, 456. 31 Zcazyk, in: Nomos Kommentar, vor § 185, Rn. 18. 29
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zu sein, dass eine Äußerung ein Teil eines Kommunikationsprozesses ist. Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass Informationen durch Zeichen aller Art zur Verständigung übermittelt werden.32 An die Verwendung von Zeichen wird also nur insoweit angeknüpft, als sie für etwas stehen, als mit ihnen ein Informationsgehalt vermittelt wird. Exakter ausgedrückt: Man kann wohl kaum von einer Zeichenverwendung sprechen, wenn es nicht etwas gibt, was hinter der Handlung steht, die eine Zeichenverwendung darstellen soll. Es geht bei einer Äußerung also nicht nur um eine bloße Handlung, sondern um eine Handlung, die in der konkreten Kommunikationsbeziehung für etwas steht. Es muss nun dargestellt werden, für was die vorgenommene Handlung stehen muss, damit die Handlung als Äußerung, wie sie hier verstanden werden soll, angesehen werden kann. Für das hier in Rede stehende Merkmal der Äußerung (für was muss das verwendete Zeichen stehen?) bietet sich eine Betrachtung des Verhaltens an, durch das eine falsche Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB), ein Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) oder die Anstiftung zu einer Straftat (§§ X, 26 StGB begangen werden können. Am klarsten stellt sich die Lage bei der falschen Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) dar: 1. Darstellung der Problematik anhand des § 164 Abs. 1 StGB Hier ist umstritten, ob als Tathandlung eine Äußerung zu fordern ist33 oder ob nicht prinzipiell jegliches Verhalten den Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB erfüllen kann34. Dieses Delikt steht insofern im „Grenzbereich“ zwischen den Äußerungsdelikten und den nicht-verhaltensgebundenen Delikten, als es – je nach Auslegung – einmal diesseits der Grenze und ein anderes Mal jenseits der Grenze lokalisiert wird. Dieser Streit betrifft genau unsere Frage, welches Merkmal (über den Zeichengebrauch, der in der konkreten Kommunikationsbeziehung für etwas steht, hinaus) für eine Äußerung weiterhin gegeben sein muss. Weist ein in Rede stehendes Verhalten dieses Merkmal nicht auf, dann kann das Verhalten nur nach der einen Ansicht einen Anknüpfungspunkt für eine Bestrafung nach § 164 Abs. 1 StGB bilden. 32
Brockhaus Lexikon, Stichwort: Kommunikation. Langer, FS f. Lackner, S. 541, 548; Geerds, JURA 1985, S. 617, 618, insbes. Fn. 12); Vormbaum, in: Nomos Kommentar, § 164, Rn. 20 f.; nunmehr wohl auch Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 694. 34 So die h. M., zurückgehend auf Blei, GA 1957, S. 139, 145 f.; BGHSt 9, 240, 242, Urt. v. 3. Mai 1956, – 3 StR 77/56 – (Fangbrief); Deutscher, Straftatverdächtigung, S. 149; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 164, Rn. 8; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 164 Rn. 5; Tröndle/Fischer, § 164, Rn. 4; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 164, Rn. 7. 33
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a) Der durch § 164 Abs. 1 StGB bewirkte Rechtsgüterschutz als mittelbarer Rechtsgüterschutz im Allgemeinen Doch es wurde vorgegriffen: Zunächst muss dargestellt werden, dass es bei den möglichen Tathandlungen des § 164 Abs. 1 StGB überhaupt um einen Zeichengebrauch geht, der in der konkreten Kommunikationsbeziehung für etwas steht. Erst danach kann die uns interessierende Frage geklärt werden, für was das Zeichen stehen muss, wie man also das Vermittelte genauer beschreiben muss. § 164 Abs. 1 StGB schützt entweder die inländische staatliche Rechtspflege (Rechtspflegetheorie)35 oder den einzelnen falsch Verdächtigten gegen (mögliche) unbegründete Zwangsmaßnahmen der Staatsgewalt (Individualgutstheorie)36 oder ein Rechtsgut, das aus dieses Rechtsgütern zusammengesetzt ist.37 Für unsere Betrachtungen ist dieser Streit irrelevant. b) Der durch § 164 Abs. 1 StGB bewirkte Rechtsgüterschutz durch Verhinderung der Vermittlung (falscher) Information Der objektive Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB ist immer dann erfüllt, wenn der Täter „falsch verdächtigt“ hat. Das setzt voraus, dass der Täter einen Verdacht auf einen anderen lenkt oder einen schon bestehenden Verdacht verstärkt.38 Die Tathandlung muss geeignet sein, beim Amtsträger etc. einen für ein behördliches Einschreiten erforderlichen Verdachtsgrad (vgl. für ein Strafverfahren: § 152 Abs. 2 StPO) zu begründen.39 Eine Behörde – z. B. die Staatsanwaltschaft – schreitet immer dann ein, wenn sie „Kenntnis erhält“ (§ 160 Abs. 1 StPO), sprich: wenn ihr Informationen zugehen, die sie vorher nicht hatte. Es geht also bei der Tathandlung des § 164 Abs. 1 StGB um (mögliche) Informationsvermittlung. Haben wir nun festgestellt, dass es bei der Tathandlung des § 164 Abs. 1 StGB um Informationsvermittlung geht, dann kann nunmehr die Frage gestellt werden, ob § 164 Abs. 1 StGB an die Art der vermittelten Informa35 Langer, Falsche Verdächtigung, S. 64; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 164, Rn. 1. 36 Vormbaum, in: Nomos Kommentar, § 164, Rn. 10; Hirsch, Hans-Joachim, in: GS f. Schröder, S. 307, 328. 37 BGHSt 5, 66, 68, Urt. v. 29. September 1953, – 1 StR 365/63 –; BGHSt 9, 240, 242 (Fangbrief); Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 688; Lenckner, in: Schönke/ Schröder, § 164, Rn. 2; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 164 Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 164, Rn. 2. 38 Vormbaum, in: Nomos Kommentar, § 164, Rn. 12; Lenckner, in: Schönke/ Schröder § 164, Rn. 5. 39 Lenckner, in: Schönke/Schröder § 164, Rn. 5.
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tion noch weitere Anforderungen stellt. Grundsätzlich gibt es für den jeweiligen Amtswalter der Behörde – wie für jeden Menschen – nur zwei Arten, Informationen über die Welt zu erlangen: Die erste Möglichkeit ist, dass der Mensch Sinneswahrnehmungen macht, er erblickt also etwa Fußspuren am Tatort oder findet einen Ausweis dort, und aus diesen Wahrnehmungen unmittelbar Informationen ableitet. So kann man z. B. aus den Fußspuren ableiten, dass jemand mit Schuhgröße X am Tatort anwesend war, oder aus dem Fund des Ausweises ableiten, dass der Inhaber des Ausweises ihn dort verloren hat. Das Wesentliche an dieser Art von Informationsgewinnung ist, dass aus den Sinneswahrnehmungen in der Anwendung von Naturgesetzen, Gesetzen der Logik und Wahrscheinlichkeitssätzen ohne Zwischenschritte die Information gewonnen wird. Die Zeichen (Fußspur, Ausweis am Tatort) – man sollte hier besser in Anlehnung an den sprachphilosophischen Sprachgebrauch von natürlichen Zeichen40 sprechen – werden interpretiert und dienen so unmittelbar und direkt der Informationsgewinnung. Dieser Informationsgewinnungsprozess kann gestört werden, sodass keine zutreffenden Informationen erzeugt werden: Etwa kann der Ausweis vom wahren Täter, der ihn zuvor gestohlen hatte, am Tatort verloren worden sein. Dann wird der Schluss darauf, dass der Inhaber des Ausweises am Tatort war, falsch. Der Informationsgewinnungsprozess kann aber auch dadurch gestört werden, dass die zu interpretierende Tatsachengrundlage manipuliert wird, der Ausweis vom wahren Täter am Tatort zurückgelassen wird, um den Verdacht auf den Ausweisinhaber zu lenken. Eben das ist die Konstellation der so genannten isolierten Beweismittelfiktion, von der umstritten ist, ob auch durch sie ein anderer im Sinne des § 164 Abs. 1 StGB „verdächtigt“ werden kann. 2. Der vermittelte Informationsgehalt als Gedankeninhalt Damit kommen wir zur zweiten Möglichkeit, Informationen über die Welt zu erlangen:41 Man macht Sinneswahrnehmungen, z. B. hört man den A sagen: „Ich habe B am Tatort gesehen“ und schließt daraus im ersten Schritt, dass A der Auffassung ist, den B am Tatort gesehen zu haben. Daraus schließt man dann in einem zweiten Schritt, dass B tatsächlich am Tatort war. Die Informationsgewinnung geschieht hier indirekt: Zuerst werden die (sprachlichen) Zeichen (A spricht etwas aus) interpretiert, und sie lassen 40
Gegensatz: Konventionalzeichen, vgl. Keller, Sprachphilosophie, S. 34. Samson (Urkunde und Beweiszeichen, S. 33) unterscheidet zwischen Zeichen und Anzeichen. 41 Praktisch ist diese Möglichkeit die weitaus häufigere, worauf Langer im Rahmen von Ausführungen zu § 164 Abs. 1 StGB hinweist (FS f. Lackner, S. 541, 547, insbes. Fn. 25).
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den Schluss darauf zu, dass A der Auffassung ist, den B am Tatort gesehen zu haben. Dann wird weiter daraus geschlossen, dass B tatsächlich am Tatort war. Allgemein lässt sich sagen, dass hier Zeichen den Schluss auf das Gegebensein eines psychischen Zustands beim Gegenüber zulassen (A hat den B am Tatort gesehen) und aus dem Gegebensein dieses psychischen Zustands Informationen über die Welt (B war am Tatort) abgeleitet werden. Der psychische Zustand kann genauer beschrieben werden als Tatsache, dass jemand einmal einen gewissen Gedanken gehabt hat, sein Bewusstsein einmal einen bestimmten Zustand aufwies, kurz: ein Gedankeninhalt bei einem anderen einmal gegeben war. Diese Art der Informationsgewinnung ist also eine mittelbare: Zuerst müssen Zeichen, die einen Rückschluss auf fremde Gedanken zulassen, interpretiert werden und dann muss von den so erklärten Gedanken eines anderen der Rückschluss auf die Wirklichkeit gezogen werden. In der Diskussion, ob § 164 Abs. 1 StGB ein Äußerungsdelikt darstellt, wird nun teilweise behauptet, nur die oben beschriebene Konstellation unterfalle § 164 Abs. 1 StGB, die falsche Verdächtigung setze also eine Äußerung voraus.42 Ob das zutrifft, soll hier offen bleiben; klar ist aber, worauf es für das Vorliegen einer Äußerung ankommt: Die Zeichen, die gebraucht werden, müssen für einen Gedankeninhalt stehen.43 Werden nämlich natürliche Zeichen interpretiert, die (ohne Umweg über den Gedankeninhalt eines anderen) unmittelbar den Schluss auf einen Zustand der Welt zulassen, so liegt in dem Verhalten der Setzung dieser Zeichen keine Äußerung. Ein solches Verhalten kann nur nach der herrschenden Meinung, nicht aber nach der Gegenauffassung Anknüpfungspunkt für den Vorwurf einer falschen Verdächtigung sein. Damit lässt sich unsere bisherige (unvollkommene) Definition für die Äußerung um ein weiteres Merkmal ergänzen: Eine Äußerung ist ein Gebrauch von Zeichen, die in der konkreten Kommunikationssituation für einen Gedankeninhalt stehen. 3. Exkurs: Die Verknüpfung von Zeichen und Gedankeninhalt durch die Verkehrsanschauung – am Beispiel des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) Anknüpfend an das oben Gesagte kann noch ein Ausblick erfolgen, der uns Hinweise darauf gibt, wie es durch die Zeichen bewirkt wird, dass ein Gedankeninhalt vermittelt wird, welche Regeln es mithin bewirken, dass man Zeichen als Zeichen für einen Gedankeninhalt des Äußernden auffasst, wie letztlich also Zeichen und Inhalt (um dessen Ermittlung es uns ja geht) 42
Vgl. die oben in Fn. 33 genannten Autoren. Im Ergebnis ebenso Fuhr (Äußerung S. 34, 141), der für die Äußerung darauf abstellt, ob ein Informationsgehalt durch ein Subjekt, worunter er einen Menschen versteht, vermittelt wurde. 43
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miteinander verknüpft sind. Hier bietet sich eine Betrachtung des Problems der Tatsachenmanipulation bei § 263 Abs. 1 StGB an. Auch beim Betrug ist umstritten, ob als Tathandlung nur eine Äußerung in Betracht kommt – er also insoweit verhaltensgebundenes Delikt ist – oder ob auch ein Verhalten als Anknüpfungspunkt in Betracht kommt, das keine Äußerung darstellt. a) Abschichtung der Ansicht, die keine Einwirkung auf das Vorstellungsbild verlangt Doch dieses Problem wird durch ein anderes Problem überlagert, das es zunächst zu umreißen und abzuschichten gilt: Wenn man nämlich für den Betrug keine Äußerung als Tathandlung verlangt, so ist damit noch nicht gesagt, dass man den Betrug nicht als verhaltensgebundenes Delikt ansieht. Nur teilweise wird nämlich die Ansicht vertreten, dass unter einer Täuschung jegliches Verhalten, das zu einem Irrtum führe, zu verstehen sei.44 Nur nach dieser Ansicht fiele auch ein Verhalten unter den Begriff der Täuschung, das den Gegenstand einer Vorstellung manipuliert und dadurch die Vorstellung unrichtig macht, indem es das Objekt, auf das der Gedankeninhalt sich bezieht, verändert. Im Folgenden soll diese Ansicht aus der Betrachtung ausgeschlossen werden. Nur von einem Verhalten, das auf das Vorstellungsbild einwirkt, soll jetzt die Rede sein. b) Die Einwirkung auf das Vorstellungsbild als „Äußerung“? Hier ist umstritten, ob diese Einwirkung auf das Vorstellungsbild durch Äußerung45 erfolgen muss,46 oder ob diese Einwirkung auch durch Tatsachenmanipulation erfolgen kann.47 Die Problematik ist insofern beim Betrug genau dieselbe wie bei der falschen Verdächtigung. Fordert man für 44
Arzt/Weber BT LH 3, Rn. 470; bei § 164 Abs. 1 stellt sich dieses Problem nicht, da hier die Tathandlung notwendig in einer Informationsvermittlung bestehen muss, da ein Verfahren nur in Gang gesetzt werden kann, wenn die Behörde Informationen erlangt, die sie vorher noch nicht hatte, die also „neu“ für sie sind. 45 Im Schrifttum zum Betrug erfolgt die Begriffsbildung überwiegend abweichend von den sonst gebräuchlichen Begriffen. Beim Betrug spricht man üblicherweise davon, ob eine Erklärung für das Vorliegen einer Täuschung zu fordern sei. Damit ist jedoch nichts anderes gemeint, vgl.: Cramer, in: Schönke/Schröder, § 263, Rn. 12, wo die Begriffe synonym verwendet werden. 46 Herzberg, Unterlassung, S. 72; Tönnies, Schlüssiges Verhalten, S. 22 und 61; Jakobs AT 29/80; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 263, Rn. 12; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, § 263, Rn. 4 und Vor § 263, Rn. 3. 47 Krey BT/2, Rn. 338; Lackner, in: Leipziger Kommentar10, § 263 Rn. 19; Samson, in: Systematischer Kommentar, § 263, Rn. 23; Schönke/Schröder17, § 263, Rn. 11.
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die Täuschung eine Äußerung48, dann müsste das Verhalten, der Zeichengebrauch, für einen Gedankeninhalt stehen und dürfte nicht nur ein – quasi gefälschtes – natürliches Zeichen für Gegebenheiten in der Wirklichkeit sein. Erstaunlicherweise wurde der Streit, ob die Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens in § 263 Abs. 1 StGB dahin auszulegen sei, dass mit ihr eine Äußerung beschrieben werde, kaum jemals praktisch, und es ist sogar schwierig, sich einen Fall auszudenken, in dem der Streit eine Rolle spielt.49 Als Beispiel für diese Schwierigkeit kann folgender häufig benutzter Fall dienen: Autohändler A dreht an einem Fahrzeug den Tachometer zurück und stellt das Auto dann zum Verkauf auf seinem Hof auf. Darin liegt auf jeden Fall und zunächst einmal nur eine Tatsachenmanipulation, aufgrund welcher der Käufer davon ausgeht, dass der Wagen tatsächlich eine geringere Laufleistung habe (sich also irrt). Nun kann man aber in diesem Fall auch sagen, durch das Aufstellen des PKW zum Verkauf erkläre der Verkäufer konkludent, dass der Tachometerstand zutreffe. Er gebe so zu erkennen, dass er keine Kenntnis davon habe, dass an dem Tacho manipuliert worden sei. Er erkläre mit dem Zeichen: „Aufstellen eines PKW auf dem Verkaufshof“ seine Gedanken und äußere sich. In nahezu allen Fällen der Tatsachenmanipulation liegt es beim Betrug so, dass man gleichzeitig annehmen kann, es werde geäußert, es habe keine Tatsachenmanipulation stattgefunden.50 Woran liegt es nun, dass beim Betrug nur sehr schwer ein Fall einer Tatsachenmanipulation denkbar ist, in dem nicht gleichzeitig noch eine (dann vielsagend konkludent genannte) Äußerung erkannt werden kann? Ohne hier genauer auf die Problematik eingehen zu können, wie Handlungen (also mögliche Konventionalzeichen) mit einer Bedeutung verknüpft sind, kann man doch – ohne wesentlich vorzugreifen – feststellen, dass das etwas mit der häufig bemühten Verkehrsanschauung zu tun hat.51 Der Betrug ist ein Vermögensdelikt52 und im Bereich des Umgangs mit vermögenswerten Gütern besteht ein im Einzelnen sehr differenziert ausgestaltetes System von allgemein bekannten Regeln, nach denen sich bestimmt, durch welches Verhalten man sich inhaltlich wozu rechtlich verpflichtet.53 Die Regeln der Verkehrsanschauung haben sich hier im Bereich der Hand48 Wie Kern es im Jahre 1919 noch ganz selbstverständlich getan hat! (Äußerungsdelikte, S. 11). 49 Krack, List, S. 52. 50 Krack, List, S. 52; vgl. auch Grasnick, GS f. Schlüchter, S. 803, 819 zu einem Fall der nicht mitgeteilten Preisabsprache im Rahmen einer freihändigen Auftragsvergabe. 51 Grasnick, GS f. Schlüchter, S. 803, 819. 52 Lackner/Kühl, § 263, Rn. 2. 53 Man denke nur an die im Handelsrecht insoweit noch stärker ausdifferenzierten Regeln über die Bedeutung von Handlungen, die kaufmännischen Usancen nach § 346 HGB, vgl.: Limbach, FS f. Hirsch, S. 77 ff.
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lungen, die das Vermögen betreffen, erheblich genauer ausdifferenziert als in den meisten anderen Bereichen, in denen es um nicht-vermögenswerte Dinge geht. Das dürfte auf der schon immer gegebenen Lebensnotwendigkeit der Güterbeschaffung beruhen, die erheblich effektiver wird, wenn genauer bestimmt wird, welches Verhalten welche Vermögensveränderungen nach sich zieht. Deshalb gibt es hier für fast jedes Verhalten – und somit auch für das Aufstellen einer Kaufsache – eine Verkehrsanschauung, die mit dem Verhalten einen Sinn verknüpft und es somit zu einem (Konventional-) Zeichen macht. Damit sei der Ausblick abgeschlossen. III. Gedankeninhalt des Täters (Abgrenzung der Äußerung eines Gedankeninhalts von der Verbreitung eines Gedankeninhalts) Wurde oben herausgearbeitet, dass es für eine Äußerung wesentlich sein soll, dass ein Gedankeninhalt vermittelt wird, so ist weiter zu fragen, ob der Gedankeninhalt noch spezieller beschrieben werden muss. Es könnte relevant sein, wessen Gedankeninhalt für das Vorliegen einer Äußerung vermittelt werden muss. Die Vermittlung von Gedankeninhalten kann auf unterschiedliche Weise Anknüpfungspunkt eines strafrechtlichen Vorwurfs sein.54 Bezüglich der Herkunft des Gedankeninhalts gilt es zwei Fälle zu unterscheiden:55 1. Die Verbreitungstatbestände als Kriminalisierungen im Vorfeld von Äußerungen Es gibt Tatbestände, die die Verbreitung von gewissen Gedankenerklärungen als strafbares Verhalten beschreiben. Im Strafgesetzbuch sind das die §§ 86 Abs. 1 Nr. 1–4, 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a), 130 a Abs. 1, 130 a Abs. 2 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1, 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB. Unter einem Verbreiten versteht man hier das Zugänglich-Machen einer (inhaltlich jeweils genauer beschriebenen) Schrift an einen größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis.56 Eine Schrift ist eine spezielle Art einer verkörperten Gedankenerklärung.57 Teilweise wird dieses Zugänglich-Machen der Schrift, 54 Grünwald, in: Vom Nutzen und Nachteil, S. 489, 492; Franke, GA 1984, S. 452, 462. 55 So schon Kern (Äußerungsdelikte, S. 37). 56 BGHSt 13, 257, 258, Urt. v. 6. Oktober 1959, – 5 StR 384/59 –; BayObLG JZ 2002, S. 410, 411, Urt. v. 6. November 2001, – 5 St RR 288/01 –; Harms, NStZ 2003, S. 646, 647; Lackner/Kühl, § 74 d, Rn. 5. 57 BGHSt 13, 375, 376, Urt. v. 22. Dezember 1959, – 3 StR 52/59 –; Eser, in: Schönke/Schröder, § 11, Rn. 78.
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also der verkörperten Gedankenerklärung, im Gesetz auch genauer beschrieben, so in § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB als „überlassen“ oder explizit als „zugänglich machen“.58 Möchte man die Struktur dieser Tatbestände erkennen und nähert man sich den Tatbeständen unbefangen einmal ohne einen Blick in die Literatur, so ist zunächst auffällig, dass sie zur Tatbestandserfüllung alle ein Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) voraussetzen. Der Grund dafür ist, dass es für diese Tatbestände als notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung erforderlich ist, den Gedankeninhalt – verkörpert in der Schrift – dem Personenkreis zugänglich zu machen, d. h. es ausreicht, dass der Gedankeninhalt erfolgreich an den Personenkreis herangetragen wird. Keine Bedingung ist die Kenntnis des Täters vom konkreten Gedankeninhalt, es reicht z. B. aus, dass der Täter die Schrift in einem verschlossenen Umschlag, den er selbst nicht geöffnet hat, an die Personen übergibt. Damit wird deutlich, weshalb im Gesetz nur an das Verbreiten von verkörperten Gedankenerklärungen (hier: Schriften) angeknüpft wird. Nicht verkörperte Gedankenerklärungen59 kann man praktisch nicht übermitteln (etwa durch gesprochene Sprache oder Gebärden), ohne sie in das Bewusstsein aufzunehmen, während man eine verkörperte Gedankenerklärung einfach nur in ihrer Verkörperung weiterzugeben braucht, ohne sie gelesen und verstanden haben zu müssen.60 Damit ist bei diesen Delikten, die im Folgenden im Anschluss an Grünwald 61 „Verbreitungsdelikte“ genannt werden sollen, nicht erforderlich, dass der Täter durch die Tathandlung zu erkennen gibt, dass der Gedankeninhalt von ihm stammt. Er muss sich, um diese Delikte zu begehen, nicht mit dem Gedankeninhalt identifizieren62 bzw. sich zu dem Gedankeninhalt bekennen.63 Damit stellt sich die Struktur 58 Hier reicht allerdings auch das zugänglich machen an eine Person (Lenckner/ Perron, in: Schönke/Schröder, § 184, Rn. 9); für die Struktur des Verbreitens, um die es hier gehen soll, ist das aber irrelevant. 59 Als verkörperte Gedankenerklärung wird hier auch eine solche angesehen, die nicht in einer Sache verkörpert ist sondern z. B. als Daten in einer Datei. Bezüglich dieser auf einem Datenspeicher (§ 11 Abs. 3 StGB) gespeicherten Schriften gilt auch ein anderer Verbreitungsbegriff, der auf eine körperliche Weitergabe verzichtet (vgl.: BGHSt 47, 55 ff.; Harms, NStZ 2003, S. 646, 647). 60 Eine Ausnahme für das Verbreiten (im gerade zu erörternden Sinne) einer nicht verkörperten Gedankenerklärung stellt vielleicht das Nachsprechen von Wörtern in einer fremden Sprache, die man nicht versteht, dar; ein nahezu absurdes Beispiel, das kaum jemals praktisch relevant werden dürfte. 61 Grünwald, in: Vom Nutzen und Nachteil, S. 489, 491; Bemmann, Meinungsfreiheit, S. 14; Franke (GA 1984, S. 452, 462) ordnet auch die Verbreitungsdelikte als Äußerungsdelikte ein; die Delikte, die hier als Äußerungsdelikte verstanden werden, nennt Franke „höchstpersönliche Äußerungsdelikte“. Diese Begriffsverwendung findet sich auch bei Geilen (NJW 1976, S. 279, 281). 62 Grünwald, in: Vom Nutzen und Nachteil, S. 489, 491. 63 Franke, GA 1984, S. 452, 462.
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dieser Tatbestände folgendermaßen dar: Es soll auch mit diesen Tatbeständen – wie mit den Äußerungstatbeständen – unerwünschte Kommunikation unterbunden werden. Doch geschieht das hier nicht unmittelbar durch das Verbot des konkreten Kommunikationsakts: Vielmehr setzen diese Tatbestände schon im Vorfeld an; der Umgang mit der verkörperten Gedankenerklärung (der Schrift), der auf Weiterverbreitung des Gedankeninhalts hin angelegt ist, soll durch das Verbot des Verbreitens unterbunden werden.64 Daher ist auch verständlich, weshalb in den entsprechenden Strafvorschriften immer auch gleichzeitig ähnliche Vorfeldhandlungen, z. B. das „Herstellen“ verboten werden, §§ 86 Abs. 1 Nr. 1–4, 130 Abs. 1 Nr. 1 lit. b)–d), 130 a Abs. 2 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 2–4, 184 Abs. 3 Nr. 2–3 StGB. 2. Der Zusammenhang zwischen „Äußern“ und „Verbreiten“ Mit der Abgrenzung dieser „Verbreitungsdelikte“ von den „Äußerungsdelikten“ ist also für den Begriff der Äußerung Folgendes festgestellt: Eine Äußerung liegt immer dann vor, wenn ihr Informationsgehalt einen Gedankeninhalt des Täters darstellt.65 Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Verbreitungsdelikte nicht auch durch eine Äußerung erfüllt werden können. Ganz im Gegenteil wird es sogar häufig sogar so liegen, dass derjenige, der z. B. gewaltverherrlichende Schriften verbreitet (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB), sich durch das Verbreiten gleichzeitig zum Inhalt bekennt, der Inhalt somit seine Gedanken wiedergibt und er sich somit auch äußert und dann z. B. den Straftatbestand des Äußerungsdelikts der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) erfüllt.66 Eine Strafbarkeit nach dem Verbreitungstatbestand setzt das aber nicht voraus und ein Verbreitungsdelikt begeht auch der Täter, der z. B. erkennbar nur aus Profitgier die Schriften verbreitet, sich ihren Inhalt ganz offensichtlich nicht zu eigen macht bzw. den konkreten Inhalt gar nicht kennt; der Internationalist also z. B. zum Zwecke der Bereicherung oder sogar der Aufklärung (vgl. § 131 Abs. 3 StGB) zum Rassenhass aufstachelnde Schriften verkauft (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Es muss noch die Frage beantwortet werden, weshalb das bloße Zugänglich-Machen von Gedankeninhalten nicht Äußerung im hier zu behandelnden Sinn sein soll, weshalb vielmehr für eine Äußerung verlangt werden soll, dass ein Gedankeninhalt des Täters vermittelt wird. Auch bei den Verbreitungsdelikten ist festzustellen, ob die Schrift, die zugänglich gemacht wird, die geforderten Eigenschaften aufweist, sprich: gewaltverherrlichend (§ 131 Abs. 1 StGB), pornografisch (§ 184 Abs. 1 StGB) etc. ist. Auch das 64 65 66
Franke, GA 1984, S. 452, 463. Fuhr, Äußerung, S. 34, 141. Franke, GA 1984, S. 452, 462.
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ist durch Auslegung zu ermitteln. Doch hier darf diese Eigenschaft nur durch Rückgriff auf die Schrift ermittelt werden. Umstände, die außerhalb der Schrift liegen, dürfen zur Ermittlung ihres Sinns nicht heran gezogen werden.67 Daher findet hier eine Auslegung statt, für die andere Regeln gelten als für die Auslegung einer Äußerung. Außerdem wird bei den Äußerungsdelikten die Tathandlung selbst, die Äußerung, ausgelegt. Bei den Verbreitungstatbeständen besteht die Tathandlung aus dem „Verbreiten“, das keiner Auslegung zugänglich ist, hier wird nur das Tatmittel ausgelegt. Würden wir hier noch darauf eingehen, wie hier das Tatmittel auszulegen ist, so würde dies das Thema der Auslegung von Verhalten, an das ein strafrechtlicher Vorwurf geknüpft werden soll, sprengen. 3. Die Beziehung zwischen dem Gedankeninhalt der Äußerung und der Täterpsyche Als letztes muss hier noch eine Klarstellung dazu erfolgen, wie der Gedankeninhalt der Äußerung sich als Gedankeninhalt des Täters darstellen muss. Hier ist in der Literatur die Rede davon, dass der Täter sich zu dem Gedankeninhalt bekennen68 oder sich mit ihm identifizieren muss.69 Doch das ist ungenau. Die Problematik wird relevant bei den §§ 186, 187 StGB. Das Wort „Verbreiten“ findet sich auch im Wortlaut dieser Vorschriften. Hiermit ist aber kein Verbreiten im Sinne der oben definierten Verbreitungsdelikte gemeint.70 Bei den §§ 186, 187 StGB wird das „Verbreiten“ nahezu einhellig definiert als Weitergeben einer fremden Äußerung,71, 72 wobei al67
Das Gegenteil wird wohl kaum noch vertreten (vgl.: Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 184, Rn. 4). Diese Meinung wird vor dem Hintergrund des Wortsinns der einschlägigen Tatbestände wohl auch das einzige Ergebnis sein, das vor Art 103 Abs. 2 GG Bestand haben kann. Eine Schrift bekommt eine Eigenschaft nicht, weil äußere Umstände hinzutreten. 68 Franke, GA 1984, S. 452, 462. 69 Grünwald, in: Vom Nutzen und Nachteil, S. 489, 491. 70 So bereits Kern (Äußerungsdelikte S. 37); Fuhr, Äußerung, S. 141. 71 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 185, Rn. 11; Lenckner, in: Schönke/ Schröder, § 185, Rn. 8; Regge, in: Münchener Kommentar StGB, § 186, Rn. 17. 72 Anders nur Streng (GA 1985, S. 214, 230) und im Anschluss Gössel (BT/1, § 31, Rn. 14 f.), die unter Verbreiten von Tatsachen auch die Manipulation von Tatsachen fassen wollen. Beispiel: Nach dieser Auffassung liegt auch im Schaffen einer Leiche in den Keller des Opfers eine Verleumdung (§ 187 StGB), da aus diesem Umstand Dritte den Schluss ziehen, dass das Opfer ein Tötungsverbrechen begangen habe. Das ist unrichtig, weil man den Bereich des Strafbaren dann viel zu weit zieht – abgesehen von systematischen Erwägungen. Jede Handlung, die den Schluss darauf zuließe, dass jemand anderes sich ehrenrührig verhalten habe, wäre bereits dann nach § 186 StGB strafbar, wenn der Handelnde mit der Möglichkeit rechnet, dass Dritte hieraus tatsächlich den Schluss auf ehrenrühriges Verhalten des anderen ziehen.
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lerdings nicht bloß gefordert wird, dass der Täter eine (verkörperte) Gedankenerklärung anderen zugänglich macht, sondern selbst den ehrenrührigen Gedankeninhalt so mitteilen muss, dass deutlich wird, dass er (zumindest) wisse, dass jemand die ehrenrührige Tatsache geäußert habe. Damit reicht für eine Verbreitung auch die Weitergabe eines als „grundlos“ bezeichneten Gerüchts aus.73 Hingegen ist das Weitergeben des erkennbar ungeöffneten Briefes (z. B. als Bote), in dem jemand über einen anderen eine ehrenrührige Tatsache behauptet, demnach keine Verbreitung im Sinne der §§ 186, 187 StGB und erfüllt den objektiven Tatbestand dieser Tatbestände somit nicht.74 Weitergeben heißt hier also, dass der Täter durch die Tathandlung nur erkennbar machen muss, er wisse, dass ein Dritter die ehrenrührige Tatsachenbehauptung aufgestellt habe. (Um den Gerüchten vorzubeugen natürlich auch, dass er wisse, dass jemand wisse, dass jemand weiteres wisse, etc. dass die ehrenrührige Tatsachenbehauptung aufgestellt wurde.) Damit stellen auch die §§ 186, 187 StGB Tatbestände dar, die eine Äußerung als Tathandlung erfordern.75, 76 Wenn im Tatbestand eines Delikts die Tathand73 OLG Hamm, NJW 1953, S. 596, 597 (Beschl. v. 2. Februar 1953, – 2 Vs 37/52 –). 74 Im Gegensatz zu Roxin (TuT, S. 388). Doch dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Begründet wird sie damit, dass der Zweck der §§ 186, 187 StGB bzgl. des Verbreitens sein soll, dass das Opfer nicht in der Öffentlichkeit herabgewürdigt wird. Wenn man aber nur von diesem Zweck der Vorschriften (bzgl. der Verbreitungsvariante) ausgeht und nicht weiter einschränkt, ist es nicht einzusehen, weshalb nicht auch bloße Tatsachenmanipulationen unter diese Tatbestände fallen sollen. Das wird aber bisher nur von Streng (GA 1985, S. 214, 230) und Gössel (BT/1, § 31, Rn. 14 f.) behauptet und hat keine weiteren Anhänger gefunden. 75 BGH, NStZ 1984, S. 216, Beschl. v. 03. November 1983, – 1 StR 515/83 – (Modell-Hostess-Jutta); Fuhr, Äußerung, S. 148; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 186, Rn. 9. 76 Wie das Verbreiten im Straftatbestand des § 109 d StGB eingeordnet werden soll, ist umstritten. Teilweise wird gesagt, hierbei handele es sich um das gleiche Verbreiten wie in §§ 186, 187 StGB (Eser, in: Schönke/Schröder, § 109 d, Rn. 6). Doch teilweise wird auch gesagt, das Verbreiten müsse hier wie bei den Verbreitungstatbeständen ausgelegt werden (Friedrich-Christian Schroeder, in: Leipziger Kommentar, § 109 d, Rn. 10; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 109 d, Rn. 10; Lackner/Kühl, § 109 d, Rn. 3). Doch der Streit entschärft sich, wenn man genauer hinsieht: Den streitenden Ansichten geht es in erster Linie darum, zu bestimmen, an wie viele Personen die Tatsache zur Kenntnis gebracht werden muss. Legt man das Verbreiten in § 109 d Abs. 1 StGB aus wie man denselben Begriff in den §§ 186, 187 StGB auslegt, dann würde es ausreichen, wenn eine Person Kenntnis erlangte. Bei einer Auslegung des Verbreitens wie in den Verbreitungstatbeständen (z. B. in § 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB) genügt dagegen eine Person nicht (BGHSt 13, 257, 258, Urt. v. 6. Oktober 1956, – 5 StR 384/59 –; Lackner/Kühl, § 74 d, Rn. 5). Ob § 109 d Abs. 1 StGB erfordert, dass aus der Tathandlung hervorgeht, dass die verbreitete Tatsache Gedankeninhalt des Täters gewesen sein muss – mithin eine Äußerung sein muss – ist
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2. Teil: Das Risiko
lung also als Verbreiten beschrieben wird, so ist damit nicht immer gesagt, dass es sich um ein Verbreitungsdelikt handelt. Es kann sich auch um die – im Gegensatz zum „Billigen“, „Auffordern“, „Werben“ etc. – „farbloseste“ aller möglichen Äußerungen handeln: die bloße Weitergabe eines aktuell vorhandenen Wissens. Für die hier zu definierende Äußerung heißt das: Es ist nicht erforderlich, dass aus einer Äußerung hervorgeht, dass der Täter sich mit dem Gedankeninhalt identifiziert, ihn also gutheißt oder irgendetwas bejaht.77 Das Verhalten muss aber, um Äußerung zu sein, erkennen lassen, dass es sich um einen Gedankeninhalt des Täters handelt,78 dass die vermittelte Information einst ein Zustand seiner Psyche war. Ob der Gedankeninhalt dann weiterhin – wie manche Tatbestände es im Gegensatz zu den §§ 186, 187 StGB in der Verbreitungsvariante verlangen – eine Identifikation, Billigung etc. zum Ausdruck bringen muss, ist die Frage nach dem weiteren Inhalt der Äußerung.79 Es bleibt also festzuhalten: Bei einer Äußerung geht es um die Vermittlung eines Gedankeninhalts des Täters. 4. Exkurs: Die Äußerungsdelikte als Pflichtdelikte? Hat man diesen Umstand – eine Äußerung ist somit ein Gebrauch von Zeichen, die in der konkreten Kommunikationssituation für einen Gedankeninhalt des Täters stehen – als wesentlich für die Definition einer Äußerung angenommen, so braucht man die Beleidigung auch nicht, wie Roxin es tut,80 als Pflichtdelikt einzuordnen. Er bildet (im Anschluss an Rosenfeld) folgenden Fall: A schreibt einen den Z beleidigenden Brief, den B auf A’s Anregung hin überbringt. Das (einzig richtige) Ergebnis, dass A hier der Täter ist und B nur dessen Gehilfe, lässt sich dann nämlich nur damit begründen, dass sich nur A äußert und nicht auch der B. Da § 185 StGB nun ein Äußerungsdelikt ist – also als verhaltensgebundenes Delikt nur durch eine Äußerung als Tathandlung erfüllt werden kann – und der B nicht Gegenstand des Streits. Angesichts der Tatsache, dass § 109 d Abs. 1 StGB nicht die Verkörperung der verbreiteten Tatsache (z. B. in einer „Schrift“) fordert und es kaum möglich sein dürfte, nicht-verkörperte Gedankenerklärungen, ohne dass sie jemals Bewusstseinsinhalt des Täters gewesen sind, zu verbreiten (s. o. unter 2.), handelt es sich auch bei § 109 d Abs. 1 StGB um ein Äußerungsdelikt und nicht um ein Verbreitungsdelikt. Dafür spricht auch, dass der Täter „Kenntnis von der Unwahrheit“ der Tatsache gehabt haben muss. Das ist kaum vorstellbar, wenn die Tatsache nicht jemals Gedankeninhalt des Täters gewesen sein muss. In dem Streit, wie viele Personen Kenntnis von der verbreiteten Tatsache erhalten haben müssen, ist hiermit nicht Stellung genommen. 77 Fuhr, Äußerung, S. 143. 78 Fuhr, Äußerung, S. 141. 79 Fuhr, Äußerung, S. 143. 80 Roxin, TuT, S. 390.
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durch das Überbringen des Briefs keinen eigenen (!) Gedankeninhalt vermittelt, sich somit nach der obigen Definition nicht äußert, kann B nicht Täter sein.81 Zur Begründung dieses Ergebnisses bedarf es also zunächst keines Rückgriffs auf eine Kategorie der „subjektiv gefärbten Ausführungshandlung“82 oder auf die Figur des absichtlos-dolosen Werkzeugs83 oder auf die Konstruktion, dass § 185 StGB schon mit Kenntnisnahme des B vom Inhalt des Briefes erfüllt sei und dann von B selbst(!) durch das Überbringen des Briefes nur verstärkt werde84, 85 Aber auch den Fall mit der Figur des Pflichtdelikts lösen zu wollen – so wie Roxin es tut86 – ist ungenau und nicht notwendig. Die spezielle außerstrafrechtliche Pflicht – und es muss eine solche Pflicht sein, denn die aus dem jeweiligen Straftatbestand entspringende Pflicht, so nicht zu handeln, reicht zur Begründung eines Pflichtdelikts nicht aus87 –, gegen die bei der Beleidigung nach Ansicht Roxins verstoßen wird, ist diejenige, einem anderen nicht seine Missachtung kundzugeben.88 Doch gerade das ist keine außerstrafrechtliche Pflicht, sondern diejenige, die sich aus dem Straftatbestand des § 185 StGB ergibt und jedermann trifft.89 Freilich hat Roxin Recht, wenn er argumentiert, der B habe durch das Überbringen des Briefs nicht seine Missachtung kundgetan.90 Doch darf man nicht darauf abstellen, dass B wegen eines Pflichtdeliktscharakters des § 185 StGB den Z nicht missachtet habe, sondern muss auf den Äußerungsdeliktscharakter der Beleidigung abstellen. Und B äußert sich nicht, sein Gedankeninhalt ist im Brief nicht zum Ausdruck gebracht. Hiergegen lässt sich auch nicht anführen, dass dann im ähnlich strukturierten Fall des betrügerischen statt des beleidigenden Briefs auch der A Täter und der B nur Gehilfe sein müsse.91 Dann müsste man den Betrug nämlich auch als Äußerungsdelikt auffassen, was Kern noch getan hat,92 aber mittlerweile wohl überwiegend abgelehnt wird.93 81
Mit dieser Begründung kommt schon Kern (Äußerungsdelikte, S. 49) dazu, die Täterschaft des B abzulehnen. 82 Rosenfeld, Frank-Festgabe, Bd. II, S. 161, 170. 83 So: Wuttig, Teilnahme, S. 52. 84 Flegenheimer, Doloses Werkzeug, S. 62f. 85 Roxin, TuT, S. 389 f. 86 Roxin, TuT, S. 390 f. 87 Roxin, TuT, S. 354. 88 Roxin, TuT, S. 390. 89 Fuhr, Äußerung, S. 137. 90 Roxin, TuT, S. 391. 91 So: Roxin, TuT, S. 390 gegen Kern, (Äußerungsdelikte S. 49), der zu dem hier vertretenen Ergebnis kommt. 92 Kern, Äußerungsdelikte, S. 11. 93 Samson, in: Systematischer Kommentar, § 263, Rn. 23; Krack, List, S. 60; Lackner, in: Leipziger Kommentar10, § 263, Rn. 19.
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2. Teil: Das Risiko
IV. Keine Erkennbarkeit des konkret Äußernden Wurde oben gesagt, es sei für das Vorliegen einer Äußerung wesentlich, es müsse sich bei dem geäußerten Gedankeninhalt um einen Gedankeninhalt des Äußernden handelt, so kann das missverstanden werden und bedarf einer Präzisierung. Der durch Zeichen verkörperte Gedankeninhalt braucht nicht einer bestimmten (oder bestimmbaren) individuellen Person zugeordnet werden zu können. Es reicht aus, wenn deutlich wird, dass es sich um einen Gedankeninhalt des Äußernden – also desjenigen, dessen Strafbarkeit in Rede steht – handelt.94 Eine Äußerung kann somit auch anonym erfolgen,95 wichtig ist nur die Erkennbarkeit der Vermittlung eines Gedankeninhalts des Anonymus. Wer also eine Parole an eine Hauswand schreibt (z. B. „O’zapft is“ an das Gebäude der Post schreibt)96, äußert sich auch, obwohl nicht erkennbar wird, und nach dem Willen des Schreibenden zur Vermeidung einer Strafverfolgung ja gerade auch nicht erkennbar werden soll, welche individuelle Person (Name, Alter, Beruf, Geburtsort etc.) der Auffassung ist, der strafprozessuale Eingriff der Telefonüberwachung werde zu häufig genutzt. Es kommt nur darauf an, dass aus dem Verhalten hervorgeht, der Schreibende – allgemeiner: der die Zeichen Setzende – sei dieser Auffassung. V. Ergebnis der Definition Als Ergebnis unserer Bemühungen können wir also folgende Definition für die Äußerung, die auch das tatbestandsmäßige Verhalten der Äußerungsdelikte ist, festhalten: Eine Äußerung ist jeder Gebrauch von Zeichen, der in der konkreten Kommunikationssituation für einen Gedankeninhalt des Handelnden steht. Unerheblich ist, ob der Handelnde in seiner Individualität erkennbar ist.
94 Fuhr, Äußerung, S. 152; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 186, Rn. 10; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 186, Rn. 9. 95 Streng, GA 1985, S. 214, 216, insbes. Fn. 13 a. E.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 186, Rn. 10; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 10 96 Fall mitgeteilt von Weber, FS f. Oehler, S. 83, Fn. 8.
8. Abschn.: Exkurs
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8. Abschnitt
Exkurs – Allgemeines zu Tatbeständen, die in einem Zusammenhang mit der Struktur der Äußerung stehen Wie ist nun ein Verhalten, das sich als Äußerung im oben definierten Sinne darstellt, im Strafrecht von Belang? Zum einen existieren die Äußerungsdelikte, also Delikte, die eine Äußerung als Tathandlung voraussetzen (dazu unter I.).1 Das Gegenstück zu diesen Delikten stellen die Delikte dar, die niemals durch das Verhalten „Äußerung“ begangen werden können (dazu unter II.). Zwischen diesen beiden Arten von Delikten stehen die „normalen“ Delikte. Hier liegt es so, dass die entsprechenden Tatbestände sowohl durch Äußerung als auch durch sonstiges Verhalten erfüllt werden können. Nun kommt es im Bereich dieser Tatbestände manchmal häufiger vor, dass die entsprechenden Delikte faktisch überwiegend durch Äußerung begangen werden als das bei anderen Tatbeständen der Fall ist. Diesen Auffälligkeiten wird nachzugehen sein (unter III.). Als letztes knüpft das Strafrecht in einigen Straftatbeständen an den Umgang mit – dann verkörperten – Äußerungen einen strafrechtlichen Vorwurf. Der Umgang besteht dann z. B. in einer Weiterleitung, einer Manipulation oder Beschädigung. Hierbei ist die Struktur der Äußerung, wie sie oben beschrieben wurde, nicht mehr als Tathandlung relevant, sondern sie ist als Verkörperung Tatobjekt bzw. Tatmittel (dazu unter IV.). Wurde mit dem obigen Ausblick umrissen, auf welche Weise im Strafrecht die Struktur der Äußerung relevant ist, so reicht die Beeinflussung des Strafrechts durch diese Struktur aber noch weiter: Teilweise werden einzelne Elemente der Äußerung durch entsprechende andere Elemente ersetzt, sodass dann Tatbestände entstehen, die nicht das Vorliegen einer Äußerung als Tathandlung (oder als Tatobjekt bzw. Tatmittel) voraussetzen. Trotzdem knüpfen diese Tatbestände an die Struktur der Äußerung an, weil jeweils nur ein Element der Äußerung ersetzt wurde. Da diese Tatbestände insofern mit Äußerungen im Zusammenhang stehen, kann die folgende Betrachtung bei der Auslegung solcher Tatbestände helfen auszuloten, wie weit die Ähnlichkeit mit Äußerungen voraussetzenden Tatbeständen trägt und wie weit nicht. Wurde angerissen, dass nicht nur eine Äußerung als Tathandlung unter Strafe stehen kann, sondern auch der Umgang mit einer Äußerung, so gilt das selbstverständlich auch in diesem Bereich (zu allem unter V.). 1 Umfassend beschäftigen sich mit diesen Delikten Fuhr (Die Äußerung im Strafgesetzbuch) und Kern (Die Äußerungsdelikte).
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2. Teil: Das Risiko
I. Die Äußerungsdelikte Was man unter einem Äußerungsdelikt zu verstehen hat, können wir jetzt – nachdem im vorigen Abschnitt definiert wurde, was man unter einer Äußerung zu verstehen hat – klar umreißen: Ein Äußerungsdelikt ist ein Delikt, das als verhaltensgebundenes Delikt nur durch ein Verhalten, das sich als Äußerung im oben definierten Sinn darstellt, begangen werden kann.2 Doch welche Delikte sind das? – Im Folgenden soll es nicht darum gehen, eine erschöpfende Aufzählung von Delikten zu geben, die sich als Äußerungsdelikte darstellen. Zum einen ist das deshalb schwierig, weil vielfach umstritten ist, welche Delikte Äußerungsdelikte darstellen und welche nicht.3 Auf alle diese differenzierten Streitigkeiten kann schon aus Platzgründen nicht eingegangen werden.4 Zum anderen würde eine solche Aufzählung leicht langweilig wirken und der Erkenntniswert wäre für die uns letztlich interessierende Frage nach den Auslegungsgrundsätzen für Äußerungen als Tathandlungen auch gering. Daher soll hier nur generell dargestellt werden, wie man durch Auslegung des geltenden Rechts herausfindet, ob ein Straftatbestand ein Äußerungsdelikt statuiert oder nicht. 1. Delikte, die allgemein als Äußerungsdelikte anerkannt sind Wie schon oben erwähnt5 ist der „Prototyp“ des Äußerungsdelikts die Beleidigung gem. § 185 StGB.6 Weiterhin ist allgemein anerkannt, dass auf jeden Fall Äußerungsdelikte die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ gem. § 166 Abs. 1, Abs. 2 StGB7 sowie die Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 1. Var. StGB sind8. Soweit ersichtlich wurde niemals bestritten, dass diese Delikte 2
So bereits: Oetker, GA 26 (1878), S. 249, 254; Kern, Äußerungsdelikte, S. 10; aus der heutigen Literatur: Fuhr, Äußerung, S. 29. 3 Darauf wurde bereits im 5. Abschnitt unter III. hingewiesen. Vgl. auch den oben im 7. Abschnitt unter II. 1. dargestellten Streit bei § 164 Abs. 1 StGB. Letztlich derselbe Streit wiederholt sich beim Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB (vgl. oben im 7. Abschnitt unter II. 3.) bzw. bei der Anstiftung gem. §§ 26, X StGB (vgl. statt aller: Tröndle/Fischer, § 26, Rn. 3 a. E.). 4 Eine Klassifizierung der verschiedenen Delikte der Äußerungsdelikte im StGB liefern Kern (Äußerungsdelikte S. 11 ff.) und Fuhr (Äußerung, S. 35 ff.). 5 s. o. im 5. Abschnitt unter III. 6 So wörtlich Fuhr (Äußerung, S. 36). Vgl. weiterhin: Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 60, insbes. Fn. 38; v. d. Decken, NJW 1983, S. 1400, 1401; Lackner/Kühl, § 185, Rn. 2 und 3; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 185, Rn. 1 und 10. 7 Vgl. nur Lackner/Kühl, § 166, Rn. 4; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 166, Rn. 9 a. E. (Abs. 1) und Rn. 21 (Abs. 2); Tröndle/Fischer, § 166, Rn. 7.
8. Abschn.: Exkurs
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Äußerungsdelikte sind.9 Weshalb ist es nun so einhellig anerkannt, dass diese Delikte Äußerungsdelikte sind, sodass hier keine andere Ansicht vertreten werden könnte? – Der Grund dürfte darin liegen, dass es vom Wortsinn der Tatbestände nicht möglich ist, zu einem anderen Auslegungsergebnis zu kommen. 2. Die Wortsinngrenze (Art 103 Abs. 2 GG) als Grund, ein Delikt als Äußerungsdelikt anzusehen Ob ein Delikt durch grundsätzlich jegliches Verhalten begangen werden kann oder aber ein verhaltensgebundenes Delikt ist, das nur durch ein Verhalten mit bestimmten Eigenschaften begangen werden kann,10 muss sich durch Auslegung des entsprechenden Tatbestands aus dem Gesetz ergeben. Damit ergibt sich aus dem Gesetz, ob ein Delikt als Äußerungsdelikt anzusehen ist oder nicht. Grundsätzlich darf eine Auslegung des Gesetzes nicht über den möglichen Wortsinn der jeweiligen Vorschrift hinausgehen.11 a) Die Wortsinngrenze im Allgemeinen Der mögliche Wortsinn bestimmt somit die Grenzen jeglicher Auslegungstätigkeit. Im Allgemeinen ist diese Grenzziehung von nicht so großer Bedeutung, da ein – meistens teleologisch motiviertes – Hinausgehen über den möglichen Wortsinn in der Regel die Voraussetzungen einer Analogie erfüllen wird.12 Im Strafrecht ist diese Grenze zwischen Analogie und 8 Vgl. nur Lackner/Kühl, § 130, Rn. 6; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 130, Rn. 5d; Tröndle/Fischer, § 130, Rn. 7. 9 Wenn auch in der älteren Praxis teilweise Verhalten unter diese Straftatbestände subsumiert wurde, das ersichtlich keine Äußerung darstellt. Das war z. B. in der Zeit des „Dritten Reiches“ (vgl. oben im 2. Abschnitt unter IV. 1.) und in Fällen der sog. Sexualbeleidigung so. Jedenfalls wurde der Charakter dieser Delikte als Äußerungsdelikte niemals explizit in Frage gestellt. 10 Vgl. oben im 1. Abschnitt Fn. 4. 11 Engisch, Einführung, S. 191 f.; BVerfGE 73, 206, 236, Urt. v. 11. November 1986, – 1 BvR 713/83, 921, 1190/84, 333, 248, 306, 497/85 – (Nötigung); BGHSt 37, 226, 230, Urt. v. 7. November 1990, – 2 StR 439/90 – (Bezahlung einer Geldstrafe durch Dritte); Jescheck/Weigend AT, S. 159; Roxin, AT I, § 5, Rn. 28. 12 Ein Beispiel dafür könnte sein, dass man im Zivilrecht demjenigen, der im Mutterleib körperlich geschädigt wurde, einen Schadensersatzanspruchs in unmittelbarer Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB (Körper- bzw. Gesundheitsverletzung) zubilligt (BGHZ 58, 48, 49 ff., Urt. v. 11. Januar 1972, – VI ZR 46/71 –). Diese unmittelbare Anwendung des § 823 Abs. 1 StGB dürfte aber gegen den Wortsinn des § 1 BGB verstoßen, nach dem die Fähigkeit, Träger von Rechten zu sein, erst mit der Vollendung der Geburt beginnt. Wenn man aber vor der Geburt kein Träger von Rechten sein kann, dann kann man auch nicht in irgendwelchen Rechtsgütern beein-
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2. Teil: Das Risiko
Auslegung in einer Hinsicht aber sehr bedeutsam. Art 103 Abs. 2 GG verbietet die analoge Anwendung eines Gesetzes zur Strafbegründung. Damit darf der Bereich des noch möglichen Wortsinns nicht zuungunsten des Angeklagten überschritten werden.13 Unabhängig davon, dass es zum Teil sehr schwer ist, diesen Bereich des möglichen Wortsinns zu bestimmen, sodass teilweise sogar behauptet wird, das sei gar nicht möglich,14 gilt das jedenfalls im Bereich der gesetzlichen Beschreibung von Äußerungshandlungen im Gesetz nicht. b) Der Wortsinn einiger beispielhafter Handlungsbeschreibungen In der Beschreibung des strafbaren Verhaltens im StGB finden sich die Wörter „beleidigt“ bzw. „beschimpft“. „Beschimpfen“ bedeutet nach dem Wortsinn: „auf jemanden schimpfen, derbe Beleidigung, kränkende Nachrede.15 Wenn das StGB in Straftatbeständen solche Formulierungen benutzt,16 dann kann damit schon wegen des Wortsinns kein anderes Verhalten gemeint sein als nur ein kommunikatives Verhalten im oben definierten Sinne, eben eine Äußerung. Eben aus diesem Grund kann man die §§ 185, trächtigt werden. Dass es trotzdem richtig ist, den im Mutterleib Geschädigten einen Schadensersatzanspruch zuzubilligen, ergibt sich – wie es auch in den einschlägigen Entscheidungen erkannt wird – aus Art 2 Abs. 2 S. 1 GG (BGH, NJW 1953, S. 417, Urt. v. 20.12.1952, – II ZR 141/51 –). Doch beeinflusst Art 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht die Auslegung des § 823 Abs. 1 BGB, sondern bewirkt, dass ein Schadensersatzanspruch besteht – also die Rechtsfolge des § 823 Abs. 1 BGB auch eintritt – obwohl der Wortsinn des § 1 BGB das ausschließt. Und damit nimmt man der Sache nach eine Analogie vor; darüber kann auch die Formulierung von nach „Natur und Schöpfung vorgegebenen Vorgänge[n]“ (BGHZ 58, 48, 49), aus denen sich eine solche Auslegung ergeben soll, nicht hinwegtäuschen. Auch die Konstruktion, dass die Krankheit sich nach der Geburt, also im Stadium der Rechtsfähigkeit auswirke (BGHZ 58, 48, 50), ist nicht tragfähig: Denn es muss auf den Zeitpunkt ankommen, in dem der vom Schädiger in Gang gesetzte Kausalverlauf das Handlungsobjekt trifft (Armin Kaufmann, JZ 71, S. 569, 571, Besprechungsaufsatz zu LG Aachen, JZ 1971, S. 507 ff.). Da in den Fällen der pränatalen Schädigung also eine Analogie vorgenommen wird, um im Zivilrecht einen Anspruch zu begründen, kann – obwohl die Normen im Strafrecht (§§ 223 Abs. 1, 229 StGB: „andere Person“) leicht anders formuliert sind – eine Strafbarkeit wegen eines Körperverletzungsdelikts wegen des Analogieverbots (Art 103 Abs. 2 GG) nicht eintreten. Im Ergebnis ist das auch herrschende Meinung (Vgl. nur: Lackner/Kühl, § 223, Rn. 2). 13 BVerfGE 73, 206, 236, Urt. v. 11. November 1986, – 1 BvR 713/83, 921, 1190/84, 333, 248, 306, 497/85 – (Nötigung); BGHSt 37, 226, 230, Urt. v. 7. November 1990, – 2 StR 439/90 – (Bezahlung einer Geldstrafe durch Dritte); Jescheck/Weigend AT, S. 159; Roxin, AT I, § 5, Rn. 28. 14 Jakobs AT, 4/35, Schmidhäuser AT, 5/42. 15 Wahrig (S. 657 f., Herv. v. Verf.). 16 Die „Beschimpfungsdelikte“ begreift auch Kern bereits als Äußerungsdelikte (Kern, Äußerungsdelikte, S. 11).
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166 Abs. 1, Abs. 2, 130 Abs. 1 Nr. 2 1. Var. StGB gar nicht anders interpretieren denn als Tatbestände, die eine Äußerung als Verhalten voraussetzen. Gleiches gilt für die Auslegung anderer Tatbestände. So kann man das Wort „verunglimpfen“, das sich in den §§ 90 Abs. 1, 90 a Abs. 1 Nr. 2, 90 b Abs. 1 und 189 StGB findet, schon nach der Wortbedeutung nicht anders interpretieren, als dass damit eine Äußerung bezeichnet ist. Ermittelt man nämlich den Wortsinn dieses Begriffs, so stößt man auf Formulierungen wie „schmähen und beleidigen“;17 und wegen dieses sehr engen möglichen Wortsinns wird im juristischen Schrifttum das „Verunglimpfen“ auch wie „beleidigen“ definiert.18 Genau so verhält es sich auch mit dem in den §§ 111 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 1 2. Var. StGB verwendeten Wort „auffordern“. Dieses wird sprachlich als „befehlen, verlangen“19 definiert und so etwas ist nicht anders als durch Äußerung möglich.20 c) Das Verhältnis zu den anderen Auslegungsmethoden Gegenüber der hier mithin in erster Linie relevanten grammatischen Auslegung tritt die teleologische Auslegung bei der Bestimmung, ob ein Tatbestand ein Äußerungsdelikt beschreibt oder nicht, deutlich zurück. Die teleologische Auslegung, die häufig als die wichtigste Auslegungsmethode angesehen wird,21 fordert meistens eine Ausweitung des Bereichs des Strafbaren. So ist es denn beispielsweise auch das maßgebliche Argument, aufgrund dessen Blei die isolierte Beweismittelfiktion ebenfalls unter § 164 Abs. 1 StGB subsumieren will. Die Verdachtserregung durch eine isolierte Beweismittelfiktion sei zumindest genau so strafwürdig – wenn nicht sogar strafwürdiger – wie ein Verdächtigen durch Äußerung.22 Ebenso führt Streng für seine Ansicht an, unter §§ 186, 187 StGB fielen auch Tatsachenmanipulationen, ein solches Verhalten sei gleich strafwürdig23 und die Veränderung von Tatsachen sei deswegen eine taugliche Anstiftungshandlung, weil sie genauso effektiv wie eine Äußerung den Täter beeinflussen könne.24 Im Bereich der Delikte, die ganz sicher als Äußerungsdelikte begriffen werden müssen, können solche Argumente nicht Platz greifen, weil hier der mögliche Wortsinn der entsprechenden Tatbestände entgegensteht. 17
Wahrig, S. 3985. Lackner/Kühl, § 90, Rn. 3. 19 Wahrig, S. 472. 20 Die „Auforderungsdelikte“ ordnete auch Kern bereits bei den Äußerungsdelikten ein (Kern, Äußerungsdelikte, S. 11). 21 Vgl. Engisch, Einführung, S. 88. 22 Blei, GA 1957, S. 139, 145. 23 Streng, GA 1985, S 214, 216 und 221. 24 Bloy, Beteiligungsformen, S. 329. 18
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2. Teil: Das Risiko
Dieser Bereich der Auslegung des StGB ist also in besonderem Maße von der grammatischen Auslegung, an die auch Art 103 Abs. 2 GG anknüpft, geprägt. Die teleologische Auslegung tritt dahinter stark zurück. Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, dieses Ergebnis (die oben angesprochenen Straftatbestände könnten nur durch Äußerungen erfüllt werden), beruhe allein auf der Wortsinnauslegung. Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung von Straftatbeständen des StGB, dass das Strafrecht die außerrechtliche Struktur der Äußerung kennt und verwendet.25 Und die Wortsinnauslegung einzelner Straftatbestände ergibt, dass im einzelnen Straftatbestand auf diese Struktur verwiesen wird. Damit ist das Ergebnis, dass ein Straftatbestand ein Äußerungsdelikt statuiert, aus einer systematischen Auslegung und einer Wortsinnauslegung gewonnen. Wenn man das Ergebnis der systematischen Auslegung anerkennt („Es gibt die Struktur der Äußerung“), dann ist aufgrund einer Wortsinnauslegung in einem zweiten Schritt der Straftatbestand so zu deuten, dass die Tathandlung diese Struktur aufweisen muss, um den Tatbestand zu erfüllen („Hier ist die Struktur der Äußerung gemeint“). In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn die Rede davon ist, man müsse wegen des Wortsinns einen Tatbestand so interpretieren, dass er nur durch Äußerung erfüllt werden kann. 3. Die systematische Auslegung als Grund, ein Delikt als Äußerungsdelikt anzusehen Dieses Zurücktreten der eigentlich das Kernstück der Auslegungscanones bildenden teleologischen Auslegung ist – wenn auch nicht so stark – auch im Verhältnis zu den anderen Auslegungsmethoden zu beobachten. Wenn es nicht schon der noch mögliche Wortsinn gebietet, ein Delikt als Äußerungsdelikt anzusehen, dann tut das häufig die systematische Auslegung eines Straftatbestandes. a) Die systematische Auslegung innerhalb einer Vorschrift So berufen sich auf eine systematische Auslegung beispielsweise auch diejenigen, die den Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB so verstehen wollen, dass er nur durch Äußerung erfüllt werden kann.26 Anhand eines anderen, nicht mit diesem speziellen und eingefahrenen Streit behafteten Straftatbestandes lässt sich die Relevanz der systematischen Auslegung deutlicher 25
Auf diese Weise wurde oben im 7. Abschnitt die (vorläufige) Definition der Äußerung gewonnen. 26 Langer (FS f. Lackner, S. 541, 544 f.) unter Berufung auf die Regelung des § 164 Abs. 2 StGB.
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machen: Bei § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB muss man davon ausgehen, dass man unter der Tathandlung des „Beschimpfens“ wegen des möglichen Wortsinns nur eine Äußerung verstehen kann.27 Gleichzeitig wird auch ein „Verächtlichmachen“ inkriminiert. Würde die teleologische Auslegung hier ergeben – weil der Wortsinn nicht entgegen steht28 –, darunter auch eine Tatsachenmanipulation zu fassen, die mit der entsprechenden Gefahr verbunden ist (die Bürger achten die verfassungsmäßige Ordnung nicht mehr), so spricht hier die systematische Auslegung dagegen. Wenn das Beschimpfen einen Angriff durch Äußerung beschreibt, dann muss man auch die andere Tathandlung als Äußerung auffassen. Zwar ist bei der systematischen Auslegung auch immer der Gegenschluss möglich,29 hier also: Wenn man mit „Beschimpfen“ eine Äußerung meint, dann ist – zur Ergänzung des Rechtsgüterschutzes – mit dem „Verächtlichmachen“ gerade keine Äußerung gemeint, sodass auch eine bloße Tatsachenmanipulation unter § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB fallen könnte. Doch dieser Gegenschluss überzeugt nicht: Der sprachliche Bedeutungsgehalt von „Beschimpfen“ ist ein sehr enger. Das bewirkt erstens, dass damit nur eine Äußerung gemeint sein kann, und zweitens, dass nicht jegliche abfällige Äußerung sogleich ein Beschimpfen darstellt: „Beschimpfen“ wird definiert als durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung.30 Das „Verächtlichmachen“ zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass die verfassungsmäßige Ordnung als der Achtung der Bürger unwert hingestellt wird.31 Damit begibt sich der Täter in dieser Variante des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht auf die Ebene des Staates, den er bekämpft (Missachtet den Staat!), sondern er stellt sich auf eine höhere Ebene (Der Staat ist es nicht wert, geachtet zu werden!). Daher darf man systematisch wohl nur davon ausgehen, dass das „Verächtlichmachen“ ebenfalls eine Handlung beschreibt, die nur eine Äußerung sein kann. Durch diese Variante wird der Rechtsgüterschutz gegenüber Äußerungen, die „nur“ beschimpfend sind, auf Äußerungen, die den Staat verächtlich machen, erweitert. Würde man das anders sehen, das „Verächtlichmachen“ als prinzipiell jegliches Verhalten erfassend ansehen, dann wäre die wegen des Wortsinns gebotene Beschrän27
Fuhr, Äußerung, S. 52; vgl. auch oben unter 2. b). Fuhr (Äußerung, S. 53) hält das „Verächtlichmachen“ völlig selbstverständlich für eine Beschreibung, die nur auf eine Äußerung zutrifft. Aus dem Wortsinn ergibt sich das aber nicht. Der noch mögliche Wortsinn lässt es zu, unter „Verächtlichmachen“ jedes Verhalten zu verstehen, das dazu führen kann, dass jemand im Urteil von Dritten minderwertig dasteht. Das wäre dann auch bei einer „isolierten Beweismittelfiktion“ gegeben. 29 In diese Richtung: Engisch, Einführung, S. 86; Bydlinski, Methodenlehre, S. 445 f. 30 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 90 a, Rn. 5. 31 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 90 a, Rn. 6. 28
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2. Teil: Das Risiko
kung des „Beschimpfens“ auf Äußerungen obsolet. Das „Verächtlichmachen“ wäre die Variante des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die auch die Variante des „Beschimpfens“ erfasste. Die ausdrückliche Normierung dieser Variante wäre überflüssig. b) Die systematische Auslegung anhand der Gesamtrechtsordnung im Allgemeinen Eine solche systematische Auslegung kann aber nicht nur innerhalb der verschiedenen Varianten einer Vorschrift erfolgen, sondern auch anhand von Regelungen, die sich weit entfernt von den jeweiligen Straftatbeständen finden oder die unausgesprochen hinter der (positiv-)gesetzlichen Regelung stehen. So gibt es Delikte, die aus diesem Grund Äußerungen zum Gegenstand haben. Sie müssen Äußerungen zum Gegenstand haben, wenn die zugrunde liegenden Tatbestände eine praktikable und sachangemessene Regelung darstellen sollen. Deshalb muss man viele Tatbestände so interpretieren, dass sie das tatbestandsmäßige Verhalten als Beschreibung einer Kommunikationshandlung beschreiben. c) Die systematische Auslegung im Bereich der Regelung wirtschaftlichen Verhaltens Solche Tatbestände finden sich insbesondere im Bereich der rechtlichen Regelung wirtschaftlichen Verhaltens. Der hier gemeinte Bereich des wirtschaftlichen Verhaltens wird nicht eng verstanden – schon gar nicht als Wirtschaftsrecht im herkömmlich verstandenen Sinne –, sondern weit: Es geht um Vermögenstransaktionen welcher Art auch immer. In diesem gesellschaftlichen Bereich der Wirtschaft müssen zwei Gegebenheiten, an die Rechtsfolgen anknüpfen, unterschieden werden. Erstens der Umstand des Innehabens einer Vermögensposition. Das soziologische Schrifttum spricht vom „Geld-Haben“ und bezeichnet ihn mit dem Begriff des „Eigentums“. Dieser Begriff des „Eigentums“ hat nichts mit Eigentum im Sinne des BGB (§ 903 BGB) zu tun, weil er jede Vermögensposition – und nicht nur solche an Sachen – umfasst, und er hat auch nichts mit dem Eigentum im Sinne des Grundgesetzes (Art 14 GG) zu tun, weil ihm auch rechtswidrige Vermögenspositionen unterfallen.32 Als zweite Gegebenheit spielt im hier gemeinten Bereich der Wirtschaft die Transaktion von Vermögenspositionen eine Rolle, seien sie erlaubt oder unerlaubt. Eine solche Transaktion wird als „Vertrag“ bezeichnet.33 Der Vertrag besteht aus der 32 33
Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 453. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 454, 456.
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Übereinstimmung der Willenserklärungen der Beteiligten.34 Damit ist die allgemeine rechtliche Figur des Vertrags wie im Zivilrecht (§§ 145, 146 BGB) definiert, er besteht aus den Willenserklärungen von Angebot und Annahme. Das wesentliche ist aber, dass die Figur des Vertrages nicht wie im Zivilrecht nur positiv von Belang ist, indem aus ihm Verpflichtungen folgen (Primär- und Sekundäransprüche), sondern auch negativ. Hier liegt die Domäne der den strafrechtlichen Tatbeständen zugrunde liegenden Verhaltensnormen. Gewisse Verträge sollen nicht abgeschlossen werden, deshalb wird ihr Abschluss rechtlich verboten. Das hat zum einen die Folge, dass sich zivilrechtlich aus einem solchen Vertrag wegen der angeordneten Nichtigkeit (§§ 134, 138 BGB) keine positiven Rechtsfolgen ergeben; zum anderen können diese Verhaltensnormen aber auch noch durch Sanktionsnormen flankiert werden. Da ein Vertrag aber durch Kommunikation zustande kommt – die Willenserklärungen „Angebot“ und „Annahme“ –, besteht er jeweils aus zwei Äußerungen im oben definierten strafrechtlichen Sinne. Somit sind Äußerungsdelikte auch alle Delikte, die einen so genannten deliktischen Vertragsschluss voraussetzen bzw. dessen Anbahnung erfassen. d) Die systematische Auslegung bei der Bestechung und der Bestechlichkeit und im Nebenstrafrecht Die bekanntesten Tatbestände in diesem Zusammenhang dürften die Bestechlichkeit und die Bestechung nach §§ 332 Abs. 1, 334 Abs. 1 StGB sein. Hier besteht die Tathandlung aus einem Vertragsangebot zum „Kauf“ bzw. „Verkauf“ einer dienstpflichtwidrigen Diensthandlung.35 Ebenfalls im Bereich der Regelung wirtschaftlichen Verhaltens im weiteren Sinne sind Tatbestände angesiedelt, die andere deliktische Vertragsschlüsse (bzw. deren Vorbereitung – dazu später) beschreiben. Hierzu gehören Straftatbestände, die die Tathandlung durch das Wort „Verkaufen“ (z. B. im Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BNatG) oder „Veräußern“ (z. B. in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG)36 beschreiben. Im Vorfeld37 des Abschlusses des Kaufvertrags ist teilweise das „Anbieten“ sowie das „Feilhalten“ als Tathandlung beschrieben. Unter einem 34
Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 461. Cramer, in: Schönke/Schröder; § 332, Rn. 16. 36 Die Terminologie in diesem Bereich ist aufgrund gesetzgeberischen Wildwuchses sehr unsystematisch (vgl. Horn, NJW 1977, S. 2329). 37 Noch weiter im Vorfeld liegen Tathandlungen wie das „Vorrätig-Halten“ (z. B. in § 184 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Damit ist bereits das bloße Verwahren erfasst (vgl. Tröndle/Fischer, § 184, Rn. 30). Allerdings muss mit dem Verwahrungselement noch ein „Verkaufswille“ oder eine ähnliche Bereitschaft, die Sache abzugeben, 35
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2. Teil: Das Risiko
„Feilhalten“ versteht man, dass der Täter einen Gegenstand, den er in Besitz hat, „in äußerlich erkennbar auf Verkaufsabsicht hindeutender Weise auf[ge]stellt“.38 Mit dieser Struktur ist auch eine Äußerung beschrieben. Denn auch hier geht es wieder um objektiv vorliegende Umstände, die den Schluss auf das Gegebensein eines psychischen Zustands, eines Gedankeninhalts – „Verkaufsabsicht“ – beim Gegenüber zulassen. Das „Anbieten“ wird ähnlich wie das „Feilhalten“ definiert, nur muss hier der Kreis der Personen, an die sich die Äußerung richtet, konkretisiert sein.39 Damit werden beim „Feilhalten“ und beim „Anbieten“ „invitationes ad offerendum“ inkriminiert, beim „Anbieten“ teilweise auch das danach liegende Angebot zum Vertragsschluss. Deutlich wird, wie hier die Struktur der Äußerung relevant ist: Dem Gesetz geht es in vielen Bestimmungen darum, gewisse Sachen nicht in Hände von bestimmten Personen geraten zu lassen, weil dort mit diesen Dingen Schäden verursacht werden können.40 Deshalb ist zum einen die körperliche Übergabe verboten. Zum anderen ist aber manchmal auch – um einen effektiven Rechtsgüterschutz zu gewährleisten – der Besitz oder ein sonstiges Innehaben der Sache unerlaubt. Die Stufen des Umgangs mit der Sache, die zwischen dem bloßen „Innehaben“ und der „Abgabe“ liegen, müssen zur Optimierung des Rechtsgüterschutzes ebenfalls verboten sein. Der Gesetzgeber knüpft bei ihrem Verbot daran an, wie die Weitergabe einer Sache üblicherweise vonstatten geht: nämlich dadurch, dass Verträge über sie geschlossen werden bzw. angebahnt werden. Somit verbietet der Gesetzgeber Verträge, Vertragsangebote oder „invitationes ad offerendum“, die sich auf die Sache beziehen. Damit sind dann Äußerungen gemeint. II. Delikte, die nicht durch Äußerungen begangen werden können Wurde oben beschrieben, wie man durch Auslegung der einschlägigen Regelungen bzw. der Gesamtrechtsordnung dazu kommen muss, Tatbestände als Tatbestände anzusehen, die nur durch Äußerung erfüllt werden verbunden sein (Horn, NJW 1977, S. 2329, 2330). Mit dem „Vorrätig halten“ ist jedenfalls keine Äußerung gemeint. Am Ende der „Kette“ liegt die Übergabe der Sache; das Gesetz verwendet hier Begriffe wie „Abgeben“, „Ausgeben“, „Überlassen“ usw. Hiermit ist dann der tatsächlich erfolgende Wechsel in der tatsächlichen Verfügungsgewalt gemeint. Auch das setzt nicht notwendig eine Äußerung voraus. 38 BGHSt 23, 286, 293, Beschl. v. 24. Juni 1970, – 4 StR 30/70 –; Fuhr, Äußerungsdelikte, S. 138; Horn, NJW 1977, S. 2329, 2331. 39 Horn, NJW 1977, S. 2329, 2330. 40 Horn, NJW 1977, S. 2329, 2330.
8. Abschn.: Exkurs
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können, so geht es jetzt um das Gegenteil: um Tatbestände, die niemals durch Äußerung begangen werden können. Auch diese Tatbestände sind – genauso wie die oben beschriebenen Tatbestände – solche, die nur durch ein bestimmtes Verhalten erfüllt werden können. Doch kommt man durch Auslegung dazu – häufig gibt der Wortsinn den Ausschlag –, dass es ausgeschlossen ist, diese Tatbestände durch Äußerung zu verwirklichen. 1. Beispiel: Die „Trunkenheit im Verkehr“ Ein Beispiel dafür ist die „Trunkenheit im Verkehr“ gem. § 316 Abs. 1 StGB.41 Die Tathandlung wird hier beschrieben als „Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr“. Das bedeutet zunächst, dass der Täter das Fahrzeug in Bewegung setzt oder hält.42 Allerdings setzt ein „Führen eines Fahrzeugs“ mehr als das bloße Verursachen der Bewegung des Fahrzeugs voraus.43 Es erfordert nach der Definition der Rechtssprechung eine – wie auch immer geartete – „Leitung der Fortbewegung unter bestimmungsmäßiger Anwendung der Antriebskräfte unter Handhabung der jeweiligen technischen Einrichtungen“.44 Da die technischen Einrichtungen eines Kraftfahrzeugs so konstruiert sind, dass unter Anwendung von Körperkraft durch mechanische oder elektronische Vorgänge das Fahrzeug in Bewegung gesetzt wird, können sie nicht durch Kommunikation betätigt werden. Deshalb scheidet eine Erfüllung des Tatbestands des § 316 Abs. 1 StGB durch Äußerung aus. Keine Erfüllung des Tatbestandes des § 316 Abs. 1 StGB durch Äußerung wäre es im Übrigen, wenn das Fahrzeug durch sprachliche Befehle gesteuert werden könnte, wie etwa ein Autopilot, der auf die Aussprache bestimmter Wörter reagiert. Denn ein solcher Autopilot würde nicht durch eine Äußerung (wie sie hier verstanden werden soll) gesteuert. Ein solcher Autopilot ist so programmiert, dass er beim Vorliegen gewisser Luftschwingungen bestimmte Funktionen entfaltet; den hinter einer Äußerung („Fahr 41
Gleiches gilt natürlich auch für die „Gefährdung des Straßenverkehrs“ gem. § 315 c Abs. 1 Nr. 1 StGB und die „Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs“ gem. § 315 a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Im Text wird deshalb nur auf § 316 Abs. 1 StGB abgestellt, weil der Tatbestand einfacher strukturiert ist und so die uns interessierenden Phänomene leichter erkennbar sind. 42 BGHSt 35, 390, 393, Beschl. v. 27. Oktober 1988, – 4 StR 239/88 –. 43 BGHSt 42, 235, 239, Urt. vom 22. August 1996 – 4 StR 217/96 – („actio libera in causa“ bei Trunkenheitsfahrt); Hardtung, NZV 1997, S. 97, 99. 44 BGHSt 35, 390, 393; OLG Düsseldorf, VRS 62 (1982), S. 193, Urt. v. 29. September 1981, – 2 Ss 426/81 – 219/81II –; OLG Köln, VRS 62 (1982), S. 209, 210, – 1 Ss 633/81 –; Lackner/Kühl, § 315 c, Rn. 3.
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los!“) liegenden Gedankeninhalt eines Menschen45 könnte er nicht erkennen. Er ist nur – bildlich gesprochen – ein komplizierteres Gaspedal, eine Verstehensleistung erbringt er nicht. Das kann nur ein (menschlicher) Rezipient. Die einzige Möglichkeit, eine Trunkenheitsfahrt durch Äußerung zu begehen, wäre die der mittelbaren Täterschaft. Es ist aber ausgeschlossen, mittels der Beeinflussung durch Äußerung „durch“ eine andere Person (§ 25 Abs. 1 2. Var. StGB) ein Fahrzeug zu führen. Wie gesagt, setzt die Tathandlung des „Führens eines Fahrzeugs“ nicht nur voraus, dass der Täter den Bewegungsvorgang verursacht.46 Deshalb kann die Straftat des § 316 Abs. 1 StGB auch nicht durch ein „Sich-Betrinken“ als Tathandlung nach den Grundsätzen der actio libera in causa nach dem Vorverlagerungsmodell begangen werden.47 Wenn aber in einem „Sich-Betrinken“ kein Führen eines Kraftfahrzeugs gesehen werden kann, so gilt das für die kommunikative Beeinflussung einer anderen Person ebenfalls. Denn die Begehung einer Straftat durch eine Äußerung setzt voraus, dass ein Dritter beeinflusst wird, worauf dieser die eigentlich zu verhindernde Handlung vornimmt. Er – der Dritte – würde das Fahrzeug führen; seine Beeinflussung ist von § 316 Abs. 1 StGB so wenig erfasst,48 wie § 316 Abs. 1 StGB ein „Sich-Betrinken“ mit der Folge des „In-Gang-Setzens“ eines Fahrzeugs unterfällt. Roxin vertritt hierzu die Gegenauffassung: Er ist der Ansicht, der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB könne auch in mittelbarer Täterschaft erfüllt werden.49 Wenn z. B. ein Dritter durch die Mittel des § 35 Abs. 1 StGB gezwungen werde, in angetrunkenem Zustand wegzufahren, begehe der Hintermann eine Trunkenheitsfahrt in mittelbarer Täterschaft.50 Er 45 Vgl. oben im 7. Abschnitt unter II. 2. das Erfordernis des Gedankeninhalts für eine Äußerung. 46 BGHSt 42, 235, 239; Hardtung, NZV 1997, S. 97, 99. 47 BGHSt 42, 235, 240. 48 Das gilt sowohl für die Situation, dass ein Betrunkener vom Hintermann durch die Mittel des § 35 Abs. 1 StGB dazu gezwungen wird, in angetrunkenem Zustand zu fahren, als auch in der Konstellation, dass der Hintermann selbst angetrunken ist und dem (von ihm genötigten) Fahrer konkrete Einzelweisungen gibt, wie er das Fahrzeug zu bewegen hat. Denn das Ergebnis beruht auf einer Auslegung des Begriffs „Führen“. Im Übrigen ist in der zweiten Konstellation eine Abgrenzung, wie konkret eine Weisung zu sein hätte, um ein „Führen“ anzunehmen, nicht sinnvoll möglich. Kein „Führen“ ist sicher die Nötigung zu einer Fahrt, bei der der Hintermann nur das Ziel vorgibt. Es lassen sich keine Kriterien nennen, ab wann dann eine Weisung aber konkret genug sein soll (Vorgabe des Fahrtweges? Einzelne Weisungen zum Abbiegen, Beschleunigen etc.? Weisungen zur Reaktion auf Verkehrsvorgänge? Genaues Vorschreiben der Handhabung der technischen Einrichtungen des Fahrzeugs?). 49 Roxin, AT II, § 25, Rn. 295. 50 Roxin, AT II, § 25, Rn. 295.
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kommt allerdings nur zu dieser Ansicht, weil er meint, die Trunkenheitsfahrt sei kein eigenhändiges Delikt.51 Damit erweitert sich das Problem auf die generelle Einstufung eines Delikts als „eigenhändig“. 2. Die allgemeine Behandlung der „eigenhändigen Delikte“ Allgemein versteht man unter einem eigenhändigen Delikt ein solches, das nur in unmittelbarer Täterschaft begangen werden kann,52 weil der entsprechende Tatbestand nur die unmittelbare und eigenhändige Vornahme der Tatbestandshandlung beschreibt.53 Bei diesen Delikten soll es auf den besonderen Verhaltensunwert ankommen und nicht so sehr auf die Herbeiführung eines Erfolges.54 Es ist umstritten, welche Delikte als eigenhändige anzusehen sind und welche nicht.55 Bei § 316 Abs. 1 StGB gebietet es vor allem der Wortlaut („Führen“), den Tatbestand so auszulegen, dass er ein eigenhändiges Delikt beschreibt. Gleichgültig ob man dieser Ansicht zu § 316 Abs. 1 StGB folgt, so ist jedenfalls im Allgemeinen klar: Wenn es bei den eigenhändigen Delikten erforderlich ist, dass der Täter selbst die Handlung ausführt, so kann durch eine Äußerung nur dann ein eigenhändiges Delikts begangen werden, wenn der entsprechende Straftatbestand durch Äußerung erfüllt werden kann (oder sogar muss). So liegt es beispielsweise bei den Aussagedelikten (§§ 153 ff. StGB). Sie sind eigenhändige Delikte,56 die ausweislich des Wortsinns der entsprechenden Tatbestände nur durch Äußerung begangen werden können.57 In den anderen Fällen gilt: Eigenhändige Delikte können niemals durch Äußerung erfüllt werden, denn das Unrecht bei der Begehung einer Straftat durch Äußerung liegt immer in der mittelbaren Herbeiführung von Unrecht durch Beeinflussung des Rezipienten.58 III. Delikte, die regelmäßig durch Äußerungen begangen werden Oben wurde die Notwendigkeit nachgewiesen, manche Straftatbestände systematisch so auszulegen, dass sie nur Äußerungen erfassen. Die diesen Straftatbeständen zugrunde liegenden Verhaltensnormen regeln einen Bereich menschlichen Lebens durch Anknüpfen an das Vorliegen einer Kom51 52 53 54 55 56 57 58
Roxin, AT II, § 25, Rn. 295. Roxin, AT II, § 25, Rn. 288. Wessels/Beulke AT, Rn. 40; Tröndle/Fischer, Vor § 13, Rn. 23. BGH, NJW 2003, 1541, 1542, Beschl. vom 4. Februar 2003 – GSSt 1/02 –. Tröndle/Fischer, Vor § 13, Rn. 23. Roxin, AT II, § 25, Rn. 303; Tröndle/Fischer, Vor § 153, Rn. 13. Stein, in: FS für Rudolphi, S. 553. s. o. im 5. Abschnitt.
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2. Teil: Das Risiko
munikationsbeziehung, z. B. den „Kauf“ und „Verkauf“ dienstpflichtwidriger Diensthandlungen (§§ 332 Abs. 1, 334 Abs. 1 StGB). Das Gesetz gibt mit dieser Vorschrift zu erkennen, dass es eine bestimmte Struktur der zu regelnden Materie für rechtlich relevant hält, und diese Struktur ist Kommunikation mit einem gewissen Inhalt. 1. Eine eindeutige Auslegung des Tatbestands als „Äußerungsdelikt“ ist nicht möglich Nun kann man dieses Anknüpfen an die Kommunikationsstruktur der rechtlich zu regelnden Materie aber nicht bei allen Straftatbeständen aus dem Gesetz herauslesen. Der eine Grund ist, dass man vom Wortsinn der jeweiligen Tatbestände nicht bereits darauf schließen kann, es könne nur das spezielle Verhalten einer Äußerung den Tatbestand erfüllen.59 Zum anderen liegt es aber auch daran, dass auch die systematische Auslegung – sei es innerhalb einer Vorschrift oder anhand der Gesamtrechtsordnung – nicht ergibt, es sollten nur Äußerungen erfasst sein. In diese „Lücke“ kann nun die teleologische Auslegung eindringen: Man geht davon aus, dass ein ausreichender Rechtsgüterschutz nicht gewährleistet wäre, unterstellte man, es seien nur Äußerungen erfasst. Da aber die zu verhindernden Erfolge hier meistens durch kommunikative Beeinflussung eintreten, sind es meistens Äußerungen, die durch solche Tatbestände erfasst werden. 2. Die Herbeiführung des Erfolgs ohne Kommunikation ist statistisch unwahrscheinlich Beispiele für solche Straftatbestände sind der Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB),60 die falsche Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB)61 und die Anstiftung zu einer Straftat (§§ 26, X StGB).62 Diese Straftaten werden in den allermeisten Fällen durch Äußerungen begangen. Ein Irrtum bei einem Menschen ist am einfachsten durch eine täuschende Äußerung hervorzurufen; die Strafverfolgungsorgane auf eine „falsche Fährte“ zu locken, kann am leichtesten dadurch geschehen, dass die falsche Person z. B. durch eine Anzeige – ein kommunikatives Verhalten – beschuldigt wird, und einen Tatentschluss kann man am sichersten dadurch in einem anderen erregen, indem man ihn von der Nützlichkeit der Tatbegehung kommunikativ überzeugt, also durch Äußerung auf ihn einwirkt. Nur indem man mit ihm kom59 60 61 62
Wie das bei den oben unter I. 2. beschriebenen Tatbeständen der Fall ist. Krack, List, S. 51. Langer, FS f. Lackner, S. 541, 547; Langer, GS f. Schlüchter, S. 361, 367. Roxin, in: Leipziger Kommentar, § 26, Rn. 4.
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muniziert, ist es z. B. möglich, auf ihn einzugehen, ihm also gegebenenfalls die Vorteile der Tatbegehung eindringlich vor Augen zu führen, die Nachteile der Tat „klein zu reden“ usw. Das „grobe“ Mittel der Tatsachenmanipulation dazu einzusetzen, jemanden dazu zu bringen, eine Tat zu begehen, ist dagegen erheblich schwieriger. Zum einen braucht man einen Haupttäter, der weiß, wie man eine solche Tat begeht. (Denn ihm kann es ja nicht erklärt werden; darin läge wieder eine Äußerung, die kausal für die Entschlussfassung würde!) Weiterhin muss bei der Anstiftung durch Tatsachenmanipulation der in Aussicht genommene Haupttäter schon dazu neigen, eine solche Tat zu begehen, denn solche komplexen Dinge wie Motive können kaum vermittelt werden, ohne sich zu äußern. Eine Anstiftung durch Tatsachenmanipulation kommt also nur in Betracht, wenn der Haupttäter nur noch den „letzten Anstoß“ braucht, um die Tat zu begehen. Eine Konstellation, wie sie oben beschrieben wurde, besteht sehr selten: Wenn nämlich die anderen Voraussetzungen schon erfüllt sind – der Täter weiß, wie man eine solche Tat begeht, er ist davon überzeugt, dass sie ihm grundsätzlich mehr Nutzen als Schaden bringt usw.–, dann ist es häufig so, dass diese Person auch zufällig durch die Wahrnehmung gewisser Tatsachen den Tatentschluss fassen könnte, und eher unwahrscheinlich, dass er auf eine fingierte Tatsachenlage stößt.63 3. Exkurs: Die handlungskoordinierende Funktion von Kommunikation in der menschlichen Gesellschaft Der Grund für den oben skizzierten Umstand liegt in der handlungskoordinierenden Funktion, die Kommunikation in der menschlichen Gesellschaft hat,64 begründet. Diese wirkt sich zunächst bzgl. des möglichen „reinen“ Informationsgehalts, der in einer Äußerung liegen kann, aus. Das allermeiste Wissen über unsere Umwelt haben wir nicht selbst durch Beobachtung der Natur gewonnen, sondern es wurde uns – durch Kommunikationsbeiträge – beigebracht. Nur durch Lernen von anderen, mithin durch Kommunikation, ist es möglich einen – wenn auch abgegrenzten und ausgewählten – kleinen Teilbereich der riesigen Menge des gesamten, in Jahrtausenden von der Menschheit erworbenen Wissens, zu erwerben. Da es unmöglich ist, dass jede Person das auf diese Weise erworbene Wissen selbst verifiziert, muss sie sich auf das Kommunizierte verlassen können. Diese „Arbeitsteilung“ in der Gesellschaft – Wissen wird durch Naturbeobachtung gewonnen, gespeichert und als Inhalt in Kommunikationsbeiträgen weitergegeben – wird 63 64
Roxin, in: Leipziger Kommentar, § 26, Rn. 4. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band 1, S. 397 f.
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2. Teil: Das Risiko
durch die Existenz einer normativen Regel, dass man zunächst die inhaltliche Richtigkeit eines Kommunikationsbeitrags unterstellen darf, abgesichert. Dieser Geltungsanspruch, der einem Kommunikationsbeitrag zukommt, beinhaltet aber nicht nur, dass man sich auf die inhaltliche Richtigkeit einer Tatsachenmitteilung verlassen darf und er dient insofern nicht nur dem damit beschriebenen kollektiven Zweck, dass allgemeines Tatsachenwissen korrekt erhalten, praktikabel weitergeben und angewendet werden kann. Der Schwerpunkt der handlungskoordinierenden Funktion von Kommunikationsbeiträgen liegt darin, dass durch sie ihn gewisse Auswirkungen von Kommunikationsbeiträgen verbindlich festgelegt werden.65 Insoweit kann man davon sprechen, dass Kommunikationsbeiträgen auch und vor allem eine Vermutung der Geltung der mit ihnen bezweckten Wirkungen zukommt. Diese Geltungsvermutung will die Anerkennung des einzelnen, der sich kommunikativ betätigt, sicherstellen. Insofern betrifft der Grundsatz auch reine Wertungen (wie sie z. B. bei Beleidigungen vorkommen) und gibt dem einzelnen damit eine Möglichkeit an die Hand, seine Umwelt durch Kommunikationsbeiträge zu verändern. Denn würde die Vermutung nicht gelten, so könnte er beispielsweise niemanden grüßen, überzeugen, verunsichern etc. Seine Äußerungen würden zwar nicht ungehört verhallen, aber völlig ohne Wirkung bleiben, sodass der Äußernde ohne Anerkennung bliebe. Damit hat auch der Gesetzgeber Anlass, anknüpfend an einen Missbrauch dieser Möglichkeit geltende Äußerungen zu machen, unerwünschte Kommunikationsbeiträge unter Strafe zu stellen. Woran liegt es, dass manche Tatbestände Äußerungsdelikte statuieren, obwohl vom Blickwinkel der Erfolgsherbeiführung aus diese auf anderem Wege als durch Äußerung genau so „strafwürdig“ ist? Umgekehrt: Woran liegt es, dass gewisse Tatbestände nicht so ausgelegt werden, dass sie eine Äußerung erfordern, obwohl eine Tatbestandserfüllung anders als durch Äußerung praktisch fast niemals vorkommt? 4. Das geschützte Rechtsgut ist „porös“ Wenn durch einen Tatbestand ein „poröses“ Rechtsgut geschützt wird (z. B. das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, die Ehre usw.), dann kann das Rechtsgut durch nahezu jegliches Verhalten in Gefahr geraten. Wenn man solche Normen so auslegt, dass sie Gefährdungen erfassen, die auf Verhalten jeglicher Art zurückzuführen sind, dann würden sie zum einen die Handlungsfreiheit viel zu stark einengen. Denn eine Vielzahl von 65
Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band 1, S. 398.
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Verhaltensweisen kann dazu führen, dass das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gefährdet wird (Stichwort: „Ballermann“). Eine unabsehbare Menge von Verhaltensweisen kann dazu führen, dass jemand im Ansehen der anderen herabgesetzt wird. Alle jene Verhaltensweisen wären rechtlich verboten – obwohl natürlich, weil der subjektive Tatbestand meistens fehlen wird,66 in der Regel nicht strafbar. Zum anderen – und das scheint wichtiger zu sein – können solche Normen auch nicht richtig internalisiert werden. Ein Konsens darüber, was überhaupt die Ehre ist oder wann das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beschädigt ist (wird das Verhalten einiger überhaupt auf den Staat bezogen?), besteht schon auf wissenschaftlicher Ebene nicht; wie kann da der einzelne rechtsunterworfene Laie erkennen, wann er durch Handlungen Gefahren für solche Rechtsgüter hervorruft? Wie kann der Laie sich darüber klar werden, welche Handlung für ihn nun konkret verboten ist und welche nicht? Deshalb sind diese Delikte als Äußerungsdelikte ausgestaltet: Den Laien ist klar, was eine Äußerung ist (wenn auch nicht im Sinne unserer abstrakten Definition). Denn jedermann kann erkennen, ob kommunikativ ein gewisser Sinn vermittelt wird oder nicht. Indem diese Tatbestände sich beschränken, nämlich auf das Verbot von Kommunikation, festigen sie ihre Konturen. Jedermann kann sich merken, was verboten ist zu sagen, welche Inhalte von Kommunikation unerwünscht sind, wie man sich also nicht äußern darf. Nur dadurch, dass die entsprechenden Straftatbestände eine gewisse Angriffsrichtung – nämlich einen Angriff durch Kommunikation – beschreiben und sich damit an außerrechtliche Normen anlehnen, werden sie überhaupt einigermaßen internalisierbar.67 5. Die Entstehung von Zweifelsfällen Deshalb ist gerade bei machen Straftatbeständen besonders umstritten, ob sie nur durch Äußerungen erfüllt werden können. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf der einen Seite ein einigermaßen erfassbares Rechtsgut schützen (Vermögen bei § 263 Abs. 1 StGB, staatliche Strafverfolgung bei § 164 Abs. 1 StGB, alle anderen Rechtsgüter bei §§ 26, X StGB) aber trotzdem auf der anderen Seite eine Materie regeln, in der Veränderungen meistens durch Kommunikation herbeigeführt werden (Irrtümer bei §§ 263 Abs. 1, 164 Abs. 1 StGB, Erweckung von Motiven zur Straftatbegehung bei §§ 26, X StGB), weil es besonders einfach ist, die handlungskoordinierende Funktion von Kommunikation zur Erzielung solcher Erfolge einzusetzen. 66 Teilweise ist sogar mehr als „bloßer“ Vorsatz erforderlich, vgl. § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB: „böswillig“. 67 Vgl. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 227.
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2. Teil: Das Risiko
Hier stehen sich die oben beschriebenen Wirkkräfte unversöhnlich gegenüber; aus Gründen der Schließung von „Strafbarkeitslücken“ wird meistens, obwohl das nicht zwingend ist, eine Auslegung bevorzugt, die den zugrunde liegenden Straftatbestand so interpretiert, dass seine Erfüllung auch möglich ist, ohne sich zu äußern. IV. Delikte, die den Umgang mit Äußerungen erfassen Wurde oben (I.–III.) auf Tatbestände eingegangen, bei denen die Tathandlung in einer Äußerung besteht bzw. niemals in einer Äußerung bestehen kann, so ist die Struktur der Äußerung aber auch in anderer Hinsicht relevant. Die Delikte, um die es hier im Folgenden geht, sind keine Äußerungsdelikte. Denn durch Äußerung ist es nicht nur möglich, Rechtsgüter (über Dritte oder das Opfer selbst) anzugreifen, sondern es geschieht weitaus häufiger, dass man sich kommunikativ in rechtlich nicht zu missbilligender Weise betätigt. Schon oben wurde dargelegt, dass der Rechtsverkehr sich zum großen Teil durch Kommunikation – also Äußerungen im oben definierten Sinne – konstituiert.68 Nun ist der Rechtsverkehr aber nicht nur darauf angewiesen, dass überhaupt Äußerungen getan werden, um etwas rechtlich Relevantes zu bewirken. Sondern ein wirklich effektiver Rechtsverkehr kann nur da existieren, wo diese Äußerungen auch im Nachhinein für längere Zeit nachweisbar sind. Deshalb werden Äußerungen verkörpert. Dem strafrechtlichen Schutz des Rechtsverkehrs muss es deshalb darum zu tun sein, Missbrauch und Fälschungen dieser verkörperten Äußerungen zu verhindern. Damit geht es bei den jetzt zu erörternden Straftatbeständen um Äußerungen, die die jeweiligen Tatobjekte darstellen. 1. Verfälschung und Hervorbringung Der wichtigste in diesem Zusammenhang zu nennende Tatbestand ist die Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB. Eine Urkunde in Sinne dieser Vorschrift ist „jede verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und die ihren Aussteller erkennen lässt“.69 Bei der Urkundenfälschung geht es nun nicht um den Inhalt der Urkunde – auch die inhaltlich zu beanstandende Urkunde ist nicht unecht oder gefälscht –, sondern darum, dass jemandem eine Äußerung unterge68
s. o. im 4. Abschnitt unter II. BGHSt 3, 82 (84 f.), Urt. v. 3. Juli 1952,– 5 StR 151/52 –; Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 790; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 267, Rn. 6; Tröndle/ Fischer, § 267, Rn. 2; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 267, Rn. 2; Herv. v. Verf. Genauer gesagt, braucht aus der Urkunde nur ein Aussteller hervorzugehen, vgl. dazu die entsprechende Klarstellung beim Äußerungsbegriff im 7. Abschnitt unter IV. 69
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schoben wird, die dieser gar nicht (oder jedenfalls nicht so) getan hat; es geht bei § 267 Abs. 1 StGB also um den Echtheitsschutz – während es auch Tatbestände gibt, die die inhaltliche Richtigkeit von Urkunden schützen.70 Da die Urkundenfälschung das Vorliegen einer Urkunde voraussetzt und die Urkunde aus einer Gedankenerklärung besteht, die einen Aussteller erkennen lässt, besteht die Urkunde aus einer (verkörperten) Äußerung im hier definierten Sinne.71 Die Tathandlung des „Gebrauchens“ einer unechten Urkunde verbietet es nun, dem vermeintlichen Aussteller eine Gedankenerklärung unterzuschieben, die er nicht (so) getan hat; die Varianten des „Herstellens“ oder „Verfälschens“ sind Vorfeldkriminalisierungen, die es verbieten, Handlungen auszuführen, die die Gefahr begründen, dass jemandem ein Gedankeninhalt untergeschoben wird, den er (so) nicht geäußert hat. Für die Frage der Strafbarkeit muss also geklärt werden, ob der vermeintliche Aussteller die Gedankenerklärung (so) getan hat oder nicht. Anders formuliert: Es geht um die Frage, ob der in der Urkunde verkörperte Gedankeninhalt dem tatsächlich geäußerten Gedankeninhalt entspricht. Dafür muss festgestellt werden, welcher Gedankeninhalt in der Urkunde verkörpert ist. Ein Gedankeninhalt, der nicht in der Urkunde verkörpert ist, kann auch niemandem untergeschoben werden. So muss denn die Urkunde ausgelegt werden, um festzustellen, welcher Gedankeninhalt in ihr liegt. Beispielsweise ist die bekannte Frage, ob in einer Sache ein „bloßes“ Augenscheinsobjekt oder eine Urkunde liegt, die Frage danach, ob in der Sache eine verkörperte Gedankenerklärung liegt.72 Nun ist die Auslegung einer Urkunde aber strukturell etwas anderes als die Auslegung, wie sie hier in Rede steht. Geht es bei der Auslegung, wie sie Gegenstand der Abhandlung ist, um die Auslegung der Tathandlung, so geht es bei den genannten Probleme der Urkundenfälschung nicht um die Tathandlung, sondern um die Frage, ob ein taugliches Tatobjekt vorliegt. Daher können diese beiden Auslegungsproblematiken nicht ohne weiteres über einen Kamm geschoren werden. Die Problematik der Auslegung einer Urkunde fügt sich nicht in den Ansatzpunkt der Abhandlung ein: Bei der Auslegung von Äußerungen, die als Tathandlungen in Betracht kommen, handelt es sich um die Frage, ob durch die Äußerung ein tatbestandsmäßiges Risiko geschaffen wurde. Das ist bei der „Auslegung des Tatobjekts“ nicht der Fall. Allerdings gilt es auch zu beachten, dass es in beiden Fällen um die Erfassung von Kommunikation in rechtlicher Hinsicht geht. Zwar ist einmal die Frage, ob Kommunikation eine Straftat darstellt, und das andere Mal steht in Rede, ob ein Eingriff in Kommunikation einen Tatbestand erfüllt. Doch das Sub70
Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, Vor § 267, Rn. 9; Vgl.: Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 267, Rn. 11 ff.; Puppe, in: Nomos Kommentar, § 267, Rn. 26. 72 Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 267, Rn. 17. 71
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2. Teil: Das Risiko
strat, das rechtlich geregelt wird, ist beide Mal dasselbe. Es geht darum, ob Kommunikation mit einem gewissen Inhalt vorliegt. Deshalb spricht viel dafür, dass die Auslegung von Äußerungen, die das Tatobjekt darstellen, ähnlichen Regeln folgt, wie die Auslegung von Äußerungen, die die Tathandlung darstellen. Doch braucht diese Frage nicht geklärt zu werden. Die Auslegung von Tatobjekten ist hier nur erwähnt, um zu zeigen, dass die Struktur der Äußerung auch anders denn als Tathandlung relevant sein kann. Deshalb wird auf diese Fragen im Fortgang nicht weiter eingegangen. 2. Vernichtung, Beschädigung und Vorenthalten Bei der Vernichtung von Urkunden geht es nicht um die Vernichtung der Sache „Urkunde“, sondern um die Vernichtung der in ihr enthaltenen Erklärung.73 Gleiches gilt für die Beschädigung bzw. das Vorenthalten von Urkunden. Auch hier geht es nur darum, dass der Beweiswert der Erklärung geschmälert wird.74 Daher kann der Tatbestand des § 274 Abs. 1 StGB auch erfüllt sein, wenn die Urkundssubstanz gar nicht beeinträchtigt wurde. Umgekehrt führt aber auch eine Beeinträchtigung der Urkundssubstanz nicht automatisch zu einer Verwirklichung des Tatbestands, denn es kann sein, dass trotzdem der Erklärungswert ungeschmälert erhalten bleibt. Wer also bei einer Urkunde nur den Rand abschneidet, sodass die Schrift lesbar bleibt (und der Beweiswert hierdurch nicht gemindert wird), begeht keine Urkundenunterdrückung.75 Auch hier ist erkennbar, wie die Problematik der Auslegung relevant ist. Nur soweit die Verkörperung des Gedankeninhalts beeinträchtigt wird, kann man das Vorliegen der entsprechenden Tathandlung bejahen. Wie weit der Gedankeninhalt aber reicht, erschließt sich nicht auf den ersten Blick und ist schon gar keine Tatsache, die sich einfach feststellen lässt. Es bedarf auch hier wieder der normativen Festsetzung durch Auslegung, um den Gedankeninhalt, also den „Sinn“ der Urkunde, festzustellen. 3. Gebrauch und Weitergabe Ging es zuvor darum, dass ein Interesse daran besteht, dass verkörperte Gedankenerklärungen in ihrer Integrität erhalten bleiben oder keine unechten Erklärungen erzeugt werden, so geht es hier darum, dass gewisse ver73
Cramer, in: Schönke/Schröder, § 274, Rn. 7. Cramer, in: Schönke/Schröder, § 274, Rn. 8 und 9. 75 Zwar fragend, aber bereits in diese Richtung: RGRspr. 2, 135, 136, Urt. v. 29. Juni 1880, – 1244/80 –; vgl. auch: Puppe, in: Nomos Kommentar, § 274, Rn. 9. In einem solchen Verhalten liegt aber regelmäßig eine Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB (vgl.: Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, § 274, Rn. 36). 74
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körperte Äußerungen nicht in den Umlauf gebracht werden sollen. Hier ist die verkörperte Äußerung das Tatmittel, allerdings ist die Äußerung nicht die Tathandlung. Beispiele sind die bereits oben angesprochenen „Verbreitungsdelikte“.76 Hier ist es rechtlich unerlaubt und strafbar, wenn eine Äußerung mit einem gewissen Inhalt in verkörperter Form („Schrift“ im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB) weitergegeben wird oder in sonstiger im jeweiligen Tatbestand beschriebener Weise mit ihr umgegangen wird. Um die Strafbarkeit eines Verhaltens beurteilen zu können, muss zuvor feststehen, dass überhaupt eine Schrift mit einem inkriminierten Inhalt vorliegt. Dazu muss auch hier wieder ausgelegt werden. Aber auch hier ist wiederum nicht diejenige Auslegung gemeint, die Gegenstand dieser Abhandlung ist. Bei den Verbreitungsdelikten braucht die Tathandlung nämlich gar keine Äußerung darzustellen. Das wurde bereits oben bei der Definition der Äußerung dargestellt.77 Das daraus folgende Problem besteht darin, dass die Auslegung des Tatmittels anderen Regeln folgen könnte als die Auslegung der Tathandlung. Deshalb wird auf diese Auslegung ebenfalls nicht eingegangen. V. Delikte, die an äußerungsähnliche Strukturen anknüpfen War bisher die Struktur der Äußerung entweder als Tathandlung oder eine verkörperte Äußerung als Tatobjekt bzw. Tatmittel Gegenstand des Interesses, so geht es jetzt um eine letzte Erweiterung: Es ist hier nicht mehr die Kommunikation zwischen Menschen, die Gegenstand (straf-)rechtlicher Regelung ist, sondern die Interaktion von Menschen mit Maschinen bzw. Maschinen mit Menschen. Auch im Rahmen dieser Interaktionen (die im Folgenden auch unter den Begriff der Kommunikation gefasst werden soll, ohne dass inhaltlich etwas damit vorweg genommen würde) kommt es dazu, dass Störungen auftreten, die vom Gesetzgeber als strafwürdig angesehen worden sind. Bei der Regelung dieser Konstellationen hat der Gesetzgeber – teilweise bewusst, teilweise wohl unbewusst – an die Struktur der Äußerung angeknüpft. Zunächst soll die Variante untersucht werden, in der eine Kommunikationsbeziehung zwischen einem Menschen – dem Täter – und einer Maschine in Rede steht. Hier weist die Tathandlung eine analoge Struktur zur Äußerung auf (unter 1.). Danach geht es um Regelungen, die die Kommunikationsbeziehung zwischen einer Maschine und einem Menschen betreffen. Hier hat das Tatobjekt eine analoge Struktur zur (verkörperten) Äußerung (unter 2.).
76 77
s. o. im 7. Abschnitt unter III. s. o. im 7. Abschnitt unter III. 3.
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2. Teil: Das Risiko
1. Der Täter „kommuniziert“ mit einer Maschine Der Computerbetrug (§ 263 a StGB) ist dem „herkömmlichen“ Betrug (§ 263 StGB) nachgebildet.78 Zu den Voraussetzungen des Betrugs gehört es, dass durch das Verhalten des Täters – die Täuschung, die sich allermeistens als Äußerung darstellt, gleich, ob der Tatbestand das erfordert oder nicht79 – ein Irrtum des Opfers verursacht wird.80 Nun hat der technische Fortschritt dazu geführt, dass vermehrt technische Geräte Aufgaben wahrnehmen, die ursprünglich von Menschen ausgeführt worden sind. So wird z. B. der Zahlungsverkehr in ganz überwiegendem Maße durch Computer abgewickelt und nicht mehr durch Menschen, die Kontobewegungen „von Hand“ buchen. Greift jemand in die „Arbeit“ eines solchen Computers ein, um sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, so kann eine Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB nicht gegeben sein. Es fehlt an einem Menschen, in dem täuschungsbedingt ein Irrtum hervorgerufen wurde.81 In diese „Strafbarkeitslücke“ tritt der Computerbetrug nach § 263 a StGB. Er erfordert kein menschliches „Opfer“ (bzw. „Werkzeug“ des Opfers beim „Dreiecksbetrug“) mehr, dessen Vermögensverfügung durch Einflussnahme auf das Vorstellungsbild verursacht wurde.82 An die Stelle des Irrtums tritt beim Computerbetrug die Beeinflussung des „Ergebnis[ses] eines Datenverarbeitungsvorgangs“ (§ 263 a Abs. 1 StGB).83 Der Computerbetrug ist somit – entsprechend dem Willen des Gesetzgebers – seiner Struktur nach dem Betrug nachgebildet.84 Mit § 263 a StGB werden „Manipulationsformen zum Nachteil fremden Vermögens unter Strafe [gestellt], deren Besonderheit im Vergleich zum Betrug darin besteht, dass hier nicht ein Mensch getäuscht und zu einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung veranlasst wird, sondern der Schaden durch Einflussnahme auf ein Datenverarbeitungssystem herbeigeführt wird“85. Das Problem, das sich in Beziehung auf § 263 a Abs. 1 StGB insofern stellt, ist folgendes: Es gibt erheblich mehr Möglichkeiten, das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorganges zu beeinflussen, als durch eine Täuschung 78 Cramer, in: Schönke/Schröder, § 263 a, Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 263 a, Rn. 1. 79 s. o. im 7. Abschnitt unter II. 3. 80 Cramer, in: Schönke/Schröder, § 263, Rn. 11; Tröndle/Fischer, § 263, Rn. 18 b. 81 Kindhäuser, in: Nomos Kommentar, § 263 a, Rn. 2. 82 Kindhäuser, Festschrift für Grünwald, S. 285, 289; Lackner/Kühl, § 263 a, Rn. 2. 83 Lackner/Kühl, § 263 a, Rn. 2 und 16. 84 BT-Drs X/318, S. 19; Kindhäuser, in: Nomos Kommentar, § 263 a, Rn. 5. 85 Wessels/Hillenkamp, BT/2, Rn. 599.
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– die nahezu immer eine Äußerung darstellt86 – einen Irrtum bei einem Menschen hervorzurufen. Um also die Begrenzungsfunktion der Täuschung, die es beim Computerbetrug nicht geben kann, beim Tatbestand des § 263 a Abs. 1 StGB anders zu erreichen, beschreibt das Gesetz hier spezielle Formen der „manipulativen Einwirkung“ auf ein technisches Gerät.87 Die größten Schwierigkeiten bereitet hierbei die Variante der „unbefugte[n] Verwendung von Daten“. Während man die anderen Modalitäten der Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten sowie der unrichtigen Gestaltung des Programms noch als „Täuschung eines Computers“ beschreiben kann, so ist das hier nur noch schwer möglich. Zu diesem Problem wird gesagt, dass der Tatbestand des § 263 a Abs. 1 StGB gerade auch an dieser Stelle „betrugsähnlich“ ausgelegt werden solle.88 Damit ist gemeint, dass diese Variante immer nur dann erfüllt sein soll, wenn sich das Verhalten, würde es einem Menschen gegenüber vorgenommen, als Täuschung im Rahmen eines Betrugs darstellt.89 Welche Möglichkeiten der Einflussnahme nun noch der irrtumserregenden Täuschung bei § 263 Abs. 1 StGB entsprechen und welche nicht, das ist in dieser Beziehung das wesentliche Problem des Computerbetrugs. Nun liegt es aber so, dass gerade nicht die Kommunikationsbeziehung zu einem Menschen betroffen ist, sondern die zu einer Maschine, die zwar – wie oben aufgezeigt – Ähnlichkeiten aufweist, aber trotzdem in einem Punkt komplett unterschiedlich ist: Es gibt keinen menschlichen Rezipienten, in dessen Lage der Rechtsanwender sich hineinfühlen könnte. Er muss sich stattdessen – Postulat der betrugsähnlichen Auslegung – in eine Maschine „hineinfühlen“. Er muss Maßstäbe bestimmen, wie man sich einer Maschine gegenüber verhält, und teilweise ist die Missachtung dieser Maßstäbe („Täusche einen Computer nicht!“) rechtlich sanktioniert. Hier kann keine vernünftige Analogie zur Täuschungshandlung nach § 263 Abs. 1 StGB gezogen werden.90 Dass angesichts dieser Sach- und Rechtslage bis heute nicht annähernd Konsens darüber hergestellt ist, wie diese Variante des § 263 a Abs. 1 StGB auszulegen ist, verwundert nicht.
86
s. o. im 7. Abschnitt unter II. 3. Lackner/Kühl, § 263 a, Rn. 2. 88 BGHSt 38, 120, 122, Urt. v. 22. November 1991, – 2 StR 376/91 –; Kindhäuser, in: Nomos Kommentar, § 263 a, Rn. 7. 89 Kindhäuser, in: Nomos Kommentar, § 263 a, Rn. 7; Cramer, in: Schönke/ Schröder, § 263 a, Rn. 11. 90 Kindhäuser, in: Nomos Kommentar, § 263 a, Rn. 7. 87
162
2. Teil: Das Risiko
2. Eine Maschine „kommuniziert“ mit einem Menschen – Straftatbestände, die an den Umgang mit äußerungsähnlichen Verkörperungen anknüpfen Nun gibt es aber nicht nur die Möglichkeit, dass der Täter mit einer Maschine kommuniziert und die Maschine „täuscht“ – mit der Folge, dass er sich nicht mehr äußert und somit keine Bestrafung wegen einer Äußerung mehr in Rede steht –, sondern dass eine Maschine mit einem Menschen kommuniziert. Da in dieser Kommunikationsvariante keine Strafbarkeit der Maschine in Rede stehen kann, kommt hier nur eine Strafbarkeit eines Dritten durch Eingriff in diesen Kommunikationsvorgang in Betracht. Die unmittelbare Einflussnahme wirft in strafrechtlicher Hinsicht keine Probleme auf, u. U. wird sogar § 263 a Abs. 1 StGB erfüllt sein. „Strafbarkeitslücken“ können aber entstehen, wenn der Täter von der Maschine produzierte Datenträger herstellt, fälscht oder beiseite schafft. Der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) nachgebildet ist hier die Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 Abs. 1 StGB).91 Zudem ist die „Unterdrückung“ einer technischen Aufzeichnung wie die „Unterdrückung“ einer Urkunde von § 274 Abs. 1 StGB erfasst. Bei der technischen Aufzeichnung steht im Gegensatz zur Urkundenfälschung nicht mehr eine verkörperte Gedankenerklärung im Mittelpunkt, sondern eine Verkörperung des Zustands eines technischen Geräts (das Gesetz spricht in der Definition der technischen Aufzeichnung von „Darstellung“, § 268 Abs. 2 StGB) tritt an die Stelle der Gedankenerklärung.92 Dieser Zustand wird im Gesetz als Datum, Mess- oder Rechenwert, Zustand oder Geschehensablauf beschrieben. Hierbei wird die Gedankenerklärung – sie gibt einen Hinweis auf das Vorliegen eines psychischen Zustands – durch eine „Erklärung“ über den Gerätezustand ersetzt. Damit ist klar, wie auch hier die Struktur der Äußerung relevant ist: Das Merkmal „Gedankeninhalt“ wird durch „Gerätezustand“ ersetzt. Kann man bei der Urkunde davon sprechen, sie müsse ausgelegt werden, um ihren Gedankeninhalt zu ermitteln (was für die Frage der Fälschung relevant ist), so kann man auch hier – zwar etwas bemüht, aber dennoch – ebenfalls von einer Auslegung sprechen. Muss man sich bei einer menschlichen Gedankenerklärung zur Auslegung in denjenigen hineinversetzen, der die Urkunde ausgestellt hat, und sich die Frage stellen, welche Gedanken er in der Urkunde hat verkörpern wollen, so muss man hier danach fragen, was das Gerät nach dem Willen seines Aufstellers hat aufzeichnen sollen. Im Regelfall 91 Puppe, in: Nomos Kommentar, § 268, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 268, Rn. 1; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, § 268, Rn. 2. 92 Hoyer, in: Systematischer Kommentar, Vor § 267, Rn. 2.
8. Abschn.: Exkurs
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ist das kein Problem: Ein Wiegestreifen beispielsweise soll das Gewicht aufzeichnen, und ein Foto eines Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts (Radarfalle) soll zwischen einem Abbild eines Fahrzeugs mit Fahrer sowie dem Datum, der Uhrzeit, dem Ort und der Geschwindigkeit (Daten im Sinne den § 268 Abs. 2 StGB) einen Zusammenhang darstellen.93 Das Problem stellt hierbei § 268 Abs. 3 StGB dar. Diese Regelung stellt das störende Einwirken auf den Aufzeichnungsvorgang der Herstellung einer unechten technischen Aufzeichnung gleich. Damit misst das Gesetz einer technischen Aufzeichnung jedenfalls auch den Inhalt zu, dass sie auf einem ordnungsgemäßen, da ungestörten Aufzeichnungsprozess beruht. Bezüglich dieser Regelung ist umstritten, welche Einwirkungen auf das Funktionieren eines technischen Geräts überhaupt noch Einwirkungen auf den Aufzeichnungsprozess sind. Es wird herkömmlich gesagt, Einwirkungen auf den Erfassungsprozess seien jedenfalls keine solchen Einwirkungen.94 Das hieße, dass eine technische Aufzeichnung nicht den Inhalt hätte, etwas über die ungestörte Erfassung der Ausgangsdaten auszusagen. Das hat die Folge, dass die aus einer sog. Inputmanipulation, dem „täuschenden Beschicken“ eines technischen Geräts, herrührende technische Aufzeichnung nicht „falsch“ ist. Hiergegen wendet sich allerdings Puppe: Nach ihrer Ansicht kann man nicht – wie es von der h. M. letztlich gemacht werde – zwischen einem Eingriff in die geräteinterne Verarbeitung und Aufzeichnung der Daten sowie einem Eingriff in die gerätexterne Erfassung der Daten unterscheiden.95 Vielmehr komme es darauf an, ob das jeweilige Gerät die Informationsgewinnung selbstständig durchführe.96 Als Beispiel führt Puppe den einmal angebrachten Wärmezähler an. Wenn die Informationen selbstständig erfasst würden, liege in einem Eingriff hier (der Wärmezähler wird von außen gekühlt) ein Eingriff in den Aufzeichnungsvorgang.97 Nach Puppes Ansicht kann man in einem solchen Fall also auch davon sprechen, dass die Aufzeichnung des Wärmezählers den Inhalt habe, er sei nicht gekühlt worden. Wenn hingegen das technische Gerät durch einen Menschen bedient werden müsse, dann läge in einem „täuschenden Beschicken“ tatsächlich keine Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang.98 In die Redeweise vom Inhalt der Aufzeichnung „übersetzt“ hieße das also, die Aufzeichnung sage nichts da93
Rahmlow, JR 2000, S. 388; Gribohm, in: Leipziger Kommentar, § 268, Rn. 18. Lackner/Kühl, § 268, Rn. 8; Tröndle/Fischer, § 268, Rn. 13 a; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, § 268, Rn. 31. 95 Puppe, in: Nomos Kommentar, § 268, Rn. 36. 96 Puppe, in: Nomos Kommentar, § 268, Rn. 36. 97 Puppe, in: Nomos Kommentar, § 268, Rn. 36. 98 Puppe, in: Nomos Kommentar, § 268, Rn. 37. 94
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2. Teil: Das Risiko
rüber aus, ob der Mensch – und nicht das Gerät – ordnungsgemäß und ungestört gearbeitet habe. Dieser Streit soll hier nicht weiter entfaltet werden. Es sollte nur gezeigt werden, dass er sich mit der hier verwendeten Diktion der „Auslegung“ darstellen lässt: Wie weit der Erfassungsprozess reicht bzw. ab wann der Aufzeichnungsprozess beginnt, lässt sich auch darstellen als Streit darum, welchen Informationsgehalt eine technische Aufzeichnung hat. VI. Ergebnis Die oben durchgeführten Betrachtungen haben gezeigt, dass die Struktur der Äußerung im Strafrecht viel weitgehender von Relevanz ist als es zunächst den Anschein haben könnte. Denn es gibt nicht nur die Äußerungsdelikte, sondern auch Tatbestände, die anderweitig an eine Äußerung anknüpfen, etwa indem sie eine Äußerung als Tatobjekt verlangen. Es wurde aber auch gezeigt, dass für manche Tatbestände die Struktur der Äußerung insofern relevant ist, als manche Tatbestandsmerkmale der Äußerung durch entsprechende andere Merkmale ersetzt wurden. Probleme, die sich im Rahmen der Auslegung dieser Tatbestände stellen, können sprachlich als Probleme dargestellt werden, die sich um die Auslegung von diesen äußerungsähnlichen Verhaltensweisen oder Verkörperungen ranken. Das bietet zwar keinen unmittelbaren Erkenntnisgewinn, wohl aber einen mittelbaren. Es veranschaulicht die inhaltliche Strukturierung der anderen Tatbestände.
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 165
9. Abschnitt
Die Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines möglichen Kausalverlaufs Strafrechtlich sanktionierte Verbote sind immer Verbote von Verhaltensweisen, die zumindest rechtsgutsgefährdend sind.1 Wie gezeigt, lassen sich auch die so genannten abstrakten Gefährdungsdelikte hier einordnen.2 Die den letztgenannten Tatbeständen zugrunde liegenden Verhaltensnormen verbieten bestimmte Verhaltensweisen, an die sich ein schädigender Kausalverlauf nicht tatsächlich anzuschließen braucht (wie das bei den Erfolgsdelikten der Fall ist) und bei denen auch nicht unbedingt im Einzelfall die Möglichkeit bestehen muss, dass sich ein schädigender Kausalverlauf anschließen könnte (wie bei den konkreten Gefährdungsdelikten). Sondern hier wird von einem Verhalten „gesetzlich vermutet“, dass es rechtgutsgefährdend ist. Das liegt daran, dass die (möglichen) Kausalverläufe, um deren Verhinderung es diesen Tatbeständen geht, entweder im Einzelfall sehr schwer vorherzusagen sind oder schwer zu beschreiben sind oder dass es noch nicht (restlos) aufgeklärt ist, ob – oder auf welche Weise – ein Verhalten sich auswirkt. Allerdings bezieht sich diese „gesetzliche Vermutung“ nicht immer auf den gesamten möglichen, an ein Verhalten sich anschließenden Kausalverlauf, sondern oft nur auf einen Teil: Bei dem Verbot von vielen Äußerungen liegt es so, dass die Möglichkeit einer „schädlichen“ Reaktion des Rezipienten – die immer der Grund für das Verbot einer Äußerung ist und sein muss3 – zum Teil „vermutet“ wird. So wird z. B. bei § 185 StGB gesetzlich vermutet, dass die beleidigende Äußerung der Grund für eine Selbst- bzw. Drittisolation durch den Rezipienten sein kann – auch wenn das im Einzelfall ausgeschlossen erscheinen mag. Allerdings gibt es auch andere Tatbestände wie z. B. die erfolgreiche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 Abs. 1 StGB). Hier muss auch die Reaktion des Rezipienten – die Begehung einer Straftat – kausal auf die Äußerung zurückgehen. Nicht „gesetzlich vermutet“ wird bei den abstrakten Gefährdungsdelikten, die eine Äußerung betreffen, aber der Teil des Kausalverlaufs, der davor liegt:4 dass die getane Äußerung einen gewissen Sinn 1 Rudolphi, GS f. Schröder, S. 73, 81; Wolter, Zurechnung, S. 35; Wolter, ZStW 89, S. 649, 672; Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 341, 343. 2 Siehe oben im 4. Abschnitt unter VI. 3 Siehe oben den 5. Abschnitt. 4 Eine Ausnahme hierzu stellen zwei Tatbestandsgruppen dar: Es handelt sich um die Verbreitungs- und die Verwendungsdelikte. Zu den Verbreitungstatbeständen vgl. oben im 7. Abschnitt unter III. und im 8. Abschnitt unter IV. 3. Das einzige Verbreitungsdelikt im deutschen Strafrecht wird durch § 86 a StGB geschaffen. In
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2. Teil: Das Risiko
hatte, was heißt, dass die vorgenommene Handlung, mit der die Gefahr verbunden war, dass sie vom Rezipienten in einer gewissen Weise verstanden werden konnte. Welche Art des möglichen Verständnisses des Rezipienten zur Tatbestandserfüllung jeweils gefordert wird, hängt vom jeweiligen Tatbestand ab und hieran knüpft auch die „gesetzliche Vermutung“ der Gefährlichkeit. Nach dieser kurzen Zusammenfassung muss dargelegt werden, wie man zu beurteilen hat, ob durch eine Äußerung ein solcher schädigender Kausalverlauf, der in einem Verstehensprozess besteht (an den sich – im Einzelfall tatsächlich, im Einzelfall möglicherweise oder gesetzlich vermutet – schädigendes Verhalten anknüpft) in Gang gesetzt werden kann. I. Der Beurteilungszeitpunkt – ex ante oder ex post? Zunächst soll es darum gehen, den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem man zu beurteilen hat, ob ein gewisser Kausalverlauf das Verständnis einer Äußerung durch den Rezipienten in bestimmtem (beleidigenden, volksverhetzenden etc.) Sinn hervorrufen kann. Es ist sinnvoll, nicht unmittelbar mit der Beschreibung der Wissensgrundlage zu beginnen, sondern zunächst den maßgeblichen Zeitpunkt zu definieren. Denn wenn man mit dem maßgeblichen Zeitpunkt die Grundlagen festgelegt hat, nach denen sich bestimmt, ob ein Verhalten gefährlich war – was heißt: ob es Unrecht darstellt –, kann man im Fortgang besser beschreiben, wie die Wissensgrundlage beschaffen sein muss. 1. Der Ex-post-Zeitpunkt Zunächst besteht die Möglichkeit, für die Gefährlichkeitsbeurteilung auf den Zeitpunkt der prozessualen Entscheidung, ob an das in Rede stehende Verhalten ein strafrechtlicher Vorwurf geknüpft werden soll, abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt, es wäre der Zeitpunkt des Prozesses, ist klar, ob ein Verhalten gefährlich war oder nicht:5 Hat das Verhalten dazu geführt, dass es zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs gekommen ist, dann war es gediesen Tatbeständen wird „gesetzlich vermutet“, dass die Verwendung gewisser Kennzeichen bzw. die Verbreitung gewisser Schriften einen gewissen Sinn transportieren kann (und weiter wird vermutet, dass dessen Vermittlung gewisse Folgen hat – aber das ist so wie bei allen Äußerungsdelikten). Auf diese Delikte wird später noch zurückzukommen sein und ihre Struktur wird in dem Zusammenhang als Beschränkung des Bereichs des „erlaubten Risikos“ beschrieben (unten im 14. Abschnitt). 5 So auch Struensee, in: Dencker/Struensee/Nelles/Stein, 2. Teil, Rn. 14: „Die Gefahr ist ein Kind unserer Unwissenheit“; Koriath, GA 2001, S. 51, 52.
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 167
fährlich. Hat ein Verhalten nicht zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs geführt, dann war es nicht gefährlich. Bezüglich der uns interessierenden Äußerungen heißt das: Eine Äußerung hätte einen strafrechtlich relevanten Sinn (beleidigend, volksverhetzend etc.), wenn sie vom Rezipienten in einem Sinne verstanden wurde, der rechtlich als „beleidigend“, „volksverhetzend“ etc. zu bezeichnen ist.6 (Ob es darüber hinaus zu einem entsprechenden Verhalten des Rezipienten gekommen ist, wäre irrelevant: Hier wirkt sich der Charakter der abstrakten Gefährdungsdelikte aus, eine Gefährdung wird insoweit „vermutet“.) Sie hätte keinen strafrechtlich relevanten Sinn, wenn der Rezipient sie nicht in einem solchen Sinne verstanden hat. Mit diesem Ansatz der nachträglichen Beurteilung, im Gegensatz zur Beurteilung zum Zeitpunkt des Handelns, stellt man auf das größtmögliche Wissen ab, da man „hinterher immer klüger ist“. Die gesamte Kategorie der Gefährdung wird bei einem konsequenten Umsetzen dieses Standpunkts obsolet. Es gibt ex post gar keinen Zustand mehr, in dem etwas unklar ist. Es gibt nur noch Verhalten, das zu einer Verletzung führte oder nicht dazu führte. Diese Konsequenz gibt schon einen Hinweis darauf, dass es auf eine Ex-post-Betrachtung nicht ankommen kann. 2. Die Maßgeblichkeit des Ex-ante-Zeitpunkts Damit muss die Ex-ante-Betrachtung zur Ermittlung einer Gefährlichkeit näher in den Blick genommen werden. a) Die Begründung durch die Bestimmungsfunktion der Verhaltensnormen Der maßgebliche Grund dafür, dass heutzutage nahezu einhellig davon ausgegangen wird, dass zur rechtlichen Bewertung eines vergangenen Verhaltens auf den Zeitpunkt des Verhaltens, den Ex-ante-Zeitpunkt, abzustellen ist, liegt darin, dass das Strafrecht den Rechtsgüterschutz7 nur durch eine Beeinflussung menschlichen Verhaltens bewirken kann. Rechtsgüter existieren nämlich wegen der Menschen; sie werden von der durch Menschen geschaffenen Rechtsordnung konstituiert und können nur von Menschen beeinträchtigt werden. Als ein solches (möglicherweise) beeinträchtigendes Verhalten kann daher nur ein Verhalten gelten, von dem man sagen kann, dass es menschenmöglich ist, seinen (möglichen) beeinträchtigenden 6
Vgl. zu den unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben (subjektive Bewertung des Rezipienten ./. rechtliche Bewertung) die Ausführungen zum Unterschied des „faktischen“ zum „normativen“ Ehrbegriff im 5. Abschnitt unter I. 4. a). 7 Vgl. die Nachweise am Anfang des 4. Abschnitt, insbesondere Fn. 2.
168
2. Teil: Das Risiko
Charakter bei der Vornahme des Verhaltens (und nicht erst danach) zu erkennen.8 Da die strafrechtlich geschützten Gebote und Verbote dem Einzelnen einen Maßstab an die Hand geben sollen, wie er sich verhalten soll (Unterlasse Verbotenes!), müssen sie darauf abstellen, welche Auswirkungen das Verhalten (zum Zeitpunkt des Handelns) haben konnte.9 b) Die Folgen der Ex-ante-Betrachtung Ist somit klar, dass es – allgemein und so auch für unser Problem – auf eine Ex-ante-Beurteilungsposition ankommt,10 so wird damit zweierlei bewirkt. Einschränkung des Bereichs des unerlaubten Verhaltens Man schränkt den Bereich rechtlich verbotenen Verhaltens dahin ein, dass – wie sich ex post herausgestellt – ein tatsächlich gefährliches Verhalten ihm nicht unterfällt, wenn die Möglichkeit der Gefährdung nicht ex ante voraussehbar war.11 Erweiterung des Bereichs unerlaubten Verhaltens Doch man schränkt nicht nur den Bereich des rechtlich verbotenen Verhaltens ein, sondern erweitert ihn gleichfalls. Man erweitert12 den Bereich des unerlaubten Verhaltens, indem man Verhaltensweisen verbietet, die sich im Nachhinein (ex post) als ungefährlich erwiesen haben, da sie nicht zu einer „Grund-Rechtsgutsverletzung“ geführt haben, tatsächlich aber aus Exante-Position zu einer Verletzung hätten führen können. Als Beispiel für den Bereich des Verbots von Äußerungen lässt sich wieder die Beleidigung anführen, die tatsächlich nicht verstanden wurde. Auch diese sich ex post als „ungefährlich“ erweisenden Äußerungen müssen auf Grund der Ex-anteBeurteilungsposition als „gefährlich“ und damit unerlaubt angesehen werden, da der zu verhindernde Kausalverlauf hätte ablaufen können, z. B. in8
Rudolphi, GS f. Schröder, S. 73, 81. Wolter, Zurechnung, S. 30; Wolter, ZStW 89, S. 649, 672; Kuhlen, FS f. Roxin, S. 331; H. L. A. Hart, in: Essays in Moral Philosophy, S. 87, 95; Kudlich, JURA 2001, S. 305. 10 Wolter, Zurechnung, S. 30; Wolter, ZStW 89, S. 649, 672; Rudolphi, GS f. Schröder, S. 73, 81, Roxin AT I, §11 Rn. 35; Kuhlen, Recht und Moral, S. 341, 345 ff. 11 Vgl. Wolter, Zurechnung, S. 32. 12 Darauf geht Wolter (Zurechnung S. 32) nicht ein; er verknüpft nur eine Einschränkung mit dem Prinzip des Abstellens auf die Ex-ante-Sicht. Ebenso: Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 341, 363. 9
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 169
dem die Äußerung vom Beleidigten hätte verstanden werden können. Mit dem Abstellen auf eine Ex-ante- anstelle einer Ex-post-Beurteilung nimmt man also tatsächlich eine „Verschiebung“ vor und nicht etwa, wie das teilweise anklingt, nur eine Einschränkung anstelle einer Erweiterung des Bereichs unerlaubten Verhaltens. Tatsächlich gefährliches Verhalten wird als ungefährlich angesehen, wenn die Gefährlichkeit nicht ex ante erkennbar war; tatsächlich ungefährliches Verhalten wird als gefährlich angesehen, auch wenn es ex post als ungefährlich beurteilt werden muss. Damit haben wir die zeitliche Perspektive festgelegt, auf Grund der man bestimmen muss, ob eine Äußerung vom Rezipienten in einem inkriminierten Sinn verstanden werden kann. II. Die genaue Beschreibung des Beurteilungswissens Nachdem wir die zeitliche Perspektive für die Gewinnung des Beurteilungswissens festgelegt und damit bereits zum Teil den Inhalt des Beurteilungswissens beschrieben haben – ganz sicher gehört kein Wissen hierzu, das erst im Nachhinein hätte erworben werden können –, geht es jetzt darum, im Einzelnen darzustellen, wie das Beurteilungswissen festzulegen ist. 1. Objektiver Dritter aus dem Verkehrskreis des Täters Bei der Festlegung eines solchen Wissensbestandes wird überwiegend davon ausgegangen, dass man gedanklich eine Maßfigur zu schaffen hat, die dann – ebenfalls gedanklich – mit einem bestimmten Wissen ausgestattet ist. Als „Grundausstattung“ wird das Wissen angesehen, das ein „gewissenhafter und besonnener Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters“ aufweist.13 a) Der „objektive Dritte“ Mit dem „gewissenhaften und besonnenen Menschen“ hat man einen Bestand an Grundwissen unterstellt, den die Rechtsordnung von jedermann verlangt. Zu diesem Wissen gehört sicher die Kenntnis der allgemeinen Naturgesetze, beispielsweise der Schwerkraft. Wollte man diesen Bestand an Grundwissen genauer beschreiben, so könnte man sagen, zu ihm gehörten all’ jene Grundsätze, die man Kindern schon in einem relativ frühen Stadium vermittelt, damit sie in der menschlichen Gesellschaft leben können. Es handelt sich um Wissen der Art, dass z. B. eine unbeaufsichtigte offene 13 Roxin AT I, § 24, Rn. 32; Puppe, in: Nomos Kommentar, vor § 13, Rn. 145; Jescheck/Weigend AT, S. 578; Wessels/Beulke AT, Rn. 667a.
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2. Teil: Das Risiko
Flamme, etwa einer Kerze, das Feuer anderen Gegenständen in der Umgebung mitteilen kann. Besonders augenfällig ist auch jene Regel, deren Internalisierung bereits im Kindergarten anhand von Bildergeschichten geübt wird: Das Besteigen eines auf einen Tisch gestellten Stuhles begründet die Gefahr des Umkippens (zwar geht es hier hauptsächlich um die Begründung einer „Fahrlässigkeit gegen sich selbst“, doch mag es ja häufig so sein, dass beim Umkippen auch Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden können). b) Der Verkehrskreis des Täters Weil sie problematischer sind, sind aber für die Praxis die Grundsätze, die sich aus der Berücksichtigung des „Verkehrskreises des Täters“ ergeben, wichtiger.14 Mit der Formulierung „Verkehrskreis des Täters“15 erweitert man das Wissen und schränkt damit den Bereich des als gefährlich zu beurteilenden Verhaltens ein, gleichzeitig erweitert man ihn aber auch. Es liegt hierbei genau so wie bei dem Abstellen auf den Ex-ante-Zeitpunkt anstelle des Ex-post-Zeitpunkts.16 Auch hierdurch wird wieder eher eine Verschiebung bewirkt als eine bloße Erweiterung des Bereichs des als gefährlich anzusehenden Verhaltens. Der Verkehrskreis als Erweiterung des Bereichs des unerlaubten Verhaltens Zunächst erweitert man den Bereich des als gefährlich zu beurteilenden Verhaltens: Man muss aufgrund des nur nach dem im Verkehrskreis des Täters vorhandenen Wissens auch ein Verhalten als grundsätzlich gefährlich ansehen, das hiernach potenziell einen schädigenden Kausalverlauf auslösen könnte, nach dem Grundbestand an Wissen außerhalb des Verkehrskreises aber nicht.
14 Das zeigt sich in der Rechtsprechung dann daran, dass gar nicht die farblosen Wörter vom „Verkehrskreis“ bzw. „Verkehrsbereich“ des Täters benutzt werden, sondern beispielsweise genauer auf den verantwortungsbewussten Führer eines schweren LKW (BGHSt 7, 307, 309, Urt. v. 11. Februar 1955, – 1 StR 478/54 –) oder den „gewissenhaften Kraftfahrer“ (BGHSt 16, 145, 151, Urt. v. 1. Juli 1961, – VGS 1/60 –) oder auf den „mit einer gefahrvollen Führungsaufgabe betraute[n] Offizier“ abgestellt wird (BGHSt 20, 315, 319, Urt. v. 10. Dezember 1965, – 1 StR 327/65 –). 15 s. o. Fn. 13. 16 s. o. unter I.
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 171
Der Verkehrskreis als Einschränkung des Bereichs unerlaubten Verhaltens Man schränkt den Bereich des als gefährlich anzusehenden Verhaltens aber auch ein, indem man zum Grundwissen das Wissen aus dem Verkehrskreis des Täters addiert. So ist es wohl nach dem oben geschilderten Bestand an Grundwissen für einen „normalen“ Menschen voraussehbar, dass es schädlich sein kann, ein technisches Gerät – etwa einen Computer – weiter zu betreiben, obwohl es auffällige Geräusche produziert, die auf einen gravierenden Defekt schließen lassen. Für einen Angehörigen eines speziellen Verkehrskreises aber, also z. B. den Ingenieur, mag es sein, dass er die Geräusche genauer dahin klassifizieren kann, dass sie nicht auf einen Defekt hindeuten, der Schäden anrichten kann. Das heißt, dass der Angehörige des Verkehrskreises nicht unerlaubt handelt, während der „Normalmensch“ das tut. Nur liegt es in einem Fall der oben geschilderten Art so, dass es niemals zum Erfolgseintritt kommen kann, sodass keine Strafbarkeit wegen eines fahrlässigen Erfolgsdelikts in Rede steht, weil das Erfolgsunrecht fehlt. Und das ist der Grund dafür, dass solche Fälle nicht vor Gericht kommen, sondern nur die umgekehrt gelagerten: Für den Verkehrskreisangehörigen ist etwas unerlaubt, was es für andere nicht ist. Und das hat dann dazu geführt, dass in der Literatur überwiegend von einer Ausweitung des Bereichs unerlaubten Verhaltens für einen Rollenträger gesprochen wird. 2. Zurechnung von individuellem Sonderwissen Nachdem man nun durch das Abstellen auf den Verkehrskreis den Wissensbestand zumindest zum Teil „individualisiert“ hat, wird überwiegend noch ein weiterer Schritt getan: Es wird gesagt, dass diese Individualisierung noch nicht weit genug gehe und man daher auch ein besonderes Wissen, das außerhalb der Rolle des Angehörigen eines Verkehrskreises erworben wurde, in den Bestand des Wissens, das man der Maßfigur zurechnet, mit einbeziehen müsse.17 Denn jemand, der ein größeres Wissen hat als das Wissen, das man bei einem objektiven Dritten aus dem Verkehrskreis des Täters voraussetzen kann, könne sich sonst einen „Freibrief“ verschaffen. Wandelt man den Fall des technischen Geräts von oben ab, so ist folgender Fall denkbar: Das technische Gerät gibt Geräusche von sich, die für den Ingenieur auf einen gravierenden Defekt hinweisen, die dem „normalen“ Anwender aber keinen Anlass zu Sicherheitsvorkehrungen geben müssen. Hat der „normale“ Anwender aber – und sei es nur aus Zufall – das Sonderwissen erworben, mit dessen Hilfe er wie der Ingenieur aus den Geräu17 BGH (Z), JZ 1981, S. 877 (879), Urt. v. 10. Februar 1987, – VI ZR 68/86 –; Jescheck/Weigend AT, S. 579; Wessels/Beulke AT, Rn. 670; Samson, in: Systematischer Kommentar, Anh. zu § 16, Rn. 11.
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2. Teil: Das Risiko
schen auf einen gravierenden Defekt schließen kann, so liegt im Weiterbetreiben des Geräts eine unerlaubte Handlung, da aufgrund des Sonderwissens voraussehbar ist, dass das Verhalten Schädigungen nach sich ziehen kann. 3. Rein individuelle Bestimmung des Wissensbestandes? Nun wird der oben angedeutete Gedanke teilweise noch weiter getrieben und vertreten, zur Bestimmung der Gefährlichkeit eines Verhaltens sei die Maßfigur gar nicht mit einem Bestand an generellem Wissen auszustatten, das sich aus der Zusammenfügung von Grundwissen, Rollenwissen und individuellem Sonderwissen zusammensetzt. Sondern die einmal begonnene Individualisierung des Wissensbestandes sei konsequent weiterzuführen, sodass die Maßfigur mit den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten des Handelnden – seien es Sonderkenntnisse oder hinter dem „normalem“ Maß zurückbleibende Kenntnisse – auszustatten sei.18 Dabei ist aber wichtig klarzustellen, um welches individuelle Wissen es geht, mit dem die Maßperson auszustatten ist. Es handelt sich nämlich nur um das Wissen, das erforderlich ist, um zu beurteilen, ob die Vornahme des Verhaltens ein tatbestandsmäßiges Risiko nach sich ziehen kann; es geht nicht um die Fähigkeit, dieses Risiko rechtlich zutreffend als ein rechtlich missbilligtes Risiko einzuordnen.19 4. Stellungnahme in Bezug auf die Wissensgrundlage bei der Bedeutungszuschreibung von Äußerungen Es lässt sich sagen, dass der oben im Allgemeinen skizzierte Streit in seiner praktischen Relevanz bei weitem überschätzt wird.20 Daher soll hier an dieser Stelle auch nicht intensiv auf diesen Streit eingegangen werden. Vielmehr soll im Folgenden versucht werden zu konturieren, mit welchem Bestand an Wissen man die Maßfigur auszustatten hat, um den Verstehenskausalverlauf zu antizipieren, der mit Äußerungen verbunden ist. Es wird sich zeigen, dass dieses Wissen von ganz anderer Art ist als das Wissen, um das es bei jener Streitfrage gemeinhin geht, nämlich das Wissen um mögliche naturwissenschaftlich beschreibbare Kausalvorgänge. Der Schwer18 Stratenwerth, in: FS f. Jescheck, S. 285, 286; Stratenwerth AT, § 15, Rn. 12; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 10, Rn. 14; Jakobs AT, 9/13; Samson, in: Systematischer Kommentar, Anh. zu § 16, Rn. 13. 19 Samson, in: Systematischer Kommentar, Anh. zu § 16, Rn. 14 a. E.; besonders deutlich spricht Stratenwerth (FS f. Jescheck, S. 285, 287) von den instrumentellen Fähigkeiten. 20 Vgl.: Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 10, Rn. 16.
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 173
punkt wird auf der Herausarbeitung dieses Wissens liegen; „im Vorübergehen“ wird dann auch zu dem oben dargestellten Streit Stellung genommen, und es wird sich zeigen, dass eine komplette Individualisierung vorzunehmen sein dürfte. III. Das Wissen beim Verhalten „Äußerung“ Haben wir oben (unter II.) umrissen, wie man grundsätzlich bestimmt, welches Wissen man um Vorgänge in der Außenwelt zu berücksichtigen hat, um zu bestimmen, ob in einem Verhalten ein rechtlich verbotenes Verhalten liegt, so geht es jetzt darum, dieses Wissen bezüglich der Wirkung von Äußerungen zu beschreiben. 1. Das Grundwissen Welches ist nun der Bestand an Grundwissen für den uns interessierenden Bereich, die Wirkungen von Äußerungen im Rezipienten, bzw. genauer: an Grundwissen darüber, wie Äußerungen vom Rezipienten aufgefasst werden könnten? a) Allgemeine Regeln der Bedeutungszuschreibung in der deutschen Sprache Teilweise entspricht dieses Grundwissen den allgemeinen Regeln der Bedeutungszuschreibung in der (deutschen) Sprache. So wird man hier – in Beziehung auf die Beleidigung – das Wissen um die Bedeutung der „gängigen“ Schimpfwörter anzusiedeln haben. Dazu gehört also sicher das Wissen darum, dass die Bezeichnung eines anderen mit tierischen Namen o. ä.21 als herabsetzend empfunden werden kann (und ganz sicher meistens wird). Die Beschreibung dieses Wissens wird für die Praxis meistens nicht notwendig sein, denn dass in solchen Fällen der Tatbestand erfüllt ist, liegt auf der Hand, sodass darüber meistens nicht gestritten wird. Die Probleme werden in der Praxis meistens darin bestehen, nicht allgemein gebräuchlichen Ausdrücken einen Sinn zuzumessen.22 Falls aber trotzdem einmal eine solche allgemeine Bedeutungszuschreibungsregel expliziert werden muss, so 21 Einfache Beispiele finden sich hierzu in Wörterbüchern, so etwa im Wahrig: „Esel“ (= Dummkopf, Tölpel), „Ochse“ (= Dummkopf, blöder Kerl), Gans (= einfältiges weibliches Wesen). Zu tatsächlichen Fällen vgl.: Hohnel, Doppelvogel und andere Beleidigungen, S. 29 („Schwein“), S. 62 („Pestbeule“). 22 Wie z. B. im Fall des Satirikers Wiglaf Droste, der Soldaten der Bundeswehr mit dem selbst erdachten Wort „Waschbrettköpfe“ bezeichnete und dafür wegen Beleidigung verurteilt wurde (FAZ v. 20. September 2000, S. 13).
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2. Teil: Das Risiko
wird man Wissen dieser Art in Wörterbüchern finden. Aber man darf hierbei nicht schematisch vorgehen und den Inhalt solcher Wörterbücher mit dem hier zu beschreibenden Bestand an Grundregeln über die Bedeutungszuschreibung gleichsetzen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen haben die gängigen Wörterbücher den Anspruch, alle allgemeinen Regeln der Bedeutungszuschreibung von deutschen Wörtern aufzuführen. Damit beschreiben sie nicht nur einen Grundbestand, den man von einem „gewissenhaften und besonnenen“ Menschen erwarten darf. Sie wollen auch die Hochsprache, die Sprache der „Dichter und Philosophen“, nachweisen,23 was über das Maß, was „jedermann“ wissen muss, sicherlich hinausgeht. Allerdings ist es nicht besonders wichtig, das „Grundwissen“ vom spezielleren Wissen, dem „Rollenwissen“ bzw. dem „Sonderwissen“, abzugrenzen. Denn aus dieser Einordnung folgt insoweit nichts, sie ist nur zur Systematisierung gedacht. Insbesondere in unserem Bereich ist es irrelevant, ob eine Bedeutungszuschreibung aufgrund einer allgemeinen oder einer speziellen Regel erfolgt. b) Umgangssprache Zum anderen besteht das Grundwissen auch in Bedeutungszuschreibungsregeln, die sich nicht in Wörterbüchern finden lassen, aber trotzdem so bekannt sind, dass nahezu jeder sie versteht. Insbesondere Beleidigungen finden z. B. häufig auf einem äußerst niedrigen Sprachniveau statt. Solcherlei Begriffe, die z. B. der Fäkalsprache entstammen,24 sind zwar jedem bekannt, haben aber häufig keinen Eingang in Wörterbücher gefunden. Hieran knüpft sich ein weiterer Aspekt, weshalb manche Ausdrücke nicht in Wörterbüchern zu finden sind. Gerade im Bereich von sprachlichen Zeichen, die Herabsetzung bedeuten, verändert sich die Sprache rasend schnell. So kann sich durch gewisse Ereignisse ein bestimmter Ausdruck als allgemein übliches Zeichen von Missachtung etablieren. c) Verbreitete Gesten Weiterhin ist zu bedenken, dass es bei dem Verbot von Äußerungen um die Unterbindung von Kommunikation geht. Und Kommunikation findet im menschlichen Zusammenleben sehr häufig durch Zeichen statt, die nicht aus sprachlichen Ausdrücken bestehen, sondern aus Gesten usw. Hierher gehört das Tippen an die Stirn25 und das Anspucken26. Solche Zeichen – zu ihnen gehört auch der berühmte Mittelfinger27 – können sich nicht in 23 24
Wahrig, Vorwort. Vgl. das Beispiel bei Hohnel, Doppelvogel und andere Beleidigungen, S. 24.
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Wörterbüchern finden. Wrage stellt in seiner Anmerkung zu einem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts28 die Frage, weshalb der sog. Stinkefinger in einem objektiv beleidigenden Sinne zu verstehen sein soll.29 Er führt dann bis auf Diogenes zurückgehende kulturhistorische Untersuchungen an, um festzustellen, dass ungeklärt sei, welche Bedeutung die Geste heutzutage habe.30 Sein Fehler dürfte darin liegen, dass er versucht, ein gleichbedeutendes Schimpfwort zu finden. Doch ein solches existiert nicht, ansonsten wäre die Geste überflüssig. Tatsächlich weiß jedermann, dass diese Geste eindeutig beleidigend ist, und deshalb hat sie objektiv beleidigenden Charakter. Darin liegt kein Zirkelschluss, sondern das Argument leitet die Bedeutung aus der derzeitigen „Verkehrsbedeutung“ der Geste ab.31 Mit Diogenes hat die Bedeutung nichts mehr zu tun; es ist irrelevant, was die Geste einst darstellte. 2. Das Rollenwissen Für die Praxis viel bedeutsamer sind die Fälle, in denen man die Vorhersehbarkeit der (Re)Produktion eines Gedankeninhalts anhand von Rollenwissen begründen muss. Das liegt daran, dass hier der Begründungsaufwand höher ist. Bei diesem Wissen handelt es sich um das Wissen, das im Verkehrskreis des Täters vorhanden ist. Das bedeutet also: Es werden über die allgemeinen Regeln der Bedeutungszuschreibung, die oben beschrieben wurden, auch speziellere Regeln anerkannt, die üblicherweise nicht jedermann bekannt sind bzw. sein sollen.
25 Hohnel, Doppelvogel und andere Beleidigungen, S. 25; Lenckner, in: Schönke/ Schröder, § 185, Rn. 13; sehr zweifelhaft OLG Düsseldorf (NZV 1996, S. 288, 289) zur Geste des „Doppelvogels“, der „[d]em Senat . . . als herabwürdigender, ehrverletzender Ausdruck nicht bekannt [ist]“ (Beschl. v. 18. März 1996, – 5 Ss 383/95 – 21/96 I –). 26 OLG Zweibrücken, NStZ 1990, S. 541, Beschl. v. 18. 6. 1990, – 1 Ss 238/89 –; Hohnel, Doppelvogel und andere Beleidigungen, S. 28. 27 OLG Düsseldorf, zitiert nach Janiszewski, NStZ 1992, S. 269, 271; Hohnel, Doppelvogel und andere Beleidigungen, S. 26; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 13. 28 BayObLG, NZV 2000, S. 337, Beschl. v. 23. 2. 2000, – 5 St RR 30/00 –. 29 Wrage, NZV 2001, S. 68. 30 Wrage, NZV 2001, S. 68. 31 Vgl. zur Bedeutung der Verkehrsanschauung in einem Fall des Betrugs: Grasnick, in: GS f. Schlüchter, S. 803, 819.
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a) Fachsprache Diese spezielleren Regeln über Bedeutungszuschreibungen, die in bestimmten Kreisen gelten, sind insbesondere die Regeln, die das ausfüllen, was man als die Fachsprache gewisser Berufsgruppen bezeichnet. In den meisten Berufen ist es erforderlich, sich über Dinge auszutauschen, die im täglichen Leben weitgehend irrelevant sind. So hat sich hier ein Bereich von Bedeutungszuschreibungsregeln entwickelt, mit denen Berufsangehörige sich verständigen können, die Außenstehenden aber nicht bekannt sind. Stammt der Äußernde z. B. aus dem Kreis von Juristen, so müssen wir zur Beurteilung des möglichen Verständnisses auch solches Wissen mit heran ziehen, das nur in diesem Personenkreis bekannt ist und der Mehrheit der Bevölkerung nicht. Äußert also ein Rechtsprofessor angelegentlich des nicht bestandenen Examens des Sohnes eines Kollegen diesem gegenüber den Satz: „Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse haberet“32, so müssen wir auch das Wissen, das im Kreise von Rechtsprofessoren vorhanden ist, zur Beurteilung dafür heranziehen, wie der Kollege den Satz auffassen kann. Damit kommen wir zu dem Ergebnis, dass der Satz, in dieser Konstellation geäußert, vom Rezipienten wohl dahin verstanden werden kann, er habe keine ausreichenden Rechtskenntnisse, was sich an dem Durchfallen des Sohnes in der Prüfung zeige. Damit muss der Satz vom objektiven Beobachter als „gefährlich“ (z. B. im Sinne des Beleidigungsparagrafen) angesehen werden, was nicht der Fall wäre, wenn z. B. ein KfzMechaniker in derselben Konstellation dem Juristen gegenüber den Satz – ohne ihn in irgendeinem Sinne selbst zu verstehen – geäußert hätte.33 Man 32
Dig. 50, 17, 54. Nun mag man hiergegen einwenden: Weshalb sollte eine Kfz-Mechaniker in derselben Situation nicht den objektiven Tatbestand des § 185 StGB erfüllen? Die Antwort ist, dass er natürlich genau so strafbar wäre wie der Jurist, doch nur dann, wenn man ihm Sonderwissen zurechnen muss (dazu weiter unten unter 3.). Falls der Kfz-Mechaniker dieses Sonderwissen um die Bedeutung eines Satzes aus den Digesten nicht hat, kann man auch nicht davon ausgehen, dass er ein unerlaubtes Risiko setzt. Denn für einen objektiven Dritter aus seinem Verkehrskreis ist es nicht voraussehbar, dass der Rezipient den Satz als beleidigend auffassen wird. Wichtig ist, dass in diesem Falle der Kfz-Mechaniker also nur zufällig Wörter ausspricht, es sich zufällig um lateinische handelt und zufällig diese in der Konstellation als beleidigend anzusehen sind. So viele Zufälle gibt es selbstverständlich nicht sehr häufig. Es gibt sie umso seltener, je umfangreicher die Handlungsmöglichkeiten sind. Sind – wie bei der menschlichen Sprache – die Ausdrucksmöglichkeiten nahezu unendlich (s. o. im 1. Abschnitt unter II. 3. a), insbesondere Fn. 40; zu der Beschaffenheit des Substrats der Sprache vgl.: de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft), so ist die Wahrscheinlichkeit unendlich klein. Damit ist in diesem Bereich eine allgemeine Regel mustergültig bestätigt: Ein Täter wird sich zur Erreichung seines rechtlich missbilligten Ziels in der Regel eines 33
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schränkt den Bereich des als gefährlich anzusehenden Verhaltens durch die Erweiterung der Wissensbasis um das im Verkehrskreis vorhandene Wissen aber auch ein: So kann es sich ergeben, dass ein Begriff allgemein so aufgefasst wird, dass mit ihm ein zu missbilligender Gedankeninhalt verbunden wird. Innerhalb des Verkehrskreises, dem der Täter zugehört, dient der Begriff aber nicht hierzu; hier bezeichnet er etwas Wertneutrales oder sogar als positiv zu Bewertendes. Eine solche Konstellation kann eintreten, wenn ein innerhalb des Verkehrskreises gebräuchlicher Begriff in die „normale“ Sprache vordringt und dabei seine Bedeutung wechselt, er somit „falsch“ rezipiert wird. So bezeichnete der Ausdruck „Populist“ ursprünglich den Anhänger einer bestimmten politischen Partei in der römischen Antike, diese Bedeutung hat der Begriff in der Geschichtswissenschaft heute noch. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird als „Populist“ aber jemand bezeichnet, der opportunistisch jeweils nach den Mehrheitsverhältnissen schielt. b) Privater Sprachgebrauch Aber auch umgekehrt lassen sich Beispiele bilden: Im allgemeinen Sprachgebrauch ist mit der Bezeichnung eines anderen als „Esel“ etwas Abwertendes verbunden, im speziellen Sprachgebrauch zwischen zwei Verliebten kann mit dieser Bezeichnung gerade die besondere Zuneigung zum Ausdruck gebracht werden.34 Es bleibt festzuhalten: Aufgrund des Wissens, das wir der Maßperson unterstellen, kann es sich ergeben, dass auch das Wissen eines bestimmten Verkehrskreises maßgeblich ist. Dieses Wissen kann dazu führen, dass der Täter bei seiner Äußerung – etwa: „alter Esel“ – davon ausgehen darf, dass der Gegenüber – der Ehemann – das nicht als beleidigend verstehen wird. Umgekehrt ist das natürlich auch möglich: Das „Rollenwissen“ kann dazu führen, dass ein im Allgemeinen „harmloser“ Ausdruck in einem zu missbilligenden Sinn gedeutet werden muss. 3. Das Sonderwissen Das soeben beschriebene „Rollenwissen“ entsteht auf folgende Weise: Innerhalb eines abgegrenzten Bereichs der menschlichen Gesellschaft besteht das Bedürfnis, über Dinge zu kommunizieren, die nur hier wichtig sind. Innerhalb dieses Bereichs bürgert es sich ein, mit gewissen Ausdrücken beunerlaubten Mittels bedienen, vgl: Reyes, ZStW 105, 108, 133; Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 143; Frisch, FS f. Roxin, S. 213, 219. 34 Bei der Bezeichnung eines anderen als „Esel“ (Donkey) kann man auch an den speziellen Sprachgebrauch unter Anhängern der Demokratischen Partei in den USA denken.
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stimmte Dinge zu bezeichnen, die in der Allgemeinheit nicht – oder nicht so – bezeichnet zu werden pflegen. Nun kommt es aber häufig nicht schnell genug zu einer derartigen, der normalen Sprache analog verlaufenden, „organischen“ Bildung solcher spezieller „Sprachinseln“. Trotzdem besteht aber ein Interesse daran, sich innerhalb eines abgegrenzten Bereichs untereinander über Dinge, über die man in der Allgemeinheit nicht – oder nicht so – spricht, zu verständigen. a) Vereinbarte Bedeutungszuschreibungsregeln So besteht die Möglichkeit, von der häufig Gebrauch gemacht wird, Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken zu vereinbaren. Auf diese Weise werden „neue“ Ausdrücke geschaffen bzw. es wird die herkömmliche Bedeutung von Ausdrücken abbedungen. Gute Beispiele für diese Bedeutungszuschreibungsregeln, die spezieller sind als die Bedeutungszuschreibungsregeln, die für gewisse Rollen gelten,35 sind Regeln, die sich in rechtlich verbotenen Gruppen gebildet haben. In kriminellen Vereinigungen ist es üblich – zum Teil wohl wegen drohender Abhörmaßnahmen, zum Teil aber vielleicht auch aus Scham – illegale Geschäfte, seien es Waffen- oder Drogengeschäfte, Bestechung oder sonstige Fälle von Korruption, nicht im Klartext abzuwickeln. Zudem dürfen Anweisungen des „Führungspersonals“ an die Ausführenden ebenfalls nicht als solche erkannt werden. In diesen Fällen bedient man sich dann einer mehr oder weniger guten Geheimsprache. Es werden dann Waffen beispielsweise als Klaviere bezeichnet.36 Bei diesen „Bedeutungsvereinbarungen“ handelt es sich natürlich nicht um zivilrechtliche Verträge – was zur Folge hätte, dass die zivilrechtlichen Wirksamkeitsregeln hier gelten würden –, sondern um bloße tatsächliche Absprachen darüber, gewissen sprachlichen Ausdrücken eine bestimmte Bedeutung oder herkömmlichen Ausdrücken eine andere Bedeutung zuzumessen. Auch allgemein muss man sich davor hüten, in die Erkenntnis von Bedeutungszuschreibungsregeln rechtliche Wertungen hineinzulesen. Die Bedeutungszuschreibungsregeln werden vielmehr vom Recht vorausgesetzt und insofern kann man sagen, dass das Recht sich vollkommen akzessorisch zu diesen Regeln verhält. Es bestimmt oder bewertet niemals diese Regeln, sondern immer nur den durch diese Regeln übermittelten Inhalt.
35
Vgl. oben unter 2. Den Fall teilt Brox (AT Rn. 125) im Rahmen von Ausführungen dazu mit, dass es den Grundsatz, dass dem Wortsinn nach „eindeutige“ Erklärungen keiner Auslegung bedürfen, nicht gibt. 36
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b) Zufällige Kenntniserlangung von Rollenwissen Zurück zum „Sonderwissen“: Das „Sonderwissen“ besteht selbstverständlich nicht nur aus dem Wissen um die Regeln, die auf die oben beschriebene Art entstanden sind. Es kann auch aus einem Rollenwissen bestehen, das durch zwei verschiedene Arten erworben werden kann. Zum einen ist es möglich, dass der Handelnde selbst an der Entstehung der besonderen Bedeutungszuschreibungsregel beteiligt war. Es ist zum anderen aber auch möglich, dass er zufällig erfährt, dass in gewissen Kreisen spezielle abweichende Regeln der Bedeutungszuschreibung gelten. In diese Kategorie ist dann auch der Fall von oben einzuordnen, in dem der Kfz-Mechaniker dem Rechtsprofessor gegenüber das Digestenzitat äußert.37 Hat der Täter die Kenntnis von Bedeutungszuschreibungen, die in seinen eigenen Kreisen nicht üblich sind, so kann er sich auch mit Äußerungen, deren Sinn sich nach den Gepflogenheiten der für ihn eigentlich fremden Kreise bestimmt, verständlich machen. Er kann also auch auf diese Art Straftaten begehen. 4. Komplette Individualisierung des Beurteilungswissens? Wie bereits angekündigt,38 soll noch kurz darauf eingegangen werden, ob nicht der Bestand an Wissen, nach dem sich bestimmt, ob ein Verhalten als „gefährlich“ einzustufen ist, komplett nach dem individuellen Wissensstand des Täters zu bestimmen ist. Grundsätzlich spricht dafür, dass es bereits bei der Beurteilung von Verhalten, das sich nicht als Äußerung darstellt, kaum möglich ist, die zur Bestimmung maßgeblichen Verkehrskreise vernünftig gegeneinander abzugrenzen.39 Das ist zwar noch relativ einwandfrei möglich im Bereich der Beurteilung professionellen Verhaltens. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es bei Äußerungen im Regelfall nicht darum geht, professionelles Verhalten zu bewerten, sondern die Fälle u. U. strafrechtlich relevanter Äußerungen entstammen regelmäßig der gesamten Breite des menschlichen Lebens. Denn sprachlich kommuniziert wird nahezu überall, sowohl im Bereich professionellen Verhaltens als auch im Bereich privaten Verhaltens sowie im Bereich der Teilnahme an einem öffentlichen Meinungsbildungsprozess. Je genauer man die Maßfigur zunächst mit Rollenwissen und dann mit Sonderwissen ausstattet, umso genauer kann man das Verhalten angemessen erfassen. Die herrschende Meinung individualisiert deshalb mit der Bildung von Verkehrskreisen und der Zurechnung von Sonderwissen bereits die Wissensgrundlage; es ist nicht nachvollziehbar, wes37
Vgl. oben unter 2. a). s. o. unter II. 4. 39 Freund AT, § 5, Rn. 26; Samson, in: Systematischer Kommentar, Anh. zu § 16, Rn. 13. 38
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halb nicht auch der letzte Schritt getan und die Wissensgrundlage vollends auf individueller Basis bestimmt wird.40 Gerade bei Äußerungen liegt es nahe, nur auf das individuelle Wissen des Äußernden abzustellen, denn nur so kann die Vielgestaltigkeit kommunikativen Verhaltens zumindest einigermaßen angemessen erfasst werden. Gerade im Fall der sprachlichen Äußerung kommt es häufig vor, dass sich jemand Begriffen oder Redewendungen bedient, deren Bedeutung er aus dem Kontakt mit gewissen Rollenträgern aus anderen Verkehrskreisen erworben hat. Danach kommt es darauf an, wovon der Täter aufgrund seines individuellen Wissens hätte ausgehen müssen, wie der Rezipient das Geäußerte verstehen wird.41 Will man sich dieser hier vertretenen Ansicht nicht anschließen, so wird man mit der herrschenden Meinung dahin gelangen, dass das Sonderwissen aber auf jeden Fall zugerechnet wird (bzw. ein neuer Verkehrskreis gebildet wird). Im Ergebnis läuft das auf dasselbe hinaus wie die hier vertretene vollkommene Individualisierung. IV. Die Besonderheiten des Wissens um Bedeutungszuschreibungsregeln Nach dem oben Gesagten sind die Regeln der Verkehrsanschauung, die Gegenstand des Wissensbestandes sind, Regeln darüber, durch welche Reize welche Gedanken (= Hirnströme) in einem Menschen hervorgerufen werden. 1. Die nahezu unendliche Anzahl der Bedeutungszuschreibungsregeln Damit sind die Regeln der Verkehrsanschauung „normale“ Regeln über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ergebnisses auf vorhergehendes Verhalten; es verhält sich mit ihnen also im Grundsatz genau so wie mit den Kausalgesetzen aus der Naturwissenschaft. Doch das ist nur im Grundsatz so, im Einzelnen folgt aus dieser Erkenntnis wenig: Denn es gibt unendlich mehr Regeln der Verkehrsanschauung und sie sind so unglaublich vielgestaltiger als die aus den Kausalgesetzen der Natur gewonnenen Wahrscheinlichkeitsregeln zur Beurteilung einer außerhalb der menschlichen Psyche liegenden Wahrscheinlichkeit in der unbelebten Natur. Schon oben wurde herausgearbeitet, dass die Verkehrsanschauung so unglaublich viele Bedeutungszuschreibungsregeln umfasst, dass es fast unmöglich ist, eine
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Freund AT, § 5, Rn. 31. Das darf man nicht mit dem Vorsatz verwechseln. Der Vorsatz ist: Was hat der Äußernde tatsächlich vorhergesehen, wie der Rezipient das Geäußerte verstehen würde? 41
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einzelne in einem Beispiel herauszupräparieren, ohne dass das damit gebildete Beispiel lebensfern würde. 2. Die „Vermischung“ von Verkehrsanschauungen Ein weiterer wesentlicher Umstand, der bewirkt, dass die Regeln der Verkehrsanschauung dieses hoch komplexe Netzwerk von Bedeutungszuschreibungsregeln bilden, die sich nie in ihrer gesamten Breite adäquat beschreiben lassen, soll hier näher betrachtet werden. Es geht darum, dass die Bedeutungszuschreibungsregeln, nach denen sich der Sinn einer Äußerung bestimmt, nicht nur davon abhängen, wer der Rezipient der Äußerung ist. Sondern in ganz wesentlichem Maße werden sie auch durch die Person des Äußernden bestimmt. Sie werden dadurch zum einen durch die Person des Rezipienten bestimmt, weil es auf die Verkehrsanschauung ankommt, wie sie sich ex ante aus der Perspektive des Äußernden darstellen. Sie werden aber auch zum anderen – und darum geht es hier – durch die Person des Äußernden beeinflusst; d.h. dass die anzuwendenden Regeln je nach der Person des Äußernden andere sein können. Das ist erstaunlich, nachdem oben dargelegt wurde, dass Äußerungen nur deswegen unerlaubt sind, weil sie sich im Rezipienten auswirken können, sodass nur seine psychischen Gegebenheiten zur Ermittlung der möglichen Wirkungen einer Äußerung relevant sein sollten. Aber wie sich Äußerungen im Rezipienten auswirken, hängt auch von der Person des Äußernden ab. Denn man muss berücksichtigen, dass es beim Verbot von Äußerungen um Kommunikation geht. Der Rezipient versucht, wenn er eine Äußerung vernimmt, sie möglichst gut zu verstehen. Das heißt: Er möchte den hinter der Äußerung stehenden Gedankeninhalt des Äußernden (den „subjektiven Sinn“) möglichst exakt nachempfinden. Dazu wird er nicht nur sein Wissen um die Bedeutung von sprachlichen Zeichen für ihn – das oben beschrieben wurde – anwenden, sondern sich auch fragen, was der Äußernde mit der Äußerung meinte. Damit wird er sich – zumindest zum Teil – in den Äußernden hineinfühlen und sich fragen, was der Äußernde mit der Äußerung hat sagen wollen. Der Äußernde kennt diesen Mechanismus natürlich auch; um möglichst gut verstanden zu werden, wird er die Verkehrsanschauungen des Rezipienten verwenden, weil er aber weiß, dass dieser sich in ihn (den Äußernden) versetzen wird, braucht er sich nicht vollständig dem Rezipienten zu unterwerfen. Auf diese Weise – jeder Kommunikationspartner antizipiert beim Äußern wie beim Verstehen jeweils Gedankengänge des anderen – bildet sich so etwas wie eine gemeinsame Ebene. Es muss also bei der Formulierung einer Bedeutungszuschreibungsregel jeweils versucht werden, diese gemeinsame Ebene zu finden.
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3. Die ungenaue Konturierung der Verkehrsanschauungen Diese „gemeinsame“ Ebene muss bei jedem Kommunikationsakt gefunden werden; ohne sie kann Kommunikation nicht gelingen. Oben wurde geschildert, wie diese gemeinsame Ebene gefunden wird; jeder am Kommunikationsprozess Beteiligte muss sich in die Rolle des anderen hineinversetzen. Dass im Strafrecht meistens nur eine Äußerung und kein gesamter Kommunikationsprozess in Rede steht (Ausnahme: sog. deliktische Vertragsschlüsse42), ändert daran nichts. Nun ist es aber offensichtlich, dass diese gemeinsame Ebene umso leichter zu erreichen ist, je geringer das Vorverständnis des Äußernden und das des Rezipienten auseinander liegen. Je geringer also der Aufwand des jeweiligen Äußernden und Rezipienten ist, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen, desto schneller und unkomplizierter kann die gemeinsame Ebene gefunden werden. Je stärker das Vorverständnis also durch objektive Setzungen geprägt ist, umso geringer können die unterschiedlichen Vorverständnismöglichkeiten voneinander abweichen. Und eine stärkere objektive Setzung ist immer umso eher möglich, je kleiner das sprachlich zu erfassende Gebiet ist und je häufiger hier über „standardisierte“ Dinge gesprochen wird. Schon oben wurde gesagt, dass Auslegung von menschlichem Verhalten nicht nur im Strafrecht stattfindet, sondern auch im Zivilrecht und in anderen Rechtsgebieten. Im Zivilrecht geht es dabei um die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen. Da Willenserklärungen und Verträge im Wesentlichen die Gestaltung von Vermögensangelegenheiten betreffen, ist das Gebiet, über das hier rechtlich relevant kommuniziert werden kann, erheblich kleiner. Zudem wird hier „standardisiert“ gesprochen, jedem Teilnehmer eines Rechtsgeschäfts sind – wenn auch nicht explizit, so doch in seiner „Laiensphäre“ – die Konstruktionen des Zivilrechts bekannt, nach denen man eigenverantwortlich Vermögensangelegenheiten regeln kann. Jedermann ist jedenfalls in seiner Laiensphäre klar, was einen Kauf, einen Tausch, eine Übereignung oder eine Pfandrechtsbestellung ausmacht. So gibt es hier z. B. eine abstrakte Regeln dahingehend, dass das Befestigen eines Schildes mit der Aufschrift „3000 EUR“ an einem auf dem Hof eines Autohändlers abgestellten PKW bedeutet, dass der Händler grundsätzlich bereit ist, Kaufangebote zu diesem Preis entgegenzunehmen. Es gibt weiterhin eine abstrakte Regel der Bedeutungszuschreibung dahin, dass in der oben beschriebenen Situation die Worte eines Kaufinteressenten „Ich nehme den Wagen“ bedeuten, dass der Kaufinteressent ein Angebot zu 3000 Euro macht. In unserem Bereich – der Bedeutungszuschreibung zu Äußerungen, die wesentlich nicht im vermögensrechtlichen Bereich stattfin42
s. o. im 8. Abschnitt unter I. 2. b).
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den – ist die Verkehrsanschauung natürlich eine sehr viel weitere. Es geht hier eben nicht nur um den Rechtsverkehr, sondern prinzipiell um jedes mögliche kommunikative Verhalten im sozialen Miteinander. Im Strafrecht kann rechtlich relevant über erheblich mehr kommuniziert werden; inhaltliche Grenzen dessen, worüber kommuniziert werden kann, gibt es praktisch nicht. Einige Beispiele mögen das darlegen. So kann man strafrechtlich relevant sich über den Staat äußern (§ 90 a Abs. 1 StGB), über gewisse Funktionsträger im Staat generell (§ 90 Abs. 1 StGB) bzw. in ihrer spezifischen Funktion (§ 90 b Abs. 1 StGB). Viel weiter ist das Feld noch, wenn man an den „Prototyp“ des Äußerungsdelikts, die Beleidigung (§ 185 StGB), denkt. Hier geht es um die Einstellung zu Personen allgemein. Speziellere Beleidigungstatbestände seien noch genannt: Bei § 166 StGB geht es um die innere Einstellung zu Religionsgemeinschaften oder Bekenntnissen, bei § 130 Abs. 1 StGB geht es um Einstellungen zu Minderheiten. Einen ganz umfassenden Bereich betrifft die Anstiftung zu einer Straftat (§§ 26 Abs. 1, X StGB, gleiches gilt natürlich auch für §§ 111 Abs. 1, 140 StGB). Hier geht es um die Motivation Straftaten – welcher Art auch immer – zu begehen. V. Die Besonderheiten bei der Anwendung des Wissensbestandes Dass der ermittelte Wissensbestand um die Verkehrsanschauung so unglaublich umfangreich ist, dass er kaum in einzelnen Sätzen expliziert werden kann, wirft bei der Anwendung natürlich Probleme auf. Auf diese Probleme und wie man sie bewältigen kann, muss nun eingegangen werden. 1. Keine „normale“ Subsumtion möglich Grundsätzlich stellt die Anwendung des Wissens auf ein zu beurteilendes Verhalten kein Problem dar. a) Beispiel So gibt es z. B. das Naturgesetz, dass offene Flammen das Feuer anderen Dingen mitteilen können. Daraus kann man ableiten, dass immer dann, wenn man eine Kerze unbeaufsichtigt in einem Raum stehen lässt, die Gefahr besteht, dass die Kerzenflamme umliegende Dinge in Brand setzt. Unter diesen „Obersatz“ kann man das konkrete Verhalten subsumieren. A hat eine Kerze in einem Raum unbeaufsichtigt stehen lassen, damit hat er die Gefahr begründet, dass umliegende Dinge Feuer fangen. Nun wurde aber oben dargelegt, dass die Wahrscheinlichkeitsregeln, aus denen die Verkehrs-
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anschauung besteht, erheblich komplexer sind als diese Regel. Die Wahrscheinlichkeitsregeln der Verkehrsanschauung sind viel stärker miteinander vernetzt, als das bei den aus den Naturgesetzen abgeleiteten Regeln der Fall ist. Zwar sind auch Fallgestaltungen denkbar, in denen diese Regel durch eine andere Regel überlagert wird, etwa, wenn der Raum, in dem die Kerze unbeaufsichtigt stehen gelassen wird, vollständig aus unbrennbaren Materialien besteht. Doch von den einzelnen Wahrscheinlichkeitsregeln, die darüber Auskunft geben, durch welches Verhalten welche Verstehensreaktion in einem anderen ausgelöst werden kann, kommt kaum jemals eine zum Tragen, ohne dass sie durch nicht noch mindestens eine andere überlagert wird. Gratuliert jemand einem anderen, so wird im Regelfall damit keine Verstehensreaktion im Sinne einer Beleidigung erfolgen. Die Bedeutungszuschreibungsregel der Beglückwünschung kann aber durch eine weitere Regel überlagert sein, etwa in der Art, dass eine Gratulation nach Ereignissen, die, vom Rezipienten ausgelöst, den Äußernden geschädigt haben, das Gegenteil besagt. Diese Regel kann durch die weitere Regel, dass zwischen den befreundeten Personen des Rezipienten und des Äußernden häufig so geredet wird, weiter überlagert werden. In diesem Fall ist also nicht ohne weiteres einsichtig, welche Bedeutungszuschreibungsregel angewendet wird und ob es nicht u. U. noch weitere relevante gibt. b) Auswirkungen Die Auswirkungen dessen (beim Wissen um Bedeutungszuschreibungen ist keine „normale“ Subsumtion möglich) sind uns im Verlauf der Abhandlung bereits mehrmals begegnet. Rechtliche Einordnung der Auslegung von Äußerungen So wurde oben bei der Frage der rechtlichen Legitimation der Auslegungsregeln für Äußerungen festgestellt, dass die Auslegung einer Äußerung eine merkwürdige „Zwischenstellung“ zwischen Konkretisierung des Gesetzes und Feststellung und Subsumtion des Sachverhalts darunter einnimmt.43 Neumann nimmt für die Auslegung einer Äußerung sogar an, dass sie einen dritten Bereich der Rechtsanwendung, der zwischen Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung liege, darstelle.44 Diese merkwürdige „Zwischenstellung“ kann mit dem oben entwickelten Modell erklärt werden: Die Verkehrsanschauungen, auf die das Gesetz bei Tatbeständen verweist, die durch Äußerungen erfüllt werden sollen, sind so vielgestaltig und 43 44
s. o. im 1. Abschnitt unter II. 2. b) a. E. Neumann, GA 1988, 387, 401.
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in ihrer gegenseitigen Beeinflussung so komplex, dass dieser Teil der Auslegung des Gesetzes schwer als solcher begriffen werden kann. Auch die Tatsachenfeststellung macht Probleme: Eine Äußerung – zumal eine durch Worte – kann schwer anders beschrieben werden als durch ihre Wiedergabe in Textform („. . . und dann hat er gesagt: ‚ . . . ‘ “). Welchen Sinn sie hat (eigentlich das Ergebnis einer rechtlichen Wertung, der eine Gefährlichkeitsbetrachtung zugrunde liegt), kann danach nicht mehr objektiv ermittelt werden. Jeder Rezipient hat die Äußerung bereits entschlüsselt und somit bereits „automatisch“ den Sinn ermittelt.45 Festgefahrener, erbitterter Streit in paradigmatischen Fällen Jeder Rezipient ermittelt seinen eigenen Sinn, der sich von dem eines anderen Rezipienten zumindest in Nuancen unterscheidet. Je umstrittener der Bereich ist, zu dem sich die Äußerung verhält, desto stärker weicht der unbewusst als selbstverständlich ermittelte Sinn unter den einzelnen Rezipienten ab. Das erklärt den erbitterten Streit um die Auslegung einzelner Äußerungen, die konkret rechtlich zu bewerten waren, etwa in den „Soldatensind-Mörder-Fällen“.46 (Um den Streit zu entschärfen, hat man versucht ihn rechtlich zu kanalisieren. Bei der Beleidigung geschieht das dadurch, dass man versucht Auslegungsprobleme als solche des Rechtsguts zu etikettieren – wohl auch, um nicht der Tatsache ins Auge sehen zu müssen, dass das Problem der Auslegung sich noch in ganz anderen Bereichen und damit umfassender stellt.) Die Auslegung in der Revisionspraxis In der Komplexität der Verkehrsanschauungen liegt auch der Grund, weshalb die Revisionsrechtsprechung mit der Auslegung von Äußerungen ähnlich umgeht wie mit der Überprüfung von tatrichterlichen Ermessensspielräumen:47 Die Auslegung der Äußerung ist Aufgabe des Tatrichters (obwohl sie Konkretisierung des Gesetzes ist), das Revisionsgericht darf sie aber darauf überprüfen, ob Rechtsfehler begangen wurden, also Auslegungsregeln nicht oder nicht richtig angewendet oder übersehen worden sind. Das liegt daran, dass der Tatrichter dem Revisionsgericht gar nicht 45 Was wohl daran liegt, dass die Kommunikationsfähigkeit eine natürliche Eigenschaft des Menschen ist, die man unbewusst voraussetzt, wodurch man sich den Blick auf die Gesetzmäßigkeiten, die sie beherrschen, verstellt (Krippendorff, in: Metaphern und Modelle der Kommunikation, S. 79, 81; vgl. auch die Ausführungen im 2. Abschnitt unter IV. 2.). 46 s. o. im 2. Abschnitt unter IV. 47 s. o. im 6. Abschnitt unter I. 1.
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die gesamte Tatsachenbasis mitteilen kann, die er zur – zum Teil bei ihm „automatisch“ abgelaufenen – Auslegung einer Äußerung benötigt hat. Er ist darauf angewiesen, seine Tatsachenfeststellung zum Teil mit Formulierungen wiederzugeben, die auch Wertungen enthalten („. . . sprach laut und aggressiv . . .“, „. . . forderte nachdrücklich . . .“). Diese Feststellungen kann und darf er so treffen, weil andernfalls keine Rechtsanwendung möglich wäre. Hat er aus diesen Feststellungen allerdings falsche rechtliche Schlüsse gezogen oder beruhen diese Feststellungen ersichtlich auf unzutreffenden Bedeutungszuschreibungsregeln, muss das Revisionsgericht seine Aufgabe der Überprüfung auf Rechtsfehler wahrnehmen. 2. Auswege Die relevanten Bedeutungszuschreibungsregeln können insbesondere in den problematischen Fällen nicht (ausnahmslos) expliziert werden. Bei der praktischen Beurteilung von Fällen müssen wir uns damit auf das tatsächliche Wissen des Beurteilers über die mögliche Wirkung der in Rede stehenden Äußerung verlassen. Wie kann aber dann eine Entscheidung – etwa ein Urteil – unter diesen Umständen noch ausreichend begründet werden? a) Umformulieren als Hilfsmittel Eine Möglichkeit ist es zu versuchen, den in Rede stehenden Audruck umzuformulieren. Man versucht damit, einen Ausdruck zu finden, dessen Bewertung eindeutiger ist als der streitgegenständliche Begriff. Allerdings kann dieses Vorgehen nicht zu exakten Ergebnissen führen. Denn man muss sich vor Augen halten, dass, wenn eine Sprache zwei Wörter – das gilt natürlich auch und erst recht für ganze Redewendungen – als Ausdrücke zur Verfügung stellt, man diese in der Regel nicht in ihrer Bedeutung gleichsetzen kann. Die Sprache hat sich in einem Prozess der Evolution entwickelt – und entwickelt sich immer weiter – und von Ausnahmefällen einmal abgesehen kann man davon ausgehen, dass diese Evolution nicht so ineffektiv abläuft, dass sie mehrere Ausdrücke „erfindet“, die exakt dasselbe bedeuten. Zumindest in Nuancen müssen unterschiedliche Ausdrücke etwas Unterschiedliches bedeuten.48 Damit muss man beim Umformulieren vorsichtig vorgehen. Es muss auch nicht unbedingt darum gehen, Formulierungen zu finden, die etwas Gleiches oder etwas Ähnliches bedeuten. Häufig ist es viel effektiver zu versuchen, Formulierungen zu finden, die jedenfalls die Gefahr vermeiden, 48 John Langshaw Austin zitiert nach Fletcher, in: Abweichendes Verhalten IV, S. 181, 187.
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dass man in einem ganz bestimmten Sinne missverstanden wird. Damit zeigt man Grenzlinien auf, etwa in dem Sinne, dass es ganz sicher nicht mehr vorstellbar ist, dass der Rezipient einen Ausdruck in diesem (umformulierten) Sinne verstehen wird. Man kann durch Umformulieren auch versuchen aufzuzeigen, dass eine Grenzlinie bereits überschritten ist. Häufig lassen sich „mildere“ Umformulierungen finden, die anerkanntermaßen bereits gewisse Verstehensreaktionen auslösen. b) Kompetenz zur Deutung Oben wurde dargelegt, dass hier im Bereich der Auslegung von Äußerungen die „normale“ Regel, dass das Gesetz bis zu dem Punkt konkretisiert werden muss, an dem man die gegebenen Tatsachen darunter subsumieren kann, nicht mehr (uneingeschränkt) gilt. Hier muss man sich mit anderen Methoden behelfen. Das wirft die Frage auf, wie es mit der Legitimation (z. B. des Richters) zur Entscheidung eines Falles bestellt ist. Hier muss zunächst klar gestellt werden, dass die grundsätzliche Legitimation des Richters, eine Entscheidung zu treffen, nicht in Frage stehen kann. Denn er ist nach dem Gesetz berufen, (auch) einen Streit zu entscheiden, dessen Gegenstand unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten einer Äußerung sind. Zudem gilt es zu beachten, dass der Richter Teil der Sprachgemeinschaft ist, in der die Äußerung getan wurde und in der sie wirken sollte. „Eine Sprachgemeinschaft setzt voraus, daß alle Mitglieder über die jeweilige Sprache verfügen und daß alle die Sprache bis zu einem wesentlichen Grad gleich verstehen.“49 Der Richter ist letztlich in keiner anderen Situation als die jeweiligen Rezipienten der Äußerung, nur kann er den Sinn nicht einfach nur „empfinden“, sondern ist aufgerufen, dieses „Empfinden“ nachvollziehbar darzulegen. Die Sinnzuschreibung ist als Antizipation der in der konkreten Situation erwartbaren Sinnzuschreibung des Rezipienten etwas Empirisches; aber die Daten können „durch ruhiges Überlegen gewonnen werden“,50 eines Sachverständigen bedarf der Richter im Regelfall nicht. Das oben zur Kompetenz des Richters Ausgeführte gilt natürlich nur im Grundsatz, zu dem es Ausnahmen gibt. Das ist insbesondere der Fall, wenn es sich um Äußerungen von z. B. Ausländern handelt oder wenn sich die Kommunikation in gesellschaftlichen Gruppen vollzieht, denen der Richter selbst fern steht. Wenn also der Richter von einem Sprachgebrauch nichts versteht, weil er der Sprachgemeinschaft nicht angehört und er somit auch nicht beurteilen kann, was gewisse Wörter in anderen auslösen, muss er ei49 50
Fletcher, in: Abweichendes Verhalten IV, S. 181, 189. Fletcher, in: Abweichendes Verhalten IV, S. 181, 189.
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2. Teil: Das Risiko
nen Sachverständigen einschalten. Das gilt aber nur in dieser Konstellation. Benutzt der Äußernde also z. B. Fremdwörter oder Wörter, die nicht auf den ersten Blick verständlich sind, so muss der Richter keinen Sachverständigen befragen, wenn sich die Äußerung erkennbar an jemanden aus seiner Sprachgemeinschaft wandte. Im Regelfall ist es deshalb irrelevant, welche Herkunft ein Begriff hat, denn es kommt nur darauf an, was er aktuell bedeutet,51 was er mithin aktuell für Verstehensreaktionen in den Rezipienten auslösen konnte. Insgesamt ist das Verfahren zur Sinnermittlung nur zu einem Teil intersubjektiv vermittelbar, aber das kann bei so komplexen Dingen nicht anders sein. Immerhin ist ein Zustand, in dem man sich der Unterschiede zur sonstigen Rechtsanwendung bewusst ist, besser, als der Zustand, in dem man den Glauben hat, Bedeutung einfach „erkennen“ zu können.52 Da wir täglich die Bedeutung von Kommunikationsbeiträgen vieltausendfach ermitteln – und das nicht nur beim Sprechen mit Menschen, sondern auch beim Lesen, beim Betrachten von Verkehrsschildern, beim Abschluss von Rechtsgeschäften – haben wir die „automatisch“ ablaufende Sinnermittlung bereits so eingeübt, dass wir nur noch zu einem geringen Teil explizieren können, wie dieser Vorgang im Einzelnen abläuft. So ist der – stillschweigend zu Grunde gelegte – Irrtum entstanden, „Bedeutung“ sei „an sich“ da. Das oben vorgeschlagene Vorgehen scheint eine relativ einfache Möglichkeit zu sein, über Bedeutung zu diskutieren. Am Ende erhält man ein Feld von denkbaren Verständnismöglichkeiten, wie die vorgestellte Maßperson die Äußerung auffassen könnte. Diese Menge an möglichen Deutungen (nicht Be-deutungen, dass die Äußerung eine tatbestandsmäßige Bedeutung gehabt hat, kann erst dann das Endergebnis sein, wenn wir auch gegenläufige Interessen in die Betrachtung mit einbezogen haben) ist die Gesamtheit der Möglichkeiten, wie der Rezipient – auf Basis des ermittelten Wissensbestandes – die Äußerung hätte verstehen können.
51
Ein Sachverständiger darf also z. B. nicht herangezogen werden, um zu klären, welche Bedeutung der „Stinkefinger“ hat. Entgegen den Ausführungen von Wrage (NZV 2001, S. 68) kommt es auf die Herkunft der Geste nicht an. Gleiches gilt von dem Begriff des „Waschbrettkopfes“ (oben Fn. 22), der in einer Rede an die „Allgemeinheit“ verwendet wurde. 52 Gegen das „Erkennen“ von Bedeutung spricht sich explizit auch Grasnick im Zusammenhang mit der Täuschungshandlung beim Betrug aus (GS f. Schlüchter, S. 803, 819 f.).
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 189
VI. Exkurs: Fahrlässige Äußerungsdelikte Je vielfältiger die Möglichkeiten sind, einen Erfolg zu erreichen (beim Äußerungsdelikt der Beleidigung beispielsweise die Herabsetzung), desto komplexer müssen die Regelungen sein, nach denen man entscheidet, ob eine konkrete Möglichkeit, das Ziel zu erreichen, unerlaubt ist. Ein Teil dieser Regelungen sind die Regelungen, nach denen man bestimmt, ob überhaupt ein Risiko gesetzt wurde. Strebt der Täter nichts Rechtswidriges an, so wird er nur „zufällig“ unerlaubt handeln – was u. U. Fahrlässigkeitsstrafe nach sich zieht. Sind die Möglichkeiten einen Erfolg zu verursachen unglaublich vielfältig und nur ganz wenige von ihnen rechtlich unerlaubt, so tritt der Fall, dass der Erfolg zufällig herbeigeführt wird, nahezu nie ein. 1. Das fahrlässige Äußerungsdelikt des leichtfertigen Subventionsbetrugs (§ 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB) im Allgemeinen Das dürfte der Grund sein, weshalb es bisher keine Notwendigkeit gegeben hat, fahrlässige Äußerungen unter Strafe zu stellen und es damit im Strafgesetzbuch – zumindest im Grundsatz – keine fahrlässigen Äußerungsdelikte gibt. Im StGB gibt es zu diesem Grundsatz nur eine Ausnahme. Es handelt sich hierbei um den Subventionsbetrug gem. § 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB. Die Tathandlung besteht hier darin, leichtfertig über gewisse Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben zu machen. Vom Wortsinn her wird man wohl davon ausgehen müssen, dass hiermit nur eine Äußerung gemeint sein kann.53 Man kann über Tatsachen nicht anders Angaben machen als durch das Setzen von Zeichen, die auf einen Gedankeninhalt deuten.54 2. Das fahrlässige Äußerungsdelikt des leichtfertigen Subventionsbetrugs nicht als Ausnahme, Fahrlässigkeit im Bereich der Vermögensdelikte straflos zu lassen Das Erstaunliche an diesem Straftatbestand dürfte entgegen verbreiteter Ansicht in der Literatur55 nicht darin liegen, dass hier das Rechtgut des Vermögens gegen fahrlässige Angriffe geschützt wird. Einen Straftatbestand, der das Vermögen (auch) gegen fahrlässige Angriffe schützt, stellt 53
Vgl. oben im 8. Abschnitt unter I. 2. b). Vgl. oben im 7. Abschnitt unter II., Fuhr, Äußerung, S. 87; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, § 264, Rn. 77. 55 Wessels/Hillenkamp BT/2, Rn. 683; Tröndle/Fischer, § 264, Rn. 28. 54
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2. Teil: Das Risiko
z. B. das abstrakte Vermögensgefährdungsdelikt des § 142 Abs. 1 StGB dar. Das tatbestandsmäßige Verhalten, die Unfallflucht, muss zwar vorsätzlich begangen werden, braucht aber nicht vom Bewusstsein getragen zu sein, das Vermögen zu gefährden oder gar zu schädigen.56 Insoweit ist also kein Vorsatz erforderlich, denn auch derjenige, der weiß, dass das „Opfer“ aufgrund seiner Unfallflucht mit Sicherheit keine Vermögenseinbuße erleiden wird, erfüllt den Tatbestand des § 142 StGB. 3. Das fahrlässige Äußerungsdelikt des leichtfertigen Subventionsbetrugs als Ausnahme, Fahrlässigkeit im Bereich der Äußerungsdelikte straflos zu lassen Somit liegt das Besondere an § 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB nicht darin, dass das Vermögen gegen fahrlässige Angriffe geschützt wird, sondern darin, dass das Rechtgut gegen fahrlässige Angriffe durch Äußerung geschützt wird. Es wurde oben dargelegt, dass die Auslegung einer Äußerung tatsächlich Auslegung des Gesetzes ist.57 Nur gibt es im Bereich von Äußerungen als mögliche Tathandlungen so viele mögliche Konkretisierungen des Gesetzes, dass sich die hier zu beobachtenden Strukturen besser als Eigenschaften der Tathandlung darstellen lassen. Man kann somit die Regel aufstellen: Je komplexer die Möglichkeiten sind, einen Tatbestand zu erfüllen, umso seltener kommt es dazu, dass ein Tatbestand erfüllt wird, ohne dass das vom Täter erkannt bzw. angestrebt wird. Da die Bandbreite der möglichen Tathandlungen bei Äußerungsdelikten unglaublich groß ist, kann es nur sehr selten dazu kommen, dass der Täter eine taugliche Tathandlung vornimmt, also ein von hochkomplexen Wertungen abhängiges Verhalten an den Tag legt, ohne zu sehen, was er damit tut. Zwar gibt es so genannte Versprecher, aber sie führen meistens dazu, dass sie als solche erkannt werden. Weniger häufig, aber dennoch nicht selten, lassen sie die gesamte Äußerung als unverständlich erscheinen. Versprecher aber, die einen anderen Sinn vermitteln, als der Sprechende sich vorstellt, und die nicht als Versprecher erkannt werden (und dann von Rezipienten stillschweigend „richtig“ verstanden werden oder gar nicht verstanden werden), sind extrem selten. Genau hier hätte § 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB aber seine einzige Existenzberechtigung: bei Angaben über Tatsachen, die unerkennbar so aussehen, als ob sie auf einen gewissen Gedankeninhalt hindeuten, tatsächlich aber auf einen ganz anderen Gedankeninhalt hindeuten sollten. Diese Konstellation entspricht dem obigen Beispiel des Kfz-Mechanikers, der das Digestenzitat nicht kennt und es trotzdem ausspricht. 56 57
Lackner/Kühl, § 142, Rn. 31. s. o. im 1. Abschnitt unter II. 2.
9. Abschn.: Beurteilungsbasis für die Gefährlichkeit eines Kausalverlaufs 191
VII. Ergebnis Die Frage nach der Auslegung einer Äußerung ist im Grundsatz die Frage nach ihrer „Gefährlichkeit“. Dabei bedeutet „Gefährlichkeit“ die Möglichkeit, dass eine Äußerung so auf den Rezipienten einwirkt, dass dieser zu rechtsgutsverletzendem Verhalten bewegt werden kann. Insoweit das Verhalten dieses Dritten Bestandteil des zu verhindernden Kausalverlaufs ist, ist die Bestrafung einer Äußerung eine Ausnahme vom Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz. Da es auf sein (mögliches) Verhalten ankommt, ist im Grundsatz sein „Horizont“ maßgeblich. Die Frage, ob die Äußerung vom Rezipienten in einem „gefährlichen“ Sinne verstanden werden kann, muss aus der Ex-ante-Position beurteilt werden. Das folgt daraus, dass man im Strafrecht allgemein die Frage, ob ein (schädigender) Kausalverlauf ausgelöst werden kann, wegen der verhaltenssteuernden Funktion des Strafrechts aufgrund einer Ex-ante-Position beurteilt; Kausalverläufe, die sich nur im Nachhinein (ex post) als gefährlich erweisen, sind nicht allein deswegen rechtlich unerlaubt. Die Frage, wie der Rezipient von seinem Horizont aus die Äußerung verstehen wird, muss mithin aufgrund einer Ex-ante-Betrachtung aus Sicht des Täters erfolgen. Diese Ex-ante-Prognose ist nach der hier vertretenen Ansicht aufgrund des individuellen Wissens des Täters von dem voraussichtlichen Verständnis des Rezipienten zu treffen. (Im Wesentlichen mit dem gleichen Ergebnis kann man auch auf das durchschnittliche Erfahrungswissen eines objektiven Dritten abstellen, das um das Rollen- und individuelle Sonderwissen des Täters ergänzt wird.) Das zu dieser Beurteilung relevante Wissen kann bei Äußerungen nicht in seiner gesamten Breite expliziert werden und deshalb kann der Vorgang der „Subsumtion“ des Einzelfalls unter das Gesetz ebenfalls nicht in seiner ganzen Komplexität dargestellt werden. Hierin liegt auch die anerkannte Sonderstellung der Auslegung Äußerungen zwischen Auslegung des Gesetzes und Subsumtion des Einzelfalls unter das Gesetz. Bei der Beurteilung von konkreten Fällen muss man sich deshalb auf das tatsächlich vorhandene und anwendbare Wissen des Beurteilers (der im Regelfall der Richter sein wird) bezüglich des Verständnisses von Äußerungen verlassen. Wir haben – da wir noch nicht darauf eingegangen sind, ob es u. U. auch erlaubt sein kann, sich „gefährlich“ zu äußern – noch nicht bestimmt wie der Sinn positiv festgestellt werden muss. Wir können aber (negativ) sagen, dass eine Äußerung, von der auf der geschilderten Beurteilungsbasis angenommen werden muss, dass sie den Rezipienten niemals zu rechtsgutsschädigendem Verhalten veranlassen wird, keinen strafrechtlich relevanten Sinn hat.
192
2. Teil: Das Risiko
10. Abschnitt
Abweichende Konzeption: Eindruck Es wurde dargestellt, dass der strafrechtlich relevante Sinn einer Äußerung nicht darin liegen kann, dass der Äußernde bei der Vornahme seiner Handlung einen gewissen Gedankeninhalt hatte.1 Denn wenn man so an einen subjektiven Umstand anknüpft, beachtet man nicht genügend, dass der Grund für das rechtliche Verbot einer Äußerung in der möglichen Gefahr der negativen Beeinflussung des Rezipienten besteht.2 Damit liegt es nahe, genau das gegenteilige Konzept zur Gleichung „Sinn = Gedankeninhalt des Äußernden“ näher in den Blick zu nehmen. I. Der „Eindruck“ als Gegenteil der „subjektiven Theorie“ Der Sinn einer Äußerung läge dann in dem Gedankeninhalt, der auf die Äußerung hin im Rezipienten tatsächlich hervorgerufen wird. Man kann davon sprechen, dass dieser Gedankeninhalt der „Eindruck“ ist, den die Äußerung auf den Rezipienten gemacht hat.3 Weil man mit diesem Ansatzpunkt darauf abstellt, in welchem Sinn der Rezipient die Äußerung tatsächlich verstanden hat, also die Vorstellung des Rezipienten für maßgeblich hält, stellt dieser Ansatzpunkt das genaue Gegenteil der „subjektiven Theorie“ des Reichsgerichts dar. Wird dort (zumindest in einem weiten Bereich)4 für relevant gehalten, was der Äußernde gedacht hat, so stellt dieser Ansatz darauf ab, was der Rezipient gedacht hat. Die Gleichung heißt hier also: „Sinn = Gedankeninhalt des Rezipienten“. Eine solche Konzeption – so viel sei schon vorweggenommen – wäre unzutreffend und wurde (soweit ersichtlich) noch niemals vertreten.5 Trotzdem erstaunt das, denn dieses – zur „subjektiven Theorie“ genau gegenteilige – Modell würde dem Grundsatz, dass Äußerungen wegen ihrer Wirkungsmöglichkeiten im Rezipienten verboten sind, Rechnung tragen. Aus diesem Grund wird hier kurz auf diese Position eingegangen, denn auch obwohl sie nie vertreten wurde, wird sie dennoch häufig explizit angesprochen6 und so soll dies auch hier geschehen.
1
s. o. im 6. Abschnitt unter I. s. o. im 5. Abschnitt unter III. 3 Vgl.: Kern, Äußerungsdelikte, S. 21. 4 s. o. im 6. Abschnitt unter I. 2. Die Rechtsprechung hielt das nur insoweit durch, als es um „zwei- und vieldeutige Ausdrücke und Redewendungen“ geht. 5 Vgl.: Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 185, Rn. 10; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 17. 2
10. Abschn.: Abweichende Konzeption: Eindruck
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II. Einwände gegen die Relevanz des „Eindrucks“ Der wesentliche Grund, weshalb man zur Ermittlung des Sinns einer Äußerung nicht auf das Verständnis des Rezipienten abstellen darf, liegt darin, dass durch diese Gleichsetzung die Entscheidung, ob eine Äußerung den objektiven Tatbestand erfüllt oder nicht, zu einem großen Teil vom Zufall abhinge.7 1. Die Unvorhersehbarkeit des „Eindrucks“ Wie der konkrete Rezipient die Äußerung versteht, kann der Äußernde nur zu einem gewissen Grad durch seine Wortwahl, seinen Tonfall, seine Gesten etc. beeinflussen. Der Rezipient kann durch seine allgemeinen Einstellungen (sein „Vorverständnis“) dazu kommen, eine Äußerung als einen gewissen Sinn einschließend (beleidigend etc.)8 anzusehen, obwohl sonst niemand – und also auch der Äußernde nicht – jemals mit dieser Möglichkeit hätte rechnen können. So kann es ganz offensichtlich nicht den objektiven Tatbestand des § 185 StGB erfüllen, wenn jemand einen anderen als „Gourmet“ bezeichnet und der so Bezeichnete das als beleidigend auffasst (genauer: so auffasst, dass es nach den maßgeblichen Wertungen als beleidigend anzusehen ist), weil er infolge seiner Unwissenheit dieses Wort als Synonym für „Vielfraß“ ansieht.
6 Sauer, Ehre, S. 79; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 185, Rn. 10; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 17. 7 Eine petitio principii ist es wohl, wenn Kern annimmt diese Konzeption sei abzulehnen, weil das tatsächliche Verständnis des Rezipienten auch falsch sein könne (Äußerungsdelikte, S. 21 f.). Einen dem Strafrecht vorgelagerten Sinn einer Äußerung, den das Strafrecht übernehmen muss, gibt es nicht. Mithin gibt es auch keinen Sinn, anhand dessen man beurteilen könnte, ob das tatsächliche Verständnis des Rezipienten falsch ist. Ansichten, nach denen man den „Sinn“ einer Äußerung einfach „erkennen“ könnte, werden zwar explizit nicht (mehr) vertreten, unterschwellig findet sich der Gedanke aber trotzdem wieder. Das wurde bereits oben im 2. Abschnitt unter IV. bei der Behandlung des „Soldaten-sind-Mörder-Beschlusses“ dargestellt. 8 Schon oben im 5. Abschnitt unter I. 4. a) wurde auf Folgendes hingewiesen: Die Entscheidung, ob ein vermittelter Sinn beleidigend ist, hängt vom Ehrbegriff ab. Hier kann man einen „normativen“ oder „faktischen“ Ehrbegriff vertreten. Aber die Entscheidung, ob man den Maßstab, den der Einzelne tatsächlich zur Entscheidung, ob etwas als ehrenhaft anzusehen ist oder nicht, verwendet (faktischer Ehrbegriff), ist zu trennen von der Frage der Sinnfeststellung: Selbst wenn man einen faktischen Ehrbegriff verträte, müsste man zur – logisch vorrangigen – Sinnfeststellung nicht auch auf das tatsächliche Verständnis des Einzelnen abstellen.
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2. Teil: Das Risiko
2. „Korrektur“ eines unzutreffenden „Eindrucks“ auf subjektiver Ebene? Dieses Argument könnte dadurch in Frage gestellt werden, dass man annimmt, dass in solchen Fällen der für eine Bestrafung nötige Vorsatz fehlen wird. Diese Fälle damit auf Ebene des subjektiven Tatbestands zu lösen, dürfte noch viel näher liegen, weil man (nahezu) keine Fälle zu lösen hat, bei denen es um die fahrlässige Begehung eines Äußerungsdelikts geht, denn solche gibt es praktisch kaum.9 Aber es gilt zu beachten, dass es nicht nur um Äußerungsdelikte geht. Sehr viele Straftatbestände, die als Tathandlung zwar keine Äußerung voraussetzen, können auch durch Äußerung erfüllt werden. Dazu gehört insbesondere § 222 StGB sowie andere Fahrlässigkeitstatbestände. So ist dann der Fall denkbar, dass jemand zutreffende Angaben über die Lebensgefährlichkeit eines Stoffs auf der Packung macht, indem er schreibt, der Stoff könne „letal“ wirken. Liest jemand diese Aufschrift und hält den Stoff dann für harmlos, weil er das Wort „letal“ als Synonym für „ungiftig“ versteht, woraufhin er sich tödlich vergiftet, dann könnte man bei der Prüfung des § 222 StGB die Tatbestandsverwirklichung nicht mit dem Argument verneinen, dieser Geschehensablauf sei nicht voraussehbar gewesen. Denn die Frage danach, ob ein Erfolg, der durch die geistige Wirkung einer Äußerung verursacht wurde, dem Äußernden zugerechnet werden kann, hatten wir oben als Frage nach dem Sinn identifiziert.10 Und wenn der „Eindruck“ als Sinn festzusetzen wäre, dann müsste in diesem Fall der Erfolg dem Äußernden zugerechnet werden. 3. Der unzutreffende „Eindruck“ als Anknüpfungspunkt für weitere rechtliche Wertungen Es gilt weiter zu beachten, dass die Auslegung (die wir ja im Bereich der Bestimmung, ob ein Verhalten unerlaubt ist, angesiedelt hatten) nicht alleine über die Strafbarkeit entscheidet, sondern zunächst allgemein über die Unerlaubtheit einer Handlung, die sich als Äußerung darstellt. Setzte man als Sinn einer Äußerung den „Eindruck“ fest, dann würde eine unerlaubte Handlung immer schon dann vorgenommen, wenn die Äußerung tatsächlich in einem zu missbilligenden Sinne verstanden wurde. Eine solche Äußerung müsste als dann als pflichtwidrig betrachtet werden mit der Folge, dass dieses Verhalten grundsätzlich eine Garantenstellung aus Ingerenz nach sich ziehen könnte.11 Dass man eine Äußerung, die einen rechtwidrigen „Ein9
s. o. im 9. Abschnitt unter VI. s. o. im 1. Abschnitt unter II. 3. a). 11 BGH, NJW 1999, S. 69, 71 (Urt. vom 24. September 1998 – 4 StR 272/98 –); Stree, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 32, 35; Tröndle/Fischer, § 13, Rn. 11. 10
10. Abschn.: Abweichende Konzeption: Eindruck
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druck“ gemacht hat, obwohl das nicht voraussehbar war, als rechtswidrig ansehen müsste, könnte dann auch in anderem Rahmen relevant sein. Eine Äußerung, die den „Eindruck“ einer schweren Beleidigung gemacht hat, könnte dann der Grund für das Vorliegen eines minder schweren Fall eines Totschlag (§ 213 StGB) sein12 oder sie könnte der Grund für eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen einer darin erblickten Notwehrprovokation sein13. Solche Ergebnisse können aber nicht richtig sein und müssten dann auf einer anderen Ebene als der der Auslegung der Äußerung korrigiert werden. Doch der wirkliche Grund für dieses Ergebnis ist, dass es nicht angeht, die Folgen eines Verhaltens dem Handelnden immer schon dann zuzurechnen, wenn das Verhalten die Folgen nur kausal bewirkt hat, ohne eine normative Einschränkung vorzunehmen.14 III. Zutreffende Aspekte im Konzept des „Eindrucks“ Die Redeweise von der Zurechnung zeigt aber wieder, worum es sich bei der Auslegung von Äußerungen handelt: Es geht um die Abgrenzung des Verantwortungsbereichs des Äußernden von dem Verantwortungsbereich des Rezipienten. Es geht dabei um die Frage, welche Deutung einer Äußerung dem Äußernden zuzurechnen ist und welche nicht. Nicht angängig ist es auf jeden Fall, den Verantwortungsbereich des Äußernden so weit auszudehnen, dass es als „seine Sache“ angesehen wird, wenn ein Rezipient eine Bedeutungszuschreibung vornimmt, die so völlig vom „Normalen“ abweicht, dass sie nicht vorhersehbar ist. Ebenfalls nicht angängig ist es aber auch, den Verantwortungsbereich des Rezipienten so weit auszudehnen, dass es als seine Sache angesehen wird, die genauen Gedanken des Äußernden zu ermitteln, die ihm unter Umständen gar nicht erkennbar waren („subjektive Theorie“). Wo genau jener Verantwortungsbereich anfängt und der andere aufhört, das muss im Folgenden heraus gearbeitet werden. Auf jeden Fall können weder die „subjektive Theorie“ des Reichsgerichts noch der oben dargestellte Ansatzpunkt – der, soweit auch er auf ein tatsächliches Verständnis abstellt, ebenso ein „subjektiver“ ist – befriedigen. Festgehalten werden kann auf jeden Fall, dass die zutreffende Konzeption eine objektive sein muss. 12 Zwar setzt der (benannte) erste Fall des § 213 StGB eine bewusste Beleidigung voraus (BGH, NStZ 1988, S. 216, Urt. v. 27. November 1987, – 3 StR 479/87 –), doch kann bei einer unbewussten Handlung des Opfers, die vom Täter irrtümlich als bewusst angesehen wird, die zweite Variante des § 213 StGB einschlägig sein (Eser, in: Schönke/Schröder, § 213, Rn. 12). 13 Vgl. dazu: Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 32, Rn. 59. 14 Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vor § 13, Rn. 84; Tröndle/Fischer, Vor § 13, Rn. 16; die Rechtsprechung spricht bei Fahrlässigkeitstaten vom „rechtlichen Kausalzusammenhang“, vgl. etwa BGH, NJW 1985, S. 1350, 1351 (Beschl. vom 06. November 1984, – 4 StR 72/84 –).
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2. Teil: Das Risiko
11. Abschnitt
Anwendung der Erkenntnisse auf konkrete Fälle Somit ist es uns möglich, aufgrund des bisher Gesagten genau zu begründen, weshalb einige Äußerungen ganz sicher keinen strafrechtlich relevanten Sinn haben. Dabei handelt es sich meistens nicht um Fälle aus der „Praxis“, sondern überwiegend um sog. Lehrbuchkriminalität; schließlich ist in aller Regel problematisch, ob es erlaubt ist, sich in einer Weise zu äußern, die von den Rezipienten als Anlass zu „grund-rechtgutsgefährdendem“ Verhalten genommen werden kann, und nicht, ob überhaupt eine „Gefährdung“ in dieser Richtung geschaffen wurde. Das ist nämlich in aller Regel offensichtlich, sodass solche Fälle fast niemals vor Gericht kommen. Nichtsdestoweniger muss man sich auch diesen Fällen widmen, indem man für die meist offensichtliche Straflosigkeit eine Begründung findet, zumal man sich durch diese Begründung auch klar darüber wird, welche Fälle auf einer anderen Ebene – nämlich der des „erlaubten Risikos“ – zu lösen sind. I. Fälle des „Scherzes“ Viele Fälle, die es im Folgenden zu besprechen gilt, sind diejenigen des „Scherzes“. Dabei ist mit dem unjuristischen Begriff des Scherzes nur eine gewisse Art von Scherz gemeint. Es geht nämlich nur um die Scherze, bei der das Scherzhafte, das nicht ernst Gemeinte, objektiv hervortritt. Und noch eine Einschränkung gilt es zu machen: Das Scherzhafte, nicht ernst Gemeinte, muss so objektiv zu Tage treten, dass voraussehbar ist, dass niemals ein Rezipient es für ernst halten würde.1 Solche „Scherze“, die voraussehbar keinen Rezipienten zu „grund-rechtgutsgefährdendem“ Verhalten bewegen werden, gilt es im Folgenden zu thematisieren.
1 Vgl. hierzu: Kern, Äußerungsdelikte, S. 87 ff. Kern thematisiert hier freilich auch Fälle, bei denen nicht immer klar ist, ob es schon an der Voraussehbarkeit der möglichen Motivation des Rezipienten zu grund-rechtsgutsgefährdendem Verhalten durch die Äußerung fehlt oder ob die Äußerung zwar voraussehbar „gefährlich“ ist, diese Gefährdung dann aber in das „erlaubte Risiko“ fällt. Zweifellos ist die Kategorie des „Scherzes“ keine juristische in dem Sinne, dass aus der Einstufung einer Äußerung als Scherz eine Rechtsfolge erwüchse. (Welche Norm sollte das auch anordnen?) Trotzdem erscheint es zweckmäßig, gewisse Fälle unter diesem Stichwort zu behandeln. Man kann sich die entsprechenden Fälle, die tatsächliche Geschehnisse darstellen sollen und sich nur schwer in Textform darstellen lassen, dann besser vorstellen; aus der Bezeichnung einer Äußerung als scherzhaft folgt alleine noch nichts.
11. Abschn.: Anwendung der Erkenntnisse auf konkrete Fälle
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1. Die zivilrechtliche Scherzerklärung als objektiv ordnungsgemäße Erklärung Eine andere Bedeutung hat der Begriff der Scherzhaftigkeit im Rahmen der Regelung des § 118 BGB, der häufig so genannten Scherzerklärung.2 Eine Willenserklärung ist danach nichtig, wenn sie „. . .in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden. . .“ Mit der Bezugnahme auf die Erwartung stellt § 118 BGB maßgeblich auf etwas Subjektives ab; diese Erwartung ist der Grund für die zivilrechtliche Nichtigkeit der Erklärung nach § 118 BGB.3 Doch was setzt § 118 BGB als objektiven Erklärungstatbestand voraus? Das Gesetz spricht von einer Willenserklärung, es scheint also der „normale“, ordnungsgemäße objektive Tatbestand einer Willenserklärung vorliegen zu müssen. Das wäre ein Verhalten, das auf Basis des Empfängerhorizonts den Schluss auf das Vorliegen eines bestimmten Willens zulässt.4 Dann hätte § 118 BGB – über seine ohnehin schon geringe Bedeutung hinaus5 – nahezu überhaupt keine Bedeutung mehr: Denn Fälle, in denen der Erklärende der Ansicht ist, die Nichternstlichkeit werde erkannt werden, er aber trotzdem unwissentlich (ansonsten wäre § 116 S. 1 BGB einschlägig!) einen einwandfreien objektiven Erklärungstatbestand setzt, kommen nahezu nie vor.6 2. Die zivilrechtliche Scherzerklärung als „missverstehbare“ Erklärung Wohl aus diesem Grund wird gesagt, als objektiver Erklärungstatbestand müsse es für § 118 BGB ausreichen, dass das Verhalten nicht als offensichtlich nichternstlich erkannt werden kann.7 Anschaulicher formuliert Larenz, 2
In § 118 BGB taucht der Begriff des „Scherzes“ oder der „Scherzerklärung“ nicht
auf. 3
Heinrichs, in: Palandt, § 118, Rn. 2. Medicus AT, Rn. 323. 5 Man beachte nur den Umfang der Kommentierungen in den einschlägigen Werken. Mehr als eine sehr geringe Anzahl an Randnummern wird man nirgends finden (z. B. im Münchener Kommentar zum BGB elf Randnummern). 6 Ganz im Gegenteil dazu ging eine heute wohl aufgegebene Ansicht davon aus, genau diese Fälle unterfielen § 118 BGB nicht (RG Recht 1916, Nr. 890, Urt. v. 31. Januar 1916, – IV 371/15 –). § 118 BGB forderte nach dieser Auffassung gerade keinen einwandfreien objektiven Erklärungstatbestand; bei einem einwandfreien objektiven Erklärungstatbestand wäre die Erklärung wirksam und u. U. nach §§ 119 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB anfechtbar. Von dieser Ansicht ging noch Kern (Äußerungsdelikte, S. 87) im Anschluss an Danz (Auslegung, S. 17 f.) aus. 7 Kramer, in: Münchener Kommentar BGB, § 118, Rn. 4; Hefermehl, in: Soergel, § 118, Rn. 1. 4
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2. Teil: Das Risiko
das Verhalten müsse objektiv bei „flüchtigem Hinsehen“ als Willenserklärung aufgefasst werden können.8 § 118 BGB unterfällt also ein Verhalten nicht, das der Rezipient voraussehbar niemals als Willenserklärung auffassen wird.9 Genau diese Grenzziehung zwischen den Fällen, in denen § 118 BGB einschlägig ist und – mangels objektiv nicht verwechselbaren Verhaltens – gar keine Willenserklärung i. S. d. § 118 BGB vorliegt, ist auch unsere Grenzziehung zwischen Verhalten, das den Rezipienten zu „grundrechtgutsgefährdendem“ Verhalten bewegen kann und Äußerungen, bei denen voraussehbar ist, dass eine solche Gefahr unter keinen Umständen besteht. Ein solcher Grenzbereich kommt im Zivilrecht noch in einer zweiten Variante vor. § 661 a BGB gibt einem Verbraucher (§ 13 BGB) einen Anspruch auf Leistung des Preises, der sich aus einer Gewinnzusage ergibt, die durch ihre Gestaltung den Eindruck erweckt, der Verbraucher habe den Preis gewonnen. Wie sich bereits aus dem Wortsinn ergibt („Eindruck erweckt“ anstelle von „Preis verspricht“ o. ä.), braucht es sich bei der Gewinnzusage nicht um eine Erklärung zu handeln, bei deren Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB man zu dem Ergebnis kommt, der Preis sei gewonnen worden. Vielmehr stellt die Rechtsprechung darauf ab, ob die Zusage „abstrakt geeignet“ ist, den Eindruck eines bereits gewonnenen Preises zu erwecken.10 § 661 a BGB unterfällt also ein Verhalten nicht, bei dem offensichtlich ist, dass es nicht im Sinne einer Gewinnzusage interpretiert werden kann, das also selbst bei „flüchtigem Hinsehen“ nicht so gedeutet werden kann. 3. Die Fälle des Nichtvorliegens einer zivilrechtlichen Erklärung als auch strafrechtlich irrelevanter „Scherz“ Fälle für solche voraussehbar von niemandem fälschlich zu verstehende – und damit schon prinzipiell „ungefährliche“ – Scherze könnten Bezeichnungen unter guten Freunden mit eigentlich beleidigenden Worten sein, bei denen aber mit Sicherheit voraussehbar ist, dass der Rezipient sie niemals in diesem beleidigenden Sinne verstehen wird. So ist bei der Bezeichnung eines Polizisten durch einen anderen als „Bullen“ – abgesehen von der Problematik dieses Wortes ansonsten – nicht zu erwarten, dass der so Bezeichnete das im Sinne einer Herabsetzung verstehen könnte, wenn sich die Beteiligten seit Jahren kennen, ebenso lange untereinander freundschaftlich verbunden sind und es sich unter ihnen zudem eingebürgert hat, sich gegen8
Larenz/Wolf AT, § 35, Rn. 17. Kramer, in: Münchener Kommentar BGB, § 118, Rn. 4; Wendtland, in: Bamberger/Roth, § 118, Rn. 1. 10 BGH, NJW 2004, S. 1652, 1653, Urteil vom 19. Februar 2004, – III ZR 226/03 –. 9
11. Abschn.: Anwendung der Erkenntnisse auf konkrete Fälle
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seitig so zu bezeichnen.11 In diesem Fall ist voraussehbar, dass der Sprechende keine Gefahr begründet, dass der Rezipient dies als Anlass zu einer sozialen Desintegration durch sich selbst nehmen könnte. Aber auch der wohlhabende Kaufmann, der seinen allgemein bekannt weit wohlhabenderen Kollegen12 vor anderen als armen Schlucker bezeichnet, äußert sich so offensichtlich ironisch,13 dass nicht voraussehbar ist, die anderen könnten das als Behauptung kreditgefährdender Tatsachen (§ 187 2. Var. StGB) ansehen; eine Strafbarkeit scheidet schon aus, weil der Äußernde keine Gefahr der wirtschaftlichen Desintegration für den Kollegen begründet. Ein Risiko, dessen Erlaubtheit man begründen müsste, besteht in diesem Fall nicht. II. Fälle des Nichtvorliegens eines eigenen Gedankeninhalts Häufig angesprochene Fälle solcher voraussehbar nicht in „gefährlicher“ Weise verstehbarer Äußerungen sind Äußerungen in Schauspielen, Filmen etc. durch die Schauspieler.14 So liegt es auch im sog. Lindenstraßen-Fall15: Hier hatte die angeklagte Schauspielerin M in ihrer Rolle als „Chris“ geäußert: „Gauweiler und Co! Das sind doch alles Faschisten!“ Es ist hier voraussehbar, dass niemand das als Äußerung der M(!) dahin wertet, sie (die M!) sei der Auffassung, Gauweiler sei ein Faschist. Die M äußert sich in diesem Fall nämlich gar nicht, was für die Rezipienten – zum einen die anderen in der Szene beteiligten Schauspieler, zum anderen die Zuschauer – allgemein erkennbar ist. Dieses offensichtliche Ergebnis wird dadurch überdeckt, dass eine fiktive Person namens „Chris“ u. U. eine Beleidigung begeht. Doch diese Person kann man nicht vor Gericht stellen, sie existiert 11 Sollte diese Schilderung noch nicht eindeutig genug sein, so lässt sich noch hinzudenken, dass sich das Geschehen in lockerer Atmosphäre abspielt, der Sprechende dabei lächelt usw. 12 Dem er weiterhin allgemein bekannt freundschaftlich verbunden ist usw. 13 Hier geht es nur um die Fälle der Ironie, in denen mit eigentlich herabsetzenden, volksverhetzenden etc. Worten das Gegenteil ausgedrückt wird. Noch nicht Gegenstand der Behandlung sind die – viel interessanteren – Fälle, in denen mit eigentlich unverfänglichen Worten das Gegenteil, nämlich etwas den Tatbestand erfüllendes ausgedrückt werden soll („Eine reife Leistung!“). In diesen Fällen wird ein Risiko gesetzt, es fragt sich, ob es – wegen der eigentlich unverfänglichen Worte – erlaubt sein kann. 14 Kern, Äußerungsdelikte, S. 88. Diese Fälle sind es im bürgerlichen Recht auch, bei denen die Anwendung des § 118 BGB deshalb abgelehnt wird, weil keine „Willenserklärung“ vorliegt (Flume AT, § 20 3., S. 413; Kramer, in: Münchener Kommentar BGB, § 118, Rn. 4; Wendtland, in: Bamberger/Roth, § 118, Rn. 1). Hierunter fällt auch das „Vertragsangebot“, das der Professor im Hörsaal zu Erklärungszwecken macht und die „Beleidigung“, die dort zur Veranschaulichung ausgesprochen wird. 15 OLG Köln, NJW 1993, S. 1486 f. Urt. v. 28.01.1992, – Ss 567–569/91 –.
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2. Teil: Das Risiko
nicht. Polemisch könnte man sagen: Stattdessen auf die Schauspielerin zurückzugreifen und sie wegen Beleidigung anzuklagen, ist genauso absurd, wie Ray Milland als Darsteller des alternden Tennisspielers Tony Wendice in dem Hitchcock-Film „Bei Anruf – Mord!“ wegen versuchter Anstiftung des Schauspielers Lesgate zum Mord an Wendice’ Ehefrau Margot (oder Grace Kelly?) verantwortlich zu machen. Doch das Ergebnis – die Schauspielerin beleidigt schon deswegen nicht, weil sie sich nicht äußert und deswegen schon nicht die Gefahr begründet, dass Gauweiler wegen ihrer Äußerung als Faschist angesehen werden könnte und deswegen „sozial desintegriert“ werden könnte,16 wird durch noch eine andere Problematik verdeckt: Es ist möglich, dass der Drehbuchschreiber durch die Worte, die er die Schauspieler in ihren Rollen sagen lässt, seine Meinung zum Ausdruck bringt. Und indem er sich insofern durch andere äußert, kann er auch eine Beleidigung begehen (an der die Schauspieler dann u. U. teilnehmen). Doch für eine solche Beleidigung „unter dem Deckmantel der Kunstform des Fernsehspiels“ war im Lindenstraßen-Fall nichts dargetan.17 Um es ganz deutlich zu sagen: Nach dem oben Ausgeführten ist es nach heutiger Rechtslage auch nicht möglich, die Darsteller in dem Film „Jud Süß“18 wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 StGB) zu belangen: Da den Darstellern vorgegeben ist, was sie sagen, und das auch allgemein bekannt ist, äußern sie sich nicht und begründen deswegen auch nicht die Gefahr, durch ihre Äußerung in Dritten die psychische Disposition zu Ausschreitungen hervorzurufen. Es ist wohl unvorhersehbar,19 dass irgendjemand, weil ein Schau16 Ähnlich liegt es in der Regel, wenn eine Zeitungsredaktion einen Leserbrief veröffentlicht: Von Sonderfällen einmal abgesehen nimmt jedermann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht an, der Inhalt des Leserbriefs gebe den Gedankeinhalt des verantwortlichen Redakteurs wieder. Damit ist auch dieses Verhalten in Hinblick auf das spezifische Unrecht von Äußerungen bezüglich des Redakteurs (nicht des Schreibers!) „absolut gefahrlos“. 17 OLG Köln, NJW 1993, S. 1486, 1487 a. E. Erstaunlicherweise war neben der Schauspielerin der verantwortliche Drehbuchschreiber nicht mit angeklagt, sondern nur der Programmgruppenleiter und die Produktionsgruppenleiterin. 18 Beachte zur Strafbarkeit des Regisseurs Veit Harlan das einen Freispruch des Schwurgerichts aufhebende Urteil des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone (OGHSt 2, 291 ff., Urt. v. 12. Dezember 1949, – StS 365/49 –). Zur Einziehung dieses Films vgl. BGHSt 19, 63 ff., Urt. v. 25. Juli 1963, – 3 StR 4/63 –. 19 Zumindest, wenn man von „normalen“ Menschen – seien auch geistig schwerfällige dabei – ausgeht. Bei Kindern z. B. ist das schon nicht mehr so eindeutig. Gerade hier ist bekannt, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter nicht zwischen Wahrheit und Fiktion, dem Umstand, dass Schauspieler etwas sagen und damit etwas darstellen, unterscheiden können. Insofern ist die Rede von der Gefahrlosigkeit bei ihnen nicht immer zutreffend. Doch solche Fälle wird man wohl unter den allgemeinen Grundsatz fassen müssen, dass Gefährdungen, die eine gewisse Untergrenze nicht überschreiten, erlaubt sind – auch wenn niemand explizieren kann, wo diese Grenze im Einzelnen liegt.
11. Abschn.: Anwendung der Erkenntnisse auf konkrete Fälle
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spieler in einem Film etwas spricht, davon ausgehen wird, diese Reden im Film gäben deshalb die Ansicht der Schauspieler wieder. Es kann natürlich sein, dass diese Ansichten auch die der Schauspieler sind, doch wäre das Zufall. Aus dem Verhalten des Charakters in einem Schauspiel, Film etc. kann man nicht auf den Gedankeninhalt des Schauspielers schließen. Empfindliche „Strafbarkeitslücken“ entstehen nicht: Die Schauspieler werden in der Regel nach den Verbreitungstatbeständen des § 130 Abs. 2 StGB strafbar sein;20 es gibt die schon oben angesprochene Möglichkeit, den für den Text Verantwortlichen wegen seiner durch den Text ausgedrückten Ansicht verantwortlich zu machen, und an dessen Tat können die Schauspieler dann als Gehilfen teilnehmen.21 Haben wir mit diesen Beispielen die Betrachtung abgeschlossen, wann eine Äußerung „gefährlich“ sein kann, und damit den ersten Teil der Erarbeitung von Auslegungsregeln abgeschlossen, so müssen wir uns im weiteren Fortgang der Problematik widmen, wann – und unter welchen Voraussetzungen – „gefährliche“ Äußerungen trotz ihrer Gefährlichkeit erlaubt sein können. Denn dass „gefährliche“ Verhaltensweisen erlaubt sein können, ist zu Recht allgemein anerkannt.
20 21
Vgl. zu den Leserbrieffällen: Geilen, NJW 1976, S. 279, 281. Darauf weist auch Geilen (NJW 1976, S. 279, 281) für die Leserbrieffälle hin.
3. Teil
Die Erlaubtheit des Risikos 12. Abschnitt
Die Notwendigkeit der Anerkennung eines Bereichs des „erlaubten Risikos“ Im ersten Teil der Arbeit wurde dargelegt, dass jegliche Äußerung nur deshalb verboten ist und verboten sein kann, weil sie den Rezipienten zu – je nach Tatbestand verschiedenen – „grund-rechtsgutsgefährdenden“ Verhaltensweisen bewegen kann.1 Damit muss die Grundlage für die Frage nach dem Sinn einer Äußerung sein, ob es voraussehbar ist, dass sie vom konkreten Rezipienten so verstanden werden kann, dass sie ihn grundsätzlich zu solchem Verhalten beeinflussen kann.2 Nun gilt es zu klären, ob man bereits immer dann, wenn es voraussehbar ist, dass eine Äußerung so verstanden werden kann, einen strafrechtlich relevanten Sinn zu bejahen hat. Es kann schon vorweggenommen werden, dass das nicht der Fall ist: Nicht jede Äußerung, mit der die Gefahr eines solchen Verständnisses verbunden ist, ist bereits alleine deswegen unerlaubt. Daher wird es im Folgenden maßgeblich darum gehen, innerhalb der Menge der voraussehbar in einem gewissen („gefährlichen“) Sinn verstehbaren Äußerungen einen Bereich abzugrenzen, bei dem man davon ausgehen muss, dass die Äußerungen, die hier einzuordnen sind, trotz dieser Gefahrschaffung erlaubt sind; also in anderer Terminologie: keinen strafrechtlich relevanten Sinn haben. Es geht also darum, den Verlauf der Grenzlinie zu beschreiben, die innerhalb der Klasse der voraussehbar „gefährlichen“ Äußerungen die deshalb unerlaubten von den trotzdem erlaubten Äußerungen trennt. Zunächst soll allgemein die Notwendigkeit der Anerkennung eines Bereichs des erlaubten Risikos dargelegt werden (unter I.); danach soll dargelegt werden auf welchen Wertungen diese Erlaubnis, ein Risiko zu setzen, beruht (unter II. und III.). Danach kann dann für Äußerungen herausgearbeitet werden, wann man die Grenze von dem Bereich, in dem die Gefahr1 2
s. o. im 4. Abschnitt. s. o. im 5. Abschnitt.
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
203
schaffung die Unerlaubtheit begründet, zu dem anderen Bereich, in dem dieses Prinzip durch andere Wertungen überlagert wird, überschreitet. I. Die Notwendigkeit der Beschränkung des Bereichs unerlaubten obwohl voraussehbar „gefährlichen“ Verhaltens Im Allgemeinen – also nicht in Bezug auf das hier behandelte Thema der Äußerungen – ist weithin anerkannt, dass nicht jegliches Verhalten, bei dem voraussehbar ist, dass es Ausgangspunkt einer Kausalkette sein kann, an deren Endpunkt die Rechtsgutsverletzung steht, bereits alleine deswegen rechtlich unerlaubt ist.3 1. Im Allgemeinen Als sinnenfällige Beispiele dafür werden häufig genannt, dass der Vertrieb von Haushaltsmessern,4 die Produktion von Automobilen5 oder auch das Autofahren an sich6 ganz sicher nicht unerlaubt sind, obwohl doch voraussehbar ist, dass – sogar mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit – mit den Haushaltsmessern und Kraftfahrzeugen Menschen getötet (oder doch erheblich verletzt) werden können.7 Obwohl also ein Verhalten voraussehbar eine Rechtsgutsverletzung bewirken kann, also kausal für eine Rechtsgutsverletzung werden kann und somit eine Gefahr schafft, so ist es in diesen Fällen doch erlaubt. Würde man nämlich nur darauf abstellen, dass eine Rechtsgutsverletzung voraussehbar war, dass mithin eine Gefahr begründet wurde, dann dürfte man keine Kraftfahrzeuge und Haushaltsmesser produzieren und in den Verkehr bringen.8 Schon auf den ersten Blick ist so zu erkennen – auch wenn man mit diesem Ad-absurdum-Führen einer Position keine positive Begründung für das Ergebnis findet –, dass ein auf bloßen Vorhersehbarkeits- und also Gefährlichkeitserwägungen beruhendes Verbot eine „unerträgliche Beschränkung der Handlungsfreiheit“ wäre.9 3 Jakobs, in: Bochumer Beiträge, S. 63, 74; Maiwald, FS f. Jescheck, S. 405, 407; Frisch, FS f. Roxin, S. 213, 222; Roxin AT I, § 11, Rn. 60; Jakobs AT, 7/39; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vor § 13, Rn. 92; Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 142. 4 Von Glahn, AnwBl. 2002, S. 573; Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 142. 5 Jakobs AT, 7/39 a. E. 6 Jakobs, in: Bochumer Beiträge, S. 63, 74; Roxin AT I, § 11, Rn. 60. 7 Roxin AT I, § 11, Rn. 60; Jakobs AT, 7/39 a. E.; Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 142. 8 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15, Rn. 146 (zur Produktion von Waffen). 9 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 72.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
2. Im Speziellen bei Äußerungen Doch indem man festgestellt hat, dass es im Allgemeinen einen Bereich gibt, in den Verhalten fällt, das trotz der mit ihm verbundenen Gefahrschaffung als erlaubt anzusehen ist, weil es ihn geben muss, hat man noch nicht die materialen Kriterien herausgearbeitet, auf denen die Erlaubtheit beruht und die diesen Bereich begrenzen.10 Für diesen Bereich des erlaubten Verhaltens, das zwar eine Gefahr schafft, aber trotzdem erlaubt ist, wird im Folgenden der Begriff des erlaubten Risikos11 verwendet. Doch es ist besonders wichtig, diesen Bereich zu umschreiben, wenn ein Verbot von Verhaltensweisen in Rede steht, die nicht unmittelbar gefährlich sind, sondern nur deswegen verboten sind, weil an sie Verhaltensweisen anknüpfen können, die die „eigentliche“ und unmittelbare Gefährdung darstellen.12 Das kann entweder deshalb der Fall sein, weil die Verhaltensweisen die Grundlage für fremdgefährdendes Verhalten Dritter oder die Grundlage für sich selbst gefährdendes Verhalten des Opfers darstellen. Dieser Bereich von nur mittelbar gefährdenden Verhaltensweisen ist bei dem Verbot von Äußerungen immer einschlägig; Äußerungen sind nie um ihrer selbst willen verboten, sondern immer wegen ihrer möglichen Wirkungen auf andere.13 Nun ist es aber nur sehr schwer voraussehbar, wie Menschen sich auf Verhalten anderer Menschen hin verhalten.14 Damit muss man bei einer Gefährlichkeitsbetrachtung sehr viele Möglichkeiten in Betracht ziehen, wie jemand sich verhalten könnte. Man kann sich den 10 Auch Maiwald geht davon aus, dass der Begriff des erlaubten Risikos insoweit nur ein „Formalbegriff“ sei (FS f. Jescheck, S. 405, 409). Doch er geht noch darüber hinaus und billigt dem Begriff gar keine andere Funktion zu. Das wird hier – im Anschluss z. B. an Jakobs (AT 7/35, Fn. 59a) – nicht vertreten. Es soll versucht werden, zumindest die materiellen Grundlagen (Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 144, spricht hier von Metaregeln), nach denen man zu bewerten hat, wann ein erlaubtes Risiko vorliegt, herauszuarbeiten. 11 Zum Begriff: Jakobs AT 7/35 ff.; Jescheck/Weigend AT, § 28 IV; Kühl AT, § 4, Rn. 48; Roxin AT I, § 11, Rn 58; Wessels/Beulke AT, Rn. 184; Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 143. 12 Frisch, FS f. Roxin, S. 213, 223; Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor § 13, Rn. 100. 13 s. o. im 5. Abschnitt unter V. 14 Vgl.: Schumann, Handlungsunrecht, S. 5. Puppe (Nomos Kommentar, vor § 13, Rn. 111 und 115) hält das sogar für prinzipiell unmöglich und stützt darauf ihre Ansicht, in diesem Bereich müsse ein Zurechnung von Erfolgen durch die „Risikoerhöhungslehre“ erfolgen. Ob das der Fall ist, kann hier dahin stehen, denn für die Auslegung von Äußerungen, also die Bestimmung, ob in einer Äußerung ein Handlungsunrecht liegt, ist nicht relevant, ob die Äußerung kausal für den Eintritt des Erfolgsunrechts war.
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
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Menschen als „Maschine“ vorstellen, in dessen Gehirn zumindest prinzipiell voraussehbare elektrochemische Prozesse ablaufen. Doch niemand kann heute erklären, wie gewisse Reize von außen in einem Menschen verarbeitet werden und so einen Anlass für sein weiteres Verhalten bilden. Würde man hier kein „erlaubtes Risiko“ akzeptieren, so wäre eine ganz erhebliche Anzahl von Äußerungen unerlaubt: Schon oben wurde gezeigt, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Fällen auf der Ebene der fehlenden Risikoschaffung gelöst werden können.15 So könnte z. B. die Äußerung eines Politikers darüber, dass es gewisse gravierende soziale, wirtschaftliche, ökologische oder ähnliche Probleme gebe, die es zu lösen gelte, unerlaubt (und u. U. strafbar) sein, weil mit ihr ein Risiko geschaffen wird: Eine solche Äußerung kann – und das nicht nur in politisch aufgeheizter Stimmung – durchaus dazu führen, dass Extremisten (die es immer gibt) die Lösung der angesprochenen Probleme mit Gewalt durchzusetzen trachten. Ein Ergebnis, wonach die Äußerung unerlaubt ist, weil sie voraussehbar die Gewalt auslösen könnte, kann – ebenso wie im obigen Beispiel mit dem Vertrieb der Haushaltsmesser und Automobile – nicht zutreffend sein. Im Bereich der Kunst ist das Problem noch drängender: Das satirische Lied vom „Tauben vergiften im Park“ soll eine Anstiftung (§ 26 StGB) oder eine öffentliche Aufforderung (§ 111 Abs. 1, 2 StGB) zur Tötung eines Wirbeltieres (§§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 5 TierschG) sein? II. Das „erlaubte Risiko“ als Sozialadäquanz? Im Schrifttum wurde versucht, die Erlaubtheit von speziellen Risikoschaffungen materiell16 auf ein Rechtsinstitut der „sozialen Adäquanz“ zurückzuführen. Danach sollen „alle Betätigungen, in denen sich das Gemeinschaftsleben nach seiner geschichtlich bedingten Ordnung jeweilig vollzieht“,17 niemals einen Straftatbestand erfüllen können.18 Die Probleme, die eine Anerkennung eines so umfassenden Rechtsinstituts mit sich bringt, das mit so vagen Begriffen arbeitet, sind offensichtlich: 1. Die Vagheit des Begriffs der sozialen Adäquanz Es ist kaum möglich, den Begriff der Sozialadäquanz so auszufüllen, so zu konkretisieren, dass einigermaßen verlässlich umrissen wird, welches Verhalten im Einzelfall in diesem Sinne sozialadäquat – und somit straflos – 15 16 17 18
s. o. im 11. Abschnitt. Vgl.: Maiwald, FS f. Jescheck, S. 405, 407. Welzel, ZStW 58, S. 491, 517; Lehrbuch S. 56. Zipf, ZStW 82, S. 633, 647ff.; Welzel, Lehrbuch S. 57.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
ist und welches nicht.19 Diese Vagheit des Begriffs der Sozialadäquanz zeigt sich insbesondere daran, dass niemals klar war, wo im Deliktsaufbau dieses Rechtsinstitut anzusiedeln ist.20 Ursprünglich wurde die Sozialädaquanz von Welzel als Tatbestandsausschluss konzipiert. Später hielt er es für richtig zu sagen, ein sozialadäquates Verhalten erfülle zwar den Tatbestand, sei aber gerechtfertigt.21 In der letzten Auflage seines Lehrbuchs spricht er nun wieder davon, die Sozialadäquanz schließe bereits die Tatbestandserfüllung aus.22 2. Die Anerkennung des Prinzips der sozialen Adäquanz als Aushöhlung des Art 20 Abs. 3 GG Doch wesentlich gegen die Anerkennung des Rechtsinstituts der „Sozialadäquanz“ dürfte etwas anderes sprechen: Erkennt man dieses Rechtsinstitut an, dann besteht die Gefahr, dass die Gesetzesanwendung unzulässig in den Bereich der Gesetzgebung eingreift. Damit würde – zumindest zum Teil – die Bindung der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ (Art 20 Abs. 3 GG) unzulässig gelockert.23 a) Die Sozialädaquanz einer Verhaltensweise im Allgemeinen Man stelle sich vor, eine bestimmte Verhaltensweise sei sozialadäquat, werde also schon seit Jahr und Tag von den Bürgern an den Tag gelegt. Man könnte insoweit daran denken, dass es lange Zeit sozialadäquat war, am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholeinwirkung teilzunehmen bzw. ohne angelegten Sicherheitsgurt24 Auto zu fahren. Aber auch viele umweltverschmutzende Verhaltensweisen waren sozialadäquat. Nun setzt sich die Erkenntnis durch, dass solche Verhaltensweisen schädlich sind. Insbesondere im Bereich der Umweltverschmutzung ist es denkbar, dass allmählich ins Bewusstsein – wenn zunächst auch nur in das Bewusstsein weniger – dringt, dass eine gewisse Verhaltensweise umweltschädlich ist. Man könnte hier an eine besondere, seit jeher praktizierte Form der Müllentsorgung den19 Jakobs (ZStW 89, S. 1, 5) spricht davon, dass es an einer „einigermaßen deutliche[n] Verfestigung der Ordnung“ fehle und „der Begriff der Sozialadäquanz . . . keine Hilfestellung gibt“; vgl. auch: Hirsch, in: Leipziger Kommentar, Vor § 32, Rn. 29; Eser, FS f. Roxin, S. 299, 205. 20 Vgl.: Reyes, ZStW 105, S. 108, 116, insbes. Fn. 26). 21 Welzel, Das neue Bild, S. 25. 22 Welzel, Lehrbuch, S. 57. 23 Vgl. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 162; Eser, FS f. Roxin, S. 199, 206. 24 Zur Geschichte der sog. Gurtpflicht, vgl. Dubischar, Prozesse die Geschichte machten, München 1997.
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ken, etwa das Verbrennen von – im Regelfall mit einer hochgiftigen Substanz imprägnierten – Eisenbahnschwellen.25 Es muss dem Gesetzgeber erlaubt sein, diese Verhaltensweise zu verbieten und letztlich – als „ultima ratio“ – das Verbot auch mit strafrechtlicher Sanktion zu bewehren. Einen Verstoß gegen eine entsprechend neu geschaffene Norm wird man aber häufig weiterhin als sozialadäquat und damit straflos ansehen müssen, da es ja bisher allgemein üblich war, so zu handeln.26 b) Die Sozialädaquanz einer Verhaltensweise als Hindernis ihres gesetzlichen Verbots Der Gesetzgeber bezweckte gerade anderes, nämlich Verbot und Strafbarkeit jeglichen durch den Tatbestand beschriebenen Verhaltens. Dadurch liefe das Gesetz weitgehend leer;27 nur grobe Verstöße gegen die Norm wären erfasst, z. B. die Entsorgung großer Mengen des umweltgefährdenden Abfalls (etwa auf oben beschriebene Art und Weise), die sich nicht mehr im Rahmen der „geschichtlich bedingten Ordnung“ bewegt. Gerade im Bereich der Umweltverschmutzung ist es aber so, dass im Regelfall nicht einzelne, besonders große Verschmutzungen die Umwelt am stärksten schädigen, sondern die große Menge der häufigen, alltäglichen und so in gewisser Weise „normalen“28 Verschmutzungen die Lebensgrundlagen am nachhaltigsten beeinträchtigen.29 Auch diese muss der Gesetzgeber in der Lage sein zu unterbinden. Das ist aber unmöglich, wenn man das Rechtsinstitut der „sozialen Adäquanz“ anerkennt. Dieses Prinzip greift unzulässig in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ein: Jegliche Rechtsänderung, die in dem Bereich des sozialadäquaten Verhaltens wirken soll, wäre unmöglich. Aus diesem Grund verbietet es sich, materiell die Begründung der notwendigen Einschränkung unseres als zu weit erkannten Ergebnisses auf Basis dieses Prinzips zu suchen. 25 Vgl. dazu die Gerichtsreportage von Kramper, „Teufelszeug im Ofen“ aus „Kurzer Prozeß – Gerichtsreportagen aus der ZEIT“, S. 163 ff. Bezeichnend ist, was die Angeklagte auf den Vorwurf der „umweltgefährdenden Abfallbeseitigung“ (wohl § 326 Abs. 1 StGB, Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen) – sie hatte Spanplatten und lackierte Türrahmen im Ofen verbrannt – entgegnete: „Früher haben das doch alle gemacht.“ (S. 164). 26 Hirsch, in: Leipziger Kommentar, Vor § 32, Rn. 29. 27 Eser, FS f. Roxin, S. 199, 206. 28 Man ist geneigt, das Wort „sozialadäquat“ zu verwenden. 29 Dagegen kann man nicht einwenden, dass eine Bestrafung ein „unbilliges“ Ergebnis sei. Es ist ja nur festgestellt, dass grundsätzlich Unrecht verwirklicht ist; auf späterer Stufe des Deliktsaufbaus kann man das Ergebnis unter Umständen korrigieren. Im Beispiel mit den Bahnschwellen wäre z. B. an einen Irrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB oder nach § 17 StGB zu denken.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
III. Das „erlaubte Risiko“ als freiheitssichernde Abgrenzung von Freiheitssphären Um also herauszufinden, wie der Bereich des erlaubten Risikos materiell zu bestimmen ist, muss man sich darauf besinnen, welche Funktion dieses Rechtsinstitut haben muss. Es muss aber nicht allgemein in der gesamten Breite ausgelotet werden, welche Funktion das „erlaubte Risiko“ haben muss: Uns geht es ja nur um das erlaubte Risiko, das mit Äußerungen verbunden ist. Daher reicht es aus, die Grundlagen der Funktion des erlaubten Risikos zu bestimmen (unter 1.). Dann kann daraus die Funktion des erlaubten Risikos in Bezug auf Äußerungen ermittelt werden (unter 3.). Dabei bietet es sich an, noch einen Zwischenschritt zu machen. Äußerungen sind deswegen verboten, weil sie andere motivieren können, was auf eine besondere Art geschieht: nämlich durch die Vermittlung eines Gedankeninhalts. Deswegen kann in der Betrachtung die Funktion des erlaubten Risikos noch in Bezug auf drittmotivierendes Verhalten abgeschichtet werden, das nicht unbedingt in einer Äußerung zu bestehen braucht (unter 2.). 1. Das „erlaubte Risiko“ im Allgemeinen Wie bereits oben dargestellt wurde,30 besteht die Gefahr, dass die Handlungsfreiheit des Handelnden über Gebühr eingeschränkt wird, wollte man keinen Bereich des „erlaubten Risikos“ anerkennen. Der Bewertung eines Verhaltens nur deswegen als unerlaubt, weil mit ihm ein Risiko verbunden ist, steht also ein Interesse des Handelnden und der Gesellschaft insgesamt entgegen. a) Das Urteil über die Erlaubtheit der Eingehung eines Risikos als Ergebnis einer Abwägung Die Beantwortung der Frage, ob das Eingehen eines Risikos erlaubt ist, hängt also von einer Abwägung ab.31 Und zwar muss bei dieser Abwägung das Interesse an der Erhaltung des Guts, das bei Vornahme der Handlung gefährdet wäre, gegen das Interesse des Handelnden an der Vornahme der Handlung abgewogen werden.32 Dabei stellen sich zwei schwer wiegende Probleme.
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s. o. unter I. Schumann, Handlungsunrecht, S. 9; Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 341, 348; Jakobs AT, 7/35. 32 Kuhlen, in: Recht und Moral, S. 341, 348. 31
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
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Abgrenzung zu anderen Abwägungen – insbesondere bei der Rechtfertigung nach § 34 StGB Zum einen muss die hier vorzunehmende Abwägung, die darüber entscheidet, ob der Tatbestand erfüllt ist, von der Abwägung abgegrenzt werden, die im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung vorzunehmen sein kann. Insbesondere die Rechtfertigung nach § 34 StGB setzt voraus, dass „bei Abwägung der widerstreitenden Interessen . . . das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“. Zu dem Problem, wie diese beiden Abwägungen voneinander abgegrenzt werden,33 wird weiter unten bei der Behandlung des speziellen Rechtfertigungsgrundes für manche Äußerungen – der Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB – eingegangen. Es wird sich zeigen, dass man diese beiden Abwägungen auf einen Grundgedanken zurückführen kann und sie sich logisch nicht streng unterscheiden lassen.34 Die Herkunft der Wertmaßstäbe Zum anderen – und das soll im Folgenden im Mittelpunkt stehen – muss herausgearbeitet werden, worauf die Wertungsmaßstäbe beruhen, die bewirken, dass man etwas überhaupt als Interesse bezeichnen kann und nach denen dann zudem noch die Wertigkeit des Interesses festgesetzt werden muss, um die Frage zu entscheiden, ob die Schaffung einer Gefahr um der Verwirklichung eines Interesses willen erlaubt ist. b) Die für die Abwägung geltenden Maßstäbe – die Bewertung durch „einfaches“ Recht Die Wertungsmaßstäbe entstammen maßgeblich dem „einfachen“ Recht. So wurde schon dargestellt, dass mit dem Autofahren „an sich“ – gerade auch unter Einhaltung aller dafür geltenden Regeln – das Risiko verbunden ist, dass Rechtsgüter anderer beeinträchtigt werden – sei es, dass dies auf Fehlverhalten der Geschädigten selbst beruht (jemand läuft auf die Straße) oder auf Abläufen, die von niemandem zu verhindern, aber trotzdem voraussehbar sind (das plötzliche Versagen der technischen Einrichtungen). Trotzdem ist das Verhalten „Autofahren unter Einhaltung der dafür geltenden Regeln“ erlaubt, weil die damit verbundenen Risiken als geringwertiger angesehen werden als die Chancen im Sinne von möglichen positiven Wirkungen, die die generelle Erlaubnis des Autofahrens für den Einzelnen und 33 34
Vgl.: Jakobs AT, 7/41; Roxin AT I, § 11, Rn. 60. s. u. unten im 16. Abschnitt unter II. 2.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
die Gesellschaft mit sich bringt.35 Dass die Chancen als höherwertiger angesehen werden als die damit verbundenen Risiken, ergibt sich aus der Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen, die das Autofahren betreffen und regeln, wie man sich bei dieser Tätigkeit zu verhalten hat (StVG, StVO usw.). Schon aus der bloßen Existenz solcher Regeln ergibt sich –, andernfalls wären sie überflüssig – dass es grundsätzlich erlaubt sein muss, Auto zu fahren, obwohl bereits damit voraussehbar Schädigungen Dritter verbunden sein können. Damit ergeben sich die Wertungsmaßstäbe aus dem „einfachen“ Recht; dieses besagt, dass die Gefahren, die mit dem Autofahren verbunden sind, geringer zu gewichten sind als die Chancen, die damit verbunden sind. c) Die für die Abwägung geltenden Maßstäbe – die Bewertung durch Verfassungsrecht Aber durch das „einfache“ Recht kann nicht ohne Grenzen bestimmt werden, wie hoch- oder geringwertig ein Interesse ist bzw. ob eine Position überhaupt als Interesse anzuerkennen ist. Denn teilweise sind grundsätzliche Wertungsmaßstäbe dem einfachen Recht – somit auch den dem Strafrecht zugrunde liegenden Verhaltensnormen – übergeordnet. Übergeordnete Normen können aber nur dem Verfassungsrecht entstammen. Wie Normen aus dem Verfassungsrecht auf das einfache Recht – also auch auf die Verhaltensnormen des Strafrechts – einwirken und so die Entscheidung im Einzelfall beeinflussen, in dem die oben genannte Abwägung erforderlich ist, wurde vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich in der so genannten Lüth-Entscheidung dargelegt.36 Danach sind die Grundrechte grundsätzlich Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, doch müssen sie auch eine gewisse Wirkkraft im Verhältnis der Privaten untereinander entfalten, da ansonsten Art 1 Abs. 3 GG, der auch die Rechtsprechung an die Grundrechte bindet, bezüglicher der Entscheidung einer Rechtsfrage, die nur im Verhältnis zwischen Privaten relevant ist, ohne Bedeutung wäre.37 Deshalb muss man anerkennen, dass „in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes . . . eine objektive Wertordnung [verkörpert ist], die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt“. Die Einwirkung der objektiven Wertordnung auf die gesamte Rechtsordnung – also auch auf die dem Strafrecht zugrunde liegenden Verhaltensnormen – kann zwei unterschiedliche Ergebnisse haben. 35 36 37
Roxin AT I, § 11, Rn. 60. BVerfGE 7, 198 ff., Urt. v. 15. Januar 1958, – 1 BvR 400/51 – (Lüth). BVerfGE 7, 198, 206.
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
211
d) Nichtigkeit von Verfassungsrecht widersprechendem „einfachen“ Recht Zum einen sind Normen des einfachen Rechts, die gegen jene Wertordnung verstoßen, verfassungswidrig und nichtig. Wenn also ein Wertungsgesichtspunkt, der in der objektiven Wertordnung vorhanden ist, durch das einfache Recht für überhaupt nicht werthaltig erklärt wird, so ist dies unzulässig. Das wäre im obigen Beispiel – die generelle Zulassung des Autofahrens – dann der Fall, wenn der einfache Gesetzgeber eine Norm erließe, die das Autofahren wegen der damit verbundenen Gefahren schlechthin verböte. Mit einer solchen Norm würde ein Interesse dahin, sich überhaupt in solch’ einer Weise zu betätigen – was man wohl in Art. 2 Abs. 1 GG lokalisieren müsste –, vollkommen abgewertet. Eine solche unzulässige vollkommene Abwertung eines Interesses läge aber auch darin, das Autofahren schlechthin zu erlauben und gar keine Einschränkungen (Erteilung einer Fahrerlaubnis, Bindung an Verkehrsregeln etc.) zu machen. Dann wären nämlich gar keine dem Autofahren entgegen gesetzte Interessen akzeptiert, was ebenfalls der in den Grundrechten – hier insbesondere in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – verkörperten objektiven Wertordnung widerspräche. So ist denn das geltende einfache Recht bezüglich der Regelung des Auto Fahrens als ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Werten der objektiven Wertordnung anzusehen. Es bildet gleichsam die Grenzlinie, die zwischen den aus der objektiven Wertordnung folgenden Wertungsgesichtspunkten, die wie ein Kraftfeld die zu regelnde Materie durchstrahlen, gezogen werden muss. e) Die „Wechselwirkungslehre“ Maßgeblich bewertet das einfache Recht, wann die mit einer Betätigung verbundenen Chancen die Risiken überwiegen. Und das ist immer dann der Fall, wenn gegen eine Verhaltensnorm des einfachen Rechts verstoßen wird. Doch zum Anderen wirkt die objektive Wertordnung nicht nur so auf das einfache Recht ein, dass das einfache Recht, das dieser Wertordnung nicht entspricht, unzulässig ist und einfaches Recht, das insofern zulässig ist, den alleinigen Wertungsmaßstab für die Beurteilung eines Risikos als erlaubt bzw. unerlaubt bildet. Auch einfaches Recht, das auf der ersten Stufe nicht zu missbilligen ist, darf bei seiner Anwendung nicht als allein maßgeblich angesehen werden. Denn auch bei Anwendung des „einfachen“ Rechts ist die wertsetzende Bedeutung der objektiven Wertordnung zu beachten. Bei der Konkretisierung – also Anwendung – des einfachen Rechts darf die Grenzlinie zwischen den beiden ausgleichsbedürftigen Positionen nicht einfach nur durch „normale“ Auslegung des Gesetzes im Einzelfall gefunden werden. Sondern die Grenzlinie, die in den Gesetzen verkörpert ist, die es
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
auszulegen gilt, muss so gezogen werden, dass die ausgleichsbedürftigen Positionen aus der objektiven Wertordnung optimal zur Geltung kommen. Das Bild vom Kraftfeld, das bereits oben bemüht wurde,38 hilft auch hier weiter. Durch die Gesetze wird die Grenzziehung im Kraftfeld der objektiven Wertordnung zwar gesetzt, aber das Kraftfeld wir dadurch nicht ausgeschaltet. Es bleibt insoweit wirksam, als das Gesetz einen Spielraum zulässt. Die einfachen Gesetze müssen also stets so ausgelegt werden, dass die verschiedenen Positionen der objektiven Wertordnung zu jeweils größter Wirksamkeit gelangen. Um ein letztes Mal auf das Beispiel mit dem Autofahren zurück zu kommen: Um zu bestimmen, ob jemand beim Autofahren „sorgfältig“ im Sinne der StVO gehandelt hat, darf nicht nur die entsprechende Bestimmung der StVO isoliert betrachtet werden. Denn das Autofahren an sich gefährdet bereits vielfach Grundrechte nach Art 2 Abs. 2 S. 1 GG. Diese sehr schwer wiegende Position der objektiven Wertordnung muss bei der Auslegung eines einfachrechtlichen Rechtsbegriffs wie „sorgfältig“ berücksichtigt werden, um sie nicht über Gebühr einzuschränken. Deshalb sind, wie häufig betont wird, die Sorgfaltsanforderungen beim Autofahren höher als bei anderen Betätigungen.39 f) Ergebnis Damit ergibt sich folgendes Bild: Die dem Strafgesetz zugrunde liegende Verhaltensnorm bestimmt die Grenzlinie zwischen erlaubtem und unerlaubtem Handeln. Ob ein Verhalten erlaubt oder unerlaubt ist, ergibt sich also durch Auslegung des einfachen Rechts. Dabei folgt das Ergebnis der Auslegung aus einer Abwägung. In dieser Abwägung bestimmt grundsätzlich der Gesetzgeber die Werthaltigkeit der beteiligten Positionen. Allerdings kann er das nur insoweit tun, als die Grenzziehung nicht der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes widerspricht. Die objektive Wertordnung fließt aber auch in die Auslegung der Verhaltensnorm ein; die Norm muss so ausgelegt werden, dass die in der objektiven Wertordnung verkörperten Interessen zu maximaler Wirkmöglichkeit gelangen. In die Auslegung der einzelnen Norm muss über eine Abwägung die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte einfließen.40 38
s. o. im 7. Abschnitt unter I. 3. b). Vgl. dazu: Thomas, in: Palandt, § 823, Rn. 56: Es gelten strengere Sorgfaltsanforderungen, wenn die Tätigkeit eine Gefahr für die Allgemeinheit mit sich bringt. In dieses Bild passt, dass in den Bereichen, in denen besonders strenge Sorgfaltsanforderungen bestehen, zudem meistens eine Gefährdungshaftung gesetzlich statuiert wird, die mit der Verschuldenshaftung über die Stationen „Beweislastumkehr“ und „Haftung für vermutetes Verschulden“ zu einem einheitlichen Schadensrecht zusammengeschlossen ist (Jansen, JZ 2002, S. 954, 967 f.). 40 Rengier, FS f. Roxin, S. 820. 39
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
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2. Das „erlaubte Risiko“ in Bezug auf drittmotivierendes Verhalten Wurde oben allgemein ausgeführt, wie man die Verhaltensnormen als Bestandteile des einfachen Rechts im Hinblick auf die durch die Verfassung vorgegebene objektive Wertordnung zu konkretisieren hat, so müssen wir hier den Blick konzentrieren auf die Verhaltensnormen, die ein Verhalten nur deshalb verbieten, weil es andere zu schädlichem Verhalten motivieren kann. Auch die hier interessierenden Verhaltensnormen sind wieder Grenzziehungen, die durch den „einfachen“ Gesetzgeber gezogen wurden und im Hinblick auf die abstrakteren – aber höherrangigeren – Werte konkretisiert werden müssen. Es soll nun darum gehen, welche spezielleren Wertmaßstäbe für die Beurteilung von drittmotivierendem Verhalten sich aus der Verfassung ergeben. In Bezug auf Äußerungen wird das dann weiter unten fortgeführt, denn Äußerungen sind eine Untergruppe dieser Verhaltensweisen. Sie sind verboten, weil sie Dritte dadurch motivieren können, dass sie einen Gedankeninhalt vermitteln.41 a) Der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz In einer der uns interessierenden Konstellationen (ein Verhalten ist verboten, um daran anknüpfendes Verhalten Dritter zu verhindern) gilt zunächst der Grundsatz, dass man darauf vertrauen darf, dass „Dritte“ sich rechtmäßig verhalten (Vertrauensgrundsatz),42 dass also Dritte das Verhalten nicht als Anknüpfungspunkt für verbotenes bzw. unerwünschtes Verhalten nehmen. Damit verwandt ist der Grundsatz, dass man ebenfalls darauf vertrauen darf, dass andere Menschen sich insofern „richtig“ verhalten, als sie ein Verhalten nicht als Anknüpfungspunkt für selbstschädigendes43 bzw. -gefährdendes44 Verhalten nutzen. Dieser Grundsatz wird Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz genannt.45 Dieser Begriff (oder „Grundsatz der Selbstverantwortung“)46 41
Dazu unter 3. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 227; Jakobs AT, 7/51; Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 150; zur Entwicklung des Vertrauensgrundsatzes in der Rechtsprechung aus Konstellationen im Straßenverkehr: BGHSt 4, 47, 50 f., Urt. v. 5. Februar 1953, – 3 StR 755/52 –; BGHSt 7, 118, 122 (Gr. Senat), Beschl. v. 12. Juli 1954, – VGS 1/54 –. 43 BGHSt 46, 279, 288 f., Urt. v. 7. Februar 2001, – 5 StR 474/00 –. 44 BGHSt 32, 262, 263 f., Urt. v. 14. Februar 1984, – 1 StR 808/83 – (Heroin). 45 BGHSt 46, 279, 288; BGHSt 32, 262, 263 f. Jakobs (AT 7/51) bezeichnet diese Konstellation direkt als „erlaubtes Risiko“, dieser Begriff wird hier als Oberbegriff auch für die Risiken, die sich ohne dazwischengeschaltetes menschliches Verhalten realisieren können, verwendet. Schumann spricht vom „Prinzip der Selbstverantwortung“ (Handlungsunrecht, S. 6). 46 BGHSt 37, 179, 182, Beschl. v. 25. September 1990, – 4 StR 359/90 –. 42
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
wird aber auch als Oberbegriff für die grundsätzliche Erlaubtheit von Verhalten verwendet, das durch das Opfer selbst oder Dritte zu Schäden führen kann. Wir können für beiden Konstellationen also mit dem Grundsatz, dass „. . .wie jemand auf mein Verhalten reagiert, . . . grundsätzlich allein seiner Verantwortung“47 unterliegt, weiterarbeiten. Nun kann dieser Grundsatz nicht das endgültige Ergebnis sein,48 denn wir haben oben gesehen, dass der Strafgrund für eine Äußerung immer in der angestrebten Verhinderung daran anknüpfenden Verhaltens anderer Personen als des Täters liegt,49 in der Bestrafung von Äußerungen also immer eine Ausnahme vom Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz liegt. b) Der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz als Bestandteil der „objektiven Wertordnung“ des Grundgesetzes? Ob dieser Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz sich aus der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes ergibt, ist umstritten. Schumann ist der Ansicht, dieser Grundsatz folge aus dem Schuldprinzip: Das verfassungsrechtlich in Art 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs. 3 GG) verbürgte Schuldprinzip besagt, dass jemand für eine rechtswidrige Tat nur insoweit zur Rechenschaft gezogen werden kann, als er für sie verantwortlich ist.50 Für eine Tat, die ein Dritter schuldhaft begangen habe, sei der Dritte verantwortlich. Das schließe es aus, einen zuvor Handelnden, der für die Tatbegehung des Dritten ursächlich geworden sei, dafür ebenfalls zur Rechenschaft zu ziehen.51 c) Der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz als Bestandteil der „einfachen“ Rechtsordnung? Nun wird diese behauptete unmittelbare verfassungsrechtliche Fundierung des Eigenverantwortlichkeitsgrundsatzes aber auch bestritten. In der Tat dürfte aus dem Gedanken, dass jedermann nur nach dem Maß seiner Verantwortlichkeit bestraft werden kann, nicht folgen, dass für das Unrecht, das er in die Welt gesetzt hat, nicht überdies noch ein Dritter verantwortlich 47
Schumann, Handlungsunrecht, S. 6. Dazu bzgl. der Erfolgsdelikte: Puppe, in: Nomos Kommentar, Vor § 13, Rn. 161 ff. 49 s. o. im 5. Abschnitt. 50 BVerfGE 50, 205, 214, Beschl. v. 17. Januar 1979, – 2 BvL 12/77 – (Ladendiebstahl); BVerfGE 95, 96, 131, Beschl. v. 24. Oktober 1996, – 2 BvR 1851, 1853, 1875, 1852/94 – (Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze). 51 Schumann, Handlungsunrecht, S. 1. 48
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
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sein kann. Ganz im Gegenteil könnte man argumentieren, eine auf Rechtsgüterschutz bedachte Rechtsordnung müsste zur optimalen Gewährleistung des Rechtsgüterschutzes eine „doppelte Absicherung“ dadurch bereithalten, dass ihre Verhaltensnormen ausnahmslos für jedes unmittelbar gefährliche Verhalten sowie für jedes mittelbar gefährliche Verhalten gelten und es verbieten.52 Freilich gilt dann, dass die Wahrscheinlichkeit, ab der eine Gefährlichkeit angenommen werden kann, abgesenkt werden muss.53 Denn andernfalls würde es wieder zu einer unzumutbaren Beschränkung der Handlungsfreiheit kommen.54 d) Die mittelbare verfassungsrechtliche Verbürgung des Eigenverantwortlichkeitsgrundsatzes Wendet man den Blick aber von der gesamten Rechtsordnung ab und einzelnen Normen zu, so ändert sich das Bild: Schafft man den Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz in gewissen Bereichen ab, so schränkt man, da der Einzelne nun auch für das Verhalten Dritter verantwortlich ist, die Handlungsfreiheit ein. Damit diese Beschränkung nicht zu weit geht, müsste der Maßstab, ab dem eine rechtlich relevante Gefährdung gegeben ist, heraufgesetzt werden. Eine Abschaffung des Eigenverantwortlichkeitsgrundsatzes – und sei es nur für gewisse Bereiche, wie den hier zu untersuchenden Bereich der Verbotenheit von Äußerungen – zieht also nach sich, dass für die gesamte Ordnung der Verhaltensnormen das Maß, ab dem eine Gefährdung angenommen werden kann, erhöht werden muss. Da der Rechtsordnung eine solche Erhöhung nicht zu entnehmen ist, muss der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz Geltung besitzen. Es gilt, dass der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz bei der jetzigen Ausgestaltung des strafrechtlich sankionierten Verhaltensnormensystems nicht vollkommen abgeschafft werden könnte. Denn dann müsste man auf andere Weise der „unerträglichen Beschränkung der Handlungsfreiheit“ entgegensteuern: etwa dadurch, dass man in anderen Bereichen der Verhaltenssteuerung Privilegierungen durchsetzt und so die Möglichkeit zur Entfaltung sicherstellt oder dass man generell den Wahrscheinlichkeitsmaß herabsetzt, ab dem eine rechtlich relevante Gefährdung zu bejahen ist. Damit ist der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz, obwohl er sich nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz ergibt, in der geltenden Rechtsordnung zumindest mittelbar verfassungsrechtlich fundiert. Deshalb ist der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz – obwohl er nirgendwo positivrechtlich niedergelegt ist – der „Grundton“, in dem die Zurechnungslehre „einge52 53 54
Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 163. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 164 und 227. s. o. unter I. 1.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
färbt“ ist. Davon ist die Bestrafung von Äußerungen eine Ausnahme, aber nur eine teilweise Ausnahme. Denn da nach dem oben Ausgeführten – zumindest im geltenden Verhaltennormensystem – der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz – zumindest mittelbar – verfassungsrechtlich fundiert ist, muss ausgelotet werden, inwieweit er, obwohl jede Bestrafung eines Verhaltens im Hinblick auf seine (mögliche) drittmotivierende Kraft eine Ausnahme davon ist, noch gilt. 3. Das „erlaubte Risiko“ in Bezug auf Äußerungen Dieses Prinzip des erlaubten Risikos in Form des Eigenverantwortlichkeitsgrundsatzes muss auch im Bereich der Auslegung von Äußerungen relevant sein. Denn wie gezeigt ist die Auslegung einer Äußerung nichts anderes als die Auslegung einer Verhaltensnorm, um festzustellen, ob das Verhalten (die Äußerung) unter die Norm subsumiert werden kann.55 Und eine Äußerung ist immer nur wegen ihrer möglichen Wirkung auf den Rezipienten rechtlich unerlaubt. Damit ist nicht jede Äußerung, von der voraussehbar ist, dass der Rezipient sie in einem gewissen Sinne (als Motivation zu bestimmtem rechtsgutsverletzenden Verhalten) Sinne verstehen kann, unerlaubt, sondern sie kann in den Bereich des erlaubten Risikos fallen. Gerade bei Äußerungen ist man nun aber nicht darauf angewiesen, aus allgemeinen Überlegungen das Maß des erlaubten Risikos, den Punkt also, von dem ab der Äußernde für (mögliche) an die Äußerung anknüpfende Verhaltensweisen des Rezipienten verantwortlich wird, zu bestimmen. Denn es ist ersichtlich, dass die Meinungsfreiheit des Art 5 GG an diesem Punkt Wirkung entfalten muss. Darf man seine Meinung frei äußern, so darf einem nicht jede mögliche Wirkung seines Wortes entgegen gehalten werden. Es wird im Folgenden darum gehen, diesen speziellen Bereich des erlaubten Risikos genauer zu bestimmen. Dafür ist es letztlich gleichgültig, ob man die Figur des erlaubten Risikos in der Lehre von der objektiven Zurechnung lokalisiert, oder ob man sagt, dass das erlaubte Risiko insoweit nur eine einschränkende Auslegung des jeweiligen einschlägigen Straftatbestandes56 oder der Tatbestandsgruppe „Äußerungsdelikte“ sei. IV. Ergebnis Nicht jede Äußerung, von der voraussehbar ist, dass sie den Rezipienten zu selbst- oder fremdschädigendem Verhalten veranlassen kann, die mithin ein Risiko schafft, ist bereits wegen dieser „Gefährlichkeit“ unerlaubt. Im 55 56
s. o. im 1. Abschnitt unter II. Armin Kaufmann, FS f. Jescheck, S. 251, 270.
12. Abschn.: Notwendigkeit der Anerkennung des „erlaubten Risikos“
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gesamten Strafrecht ist mittlerweile anerkannt, dass es einen Bereich „gefährlichen“ Verhaltens gibt, das trotzdem nicht unerlaubt ist. Es ist versucht worden, diesen Bereich materiell als „sozialadäquates Verhalten“ zu beschreiben. Dieser Ansatz trägt nicht weit: Mit ihm wären „sozialadäquate Verhaltensweisen“ einer (straf-)rechtlichen Regelung in weiten Teilen verschlossen. Das sog. erlaubte Risiko muss stattdessen aus der Rechtsordnung heraus begründet werden und auf diese Weise muss auch seine Reichweite bestimmt werden. Dabei ergibt sich, dass ein Verhalten dann unter das „erlaubte Risiko“ fällt, wenn das Interesse des Handelnden an der Handlung größer ist als das Interesse an der Vermeidung der durch die Handlung geschaffenen Gefahr. Wann ein Gut vorliegt, das in Gefahr geraten kann, und wann ein Interesse an der vorzunehmenden Handlung anzuerkennen ist, bestimmt in erster Linie die „einfache“ Rechtsordnung. Die Positionen der „einfachen“ Rechtsordnung entstammen häufig dem Verfassungsrecht; die gesamte Rechtsordnung muss zudem im Lichte der Verfassungsordnung ausgelegt werden. In Beziehung auf drittmotivierendes Verhalten gilt der Grundsatz, dass das Risiko, dass der Dritte schafft, nicht dem Handelnden angelastet werden kann. Dieser Grundsatz (Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz) gilt nicht ausnahmslos, er kann durch Gesetz eingeschränkt werden. Der (allgemeine) Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz könnte durch Gesetz auch gänzlich abgeschafft werden. Verfassungsrechtlich wäre es dann aber geboten, das Maß an Gefahrschaffung, ab der eine rechtlich relevante Gefährdung bejaht werden muss, zu erhöhen. Denn sonst käme es zu einer zu starken Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs. 1 GG). Aus dem gleichen Grund kann der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz in der geltenden Rechtsordnung praktisch nicht großflächig abgeschafft werden; insoweit ist er verfassungsrechtlich mittelbar verbürgt. Im Bereich der Äußerungen ist der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz eingeschränkt; Äußerungen sind immer wegen der (möglichen) Wirkung auf andere verboten. Trotzdem ist das Eigenverantwortlichkeitsprinzip in die Abwägung mit einzubeziehen, ob ein voraussehbar gefährliches Verhalten trotzdem erlaubt ist. Denn jedenfalls im Bereich von Äußerungen ist der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art 5 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlich zudem unmittelbar verbürgt.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
13. Abschnitt
Einseitige Betonung der Gefahr: Konzeption der h. M. und Übertragung der Auslegungsvorschriften aus anderen Rechtsgebieten In den vorigen Abschnitten wurde beschrieben, dass die Auslegung einer Äußerung in Wirklichkeit die Beantwortung der Frage ist, ob mit dem Verhalten „Äußerung“ eine – je nach Tatbestand unterschiedlich zu definierende – Gefahr geschaffen wurde. Beschreibt man hingegen die Auslegung einer Äußerung als Feststellung des Sinns, verliert man leicht die alleinige Grundlage aus den Augen, weshalb Äußerungen überhaupt als rechtlich unerlaubt angesehen werden dürfen (und deshalb in der Folge u. U. strafbar sind): wegen ihrer möglichen Wirkung auf den Rezipienten. Zudem besteht die Gefahr, sich durch den Begriff des Sinns dazu verleiten zu lassen, das Ergebnis des in jedem Menschen ablaufenden Verständnisprozesses als strafrechtlich relevanten Sinn festzusetzen oder sich durch dieses Ergebnis das eigene Vorverständnis zumindest so prägen zu lassen, dass eine objektive Beurteilung der mit der Äußerung verbundenen Gefahr erschwert wird. Aus diesem Grunde wird in der Abhandlung an den Begriff in dieser Bedeutung nicht angeknüpft werden. Es wird nur das durch die Äußerung geschaffene Risiko bestimmt und dann rechtlich beurteilt, ob die Risikoschaffung u. U. erlaubt war, denn in dem mit der Äußerung verbundenen Risiko liegt der Grund für die Unerlaubtheit und daraus folgend die Strafbarkeit einer Äußerung. Allerdings würde – wie im vorigen Abschnitt beschrieben – durch ein reines Abstellen auf die mit einer Äußerung verbundene Risiko ein Interesse des Handelnden, sich auf eine gewisse Weise zu verhalten, überhaupt nicht anerkannt. (Das Interesse des Äußernden konnte auch schon genauer zumindest in Art 5 Abs. 1 GG verortet werden.). Die Schaffung einer tatbestandsspezifischen Gefahr kann somit immer erst dann bejaht werden, wenn mit der Äußerung zum einen die Schaffung eines Risikos einhergeht und es zum anderen kein Interesse auf Seiten des Äußernden gibt, das die Schaffung des Risikos überwiegt. Das Vorliegen einer solchen Konstellation kann dann mit der Wendung bezeichnet werden, die Äußerung habe einen gewissen – tatbestandsspezifischen, also beleidigenden, volksverhetzenden etc. – Sinn gehabt. Insoweit wurde der Begriff des „Sinns“ bereits verwendet und wird er auch weiter verwendet werden. Allerdings ist damit immer nur jener Beurteilungsvorgang gemeint, als dessen Ergebnis sich das Vorliegen oder Nichtvorliegen der jeweils tatbestandsspezifischen Gefahr ergibt. Eine Sinnfeststellung nach der herkömmlichen Bedeutung ist damit nicht gemeint, sondern der Begriff be-
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
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zeichnet nur eine „Abkürzung“ für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandsspezifischen Gefahr. Bevor nun aber die Grenzlinie zwischen einer erlaubten und einer unerlaubten Risikoschaffung durch Äußerung – durch genauere Beschreibung der Interessen des Äußernden – trennscharf konturiert wird, soll in diesem Abschnitt noch auf zwei andere Möglichkeiten eingegangen werden, wie man den hergebrachten Begriff des Sinns inhaltlich bestimmen könnte (unter I. und II.). Es wird sich zeigen, dass beide Methoden der Auslegung letztlich auf dasselbe hinauslaufen und den Anforderungen nicht genügen, die an eine strafrechtliche Auslegungslehre zu stellen sind: Sie sind nicht in der Lage, die Interessen, die auf Seiten des Äußernden mit der Äußerung verbunden sind, angemessen zu berücksichtigen, und stellen damit eine strafrechtliche Auslegungsmethode auf dem Stand dar, wie sie bisher im ersten Teil entwickelt und dargestellt wurde (unter III.). Danach wird nachgewiesen werden, dass das bis hierher – also im ersten Teil – entwickelte Konzept des Rechtsgüterschutzes ohne Einschränkung durch ein erlaubtes Risiko durchaus im Strafgesetzbuch Verwendung findet, nämlich bei den so genannten Verwendungsdelikten (unten im 14. Abschnitt unter I. und II.). Die dadurch mögliche Abgrenzung der Verwendungsdelikte von den Äußerungsdelikten bietet damit die Möglichkeit, die bisher entwickelte Definition der Äußerung durch ein weiteres Merkmal zu ergänzen, sodass der Umstand, dass die Tathandlung der Äußerungsdelikte – die Äußerung – ein erlaubtes Risiko beinhaltet, auch in der Definition der Äußerung zum Ausdruck kommt (unten im 14. Abschnitt unter III.). I. Objektiver Sinngehalt Heutzutage wird in der Rechtsprechung und in der Literatur überwiegend für maßgeblich gehalten, welchen „objektiven Sinngehalt“ eine Äußerung hat.1 Teilweise wird auch nur vom „objektiven Sinn“2, „objektivem Erklä1 Ein Abstellen auf den „objektiven Sinngehalt“ (oder eine gleichbedeutende Formulierung) findet sich in der Rechtsprechung und in der Literatur nahezu überall, wo es um die Begehung einer Straftat durch eine Äußerung geht und der Sinngehalt nicht unproblematisch unmittelbar einsichtig ist. Zur Verdeutlichung werden daher nur exemplarisch Nachweise aus Rechtsprechung und Literatur zu den wichtigsten Tatbeständen geliefert: § 185 StGB: BVerfG, NStZ 2003, S. 3315, 3316, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. vom 4. April 2002 – 1 BvR 724/98 –; BayObLG, NStZ 1997, S. 283, 284, Urt. v. 17. Dezember 1996, – 2 St RR 178/96 –; OLG Frankfurt, NJW 2003, S. 77, Beschl. v. 2. Oktober 2002, – 1 Ss 329/01 –; Merz, Ehrenschutz, S. 51; Wessels/ Hettinger BT/1, Rn. 509; Rengier, BT II, § 29, Rn. 2; Küper, Definitionen, S. 69; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 17; Rudolphi, in: Systematischer
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
rungs-“3 oder „Aussagegehalt“4 gesprochen, gemeint ist aber dasselbe. Im Folgenden wird der Begriff des „objektiven Sinns“ bzw. „objektiven Sinngehalts“ verwendet. Nun wird dieser Begriff des „objektiven Sinns“ – bzw. seine Synonyme – so sachlich und eindeutig er auch klingt, in sehr unterschiedlicher Weise gebraucht. Sein Bedeutungsgehalt ist keinesfalls eindeutig umrissen und die (möglichen) unterschiedlichen Grundansätze, die sich hinter ihm verbergen, sollen im Folgenden aufgezeigt werden. 1. Der objektive Sinngehalt als vorgegebene Struktur in der Wirklichkeit? Die Wendung „objektiver Sinn“ dürfte auf Kern zurückgehen. a) Der „psychologische“ Begriff der Äußerung bei Kern Bei ihm wird der (straf)rechtliche Begriff der Äußerung in Anlehnung an einen psychologischen Begriff der Äußerung definiert.5 Danach ist eine Äußerung eine „Ausdrucksbewegung“, was meint, eine „psychophysische Lebensäußerung, durch welche innere Zustände, Vorstellungen, Gefühle und Affekte durch Muskelbewegung in sinnlich wahrnehmbaren Zeichen nach außen kundgegeben werden“.6 Dieser Begriff der Äußerung, der nicht dem Recht entstammt, sondern – dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprechend – der Psychologie, sei im Grundsatz auch der Begriff der Äußerung, der im Strafrecht Verwendung finde.7 Allerdings müsse man eine Einschränkung machen: Dem psychologischen Begriff der Äußerung unterfielen auch Äußerungen, die keinen Sinn haben, als welchen Kern schon einen aus ihnen hervor gehenden Gedankeninhalt ansieht.8 Diese Äußerungen Kommentar, § 185, Rn. 7; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 8; Regge, in: Münchener Kommentar StGB, § 185, Rn. 9. § 130 Abs. 1 StGB: OLG Frankfurt, NStZ-RR 2000, S. 368, Urt. v. 15. August 2000, – 2 Ss 147/00 –; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 130, Rn. 5. § 166 StGB: Dippel, in: Leipziger Kommentar, § 166, Rn. 18; Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 166, Rn. 9; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 166, Rn. 9. 2 Kern, Äußerungsdelikte, S. 20. 3 Merz, Ehrenschutz, S. 51. 4 Vgl.: Dippel, in: Leipziger Kommentar, § 166, Rn. 18; Lenckner, in: Schönke/ Schröder, § 166, Rn. 9. 5 Kern, Äußerungsdelikte, S. 3. 6 Kern, Äußerungsdelikte, S. 3. 7 Kern, Äußerungsdelikte, S. 9. 8 Kern, Äußerungsdelikte, S. 6.
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
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seien aber keine Äußerungen im strafrechtlichen Sinne. Als Beispiel führt Kern das Ausstoßen von Schmerzenslauten durch einen Verwundeten an.9 b) Der strafrechtliche Begriff der Äußerung bei Kern Als Äußerungen im strafrechtlichen Sinne seien also Äußerungen im (weitergehenden) psychologischen Sinne zu verstehen, die einen Gedankeninhalt10 hätten. Dieser Gedankeninhalt, den Kern als wesentlich für das Vorliegen einer Äußerung im strafrechtlichen Sinne ansieht, sei identisch mit dem objektiven Sinngehalt, der strafrechtlich relevant sei. Da Kern an einen aus einer anderen Wissenschaft (der Psychologie) stammenden Begriff anknüpft und ihn somit für grundsätzlich auch im Strafrecht relevant erklärt, könnte man auf die Idee kommen, der Gedankeninhalt, also der objektive Sinn einer Äußerung (im strafrechtlichen Sinne) sei nach seiner Auffassung eine Eigenschaft der Äußerung im (weitergehenden psychologischen) Sinne. Damit wäre der objektive Sinngehalt eine vorgegebene Struktur in der Wirklichkeit, der durch die Psychologie erkannt werden könnte. Dann wäre die Entscheidung, ob – und gegebenenfalls welchen – Sinn eine Äußerung habe, eine solche, die nicht im Strafrecht entschieden werden könnte. Das Strafrecht wäre darauf angewiesen, darauf zurückzugreifen, ob die Psychologie zu dem Ergebnis kommt, dass Inhalt einer Äußerung ein Gedankeninhalt (oder eben etwas anderes, z. B. das Schmerzempfinden aus dem obigen Beispiel) sei oder nicht. Dann wäre im Strafrecht eine Struktur maßgeblich, die dem Strafrecht seinsmäßig vorgegeben ist. Doch in diesem Sinne versteht Kern den „objektiven Sinn“ nicht. Er ist sich durchaus bewusst, dass der objektive Sinn das Ergebnis einer rechtlichen Wertung sein muss.11 Er setzt nämlich tatsächlich vorliegenden Gedankeninhalt und „objektiven Sinn“ nur insoweit gleich, als er tatsächlich zum Ausdruck gekommen ist.12 c) Das „Weiterleben“ von ontologischen Vorstellungen in der heutigen Zeit Die Ansicht, nach der der Sinn einer Äußerung normativ durch Auslegung ermittelt werden muss und nicht als „Realität“ einfach „erkannt“ werden kann, wird wohl heutzutage allgemein vertreten,13 wenngleich das 9
Kern, Äußerungsdelikte, S. 4. Vgl. oben im 7. Abschnitt unter II. 11 Kern, Äußerungsdelikte, S. 73. 12 Kern, Äußerungsdelikte, S. 73. 13 s. o. im 1. Abschnitt unter II. 10
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
selten explizit ausgesprochen wird.14 Es finden sich häufig trotzdem Formulierungen, die darauf hindeuten, dass unausgesprochen davon ausgegangen wird, der Sinn einer Äußerung sei etwas Tatsächliches, eine Eigenschaft der Äußerung, die man einfach ohne zu werten erkennen könne.15 So spricht z. B. Kriele in einer Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von einer „ehrenrührigen Äußerung“,16 was nichts anderes heißen kann als einer Äußerung mit einem ehrenrührigen Sinn. Dann kritisiert er, dass das Bundesverfassungsgericht dieser Äußerung „liebevoll“ einen möglichen Sinn unterlege,17 und übersieht dabei, dass das Gericht mit dieser Vorgehensweise die in Rede stehende Äußerung auslegt. Ähnlich geht Schmitt Glaeser vor: Nachdem er darauf verzichtet, die als „unvertretbar gescholtene“ Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu „Soldaten-sind-Mörder“18 zu analysieren, stellt er fest, die Kammer habe in „rührender Weise“ alle Deutungen ausgeschlossen, die zu einer Verurteilung hätten führen können.19 In seiner Generalabrechnung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erkennt Kiesel an, dass es zur Bewertung von Äußerungen auf den „objektiven Sinngehalt“ ankommt.20 Er versucht allerdings nicht diesen zu ermitteln, sondern stellt lediglich elf Entscheidungen des Gerichts dar, woraus sich unmittelbar plausibel ergeben soll, dass die in Rede stehenden Äußerungen so (falsch) ausgelegt wurden, dass der Ehrenschutz durch das Bundesverfassungsgericht „liquidiert“ worden sei.21 Man kann zwar kritisieren, dass das Bundesverfassungsgericht die Äußerung falsch ausgelegt habe und sogar generell nach den falschen Maßstäben auslege (ganz abgesehen davon, ob das Bundesverfassungsgericht sich nicht durch die Auslegung zu einer „Supertatsachen-“ oder „Superrevisionsinstanz“ aufschwinge22). Aber man kann nicht den Sinn einer Äußerung ohne Auslegung – sprich: ohne Wertung – einfach erkennen.
14
Grasnick, GS f. Schlüchter, 803, 813 f. Zu der Ursache einer solchen unausgesprochenen Vorstellung s. o. im 2. Abschnitt unter IV. 2. 16 NJW 1994, S. 1897, 1901. 17 Kriele, NJW 1994, S. 1897, 1901. 18 BVerfG, NJW 1994, S. 1149 ff. 19 Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 873, 874. 20 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1133. 21 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1133 ff. 22 Vgl.: LG Mainz, NStZ-RR 1996, S. 330, 332; Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 873, 874; Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1132; Schmittmann, NStZ 1996, S. 496, 497. 15
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
223
2. Der objektive Sinngehalt als Ergebnis einer Wertung Doch wie geht man nun vor, wie bewertet man eine Äußerung, um den Sinn zu ermitteln? Und vor allen Dingen, wie geht man dabei objektiv vor? a) Die „Objektivität“ der Wertung – „objektiv“ heißt nicht „generell“ Wenn es im Recht um Wertungen geht, gibt es immer zwei Möglichkeiten, woher die Wertmaßstäbe entstammen, nach denen man wertet. Zum einen kann man die persönliche Wertung des Entscheidenden für maßgeblich halten, man stellt auf die Wertmaßstäbe desjenigen ab, der den konkreten Fall zu entscheiden hat – das sind die Fälle des so genannten Entscheidungsspielraumes und die Ermessensentscheidungen.23 Doch auf diese Wertungen kann es im Strafrecht bei der Entscheidung, ob ein Tatbestand erfüllt ist oder nicht, nicht ankommen. Zum anderen kann man den Wertmaßstab objektivieren und stellt dann auf Wertmaßstäbe ab, die nicht notwendig die Wertmaßstäbe des Entscheidenden sind. Es muss sich dann um Wertmaßstäbe handeln, die einem Wertesystem entstammen, z. B. der Moral („sittenwidrig“ etc.).24 Nach überwiegender Ansicht wird der objektive Sinn nun so ermittelt, dass eine Maßperson geschaffen wird und man deren Eigenschaften, nämlich deren Wertmaßstäbe, beschreibt, sich dann in diese Maßperson hineinversetzt und zuletzt als Maßperson wertet. Die Wertung dieser Maßperson ist dann das Ergebnis. Wesentlich ist nun, wie man die Maßfigur beschreibt. Zum einen benötigt die Maßperson einen Bestand an Tatsachenwissen und zum anderen benötigt die Person einen Bestand an Wertmaßstäben, anhand deren man die Tatsachen wertet. b) Die Anwendung der Wertungsmaßstäbe auf die Tatsachen Die Ausstattung der Maßperson mit einem Tatsachenwissen, bzw. das Wissen der Maßperson um die Umstände, unter denen die Äußerung vorgenommen wurde, bestimmt sich nach h. M. danach, was der Äußernde als dem Rezipienten bekannte Tatsachen voraussehen konnte. Das folgt daraus, dass bei Darstellung des Vorgehens der Ermittlung des objektiven Sinngehalts immer Wert darauf gelegt wird zu betonen, dass der objektive Sinngehalt einer Äußerung nicht übereinstimme mit dem subjektiven Sinn, also im Wesentlichen dem Vorsatz, und ebenfalls betont wird, dass der objektive 23 24
Engisch, Einführung, S. 116. Engisch, Einführung, S. 126.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
Sinngehalt nicht übereinstimmt mit dem Eindruck, also dem tatsächlich hervorgerufenen Gedankeninhalt.25 Genau so geht man bei den Wertungen vor: Grundsätzlich sind die Wertungsmaßstäbe des Rezipienten maßgeblich, allerdings nur – mit derselben Begründung wie oben bei den Tatsachen – in dem Maße, in dem voraussehbar war, dass der Rezipient sie anwenden würde. c) Der „objektive“ Sinngehalt als im Rezipienten voraussehbar reproduzierter Gedankeninhalt Damit stellt sich die h. M. in Rechtsprechung und Literatur genau so dar wie die strafrechtliche Auslegungslehre, wie sie im ersten Abschnitt der Abhandlung entwickelt wurde. Auf eine Formel gebracht könnte man sagen, der objektive Sinngehalt einer Äußerung ist der Gedankeninhalt, der in dem Rezipienten voraussehbar reproduziert werden wird. Doch wie bereits oben gezeigt, reicht dieser Ansatz nicht aus. In diesem Ansatz gibt es kein „erlaubtes Risiko“ und er ist nicht in der Lage, die Wirkung der Meinungsfreiheit zu erklären. II. Auslegungsregeln aus anderen Rechtsgebieten Dieses Ergebnis – um es gleich vorweg zu nehmen – wird sich auch bei einer weiteren Möglichkeit ergeben, den „Sinn“ einer Äußerung im Strafrecht zu ermitteln. Bereits oben wurde angesprochen, dass es die Möglichkeit gibt, andere Auslegungsregeln, die im Recht angewendet werden, auf unser Problem – die Auslegung im Strafrecht – zu übertragen. Insbesondere im Zivilrecht müssen Willenserklärungen und Verträge ausgelegt werden (§§ 133, 157 BGB), um zu ermitteln inwieweit das Rechtsgeschäft eine Regelung trifft.26 Aber auch in anderen Rechtsgebieten spielt Auslegung, die nicht Auslegung des Gesetzes27 ist, eine Rolle. 1. Die Auslegung von Verwaltungsakten und Prozesshandlungen Im öffentlichen Recht muss beispielsweise durch Auslegung der Inhalt eines Verwaltungsakts ermittelt werden, um festzustellen, was sein Regelungsgehalt ist.28 Ebenfalls ist in den Prozessrechten anerkannt, dass ProHerdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 17. Stellvertretend für alle: Flume AT, § 16 1. b). 27 Zur Übertragung dieser Regeln auf unser Problem vgl. bereits oben im 1. Abschnitt unter II. 1. 28 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35, Rn. 38. 25 26
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
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zesshandlungen ausgelegt werden müssen. Als (willkürlich ausgewählte) Beispiele aus den wichtigsten Prozessrechten seien hier genannt: Im Zivilprozessrecht muss eine Prozesserklärung ausgelegt werden, um festzustellen ob in ihr ein Verzicht liegt.29 Im Strafprozessrecht muss eine Erklärung, mit der ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, daraufhin ausgelegt werden, welches Rechtsmittel eingelegt wird (vgl. § 300 StPO),30 und im Verwaltungsprozessrecht muss bezüglich der Klage durch Auslegung ermittelt werden, was mit dem Rechtsschutzersuchen erreicht werden soll, um den Prozessgegenstand fest zu legen.31 2. Die Auslegung im Zivilrecht als Vorbild für die Auslegung in anderen Rechtsgebieten Im Folgenden kann aus Platzgründen nicht auf alle diese Gebiete, in denen eine Auslegung stattfindet, eingegangen werden, um zu prüfen, ob man die hier geltenden Regeln umformuliert bzw. angepasst auch im Strafrecht anwenden kann. Es soll nur die Auslegung von Rechtsgeschäften im Zivilrecht untersucht werden. Anhand der hier entwickelten Methoden soll die Frage der Übertragbarkeit dieser Regeln auf das Strafrecht überprüft werden. Doch die Beschränkung auf das Zivilrecht hat noch einen anderen Grund: In all’ den oben genannten Rechtsgebieten wird die Auslegung des in Rede stehenden Verhaltens nach den Grundsätzen des Zivilrechts über die Auslegung von Rechtsgeschäften vorgenommen; soweit die Auslegungsgrundsätze problematisiert werden, wird das sogar explizit anerkannt.32 Die Beschränkung auf das Zivilrecht erfolgt also nicht nur aus Platzgründen; im Gegenteil kann der Umstand, dass die Auslegungsgrundsätze aus dem Zivilrecht für Rechtsgeschäfte auf Verhalten übertragen werden, das nach den Normen anderer Rechtsgebiete beurteilt werden muss, vielmehr ein Anhaltspunkt dafür sein, dass es richtig ist, diese Grundsätze auch im Strafrecht anzuwenden. Wenn im Folgenden also ermittelt werden soll, ob man die Auslegungsgrundsätze des Zivilrechts für Rechtsgeschäfte auf die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht übertragen kann, so gilt hier das oben zur Übertragung der Auslegungsgrundsätze für Gesetze auf Äußerun29
BGHZ 22, 267, 269, Urt. v. 29. November 1956, – III ZR 121/55 –. Meyer-Goßner, § 300, Rn. 3; zur sonstigen Auslegung von Prozesshandlungen im Strafprozess vgl. auch: Maiberg, Verwertungsverbote, S. 127 f. 31 Eyermann, VwGO, § 88, Rn. 8. 32 Für Verwaltungsakte vgl.: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35, Rn. 38; Heinrichs, in: Palandt, § 133, Rn. 4; für die Auslegung einer Erklärung im Zivilprozess vgl.: BGHZ 22, 267, 269, Urteil vom 29. November 1956, – III ZR 121/55 –; Dörner, in: HK–BGB, § 133, Rn. 2; Heinrichs, in: Palandt, § 133, Rn. 4 und Überbl. v. § 104, Rn. 37; für die Auslegung einer Prozesshandlung im Strafprozess: Maiberg, Verwertungsverbote, S. 127. 30
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
gen Gesagte entsprechend:33 Wesentlich muss sein, ob die Zwecke der Auslegung von Rechtsgeschäften im Zivilrecht und der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht hinreichend ähnlich sind. Dazu gilt es also zunächst, den Zweck der Auslegung von Rechtsgeschäften im Zivilrecht herauszuarbeiten.34 3. Die Auslegung von Willenserklärungen im Zivilrecht im Einzelnen Die Willenserklärung – zumindest das Vorliegen einer Willenserklärung ist Bestandteil jeden Rechtsgeschäfts35 – wird heutzutage als „Geltungserklärung“ aufgefasst. Das heißt, der objektive „Teil“ der Willenserklärung, das Vorliegen der Erklärung mit ihrem Inhalt, ist der Grund, weshalb der Inhalt gelten soll. Es ist demnach nicht mehr so – wie noch die so genannte Willenstheorie annahm36 – dass nur der Wille – also ein subjektiver Umstand – der Grund ist, weshalb eine gewisse Regelung gilt, was dann zur Folge hätte, dass der objektive Teil der Willenserklärung nur ein „Beweisanzeichen“ für die Ermittlung des wahren Willens darstellen würde. a) Die Auslegung einer Willenserklärung als Erforschung des wahren Willens aufgrund des „Empfängerhorizonts“ Deshalb sucht man bei der Ermittlung des Sinns einer Willenserklärung das tatsächlich Erklärte37, und zwar indem man aus dem „Empfängerhori33
Siehe oben im 6. Abschnitt unter II. Wenn im Folgenden von der Auslegung von Willenserklärungen die Rede ist, dann sind damit immer empfangsbedürftige Willenserklärungen gemeint. Der Grund liegt auf der Hand: Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen – bekanntestes Beispiel: Testament (§§ 2064 ff. BGB) – sind auch dann wirksam, wenn sie niemandem zugehen (vgl.: Brox AT, Rn. 129; Dörner, in: HK–BGB, § 133, Rn. 7). Das Testament, das der Erblasser in der Schublade verwahrt, entfaltet beim Tode des Erblassers auch dann Rechtswirkung, wenn niemand Kenntnis von ihm hat (nur kann die Rechtswirkung dann unter Umständen nicht durchgesetzt werden, wenn das Testament niemals aufgefunden wird). Eine Äußerung im Strafrecht – beispielsweise eine Beleidigung – kann nur dann Anknüpfungspunkt eines strafrechtlichen Vorwurfs sein, wenn sie jemandem zugeht (oder voraussehbar zugehen kann). Die Beleidigung, die in das nur für den persönlichen Gebrauch verwendete Tagebuch eingetragen wird, ist keine Beleidigung, sondern ein bloßes Internum. 35 Flume AT, § 2 3.; Brox AT, Rn. 94; Heinrichs, in: Palandt, Überbl. v. § 104, Rn. 37. 36 Zur Willenstheorie vgl. auch die Ausführungen oben im 6. Abschnitt unter I. 3. c). 37 BGHZ 47, 75, 78, Urt. v. 3. Februar 1967, – VI ZR 114/65 –; Brox AT, Rn. 124; Dörner, in: HK–BGB, § 133, Rn. 4; Heinrichs, in: Palandt, § 133, Rn. 5. 34
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
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zont“ fragt. Man stellt also darauf ab, welche Umstände dem Empfänger erkennbar waren und nach welcher Verkehrsanschauung der Empfänger der Erklärung einen Sinn zumessen durfte.38 Diese Verkehrsanschauung ist zunächst eine allgemeine:39 Wenn „Klaviere“ angeboten werden, so kann man davon ausgehen, dass der allgemeinen Verkehrsanschauung entsprechend gewisse Tasteninstrumente als Klaviere bezeichnet werden. Nun kann diese allgemeine Verkehrsanschauung auch „derogiert“ sein durch eine spezielle Verkehrsanschauung, die u. U. nur zwischen den Parteien gepflegt wird. Das könnte im obigen Fall die Vereinbarung sein, mit dem Wort „Klaviere“ Maschinengewehre zu bezeichnen.40 Ein Angebot über „Klaviere“ ist nun als Angebot über Maschinengewehre zu verstehen, es liegt ein Scheingeschäft vor. Nach § 117 Abs. 2 BGB führt das aber nur dazu, dass das verdeckte Geschäft nach den dafür geltenden Vorschriften behandelt wird, also grundsätzlich, als das von den Parteien gewollte wirksam (und dann, u. U. – wie hier – nach § 134 BGB nichtig) ist. So versteht man heutzutage die §§ 133, 157 BGB, die die Auslegung behandeln und zunächst grundsätzlich zumindest zum Teil einen gegensätzlichen Wortsinn haben: Wird hier der wahre Wille betont (§ 133 BGB), so wird dort auf die Verkehrsanschauung (§ 157 BGB), die ja entgegengesetzt sein kann, abgestellt.41 Grundsätzlich ist der Bedeutungsgehalt eines Verhaltens nach der allgemeinen Verkehrsanschauung festzusetzen. Aus dem Empfängerhorizont kann sich nun aber ergeben, dass der Äußernde sich nicht an diese Verkehrsanschauung hält. Das kann z. B. so sein, weil eine Vereinbarung getroffen ist, sich nicht an die Verkehrsanschauung zu halten (wie beim Scheingeschäft), oder weil man sich in diesen Kreisen allgemein nicht an die Verkehrsanschauung hält, oder auch, weil dem Empfänger bekannt ist, dass der Äußernde das Wort immer in anderer Bedeutung versteht. Dann darf der Sinn eines Verhaltens nicht nach der Verkehrsanschauung festgesetzt werden. Man kann den Zweck der Auslegung von Rechtsgeschäften im Zivilrecht also kurz beschreiben als: Erforschung des wahren Willens (§ 133 BGB) aufgrund eines bestimmten Tatsachen- und Wertungsmaßstabs (Empfängerhorizont). Als maßgeblicher Wille muss grundsätzlich der Wille gelten, den die Verkehrsanschauung (§ 157 BGB) zuschreibt, es sei denn, aufgrund des Empfängerhorizonts ist es möglich, eine genauere Bedeutungszuschreibung (= genauere Willenserforschung) vorzunehmen.42 38 BGHZ 103, 275, 280, Urt. v. 24. Februar 1988, – VII ZR 145/87 –; BGHZ 47, 75, 78, Urt. v. 3. Februar 1967, – VI ZR 114/65 –; Heinrichs, in: Palandt, § 133, Rn. 9. 39 Dörner, in: HK–BGB, § 133, Rn. 4. 40 Beispiel nach Brox AT, Rn. 125. 41 Heinrichs, in: Palandt, § 133, Rn. 1 und Rn. 7. 42 Brox AT, Rn. 134.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
b) Gemeinsamkeiten zur Auslegung im Strafrecht Die Auslegung von Willenserklärungen im Zivilrecht ist also in gewisser Hinsicht mit der Auslegung von Äußerungen im Strafrecht nach der subjektiven Theorie43 des Reichsgerichts zu vergleichen: Bei beiden Methoden ist das Ziel, den wahren Willen zu erforschen. Der Unterschied ist nun aber folgender: Während das Reichsgericht noch annahm, der wahre Wille sei der Sinn einer Äußerung und er müsse aufgrund aller Umstände ermittelt werden, so objektiviert die Methode, nach der Rechtsgeschäfte im Zivilrecht ausgelegt werden. Sie versucht zwar auch den wahren Willen zu erforschen und muss das auch tun, um den Grundsatz der Privatautonomie möglichst umfassend zur Geltung gelangen zu lassen. Das tut sie aber in Kenntnis und mit Rücksicht darauf, dass dem Empfänger – im Gegensatz zum im Nachhinein urteilenden Gericht mit prinzipiell unbegrenzter Erkenntnismöglichkeit – nur ein begrenzter Erkenntnishorizont zur Verfügung steht. Dieser Erkenntnishorizont, in den derjenige, der die Erklärung auslegen will, sich hineinversetzen muss, ist der Empfängerhorizont. Der Wille, der so objektiviert zu Tage tritt und als „normativer Wille“ bezeichnet wird, wird als Bedeutung der Äußerung bzw. Erklärung festgesetzt.44 c) Unterschiede zur Auslegung im Strafrecht Allerdings wird der Empfängerhorizont nicht allein danach bestimmt, was der Empfänger an Tatsachen und Wertmaßstäben aktuell kannte. Dann würde nämlich als maßgeblich angesehen, was der Empfänger als beim Erklärenden vorhandenen wirklichen Willen angesehen hat, sodass man sagen müsste, der „Sinn“ einer Willenserklärung entspräche dem „Eindruck“.45 Im Bereich der Auslegung von Willenserklärungen im Zivilrecht wird eine Normativierung des Empfängerhorizonts vorgenommen: Vom Empfänger wird verlangt, sich so in den Äußernden hineinzuversetzen, dass er bei der Interpretation des Verhaltens nur solche Umstände und Wertungen für verbindlich ansehen darf, die er als beim Erklärenden vorhanden voraussetzen durfte.46 Damit wird der Empfängerhorizont nicht als tatsächlich vorhandenes psychisches Faktum verstanden, sondern so definiert, dass er im Nachhinein – etwa bei einer gerichtlichen Entscheidung – objektiv herausgearbeitet werden kann. Soweit diese Methode also eine objektive ist – der nor43
s. o. im 6. Abschnitt unter I. BGHZ 36, 30, 33, Urt. v. 5. Oktober 1961, – VII ZR 207/60 –; Dörner, in: HK–BGB, § 133, Rn. 8. 45 Dazu oben im 10. Abschnitt. 46 Medicus AT, Rn. 323; Brox AT, Rn. 132. 44
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
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mative Wille wird objektiv nachvollziehbar auf Basis des Empfängerhorizonts ermittelt und ist nicht mit dem tatsächlichen wahren Willen zu verwechseln –, vermischt diese Ansicht nicht objektiven und subjektiven Tatbestand. Während der normative Wille als Sinn objektiv ermittelt wird, stellt der wahre Wille den subjektiven Tatbestand dar. Damit ist diese Ansicht nicht schon deswegen abzulehnen, weil sie sich nicht in das System, nach dem wir das strafrechtliche Unrecht bestimmen, einfügt, wie das bei der subjektiven Theorie des Reichsgerichts der Fall war.47 4. Die Vermischung von Vollendung, Versuch und Vorbereitung bei der Übertragung der zivilrechtlichen Auslegungslehre auf das Strafrecht Aber der zweite Einwand gegen die Auffassung des Reichsgerichts lautete, diese Ansicht vermische den strafrechtlichen Unterschied zwischen Versuch und Vollendung. Und diesen Unterschied vollzieht auch die Ansicht von der Übertragung der zivilrechtlichen Auslegungslehre nicht nach, sodass sie im Strafrecht unbrauchbar ist. Als Beispiel kann wieder der Fall dienen, dass ein Punk in einer Auseinandersetzung mit der Polizei für jeden erkennbar am Ende seiner aggressiven Rede Abstand davon nimmt, die beteiligten Polizisten als „Bullen“ zu bezeichnen.48 Ein weiteres Beispiel ist folgendes: Der weithin bekannte Holocaust-Leugner, der auf eine Darlegung seiner Sicht der Geschehnisse in den Konzentrationslagern angesprochen wird, erklärt, er wolle sich sehr gerne dazu äußern und beginnt dann den Standpunkt der „herrschenden“ Zeitgeschichtslehre darzulegen, worauf er unterbrochen wird, sodass er zum eigentlichen Leugnen des Holocaust gar nicht mehr kommt. In beiden Fällen liegt auf der Hand, dass ein (vollendetes) Delikt (noch) nicht vorliegt. a) Informationsübermittlung bereits zum Beginn eines Kommunikationsbeitrags? Die Anwendung der Auslegungsregeln aus dem Zivilrecht auf diese Fälle bereitet Schwierigkeiten und man könnte dazu kommen, den Kommunikationsbeiträgen einen beleidigenden oder den Holocaust leugnenden Sinn zuzumessen. Aufgrund des Empfängerhorizonts (= Kenntnis der Gegnerschaft des Punks zur „Staatsgewalt“, Kenntnis des Holocaust-Leugners als aktiven Verfechters revisionistischer Thesen) führt eine Erforschung des wahren Willens dazu, dass die Sprechenden beleidigen oder den Holocaust leugnen wollten. Ein anderes Ergebnis würde der Lebenserfahrung widersprechen. 47 48
s. o. im 6. Abschnitt unter I. 3. b). Ebenfalls oben im 6. Abschnitt unter I. 3. b).
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
Man müsste damit einen beleidigenden oder den Holocaust leugnenden Sinn bereits bei Beginn der Rede unterstellen. Ein solches Ergebnis kann nicht zutreffend sein, denn dann hätten die Regelungen im StGB über den Versuchsbeginn beim „unmittelbaren Ansetzen“ (§ 22 StGB), die im Umkehrschluss aus § 23 Abs. 1 StGB folgende Erkenntnis, dass die Vorbereitung im Grundsatz nicht strafbar ist49 und dass beim unbeendeten Versuch ein Rücktritt (§ 24 Abs. 1 S. 1 1. Var. StGB) durch bloßes Unterlassen weiteren Tätigwerdens möglich sein muss,50 bei Äußerungen keinen Gegenstand mehr. Denn Äußerungen lassen bei dieser Übertragung der Auslegungsregeln aus dem Zivilrecht entweder den Sinn vollständig objektiv erkennen (und das auch, wenn sie nicht vollends ausgesprochen sind) oder ihnen lässt sich wegen ihrer nur teilweisen Aussprache (noch) gar kein objektiver Sinn zumessen. Auf diese Art und Weise dürfen die Auslegungsregeln aus dem Zivilrecht also nicht auf das Strafrecht übertragen werden, denn hierdurch würde die Vollendung unzulässig vorverlegt und eine sinnvolle Abgrenzung zum Versuch wäre nicht möglich.51 b) Rechtliche Wirkung erst mit formellem Abschluss und Zugang des Kommunikationsbeitrags? Man könnte bei der Anwendung der Auslegungsregeln aus dem Zivilrecht – mit einem bedeutsamen Unterschied im Ergebnis – aber auch folgendermaßen argumentieren: Im Zivilrecht hat eine nicht vollendete und insbesondere noch nicht vollständig zugegangene Willenserklärung noch keinen objektiven Sinn – auch wenn aus Sicht des Empfängerhorizontes klar ist, wie der Erklärende die Erklärung beenden wird. Denn es existiert eine Regel der Verkehrsanschauung, nach der einer unvollendeten Willenserklärung nicht der objektive Sinn einer vollendeten Willenserklärung zugemessen werden darf. Auf diese Weise ist es im Zivilrecht möglich, den Zeitpunkt z. B. des Vertragsschlusses oder der Kündigung exakt zu bestimmen. Wendete man die Auslegungsregeln aus dem Zivilrecht unter dieser Prämisse an, so kommt man in den Beispielsfällen von oben dazu, dass ein (vollendetes) Delikt nicht gegeben ist. Auf der anderen Seite gerät man in anderen Fällen zu unakzeptablen Ergebnissen. Will jemand einen anderen zu einer Straftat anstiften, so ist es denkbar, dass er die anstiftenden Worte – etwa aus Angst vor Strafe – nur zum Teil ausspricht in der (begründeten) Erwartung, der Rezipient werde schon verstehen, was er gemeint habe. 49
Tröndle/Fischer, § 22, Rn. 5. Tröndle/Fischer, § 24, Rn. 26. 51 Eine den Anforderungen genügende Abgrenzung zwischen Vollendung und Versuch wird mit ausführlicher Begründung anhand des oben mitgeteilten Falles im 15. Abschnitt unter IV. 4. entwickelt. 50
13. Abschn.: Einseitige Betonung der Gefahr
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Wenn die Anstiftung auf diese Weise gelingt, muss eine Strafbarkeit wegen vollendeter Anstiftung vorliegen. Andernfalls wäre es möglich durch bloßes Verändern einer Äußerung in ihrem Wortlaut ein gesetzliches Verbot zu umgehen.52 Damit bietet die Übertragung der Auslegungsgrundsätze aus dem Zivilrecht keine Möglichkeit den Versuchsbeginn von der Vorbereitungsphase oder der Vollendung sinnvoll abzugrenzen, weil sich im Zivilrecht dieses Problem (so) nicht stellt. III. Zusammenfassung der Einwände gegen beide Konzeptionen Ein tragfähiges Konzept, was der „objektive Sinn“ ist und wie man ihn zu ermitteln hat, bietet die überwiegende Ansicht mithin nicht. Wer sich äußert, dem geht es in erster Linie nicht darum, sich zu äußern, sondern sein Ziel ist ein anderes: Er will sich in rechtlich relevanter Weise verhalten, z. B. indem er durch einen Vertragsschluss eine rechtlich anerkannte Regelung schafft. Daher ist das Grundrecht, dem die Privatautonomie zugeordnet wird, auch Art 2 GG. Nicht einschlägig ist hingegen Art 5 GG, die Meinungsfreiheit. Auf diese wird aber besonders im Strafrecht bei der Auslegung Acht zu geben sein. Deshalb ist es auch nicht möglich, die Auslegungsgrundsätze aus dem Zivilrecht für Rechtsgeschäfte auf Äußerungen im Strafrecht zu übertragen. Diese Auslegungsgrundsätze sind zwar besser geeignet als die „subjektive Theorie“ des Reichsgerichts, weil sie sich in das System des strafrechtlichen Unrechts einpassen ließen. Aber dem Haupteinwand entgehen sie nicht: Mit ihnen kann nicht hinreichend sicher zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung unterschieden werden. Stellt man nur auf den „objektiven Sinn“ ab, so wird nicht deutlich genug wie man ihn zu ermitteln hat. Der Begriff des „objektiven Sinns“ – so vorurteilsfrei und sachlich dieses Wort klingt – führt dazu, dass in der wissenschaftlichen Diskussion der in Rede stehenden Äußerung häufig einfach ein Sinn unterstellt wird, ohne hinreichend begründen zu können, weshalb die Äußerung nun gerade diesen Sinn haben soll. Wie wir schon gesehen haben, ist die Zuschreibung eines Sinns eine Wertung. Häufig wird aber die eigene Wertung des Richters (bzw. des sonst zu einer konkreten Äußerung Stellung Nehmenden) an die Stelle der objektiv gebotenen Wertung gesetzt, weil nicht hinreichend klar wird, nach welchen objektiven Wertungskriterien die Sinnermittlung stattfinden muss. Deshalb müssen im Folgenden 52 Auf diese häufige und schwer zu lösende „Umgehungsproblematik“ wurde bereits oben im 2. Abschnitt unter III. hingewiesen. Die hier vorliegende „Umgehung“ ist aber ein eindeutig zu lösender Fall.
232
3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
diese Wertungskriterien herausgearbeitet werden. Das ist notwendig, um überhaupt die Möglichkeit zu eröffnen, im konkreten Fall über die Sinnzuschreibung diskutieren zu können. Ansonsten bliebe es bei der bisherigen Situation, dass überwiegend die Bedeutung einer Äußerung mehr oder weniger behauptet wird und nicht hinreichend begründet – aber auch nicht widerlegt – werden kann. Es bleibt also festzuhalten: Grundsätzlich ist das Konzept der überwiegenden Auffassung, das auf einen objektiven Sinn abstellt, zutreffend. Es werden aber kaum genaue Wertungskriterien dargestellt, nach denen man den Sinn zu ermitteln hat. Im Folgenden wird also zu konkretisieren sein, was mit dem objektiven Sinn gemeint ist, was meint, nach welchen Wertungskriterien man ihn zu bestimmen hat. Diese Wertungskriterien müssen solche des Strafrechts sein und werden von daher aus allgemeineren Prinzipien des Strafrechts herzuleiten sein.
14. Abschn.: Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung
233
14. Abschnitt
Ergänzung der Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung durch Berücksichtigung des „erlaubten Risikos“ Ist nach dem oben1 Ausgeführten klar, dass man das Vorliegen der – jeweils tatbestandsspezifischen – Gefahr nicht immer bereits dann annehmen kann, wenn die Möglichkeit voraussehbar ist, ein Verhalten könne vom Rezipienten in einer bestimmten (gefährlichen) Weise verstanden werden, so muss sich das auch in unserer Definition der Äußerung niederschlagen. Das Wesentliche an einer Äußerung wurde in ihrem Gedankeninhalt gefunden.2 Es ist denkbar, dass mit einem Verhalten zwar die Möglichkeit des Verständnisses in einem ersten (gefährlichen) Sinne verbunden ist, es jedoch ebenfalls voraussehbar ist, das Verhalten werde zugleich in einem zweiten (harmlosen) Sinne gedeutet werden. In einem solchen Fall ist die Risikoschaffung dann als erlaubt anzusehen, wenn die Chancen, die in der (zweiten) Verständnismöglichkeit liegen, gegenüber der Risikoschaffung überwiegen. Dann kann, obwohl mit der Äußerung ein Risiko geschaffen wurde, nicht angenommen werden, mit der Äußerung sei auch die tatbestandsspezifische Gefahr verbunden. (Man kann in der Ausdrucksweise vom „Sinn“ in diesem Fall davon sprechen, die Äußerung habe – ebenso wie in dem Fall, in dem überhaupt kein Risiko geschaffen wurde – nicht den vom Tatbestand vorausgesetzten Sinn). Deshalb muss an dieser Stelle eine Erweiterung der bisher entwickelten allgemeinen Definition der Äußerung hin zu einer Definition der jeweils einen (konkreten) Tatbestand erfüllenden Äußerung erfolgen. I. Die bisherige Definition der Äußerung unter Berücksichtigung der Ex-ante-Perspektive Die Äußerung wurde definiert als jeder Gebrauch von Zeichen, der in der konkreten Kommunikationssituation für einen Gedankeninhalt des Handelnden steht3 (Beispiel: Tippen an die Stirn für Missachtung, § 185 StGB4). Beachtet man nun noch, dass das aufgrund einer Ex-ante-Perspektive festzustellen ist,5 dann lautet die Definition bis jetzt: Eine Äußerung ist jede Handlung, die für den Äußernden voraussehbar vom Rezipienten 1 2 3 4 5
s. o. im 12. Abschnitt. s. o. im 7. Abschnitt unter II. und III. s. o. im 7. Abschnitt unter V. Tröndle/Fischer, § 185, Rn. 8. s. o. im 9. Abschnitt unter I. 2.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
als Zeichen für das Vorhandensein eines gewissen Gedankeninhalts beim Äußernden verstanden werden kann (Beispiel: sichtbares Aufhängen eines bestimmten Wäschestücks nur dann, wenn dem Handelnden eine konkrete Bedeutungszuschreibungsregel hätte bekannt sein müssen, strafbar u. U. als Verabredung zum Verbrechen des Landesverrats, §§ 94 Abs. 1, 30 Abs. 2 StGB). Unter Umständen kann es so sein, dass zwar voraussehbar ist, ein Verhalten werde vom Rezipienten als Zeichen für das Vorliegen eines gewissen inkriminierten Gedankeninhalt verstanden werden, man aber trotzdem zu dem Ergebnis kommen muss, dass das Verhalten erlaubt und damit nicht tatbestandsmäßig ist.6 Dieser Umstand musste in der Definition, die zunächst nur die Gruppe der Tatbestände umreißen sollte, die zu ihrer Erfüllung eine Äußerung voraussetzen, noch nicht berücksichtigt werden. In die Definition der Äußerung, die einen jeweils einen bestimmten Sinn voraussetzenden Äußerungsdeliktstatbestand erfüllt, muss er integriert werden. Das könnte wiederum so geschehen, dass das Verhalten, durch das ein bestimmtes Äußerungsdelikt nur begangen werden kann (die Äußerung mit einem bestimmten Sinn), von dem Verhalten, wie es bisher definiert ist, abgeschichtet wird (die Äußerung mit irgendeinem Sinn). Am einfachsten wäre das, wenn es einen Straftatbestand gäbe, der als verhaltensgebundenes Delikt ein Verhalten, wie es bisher definiert ist, verlangte, und man die Tathandlung dieses verhaltensgebundenen Delikts dann mit dem Handlungstypus „Äußerung mit bestimmtem Sinn“ vergleichen könnte. II. Die Verwendungsdelikte Ein solcher Tatbestand existiert im StGB tatsächlich: § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Verwendungsvariante verbietet die „Verwendung“ von Kennzeichen gewisser Organisationen. Man kann dieses Delikt deshalb auch „Verwendungsdelikt“ nennen. Zunächst muss dargestellt werden, was man unter einem „Verwenden“ zu verstehen hat (unter 1.), dann wird dargelegt werden, dass die Tathandlung des „Verwendens“ alle Merkmale der Äußerung aufweist, wie sie bisher definiert wurde (unter 2.). Als letztes wird (unter III.) die Definition der Äußerung um eine Formulierung ergänzt, die andeutet, dass man ein tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne der Delikte, wie sie hier in Rede stehen (Beleidigung, Volksverhetzung etc.), immer erst dann bejahen kann, wenn man nach der Bejahung der „Gefährlichkeit“ zudem untersucht hat, ob hierin nicht u. U. ein „erlaubtes Risiko“ zu erblicken ist. Zuvor wird aber noch (unter 3.) auf einen Streit eingegangen, der darü6 Dass es diesen Bereich des „erlaubten Risikos“ geben muss, wurde im 12. Abschnitt nachgewiesen.
14. Abschn.: Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung
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ber entbrannt ist, wann ein Zeichen ein Kennzeichen im Sinne des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist. 1. Die Tathandlung des „Verwendens“ eines Kennzeichens Unter „Verwendung“ von in § 86 a Abs. 1, 2 StGB genannten Kennzeichen (der Einfachheit halber wird im Folgenden nur von „Kennzeichen“ gesprochen), wird von der Rechtsprechung (und ihr folgend einem Großteil der Literatur) grundsätzlich jedes irgendwie geartete Gebrauch-Machen verstanden.7 Natürlich wird nicht jegliches Gebrauchen verboten: Das Kennzeichen muss optisch oder akustisch wahrnehmbar gemacht werden,8 d.h. das Kennzeichen muss so gebraucht werden, dass der in ihm verkörperte Symbolgehalt wirken kann. Extremes Beispiel: Wer mit der Hakenkreuzfahne den Boden wischt, macht von ihr auch Gebrauch, verwendet sie aber nicht im Sinne des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB.9 Diese Grundkonzeption des Tatbestandes ist aber trotzdem noch sehr weit, was sich daran zeigt, dass sie von der Rechtsprechung tatsächlich nicht konsequent durchgehalten [unter a)] und in der Literatur nicht einhellig akzeptiert wird [unter b)]. a) Die Einschränkung der Rechtsprechung Eine Einschränkung des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird in der Rechtsprechung dahin vorgenommen, dass ein Gebrauchen von Kennzeichen kein Verwenden im Sinne des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB sei, wenn es dem Schutzzweck dieser Vorschrift ersichtlich nicht zuwiderlaufe.10 Damit sind Fälle gemeint, in denen für jeden Beobachter offensichtlich ist, dass der Handelnde sich mit den Zielen der hinter den Kennzeichen stehenden Organisationen nicht identifiziert, sie u. U. sogar bekämpft. So lag es beispielsweise in dem ersten vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, in dem dieser Gedanke fruchtbar gemacht wurde: Der Ange7
BGHSt 23, 267, 268, Urt. v. 29. Mai 1970, – 3 StR 2/70 –; BGHSt 28, 394, 396, Urt. v. 25. April 1979, – 3 StR 89/79 –; BayObLG, NStZ 2003, S. 89, 90, Urt. v. 28. Februar 2002, – 5 St RR 355/01 –; BayObLG, NStZ-RR 2003, S. 233, Beschl. v. 12. März 2003, – 5 St RR 20/2003 –; Lüttger, GA 1960, S. 129, 137 (zur Vorgängernorm des § 4 VersG a. F.); Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 86 a, Rn. 6; Lackner/Kühl, § 86 a Rn. 4; Tröndle/Fischer, § 86 a Rn. 4. 8 OLG Dresden, NStZ-RR 2001, S. 42, Urt. v. 19. Juni 2000, – 2 Ss 177/00 –; Lüttger GA 1960, S. 129, 137; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 86 a, Rn. 6; Lackner/Kühl, § 86 a Rn. 4. 9 Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass das Symbol nicht zu erkennen ist. 10 BGHSt 25, 30, 32, Urt. v. 18. Oktober 1972, – 3 StR 1/71I –; BGHSt 25, 133, 136, Urt. v. 14. Februar 1973, – 3 StR 3/72I –; BayObLG, NStZ 2003, S. 89, 90.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
klagte hatte bei Polizeiausschreitungen gegen eine Demonstration „außerparlamentarischer, linksgerichteter Gruppen“ im Jahre 1969 den „HitlerGruß“ gezeigt und „Sieg-Heil“ gerufen, um gegen das zu harte Vorgehen der Polizei zu protestieren.11 Hier hat der Bundesgerichtshof, obwohl der Angeklagte das Kennzeichen optisch und akustisch wahrnehmbar gemacht hatte und damit eigentlich die Tatbestandserfüllung zu bejahen war, das Vorliegen der Voraussetzungen des Verwendens verneint. Es wird ausgeführt, § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB solle verhindern, dass solche Kennzeichen sich im politischen Tageskampf einbürgerten und im Zuge dieser Entwicklung die hinter diesen Organisationen stehenden Ideologien wieder „salonfähig“ würden.12 Und genau diese Gefahr sei im zu entscheidenden Fall ersichtlich nicht gegeben. b) Die Einschränkung der Literatur In der Literatur wird das Merkmal des „Verwendens“ teilweise anders eingeschränkt: Hier wird es von vorneherein nur als Zeigen oder Benutzen unter Umständen, die als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst werden können, definiert.13 Damit fiele der vom Bundesgerichtshof entschiedene Sachverhalt ebenfalls auf jeden Fall aus dem Bereich des strafbaren Verhaltens heraus. Die Ansicht der Rechtsprechung führt aber dazu, dass eine größere Anzahl von Verhaltensweisen unter den Tatbestand fällt, als das nach der Definition des Verwendens der Literatur der Fall wäre. Insgesamt scheint es aber so zu sein, dass in den meisten Fällen die Literatur und die Rechtsprechung zu denselben Ergebnissen kommen. Nur im Bereich des geschäftsmäßigen Verwendens solcher Kennzeichen, z. B. beim Verkauf von Modellen,14 könnte die Formel der Literatur u. U. so aufgefasst werden, dass diese Verhaltensweisen kein Verwenden darstellten.15
11
BGHSt 25, 30 ff. BGHSt 25, 30, 33; vgl. auch: BayObLG, NStZ 2003, S. 89, 90. 13 Willms, in: Leipziger Kommentar9, § 86 a, Rn. 5; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 86 a, Rn. 6; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 86 a, Rn. 6. 14 Einen solchen Fall behandelt BGHSt 28, 394 ff. Hier ging es um den Vertrieb von originalgetreuen Flugzeugmodellen, auf denen auch Hakenkreuze aufgedruckt waren. 15 BGHSt 25, 30, 32; Laufhütte, in: Leipziger Kommentar, § 86 a, Rn. 7 a. E. Rudolphi, der die eingeschränkte Formel der Literatur vertritt, nimmt aber an, dass auch das geschäftsmäßige Verwenden solcher Symbole unter § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB fällt (Systematischer Kommentar, § 86 a, Rn. 6). 12
14. Abschn.: Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung
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2. Die Struktur des „Verwendens“ eines Kennzeichens Wie lässt sich die Struktur des tatbestandlichen Verhaltens des Verwendungsdelikts des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nun also in die Dogmatik der Äußerungsdelikte einordnen? a) Das Verwenden eines Kennzeichens als „Äußerung ohne erlaubtes Risiko“ Zunächst bleibt festzuhalten: Nach jeder der oben geschilderten Konzeptionen – die sich wesentlich wohl nur in der Formulierung unterscheiden – ist es zur Bejahung des Tatbestands des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erforderlich, dass sich der Handelnde durch sein Verhalten nach außen objektiv erkennbar zu den Zielen der entsprechenden Organisation bekennt.16 Ansicht der Rechtsprechung Zum einen wird durch die Definition der Rechtsprechung (Verwenden = jegliches Gebrauch-Machen) bereits vom Wortsinn nach nicht darauf abgestellt, in welchem Sinn – der durch die uns interessierende Auslegung herausgefunden wird – das Kennzeichen verwendet wird. Es wird damit z. B. bei der Verwendung von Nazi-Kennzeichen gerade nicht darauf abgestellt, ob das Kennzeichen in einem für den NS-Staat werbenden Sinne gebraucht wird.17 Diese sehr weite Auslegung ist zutreffend und sie wird maßgeblich hergeleitet aus der Regelung des § 86 a Abs. 3 StGB, die bei einem Abstellen auf den Sinn, in dem das Kennzeichen gebraucht wird, nahezu überflüssig wäre.18 Weiterhin spricht der Wortsinn des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB dafür, keine Äußerung mit einem bestimmten Sinn als tatbestandsmäßiges Verhalten zu fordern, schließlich bedeutet „verwenden“ auch sprachlich nur „irgendeinen Gebrauch“ machen (und nicht unbedingt einen zweckentsprechenden).19 Die bereits zitierte Formel, ein Verhalten sei kein Verwenden, wenn es dem Schutzzweck des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ersichtlich nicht zuwiderlaufe, beschreibt lediglich eine gewisse Einschränkung, lässt jenen Grundsatz aber unangetastet.20 16
BayObLG, NStZ 2003, S. 89, 90. BGHSt 25, 30, 32; BayObLG, NStZ 2003, S. 89, 90. 18 BGHSt 23, 267, 268. 19 BGHSt 23, 267, 268; zu weiteren Argumenten in diesem Sinne, Lüttger GA 1960, S. 129, 137 ff. 20 Selbst unter dieser Einschränkung geht § 86 a StGB noch sehr weit, deutlich wird das an einem Urteil des BGH, in dem von dieser Linie abgewichen wird (BGHSt 27, 1, 2, Urt. v. 8. September 1976, – 3 StR 280/76 –): Bei der Verwen17
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
Es wird mithin keine „Auslegung“ des Verwendungsverhaltens in dem Sinne vorgenommen, wie es hier im Mittelpunkt steht. Darin unterscheidet sich das Verwendungsdelikt vom Äußerungsdelikt. Zwar muss auch beim Verwendungsdelikt festgestellt werden, dass das Verhalten dem Schutzzweck „ersichtlich nicht zuwiderläuft“,21 was ebenfalls ein Akt der Sinnzuschreibung ist. Doch wird damit zum einen nur eine Einschränkung beschrieben, unter der ein – grundsätzlich unter den Tatbestand fallendes – Verhalten nicht tatbestandsmäßig ist und zum anderen ist diese Einschränkung negativ formuliert. Damit erfolgt insgesamt keine positive Sinnzuschreibung wie es bei der Sinnfeststellung sonst erforderlich ist. So würde es in einem Urteil beispielsweise nicht heißen: „Der Angeklagte hat durch die Ausstellung der SS-Flagge in seinem Schaufenster für die SS geworben“, sondern es würde heißen, „Der Angeklagte hat durch die Ausstellung der SS-Flagge in seinem Schaufenster ein Kennzeichen gem. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet, was offensichtlich nicht als Kritik an der SS gemeint war“. Ansicht der Literatur Auch in der Literatur wird nicht darauf abgestellt, in welchem „Sinn“ das Kennzeichen verwendet wird. Eine „Auslegung“ des Verhaltens in dem uns interessierenden Sinne wird also auch von der Mindermeinung in der Literatur nicht vorgenommen. Wollte man nämlich für ein Verwenden eine Äußerung mit einem bestimmten Sinn verlangen, so müsste das Verwenden als Zeigen des Symbols als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation definiert werden (und nicht als Zeigen oder Benutzen unter Umständen, die als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst werden können22). Nur dann wäre es so, dass ermittelt werden müsste (durch die uns interessierende Auslegung), ob der Täter durch das Zeigen des Symbols sich zu den Zielen der verbotenen Organisation bekannt hat, durch das Zeigen des Symbols mithin den Sinngehalt eines Bekenntnisses zu den entsprechenden Zielen vermittelt hat.
dung der nicht ganz so offensichtlich nazistischen Briefunterschrift „Mit deutschem Gruß“ anstelle von „Heil Hitler“ wird wieder auf den „objektiven Beobachter“ abgestellt, mithin also eine („richtige“) Auslegung vorgenommen. 21 s. o. Fn. 10. 22 Willms, in: Leipziger Kommentar9, § 86 a, Rn. 5; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 86 a, Rn. 6; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 86 a, Rn. 6.
14. Abschn.: Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung
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b) Die Überbürdung des Missverstehensrisikos auf den Verwender Damit lässt sich die Struktur des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB folgendermaßen beschreiben: Es soll mit diesem Straftatbestand bereits jedes Verhalten unterbunden werden, das sich u. U. als Bekenntnis zu den Zielen der entsprechenden Organisationen interpretieren lässt. Nur wenn eine solche Interpretation ganz offensichtlich ausgeschlossen ist (wobei die genaue Grenzziehung zwischen Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, s. o.), liegt kein „Verwenden“ eines solchen Symbols vor. Es lässt sich sagen, dass mit § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich bei Strafe verboten werden soll, gewisse Zeichen kommunikativ zu gebrauchen, ohne dass es im Grundsatz darauf ankommt, was konkret mit den jeweiligen Zeichen gemeint ist. Damit setzt dieser Tatbestand zwar ein kommunikatives Verhalten voraus, verlangt mithin eine Äußerung und kann als Äußerungsdelikt angesehen werde. Aber eine Äußerung mit einem bestimmten „Sinn“, wie sie zur Erfüllung aller anderen Tatbestände, die bisher behandelt wurden und durch die Äußerungsdelikte geschaffen werden, erforderlich ist, braucht nicht vorzuliegen. Mit Recht wird bei keinem dieser Tatbestände die Ansicht vertreten, er sei so zu verstehen, dass er generell die Verwendung bestimmter Zeichen erfasse.23 Damit ist der Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB insofern mit den – oben erörterten24 – Schriftverbreitungstatbeständen zu vergleichbar.25 Man könnte sagen, dass § 86 a StGB das Missverstehensrisiko einer Äußerung vollständig dem Täter überantwortet, nur wenn ein Missverstehen offensichtlich ausgeschlossen ist26 (Konzeption der Rechtsprechung) oder ein Missverstehen sehr unwahrscheinlich ist (etwas weniger rigide Konzeption der abweichenden Ansicht in der Literatur), findet § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB keine Anwendung. Damit wird deutlich, wie das von diesem Tatbestand vorausgesetzte Verhalten sich von dem zur Erfüllung der bisher behandelten Tatbestände unterscheidet. Die bisher (im 7. Abschnitt) entwickelte Definition der Äußerung grenzt den Handlungstypus „Äußerung“ von sonstigen Handlungen ab und nimmt als Abgrenzung in den Blick, dass eine Äußerung ein Verhalten ist, von dem voraussehbar ist, dass es vom Rezipienten als Zeichen für (irgend-)einen Gedankeninhalt – bei § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB: Bekenntnis zu den Zielen der jeweiligen Organisation – verstanden werden kann. Im Sinne eines tatbestandsmäßigen Verhaltens der 23 Z. B. gibt es bei § 185 keine absolute Beleidigung, d.h. den Gebrauch gewisser Zeichen, der schlechthin beleidigend wäre, vgl. statt aller: Kern, Äußerungsdelikte, S. 15; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 8. 24 s. o. im 7. Abschnitt unter III. und im 8. Abschnitt unter IV. 3. 25 Vgl. Lackner/Kühl, § 86 a, Rn. 1. 26 Wie im Falle von BGHSt 25, 30.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
bisher behandelten Tatbestände (§§ 166, 185 StGB usw.) bedarf die Definition also der Ergänzung um den Aspekt, dass bei einer Äußerung, die den Tatbestand eines solchen Delikts erfüllen soll, das Missverstehensrisiko nicht komplett auf den Äußernden abgewälzt ist. c) Die Verwendungsdelikte als „doppelt abstrakte Gefährdungsdelikte“ Wie lässt sich dieses Bild des Verwendungsdelikts in das Schema einfügen, das dem gesetzlichen Verbot von Äußerungen zugrunde liegt? Gewisse Äußerungen werden als „gefährlich“ angesehen, weil sich an gewisse Gedankeninhalte („gesetzlich vermutet“) ein gewisses Verständnis und daran eine gewisse Reaktion anschließen kann. Hier (bei den Verwendungsdelikten) wäre der einen „gesetzlichen Vermutung“ eine weitere vorgelagert. Man könnte hier eine „gesetzliche Vermutung“ des Sinnes gewisser Zeichen sehen, die der Vermutung der Gefährlichkeit des Wirkens bestimmter Sinninhalte vorgelagert ist. Oben wurde ausgeführt, dass die Äußerungsdelikte, die sich als abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen, folgendermaßen strukturiert sind: Mit ihnen soll der Ablauf eines Kausalverlaufs verhindert werden, der über das Verständnis einer Äußerung in inkriminiertem Sinn zu einem sich daran anknüpfenden schädlichen Verhalten des Rezipienten verläuft. Dabei wird „gesetzlich vermutet“ – und das bestimmt den Charakter des abstrakten Gefährdungsdelikts –, dass an die Vermittlung von gewissen Gedankeninhalten schädliche Verhaltensweisen anknüpfen (auch wenn das im Einzelfall ausgeschlossen ist). Nicht „gesetzlich vermutet“ wurde, dass gewisse Verhaltensweisen – das Verwenden bestimmter Zeichen – in einem gewissen Sinn verstanden werden können. Diese Möglichkeit gilt es im Einzelfall nachzuweisen, das bezeichnet man als Auslegung einer Äußerung.27 Genau an diese Stelle setzt § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB aber auch eine „gesetzliche Vermutung“: Es wird also gesetzlich erstens vermutet, dass die Verwendung z. B. eines Hakenkreuzes für entsprechende Inhalte steht, und zweitens – insoweit ebenso wie bei „normalen“ Äußerungsdelikten, die sich als abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen –, dass derartige Inhalte die entsprechenden Folgen haben: Die entsprechenden politischen Bewegungen gewinnen an Zulauf. Insofern kann man davon sprechen, dass § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Delikt schafft, das in zweierlei Hinsicht ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist: Es wird (1) vermutet, dass gewisse Zeichen von den Rezipienten auf eine gewisse Art verstanden werden können (in der Diktion vom Sinn: dass sie einen gewissen Sinn vermitteln können) und (2) dass das Erfassen 27
s. o. im 5. Abschnitt unter V.
14. Abschn.: Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung
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dieser Verständnismöglichkeit gefährlich wirken kann (weil die Kennzeichen sich wieder „einbürgern“ und deshalb die Bewegungen Zulauf erhalten28). Gegen beide „Vermutungen“ ist kein Gegenbeweis zulässig. Ein Verwenden eines Kennzeichens ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es von den Rezipienten gar nicht als Propaganda verstanden wurde, und auch nicht – falls es in propagandistischem Sinn verstanden wurde –, dass die Vermittlung dieses Verständnisses Sinns ungefährlich war. Damit bleibt an „tatsächlich“ Gefährlichem am Straftatbestand des § 86 a StGB nur noch, dass ein Kennzeichen vorliegen muss. Das tatsächliche Gefährdungspotenzial muss in dem Kennzeichen liegen. 3. Exkurs: Das verwendete Kennzeichen, insbesondere das verwechselungsfähige Weshalb ist es nun verboten, Kennzeichen im Sinne des § 86 a StGB zu verwenden? Das liegt nicht daran, dass diese Kennzeichen an sich etwas Negatives darstellen, sondern daran, dass ihnen ein gewisser Symbolgehalt innewohnt. a) Die bisherige Definition des verwechselungsfähigen Kennzeichens (§ 86 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) Ein Hakenkreuz ist eine – zunächst an sich unverfängliche – Anordnung von Balken, mit der nur infolge der Verwendung durch die Nazis ein gewisser Sinn verknüpft wurde.29 Seit dieser Zeit ist es das Symbol für Willkürund Gewaltherrschaft und steht für alles Schreckliche, das in dieser Zeit vorgefallen ist.30 Das wird deutlich daran, dass es ja auch ein anderes Symbol hätte sein können, das die Nazis sich zu ihrem Symbol auserwählten – ebenso wie es Zufall war, dass die SA in braune Hemden gekleidet wurde.31 Nun wohnt bestimmten Gegenständen ein Symbolgehalt aber nur inne, wenn sie als Abkürzung für etwas dahinter Stehendes erkannt werden können. Dazu muss das hinter den Gegenständen Stehende mit den Gegenständen selbst verknüpft werden. Das geschieht durch die symbolhafte Benutzung der Gegenstände. Deshalb wird zur Bestimmung, ob ein Kennzeichen im Sinne des Merkmals „einer . . . in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB be28
BGHSt 25, 30, 33; BayObLG, NStZ 2003, S. 89, 90. Insoweit zutreffend: Dahm (DRiZ 2001, S. 404, 413). 30 Sonnen, in: Alternativkommentar, § 86 a, Rn. 1. 31 Die Uniform konnte bekanntlich kostengünstig aus Beständen der ehemaligen Reichswehr besorgt werden. 29
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
zeichneten Partei oder Vereinigung . . .“ (§ 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) vorliegt, darauf abgestellt, ob das verwendete Kennzeichen – auch wenn unbefangene Beobachter es nicht erkennen – tatsächlich von den genannten Parteien oder Vereinigungen gebraucht wurde.32 Damit das Verbot nicht umgangen werden kann, werden in § 86 a Abs. 2 S. 2 StGB den Kennzeichen nach § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB die „zum Verwechseln ähnlich[en]“ Kennzeichen gleich gestellt. Ob ein Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich ist, bestimmt sich danach, ob nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen und nicht genau prüfenden Beobachters eine Verwechselung möglich erscheint.33 Denn nur dann besteht die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, die Organisationen und das Gedankengut, das hinter diesen Symbolen steht, seien noch vorhanden, was dann dazu führt, dass diese Organisationen leichter Propaganda treiben können und erstarken.34 b) Die heutige Definition des verwechselungsfähigen Kennzeichens (§ 86 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) Problematisch wird es dann, wenn ein mittlerweile völlig unbekanntes Kennzeichen einer einstigen nationalsozialistischen Organisation in einer Abwandlung verwendet wird. Praktisch wurde das beim sog. Obergauarmdreieck des „Bund Deutscher Mädel“, das von einigen Personen in leicht veränderter Form getragen wurde35 (z. B. Aufdruck eines damals nicht existierenden Gau-Namens). Hier ist umstritten, ob für die Verwechselungsgefahr eine gewisse Bekanntheit des Zeichens zu fordern ist.36 Insbesondere Dahm ist der Ansicht, ob ein Zeichen noch heute mit einer solchen Organisation in Verbindung gebracht würde, sei für die Verwechselungsgefahr irrelevant.37 Dieser Ansicht hat sich der Bundesgerichtshof auf die Vorlage des Kammergerichts Berlin38 hin mittlerweile angeschlossen.39 32 BGH, NStZ 2003, S. 31, Beschl. v. 31. Juli 2002, – 3 StR 495/01 –; BGHSt 25, 133, 135, Urt. v. 14. Februar 1973, – 3 StR 3/72 –; Hörnle, NStZ 2002, S. 113, 114; Dahm, DRiZ 2001, S. 404, 413 f. 33 BGH, NStZ 2003, S. 31, 32; Lackner/Kühl, § 86 a, Rn. 2 a unter Verweis auf § 132 a, Rn. 9. 34 Weimann, NJ 1998, S. 522 f.; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 86 a, Rn. 1. 35 Hörnle, NStZ 2002, S. 113, 114. 36 Dafür: OLG Dresden, NStZ-RR 2001, S. 42, Urt. v. 19. Juni 2000, – 2 Ss 177/00 –; Hörnle, NStZ 2002, S. 113, 114; dagegen: Dahm, DRiZ 2001, S. 404, 413 f. 37 Dahm, DRiZ 2001, S. 404, 414. 38 KG, NStZ 2002, S. 148 f., Beschl. v. 5. November 2001, – (3) 1 Ss 105/01 (49/01) –. 39 BGH, NStZ 2003, S. 31 f.
14. Abschn.: Definition der (tatbestandsmäßigen) Äußerung
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Diese Ansicht ist insbesondere im Hinblick auf den Charakter des § 86 a Abs. 1 S. 1 StGB problematisch. Die Vorschrift hat nicht nur den Rechtsgüterschutz im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung im Auge, sondern sie erfasst sogar nur das Vorfeld des Vorfeldes,40 da § 86 a StGB in zweifacher Hinsicht ein abstraktes Gefährdungsdelikt statuiert. Es wird „gesetzlich vermutet“, gewisse ihrer äußeren Gestalt nach geläufige Kennzeichen könnten als Bekenntnis zu gewissen Zielen erkannt werden können, und es wird „vermutet“, dass dieses Erkennen einer Einbürgerung solcher Zeichen Vorschub leistet mit der Folge, dass der demokratische Rechtsstaat Schaden nimmt. Im Hinblick auf die abgewandelten unbekannten Kennzeichen muss vor diese beiden „Vermutungen“ noch eine dritte gestellt werden: Es ist die Vermutung, dass Zeichen, die heute nicht einmal mehr ihrer äußeren Gestalt nach einem größeren Personenkreis geläufig sind, trotzdem noch in ihrem Symbolgehalt erkannt werden können. Daran erst knüpfen sich die „Vermutungen“, dass diese Zeichen in einem gewissen Sinn erkannt werden können und dass das gewisse Folgen hat. Das könnte leicht zu weit gehen. Um es klarzustellen: Mit diesen Ausführungen soll nicht die Legitimität des § 86 a Abs. 1 S. 1 StGB in Frage gestellt werden. Es handelt sich aber trotzdem um eine äußerst rigide Strafvorschrift, die nur in Deutschland und nur mit der Vergangenheit des Dritten Reiches zu rechtfertigen ist. Wenn es nun Menschen gibt, die (abgewandelte) Kennzeichen verwenden, deren Symbolgehalt nur einer kleinen Zahl von Personen bekannt ist, dann besteht die Gefahr, die § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB im Auge hat, nicht. Diese Menschen zeigen dann sich41 und der breiten Öffentlichkeit nur, dass sie zusammengehören. So anstößig das bei den entsprechenden Organisationen auch ist, allein das rechtfertigt keine Bestrafung42 und ob sich daran durch die Verwendung eines unbekannten Zeichens, das nur sehr vage mit der Gewaltherrschaft verknüpft ist, etwas ändert, erscheint sehr fraglich. III. Ergebnis Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass zur Bejahung der Frage, ob eine Äußerung einen jeweils einen bestimmten Sinn voraussetzenden Äußerungsdeliktstatbestand erfüllt, es zwar eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung ist, dass die Möglichkeit besteht, die Äußerung könne vom Rezipienten in dem – jeweils vom Tatbestand vorausgesetzten – bestimmten Sinn verstanden werden. Denn ein Straftatbestand, der allein die Möglichkeit des Verständnisses einer Äußerung in einem gewissen Sinne genügen 40
Sonnen, in: Alternativkommentar, § 86 a, Rn. 6. Auf die „gruppeninterne Wirkung“ stützt der BGH seine Auffassung auch maßgeblich (NStZ 2003, S. 31, 32). 42 Weimann, NJ 1998, S. 522, 523. 41
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
lässt (wobei dann aber ein bestimmtes Zeichen verwendet werden muss), existiert mit dem durch § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB etablierten Verwendungsdelikt, und dieser Tatbestand ist nur wegen seines speziellen historischen Bezugs legitimierbar. Hier gibt es bezüglich der (durch ein bestimmtes Zeichen bewirkten) Äußerung kein erlaubtes Risiko; der Bereich des Strafbaren beginnt mit der Möglichkeit des Verständnisses im inkriminierten Sinne, auch wenn für den gewissenhaften Beobachter ein solches Verständnis fern liegt. (Erst wenn ein Verstehen im inkriminierten Sinne offensichtlich ausgeschlossen ist, ist hier die Tatbestandserfüllung zu verneinen.) Als ergänzte Definition der Äußerung, durch die ein, einen bestimmten Sinn voraussetzenden Äußerungsdeliktstatbestand erfüllt wird, lässt sich festhalten: Eine tatbestandsmäßige Äußerung (nach bisheriger Diktion: eine Äußerung mit einem bestimmten Sinn) ist jede Handlung, die für den Äußernden voraussehbar vom Rezipienten als Zeichen für das Vorhandensein eines – jeweils tatbestandsspezifischen – Gedankeninhalts beim Äußernden verstanden werden kann, wenn es nicht noch weitere Verständnismöglichkeiten gibt, an die „Chancen“ anknüpfen, im Hinblick auf die die Risikoschaffung als erlaubt angesehen werden muss.
15. Abschn.: Die Wertungen der Grundrechte
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15. Abschnitt
Die Wertungen der Grundrechte als Ausgangspunkt für die Umschreibung des erlaubten Risikos Oben wurde herausgearbeitet, dass zur Beantwortung der Frage, ob die Schaffung eines Risikos u. U. erlaubt sein kann – mit der Folge, dass die Vornahme der Handlung rechtlich zulässig ist –, eine Abwägung erforderlich ist.1 Und zwar geht es um eine Abwägung der geschaffenen Risiken mit den dadurch geschaffenen Chancen. Weiter wurde dargestellt, woher die Wertungsgesichtspunkte entstammen, nach denen man zu beurteilen hat, ob die Möglichkeit des Eintritts eines Ereignisses aufgrund eines Verhaltens als „Risiko“ oder „Chance“ anzusehen ist und wie gewichtig die widerstreitenden Interessen sind: Die Grundlage bildet das „einfache“ Recht, das aber im Lichte der in den Grundrechten des Grundgesetzes verkörperten „objektiven Wertordnung“ auszulegen ist.2 Im Folgenden soll es darum gehen, die Chancen zu betrachten, die es bewirken können, dass das mit einer Äußerung verbundene Risiko vom Recht hingenommen wird. Es soll insbesondere genauer darauf eingegangen werden, welche Elemente der in den Grundrechten verkörperten objektiven Wertordnung sich bei der Beurteilung der Chancen, die mit einer Äußerung verbunden sind, besonders auswirken. I. Die Beschränkung der Betrachtung auf die Meinungsund Kunstfreiheit Dabei soll die Betrachtung hier auf die Bedeutung der Meinungs- und Kunstfreiheit (Art 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 GG) beschränkt werden. Diese Beschränkung erscheint aus zwei Gründen als zweckmäßig. Zum einen ist die Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG das „Urgrundrecht“ für kommunikative Betätigung (unter 2.). Zum anderen sind die Gerichte überwiegend mit Fällen befasst worden, in denen der Schutzbereich der Meinungs- bzw. Kunstfreiheit einschlägig war3 (unter 1.).
1
s. o. im 12. Abschnitt unter III. s. o. im 12. Abschnitt unter III. 1. b) und c). 3 Stellvertretend für alle anderen Fälle, in denen die Meinungsfreiheit eine Rolle spielte, sei hier der besonders umstrittene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu „Soldaten sind Mörder“ (BVerfGE 93, 266 ff., Beschl. v. 10. Oktober 1995, – 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92 –) genannt. Paradigmatisch für die Kunstfreiheit steht die „Mephisto-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30, 173 ff., Beschl. v. 24. Februar 1971, – 1 BvR 435/68 –). 2
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
1. Die praktische Wichtigkeit der Meinungs- und Kunstfreiheit Es gibt zwar auch Fälle, in denen die Etablierung z. B. der Wissenschaftsfreiheit in Art 5 Abs. 3 S. 1 GG Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage haben kann, ob eine Äußerung einen Tatbestand erfüllt oder nicht,4 doch ist die Anzahl dieser Fälle – zumindest der veröffentlichten – sehr klein, und sie haben daher auch der Literatur keinen Anlass zu vertiefter Befassung mit den damit verbundenen Problemkomplexen gegeben. Aus dem oben allgemein zur abstrakten Abgrenzung von Freiheitsbereichen Gesagten ergibt sich jedoch, dass das im Folgenden Ausgeführte entsprechend auch in solchen Fällen gelten muss, in denen andere in den Grundrechten verkörperte objektive Wertpositionen einschlägig sind. Da zunächst das „einfache“ Recht anzuwenden ist, gelten die zu erarbeitenden Grundsätze sogar dann, wenn es sich nicht um grundrechtliche und nicht um andere verfassungsrechtliche Gewährleistungen, sondern um solche des „einfachen“ Rechts handelt. Ein Beispiel für den Einfluss einer anderen verfassungsrechtlichen Gewährleistung, die kein Grundrecht ist, die Unabhängigkeit der Richter (Art 97 Abs. 1 GG), stellt eine Entscheidung des Bundesgerichtshof zu § 26 DRiG dar: Hier ging es darum, dass ein Richter dem Betroffenen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens den Vorwurf einer „dummdreisten Lüge“ gemacht hat.5 Es wird ausgeführt, dass darin kein Grund zu sehen sei, dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Die Begründung liegt in der kurzen Feststellung: „Soweit seine [des Richters] Wertung eine persönlichkeitsbezogene Komponente enthält, ist sie nur bloßer Reflex der Würdigung des prozessualen Verhaltens des Betroffenen“.6 Damit sagt der Bundesgerichtshof, dass der Richter das prozessuale Verhalten des Betroffenen rügen durfte. Zum Teil – aber nur zu einem Teil – muss man die Äußerung des Richters sicher so interpretieren, dass ihr die Gefahr anhaftet, der Betroffene werde – auch in für § 185 StGB relevanter Weise – als „Lügner“ bezeichnet. Andererseits hat ein Richter die Aufgabe, zur sachgerechten Entscheidung des Rechtsstreits dem Betroffenen seine Situation und insbesondere die Prozesslage, die durch sein Verhalten (mit-)verursacht wurde, vor Augen zu führen. Das darf und muss er u. U. auch unmissverständlich tun. Daraus wird gefolgert, dass das Verhalten des Richters materiell nicht unzulässig sein könne. Die Beeinträchtigung der Persönlichkeit, die nur eine Facette der Äußerung ist, kann hier angesichts der Prozesssituation und der Stellung des Richters nicht zu einer Unerlaubtheit der 4 5 6
Vgl.: Dencker, FS f. Bemmann, S. 291, 298. BGH, NJW 1978, S. 824 f., Urt. v. 17. 10. 1977, – RiZ (R) 2/77 –. BGH, NJW 1978, S. 824, 825.
15. Abschn.: Die Wertungen der Grundrechte
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Äußerung führen. Man kann – obwohl der Bundesgerichtshof das nicht explizit zu entscheiden hatte – davon sprechen, dass das mögliche Verständnis der Äußerung in einem ehrenrührigen Sinne vor dem Hintergrund des gleichfalls voraussehbaren möglichen Verständnisses im Sinne einer Wahrnehmung der Amtspflichten als erlaubt anzusehen ist, sodass letztlich eine Tatbestandserfüllung des § 185 StGB zu verneinen ist. Das Beispiel zeigt, dass bei der Beurteilung einer Äußerung nicht immer Grundrechte einschlägig sein müssen. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Unabhängigkeit der Richter (Art 97 Abs. 1 GG) nimmt in diesem Fall eine ähnliche Stellung ein. 2. Die Meinungsfreiheit als „Muttergrundrecht“ bei kommunikativer Betätigung Doch die Beschränkung auf die Meinungs- und Kunstfreiheit hat noch einen weiteren Grund: Zwar ist umstritten, ob die weiteren, neben der Meinungsfreiheit statuierten Grundrechte tatsächlich eigene Grundrechte darstellen oder nicht vielmehr spezielle Ausprägungen der (allgemeinen) Meinungsfreiheit sind. Jedenfalls ist man sich darüber einig, dass eine inhaltliche Ähnlichkeit der in Art 5 GG geregelten Rechte besteht. Sie sind insoweit „inhaltlich miteinander verbunden zu denken“7, als sie alle einen geistigen Kommunikationsprozess schützen wollen.8 Insoweit ist es zutreffend, die Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG als „Urgrundrecht“ anzusehen9 – seien die weiteren Regelungen des Art 5 GG nun eigenständige Verbürgungen oder nur Verstärkungen der Meinungsfreiheit – und sie hier in den Mittelpunkt zu stellen und auf die Kunstfreiheit des Art 5 Abs. 3 S. 1 GG dann als speziellere Norm mit der stärksten praktischen Relevanz einzugehen. II. Der Inhalt und die Struktur der Meinungsfreiheit Was ist nun der hier interessierende Gehalt der Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG? Wie schon oben angesprochen, ist man sich weithin einig, dass die Meinungsfreiheit einen Bereich der menschlichen Kommunikation privilegieren soll.10 Man kann zur Beschreibung dieses Bereichs so 7
Bleckmann, § 26, Rn. 8. Bleckmann, § 26, Rn. 8. 9 Otto, NJW 1986, S. 1206, 1209; Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 1. 10 So explizit BVerfGE 27, 71, 79 f., Beschl. v. 3. Oktober 1969, – 1 BvR 46/65 – (DDR-Schriften); Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 1 und 58; Jarrass/Pieroth, Art 5, Rn. 2; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art 5, Rn. 17; SchmidtJortzig, in: Hdb. d. Staatsrechts, VI, § 141, Rn. 1. 8
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
vorgehen, dass man den Kommunikationsvorgang zeitlich nachvollzieht. Dann ist von Art 5 Abs. 1 S. 1 GG zunächst die Meinungsbildung umfasst.11 Als Weiteres schützt die Meinungsfreiheit dann die Mitteilung der gebildeten Meinung,12 also die „Codierung“ in (im weiteren Sinne) sprachliche Zeichen. Es muss sich hierbei nicht um Worte handeln. Wie sich aus Art 5 Abs. 1 S. 1 GG ergibt, wird die Äußerung durch „Wort, Schrift und Bild“ geschützt. Dabei ist diese Aufzählung nur beispielhaft zu verstehen, sodass alle Arten der Verbreitung einer Meinung Art 5 Abs. 1 S. 1 GG unterfallen.13 Letztlich beinhaltet die Meinungsfreiheit auch, dass die Mitteilung andere auch erreicht, von ihnen „empfangen“ werden kann.14 Das verpflichtet die anderen selbstverständlich nicht, zuzuhören oder sich gar geistig mit der Äußerung auseinander zu setzen. Auch erwächst hieraus ganz sicher kein Anspruch gegen den Staat, dem Äußernden ein Auditorium zu verschaffen.15 Gemeint ist vielmehr, dass der Staat dem Grundrechtsberechtigten nicht ein aufnahmewilliges Auditorium entziehen darf. Das ist ein Recht des Äußernden, das aus der Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG folgt und u. U. zwar auch von der Informationsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt ist,16 doch dieses Grundrecht ist ein solches des Rezipienten. Auf die Informationsfreiheit können sich also nur die Zuhörer berufen; sie ist das Recht, sich zu informieren und nicht andere zu informieren.17 Es könnte es nach dieser allgemeinen Darstellung zunächst ertragreich sein, genauer zu untersuchen, was man unter einer „Meinung“ im Sinne des Art 5 Abs. 1 GG zu verstehen hat (unter 1.). Dabei kann bereits hier vorweg genommen werden, dass das im Ergebnis nicht der Fall ist. Denn wenn man an den Begriff der Meinung anknüpft, muss man untersuchen, welchen „Inhalt“ ein Kommunikationsverhalten hat, womit man die (strafrechtliche) Ausgangsfrage nach dem „Sinn“ einer Äußerung nur auf eine höhere Ebene (nämlich die des Verfassungsrechts) überträgt (unter 2.). Dabei können die im bisherigen Verlauf der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse, dass es sich bei der „Sinnermittlung“ letztlich um eine genauere Konkretisierung des Gesetzes handelt, nicht eingebracht werden. Es muss also hier im Verfassungsrecht ebenfalls Abstand davon genommen werden, zur Beantwortung der Frage, ob ein Verhalten durch Art 5 Abs. 1 11
Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 48. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 48; Jarrass/Pieroth, Art 5, Rn. 6. 13 Jarrass/Pieroth, Art 5, Rn. 7. 14 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 49; Pieroth/Schlink, Rn. 558. 15 Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 60. 16 Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 63 und Rn. 75 a. E. 17 Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 81. 12
15. Abschn.: Die Wertungen der Grundrechte
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S. 1 GG als Meinungsäußerung geschützt ist, nach dem „Sinn“ des Kommunikationsverhaltens zu fragen. Vielmehr muss auch hier diese Frage – anknüpfend an den Sinn und Zweck der Schaffung des Freiraums der Meinungsfreiheit – als Frage nach der genaueren Konkretisierung der Vorschrift des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG begriffen und beantwortet werden (unter 3. und 4.). 1. Der Begriff der Meinung (insbesondere im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung) Im Verfassungsrecht ist es bisher noch nicht gelungen, den Begriff der Meinung hinreichend zu konkretisieren,18 sodass im Folgenden nur auf das Unumstrittene eingegangen werden soll. Allgemein anerkannt ist, dass Werturteile, also die Vermittlung einer subjektiven Einstellung des Äußernden zu Tatsachen, vom Begriff der Meinung umfasst sind.19 Die Werturteile werden in Gegensatz gesetzt zu den Tatsachenbehauptungen, bei denen unklar ist, in wie weit sie dem Begriff der Meinung unterfallen. Überwiegend wird gesagt, dass eine strenge Trennung zwischen Tatsachenmitteilung und Meinungsäußerung nicht möglich sei.20 Man müsse beachten, dass die Behauptung einer Tatsache meistens schon beinhalte, dass der Äußernde es für wert halte, sie mitzuteilen,21 eine solche Tatsachenbehauptung also einen Werturteilskern enthalte, der Meinung im Sinne des Art 5 Abs. 1 GG sei.22 Damit sei der Begriff der Meinung grundsätzlich weit zu verstehen.23 Er erfasse im Wesentlichen alles außer bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen,24 statistischen Angaben25 sowie unrichtigen Zitaten26. 18
Bleckmann, Rn. 14. BVerfGE 33, 1, 14, Beschl. v. 14. März 1972, – 2 BvR 41/71 – (Strafgefangenenentscheidung); Bleckmann Rn. 14. 20 Herzog (MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 51) spricht sogar davon, dass das „objektiv unmöglich“ sei. 21 BVerfGE 12, 205, 260, Urt. v. 28. Februar 1961, – 2 BvG 1, 2/60 – (Deutschland-Fernsehen-GmbH); Pieroth/Schlink, Rn. 553; Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 100; Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 51. 22 BVerfGE 61, 1, 9, Beschl. v. 22. Juni 1982, – 1 BvR 1376/79 – (NPD Europas). 23 BVerfGE 61, 1, 9; BVerfGE 90, 1, 15, Beschl. v. 11. Januar 1994, – 1 BvR 434/87 – (Kriegsschuldfrage); Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 93. 24 BVerfGE 90, 241, 249, Beschl. v. 13. April 1994, – 1 BvR 23/94 – (Auschwitz-Lüge). 25 BVerfGE 65, 1, 41, Urt. v. 15. Dezember 1983, – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 – (Volkszählung). 26 BVerfGE 54, 208, 219, Beschl. v. 3. Juni 1980, – 1 BvR 797/78 – (Böll). 19
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
2. Die Unfruchtbarkeit des bloßen Anknüpfens an den verfassungsrechtlichen Begriff der Meinung Damit wird klar, wie die vorstehenden Betrachtungen uns in ein (scheinbares) Dilemma führen, das man folgendermaßen beschreiben kann: Die Ausgangsfrage nach der Auslegung einer Äußerung wurde oben als Konkretisierung des Gesetzes erkannt,27 sodass es nicht mehr die Aufgabe ist, dem Sinn einer Äußerung nachzuspüren, als gelte es, eine tatsächliche Eigenschaft des Kommunikationsverhaltens zu erkennen und zu beschreiben. Stattdessen muss – wie dargelegt – genauer beschrieben werden, vor welchen Gefahrschaffungen die jeweiligen strafrechtlichen Verbote schützen sollen und es muss – anknüpfend an die strafrechtliche Dogmatik – ermittelt werden, ob durch das Äußerungsverhalten eine unerlaubte Gefahr im Sinne des jeweiligen Tatbestands geschaffen wurde. Ab wann eine unerlaubte Gefahrschaffung durch einen Kommunikationsbeitrag vorliegt, wird wesentlich durch die vom Grundgesetz errichtete „objektive Wertordnung“ beeinflusst und hier maßgeblich davon, was Art 5 Abs. 1 S. 1 GG inhaltlich anordnet. Nach dem oben zum Begriff der Meinung dargelegten käme es dafür darauf an, ob eine schützenswerte Meinungsäußerung vorliegt oder nicht (was bei § 187 StGB z. B. nicht der Fall wäre). Man müsste danach, um zu bestimmen, ob eine schützenswerte Meinungsäußerung vorliegt, ermitteln, was der Inhalt der jeweiligen Äußerung ist, ob es sich also um ein (schützenswertes) Werturteil oder beispielsweise eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung handelt. Die hiermit wieder explizit gestellte Frage nach dem Sinn der Äußerung jedoch war – wenn auch nur auf Ebene des einfachen Rechts – unsere Ausgangsfrage. Damit bleibt diese Frage nach dem Inhalt einer Äußerung nicht nur ungeklärt, sondern sie wird zudem auf die Ebene des Verfassungsrechts verlagert. Der bisher eingeschlagene Weg der Untersuchung könnte nicht weiter verfolgt werden und alle bisher gewonnen Erkenntnisse könnten nicht verwertet werden. Insbesondere kann nicht weiter an das bisher gewonnene Zwischenergebnis angeknüpft werden, dass es nicht ertragreich ist, den Inhalt des Begriffs des „Sinns einer Äußerung“ auszuarbeiten, sondern dass vielmehr die Reichweite eines konkreten Tatbestands zu bestimmen ist (was im Hinblick auf Sinn und Zweck des jeweiligen Verbots zu geschehen hat). 3. Die Begriffe des „Äußerns“ und „Verbreitens“ Doch dieses Dilemma ist nur ein scheinbares, denn auch unter einem verfassungsrechtlichen Blickwinkel kann man die Frage nach dem „Sinn“ eines 27
s. o. im 1. Abschnitt unter II. 2. c).
15. Abschn.: Die Wertungen der Grundrechte
251
Kommunikationsbeitrages als Frage nach dem Sinn und Zweck des Schutzes von Kommunikationsverhalten durch das Grundgesetz auffassen. Es muss mit Hilfe des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG die Frage geklärt werden, wie bezüglich kommunikativen Verhaltens Freiheitsbereiche zugeschnitten sind, weil an diese Grundentscheidung im Sinne der „objektiven Wertordnung“ das Strafrecht anknüpfen muss. Im Gegensatz zur – wie oben gezeigt – (zunächst) unfruchtbaren Konkretisierung des Begriffs der Meinung, kann man diese Gedanken in den im Wortlaut des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG auftauchenden Begriffen des „Äußerns“ und „Verbreitens“ verorten. Dieselben Begriffe waren – aus strafrechtlicher Perspektive – bereits zwei Mal Gegenstand der Erörterungen. Es wurde dargelegt, dass unter „Äußern“ und „Verbreiten“ in §§ 186, 187 StGB Äußerungshandlungen zu verstehen sind, d.h. sowohl beim „Äußern“ als auch beim „Verbreiten“ wird ein eigener Gedankeninhalt zum Ausdruck gebracht.28 Das eine Mal muss der Täter sich mit dem Gedankeninhalt „identifizieren“, das andere Mal ihn einfach nur weitergeben, ohne sich mit ihm zu identifizieren. Anders hingegen lag es bei dem Begriffspaar des Äußerungs- und Verbreitungsdelikts: Erfordert ein Äußerungsdelikt, dass die Tathandlung in einer Äußerung im oben definierten Sinne besteht muss, so ist unter einem Verbreitungsdelikt kein Äußerungsdelikt zu verstehen.29 Bei Art 5 Abs. 1 S. 1 GG liegt es noch anders. Hier ist umstritten, ob überhaupt ein Unterschied zwischen „Äußern“ und „Verbreiten“ zu machen ist.30 Diejenigen, die einen Unterscheid zwischen beiden Varianten machen wollen, erblicken diesen aber lediglich darin, dass es sich beim „Äußern“ um die bloße Aussprache der Mitteilung handelt und das „Verbreiten“ die Wirkungsmöglichkeit der Aussprache sichert.31 Damit knüpft diese Ansicht an verschiedene Stadien der zeitlichen Entwicklung des grundrechtlich geschützten Verhaltens an. Damit ist der Unterschied der beiden Ansichten für uns irrelevant. Sowohl der Aspekt der Handlung der Äußerung als auch der Aspekt der Wirkung der Äußerung sind bisher immer zusammen Gegenstand der Betrachtungen gewesen. Damit ist auf jeden Fall eines klar: Die Meinungsfreiheit soll das Recht schützen, sich kommunikativ zu betätigen.32 Ob sich im Wortlaut des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG Differenzie28
s. o. im 7. Abschnitt unter III. 3. s. o. im 7. Abschnitt unter III. 1. 30 Dagegen sprechen sich Pieroth/Schlink, Rn. 556; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art 5, Rn. 17; Starck, in: von Mangoldt/Klein, Art 5, Rn. 32; Bethge, in: Sachs, Art 5, Rn. 44 aus; dafür: Schmidt-Jortzig, in: Handbuch des Staatsrechts, § 141, Rn. 24. 31 Schmidt-Jortzig, in: Handbuch des Staatsrechts, § 141, Rn. 24; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art 5, Rn. 3; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 49. 32 s. o. unter Fn. 10. 29
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
rungen nach der zeitlichen Entwicklung des Kommunikationsprozesses finden, ist insoweit unerheblich. Doch nicht jedes Kommunikationsverhalten fällt in den Schutzbereich des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG, denn es muss sich um die kommunikative Vermittlung einer Meinung handeln. 4. Die Struktur des grundrechtlichen Schutzes von Kommunikation Art 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt somit nur einen Ausschnitt aus allen möglichen kommunikativen Betätigungen. So mag es sein, was manchmal vertreten wird, dass Werbebotschaften nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG unterfallen.33 Das heißt aber nicht, dass diese Betätigung aus jeglichem grundrechtlichen Schutz herausfällt, denn dann ist jedenfalls der Freiheitsbereich des Art 12 Abs. 1 GG, der Berufsfreiheit, einschlägig. Es muss uns deshalb zunächst darum gehen, festzulegen, was man unter Kommunikation zu verstehen hat und nicht – wie wir es oben als ersten Zugriff versucht haben – was man unter einer kommunizierten Meinung verstehen muss. Hieraus muss ein Modell für den grundrechtlichen Schutz von Kommunikation entwickelt werden. Für das Verständnis des Art 5 Abs. 1 GG (und des weitergehenden grundrechtlichen Schutzes von Kommunikation) bietet sich folgendes Bild an: Art 5 Abs. 1 S. 1 GG setzt zunächst voraus, dass Kommunikation vorliegt. Im Verfassungstext kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass Art 5 Abs. 1 S. 1 GG von „äußern und verbreiten“ spricht. Diese Grundentscheidung, dass die Meinungsfreiheit Kommunikationsverhalten schützen will (wenngleich auch nur einen Teil, nämlich kommunizierte Meinungen), bewirkt, dass die auf die Auslegung der strafrechtlichen Normen einwirkende „objektive Wertordnung“ ebenfalls so differenziert. Auf dieser Ebene muss die Frage beantwortet werden, was die Äußerung hervorrufen kann, wie mithin der Rezipient das Kommunikationsverhalten voraussichtlich verstehen wird. Auch hier im Verfassungsrecht ist die Rede vom „Sinn“ der Äußerung damit überflüssig. Damit ist klar, wie sich das oben dargestellte Dilemma, dass der Inhalt einer Äußerung den Schutzumfang bestimmt, als scheinbares erweist. Denn erst in einem zweiten Schritt würde man dann manche Äußerungsund Verbreitungshandlungen aus dem Regelungsbereich ausklammern, näm33 So hat das Bundesverfassungsgericht in einer älteren Entscheidung das Umherfahren zu Werbezwecken dem Schutzbereich des Art 12 Abs. 1 GG zugeordnet (BVerfGE 40, 371, 382, Beschl. v. 10. Dezember 1975, – 1 BvR 118/71 –). Anders aber die überwiegende Ansicht in der Literatur, vgl. nur: Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 126.
15. Abschn.: Die Wertungen der Grundrechte
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lich jene, die voraussichtlich niemals im Sinne einer Meinungsäußerung verstanden werden können. Diese Handlungen ließe man dann zum Teil ganz aus dem Schutz jeglicher Grundrechte herausfallen (falsche Zitate, bewusst unrichtige Tatsachenbehauptungen, statistische Angaben) oder ordnete ihn anderen Schutzbereichen zu, so etwa u. U. die Werbebotschaften Art 12 Abs. 1 GG. In der praktischen Anwendung, in der es wesentlich um Art 5 Abs. 1 S. 1 GG geht, könnte man weiterhin davon sprechen, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit es bewirkt, dass man bei jeder Äußerung zunächst umreißen muss, wie sie vom Rezipienten verstanden werden kann. Ob dabei das kommunikative Verhalten letztlich unter Art 5 Abs. 1 S. 1 GG fällt – oder unter sonstige Verbürgungen des Grundgesetzes oder sogar des „einfachen“ Rechts zu subsumieren ist –, hatten wir schon als für die Frage nach der Auslegung im konkreten Fall für untergeordnet relevant erklärt.34 Nur soweit Art 5 Abs. 1 S. 1 GG für uns das Paradigma für den Schutz kommunikativen Verhalten darstellen soll – und insoweit paradigmatisch einen Freiheitsbereich schafft –, waren unsere Betrachtungen auf ihn beschränkt. Somit ist das Programm für uns klar: Es ist wesentlich für uns festzulegen, was man als Kommunikation zu bezeichnen hat und welche Folgen sich daraus für die Beurteilung der möglichen Wirkungen von Kommunikationshandlungen – also Äußerungen – ergeben. III. Der Zweck der Etablierung der Meinungsfreiheit Oben wurde dargelegt, dass in der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes die Regeln über die Auslegung einer Äußerung nicht darin verankert werden können, dass dort das Recht auf freie Meinungsäußerung statuiert wird. Sondern es geht darum, zu entfalten, weshalb die objektive Wertordnung an das Äußern und Verbreiten, also eine kommunikative Betätigung – anknüpft und dann das Äußern von gewissen Inhalten – seien es Meinungen oder etwas anderes (z. B. Wirtschaftswerbung, Art 12 Abs. 1 GG, wissenschaftliches Gedankengut, Art 5 Abs. 3 GG) – schützt. Wie bereits herausgearbeitet, geht es bei der Bestimmung, ob ein Verhalten als unerlaubt im Sinne eines bestimmten Straftatbestands anzusehen ist, um eine Abwägung. Und zwar geht es bei Äußerungen darum, die Gefahren, die mit der Äußerung verbunden sind, gegen die möglichen positiven Wirkungen von Äußerungen abzuwägen. Während die Gefahren, die mit Äußerungen verbunden sind, bereits betrachtet wurden,35 so geht es jetzt um die (möglichen) positiven Wirkungen von Äußerungen. Es geht also um 34 35
s. o. unter I. 1. Das geschah im gesamten zweiten Teil.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
die Frage, welchen Zweck die Rechtsordnung damit verfolgt, Bereiche kommunikativen Verhaltens zu privilegieren. Wenn dieser Zweck genauer beschrieben wird, dann ist es möglich, die mit Äußerungen verbundenen Risiken gegen die mit ihnen verbundenen Chancen abzuwägen. Exemplarisch soll hier der Zweck der Meinungsfreiheit beschrieben werden. 1. Die individualrechtliche Komponente der Meinungsfreiheit Zunächst in anzuerkennen, dass der einzelne Mensch nur in Gemeinschaft mit anderen Menschen lebensfähig ist.36 Nun ist ein wirkliches gemeinschaftliches Zusammenleben aber nur ein solches, in dem man tatsächlich mit den anderen Menschen etwas gemein hat, mit ihnen etwas teilt. Und genau solche Gemeinsamkeiten werden durch zwischenmenschliche Kommunikation – und nur durch diese! – hergestellt. Einzig und allein über die Basis der Kommunikation ist es möglich, Gemeinsamkeit zu schaffen und eine Gesellschaft zu bilden.37 Da der Mensch ein Bedürfnis nach Gemeinschaft hat – und das ist sozialer Umgang –, dieser soziale Umgang mit anderen aber nur durch Kommunikation hergestellt werden kann, setzt die Befriedigung dieses Bedürfnisses zunächst die Befriedigung des Bedürfnisses sich mitzuteilen voraus. Art 5 Abs. 1 GG soll also zum einen sicherstellen, dass die „einfache“ Rechtsordnung nicht so gestaltet werden kann, dass sie diese Bedürfnisse ignoriert. Und zum anderen soll Art 5 Abs. 1 S. 1 GG bewirken, dass die Rechtsordnung diesem Bedürfnis maximal Rechung trägt – natürlich immer nur innerhalb des weiten Bereichs des gesetzgeberischen Ermessenspielraumes. Man kann somit sagen, die Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG stehe in engem Zusammenhang mit der Menschwürdegarantie des Art 1 Abs. 1 GG.38 So ist auch die berühmte Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l’homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789).“39 36
Vgl. oben im 5. Abschnitt unter I. 2. und II. 1., als das Unrecht der Beleidigung (§ 185 StGB) in der möglichen Störung dieser Gemeinschaft gefunden wurde. 37 „Die Gesellschaft ist das umfassende System aller Kommunikationen, das sich autopoietisch reproduziert, indem es im rekursiven Netzwerk von Kommunikationen immer neue (und immer andere) Kommunikationen erzeugt.“ (Luhmann, Soziale Systeme, S. 24). 38 Herzog, in: MDHS, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 54. 39 BVerfGE 7, 198, 208, Urt. v. 15. Januar 1958, – 1 BvR 400/51 – (Lüth), Herv. v. Verf.
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2. Die Notwendigkeit der Existenz einer überindividuellen Komponente in der Meinungsfreiheit Indes: Komplett erklären lässt sich die Meinungsfreiheit mit der individualrechtlichen Komponente nicht. Wenn es zur Persönlichkeit des Menschen gehört, sich mitzuteilen, so betrifft das in erster Linie Dinge, die ihn persönlich unmittelbar angehen; die Kommunikation über Dinge, die sich in seiner Umgebung, seinem persönlichen Nahbereich abspielen, spielt bei der Schaffung von Gemeinschaft die Hauptrolle. So ist denn sicher auch allergrößte Masse der tagtäglich stattfindenden Kommunikation eine solche über persönliche Dinge. In Kommunikation über solche Themen einzugreifen, darum ging es aber den meisten Regimes, die die Meinungsfreiheit nicht hoch ansetzten oder gar nicht anerkannten, meistens nicht. Auch wenn man versucht ist, das zunächst anders zu sehen: Die Stasi beispielsweise, die sich in großem Umfang um private Dinge kümmerte, tat das nicht, um die oben beschriebene Kommunikation, die menschliche Inklusion in die Gemeinschaft schafft, zu unterbinden, sondern weil die Machthaber wähnten, auch in diesem Bereich des Privaten werde über Öffentliches gesprochen. Ganz krass zusammengefasst gilt also: Um dem Menschenwürdekern der Meinungsfreiheit Beachtung zu schenken und der menschlichen Natur zu entsprechen, bräuchte man nur eine Meinungsfreiheit, die die Freiheit gewährte, sich im täglichen Leben zu Dingen aus dem sozialen Umfeld zu äußern. Eine kollektiv bezogene Komponente der Meinungsfreiheit folgt aus Menschenwürdegesichtspunkten nicht. Insbesondere über politische Dinge zu sprechen oder „. . .einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage. . .“40 zu leisten, müsste nicht von der Meinungsfreiheit umfasst sein. Nun wird aber besonders dies als ein wesentlicher Bestandteil der Meinungsfreiheit angesehen.41 Daher verbietet es sich, den Zweck der Meinungsfreiheit – der ja das dem rechtlichen (und strafbewehrtem) Verbot einer Äußerung gegenläufige Interesse darstellt – nur in der individuellen Funktion zu suchen. Sondern es muss auch darum gehen, eine überindividuelle, kollektive Funktion der Meinungsfreiheit zu beschreiben. Auch diese Funktion der Meinungsfreiheit muss in die Betrachtung mit einbezogen werden.42
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BVerfGE 7, 198, 212. BVerfGE 7, 198, 212. 42 Es wird sich zeigen, dass diese Funktion, deren theoretische Erarbeitung schon lange zurück liegt, sich sehr gut mit neueren Ansichten über die allgemeine Funktionsweise von Kommunikation verträgt, dazu unter IV. 41
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
3. Der Inhalt des überindividuellen Zwecks der Meinungsfreiheit Worin liegt nun der überindividuelle Zweck, der es gebietet, in einer Gemeinschaft Kommunikation möglichst unbeeinflusst zuzulassen? – Der Grund liegt darin, dass es ohne eine solche Freiheit nicht zu einem Fortschritt kommen würde. Besonders augenfällig ist das bei der ebenfalls in Art 5 GG (Abs. 3 S. 1) geregelten Wissenschaftsfreiheit. Wissenschaftliche Erkenntnis ist nur möglich, wenn sich die Einzelnen, die über die Erkenntnisse verfügen, austauschen können. Nur durch Kommunikation über unterschiedliche Aspekte eines Gegenstands, den jeweils einzelne Personen zusammengetragen haben und in deren Verlauf dann unzutreffende Ansichten zurückgewiesen werden, kann ein zutreffendes Bild des Gegenstands gewonnen werden (das dann zudem mehr ist als die Summe seiner Einzelteile). a) Selektion im „Kampf der Meinungen“ Genau so liegt es auch bei der „allgemeinen“ Meinungsfreiheit: Neue Ansichten über Dinge – welcher Art auch immer – können sich nicht durchsetzen, wenn es untersagt wäre, über sie zu kommunizieren. Nur im „Kampf der Meinungen“, wenn möglichst viele Ansichten gegeneinander gestellt werden können – was voraussetzt, dass man sie kennt, was wiederum voraussetzt, dass man sie äußern darf –, ist es möglich, die „richtige“ Meinung auszuwählen und zur Grundlage des eigenen Handelns zu machen43 – was auch das eigene Handeln für Dritte (z. B. bei politischen Machthabern) einschließt. b) Synthese verschiedener Meinungen Aber es geht nicht nur um den „Kampf der Meinungen“. Viele Dinge sind zu komplex, als dass sich ein Einzelner hierzu die „richtigen“ (was heißt: die im Moment zweckmäßigsten und überzeugendsten) Gedanken machen könnte. Daher wird das „Richtige“ meist eine Synthese verschiedener einzelner Gedanken sein, die zudem auf andere Gedanken zurückgehen. Dazu kann es u. U. auch erforderlich sein, es zuzulassen, dass als eindeutig falsch erkannte Ansichten vertreten werden. Denn häufig ist es einfacher, etwas Zutreffendes dadurch zu charakterisieren, dass man es als das Gegenteil von etwas Unzutreffendem beschreibt.44 Damit erweist sich das auch vom Bundesverfassungsgericht bemühte Bild vom „Kampf der Meinun43 44
Mill, Freiheit, S. 30. Mill, Freiheit, S. 26.
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gen“45 als zu einseitig; man sollte besser von einem „Mit- und Gegeneinander der Meinungen“ sprechen. c) Die Schaffung von genuin „Neuem“ bei der Synthese Doch wie kommt es nun in diesem vielstimmigen Chor von Meinungen dazu, dass es zu einem brauchbaren Ergebnis kommt? Ganz sicher nicht nur dadurch, dass im „Kampf“ die akzeptabelste Meinung herausgefunden wird, und ganz sicher auch nicht, dass im Miteinander der Meinungen das Richtige durch Kombination gefunden wird. Ein wesentlicher Aspekt wurde bisher noch nicht ausreichend behandelt, sondern nur angedeutet. Dass durch einen Kommunikationsbeitrag das Richtige getroffen wird, liegt häufig nicht daran, dass der Äußernde das Richtige dachte und es dann ausgesprochen hat, woraufhin es von anderen als richtig erkannt wurde. Auch liegt es nicht unbedingt daran, dass er nur zum Teil das Richtige dachte, es dann aussprach, woraufhin das richtig Erkannte vom Falschen getrennt und in die richtige Konzeption übernommen wurde. Es ist häufig so, dass jemand etwas ausspricht – sei es richtig gedacht oder falsch – und es von anderen als das Wesentliche, Zutreffende und Richtige erkannt wird, was vorher noch niemand (so) ausgesprochen hat. Das wichtige Element ist dann nicht, dass die Meinung ausgesprochen wurde, sondern wie sie – zum großen Teil unbeeinflusst durch den ursprünglichen Urheber – gewirkt hat. Genau die Wirkung einer Meinung ist aber auch von der Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 GG umfasst; hierin liegt wohl auch der Grund für die besondere Hervorhebung der Wirkung einer Meinungsäußerung.46 Dazu ein Beispiel – zur besseren Verständlichkeit wiederum aus dem Bereich der wissenschaftlichen Kommunikation: Max Weber hat in seiner berühmten Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ auf besonders fruchtbare Weise zwei schon zuvor ausgesprochene Gedanken verbunden. Es war bereits zuvor im Schrifttum herausgearbeitet worden, was das Spezifische an der „protestantischen Ethik“ darstellt. Es war ebenso bereits umfassend theoretisch beschrieben worden, was die Wirtschaftsordnung des Kapitalismus’ ausmacht. Durch die Synthese wurde dennoch etwas Neues geschaffen. Denn dass beide Ansätze miteinander verbunden würden, war nicht voraussehbar und wäre nicht möglich gewesen, wenn man die Äußerung der beiden Ansätze untersagt hätte. In diesem Sinne kann man sagen, selbstverständlich ohne die Leistung Max Webers zu schmälern, seine Folgerungen seien (zumin45 46
BVerfGE 7, 198, 208. s. o. unter 2. b).
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dest zum Teil) bereits in den beiden Grundlagen enthalten gewesen; die Äußernden hätten somit Max Webers Folgerungen bereits mit artikuliert. In einem solchen Falle sagt der Äußernde dann mehr, als er eigentlich sagt bzw. glaubt zu sagen. Doch das Problem dabei ist, dass man es weder allgemein voraussehen kann, wann so etwas bei einer Äußerung der Fall ist und wann nicht. Niemand kann bei einer Äußerung, wenn sie einmal getan ist, vorhersagen, wie die Äußerung aufgefasst werden wird und insbesondere kann nicht vorausgesagt werden, mit welchen anderen Äußerungen, die u. U. vordergründig etwas anderes betreffen, sie verbunden werden wird, und damit kann man auch nicht sagen, was die Äußerung letztendlich – was nach sehr langer Zeit sein kann – bewirken wird. 4. Das überindividuelle Element als hinter der Norm stehende (abstrakte) Vermutung der Nützlichkeit Dieses Element – dass man nie weiß, was am Ende eines Kommunikationsvorganges steht, und damit auch immer die Chance besteht, dass etwas Positives am Ende steht – ist es dann wohl auch, was das Bundesverfassungsgericht in einer vielfach verwendeten Formulierung, die aber häufig missverstanden worden ist,47 andeutet. Es spricht davon, dass bei die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede streite.48 Damit ist keine Vermutung im Rechtssinne gemeint, wie das etwa bei der Ehelichkeitsvermutung nach § 1592 Nr. 1 BGB der Fall ist. Es ist nur eine Abkürzung für den oben herausgearbeiteten Umstand, dass Äußerungen immer – und seien sie auf den ersten Blick noch so überflüssig, unsinnig oder falsch – positive Wirkungen haben können. Darin liegt der Wert einer Meinungsäußerung an sich.49 Damit könnte man auch hier von einer hinter einer Regelung stehenden tatsächlichen Vermutung des Normgebers sprechen. So etwas – nur umgekehrt – kam in der Untersuchung bereits vor: Dieses Element, dass (vordergründig) falsche bzw. unwichtige, also kurz: auf den ersten Blick nutzlose Meinungen geschützt werden, ist das Gegenstück dazu, dass teilweise auch „harm47 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1130; Buscher, NVwZ 1997, S. 1057, 1060; Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 873, 874 f.; v. d. Decken, NJW 1983, S. 1400, 1403. 48 Die Formulierung geht ebenfalls auf BVerfGE 7, 198, 208 und 212 zurück (Lüth); vgl. weiter: BVerfGE 54, 129, 139, Beschl. v. 13. Mai 1980, – 1 BvR 103/77 – (Kunstkritik); BVerfGE 61, 1, 11, (NPD Europas); BVerfGE 90, 241, 249, (Auschwitz-Lüge); BVerfGE 93, 266, 294 f., („Soldaten sind Mörder“). 49 In der Literatur wird davon gesprochen, dass Kommunikation einen Eigenwert habe (Hoffmann-Riem, in: Hdb. d. VerfR, § 7, Rn. 4). Das dürfte zum Teil eine Abkürzung für den oben entwickelten Gedankengang darstellen.
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lose“ Äußerungen als unerlaubt angesehen werden und sogar strafbar sein können. (Die Beleidigung, die sicher voraussehbar als Bestärkung angesehen werden muss).50 Oben wurde dargestellt, dass man bei der Feststellung, ob in einer Äußerung eine Gefahr liegt, in gewissen Fällen aufgrund der gesetzlichen Regelung eine Gefährlichkeit annehmen muss, denn hinter der gesetzlichen Regelung steht eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende „Vermutung der tatsächlichen Gefährlichkeit“.51 Hier zeigt sich das Gegenteil: Man kann von einer hinter der (grund-)rechtlichen Regelung des Art 5 Abs. 1 S. 1 GG stehenden Vermutung sprechen, dass eine Äußerung auch positive Wirkungen haben kann. 5. Das überindividuelle Element als Öffnung der Rechtsordnung auf Zukunftsprobleme Doch weshalb geht die Rechtsordnung hier so verschlungene Wege, indem sie auf der einen Ebene tatsächlich (und auch voraussehbar tatsächlich) ungefährliche Äußerungen für unerlaubt erklärt (Äußerung von negativen Werturteilen, die voraussehbar völlig harmlos sind) und auf der anderen Ebene u. U. voraussehbar tatsächlich gefährlichen Äußerungen (Äußerungen über gravierende Probleme, die der „zündende Funke“ sein können) mit der Gewährung der Meinungsfreiheit und der hinter ihr stehenden Vermutung einer positiven Wirkung sogar zur Seite springt? Die Rechtsordnung könnte doch genau so gut – und das wäre auf den ersten Blick stringenter – folgendermaßen differenzieren: Voraussehbar gefährliche Äußerungen (Äußerung von negativen Werturteilen über gefährdetes Schützenswertes) sind rechtlich verboten und voraussehbar nicht gefährliche Äußerungen (Beleidigung des sozial komplett Integrierten durch einen allgemein bekannten Außenseiter) sind erlaubt. Die Antwort darauf liegt darin, dass die Rechtsordnung durch die oben skizzierte kompliziertere Grenzziehung viel besser auf eine ungewisse Zukunft reagieren kann. In einer Gesellschaft, die sich als das Ende jeglicher Entwicklung ansieht, ist die zuletzt geschilderte Lösung der Grenzziehung die angemessene. Es kommt in einer solchen Gesellschaft nur darauf an, Irritationen und Unordnung, die damit einen Abfall vom Optimalen darstellen, zu vermeiden.52 Der Endpunkt der Entwicklung ist erreicht, oder man 50
s. o. im 5. Abschnitt unter I. 4. a). s. o. im 4. Abschnitt unter IV. 3. c). 52 „Vertrauet Eurem Magistrat, Der fromm und liebend schützt den Staat Durch huldreich hochwohlweises Walten; Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.“, aus: Heinrich Heine, Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen. 51
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ist sich klar darüber, in welche Richtung die Entwicklung jedenfalls nicht weiter geht. So lag es beispielsweise in Mittelalter, als man davon ausging – so man überhaupt von einem „Davon-Ausgehen“ sprechen kann, solcherlei Dinge wurden nicht in einem heutigen Sinne „wissenschaftlich thematisiert“ –, die Gesellschaftsordnung sei von Gott gefügt und werde sich nicht ändern; eine Kommunikation hierüber war entbehrlich. Heutzutage sehen wir das aber nicht mehr so: Wir sind uns bewusst, dass die jetzige Gesellschaft das Ergebnis eines Evolutionsprozesses ist, der sich auch in Zukunft fortsetzen wird. Das heißt nichts anderes, als dass wir heute nicht das Ende der Erkenntnis erreicht haben – was leicht zu akzeptieren ist – und dass weiterhin nicht alles das, was wir für eine nicht in Frage zu stellende Erkenntnis halten, eine solche ist.53 Das ist schwerer zu akzeptieren. 6. Das Verhältnis des individuellen und kollektiven Elements der Meinungsfreiheit zueinander Nun darf man aber die beiden Aspekte der Meinungsfreiheit nicht als gegensätzlich betrachten.54 Es lohnt auch nicht, wenn Fälle in Rede stehen, teils stärker auf die eine oder die andere Komponente abzustellen. Dass Kommunikation letztlich mehr ist als die Summe aller Kommunikationsbeiträge (weil an sie Unvorhersehbares und damit vermutlich auch Positives anknüpfen kann), gilt auch, wenn über persönliche und private Dinge gesprochen wird. Dass es eine Affinität des Mitteilungsbedürfnisses zur Menschenwürde gibt, gilt auch – wenn auch nicht so stark – bei der Kommunikation über die vom Bundesverfassungsgericht so genannten „. . .die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage[n]. . .“55 IV. Der Inhalt der Kunstfreiheit Inwieweit ist nun die Verbürgung der Kunstfreiheit durch Art 5 Abs. 3 S. 1 GG – sei es tatsächlich als bloße „Verstärkung“ oder als eigenständige Verbürgung – eine Ausweitung der Meinungsfreiheit? Wie man Kunst zu 53 Vgl. bereits Mill, Freiheit, S. 28. Die – wie oben gezeigt strukturell der Meinungsfreiheit vergleichbare – Wissenschaftsfreiheit schützt(e) es auch, solch’ „haltlose Theorien“ wie die über die Kontinentalverschiebung zu äußern. 54 Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art 5 Abs. 1, 2, Rn. 22 und 86. 55 Denn wer ist eigentlich die Öffentlichkeit? Zunächst doch einmal die Gesamtheit aller Individuen. Hier zeigt sich wieder, dass die in der Rechtswissenschaft und auch sonst zu findende Aufteilung von einheitlichen Dingen in eine öffentliche (politische, überindividuelle, staatlich oder wie auch immer genannte) Sphäre und eine private (individuelle o. ä.) Sphäre eine künstliche ist. Vgl. dazu oben den Streit um die Einordnung von Rechtgütern im 4. Abschnitt unter III.
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definieren hat, ist seit jeher problematisch gewesen und ist auch heute noch schwierig.56 1. Die „Mannigfaltigkeit des Aussagegehalts“ als Merkmal der Kunst im Sinne des Art 5 Abs. 3 GG Die Ansatzpunkte müssen hier aber nicht in allen Einzelheiten dargelegt werden, es genügt, darzustellen, wie sich die Kunstfreiheit – als Verstärkung des Schutzes kommunikativen Verhaltens – in das Gesamtsystem des Schutzes von kommunikativer Betätigung durch das Grundgesetz einfügt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts soll Kunst im Sinne von Art 5 Abs. 3 S. 1 GG „primär nicht Mitteilung“ sein.57 Wenn Kunst somit primär nicht Mitteilung ist, dann ist Kunst aber zumindest in sekundärer Weise auch Mitteilung. Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, dass „. . .das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung [darin besteht], daß es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so daß sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt.“58 Damit ist zumindest ein Element von Kunst ihre vielfältige Interpretierbarkeit.59 2. Größerer Bereich der möglichen negativen Wirkungen Da Kunst so vielfältig interpretierbar ist, ist das oben herausgearbeitete Element von Kommunikation – dass nämlich nicht voraussehbar ist, wie sie verstanden werden wird60 –, hier in besonderer Weise verstärkt. Insbesondere kommt hier zum Tragen, dass Kunst nichts Alltägliches ist (die meisten Kommunikationsbeiträge werden gemacht und dann wieder vergessen, dauerhaft verkörpert sind die wenigsten) und insofern die zeitliche Dimension der Wirkung besonders zum Tragen kommt („fortgesetzte Interpretation“). Wegen dieser vielfältigen Interpretierbarkeit ist Kunst natürlich ganz besonders in der Gefahr, durch rechtliche Regelungen über Gebühr beschränkt zu werden.
56
Pieroth/Schlink, Rn. 610. BVerfGE 30, 173, 189, Beschl. v. 24. Februar 1971, – 1 BvR 435/68 – (Mephisto); BVerfGE 67, 213, 226, Beschl. v. 17. Juli 1984, – 1 BvR 816/82 – (anachronistischer Zug). 58 BVerfGE 67, 213, 227. 59 Jarrass/Pieroth, Art 5, Rn. 85. 60 s. o. unter II. 3. c). 57
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3. Besondere Schutzbedürftigkeit der möglichen positiven Wirkungen Wurde oben ausgeführt, dass es der Schaffung eines Freiheitsbereichs für „normale“ Kommunikation deshalb bedarf, weil Kommunikation immer auch gefährlich wirken kann, diese negative Wirkung aber nicht die einzige Wirkung von Kommunikation zu sein braucht, sondern es auch positive geben kann und deshalb – um den möglichen positiven Wirkmöglichkeiten zur Geltung zu verhelfen – Kommunikation nicht bereits verboten sein soll, nur weil die Möglichkeit der gefährlichen Wirkung besteht, so verschärft sich im Bereich der Kunst dieser Dualismus noch. Die möglichen negativen Wirkungen von Kunst sind nämlich erheblich größer, als das bei „normalen“ Äußerungen der Fall ist. Gerade wegen der „Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts“, der Möglichkeit „einer fortgesetzten Interpretation“, die zu „immer weiterreichende Bedeutungen“ führt, was alles eine „praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt“, ist der Bereich der möglichen gefährlichen Wirkungen von Kunst erheblich größer als bei Äußerungen, die nur unter die Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 GG fallen.61 Das hätte zum Ergebnis, dass Kunst eher verboten wäre, als das bei „normalen“, nichtkünstlerischen Äußerungen der Fall ist. Je größer der Bereich der möglichen Verständnisse ist, um so eher ist auch ein „gefährliches“ Verständnis möglich. 4. Beispiele Das soll hier an zwei Beispielskomplexen verdeutlicht werden: a) Kunst und Pornografie Manche Bilder von Georgia O’Keefe erwecken sicherlich zum Teil den Eindruck, Abbildungen weiblicher Geschlechtsteile zu sein. Trotzdem dürfte es nahezu ausgeschlossen sein, sie deswegen als „pornografische Schrift“62 im Sinne des § 184 Abs. 1 StGB anzusehen: Die Bilder stellen so etwas nämlich nicht dar, sie sind Ausdruck von weit mehr. Eine Asso61 Selbst Otto, ein scharfer Kritiker der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, spricht davon, dass eine Aussage, die unter dem Blickwinkel des Art 5 Abs. 1 GG nicht als zulässig erscheint, u. U. als „ ‚Nebenwirkung‘ “ eines Kunstwerkes hingenommen werden muß“ (NJW 1986, S. 1206, 1210). 62 Obwohl hier keine Äußerung als Tathandlung in Rede steht – § 184 Abs. 1 StGB ist ein Verbreitungsdelikt –, gilt bzgl. der Auslegung hier Ähnliches, denn schließlich gehen die obigen Ausführungen von der Kunstfreiheit aus, die sich im Bereich der Verbreitungsdelikte ebenso auswirken muss wie im Bereich der Äußerungsdelikte.
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ziation mag die oben genannte sein, es gibt aber noch weit mehr; eine Vielzahl der Assoziationen lässt sich sprachlich gar nicht darstellen (ansonsten hätte die Malerin ein Buch geschrieben). Die Gesamtheit aller Assoziationen macht das Künstlerische aus, wegen dieser einen Assoziation, wegen einer Verständnismöglichkeit, kann das gesamte Werk nicht der Ablehnung verfallen.63 b) Satire als Kunst Als zweites Beispiel kann die Satire angeführt werden. Satire zeichnet sich dadurch aus, dass sie gewisse Umstände verfremdet und übersteigert darstellt.64 In diesem Sinne führt Tucholsky aus: „Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben . . . Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird . . .“65 Satire ist Kunst im Sinne des Art 5 Abs. 3 S. 1 GG zumindest dann, wenn eine gewisse Gestaltungshöhe erreicht ist66 (was ein hier nicht weiter behandeltes Problem des Kunstbegriffs ist). Da das Element der Übertreibung der Kunstform der Satire das spezifische Gepräge gibt, darf dieses Element bei der Auslegung der Äußerung nicht außer acht bleiben. Die Rechtsprechung spricht hier davon, es seien „werkgerechte Maßstäbe“67 anzulegen. Das geschieht in der Weise, dass bei der Beurteilung eines satirischen Werks die „übertreibende Einkleidung“ vom „Aussagekern“ getrennt wird.68 Dann müssen beide Elemente für sich darauf überprüft werden, ob mit ihnen ein rechtlich zu beanstandender Sinn vermittelt wird.69 63 Damit soll hier nicht vertreten werden, Pornografie und Kunst schlössen sich aus (so aber Würtenberger, FS f. Dreher, S. 79, 91 ff.). Wenn die Mehrzahl der möglichen Assoziationen sich im Bereich des Pornografischen bewegt, stellt das Kunstwerk sicherlich eine Schrift im Sinne des § 184 Abs. 1 StGB dar (vgl. BGHSt 37, 55, 59 f., Urt. v. 21. Juni 1990, – 1 StR 477/89 –, „Opus Pistorum“). Der Eingriff in die Kunstfreiheit durch das entsprechende Verbot des § 184 Abs. 1 StGB ist dann allerdings im Regelfall dadurch gerechtfertigt, dass die Norm des § 184 Abs. 1 StGB dem ebenfalls verfassungsrechtlichen Rang genießenden Jugendschutz (BGHSt 37, 55, 63) im Wege der „praktischen Konkordanz“ zur Geltung verhilft. 64 BGHSt 37, 55, 60; BGH, NJW 2004, S. 596, 597, Urt. v. 30. September 2003, – VI ZR 89/02 – (Ron Sommer); BGHZ 143, 199, 210, Urteil vom 7. Dezember 1999, – VI ZR 51/99 –; Tröndle/Fischer, § 185, Rn. 7. 65 Tucholsky, in: Panter Tiger & Co., S. 177. 66 Hufen, JuS 2003, S. 608; Tröndle/Fischer, § 193, Rn. 28. 67 BVerfG, NJW 1992, S. 2073, 2074, Beschl. v. 25. März 1992 – 1 BvR 514/90 – (Titanic); BGH, NJW 2004, S. 596, 597 (Ron Sommer); BGHZ 84, 237, 241, Urteil vom 8. Juni 1982, – VI ZR 139/80 –; Hufen, JuS 2003, S. 608. 68 BVerfG, NJW 1992, S. 2073, 2074; BGHZ 143, 199, 209, Urteil vom 7. Dezember 1999, – VI ZR 51/99 –; Zechlin, NJW 1984, S. 1091, 1093; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 8 a. 69 BVerfG, NJW 1992, S. 2073, 2074; BGHZ 143, 199, 209.
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Zusammenfassend und in das hier vorgestellte Schema eingefügt kann man also davon sprechen, dass bei einem unbefangenen Blick auf ein satirisches Werk häufig die Gefahr besteht, dass es vom Rezipienten in einem „gefährlichen“ Sinne verstanden wird. Im Regelfall wird zumindest eine voraussehbare Verständnismöglichkeit gegeben sein, weil Satire wörtlich verstanden werden kann – insbesondere die Betroffenen oder befangene bzw. voreingenommener Leser tun das häufig. Bei der Satire gibt es aber zumindest eine andere mögliche und voraussehbar harmlose Verständnismöglichkeit, weil die Satire nicht unbefangen gelesen werden will und wegen der Kunstfreiheit auch nicht so gelesen werden darf. Meistens überwiegt dann die durch die „harmlose“ Verständnismöglichkeit geschaffene Chance – hier ist zudem der „Eigenwert der Kunst“ zu berücksichtigen – das durch die „gefährliche“ Verständnismöglichkeit geschaffene Risiko, sodass dann insgesamt davon ausgegangen werden muss, dass die satirische Äußerung nicht tatbestandsmäßig (z. B. im Sinne einer Beleidigung, § 185 StGB) ist. c) Der Übergang von der Kunst- zur Meinungsfreiheit Auf einer niedrigeren Stufe als die Satire liegt die übliche ironische Sprechweise. Hier stellt im Regelfall noch keine Kunst im Sinne des Art 5 Abs. 3 S. 1 GG dar, trotzdem muss man häufig dazu kommen, eine Äußerung auf die gleiche Art und Weise wie eine Satire (Trennung von „Einkleidung“ und „Aussagekern“) auszulegen. So durfte der Politiker Friedrich Zimmermann, der im Zustand der Schuldunfähigkeit einen Meineid leistete, als „Old Schwurhand“ bezeichnet werden. Diese Wortschöpfung fällt sicher noch nicht unter Art 5 Abs. 3 S. 1 GG. Trotzdem wird man im Ergebnis dazu kommen müssen, dass mit der Äußerung der Tatbestand der Beleidigung oder Verleumdung – Zimmermann wird eines Meineids bezichtigt, der er nicht begangen hatte, weil er schuldunfähig war – nicht erfüllt ist. Das ist zwar eine voraussehbare Verständnismöglichkeit, eine andere Verständnismöglichkeit besteht aber auch. Angesichts der Verballhornung des Namens eines Charakters aus Karl-May-Romanen und der allgemeinen Bekanntheit des zugrunde liegenden Gerichtsverfahrens liegt mindestens genauso nahe, dass die Äußerung voraussehbar so verstanden werden wird, dass damit das Verhalten von Zimmermann kritisch hinterfragt wird und nicht eine Beschuldigung ausgesprochen werden soll. Bewertet man das Risiko, das in der Äußerung liegt, und wägt man es mit der Chance (die sich aus der ebenfalls voraussehbaren harmlosen Verständnismöglichkeit ergibt) ab, wird man dazu kommen müssen, dass insgesamt die an die „harmlose“ Deutungsmöglichkeit anknüpfende Chance das aus der „gefährlichen“ Verständnismöglichkeit folgende Risiko überwiegt, sodass man die Eingehung des Risikos als erlaubt anzusehen hat. Damit ist im Ergebnis sowohl eine
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Beleidigung als auch eine Verleumdung abzulehnen. (In der Redeweise vom Sinn kann man davon sprechen, der Ausdruck bedeutete, dass „die so bezeichnete Person schon öfters geschworen hat oder die Hand gern zum Schwur erhebt, wobei die zugrunde liegenden Aussagen vielleicht in mancher Hinsicht bedenklich sind“.70) Zur Klarstellung: Die Kunstfreiheit ist in diesem Fall nicht einschlägig, die Meinungsfreiheit führt dazu, dass im Ergebnis eine Tatbestandsverwirklichung abzulehnen ist, weil neben der „gefährlichen“ Verständnismöglichkeit zumindest eine weitere „ungefährliche“ existiert, die eine „Chance“ darstellt, im Hinblick auf die die Risikoschaffung als erlaubt anzusehen ist. Die „ungefährliche“ Verständnismöglichkeit besteht aber nur, weil die Vorgänge um das Verhalten von Zimmermann allgemein bekannt waren.71 Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte die Äußerung wegen der beschuldigenden Verständnismöglichkeit als unerlaubt angesehen werden müssen. Die Kunstfreiheit hingegen hätte auch ohne das allgemeine Bekanntsein der Geschehnisse um das zugrunde liegende Verfahrens zur Zulässigkeit der Äußerung geführt, was allerdings eine ausreichende Gestaltungshöhe voraussetzt, die hier nicht gegeben ist. Hier zeigt sich wieder, dass die Kunstfreiheit nur eine spezielle Ausprägung der Meinungsfreiheit ist; ab einer gewissen Gestaltungshöhe – wie auch immer diese bestimmt wird – führt allerdings die Kunstfreiheit insbesondere im Hinblick auf ihre Eigengesetzlichkeiten in der Art ihrer Kommunikation mit den Rezipienten zu einem größeren Freiheitsbereich, weil die Kunstfreiheit insbesondere auch dann Wirkung entfaltet, wenn die Eigengesetzlichkeiten der Kunst der Mehrzahl der Rezipienten nicht bekannt sind oder von ihnen nicht akzeptiert werden. Will jemand sich auf die „einfache“ Meinungsfreiheit berufen, so muss er stärker darauf achten, wie die in Aussicht genommenen Rezipienten die Äußerung voraussichtlich verstehen werden. V. Die „Übertragungsmetapher“ Nach dem oben Gesagten ist zunächst auffällig, dass im verfassungsrechtlichen Schrifttum allenthalben betont wird, es gehe bei Art 5 GG um die Privilegierung von Kommunikation,72 aber nicht näher erörtert wird, was man darunter zu verstehen hat. Das überrascht, da sich insbesondere in neuerer Zeit ganze Wissenschaftszweige sehr intensiv mit diesem Begriff befas70 AG Starnberg, zitiert nach: Hans-Dieter Otto, Lexikon der Justizirrtümer, S. 165. 71 Lenckner (Schönke/Schröder, § 185, Rn. 8 a.) spricht davon, das Satirische müsse „als Übertreibung durchschaubar“ sein. 72 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 10.
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sen. Vielmehr scheint es so zu sein, dass stillschweigend vorausgesetzt wird, es sei allgemein bekannt, was Kommunikation ist und wie sie funktioniert (unter 1.); eine mögliche Erklärung dieses Umstands wird dann weiter unten nach einer Kritik des bisherigen Verständnisses versucht (unter 2. und 3.). 1. Der Inhalt der „Übertragungsmetapher“ Die herkömmliche – den entsprechenden Ausführungen im Schrifttum wohl zu Grunde liegende und meistens unausgesprochene – Vorstellung über Kommunikation und den Ablauf eines Kommunikationsprozesses scheint folgende zu sein: Es gibt jemanden, den Äußernden, der eine Information – in unserem Zusammenhang: einen Gedankeninhalt73– einem anderen, dem Rezipienten, vermitteln will. Dieser Gedankeninhalt muss dazu „codiert“ werden. Das geschieht durch sprachliche Zeichen im weitesten Sinne, also auch Gebärden, Bilder usw. Diese entsprechend ausgewählten Zeichen werden dann gesetzt und vom Äußernden auf den Rezipienten übertragen; die Worte werden ausgesprochen oder niedergeschrieben, die sonstige sinnhafte Handlung (Finger an die Stirn) wird ausgeführt. Der Rezipient nimmt die Zeichen wahr, vernimmt die Worte, liest die Schrift, sieht die sonstige sinnhafte Handlung und entschlüsselt sie nun. Dabei „decodiert“ er die Zeichen so, dass er das Zeichen „an sich“ wieder von dem in ihm verkörperten Informationsgehalt trennt, er also den Gedankeninhalt zurückerhält. Durch das Zeichen wird also in diesem Modell von Kommunikation der Informationsgehalt, der Gedankeninhalt, vom Äußernden, dem „Sender“, auf den Rezipienten, den „Empfänger“, übertragen, indem der Informationsgehalt zunächst verschlüsselt wird und später wieder entschlüsselt wird.74 2. Die Kritik an der „Übertragungsmetapher“ Dieses Modell von Kommunikation ist zwar eingängig und leicht verständlich und liegt wohl unserem Denken zumeist zu Grunde, doch es scheint zumindest zu einfach (wenn nicht in unserem Zusammenhang gar falsch) zu sein, um das, was Kommunikation tatsächlich ist, beschreiben zu können. Daher wird es in den einschlägigen Wissenschaften heutzutage auch nicht mehr als – zumindest nicht mehr als alleiniges – Bild von Kommunikation angesehen.75 Indes: In der Rechtswissenschaft scheint das bis73
Vgl. oben im 7. Abschnitt unter II. Vgl. zu diesem Modell vom Kommunikation: Luhmann, Soziale Systeme, S. 193; Krippendorff, in: Metaphern und Modelle der Kommunikation, S. 79, 85 f.; Schmidt, Siegfried J., Kognitive Autonomie, S. 51. 75 Schmidt, Siegfried J., Kognitive Autonomie, S. 54. 74
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herige Bild noch ziemlich unangefochten zu sein und nur zum Teil – insbesondere vom Bundesverfassungsgericht – zwar nicht explizit, aber doch im Ergebnis zum Teil, aufgegeben worden zu sein.76 Doch was exakt ist an der „Übertragungsmetapher“77 zu ungenau? Inwiefern leitet sie uns in die Irre und führt uns dann auch rechtlich zu einer zu ungenauen Einordnung von Kommunikation? – Die Übertragungsmetapher impliziert, es gebe einen Inhalt einer Äußerung, der mit dem Gedankeninhalt des Äußernden gleich gesetzt wird: „Sie suggeriert, daß der Absender etwas übergibt, was der Empfänger erhält“78. Damit übersieht die „Übertragungsmetapher“, dass es gar nicht möglich ist, den genauen Gedankeninhalt eines Menschen zu kennen. Es ist somit auch unmöglich, diesen Gedankeninhalt genauso wie der konkrete Mensch ihn denkt auf einen anderen Menschen zu übertragen.79 3. Neuere Vorstellungen über Kommunikation Doch wie kann man dieses Bild genauer beschreiben, um darzustellen, wie Kommunikation funktioniert und was sie bewirkt? Jede Äußerung, die getan wird, verändert die Welt, so wie sie vor der Äußerung war.80 Sie hat nicht nur die Wirkung, dass Information übertragen wird, z. B. bei einer Verabredung (auch der Verabredung eines Verbrechens, § 30 Abs. 2 StGB) die Information, dass man das Verabredete zu einem bestimmten Zeitpunkt plant. Sondern gleichzeitig wird bewirkt, dass man nach der Verabredung wirklich „verabredet ist“; die Verabredeten sind danach sozial in bestimmter Weise aneinander gebunden.81 Bei Meidung sozialer Folgen hat man einige Handlungsalternativen weniger (man kann sich für die Zeit nichts anderes vornehmen), hat allerdings auch die Vorteile, die sich aus der gemeinsamen Veranstaltung ergeben und insbesondere im Vorfeld die Planungssicherheit. In dieser Veränderung der sozialen Umgebung – nunmehr ist man durch eine Verabredung gebunden – liegt dann beispielsweise auch der Grund für die Strafbarkeit der Verabredung eines Verbrechens gem. § 30 Abs. 2 StGB: Sie beschwört die Gefahr herauf, dass die verabredete Tat wirklich begangen wird.82 76 Das wird auch der Grund sein, weshalb die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die, zumindest nach ihrem Ergebnis, auf einem teils andersartigem Verständnis von Kommunikation beruhen, so heftig angegriffen worden sind, ohne dass die Kritik genauer darauf eingeht, was an ihnen falsch sein soll, s. o. im 2. Abschnitt unter IV. 1. 77 Krippendorff, in: Metaphern und Modelle der Kommunikation, S. 79, 85. 78 Luhmann, Soziale Systeme, S. 193. 79 Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 194. 80 John Langshaw Austin, How to do things with words, S. 29 f. 81 Schmidt, Siegfried J., Kognitive Autonomie, S. 55.
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4. Das Problem des Übergangs vom Vorbereitungsstadium zum unmittelbaren Ansetzen beim Versuch zur Vollendung des Delikts Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis ist es auch möglich, das Problem zu lösen, dass die noch nicht ausgesprochene Äußerung nicht immer als Grundlage für die komplette Sinnfeststellung genommen werden darf mit der Folge, dass in diesem Verhalten ein vollendetes Delikt – etwa eine Beleidigung – zu sehen ist.83 Denn das wäre die Folge, wenn man zur Sinnermittlung auf die bloße Informationsvermittlung abstellt. Der Äußernde ist mehr als nur der „Sender“, dessen „Signale“ durch den Rezipienten „entschlüsselt“ werden. Durch den Kommunikationsvorgang der noch nicht ausgesprochenen, aber unmittelbar bevorstehen Beleidigung ist die soziale Umwelt des Äußernden und des Rezipienten nicht in der Weise umgestaltet worden, wie das für eine Beleidigung erforderlich ist – mag auch die entsprechende Information mit Sicherheit durch Rückschluss aus dem Umstand, dass sie im weiteren Fortgang hat in ausdrückliche Worte gefasst werden sollen, vermittelt worden sein. Im Zivilrecht existiert die allgemeine Regel, dass eine Erklärung erst dann rechtlich vorhanden ist, wenn sie vollständig vorliegt und zugegangen ist. Die Abgrenzung im Strafrecht zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung ist komplizierter und muss sich im Grundsatz nach der Gefährlichkeit richten. Im Zuge der Prognose der Gefährlichkeit einer Äußerung in der sozialen Welt gilt beispielsweise die Grundregel, dass jemand durch die noch nicht zur Aussprache gelangte Beleidigung noch nicht als in seiner Ehre gekränkt anzusehen ist (ungeachtet der normativen Feststellung des Umstands der Ehrkränkung)84. Deswegen kommt der mit Sicherheit erschließbaren Information (der Äußernde will im weiteren Fortgang beleidigen) die soziale Wirkung einer vollendeten Beleidigung (noch) nicht zu. Die soziale Regel geht davon aus, dass der Äußernde – jedenfalls vor Beginn des Ausspruchs der beleidigenden Worte – noch das Recht zum Aufhören hat. Es besteht also – über die „gefährliche“ Verständnismöglichkeit hinaus – die Verständnismöglichkeit, dass der Äußernde mit seinem Kommunikationsbeitrag nur ankündigt, eine beleidigende Äußerung in Zukunft machen zu wollen. Im Hinblick auf die an diese Verständnismöglichkeit anknüpfende Chance muss die Äußerung regelmäßig als erlaubt angesehen werden. 82 BGHSt 10, 388, 389, Urteil vom 4. Oktober 1957, – 2 StR 366/57 –; Tröndle/ Fischer, § 30, Rn. 2. 83 s. o. im 13. Abschnitt unter II. 4. a). 84 s. o. im 5. Abschnitt unter I. 4. b).
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Diese soziale Regel kann sich auch ändern und legt für eine bestimmte Ausdrucksweise nicht für immer fest, ab wann das Vollendungsstadium – und somit eine Stufe zeitlich davor das Versuchsstadium – erreicht ist. Beginnt ein bekannter Holocaust-Leugner seine Rede immer mit einem charakteristischen und an sich „harmlosen“ Begriff, so kann sich die soziale Regel, dass mit dem Beginn der Rede noch nicht geleugnet wird, dahin wandeln, bereits dem Beginn der Rede den kompletten Sinn der Leugnung zuzumessen. Der an sich harmlose Begriff wandelt sich dann in ein Symbol für die Holocaust-Leugnung um, wenn er von der bestimmten Person benutzt wird. Mit diesem Modell der Kommunikation, dass sie nämlich mehr ist als bloße Informationsvermittlung, kann auch der Fall gelöst werden, dass jemand eine anstiftende Äußerung nur zum Teil tut (was u. U. in der Absicht geschieht, komplett verstanden zu werden).85 Auch hier muss der sozialen Wirkung der Äußerung nachgespürt werden. Unter Gefährlichkeitsgesichtspunkten liegt eine vollendete Anstiftungshandlung vor. Das ist nicht nur deshalb der Fall, weil die Äußerung den Informationsgehalt übermittelt hat, der Rezipient möge die angesonnene Tat begehen, sondern auch und wesentlich deshalb, weil damit gleichzeitig die soziale Umwelt der Beteiligten so verändert wurde, dass nunmehr der „Verhaltensvorschlag“ des Anstifters dem Angestifteten gegenüber tatsächlich vorliegt, womit die Gefahr steigt, dass die Tat begangen wird. 5. Der „Erfolg“ der „Übertragungsmetapher“ in der Rechtswissenschaft Weshalb hält sich die „Übertragungsmetapher“ in der Rechtswissenschaft so beharrlich? Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass Juristen in Ausübung ihres Berufes heutzutage und auch früher nahezu ausschließlich in einer Welt der Schriftlichkeit leben. Das beginnt schon damit, dass zu Beginn eines jeglichen Prozesses eine schriftliche Äußerung, z. B. im Zivilprozess eine Klage„schrift“ (§ 253 Abs. 1 ZPO) steht. Eine ganz wichtige Funktion nimmt im Strafprozess auch die Anklage„schrift“ (§ 200 StPO) ein. Sie bestimmt, welche Tat im prozessualen Sinne angeklagt ist,86 und damit die Grenzen der Aburteilungsbefugnis des Gerichts.87 Im weiteren Fortgang sowohl des Zivilprozesses als auch des Strafprozesses steht der Inhalt der genannten Schriftstücke im Mittelpunkt. Zwar steht der Inhalt häufig nicht in dem Sinne im Mittelpunkt, dass explizit darüber gestritten wird, was die jeweiligen Schriften beinhalten. Aber alle Beteiligten des Prozesses haben zumindest im Mitbewusstsein, wie der Streitgegenstand 85 86 87
s. o. im 13. Abschnitt unter II. 4. b). Meyer-Goßner, § 264, Rn. 7a. Meyer-Goßner, § 264, Rn. 1.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
schriftlich festgelegt wurde und über was nicht verhandelt werden darf, weil es nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Man kann also sagen, dass im heutigen modernen Rechtsleben kaum eine Rechtshandlung von einigem Belang vorgenommen werden kann, ohne dass Schriftstücke eine ganz wesentliche Rolle spielen. Indes ist dieses Bild so eindeutig nicht. Denn immerhin wird im Regelfall noch mündlich verhandelt. Leitbild des Gesetzes ist die Schriftlichkeit mit ihrer Affinität zur Übertragungsmetapher nicht ausschließlich: So ist in § 128 Abs. 1 ZPO ausdrücklich normiert, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Im Strafprozess ergibt sich die Verpflichtung, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, aus § 261 StPO.88 Daraus ergibt sich, dass auch der Gesetzgeber es seit jeher anerkennt, dass sich Kommunikation nicht nur darin erschöpft, den „Inhalt“ von etwas zu ermitteln, sondern es häufig auch erforderlich ist, um jemanden „wirklich“ zu verstehen, ihn unmittelbar anzuhören, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Dieses Bild von den Dingen lässt sich dann als Konsequenz auch nicht in allen Einzelheiten in einem Schriftstück niederlegen. Das ist dann auch der Grund, weshalb die Tatsachenfeststellung und die Beweiswürdigung im Prozess der Überprüfung durch die Revision grundsätzlich entzogen sind. VI. Zusammenfassung: Die Auswirkungen auf die Auslegungsregeln Die gesamten vorstehenden Überlegungen führen also zu dem Ergebnis, dass man die Auslegung einer Äußerung folgendermaßen durchzuführen hat: 1. Die Auslegung einer Äußerung als Ergebnis einer Abwägung Zunächst muss bestimmt werden, welche möglichen Assoziationen eine Äußerung in den jeweiligen Rezipienten hervorrufen kann. Danach muss bestimmt werden, welche möglichen anderen Deutungen die Äußerung durch die Rezipienten ebenfalls erfahren kann. An diesen möglichen anderen Verständnismöglichkeiten setzt Art 5 Abs. 1 GG an. In ihnen liegt der Wert einer Äußerung. Es ist unvorhersehbar, wie eine möglicherweise und selbst sicher als abwertend verstehbare Äußerung Rechte beeinträchtigen kann. Genau so unvorhersehbar ist es aber auch, wie die damit verbundenen möglichen nicht abwertenden Assoziationen wirken können. Hier 88 Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar, § 261, Rn. 1; Meyer-Goßner, § 261, Rn. 7.
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will Art 5 Abs. 1 GG mit der Meinungsfreiheit einen Freiheitsbereich etablieren. 2. Fallgruppen eines „klaren“ Abwägungsergebnisses Es muss in der „praktischen“ Arbeit selbstverständlich nicht immer explizit abgewogen werden. Es gibt häufig Fälle, in denen klar ist, welchen Inhalt eine Äußerung hat. a) „Eindeutige“ Äußerungen Das ist dann der Fall, wenn die Äußerung nahezu nur Assoziationen hervorruft, die als negativ zu betrachten sind. So liegt es in vielen Fällen von „unproblematischen“ Beleidigungen („Vogel zeigen“ u. a.). b) Strafrechtlich relevante „zivilrechtliche Willenserklärungen“ Das Abwägungsergebnis ist aber auch in vielen Fällen klar, in denen sich komplizierte Abwägungsprobleme nicht stellen, weil die Äußerung ersichtlich mit Hilfe aus dem Zivilrecht stammender Methoden ausgelegt werden will. Das ist immer dann der Fall, wenn ein sog. deliktischer Vertragsschluss in Rede steht oder die Strafbarkeit in einem zivilrechtlichen Vertragsschluss gefunden werden soll. Beim deliktischen Vertragsschluss der Bestechung liegt die Tathandlung darin, dass durch Zeichen der Gedankeninhalt zum Ausdruck gebracht wird, als Gegenleistung für einen Vorteil eine dienstpflichtwidrige Diensthandlung erbracht zu bekommen89 – also evident eine Äußerung. Da es sich bei der Bestechung um den „Kauf“ einer Diensthandlung handelt (bzw. „Verkauf“ bei der Bestechlichkeit), kommunizieren die Beteiligten in der Art, in der man allgemein über solche Geschäfte spricht: Man verwendet die in ihrer Bedeutung scharf umrissenen Begriffe des Zivilrechts. Damit stellt die Bestechung, wäre sie nicht rechtlich verboten, einen „wirklichen“ Vertrag im Sinne des Zivilrechts dar, der nur wegen der Regelung des § 134 BGB zivilrechtlich unwirksam ist.90 Ein breiter Bereich möglicher Verständnisse dieses Vertrags ist beim deliktischen Vertragsschluss wegen der häufigen Benutzung der verwendeten Begriffe im Zivil89 BGH, StraFo 2002, S. 321, 323, Urt. v. 27. Juni 2002, – 4 StR 28/02 –; s. auch die Ausführungen oben im 8. Abschnitt unter I. 3. b). 90 Teilweise wird § 134 BGB auch anders interpretiert. Man sagt, die Nichtigkeitsfolge ergebe sich bereits aus dem Verbotsgesetz, „§ 134 BGB besagt in Wirklichkeit nichts“ (Flume AT, S. 341).
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recht und der daraus resultierenden Trennschärfe nicht gegeben. Deshalb spielt die Meinungsfreiheit hier – ebenso wie bei der Auslegung von Willenserklärungen im Zivilrecht (aber nicht persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerungen) – praktisch keine Rolle. Ebenso liegt es, wenn das strafbare Verhalten in einem tatsächlich (zunächst) zivilrechtlich wirksamen rechtsgeschäftlichen Verhalten liegen soll (Verkauf einer mangelhaften Sache unter Leugnung der Mängel, Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB). Es liegt auf der Hand, dass die Auslegung in dem einen Rechtsgebiet genau so wie im anderen zu erfolgen hat. Es ergibt sich nach alledem nur ein Unterschied im Tatsächlichen: Insbesondere bei der Bestechung muss man den jeweiligen Tätern von einer völlig außerhalb der Parteien stehenden Position aus eine Äußerung/Willenserklärung nachweisen (und weiterhin, dass sie dabei den entsprechenden Vorsatz hatten). Damit stellt sich die Struktur, die positiv zu beweisen ist, als sehr kompliziert und schwierig zu beweisen dar. Abhilfe könnte man hier nur dadurch schaffen, indem man das strafwürdige Unrecht anders als durch Beschreibung unerlaubter Kommunikation positiviert. Doch oben wurde auch darauf hingewiesen, dass gerade in Bereichen der Gesellschaft, die sich maßgeblich durch Kommunikation konstituieren, es sehr wohl sachangemessen ist, zur Beschreibung von Unrecht auch an diese Strukturen anzuknüpfen.91 Damit kann ein Ausweg aus dem Dilemma, dass insbesondere Wirtschaftsstrafverfahren immer langwieriger und umfangreicher werden, nicht gewiesen werden.
91
s. o. im 8. Abschnitt unter I. 3. b).
16. Abschn.: Mögliche Einwände gegen dieses Konzept
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16. Abschnitt
Mögliche Einwände gegen dieses Konzept Bisher ist diese Konzeption, wie sie zumindest im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht vertritt,1 im Schrifttum auf deutliche Kritik gestoßen. I. „Liquidierung“ des Ehrenschutzes? So ist zunächst eingewandt worden, der Ehrenschutz werde durch dieses Konzept „liquidiert“.2 1. Ursachen und Folgen eines falschen Verständnisses des Art 5 Abs. 2 GG als Ausgangspunkt der Kritik Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Meinungsfreiheit ausweislich des Wortlauts des Art 5 Abs. 2 GG seine „Schranke“ in dem „Recht der persönlichen Ehre“ finde. Angesichts dieser klaren Regelung dürfe man die Wechselwirkungslehre zumindest hier – bei einer Kollision zwischen Ehre und Meinungsfreiheit – nicht anwenden.3 Andernfalls käme es zu einer von der Verfassung nicht gewollten Beeinträchtigung des Rechts der persönlichen Ehre; insbesondere wenn eine die „Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage“ in Rede stehe und der Gesichtspunkt des Gegenschlages hinzukomme, sei der Ehrenschutz nahezu völlig aufgegeben.4 Als Folge davon trete eine allgemeine Radikalisierung ein,5 Deutschland drohe zu einem „Eldorado der Ehrabschneider“6 zu werden, was auf lange Sicht der Rechtsordnung und der Verfassung insgesamt schade, weil die sprachliche Radikalisierung eine tatsächliche Radikalisierung nach sich ziehe,7 kurz: Deutschland drohe in Anomie und Chaos zu versinken.
1 Besonders deutlich zuletzt in einem Kammerbeschluss vom 29. Juli 2003: BVerfG, NJW 2003, S. 3760 f. (1. Kammer des Ersten Senats, – 1 BvR 2145/02 –). 2 Vgl. den Titel des Aufsatzes von Kiesel in der NVwZ 1992, S. 1129 ff.: „Die Liquidierung des Ehrenschutzes durch das BVerfG“. Buscher (NVwZ 1997, S. 1057, 1061) spricht von einer „Lockerung“ des Ehrenschutzes. 3 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1130; v. d. Decken, NJW 1983, S. 1400, 1402. 4 Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 783, 874 a. E.; Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1130; ähnlich, aber nicht ganz so weit gehend: Buscher, NVwZ 1997, S. 1057, 1060. 5 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1133. 6 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1137; ähnlich: Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 783, 874 a. E.
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2. Der tatsächliche Kritikpunkt: übergroßer Einfluss der Meinungsfreiheit Zunächst ist zu dieser Kritik anzumerken, dass sie sich vordergründig darauf beschränkt, das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Auslegungsgrundsätze, die anlässlich von Ehrverletzungen eingreifen sollen, zu kritisieren. Hierauf nimmt auch der Vorwurf eines falschen Verständnisses der Regelung des Art 5 Abs. 2 GG Bezug. Andererseits sind die weiteren Argumente und insbesondere die Beispiele nicht mehr nur auf eine „Liquidierung“ des Ehrenschutzes ausgerichtet; Kiesel verweist zur Stützung seiner These u. a. auf drei Fälle, in denen es um die Verunglimpfung des Staates oder seiner Symbole ging.8 Mithin wird man die Kritik auch so aufzufassen haben, dass sie einwendet, der Meinungsfreiheit werde insgesamt ein zu großer Einfluss zugebilligt. Somit braucht auch hier nicht darauf eingegangen zu werden, ob Art 5 Abs. 2 GG bzgl. der Schranke des Rechts der persönlichen Ehre unzutreffend ausgelegt wird (was ein rein verfassungsrechtliches Problem ist). Sondern der wesentliche Punkt, um den es geht, ist der des zutreffenden Verständnisses der Meinungsfreiheit. 3. Ein falsches Verständnis von Kommunikation als Grundlage der Kritik Hier dürfte der Kritik ein falsches Bild von Kommunikation zugrunde liegen. Das führt dazu, dass den Vertretern dieser Kritik gewisse Wirkungsmöglichkeiten einzelner Kommunikationsbeiträge nicht vor Augen stehen und sie aus diesem Grund Äußerungen an juristischen Gesichtspunkten messen, die hier nicht oder jedenfalls nicht in dieser Weise relevant sind. a) Die unzutreffende Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Im Einzelnen: Es wird häufig ausgeführt, zutreffende Ansichten setzten sich allein wegen ihrer Überzeugungskraft durch; um zu überzeugen, brauchten sie nicht mit „Ehrverletzungen“ einher zu gehen.9 Dieses Argument ist auf den ersten Blick eingängig: Wenn die zutreffende Ansicht zusammen mit einer „Ehrverletzung“ vermittelt wird, dann ist dieses Element nicht erforderlich, um ihr zum Durchbruch zu verhelfen; umgekehrt gilt: Der unzutreffenden Ansicht kann unberechtigterweise zur Anerkenntnis ver7 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1137; ähnlich: Buscher, NVwZ 1997, S. 1057, 1060 f. 8 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1136. 9 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1130; Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 783, 874; v. d. Decken, NJW 1983, S. 1400, 1403.
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holfen werden, weil die mit ihr einhergehende „Ehrverletzung“ von dem unzutreffenden Kern ablenkt und das Publikum verwirrt. Das Eingängige an dieser Kritik ist die Verwendung der juristischen Figur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Um ein Ziel zu erreichen, darf mit einer Handlung keine stärkere Rechtsbeeinträchtigung einhergehen als erforderlich, es ist das jeweils mildeste Mittel zu wählen. b) Die unzulässige Reduktion von Kommunikation auf die Übertragung eines Inhalts Die Kritik übersieht dabei nur, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gar nicht anwendbar ist, weil Kommunikation im Regelfall etwas anderes ist als die bloße Übermittlung von Inhalten (zutreffende/unzutreffende Meinung), sondern ein Prozess, mit dem der Äußernde etwas „bewirkt“, was im Regelfall mehr ist als die bloße Informationsvermittlung.10 Wenn der Oppositionsführer öffentlich spricht, vermittelt er nicht (nur) den Inhalt, dass (seiner bescheidenen Ansicht nach) die im nächsten Jahr geplante Neuverschuldung volkswirtschaftlich gesehen zu hoch sei (oder die Ausgaben zu niedrig seien) und die Regierung, die von anderen Grundsätzen ausgehe, sich irre (obwohl ja, da Menschen fehlbar seien, der Fehler selbstverständlich auch auf seiner Seite liegen könne). In seiner Rolle muss er die Regierung angreifen11 und deutlich machen, dass die Regierung ein „übles“ Spiel treibe, „elementarste volkswirtschaftliche Erkenntnisse“ nicht berücksichtige und dadurch in „unverantwortlicher Weise die Zukunft unserer Kinder (oder der Arbeitslosen/der Rentner)“ aufs Spiel setze. Äußert er sich in dieser Weise, so beleidigt er die Regierung ganz sicher nicht (und die Vertreter der Ansicht von der Liquidierung des Ehrenschutzes würden wohl auch nicht so weit gehen), obwohl er zumindest wörtlich genommen persönliche Ressentiments vorgebracht hat, die neben der Informationsvermittlung bzgl. der Neuverschuldung überhaupt nicht erforderlich waren. Der Grund dafür liegt darin, dass in jedem öffentlichen Beitrag zugleich eine Selbstdarstellung der sich äußernden Person liegt. Je weiter das allgemein geteilte Rollenverständnis dahin geht, dass jemand nicht nur Informationen mitteilt, sondern damit eine Aufgabe erfüllt – wie der Oppositionsführer im Beispiel, der sich jederzeit als Alternative zum Regierungschef darstellen muss, 10
Zur „Übertragungsmetapher“ und ihrer Kritik s. o. im 15. Abschnitt unter IV. Diese dem Bereich des Militärischen entlehnte Metapher findet sich allgemein (und nicht im negativen Sinne gemeint) in der politischen Berichterstattung. Das ist bereits ein Hinweis darauf, dass es in vielen Bereichen der Gesellschaft nicht so zugeht wie im juristischen Seminar (wie es sich einige offenbar vorstellen), wo unter Hintanstellung des persönlichen Eindrucks nur unter dem Eindruck der Überzeugungskraft der Argumente gestritten wird. 11
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deswegen muss er „angreifen“ –, muss das auch bei der Auslegung berücksichtigt werden. Niemand versteht die Äußerung so, dass der Oppositionsführer die Regierung tatsächlich eines Versagens im Beruf bezichtigt. Die Äußerung hört sich zwar so an, doch eine Auslegung in diesem Sinne ist genau so unzutreffend, wie es für den Oppositionsführer sinnlos erschiene, eine Strafanzeige wegen Untreue (§ 266 StGB) gegen die Regierung zu erstatten. Die eingangs referierte Kritik an der Verfassungsrechtsprechung geht nicht im geringsten darauf ein, was in den Fällen, die sie zur Rechtfertigung ihrer Ansicht mitteilt, tatsächlich durch die Äußerung bewirkt wurde, sondern analysiert nur den Wortsinn12 und versteht die Meinungsfreiheit „mechanistisch“ als Recht zur Übermittlung eines Inhalts; dadurch verstellt sie sich die Sicht auf eine zutreffende Beurteilung. Und dass es in Deutschland (wie auch in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, wo es seit jeher nur ein erheblich niedrigeres Niveau an persönlichem Ehrenschutz gibt) bislang noch nicht zu einer großflächigen Störung des Rechtsfriedens bis hin zu „Weimarer Verhältnissen“13 gekommen ist, spricht überdies und am überzeugendsten gegen diese Kritik der „Liquidierung“ des Ehrenschutzes. II. Unanwendbarkeit des Art 5 Abs. 1 GG auf Auslegungsfragen? Ein weiter gehender und tiefer greifender Einwand gegen die hier vertretene Auslegungslehre ist der, dass behauptet worden ist, es sei verfehlt, bereits auf Tatbestandsebene – also bei der Auslegung einer Äußerung – auf die Wirkung von Grundrechten, mithin insbesondere Art 5 Abs. 1 GG, zurückzugreifen. 1. Die Auslegung als Tatsachenfeststellung? Die Auslegung einer Äußerung sei ein Vorgang im Bereich der Tatsachenfeststellung. Wenn ein objektiver Beobachter in der konkreten Situation zu dem Ergebnis komme, dass ein gewisser Teil der angesprochenen Kreise der Äußerung eine ehrenrührigen Sinn beimesse (und – auf alle Äußerungsdelikte übertragen – der gewisse Teil der Äußerung einen volksverhetzenden, gotteslästerlichen etc. Sinn beimesse), dann sei eine ehrenrührige (oder volksverhetzende oder gotteslästerliche) Äußerung gegeben.14 Mehrdeutig12 Schmitt Glaeser spricht ohne ein Wort der Erklärung vom „Normalverständnis“ (NJW 1996, S. 873, 874). 13 Kiesel, NVwZ 1992, S. 1129, 1137. 14 Merz, Ehrenschutz, S. 51; dass das Bundesverfassungsgericht den objektiven Sinngehalt nicht zutreffend ermittle, wendet auch Kiesel (NVwZ 1992, S. 1129, 1133 a. E.) ein.
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keit schließe eine Strafbarkeit nicht aus.15 Wenn allerdings nicht klar sei, wie eine Äußerung zu verstehen sei, dann sei in der Regel der Grundsatz „in dubio pro reo“ einschlägig. Die Grundrechte des Art 5 GG sollen nach dieser Ansicht nur im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit Wirkkraft entfalten. Insbesondere bei den Beleidigungsdelikten sei § 193 StGB die Vorschrift, durch die Art 5 GG in das Strafrecht hineinwirke.16 Bezogen auf den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, unter dem diese Problematik17 behandelt wird, heißt das: Nur diese Ebene – und nicht schon die Ebene des Tatbestandes – sei der angemessene Ort, an dem man ein Hineinwirken des Art 5 GG in das Strafrecht zu thematisieren habe.18 2. Der Unterschied zwischen Tat- und Rechtsfrage im Allgemeinen Schon von vornherein ist der Einwand, es gehe bei der Auslegung von Äußerungen nur um eine Tatsachenfeststellung und nicht um eine Rechtsfrage, auf deren Beurteilung Art 5 Abs. 1 GG u. U. Einfluss haben könne, zu allgemein und deshalb nicht tragfähig. Was als Tat- und was als Rechtsfrage eingeordnet wird, ist unter verschiedenen Blickwinkeln von Belang. Zum einen ist es wichtig für das Prozessrecht und hier insbesondere für die Frage, ob eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 337 Abs. 1, 2 StPO vorliegt, denn auf die Revision hin kann das Urteil nur auf Rechtsfehler überprüft werden.19 Was als Tatsachenfrage und was als Rechtsfrage zu problematisieren ist, ist aber zum anderen auch für die Anwendung des materiellen Rechts von Belang: Nur Tatsachen dürfen unter das durch Auslegung konkretisierte Recht subsumiert werden. Wie man in diesem Zusammenhang zwischen „materiellem Recht“ und „Tatsachen“ zu unterscheiden hat, welche Abgrenzungsgrundsätze insofern gelten, kann nicht durch ein Hinweis auf das Prozessrecht, das ersichtlich ganz andere Ziele verfolgt, beantwortet werden. Es ist beispielsweise für das materielle Recht bei der Entscheidung der Frage, was man unter einer Urkunde (§ 267 Abs. 1 StGB) zu verstehen hat, nicht maßgeblich, was das Prozessrecht (§ 249 Abs. 1 S. 1 StPO) darunter versteht. Insofern ist es logisch und spricht nicht gegen die Einordnung der Auslegungsfrage als Rechtsanwendung, wenn die Revisionsgerichte in stän15 Schmitt Glaeser, NJW 1996, S. 873, 874; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 185, Rn. 20. 16 Merz, Ehrenschutz, S. 52. 17 Zur (falschen) Gegenüberstellung Ehrenschutz gegen Meinungsfreiheit siehe die Ausführungen im 2. Abschnitt unter IV. 1. c). 18 Merz, Ehrenschutz, S. 56. 19 Pikart, in: Karlsruher Kommentar, § 337, Rn. 3; Meyer-Goßner, § 337, Rn. 1.
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diger Rechtsprechung davon ausgehen, dass die Auslegung einer Äußerung nicht Rechtsanwendung gem. § 337 Abs. 1, 2 StPO sei und sie deswegen zumindest im Grundsatz nicht revisibel sei.20 Dass die Auslegung insofern als Tatfrage angesehen wird, liegt daran, dass diese Frage nicht durch die begrenzte Prüfungsmöglichkeit des Revisionsgerichts, dem nach dem eindeutigen Gesetzessinn eine Nachholung der Hauptverhandlung verwehrt sein soll,21 beantwortet werden kann. 3. Die Auslegung von Äußerungen als Rechtsfrage im materiellen Sinne Damit kommt es darauf an, ob die Auslegung einer Äußerung als Tatoder Rechtsfrage im materiellen Sinne anzusehen ist. Mit „Abgrenzung im materiellen Sinn“ ist Folgendes gemeint: Wenn man einen Fall zu entscheiden hat, muss man das Gesetz konkretisieren (Rechtsanwendung) und die relevanten Tatsachen feststellen. An einem gewissen Punkt muss man den Schritt machen, mit dem man die festgestellten Tatsachen unter das konkretisierte Gesetz subsumiert. Hier haben wir bereits zuvor22 festgestellt, dass die Auslegung einer Äußerung Rechtsanwendung in dem oben dargestellten Sinne ist. Es geht nämlich um die Frage, ob die in Rede stehende Handlung zu jener Klasse von Verhaltensweisen gehört, für die das Gesetz die Rechtsfolge anordnet. Allerdings liegt es bei Äußerungen so, dass es wegen der Vielgestaltigkeit der kommunikativen Verhaltensmöglichkeiten eingängiger ist, von einer Auslegung der Äußerung und nicht einer hochspeziellen Auslegung des Gesetzes zu sprechen. III. „Unnatürliche“ Aufspaltung der Wirkungen eines Grundrechts? Somit ist klar, dass die Auslegung einer Äußerung die Beantwortung einer Rechtsfrage im materiellen Sinne ist. Doch was spricht dafür, die Grundrechte des Art 5 GG schon bei der Auslegung der Äußerung, also auf Tatbestandsebene, anzuwenden? Die Frage stellt sich umso dringlicher, als der Auffassung, die Grundrechte des Art 5 GG seien nur auf Rechtswidrigkeitsebene zu problematisieren, eine gewisse Einfachheit nicht abgesprochen werden kann. Ganz im Gegenteil scheint es schwer zu sein, beispielsweise die Wirkung von Art 5 Abs. 1 GG, der Regelung, die dem Wortlaut 20 BGH, NJW 1989, S. 1365, 1366, Urt. v. 19. Januar 1989, – 1 StR 641/88 –; OLG Düsseldorf, JR 1990, S. 126, Urt. v. 7. Juli 1989, – 5 Ss 250/89 –; Hanack, in: Löwe/Rosenberg, § 337, Rn. 117; Meyer-Goßner, § 337, Rn. 32; Pikart, in: Karlsruher Kommentar, § 337, Rn. 3. 21 Meyer-Goßner, § 337, Rn. 13. 22 Im 1. Abschnitt unter II. 2. c).
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nach das einheitliche Recht, seine Meinung zu äußern und zu verbreiten gewährleistet, in zwei Teile „künstlich“ aufzuspalten, von denen der eine auf Tatbestandsebene – hier die Auslegung betreffend – und der andere auf Rechtswidrigkeitsebene ansetzt. 1. Die Einwirkung öffentlich-rechtlicher Dogmatik auf das Strafrecht Doch genau das tut die hier vertretene Ansicht nicht: Grundrechte beinhalten eine objektive Wertordnung. Die Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehr- und unter Umständen auch Leistungsrechte des einzelnen Bürgers gegen den Staat, sondern durch die Etablierung der Grundrechte wurde zudem eine objektive Wertordnung aufgerichtet, der die Rechtsordnung genügen muss.23 Genügt die Rechtsordnung diesen Vorgaben nicht, so sind die entsprechenden Vorschriften nichtig; genügt eine von mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Norm diesen Vorgaben nicht, so ist diese Auslegung der Norm unzulässig. Die Rechtsordnung besteht aus den einzelnen Rechtsnormen, die heutzutage meistens durch Gesetz geschaffen werden, aber jedenfalls durch Gesetz änderbar und damit letztlich zumindest mittelbar gesetzlich legitimiert sind. Das Verhältnis der einzelnen Rechtsnormen zueinander wird zum einen durch Regeln bestimmt, die keinen Rechtsnormcharakter aufweisen und deshalb auch nicht änderbar sind, die aber vorausgesetzt werden müssen, damit man überhaupt von einer Rechtsordnung sprechen kann (Beispiel: Anwendungvorrang der lex specialis vor der lex generalis etc . . .).24 In den unterschiedlichen Rechtsgebieten haben sich überdies von den dort jeweils geltenden Gegebenheiten geprägte (für das einzelne Rechtsgebiet spezifische und meistens überkommene) Regeln entwickelt, die das Verhältnis der Rechtsnormen untereinander weiter bestimmen. Diese Regeln werden von neuen Gesetzen meistens akzeptiert und vorausgesetzt, sie können aber durch Gesetz geändert werden. Die Dogmatik in diesem Sinne stand im Strafrecht lange vor Inkrafttreten des Grundgesetzes in ihrem wesentlichen Inhalt fest. Sie hat sich hier insbesondere dahin entwickelt, dass zwischen den Kategorien der Tatbestandserfüllung (Unrechtsverwirklichung durch ein Verhalten) und der Rechtswidrigkeit (Ausschluss zumindest grundsätzlich verwirklichten Unrechts) unterschieden wird. Daran hat auch der Gesetzgeber zum Beispiel durch die Anordnung der „rechtfertigenden“ Wirkung des Notstands nach § 34 StGB angeknüpft, oder er hat als weiteres Beispiel in einem Teilbereich zwar an diese Grenzzie23 24
s. o. im 12. Abschnitt unter III. 1. c). s. o. im 7. Abschnitt unter I. 3. a).
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hung angeknüpft und sie dann aufgegeben, indem er einen Tatbestandsausschluss bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1 StGB angeordnet hat, obwohl die Handlung als rechtswidrig einzustufen ist.25 Bereits die Dogmatik der Unterscheidung zwischen „Tatbestand“ und „Rechtswidrigkeit“ wird im Strafrecht nicht konsequent durchgehalten; man denke insoweit nur an die Unterscheidung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung, die nunmehr im Tatbestand behandelt wird26 und die einverständliche Fremdgefährdung, die (noch?) als Rechtswidrigkeitsproblem27 angesehen wird. Auf eine generelle Abgrenzung sowie auf die Stellungnahme, ob diese Kategorien sich überhaupt sinnvoll abgrenzen lassen, soll hier aber verzichtet werden, denn für unser Problem der rechtlichen Beurteilung von Äußerungen ist sie für die praktischen Ergebnisse irrelevant.28 Trifft die strafrechtliche Dogmatik mit der durch die Grundrechte etablierten objektiven Wertordnung zusammen, so ist nicht ersichtlich, weshalb sich die objektive Wertordnung in nur einer Kategorie der Dogmatik auswirken sollte. Selbst das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass es gleichgültig ist, in welchem Teil des „einfachen“ Rechts die Grundrechte zur Wirkung gebracht werden; wichtig ist nur, dass sie zur Geltung gebracht werden müssen. Die Entscheidung, an welcher Stelle im „einfachen“ Recht die Grundrechte ihre Wirkkraft entfalten, muss danach geschehen, wie sich das am besten mit der herkömmlichen Dogmatik verträgt, auf welche Weise also die geringsten Systembrüche entstehen. Art 5 Abs. 1 GG stellt sicher, dass man etwas sagen darf, dass man kommunizieren darf. Die öffentlich-rechtliche Dogmatik dient dazu, diesen Bereich zu umreißen. Im Wesentlichen wird – wie schon oben dargestellt – dieser Bereich mit dem zusammen fallen, was oben als Äußerung im strafrechtlichen Sinne definiert wurde. Art 5 GG gewährleistet, dass man sich grundsätzlich – aber eben nur grundsätzlich – so verhalten darf. Wenn es nun um ein Verbot eines solchen Verhaltens geht, das in dem einschlägigen Verbotsgesetz durch seinen Inhalt charakterisiert wird (ehrenrührig, gotteslästerlich etc.), entsteht das Problem, dass man ermitteln muss, ob ein solcher Inhalt vorhanden ist. Man muss auslegen. Stellt man nun für dieses Verständnisproblem einseitig auf das tatsächliche Verständnis ab (oder darauf, wie die Äußerung tatsächlich hätte verstanden werden müssen), so macht man eine Aufgabe des Interpreten zu einer solchen des sich Äußern25
Tröndle/Fischer, § 218 a, Rn. 4. BGHSt 32, 262, 263 f., Urt. v. 14. Februar 1984, – 1 StR 808/83 –; Tröndle/ Fischer, Vor § 13, Rn. 19. 27 BGHSt 17, 359, 360, Urt. v. 10. Juli 1962, – 1 StR 194/62 –; Tröndle/Fischer, Vor § 32, Rn. 3 b. 28 s. u. unter 2. 26
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den. Es muss den Äußernden prinzipiell erlaubt sein, auch auf die Gefahr hin etwas zu sagen, dass es von anderen in beleidigendem etc. Sinne verstanden wird. Nahezu jegliche Äußerung kann auch in anderem Sinne verstanden werden; tatsächlich gelingt es bei jeder Äußerung niemals, das, was der Äußernde genau gedacht hat, dem Rezipienten zu übermitteln. Genau diesen Gedankeninhalt, den der Äußernde gedacht hat, genau diesen psychischen Zustand kann er durch eine Äußerung nicht im Gegenüber erzeugen. Die Gefahr des Misslingens einer solchen „deckungsgleichen“ Vermittlung von Gedankeninhalten kann also für sich allein nicht dazu führen, dass sein Verhalten unerlaubt wird. Es geht also darum, bei der Anwendung eines Äußerungsdelikts und also bei der Auslegung abstrakt zu bestimmen, was im Rahmen des Kommunikationsprozesses Aufgabe der Äußernden ist und was eine solche des Rezipienten ist. 2. Exkurs: Die Erklärung der rechtfertigenden Wirkung des § 193 StGB In dieses Schema lässt sich auch die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gem. § 193 StGB einordnen. a) Die Regelung des § 193 StGB Diese Regelung bestimmt unter der Überschrift „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ positiv, dass manche Äußerungen – „[t]adelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle . . .“ – trotz ihres anerkennenswerten Inhalts bei Vorliegen gewisser Umstände strafbar sein können. Umgekehrt folgt aus der Regelung aber auch, dass diese Äußerungen nicht strafbar sein können, wenn „das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, . . .“ nicht hervorgeht.29 Gemeinhin hält man heutzutage die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ für einen Rechtfertigungsgrund.30 Ansichten, die hierin einen Schuldausschließungs29 Die Konsequenz, dass die zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemachten Äußerungen nicht strafbar sind, geht also nicht unmittelbar aus § 193 StGB hervor, sondern muss im Umkehrschluss aus der Norm gefolgert werden. Das wird im Schrifttum häufig nicht genau genug dargestellt, vgl.: Tröndle/Fischer, § 193, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 193, Rn. 1. 30 BGHSt 18, 182, 184, Urt. v. 15. Januar 1963, – 1 StR 478/62 – (CallgirlRing); Ignor, GS f. Schlüchter, S. 317, 319; Rudolphi, in: Systematischer Kommen-
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
grund31 oder einen allein im Strafrecht wirkenden Strafausschließungsgrund sahen32, sind überholt.33 b) Die Interessenabwägung als „Kernstück“ des § 193 StGB Weshalb ist es nun erlaubt, Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen34 zu machen? – Oben wurde der Wirkmechanismus von Äußerungen beschrieben: Äußerungen haben Wirkungen (die positiv oder negativ sein können), weil sie andere Menschen psychisch beeinflussen können, z. B. indem sie überzeugend, überredend, einschüchternd usw. wirken. Äußerungen, die einen Menschen negativ beeinflussen können, sind u. U. strafbar. Das ist dann der Fall, wenn die spezielle Art der möglichen oder tatsächlichen Wirkung in einem Straftatbestand des Besonderen Teils beschrieben ist.35 Nur auf eine solche Weise, nämlich durch psychische Beeinflussung, können Menschen aber auch dazu gebracht werden, Interessen anderer Menschen anzuerkennen. Beispielsweise kann in einem Zivilprozess der Gegner nur durch Äußerung entweder davon überzeugt werden, dass seine Position unrichtig oder unvernünftig ist, oder es kann – falls das keinen Erfolg hat – nur durch Äußerung dem Richter vor Augen geführt werden, dass die eigene Ansicht zutreffend ist. § 193 StGB ermöglicht es also, Interessen durch psychische Beeinflussung von Menschen durchzusetzen. Wenn das Interesse, zu dessen Durchsetzung die Äußerung dienen kann, das Interesse an der Unverletztheit der Ehre überwiegt (und durch keine „mildere“, gleich wirksame Äußerung ersetzt werden kann)36, tritt die rechtfertigende Wirkung des § 193 StGB ein.
tar, § 193, Rn. 1 a. E.; Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 193, Rn. 1; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 193, Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 193, Rn. 1; Lackner/ Kühl, § 193, Rn. 1; Regge, in: Münchener Kommentar StGB, § 193, Rn. 1. 31 RGSt 64, 23, 24, Urt. v. 21. Februar 1930, – I 47/30 –. 32 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 309; Günther, in: FS f. Spendel, S. 189, 196 f. 33 Regge, in: Münchener Kommentar StGB, § 193, Rn. 1. 34 Unter der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ wird hier jede in § 193 StGB genannte Äußerung verstanden, also auch die „Tadelnde[n] Urteile“ usw. Zum einen ist die Regelung im StGB so überschrieben und zum anderen ist diese Variante entweder ihr Hauptanwendungsbereich (Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 193, Rn. 8) oder der Oberbegriff über die anderen Varianten (Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 193, Rn. 1). 35 s. o. im 5. Abschnitt unter III. 3. 36 Tröndle/Fischer, § 193, Rn. 15.
16. Abschn.: Mögliche Einwände gegen dieses Konzept
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c) Die Konkretisierung des Interesses als Abgrenzungsmerkmal zur Auslegung Im Gegensatz zur Abwägung, die erforderlich ist, um eine Tatbestandserfüllung zu bejahen (was ist eine Aufgabe des Äußernden und was eine solche des Rezipienten?), sind die Interessen in diesem Zusammenhang relativ konkrete. Das heißt für das Konzept der Einordnung der Tathandlung „Äußerung“ in die strafrechtliche Dogmatik: Bei § 193 StGB geht es um die Abwägung zweier konkreter Interessen. Äußerungen, die der Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB unterfallen, tun das deswegen, weil sie auf die gleiche Art und Weise wirken, wie Äußerungen allgemein wirken. Nur geht es hier – im Gegensatz zur Gefährdung von Interessen bei der Tatbestandserfüllung – um die Ermöglichung einer Chance zur Rechtsdurchsetzung eines dem Äußernden konkret zustehenden Interesses. Daher geht es bei § 193 um die konkrete Abwägung; bei der Beantwortung der Frage nach der Tatbestandserfüllung hingegen geht es um Abwägung der Gefährdung von Interessen gegen das ganz allgemeine Interesse sich überhaupt kommunikativ betätigen zu dürfen. d) Die in der Dogmatik bekannte Unterscheidung von „Globalabwägung“ und „Abwägung konkreter Interessen“ So wird auch allgemein in der Dogmatik unterschieden. Das im Tatbestand zu problematisierende „erlaubte Risiko“ betrifft eine Globalabwägung, die Rechtfertigung aus überwiegendem Interesse – etwa bei der Anwendung des § 34 StGB – betrifft eine Abwägung im konkreten Fall.37 Diese – ohnehin schon vage – Differenzierung lässt sich auf die gezeigte Weise auch bei Äußerungen durchführen. Die Abwägung, die über die Tatbestandserfüllung entscheidet, betrifft den Interessengegensatz: Interesse an Kommunikation schlechthin gegenüber dadurch bewirkter Gefährdung irgendwelcher Rechtspositionen, § 193 StGB betrifft den Interessengegensatz: Recht auf Förderung der Durchsetzung eines hinreichend konkreten Interesses (z. B. des Eigentums in einem Zivilverfahren um einen Anspruch aus § 985 BGB) gegenüber dadurch bewirkter Gefährdung der Ehre. Die Grenze, wann ein Interesse, wie das Interesse an Kommunikation schlechthin, sich zu einen konkreteren Interesse auf Durchsetzung einer Rechtsposition verdichtet hat, lässt sich nicht genau beschreiben. Das gelingt aber auch bei der allgemeinen Abgrenzung des „erlaubten Risikos“ zur Rechtfertigung (etwa aus § 34 StGB oder der mutmaßlichen Einwilligung) nicht trennscharf. So spricht Jakobs davon, ein „erlaubtes Risiko“ 37
Roxin AT I, § 11, Rn. 60; ähnlich: Jakobs AT, 7/41.
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3. Teil: Die Erlaubtheit des Risikos
sei immer dann gegeben, wenn die Abwägung, die ansonsten in der Rechtfertigung durchzuführen wäre, zu umfangreich wäre, sodass man das Verhalten dann im Rahmen des „erlaubten Risikos“ als „historisch legitimiert“ ansieht.38 Da insofern nicht einmal im Allgemeinen die Kategorien „Tatbestand“ und „Rechtswidrigkeit“ genau voneinander abgegrenzt werden können, liegt der Gedanke nahe, dass es sich bei diesen Kategorien gar nicht um unterschiedliche Wertungsstufen handelt. Bestätigt wird der Gedanke noch dadurch, dass häufig gesagt wird, gewisse Äußerungen, die § 193 StGB dem Wortsinn nach unterfallen, seien bereits dem Tatbestand nach gar nicht als Beleidigungen anzusehen: So soll es in der Regel bei den „[t]adelnde[n] Urteile[n] über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen. . .“ und den „. . .Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen. . .“ liegen.39 Damit will man hier schon den Tatbestand verneinen (also nach herkömmlicher Diktion die entsprechenden Äußerungen wohl in einem nicht-ehrenrührigen Sinn auslegen), was heißt, dass man die Risikoschaffung durch die voraussehbar „gefährlichen“ Verständnismöglichkeiten im Hinblick auf die Chance(n), die aus der mit der Äußerung ebenfalls verbundene(n) „ungefährliche(n) Verständnismöglichkeit(en)“ ergeben, als erlaubt ansieht. Das Interesse daran, Leistungen zu tadeln und Untergebene zu rügen, ist zwar auf der einen Seite ein abstrakteres Interesse als das Interesse daran, konkrete Rechte (Ansprüche im Zivilprozess) durch Äußerung durchzusetzen, andererseits sind diese Interessen aber auch konkreter als das Interesse, sich überhaupt zu äußern, also die Meinungsfreiheit.
38
Jakobs, AT 7/36. So bereits: Kern, FG für Frank II, S. 353 f.; weiterhin: Roxin, AT I, § 18, Rn. 32; Herdegen, in: Leipziger Kommentar10, § 193, Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 193, Rn. 6. 39
4. Teil
Schlussbetrachtung
17. Abschnitt
Ergebnis und beispielhafte Anwendung auf konkrete Fälle Das vorliegende Werk hatte sich als Aufgabe gesetzt, die Grundsätze herauszuarbeiten, nach denen im Strafrecht Äußerungen ausgelegt werden müssen. Was lässt sich nun als Ergebnis festhalten? I. Ein „Schema“ zur Auslegung von Äußerungen Äußerungen sind verboten – und können verfassungsrechtlich nur verboten sein –, weil sie „gefährlich“ sind oder „gefährlich“ sein können. Sie sind jedoch nicht „an sich“ gefährlich und noch weniger sind es die einzelnen Wörter, aus denen sie bestehen. Eine Äußerung ist gefährlich, weil sie eine geistige Wirkung in anderen entfalten kann. Weil jedes Verbot einer Äußerung diese geistige Wirkung verhindern soll, müssen alle Äußerungen nach den gleichen Grundsätzen ausgelegt werden. 1. Der erste Schritt: Erfassung des gesamten Kontextes im „Empfängerhorizont“ Aus demselben Grund (Verhinderung der geistigen Wirkung einer Äußerung) gilt zudem: Für die Auslegung einer Äußerung kommt es neben ihrem Wortlaut maßgeblich auf den Empfänger und die konkrete Situation an, in der er sich befindet. Jeder, der die praktische Aufgabe der Bestimmung des Sinns einer Äußerung hat, muss deshalb Wert auf eine genaue Bestimmung der Situation des Empfängers legen. Das ist der erste Schritt der Sinnfeststellung. Dieselben Worte, in anderer Umgebung gegenüber anderen Empfängern gesprochen, können genau das Gegenteil aussagen. Es verbietet sich also schematisch vorzugehen. Keinesfalls darf man davon ausgehen, gewisse Wörter seien „an sich“ beleidigend. Unter dieser Prämisse müssen
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4. Teil: Schlussbetrachtung
auch Entscheidungen, die etwa in Kommentaren zitiert sind, verwendet werden. a) Grundlage der Auslegung: Beschreibung der Lage des Empfängers Es kommt in erster Linie nicht darauf an, welche Wörter im Parallelfall verwendet wurden, sondern darauf, ob die Konstellation, in der sich der Empfänger befindet, ähnlich ist. Das „Tippen an die Stirn“1 ist also nicht immer beleidigend, es kommt auf die Situation an: Geschieht es im Straßenverkehr, um dem unbekannten Fahrer sein (angeblich) verkehrsordnungswidriges Verhalten vor Augen zu führen, so liegt es nahe, aus dem Empfängerhorizont dieses Verhalten als Äußerung der Missachtung zu deuten. Geschieht dies aber zwischen zwei langjährig gut befreundeten Personen, die regelmäßig offen miteinander reden als Reaktion auf einen scherzhaften unsinnigen Vorschlag, so ist das nicht mehr der Fall. b) Beispiel: Die Entscheidung des BVerfG zu „Soldaten-sind-Mörder“ Das führt auch das Bundesverfassungsgericht im viel kritisierten „Soldaten-sind-Mörder-Beschluss“ aus.2 In diesem Beschluss ging es um vier Fälle; im Folgenden wird nur einer, nämlich der vierte, behandelt, weil er die meisten Probleme aufwirft. Dabei soll es in erster Linie nicht darum gehen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu verteidigen. Zwar wird hier die Ansicht vertreten werden, dass das Gericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat, aber entscheidend soll es darum gehen, darzulegen, dass das entwickelte Programm zur Sinnermittlung einen wesentlichen Nutzen hat: Es ist nämlich in der Lage, die unterschiedlichen Argumente, die sich sowohl auf der die Entscheidung verteidigenden Seite als auch der Gegenseite vorgebracht werden, zu strukturieren, und zwar in der Art und Weise, dass die unterschiedlichen Argumente an der Stelle in den Gedankengang eingebracht werden können, an der man sie anzusiedeln hat, sodass einer Vermischung auf verschiedenen Ebenen stehender Argumenten vorgebeugt wird. Der Sachverhalt ist folgender: Im November 1989 fand in München eine Motorradausstellung statt. Die Bundeswehr eröffnete einen Informationsstand, auf dem militärische Gerätschaften präsentiert und Informationsvideos über Übungen mit Fahrzeugen und Gerätschaften gezeigt wurden. 1
Tröndle/Fischer, § 185, Rn. 8 unter Verweis auf OLG Düsseldorf, NJW 1960, S. 1072 f., Urt. v. 2. März 1960, – 2 Ss 934/59 –. 2 BVerfG, NJW 1995, S. 3303 ff., Beschl. v. 10. Oktober 1995, – 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92 –.
17. Abschn.: Ergebnis und beispielhafte Anwendung auf konkrete Fälle
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Der Beschluss sagt das zwar nicht explizit, die Umstände – Motorradausstellung, Informationsvideos – lassen aber darauf schließen, dass es sich hier um eine Werbeveranstaltung der Bundeswehr handelte. Die Beschwerdeführerin sowie fünf andere Personen erschienen an diesem Stand; sie verteilten Flugblätter und die Beschwerdeführerin hielt ein Transparent mit der Aufschrift „Soldaten sind potentielle Mörder“ hoch. Dabei war das Wort „Mörder“ im unteren Drittel mit dem Wort „Kriegsdienstverweigerer“ überschrieben oder unterlegt. Die Flugblätter enthielten einen Text, der sich dagegen wandte, dass die Bundeswehr die Faszination der Technik darstelle, die Realität des Krieges aber verschweige. Drei der vier Bundeswehrsoldaten haben gegen die Beschwerdeführerin Strafanträge wegen Beleidigung gestellt, im Ergebnis wurde die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung verurteilt. Hiergegen wandte sie sich mit der Verfassungsbeschwerde, die insoweit Erfolg hatte, als die Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wurde. Ganz wesentlich bei der Bestimmung des Empfängerhorizonts ist hierbei der offensichtliche Umstand, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine „Pazifistin“ handelte und ein Flugblatt verteilt wurde, in dem sich insbesondere gegen die Präsenz der Bundeswehr auf „zivilen“ Veranstaltungen wie der Motorradmesse gewandt wurde.3 Sprechen diese Umstände zugunsten der Beschwerdeführerin, so spricht ein weiterer gegen sie (den das Bundesverfassungsgericht, da die Vorinstanz den Empfängerhorizont falsch zu ihren Ungunsten bestimmt hatte, nicht mehr umfassend ansprechen musste). Die Beschwerdeführerin zeigte das Plakat „vor“ dem Stand der Bundeswehr. Damit löste sie sich aus ihrer Rolle der gleichberechtigten Kritik am Auftreten der Bundeswehr durch ebensolches Auftreten heraus und griff die Bundeswehr (vor den Augen der Messezuschauer) an. Jedenfalls damit besteht die Möglichkeit, dass ihr Verhalten als persönlicher Angriff auf die am Stand befindlichen Soldaten verstanden werden kann. Ob die voraussehbare Verständnismöglichkeit in diesem Sinne letztlich durchschlägt oder vor dem Hintergrund, dass Kritik an der Bundeswehr möglich sein muss, hingenommen werden muss, bestimmt sich danach, ob die mit diesem Verhalten verbundenen Chancen die Risiken überwiegen. Um diese Abwägung durchführen zu können, muss zunächst der Umfang des „persönlichen Angriffs“ bestimmt werden. Dazu müssen die voraussehbaren Verständnismöglichkeiten in diesem Sinne durch eine genauere Bestimmung des Empfängerhorizonts umrissen werden. Mit Hilfe der im Beschluss mitgeteilten Tatsachen ist das nicht möglich. Es kommt in einem solchen Grenzfall insbesondere auf kleine Einzelheiten an, etwa wie aktiv die Bundeswehrsoldaten selbst auf der Veranstaltung warben, ob es schon 3
BVerfG, NJW 1995, S. 3303, 3308.
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4. Teil: Schlussbetrachtung
zuvor zu einem Zusammentreffen gekommen war und insbesondere ob die Beschwerdeführerin selbst noch weitere Dinge äußerte. 2. Der zweite Schritt: Relativierung des Empfängerhorizonts durch die Vorhersehbarkeit der Deutung Hat man den Empfängerhorizont bestimmt und kommt man damit dazu, die Äußerung könnte von dem Empfänger in inkriminierter Weise verstanden werden, so muss dieses Zwischenergebnis u. U. korrigiert werden. Denn man kann nur für das Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, dessen mögliche Auswirkungen (für einen selbst) voraussehbar waren. Dogmatisch kann man dieses Ergebnis auf unterschiedliche Weise erreichen: Man kann – wie hier – auf die sog. Lehre von der objektiven Zurechnung mit der Figur des „erlaubten Risikos“ zurückgreifen. Man kann aber auch bereits an dieser Stelle den Vorsatz ins Spiel bringen und fordern, der Äußernde müsse das mögliche Verständnis durch den Empfänger vorausgesehen haben. An dieser Stelle der Bestimmung des Sinns muss also bestimmt werden, ob der Äußernde damit rechnen musste (oder ob der Äußernde tatsächlich damit gerechnet hat), dass seine Äußerung vom Empfänger so verstanden werden kann. Sagt jemand zu einem Polizisten „Bulle“,4 so hängt die Frage der Beleidigung zunächst vom Empfängerhorizont ab. Hier wird sich in der Regel ergeben, dass der Empfänger das als beleidigend verstehen kann. Ob das für den Äußernden vorhersehbar war, hängt jetzt wieder vom Kontext ab: Handelt es sich beim Sprechenden um einen alkoholisierten Tatverdächtigen, der zuvor festgenommen wurde, so ist die beleidigende Verständnismöglichkeit voraussehbar. Handelt es sich bei dem Sprechenden um einen Staatsanwalt, der in einem bereits länger andauernden Gespräch, an dem noch andere Personen teilnehmen, erfahren hat, dass der so Genannte von den Anderen in demselben Gespräch bereits mehrfach so bezeichnet wurde, kann man die Voraussehbarkeit verneinen. Im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ist zu beachten, dass an dieser Stelle keinesfalls die Wertungen des Empfängers, also dass die Soldaten das Verhalten als ausschließlich beleidigend empfanden, übernommen werden darf, auch wenn das von der Beschwerdeführerin vorausgesehen werden konnte. Denn der oben skizzierte Empfängerhorizont wird nur durch die allgemeinen, dem Empfänger bekannten Bedeutungszuschreibungsregeln bestimmt, nicht von seinen „persönlichen“ Wertungen, derentwegen er ein solches Verhalten u. U. als beleidigend empfindet. Da der Vor4 Speziell zu diesem Ausdruck: Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 8 und Rn. 13.
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fall sich unter „normalen Menschen“ abgespielt hat, die die gleiche Sprache sprechen, und es nur auf die Sinnvermittlung ankommt (und nicht auf die Wertung in einem materiellen Sinn), war für die Beschwerdeführerin in vollem Umfang voraussehbar, wie das mögliche Verständnis ihres Verhaltens aus dem Empfängerhorizont beschaffen sein könnte. Da es um Bedeutungszuschreibungsregeln geht, nicht aber um das Nachvollziehen der Bewertung einer Verständnismöglichkeit als „beleidigend“, lautet die maßgebliche Frage nicht etwa, ob die B voraussehen konnte, dass die Soldaten das Plakat als sie beleidigend ansehen würden,5 sondern, ob die B voraussehen konnte, dass die Soldaten das Plakat – unabhängig davon, dass es generell gegen das Militär gewandt war – allein aufgrund des Sich-vor-dem-StandPostierens als gegen sie persönlich gerichtet verstehen konnten. Die Frage ist also, ob die Soldaten das Plakat als Äußerung im Sinne von „Ich wende mich gegen Soldaten allgemein, da sie meiner Ansicht nach verwerflich handeln, und auch gegen euch, da ihr ebenfalls Soldaten seid“ verstehen konnten, oder aber im Sinne der Äußerung „Ich wende mich gegen Soldaten allgemein, da sie meiner Ansicht nach verwerflich handeln; über euch persönlich sage ich aber nichts“. 3. Der dritte Schritt: Bestimmung möglicher anderer Verständnismöglichkeiten Hat man nach diesen beiden Schritten erkannt, dass eine so ermittelte Verständnismöglichkeit im Bereich eines „gefährlichen“ Sinns vorliegt (womit eine Risikoschaffung zu bejahen ist), so muss ermittelt werden, ob es nicht noch zumindest eine weitere „harmlose“ Verständnismöglichkeit gibt. Denn an diese „harmlosen“ Verständnismöglichkeiten anknüpfend kann sich eine Chance ergeben, aufgrund der die Risikoschaffung als erlaubt anzusehen sein kann. Falls es mehrere „harmlose“ Verständnismöglichkeiten gibt, so muss der Umfang des Feldes der „harmlosen“ Verständnismöglichkeiten ermittelt werden. Denn obwohl durch diese „harmlosen“ Deutungen kein Straftatbestand erfüllt werden kann, so sind sie doch nicht (straf-)rechtlich irrelevant. Wie gezeigt, muss die Frage, ob der Tatbestand erfüllt ist, durch das Ergebnis einer Abwägung beantwortet werden. Und die strafrechtlich bedeutungslosen „harmlosen“ Verständnismöglichkeiten zu vermitteln, fällt unter die nicht durch Strafgesetz eingeschränkte Meinungsfreiheit und wegen der in diesen Verständnismöglichkeiten liegenden Chancen können die 5 Hierauf scheinen die zugrunde liegenden Entscheidungen abzuheben, wenn sie – wie vom Bundesverfassungsgericht mitgeteilt (NJW 1995, S. 3303, 3308) – auf den besonderen Status der Soldaten generell abstellen, die im Krieg nur verteidigten und gerechtfertigt töteten. (In diese Richtung auch das Sondervotum Haas, NJW 1995, S. 3309, 3310).
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4. Teil: Schlussbetrachtung
ebenfalls denkbaren „gefährlichen“ Verständnismöglichkeiten als erlaubt anzusehen sein, sodass man insgesamt eine Tatbestandsverwirklichung zu verneinen hat. a) Beispiel: Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zu „Verkehrskontrolle als ‚Wegelagerei‘“ So hat das OLG Düsseldorf entschieden, in der Bezeichnung der Durchführung einer Verkehrskontrolle als „Wegelagerei“ liege unter gewissen Umständen keine Beleidigung der die Kontrolle durchführenden Beamten.6 Zunächst wird ausgeführt, dass dieser Ausdruck nicht unbedingt heißen müsse, dass die Polizisten auf einer Stufe mit Verbrechern stünden.7 Damit wird anerkannt, dass dieses Verständnis (aus dem Empfängerhorizont) jedenfalls aber möglich ist. Dann führt das OLG Düsseldorf aus, dass der Bezeichnung als „Wegelagerei“ ein unhöfliches Verhalten der Beamten vorausgegangen sei. Zudem sei – wohl aus dem Gesprächsverlauf – klar gewesen, dass der Äußernde solche Kontrollen generell ablehne.8 Damit hebt das Gericht zunächst auf die korrekte Erfassung des Empfängerhorizonts (bzw. die Voraussehbarkeit eines gewissen Empfängerhorizonts) ab. Durch diese Ausführung (Vorangehen eines unhöflichen Verhaltens der Beamten), erklärt das Gericht, der Äußernde habe davon ausgehen dürfen (Voraussehbarkeit), sein Ausspruch könne auch als zugespitzte Kritik am gesamten Verhalten der Beamten verstanden werden. Indem das Gericht ausführt, der Angeklagte lehne solche Kontrollen generell ab, hebt es ebenfalls darauf ab, aus dem Horizont des Äußernden sei der Empfängerhorizont so beschaffen, dass sich aus der Äußerung ergebe, das Verhalten der Beamten solle kritisiert werden. Damit ist es neben der Verständnismöglichkeit „Beamten = Wegelagerer = Verbrecher“ ebenfalls möglich und wohl auch nahe liegend, dass die Äußerung des Angeklagten noch in einem anderen Sinn aufgefasst werden kann, nämlich als (überspitzte) Kritik an Verkehrskontrollen allgemein und speziell an dieser (mit den unhöflichen Beamten) im Besonderen oder einfach nur als Versuch, sich mit den Beamten mit Worten über ihr Tun auseinander zu setzen. Für die praktische Rechtsanwendung ist es sehr vorteilhaft, wenn es gelingt, diese alternativen Verständnismöglichkeiten plakativ zusammenzufassen. In diesem Fall ist die Verständnismöglichkeit „Beamte werden als We6 OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 295 ff., Beschl. v. 26. März 2003, – 2b Ss 224/02 –. 7 OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 295, 296. 8 OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 295, 296.
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gelagerer bezeichnet und Wegelagerer sind Verbrecher“ sprachlich besonders eingängig. Wenn man das Gegenteil plausibel machen will, ist es zweckmäßig, alternative (harmlose) Verständnismöglichkeiten ebenso eingängig zu bezeichnen. b) Beispiel: Die Entscheidung des BVerfG zu „Soldaten-sind-Mörder“ Im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ist die zweite (harmlose) Verständnismöglichkeit klar und bereits oben beschrieben worden. Es ist eindeutig, dass die Beschwerdeführerin sich jedenfalls auch gegen das Militär generell wandte, was zweifellos zulässig ist. Die Frage ist auf der folgenden Stufe nur, ob im Hinblick auf die mit dieser Verständnismöglichkeit verbundene Chance die Risikoschaffung durch die andere (gefährliche) Verständnismöglichkeit als erlaubt anzusehen ist. Wie bereits oben dargestellt, kann dieser Frage hier aufgrund lückenhafter Mitteilung des Tatsachenmaterials durch das Bundesverfassungsgericht nicht weiter nachgegangen werden. Das Gericht selbst hat die Frage der Tatbestandsverwirklichung ebenfalls nicht abschließend entschieden, vielmehr sind alle Fälle an die Strafgerichte zurückverwiesen worden. An dieser Stelle sind – wie bereits ausgeführt – kleinste Umstände relevant (vorangegangenes Verhalten der Beschwerdeführerin und der Soldaten, generelles Auftreten der Beteiligten, Gesichtsausdruck bei den Äußerungen etc.). 4. Der vierte Schritt: Abwägung Als letztes muss das geschaffene Risiko gegen die durch die „harmlose“ Verständnismöglichkeit geschaffene Chance abgewogen werden. Dabei ist darauf zu achten, wie „gefährlich“ oder „chancenreich“ die einzelnen Verständnismöglichkeiten tatsächlich sind, wie wahrscheinlich sie sind und welche Rechtsgüter jeweils betroffen sind. a) Der Einfluss der betroffenen Rechtsgüter und die Breite des Feldes der voraussehbaren Verständnismöglichkeiten D.h. wenn – wie in den oben angesprochenen Fällen – ein Feld von nur ehrverletzenden Verständnismöglichkeiten mit einem Feld von in die unbeschränkte Meinungsfreiheit fallenden Verständnismöglichkeiten abgewogen werden muss, kann ein breiteres Feld von „gefährlichen“ Verständnismöglichkeiten akzeptiert werden, als wenn andere Rechtsgüter in Rede stehen würden. Anders liegen würde es demnach – ceteris paribus – ganz sicher, wenn es statt einer u. U. beleidigenden etwa um eine u. U. zum Totschlag
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4. Teil: Schlussbetrachtung
anstiftende Äußerung gegangen wäre. Sollte hier die (voraussehbare) Möglichkeit, dass der Rezipient die Äußerung als motivierend versteht, genauso groß oder gar erheblich geringer sein als zuvor das Feld der voraussehbar beleidigenden Verständnismöglichkeiten, so ist die Erfüllung des Tatbestands der Anstiftung zum Totschlag sehr viel früher zu bejahen. Denn das höchstwertige Rechtsgut „Leben“ verhilft dem sehr kleinen Feld von motivierenden Deutungen zu einem solchen Gewicht, sodass in der Abwägung die Meinungsfreiheit viel früher dahinter zurückzutreten hat. (Das ist auch der Grund, weshalb bei anstiftenden Äußerungen in der praktischen Anwendung niemals von der Meinungsfreiheit die Rede ist: Sie spielt bei der Abwägung nahezu nie eine Rolle). b) Beispiel: Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zu „Verkehrskontrolle als ‚Wegelagerei‘“ Im Ergebnis ist die im Urteil vorgenommene Abwägung zwischen den möglichen voraussehbaren Verständnissen im hier mitgeteilten Fall des OLG Düsseldorf wohl weitgehend offen. Es verblüfft aber, dass das OLG sehr umfangreiche, bis ins Einzelne gehende Ausführungen zur Auslegung macht und im Ergebnis dazu zu kommt, das Amtsgericht habe unzutreffend ausgelegt, um sodann zu erklären, die Sache sei nicht weiter aufklärbar, sodass direkt ein Freispruch erfolgen könne (§ 354 Abs. 1 StPO).9 Angesichts des wie oben aufgezeigt sehr „knappen“ Abwägungsergebnisses ist es schwer vorstellbar, dass nicht noch andere Aspekte – insbesondere die Körpersprache usw. – Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit des einen oder anderen voraussehbaren möglichen Verständnisses hätten haben können, sodass wohl eine neue Verhandlung vor dem Tatrichter geboten gewesen wäre (§ 354 Abs. 2 StPO). II. Zusammenfassung und Ausblick Das oben kurz zusammengefasste Programm zur Bestimmung des Sinns einer Äußerung ist zugegebenermaßen vage. Zum einen ist kaum exakt zu sagen, 1. wie der Empfängerhorizont in einem konkreten Fall beschaffen ist, 2. welche Deutungen durch den Rezipienten für den Äußernden vorhersehbar waren und 3. wie eine Abwägung im Detail durchzuführen ist. Je nachdem, wie lange die Betroffenen beispielsweise bereits miteinander zu tun haben, kann sich der Empfängerhorizont ändern. Je nachdem, welchem Land, welcher Region, welcher sozialen Schicht usw. der Äußernde entstammt, kann sich die Voraussehbarkeit ändern. Je nachdem, wie weit man 9
OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 295, 296.
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in die Vergangenheit zurückblickt, sich künstlerischen o. ä. Argumenten öffnet, kann man weitere, „harmlose“ Verständnismöglichkeiten finden, die dann mit entsprechendem Gewicht in die – ohnehin kaum rational nachzuvollziehende Abwägung – einfließen. Zum anderen kann man häufig bereits nicht einmal sagen, auf welcher Ebene ein spezielles Argument anzusiedeln ist: Wenn Kurt Tucholsky bereits geäußert hat: „Soldaten sind Mörder“, so gibt das dem Satz eine gewisse Deutungsfacette, die dieser immer wenn er ausgesprochen wird, mit sich führt. Diese Deutungsfacette – so könnte man in einem konkreten Fall argumentieren – führe dazu, dass der Empfängerhorizont bereits so beschaffen sei, dass der Satz sich nicht auf Soldaten der Bundeswehr beziehen könne. Man könnte argumentieren, vor dem Hintergrund der Person Tucholskys sei klar, dass der Äußernde nicht habe voraussehen können, dass der Satz als beleidigend empfunden werde. Man könnte letztlich auch argumentieren, die historische Komponente setze sich mit dem Krieg allgemein auseinander; das führe in der Abwägung unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit dazu, dass die Äußerung im Bereich des erlaubten Risikos liege. Je nachdem, wie der in Rede stehende Fall beschaffen ist, dürfte jede der oben genannten Argumentationen mehr oder weniger schlüssig sein. Damit steht fest: Gerade in Fällen, in denen bekannte Äußerungen in Rede stehen, ist es häufig schwierig, rational nachvollziehbar die Frage zu entscheiden, ob durch sie ein bestimmter Tatbestand erfüllt wird. Aufgrund des eigenen Vorverständnisses liegt häufig ein mögliches Verständnis nahe; aufgrund der großen Bandbreite der Faktoren, die auf das mögliche Verständnis Einfluss haben, ist eine Vielzahl von Argumenten denkbar, durch die Gegner der eigenen Ansicht die Möglichkeit zum Angriff haben. Prozesse um die „richtige“ Auslegung dürften also auch in Zukunft interessant und umfangreich bleiben. Hat man in einen konkreten Fall zu bewerten, ob eine Äußerung unter einen bestimmten Tatbestand fällt, so steht nicht von vorneherein fest, was das Ergebnis sein wird und wie man es zu begründen hat. Die vorliegende Abhandlung soll und kann aber als Hilfe dienen, zu entscheiden, welche Gesichtspunkte man an welcher Stelle benutzen kann und darf, um „sein“ Verständnis von der Reichweite eines bestimmten Tatbestands (in der Diktion vom Sinn: „sein“ Verständnis von der Auslegung der Äußerung) überzeugend zu begründen. Wenn man sich der Rolle bewusst geworden ist, die die Auslegung im Strafrecht spielt, fällt es zum einen leichter, für das eigene favorisierte Verständnis eines Äußerungstatbestand rationale Begründungen zu finden und Argumente zu sammeln, um auf diese Weise Andere zu überzeugen. Zum anderen kann man auf diese Weise aber auch enthüllen, welchen Irrtümern die Vertreter des bekämpften
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4. Teil: Schlussbetrachtung
Auslegungsergebnisses erliegen und welche Aspekte sie, obwohl sie relevant sind, nicht in Betracht gezogen haben, weil sie sich durch ihr Vorverständnis den Blick darauf verstellt haben. Letztlich lässt sich festhalten: Im Strafrecht verhält es sich mit der Auslegung zum Teil ähnlich wie im Zivilrecht. In kritischen Fällen ist kaum vorherzusehen, wie eine gerichtliche Entscheidung aussehen wird. Hier wie dort kann nur eine enorme Vielzahl von durch die Rechtsprechung entschiedenen Fällen einigermaßen Rechtssicherheit schaffen. Diese Erkenntnis sollte sich auch im Strafrecht durchsetzen, trotz einer nahe liegenden Scheu, denn dadurch gesteht man keineswegs eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes des Art 103 Abs. 2 GG ein. Art 103 Abs. 2 GG fordert zu Recht „daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind“.10 Doch die Ausarbeitung hat ebenfalls gezeigt, dass sich nicht darauf verzichten lässt, kommunikatives Verhalten zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Der Gesetzgeber darf in diesem Rahmen der „Vielgestalt des Lebens Rechnung [..] tragen“ und im Grundsatz lässt „sich nicht darauf verzichten [..], Begriffe zu verwenden, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen“.11 Das gilt selbstverständlich und im besonderen Maße auch dann, wenn die Konkretisierung des einzelnen Straftatbestands so komplex ist, dass sie sich eingängiger als Auslegung der Tathandlung darstellen lässt.
10
BVerfGE 47, 109, 120, Beschl. v. 17. Januar 1978, – 1 BvL 13/76 –; ähnlich zuletzt: BVerfG, NJW 2002, S. 1779, Urt. v. 20. März 2002, – 2 BvR 794/95 – (Vermögensstrafe). 11 BVerfGE 47, 109, 120.
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Sachregister actio libera in causa 150 Allgemeine Handlungsfreiheit 39, 84 Analogieverbot, Art 103 Abs. 2 GG 45, 98, 119, 142 Anstiftung, § 26 StGB 30, 93, 152 Aufstacheln zum Angriffskrieg, § 80 a StGB 108 Auschwitz-Lüge 44 Auslegung – der Verfassung 78 – dogmengeschichtlich 114 – genetische 114 – grammatische 109, 111 – historische 109, 114 – Schlüsselfunktion der 50 – subjektive Theorie der 102, 229 – systematische 109, 112, 144–145 – teleologische 109, 114 – von Äußerungen 23, 32 – von Gesetzen 23, 26, 29, 32, 109, 116 – von Prozesshandlungen 24, 225 – von Rechtsgeschäften 24, 225 – von Testamenten 24, 226 – von Verträgen 24, 224 – von Verwaltungsakten 24, 224 – von Willenserklärungen 24, 110, 224, 271 Aussagedelikte, §§ 153 ff. StGB 151 Äußerung 233 – anonyme 138 – Definition der 52, 139 – psychologischer Begriff 220 – Unerlaubtheit einer 118 – unverständliche 111
Äußerungsdelikte 22, 38, 92, 140 – „höchstpersönliche“ 132 Beleidigung, § 185 StGB 39, 44, 77, 140 – tätliche 112 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, § 166 Abs. 1 StGB 23, 140 Bestechlichkeit, § 332 Abs. 1 StGB 147, 271 Bestechung, § 334 Abs. 1 StGB 147, 178, 271, 272 Bestimmtheitsgebot, Art 103 Abs. 2 GG 78, 116, 294 Betrug, § 263 Abs. 1 StGB 33, 129, 152, 272 – Dreiecks- 100 – durch Behaupten „wahrer“ Tatsachen 96 Beurteilungsspielraum – des Gesetzgebers 73 „Bulle“ 106, 198, 229, 288 Computerbetrug, § 263 a Abs. 1 StGB 160 Delikt – verhaltensgebundenes 82, 136 Dogmatik 123, 280 „Doppelvogel“ 173 Ehrbegriff – faktischer 46, 85, 86, 193 – normativer 46, 85, 87 – personaler 80
Sachregister Ehre 46, 77 Ehrenschutz – „Liquidierung“ des 222, 273, 275 – und Meinungsfreiheit 47 – von Soldaten 48 – zivilrechtlicher 49 Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz 99, 213 Eindruck 192 Einheit der Rechtsordnung 113 Empfängerhorizont 95, 226, 289, 292 Erfolgsdelikte 59, 66 – verhaltengebundene 21 Erfolgsunrecht 88 erlaubtes Risiko 53, 202, 283, 288 Falsche Verdächtigung, § 164 Abs. 1 StGB 125, 144, 152 Fälschung technischer Aufzeichnungen, § 268 Abs. 1 StGB 162 Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c Abs. 1 StGB 149 Gefährdungsdelikte – abstrakte 37, 61, 68, 70, 81, 240 – konkrete 67 Generalprävention 54 Gesetzesumgehung 45 Gesinnungsjustiz 105 Globalabwägung 283 „Grund-Rechtsgut“ 66
Kommunikation 35, 38, 43, 113, 254, 262, 265, 267, 272, 274 Kontrahierungszwang 90 Kreditgefährdung, § 187 StGB 90, 199 Kunstfreiheit, Art 5 Abs. 3 GG 28, 245, 260, 263, 264 Lehrbuchkriminalität 46 Meinungsfreiheit, Art 5 Abs. 1 GG 39, 40, 245, 247, 249, 260, 265, 291 mittelbare Täterschaft 150 nuda cogitatio 104 objektive Wertordnung 280 objektive Zurechnung 53, 73, 288 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 Abs. 1 StGB 23, 95, 143 personale Entfaltung 67, 77, 79 „Pestbeule“ 173 Pflichtdelikt 136 Polizei- und Ordnungsrecht 42 Pornografie 262 Presserecht 43 Privatautonomie 24, 228, 231
invitatio ad offerendum 148 Ironie 264 isolierte Beweismittelfiktion 127, 143
Rechtsgüterschutz 51, 54 – mittelbarer 118 Rechtsgutsbegriff – positivistischer 57 – systemimmanenter 57 – systemkritischer 58 – teleologischer 57 Rechtsgutskonzept – dualistisches 64 – monistisches 63
Kausalität 66, 68 Kernstrafrecht 36 Klimaschutzdelikte 37
Satire 263 – „Aussagekern“ 263 – „Einkleidung“ 263
Handlungsobjekt 57 Handlungsunrecht 88, 91
311
312
Sachregister
Scherz 196 Scherzerklärung, § 118 BGB 197 Schrift, § 11 Abs. 3 StGB 132, 159 Selbstzensur 40 „Soldaten-sind-Mörder“ 36, 46, 286–287, 293 Spezialprävention 54 „Stinkefinger“ 187 Subventionsbetrug – leichtfertiger, § 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB 189 Tatherrschaft 96 Tätigkeitsdelikte 22 Tatmittel 139 Tatobjekt 55, 139 Tatsachenfeststellung 276 Tatsachenmanipulation 129, 135, 153 Tatumstandsirrtum 31 Trunkenheit im Verkehr, § 316 Abs. 1 StGB 149 Übertragungsmetapher 265–267, 269 Üble Nachrede, § 186 StGB 135, 143 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 Abs. 1 StGB 62, 189 Urkundenfälschung, § 267 Abs. 1 StGB 59, 71, 156 Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 StGB 158 Verabredung zu einem Verbrechen, § 30 Abs. 2 StGB 234, 267
Verbreitungsdelikte 131, 159 verhaltensgebundene Delikte 61 Verhaltensnormen 43 Verkehrsanschauung 98, 130 Verleumdung, § 187 StGB 90, 135, 143 Vermögensgefährdung – als Vermögensschaden 33 Versuch, § 22 StGB 105 – abergäubischer oder irrealer 74 Vertragsfreiheit 24 Verwendungsdelikte 219, 234 „Vogel“ 286 Volksverhetzung, § 130 Abs. 1 StGB 23, 93, 133, 140 Vorfeldkriminalisierung 38, 52 Vorverständnis 182, 293 Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB 53, 209, 281 „Waschbrettkopf“ 173, 187 Wechselwirkungslehre 211 Willenstheorie 107 Wissenschaftsfreiheit, Art 5 Abs. 3 GG 256, 260 Zeichen – Konventional- 131 – natürliche 127, 130 „Zwischenrechtsgut“ 60