Die Anwendbarkeit von Schiedsvereinbarungen auf Kartellschadensersatzansprüche [1 ed.] 9783428585311, 9783428185313

Die Beziehung von Kartellrecht und Schiedsrecht ist eine wechselvolle. Bei der schiedsgerichtlichen Beilegung kartellrec

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German Pages 416 [417] Year 2022

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Die Anwendbarkeit von Schiedsvereinbarungen auf Kartellschadensersatzansprüche [1 ed.]
 9783428585311, 9783428185313

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 334

Die Anwendbarkeit von Schiedsvereinbarungen auf Kartellschadensersatzansprüche

Von

Ole Schley

Duncker & Humblot · Berlin

OLE SCHLEY

Die Anwendbarkeit von Schiedsvereinbarungen auf Kartellschadensersatzansprüche

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 334

Die Anwendbarkeit von Schiedsvereinbarungen auf Kartellschadensersatzansprüche Von

Ole Schley

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-18531-3 (Print) ISBN 978-3-428-58531-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist während meiner Zeit als Doktorand an der Universität Hamburg und Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg entstanden und wurde im Sommersemester 2021 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung ist der Stand der Forschung bis einschließlich September 2021 berücksichtigt worden. Zuvorderst möchte ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Reinhard Ellger, LL.M. (Univ. of Pennsylvania), bedanken, der die Erstellung dieser Arbeit nicht nur durch seine akademische Anleitung, sondern auch durch seine unprätentiöse, humorvolle und zugewandte Art vorbehaltlos unterstützt hat. Ich habe sowohl das Betreuungsverhältnis als auch die gewährte umfassende wissenschaftliche Freiheit sehr zu schätzen gewusst. Herrn Prof. Dr. Reinhard Bork danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt daneben der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle und ideelle Förderung, die meinen Horizont in vielfacher Hinsicht erweitert hat und die ich – noch dazu in Zeiten einer Pandemie – als großes Privileg empfunden habe. Eine Vielzahl an Menschen hat darüber hinaus den Entstehungsprozess dieser Arbeit begleitet. In besonderer Weise hervorheben möchte ich Christian Uffelmann, Eike Schmidt-Röh und Moritz Feldmann, denen ich für redaktionelle Durchsicht und manch kritische Diskussion zu danken habe. Mein tiefster Dank gilt überdies Laura Carolin Lange, ohne deren uneingeschränkte Unterstützung die Erstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Schließlich gilt mein Dank meinen Eltern Gabriele Albus und Jörn Schley für die Ermöglichung meines Lebensweges und die fortwährende Unterstützung auf dem langen Pfad der juristischen Ausbildung. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Januar 2022

Ole Schley

Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einleitung

33

A. Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 D. Vier Steine des Anstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Kapitel 2 Bestandsaufnahme

38

A. Grundlagen, Begrifflichkeiten und Kurzüberblick über den Untersuchungsgegenstand I. Kartell- und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Private enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Private Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit – ein Zielkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Korrektive zur Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . .

38 38 39 41 43 45

B. Kleine Geschichte der Kartellschiedsgerichtsbarkeit: Von der frühen Schiedsfeindlichkeit des Kartellrechts zur Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unionsrecht: „From distrust to embrace“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung und ein zweiter Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 47 52 59 62 62

C. Private enforcement und Kartellschadensersatz in der EU, Deutschland und den USA I. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. EU und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 73 102

D. Normqualität des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Kartellrecht als Teil der Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Kartellrecht als Teil des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 E. Überblick über Grundsätze der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . I. Regelungswerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das prozessual anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 107 112 112 113

10

Inhaltsübersicht VI. Empirisches zur Kartellschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

F. Teilweiser Exkurs: Rechtliche Grundlagen von Gerichtsständen und Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtsstände unter der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118 118 119 120

G. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Kapitel 3 Rechtsvergleichende Betrachtung

127

A. Der Ausgangspunkt: § 2 Federal Arbitration Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B. „Emphatic federal policy in favor of arbitration“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Ursprüngliche Lesart des FAA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Die Transformation des FAA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 C. Kernaussagen des Mitsubishi-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schiedsfähigkeit und Eignung der Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die second look doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die effective vindication doctrine und die prospective waiver doctrine . . . . . . . .

133 133 134 137 138 138

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung . . I. Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die second look doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die effective vindication doctrine und die prospective waiver doctrine . . . . . . . .

139 139 142 145

E. Die Agonie der effective vindication doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Anwendung in der weiteren höchstgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . II. Kristian v. Comcast Corp. (1st Cir. 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Dogmatische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Jüngere Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die prospective waiver doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 146 149 151 155 176

F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Antworten auf die untersuchten Fragen aus der Perspektive des US-amerikanischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Kapitel 4 Erste Kardinalfrage: Zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen

182

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Inhaltsübersicht

11

II. Versuche der Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereiches von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 III. Die Auslegung von Schiedsvereinbarungen am Maßstab des nationalen Rechts . 204 IV. Zusammenfassung der Auslegung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtssache CDC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtssache Apple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Die Rechtssache Wikingerhof/Booking.com . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236 236 242 246 259 260

C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Kapitel 5 Zweite Kardinalfrage: Zur Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren A. Grundlagen und Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erste Vorfrage: Bindung von Schiedsgerichten an Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . III. Zweite Vorfrage: Zur Kontrollmöglichkeit der Kartellrechtsanwendung durch ordentliche Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zweite Kardinalfrage: Zur Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Invalidierung von Schiedsvereinbarungen im Einredeverfahren . . . . . . . . . . II. Streitbeilegung außerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weitere Schlussfolgerungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 262 262 273 281 296 296 345 373 374

C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Kapitel 6 Ergebnisse

376

A. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 B. Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung

33

A. Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 D. Vier Steine des Anstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Kapitel 2 Bestandsaufnahme

38

A. Grundlagen, Begrifflichkeiten und Kurzüberblick über den Untersuchungsgegenstand 38 I. Kartell- und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II.

Private enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

III. Private Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit – ein Zielkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 V.

Korrektive zur Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 45

B. Kleine Geschichte der Kartellschiedsgerichtsbarkeit: Von der frühen Schiedsfeindlichkeit des Kartellrechts zur Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I.

USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Eine frühe Weichenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Aufstieg und Fall der public policy defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

II.

Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Das Land der Kartelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. „Die Geschichte der Kartellbildung ist auch eine Geschichte der privaten Schiedsgerichtsbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Der Weg zur Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

III. Unionsrecht: „From distrust to embrace“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Weitere Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 V. Zusammenfassung und ein zweiter Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

14

Inhaltsverzeichnis

C. Private enforcement und Kartellschadensersatz in der EU, Deutschland und den USA 63 I.

USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Normative Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Überblick über das kartellrechtliche Sanktionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Insbesondere: Kartellschadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Funktion des Kartellschadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Materiellrechtliche und prozessuale Privilegierungen von Kartellschadensersatzklägerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Treble damages & Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 cc) Class actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 dd) Discovery & pleading standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 ee) Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 ff) Passing-on defence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 gg) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Internationales Kartellprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

II.

EU und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Normative Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Überblick über das kartellrechtliche Sanktionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Insbesondere: Kartellschadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Zweck des Kartellschadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 aa) Verlautbarungen der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Verfahrenszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Materiellrechtliche und prozessuale Privilegierungen von Kartellschadensersatzklägerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Haftungstatbestand und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 cc) Verfahrensharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 dd) Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Stand der europäischen Sekundärrechtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . 87 (2) Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (3) Deutsche Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (4) Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (5) Abtretungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 ee) Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 ff) Passing-on defence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 gg) Rolle der Wettbewerbsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 hh) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Inhaltsverzeichnis

15

d) Allgemeine Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) § 280 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Cic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Internationales Kartellprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Die Anknüpfung der Art. 101 f. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Das auf Schadensersatzansprüche nach Maßgabe der Rom-Verordnungen anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Mitgliedstaatliche Sonderkollisionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 D. Normqualität des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Kartellrecht als Teil der Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II.

Kartellrecht als Teil des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

E. Überblick über Grundsätze der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 105 I.

Regelungswerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

II.

Die Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Trennung von Hauptvertrag und Schiedsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Objektive Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Materielle Unwirksamkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Reichweite von Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Persönliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

4. Wirkungen der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Das prozessual anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. Das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 V.

Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Verfahren in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Verfahren in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

VI. Empirisches zur Kartellschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 F. Teilweiser Exkurs: Rechtliche Grundlagen von Gerichtsständen und Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. II.

Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

III. Gerichtsstände unter der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

16

Inhaltsverzeichnis 2. Gerichtsstände gem. Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, oder: extensives forum shopping im Kartelldeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Abwehrmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Gerichtsstandsvereinbarungen gem. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . 124 a) Wirksamkeit und persönliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

G. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Kapitel 3 Rechtsvergleichende Betrachtung

127

A. Der Ausgangspunkt: § 2 Federal Arbitration Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B. „Emphatic federal policy in favor of arbitration“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. II.

Ursprüngliche Lesart des FAA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Die Transformation des FAA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

C. Kernaussagen des Mitsubishi-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II.

Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Mehrheitsvotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Minderheitenvotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

III. Schiedsfähigkeit und Eignung der Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Die second look doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 V.

Die effective vindication doctrine und die prospective waiver doctrine . . . . . . . . 138

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung . . 139 I.

Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

II. Die second look doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Die effective vindication doctrine und die prospective waiver doctrine . . . . . . . . 145 E. Die Agonie der effective vindication doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Die Anwendung in der weiteren höchstgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . 146 1. Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp und 14 Penn Plaza LLC v. Pyett . . . . 146 2. Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Kristian v. Comcast Corp. (1st Cir. 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Dogmatische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Inhaltsverzeichnis

17

IV. Jüngere Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Der rechtspolitische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Class actions vor dem Supreme Court: AT&T Mobility LLC v Concepcion . . 157 3. American Express Co. v. Italian Colors Restaurant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Mehrheitsmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Minderheitenvotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 d) Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Eine Nahaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Eine Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 V.

Die prospective waiver doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

II.

Antworten auf die untersuchten Fragen aus der Perspektive des US-amerikanischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Kapitel 4 Erste Kardinalfrage: Zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen

182

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I.

Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Gleichklang der Auslegung von Forenwahlklauseln nach nationalem Recht 183 2. Auslegungsgrundsätze bei deliktischen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Klauselarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Enge Forenwahlklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Weite Forenwahlklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 d) Bedeutung der Unterscheidung für den Fortgang der Untersuchung . . . . . . 188 3. Weite Auslegung auch im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

II.

Versuche der Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereiches von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Vorhersehbarkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Maßstäbe der deliktischen Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Betrügerische und sonst vorsätzliche, deliktische Schädigungshandlungen 192 d) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 e) Schutzgutbezogener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 f) Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Exkurs: Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) One-stop adjudication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

18

Inhaltsverzeichnis b) Fiona Trust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Ryanair v Esso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Microsoft v Sony . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 III. Die Auslegung von Schiedsvereinbarungen am Maßstab des nationalen Rechts

204

1. Das subjektive Vorstellungsbild der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Auslegung des Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Die ökonomische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Die Vorhersehbarkeit schädigender Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 d) Das zeitliche Moment (die vorvertragliche Schädigung) . . . . . . . . . . . . . . . 210 e) Grad des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 f) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 g) Exkurs: Prozessuale Hindernisse – doppelrelevante Tatsachen . . . . . . . . . . 214 2. Der objektive Nexus: Ein „Zusammenhang mit dem Vertrag“ . . . . . . . . . . . . . 215 a) Im engen sachlichen Zusammenhang mit Ansprüchen aus § 33a Abs. 1 GWB stehende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Zur Frage eines neben § 33a Abs. 1 GWB bestehenden Schadensersatzanspruchs gem. § 280 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (1) Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (2) Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Die bereicherungsrechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Konsequenz: Vertragliche Scharade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Ursächlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Die Berücksichtigung spezifisch kartellrechtlicher Besonderheiten bei der Auslegung der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Weitere Schadenspositionen, insbesondere Preisschirmschäden . . . . . . 230 bb) Komplexe Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Schutzgutbezogene Erwägungen im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Zusammenfassung der Auslegung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I.

Rechtssache CDC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Schlussantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

II.

Rechtssache Apple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Schlussantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Inhaltsverzeichnis

19

3. Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 4. Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Zum Derogationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Zur persönlichen Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Zur sachlichen Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 aa) Eine Auslegung nach europäischen Maßstäben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 cc) Art. 101 und Art. 102 AEUV als Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . 254 d) Rechtspolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Übertragbarkeit auf Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Exkurs: Die Rechtssache Wikingerhof/Booking.com . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Kapitel 5 Zweite Kardinalfrage: Zur Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

262

A. Grundlagen und Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I. Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Effektivitätsmaximen im unionsrechtlichen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Der Grundsatz des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Der Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Das Recht auf einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf 265 d) Abgrenzung von Effektivitätsgebot und effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Zur Anwendung des Unionsrechts durch Organe der Rechtsprechung . . . . . . . 267 a) Zum Recht auf ein Unionsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Autonomie des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Die justizverfassungsrechtliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 cc) Die institutionelle Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Keine institutionelle Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Rechtssache Eco Swiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 cc) Rechtssache Achmea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II.

Erste Vorfrage: Bindung von Schiedsgerichten an Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . 273 1. Schiedsgerichte mit Sitz in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

20

Inhaltsverzeichnis 2. Schiedsgerichte mit Sitz außerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Stimmen wider die Anwendung durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Stimmen für die Anwendung durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 c) Ethische Pflicht zur Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Zweite Vorfrage: Zur Kontrollmöglichkeit der Kartellrechtsanwendung durch ordentliche Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Schiedsgerichte . . . . . . . . . 282 2. Zum Streit um den anwendbaren Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Minimalistischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Maximalistischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (1) Einfluss des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (2) Einfluss des Effektivitätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 bb) Zur Reichweite des kartellrechtlichen ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

B. Zweite Kardinalfrage: Zur Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 I. Die Invalidierung von Schiedsvereinbarungen im Einredeverfahren . . . . . . . . . . 296 1. Dogmatische Grundlagen und Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 a) Allgemeine Anwendbarkeit auf Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Konkrete Anwendbarkeit und näherungsweise Bestimmung eines konkreten Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Bewertung einzelner Aspekte des kartellrechtlichen private enforcement . . . . 304 a) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Beteiligung der Wettbewerbsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 c) Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 d) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 e) Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 f) Beweisregelungen und passing-on defence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 g) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Komplexe kartelldeliktische Ausgleichsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Zur Bedeutung der gesamtschuldnerischen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 b) Anfängliche Möglichkeiten zur Beteiligung Dritter und zur Verfahrenskonsolidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 aa) Vor staatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 bb) Vor Schiedsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Inhaltsverzeichnis

21

cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 c) Insbesondere: Abtretungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Status Quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 bb) Bedeutung kollektiver Rechtsschutzmechanismen für die effektive Verwirklichung des EU-Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (1) Auffassung, wonach ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz anzunehmen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (2) Auffassung, wonach ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz abzulehnen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (a) Normative Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 (b) Widerstreitende Zielvorstellungen des europäischen Gesetzgebers und historische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 (c) Positionierung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (d) Grenzen des Vergleichs von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (e) Schlussfolgerung: Anwendung des allgemeinen Maßstabs . . . . 329 d) Nachträgliche Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 aa) Bedeutung der prozessualen Instrumente zur Harmonisierung komplexer Rechtsverhältnisse vor ordentlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (1) In Theorie… . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (2) … und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 bb) Streitverkündung und Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (1) Streitverkündung aus einem laufenden Schiedsverfahren . . . . . . . . 335 (2) Streitverkündung aus einem laufenden Gerichtsverfahren . . . . . . . . 337 (3) Korrekturen mit dem Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 cc) Verfahrenskonsolidierung und Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 e) Effektive Rechtsdurchsetzung im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 f) Sonderfall der auseinanderfallenden Schadenspositionen . . . . . . . . . . . . . . 341 g) Anmerkungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Beschränkte Gesamtwirkung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . 342 bb) Weiterentwicklung der Streitverkündungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 cc) Weiterentwicklung des kollektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 344 h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II.

Streitbeilegung außerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 1. Die hierzu vertretenen Ansätze im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 a) Territoriale Begrenzung der Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 b) Ordre public-Kontrolle der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 aa) Die Ingmar-Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 bb) Die Rechtsprechung deutscher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 (1) BGH, Urt. v. 30. 01. 1961 – VII ZR 180/60 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

22

Inhaltsverzeichnis (2) BGH, Urt. v. 15. 06. 1987 – II ZR 124/86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (3) OLG München, Urt. v. 17. 05. 2006 – 7 U 1781/06 . . . . . . . . . . . . . . 349 (4) OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. 12. 2011 – 5 U 126/11 . . . . . . . . . . . . 350 (5) BGH, Beschl. v. 05. 09. 2012 – VII ZR 25/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (6) Rechtsprechung des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 cc) Stimmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 dd) Haager Gerichtsstandsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 ee) Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf Kartellschadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 c) Kontrolle der Schiedsvereinbarung am Maßstab der Effektivitätsmaximen 353 aa) Weiterentwicklung aus der ordre public-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 353 bb) Rechtssache CDC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 cc) Rechtssache Achmea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 dd) Eine geänderte Auffassung der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . 355 2. Dogmatische Kritik an den Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Ordre public-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Effektivitätsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3. Bewertung der Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 a) Stellungnahme zur ordre public-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 b) Stellungnahme zu den Effektivitätsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Zwei grundlegende Stützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 (1) Verstoß gegen das Effektivitätsgebot des EU-Wettbewerbsrechts

364

(2) Verstoß gegen den effet utile des Justizverfassungsrechts . . . . . . . . 365 bb) Zwei Schlussfolgerungen für die verhältnismäßige Anwendung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (1) Einwirkung auf das Einredeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (2) Einwirkung auf das Anerkennungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 III. Weitere Schlussfolgerungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Kautelarjuristisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. Für welche Partei lohnt sich die Erhebung der Schiedseinrede? . . . . . . . . . . . 374 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Kapitel 6 Ergebnisse

376

A. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 B. Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Inhaltsverzeichnis

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

Abkürzungsverzeichnis 1st/2nd/3rd/4th/5th/6th/7th/8th/ 9th/10th/11th Cir. A. a. A. AAA ABl. Abs. AcP ACPERA a. E. AEUV a. F. aff’d AfP AG AGB Akron L. Rev. Amex Am. Rev. Int’l Arb. Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. AnwBl Online App. Div. Arb. Int’l Ariz. L. Rev. Art. ASA Bulletin AWD Az. B2B B2C BauR BB BDI BeckOGK BeckOK BeckRS Beil.

United States Court of Appeals for the First/Second/Third/Fourth/ Fifth/Sixth/Seventh/Eigth/Ninth/Tenth/Eleventh Circuit Auflage andere(r) Ansicht American Arbitration Association Amtsblatt der Europäischen Union Absatz/Absätze Archiv für die civilistische Praxis Antitrust Criminal Penalty Enhancement and Reform Act am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung aufgrund des am 01. 12. 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon alte Fassung affirmed Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Die Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Akron Law Review American Express Co. The American Review of International Arbitration American University Journal of Gender, Social Policy & the Law Anwaltsblatt Online Appellate Division Arbitration International Arizona Law Review Artikel Association Suisse de l’Arbitrage Bulletin Der Betriebs-Berater. Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Aktenzeichen Business to Business Business to Consumer Zeitschrift für das Baurecht Betriebsberater Bundesverband der deutschen Industrie beck-online.GROSSKOMMENTAR Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Beilage

Abkürzungsverzeichnis Beschl. BGB BGBl. BGE BGer BGH BIT BKartA BMJ BR-Drs. Brook. L. Rev. Brüssel I-VO Brüssel Ia-VO

Brüssel IIa-VO

Br. Yearb. Int. Law BT-Drs. BYU L. Rev. CA Cal. Cal. Civ.Code Cal. Rptr Cardozo L. Rev. CAT CCZ CDC C.D. Cal CDU cert. ch. cic cl. CML Rev. COGSA Concurrences Rev. Cong. Rec. CPI CSU Ct. App. d. DB

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Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Bilaterales Investitionsschutzabkommen Bundeskartellamt Bundesministerium der Justiz Bundesrat-Drucksache Brooklyn Law Review Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 The British Yearbook of International Law Bundestag-Drucksache Brigham Young University Law Review Court of Appeal California Reporter California Civil Code California Reporter Cardozo Law Review Competition Appeal Tribunal Corporate Compliance Zeitschrift Cartel Damage Claims United States District Court for the Central District of California Christlich Demokratische Union Deutschlands certiorari chapter culpa in contrahendo clause Common Market Law Review Carriage of Goods by Sea Act Revue des Droits de la Concurrence The Congressional Record Competition Policy International Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. Court of Appeal der Der Betrieb

26 D.C. Cir. D.D.C. DePaul Bus. & Comm. L.J. DePaul L. Rev. ders. dies. DIS div. D. Kan. D. Mass. DoJ DVBl ebd. EBLR EBOR ECLI E.C.L.R ECOA E.D.N.Y. E.D. Pa. EFTA EG EGV EIAR E.L. Rev. EMRK EU EuConst EuG EuGH EU-GRCh EuGVÜ EuR EuÜ EUV EuZW EWCA civ

Abkürzungsverzeichnis United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit United States District Court for the District of Columbia DePaul Business & Commercial Law Journal DePaul Law Review derselbe dieselbe/dieselben Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. diverse/n United States District Court for the District of Kansas United States District Court for the District of Massachusetts United States Department of Justice Deutsches Verwaltungsblatt ebenda European Business Law Review European Business Organization Law Review European Case Law Identifier European Competition Law Review Equal Credit Opportunity Act United States District Court for the Eastern District of New York United States District Court for the Eastern District of Pennsylvania Die Europäische Freihandelsassoziation (European Free Trade Association) Europäische Gemeinschaft/Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung aufgrund des am 01. 05. 1999 in Kraft getretenen Vertrages von Amsterdam Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam jeweils gültigen Fassung European International Arbitration Review European Law Review Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Union European Constitutional Law Review Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Charta der Grundrechte der Europäischen Union Übereinkommen von Brüssel von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Zeitschrift Europarecht Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit Vertrag über die Europäische Union in der Fassung aufgrund des am 01. 12. 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht England and Wales Court of Appeal, Civil Division

Abkürzungsverzeichnis EWHC (Ch) EWHC Comm EWHC (QB) EWiR EWS f./ff. F.2d F.3d FAA F. App’x FAZ Fed. Cir. Fed. R. Civ. P. FernUSG FK Fla. L. Rev. Fla. St. U. L. Rev. Fn. Fordham Int’l L.J. Frankfurt a. M. F.R.D. FS F. Supp. FTC GAin/GA Ga. L. Rev. G.C.L.R. gem. GewO GRUR GRUR Int GWB GWR HansOLG Harv. J. L. & Pub. Pol’y Harv. L. Rev. Harv. Negot. L. Rev. HGÜ HK HmbSchRZ Hrsg. Hs. HV-RL HWBEuP IBA

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High Court of England and Wales, Chancery Division High Court of England and Wales, Commercial Court High Court of England and Wales, Queen’s Bench Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Federal Arbitration Act Federal Appendix Frankfurter Allgemeine Zeitung United States Court of Appeals for the Federal Circuit Federal Rules of Civil Procedure Fernunterrichtsschutzgesetz Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht Florida Law Review Florida State University Law Review Fußnote Fordham International Law Journal Frankfurt am Main Federal Rules Decisions Festschrift Federal Supplement Federal Trade Commission Generalanwältin/Generalanwalt Georgia Law Review Global Competition Litigation Review gemäß Gewerbeordnung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Hanseatisches Oberlandesgericht Harvard Journal of Law & Public Policy Harvard Law Review Harvard Negotiation Law Review Haager Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen Handkommentar Hamburger Zeitschrift für Schiffahrtsrecht Herausgeber Halbsatz Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts International Bar Association

28 ICC ICC-SchO i. d. F. IHR i. H. v. Ind. L. J. Int’l & Comp. L.Q. Int’l Trade & Bus. L. Rev. IPR IPRax IPRG i. S. d. Ital. Antitrust Rev. i. V. m. IWRZ IZPR J. J. Disp. Resol. J.E.C.L. & Pract jew. J. Int’l Arb. JW JZ KAGB KartG Österreich KartRdsch KartSE-RL

KG KK KK-WpHG Klauselrichtlinie KO-E Komm. Kronzeugenmitteilung KWG Law & Contemp. Probs LCIA-SchO LG lit.

Abkürzungsverzeichnis International Chamber of Commerce Schiedsgerichtsordnung der International Chamber of Commerce in der Fassung Internationales Handelsrecht in Höhe von Indiana Law Journal International and Comparative Law Quarterly International Trade and Business Law Review Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987 (Schweiz) im Sinne des Italian Antitrust Review in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Internationales Zivilprozessrecht Justice/Judge Journal of Dispute Resolution Journal of European Competition Law & Practice jeweils Journal of International Arbitration Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitalanlagegesetzbuch Kartellgesetz Österreich Kartell-Rundschau Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union Kammergericht Kölner Kommentar zum Kartellrecht Kölner Kommentar zum WpHG Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen Kommissionsentscheidung Kommission Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen ABl. 2006 vom 08. 12. 2006, C 298/17 Kreditwesengesetz Law and Contemporary Problems Schiedsgerichtsordnung des London Court of International Arbitration Landgericht littera

Abkürzungsverzeichnis LMK LMRKM Loy. L. A. L. Rev. m. MDR Me. L. Rev. Mich. L. Rev. Minn. L. Rev. MüKo m. w. N. m. zust. Anm. N. NBER Working Paper Series N. C. L. Rev. N.D. Cal. N.D. Ill. N.D. Ohio N.D. Tex. NJOZ N.J. Super NJW NJW-RR NK Notre Dame L. Rev. Nr. NStZ NVwZ Nw. U. L. Rev. N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. N.Y.U. L. Rev. NZG NZKart NZV OGH OLG OWiG P.3d PEBB§Y Pepp. Disp. Resol. L.J. PG PWW RabelsZ reh’g

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beck-fachdienst Zivilrecht – LMK Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann Loyola of Los Angeles Law Review mit Monatsschrift für Deutsches Recht Maine Law Review Michigan Law Review Minnesota Law Review Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen mit zustimmender Anmerkung Nachweise/n National Bureau of Economic Research Working Paper Series North Carolina Law Review United States District Court for the Northern District of California United States District Court for the Northern District of Illinois United States District Court for the Northern District of Ohio United States District Court for the Northern District of Texas Neue Juristische Online-Zeitschrift New Jersey Superior Court Reports Neue Juristische Wochenschrift NJW Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NomosKommentar Notre Dame Law Review Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Northwestern University Law Review The New York University Journal of International Law and Politics New York University Law Review Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Pacific Reporter, Third Series Erarbeitung eines Systems der Personalbedarfsberechnung für den richterlichen, staatsanwaltlichen und Rechtspflegerdienst in der ordentlichen Gerichtsbarkeit Pepperdine Dispute Resolution Law Journal Prütting/Gehrlein Prütting/Wegen/Weinreich Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht rehearing

30 RevArb rev’d Rev. Litig. RG RGBl. RGZ RICO RIW Rn. Rom I-VO

Rom II-VO

S. s. a. Santa Clara L. Rev. SchiedsVfG SchiedsVZ SchlA S.C.R. SCRL S. Ct. S.D.N.Y. Slg. s. o. sog. stat. StGB StPO s. u. sub nom. T.I.A.S. TILA UA u. a. U.C.D. L. Rev. U. Chi. L. Rev. U.Cin. L. Rev. UCLA L. Rev. U. Ill. L. Rev. U. Kan. L. Rev. UKHL UKSC U. Miami L. Rev.

Abkürzungsverzeichnis Revue de l’Arbitrage reversed The Review of Litigation Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Racketeer Influenced Corrupt Organizations Act Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Seite/Satz siehe auch Santa Clara Law Review Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Schlussantrag Supreme Court Records (Canada) Société coopérative à responsabilité limitée Supreme Court Reporter (US) United States District Court for the Southern District of New York Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz siehe oben sogenannte/r statute Strafgesetzbuch Strafprozessordnung siehe unten sub nomine Treaties and Other International Acts Series Truth in Lending Act Unterabsatz unter anderem University of California, Davis Law Review The University of Chicago Law Review University of Cincinnati Law Review UCLA Law Review University of Illinois Law Review University of Kansas Law Review United Kingdom House of Lords Supreme Court of the United Kingdom University of Miami Law Review

Abkürzungsverzeichnis UNCITRAL ML UNÜ U. Pa. J. Lab. & Emp. L U. Queensland L. J. US U.S. USA U.S.C. U.S.C. app. Urt. v. Vand. J. Transnat’l L. Verbandsklagen-RL

vgl. VO VO 1/2003 Vt. L. Rev. VuR VVG wbl WettbR WL WpHG WRP WuW WuW/E Yale L. J. Y.B. Arb. & Mediation Y.B. Priv. Int’l L. zahlr. ZEuP ZfPW ZGR ZHR ZIP ZPO ZVertriebsR ZVglRWiss ZWeR ZZP

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United Nations Commission on International Trade Law Model Law on International Commercial Arbitration (von 1985, in der Fassung von 2006) New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law The University of Queensland Law Journal United States United States Reports United States of America United States Code United States Code appendix Urteil versus/vom Vanderbilt Journal of Transnational Law Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG vergleiche Verordnung Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln Vermont Law Review Verbraucher und Recht Versicherungsvertragsgesetz Wirtschaftsrechtliche Blätter Wettbewerbsrecht Westlaw Wertpapierhandelsgesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung Yale Law Journal Yearbook on Arbitration and Mediation Yearbook of Private International Law zahlreichen Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Vertriebsrecht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Zivilprozess

Procedure is supposed to serve the people that law exists to serve. Ruth Bader Ginsburg

Kapitel 1

Einleitung A. Prolog Die Beziehung von Kartellrecht und Schiedsrecht ist eine wechselvolle.1 Das Kartellrecht ist ein Rechtsgebiet von gesamtgesellschaftlicher Relevanz; als „Magna Charta of free enterprise“ ist es bezeichnet worden, vergleichbar der US-amerikanischen Bill of Rights,2 in Deutschland als das „Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“3. Diese juristische Prosa zeigt die Bedeutung, die dem Kartellrecht beigemessen wird, einhellig von Jurist:innen und Ökonom:innen gleichermaßen: „Antitrust violations can affect hundreds of thousands – perhaps millions – of people and inflict staggering economic damage.“4 Eine Vielzahl an Studien belegt, dass Kartelle erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Märkte haben; überwiegend wird in ökonomischen Studien von einer beträchtlichen Kartellrendite, einem Anstieg der Preise im Median von ca. 20 %, ausgegangen.5 In absoluten Zahlen bedeutet dies etwa nach einer Schätzung für die Europäische Kommission innerhalb der EU einen volkswirtschaftlichen Schaden von bis zu 261 Milliarden Euro – pro Jahr.6 1

Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (494). United States v. Topco Assocs., Inc., 405 U.S. 596, 610 (1972): „Antitrust laws in general, and the Sherman Act in particular, are the Magna Carta of free enterprise. They are as important to the preservation of economic freedom and our free enterprise system as the Bill of Rights is to the protection of our fundamental personal freedoms. And the freedom guaranteed each and every business, no matter how small, is the freedom to compete – to assert with vigor, imagination, devotion, and ingenuity whatever economic muscle it can muster.“ 3 Vgl. nur Mestmäcker, WuW 2008, 6 (9, 12); ursprünglich wird dieses Zitat zumeist Ludwig Erhard zugeschrieben, siehe etwa Burrichter, in: FS Schroeder, S. 165 (172). 4 Am. Safety Equip. Corp. v. J. P. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 826 (2nd Cir. 1968). 5 Für eine Übersicht siehe Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 89 sowie S. 90 ff. für eine kritische Würdigung der dort dargestellten Studien; s. a. MüKoWettbR/ Schneider/Engelsing, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 12 f. 6 Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (198 f.); Centre for European Policy Studies, Report for the European Commission Contract DG COMP/2006/A3/012, S. 96; hiernach ist in der EU von einem Korridor zwischen ca. 17 Milliarden Euro bis ca. 261 Milliarden Euro auszugehen; das BKartA rechnet für die Jahre 2009 bis 2014 mit einem direkten Verbraucher:innennutzen von jährlich 460 Millionen Euro durch die Kartellverfolgung, BKartA 2016, Erfolgreiche Kartellverfolgung, S. 16. 2

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Kapitel 1: Einleitung

Dass Kartelle überhaupt gebildet werden, legt die Vermutung nahe, dass sie sich für die Kartellantinnen7 lohnen.8 Aus diesem Grund versuchen Behörden und Gesetzgeber seit jeher, auf die besonderen Herausforderungen des Kartellrechts auch mit besonderen Maßnahmen zu reagieren. Von Kartellverstößen soll präventiv abgeschreckt, ihre negativen Folgen für die Gesamtwirtschaft und andere Marktbeteiligte sollen repressiv ausgeglichen werden. Zumindest einen Teil dieser Rechtsdurchsetzung übernehmen private Akteure, die hierfür wiederum bisweilen anstelle der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf kommerzielle Schiedsgerichte ausweichen. Auch diese haben eine prägnante Beschreibung erfahren, als „creature of contract“9, was die Konfliktlinie zum Kartellrecht schon recht deutlich werden lässt: Bei der schiedsgerichtlichen Beilegung kartellrechtlicher Streitigkeiten richten private Schiedsrichter:innen kraft privatautonomer Vereinbarung über ein auch dem öffentlichen Interesse dienendes, marktschützendes Rechtsgut. Was deshalb lange Zeit als Antithese galt, ist mittlerweile grundsätzlich akzeptiert. Kartellrecht ist also objektiv schiedsfähig, wenngleich der Weg zu dieser Erkenntnis beschwerlich war und eine Vielzahl noch ungeklärter, rechtsdogmatischer und rechtspolitischer Probleme aufgeworfen hat. Diese werden als denkbare Korrektive zur Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitgegenstände dort diskutiert, wo sich die Verfahren aus ordentlichen Gerichten und aus Schiedsgerichten kreuzen, also im Einrede- und im Anerkennungsverfahren vor den staatlichen Gerichten.10 In der vorliegenden Arbeit wird rechtsvergleichend untersucht, wie der darin ausgedrückte Konflikt zwischen Privatautonomie und rechtsstaatlichen Anforderungen an die schiedsgerichtliche Durchsetzung des Wettbewerbsrechts aufzulösen ist. Mit der Arbeit wird zugleich ein Beitrag zum Recht der Forenwahlklauseln geleistet und werden die rechtspraktischen Auswirkungen von Schiedsvereinbarungen im kartelldeliktischen Spannungsfeld von Unionsrecht und nationalen Herangehensweisen an die Auslegung von Parteivereinbarungen beleuchtet.

B. Zielsetzung Hierfür werden in dieser Arbeit zwei als Kardinalfragen bezeichnete Problemstellungen aus der Perspektive des US-amerikanischen und des EU- bzw. deutschen 7

Kartellantinnen und Kartellgeschädigte, Klägerinnen und Beklagte etc. werden im Kontext dieser Arbeit überwiegend als juristische Personen adressiert. 8 BGH, NJW 2019, 661 (664) – Schienenkartell I. 9 United Steelworkers v. Am. Mfg. Co., 363 U.S. 564, 570 f. (1960) (Brennan, J., concurring); ähnlich Rent-A-Center, W., Inc. v. Jackson, 130 S. Ct. 2772, 2776 (2010); auch der Kanadische Supreme Court „creature that owes its existence to the will of the parties alone“, Dell Computer Corp. v. Union des consommateurs [2007] 2 S.C.R. 801, Rn. 51; allgemein Aragaki, 8 Y.B. Arb. & Mediation 2, 3 ff. (2016). 10 Vgl. für einen genaueren Überblick Kapitel 2 – A.V.

C. Gang der Untersuchung

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Wettbewerbsrechts betrachtet: Erstens, wie die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzansprüchen zu bestimmen und ob hierbei ein schutzgutbezogener Ansatz mit der Prämisse einer am Parteiwillen ausgerichteten Auslegung vereinbar ist. Zweitens, inwieweit aus dem materiellen Recht folgende Effektivitätsmaximen eine weitergehende gerichtliche Kontrolle von Schiedsvereinbarungen und prozessualem Schiedsverfahrensrecht bei kartellrechtlichen Ansprüchen erforderlich machen. Dabei erfahren die Gesichtspunkte einer Forenzersplitterung im kartellrechtlichen private enforcement und einer drittstaatlichen Streitbeilegung eine besondere Beachtung.

C. Gang der Untersuchung Diesen Fragen folgt der Gang der Untersuchung. Einleitend werden die dafür notwendigen Grundlagen gelegt. Zunächst wird eine rechtsgeschichtliche tour d’horizon unternommen. Sodann werden die aktuellen Rechtsrahmen für Kartellschadensersatzprozesse in Deutschland, der EU und den USA vor dem Hintergrund der kartellrechtlichen Sanktionssysteme dargestellt sowie die normativen Grundlagen der Schiedsgerichtsbarkeit erläutert und praktische Bedeutungen aufgezeigt. Zudem werden Gerichtsstandsvereinbarungen in den Untersuchungsgegenstand einbezogen. Dies ist erforderlich, da die Debatte um Schiedsvereinbarungen wegen der strukturellen Vergleichbarkeit der Klauseln eine gewisse Provenienz im Bereich der Gerichtsstandsvereinbarungen hat und sich der EuGH schon zweifach zu Gerichtsstandsvereinbarungen, jedoch nie zu Schiedsvereinbarungen geäußert hat.11 Sodann wird eine rechtsvergleichende Betrachtung des US-amerikanischen Antitrust-Rechts vorgenommen. Diese kann zu wertvollen Erkenntnissen führen, da die in dieser Arbeit für Deutschland und die EU untersuchten Fragen in den USA nicht nur gestellt wurden, sondern bereits höchstrichterlich beantwortet worden sind. Obwohl die teils zivilrechtlich, teils öffentlich-rechtlich geprägten dogmatischen Ansatzpunkte nahezu identisch sind, entwickelt sich die Rechtsprechung, wie zu zeigen sein wird, in bemerkenswerter Weise auseinander. Und obwohl das private enforcement in den USA einen bedeutend höheren Stellenwert hat als in der EU und die potentiellen Auswirkungen einer Streitbeilegung über die private Schiedsgerichtsbarkeit deshalb größer sind, ist die Rechtsprechung des Supreme Court liberaler als die des EuGH. Auch diese Unterschiede sollen in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden. Im Anschluss wird für die Beantwortung der ersten Kardinalfrage ein Maßstab zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen bei Anwendung des deutschen Rechts entwickelt. Die so gewonnenen Ergebnisse werden den Urteilen des EuGH in den 11

Siehe die nachstehenden Nachweise.

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Kapitel 1: Einleitung

Rechtssachen CDC12 und Apple13 gegenübergestellt. Diese werden kritisch gewürdigt und ihre Übertragbarkeit ex lege auf Schiedsvereinbarungen geprüft; in ihrem Lichte findet zugleich eine Überprüfung der vorhergehend zum nationalen Recht gefundenen Ergebnisse statt. Nachfolgend wird die zweite Kardinalfrage beantwortet. Hierzu wird umfassend untersucht, welche rechtsstaatlichen Korrektive zur Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche das Unionsrecht vorgibt. Dabei werden primärrechtliche Wertungen des materiellen Kartellrechts sowie des Justizverfassungsrechts auf das schiedsgerichtliche Erkenntnisverfahren und das Anerkennungsverfahren vor ordentlichen Gerichten angewandt. Darauf aufbauend wird zur Beantwortung der zweiten Kardinalfrage untersucht, ob und inwieweit sich weitergehende Anforderungen für die Behandlung von Schiedsvereinbarungen im Einredeverfahren ergeben, unterschieden danach, ob es sich um eine anvisierte Streitbeilegung in oder außerhalb der EU handelt.

D. Vier Steine des Anstoßes Für den narrativen Bogen dieser Ausarbeitung und ihre Verwurzelung auch in der rechtswissenschaftlichen Praxis mögen vier Urteile dienen, in denen sich die in dieser Arbeit untersuchten Probleme spiegeln. Für zwei dieser Urteile zeichnet sich der US-amerikanische Supreme Court verantwortlich, für zwei weitere der EuGH. Das erste Urteil ist die Rechtssache Mitsubishi.14 Dieses „Fanal internationalen Maßstabs“15 war 1985 der Startschuss zu einer spektakulären Liberalisierung der Kartellschiedsgerichtsbarkeit und entwickelte dogmatische Grundlagen, die auch heute noch Relevanz beanspruchen, zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen, zur Prüfung der Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren in Form der effective vindication doctrine, und zur nachgelagerten Prüfung im Anerkennungsverfahren in Form der second look doctrine.16 Der EuGH äußerte sich 14 Jahre später in der Rechtssache Eco Swiss17 zur Schiedsfähigkeit des EG-Kartellrechts und zur Verpflichtung der ordentlichen Gerichte, diese Anwendung zu überprüfen.18 Vermochte man bis dato einen gewissen Gleichschritt in der Rechtsprechung auszumachen, so folgte in jüngeren Entscheidungen eine deutliche Entfremdung. In der Rechtssache American Express19 räumte der Supreme Court 2013 hinsichtlich der Kontrolle der Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich der wettbewerbsrechtlichen 12 13 14 15 16 17 18 19

EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC. EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854 – Apple Sales International. Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985). Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (501). Siehe dazu unten Kapitel 2 – B.I.2.; Kapitel 3 – C. EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269 – Eco Swiss. Siehe dazu Kapitel 2 – B.III.; Kapitel 5 – A.I.2.b)bb); Kapitel 5 – A.III.2.c)aa)(1). Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228 (2013).

D. Vier Steine des Anstoßes

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Streitigkeit nahezu vollständig das Feld.20 Der EuGH hingegen ließ 2015 in der Rechtssache CDC21 erkennen, die Kontrolle über eben dieses Feld ausweiten zu wollen.22

20 21 22

Siehe dazu unten Kapitel 3 – E.IV.3. EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC. Siehe dazu unten Kapitel 4 – B.I.

Kapitel 2

Bestandsaufnahme In diesem Kapitel werden die Grundlagen der Ausarbeitung gelegt. Dafür wird nach einem Kurzüberblick über den Untersuchungsgegenstand (A.) die das Kartellrecht und Schiedsrecht verbindende Historie dargestellt (B.) und sodann eine Übersicht über das kartellrechtliche private enforcement in den hier interessierenden Rechtsordnungen gegeben (C.). Die besondere Normqualität des Kartellrechts wird eingeordnet (D.), zudem werden das Schiedsrecht (E.) und das Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen (F.) kursorisch dargestellt.

A. Grundlagen, Begrifflichkeiten und Kurzüberblick über den Untersuchungsgegenstand I. Kartell- und Wettbewerbsrecht Soweit in dieser Arbeit von Kartellen die Rede ist, wird die Begriffsdefinition des europäischen Gesetzgebers in der Kartellschadensersatzrichtlinie zugrunde gelegt.1 Die dort benannten Verhaltensweisen der klassischen horizontalen Preis-, Gebietsoder Quotenkartellen stellen stets einen Hard-core-Verstoß2 gegen die maßgeblichen Vorschriften des Art. 101 AEUV, § 1 GWB und § 1 Sherman Act (15 U.S.C. § 1) dar. Weiter beschränkt sich der hier verwendete Begriff des Wettbewerbsrechts auf das Kartellrecht ohne das Lauterkeitsrecht.

1

Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, im Folgenden KartSE-RL. Nach Art. 2 Nr. 14 KartSE-RL meint „,Kartell‘ eine Absprache oder eine abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Wettbewerbern zwecks Abstimmung ihres Wettbewerbsverhaltens auf dem Markt oder Beeinflussung der relevanten Wettbewerbsparameter durch Verhaltensweisen wie unter anderem die Festsetzung oder Koordinierung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen, auch im Zusammenhang mit den Rechten des geistigen Eigentums, die Aufteilung von Produktions- oder Absatzquoten, die Aufteilung von Märkten und Kunden einschließlich Angebotsabsprachen, Ein- und Ausfuhrbeschränkungen oder gegen andere Wettbewerber gerichtete wettbewerbsschädigende Maßnahmen“; s. a. Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 92 ff. 2 Zu diesem Begriff etwa Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 27 f.; Kling/ Thomas, Kartellrecht, § 5 Rn. 109, § 19 Rn. 97; Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (192).

A. Grundlagen, Begrifflichkeiten und Kurzüberblick

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II. Private enforcement Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Beziehung von private enforcement und Schiedsrecht. Weitgehend außer Betracht bleiben demgegenüber andere Formen der Kartellrechtsdurchsetzung. Das gilt zunächst für das public enforcement3 und insbesondere für weitere Formen wie die strafrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung4. Das private enforcement behandelt die Rechtsdurchsetzung durch Privatrechtssubjekte, zumeist also durch diejenigen, die von wettbewerbswidrigen Absprachen beeinträchtigt wurden. Traditionell wird an dieser Stelle zwischen zwei Formen der Geltendmachung von Normen des Kartellrechts unterschieden, einerseits der offensiven, bildlich als Schwert bezeichneten Geltendmachung, und zum anderen der defensiven, ebenso bildlich als Schild bezeichneten Geltendmachung des Kartellrechts.5 Bei der Durchsetzung als Schwert sind materielle Verbots- und Anspruchsnormen des Kartellrechts Grundlage für zivilrechtliche Klagen auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz.6 Als Schild ist das Kartellrecht vor allem als Nichtigkeitseinwand gegen die Inanspruchnahme aus Verträgen bekannt.7 Die Untersuchung konzentriert sich auf die offensive Durchsetzung des Kartellrechts im Wege der Kartellschadensersatzprozesse, weil Grundgedanken der kartellrechtlichen Haftung, nämlich die Kompensation von Kartellgeschädigten und die Abschreckung der Kartellantinnen, in der privaten Rechtsdurchsetzung nur durch die Führung von Schadensersatzprozessen erreicht werden können. Wo also im Folgenden von private enforcement respektive privater Rechtsdurchsetzung die Rede ist, ist nicht die gesamte offensive oder defensive zivilprozessuale Klaviatur der Geschädigten gemeint. Damit deckt sich, dass in der rechtswissenschaftlichen Literatur und Praxis spätestens nach Inkrafttreten der KartSE-RL zumeist Kartellschadensersatz gemeint ist, wenn private enforcement gesagt wird.8 Auch die öf3 Zu diesem Begriff auch in Abgrenzung zum private enforcement Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 52 ff.; Lahme, Eignung des Zivilverfahrens, S. 18 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 2 Rn. 11 ff.; für eine Übersicht der mit diesen Sanktionssystemen verbundenen Vor- und Nachteile siehe nur Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 301 ff. 4 Einen Überblick hierzu für die USA und Europa liefert Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 298 ff. 5 Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 880 f. (2016); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 52 f.; Lahme, Eignung des Zivilverfahrens, S. 18 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/ Kamann, § 2 Rn. 15. 6 Lahme, Eignung des Zivilverfahrens, S. 18 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 23 Rn. 2, § 24 Rn. 29 bezeichnen dies bezogen auf die Europäische Union als „Trias der Unionsrechte“. 7 Lahme, Eignung des Zivilverfahrens, S. 20. 8 In den Erwägungsgründen 3 – 5 der KartSE-RL wird zwar erwähnt, dass der Schadensersatz nur ein Mittel der privaten Rechtsdurchsetzung ist, dem europäischen Gesetzgeber scheinen als Alternativen aber eher andere prozessuale Mittel als materielle Ansprüche vor Augen gestanden zu haben, siehe Wils, 40 World Competition 3, 24 (2017); in diesem Sinne

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

fentliche Wahrnehmung wird durch medienwirksame Kartellschadensersatzprozesse bestimmt.9 Daneben bieten diese Ansprüche dogmatische und praktische Besonderheiten. Während sich Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung und auch der defensive Nichtigkeitseinwand in das allgemeine zivilprozessuale System problemlos einfügen, gilt dies für den Kartellschadensersatz nicht. In der Rechtspraxis sehen sich Kartellschadensersatzklägerinnen einer Vielzahl an Herausforderungen ganz eigener Art ausgesetzt.10 Und wegen der bei internationalen Kartellen typischen Komplexität der Rechtsbeziehungen werden die Parteien zum forum shopping11 eingeladen; die Wahl eines Forums, auch eines schiedsgerichtlichen, kann von eminenter Bedeutung für den Verfahrensausgang sein. Sollen Privatklägerinnen trotz dieser Schwierigkeiten der Sachmaterie die kartellrechtliche Durchsetzungslast auch im öffentlichen Interesse schultern oder auch nur eine reelle Chance auf zivilrechtlichen Ersatz der ihnen durch einen Wettbewerbsverstoß entstandenen Schäden haben, brauchen sie einen hieran angepassten Rechtsrahmen. Aufgabe dieser Arbeit ist es auch, zu untersuchen, welches Gewicht zuvor etwa Krüger, Kartellregress, S. 23; Schmidt, BB 2006, 1397 (1398); gegen eine Verengung des private enforcement auf Kartellschadensersatz Kirchhoff, WuW 2017, 487 (487 f.), der freilich auch im Kartellschadensersatz das „dominierende Thema“ erblickt. 9 Nur beispielhaft sei hier das LKW-Kartell (AT.39824 – Trucks) erwähnt, siehe die plastischen Darstellungen bei beck-aktuell vom 18. 10. 2019, https://rsw.beck.de/aktuell/mel dung/groesster-lkw-kartell-prozess-beginnt, auch FAZ vom 24. 06. 2019, https://www.faz.net/ak tuell/wirtschaft/unternehmen/lastwagen-mit-daimler-klage-erreicht-anwaelte-16252012.html? GEPC=s9. 10 Hierzu zählen Schwierigkeiten rechtlicher und tatsächlicher Art, so etwa Beweisnöte der Geschädigten, Informationsasymmetrien, Probleme bei der Berechnung des hypothetischen Marktpreises, der Wettlauf gegen die Verjährung, Verfahrenskosten, die Vielzahl der Geschädigten auch über die Marktstufen hinweg, die gerade bei Streuschäden bestehende rationale Apathie oder die geschäftspolitische Ross-und-Reiter-Problematik; siehe etwa überblicksweise Krüger, Kartellregress, S. 29 ff.; Fuchs/Weitbrecht/Fuchs, § 1 Rn. 37 ff.; s. a. die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zur KartSE-RL herausgegebenen Materialien, Europäische Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, KOM (2008) 165 endg. (im Folgenden Kommission, Weißbuch, KOM (2008) 165 endg); Europäische Kommission, Commission staff working paper accompanying the White paper on damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC(2008) 404 final (im Folgenden Kommission, Arbeitspapier zum Weißbuch, SEC(2008) 404 final); Europäische Kommission, Grünbuch Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, KOM (2005) 672 endg. (im Folgenden Kommission, Grünbuch, KOM (2005) 672 endg.); Europäische Kommission, Commission Staff Working Paper, Annex to the Green Paper, SEC(2005) 1732 (im Folgenden Kommission, Arbeitspapier zum Grünbuch, SEC(2005) 1732; die Europäische Kommission schätzt die den Geschädigten aufgrund von ineffektivem private enforcement entgehenden Kompensationsleistungen auf 23 Milliarden Euro pro Jahr, siehe Competition Policy Brief 2015 – 1, S. 2; SWD(2013) 204 final, Rn. 8. 11 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit etwa Antomo, Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung, S. 43 ff.; zum Kartelldeliktsrecht Wurmnest, NZKart 2017, 2 (2); Stadler, JZ 2015, 1138 (passim); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 80 ff.; s. a. Ashton/Vollrath, ZWeR 2006, 1 (5): In 90 % aller Fälle von Verstößen gegen EU-Wettbewerbsrecht haben Geschädigte mehr als einen Gerichtsstand zur Auswahl.

A. Grundlagen, Begrifflichkeiten und Kurzüberblick

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diesem besonderen Hintergrund bei der Auslegung von Schiedsvereinbarungen zuzumessen ist.

III. Private Schiedsgerichtsbarkeit Private Schiedsgerichte werden kraft privatautonomer Vereinbarung dazu berufen, verbindliche Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten anstelle der eigentlich dafür zuständigen staatlichen Gerichte zu treffen.12 Die Schiedsvereinbarung13 ist Ausfluss verfassungsmäßig verbürgter Grundrechte, in Deutschland zuvorderst der durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Vertragsfreiheit,14 mit der Parteien selbst beschließen können, auf die staatliche Gerichtsbarkeit gem. Art. 92 GG sowie den gesetzlichen Richter i.S.d Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zu verzichten. Die verfahrensrechtliche Gestaltungsfreiheit ist die Kehrseite der materiellrechtlichen Privatautonomie.15 Wie jeder Ausübung von Freiheitsrechten sind auch dieser Grenzen gesetzt. Erforderlich machen das andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, etwa der Justizgewährungsanspruch und das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 47 EU-GRCh, Art. 6 EMRK.16 Ein Schiedsgericht hat rechtsstaatliche Mindeststandards zu beachten und kann nur innerhalb der Grenzen der Schiedsvereinbarung tätig werden, was auch einschließt, Dritte vor Schiedsgerichten zu schützen, zu denen sie nicht konsentiert haben.17 Zudem muss der Staat seine Vollstreckungsgewalt für die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen als Ausdruck einer „rechtsstaatlichen Letztverantwortung für die Verwirklichung des Rechts“18 entleihen. Da er im Interesse einer funktionsfähigen Schiedsgerichtsbarkeit aber auch nicht alle Schiedssprüche tatsächlich und rechtlich 12 Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 2 f.; Zöller/Geimer, Vor § 1025 ZPO Rn. 2 f.; Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 40; MüKoZPO/Münch, Vor § 1025 ZPO Rn. 1; Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Einl. Rn. 6; in dieser Arbeit geht es um private Schiedsgerichte in diesem Sinne, nicht um andere Formen der Schiedsgerichtsbarkeit; zur Abgrenzung etwa Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rn. 2 ff. 13 Terminologisch werden im Laufe der Arbeit die Begrifflichkeiten Schiedsvereinbarung, Schiedsklausel und Schiedsabrede im Sinne eines besseren Leseflusses synonym und losgelöst von ihren Legaldefinitionen in § 1029 Abs. 1, 2 ZPO gebraucht; siehe zu den Begrifflichkeiten MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 7 ff. 14 Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 52 ff.; Hesselbarth, Schiedsgerichtsbarkeit und Grundgesetz, S. 42 ff. 15 Vgl. Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 154 ff.; Weller, Ordre-publicKontrolle, S. 26 ff., 145 ff., 359. 16 MüKoZPO/Münch, vor § 1025 ZPO Rn. 4 ff.; Zöller/Geimer, Vor § 1025 ZPO Rn. 4. 17 Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 60 f. 18 Stober, NJW 1979, 2001 (2006); zustimmend Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 270; ähnlich Musielak/Voit/Voit, § 1059 ZPO Rn. 1; BeckOK ZPO/Wolf/ Eslami, § 1025 ZPO Rn. 2.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

detailliert überprüfen kann, gilt insoweit das Verbot der révision au fond19. Insgesamt besteht mittlerweile eine legislatorische Grundvorstellung der Gleichwertigkeit von ordentlichen und von Schiedsgerichten.20 Die Vorteile21 der Schiedsgerichtsbarkeit im Vergleich zur Prozessführung vor staatlichen Gerichten sind wie auch ihre Nachteile22 Gegenstand zahlloser Untersuchungen gewesen.23 In der Summe scheint zumindest die Praxis für juristisch wie ökonomisch hochkomplexe, grenzüberschreitende zivilrechtliche Wirtschaftsstreitigkeiten im B2B-Kontext Schiedsgerichte als gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorteilhaft zu bevorzugen,24 weshalb diese Annahme auch dieser Arbeit zugrunde gelegt werden soll. Kartellschadensersatzprozesse könnte man so als für die schiedsgerichtliche Streitbeilegung besonders geeignet halten. Es wird sich zeigen, ob dem vorbehaltlos zugestimmt werden kann.

19 BGH, SchiedsVZ 2008, 40 (42); Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 185, 275; Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 229 f.; Zöller/ Geimer, § 1059 ZPO Rn. 74; MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 7; Balthasar/Solomon, Kapitel B Rn. 179. 20 BGH, NJW 2004, 2898 (2899); Gößling, Europäisches Kollisionsrecht, S. 6 f.; Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 32 ff., s. a. S. 268 („Gleichwertigkeitspostulat“); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 253; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, S. 187 f.; Schütze, in: FS Stürner I, S. 531 (536); Hesselbarth, Schiedsgerichtsbarkeit und Grundgesetz, S. 10; BT-Drs. 13/5274, S. 34 (Schiedsgerichte bieten eine zu staatlichen Gerichten „gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit“). 21 Gemeinhin werden hauptsächlich eine kürzere und effiziente Ausgestaltung des Verfahrens in einem neutralen Streitbeilegungsforum mit geeigneter Rechts- und Verfahrenswahl, die damit einhergehenden geringeren Kosten, eine insbesondere in ökonomischer Hinsicht erhöhte Sachkunde der von den Parteien gewählten Schiedsrichter:innen, Vertraulichkeit und eine leichtere Auslandsvollstreckung angeführt. 22 Zu nennen sind Zweifel an der charakterlichen Eignung von Schiedsrichter:innen. Auch der Vorwurf einer intransparenten Paralleljustiz ist ein häufig geäußerter Vorbehalt. Zudem tragen Schiedsgerichte nicht oder in nur geringem Maße zur Rechtsvereinheitlichung bei, die eingeschränkte Überprüfbarkeit der Entscheidungen birgt die Gefahr sachlich falscher Entscheidungen, und die Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit kann umgekehrt zu höheren Kosten und auch einer längeren Verfahrensdauer führen. 23 Siehe die Auflistungen jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen bei Wilske/Steinle/ Schuler, ZWeR 2020, 458, 466 ff.; Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 38 ff.; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 119 ff.; MüKoZPO/Münch, Vor § 1025 ZPO Rn. 88 ff.; Musielak/Voit/Voit, § 1025 ZPO Rn. 2; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rn 7 ff.; Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Einl. Rn. 39 ff.; Nienaber, SchiedsVZ 2005, 273 (273 f.). 24 Zu Zahlen siehe unten Kapitel 2, Fn. 513.

A. Grundlagen, Begrifflichkeiten und Kurzüberblick

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IV. Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit – ein Zielkonflikt Problematisch ist das Verhältnis von Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit nicht etwa, weil Schiedsvereinbarungen vom Kartellverbotstatbestand erfasst würden,25 weshalb ihre Wirksamkeit insoweit für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung unterstellt wird. Problematisch ist das Verhältnis vielmehr wegen der prozessualen Auswirkungen des Schiedsverfahrens auf den materiellen Gewährleistungsgehalt des Kartellrechts. Mehr als in anderen Bereichen müssen im hier untersuchten „Wertungen des Kartellrechts mit verfahrensrechtlichen Strukturen und Gerechtigkeitsvorstellungen verbunden werden“.26 Historisch betrachtet haben zunächst die berühmt-berüchtigten Kartellschiedsgerichte des Deutschen Reichs deutlich gemacht, wie Schiedsgerichte Kartelle stabilisieren können.27 Auch die Vermutung, dass sich das klandestine Element eines Kartells in einem Schiedsgericht fortsetzen könnte, ist auf den ersten Blick nicht fernliegend.28 Bisweilen ist die Grundannahme der Schiedsgerichtsbarkeit, dass nämlich zwei Parteien auf Augenhöhe eine Schiedsabrede eingehen, auf kartellierten Märkten oder insbesondere in vertikalen Marktmachtkonstellationen schwer mit ökonomischen Realitäten in Einklang zu bringen.29 Ein grundsätzlicheres Problem ergibt sich aus dem Normcharakter des Kartellrechts. Schiedsrichter:innen sehen mit der Kombination von Eingriffsnormen, Interessen und Erwartungen der Schiedsparteien sowie dem gewählten Recht einem „impossible triangle“30 entgegen. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses an 25 Siehe Schmidt, BB 2006, 1397 (1398): „zu vernachlässigende Ausnahme“; in jüngerer Zeit sind Verstöße durch Schiedsvereinbarungen gegen das materielle Wettbewerbsrecht vor allem in Fällen von möglichem Marktmachtmissbrauch durch Sportverbände thematisiert worden, siehe OLG Frankfurt a. M., NZKart 2020, 448 (449 f.); ein Verstoß gegen § 19 GWB ist etwa bejaht worden durch OLG München, NZKart 2015, 198 (passim); aufgehoben allerdings durch BGH, NJW 2016, 2266 (2270 ff.) – Pechstein; auch im Eisschnelllauf-Verfahren der Europäischen Kommission wurde festgestellt, dass Schiedsgerichtsvorschriften eines Sportverbandes Wettbewerbsbeschränkungen verstärkten, siehe Fall AT.40208, C(2017) 8240 final, Rn. 8.7; insoweit allerdings aufgehoben durch EuG, Urt. v. 16. 12. 2020, Rs. T-93/18, Rn. 141 ff. – ISU/Kommission. Die Ausführungen sind allerdings weitgehend geschwärzt. Die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung wegen Verstoßes gegen das materielle Wettbewerbsrecht wird hier nicht gesondert untersucht. Wertungen des Kartellrechts werden aber in Konstellationen berücksichtigt, die Fällen des Marktmachtmissbrauchs nahekommen. 26 Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (567); Wurmnest hält diese eigentlich zu Gerichtsstandsvereinbarungen getroffene Aussage für auf Schiedsabreden übertragbar, S. 568. 27 Siehe dazu unten Kapitel 2 – B.II.2. 28 Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 010. 29 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (383). 30 Werner, 12 J. Arb. Int’l 21, 22 f. (1995); ähnlich („triple conviction“) zum Zusammenspiel von der Pflicht, einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu produzieren, kein Vehikel zur Umgehung sonst zwingender Vorschriften zu sein, aber gleichzeitig auch kein Agent auslän-

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

dessen Schutz hat das Marktordnungsrecht einen auch international zwingenden Charakter; davon zeugen einseitige Kollisionsnormen wie § 185 Abs. 2 GWB, Derogationsverbote oder das Verbot von Rechtswahlklauseln gem. Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO31.32 Schiedsgerichte hingegen erlauben es Privaten bereits vor Entstehung der Streitigkeit,33 kartellrechtliche Streitigkeiten der internationalen Zuständigkeit eines Staates zu entziehen, sie prozessual einer abweichenden Verfahrensordnung zu unterstellen sowie über eine Rechtswahlklausel auch das dazu als passend erachtete materielle Recht zu wählen – oder all diese Aspekte zu kombinieren.34 Das, was sich Gesetzgeber für Klägerinnen vor ordentlichen Gerichten vorgestellt haben, etwa die Indienststellung des prozessualen Rechts durch das materielle, gilt dann vor dem entfernten Schiedsgericht möglicherweise nicht mehr, und es ist eine offene Frage, wie und in welchem Stadium der Staat dann seiner rechtsstaatlichen Letztverantwortung nachkommen soll. In der Praxis haben zudem im Rahmen privater Kartellrechtsstreitigkeiten Schiedsrecht und Kartellrecht „gleichsam die Plätze getauscht“.35 Nicht mehr das Kartellrecht wird gegen das Schiedsgericht mit dem Ziel in Anschlag gebracht, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts wegen einer mangelnden objektiven Schiedsfähigkeit zu beseitigen.36 Vielmehr wird die Einrede der Schiedsvereinbarung in einem offensiven Kartellprozess vor den staatlichen Gerichten mit dem Ziel erhoben, die Zuständigkeit des ordentlichen Gerichts zu erschüttern.37 All diese Hintergründe fließen ein, wenn in jüngerer Zeit darüber diskutiert wird, ob und inwieweit bei der Schnittstelle von Kartell- und Schiedsrecht, also der Schiedsvereinbarung, besondere Maßstäbe zu gelten haben, wie weit die Schiedsvereinbarung sachlich reicht und wie sie auszulegen ist. Die Diskussion ist ebenso ein Relikt der bewegten Geschichte der Rechtsgebiete, wie sie Ausdruck des Umstands ist, dass ein geändertes Regelungsumfeld zu einem neuen Blick auf vermeintlich Altbekanntes zwingt.

discher Rechtsordnungen Jarvin, 2 Arb. Int’l 140, 156 (1986); s. a. Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 870 (2016); zum Begriff der Eingriffsnormen noch unten Kapitel 2 – D.I. 31 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) – im Folgenden Rom II-VO. 32 Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (570); ders., in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (75 f.); siehe hierzu auch Maier, Marktortanknüpfung, S. 213 ff. 33 Untersucht werden nur die vor Entstehung der Streitigkeit geschlossenen weiten Schiedsvereinbarungen, da die Behandlung von nach Entstehung der Streitigkeit geschlossenen Schiedsvereinbarungen vor keine nennenswerten dogmatischen Probleme stellt und praktisch auch selten vorkommt; dazu etwa Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (449 f.); s. a. noch unten Kapitel 5, Fn. 238; dazu konzentriert sich die Untersuchung auf weite Schiedsklauseln; dazu unten Kapitel 4 – A.I.2.d). 34 Siehe zu dieser Problematik auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (434 ff.). 35 Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (503). 36 Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (496 f.). 37 Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (497).

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V. Korrektive zur Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass die anerkannte Schiedsfähigkeit des Kartellrechts weiterhin rechtsstaatlich eingehegt wird. Heinze hat die hierzu im Bereich des Kartellschadensersatzes vertretenen Ansätze zutreffend in eine Kontrolle ex ante und eine ex post aufgeteilt38 und bezüglich der ex ante-Kontrolle zwischen formalen und materiellen Kriterien unterschieden39. Die ex post-Kontrolle ist ein „zweiter Blick“,40 den Gerichte im Rahmen eines Anerkennungs- oder Aufhebungsverfahrens auf den Schiedsspruch werfen. Die ex ante-Kontrolle beinhaltet demgegenüber die Prüfung einer Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren. Eine formale Kontrolle ist hiernach eine einschränkende Auslegung der sachlichen Reichweite der Schiedsvereinbarung.41 Der Bezugspunkt einer materiellen Kontrolle ist die streitgegenständliche Sachmaterie. Dieser kann wie in der Vergangenheit abstrakt-generell die Schiedsfähigkeit versagt werden. Die materielle Kontrolle kann aber auch dazu führen, dass übergeordnete Prinzipien, etwa der Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Kartellrechts zur Invalidierung der Schiedsvereinbarung im Einzelfall führen.42 Es handelt sich um die auch rechtstatsächlich geprägte Frage, ob eine materielle Norm ihren Gewährleistungsgehalt in einer bestimmten prozessualen Konstellation entfalten kann, ob also das Prozessrecht der materiellen Rechtsverwirklichung dient oder diese unter Umständen verhindert. Dabei werden in den USA und der EU im Ausgangspunkt funktional vergleichbare Effektivitätsmaximen zur Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit angewendet.43 Der erstgenannte Ansatz der formalen Kontrolle präsentiert in Europa offene Fragen, der zweitgenannte Ansatz der materiellen Kontrolle gärt auch in den USA.44 Wegen der weitgehend ungeklärten Rechtsfragen erfährt die ex ante-Kontrolle in dieser Arbeit eine schwerpunktmäßige Untersuchung. Aus ihr entwickeln sich beide hier als Kardinalfragen bezeichneten Untersuchungsgegenstände.45 Vor- wie auch nachgelagerte Kontrolle sind nicht frei von Nachteilen. Eine extensive gerichtliche Kontrolle im Einredeverfahren konfligiert mit den Zielen einer 38 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (386 ff., 406 ff.); ebenso könnte auch von einer präventiven und einer repressiven Kontrolle gesprochen werden, siehe Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 69 f. In der Sache meint dies jeweils eine Kontrolle im Einrede- und im Anerkennungsverfahren. 39 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (389). 40 S. u. Kapitel 2 – B.V. 41 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (389). 42 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (389). 43 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388 ff., 409 ff.); ebenso Pike/Tosheva, G.C.L.R. 2015, 82 (85); in den USA handelt es sich dabei um die effective vindication doctrine, zu dieser ausführlich unten Kapitel 3 – E.; zu europäischen Effektivitätsmaximen ausführlich Kapitel 5 – A.I. 44 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (389, 409). 45 S. o. Kapitel 1 – B.

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effizienten Schiedsgerichtsbarkeit. Je weiter diese Art der Kontrolle greift, desto eher besteht die Gefahr einer überfrachteten, nicht prozessökonomischen und damit auch Zuständigkeitskonflikte heraufbeschwörenden Prüfung der Zulässigkeit bzw. der Bestimmung der Zuständigkeit eines Spruchkörpers.46 Überlegenswert erscheint deshalb, sich auf eine dem Schiedsverfahren nachgelagerte Kontrolle zu beschränken. Möglicherweise kommt eine solche indes zu spät. Diese Gefahr manifestiert sich schon darin, dass prospektive Klägerinnen gegebenenfalls wegen einer Schiedsvereinbarung von der Anspruchsverfolgung gänzlich absehen.47 Sodann müssen mögliche kartellrechtliche Implikationen von den Schiedsrichter:innen erst einmal bemerkt werden.48 In komplexen internationalen Sachverhalten ist nicht gesichert, dass ein Gericht der Jurisdiktion, dessen Wettbewerbsrecht betroffen ist, um eine Prüfung im Exequaturverfahren ersucht wird.49 Und wenn es zu einem solchen kommt, ist selbst in Europa unklar, welcher Prüfungsmaßstab anzulegen ist.50 Bei einer umfassenden Kontrolle besteht die umgekehrte Gefahr, dass nunmehr das Schiedsverfahren zu einem kostspieligen Vorverfahren der ordentlichen Gerichte verkommt51 und die Parteien „mit doppelten Ruten“ gezüchtigt werden52. Insgesamt ergeben sich also Interdependenzen von vor- und nachgelagerter Kontrolle.

B. Kleine Geschichte der Kartellschiedsgerichtsbarkeit: Von der frühen Schiedsfeindlichkeit des Kartellrechts zur Liberalisierung Die bewegte Vergangenheit von Kartell- und Schiedsrecht regt in besonderer Weise zur historischen Kontextualisierung an und schärft so den Blick auch für aktuelle Spannungsfelder, insbesondere solche rechtspolitischer Natur; aus diesem Grund wird im Folgenden ein Überblick über die Geschichte der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung in Kartellsachen gegeben.

46 Siehe aus den USA Henry Schein, Inc. v. Archer & White Sales, Inc., 139 S. Ct. 524, 531 (2019): „time-consuming sideshow.“ 47 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388, 394). 48 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388). 49 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388); auch schon Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 139. 50 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388); plastisch Kasolowsky/Steup, SchiedsVZ 2008, 72 (passim); Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 908 ff. (2016). 51 Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 25, 270, 282; Zöller/Geimer, § 1059 ZPO Rn. 75; MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 7a. 52 Möhring, NJW 1968, 369 (369); Kornblum/Heymann, BB 1968, 1456, (1458).

B. Kleine Geschichte der Kartellschiedsgerichtsbarkeit

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I. USA 1. Eine frühe Weichenstellung Bereits im Jahr 1890 brachten die USA mit dem Sherman Antitrust Act53 ein Kartellgesetz auf den Weg, welches die Vereinigten Staaten zu ihren 100 wichtigsten Dokumenten zählen, die sie als Nation definieren,54 und welches mit seinen visionären Grundstrukturen55 auch heute noch die Blaupause für Kartellgesetze weltweit darstellt. Nur wenig später, 1914, folgte noch dazu der Clayton Antitrust Act,56 der auch das private enforcement als zweite Säule der Kartellrechtsdurchsetzung endgültig57 etablierte. Die USA verstanden es somit bereits sehr früh, Kartellantinnen die Daumenschrauben anzulegen. Historisch gewachsen war hingegen die allgemeine Schiedsfeindlichkeit der Justiz des common law Rechtskreises.58 1925 sah sich der Bundesgesetzgeber gezwungen, auf diese Entwicklung mit der Verabschiedung des Federal Arbitration Acts (FAA) zu reagieren, die Schiedsverträge auf eine Stufe mit anderen Verträgen heben sollte.59 2. Aufstieg und Fall der public policy defense60 Der so angestoßene Liberalisierungsprozess in der Schiedsgerichtsbarkeit schritt in einigen Bereichen schneller voran als in anderen. Ab den 1960er-Jahren betonte der Supreme Court, dass bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Schiedsklauseln nunmehr eine Vermutung dafürspreche, dass diese einen weiten Anwendungsbereich hätten.61 Das Kartellrecht zählte allerdings zu den langsameren Bereichen. Vor allem Bedenken, die „Magna Charta of free enterprise“62 privaten Schiedsgerichten zu überantworten, waren hierbei Ausgangspunkt großer Probleme. Insbesondere mit 53

July 2, 1890, ch. 647, §1, 26 Stat. 209, 15 U.S.C. §§ 1 – 7. Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 24, unter Verweis auf die Auflistung im Nationalarchiv der US-Bundesregierung, abrufbar unter https://www.ourdocu ments.gov/content.php?flash=false&page=milestone. 55 Vgl. Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Rn. 591 Fn. 10. 56 Oct. 15, 1914, ch. 323, § 20, 38 Stat. 738, 15 U.S.C. §§ 12 – 27, 29 U.S.C. §§ 52 – 53. 57 Auch der Sherman Act kannte bereits das private enforcement u. a. mit treble damages. Im Clayton Act wurde dies aber noch ausgeweitet. Die Bestimmung im Sherman Act wurde schließlich 1955 aufgehoben, siehe Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 231, Fn. 83 (1986). 58 Siehe hierzu noch unten Kapitel 3 – B.I. 59 Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 26 (2004), unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien; der Supreme Court hat den „equal footing“ Gedanken häufig aufgegriffen, siehe etwa Buckeye Check Cashing, Inc. v. Cardegna, 546 U.S. 440, 443 (2006). 60 Vgl. Wagner, Prozessverträge, S. 193 ff. 61 Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Co., 388 U.S. 395, 402 ff. (1967); ähnlich für Gerichtsstandsvereinbarungen M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 8 ff. (1972). 62 United States v. Topco Associates, Inc., 405 U.S. 596, 610 (1972); aufgegriffen wurde dies auch noch einmal vom Minderheitenvotum in Mitsubishi Motors Corp. v. Soler ChryslerPlymouth, Inc., 473 U.S. 614, 651 (1985) (Stevens, J., dissenting). 54

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

der Frage nach der objektiven Schiedsfähigkeit nicht ausschließlich privatschützender Rechtsgüter, der „public policy defense“,63 wurden in den USA so schon viel früher als in Deutschland Themen identifiziert, die das dogmatische Spannungsverhältnis von Kartellrecht und Schiedsrecht weltweit bis heute prägen. Erste Annäherungsversuche an die Problematik der objektiven Schiedsfähigkeit ergaben sich dabei aus strukturverwandten Bereichen. Namentlich das US-Anlegerschutzrecht64 wurde mit den US-Antitrust-Gesetzen als rechtpolitische Einheit verstanden, was eine Übertragung von Grundsätzen auf das jeweils andere Rechtsgebiet erlaubte.65 Präjudiziell war daher zunächst die Entscheidung Wilko v. Swan66 des Supreme Court. Hier kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass den spezialgesetzlichen, anlegerschützenden Ansprüchen nach dem US Securities Act eine besondere Qualität zukäme; der Gesetzgeber habe diese den ordentlichen Gerichten zugewiesen, um ihre effektive Verwirklichung sicherzustellen.67 Tatsächlich findet sich im Securities Act mit 15 U.S.C. § 77n eine Norm, die die dortigen Vorschriften für unabdingbar erklärt. Der Supreme Court erstreckte dieses Verbot, auf gesetzlich vorgesehene Rechte zu verzichten (sog. waiver), nicht nur auf die materiellen Ansprüche, sondern auch auf prozessuale Garantien wie etwa das Recht, vor einem staatlichen Gericht zu klagen.68 Motiv der Entscheidung war aber über die spezielle Norm hinaus die grundsätzliche Auffassung, dass die Schiedsgerichtsbarkeit ob der Bedeutung der spezialgesetzlichen Ansprüche aus Gründen der öffentlichen Ordnung schlicht kein adäquates Forum zur Beilegung von derartigen Streitigkeiten sei.69 In der Leitentscheidung zur Frage der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung bei zukünftigen Streitigkeiten kartellrechtlicher Ansprüche dozierte 1968 der US Court of Appeals for the Second Circuit in seiner Eingangs schon zitierten Entscheidung:70 A claim under the antitrust laws is not merely a private matter. The Sherman Act is designed to promote the national interest in a competitive economy; thus, the plaintiff asserting his rights under the Act has been likened to a private attorney-general who protects the public’s interest (…). Antitrust violations can affect hundreds of thousands-perhaps millions-of people and inflict staggering economic damage (…). We do not believe that Congress intended such claims to be resolved elsewhere than in the courts.

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Umfassend zu diesem Begriff auch unter Berücksichtigung des Kartellrechts Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, passim (1980). 64 V. a. der Securities Act und der Securities Exchange Act, 15 U.S.C. §§ 77a ff., 15 U.S.C. §§ 78a ff. 65 Schlosser, Entwicklungstendenzen in Recht und Praxis der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, S. 47 f. 66 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427 (1953). 67 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 435 (1953); Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 517 (1980). 68 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 434 f. (1953). 69 Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 234 (1986). 70 Am. Safety Equip. Corp. v. J. P. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 826 f. (2nd Cir. 1968).

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Im Sherman Act und im Clayton Act finden sich wie im Anlegerschutzrecht spezialdeliktische Ansprüche, aber keine 15 U.S.C. § 77n vergleichbare Norm, die den Parteien waiver verbietet. Dieser Umstand sollte noch relevant werden.71 1968 aber stützte das Berufungsgericht in American Safety sein Urteil der objektiven Schiedsunfähigkeit unter ausgiebiger Bezugnahme auf Wilko v. Swan auf vier Annahmen: Erstens, dass Privatklägerinnen eine essentielle Rolle im System der Kartellrechtsdurchsetzung im öffentlichen Interesse einnähmen; zweitens, dass bei Kartellverträgen eine Vermutung für das Vorliegen eines Adhäsionsvertrages und damit gegen die Wirksamkeit der Schiedsgerichtsvereinbarung streite; drittens, dass kartellrechtliche Streitigkeiten wegen ihrer Komplexität und der beweisrechtlichen Fragen eher für staatliche Streitbeilegungsforen geeignet seien; und schließlich viertens, dass Bedenken bestünden, Schiedsrichter:innen, die zumeist aus dem Kreise von Geschäftsleuten bestellt würden, die Entscheidung über Rechtsgüter im öffentlichen Interesse just in jenen kommerziellen Kreisen zu überantworten, die zu regulieren gerade der Zweck der besagten Rechtsgüter sei.72 Dies zusammengenommen ergab die American Safety doctrine. Sie blieb die einhellige Meinung der US-Bundesgerichte,73 und ihre Auswirkungen waren auch in anderen Rechtsgebieten mit öffentlichen Schutzgütern, so etwa Patent-74 oder RICO-Streitigkeiten,75 zu spüren. Freilich stand diese Argumentation von Beginn an auf tönernen Füßen, denn ganz so grundsätzlich waren auch die Vorbehalte der US-amerikanischen Gerichte nicht: Gegen nach Entstehen der Streitigkeit abgeschlossene Schiedsverträge bestanden keine Bedenken. Dies mag erstaunen,76 erscheint es doch naheliegend, dass die angeführten Argumente gegen die Zulässigkeit anfänglicher Schiedsvereinbarungen

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Siehe dazu unten Kapitel 3 – C.II.1.; Kapitel 3 – E.IV.3.b). Am. Safety Equip. Corp. v. J. P. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 826 f. (2nd Cir. 1968); vgl. auch die Zusammenfassungen der Doktrin im Mitsubishi-Verfahren, Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 (1985); 723 F.2d 155, 162 (1st Cir. 1983); das Berufungsgericht hatte die Perspektive, Schiedsrichter:innen die Kompetenz zur Beilegung kartellrechtlicher Streitigkeiten zu übertragen, damit verglichen, Generälen die Entscheidung über Krieg und Frieden anzuvertrauen. 73 Nachweise zu weiteren Entscheidungen der Bundesberufungsgerichte für diverse Circuits finden sich bei Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung in Kartellsachen, S. 24, Fn. 8; Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 236, Fn. 133 ff. (1986). 74 N.V. Maatschappij Voor Industriele Waarden v. A.O. Smith Corp., 532 F.2d 874, 876 (2nd Cir. 1976); hier steuerte der Gesetzgeber allerdings selbst gegen, indem er Patentstreitigkeiten für schiedsfähig erklärte, 35 U.S.C. § 294 (1982). 75 Racketeer Influenced Corrupt Organizations Act, siehe Page v. Mosley, Hallgarten, Eatabrook & Wedden, 806 F.2d 291, 298 ff. (1st Cir. 1986); der Supreme Court, in einem rein nationalen Sachverhalt, kam indes recht bald zum gegenteiligen Ergebnis, Shearson/Am. Exp., Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 238 ff. (1987); dieser Fall war der zweite der sog. Mitsubishi Trilogy, siehe dazu sogleich. 76 Allison hat diesen Umstand als „Anomalie“ bezeichnet, Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 253, 259 (1986); kritisch auch Wagner, Prozessverträge, S. 204; zustimmend aber etwa Scherk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 507 ff. (1980). 72

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grundsätzlich auch hier verfangen sollten.77 Während in American-Safety diese Frage noch offengelassen worden war,78 wurde die Ausnahme in Cobb v. Lewis79 anerkannt. Wenn nämlich eine Klägerin wisse, worauf sie sich einlasse – eben weil ihr die Streitigkeit schon bekannt war – und sie sich im Übrigen auch vor einem staatlichen Gericht jederzeit vergleichen könne, dann sei die Möglichkeit, nachträglich eine Schiedsvereinbarung abzuschließen, nichts anderes als ein Prozessvergleich vor einem staatlichen Gericht, und einem solchen stehe die Rechtsordnung aufgeschlossen gegenüber.80 In den 1970er Jahren hatte der Supreme Court seine eigene Maxime aus Wilko v. Swan nach dem Beitritt der USA zum UNÜ81 bereits in Teilen wieder revidiert und Streitigkeiten unter dem Securities Act im grenzüberschreitenden Handelsverkehr für zulässig erachtet.82 Auch bei Kartellstreitigkeiten gab er dann 1985 seine Zurückhaltung auf und befand in der berühmt geworden Mitsubishi-Entscheidung83 mit fünf zu drei Stimmen, dass auch an der Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche gar kein Zweifel bestehen könne. Dies bildete den Auftakt zur „Mitsubishi Trilogy“,84 einer aufsehenerregenden Serie von Entscheidungen85 in denen der Supreme Court die public policy defense gründlich einmottete und auch Wilko v. Swan explizit aufhob.86 Auch die vier Säulen der American Safety doctrine wurden als nicht tragfähig verworfen.87 Erstens gelte es, die Wirksamkeit einer Schiedsgerichtsklausel getrennt 77 Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 259 ff. (1986); Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 27 f. 78 Am. Safety Equip. Corp. v. J. P. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 827 (2nd Cir. 1968). 79 Cobb v. Lewis, 488 F.2d 41, 47 ff. (5th Cir. 1974). 80 Auch hierbei zeigte sich die Parallele zu den US-Anlegerschutzgesetzen, wo ebenfalls vom Grundsatz der Schiedsunfähigkeit bei nachträglichen Schiedsvereinbarungen abgewichen wurde, siehe Coenen v. R.W. Pressprich & Co., 453 F.2d 1209, 1213 ff. (2nd Cir. 1972), auch schon zu geltend gemachten kartellrechtlichen Ansprüchen; Gardner v. Shearson, Hammill & Co., 433 F.2d 367, 368 (5th Cir.1970); Moran v. Paine, Webber, Jackson & Curtis, 389 F.2d 242, 246 (3rd Cir.1968). 81 New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958, im Folgenden UNÜ; Beitritt der USA durch T.I.A.S. No. 6997 (U.S. Treaty) (Dec. 29, 1970). 82 Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 513 ff. (1974). 83 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985). 84 Sherwyn/Tracey/Eigen, 2 U. Pa J. Lab. & Emp. L. 73, (73, Fn. 3) (1999); überblicksweise Bales, Compulsory Arbitration, S. 23 ff. 85 Neben Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985) zu kartellrechtlichen Streitigkeiten noch Shearson/Am. Exp., Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220 (1987) zu RICO-Streitigkeiten sowie solchen unter dem Securities Exchange Act und schließlich Rodriguez de Quijas v. Shearson/Am. Exp., Inc., 490 U.S. 477 (1989) zu Streitigkeiten unter dem Securities Act. 86 Rodriguez de Quijas v. Shearson/Am. Exp., Inc., 490 U.S. 477, 484 ff. (1989). 87 Für eine ausführliche Analyse der Entscheidung und des Minderheitenvotums s. u. Kapitel 3 – C.

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vom Hauptvertrag zu bewerten, und zwar auch dann, wenn es sich bei diesem um einen Adhäsionsvertrag handele; zweitens seien Kartellverfahren nicht zu komplex für Schiedsgerichte, wofür auch die inkonsequente Herangehensweise spreche, nach Entstehung der Streitigkeit geschlossene Schiedsvereinbarungen zuzulassen; erst recht nicht angezeigt seien, drittens, allgemeine Vorbehalte gegenüber der Integrität von Schiedsrichter:innen; und schließlich könne, viertens, der besonderen Bedeutung der amerikanischen Wettbewerbsvorschriften auch in anderen Foren Rechnung getragen werden, solange ihnen dort zu einer effektiven Durchsetzung verholfen werde.88 All dies könne dann im nachgelagerten Exequaturverfahren überprüft werden, was erforderlich, aber auch ausreichend sei.89 Unter Betonung der Bedeutung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit für den grenzüberschreitenden Handelsverkehr kam der Supreme Court so zu dem Ergebnis, dass zumindest in internationalen Sachverhalten keine Bedenken gegen die Schiedsfähigkeit bestünden.90 Der Supreme Court ließ in Mitsubishi noch offen, ob sich diese Überlegungen auch auf nationale Sachverhalte übertragen ließen. Diese – vom Supreme Court bis heute nie entschiedene – Frage91 verlor in der gerichtlichen Praxis aber schon bald jede Relevanz. Von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen92 machten die amerikanischen Gerichte keinen Unterschied zwischen nationalen und internationalen Sachverhalten.93 In einer jüngst zu einem nationalen Sachverhalt ergangenen Entscheidung war dem Supreme Court die Frage der Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche keine Erwähnung mehr wert.94

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Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 ff. (1985). Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985). 90 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 f. (1985). 91 Im zweiten Teil der „Mitsubishi Trilogy“ hob der Supreme Court allerdings in Bezug auf nationale RICO-Ansprüche ein Urteil auf, welches die American Safety doctrine bei nationalen Streitigkeiten in Kraft lassen wollte, Shearson/Am. Exp., Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220 (1987); darauf auch für nationale Kartellsachverhalte rekurrierend etwa Kotam Electronics, Inc. v. JBL Consumer Products, Inc. 93 F.3d 724, 727 ff. (11th Cir. 1996); ebenso Shell, 35 UCLA L.Rev. 623, 624 Fn. 7 (1988). 92 Stendig Int’l, Inc. v. B. & B. Italia, S.p.A., 633 F. Supp. 27, 28 (S.D.N.Y. 1986). 93 U. a. In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 282 (4th Cir. 2007); Seacoast Motors of Salisbury, Inc. v. DaimlerChrysler Motors Corp., 271 F.3d 6, 10 (1st Cir. 2001) („it is time to lay it to rest“); Kotam Electronics, Inc. v. JBL Consumer Products, Inc., 93 F.3d 724, 727 ff. (11th Cir. 1996); Nghiem v. NEC Elec., Inc., 25 F.3d 1437, 1442 f. (9th Cir. 1994): wohl auch JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 179 (2nd Cir. 2004), jew. m. w. N. 94 Henry Schein, Inc. v. Archer & White Sales, Inc., 139 S. Ct. 524 (2019). 89

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II. Deutschland 1. Das Land der Kartelle Waren die USA das Mutterland des Kartellrechts, so war das damalige Deutsche Reich das „Land der Kartelle.“95 Salbungsvoll wurden Kartelle als „Kinder der Noth [sic]“96 bezeichnet. Die wirtschaftliche Bedeutung der Kartelle, ihren Einfluss auf den Wettbewerb und die daraus zu ziehenden gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen ließen sich die hiesigen Juristen von der Historischen Schule der Nationalökonomen97 erklären, denen Kartelle ein willkommenes Mittel der Wirtschaftslenkung waren.98 Teils schrieb auch schon das Deutsche Reich direkt eine Kartellierung von Schlüsselindustrien vor und beteiligte sich auch gleich an diesen.99 Entsprechend wurde deshalb schon der Begriff des Kartellrechts nicht in seiner originären Bedeutung als Antitrust-Recht verstanden, sondern vielmehr als Recht der Kartelle; er bezeichnete hauptsächlich das Problem der inneren Verfasstheit der damals noch in korporativer Form organisierten Kartelle. Neben wenigen kartellbedingten Auswüchsen wurde vor allem als problematisch angesehen, dass Kartelle die innere Willensbildung der Kartellantinnen durch mögliche Absprachen über Gebühr beeinträchtigten, sie gleichsam knebelten. Andere Stimmen, die etwa auf die Problematik der Wettbewerbsbeeinträchtigung hinwiesen, blieben vereinzelt.100 Exemplarisch für die damals vorherrschende Auffassung mag die Bewertung des Reichsgerichts in der berühmten Holzkartell-Entscheidung101 sein. Dass eine 95 So etwa der Titel des Aufsatzes von Basedow, WuW 2008, 270; ebenso Schaedel, in: FS Metzner, 415 (420); Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 21; Der SPIEGEL vom 03. 07. 1957, Nr. 27, S. 19. 96 Kleinwächter, Die Kartelle, S. 143, 157; schon dieses Buch – von 1883 – kennt Kartellschiedsgerichte, siehe u. a. S. 129. 97 Als prominente Vertreter seien hier etwa Gustav von Schmoller oder Robert Liefmann genannt. „Kartelle, so ließen sich [die Juristen] gerne belehren, seien Kinder der Zeit, Zeugen der modernen Entwicklung, und mit ihnen bräche der Morgen einer neuen Wirtschaftsepoche an“, Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 71. 98 Siehe etwa für die Bedeutung der Kartelle zur Bewältigung der 1873 einsetzenden Gründerkrise, für die der freie und ruinöse Wettbewerb verantwortlich gemacht und Kartelle als Gegengift verschrieben worden waren Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 427 ff.; Nachweise dazu finden sich etwa auch in RGZ 38, 155 (157); zur Bedeutung der Kartelle im Wettstreit mit anderen europäischen Großmächten Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 29. 99 Gemeint ist das durch das Reichskaligesetz von 1910, RGBl. S. 775 ff. gegründete Kartell für Kalisalze, in dessen Aufsicht Reichskanzler und Reichstag institutionell eingebunden waren. 100 Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 30. 101 RGZ 38, 155 (155 ff.); mehrere Holzlieferanten hatten, um einen „verderblichen Wettbewerb“ Einhalt zu gebieten, eine gemeinsame Verkaufsstelle gegründet und vertrieben über diese ihre Waren; widrigenfalls, also bei Direktvertrieb an Kunden, war eine Vertragsstrafe zu zahlen. Als dann eine Kartellantin ihre Waren direkt vertrieb und von den kartelltreuen Mitgliedern auf Zahlung der Vertragsstrafe in Anspruch genommen wurde, obsiegte sie zwar

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Kartellabrede gegen die Wettbewerbsfreiheit in der damaligen Ausprägung der Gewerbefreiheit nach § 1 GewO verstoßen haben könnte, vermochte das Reichsgericht vor lauter „genossenschaftlicher Selbsthilfe“ nicht zu erkennen;102 subjektiv stünde es vielmehr den Gewerbetreibenden frei, den Wettbewerb nicht für sich nutzen zu wollen.103 Hiermit entzog das Reichsgericht Kartellabsprachen dem Einflussbereich der Gewerbeordnung und unterstellte sie dem Regelungsbereich des Zivilrechts.104 Dieses war hierauf aber überhaupt nicht vorbereitet, zumal das Reichsgericht vor dem Verdikt der Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB zurückschreckte.105 In der allgemein kartellfreundlichen Gemengelage hatte sich entwickelt, was Nörr als die „Leiden des Privatrechts“106 bezeichnete, nämlich eine lang andauernde Wehrlosigkeit und dogmatische Sprachlosigkeit des Privatrechts gegenüber den Kartellen. Derart protegiert, florierten Kartelle im Deutschen Reich. Im Jahr 1905 gab es in Deutschland fast 400 feste Kartellverbindungen, daneben zahlreiche lockere Vereinigungen.107 Im Ersten Weltkrieg stieg ihre Bedeutung noch an,108 und trotz der Verabschiedung der Kartellverordnung109 und jetzt schon prononcierter Vorbehalte110 sollte sich dies auch in der Weimarer Republik nicht ändern. Nach einer zeitgevor dem Reichsgericht, weil sie die Kartellabrede im Innenverhältnis über Gebühr bei ihrer Willensentschließung beeinträchtigt hatte, nicht aber, weil das Kartell an sich rechtswidrig gewesen wäre. 102 RGZ 38, 155 (162) unter Verweis auf das erste Buchhändlerurteil, RGZ 28, 238; hierzu auch Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 13. 103 RGZ 38, 155 (158 f.); Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 431; Schmidt und Nörr haben zutreffend darauf hingewiesen, dass das RG sich zur Frage der unbotmäßigen Knebelung mit juristischen Argumenten auseinandersetze, bei der Frage der allgemeinen Zulässigkeit von Kartellen aber nahezu ausschließlich Nationalökonomen heranzog, siehe Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (183); Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 8. 104 Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 431. 105 Bestätigt etwa in RGZ 118, 84 (91); s. a. Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 9, sowie S. 11 f. zur Frage der vom Gericht ebenfalls abgelehnten Anwendung der §§ 823, 826 BGB auf Kartelle. 106 Nörr, Leiden des Privatrechts (1994). 107 Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Rn. 585; die Kartellierungsquoten einzelner Industrien finden sich bei Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 21. 108 Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 32. 109 Eigentlich VO gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen RGBl. 1923, I, S. 1067 ff.; dort ging es allerdings nicht um Missbrauchsbekämpfung, sondern um staatliche Aufsicht über die Kartelle. Besonders deutlich wird dies an dem Umstand, dass § 1 der VO nicht etwa Kartelle verbot, sondern für die Wirksamkeit von wettbewerbsbeschränkenden Abreden ein Schriftformerfordernis statuierte, dies freilich alles unter der schönen Losung einer „wirkliche[n] Marktfreiheit“; siehe Pressemitteilung des Reichswirtschaftsministeriums, abgedruckt bei Nörr, Leiden des Privatrechts S. 57 f., sowie hierzu auch S. 62; Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (179 f.). 110 Siehe etwa Lucas, KartRdsch 1925, 595 (passim), der in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Kartellgerichts ein Gutachten über die kartellrechtliche Zulässigkeit von Schiedsabreden verfasst hatte.

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nössischen Schätzung des Reichswirtschaftsministeriums existierten im Jahr 1925 2.500 Kartelle.111 2. „Die Geschichte der Kartellbildung ist auch eine Geschichte der privaten Schiedsgerichtsbarkeit“112 Das Schiedsrecht war in dieser Frühphase des Kartellrechts das bewährte Mittel der Kartelle, Kartelldisziplin durch inneren Organisationszwang herzustellen. Interne Streitigkeiten etwa über die Intensität der Kartellabrede konnten so ohne lästige Involvierung staatlicher Institutionen oder der Öffentlichkeit beigelegt werden.113 Vor den kartelleigenen Schiedsgerichten trafen dann widerspenstige Kartellmitglieder auf ihre Mitkartellantinnen, die praktischerweise auch die Mehrzahl der Mitglieder des Schiedsgerichts stellen konnten.114 Durch die im Voraus verlangte Stellung von Sicherheiten seitens der Kartellantinnen, die dann, wenn ein Schiedsspruch erging, einfach verwertet wurden, bedurfte es zudem keiner staatlichen Exequatur etwaiger Vertragsstrafen.115 Dass sich das Reichsgericht im Holzkartell-Urteil erst 1897 – Jahrzehnte nach dem ersten Auftreten der Kartelle – zur Zulässigkeit von Kartellen geäußert hat, wird ebenfalls auf den Einfluss der Kartellschiedsgerichtsbarkeit zurückgeführt.116 Kartellverbände konnten sogar dabei beobachtet werden, wie sie versuchten, den Verbandszwang auf Vertragspartner der Kartellantinnen – also auf externe Dritte – auszuweiten.117 Vor diesem Hintergrund ist ein Großteil der Diskussion, der sich um das Verhältnis von Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, zumal in Deutschland entspannt hat, zu betrachten. Schiedsgerichte waren als Organisationsmittel der Kartellantinnen,118 und damit als 111

Basedow, WuW 2008, 270 (270); für das Jahr 1928 Schaedel, in: FS Metzner, 415 (420); andere Quellen nennen diese Zahl erst für die Zeit ab 1933, vgl. Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 446. 112 Markert, BB 1968, 217 (221). 113 Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (494); Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 55; Kronstein, Das Recht der internationalen Kartelle, S. 212 ff. 114 RGZ 51, 392 (393 f.); RGZ 113, 321 (322 f.); Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 11; Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (494); Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 132 ff.; in der Lesart des RG hatten Kartellmitglieder, nachdem die Satzung eine entsprechende Zusammensetzung der Schiedsgerichte vorsah, mit ihrem Beitritt auf den Ablehnungsgrund der Befangenheit verzichtet, RGZ 51, 392 (393); hierzu Habscheid, NJW 1962, 5 (10); vgl. auch Lucas, KartRdsch 1925, 595 (596 ff.). 115 Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 4, S. 306 ff.; Kronstein, Das Recht der internationalen Kartelle, S. 229 ff. 116 Kronstein, Das Recht der internationalen Kartelle, S. 214; Kornblum/Heymann, BB 1968, 1456 (1458) m. w. N. 117 Lucas, KartRdsch 1925, 595 (598); Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 3; Kronstein, Das Recht der internationalen Kartelle, S. 222. 118 Schiedsgerichte konnten teils auch über die verwaltungsmäßigen Grundsätze der Kartellpolitik und -organisation entscheiden, vgl. Kronstein, Das Recht der internationalen

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zusätzliches Mittel der Binnenknebelung, nicht aber als Mittel der privaten Rechtsdurchsetzung allgegenwärtig. Hiervon zeugt auch ihr zahlenmäßiges Aufkommen.119 So mauserten sie sich zu „Garant[en] der Kartellautonomie“120. Als mit den Ordoliberalen121 Kritiker der Kartellidee nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung gewannen und insbesondere in den Alliierten auch mächtige Verbündete fanden, bedeutete dies eine Zeitenwende. Die alliierten Dekartellierungsgesetze von 1947122 läuteten das Ende der selbstverständlichen Kartellierung der deutschen Wirtschaft ein. Freilich dachte insbesondere die im BDI organisierte Schwerindustrie nicht daran, das Feld kampflos zu räumen, und betätigte sich mit tatkräftiger Unterstützung von Teilen der CDU/CSU-Regierungsfraktion als Verteidiger der Kartellidee.123 Das Verfahren um die Kodifizierung des GWB war ob dieser Rückzugsgefechte ein zähes Ringen; der SPIEGEL etwa wählte die für ein wirtschaftsrechtliches Gesetzgebungsverfahren gewiss nicht alltägliche Formulierung vom „siebenjährigen Krieg“,124 der nach nicht weniger als 14 Gesetzesentwürfen125 mit der Verabschiedung des GWB 1957 sein Ende gefunden habe. Dabei war selbst in diesem Meilenstein der Kartellgesetzgebung die Wettbewerbsidee noch „erheblich gerupft“126 Kartelle, S. 221 ff.; Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 4. 119 Das ständige Schiedsgericht des Konditionenkartells der Automobilwirtschaft etwa bearbeitete, bis es seine Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg einstellte, von 1934 an 2.974 Streitigkeiten und erließ 1.967 Schiedssprüche; Brunn, in: FS Metzner, 245 (253); Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 3. 120 Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 5. 121 Unter diesen sind vor allem der Ökonom Walter Eucken sowie der Jurist Franz Böhm hervorzuheben, siehe Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 450; Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 140 ff. 122 Gesetz Nr. 56 der amerikanischen Militärregierung, Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanisches Kontrollgebiet, Ausgabe C, S. 2 ff.; Verordnung Nr. 78 der britischen Militärregierung, Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet, Ausgabe 16, S. 412 ff.; Verordnung Nr. 96 des französischen Oberkommandos, Amtsblatt des französischen Oberkommandos in Deutschland, Ausgabe 78, S. 784 ff.; hierzu Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 58 ff. 123 So wurden etwa die Verhandlungen über die Gesetzesentwürfe von 1953 an bilateral geführt, allerdings zwischen Bundesregierung und BDI im neu gegründeten „Arbeitskreis Kartellrecht“, nicht etwa zwischen Bundesregierung und Bundestag. Letzterem wurde der Entwurf dann erst 1955 wieder vorgelegt; allgemein zum Gesetzgebungsverfahren und zur Einflussnahme des BDI: Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 198 ff.; Bethusy-Huc, Demokratie und Interessenpolitik, S. 36 ff.; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 201 ff. 124 Der SPIEGEL v. 03. 07. 1957, Nr. 27, S. 17 ff.; s. a. Burrichter, in: FS Schroeder, S. 165 (165). 125 Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 450; dem Regierungsentwurf von 1952 gingen 17 Referentenentwürfe voraus, siehe Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 180; Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 163. 126 Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 220; s. a. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (184): „rechtssystematisch war an [den Tatbeständen des GWB] nahezu alles falsch.“

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

und bedurfte das GWB im Laufe seiner zahlreichen Novellierungen weiterer „Rosskuren“127. Denn aus den „Leiden des Privatrechts“ waren die „privatrechtsinduzierten Leiden des Kartellrechts“128 geworden: Erneut wurden Kartelle lediglich unter dem Blickwinkel des Kartellvertrages betrachtet, nicht aber unter dem der verbotenen Kartellpraxis.129 Für die hier vorliegende Untersuchung soll dabei vor allem interessieren, welche Konsequenzen diese vom Kartellvertrag gedachte Perspektive für die Kartellschiedsgerichtsbarkeit zeitigte. Im Josten-Entwurf130 von 1949 war vorgesehen, dass Schiedsabreden über künftige Streitigkeiten, die von einer Vertragspartei zur Bedingung für den Vertragsschluss gemacht worden waren, gleich solchen, die Streitigkeiten über das Marktverhalten einer Vertragspartei erfasst hätten oder keinen paritätischen Einfluss bei der Auswahl der Schiedsrichter:innen vorgesehen hätte, nichtig sein sollten.131 Noch verschärft wurde dieser Versuch einer Eindämmung der Kartellschiedsgerichtsbarkeit im ersten Regierungsentwurf für ein GWB von 1952, der alle Schiedsverträge über künftige Streitigkeiten für nichtig erklären wollte.132 Das Misstrauen gegenüber der Kartellschiedsgerichtsbarkeit war so weit verbreitet, dass diese Vorschrift als die „vielleicht wichtigste Vorschrift des deutschen Geset127

Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (181). Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (184). 129 Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (184 ff.); siehe hierzu auch Burrichter, in: FS Schroeder, S. 165 (181 f.). 130 Benannt nach Paul Josten, dem vormaligen Leiter des Kartellreferats im Reichswirtschaftsministerium; eine Bewertung des Entwurfs findet sich bei Nörr, Leiden des Privatrechts S. 169 ff. 131 § 37 des Josten-Entwurfs, abgedruckt bei Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 172, Fn. 50. 132 BT-Drs. I/3462; dieser Entwurf ist identisch mit BT-Drs. II/1158, der in der folgenden Legislaturperiode erneut eingebracht wurde. In § 66 Abs. 1 hieß es: „Schiedsverträge über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen oder Beschlüssen der in §§ 1 bis 4 bezeichneten Art oder aus Ansprüchen im Sinne des § 28 sind nichtig. Schiedsverträge über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen oder Beschlüssen der in § 5 bezeichneten Art sind unwirksam, soweit nicht die zuständige Behörde auf Antrag eine Erlaubnis erteilt.“ In der Begründung hierzu hieß es auf S. 54: „Das Gesetz würde dieses System [Anm: Das Wettbewerbssystem] wesentlich abschwächen, wenn es gestatten würde, daß diese bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im gleichen Umfang, wie das früher der Fall war, der Zuständigkeit der Gerichte entzogen werden können. Die früher fast ausnahmlos vereinbarte Zuständigkeit von Schiedsgerichten hat dazu geführt, Kartellstreitigkeiten der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte fast völlig zu entziehen. Das hat nicht nur zu einer Rechtsfremdheit der Gerichte in bezug auf diese Fragen, sondern auch zu einer Verbandsschiedsgerichtsbarkeit geführt, die das Recht vielfach in einseitiger Betonung der Verbands- und Kartellinteressen angewendet und eine nicht unbedenkliche Verbandsautonomie entwickelt hat. Es wäre bedenklich, wenn sich in Zukunft der gleiche Zustand herausstellen würde. (…) Es besteht zwar keine Veranlassung, die sich aus dem Gesetz entwickelnden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten völlig dem schiedsrichterlichen Verfahren zu entziehen. Es muß jedoch verhindert werden, daß unter Ausnutzung des oft mißbrauchten Grundsatzes der Vertragsfreiheit die Beteiligten sich durch Formularverträge oder ähnliche Maßnahmen bereits für alle zukünftigen Rechtsstreitigkeiten einer Verbandsschiedsgerichtsbarkeit unterwerfen.“ (Fehler im Original). 128

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zesentwurfs“133 bezeichnet wurde. Auch gegen diese Idee opponierte der BDI heftig,134 das Wort vom staatlichen Dirigismus machte die Runde,135 und die Wehklagen sollten, wenn sie schon nicht zur Streichung führten, so doch nicht ungehört bleiben. Nur mit letzter Kraft passierte eine abgeschwächte Fassung den Wirtschaftspolitischen Ausschuss136 und fand ihren Weg in das Gesetz. § 91 GWB a. F.137 erklärte alle Schiedsvereinbarungen, die zukünftige Streitigkeiten aus dem GWB erfassen sollten und nicht beiden Parteien das Recht einräumten, an Stelle des Schiedsgerichts ein staatliches Gericht anzurufen, für nichtig.138 Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber die Schiedsfähigkeit von Kartellstreitigkeiten damit unbesehen unterstellte,139 eine Einschätzung, der sich der BGH im Übrigen schnell anschloss, allerdings unter Betonung der Notwendigkeit einer ex post-Kontrolle140. Ausgehend von der Kartell-Binnenperspektive war der Gesetzgeber auch ersichtlich davon ausgegangen, nunmehr ein wirksames Mittel gegen die Kartellschiedsgerichtsbarkeit gefunden zu haben. Noch nicht recht durchgerungen hatte er sich indes zu der Erkenntnis, dass sich die Beziehung von Schieds- und Kartellrecht unter der Maßgabe eines zunehmend konsequenten Kartellverbots verändern würde.

133

Rasch, WuW 1952, 824 (826). Nörr, Leiden des Privatrechts, S. 219; es waren schließlich die Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, die im Arbeitskreis Kartellgesetz darauf bestanden, die Möglichkeit der Wahl ordentlicher Gerichte offenzuhalten, Sölter, WuW 1954, 728 (734). 135 Dörinkel, WuW 1957, 651 (652); sehr kritisch („rückschrittlich und undemokratisch“) auch Zweigert, in: FS Isay, S. 129 (164 ff.); ders. DVBl. 1958, 625 (631); ders. DVBl. 1953, 225 (232). 136 Das Ergebnis lautete 6 zu 5 Stimmen, bei einer Enthaltung, siehe Kurzprotokoll der 197. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 22. 06. 1957, S. 9. 137 BGBl. 1957, I, S. 1081 ff.; für eine Gegenüberstellung des GWB von 1957 zu vorherigen Entwürfen siehe Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 240 ff. 138 § 91 GWB Abs. 1 a. F.: Schiedsverträge über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen oder Beschlüssen der in den §§ 1 bis 5, 7, 8, 29, 99 Abs. 2 Nr. 2 bis 4, §§ 100, 102 und 103 bezeichneten Art oder aus Ansprüchen im Sinne des § 35 sind nichtig, wenn sie nicht jedem Beteiligten das Recht geben, im Einzelfalle statt der Entscheidung durch das Schiedsgericht eine Entscheidung durch das ordentliche Gericht zu verlangen. Schiedsverträge über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen oder Beschlüssen der in § 6 bezeichneten Art sind unwirksam, soweit nicht die Kartellbehörde auf Antrag eine Erlaubnis erteilt. Abs. 2: Soweit über bereits entstandene Rechtsstreitigkeiten im Sinne des Absatzes 1 Schiedsverträge abgeschlossen werden, ist § 1027 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden. 139 Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 56; s. a. die Gesetzesbegründung oben in Kapitel 2, Fn. 132. 140 BGH, GRUR 1966, 576 (580) – Zimcofot; bereits zu den Dekartellierungsgesetzen BGH, NJW 1959, 1438 (1439 ff.) – Flugplatz. 134

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

3. Der Weg zur Liberalisierung Der neu geschaffene § 91 GWB a. F. sah sich Angriffen aus gegensätzlichen Richtungen ausgesetzt. Stimmen wurden laut, auch in Deutschland Kartellstreitigkeiten für schiedsunfähig zu erklären.141 Daneben erhob sich – „Derogation durch Interpretation“142 – Kritik von industrienahen Vertretern und solchen, die einer alten Kartellidee verhaftet waren143. Unter spürbaren Druck geriet die Regelung des § 91 GWB a. F. aber erst, als sich die Forderung nach seiner ersatzlosen Streichung aus einer Richtung vernehmen ließ, die nicht im Verdacht stand, Kartellen übermäßig zugeneigt zu sein. Denn nach dem Inkrafttreten des GWB wurde offenbar, dass sich die Problematik der Kartellschiedsgerichtsbarkeit verschoben hatte. Korporierte Kartelle, und damit auch das Problem des inneren Organisationszwangs, gehörten der Vergangenheit an. An ständige Schiedsgerichte nach dem Modell des Autokonditionenkartells war nicht zu denken. Neu hingegen war, dass sich Geschädigte wettbewerbswidrigen Verhaltens mit ihren Schädigerinnen zumeist noch im „Schild“-Prozess stritten und hierbei Schiedsgerichte aus Lieferverträgen die Plattform boten. Aus dieser Perspektive war § 91 GWB a. F. allerdings, wie gezeigt, nicht gedacht. Bald wurde deshalb rundheraus gefordert, § 91 GWB a. F. zu streichen.144 Auch die Mitsubishi-Entscheidung des Supreme Court hinterließ erheblichen Eindruck in der hiesigen Kartellrechtsszene.145 Zum 01. 01. 1998 dann wurde § 91 GWB a. F. durch das SchiedsVfG146 ersatzlos gestrichen. Lediglich der Bundesrat erhob Einwände,147 mit denen er letztlich nicht durchdringen sollte: Die Bundesregierung nannte § 91 GWB a. F. nicht mehr zeitgemäß, verwies auf die 141 Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 315 ff.; so auch für Streitigkeiten aus Kartellabreden Vollmer, WuW 1969, 421 (424). 142 Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (180). 143 In diese Richtung speziell zur Reichweite des § 91 GWB etwa Kroitzsch, GRUR 1969, 387 (passim); Möhring, NJW 1968, 369 (passim). 144 Schlosser, ZIP 1987, 492 (498); Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 144 ff.; so auch die vom BMJ gebildete Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, vgl. BT-Drs. 13/5274, S. 71; zurückhaltender noch Steindorff, WuW 1984, 189 (192); Schmidt, in: FS Pfeiffer, 765 (773); insgesamt zu dieser Diskussion auch Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 17 ff. 145 Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (501): „Fanal internationalen Maßstabs“; s. a. Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (8) m. w. N.; Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 22; eine Ironie der Geschichte ist, dass sich das Minderheitenvotum u. a. auch mit Verweis auf § 91 GWB a. F. gegen die Schiedsfähigkeit stemmte, siehe Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 661, Fn. 36 (1985) (Stevens, J., dissenting). 146 Schiedsverfahren-Neuregelungsgesetz, BGBl. 1997, I, S. 3224 ff.; ebenfalls gestrichen wurde das in § 1025 a. F. ZPO statuierte Erfordernis, wonach die Schiedsfähigkeit eines vermögensrechtlichen Streitgegenstandes (etwa Kartellschadensersatzansprüche) dessen Vergleichsfähigkeit voraussetzte; dazu im kartellrechtlichen Kontext Wiedemann/Bumiller, 1. Aufl. 1999, § 61 Rn. 1 ff. 147 BT-Drs. 13/5274, S. 74 f.

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materiellen Kartelltatbestände, eine Überprüfung im Exequaturverfahren sowie darauf, dass ein Schiedsgericht die zwingenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts in gleicher Weise wie ein staatliches Gericht zu beachten habe.148 Insbesondere auch, dass sich Schiedsabreden häufig in Verträgen zwischen Parteien mit unterschiedlicher Machtstellung fänden, sei ein allgemeines, aber kein spezifisch kartellrechtliches Problem;149 anders gewendet sei der Schutz vor derartigen Klauseln nicht Aufgabe des marktschützenden Kartellrechts, sondern des Schiedsvertragsrechts.150

III. Unionsrecht: „From distrust to embrace“151 Auch auf Seiten der damaligen Europäischen Gemeinschaft lässt sich die Entwicklung zur Liberalisierung nachvollziehen. Die Europäische Kommission war vor Geltung der VO 1/2003152 als Einzige dazu berufen, gem. Art. 81 Abs. 3 EG (Art. 101 Abs. 3 AEUV) Freistellungen vom kartellrechtlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu erteilen. Nicht die nationalen Gerichte und erst recht keine privaten Schiedsgerichte waren hierzu befugt.153 Wenig überraschend führte diese restriktive Haltung eher zu einem Klima wechselseitiger Skepsis und dazu, dass private Schiedsgerichte der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften eher ganz aus dem Weg gingen, als durch eine Behandlung entsprechender Fragestellungen den Schiedsspruch der Möglichkeit der Aufhebung auszusetzen.154 Aus dieser Zeit kursieren auch Geschichten, die anekdotischer Natur und doch geeignet sind, alle Vorbehalte gegenüber einer vermeintlichen Schattenjustiz zu bestätigen.155 Die von offizieller Seite gesichert überlieferten Fälle sind aber weniger aufregend. Zwar ordnete die Kommission in alten Freistellungen nach 148

BT-Drs. 13/5274, S. 71, S. 76. BT-Drs. 13/5274, S. 76. 150 Schmidt, BB 2006, 1397 (1397); allerdings hob der Bundestag in derselben Novelle auch § 1025 Abs. 2 ZPO a. F. auf, der die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung bei der Ausnutzung wirtschaftlicher oder sozialer Überlegenheit zu ihrem Abschluss vorgesehen hatte. 151 Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (192). 152 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, im Folgenden VO 1/2003. 153 Nazzini, EBLR 2008, 89 (92). 154 Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (192); s. a. Heukamp, Schiedszusagen S. 22. 155 Vgl. etwa Werner, 12 J. Arb. Int’l 21, 23 f. (1995). Dort ist von konspirativen Geschäftsleuten aus der EG die Rede, die ihren – sehenden Auges den Kartellverstoß provozierenden – Pakt schweizerischem Recht unterwarfen, von einem Safe in der Schweiz, in dem die einzige Vertragskopie deponiert wurde, und von einer Schiedsabrede, die den für den Fall eines Disputs berufenen Schiedsrichter:innen zwar die Einsicht erlaubte, aber ihnen aufgab, den Vertrag im Schiedsspruch nicht zu erwähnen, dies alles mit dem Ziel, die Abrede dem Zugriff europäischer Wettbewerbshüter zu entziehen; s. a. Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 1 VO 1/2003 Rn. 48. 149

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Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 101 Abs. 3 AEUV) gelegentlich an,156 dass ihr Schiedssprüche aus einem Vertrag vorgelegt werden mussten, wohl stets dann, wenn sie die leise Ahnung beschlich, dass Schiedsgerichte hier wettbewerbsrechtlich grenzwertige Abreden endgültig über die Schwelle zum Verstoß hieven würden.157 Auch stufte die Kommission bisweilen Schiedsabreden158 wie auch Schiedssprüche159 als eigenständige Wettbewerbsverstöße ein. Doch handelte es sich hierbei um insgesamt geringe Fallzahlen, für die jeweils ein Verstoß gegen materielles Wettbewerbsrecht ursächlich war.160 Gegenteilige Beispiele sollen daneben nicht unerwähnt bleiben. Zum einen stand der Grundsatz der Schiedsfähigkeit von Rechtsstreitigkeiten des heutigen Art. 101 AEUV seitens der Kommission offenbar nie zur Disposition.161 Zum anderen bediente sich die Kommission auch selbst Schiedsgerichten. So gab die Kommission eine gemeinsame Vertriebsvereinbarung dreier Vertriebshändlerinnen gem. Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 101 Abs. 3 AEUV) mit der Maßgabe frei, dass diese für den Fall von Streitigkeiten mit ihren Ausstellerinnen eine ausführliche Schiedsklausel zum Gegenstand der Vereinbarung zu machen hatten.162 Zudem werden Schiedsgerichte mit zunehmender Regelmäßigkeit auch dazu eingesetzt, Streitigkeiten um die Einhaltung fusionskontrollrechtlicher Verpflichtungszusagen gem. Art. 9 Abs. 1 VO 1/2003 zu schlichten.163 Auch in Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 102 156 KO-E 93/403/EWG, IV/32.150 – EBU/Eurovisions-System, ABl. 1993 L 179/23; KO-E 78/253/EWG, IV/171, 856, 172, 117, 28.173 – Campari, ABl. 1978 L 70/69; KO-E 75/494/ EWG, IV/21.353 – Kabelmetal-Luchaire, ABl. 1975 L 222/34; KO-E 72/41/EWG, IV/26.917 – Henkel/Colgate, ABl. 1972 L 14/14. 157 Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (6) m. w. N.; von Zumbusch, GRUR Int 1988, 541 (552). 158 Siehe etwa KO-E 78/59/EWG – IV/147 – Centraal Bureau voor de Rijwielhandel, ABl. 1978 L 20/18, Rn. 28; KO-E 75/358/EWG, IV/712 – Haarden- en Kachelhandel, ABl. 1975 L 159/22; hierbei handelte es sich allerdings um den aus Deutschland bekannten Fall eines institutionalisierten Kartellschiedsgerichts; kritisch Bosch, in: FS Bechtold, S. 59 (61 ff.); s. a. den Bericht über ein niederländisches Schiedsverfahren bei Mok/Johannes, AWD 1965, 181 (passim). 159 Sache COMP/39.736 – Siemens/Areva, ABl. 2012 C 280/8; hier hatte das Schiedsgericht ein im Rahmen eines Joint Ventures vereinbartes Wettbewerbsverbot für eine Dauer bestätigt, die von der Kommission immer noch als unangemessen erachtet wurde, vgl. Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 34 f.; zudem Preflex v. Lipski, Fallbericht Europäische Kommission, Xth Report on Competition Policy, S. 87 f., Nr. 126; Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 5 – 1980, Rn. 2.1.15; in diesem Fall hatte das Schiedsgericht in einer Patentstreitigkeit auf eine gegen das Recht der EG verstoßende Pflicht zur Lizenzzahlung erkannt, vgl. Komninos, in: Basedow et al (Hrsg.), S. 191 (212). 160 In dem Sinne das bereits eingangs erwähnte Zitat von Schmidt, BB 2006, 1397 (1398): „zu vernachlässigende Ausnahme“. 161 Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (6); von Zumbusch, GRUR Int 1988, 541 (552). 162 KO-E 89/467/EWG, IV/30.566 – UIP, ABl. 1989 L 226/25; hierzu auch Blanke, EBLR 2005, 169 (170). 163 Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 884 ff. (2016) nennt für den Zeitraum von 1992 (beginnend mit der Kommissionsentscheidung in Elf/Minol, ABl. 1992 C 232/14) bis 2016 die

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AEUV werden solche Verfahren etabliert.164 All das verdeutlicht eine gewachsene schiedsfreundlichere Haltung.165 Auch der europäische Gesetzgeber hat die Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche anerkannt. Zunächst hatte die Umstellung auf das System der Legalausnahme166 durch die VO 1/2003 zur Folge, dass die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts dezentralisiert wurde, namentlich auf nationale Wettbewerbsbehörden und Gerichte, aber auch auf Schiedsgerichte; es steht außer Frage, dass die Durchsetzung des Kartellrechts in all seinen Facetten als dezentralem Vollzugsorgan auch ihnen obliegt167. Das galt bereits, obwohl die VO 1/2003 Schiedsgerichte nicht ansprach, ein Umstand, der wiederum für einige Verwirrung gesorgt hat.168 Spätestens die Erwähnung von Schiedsgerichten in der KartSE-RL hat diese Diskussion beendet.169 Die verbliebene Frage ist jetzt nicht mehr, ob Schiedsgerichte europäisches Wettbewerbsrecht anwenden dürfen, sondern ob sie es ex officio müssen.170 Gleichsam hat auch der EuGH keine grundsätzlichen Vorbehalte erkennen lassen. In Eco Swiss171 erkannte er die Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche nach allgemeiner Lesart172 implizit173 an, und diese Rechtsprechung behielt er auch in Zahl von 65 bedingten Freigabeentscheidungen sowie 6 Verpflichtungszusagen unter Art. 9 Abs. 1 der VO 1/2003; siehe zu dieser Thematik auch Geradin/Villano, 40 World Competition 67, 82 f. (2017); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (6) sowie eingehend Heukamp, Schiedszusagen (passim). 164 Sache AT.39816 – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa, ABl. 2018 C 258/7. 165 Kritischer bewertet von Orth, ZWeR 2018, 382 (388 ff.). 166 Zur Neuinterpretation des damaligen Art. 81 Abs. 3 EG durch die VO Nr. 1/2003 siehe etwa Immenga/Mestmäcker/Ellger, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 21 ff.; Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 404 ff.; Eilmansberger, JZ 2001, 365 (passim); speziell zu Schiedsgerichten Hermanns/Brück, SchiedsVZ 2004, 137 (passim). 167 Schmidt, BB 2006, 1397 (1398); eingehend untersucht bei Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 65 ff.; Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz, Art. 6 VO 1/2003 Rn. 3; MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 836; LMRKM/Zuber, Art. 6 VO 1/2003 Rn. 4; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, VO 1/2003 Art. 6 Rn. 14; Nazzini, 2008 EBLR 89 (92 ff.); Schmidt, ZWeR 2007, 394 (415 f.); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (8). 168 Siehe Nazzini, 2008 EBLR 89 (92 ff.); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (8). 169 Erwägungsgrund 48 sowie Art. 18 Abs. 2 KartSE-RL; ebenso Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (447); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (453 f.). 170 Siehe zu dieser Diskussion Kapitel 5 – A.II.2. 171 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269 – Eco Swiss. 172 Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 128 f. (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (73); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Geradin/Villano, 40 World Competition 67, 74 f. (2017); Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 903 ff. (2016); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (499 f.); Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567, 574 f. (2015); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (8); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (207). 173 Der EuGH hatte im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens darüber zu befinden, ob ein durch ein Handelsschiedsgericht erlassener Schiedsspruch bereits deshalb aufzuheben war, weil – wie es die im Schiedsverfahren unterlegen Partei in der Aufhebungsklage erstmals

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

jüngerer Zeit bei174. Er hat in diesen Urteilen auch betont, dass die europäischen Wettbewerbsvorschriften zum europäischen ordre public gehören, ihre Rechtsanwendung von den ordentlichen Gerichten im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung zu überprüfen ist,175 und dass europäisches Recht im räumlichen Bereich der damaligen Europäischen Gemeinschaft immer Anwendung findet, und zwar unabhängig von etwaigen Parteiabreden.176

IV. Weitere Rechtsordnungen Die Frage, inwieweit kartellrechtliche Streitigkeiten Schiedsgerichten überantwortet werden können, hat sich mit bemerkenswerter Redundanz in einer Vielzahl von Rechtsordnungen dieser Welt gestellt. In nahezu allen ist mittlerweile die allgemeine Auffassung – bisweilen nach einigen Umwegen –, dass derartige Streitigkeiten schiedsfähig sind.177 Teils wird sogar vertreten, dass die Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche nunmehr ein generelles transnationales Rechtsprinzip darstelle.178

V. Zusammenfassung und ein zweiter Blick Die historische Geschichte der Kartellschiedsgerichtsbarkeit ist somit eine der doppelten Emanzipation; der Schiedsgerichtsbarkeit von einigen frühen Webfehlern, der nationalen und supranationalen Rechtsordnungen von ihrem der Schiedsgevortrug – der zugrundeliegende Vertrag gegen Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) verstoßen hatte. Die Schiedsbeklagte war nämlich vom Schiedsgericht zu Schadensersatz wegen der Kündigung eines Vertrages verurteilt worden, dessen Gebietsaufteilungen möglicherweise einen Hardcore-Verstoß konstituierten. Der EuGH urteilte, dass staatliche Gerichte bei der Aufhebung und Vollstreckung von Schiedssprüchen diese von Amts wegen auf ihre Vereinbarkeit mit den Art. 81 ff. EG (Art. 101 ff. AEUV) zu prüfen hätten. Bei diesen handele es sich um Vorschriften der öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ. Die Frage der Schiedsfähigkeit war dem EuGH nicht gestellt worden und der Gerichtshof hielt hierzu auch keine Aussage für angezeigt. Hätte der EuGH indes die Schiedsfähigkeit wettbewerbsrechtlicher Streitgegenstände abgelehnt, wäre der Schiedsspruch bereits aus diesem Grund aufzuheben gewesen. 174 Nicht bezweifelt wurde die Schiedsfähigkeit in EuGH, Urt. v. 07. 07. 2016, ECLI:EU:C: 2016:526 – Genentech; EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC. 175 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 36 ff. – Eco Swiss. 176 EuGH, Urt. v. 23. 03. 1982, ECLI:EU:C:1982:107, Rn. 14 – Nordsee. 177 Siehe die diversen Nachweise bei Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 129 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (73 ff.); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (204 ff.); ders., in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (194 ff., Fn. 19); Remien, in: FS Kropholler, 869 (870 f., Fn. 12 ff.); Barber, Objektive Schiedsfähigkeit, S. 59 ff., S. 115 ff., S. 137, S. 147 ff., S. 177 ff.; für ein Gegenbeispiel kann noch die Volksrepublik China angeführt werden, vgl. den Fallbericht von Blanke, G.C.L.R. 2020, R11 (R11). 178 Etwa Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 215 ff.; Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (195).

C. Private enforcement und Kartellschadensersatz

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richtsbarkeit entgegengebrachten Misstrauen. Insbesondere in den USA war dieses mit Händen zu greifen, wohingegen in Deutschland – dem Land, in dem es tatsächlich ein ausgeprägtes Problem mit der Kartellschiedsgerichtsbarkeit gab – die Probleme zunächst überhaupt nicht erfasst wurden. Vom schärfsten Schwert, der ex ante feststehenden Schiedsunfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche, hat sich die Diskussion mit Recht entfernt. Eine Zeit lang sah es so aus, als würden ordentliche Gerichte es bei einer nachgelagerten Kontrolle von Schiedssprüchen im Anerkennungsverfahren belassen, einer Kontrolle, die ausgehend vom Mitsubishi-Urteil plastisch als second look doctrine apostrophiert worden ist.179 Wie zu zeigen sein wird, wurde der Konflikt damit allerdings nur scheinbar befriedet.

C. Private enforcement und Kartellschadensersatz in der EU, Deutschland und den USA Damit die Auswirkungen einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung von Kartellschadensersatzansprüchen eingeordnet werden können, widmet sich die nachfolgende Darstellung überblicksweise den normativen Grundlagen privater Kartellrechtsdurchsetzung vor ordentlichen Gerichten in der EU, Deutschland und den USA vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen kartellrechtlichen Sanktionssysteme. Das zeigt auf, welcher Standard in den jeweiligen Rechtsordnungen als ausreichend erachtet wird, um private Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen.180

I. USA 1. Normative Grundlagen Die normativen Grundlagen des US-amerikanischen Kartellrechts, soweit sie hier interessieren, finden sich in § 1 Sherman Act (15 U.S.C. § 1)181 sowie § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15)182. § 1 Sherman Act verbietet unter der Androhung 179 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 f. (1985); siehe nur Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1240 (2010); Nazzini, Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (72 f.); ders., EBLR 2008, 89 (97 ff.); Wolff/Quinke, Art. V NYC Rn. 456 f. 180 Zu den Problemen der Klägerinnen s. o. Kapitel 2, Fn. 10. 181 15 U.S. Code § 1: Trusts, etc., in restraint of trade illegal; penalty. Every contract, combination in the form of trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of trade or commerce among the several States, or with foreign nations, is declared to be illegal. Every person who shall make any contract or engage in any combination or conspiracy hereby declared to be illegal shall be deemed guilty of a felony, and, on conviction thereof, shall be punished by fine not exceeding $100,000,000 if a corporation, or, if any other person, $1,000,000, or by imprisonment not exceeding 10 years, or by both said punishments, in the discretion of the court. 182 15 U.S. Code § 15: Suits by persons injured. (a) Amount of recovery; prejudgment interest. Except as provided in subsection (b), any person who shall be injured in his business or

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

strafrechtlicher Sanktionen in Form von Geld- und Freiheitsstrafen für natürliche und juristische Personen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15) spricht Geschädigten das Recht zu, den berüchtigten dreifachen Schadensersatz (treble damages) zu fordern. Damit sind zwei Pflöcke eingeschlagen, die das amerikanische Kartellrecht kennzeichnen: Strafrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen, wobei auch die zivilrechtlichen Sanktionen einen strafenden Charakter haben.183 2. Überblick über das kartellrechtliche Sanktionssystem Leitbild der Kartellrechtsdurchsetzung in den USA ist die Erhöhung der Konsumentenwohlfahrt.184 Das Vehikel hierzu ist nach der tradierten Chicago School die Abschreckung von Delinquentinnen nach dem Prinzip der optimal deterrence.185 Die Verantwortung für diese Abschreckung ist auf mehrere Schultern verteilt. Das eigentliche public enforcement und damit die Verwaltungs- und die genuin strafrechtliche Durchsetzung übernehmen die Federal Trade Commission (FTC) und die Antitrust Division des Department of Justice (DoJ).186 Von diesen obliegt es der Antitrust Division, Hard-core-Verstöße aufzudecken und mit den Mitteln des Strafrechts zu ahnden.187 Diese Verfahren enden wie die meisten amerikanischen Strafverfahren nahezu immer mit einem Vergleich, dem plea deal.188 Die daraufhin zu zahlenden Strafen sind spürbar, reichen aber nicht mehr an die Summen heran, die die europäischen Wettbewerbsbehörden aufrufen.189 Daneben können die Generalstaatsanwält:innen der Bundesstaaten parens patriae-Klagen erheben.190 property by reason of anything forbidden in the antitrust laws may sue therefor in any district court of the United States in the district in which the defendant resides or is found or has an agent, without respect to the amount in controversy, and shall recover threefold the damages by him sustained, and the cost of suit, including a reasonable attorney’s fee (…). 183 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 35 ff., 39 f. 184 Reiter v. Sonotone Corp., 442 U.S. 330, 343 (1979); Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 774 (2015); Easterbrook, 48 U. Chi. L. Rev. 263, 266 (1981). 185 Grundlegend etwa Landes, 50 U. Chi. L. Rev. 652, passim (1983); weitere Nachweise bei Lande/Davis, 2011 BYU L. Rev. 315, 319 ff. (2011); Baker, Antitrust Paradigm, S. 43 ff.; Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 66 ff.; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (44 ff.). 186 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 40 ff. 187 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 43 f. 188 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 110 f.; nach den dort in Bezug genommenen Quellen haben an allen Verfahrensbeendigungen die plea deals einen Anteil von 90 – 100 %. 189 Siehe etwa Lande/Davis, 2011 BYU L. Rev. 315, 336 f. (2011); inflationsbereinigt für den Zeitraum von 1990 bis 2007 verhängt das DoJ Sanktionen i. H. v. ca. 4,16 Milliarden USDollar, bei Berücksichtigung auch der weiteren strafrechtlichen Sanktionen i. H. v. ca. 7,73 Milliarden US-Dollar; s. a. Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 26 (2013); zu den europäischen Zahlen Kapitel 2 – C.II.2.

C. Private enforcement und Kartellschadensersatz

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An die Seite der Behörden treten in den USA die Privatklägerinnen. Diese sind in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Sie werden als private attorney generals191 bezeichnet, und lange Zeit war die US-amerikanische die einzige international wahrnehmbare Rechtsordnung, in der das Kartelldeliktsrecht nicht nur „law in the books“192 war. Dieses ermöglicht privaten Klägerinnen stand-alone-Klagen in großer Zahl.193 In manchen Bereichen sind bis zu zwei Drittel der behördlichen Tätigkeit Folgeklagen (follow-on-Verfahren) zu Privatklagen.194 Ursächlich für dieses schlagkräftige private enforcement ist die feste Überzeugung, dass Privatklägerinnen eine sachnähere und effizientere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften ermöglichen als die staatlichen Behörden.195 Insgesamt macht so das private enforcement – je nach Zählweise – einen Anteil von 96,5 % an der amerikanischen Kartellrechtsdurchsetzung aus.196 Die hierdurch ausgekehrten Schadenssummen betragen ein Vielfaches der im Rahmen der behördlichen Kartellrechtsdurchsetzung verhängten Sanktionen.197 Das Konzept der privaten Rechtsdurchsetzung wird also ernst genommen; so ernst, dass mittlerweile einzelne Aspekte als mahnendes Beispiel für eine over-deterrence gelten.198 Einem Teil der privatrechtlichen Sanktionen

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Diese sind auf Ersatz des Schadens gerichtet, der dem jeweiligen Bundesstaat oder den dort ansässigen Verbraucher:innen entstandenen ist, siehe Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 173 f.; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (47). 191 Atl. Richfield Co. v. USA Petroleum Co., 495 U.S. 328, 345 (1990): „allowing [a party] to perform the office of a private attorney general“; Hawaii v. Standard Oil Co. of Cal., 405 U.S. 251, 262 (1972); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 635 (1985); Am. Safety Equip. Corp. v. J. P. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 826 (2nd Cir. 1968). 192 Wurmnest, in: Remien (Hrsg.), S. 27, 39. 193 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 133. 194 Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2909 f. (2015); s. a. Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 30 ff. (2013). 195 Exemplarisch Agency Holding Corp. v. Malley-Duff & Assocs., Inc., 483 U.S. 143, 151 (1987): „[The Clayton Act] bring[s] to bear the pressure of ,private attorneys general‘ on a serious national problem for which public prosecutorial resources are deemed inadequate“. 196 Im Jahr 2018 wurden 538 von 557 Kartellklagen vor den U.S. District Courts von Privatklägerinnen erhoben, was einem Anteil von ca. 96,5 % entspricht, siehe Administrative Office of the United States Courts, Judicial Business of the United States Courts 2018, Tabelle C-2, S. 2, abrufbar unter https://www.uscourts.gov/statistics/table/c-2/judicial-business/2018/ 09/30; s. a. Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 175 ff. 197 Vgl. Lande/Davis, 2011 BYU L. Rev. 315, 337 ff. (2011): Die Vergleichssummen nur der 40 größten Kartellfälle im Zeitraum von 1990 bis 2007 betrug inflationsbereinigt zwischen 21,9 und 23,9 Milliarden US-Dollar und damit ca. das dreifache der durch das DoJ verhängten Sanktionen; s. a. Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 26 (2013), dort 11,7 Milliarden US-Dollar zu 34 – 36 Milliarden US-Dollar. 198 Vgl. Schütt, WuW 2018, 66 (70 f.); Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 125; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (52 ff.); skeptisch Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 70 ff. (2013); s. a. Jones, in: Bergström et al. (Hrsg), S. 15 (22 ff.).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

können Delinquentinnen allerdings entgehen, wenn sie mit den Behörden kooperieren.199 3. Insbesondere: Kartellschadensersatz a) Funktion des Kartellschadensersatzes Auch der Kartellschadensersatzanspruch nach § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15) erfüllt in erster Linie eine Abschreckungsfunktion.200 Er soll auch dazu beitragen, Kartelle aufzudecken201 und das Kartellrecht durchzusetzen202. Daneben kommt ihm für entstandene Kartelle eine Straffunktion zu;203 mit ihm werden Gewinne der Kartellantinnen abgeschöpft204. Um diese Ziele zu erreichen, erfüllt er mit Blick auf die Klägerinnen sowohl eine Kompensations-205 als auch eine Belohnungsfunktion206. 199 Vgl. ACPERA, Pub. L. No. 108 – 237, tit. II, 118 Stat. 661, 15 U.S.C. § 1 note; hiernach haften Schädigerinnen insbesondere nur auf einfachen Schadensersatz und nicht gesamtschuldnerisch, soweit sie im Rahmen des leniency-Programms vollständig mit dem DoJ und sodann auch mit den Privatklägerinnen kooperiert haben. 200 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 635 (1985): „The treble-damages provision wielded by the private litigant is a chief tool in the antitrust enforcement scheme, posing a crucial deterrent to potential violators.“; Blue Shield of Virginia v. McCready, 457 U.S. 465, 472, (1982): „Congress sought to create a private enforcement mechanism that would deter violators and deprive them of the fruits of their illegal actions, and would provide ample compensation to the victims of antitrust violations.“; Easterbrook, 48 U. Chi. L. Rev. 263, 319 (1981): „Antitrust offenses are wholly economic crimes. Firms engage in predation and other offenses for profit, and antitrust policy, including its penal aspects, is designed to deter violations by reducing their profitability. Deterrence is thus the first, and probably the only, goal of antitrust penalties“; Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 123; siehe aber auch Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 177 f.; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (45 f.). 201 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 123; s. a. Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (52). 202 California v. Am. Stores Co., 495 U.S. 271, 284 (1990): „Private enforcement of the Act was in no sense an afterthought; it was an integral part of the congressional plan for protecting competition“; Illinois Brick Co. v. Illinois, 431 U.S. 720, 745 (1977): „the longstanding policy of encouraging vigorous private enforcement of the antitrust laws“; Zenith Radio Corp. v. Hazeltine Research, Inc., 401 U.S. 321, 336 (1971): „private antitrust litigation is one of the surest weapons for effective enforcement of the antitrust laws“; Zenith Radio Corp. v. Hazeltine Research, Inc., 395 U.S. 100, 130 f. (1969): „Moreover, the purpose of giving private parties treble-damage and injunctive remedies was not merely to provide private relief, but was to serve as well the high purpose of enforcing the antitrust laws.“ 203 Brunswick Corp. v. Pueblo Bowl-O-Mat, Inc., 429 U.S. 477, 485 (1977); Hawaii v. Standard Oil Co. of Cal., 405 U.S. 251, 262 (1972); Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 123. 204 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 123; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 177. 205 Blue Shield of Virginia v. McCready, 457 U.S. 465, 472, (1982); Brunswick Corp. v. Pueblo Bowl-O-Mat, Inc., 429 U.S. 477, 485 f. (1977): „Of course, treble damages also play an

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b) Materiellrechtliche und prozessuale Privilegierungen von Kartellschadensersatzklägerinnen Um Privatklägerinnen in die Lage zu versetzen, diese Ziele auch zu verwirklichen, gilt das nachstehend genauer beschriebene kartelldeliktische Regelungsregime. aa) Treble damages & Beweiserleichterungen Die zentrale Privilegierung und auch Incentivierung privater Klägerinnen stellt der Anspruch auf dreifachen Schadensersatz gem. § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15) dar.207 Eine Verurteilung im behördlichen Verfahren durch das dann zuständige Gericht wirkt als Anscheinsbeweis in der privatrechtlichen follow-on-Klage, 15 U.S.C. § 16(a), und die Beklagten können hinsichtlich des Vorbringens bestimmter Tatsachen nach der collateral estoppel-Doktrin präkludiert sein, wenn diese bereits Gegenstand eines vorigen Prozesses waren. Bei einem per se-Verstoß müssen Klägerinnen zudem keine antikompetitiven Wirkungen belegen.208 Der Anspruch auf Schadensersatz erfasst sodann sowohl die Differenz zwischen dem kartellbedingten Mehrpreis und dem hypothetischen Marktpreis, als auch den Ersatz entgangener und zukünftiger Gewinne.209 Bei der Bezifferung des einfachen Schadensersatzes müssen Klägerinnen zwar den Nachweis der kausalen Schädigung führen, können aber die Schadenshöhe durch das Gericht schätzen lassen.210 bb) Gesamtschuldnerische Haftung Die Kartellantinnen haften zudem gesamtschuldnerisch auf den gesamten durch das Kartell verursachten Schaden – aufgrund der no-contribution rule ohne die gesetzliche Möglichkeit eines Binnenregresses im Falle der Verurteilung.211 Zudem important role in penalizing wrongdoers and deterring wrongdoing, as we also have frequently observed. (…) It nevertheless is true that the treble-damages provision (…) is designed primarily as a remedy“; verhalten Easterbrook, 48 U. Chi. L. Rev. 263, 319 (1981): „If awarding damages to an injured party also compensates him, that is just a pleasant by-product“; s. a. Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 123; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (45). 206 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 123. 207 Zu den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs vgl. Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 179 ff. 208 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 202; dazu ausführlich Hovenkamp, 70 Fla. L. Rev. 81, 83 ff. (2018). 209 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 190 f.; allerdings findet keine Verzinsung statt, siehe ebd., S. 193; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (51). 210 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 191. 211 Texas Indus., Inc. v. Radcliff Materials, Inc., 451 U.S. 630, 646 (1981); Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 250 ff.; Krüger, Kartellregress, S. 164 ff.; Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 182 ff.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 195.

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stehen mit anderen Kartellantinnen bereits geschlossene Vergleiche nicht der Möglichkeit entgegen, eine weitere Kartellantin als Gesamtschuldnerin auf den gesamten Kartellschaden in Anspruch zu nehmen; bei der Berechnung des Schadens wird zwar die Vergleichssumme berücksichtigt, dies aber erst, nachdem der Schaden verdreifacht wurde.212 cc) Class actions Neben der materiellen Verdreifachung des Schadensersatzes ist die prozessuale Verfahrensbündelung in class actions gem. Rule 23 der Fed. R. Civ. P. zweifelsohne das effektvollste Instrument der Kartellrechtsdurchsetzung. Seine Effektivität erlangt es auch dadurch, dass class actions auf opt-out-Basis stattfinden, mutmaßliche Geschädigte sich also aktiv aus der Rechtsverfolgung in der class herausnehmen müssen.213 Insbesondere im problematischen Bereich der Streuschäden wird so eine hohe Aktivierung der Geschädigten erreicht.214 Allerdings schließen sich auch Großunternehmen class actions an.215 Voraussetzung für die Verbindung von Einzelklagen zu einer class gem. Rule 23(a) der Fed. R. Civ. P. ist insbesondere, dass es eine Vielzahl an Geschädigten gibt, dass eine tatsächliche oder rechtliche Frage für alle Geschädigte identisch ist, dass die class representatives typische für die class sind, und dass die Anwält:innen alle Teilnehmer:innen der class adäquat vertreten.216 Zahlen bestätigen die enorme Relevanz der Kollektivverfahren: Im Zeitraum von 2013 bis 2018 etwa waren class actions ausweislich der gerichtlich bestätigten Vergleiche für ausbezahlten Kartellschadensersatz i. H. v. insgesamt über 19 Milliarden US-Dollar verantwortlich, im Jahr 2018 machte die wegen class actions ausbezahlte Schadenssumme 85 % der gerichtlichen Gesamtsumme aus,217 und jüngst wurde mit einem gerichtlichen Vergleich eine Rekordsumme erzielt218. 212 Rubicon Glob. Ventures, Inc. v. Chongqing Zongshen Grp. Imp./Exp. Corp., 757 F. App’x 531, 533 (9th Cir. 2018); William Inglis & Sons Baking Co. v. Cont’l Baking Co., 981 F.2d 1023, 1024 (9th Cir. 1992); Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 183, Fn. 251. 213 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 130 f.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 200; Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 195. 214 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 200; Buxbaum, in: Basedow (Hrsg.), S. 41 (44 f.). 215 Wal-Mart Stores, Inc. v. Visa U.S.A., Inc., 396 F.3d 96, 101 (2nd Cir. 2005): „This case involves a clash of commercial titans.“ 216 Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 191; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 200. 217 American Antitrust Institute/University of San Francisco, Commentary on the 2018 Antitrust Report, S. 2; dort auch zu weiteren Statistiken zur Bedeutung kartellrechtlicher class actions. 218 Vergleich i. H. v. 5,6 – 6,3 Milliarden US-Dollar, siehe In re Payment Card Interchange Fee and Merchant Discount Antitrust Litigation, E.D.N.Y. v. 16. 12. 2019, 05-MD-1720 (MKB) (JO), Memorandum & Order, S. 6, abrufbar unter https://www.govinfo.gov/content/pkg/US COURTS-nyed-1_05-md-01720/pdf/USCOURTS-nyed-1_05-md-01720-29.pdf.

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In den USA sind auch kollektive Schiedsverfahren, die class arbitrations, bekannt. Diese sind grundsätzlich mit dem FAA vereinbar,219 die Parteien müssen sich aber auf eine solche Verfahrensweise geeinigt haben, weshalb die Durchführbarkeit der class arbitration letztlich an der Auslegung der Schiedsvereinbarung hängt.220 Dann allerdings können Schiedsgerichte Kollektivverfahren durchführen und etwa durch die Zusammenarbeit mit Bezirksgerichten die discovery anordnen.221 Die namhaften institutionellen Schiedseinrichtungen halten hierfür auch spezielle Regelwerke bereit.222 Kollektive Rechtsverfahren in den USA stehen seit einiger Zeit in der Kritik, da ihnen ein gewaltiges Missbrauchs- und Erpressungspotential unterstellt wird.223 Es besteht auch Dissens darüber, ob Kollektivverfahren überhaupt mit dem Charakter der Schiedsgerichtsbarkeit vereinbar sind.224 Umgekehrt halten Verfechter:innen der class actions diese Kritik für interessengetrieben, die Vorteile der kollektiven Rechtsdurchsetzung aber für empirisch belegt und ihre Bedeutung bei der Eröffnung des Justizzugangs für unverzichtbar.225 Dieser Disput hat zu mehreren spektakulären Grundsatzurteilen des Supreme Court geführt, die erhebliche Auswirkungen auf das kartellrechtliche private enforcement hatten und hier an anderer Stelle wieder aufgegriffen werden.226

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Green Tree Fin. Corp. v. Bazzle, 539 U.S. 444 (2003); in diesem Urteil erkannte der Supreme Court nach allgemeiner Auffassung implizit die Zulässigkeit von class arbitrations unter dem FAA an, siehe Weston, 60 U. Kan. L. Rev. 767, 774 f. (2012); Orgel, Class Arbitration, S. 161 ff., 226 ff., m. w. N. 220 Ausführlich dazu Lamps Plus, Inc. v. Varela, 139 S. Ct. 1407, 1415 ff. (2019); StoltNielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662, 682 ff. (2010); Orgel, Class Arbitration, S. 166 ff. 221 Ausführlich zu dogmatischen Grundlagen und Verfahren der kollektiven Schiedsverfahren Orgel, Class Arbitration, S. 165 ff. 222 Weston, 60 U. Kan. L. Rev. 767, 768 (2012); siehe etwa die Supplementary Rules for Class Arbitrations der AAA, abrufbar unter https://www.adr.org/sites/default/files/Supplementa ry_Rules_for_Class_Arbitrations.pdf. 223 Zu dieser Diskussion mit zahlreichen weiteren Nachweisen Schütt, WuW 2018, 66 (passim); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (635 ff.); Resnik, 125 Harv. L. Rev. 78, 144 ff. (2011); Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 38 ff. (2013); Gilles, 104 Mich. L. Rev. 373, 373 ff. (2005); speziell zum vermeintlichen Erpressungspotential auch AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 350 (2011); zu (vermeintlichen) Schwierigkeiten, mit Regressionsmodellen den Schaden innerhalb einer kartellrechtlichen class zu beziffern Comcast Corp. v. Behrend, 569 U.S. 27, 38 (2013); s. a. Collective redress in the Member States of the European Union, European Parliament, 2018, PE 608.829, S. 60 ff. 224 Siehe hierzu die Auseinandersetzung zwischen Mehr- und Minderheitenvoten in AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333 (2011); kritisch zur class arbitration Troum, 38 Vt. L. Rev. 419, passim (2013). 225 Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 38 ff. (2013); Gilles, 104 Mich. L. Rev. 373, 388 ff. (2005); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (635 ff.). 226 Siehe unten Kapitel 3 – E.IV.

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dd) Discovery & pleading standards Die Anforderungen an die Substantiierung des Klagevortrags sind zunächst sehr gering. Die Klageschrift muss, um einen frühen Antrag auf Abweisung der Klage zu überstehen (motion to dismiss), gem. Rules 8(a)(2), 12(b)(6) der Fed. R. Civ. P. den Kartellverstoß lediglich plausibel erscheinen lassen.227 Kommt sie darüber hinweg, ist die Pflicht, der anderen Seite nach Rules 26 bis 37 der Fed. R. Civ. P. Beweismittel auszuhändigen, bedeutend umfangreicher als die nach kontinentaleuropäischem Vorbild bekannte, müssen die Beklagten also im Wege der international gefürchteten discovery eine große Anzahl an förmlichen Beweismittel an die Klägerinnen herausgeben oder ihnen zur Verfügung stellen.228 Auch gegenüber Dritten229 und Behörden können solche Ansprüche geltend gemacht werden, die sich dann häufig vor allem auf Vergleichsdokumente und Kronzeugenanträge beziehen230. Dieses vorprozessuale Verfahren erleichtert den Klägerinnen die Aufklärung kartellrechtlicher Sachverhalte erheblich,231 ist aber mit einigen Kosten und großem Aufwand verbunden232. ee) Kostenfragen Im amerikanischen Zivilprozess gilt die sogenannte American rule of costs gem. Rule 54(d)(1) Fed. R. Civ. P., nach der jede Partei ihre Kosten selbst zu tragen hat. Da amerikanische Gerichtsprozesse eine teure Angelegenheit sind, kann schon die Aussicht auf die nicht erstattungsfähigen Kosten der Rechtsverteidigung genügen, damit Beklagte auch zweifelhafte Klagen vergleichen.233 Anwält:innen werden zur Prozessvertretung durch die Möglichkeit von Erfolgshonoraren ermutigt.234 227 Dieser Standard ist noch verhältnismäßig neu; zuvor reichte es bereits aus, dass ein solcher Verstoß nach dem Klagevortrag lediglich möglich war; vgl. Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 677 ff. (2009); Bell Atl. Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 554 ff. (2007); dazu Hovenkamp, 70 Fla. L. Rev. 81, 87 ff. (2018). 228 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 129 f.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 199. 229 Rule 45 Fed. R. Civ. P. 230 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 206 f. 231 In re Uranium Antitrust Litig., 480 F. Supp. 1138, 1155 (N.D. Ill. 1979): „[T]he heart of any American antitrust case is the discovery of business documents. Without them, there is virtually no case.“ 232 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 130; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 199. 233 Siehe zu diesem Phänomen Schütt, WuW 2018, 66 (67 f.), sowie allgemein BGH, NJW 2020, 399 (404); skeptisch aber Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 17 f. (2013). 234 Davis/Lande, 48 Ga. L. Rev. 1, 37, 69 f. (2013). Typischerweise erhalten die Anwälte im Erfolgsfalle eine prozentuale Beteiligung an der Vergleichssumme. In dem eben schon erwähnten Verfahren In re Payment Card Interchange Fee and Merchant Discount Antitrust Litigation waren das ca. 10 % der Vergleichssumme und damit ca. 523 Millionen US-Dollar, siehe Order on Motion for Attorney Fees, E.D.N.Y. v. 16. 12. 2019, S. 57, abrufbar unter

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Kartellrechtliche private attorney generals profitieren in Kostenfragen darüber hinaus von der Regelung des Clayton Act, 15 U.S.C. § 15(a), nach der ihnen – nicht aber den Beklagten – im Erfolgsfall die durch die Klage entstandenen Kosten und die Anwaltsgebühren zu ersetzen sind. Damit sinken die Kosten der Rechtsverfolgung erheblich.235 ff) Passing-on defence Unter US-Bundesrecht sind die unmittelbaren Abnehmerinnen in Kartellschadensersatzprozessen auch insoweit privilegiert, als Kartellantinnen nach der Rechtsprechung des Supreme Court gegen ihre Inanspruchnahme auf der ersten Marktstufe den Einwand der Schadensweiterwälzung (passing-on defence) nicht geltend machen können.236 Geschädigte in Lieferbeziehungen können also jedenfalls den gesamten Schaden einklagen, selbst wenn sie den kartellbedingten Mehrpreis teils selbst weitergewälzt haben.237 Die Illinois Brick-Rechtsprechung238 führte diese Überlegung dahingehend weiter, dass mittelbare Abnehmerinnen unter US-Bundesrecht überhaupt nicht klagebefugt sind. Als Reaktion hierauf hat die Mehrzahl der US-Bundesstaaten Illinois Brick repealer statutes erlassen, um mittelbaren Abnehmerinnen die Klagebefugnis unter dem Wettbewerbsrecht der jeweiligen Bundesstaaten zu erhalten.239 gg) Sonstiges § 12 Clayton Act (15 U.S.C. § 12) i. V. m. 28 U.S.C. § 1391 eröffnet Klägerinnen faktisch einen fliegenden Gerichtsstand vor den US-Bundesgerichten.240 Dieser Umstand und die zumeist große Zahl an Beteiligten sowohl auf Seiten der Klägerinnen als auch der Beklagten bringt es mit sich, dass nach einem Wettbewerbsverstoß parallele oder wenigstens einem einheitlichen Verfahrenskomplex zuzurechnende Verfahren in verschiedenen Bezirken aus dem Boden sprießen. Diese https://www.paymentcardsettlement.com/Content/Documents/New%20Docs/Dkt%2 0No.%207822_Order%20on%20Motion%20for%20Attorney%20Fees.pdf. 235 Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 159; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 160. 236 Hanover Shoe, Inc. v. United Shoe Mach. Corp., 392 U.S. 481, 487 ff. (1968). 237 Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 129; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 189. 238 Illinois Brick Co. v. Illinois, 431 U.S. 720, 729 ff. (1977); jüngst umfassend bestätigt durch Apple Inc. v. Pepper, 139 S. Ct. 1514, 1520 ff. (2019). 239 Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 176 f.; Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 128 f.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 188 f.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schneider, § 35 Rn. 31. 240 Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 164 f.; die Zuständigkeit der Bundesgerichte für Streitgegenstände unter dem Sherman Act und dem Clayton Act ergibt sich zumeist aus 28 U.S.C. § 1332, 28 U.S.C. § 1337(a), 28 U.S.C. § 1367.

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können auf Basis von 28 U.S.C. § 1407 vom ständigen Judicial Panel on Multidistrict Litigation zu einer so genannten multidistrict litigation zusammengefasst werden.241 Nach dem 7. Verfassungszusatz der US-Bundesverfassung haben Parteien auch in Kartellschadensersatzprozessen das Recht auf einen Geschworenenprozess.242 Wegen der mit der Komplexität der Sachmaterie einhergehenden leicht denkbaren Überforderung einer Jury wird auch dieser Umstand als klägerfreundlich angesehen.243 Gem. § 15 U.S.C. § 15b beträgt die Verjährung für zivilrechtliche Ansprüche vier Jahre nach dem Verstoß, ist aber insbesondere in Schadensersatzansprüchen wegen horizontaler Hard-core-Verstöße gehemmt, wenn die Delinquentinnen entweder ihren Verstoß verschleiert haben oder es sich um einen fortgesetzten Verstoß handelte,244 sowie gem. 15 U.S.C. § 16(i) während der Dauer der behördlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren und ein Jahr über diese hinaus. 4. Internationales Kartellprivatrecht Da internationale Kartellabsprachen sich regelmäßig grenzüberschreitend auswirken, bedarf es eines Prinzips, um auch die Auswirkungen extraterritorial begangener Wettbewerbsverstöße durch nationales Kartellrecht zu erfassen. In den USA wird mit der effects doctrine245 das mittlerweile auch international vorherrschende246 Auswirkungsprinzip247 angewandt. Die USA haben vormals verbreitet für den Eindruck – und wegen ihres schlagkräftigen Systems des private enforcement auch für die Befürchtung – gesorgt, die extraterritoriale Anwendung ihrer Wettbe241 2019 waren 47 derartige konsolidierte Verfahren in Kartellsachen in US-Bundesgerichten rechtshängig, womit eine Vielzahl an Einzelklagen erfasst wurde, siehe United States Judicial Panel on Multidistrict Litigation Calendar Year Statistics, 2019, S. 11, abrufbar unter https://www.jpml.uscourts.gov/sites/jpml/files/JPML_Calendar_Year_Statistics-2019_1.pdf. 242 Fleitmann v. Welsbach St. Lighting Co. of Am., 240 U.S. 27, 28 (1916). 243 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 201; angemerkt sei allerdings, dass es nur in ca. 1 % der Fälle zu einem Verfahren vor einer Jury oder einer Kammer von Berufsrichter:innen kommt; 25 % aller Fälle werden hingegen verglichen, die übrigen 74 % fallen unter eine pre trial dismissal, siehe Crane, CPI February 2019, S. 4 f. 244 Zenith Radio Corp. v. Hazeltine Research, Inc., 401 U.S. 321, 338 ff. (1971); In re Linerboard Antitrust Litig., 305 F.3d 145, 160 ff. (3rd Cir. 2002); Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 178 f. 245 Siehe zur grundlegenden Alcoa-Entscheidung United States v. Alcoa, 148 F.2d 416 (2nd Cir. 1945); D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 59 ff. 246 D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 45; MüKoBGB/Immenga, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 12; MüKoWettbR/Wagner-von Papp/Wurmnest, Bd. 1 Grundl. Rn. 1338. 247 Eine Auswirkung im Sinne des Auswirkungsprinzips bezeichnet gemeinhin jede Veränderung der Wettbewerbszusammenhänge in einem Marktbereich, Staudinger/Fezer/ Koos, Int. WirtschaftsR Rn. 125; MüKoWettbR/Wagner-von Papp/Wurmnest, Bd. 1 Grundl. Rn. 1337.

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werbsvorschriften würde ein US-amerikanisches „Weltkartellgericht“ begründen.248 Zumindest besonders weitreichenden Lesarten des Auswirkungsprinzips hat der Supreme Court in der Empagran-Entscheidung eine Absage erteilt.249 Wollen Kartellgeschädigte einen Schaden aus drittstaatlichen Märkten einklagen, muss dieser auf die Auswirkung des Kartells in den USA zurückzuführen sein, und zwar nicht bloß adäquat, sondern äquivalent kausal im Sinne des proximate cause-Tests.250 Liegen diese Voraussetzungen vor, kommt es zu einer extraterritorialen Anwendung des US-amerikanischen Wettbewerbsrechts. Die Anwendung ausländischen Kartellrechts in den USA ist im Rahmen der Staatencomitas möglich.251

II. EU und Deutschland Auch in der EU und Deutschland gibt es mittlerweile ein Sonderdeliktsrecht für Kartellschadensersatzansprüche. 1. Normative Grundlagen Die normativen Grundlagen des europäischen Kartellschadensersatzrechts haben sich ausdifferenziert. Neben den Verbotstatbeständen der Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB sind als Grundlage für den Kartellschadensersatzanspruch insbesondere die KartSE-RL252 sowie die §§ 33 ff. GWB253 zu nennen. 248 Wäschle, Weltkartelle, S. 219; D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 96; siehe in diesem Sinne etwa auch den gemeinsamen amicus-Brief der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und von Belgien im Verfahren F. Hoffman-La Roche Ltd. v. Empagran S. A., 542 U.S. 155 (2004), 2004 WL 226388 (U.S.), S. 4 ff. 249 F. Hoffman-La Roche Ltd. v. Empagran S. A., 542 U.S. 155 (2004); nachfolgend Empagran S.A. v. F. Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267 (D.C.Cir. 2005); umfassend zu diesem Verfahren Baier, Das Auswirkungsprinzip, S. 123 ff. 250 Empagran S.A. v. F. Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267, 1271 (D.C.Cir.2005); s. a. Lotes Co. v. Hon Hai Precision Indus. Co., 753 F.3d 395, 414 (2nd Cir. 2014); In re Dynamic Random Access Memory (DRAM) Antitrust Litig., 546 F.3d 981, 987 (9th Cir. 2008); vgl. Foreign Trade Antitrust Improvements Act, 15 USC § 6a.; vgl. hierzu auch Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1263 (2010); D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 99 ff.; Baier, Das Auswirkungsprinzip, S. 144 ff. 251 § 187(2)(b) des Restatement (Second) of Conflict of Laws; Buxbaum, 18 Am. Rev. Int’l Arb. 21 (2008); allgemein dazu auch Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 184 ff. 252 Siehe für eine Zusammenfassung der Regelungsinhalte der KartSE-RL u. a. die Darstellungen bei Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346 (passim); Schweitzer, NZKart 2014, 335 (passim); Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7 (passim); Kersting, WuW 2014, 564 (passim); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 32 ff.; Dauses/Hoffmann, H. I. § 1. Rn. 98 ff. 253 Überblicksweise zur 9. GWB-Novelle Weitbrecht, NJW 2017, 1574 (passim); Kersting/ Podszun (Hrsg.), Die 9. GWB-Novelle, 2017; Immenga/Mestmäcker/Körber/Schweitzer/ Zimmer, vor § 1 GWB Rn. 5 ff.; Fuchs/Weitbrecht/Fuchs, § 2 Rn. 76 ff.

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Die Vorschriften der Art. 101 ff. AEUV dienten gerade auch dem Schutz und der Verwirklichung des Binnenmarktes.254 Nach wie vor verpflichtet dieses primärrechtlich verankerte255 Ziel Mitgliedstaaten wie auch Europäische Union auf den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Dahinter steht das Leitbild vom Wettbewerb als Institutionenschutz,256 in der Rechtsprechung des EuGH ein Schutz „für die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen.“257 Dieser Institutionenschutz besteht fort, obschon sich das dahinterstehende Bild gewandelt hat und anstelle des Binnenmarktes vermehrt die Vorteile für Endverbraucher:innen in den Blick genommen werden.258 In jedem Fall aber lebt der Wettbewerb davon, dass ihn die Marktteilnehmer:innen mit Handlungsfreiheit auch ausfüllen. So gewendet, sind „Individual- und Institutionenschutz nur zwei Seiten einer Medaille“259. Das mitgliedstaatliche Wettbewerbsrecht ist neben dem europäischen trotz dessen Anwendungsvorrangs anwendbar.260 Auch für das GWB gilt, dass es den Schutz der Institution als solchen ebenso wie den Individualschutz einschließt.261 § 1 GWB ist mittlerweile wesentlich nach Art. 101 AEUV modelliert262 und entsprechend der europäischen Auslegungspraxis zu Art. 101 AEUV auszulegen.263 Zwar werden Einzelheiten unterschiedlich beurteilt, wenn der Anwendungsbereich der Zwi-

254 KK/Füller, Art. 101 AEUV Rn. 3; LMRKM/Meessen/Kersting, Einführung Rn. 20 ff.; in der Rechtsprechung des EuGH sind die Wettbewerbsvorschriften für das Funktionieren des Binnenmarktes „unerlässlich“, vgl. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 20 – Courage; EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 36 – Eco Swiss. 255 Abl. EU 2007 Nr. C 306/156; dieses Protokoll ist Bestandteil der Verträge, vgl. Art. 51 EUV; siehe hierzu EuGH, Urt. v. 17. 11. 2011, ECLI:EU:C:2011:740, Rn. 60; – Italien/Kommission; s. a. Art. 119 Abs. 1, 120, 127 Abs. 1 AEUV. 256 KK/Füller, Art. 101 AEUV Rn. 3; Langen/Bunte/Bunte, Einl. EU Rn. 40. 257 EuGH, Urt. v. 04. 06. 2009, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 38 – T-Mobile Netherlands. 258 Langen/Bunte/Bunte, Einl. EU Rn. 39 ff.; in diese Richtung bereits EuGH, Urt. v. 13. 02. 1979, ECLI:EU:C:1979:36, Rn. 125 – Hoffmann-La Roche. 259 KK/Füller, Art. 101 AEUV Rn. 4; ähnlich auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, S. 64, 721; Lahme, Eignung des Zivilverfahrens, S. 3. 260 EuGH, Urt. v. 13. 02. 1969, ECLI:EU:C:1969:4, Rn. 4 – Walt Wilhelm; s. a. Art. 3 VO 1/2003, § 22 GWB. 261 Lahme, Eignung des Zivilverfahrens, S. 2 ff.; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, § 1 GWB Rn. 12; LMRKM/GraveNyberg, Vor §§ 1 – 3 GWB Rn. 24 f.; Langen/Bunte/Bunte, Einl. GWB Rn. 115. 262 Siehe BT-Drs. 15/3640, S. 21; siehe zu § 23 GWB-E 2005, und der Anmerkung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, die Auslegung des an europäisches Recht angepassten GWB im Lichte eben dieser europäischen Vorschriften sei eine „methodische Selbstverständlichkeit“, BT-Drs. 15/3640, S. 75; s. a. BGH, Urt. v. BGH, NJW-RR 2011, 835 (839) – Jette Joop. 263 BGH, BeckRS 2019, 43434, Rn. 36; LMRKM/Grave/Nyberg, § 1 GWB Rn. 2, 9.

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schenstaatlichkeitsklausel nicht eröffnet ist.264 Der Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB verweist allerdings unterschiedslos auf die §§ 1 – 47l GWB und Art. 101 f. AEUV und macht so den Umweg über § 823 Abs. 2 BGB entbehrlich. Richtigerweise besteht deshalb auch bei der ausschließlichen Verletzung mitgliedstaatlichen Wettbewerbsrechts wenigstens ein „faktischer Konformitätszwang“265 bei der Auslegung, weshalb im Kontext der vorliegenden Arbeit auch nicht danach zu differenzieren ist, ob gegen eine europäische oder deutsche Verbotsnorm verstoßen wurde. 2. Überblick über das kartellrechtliche Sanktionssystem Die Europäer und unter ihnen vor allem auch die Deutschen, von den Amerikanern auf den rechten Pfad der kartellrechtlichen Tugend gebracht, entwickelten ein System administrativ geprägter Kartellrechtsdurchsetzung266.267 Entsprechend ruht die Durchsetzung vor allem auf der Säule des public enforcement. Sowohl die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission als auch das Bundeskartellamt (BKartA) sind umtriebige Wettbewerbsbehörden, die energisch gegen Kartellverstöße vorgehen und insbesondere bei Hard-core-Verstößen empfindliche Bußgelder verhängen, die in jüngerer Vergangenheit ein „dramatisch angestiegene[s] Niveau“268 erreicht haben. Kartellantinnen können die Bußgelder reduzieren, indem sie Kronzeugenanträge – beim BKartA Bonusanträge – stellen oder Vergleichs-

264 Für eine weitgehende Angleichung auch außerhalb der Zwischenstaatlichkeitsklausel FK/Roth/Ackermann, § 1 GWB Rn. 42; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33 GWB Rn. 26; LMRKM/Grave/Nyberg, § 1 GWB Rn. 3 ff.; Bechtold/Bosch, GWB, § 1 Rn. 4 ff.; MüKoWettbR/Säcker, § 1 GWB Rn. 2; skeptisch Immenga/Mestmäcker/Körber/Schweitzer/ Zimmer, Einl. GWB Rn. 43 ff.; Immenga, in: FS Hirsch, S. 241 (242 ff.); grundsätzlich a. A. Möschel, WuW 2005, 599 (passim). 265 Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33 GWB Rn. 26. 266 D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 200; Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Kamann, § 2 Rn. 4; Hintergrund ist, dass eine zentrale Durchsetzung der Wettbewerbsregeln durch die EU-Kommission in den Anfangsjahren der europäischen Integration als notwendig angesehen wurde, um eine europäische Wettbewerbskultur zu schaffen, vgl. Wurmnest, in: Remien (Hrsg.), S. 27 (31 ff.); Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 94 f. 267 Hingegen ist die strafrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung in den Mitgliedstaaten der EU die Ausnahme: auch in Deutschland besteht nur eine partielle Strafbarkeit gem. § 298 StGB; für einen Überblick siehe Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 261 ff.; für eine mögliche Neubewertung Mundt, in: FS Möschel, S. 427 (439). 268 Langen/Bunte/Sura, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 44. Die gem. Art. 23 Abs. 2 UA 2 VO 1/2003 von der Europäischen Kommission verhängten Bußgelder erreichen mittlerweile im Mittel über einen Zeitraum von fünf Jahren über sieben Milliarden Euro und haben auch für eine einzelne Kartellantinnen bereits mehr als eine Milliarde Euro betragen, http://ec.europa.eu/com petition/cartels/statistics/statistics.pdf, S. 2 ff.; für Zahlen des BKartA siehe Mundt, in: FS Möschel, S. 427 (431 f.); BKartA 2016, Erfolgreiche Kartellbekämpfung, S. 7 ff., S. 18 ff.

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verhandlungen durchlaufen.269 Gerade die Kronzeugenanträge sind enorm erfolgreich und für die Kartellbekämpfung die wohl wichtigste Waffe im Sanktionssystem.270 Dass es hingegen ein Mehrspuriges Sanktionssystem überhaupt gibt, ist eine neuere, aber nicht mehr ganz als neu zu bezeichnende Entwicklung. Was die private Durchsetzung des Kartellrechts anging, so erfolgte der Blick aus Europa in die USA, aus Deutschland zumal, lange Zeit voller Argwohn.271 Private Schadensersatzklagen wegen Hard-core-Kartellverstößen im gemeinsamen Markt blieben eine „außerordentlich exotische Erscheinung“.272 Mit Blick auf die Geschichte insbesondere des deutschen Kartellrechts mag dies zwar nicht weiter überraschen, war aber auch keine zwingende Entwicklung. Sowohl in Deutschland als auch in der EG lagen die Pläne für das private enforcement bereits in der sprichwörtlichen Schublade, konnten aber keine legislative Zugkraft gewinnen.273 Die Nichtigkeitsfolge des heutigen Art. 101 269

Siehe für das BKartA Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7. März 2006 sowie das Merkblatt: Das Settlement-Verfahren des Bundeskartellamtes in Bußgeldsachen, Februar 2016; für die Europäische Kommission die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen ABl. 2006 vom 08. 12. 2006, C 298/17 – im Folgenden Kronzeugenmitteilung – sowie VO (EG) Nr. 622/2008 der Kommission v. 30. 6. 2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 hinsichtlich der Durchführung von Vergleichsverfahren in Kartellfällen, ABl. 2008 L 171/3 ff. sowie die Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in Kartellfällen, ABl. 2008 C 167/1 ff. 270 Ca. 90 % der von der Europäischen Kommission bebußten Kartelle gehen auf einen Antrag nach Rn. 8 der Kronzeugenmitteilung zurück, siehe Ysewyn/Kahmann, Concurrences Review 2018, 44 (46); zu Interdependenzen mit dem private enforcement, wenn Geschädigte von Wettbewerbsbehörden die Herausgabe von Kronzeugenunterlagen verlangen, vgl. EuGH, Urt. v. 06. 06. 2013, ECLI:EU:C:2013:366 – Donau Chemie; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2011, ECLI: EU:C:2011:389 – Pfleiderer; s. a. Mundt, in: FS Möschel, S. 427 (438 f.), sowie nunmehr die Privilegierung von Kronzeugen in follow-on-Klagen, siehe Art. 11 Abs. 4 – 6, Erwägungsgrund 38 KartSE-RL. 271 Exemplarisch Möschel, WuW 2007, 483 (489 ff.); ders., WuW 2006, 115 (115). 272 Mäsch, EuR 2003, 825 (828); ähnlich Möschel, WuW 2007, 483 (485): „im Wesentlichen bedeutungslos“; Basedow, EBOR 2001, 443 (461) „virtually non-existent“; von Zumbusch, GRUR Int 1988, 541 (553): „akzidientelles Nebenprodukt öffentlicher Normen“; s. a. D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 199 m. w. N. 273 Siehe etwa § 26 des Josten-Entwurfs: Fünffacher Schadensersatz im Fall des Behinderungsmissbrauchs. Derartiges redete der BDI dem Gesetzgeber bekanntlich wieder aus. Zu den Überlegungen des bundesdeutschen Gesetzgebers siehe BT-Drs. II/1158, S. 24; vgl. zu beidem Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 58 f., Fn. 126; vgl. auch BGH, NJW 1959, 880 (881) – Sanifa: „Hinzu kommt, daß es nicht dem Grundgedanken des Kartellgesetzes entspricht, die Privatinitiative des betroffenen Unternehmens bei der Geltendmachung von Ansprüchen einzuschränken und die Kartellbehörde gewissermaßen monopolistisch mit Aufgaben zu betrauen, die der Einzelne zur Wahrung seines eigenen Interesses auch selbst wahrnehmen kann.“ Für die EG vgl. die Darstellung bei Wurmnest, in: Remien (Hrsg.), S. 27 (31 ff.); Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 94 ff. Nachweise zu entsprechenden Überlegungen finden sich etwa in Europäische Kommission, Vorschlag der Kommission an den Rat hinsichtlich der ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86

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Abs. 2 AEUV blieb lange Zeit die einzige unmittelbare Regelungsanordnung des europäischen Kartellzivilrechts.274 Durch einige Kapriolen insbesondere auch der deutschen Rechtsprechung wurde die Rechtsdurchsetzung noch zusätzlich erschwert.275 Einsamer Pionier der Erkenntnis, dass ein „seine Grundlage in der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst [findender]“ Schadensersatzanspruch die „logische Folge der horizontalen Direktwirkung“ sein sollte, blieb GA van Gerven mit seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Banks.276 Auf der Haben-Seite stand unter diesen Vorzeichen bis zum Jahr 2005 deutschlandweit ein Fall, in dem Ansprüche von Hardcore-Kartellopfern erfolgreich eingeklagt worden waren.277 Erst 2001 – 121 Jahre nach dem Sherman-Act – entdeckte auch der EuGH in der Rechtssache Courage im Art. 85 EGV/Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) den Gewährleistungsgehalt eines privatrechtlichen Schadensersatzanspruches und führte aus:278 26. Die volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist. 27. Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen.

des Vertrages vom 28. 10. 1960, IV/KOM(60) 158 endg., S. 3; Entschließung des Europäischen Parlaments, ABl. EG 1961 P73 vom 15. 11. 1961, S. 1411; sowie im XIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik, Rn. 218 (von 1983). 274 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 93; Wurmnest, in: Remien (Hrsg.), S. 27 (31). 275 Kurios erscheint aus heutiger Perspektive das Erfordernis einer zielgerichteten Schädigung, wie es die Rechtsprechung noch 2004 – und damit nach der Courage-Entscheidung 2001 – vertrat, damit es keine „unübersehbare (…) Anzahl von Anspruchsberechtigten“ gebe, LG Mannheim, GRUR 2004, 182 (183) – Vitaminkartell; s. a. BGH, NJW 1980, 1224 (1225) – BMW-Importe. Die einigermaßen paradoxe Folge der Rechtsprechung war, dass Hard-coreSchädigerinnen ausgerechnet deshalb bessergestellt wurden, weil sie nicht nur ein Unternehmen schädigen, sondern gleich die gesamte Marktgegenseite. Endgültig aufgegeben wurde diese Rechtsprechung mit BGH, NJW 2012, 928 (929) – ORWI; siehe zum Ganzen Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 68; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33 GWB Rn. 14 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Ulshöfer, § 25 Rn. 5; BT-Drs. 15/5049, S. 49. 276 GA van Gerven, SchlA v. 27. 10. 1993, ECLI:EU:C:1993:860, Rn. 44 f. – Banks; hierzu u. a. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, AEUV Art. 101 Rn. 258 f.; Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Kamann, § 24 Rn. 10. 277 Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (199); Bundeskartellamt, Private Kartellrechtsdurchsetzung, 2005, S. 5. 278 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 26 f. – Courage.

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Nahezu zeitgleich wurde die Rechtsanwendung der europäischen Wettbewerbsregeln mit der VO 1/2003 dezentralisiert, und es erschien die Ashurst-Studie,279 die dem private enforcement in der EU ein durchwachsenes Zeugnis ausstellte. Waren diese Umstände zusammengenommen der Startschuss zum private enforcement auch in der EU, so war doch die mit der KartSE-RL erreichte vorläufige Gipfelerstürmung noch einige Jahre entfernt. Grünbuch,280 Weißbuch281 und ein vergeblicher Richtlinienentwurf282 lauteten die Etappen des europäischen Gesetzgebers auf dem Weg dorthin. Aus Deutschland ist insbesondere die 7. GWB-Novelle zu erwähnen.283 2014 kam es dann mit der KartSE-RL nach einem zehnjährigen Prozess endlich zu einer sekundärrechtlichen Harmonisierung des private enforcement. Die KartSE-RL wie auch die Courage-Rechtsprechung sind Ausdruck einer funktionalisierten Subjektivierung des Unionsrechts zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung durch Privatklägerinnen.284 3. Insbesondere: Kartellschadensersatz a) Zweck des Kartellschadensersatzanspruchs Der Zweck des vom EuGH mit seiner diesbezüglich etwas sibyllinischen Formulierung aus der Taufe gehobenen Kartellschadensersatzanspruchs europäischer Prägung ist lebhaft umstritten. Die hierzu vertretenen Ansätze reichen von deterrence,285 also einer vor allem auf spezial- und generalpräventive Aspekte gestützten 279 Ashurst-Studie, http://ec.europa.eu/competition/antitrust/actionsdamages/comparative_ report_-clean_en.pdf: „The picture that emerges from the present study on damages actions for breach of competition law in the enlarged EU is one of astonishing diversity and total underdevelopment“, S. 1. Diese Studie hat unter anderem vom BKartA erhebliche Kritik erfahren („kaum haltbar“, „methodisch falsch“), siehe Bundeskartellamt, Private Kartellrechtsdurchsetzung, 2005, S. 5, wenngleich auch das BKartA eine Unterentwicklung privater Schadensersatzklagen konzedierte. Der generell positive Befund des BKartA im Hinblick auf Deutschland war deshalb überraschend; wie hier D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 241 f. 280 Kommission, Grünbuch, KOM (2005) 672 endg. 281 Kommission, Weißbuch, KOM (2008) 165 endg.; hierzu etwa Ritter, WuW 2008, 762 (passim). 282 Abrufbar unter http://allegati.unina.it/postlaurea/perf/Exclusiva_Juridico.pdf. 283 Umfassend Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 215. 284 Zur funktionalen Subjektivierung etwa Wagner, AcP 206 (2006), 352 (446); Schwietert, Effet utile, S. 33 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 272 ff.; Immenga/ Mestmäcker/Franck, Vor § 33 GWB Rn. 11, § 33a GWB Rn. 19 f.; Fuchs/Weitbrecht/Fuchs, § 2 Rn. 3. 285 Krüger, Kartellregress, S. 247 ff.; Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662 (688); Keßler, VuR 2007, 41 (44 f.); Wagner, AcP 206 (2006), 352 (421), dort auch zur Diskussion um den Präventionsgedanken im zivilen Schadensrecht insgesamt; Zimmer/Leopold, EWS 2005, 149 (152); Hempel, WuW 2004, 362 (369); tendenziell Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 335 f.; Röhrig, Schadensersatzansprüche im deutschen Kartellrecht nach der 6. GWB-Novelle, S. 242; Schmidt, Kartellverfahrensrecht, S. 324 ff.; Drexl, in: FS Canaris, Bd. I,

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Abschreckung nach amerikanischem Modell, über corrective justice in Form der nachgelagerten Kompensation von Kartellgeschädigten,286 hin zu solchen, die in der KartSE-RL vor allem ein Mittel zum Schutz des public enforcement und damit letztlich wohl einen Etikettenschwindel erblicken wollen287. Diese Kontroverse wird hier überblicksweise dargestellt. Sie ist insoweit von Bedeutung, als die Untersuchung des Effektivitätsgrundsatzes vor dem Hintergrund des spezifischen Normzwecks erfolgt. Zweifellos treten aber die verschiedenen Normzwecke auch nebeneinander. aa) Verlautbarungen der Europäischen Kommission Maßgeblich für diese unterschiedlichen Auffassungen dürfte sein, dass in den Stellungnahmen und Dokumenten der Europäischen Kommission über die Jahre eine deutliche Akzentverschiebung erkennbar gewesen ist und diese selbst zwischen den verschiedenen Regelungszwecken der deterrence, compensation und leniency changierte.288 Im Grünbuch sinnierte sie zur Stärkung des „Mittel[s] zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts“289 über mehrfachen Schadensersatz und Sammelklagen, ein „Flirt mit dem amerikanischen Modell“290, der die Fachöffentlichkeit, die deutsche zumal, in helle Aufregung versetzte und wohl des Guten zu viel war291. Im Weißbuch reagierte die Kommission auf die Kritik; „wichtigstes Leitprinzip“ war S. 1339 (1345); Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 3 ff., häufig unter Bezugnahme auf die in diese Richtung deutende Begründung zur 7. GWB-Novelle, BT-Drs. 15/3640, S. 35. 286 Jones, in: Bergström et al. (Hrsg), S. 15 (34); Reich, WuW 2008, 1046 (1048 ff.); Salaschek, Kartellrechtliche Sanktionssysteme, S. 310 f.; Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 62; Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 57 ff.; D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 444 ff.; Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (405 f.); Bellamy, in: Globaler Wettbewerb und nationale Wettbewerbsordnungen, S. 47 (52); MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 916 ff.; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG Rn. 71 ff. 287 Singh, G.C.L.R. 2014, 200 (212 f.); Bien, NZKart 2013, 481 (passim); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (428 ff., 461 f.); in diese Richtung neben dem Kompensationsaspekt auch Wurmnest, NZKart 2017, 2 (9); Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7 (7, Fn. 11). 288 Siehe hierzu insgesamt Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 72 ff.; Bien, NZKart 2013, 481 (481 f.); D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 219 ff. 289 Kommission, Grünbuch, KOM (2005) 672 endg., Rn. 1.1; in der englischen Übersetzung heißt es entsprechend auch, das Ziel beider Durchsetzungsformen sei „to deter“; s. a. Kommission, Arbeitspapier zum Grünbuch, SEC(2005) 1732, Rn. 5, 179. 290 Wils, 40 World Competition 3, 14 (2017); die öffentlichen Beteuerungen der damaligen Wettbewerbskommissarin Kroes waren andere, etwa Speech/05/533 v. 22. 09. 2005: „how we can foster a competition culture, not a litigation culture“ (Hervorhebung im Original); Speech/ 06/158 v. 09. 03. 2006: „I do not want to cut-and-paste an American-style system here“; Speech/ 09/486 v. 21. 10. 2009: „It will not be a US-style system; it will be a European System“. 291 Überblick und Auswertung zu den Reaktionen auf das Grünbuch bei Wissenbach, Von der behördlichen Kartellrechtsdurchsetzung zum privaten Schadensersatzprozess, S. 151 ff.; s. a. Wils, 40 World Competition 3, 21 f. (2017); Hempel, NZKart 2013, 494 (495 f.).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

jetzt die vollständige Entschädigung von Kartellopfern, Abschreckung nur noch eine „zwangsläufige“ Folge der besseren Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen.292 All das, was nach US-amerikanischer Konzeption für ein effektives private enforcement als unverzichtbar erachtet wird – also unter anderem die Kombination aus extensiver discovery, punitive damages und opt-out class actions – wurde zu einem „toxic cocktail“.293 Kollektivklagen fanden sich trotzdem noch im inoffiziellen Entwurf der Generaldirektion Wettbewerb von 2009,294 der es daraufhin, auf Bestreben unter anderem der deutschen Regierung und einiger interessierter Kreise, nicht einmal mehr auf die Tagesordnung der Europäischen Kommission schaffte.295 Mit dem Richtlinienentwurf von 2013,296 der der dann Gesetz gewordenen KartSE-RL wesentlich entspricht, hatten sich die Prioritäten erneut verschoben. Nunmehr wurde die Notwendigkeit einer Abstimmung von private und public enforcement mit Blick insbesondere auf das Kronzeugenprogramm zum „ersten Hauptziel“.297 Zudem wurde der Rechtsakt letztlich nicht nur auf Art. 103 AEUV, sondern auch die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV gestützt;298 ein Signal, dass die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Haftungssysteme als Problem für den gemeinsamen Binnenmarkt und die Niederlassungsfreiheit wahrgenommen wurden. Alle zuletzt genannten Erwägungen haben es in den Normtext der KartSE-RL geschafft. Art. 1 Abs. 1 und Erwägungsgrund 3 KartSE-RL stellen den Kompensationsgedanken heraus. Das Erfordernis wirksamer Rechtsbehelfe zur Erlangung des 292

Kommission, Weißbuch, KOM (2008) 165 endg., Rn. 1.2. Europäische Kommission, Memo/08/741, vom 27. 11. 2008; zu diesem Begriff auch Jones, in: Bergström et al. (Hrsg), S. 15 (36); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 75; Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 106. 294 Abrufbar unter http://allegati.unina.it/postlaurea/perf/Exclusiva_Juridico.pdf; auf S. 3 im explanatory memorandum heißt es: „The proposed Directive takes a compensatory approach: its aim is to allow those who have suffered damage caused by an infringement of the EC competition rules to recuperate that loss from the undertaking(s) which infringed the law. The Commission recognises at the same time that more effective antitrust damages actions will have a deterrent effect, which it welcomes“; vgl. auch die Einordnung des Entwurfs bei Hess, WuW 2010, 493 (passim; dort auch teilweise abgedruckt); Wagner-von Papp, EWS 2009, 445 (passim). 295 Wurmnest, in: Remien (Hrsg.), S. 27 (37); Bornkamm, GRUR 2010, 501 (502). 296 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, COM(2013) 404 final. 297 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, COM(2013) 404 final, Rn. 1.2; zur Problematik, dass Kronzeugen durch zivilrechtliche Haftung und insbesondere die Herausgabeverpflichtung der Antragsdokumente im follow-on-Prozess von einer Antragsstellung abgehalten werden könnten, was dann letztlich wegen der zentralen Bedeutung der Kronzeugen dem private enforcement wie auch dem public enforcement abträglich wäre siehe D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 459 ff., m. w. N. auch zur Situation in den USA; Mundt, in: FS Möschel, S. 427 (438 f.); Canenbley/Steinvorth, in: Festschrift für das FIW, S. 143, 151; Drexl, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1339 (1345); MüKoWettbR/ Kerber/Schwalbe, Bd. 1 Grundl. Rn. 697; Kommission, Weißbuch, KOM (2008) 165 endg., Rn. 1.2., 2.9. 298 Siehe hierzu die Ausführungen bei Schweitzer, NZKart 2014, 335 (335 f.). 293

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Schadensersatzes wird in Erwägungsgrund 4 KartSE-RL auch aus dem Recht auf wirksamen Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV, Art. 47 Abs. 1 EU-GRCh hergeleitet. Art. 1 Abs. 1 S. 2 und Erwägungsgründe 6 ff., 26, 27, 38 KartSE-RL betonen die Notwendigkeit einer Koordinierung von öffentlicher und privater Rechtsdurchsetzung sowie die potentiellen Auswirkungen auf Binnenmarkt und Niederlassungsfreiheit. Den Begriff der deterrence verwendet die Richtlinie hingegen nicht mehr. bb) Stellungnahme Nach hier vertretener Auffassung ist Zweck des europäischen Kartellschadensersatzanspruchs zuvorderst die Kompensation.299 Das ergibt bereits eine Genese des Wortlauts und der Historie der entsprechenden Regelungswerke, wie sie letztlich Gesetz geworden sind.300 Der europäische Gesetzgeber hat sich gem. Art. 3 Abs. 3, Art. 12 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1, Erwägungsgrund 13 KartSE-RL nach einigen Wirrungen eindeutig gegen jede Form der Überkompensation positioniert. Strafschadensersatz ist auch in kaum einem anderen Mitgliedstaat oder der übrigen Unionsrechtsordnung anerkannt.301 Betrachtet man etwa die deutsche schadensrechtliche Dogmatik, steht auch dort der Kompensationsgedanke im Vordergrund.302 Bekanntlich sind auch US-amerikanische Urteile, die punitive damages zusprechen, nach der Rechtsprechung des BGH nicht vollstreckbar.303 Einen Normbefehl, der den Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB mit zusätzlichen abschreckenden Elementen aufwertet, gibt es ebenfalls nicht.304 299

Ebenso BGH, NZKart 2021, 44 (48) – Schienenkartell V. Für eine ausführliche und überzeugende Darlegung, dass auch der EuGH in seiner Courage- und Manfredi-Rechtsprechung hinsichtlich der Regelungszwecke kein Rangverhältnis zwischen Kompensation und Abschreckung vorgegeben hatte, vgl. Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 60 ff.; FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG, Rn. 75, unter Verweis auf GA Geelhoed, SchlA v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 62 ff. – Manfredi: GA Mischo, SchlA v. 22. 03. 2001, ECLI:EU:C:2001:181, Rn. 58 – Courage. 301 GA Geelhoed, SchlA v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 65 ff., Fn. 35 – Manfredi; unter Verweis auf die Ashurst-Studie werden dort das Vereinigte Königreich, Irland und Zypern genannt; ebenso Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 65; siehe allerdings auch Vanleenhove, Punitive Damages in Private International Law, Rn. 363 ff., 477 ff. der einzelne Elemente des Strafschadensersatzes auch im Recht Deutschlands, Italiens, Spaniens, Frankreichs und der EU nachweist. 302 Siehe überblicksweise zur Diskussion um den Präventionsgedanken im Schadensrecht im kartellschadensersatzrechtlichen Kontext etwa Wagner, AcP 206 (2006), 352 (404 ff.); Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 135 ff. 303 BGH, NJW 1992, 3096 (3102 ff.); Reich, WuW 2008, 1046 (1052); Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 76 ff.; MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 918. 304 Ähnlich Reich, WuW 2008, 1046 (1048 f.); siehe aber auch Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (219 ff.), wonach die Möglichkeit der Berücksichtigung des anteiligen Verletzergewinns gem. § 33a Abs. 3 S. 2 GWB (§ 33 Abs. 3 S. 3 GWB a. F.) eine Öffnung zum Präventionsgedanken verdeutliche; ebenso Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 335. 300

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

Auch das Telos des Kartellschadensersatzanspruchs deutet auf seine kompensatorische Funktion hin. Dass mit Schadensersatzansprüchen auch Verhaltenssteuerung einhergeht und die Abschreckung ein immanenter Reflex der Schadenskompensation ist, ist zwar nicht zu leugnen, sagt aber letztlich auch nichts über den Sinn und Zweck des Kartellschadensersatzanspruchs aus.305 Die Antwort ergibt sich vielmehr aus seiner Einordnung in das Sanktionssystem. Die Annahme, die Europäische Union führe ein privatrechtliches Abschreckungssystem ein, hieße auch, zu implizieren, dass das behördliche System der Abschreckung nicht funktioniere bzw. eine under-deterrence vorläge. Das aber ist nicht naheliegend.306 Auch der europäische Gesetzgeber geht in Erwägungsgrund 26 der KartSE-RL davon aus, dass die Schadensersatzklagen „in der Regel Folgeklagen“ von Beschlüssen der Wettbewerbsbehörden sein werden.307 Bleiben die Wettbewerbsbehörden in der Europäischen Union als starke Wächter des Wettbewerbs erhalten, dann ist für signifikante Abschreckung bereits gesorgt.308 Soweit ersichtlich, wird nicht vertreten, dass die im behördlichen Verfahren aufgerufenen Bußgelder zur Abschreckung nicht ausreichen.309 Wohl aber lässt sich die Sorge vernehmen, dass die zusätzliche zivilrechtliche Haftung zu einer over-deterrence führe.310 Das lässt den Schluss zu, dass das private enforcement für etwas anderes zuständig ist. Denn Kompensation ist, was ausschließlich private enforcement vorbehalten ist und behördliche Rechtsdurchsetzung nicht zu leisten vermag.311 Dem steht auch nicht entgegen, dass mit der KartSE-RL offensichtlich auch die Attraktivität des Kronzeugenprogramms der Europäischen Kommission erhalten bleiben sollte. Darin ist keine Abwendung vom Kompensationsgedanken zu sehen, sondern – in Anbetracht der Tatsache, dass einem System der bis dahin nahezu ausschließlich behördlichen Rechtsdurchsetzung eines der auch privaten an die Seite gestellt wurde – eine notwendige Abstimmung als rechtspolitische und rechtssys305 D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 444 ff.; Bellamy, in: Globaler Wettbewerb und nationale Wettbewerbsordnungen, S. 47 (52); MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 917 f. 306 So auch Stancke, WuW 2018, 59 (64); Wils, 40 World Competition 3, 15 ff. (2017); Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 89 ff. 307 Vgl. auch D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 447 f. 308 MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 917; für eine zusätzliche Abschreckung hätte es beispielsweise näher gelegen, an strafrechtliche Sanktionen oder ein „leniency plus“ Programm zu denken, siehe hierzu etwa Ysewyn/Kahmann, Concurrences Review 2018, 44 (58); Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 94 f.; Mundt, in: FS Möschel, S. 427 (439). 309 Umgekehrt wird die Bußgeldbemessung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten und mit Blick auf ihre Höhe kritisiert, siehe Immenga/Mestmäcker/Biermann, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 110 ff. 310 D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 454 f. 311 D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 450 m. w. N.; Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 92; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 33; Europäische Kommission, Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, COM(2013) 404 final, S. 2.

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tematische Selbstverständlichkeit,312 zumal das so geschützte Kronzeugenprogramm die Achillesferse der gesamten Kartellrechtsdurchsetzung ist313. Damit fügt sich der Kartellschadensersatz im Übrigen auch in das normative Gefüge ein, denn nicht nur leistet er einen Beitrag zum Individualschutz, sondern auch einen zum Institutionenschutz, und entspricht so in seiner Funktionalität dem doppelten Schutzgut der Wettbewerbsvorschriften, dessen Produkt er ist. Damit zusammenhängend ist sein Verhältnis zum public enforcement eines von „funktionale[r] Äquivalenz und Komplementarität“.314 b) Verfahrenszahlen Ein kurzer Überblick über die Verfahrenspraxis ergab zum Jahresende 2019 ca. 650 vor deutschen Landgerichten anhängige Kartellschadensersatzprozesse,315 eine im Vergleich zur noch nicht fernen Vergangenheit veritable Flut an Prozessen. Deutschland ist, zusammen mit den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich, ein bevorzugter Klageplatz für Geschädigte in Europa.316 Als Grund hierfür werden zumeist die Erfahrung der Justiz mit entsprechenden Prozessen, eine verhältnismäßig kurze Verfahrensdauer sowie eine Tendenz, klägerfreundliche Entscheidungen auszuurteilen, angeführt.317 Die Zahl der Urteile bildet allerdings die gestiegenen Verfahrenszahlen noch nicht in Gänze ab. Die Vergleichsquote im Kartelldeliktsrecht 312

Folgerichtig deshalb die Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers in Erwägungsgrund 6 KartSE-RL, wonach „beide Instrumente zusammenwirken [müssen], damit die Wettbewerbsvorschriften höchstmögliche Wirkung entfalten“; ähnlich wie hier MüKoWettbR/Kerber/ Schwalbe, Bd. 1 Grundl. Rn. 697. 313 Vgl. Klocker/Ost, in: FS Bechtold, S. 229 (250); „conditio-sine-qua non“. 314 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 23 Rn. 7; ähnlich („nebeneinander und unabhängig voneinander“) GA Geelhoed, SchlA v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 64. – Manfredi; Fornasier/Sanner, WuW 2011, 1067 (1079); Wagner, AcP 206 (2006), 352 (405); Alexander, Schadensersatz und Vorteilsabschöpfung, S. 303 f.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1135); Erwägungsgrund 3 KartSE-RL; a. A. und für einen generellen Vorrang des public enforcement und eine bloße Ergänzungsfunktion des private enforcement Mäger/Zimmer/ Milde, WuW 2009, 885, 894 f.; D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 453 f., Fn. 1979 m. w. N.; Mundt, in: FS Möschel, S. 427 (438 f.); Canenbley/Steinvorth, in: Festschrift FIW, S. 143, 151 f.; Drexl, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1339 (1345). 315 Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (72). 316 Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (72); Wurmnest, NZKart 2017, 2 (9); Kamann/ Ohlhoff/Völcker/Raible/Leppler, § 26 Rn. 569; Stancke/Weidenbach/Lahme/Makatsch/Bäuerle, Kap. C Rn. 29; zu Vor- und Nachteilen der Klagestandorte Fuchs/Weitbrecht/Rother, § 3 Rn. 55 ff.; s. a. EU Commission Staff Working Document Impact Assessment Report, SWD (2013) 0203 final, Rn. 52; abzuwarten bleibt, wie sich der Austritt Großbritanniens aus der EU auswirken wird. 317 Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (74); Nuys/Wittinghofer, NZKart 2018, 334 (334); das stellt im europäischen Bereich eine nicht unbedingt prozessökonomische Eigenart dar, siehe Rengier, ebd., S. 75; s. a. ders., WuW 2018, 613 (618), und dürfte sich nach den Urteilen BGH, NZKart 2020, 136 (141) – Schienenkartell II; BGH, NJW 2018, 2479 (2480) – Grauzement II auch ändern.

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ist hoch.318 Von 2003, dem Jahr, in dem in Deutschland die Premiere des ersten Urteils in einem Kartellschadensersatzprozess gefeiert wurde, bis Ende 2018 wurden 119 Urteile erlassen, davon 91 in der Eingangsinstanz.319 In diesen Urteilen obsiegten Klägerinnen zwar in der Mehrzahl der Fälle,320 erstritten für ihre Mühen aber ganz überwiegend nur Grund- und Feststellungsurteile321. Gegen diese sind zumeist Rechtsmittel anhängig.322 Nahezu alle dieser Klagen betrafen follow-on-Konstellationen.323 Betrachtet man den Streitwert, wird pro Kartell mit ca. 500 Millionen Euro eine Summe eingeklagt, die ungefähr 72 % der Summe der verhängten Bußgelder entspricht, in einigen Fällen auch weit mehr.324 c) Materiellrechtliche und prozessuale Privilegierungen von Kartellschadensersatzklägerinnen Auch nach dem EU-Wettbewerbsrecht werden Privatklägerinnen in der kartelldeliktischen Rechtsdurchsetzung privilegiert. aa) Haftungstatbestand und Rechtsfolge Der EuGH hatte zunächst drei Tatbestandsvoraussetzungen als unionsrechtliche Haftungsvorgaben entwickelt, nämlich den Kartellverstoß, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kartellverstoß und Schaden.325 Zu einem etwaigen Verschuldenserfordernis hat der EuGH noch keine Stellung bezogen.326 Diese Haftungsvoraussetzungen hat er mit den allgemeinen Grundsätzen der

318 Weitbrecht, NZKart 2018, 106 (109); ders., SchiedsVZ 2018, 159 (165); Rust, NZKart 2015, 502 (506); Makatsch, CCZ 2015, 127 (127) ist indes der Auffassung, dass die Vergleichsquote in den USA sowie dem Vereinigten Königreich bedeutend höher sei. 319 Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (72). 320 Als unmittelbare Abnehmerinnen in 78 % und als mittelbare Abnehmerinnen in 64 % der Fälle, Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (75). 321 Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (74 f.); insgesamt gab es in Deutschland bis dato ganze acht Leistungsurteile, Rengier, ebd., S. 78. 322 Rengier, WuW 2018, 613 (618); in der Tendenz dürfte sich daran seit 2018 wenig geändert haben. 323 Das wird insbesondere aus einer älteren Fassung der Untersuchung von Rengier deutlich, siehe Rengier, WuW 2018, 613 (614); siehe dazu auch Klumpe/Thiede, NZKart 2019, 136 (136 ff.). 324 Rengier, WuW 2018, 613 (615). 325 EuGH, Urt. v. 14. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:204, Rn. 26 – Skanska Industrial Solutions u. a.; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 61, 63 – Manfredi; siehe dazu Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 22 ff.; zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 33a Abs. 1 GWB Kamann/Ohlhoff/Völcker/Ohlhoff, § 26 Rn. 54 ff. 326 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 24; LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 49; siehe allerdings nunmehr Erwägungsgrund 11 S. 5 KartSE-RL.

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Effektivität und Äquivalenz flankiert.327 Das Rechtsschutzsystem der Mitgliedstaaten hat funktional auf die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts ausgerichtet zu sein.328 Bis heute ist unklar, ob der EuGH den Anspruch als solchen unmittelbar Art. 101 AEUV entnimmt, oder ob dieser nur das durch die Mitgliedstaaten auszufüllende subjektive Recht gewährt.329 Jedenfalls sind die Vorgaben aus der KartSERL insoweit nur eine deklaratorische Wiedergabe des Primärrechts,330 und die direkt aus Art. 101 AEUV stammenden Vorgaben werden immer engmaschiger. In jüngster Zeit hat der EuGH mit klägerfreundlicher Judikatur so insbesondere die Aktivlegitimation dahingehend definiert, dass „Jedermann“ nach Courage331 wirklich alle denkbaren Geschädigte meine, selbst solche, die keine Teilnehmerinnen auf dem kartellierten Markt sind,332 und hat für die Passivlegitimation auf den europäischen Unternehmensbegriff rekurriert333. Die Rechtsfolgenseite eines Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB stellt sich wesentlich moderater dar. Der Anspruch erfasst den reinen Vermögensschaden, entgangenen Gewinn und Zinsen.334 Straf- und Mehrfachschadensersatz schließt nunmehr Art. 3 Abs. 3 KartSE-RL aus,335 Bestandteil der Kompensation nach § 249 ff.

327 EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 24 f. – Kone; EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 29 – Courage. 328 EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 23, 32 – Kone; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 24; LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 41. 329 Zu dieser Diskussion etwa Schwietert, Effet utile, S. 29 ff.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 119 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 12, 17 ff. jew. m. w. N.; auch noch unten Kapitel 5 – A.I.1.d). 330 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 39 f. 331 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 26 – Courage. 332 EuGH, Urt. v. 12. 12. 2019, ECLI:EU:C:2019:1069, Rn. 34 – Otis; für Preisschirmgeschädigte (umbrella-Geschädigte) EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 33 f. – Kone; s. a. BGH, NZKart 2020, 136 (138) – Schienenkartell II; BGH, NJW 2012, 928 (929 ff.) – ORWI; hierzu insgesamt auch Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 53 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Ulshöfer, § 25 Rn. 16 ff. 333 EuGH, Urt. v. 14. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:204, Rn. 47 – Skanska Industrial Solutions u. a.; diese Frage wurde vorher lebhaft diskutiert, siehe die zahlreichen Nachweise bei Hauser, WuW 2019, 123 (123, Fn. 2); Kersting/Podszun/Kersting, Kap. 7 Rn. 23 ff.; ders., WuW 2014, 564 (565). 334 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 95 ff. – Manfredi; Immenga/ Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 57 ff.; LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 50; s. a. Kamann/Ohlhoff/Völcker/Ohlhoff, § 26 Rn. 163 ff. sowie für Zinsen § 33a Abs. 4 S. 1 GWB; wegen der nicht unerheblichen durchschnittlichen Verfahrensdauer können diese Zinsen allerdings schnell zu einer Verdoppelung der Schadenssumme führen, siehe Rengier, WuW 2018, 613 (617). 335 Anders noch der EuGH: Ein solcher Schadensersatz sei durch das Unionsrecht nicht gefordert, aber auch nicht ausgeschlossen, EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 92 ff. – Manfredi; auch GA Geelhoed, SchlA v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 62 ff. – Manfredi; hierzu Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz, S. 62 ff.; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 418.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

BGB ist er ohnehin nicht336. Die Geschädigte hat typischerweise die haftungsbegründenden Umstände am Maßstab des § 286 ZPO zu beweisen,337 die haftungsausfüllenden Umstände – sowohl „Ob“ als auch „Wie“ des Schadens – am Maßstab des § 287 ZPO338, siehe auch Art. 17 Abs. 1 S. 2 KartSE-RL. In der Praxis gestehen Gerichte Klägerinnen wegen der Typizität gewisser Geschehen großzügige Anscheinsbeweise zu.339 Kodifiziert ist eine widerlegliche Vermutung dahingehend, dass Kartelle einen Schaden verursachen, in Art. 17 Abs. 2 KartSE-RL, § 33a Abs. 2 GWB. bb) Gesamtschuld Die gesamtschuldnerische Haftung der Kartellantinnen gem. Art. 11 Abs. 1 KartSE-RL, § 33d GWB ist ein nicht versiegender Quell praktischer Probleme.340 Weil in kartelldeliktischen Ausgleichsverhältnissen allenfalls einzelne Gesamtschuldnerinnen mit den Geschädigten eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen haben, die übrigen aber nicht, gilt den so entstehenden prozessualen Folgen dieser Haftungsanordnung auch in dieser Arbeit gesteigerte Aufmerksamkeit.341 cc) Verfahrensharmonisierung Vor staatlichen Gerichten stehen einige Regelungsinstitute zur Harmonisierung komplexer Rechtsverhältnisse zur Verfügung. Zunächst gibt die ZPO die Möglichkeit der subjektiven und objektiven Klagehäufung gem. §§ 59 ff., 260 ZPO, die für kartellrechtliche Streitigkeiten durch § 88 GWB noch auf solche Ansprüche er336 Reich, WuW 2008, 1046 (1051 f.); MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 8 m. w. N.; zur Anerkennungsfähigkeit ausländischer Urteile mit punitive damages siehe BGH, NJW 1992, 3096 (3102 ff.); zur Möglichkeit, solche Klagen zumindest zuzustellen, BVerfG, IPRax 2009, 249 (250). 337 BGH, NJW 2019, 661 (665) – Schienenkartell I; BGH, NJW 2016, 3527 (3531 f.) – Lottoblock II; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 54 f.; überblicksweise zu Beweisfragen im Kartellschadensersatzprozess Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 592 ff. 338 BGH, NJW 2019, 661 (664) – Schienenkartell I; BGH, NJW 2016, 3527 (3531) – Lottoblock II; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 141 ff., 254 ff.; Köhler, GRUR 2004, 99 (103); kritisch hierzu Kamann/Ohlhoff/Völcker/Ohlhoff, § 26 Rn. 120 ff. 339 Aus der Rechtsprechung etwa OLG Thüringen, NZKart 2017, 540 (540 f.) – Schienenkartell; OLG Karlsruhe NZKart 2016, 595 (597 f.) – Grauzementkartell; OLG Karlsruhe, NZKart 2014, 366 (367 f.) – Löschfahrzeuge; s. a. den Überblick bei Galle, NZKart 2016, 214 (passim); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 124 ff., 142 ff., 264 f., 334 ff., 358 ff., 431 ff., 453 f.; Ellger, FS Möschel, S. 191, (215 f.); zur Kontroverse um Anscheinsbeweise und tatsächliche Vermutungen bei Quoten- und Kundenschutzkartellen BGH, NJW 2019, 661 (664) – Schienenkartell I; sodann die scharfe Kritik des OLG Düsseldorf, NZKart 2019, 157 (159 ff.); nunmehr BGH, NZKart 2020, 136 (138) – Schienenkartell II; s. a. den mit der 10. GWB-Novelle neu gefassten § 33a Abs. 2 S. 4 GWB. 340 Vgl. Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 270 ff., S. 316 ff.; Krüger, Kartellregress, S. 100 ff., S. 115 ff., S. 139 ff. 341 Siehe dazu Kapitel 4 – A.II.1.f); Kapitel 4 – A.III.2.c)bb); Kapitel 5 – B.I.3.

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weitert wird, für die das Prozessgericht ansonsten nicht zuständig wäre.342 Dritte können am Rechtsstreit beteiligt werden, aus eigenem Antrieb im Wege der Nebenintervention gem. § 66 ff. ZPO und gegen ihren Willen durch das Rechtsinstitut der Streitverkündung gem. §§ 72 ff. ZPO i. V. m. §§ 66 ff. ZPO,343 Art. 65 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO. Daneben treten Vorschriften des lis pendens gem. Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO, sowie zur „gebührend[en] Berücksichtigung“ paralleler Verfahren und bereits ergangener Urteile gem. Art. 15 Abs. 1, Erwägungsgrund 44 KartSE-RL. Gerichte können zudem Verfahren trennen und verbinden, §§ 145, 147 ZPO. dd) Kollektiver Rechtsschutz Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes nach dem Vorbild der US-amerikanischen class actions gibt es in Deutschland und auf europäischer Ebene nicht. (1) Stand der europäischen Sekundärrechtsgesetzgebung Daran hat die KartSE-RL nichts ändern können. Von den hochtrabenden Überlegungen,344 derartige Sammelklagen auch auf Basis eines opt-in-Models einzuführen, ist in der KartSE-RL nur noch ein trauriger Hinweis in Erwägungsgrund 13 übriggeblieben, wonach die KartSE-RL die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung von kollektiven Rechtsschutzverfahren verpflichte.345 (2) Verbandsklagen Derweil hat der europäische Gesetzgeber zwar die Richtlinie über Verbandsklagen verabschiedet, das Kartellrecht aber aus deren Anwendungsbereich ausgenommen.346 Der Anwendungsbereich beschränkt sich dazu auf Verbraucher:innen.347 Diese Gruppe potentiell Geschädigter ist allerdings für den hiesigen Untersuchungsgegenstand nicht weiter relevant, da sie nur in seltenen Fällen die unmittelbaren Abnehmer:innen kartellierter Produkte sind und in diesen vor unbilligen Bindungen an Schiedsklauseln durch verbraucherschützende Vorschriften zusätzlich geschützt sind.348 Die auf sie beschränkten Rechtsbehelfe bleiben daher vorliegend 342

Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 88 GWB Rn. 5 f.; LMRKM/Dicks, § 88 GWB Rn. 2 f. Die nachstehenden Ausführungen gelten entsprechend für den hier weniger relevanten Fall, dass die nachträgliche Beteiligung durch Nebenintervention stattfindet. 344 Siehe Kapitel 2 – C.II.3.a)aa) sowie noch Kapitel 5 – B.I.3.c)bb)(3)(b). 345 Siehe dazu noch die Darstellung unten Kapitel 5 – B.I.3.c)bb)(3)(b). 346 Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Anhang I, Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (im Folgenden: Verbandsklagen-RL); dazu Mengden, NZKart 2018, 398 (399 f.); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (627 ff.). 347 Art. 1 Verbandsklagen-RL. 348 Etwa die Vorschriften der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (im Folgenden Klauselrichtlinie), 343

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

ebenso außer Betracht wie die kartellrechtlichen Verbandsklagen der § 33 Abs. 4, 1 GWB und § 34a Abs. 1 GWB. Diese sind nicht auf einen Schadensausgleich gerichtet,349 im Verhältnis von qualifizierten Verbänden i. S. d. § 33 Abs. 4 GWB zu Kartellantinnen fehlt es an einer Schiedsvereinbarung, und namentlich dem Anspruch gem. § 34a Abs. 1 GWB insgesamt fehlt auch jede praktische Relevanz350.351 (3) Deutsche Musterfeststellungsklage Aus diesem Grund bleibt auch die zum 01. 11. 2018352 in Deutschland eingeführte Musterfeststellungsklage gem. §§ 606 ff. ZPO für den hiesigen Untersuchungsgegenstand außer Betracht. Neben dem Umstand, dass diese ausschließlich Verbraucher:innen353 die Durchsetzung ihrer Rechte erleichtern soll, sei noch eine weitere bedeutsame Limitierung angemerkt. Gegenstand der Musterfeststellungsklage ist nämlich nicht die Leistung, sondern sind die vom Gesetzgeber in § 606 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Feststellungsziele, also die gem. § 613 ZPO bindende Feststellung rechtlicher und tatsächlicher Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen und Rechtsverhältnissen. Sie macht deshalb grundsätzlich eine nachfolgende Leistungsklage erforderlich.354 In den typischen follow-on-Konstellationen mangelt es aber nicht an der Feststellung des Kartellverstoßes,355 sondern an Leistungsurteilen. Dass die Musterfeststellungsklage für die zentralen Schwierigkeiten eines Kartellschadensersatzprozesses praktisch hilfreich ist, also gerade mit Blick auf die Reichweite des Verstoßes, die Identifizierung der Geschädigten und die Quantifizierung des Schadens, erscheint sehr unwahrscheinlich.356 §§ 307 ff. BGB, § 1031 Abs. 5 ZPO; ausführlich Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (466 ff.); s. a. Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (645 f.); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (213, Fn. 66). 349 Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 41, 51. 350 Stancke, WuW 2018, 59 (60, Fn. 21); Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 578 ff.; Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 52; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, § 34a GWB Rn. 4 ff. 351 Siehe überblicksweise zu den hier ebenfalls nicht interessierenden Rechtsbehelfen der § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG, § 32 Abs. 2a GWB Fuchs/Weitbrecht/Krüger/ Weitbrecht, § 19 Rn. 53 ff. 352 BGBl. 2018, I, S. 1151 ff. 353 Die recht schlanken Voraussetzungen des § 606 ZPO sehen vor, dass eine qualifizierte Einrichtung i. S. d. § 606 Abs. 1 ZPO – regelmäßig ein Verbraucherschutzverband oder eine Interessenvertretung – im Namen von zunächst zehn Verbraucher:innen Klage erhebt, § 606 Abs. 2 ZPO, und diese Zahl zwei Monate nach öffentlicher Bekanntgabe auf 50 Verbraucher: innen angewachsen ist. 354 Mallmann/Erne, NZKart 2019, 77 (77). 355 In diesem Sinne auch Stancke, WuW 2018, 59 (62); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 87. 356 Mit Recht skeptisch Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (112, Fn. 102); Mallmann/Erne, NZKart 2019, 77, (79 ff.); Klumpe, NZKart 2019, 405 (405); Rother, NZKart 2017, 1 (2); Fuchs/ Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 87, 166; allgemein im Vergleich zum Verbandskla-

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(4) Streitgenossenschaft Eine weitere Möglichkeit der gebündelten Geltendmachung stellen grundsätzlich Streitgenossenschaften dar. Ein solches Vorgehen kann Synergieeffekte bringen.357 Eine Streitgenossenschaft ermöglicht allerdings nur eine verfahrensrechtliche Verbindung mehrerer Prozessrechtsverhältnisse, die vom Gericht materiellrechtlich weiterhin individuell behandelt werden müssen und auch instabiler bleiben als materiell gebündelte Ansprüche.358 Dadurch sind die Effizienzsteigerungen in Masseverfahren regelmäßig überschaubar,359 so sie denn überhaupt bestehen. Aktive Streitgenossenschaften sind auch nur unter Wettbewerberinnen sinnvoll, obwohl gerade in der Beziehung zu diesen die Schwelle zu einer teilweise auch fremdbestimmten Prozessführung hoch sein dürfte360 und schon die Einigung auf einen Gerichtsstand vor Probleme stellt361. Misslich ist für Klägerinnen zudem, dass es zu passiven Streitgenossenschaften auch gegen ihren Willen kommen kann. Dass nämlich die nicht verklagten Kartellantinnen dem Prozess auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientinnen beitreten, entweder gem. §§ 66 ff. ZPO aus eigener Initiative oder auf Aufforderung der streitverkündenden Beklagten gem. §§ 72 ff. ZPO, können die Klägerinnen nicht verhindern.362 Noch dazu sind diese gem. § 72 Abs. 3 ZPO wiederum selbst zur Streitverkündung berechtigt. Auch die Möglichkeit zur Klageverbindung im Ermessen des Gerichts gem. § 147 ZPO führt zu einer Klagehäufung.363 Nicht nur die damit verbundene erhöhte Komplexität des Verfahrens mag für die Klägerinnen unerbeten sein, sondern auch das erst durch die 9. GWBNovelle mit § 89a Abs. 3 S. 2 GWB begrenzte Prozesskostenrisiko.364 (5) Abtretungsmodell Behelfsmäßig wird ob dieser lückenhaften Gesetzeslage hierzulande vor allem das Abtretungsmodell praktiziert. Zu diesem Zweck wird mit einer juristischen geentwurf kritisch Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (632 ff.); positiver bewertet aber von Mengden, NZKart 2018, 398 (400). 357 Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 65 ff. 358 Stancke, WuW 2018, 59 (62); Bernhard, Kartellrechtliche Sammelklagen, S. 150 ff.; Vogel, Kollektiver Rechtsschutz, S. 163 f.; Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 70; Fuchs/Weitbrecht/Rother, § 19 Rn. 76 f.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Makatsch/Bäuerle, Kap. C Rn. 36; auch Weber, NZKart 2018, 13 (18), geht von einer Eignung nur für kleine Gruppen von Geschädigten aus. 359 Stancke, WuW 2018, 59 (62); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 70 f. 360 Fuchs/Weitbrecht/Rother, § 3 Rn. 77. 361 Bernhard, Kartellrechtliche Sammelklagen, S. 152; Vogel, Kollektiver Rechtsschutz, S. 163. 362 Zu diesem in Kartellschadensersatzprozessen häufig zu beobachtenden Phänomen Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 140 ff.; ablehnend zur Möglichkeit weiterer Geschädigter, auf Seiten der Klägerin als Nebenintervenientin aufzutreten, OLG Karlsruhe, NJOZ 2018, 528 (538 f.); zur Streitverkündung Kapitel 5 – B.I.3.d)aa). 363 OLG Koblenz, NJW-RR 2014, 507 (508); MüKoZPO/Fritsche, § 147 ZPO Rn. 9. 364 Dazu auch Kapitel 2 – C.II.3.c)hh).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

Person ein Klagevehikel gegründet, welches Ansprüche von Geschädigten einsammelt, indem es sich diese gegen eine gegebenenfalls unter der Bedingung der erfolgreichen Klage stehende Zahlung eines Betrages unter dem Nennwert der Forderung durch eine fiduziarische Inkassozession abtreten lässt.365 Finanziert wird dieses Modell nicht selten über externe Prozessfinanzierer.366 Auf diese Weise konnten Klagevehikel mehrere Hunderttausend Ansprüche in unterschiedlichen Kartellen einsammeln.367 Durch die materiellrechtliche und nicht bloß prozessuale Verbindung mehrerer Ansprüche lassen sich in größerem Maße Skaleneffekte erzielen, die der klägerischen Rechtsdurchsetzung Wucht und damit auch die Aussicht auf Kompensation verleihen.368 Auch wenn die Bedeutung dieser „unechten Sammelklage[n]“369 deshalb wächst, präsentieren auch sie erhebliche Probleme prozessrechtlicher, tatsächlicher, schadensrechtlicher und berufsrechtlicher Art, auf die noch gesondert eingegangen wird.370 ee) Discovery Eine wirkliche Neuerung der KartSE-RL, zumindest im Vergleich zur bisherigen Rechtslage in Deutschland, stellen die an den angelsächsischen Rechtskreis angelehnten Vorschriften zur discovery dar, hier umgesetzt als eine „discovery light“371. Diese nehmen in der KartSE-RL das gesamte Kapitel II und die Erwägungsgründe 14 – 29 ein, was verdeutlicht, welche Bedeutung ihnen der europäische Gesetzgeber

365 Römermann, AnwBl Online 2020, 273 (273); Stancke, WuW 2018, 59 (59); Stadler, WuW 2018, 189 (189, 192); Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 23; Fuchs/ Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 92 ff.; umtriebige Gesellschaften mit diesem Zweck sind etwa CDC (Cartel Damage Claims) Consulting SCRL, aber auch die Deutsche Bahn, siehe https://www.zeit.de/news/2017-02/15/prozesse-deutsche-bahn-will-milliarden-von-kartellsuen dern-eintreiben-15073203. 366 Stancke, WuW 2018, 59 (59); Stadler, WuW 2018, 189 (190 f.); Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (16 f.); Stancke/Weidenbach/Lahme/Makatsch/Bäuerle, Kap. C Rn. 41 f. 367 Hervorzuheben ist an dieser Stelle erneut das LKW-Kartell (AT.39824 – Trucks), dessen prozessuale Dimensionen – eine mehrere Hunderttausend Seiten dicke und medienwirksam eingereichte Klageschrift, mehrere Zehntausend gebündelte Ansprüche, bis zu 827 Millionen Euro Streitwert – die nachfolgenden Berichte und Pressemitteilungen abbilden: FAZ vom 24. 06. 2019, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/lastwagen-mit-daimler-klageerreicht-anwaelte-16252012.html?GEPC=s9; beck-aktuell vom 18. 10. 2019, https://rsw.beck. de/aktuell/meldung/groesster-lkw-kartell-prozess-beginnt; Pressemitteilung LG München I 10/ 2019 vom 21.10.19, https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/landgericht/muen chen-1/presse/2019/10.php; Pressemitteilung LG München I 07/2018 vom 16. 11. 2018, https: //www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/landgericht/muenchen-1/presse/2018/7.php. 368 Stadler, WuW 2018, 189 (190); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 94 ff. 369 Heese, NZV 2019, 273 (275); auch der Bundesrat hatte im Abtretungsmodell eine Alternative zur opt-in-Gruppenklage gesehen, siehe BR-Drs. 248/08 (Beschluss), Rn. 7. 370 Siehe unten Kapitel 5 – B.I.3.c). 371 Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164 (164).

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als Antwort auf die typischen Schwierigkeiten des Kartellzivilprozesses beimisst.372 Art. 5 der KartSE-RL regelt die Offenlegung durch die Prozessparteien oder durch Dritte, Art. 6 KartSE-RL demgegenüber einen gem. Art. 6 Abs. 10 KartSE-RL subsidiären Auskunftsanspruch gegenüber den Wettbewerbsbehörden. Die in deren Akten enthaltenen Vergleichsausführungen und Kronzeugenanträge unterliegen gem. Art. 6 Abs. 6, 7 Abs. 1 KartSE-RL einem Offenlegungs- und Verwertungsverbot. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorschriften in § 33g GWB sowie den §§ 89b ff. GWB und damit in einer die übrige Dogmatik der ZPO unberührt lassenden „Insellösung“ im GWB übernommen.373 Es handelt sich dabei um einen echten materiellrechtlichen Anspruch, der auch isoliert zur Vorbereitung eines Kartellschadensersatzanspruchs geltend gemacht werden kann und insoweit über die Vorgaben der KartSE-RL hinausgeht.374 Er ist für die Kartellgeschädigte insgesamt niedrigschwellig ausgestaltet;375 insbesondere müssen die zu erlangenden Beweismittel gem. § 33g Abs. 1 GWB nur so genau bezeichnet werden, wie das auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist, und das Bestehen eines Kartellschadensersatzanspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB muss lediglich glaubhaft gemacht werden.376 § 33g Abs. 3 GWB sieht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, und die nachfolgenden Absätze schützen insbesondere das öffentliche Interesse an der Kartellrechtsdurchsetzung und synchronisieren den Auskunfts- und Herausgabeanspruch mit den Vorschriften der ZPO und StPO. Erste Entscheidungen des OLG Düsseldorf schränkten die intertemporale Anwendbarkeit des Anspruchs aus § 33g Abs. 1 GWB erheblich ein.377 Auch ist eine Kehrseite der Reform, dass der Gesetzgeber die Ansprüche gegenüber den Wettbewerbsbehörden

372 Zur Bedeutung von Auskunftsansprüchen für die effektive Verwirklichung des EUWettbewerbsrechts EuGH, Urt. v. 06. 06. 2013, ECLI:EU:C:2013:366, Rn. 30 ff. – Donau Chemie. 373 Kersting/Podszun/Preuß, Kap. 10 Rn. 6. 374 Siehe hierzu und zur Intention des Gesetzgebers, der auf diese Weise Vergleichsbestrebungen fördern wollte, Podszun/Kreifels, GWR 2017, 67 (68 f.); Podszun/Kreifels/ Schmieder, WuW 2017, 114 (116); Kersting/Podszun/Preuß Kap. 10 Rn. 8; BT-Drs. 18/10207, S. 62. 375 Stancke/Weidenbach/Lahme/Ruster, Kap. G Rn. 58; Podszun/Kreifels, GWR 2017, 67, 68. 376 Noch einfacher geht es im einstweiligen Rechtsschutz, § 89 Abs. 5 GWB, dazu Podszun/ Kreifels, GWR 2017, 67 (68). 377 OLG Düsseldorf, NZKart 2018, 228 (229 f.); OLG Düsseldorf, BeckRS 2018, 8830, Rn. 26 f. das OLG ist der Auffassung, dass § 89 b Abs. 5 GWB – ungeachtet des Wortlauts von § 186 Abs. 4 GWB – ebenso wie § 33g GWB nur auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche Anwendung findet, die nach dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle am 9. Juni 2017 entstanden sind; zur Kritik Petrasincu/von Steuben, NZKart 2018, 286 (passim); zur Korrektur dieser Rechtsprechung durch den Gesetzgeber siehe § 186 Abs. 4 GWB in der Fassung der 10. GWB-Novelle.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

restriktiver ausgestaltet hat.378 Für die Beiziehung von Behördenakten fungiert das Gericht im Verfahren gem. § 89c GWB als Filter zwischen Anspruchstellerin und Behörde; § 33g Abs. 1 GWB findet gem. § 89c Abs. 5 S. 3 GWB keine Anwendung. Dessen ungeachtet dürfte sich die Lage der Geschädigten im Kartellzivilprozess mit der Reform deutlich verbessert haben.379 ff) Passing-on defence Die passing-on defence war Kartellantinnen auch schon vor den jüngsten Gesetzesnovellen eröffnet.380 Nunmehr sehen Art. 13, 14 KartSE-RL – umgesetzt in § 33c GWB – vor, dass Kartellantinnen sich gegenüber den unmittelbaren Geschädigten mit dem Einwand der Schadensweiterwälzung verteidigen können. Zugunsten der mittelbaren Abnehmerinnen wird unter den in Art. 14 Abs. 2 KartSERL, § 33c Abs. 2 GWB genannten Voraussetzungen vermutet, dass es zu einer Schadensweiterwälzung gekommen ist.381 gg) Rolle der Wettbewerbsbehörden In follow-on-Konstellationen statuieren Art. 9 Abs. 1 KartSE-RL, § 33b GWB die gerichtliche Bindungswirkung der den Verstoß feststellenden Entscheidungen einer Wettbewerbsbehörde der Europäischen Union (so zuvor bereits Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003) oder ihrer Mitgliedstaaten. Die der Entscheidung vorausgehende Untersuchung führt daneben zu einer Hemmung der im Übrigen gem. Art. 10 Abs. 2, 3, § 33h Abs. 1, 2 GWB fünf Jahre betragenen Verjährung gem. Art. 10 Abs. 4 KartSERL, § 33h Abs. 6 S. 1 Nr. 1, 2 GWB. Wettbewerbsbehörden können sich zudem gem. Art. 17 Abs. 3 KartSE-RL, Art. 15 VO 1/2003, §§ 90, 90a GWB an Verfahren vor den ordentlichen Gerichten als amici curiae beteiligen und etwa Erklärungen zur Schadenshöhe abgeben. Daneben sind sie gem. §§ 90 Abs. 1, 90a Abs. 1 GWB über Verfahren zu unterrichten. In der Praxis nutzen die Wettbewerbsbehörden die so eröffnete Möglichkeit zur Mitwir378 Badtke/Lang, WuW 2016, 276 (283 f.); Stancke/Weidenbach/Lahme/Ruster, Kap. G Rn. 18 ff., dort auch jeweils zu weiteren Ansprüchen der Geschädigten gegen Wettbewerbsbehörden. 379 Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164 (175); Podszun/Kreifels/Schmieder, WuW 2017, 114 (116); Podszun/Kreifels, GWR 2017, 67 (71); Stancke/Weidenbach/Lahme/Ruster, Kap. G Rn. 2. 380 BGH, NJW 2012, 928 (931 ff.) – ORWI; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 350 ff. 381 Verschiedentlich wird angenommen, die Position der unmittelbaren Abnehmerinnen würde geschmälert, die der mittelbaren Abnehmer aber nicht wesentlich verbessert, oder die Regelung sei sogar primärrechtswidrig, Fritzsche, NZKart 2017, 630 (633); Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7 (12); Schweitzer, NZKart 2014, 335 (339); insgesamt kritisch auch Bakowitz, Informationsherrschaft im Kartellrecht, S. 275 ff.

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kung jedenfalls in den Tatsacheninstanzen nur sporadisch.382 Im Revisionsverfahren ist zumindest das BKartA aktiver und gibt mündliche Stellungnahmen ab.383 hh) Sonstiges Auch in Deutschland eröffnen die Brüssel Ia-VO bzw. die ZPO Kartellgeschädigten fliegende Gerichtsstände384 vor den gem. § 87 ff. GWB zuständigen Landgerichten.385 Um das erhebliche Kostenrisiko für Klägerinnen zu verringern,386 sieht § 89a Abs. 1 GWB die Möglichkeit zur Streitwertanpassung vor. Überdies begrenzt § 89a Abs. 3 S. 2 GWB den Erstattungsanspruch der Streithelfer, deren Kosten andernfalls die Klägerin im Falle des Unterliegens gem. §§ 74, 101, 91 ff. ZPO ebenfalls zu tragen hat, auf den Gegenstandswert, wenn das Gericht dies in freiem Ermessen für angemessen hält, und in der Summe der Gegenstandswerte der Streithilfen auf den Streitwert der Hauptsache.387 Schiedsgerichte werden an zwei Stellen in der KartSE-RL erwähnt. Zum einen sollen nach Erwägungsgrund 48 die Parteien ermutigt werden, sich in einvernehmlichen Streitbeilegungsverfahren, namentlich auch Schiedsverfahren, zu einigen. Zum anderen sieht Art. 18 Abs. 2 KartSE-RL vor, dass unbeschadet der Rechtsvorschriften zu Schiedsverfahren die Mitgliedstaaten garantieren sollen, dass 382

Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (164); LMRKM/Dicks, § 90 GWB Rn. 2; speziell für das BKartA MüKoWettbR/Nothdurft, § 90 GWB Rn. 11; FK/Meyer-Lindemann, § 90 GWB, Rn. 12; im Berichtszeitraum 2017/2018 war das BKartA insgesamt an 20 Zivilverfahren gem. § 90 GWB, Art. 15 Nr. 1 VO 1/2003 beteiligt, siehe BT-Drs. 19/10900, S. 37. Weit weniger aktiv ist die Europäische Kommission; LMRKM/Zuber, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 4 nennt die Zahl von über 100 Beteiligungen der Europäischen Kommission an Verfahren mitgliedstaatlicher Gerichte im Zeitraum von 1993 – 2018. Einziges deutsches Verfahren, an dem die Europäische Kommission aus eigener Initiative beteiligt war, war das Verfahren BGH, NJW 2015, 2198, MüKoWettbR/Nothdurft, § 90a GWB Rn. 4. 383 MüKoWettbR/Nothdurft, § 90 GWB Rn. 6; FK/Meyer-Lindemann; § 90 GWB, Rn. 12; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 90 GWB Rn. 10. 384 Siehe dazu noch unten Kapitel 2 – F.II.; Kapitel 2 – F.III.2. 385 Ausgewählt werden vor allem die Landgerichte Dortmund, Hannover und Mannheim, im LKW-Kartell (AT.39824 – Trucks) aber auch Stuttgart und München, siehe Rengier, J.E.C.L. & Pract. 2020, 72 (77, 79 f.); ders., WuW 2018, 613 (619); Klumpe/Thiede, NZKart 2019, 136 (136); Weitbrecht, NZKart 2018, 106 (111). 386 Vgl. die Rechnung bei Fuchs/Weitbrecht/Rother, § 3 Rn. 38 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 644 ff., dort noch ohne Berücksichtigung des § 89a Abs. 3 GWB n.F.; s. a. Weitbrecht, WuW 2015, 959 (967): ökonomisch lohne sich ein Prozess dann, wenn es um den Bezug kartellbefangener Produkte in einem Umfang von mindestens 5 Millionen Euro bei einer angenommener Schadenssumme von 500.000 Euro gehe; zu notwendigen ökonomische Gutachten, für die zumeist sechsstellige Beträge aufgerufen werden ders., NZKart 2020, 106 (112). 387 Hierzu Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E, Rn. 152 ff.; zum Kostenrisiko auch Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7 (9) m. w. N.; zu Streitverkündungen gegen den Willen der Klägerinnen Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(4).

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Gerichtsverfahren mit Rücksicht auf eine laufende einvernehmliche Streitbeilegung bis zu zwei Jahre ausgesetzt werden können. d) Allgemeine Anspruchsgrundlagen Neben dem spezialdeliktischen Anspruch des § 33a Abs. 1 GWB sind für Kartellgeschädigte noch weitere vertragliche und gesetzliche Anspruchsgrundlagen denkbar. Diese sind hier von Bedeutung, da ihre Erfassung durch Schiedsvereinbarungen allgemeiner Meinung entspricht und sich daraus möglicherweise Rückschlüsse für die sachliche Reichweite der Klausel auch beim kartelldeliktischen Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB ziehen lassen. Sie sollen daher im Folgenden kurz skizziert werden.388 aa) Konkurrenzen Was die hier interessierenden vertraglichen Ansprüche und auch solche aus ungerechtfertigter Bereicherung angeht, so ist zunächst darauf zu verweisen, dass Kartellfolgeverträge – also Verträge von Kartellantinnen mit Dritten zu kartellbedingt überhöhten Preisen389 – nach auch hier vertretener Auffassung wirksam sind.390 Zwar wird teilweise argumentiert, die Nichtigkeitsfolge des Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB hinsichtlich der Kartellabrede müsse auch die Ausführungsverträge erfassen, der Zweck des Kartellverbots erfordere das.391 Dem

388 Zur Erfassung der nachstehenden Ansprüche durch Schiedsvereinbarungen siehe unten Kapitel 4 – A.I.2.; Kapitel 4 – A.I.3. Da sich die Auflistung zu Vergleichszwecken auf die jedenfalls von Schiedsklauseln erfassten Ansprüche beschränkt, bleiben daneben weitere denkbare Ansprüche gem. §§ 823 Abs. 1, 2, 826, 852 BGB außer Betracht, zu diesen BGH, NJW 1964, 1617 (1619) – Werkmilchabzug; OLG Düsseldorf, BeckRS 2015, 8592, Rn. 22 ff.; LMRKM/Kersting, § 33a GWB Rn. 95; FK/Roth, Vor §§ 33 – 33h GWB Rn. 38. 389 Zur Begrifflichkeit siehe etwa OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 11435, Rn. 43; Kahle, Leistungskondiktion, S. 16; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 34. 390 BGH, NJW 1956, 1201 (1201) – Spediteurbedingungen; OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 11435, Rn. 43; OLG Celle, NJW 1963, 2126 (2127); implizit auch BGH, MMR 2015, 762 (766); BGH, NJW-RR 2010, 51 (53); Franck, AcP 213 (2013), 223 (223 f.); Immenga/ Mestmäcker/Schmidt, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 36; Langen/Bunte/Krauß, § 1 GWB Rn. 360; LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 25; FK/Roth/Ackermann, § 1 GWB Rn. 119; Kahle, Leistungskondiktion, S. 16 ff.; s. a. die Nachweise bei Schmidt, in: FS Möschel, S. 559 (559 ff.); ausführlich zu dieser Diskussion Stancke/Weidenbach/Lahme/Weidenbach, Kap. L Rn. 3 ff.; für eine teilweise Neubewertung Grünwald/Hackl, NZKart 2017, 508 (passim); ebenfalls a. A. MüKoWettbwR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 890; wohl auch Wäschle, Weltkartelle, S. 11, der allerdings nicht eindeutig zwischen Kartellabrede und Kartellfolgevertrag trennt; offengelassen in BGH, NStZ 1985, 77 (77); nach dem EuGH handelt es sich um eine nach mitgliedstaatlichem Recht zu beurteilende Frage, EuGH, Urt. v. 14. 12. 1983, ECLI:EU:C: 1983:374, Rn. 11 f. – Société de vente de ciments et bétons de l’Est. 391 MüKoWettbwR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 890; ausführlich zu dieser Auffassung Schmidt, in: FS Möschel, S. 559 (passim).

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liegt die zutreffende Prämisse zugrunde, dass die Kartellabrede für sich genommen wirkungslos ist, wenn sie nicht in Folgeverträge implementiert wird.392 Die Annahme der Nichtigkeit der Kartellfolgeverträge wäre für die Geschädigten allerdings ein Danaergeschenk. Regelmäßig wird die Kartellgeschädigte nämlich ein Interesse an der Erfüllung des Vertrages haben.393 Ansprüche gem. § 33a GWB oder § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB sind aber nicht auf Erfüllung gerichtet.394 Es ist auch mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit kaum in Einklang zu bringen, die Kartellgeschädigte auf Jahre mit der Unsicherheit bezüglich der Wirksamkeit einer Vielzahl von Kartellfolgeverträgen zu belasten.395 Die Rechtsprechung scheint dem zuzustimmen.396 Es folgt damit aus der Sache selbst, dass vertragliche Sekundäransprüche in Anspruchskonkurrenz zum Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB zwischen den Beteiligten denkbar sind. Auch der Anfechtungsgrund des § 123 BGB wird durch § 33a GWB nicht verdrängt.397 Schließlich ist auch bei Ansprüchen aus culpa in contrahendo, die von einer etwaigen Nichtigkeit des Hauptvertrages ohnehin nicht erfasst wären,398 eine parallele Anwendbarkeit neben § 33a GWB zu bejahen. Maßgeblich für die eine wie die andere Erwägung sind die Schutzzwecke der Anfechtungsvorschriften und der cic, die anders als das Kartellverbot vor Beeinträchtigungen der Dispositionsfreiheit und der Willensfreiheit schützen.399 Zudem wäre es widersinnig, die bereits durch das Kartell betroffenen Kartellgeschädigten auch noch in Sekundärrechten zu beschneiden, die ihre Entscheidungsfreiheit schützen sollen.400

392

Vgl. FK/Weyer, Zivilrechtsfolgen Art. 81 EG Rn. 142. Bechtold, NZKart 2020, 459 (461); Kahle, Leistungskondiktion, S. 16. 394 Kahle, Leistungskondiktion, S. 17. 395 Kahle, Leistungskondiktion, S. 16; Langen/Bunte/Krauß, § 1 GWB Rn. 360; wohl auch BGH, NJW-RR 2010, 51 (53); a. A. LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 25. 396 BGH, NJW 1956, 1201 (1201) – Spediteurbedingungen; s. a. BGH, MMR 2015, 762 (766); BGH, NJW-RR 2010, 51 (53); div. w. N. bei Schmidt, in: FS Möschel, S. 559 (559); anders zur Frage der Wirksamkeit einer Preisabrede beim Submissionsbetrug OLG München NJW-RR 2002, 886 (887); diese Auffassung ist allerdings vereinzelt geblieben, kritisch Kahle, Leistungskondiktion, S. 180 f. 397 BGH ZfBR 2010, 368 (369); Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (228); Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (220); Mayer, WuW 2010, 29 (30); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 582; Dreher, in: FS Canenbley, S. 167 (178); FK/Roth, Vor §§ 33 – 33h GWB, Rn. 39; Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 110; Langen/Bunte/Krauß, § 1 GWB Rn. 360; wohl anders noch BGH, BeckRS 2006, 9132, Rn. 12 f. – Probeabonnement. 398 Allgemein BeckOGK/Herresthal, § 311 BGB Rn. 229. 399 Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (229). 400 Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (229); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 582 f. 393

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bb) § 280 Abs. 1 BGB Die Bejahung eines Anspruchs der Kartellgeschädigten gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Leistungspflicht durch den Vollzug eines Kartellfolgevertrages hätte den besonderen Charme, dass ein solcher auch etwaige, die Tatsachengrundlage teilende deliktische Ansprüche in den sachlichen Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung ziehen würde.401 Der Kartellfolgevertrag begründet das erforderliche Schuldverhältnis im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB. Das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung wird gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.402 Bei der Berechnung des Schadens auf Rechtsfolgenseite gem. §§ 249 ff. BGB dürften sich keine Unterschiede zum Anspruch gem. § 33 Abs. 1 GWB ergeben. Probleme bereitet allerdings die Identifizierung einer vertraglichen Pflichtverletzung.403 cc) Cic Für eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB besteht noch ein weiterer denkbarer Anknüpfungspunkt, nämlich die culpa in contrahendo gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen einer i. S. d. § 276 Abs. 1 BGB vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Die cic ist grundsätzlich auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet.404 Die Kartellgeschädigte könnte verlangen, gem. § 249 Abs. 1 BGB so gestellt zu werden, wie sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch die Kartellantin stünde.405 Wegen der Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit beinhaltet dies nach allgemeinen Grundsätzen auch die Möglichkeit einer vollständigen Rückabwicklung des Vertrages, vor allem, wenn angenommen werden kann, dass die Nichtaufklärung kausal für den Vertragsabschluss war.406 Daneben wird aber auch die Möglichkeit eines minderungsähnlichen Schadensersatzes diskutiert, wenn der Vertrag auch nach Aufklärung zwar

401

BGH, NJW 1965, 300 (300); dazu noch unten Kapitel 4 – A.I.2.b). Siehe für diesen allgemeinen Grundsatz nur BGH, NJW 2009, 2298 (2299); BeckOK BGB/Lorenz, § 280 BGB Rn. 95; siehe hierzu allerdings auch Franck, AcP 213 (2013), 223 (229); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Denzel/Holm-Hadulla, § 26 Rn. 493, die zutreffend anführen, dass die praktischen Vorteile eines vermuteten Verschuldens gering sind, da an einen möglichen Verbotsirrtum bei Kartellantinnen hohe Anforderungen gestellt werden; ein solcher würde zudem eine Fahrlässigkeitshaftung begründen, Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 49. 403 Siehe dazu Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161) einerseits, Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 565 andererseits; siehe dazu noch unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa)(1). 404 MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 201. 405 Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (232); allgemein MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 200, 211 ff. 406 Franck, AcP 213 (2013), 223 (228 f.); Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (232); allgemein MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 211. 402

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abgeschlossen worden wäre, aber mit für die Kartellgeschädigte günstigeren Konditionen.407 Der Anspruch aus cic hat eine gewisse Provenienz im Bereich der Submissionskartelle. Die Ausschreibung und Teilnahme am Vergabeverfahren nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, spätestens die Aufforderung zur Angebotsabgabe, begründen ein vorvertragliches Schuldverhältnis im Sinne des § 311 Abs. 2 BGB mit Rücksichtnahmepflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB.408 In diesen wechselseitigen Auftraggeber- und Bieterpflichten haben Bewerber zu erklären, dass sie keine Absprachen über Preise getroffen und das Angebot im freien Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte ohne Koordination mit anderen Akteuren abgegeben haben.409 Soweit aus der dünn gesäten Fallpraxis ersichtlich, beschränkt sich die bisherige gerichtliche Praxis auch auf Submissionsabsprachen.410 Diese Beschränkung erscheint allerdings nicht zwingend, wenn die Pflichtverletzung durch eine wenigstens fahrlässige Nichtaufklärung über den Umstand der Kartellierung bei Vertragsschluss ein verallgemeinerungsfähiger Gedanke wäre. Daran, dass dieser Umstand eine für die Vertragspartnerin wesentliche Information darstellt, wird kaum einmal ernsthafter Zweifel bestehen.411 Kontrovers wird aber die Frage beurteilt, ob eine Aufklärung nach der Verkehrsauffassung zu erwarten und für die Kartellantinnen zumutbar ist.412 dd) Bereicherungsrecht Die Annahme einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten steht zudem in einem engen sachlichen Zusammenhang mit einer möglichen Anfechtung wegen des Anfechtungsgrunds der arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB413. Bekanntlich regelt § 142 Abs. 1 BGB die Rechtsfolge einer Nichtigkeit ex 407 Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (232) m. w. N.; allgemein BGH, NJW 2001, 2875 (2875 f.). 408 Langen/Bunte/Schweda, § 181 GWB Rn. 3. 409 OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2008, 1965 (1966); der BGH hat entschieden, dass jeder Angebotsabgabe bei einem förmlichen öffentlichen Vergabeverfahren oder der freihändigen Vergabe der konkludente Erklärungsgehalt zukomme, dass dieses Angebot ohne eine vorherige Preisabsprache zwischen den Bietern zustande gekommen sei, BGH, NJW 2001, 3718 (3179); s. a. Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 583 f. 410 OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2008, 1965 (1966); OLG München, NJW-RR 2002, 886 (887); HansOLG, WuW/E OLG 5376 (5381); OLG Celle, NJW 1963, 2126 (2127); s. a. BGH, NJW 1992, 921 (923). 411 Siehe ausführlich hierzu Kahle, Leistungskondiktion, S. 94 ff., S. 110; ebenso Dreher, in: FS Canenbley, S. 166 (171 f.), der auch zutreffend darauf hinweist, dass die Frage, ob der Vertrag in Kenntnis der konkreten Umstände geschlossen worden wäre, eine der Kausalität ist. 412 Ausführlich zu dieser Frage unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa)(2). 413 Zu den weiteren Voraussetzungen des Anfechtungsgrunds des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB wie der Kausalität der Täuschung für die Abgabe der Willenserklärung und der Anfechtungsfrist siehe etwa Kamann/Ohlhoff/Völcker/Denzel/Holm-Hadulla, § 26 Rn. 503 ff.; Dre-

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tunc414 und eröffnet so den Weg zu einer Kondiktion gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Und weil die Schiedsvereinbarung grundsätzlich wirksam bleibt, fallen bereicherungsrechtliche Ansprüche wegen Unwirksamkeit des Hauptvertrags nach allgemeiner Auffassung in ihren Anwendungsbereich.415 Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines angefochtenen Kartellfolgevertrags hat zur Folge, dass sich die Darlegungs- und Beweislast im Verhältnis der Parteien umkehrt, und zwar zugunsten der Kartellgeschädigten.416 Diese muss dann nach allgemeinen Grundsätzen nur noch beweisen, dass die Kartellantin „etwas“ (typischerweise die monetäre Gegenleistung für das kartellierte Gut) ohne Rechtsgrund und durch Leistung erlangt hat. Für diese Geldleistung haftet die Kartellantin verschärft,417 gleichzeitig muss nunmehr sie für die Kondiktion der kartellierten Ware respektive des Wertersatzes gem. § 818 Abs. 2 BGB den hypothetischen Marktpreis darlegen und beweisen418. Freilich werden diese Vorteile unter Verzicht auf die Sonderregelungen des GWB erkauft, etwa die Bindungswirkung gem. § 33b GWB.419 Die Kondiktion der Leistungen bei Kartellfolgeverträgen verändert daher die prozessuale Dynamik erheblich, was ein Grund für die theoretische Vorarbeit sein dürfte, die diese Art der Anspruchsdurchsetzung erfahren hat. Sie konnte allerdings bisher in praktische Fallzahlen nicht umgemünzt werden. Das OLG Düsseldorf war für den entsprechenden Vortrag der Klägerin im soweit ersichtlich bisher einzigen Fall wenig empfänglich und lehnte bei der ersten Befassung einen kartellbedingten

her, in: FS Canenbley, S. 166 (173 f.); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 585 f.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Weidenbach, Kap. L Rn. 20 ff. 414 BGH, NJW 2019, 1446 (1447); MüKoBGB/Busche, § 142 BGB Rn. 15. 415 Siehe unten Kapitel 2 – E.II.1.; Kapitel 4 – A.I.3. 416 Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 110. 417 Siehe zur erweiterten Zinspflicht der Kartellantin ab dem Tag des Eintritts der verschärften Haftung gem. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 i. V. m. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, zur Zinspflicht für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen gem. § 819 Abs. 1 i. V. m. §§ 142 Abs. 2, 818 Abs. 4, 292, 987 BGB, sowie zur Nichtanwendbarkeit eines Kondiktionsausschlusses gem. § 814 BGB oder § 817 S. 1 BGB Kahle, Leistungskondiktion, S. 33 f.; Dreher, in: FS Canenbley, S. 166 (176 f.); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 588. 418 Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 110; ders., AcP 213 (2013), 223 (226); Mayer, WuW 2010, 29 (36); Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (222); Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (228); Stancke/Weidenbach/Lahme/Weidenbach, Kap. L Rn. 37; ursächlich ist hierfür die Anwendbarkeit der Zweikondiktionenlehre anstelle der Saldotheorie bei arglistiger Täuschung, siehe Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 587; Kahle, Leistungskondiktion, S. 31; grundsätzlich BGH, NJW 1970, 656 (656 f.). 419 Gegen eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB insbesondere Mayer, WuW 2010, 29 (34 f.); Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (220 f.) weisen allerdings zutreffend darauf hin, dass in der Praxis eine von der Entscheidung der Wettbewerbsbehörden abweichende zivilgerichtliche Entscheidung schwer vorstellbar ist; s. a. Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 590; für eine ausführliche Abwägung der Vor- und Nachteile siehe Kahle, Leistungskondiktion, S. 77 ff.

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Anfechtungsgrund wie auch die fristgemäße Ausübung des Gestaltungsrechts,420 nach einer zwischenzeitlichen Aufhebung durch den BGH421 sodann die Kausalität der Täuschung für den Abschluss des Vertrages ab.422 4. Internationales Kartellprivatrecht Für die extraterritoriale Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrecht bestehen drei mögliche Anknüpfungspunkte. a) Die Anknüpfung der Art. 101 f. AEUV Die Art. 101 f. AEUV determinieren ihren internationalen Anwendungsbereich als primärrechtliche Eingriffsnormen selbst, insbesondere also ohne Rekurs auf Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO.423 Die Praxis der Unionsorgane divergiert insoweit,424 ohne dass dies aber im hier interessierenden Kontext Auswirkungen hätte: Die Verbotsnorm des Art. 101 Abs. 1 AEUV mit der korrespondierenden Nichtigkeitsfolge des zweiten Absatzes ist auf Kartelle anwendbar, die sich qualifiziert auf dem gemeinsamen Binnenmarkt auswirken.425 b) Das auf Schadensersatzansprüche nach Maßgabe der Rom-Verordnungen anwendbare Recht Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO bestimmt in Zivil- und Handelssachen mit einer Verbindung zum Recht verschiedener Staaten i. S. d. Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO das auf 420

OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 5731. BGH, ZfBR 2010, 368 (369). 422 OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 29967, Rn. 65 ff.; die Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen, siehe BGH, Beschl. v. 08. 03. 2012 – VII ZR 185/10. 423 D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 112 f.; Mankowski, IPRax 2010, 389 (397); Fabig, Internationales Wettbewerbsrecht nach Art. 6 Rom II-VO, S. 251 f.; Maier, Marktortanknüpfung, S. 365 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Adolphsen/Möller, § 33 Rn. 25; Stancke/Weidenbach/Lahme/Dörfelt, Kap. F Rn. 6; NK-BGB/Weller, Art. 6 Rom IIVO Rn. 34 f.; MüKoBGB/Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 89 f.; ders., EuZW 2012, 933 (936 f.); Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, EU, II. Abschnitt, A. Int. Anwendungsbereich Rn. 67 („Die maßgeblichen Verbotsnormen des Primärrechts enthalten eine versteckte Kollisionsnorm des internationalen Privatrechts“). 424 Für die Praxis der Europäischen Kommission etwa KOMM. 06. 08. 1984, IV/30.350, Rn. 83 ff., ABl. 1984, L 220/27 – Zinc Producers Group; KOMM. 02. 04. 2014, AT 39.610, Rn. 466 ff. – Power Cables); für die europäischen Gerichte namentlich die Urteile in der Rechtssache Intel, EuGH, Urt. v. 06. 09. 2017, ECLI:EU:C:2017:632, Rn. 40 ff. – Intel/Kommission; EuG, Urt. v. 12. 06. 2014, ECLI:EU:T:2014:547, Rn. 231 ff. – Intel/Kommission; zum Vorstehenden insgesamt Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, EU, II. Abschnitt, A. Int. Anwendungsbereich Rn. 6 ff. 425 Umfassend Kling, RIW 2020, 245 (246 ff.); Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, EU, II. Abschnitt, A. Int. Anwendungsbereich Rn. 39 ff. 421

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

die außervertraglichen Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten anwendbare Recht. Nach dem Auswirkungsprinzip ist dieses das Recht des Mitgliedstaates, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird.426 Es handelt sich um eine allseitige Kollisionsnorm die auch drittstaatliches Kartelldeliktsrecht zur Anwendung bringen kann.427 Konsequenz der allseitigen Anknüpfung ist, dass bei grenzüberschreitenden Kartellen nach dem Mosaikprinzip grundsätzlich jeder Teilschaden nach dem für den jeweiligen Markt maßgeblichen Deliktsrecht zu liquidieren ist.428 Gem. Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO kann von so bestimmten Recht nicht durch eine Rechtswahlklausel gem. Art. 14 Rom IIVO abgewichen werden.429 Die Rom II-VO verdrängt in ihrem Anwendungsbereich nach allgemeinen Grundsätzen mitgliedstaatliche Kollisionsnormen.430 Ob die Rom-Verordnungen allerdings sachlich auch auf Schiedsgerichte mit Sitz innerhalb der EU Anwendung finden, ist eine sehr kontrovers diskutierte Frage.431 Ihren Ausgangspunkt hat sie 426 Siehe statt aller D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 391, m. w. N.; siehe zum Auswirkungsbegriff des Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO bei Kartellschadensersatzklagen ebd., S. 443 ff.; allgemein MüKoBGB/Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 120 ff.; ob daneben auch der Anwendungsbereich nationaler Kartellverbotsnormen determiniert wird, oder Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO sich in einem Verweis auf das Kartelldeliktsrecht erschöpft, wird unterschiedlich beurteilt, zu dieser Diskussion Maier, Marktortanknüpfung, S. 364 f.; MüKoBGB/Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 92 ff. 427 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Adolphsen/Möller, § 33 Rn. 8; MüKoBGB/Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 78; siehe zur Anwendung drittstaatlicher Kartellverbotsnormen im Rahmen des Art. 9 Rom I-VO Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 316 ff. 428 MüKoBGB/Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 67; D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 393; zu der durch Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO eröffneten Möglichkeit, Ansprüche nach dem Recht der lex fori des angerufenen mitgliedstaatlichen Gerichts zu konzentrieren D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 397 ff.; Francq/Wurmnest, in: Basedow et al. (Hrsg.) S. 91 (124); insoweit handelt es sich um eine materiellrechtliche Art des forum shopping, Kamann/Ohlhoff/Völcker/Adolphsen/Möller, § 33 Rn. 2. 429 Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO stellt keine Rechtswahl in diesem Sinne dar, sondern ist ein einseitiges Bestimmungsrecht der Klägerin. 430 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 302 ff.; MüKoBGB/ Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 85. 431 Wohl überwiegend wird die Anwendbarkeit der Rom-Verordnungen auf Schiedsgerichte abgelehnt, siehe etwa Martiny, ZEuP 2018, 218 (224); ders., ZEuP 2015, 838 (843); Nueber, SchiedsVZ 2014, 186 (passim); Schilf, RIW 2013, 678 (passim); Grimm, SchiedsVZ 2012, 189 (passim); Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 116 ff.; Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 108 ff.; Asensio, in: Ferrari (Hrsg.), S. 177 (190 ff.); Rosenfeld, in: Ferrari (Hrsg.), S. 245 (268 ff.); Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.412 ff.; Rauscher/Unberath/Cziupka, Art. 1 Rom II-VO Rn. 10; PWW/Brödermann/ Wegen, IPR-Anh 1, Art. 1 Rom I Rn. 21; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.76 ff.; bejahend aber Gößling, Europäisches Kollisionsrecht, S. 217 ff.; Mankowski, RIW 2018, 1 (passim); ders., in: FS Schütze, S. 369 (passim); ders., in: FS Hoffmann, S. 1012 (passim); ders., RIW 2011, 30 (passim); McGuire, SchiedsVZ 2011, 257 (262 ff.); Wagner, IPRax 2008, 1

C. Private enforcement und Kartellschadensersatz

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darin, dass Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO432 Schiedsvereinbarungen – anders als Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO nicht die Schiedsgerichtsbarkeit als solche – vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausnimmt. In der Rom II-VO finden Schiedsgerichte überhaupt keine Erwähnung. Allerdings sind die drei „Schwestern im Bunde“433 ausweislich ihrer wechselbezüglichen Erwägungsgründe trotz dieser Unterschiede in der Sache einheitlich auszulegen.434 Konsequenz der Bindung wäre ein vollständiges Verbot der Rechtswahl im Kartelldeliktsrecht gem. Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO. Diese Frage muss für die vorliegende Untersuchung allerdings nicht entschieden werden. Wenn eine Geltung der Rom-Verordnungen für Schiedsgerichte abgelehnt wird, tritt an deren Stelle die einseitige Sonderanknüpfung mitgliedstaatlicher Kollisionsnormen für eine Geltung nationalen Kartelldeliktsrechts (dazu sogleich). Für Schiedsgerichte mit Sitz außerhalb der EU ist die Situation ohnehin gesondert zu untersuchen.435 c) Mitgliedstaatliche Sonderkollisionsnormen Sind die Rom-Verordnungen nicht anwendbar, ist auf die Rechtslage abzustellen, wie sie sich auch vor deren Inkrafttreten dargestellt hat.436 In Deutschland kommt dann § 185 Abs. 2 GWB (§ 130 Abs. 2 GWB a. F.) zur Anwendung.437 § 185 Abs. 2 GWB bestimmt die Anwendbarkeit des ersten bis dritten Teils des GWB, wenn sich eine außerhalb des Anwendungsbereichs des GWB begangene Wettbewerbsbeschränkung im Anwendungsbereich des GWB auswirkt.438 Es handelt sich hierbei um eine den allgemeinen Kollisionsregelungen vorgehende einseitige Sonderkolli-

(3); NK-BGB/Knöfel, Art. 1 Rom II-VO Rn. 15; HK-BGB/A. Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rn. 9. 432 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, im Folgenden Rom IVO. 433 Mankowski, RIW 2011, 30 (38). 434 Asensio, in: Ferrari (Hrsg., S. 177 (201); siehe insbesondere Erwägungsgrund 7 Rom IVO; Erwägungsgrund 7 Rom II-VO. 435 Siehe auch dazu den hier als zweite Kardinalfrage behandelten Teil, Kapitel 5 – B.II. 436 Instruktiv zur intertemporalen Anwendbarkeit LG Düsseldorf, BeckRS 2016, 1136, Rn. 56 ff.; insoweit in NZKart 2016, 88 (88 f.) nur teilweise abgedruckt. 437 Ähnliche Formen gibt es auch in anderen Ländern, siehe bspw. § 24 Abs. 2 KartG Österreich. 438 Siehe zum Auswirkungsbegriff des § 185 Abs. 2 GWB bei Kartellschadensersatzklagen D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 443 ff.; allgemein Immenga/ Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 133 ff.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

sionsnorm, die im Kartelldeliktsrecht insbesondere auch § 33a Abs. 1 GWB zur Anwendung bringt.439 Die Krux der einseitigen Sonderanknüpfung ist allerdings, dass sie anders als allseitige Kollisionsnormen keine Aussage dazu trifft, wann auch ausländisches Kartellrecht auf einen Sachverhalt Anwendung finden kann. Für diese Problematik wurden verschiedene Lösungsansätze diskutiert.440 Diese haben gemein, dass auch sie sich am Auswirkungsprinzip orientieren und im Ergebnis zu einer Anwendung des Mosaikprinzips gelangen.441

III. Zusammenfassung Die kartellrechtlichen Sanktionssysteme in den USA und in Europa respektive dort in Deutschland zeichnen sich durch eine enorme Schlagkraft aus. In den USA wird sowohl konzeptionell als auch faktisch die Hauptlast der Kartellrechtsdurchsetzung von privaten Klägerinnen geschultert, den private attorney generals. Diese werden insbesondere auch zur Abschreckung kartellrechtlicher Delinquentinnen funktionalisiert. Um Privaten trotz der strukturellen Probleme in Kartellzivilprozessen einen ausreichenden Anreiz zur Rechtsverfolgung zu bieten, werden zahlreiche Grundsätze des US-amerikanischen Zivilprozesses zu ihren Gunsten verschoben. Eine besondere Rolle spielen class actions. Demgegenüber war die EU lange Zeit die Diaspora der privaten Kartellrechtsdurchsetzung; noch immer unterscheidet sich diese in vielerlei Hinsicht von der in den USA. Für drakonische Abschreckung sind die Kartellbehörden zuständig. Privatklagen nehmen zu, aber nicht anstelle, sondern als komplementäre Ergänzung des public enforcement. Auch wenn die private Rechtsdurchsetzung so ebenfalls funktionalisiert wird, erfolgt dies vor allem zur Erreichung der praktischen Wirksamkeit 439 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 297 ff.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Dörfelt, Kap. F Rn. 30 f.; Maier, Marktortanknüpfung, S. 264 ff.; wenig überzeugend hingegen Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 75 f. 440 Ein solcher Ansatz ist der allseitige Ausbau von Art. 185 Abs. 2 GWB durch analoge Anwendung der Norm, siehe Staudinger/Fezer/Koos, Int. WirtschaftsR Rn. 109 ff. Daneben ist vor allem angenommen worden, dass sich der internationale Wettbewerbsschutz aus einem globalen Netz einseitiger Kollisionsnormen mit entsprechendem Anwendungswillen über die jeweilige Sonderanknüpfung, hier zumeist der Auswirkung, ergibt, so Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (214); Basedow, NJW 1989, 627 (633); wohl auch Bechtold/Bosch, GWB, § 185 Rn. 17. Insoweit wird ein dreistufiger Test zur Ermittlung der Anwendbarkeit vertreten: 1. muss das ausländische Recht einen entsprechenden Anwendungswillen haben, 2. räumliche Regelungskompetenz haben und 3. die extraterritoriale Wirkung nach dem Grundsatz der comitas anerkannt sein; hierzu Staudinger/von Hoffmann, Art. 40 EGBGB Rn. 364; s. a. die Nachweise zur Diskussion, auch um eine Anknüpfung über die Art. 40 ff. EGBGB bei Maier, Marktortanknüpfung, S. 263 ff. (für eine allseitige Anknüpfung); Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 320 f.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Dörfelt, Kap. F Rn. 32 ff. 441 Stancke/Weidenbach/Lahme/Dörfelt, Kap. F Rn. 32 ff.; Staudinger/von Hoffmann, Art. 40 EGBGB Rn. 365 ff.

D. Normqualität des Kartellrechts

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des kompensatorischen Gewährleistungsgehalts des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die Privilegierungen im private enforcement sind weniger weitreichend.

D. Normqualität des Kartellrechts Bevor es nachstehend an die Darstellung der Grundsätze der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit geht, sollen für die weitere Einordnung zwei Besonderheiten der Normqualität des Kartellrechts hervorgehoben werden.

I. Kartellrecht als Teil der Eingriffsnormen Die erste Besonderheit betrifft die Ebene der Anwendung des materiellen Rechts. Kartellrechtliche Normen sind nämlich nur ein Unterfall von Eingriffsnormen.442 Diese – im internationalen Kontext als overriding mandatory provisions bzw. lois de police443 bezeichneten – Normen sind solche, die einen zwingenden internationalen Anwendungswillen haben, also nicht bloß bei Geltung des Vertragsstatuts der Parteidisposition entzogen sind, sondern auch dann noch um Anwendung heischen, wenn die gesamte Rechtsordnung abgewählt wird.444 Diese Normen sind eine Enigma im IPR.445 Sie stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis zur Privatautonomie.446 Sie bestimmen ihren Anwendungsbereich selbst, also ohne Rekurs

442

Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (9); zur Sonderanknüpfung der kartellrechtlichen Normen über das Auswirkungsprinzip siehe bereits oben Kapitel 2 – C.II.4.; auch Kapitel 2 – C.I.4. 443 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 905 f. (2018); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 31; MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 10. 444 MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 7 ff.; Bermann, International Arbitration, Rn. 447 f.; Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (140 ff.); ausführlich zum Begriff der Eingriffsnormen HWBEuP/Ellger, S. 371 ff.; Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 30 ff.; s. a. die Definition in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, nach EuGH, Urt. v. 23. 11. 1999, ECLI: EU:C:1999:575, Rn. 30 – Arblade. 445 Vgl. Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 905 f. (2018): „Overriding mandatory provisions are, indeed, both elusive and unruly. They are quintessentially non-cosmopolitan, non-libertarian, and unilateral; some would say they are parochial, authoritarian and exorbitant if not chauvinist. They are the flexed muscle of the long arm of interest-driven legislatures reaching beyond their jurisdictions’ domestic realm. They are d’application immediate in their local forum because their application is not mediated by neutral and gently civilizing ,traffic rules‘ and follows only from their self-determined scope of application. Moreover, they blur the neat private–public divide by injecting a messy political element into the structured clean private law sphere.“ (Hervorhebung im Original). 446 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (358).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

auf kollisionsrechtliche Regelungen.447 Gleichwohl schwindet ihr Einfluss, sobald sie auf eine andere Rechtsordnung treffen, wie etwa auch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zum Ausdruck bringt.448

II. Kartellrecht als Teil des ordre public Sodann ist das Kartellrecht auf Anerkennungsebene Teil des ordre public bzw. der public policy.449 Dieser Begriff ist ebenso schillernd wie der der Eingriffsnormen,450 und dies bereits dann, wenn man seine internationale Dimension außer Acht lässt. Der Rechtsprechung in Deutschland wie auch den USA ist gemein, dass sie den Begriff des ordre public restriktiv auslegt. Berührt ist er nur in „extremen Ausnahmefällen“, wo die „elementaren Grundlagen der Rechtsordnung verletzt bzw. ein eklatanter Verstoß gegen die materielle Gerechtigkeit“451 zu bejahen ist. Dies kann anzunehmen sein bei Normen, die vom Gesetzgeber erlassen wurden, um die „Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens“452 zu regeln, also nicht schon allen der Parteidisposition entzogenen Normen453. 447

di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (377); Mistelis, in: Berman/Mistelis (Hrsg.), S. 291 (297): „self-luminous“; siehe speziell für Art. 101 f. AEUV Kamann/Ohlhoff/Völcker/ Adolphsen/Möller, § 33 Rn 25; Wurmnest, EuZW 2012, 933 (936 f.). 448 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 911 (2018). 449 BGH, GRUR 1984, 296 (298) – Vereins-Schiedsklausel; BGH, GRUR 1967, 378 (385) – Schweißbolzen; OLG Frankfurt a. M., WuW 2020, 38 (42); Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 31; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 406; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 24 Rn. 44; Barber, Objektive Schiedsfähigkeit und ordre public, S. 149; Schmidt, in: FS Pfeiffer, S. 765 (771); ders., BB 2006, 1397 (1399 f.); Bien, ZZP 132 (2019), 93 (100 f.); Ason, WuW 2014, 1057 (1057); speziell zum Unionskartellrecht EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 31 – Manfredi; EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI: EU:C:1999:269, Rn. 36 ff. – Eco Swiss; BGH, NJW 1969, 978 (979 f.) – Fruchtsäfte; für die USA Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985); Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829, 832 (7th Cir. 2003); Blanke/Landolt/Levin Price, Rn. 39 – 036 f.; Wolff/Wolff, Art. 5 NYC Rn. 579. 450 Siehe das berühmt gewordene Zitat aus Richardson v Mellish (1824) 2 Bing 229 at 252 (130 E.R. 294), per Burrough, J.: „I, for one, protest, as my Lord has done, against arguing too strongly upon public policy; it is a very unruly horse, and when once you get astride it you never know where it will carry you. It may lead you from the sound law. It is never argued at all but when other points fail“; s. a. Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 23. 451 BGH, NJW 2014, 1597 (1597 f.); ähnlich BGH, BeckRS 2016, 2020, Rn. 10; für die USA: Parsons & Whittemore Overseas Co. v. Société Générale De L’Industrie Du Papier (RAKTA), 508 F.2d 969, 974 (2nd Cir. 1974): „We conclude, therefore, that the Convention’s public policy defense should be construed narrowly. Enforcement of foreign arbitral awards may be denied on this basis only where enforcement would violate the forum state’s most basic notions of morality and justice“; umfassend zum Begriff der public policy Bayer CropScience AG v. Dow Agrosciences LLC, 680 F. App’x 985, 992 ff. (Fed. Cir. 2017); s. a. United Paperworkers Int’l Union, AFL-CIO v. Misco, Inc., 484 U.S. 29, 42 f. (1987). 452 BGH, BeckRS 2016, 2020, Rn. 10; Bien, ZZP 132 (2019), 93 (98 f.) m. w. N. 453 BGH, NJW 2009, 1215 (1216); MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 41 jew. m. w. N.

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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Eingriffsnormen und ordre public sind nicht gleichzusetzen. Das gilt vor allem für die dogmatische Stoßrichtung. Eingriffsnormen betreffen die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung und damit die positive Anwendung einer Regelung auf einen Sachverhalt, der ordre public hingegen die negative Abwehr des fremden Rechts beziehungsweise des Ergebnisses dieser Rechtsanwendung aufgrund einer kollisionsrechtlichen Verweisung.454 Auch ist der Begriff des ordre public tendenziell noch enger gefasst als der Begriff der Eingriffsnormen.455 Jedenfalls in einigen Fällen allerdings wird die Nichtbeachtung einer Eingriffsnorm regelmäßig auch zu einem Verstoß gegen den ordre public und damit zu einem anerkannten Aufhebungsgrund gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ führen, und das Kartellrecht ist der „Archetyp“ solcher Normen.456

E. Überblick über Grundsätze der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit Nachdem vorstehend vor allem eine kartellrechtliche Bestandaufnahme gegeben wurde, folgt nunmehr der Blick auf die Grundzüge der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.

I. Regelungswerke Diese zerfällt in eine Vielzahl internationaler wie nationaler Regelungswerke und Schiedsordnungen.457 Hier werden nur die normativen Grundlagen der internatio454

BeckOGK/Stürner, EGBGB Art. 6 Rn. 140; Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (14); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 32 f.; auch Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (145 f.); Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (295); Bermann, International Arbitration, Rn. 448; Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 261 f.; speziell zum Kartellprivatrecht Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 81 ff.; wohl a. A. Bogdan, Private International Law, S. 241, der eine Abweichung von Eingriffsnormen stets gleichzeitig als ordre public-Verstoß ansieht; ähnlich P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 275 (1986). 455 Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (321, 325); di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (359 f.). 456 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 929 (2018); implizit EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 39 – Eco Swiss; Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (270); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (6); Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 86 ff.; Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (203); Cordero-Moss, in: Limits to Party Autonomy, S. 289 (312); Asensio, in: Ferrari (Hrsg.), S. 177 (233 f.); Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (302); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 255; MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 72 m. w. N.; ob sich diese Aussage auf alle wettbewerbsrechtlichen Normen erstrecken lässt, ist eine andere Frage. 457 Umfassende Darstellungen finden sich etwa bei Born, International Commercial Arbitration, I-III, oder Balthasar (Hrsg.), International Commercial Arbitration.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

nalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit sowie die Situation in Deutschland und den USA im hier interessierenden Kontext dargestellt.458 Eine Reihe nationaler Schiedsordnungen orientiert sich am UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit459 oder hat dieses übernommen460. Zudem gibt es für die Anerkennung und Vollstreckung internationaler Schiedssprüche mit dem UNÜ ein für die Signatarstaaten verbindliches und – mit derzeit ca. 160 Signatarstaaten461 – außerordentlich erfolgreiches Regelwerk.462 Beide Normtexte sind vor dem Hintergrund einer positiven Bewertung der Schiedsgerichtsbarkeit zu lesen, die als Mittel eingesetzt werden soll, um den grenzüberschreitenden kommerziellen Handelsverkehr zu stärken (favor arbitrandum).463 In Deutschland bilden die §§ 1025 ff. im 10. Buch der ZPO den Rechtsrahmen für Schiedsgerichte. Die Europäische Union verfügt über keinen Regelungsrahmen für die Schiedsgerichtsbarkeit.464 Mit der Brüssel Ia-VO enthält allerdings das maßgebliche IZPR-Regelungswerk der EU in Art. 1 Abs. 2 lit. d), Art. 73 Abs. 2 einen Bereichsausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit. Umstritten ist, wie weit dieser reicht, und ob nicht allgemeine Prinzipien des Unionsrechts auf die Schiedsvereinbarung einwirken.465 In den USA stellt der FAA (9 U.S.C. § 1 ff.) das maßgebliche Regelungswerk für die Schiedsgerichtsbarkeit dar. 458

Neben den genannten Regelwerken gibt es noch weitere, so etwa das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (EuÜ), die aber einen geringeren Anwendungsbereich als das UNÜ haben, und auf die in dieser Arbeit nicht eingegangen werden kann; zu diesen etwa Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 44 ff. 459 UNCITRAL Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1985 i. d. F. von 2006, im Folgenden UNCITRAL ML. 460 Das gilt für Deutschland, siehe Balthasar/Balthasar, Kapitel J Rn. 2; MüKoZPO/Münch, Vor § 1025 ZPO Rn. 165; BT-Drs. 13/5274, S. 24 ff.; es gilt allerdings nicht für die USA, deren FAA seit 1925 im Wesentlichen unverändert ist, siehe Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 2 ff. Nachfolgend werden jeweils die Spezifika der in dieser Arbeit verglichenen Länder, d. h. Deutschland und die USA, herausgestellt. 461 https://uncitral.un.org/en/texts/arbitration/conventions/foreign_arbitral_awards/status2. 462 Das UNÜ ist in die nationalen Rechtsordnungen der Signatarstaaten importiert, siehe etwa § 1061 Abs. 1 ZPO, 9 U.S.C. §§ 201 ff. 463 Namentlich für das UNÜ gilt dieser Grundsatz, siehe Wolff/Borris/Hennecke, Art. V NYC Rn. 4 f.; zur Entwicklung schiedsfreundlicher Regelungswerke auch Born, International Commercial Arbitration, I, S. 65 f.; zum Regelungszweck der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit vgl. Art. 1 Abs. 1 UNCITRAL bzw. Art. 1 UNÜ; siehe für Deutschland auch Zöller/Geimer, § 1029 ZPO Rn. 78: „in favorem jurisdictionis arbitri“. 464 Art. 81 Abs. 2 lit. a) AEUV, die Kompetenznorm zum Erlass von Maßnahmen, die die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen, würde aber auch Regelungen der Schiedsgerichtsbarkeit erfassen, siehe Grabitz/Hilf/Nettesheim/Hess, Art. 81 AEUV Rn. 40; MüKoZPO/Münch, Vor § 1025 ZPO Rn. 162. 465 Siehe unten Kapitel 4 – B.III.2.; Kapitel 5 – A.I.

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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II. Die Schiedsvereinbarung Am Anfang jedes schiedsgerichtlichen Verfahrens steht die privatautonome Schiedsvereinbarung der Schiedsparteien. Sie bringt das fundamentale Prinzip jedes Schiedsverfahrens zum Ausdruck, dass nämlich die Schiedsgerichtsbarkeit Ausdruck einer Vereinbarung zwischen Parteien ist, frei von Zwang.466 Da das UNÜ kaum materiellrechtliche Vorgaben in Bezug auf die Schiedsvereinbarung macht – Art. 2 Abs. 3 UNÜ gibt lediglich vor, eine Schiedsvereinbarung sei zu akzeptieren, sofern sie nicht hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist –, bestimmen sich Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung sowie die Schiedsfähigkeit des jeweiligen Streitgegenstandes nach nationalem Recht.467 1. Trennung von Hauptvertrag und Schiedsvertrag Ein in nahezu allen entsprechenden Regelwerken verankerter Grundsatz ist, dass die Schiedsvereinbarung eine vom Hauptvertrag zu trennende Vereinbarung darstellt.468 Eine etwaige Unwirksamkeit des Hauptvertrages lässt deshalb die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung unberührt, solange nicht beide Verträge am selben Unwirksamkeitsgrund leiden.469 Andernfalls wären Schiedsbeklagte stets versucht, sich gegen die Inanspruchnahme vor dem Schiedsgericht unter Berufung auf die Unwirksamkeit des Hauptvertrages zu verteidigen.470 Konsequenz dieser Trennung ist, dass Schiedsgerichte grundsätzlich auch für Fragen über die sich aus der Nichtigkeit des Hauptvertrages ergebenden Folgen zuständig sind, was Ansprüche aus Bereicherungsrecht einschließt.471 Eine weitere Konsequenz ist, dass das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht ein anderes als das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht sein kann.472 466

Balthasar/Balthasar, Kapitel A Rn. 22. Balthasar/Solomon, Kapitel B Rn. 99, 116 ff.; Wolff/Wolff, Art. II NYC Rn. 42 f., 164 ff., 227 ff.; Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 162 f. jew. m. w. N. 468 Balthasar/Balthasar, Kapitel A Rn. 23; Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Rn. 16 – 011; Stein/Jonas/Schlosser, § 1040 ZPO Rn. 5 ff.; siehe etwa Artikel 16 Abs. 1 UNCITRAL ML, § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO, 9 U.S.C. § 2; das UNÜ enthält keinen entsprechenden Trennungsgrundsatz, wenngleich es von unterschiedlichen Vereinbarungen durchaus ausgeht, wie etwa Art. 2 Abs. 2 UNÜ verdeutlicht, Born, International Commercial Arbitration, I, S. 381 ff. 469 Balthasar/Solomon, Kapitel B Rn. 99; BGH, HmbSchRZ 2009, 5 (5). 470 Siehe nur BGH, NJW 1970, 1046 (1047). 471 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 4 Rn. 16; Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1467 ff.; für Deutschland etwa BGH, NJW-RR 2009, 637 (638); BGH, NJW 1970, 1046 (1047); s. a. BT-Drs. 13/5274, S. 43; für die USA Buckeye Check Cashing, Inc. v. Cardegna, 546 U.S. 440, 448 f. (2006); Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Co., 388 U.S. 395, 402 ff. (1967); siehe zudem die zahlreichen Nachweise bei Born, International Commercial Arbitration, I, S. 393 ff. 472 Born, International Commercial Arbitration, I, 3. A: 2021, S. 510 ff.; Balthasar/Balthasar, Kapitel A Rn. 24. 467

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

2. Die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung a) Das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht Da die Schiedsvereinbarung Grundlage der Kognitionsbefugnis des Schiedsgerichts ist, ist für die Parteien regelmäßig von überragender Bedeutung, nach welchem auf die Schiedsvereinbarung anwendbarem nationalen Recht sich die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und ihre Reichweite bestimmen.473 Die Parteien können das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht wählen, siehe Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ; in der Praxis problematisch sind die zahlreichen Fälle, in denen sie dies nicht tun. Auch kann die Frage des anwendbaren Rechts im Laufe des Verfahrens sowohl ordentliche als auch Schiedsgerichte beschäftigen, und eine einheitliche Handhabung ist hierbei kein Automatismus.474 Während das ordentliche Gericht nämlich regelmäßig seine Kollisionsregelungen aus der nationalen Rechtsordnung (der lex fori) anwendet, die sich allerdings von Land zu Land unterscheiden, hat das Schiedsgericht keine lex fori, sondern zunächst nur den Vertrag zwischen den Parteien.475 Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ hält zwar eine Kollisionsregelung bereit,476 ist aber seinem Wortlaut nach nur auf Fälle anwendbar, in denen die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung von einer Partei im Anerkennungsverfahren behauptet wird. Für das zeitlich vorgelagerte Einredeverfahren werden deshalb eine größere Anzahl erheblich divergierender Ansätze vertreten.477 Überwiegend wird Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ im Einredeverfahren analog angewendet, also auf das Recht des Sitzes des Schiedsgerichts rekurriert, um die Gefahr auseinanderfallender Entscheidungen von Einrede- und Anerkennungsgericht zu bannen.478 473

Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Rn. 16 – 008; s. a. Weller, IPRax 2016, 48 (49). Vgl. Born, International Commercial Arbitration, I, 3. A: 2021, S. 507 ff. 475 Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 2 f., 107; Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 28, 87 f.; Bermann, International Arbitration, Rn. 144 ff.; Rosenfeld, in: Ferrari (Hrsg.), S. 245 (252 f.); Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.428; s. a. Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 636 (1985): „[T]he international arbitral tribunal owes no prior allegiance to the legal norms of particular states; hence, it has no direct obligation to vindicate their statutory dictates“; a. A. mit Nachdruck Mankowski, RIW 2018, 1 (5 ff.), m. w. N. auch zur Gegenmeinung; ders., RIW 2011, 30 (35). 476 „(…) daß die [Schiedsv]ereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben, oder, falls die Parteien hierüber nichts bestimmt haben, nach dem Recht des Landes, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, ungültig ist, (…)“. 477 Vgl. die Überblicke bei Born, International Commercial Arbitration, I, S. 522 ff.; Bermann, International Arbitration, Rn. 151 ff. 478 BGH, SchiedsVZ 2021, 97 (102); Balthasar/Solomon, Kapitel B Rn. 123; Born, International Commercial Arbitration, I, S. 531 ff.; Bermann, International Arbitration, Rn. 176; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.239, Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 11, jew. m. w. N. Die deutschen Regelungen entsprechen Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ, vgl. § 1061 Abs. 1 ZPO für ausländische bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) ZPO für inländische Schiedssprüche (dort aber deutsches Recht, wenn die Parteien kein Recht bestimmt haben); zur Frage, ob eine Vermutung dafürspricht, dass die Parteien mit einer Rechtswahl für das Hauptvertragsstatut auch eine für 474

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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b) Objektive Schiedsfähigkeit Art. 2 Abs. 1 UNÜ verpflichtet die Signatarstaaten darauf, Schiedsvereinbarungen anzuerkennen, sofern der Gegenstand des Streits auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann. Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ eröffnet daneben die Möglichkeit, die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs auf Antrag einer Partei zu versagen, wenn nach der lex fori des Anerkennungs- oder Vollstreckungsforums der Streitgegenstand nicht schiedsfähig ist. Diese Voraussetzung der objektiven Schiedsfähigkeit479 ist wie ausgeführt für das Kartellrecht heute nicht mehr problematisch. c) Materielle Unwirksamkeitsgründe Wie vorstehend erwähnt, geben das UNÜ und auch UNCITRAL ML nur wenige Vorgaben hinsichtlich der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung an die Hand. Deshalb gewinnen hier die Wirksamkeitsgründe des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts an Bedeutung. Zu den Unwirksamkeitsgründen, die diese Rechtsordnungen kennen können, gehören natürlich auch die jeweiligen Wettbewerbsvorschriften.480

die Schiedsvereinbarung treffen wollten BGH, SchiedsVZ 2011, 46 (48 f.); a. A. Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (90 f.); MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 35 jew. m. w. N. In den USA wenden die Gerichte ein Regelungsregime sui generis an, welches ein aus Grundsätzen des FAA und des UNÜ gewonnenes federal common law darstellt. Auf das Recht des Sitzes des Schiedsgerichts oder das Hauptvertragsstatut wird demgegenüber nur selten abgestellt. Dieses federal common law findet überwiegend auch auf inländische Schiedsvereinbarungen Anwendung, obwohl es ein kodifiziertes Vertragsrecht nur auf Ebene der Bundesstaaten gibt, Born, International Commercial Arbitration, I, S. 516 ff., 576 ff.; zur Beziehung zwischen FAA und dem Recht der Bundesstaaten In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 519 ff. (3rd Cir. 2019); zum FAA als materiellrechtlicher Vorschrift noch unten unter Kapitel 3 – B.II. 479 Es sei darauf hingewiesen, dass der Begriff der arbitrability in den USA zum einen die objektive Schiedsfähigkeit beschreibt, zum anderen aber auch die sachliche Reichweite der Schiedsvereinbarung, siehe Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 31. Im hiesigen Kontext nicht weiter relevant ist die Voraussetzung der subjektiven Schiedsfähigkeit, Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ; hierzu auch Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 24 Rn. 4 ff. 480 Für ein Beispiel aus jüngerer Zeit OLG München, NZKart 2015, 198 (passim); aufgehoben allerdings durch BGH, NJW 2016, 2266 (2270 ff.) – Pechstein; in den USA wird nach dem federal common law allgemein auf 9 U.S.C. § 2 rekurriert: „courts should remain attuned to well-supported claims that the agreement to arbitrate resulted from the sort of fraud or overwhelming economic power that would provide grounds ,for the revocation of any contract‘“, Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 627 (1985).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

3. Reichweite von Schiedsvereinbarungen Nach der Bestimmung des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts ist der nächste Schritt zur Ermittlung der schiedsgerichtlichen Kognitionsbefugnis die Feststellung der sachlichen und persönlichen Reichweite der Schiedsvereinbarung. a) Persönliche Reichweite Im Grundsatz – das folgt schon aus der Annahme einer umfassenden Parteiautonomie beim Abschluss einer Schiedsvereinbarung – bindet die Schiedsvereinbarung nur die Parteien, die ihr zugestimmt haben. Parteien im Schiedsverfahren bleiben also unter sich; weder können sie das Schiedsverfahren Dritten aufdrängen, noch Dritte sich dem Schiedsverfahren.481 In komplexen Verfahren ist deshalb ein erheblicher Nachteil der Schiedsgerichtsbarkeit, dass prozessuale Instrumente wie die Verbindung mehrerer Verfahren, Streitverkündung und die Nebenintervention gegen den Willen einzelner Parteien und auch der Schiedsrichter:innen nicht zur Verfügung stehen.482 Auch wenn die institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit zunehmend die Voraussetzung für Mehrparteienverfahren schafft,483 bleibt doch die grundsätzliche Problematik bestehen, dass die Einigung auf ein für alle Parteien verbindliches Format mit zunehmender Parteienzahl nicht wahrscheinlicher wird. In besonders gelagerten Fällen können allerdings auch Dritte an die Schiedsvereinbarung gebunden werden. Im hiesigen Kontext ist das vor allem bei der Singularzession auf Seiten der Geschädigten relevant, wenn also Kartellschadensersatzansprüche etwa an Klagevehikel zediert werden. Die Bindung auch der Rechtsnachfolgerinnen bei einer solchen Singularsukzession ist international allgemein anerkannt.484 Echte Fälle der Dritterstreckung sind daneben aus den USA bekannt, wo die persönliche Reichweite mit der estoppel- und der alter ego-Doktrin sehr großzügig ausgelegt wird.485 481

Vgl. Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, § 2 Rn. 22 f. Wolff, SchiedsVZ 2016, 293 (300 f.); Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11; dazu noch umfassend unten Kapitel 5 – B.I.3. 483 Siehe etwa die neuen Regelungen der Art. 8, 17 ff. DIS-SchO 2018; hierzu Elsing/ Shchavelev, IPRax 2018, 461 (470 ff.); s. a. die Art. 8 ff. der ICC-SchO 2017, eingeführt mit der ICC-SchO 2012; weitere bei Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567 (582) (2015); umfassend zum vorstehenden Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388 ff.) sowie unten Kapitel 5 – B.I.3.b)bb). 484 Balthasar/Balthasar, Kapitel A Rn. 45; Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1578 ff.; für Deutschland: Übergang entsprechend § 401 BGB, BGH, NJW 2005, 1125 (1125); BGH, NJW-RR 2002, 1462 (1463); Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, § 5 Rn. 8 ff.; für die USA: Asset Allocation Mgt. v. W. Employers Ins. Co., 892 F.2d 566, 574 (7th Cir. 1989); Uloth/Rial, 21 Rev. Litig. 593, 600 (2002). 485 Thomson-CSF, S.A. v. Am. Arbitration Ass’n, 64 F.3d 773, 777 ff. (2nd Cir. 1995); Uloth/ Rial, 21 Rev. Litig. 593, 599 ff. (2002); Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 37. Die estoppelDoktrin besagt, dass Parteien, die sich zu ihrem Vorteil auf einen Vertrag berufen, den sie selbst nicht abgeschlossen haben, der aber eine Schiedsvereinbarung enthält, sich auch dem Schiedsverfahren nicht verweigern dürfen. Die alter ego-Doktrin bindet Mutter- und Toch482

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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b) Sachliche Reichweite Die Bestimmung der sachlichen Reichweite im Wege der Auslegung ist ein wesentlicher Teil der titelgebenden Frage dieser Ausarbeitung. Entscheidet ein Schiedsgericht über nicht in den sachlichen Anwendungsbereich fallende Ansprüche, handelt es sich um einen Kompetenzübergriff, der die Verweigerung der Anerkennung gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) UNÜ nach sich ziehen kann.486 Auch hier macht das UNÜ dem anwendbaren nationalen Recht nur wenige sinnstiftende Vorgaben. Art. 2 Abs. 1 UNÜ verpflichtet zur Anerkennung von Schiedsvereinbarungen, die Parteien für Streitigkeiten geschlossen haben, die zwischen ihnen aus einem bestimmten Rechtsverhältnis, sei es vertraglicher oder nichtvertraglicher Art, bereits entstanden sind oder etwa künftig entstehen. Auch Art. 7 Abs. 1 UNCITRAL ML sowie § 1029 Abs. 1 ZPO greifen diese Formulierung auf. Daraus lässt sich allenfalls entnehmen, dass nach dem UNÜ ein Bestimmtheitserfordernis gewahrt sein muss und vertragliche wie außervertragliche Ansprüche vom UNÜ gleichsam anerkannt sind.487 Allerdings werden Schiedsvereinbarungen, auch wenn das nicht zwingend ist, zumeist vor Entstehung der Streitigkeit und anlässlich eines Vertrages geschlossen. Die Frage, wann eine solche Schiedsvereinbarung dann entsprechend der üblicherweise verwendeten Formulierung „im Zusammenhang mit dem Vertrag“488 deliktische Ansprüche im Allgemeinen und kartellschadensersatzrechtliche im Besonderen erfasst, hat deshalb eine Vielzahl an Spruchkörpern vor erhebliche Probleme gestellt.489 Sie wird hier in Kapitel 3 für die USA dargestellt und in Kapitel 4 für Deutschland beantwortet. 4. Wirkungen der Schiedsvereinbarung Eine wirksame Schiedsvereinbarung begründet die Kompetenz der Schiedsgerichte und verdrängt insoweit die Kompetenz der staatlichen Gerichte.490 Art. 2 Abs. 3 UNÜ bestimmt, dass das Gericht die Sache auf Antrag einer Partei, typischerweise des Beklagten, an ein Schiedsgericht zu verweisen hat. Das geschieht

tergesellschaften an eine nur von einer dieser juristischen Person abgeschlossene Schiedsvereinbarung, wenn der Auftritt beider Gesellschaften letztlich eine Identität nahelegt. 486 MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 18 ff.; Bermann, International Arbitration, Rn. 83; Wolff/Borris/Hennecke, Art. 5 NYC Rn. 203 ff. (Jurisdiktionsübergriff). 487 Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1465 f.; ebenso Wolff/Wolff, Art. II NYC Rn. 65 ff., dort auch zur geringen praktischen Bedeutung dieses Kriteriums. Zwar ist es grundsätzlich autonom zu bestimmen, allerdings trifft es hinter der nach nationalem Recht vorzunehmenden Auslegung zurück. 488 Dazu unten Kapitel 4 – A.I.2.a). 489 Vgl. die Nachweise für deliktische Streitigkeiten bei Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1465 ff.; für Kartelldeliktsfälle in Europa s. u. Kapitel 4, Fn. 371. 490 Balthasar/Balthasar, Kapitel A Rn. 51; siehe Art. 2 Abs. 3 UNÜ, Art. 8 Abs. 1 UNCITRAL ML, § 1032 Abs. 1 ZPO, § 4 FAA (9 U.S.C. § 4).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

typischerweise durch ein Prozessurteil im Einredeverfahren.491 Welcher dieser zwei Spruchkörper das letzte Wort in der Bestimmung der Kompetenz hat (Frage der Kompetenz-Kompetenz), wird international unterschiedlich bewertet.492

III. Das prozessual anwendbare Recht Nach Art. 1 Abs. 2 UNCITRAL ML gilt bei der Frage, wann nationales Schiedsrecht Anwendung findet, das Territorialitätsprinzip, d. h. der Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn der Sitz des Schiedsgerichts sich im jeweiligen Land befindet.493 Diesen Sitz können die Parteien gem. Art. 20 Abs. 1 UNCITRAL ML wählen. In den meisten Rechtsordnungen ist auch das hiernach im Schiedsverfahren anwendbare prozessuale Recht, die lex arbitri, weitgehend494 dispositiv, die Parteien können also etwa die Schiedsordnung einer institutionellen Schiedsgerichtsorganisation wählen und damit gleichzeitig die Verfahrensvorschriften des Sitzes abwählen,495 mit möglicherweise weitreichenden Auswirkungen auf prozessuale Instrumente wie beispielsweise die discovery.

IV. Das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht Auch das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht (die lex causae) unterliegt grundsätzlich der freien Wahl der Parteien, vgl. Art. 28 Abs. 1 UNCITRAL ML, und anders als bei der Schiedsvereinbarung findet sich eine solche Rechtswahlbestim-

491

In Deutschland siehe § 1032 Abs. 1 ZPO, MüKoZPO/Münch, § 1032 ZPO Rn. 19 ff.; in den USA wird eine motion to compel arbitration nicht nur mit einem Prozessurteil beschieden, sondern die Parteien werden auch positiv zur Teilnahme verpflichtet, 9 U.S.C. §§ 4, 206, 303, siehe Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1361 ff. 492 Balthasar/Balthasar, Kapitel A Rn. 53; für Deutschland: Die Kompetenz-Kompetenz liegt bei den staatlichen Gerichten, BGH, NJW 2014, 3652 (3653); BGH, SchiedsVZ 2005, 95 (96 f.); für die USA: Kompetenz-Kompetenz kann von den Parteien der Schiedsvereinbarung frei delegiert werden, Henry Schein, Inc. v. Archer & White Sales, Inc., 139 S. Ct. 524, 526 f. (2019); First Options of Chicago, Inc. v. Kaplan, 514 U.S. 938, 943 (1995). 493 Deutschland folgt dem Territorialitätsprinzip, § 1025 Abs. 1 ZPO, durchbrochen von einigen Ausnahmen wie etwa der Vorschrift des § 1032 ZPO; siehe hierzu Balthasar/Balthasar, Kapitel J Rn. 7 f. Der FAA ist demgegenüber teils exterritorial anwendbar. So erlaubt 9 U.S.C. § 206 zuständigen amerikanischen Gerichten, auch Schiedsgerichte im Ausland anzuweisen, das Schiedsverfahren nach den Vorgaben der Schiedsvereinbarung durchzuführen. 494 Zur Unterscheidung zwischen interner und externer lex arbitri Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (211); Born, International Commercial Arbitration, II, S. 1693 ff. 495 Born, International Commercial Arbitration, II, S. 1681 ff.; Bermann, International Arbitration, Rn. 219 ff. jew. m. w. N. auch zu davon abweichenden Konzepten; für Deutschland siehe § 1042 ZPO; für die entsprechende Auffassung in den USA siehe Volt Inf. Sciences v. Board of Trustees, Leland Stanford Junior University, 489 U.S. 468, 478 f. (1989).

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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mung regelmäßig im Hauptvertrag.496 Für die Bestimmung der lex causae in Fällen, in denen eine solche Rechtswahlklausel fehlt, genießen Schiedsgerichte ganz erhebliche Freiheiten.497

V. Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen Eine Überprüfung von Schiedssprüchen findet in der postarbitralen Phase statt, in der Gerichte das Verbot der révision au fond mit rechtsstaatlicher Kontrolle verbinden.498 UNÜ und UNCITRAL ML lassen den ordentlichen Gerichten grundsätzlich nur einen kleinen Spielraum, der lediglich bei speziellen Sachmaterien umfassender ausfällt. Gem. Art. 5 Abs. 2 lit. a), lit. b) UNÜ, Art 36 Abs. 2 lit. b) ii) UNCITRAL ML darf die Anerkennung und Vollstreckung hiernach in Fällen verweigert werden, in denen sie gegen die öffentliche Ordnung499 verstoßen würde. Dieser Vorbehalt führt wiederum zu zwei Problemen. Zum einen ist die Rechtsfigur des ordre public, wie ausgeführt, restriktiv auszulegen und wird von Gerichten in Deutschland der USA auch nur sehr zurückhaltend bemüht.500 Zum anderen ist die Prüfungsintensität für einen entsprechenden Verstoß auch im internationalen Vergleich unklar.501 Besondere Bedeutung für die Vollstreckbarkeit kommt dem Sitz des Schiedsgerichts zu. Allgemein wird Art. 5 Abs. 1 lit. e) UNÜ so verstanden, dass die Auf-

496 Die Möglichkeit der freien Rechtswahl schließt gegebenenfalls auch nichtstaatliche Rechtsordnungen wie etwa die lex mercatoria oder eine Entscheidung nach Billigkeit (amiable compositeur, ex aequo et bono) ein, siehe Art. 28 UNCITRAL ML; Rosenfeld, in: Ferrari (Hrsg.), S. 245 (254 ff.). 497 Zu den verschiedenen Ansätzen, direkt das als passend identifizierte materielle Recht anzuwenden (voie directe), oder das Recht über den Rekurs als zur Anwendbarkeit bestimmte Kollisionsregelungen zu ermitteln (voie indirecte) Rosenfeld, in: Ferrari (Hrsg.), S. 245 (249 ff.); s. a. Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 69 ff.; für einen Überblick über die verschiedenen nationalen Regelungen innerhalb der EU sowie der dort ansässigen Schiedsgerichtsinstitutionen Asensio, in: Ferrari (Hrsg.), S. 177 (181 ff.). § 1051 Abs. 2 ZPO gibt für die Ermittlung im Wege einer objektiven Anknüpfung den unmittelbaren Rekurs auf das staatliche Sachrecht vor, welches den engsten Bezug zum Gegenstand des Verfahrens aufweist, siehe Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.431; demgegenüber beinhaltet der FAA überhaupt keine kollisionsrechtlichen Vorschriften; Schiedsgerichte können das anwendbare Recht sehr frei bestimmen, Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 93 ff. 498 Siehe dazu bereits oben Kapitel 2 – A.V.; Kapitel 2 – B.V. 499 So die deutsche Fassung des UNÜ, wie sie im BGBl. 1961, II, S. 122 ff., S. 127 veröffentlicht wurde. Dieser Begriff der öffentlichen Ordnung ist in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO legaldefiniert als ordre public. Die englische Fassung des UNÜ verwendet den Begriff der public policy. 500 S. o. Kapitel 2 – D.II. 501 Siehe bereits einleitend oben Kapitel 2 – A.V. sowie eingehend unten Kapitel 5 – A.III.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

hebung eines Schiedsspruchs nur dort in Betracht kommt.502 Eine solche wird zumeist zur Folge haben, dass dem Schiedsspruch auch in anderen Signatarstaaten des UNÜ die Anerkennung verweigert wird, wohingegen die bloße Verweigerung der Anerkennung in einem Staat nicht die Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen hindert.503 1. Verfahren in Deutschland504 In Deutschland bietet die ZPO nach der soeben dargestellten Systematik des UNÜ nur beim inländischen Schiedsspruch der im Schiedsverfahren unterlegen Partei innerhalb der Frist des § 1059 Abs. 3 ZPO mit dem Aufhebungsantrag gem. § 1059 Abs. 1, 2, 3 ZPO ein echtes Rechtsmittel zu dessen Beseitigung.505 Der Aufhebungsgrund des ordre public gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO ist hierbei von Amts wegen zu berücksichtigen.506 Im Übrigen besteht bei inländischen wie ausländischen Schiedssprüchen das Erfordernis ihrer Vollstreckbarkeitserklärung auf Antrag der Vollstreckungsgläubigerin. Für inländische Schiedssprüche ist der Einwand des ordre public gem. § 1060 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO zu berücksichtigen, für ausländische Schiedssprüche gilt der Rekurs über § 1061 Abs. 1 ZPO auf Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ. Ist hiernach die Vollstreckbarerklärung abzulehnen, stellt das Gericht fest, dass der Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist, § 1061 Abs. 2 ZPO.507 Instanziell ist die Eingangszuständigkeit für alle vorgenannten Verfahren seit dem SchiedsVfG gem. § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO beim OLG konzentriert.508 Diese Regelung wurde vor allem deshalb eingeführt, weil bis dato im Aufhebungsverfahren zwei Tatsacheninstanzen und eine Rechtsinstanz vorgesehen gewesen waren, was

502 OLG München, SchiedsVZ 2012, 339 (341); Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (63 f.); Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 189; MüKoZPO/Münch, § 1061 ZPO Rn. 26; für die USA vgl. Gulf Petro Trading Co., Inc. v. Nigerian Nat. Petroleum Corp., 512 F.3d 742, 753 (5th Cir. 2008); TermoRio S.A. E.S.P. v. Electranta S.P., 487 F.3d 928, 937 f. (D.C. Cir. 2007). 503 Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (64). 504 Siehe zur Praxis deutscher Gerichte die unten bei Kapitel 5 – A.III.2. aufgeführte Rechtsprechung. 505 Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 80; MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 1. 506 MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 38; siehe zum Verfahren nach § 1059 ZPO Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 80 ff. 507 Umfassend zu den Verfahren nach §§ 1060, 1061 ZPO Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 154 ff., S. 189 ff. 508 Zur Frage, ob diese Zuständigkeit von § 91 GWB verdrängt wird, verneinend OLG Frankfurt a. M., WuW 2020, 38 (39 ff.).

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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nur wenig mit dem Charakter der Schiedsgerichtsbarkeit als einem vermeintlich schnellen und effizienten Verfahren harmonierte.509 2. Verfahren in den USA Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in den USA entspricht in ihrer Systematik derjenigen in Deutschland. Auf einen entsprechenden Antrag gem. 9 U.S.C. § 13 für inländische und 9 U.S.C. § 207 für ausländische Schiedssprüche werden diese vom staatlichen Gericht anerkannt, wenn nicht ein Grund besteht, diese aufzuheben oder ihnen die Anerkennung zu verweigern (vacatur). Ein solcher Grund kann sich für ausländische Schiedssprüche namentlich aus dem public policy-Vorbehalt gem. 9 U.S.C. § 207 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ ergeben. Bei inländischen Schiedssprüchen findet 9 U.S.C. § 10 Anwendung, der Art. 5 UNÜ nicht spiegelt, sondern nur einzelne Teilaspekte nennt.510 Beide Wege der vacatur werden von den zuständigen Gerichten so restriktiv gehandhabt, dass sich die Frage stellt, ob überhaupt irgendeine Form der Kontrolle stattfindet.511

VI. Empirisches zur Kartellschiedsgerichtsbarkeit Wie verbreitet Schiedsklauseln in Wirtschaftsverträgen sind, ist seriös nicht abzuschätzen. Die Rechtspraxis lässt aber im unternehmerischen Umfeld eine erhebliche, häufig auch formularmäßige Verbreitung von Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln vermuten.512 Unternehmen scheinen diese Form der Streitbeilegung gegenüber der vor staatlichen Gerichten zu bevorzugen.513 509

BT-Drs. 13/5274, S. 63; nunmehr steht nach dem Verfahren vor dem OLG noch die Rechtsbeschwerde gem. § 1065 ZPO zum BGH zur Verfügung. 510 9 U.S.C. § 10 hat folgenden Wortlaut: (a) In any of the following cases the United States court in and for the district wherein the award was made may make an order vacating the award upon the application of any party to the arbitration – (1) where the award was procured by corruption, fraud, or undue means; (…) (4) where the arbitrators exceeded their powers, or so imperfectly executed them that a mutual, final, and definite award upon the subject matter submitted was not made. 511 S. u. Kapitel 3 – D.II. 512 Remien, in: FS Kropholler, S. 869 (869); die bei Mankowski, RIW 2011, 30 (30), sowie ders., in: FS Hoffmann, S. 1012 (1012) aufgeführten Quellen geben für Verträge im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr eine Durchsetzung mit Schiedsklauseln von 70 % bis 90 % an; die bei Gößling, Europäisches Kollisionsrecht, S. 1 genannten Zahlen bewegen sich zwischen 20 % und 90 %. 513 Nach einer älteren Studie von Schmidt-Diemitz, DB 1999, 369 (371 f.), halten 21 % der befragten Unternehmen die staatliche Gerichtsbarkeit, 58 % die Schiedsgerichtsbarkeit für vorteilhaft; s. a. Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 93 ff. Nach einer Studie u. a. aus dem Jahr 2011 bevorzugen unter amerikanischen Unternehmen nur 19,4 % eher oder zunächst die

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

Interessanter ist natürlich die Frage, wie verbreitet die schiedsgerichtliche Beilegung kartellrechtlicher Streitigkeiten ist. Auch hier bleibt die Antwort spekulativ. Die aus der vertraulichen Natur kommerzieller Schiedsgerichte entstammende schlechte Datenlage für kartellrechtliche Schiedsverfahren ist im Laufe der Jahre vielfach lamentiert worden.514 Allein der Befund, dass Kartellrecht seit geraumer Zeit auch in der schiedsrichterlichen Praxis Berücksichtigung findet, lässt sich anhand veröffentlichter Schiedssprüche bestätigen,515 wiewohl die Anzahl veröffentlichter Kartellschiedssprüche überschaubar bleibt516. Offensive Kartellschadensersatzprozesse sind kaum darunter. Verschwommen bleibt das Bild schließlich bei Betrachtung des Exequaturverfahrens. Insgesamt scheinen Gerichte auch internastaatliche Gerichtsbarkeit, aber 49,3 % eher oder stets alternative Streitbeilegungsmechanismen, Stipanowich/Lamare, 19 Harv. Negot. L. Rev. 1, 30 (2014). Eine weitere jährlich durchgeführte Studie ergibt sogar, dass regelmäßig mehr als 90 % der dort Befragten – die allerdings in ihrer Mehrzahl keine Syndizi sind – der Aussage zustimmen, wonach die Schiedsgerichtsbarkeit die für die Streitbeilegung bevorzugte Methode sei, siehe etwa die 2018 International Arbitration Survey: The Evolution of International Arbitration, S. 2 (abrufbar unter https://arbitration.qmul.ac.uk/media/arbitration/docs/2018-International-Arbitration-Sur vey–-The-Evolution-of-International-Arbitration-(2).PDF, oder die 2015 Improvements and Innovations in International Arbitration Survey, S. 2 (abrufbar unter http://www.arbitration. qmul.ac.uk/media/arbitration/docs/2015_International_Arbitration_Survey.pdf). Mit diesen relativen Zahlen ist freilich zur absoluten Häufigkeit noch nichts gesagt. Insoweit stützen die Verfahrenszahlen der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit wie etwa der DIS insgesamt nicht die These einer flächendeckenden „Flucht zu den Schiedsgerichten“. 2018 und 2017 verzeichnete die DIS jeweils ca. 160 Verfahren; dem stehen in Deutschland ca. 1,5 Millionen erstinstanzliche Verfahren vor den staatlichen Gerichten gegenüber, siehe etwa Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 51; für die Jahresstatistik der DIS http://www. disarb.org/upload/statistics/DIS-Verfahrensstatistik%202018.pdf; für einen Überblick über die Verfahrenszahlen weiterer großer Schiedsinstitutionen Wilske/Markert/Bräuninger, SchiedsVZ 2019, 101 (104); Basedow, 32 J. Arb. Int’l 367, 369 ff. (2015). Valide Zahlen zur ad-hoc Schiedsgerichtsbarkeit liefern aber auch diese Übersichten naturgemäß nicht. 514 Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (423); Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (11); Remien, in: FS Kropholler, S. 869 (872); Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 198; Sachslehner, Schiedsvereinbarungen in wettbewerbsbeschränkenden Verträgen, S. 51; Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidungen in Kartellsachen, S. 80; Lieberknecht, in: FS Sölter, S. 311 (311); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (6). 515 Siehe die Nachweise zu ICC-Schiedssprüchen bei Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (423); van Houtte, EBLR 2008, 63 (65); Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (193 f.); in der Sache ebenso Ason, WuW 2014, 1057 (passim); Schmidt, BB 2006, 1397 (1399); s. a. die Zahlen in den nachstehenden Fußnoten. 516 Siehe Blanke/Landolt, Annex III, S. 2063 ff.; dort werden für den Zeitraum von 1964 bis 2010 55 veröffentlichte kartellrechtliche ICC-Awards aufgeführt. In 35 dieser Fälle war europäisches Wettbewerbsrecht streitgegenständlich. Soweit ersichtlich, hatte nur ein Schiedsspruch auch Schadensersatzansprüche zum Gegenstand, wobei die Berechnung durch das Schiedsgericht auf erhebliche Kritik stieß und dazu führte, dass der Schiedsspruch in einigen Jurisdiktionen nicht vollstreckt wurde, siehe Blanke/Landolt/Blanke, Rn. 49 – 058, 40 – 064. Eine weitere Untersuchung hat für den Zeitraum von 1990 bis 2015 in 520 ICC-Awards lediglich acht mit kartellrechtlichem Inhalt identifizieren können, Chen, 19 Int’l Trade & Bus. L. Rev. 245, 255 ff. (2016).

E. Überblick über Grundsätze der int. Schiedsgerichtsbarkeit

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tional nur selten dem Begehr der Nichtvollstreckung von Schiedssprüchen ausgesetzt zu werden.517 Dieser Eindruck wird bei der Durchsicht juristischer Datenbanken in Deutschland bestätigt; sie zeigen nur wenige Verfahren, in denen der kartellrechtliche ordre public-Einwand gegen die Vollstreckbarerklärung erhoben wurde.518 Entsprechend wurde bisweilen vermutet, dass die Kartellrechtsdurchsetzung in Form des Schwerts vor Schiedsgerichten Seltenheitswert habe.519 In jüngerer Vergangenheit ist zunehmend auch die gegenteilige Auffassung vertreten worden.520 Zutreffend dürfte sein, dass in Kartellschadensersatzprozessen ein besonders gesteigertes Interesse an einer Vermeidung weiterer Aufmerksamkeit besteht.521 Ebenso ist unklar, ob sich nicht – wie es ja üblicherweise als Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit angeführt wird – die zumeist auch im Rahmen einer Vertragsbeziehung verbundenen Parteien im Laufe des Verfahrens vergleichen oder zumindest einen negativen Schiedsspruch eher akzeptieren, als noch einen Folgeprozess vor den staatlichen Gerichten durchzufechten.522 Zudem sind Kartellschadensersatzprozesse, die ihren Ursprung nicht auf dem US-amerikanischen Markt haben, noch ein recht neues Phänomen; ein unwahrscheinliches ist es mittlerweile nicht mehr523.

VII. Zusammenfassung Die Grundlagen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und die korrespondierenden nationalen Regelungswerke eröffnen den Parteien weitreichende Gestaltungsfreiheiten. Sowohl das auf den Hauptvertrag als auch das auf die 517

Vgl. die Untersuchung bei Chen, 19 Int’l Trade & Bus. L. Rev. 245, 263 ff. (2016). Aus der jüngeren Vergangenheit sind hierbei zu nennen die Verfahren OLG Frankfurt a. M., WuW 2020, 38 (42 ff.); OLG Celle, WuW 2017, 508 (509 ff.); OLG München, SchiedsVZ 2012, 339 (341); OLG Thüringen, SchiedsVZ 2008, 44 (45 f.); OLG Düsseldorf, WuW 2006, 281 (284 f.) – Regenerative Wärmetauscher; OLG Dresden, SchiedsVZ 2005, 210 (211 ff.); OLG Düsseldorf, NJOZ 2002, 2480 (2481); vgl. für ältere Zahlen aus Deutschland, noch für die Spruchpraxis des Reichsgerichts in Kartellschiedssachen, Kornblum/Heymann, BB 1968, 1456 (1457 ff.). 519 Schmidt, ZWeR 2007, 394 (415); ders., BB 2006, 1397 (1398 f.); ders., in: FS Kerameus, S. 1197 (1199); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (7); Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 74 ff.; Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 4, Rn. 11; Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (194); teils lassen diese Stimmen allerdings die Anreize für Beklagten, ein Schiedsgericht zu wählen, außer Acht, und unterschätzen wohl die Verbreitung von Schiedsklauseln in Kartellfolgeverträgen. 520 Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 884 (2016) hält Schiedsgerichte in follow-onKonstellationen für „exceptionally suited“; von einer zunehmenden Bedeutung ausgehend auch Geradin/Villano, 40 World Competition 67, 85 (2017); Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567, 587 (2015); Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (169); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 41 f.; Remien, in: FS Kropholler, S. 869 (869 ff.). 521 Gegenüber weiteren Geschädigten und bei stand alone-Verfahren auch gegenüber Wettbewerbsbehörden. 522 Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 927 (2016). 523 So auch Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (423). 518

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

Schiedsvereinbarung anwendbare Recht können die Parteien wählen. Nach dem Schiedsvereinbarungsstatut richtet sich die Einbeziehung auch deliktischer Ansprüche wie der Kartellschadensersatzansprüche. Der Schiedsspruch wird bei der Anerkennung und Vollstreckung nur am Maßstab des ordre public gemessen, dem das Kartellrecht zuzurechnen ist.

F. Teilweiser Exkurs: Rechtliche Grundlagen von Gerichtsständen und Gerichtsstandsvereinbarungen Im nachfolgenden Abschnitt wird aufgezeigt, wie sich Diskussionen über Gerichtsstandsvereinbarungen auch für den hiesigen Untersuchungsgegenstand fruchtbar machen lassen.

I. Einordnung Gerichtsstandsvereinbarungen sind nicht der eigentliche Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, weshalb es sich bei der nachfolgenden Darstellung um einen Exkurs handelt. Um einen nur teilweisen Exkurs handelt es sich allerdings insoweit, als auch Gerichtsstandsvereinbarungen möglicherweise die prozessuale Durchsetzbarkeit materiellrechtlicher Haftungsnormen beeinflussen können, etwa durch eine Verfahrensfragmentierung; im Bereich der Brüssel Ia-VO „kollidieren materiellrechtliche Regelungsziele mit einer spezifisch prozessualen Regelungsidee“524. Mit Gerichtsstandsvereinbarungen, wie auch mit Schiedsvereinbarungen, werden die klägerfreundlichen525 allgemeinen und besonderen Gerichtsstände der Brüssel Ia-VO derogiert. Um diese Auswirkungen einordnen zu können, bedarf es einer überblicksweisen Darstellung der typischerweise im europäischen Kartelldeliktsrecht bestehenden Gerichtsstände. Zudem stehen Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen in einem engen Sachzusammenhang, der ihre Zusammenfassung unter den Begriff der Forenwahlklauseln rechtfertigt.526 Auch Gerichtsstandsvereinbarungen betreffen die Wahl eines anderen als des ursprünglichen Streitbeilegungsforums, auch bei ihnen findet sich in der Praxis typischerweise die Formulierung „aus oder in Verbindung mit dem 524

Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89 (90); s. a. Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (567). Dazu sogleich. 526 Diese Begrifflichkeit ist dem amerikanischen Recht entlehnt, siehe Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528, 534 (1995): „As foreign arbitration clauses are but a subset of foreign forum selection clauses in general“; ebenso Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 519 (1974); Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1246 (2010). 525

F. Gerichtsstände und Gerichtsstandsvereinbarungen

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Vertrag“527. Die Frage, ob sich die sachliche Reichweite dieser Forenwahlklauseln auf Kartellschadensersatzansprüche erstreckt, wurde anfangs vermehrt im Zusammenhang mit Gerichtsstandsvereinbarungen diskutiert. Das dort gefundene Ergebnis wurde dann zumeist auch auf Schiedsvereinbarungen übertragen.528 Diese Debatten wurden noch befeuert, nachdem der EuGH sich im Zusammenhang mit diesen Fragen zur Beziehung von Gerichtsstandsvereinbarungen und Kartellschadensersatzansprüchen im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO geäußert, auf die ebenso vorgelegte Frage nach den Schiedsvereinbarungen aber mit dröhnendem Schweigen geantwortet hatte.529 Deshalb bedarf es auch einer kursorischen Darstellung von Gerichtsstandsvereinbarungen im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-VO, um den Boden für die Untersuchung einer möglichen Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen auf Schiedsvereinbarungen zu bereiten.

II. Grundsätzliches Die Brüssel Ia-VO530 ist gem. Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sachlich anwendbar auf Zivil- und Handelssachen. Kartellstreitigkeiten mit Auslandsbezug, in denen entweder eine Beklagte ihren Wohnsitz im Gebiet der Europäischen Union hat, oder die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts durch Parteivereinbarung prorogiert wurde, fallen also in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO.531 Verletzungen der Art. 101 ff. AEUV, die nicht auch zugleich den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnen, sind kaum vorstellbar.532 Hingegen kommen die Gerichtsstände der ZPO und damit auch Gerichtsstandsvereinbarungen gem. §§ 38, 40 ZPO nur dort in Betracht, wo der Anwendungsvorrang der Brüssel Ia-VO nicht eröffnet ist.533 Für hier vorrangig interessierende Ansprüche aus internationalen Hard-core527 Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (567); ders., in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (84 f.); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 181 f. 528 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 337 f.; Vischer, in: FS Jayme, S. 993 (999); Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (568); Basedow/Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (81 ff.). 529 Siehe dazu unten Kapitel 4 – B.I.3.; Kapitel 4 – B.I.4.; Kapitel 4 – B.III.2. 530 Die im Zusammenhang mit der Brüssel Ia-VO angeführten Nachweise beziehen sich auch auf die Brüssel I-VO sowie teils auch auf das Übereinkommen von Brüssel von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden EuGVÜ). Die Auslegung dieser Vorschriften ist, soweit sie hier interessiert, konvergent, siehe nur EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:635, Rn. 23 – Tibor Trans m. w. N. 531 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:635, Rn. 24 – Tibor Trans; EuGH, Urt. v. 23. 10. 2014, ECLI:EU:C:2014:2319, Rn. 23 ff. – flyLAL-Lithuanian Airlines; EuGH, Urt. v. 28. 10. 1999, ECLI:EU:C:1999:534, Rn. 34 – Siemens Aktiengesellschaft Österreich; Wurmnest, NZKart 2017, 2 (3); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 100 ff. 532 Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 12. 533 Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 401, 438 f.; Musielak/Voit/Stadler, Vorb. Europäisches Zivilprozessrecht Rn. 8; Rauscher/A. Staudinger, Einl. Brüssel Ia-VO Rn. 27 ff.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

Kartellen spielen sie somit keine Rolle.534 Namentlich gilt im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-VO wegen des Anwendungsvorrangs auch ein etwaiges535 Derogationsverbot gem. § 185 Abs. 2 GWB nach ganz überwiegender Auffassung nicht.536 Aber auch dort, wo sich das Kartell in nationalen Grenzen abspielt oder die Beklagte ihren Sitz nicht innerhalb der EU hat, sollten in Kartelldeliktsfällen die Gerichtsstände der ZPO schon aus praktischen Erwägungen im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zur Brüssel I/Ia-VO ausgelegt werden.537 Deshalb beschränkt sich die Darstellung auch auf diese.

III. Gerichtsstände unter der Brüssel Ia-VO 1. Systematik Systematisch ist die Brüssel Ia-VO im hier interessierenden Kontext in die allgemeinen Bestimmungen gem. Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO, die besonderen Zuständigkeiten gem. Art. 7 ff. Brüssel Ia-VO und den im Zweifel ausschließlichen538 Gerichtsstand der Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO unterteilt. Von besonderer Bedeutung für Kartellschadensersatzfälle sind neben der Gerichtsstandsvereinbarung zum einen der allgemeine Gerichtsstand am Sitz der Beklagten gem. Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 63 Brüssel Ia-VO,539 zum anderen die Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, also die besonderen Gerichtsstände der delikti534

In diesem Sinne auch Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 438. Für ein solches Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 401 ff.; D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 315 f.; Maier, Marktortanknüpfung, S. 213 ff.; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 338; Langen/Bunte/C. Stadler, § 185 GWB Rn. 245; MüKoBGB/Immenga, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 59; Staudinger/Fezer/Koos, Int. WirtschaftsR Rn. 375; s. a. OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334); a. A. Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 46; ders., in: FS Peltzer, S. 409 (420 f.); Geimer, IZPR, Rn. 1059. 536 Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 46; zum Verhältnis der Brüssel Ia-VO zu § 185 Abs. 2 GWB (§ 130 Abs. 2 GWB a. F.) OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334 f.).; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 401 ff.; D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 271; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 319 f.; Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (569 ff.); Basedow/Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (81); Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.40; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 86; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 339; Langen/Bunte/ C. Stadler, § 185 GWB Rn. 245; jetzt wohl auch Wiedemann/Ollerdißen, § 59 Rn. 90; KK/ Voss, § 87 GWB Rn. 59; offen gelassen bei Staudinger/Fezer/Koos, Int. WirtschaftsR Rn. 376. 537 So für § 32 ZPO Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 547, 553, Kamann/ Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 161; zur damit korrespondierenden Maßgabe, auch die materiellen Tatbestände des GWB entsprechend Art. 101 f. AEUVauszulegen, oben Kapitel 2 – C.II.1. 538 Zöller/Geimer, Art. 25 EuGVVO Rn. 1a. 539 Zu diesem vorbehaltlich eines ausschließlichen Gerichtsstands stets eröffnetem allgemeinen Gerichtsstand etwa Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 13 ff. 535

F. Gerichtsstände und Gerichtsstandsvereinbarungen

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schen Haftung und der Streitgenossenschaft.540 Leitprinzip im europäischen Zuständigkeitsrecht ist gem. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO der Grundsatz des actor sequitur forum rei.541 Besondere Gerichtsstände, die vom allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz der Beklagten abweichen, sind restriktiv auszulegen. Der EuGH will so der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit Vorschub leisten – eine informierte, verständige Beklagte soll vorhersehen können, vor welchem Gericht sie außerhalb ihres Wohnsitzstaates verklagt werden könnte – und Mehrfachzuständigkeiten und der damit einhergehenden Möglichkeit des forum shopping vorbeugen.542 2. Gerichtsstände gem. Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, oder: extensives forum shopping im Kartelldeliktsrecht Tatsächlich spielen allerdings im Kartelldeliktsrecht die besonderen Gerichtsstände gem. Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO eine herausgehobene Rolle. Unter der Brüssel Ia-VO gilt der aus der ZPO bekannte Grundsatz, dass eine Klägerin die Wahl zwischen mehreren ihr eröffneten allgemeinen und besonderen Gerichtsständen hat, solange nicht ein ausschließlicher Gerichtsstand allgemeine und besondere Gerichtsstände derogiert.543 In diesem Zusammenhang gilt es, sich die materiellrechtlichen Haftungsgrundsätze im europäischen Kartelldeliktsrecht erneut zu vergegenwärtigen: Kartellantinnen haften gem. § 33d Abs. 1 S. GWB gesamtschuldnerisch auf den gesamten durch das Kartell verursachten Schaden, was auch umbrella-Schäden und die Haftung im Konzernverbund einschließt.544 Diese weitreichende materiellrechtliche Haftung lässt sich prozessual beim forum shopping zugunsten der Klägerinnen bei der Wahl einer als günstig erachteten Jurisdiktion aktivieren, wenn es nur gelingt, dort einer Kartellantin habhaft zu werden. Denkbar ist das vor allem, wenn eine Kartellantin als Ankerbeklagte die Zuständigkeit für alle Kartellbeteiligte im jeweiligen Kartell eröffnet, sowie dann, wenn eine Klage auf Ersatz des gesamten Kartellschadens nicht nur am Handlungsort des Kartells, sondern auch an jedem fliegenden Erfolgsort eröffnet ist. Wegen ihrer potentiell sehr

540 Wurmnest, NZKart 2017, 2 (3); Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 7; weitere denkbare Gerichtsstände sind insbesondere Art. 7 Nr. 5, Art. 8 Nr. 3, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO. Sie bleiben für die vorliegende Bearbeitung wegen der geringeren praktischen Bedeutung und des fehlenden Sachzusammenhangs zu Forenwahlklauseln außer Betracht. Siehe Überblicksweise Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 441 ff. 541 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2000, ECLI:EU:C:2000:399, Rn. 35 – Group Josi; Wurmnest, NZKart 2017, 2 (5); Heinze, in: FS Ahrens, S. 521 (522); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 119 ff. 542 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 23 – CDC; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:471, Rn. 25 – Reisch Montage; EuGH, Urt. v. 28. 09. 1999, ECLI:EU: C:1999:456, Rn. 24 – GIE Groupe Concorde; Stein/Jonas/Wagner, Einl. Art. 2 EuGVVO Rn. 16 f.; s. a. Erwägungsgründe 15 und 16 Brüssel Ia-VO. 543 Stein/Jonas/Wagner, Einl. Art. 2 EuGVVO Rn. 2. 544 Siehe oben Kapitel 2 – C.II.3.c)aa); Kapitel 2 – C.II.3.c)bb).

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

weitreichenden Konsequenzen waren diese Fragen für die einzelnen Gerichtsstände umstritten.545 a) Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft Der besondere Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft – also am Sitz einer Ankerbeklagten – gem. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist eröffnet, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Der EuGH verlangt hierfür zwischen den verschiedenen Klagen einen Sachzusammenhang im Sinne einer einheitlichen Sach- und Rechtslage.546 In seinem CDC-Urteil sah er diesen Sachzusammenhang bei follow-on-Klagen, bei deren vorausgehender Entscheidung die Europäische Kommission eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt hatte, als erfüllt an.547 Dieser so begründete Gerichtsstand gegen alle Kartellantinnen sollte den Klägerinnen zudem auch nach Klagerücknahme gegen die Ankerbeklagte nicht verlustig gehen, sofern nicht die Klage rechtsmissbräuchlich allein zur Erlangung einer passenden Ankerbeklagten erhoben worden war.548 b) Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Der weitere besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates als dem des Sitzes der Kartellantin ist gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO eröffnet, wenn Ansprüche aus unerlaubter Handlung den Gegenstand des Verfahrens vor dem Gericht des Ortes bilden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Der EuGH sieht dies in ständiger Rechtsprechung nach dem Ubiquitätsprinzip sowohl an dem Ort als gegeben an, an dem die unerlaubte Handlung vorgenommen wird, als auch an dem, an dem der Erfolg der Handlung eintritt.549 Geschädigte haben nach dem Günstigkeitsprinzip ein Wahlrecht.550 Bei follow-on-Konstellationen nach einer von der Kommission festge545 Ausführlich zu diesen Gerichtsständen und der Anwendung auf kartelldeliktische Klagen Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 180 ff., zum Gerichtsstand gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, sowie S. 347 ff., zum Gerichtsstand gem. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. 546 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 20 f. – CDC; EuGH, Urt. v. 11. 04. 2013, ECLI:EU:C:2013:228, Rn. 42 f. – Sapir; MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rn. 9. 547 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 21 ff., 33 – CDC. 548 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 29, 33 – CDC. 549 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:635, Rn. 25 – Tibor Trans; EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 38 – CDC; MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 54; Stein/Jonas/Wagner, Art. 5 EuGVVO Rn. 143. 550 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 38 – CDC; MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 54; Stein/Jonas/Wagner, Art. 5 EuGVVO Rn. 143.

F. Gerichtsstände und Gerichtsstandsvereinbarungen

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stellten dauerhaften und einheitlichen Zuwiderhandlung soll der Handlungsort demnach der Ort sein, an dem das Kartell gegründet wurde, alternativ der, an dem eine spezifische Einzelabsprache getroffen wurde, die einen bestimmten Schaden verursacht hat.551 Den Erfolgsort sieht der EuGH hingegen am Ort, wo sich der Schaden konkret zeigt. In Kartellfällen sei dies der Sitz der Kartellgeschädigten,552 und der EuGH hält sich hierbei auch nicht mit Teilbeträgen auf, sondern gibt dem dortigen Gericht die Kognitionsbefugnis über den gesamten Kartellschaden.553 Von dieser Erweiterung profitieren indes nur die ursprünglich Geschädigten, keine Klagevehikel als Zessionare.554 c) Abwehrmöglichkeiten Die praktischen Auswirkungen, die sich aus dieser Rechtsprechung ergeben, sind im Zusammenspiel mit den materiellrechtlichen Haftungsgrundsätzen erheblich und als Einladung zum forum shopping zu verstehen.555 Als allgemeiner Grundsatz kann danach gelten, dass bereits in Kartellen mittleren Umfangs sämtliche Schadensersatzansprüche gegen alle Kartellbeteiligten praktisch auch in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltend gemacht werden können.556 Zwei Verteidigungsmittel sind allerdings im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO denkbar. Zum einen sind dies die sogenannten Torpedoklagen, ihrerseits eine Spielart des forum shopping.557 Hierbei handelt es sich um negative Feststellungsklagen der prospektiven Beklagten, mit denen die Kartellgeschädigten über die anderweitige Rechtshängigkeit ihres Streitgegenstandes mit der Wirkung des Art. 29 Brüssel Ia-VO in ein für sie ungünstiges Forum gezwungen werden sollen.558 Zum anderen ist dies eine Prorogation mit ausschließlicher Wirkung gem. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. 551

EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 44 ff., 56 – CDC. EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 52, 56 – CDC; siehe jüngst auch EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:635, Rn. 37 – Tibor Trans, für den Fall, dass es sich um eine Klage mittelbarer Abnehmerinnen handelt: Erfolgsort ist der Ort des durch die Zuwiderhandlung beeinträchtigten Marktes. 553 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 54 – CDC. 554 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 55 – CDC. 555 Siehe nur den Titel des Aufsatzes von Stadler zur CDC-Entscheidung, JZ 2015, 1138 (1138): Schadensersatzklagen im Kartellrecht – Forum shopping welcome!; s. a. Roth, IPRax 2016, 318 (321 f.); Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 47, 52, 176. 556 Basedow/Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (78); das dort angeführte, eher einfach gelagerte Beispiel von fünf Kartellantinnen mit jeweils fünf Vertriebstöchtern führt bereits zu 30 potentiellen Ankerbeklagten; ebenso Pike/Tosheva, G.C.L.R. 2015, 82 (83); noch einfacher wird dies wegen der Haftungsausweitung durch die Skanska-Kriterien, siehe Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (108). 557 Wurmnest, NZKart 2017, 2 (7 f.). 558 Siehe hierzu allgemein und kritisch Sack, GRUR 2018, 893 (passim), speziell zum Kartelldeliktsrecht EuGH, Urt. v. 25. 10. 2012, ECLI:EU:C:2012:664, Rn. 36 ff. – Folien Fischer und Fofitec; zu prozesstaktischen Überlegungen aus Sicht der Beklagten Fuchs/Weitbrecht/Polley, § 3 Rn. 110 ff.; Wurmnest, NZKart 2017, 2 (8); Stammwitz, Internationale Zu552

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

3. Gerichtsstandsvereinbarungen gem. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung hat die nachstehend skizzierten Wirksamkeitserfordernisse und Auslegungsgrundsätze. a) Wirksamkeit und persönliche Reichweite Gerichtsstandsklauseln nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sind wirksam, wenn zwischen den Parteien eine den Formerfordernissen des Art. 25 Abs. 1 Brüssel IaVO genügende materielle Einigung besteht. Das Erfordernis der Einigung bestimmt sich im Ausgangspunkt nach autonom europäischen Maßstäben.559 Zur wirksamen Einbeziehung zukünftiger Streitigkeiten muss sich die Einigung auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis i. S. d. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO beziehen, worin der EuGH ebenfalls ein Kriterium zum Schutz der Parteien vor einer überraschenden Zuständigkeit erblicken möchte.560 Demgegenüber bestimmt sich die materielle Nichtigkeit nach der lex fori prorogati.561 In ihrer Wirksamkeit sind Gerichtsstandsvereinbarungen vom Hauptvertrag zu trennen, wie Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO klarstellt. In persönlicher Hinsicht binden sie nur die Vertragsparteien und deren Rechtsnachfolgerinnen.562 b) Sachliche Reichweite Die Bestimmung der sachlichen Reichweite einer Gerichtsstandsklausel ist Sache des nationalen Gerichts.563 Es hat hierbei autonome Vorgaben der Brüssel Ia-VO zu berücksichtigen. Ein autonomer Grundsatz der engen Auslegung von Gerichts-

ständigkeit, S. 138 ff.; Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 179 f.; Stancke/Weidenbach/ Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 176 ff.; Wiedemann/Wiedemann, § 5 Rn. 78, m. w. N. auch aus der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung. 559 Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 76 ff.; Rauscher/ Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 216; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 105. 560 EuGH, Urt. v. 10. 03. 1992, ECLI:EU:C:1992:115, Rn. 31 – Powell Duffryn; Magnus/ Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 66. 561 Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 76 ff.; Rauscher/ Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 36 ff. 562 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 64 f. – CDC; BGH, NJW 2019, 2780 (2782 f.); Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 160 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 383 ff. 563 EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 21 – Apple Sales International; EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 67 – CDC; EuGH, Urt. v. 03. 07. 1997, ECLI:EU:C:1997:337, Rn. 31 – Benincasa; EuGH, Urt. v. 10. 03. 1992, ECLI:EU:C:1992:115, Rn. 37 – Powell Duffryn.

G. Zwischenergebnis

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standsklauseln ist nach richtiger Auffassung abzulehnen.564 Mit anderweitigen Vorgaben ist gleichwohl zunehmend zu rechnen.565 Gibt es sie nicht, ist für die Auslegung auf das auf den Hauptvertrag anwendbare materielle Recht zurückzugreifen.566 Kommt dann deutsches Recht zur Anwendung, sind Gerichtsstandsvereinbarungen nach tradiertem Verständnis weit auszulegen, um den Parteiwillen umfassend zur Geltung zu bringen.567 Überwiegend wird angenommen, dass sie regelmäßig nicht nur vertragliche Ansprüche, sondern auch solche wegen einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrages, aus cic und aus Delikt erfassen.568

G. Zwischenergebnis Im kartellrechtlichen private enforcement in den USA und in Europa erfolgt eine funktionale Subjektivierung der Klägerinnen, die in den Dienst des private enforcement gestellt und zur Erreichung dieser Ziele privilegiert werden. Dabei sind die Erfahrungen mit offensiver privater Kartellrechtsdurchsetzung in der EU noch jüngeren Datums; diese europäischen Klägerinnen schultern auch eine vergleichsweise geringere Durchsetzungslast. Die privatautonome Rechtsdurchsetzung bedingt auch die Frage nach der Möglichkeit einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung. Die historischen Erfahrungen, die in den jeweiligen Rechtsordnungen an der Schnittstelle von Kartell- und Schiedsrecht gemacht wurden, verhalten sich umgekehrt zum Liberalisierungsgrad der privaten Rechtsdurchsetzung. Auch wenn es in Deutschland kein private enforcement gab, wurde hier vorgeführt, wie die Kartellschiedsgerichtsbarkeit ein Mittel zur Absicherung von Kartellstrukturen werden kann. In den USA war der Anschein dieser Gefahr lange Zeit Grund genug, die objektive Schiedsfähigkeit von Kartellstreitigkeiten zu verneinen. Eine spektakuläre Wende bedeutete dann das Mitsubishi-Urteil. Hiermit wurden Pflöcke eingeschla564 Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 358; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 142; Wurmnest, in: FS Magnus, 567 (572 f.); a. A. Vischer, in: FS Jayme, S. 993 (995); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 198 ff. 565 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 120. 566 Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 361; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 143; Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (573 f.); ders., in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (81 ff.), jew. auch zur Gegenmeinung. 567 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 323 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 362 f.; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 150 f.; Wurmnest, in: FS Magnus, 567 (582); jew. mit zahlreichen w. N.; s. a. Saenger/ Dörner, Art. 25 EuGVVO Rn. 20; Musielak/Voit/Stadler, Art. 25 EuGVVO n. F. Rn. 15; Dauses/Kreuzer/R. Wagner/Reder, Q. II. Rn. 63; MüKoZPO/Gottwald, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 64. 568 Siehe die Nachweise in der vorstehenden Fußnote.

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Kapitel 2: Bestandsaufnahme

gen, die zeitweise zum unbestrittenen internationalen Standard avancierten, nämlich eine weitgehende Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche bei gleichzeitiger ex post-Kontrolle der Schiedssprüche. Die Grundlagen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und die korrespondierenden nationalen Regelungswerke eröffnen den Parteien eine weitreichende Gestaltungsfreiheit. Wie auch mit den strukturell vergleichbaren Gerichtsstandsvereinbarungen können Parteien so die eigentlich in Kartellschadensersatzprozessen eröffneten Gerichtsstände derogieren. Eine zentrale Frage ist dabei, ob eine Auslegung nach dem auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Recht ergibt, dass Kartellschadensersatzansprüche von den jeweiligen Klauseln erfasst sind. Beschränkungen der Schiedsgerichtsbarkeit können sich daneben daraus ergeben, dass kartellrechtliche Normen sowohl den Eingriffsnormen als auch dem ordre public zuzurechnen sind.

Kapitel 3

Rechtsvergleichende Betrachtung Bevor sich die Ausarbeitung der Stellung von Schiedsvereinbarungen bei Anwendung des deutschen und europäischen Rechts zuwendet, lässt die im folgenden Kapitel durchgeführte rechtsvergleichende Betrachtung auch der US-amerikanischen Rechtslage und Rechtsprechung wertvolle Erkenntnisse zum Zusammenspiel von Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit erwarten.1

A. Der Ausgangspunkt: § 2 Federal Arbitration Act In der Rechtsvergleichung können nicht lediglich Einzelbegriffe nebeneinandergestellt werden, vielmehr sind Rechtsnormen funktional zu ihrem Kontext zu betrachten.2 Bei Vorschriften zu Schiedsvereinbarungen und Kartellschadensersatzansprüchen ist das nicht anders. Bedeutsam für den Kontext im US-amerikanischen Recht sind class actions und, grundsätzlicher, die dogmatische Auslegung und rechtspolitische Bedeutung des FAA. Es ist also notwendig, sich der Problematik vom Schiedsrecht aus zu nähern und dessen Auswirkungen einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Die entscheidende Norm ist § 2 FAA (9 U.S.C. § 2).3 In dieser Vorschrift wird die bindende Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen festgelegt, soweit nicht gesetzliche oder allgemeine Billigkeitsgründe vorliegen, die der Wirksamkeit eines jeden Vertrages entgegenstehen. Diese sogenannte savings clause verbietet also die Invalidierung von Schiedsvereinbarungen aufgrund von Unwirksamkeitsgründen, die 1 „Im Rahmen eines am Problem orientierten Denkens ergibt sich mit Selbstverständlichkeit das Interesse an fremden Rechten, denen die Lösung gleicher oder ähnlicher Probleme aufgegeben ist.“ Rheinstein, Festvortrag, Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft, 1967, Heft 1, 6 (14). 2 Kischel, Rechtsvergleichung, S. 6 ff., 92 ff. 3 Diese Vorschrift hat den folgenden Wortlaut: „A written provision in any maritime transaction or a contract evidencing a transaction involving commerce to settle by arbitration a controversy thereafter arising out of such contract or transaction, or the refusal to perform the whole or any part thereof, or an agreement in writing to submit to arbitration an existing controversy arising out of such a contract, transaction, or refusal, shall be valid, irrevocable, and enforceable, save upon such grounds as exist at law or in equity for the revocation of any contract“; s. a. Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 625 (1985): „centerpiece provision.“

128

Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

sich mittelbar oder unmittelbar speziell gegen Schiedsvereinbarungen richten.4 Aus sich heraus ist damit aber noch keine Aussage zur Reichweite des FAA getroffen, insbesondere also zur Frage, wie Konflikte des FAA mit bundesstaatlichen Gesetzen und mit Bundesgesetzen wie dem Sherman Act und dem Clayton Act aufzulösen sind und welche Gerichte – Bundesgerichte oder bundesstaatliche Gerichte – den FAA überhaupt anzuwenden haben.

B. „Emphatic federal policy in favor of arbitration“ In der Rechtsprechung des Supreme Court hat der FAA eine äußerst extensive Auslegung erfahren, wie dessen sehr grundsätzliche Ausführungen in American Express exemplarisch belegen: Schiedsvereinbarungen seien „rigoros durchzusetzen“,5 und dieses Ziel des FAA „übertrumpfe jedes Interesse an der Verfolgung geringwertiger Schadensersatzansprüche.“6

I. Ursprüngliche Lesart des FAA Diese Aussagen sind durchaus nicht selbstverständlich. So fortschrittlich nämlich die Kartellgesetzgebung in den USA war, so feindselig war zunächst die Einstellung im angelsächsischen Rechtskreis gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit.7 Gegen die zunehmende praktische Nachfrage insbesondere aus kommerziellen Kreisen wehrten sich die ordentlichen Gerichte, indem sie Schiedsgerichte desavouierten, wo sie nur konnten.8 Die Gründe hierfür haben andere Darstellungen bereits nachgezeichnet.9 Der amerikanische Gesetzgeber schließlich sah „a great demand for the correction of what seems to be an anachronism in our law“10 und beantwortete diesen so wahrgenommenen Missstand 1925 mit dem FAA.11

4 Kindred Nursing Centers Ltd. P’ship v. Clark, 137 S. Ct. 1421, 1426 (2017); Doctor’s Assocs., Inc. v. Casarotto, 517 U.S. 681, 686 f. (1996). 5 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 233 (2013): „[C]onsistent with that text, courts must ,rigorously enforce‘ arbitration agreements according to their terms.“ 6 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 238, Fn. 5 (2013): „[T]he FAA’s command to enforce arbitration agreements trumps any interest in ensuring the prosecution of low-value claims.“ 7 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 381 f. (2014); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 104 f. (2006); Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 16 f. (2004); Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 223 ff. (1986) m. w. N. 8 Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 225 f. (1986). 9 Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 223 ff. (1986) m. w. N. 10 5 Cong. Rec. 1931 (1924) (statement of Representative Graham); zitiert nach Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 226 f. (1986).

B. „Emphatic federal policy in favor of arbitration“

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Die Verfechter:innen des FAA im damaligen Kongress selbst waren aber der Meinung, dass sich der Anwendungsbereich auf Kaufleute beschränken sollte, die eine Schiedsvereinbarung frei ausgehandelt hatten, und dass das schiedsgerichtliche Forum bei allen Vorteilen nicht der richtige Ort sei, rechtliche Fragen von übergeordneter Relevanz etwa im Bereich des Verfassungsrechts und bei der Anwendung kodifizierter Rechtswerke zu entscheiden.12 Gestützt wurde das Gesetz auf Kompetenztitel der US-Bundesverfassung, welche die Kompetenz zum Erlass von Prozessordnungen für die Bundesgerichte vorsehen.13 In den Beratungen des Gesetzes wurde versichert, dass sich der Anwendungsbereich nicht auf Fälle erstrecken sollte, in denen sich die Aushandlung der Klausel wegen struktureller Ungleichgewichte zwischen den Parteien auf die Alternativen „take-it-or-leave-it“ beschränkte, wie es etwa bei Arbeitsverträgen und im B2C-Kontext der Regelfall ist.14 Der FAA sollte nur dazu führen, dass die Rechtsordnung Schiedsvereinbarungen wie sonstige Verträge auch behandelte.15 In den ersten Jahrzehnten nach Verabschiedung des FAA wurde daher angenommen, dieser erfasse mit einem beschränkten Anwendungsbereich lediglich die kaufmännische Schiedsgerichtsbarkeit und auch diese nur insoweit, als sie die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten überschritt.16 Das schloss auch die Schiedsfähigkeit spezialgesetzlicher Ansprüche aus.17 Eine solche eingeschränkte Lesart ist vor dem Hintergrund des föderalistischen Systems der USA bedeutsam, in dem der Bundesgesetzgeber keine umfassende Kompetenz zum Erlass materiellen Rechts hat.18 Als rein prozessuale Vorschrift wäre 11 Häufig ist in diesem Zusammenhang der US Court of Appeals for the Second Circuit zitiert worden: „(…) it is our obligation to shake off the old judicial hostility to arbitration“, Kulukundis Shipping Co. v. Amtorg Trading Corp., 126 F.2d 978, 985 (2nd Cir. 1942); bestätigend etwa Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985). 12 Ausführlich hierzu Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 101 ff., 110 f. (2006); auch Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 383 ff. (2014). 13 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 108 ff. (2006); die dort genannten Quellen geben v. a. Art. I, § 8, cl. 9 und Art. III, § 1 der US-Bundesverfassung an, ohne dass der Kongress sich insoweit eindeutig positioniert hätte; ähnlich Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 19 f. (2004). 14 Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Co., 388 U.S. 395, 413 f. (1967) (Black, J., dissenting); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3060 (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 383 ff. (2014); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 499 f. (2012); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 106 ff. (2006); Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 21 ff. (2004). 15 Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 26 (2004), unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien; der Supreme Court hat den „equal footing“ Gedanken häufig aufgegriffen, siehe etwa Buckeye Check Cashing, Inc. v. Cardegna, 546 U.S. 440, 443 (2006). 16 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 386 (2014) m. w. N. 17 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427 (1953); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3060 (2015); siehe dazu bereits oben die Darstellung unter Kapitel 2 – B.I.2. 18 Vgl. die enumerierten Bundeskompetenzen nach Art. I, § 8 der US-Bundesverfassung; die Kompetenz zum Erlass materiellen Vertragsrechts ergibt sich vor allem aus Art. I, § 8, cl. 3

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

der FAA nur von Bundesgerichten, nicht aber bundesstaatlichen Gerichten anzuwenden. US-Bundesgerichte haben aber keine prozessuale Allzuständigkeit, sondern sind in sachlicher Hinsicht zuständig etwa bei Streitigkeiten betreffend die Auslegung von Bundesrecht19 und in Fällen der sog. diversity jurisdiction, in denen die Prozessparteien aus unterschiedlichen Bundesstaaten stammen.20 In den letztgenannten Fällen wenden sie grundsätzlich nach der Erie-Doktrin weiterhin das Recht desjenigen Bundesstaates an, in dem sie ihren Sitz haben, wenn die Anwendung anderen Rechts Einfluss auf das Ergebnis des Falls hätte.21 Für die Schiedsgerichtsbarkeit – und damit auch den FAA – wurde ein solcher Einfluss zunächst bejaht.22 Die Konsequenz dieser Ansicht wäre gewesen, Schiedsvereinbarungen materiellrechtlich allein nach dem Recht des jeweiligen Bundesstaates zu beurteilen und den FAA so auch hinter den restriktiveren Regelungen all jener Bundesstaaten zurücktreten zu lassen, in denen die überkommene Ablehnung der Schiedsgerichtsbarkeit sich etwa noch in Bestimmungen wie der Möglichkeit zum jederzeitigen Widerruf der Schiedsvereinbarung vor Erlass des Schiedsspruchs äußerte.23 Damit wäre zumindest das legislatorische Ziel der durchgehenden Anerkennung von Schiedsvereinbarungen durch Bundesgerichte vereitelt worden.24

II. Die Transformation des FAA Es kam dann allerdings zu einer kopernikanischen Wende. Der Supreme Court nahm in Prima Paint an, dass der FAA auf die den Bundesgesetzgeber zum Erlass materiellen Rechts berechtigende Handelsklausel (commerce clause) in Art. I, § 8, cl. 3 der US-Bundesverfassung gestützt war; § 4 FAA (9 U.S.C. § 4) sollte Fragen der Kompetenz-Kompetenz auch in Fällen der Kollision mit zu einem anderen sachlichen Ergebnis führenden bundesstaatlichen Recht bei einer diversity jurisdiction abschließend regeln.25 Die Bedeutung dieses Urteils wurde erst später offenbar. Tatsächlich war es der Startschuss für eine atemberaubende Rechtsprechung, die eine US-Bundesverfassung, wonach der die Grenzen der Bundesstaaten überschreitende Handel reguliert werden kann. 19 Das betrifft auch Streitigkeiten nach dem Sherman Act und dem Clayton Act, 28 U.S.C. § 1337(a). 20 28 U.S.C. § 1332. Dies ist eine Möglichkeit für Bundesgerichte, auch für bundesstaatliche kartellrechtliche Ansprüche zuständig zu werden; die andere ist, wenn ein Anspruch unter dem Recht der Bundesstaaten einen Anspruch nach Bundesrecht ergänzt, 28 U.S.C. § 1367. 21 Guar. Tr. Co. of N.Y. v. York, 326 U.S. 99, 109 (1945); Erie R. Co. v. Tompkins, 304 U.S. 64, 78 (1938); umfassend hierzu Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 114 ff. (2006); Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 32 ff. (2004). 22 Wegen des Wechsels von einem justiziellen zu einem schiedsgerichtlichen Streitbeilegungsforum, obiter dictum in Bernhardt v. Polygraphic Co. of Am., 350 U.S. 198, 203 f. (1956). 23 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 115 f. (2006). 24 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 116 f. (2006). 25 Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Co., 388 U.S. 395, 403 ff. (1967).

B. „Emphatic federal policy in favor of arbitration“

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tiefgreifende Umgestaltung des amerikanischen Ziviljustizsystems zur Folge hatte.26 Obwohl der Supreme Court eine entsprechende Feststellung gar nicht getroffen hatte, nahm er in Moses Cone auf Prima Paint Bezug und kam dort wiederum obiter dictum zum Ergebnis, dass der Kongress mit dem FAA materielles Bundesrecht geschaffen hatte, welches auch von bundesstaatlichen Gerichten anzuwenden sei.27 Ohne eine weitere Quelle merkte der Supreme Court zudem en passant erstmalig an, dass der FAA Ausdruck einer allgemeinen, die Schiedsgerichtsbarkeit bevorzugenden Vorstellung des Gesetzgebers sei.28 Nur ein Jahr später sollte er in einem kontroversen Urteil diese Ansichten in tragende Entscheidungsgründe gießen. In Southland wiederholte der Supreme Court seine Einschätzung, wonach der FAA eine „national policy favoring arbitration“ etabliert habe und subsumierte ihn unter den Anwendungsbereich der Vorrangklausel (supremacy clause) gem. Art. VI § 2 der USBundesverfassung.29 Damit war der FAA auch von bundesstaatlichen Gerichten anzuwenden und verdrängte im Wege des Geltungsvorrangs (sog. preemption) im konkreten Fall entgegenstehendes Recht des Bundesstaates Kalifornien, nach dem der Streitgegenstand nicht schiedsfähig gewesen wäre. Ohne, dass dies hier ausführlicher beleuchtet werden müsste, ist die Entscheidung in Southland von einer Vielzahl an Kommentator:innen30 und mit Nachdruck immer wieder auch von Richter:innen am Supreme Court kritisiert worden31. In der Tat

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Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 122 (2006): „[B]y its misuse of legislative history and its failure to limit the decision to reflect the limited scope of the FAA, the Prima Paint Court unleashed the statute from its moorings and sent it on a journey from which it has never returned“; auch Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 830 ff. (2012); Schwartz, 87 Ind. L. J. 239, 250 (2012). 27 Moses H. Cone Mem’l Hosp. v. Mercury Constr. Corp., 460 U.S. 1, 24 (1983). 28 Moses H. Cone Mem’l Hosp. v. Mercury Constr. Corp., 460 U.S. 1, 24 f. (1983). 29 Southland Corp. v. Keating, 465 U.S. 1, 10 ff. (1984): „In enacting § 2 of the federal Act, Congress declared a national policy favoring arbitration and withdrew the power of the states to require a judicial forum for the resolution of claims which the contracting parties agreed to resolve by arbitration.“ 30 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 123 ff. (2006) m. w. N.; ausführlich Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, passim (2004); verhalten Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 831 ff. (2012). 31 Siehe etwa Circuit City Stores, Inc. v. Adams, 532 U.S. 105, 132 (2001) (Stevens, J., dissenting): „There is little doubt that the Court’s interpretation of the Act has given it a scope far beyond the expectations of the Congress that enacted it“; Allied-Bruce Terminix Companies, Inc. v. Dobson, 513 U.S. 265, 283 (1995) (O’Connor, J., dissenting): „[O]ver the past decade, the Court has abandoned all pretense of ascertaining congressional intent with respect to the Federal Arbitration Act, building instead, case by case, an edifice of its own creation“; AlliedBruce Terminix Companies, Inc. v. Dobson, 513 U.S. 265, 284 f. (1995) (Scalia, J., dissenting): „Adhering to Southland entails a permanent, unauthorized eviction of state-court power to adjudicate a potentially large class of disputes. Abandoning it does not impair reliance interests to a degree that justifies this evil“; Perry v. Thomas, 482 U.S. 483, 493 (1987) (Stevens, J., dissenting): „It is only in the last few years that the Court has effectively rewritten the statute to give it a pre-emptive scope that Congress certainly did not intend“; Southland Corp. v. Keating, 465 U.S. 1, 36 (1984) (O’Connor, J., dissenting): „Today’s decision is unfaithful to congres-

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

erscheint es schwierig, die Gesetzesmaterialien mit der Interpretation der jeweiligen Richter:innenmehrheit in Einklang zu bringen.32 Fundamental wurde das Verständnis des FAA von einer prozessualen Vorschrift für Bundesgerichte hin zu einem materiellrechtlichen Regelungswerk transformiert, welches entgegenstehendes bundesstaatliches Recht verdrängt und eine Regulierung der Schiedsgerichtsbarkeit verhindert.33 Der FAA in seiner heutigen Lesart wäre von seinen Schöpfern aus dem Jahr 1925 wohl kaum wiederzuerkennen.34 Diese Kritik hat das Gericht allerdings nicht beirrt.35 Die vom Supreme Court im Jahr 1983 erst spät entdeckte Schiedsfreundlichkeit ist vielmehr in der Echokammer gerichtlicher Urteile seitdem immer wieder für noch extensivere Interpretationen herangezogen worden, ein Perpetuum mobile der Schiedsfreundlichkeit.36 Für den rechtspolitischen Hintergrund dieser Arbeit soll zunächst genügen, dass die USA neben der schon früh artikulierten public policy des Wettbewerbsschutzes durch allgemeinschützende kartellrechtliche Vorschriften auch zumindest in der Rechtsprechung des Supreme Court seit den 1980erJahren mit der „emphatic federal policy in favour of arbitral dispute resolution“37 eine sional intent, unnecessary, and, in light of the FAA’s antecedents and the intervening contraction of federal power, inexplicable.“ 32 Southland Corp. v. Keating, 465 U.S. 1, 25 (1984) (O’Connor, J., dissenting): „One rarely finds a legislative history as unambiguous as the FAA’s. That history establishes conclusively that the 1925 Congress viewed the FAA as a procedural statute, applicable only in federal courts, derived, Congress believed, largely from the federal power to control the jurisdiction of the federal courts.“ 33 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 393 f. (2014); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 132 (2006). 34 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 99 (2006); das betrifft etwa die Anwendbarkeit des FAA auch bei Schiedsvereinbarungen in Lagen struktureller Unterlegenheit, Rodriguez de Quijas v. Shearson/Am. Exp., Inc., 490 U.S. 477 (1989); Shearson/Am. Exp., Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220 (1987); die Anwendbarkeit auf Arbeitnehmer:innen, Circuit City Stores, Inc. v. Adams, 532 U.S. 105 (2001); oder die Schiedsfähigkeit spezialgesetzlicher Ansprüche, etwa Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985); siehe überblicksweise auch Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3061 ff. (2015); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2839 f. (2015); Reuben, 60 U. Kan. L. Rev. 883, 887 f. (2012); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 132 ff. (2006). 35 Siehe insb. Allied-Bruce Terminix Companies, Inc. v. Dobson, 513 U.S. 265 (1995), in der die ausdrückliche Aufforderung von Generalstaatsanwält:innen aus 20 Bundesstaaten, Southland aufzuheben, ungehört blieb; zu den Langzeitfolgen dieser Entscheidung Schwartz, 87 Ind. L. J. 239, 253 ff. (2012). 36 Circuit City Stores, Inc. v. Adams, 532 U.S. 105, 131 f. (2001) (Stevens, J., dissenting): „[A] number of this Court’s cases decided in the last several decades have pushed the pendulum far beyond a neutral attitude and endorsed a policy that strongly favors private arbitration. The strength of that policy preference has been echoed in the recent Court of Appeals opinions on which the Court relies. In a sense, therefore, the Court is standing on its own shoulders when it points to those cases as the basis for its narrow construction of the exclusion in § 1“; Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 132 (2006). 37 Ständige Rechtsprechung seit Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 631 (1985), siehe nur Marmet Health Care Ctr., Inc. v. Brown, 565 U.S. 530, 533 (2012); KPMG LLP v. Cocchi, 565 U.S. 18, 21 (2011); jüngst mit leicht anderem Wortlaut Epic Sys. Corp. v. Lewis, 138 S. Ct. 1612, 1621 (2018) m. w. N.

C. Kernaussagen des Mitsubishi-Urteils

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nicht minder starke Politik zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit hatten, die mit Fug und Recht als eine der „strongest and most clearly expressed public policies of this century“38 bezeichnet worden ist.

C. Kernaussagen des Mitsubishi-Urteils Nur ein Jahr nach Southland nahm sich der Supreme Court in Mitsubishi39 diverser Fragen an, die den hiesigen Untersuchungsgegenstand berühren. Diese Rechtsprechung zeigt so einen möglichen Lösungsweg bezüglich der in dieser Arbeit untersuchten Fragestellungen auf.

I. Sachverhalt Der dem Mitsubishi-Urteil zugrundeliegende Sachverhalt ist schnell erzählt: Soler, ein Autohändler aus Puerto Rico, hatte Vertriebsverträge mit Mitsubishi abgeschlossen, einem Joint-Venture der Autohersteller Chrysler und Mitsubishi Heavy Industries. Die Verträge zwischen den Parteien enthielten in § VI eine Schiedsvereinbarung, die für Streitigkeiten im Zusammenhang mit den §§ I-B bis V der Verträge die Zuständigkeit der japanischen Handelskammer vorsah.40 Anwendbar sollte das Recht der Schweiz sein. Als sich der Automarkt in Puerto Rico eintrübte, verweigerte Soler die Abnahme weiterer Wagen und wurde daraufhin von Mitsubishi wegen Vertragsbruchs verklagt; Mitsubishi war es auch, die mit einer motion to compel arbitration die Einleitung des Schiedsverfahrens verlangte. Soler machte demgegenüber in einer Widerklage unter anderem geltend, das Joint-Venture stelle eigentlich eine horizontale Gebietsaufteilung und damit einen Verstoß gegen den Sherman Act dar, zudem habe Mitsubishi Soler etwa durch den Abbruch von Geschäftsbeziehungen geschädigt.41 So gelangte die Frage der Schiedsfähigkeit dieser widerklagend geltend gemachten kartellrechtlichen Ansprüche im Vertikalverhältnis42 zum Supreme Court. 38

So schon Allison, 64 N.C. L. Rev. 219, 231 (1986); gemeint ist dort noch das 20. Jahrhundert, die Aussage ist aber auch im 21. Jahrhundert noch zutreffend. 39 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985). 40 Die Schiedsklausel lautete: „All disputes, controversies or differences which may arise between [Mitsubishi] and [Soler] out of or in relation to Articles I–B through V of this Agreement or for breach thereof, shall be finally settled by arbitration in Japan in accordance with the rules and regulations of the Japan Commercial Arbitration Association.“ Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 617 (1985). 41 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 723 F.2d 155, 160 (1st Cir. 1983). 42 Tatsächlich sah der Supreme Court Ansprüche im Vertikalverhältnis als eher für die Schiedsgerichtsbarkeit geeignet an, wie folgende Passage verdeutlicht: „And the vertical

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

II. Vertragsauslegung Der Supreme Court hatte damit zunächst unmittelbar zu entscheiden, ob Ansprüche wegen eines Verstoßes gegen den Sherman Act solche „in Verbindung“ mit den von der Schiedsklausel erfassten Teilen des Vertrages waren. 1. Mehrheitsvotum Die Mehrheit der Richter:innen war allerdings der Auffassung, dass diese Frage überwiegend vom Berufungsgericht bereits zutreffend entschieden und von Soler in der Revision nicht mehr in Frage gestellt worden war.43 Das Berufungsgericht war zuvor davon ausgegangen, dass zwar einzelne Aspekte der kartellrechtlichen Streitigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs der Schiedsklausel lagen, die Streitigkeit aber insgesamt so viel Bezug zu den von der Schiedsklausel erfassten §§ I-B bis V des Vertrages hatte, in denen unter anderem die Zahlungsmodalitäten sowie der Umgang mit Vertragsstrafen für die Nichtabnahme von Fahrzeugen durch Soler geregelt waren, dass nach allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung von einer Einbeziehung auch aller Streitigkeiten unter dem Sherman Act auszugehen sei.44 Soler hatte hiergegen angeführt, wenn sich die Schiedsklausel nur auf die §§ I-B bis V des Vertrages beziehe, dann könne sie keine gesetzlichen Ansprüche erfassen. Das war dem Supreme Court allerdings nur noch eine Replik in einer Fußnote wert, denn dieses Vorbringen sah das Gericht als Widerspruch zu seiner sonstigen Rechtsprechung, wonach eine weite Schiedsklausel auch weit genug formuliert sei, um spezialgesetzliche Ansprüche zu erfassen.45 Entscheidend hierfür sei, dass die Tatsachengrundlage der geltend gemachten Ansprüche zumindest Regelungsgegenstände berühre, die auch in den Anwendungsbereich der Schiedsklausel fielen, der touch matters-Test.46 Daneben machte Soler einen allgemeinen Grundsatz geltend, wonach die von einem Gesetz besonders geschützte Partei nur dann zu einem Schiedsverfahren gezwungen werden könne, wenn diese Partei dem Schiedsverfahren explizit zugestimmt habe; mit anderen Worten sei erforderlich, dass in der Schiedsklausel Anrestraints which most frequently give birth to antitrust claims covered by an arbitration agreement will not often occasion the monstrous proceedings that have given antitrust litigation an image of intractability“, Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 633 (1985). 43 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 624 (1985). 44 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 723 F.2d 155, 160 f. (1st Cir. 1983). 45 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 624, Fn. 13 (1985), sowie erneut auf S. 627, jew. unter Bezugnahme auf Southland Corp. v. Keating, 465 U.S. 1, 16, Fn. 7 (1984), dort auf Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Co., 388 U.S. 395, 403 ff. (1967), wobei die Frage jeweils nicht vertieft behandelt wurde. 46 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 624, Fn. 13 (1985).

C. Kernaussagen des Mitsubishi-Urteils

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sprüche unter dem jeweiligen Gesetz, hier also unter dem Sherman Act, gesondert erwähnt werden müssten.47 Mit diesem Vorbringen setzte sich der Supreme Court in der Sache ausführlich auseinander und lehnte es letztlich ab. Zur Begründung ersann er einen Zwei-Stufen-Test. Zu untersuchen sei zunächst, ob es eine Schiedsvereinbarung gebe, auf die der FAA in seiner materiellrechtlichen Gestalt und der dazugehörenden „gesunden Dosis schiedsfreundlicher Einstellung“48 Anwendung finde.49 Damit sei die Parteivorstellung wie bei jedem Vertrag Ausgangspunkt der Auslegung, aber diese sei vor dem Hintergrund des jeweiligen Gesetzes zu betrachten, und der FAA als einschlägiges Bundesgesetz sehe nicht nur vor, dass alle Zweifel betreffend die Reichweite von Schiedsvereinbarungen zugunsten der Schiedsvereinbarung aufzulösen seien, sondern unterscheide hierbei auch nicht zwischen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüchen.50 Nur dann, und das ist der zweite Teil des Tests, wenn der Gesetzgeber selbst eindeutig artikuliert habe, dass Schiedsvereinbarungen bezüglich einer gewissen Kategorie von Ansprüchen nicht durchsetzbar seien, sei von diesen Grundlagen abzuweichen; im Kartelldeliktsrecht seien hierfür aber keine Anhaltspunkte ersichtlich.51 Dieser Test wurde in der Folgezeit bestätigt.52 2. Minderheitenvotum Das Minderheitenvotum nahm an diesem Ergebnis Anstoß. Schon nach einer einfachen Vertragsauslegung wäre es angezeigt gewesen, die Ansprüche nach dem Clayton Act als nicht von der Schiedsklausel erfasst anzusehen.53 Die Schiedsklausel beziehe sich nur auf einen Abschnitt des Vertrages, aus dem die Streitigkeit ersichtlich nicht entstamme, und solle auch im Übrigen nur solche Streitigkeiten „in Verbindung mit“ dem Vertrag erfassen, die wenigstens eine Grundlage in dem Teil des Vertrages hätten, auf den sich die Schiedsklausel beziehe.54 Darüber könne auch eine dem FAA zugeschriebene schiedsfreundliche Politik nicht hinweghelfen, denn 47

Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 624 f. (1985). Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 625 f. (1985), unter Bezugnahme auf Moses H. Cone Mem’l Hosp. v. Mercury Constr. Corp., 460 U.S. 1, 24 (1983). 49 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 626 (1985). 50 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 626 f. (1985). 51 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 626 ff. (1985): „Having made the bargain to arbitrate, the party should be held to it unless Congress itself has evinced an intention to preclude a waiver of judicial remedies for the statutory rights at issue.“ 52 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 91 f. (2000); Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 26 (1991); Shearson/Am. Exp., Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 226 f. (1987). 53 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 644 (1985) (Stevens, J., dissenting). 54 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 644 (1985) (Stevens, J., dissenting). 48

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

auch diese ändere nichts daran, dass die Schiedsklausel Ansprüche aus einer Vertragsverletzung erfasse, nicht aber aus einer eigenständigen Verletzung von Bundesrecht.55 3. Anmerkungen Die Ausführungen des Supreme Court sind vor allem insoweit interessant, als sie – bei teils recht apodiktisch anmutender Argumentation – die in der EU streitigen Auslegungsfragen umfassend und mit Nachdruck zugunsten einer weiten Auslegung beantworten. Dogmatisch und für das Verständnis der dortigen Herangehensweise bemerkenswert ist daneben, wie das Gericht mit dem von Soler vorgebrachten Argument der expliziten Einbeziehung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche in eine Schiedsvereinbarung umging. Dieses Argument ist ganz ähnlich dem, welches auch der EuGH in seinem CDC-Urteil verwendete.56 Anders als der Gerichtshof rekurriert der Supreme Court aber vor allem auf den Zweck der gesetzlichen Regelung, und weniger auf die Parteivorstellungen, obwohl letztere die Auslegung tragen sollten. Mit dieser schiedsfreundlichen Grundhaltung als Zweck des FAA, die der Supreme Court bekanntlich zwei Jahre zuvor erstmals in dieser Form entdeckt hatte, begründet er dann die Reichweite der Klausel auch in Bezug auf spezialgesetzliche Ansprüche.57 Das erscheint aus hiesiger Perspektive dogmatisch wenig stimmig, und eine Formulierung des Gerichts lässt diesen Widerspruch denn auch deutlich hervortreten.58 Die Frage, ob der Gesetzgeber von der „liberal policy favoring arbitration“ eine Ausnahme vorgesehen habe, berührt nämlich eigentlich die Frage der Schiedsfähigkeit.59 Die ausschließliche Konzentration darauf bzw. auf die Frage, wie verschiedene „public policies“ auszutarieren sind, übersieht demgegenüber die allge-

55 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 645 (1985) (Stevens, J., dissenting). 56 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 68 ff. – CDC; dazu unten Kapitel 4 – B.I.3; zu dieser Parallelität auch Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (400, Fn. 73). 57 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 140 f. (2006), die auch kritisiert, dass die Vorstellung des historischen Gesetzgebers beim Erlass des FAA sich auf vertragliche Ansprüche beschränkt habe. 58 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 627 (1985): „That is not to say that all controversies implicating statutory rights are suitable for arbitration. There is no reason to distort the process of contract interpretation, however, in order to ferret out the inappropriate. Just as it is the congressional policy manifested in the Federal Arbitration Act that requires courts liberally to construe the scope of arbitration agreements covered by that Act, it is the congressional intention expressed in some other statute on which the courts must rely to identify any category of claims as to which agreements to arbitrate will be held unenforceable.“ Diese Passage und der hier beschriebene Zwei-Stufen-Test stehen im Urteil vor dem der objektiven Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten gewidmeten Teil. 59 Davon scheint auch Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 140 f. (2006) auszugehen, ohne diesen Widerspruch allerdings anzumerken.

C. Kernaussagen des Mitsubishi-Urteils

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meinen Voraussetzungen der Rechtsgeschäftslehre.60 Wann nach der Parteivorstellung kartelldeliktische Ansprüche „in Verbindung mit“ einem Vertrag stehen, wurde gleichsam im Vorübergehen geklärt, indem der Supreme Court schlicht den Ausführungen des Instanzgerichts folgte respektive kartelldeliktische Ansprüche in die Reihe seiner recht kursorischen Rechtsprechung zu spezialgesetzlichen Ansprüche einreihte. Die entscheidenden Wörter „relating to“ erwähnte die Mehrheitsmeinung nicht einmal mehr. Allerdings traf das Gericht damit zugleich eine Aussage über schutzgutbezogene Erwägungen im Rahmen der Auslegung. Diese lässt das Gericht grundsätzlich als objektive Schranken der Vertragsauslegung gelten; diese objektive Schranke wird allerdings nur relevant, wenn sie sich explizit dem Gesetz entnehmen lässt, und kann nicht in spezialgesetzliche Vorschriften hineingelesen werden und so die subjektiven Vorstellungen der Parteien verändern. Das Kartelldeliktsrecht führt also in Ermangelung einer solch expliziten Anordnung nicht immanent ob seines Schutzguts zu einer anderen, einschränkenden Auslegung der Schiedsvereinbarung.

III. Schiedsfähigkeit und Eignung der Schiedsgerichte In der Antwort auf die neben der Auslegung der Schiedsvereinbarung zweite große streitgegenständliche Frage, die der objektiven Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten sowie damit einhergehend der Eignung von Schiedsgerichten zur Beilegung auch spezialgesetzlicher Ansprüche, setzte sich der Supreme Court mit der American Safety doctrine in der bekannten und einleitend dargestellten Weise auseinander.61 Auch insoweit vertraten die drei Richter des Minderheitenvotums eine abweichende Meinung, welche im Wesentlichen eine Bestätigung der American Safety doctrine darstellte und für diese Arbeit keine weitere Relevanz zeitigt.62 60 Für eine ähnliche Kritik vgl. Wagner, Prozessverträge, S. 202 ff., dort allerdings mit einem Fokus auf den Gegensatz von public policy und dem Schutz vor Übervorteilung nach der allgemeinen Vertragsrechtslehre. 61 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 ff. (1985); s. o. Kapitel 2 – B.I.2. Nur am Rande sei noch angemerkt, dass das dort auf S. 628 gefundene Ergebnis („By agreeing to arbitrate a statutory claim, a party does not forgo the substantive rights afforded by the statute; it only submits to their resolution in an arbitral, rather than a judicial, forum. It trades the procedures and opportunity for review of the courtroom for the simplicity, informality, and expedition of arbitration“), nach dem ein Schiedsgericht nur ein weiteres Forum zur Streitbeilegung sei, eine stillschweigende Abkehr von der früheren Rechtsprechung darstellt, wonach die Wahl eines Schiedsgerichts anstelle eines ordentlichen Gerichts Einfluss auf den Ausgang eines Rechtsstreits habe; zu diesem Punkt Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 733 f. (2012); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 140 ff. (2006); ähnlich Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 395 f. (2014); Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 834 (2012). 62 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 650 ff. (1985) (Stevens, J., dissenting); vgl. die spöttische Anmerkung auf S. 665: „The Court’s repeated incantation of the high ideals of ,international arbitration‘ creates the impression that this case involves the fate of an institution designed to implement a formula for world peace.“

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

IV. Die second look doctrine Auch auf das Konzept der second look doctrine beziehungsweise der Prüfung von Schiedssprüchen im Anerkennungsverfahren ist in dieser Arbeit bereits verschiedentlich eingegangen worden.63 Wiewohl der Supreme Court diesen Ausdruck nicht verwendete, hat die second look doctrine ihren Ursprung im Mitsubishi-Urteil und gab den Gerichten auf, einen Schiedsspruch einer zumindest rudimentären Prüfung zu unterziehen.64 Angemerkt sei hier nur, dass auch zeitgenössischen Beobachtern nicht recht klar war, weshalb das Gericht davon ausging, ein solcher Schiedsspruch werde überhaupt zur Vollstreckung in die USA zurückkehren.65

V. Die effective vindication doctrine und die prospective waiver doctrine Schließlich hat die hier im Fokus stehende US-amerikanische effective vindication doctrine ihren Ausgangspunkt im Mitsubishi-Urteil.66 In der Folgezeit gingen die Meinungen über die zutreffende Lesart der Doktrin weit auseinander, weshalb es sich lohnt, noch einmal den Kontext ihrer Entstehung zu rekapitulieren. Beim Kern der gegen die Schiedsfähigkeit des Kartellrechts streitenden American Safety doctrine – der „fundamentalen Bedeutung des Kartellrechts für das System des amerikanischen demokratischen Kapitalismus“67 – stellte der Supreme Court darauf ab, dass auch ein Schiedsgericht das maßgebliche Durchsetzungsinstrument, den dreifachen Schadensersatz gem. § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15), anwenden würde. Denn ein Schiedsgericht sei zwar keiner Rechtsordnung verpflichtet und schulde dieser deshalb auch nicht die Durchsetzung ihrer gesetzlichen Regelungen.68 Wo sich aber Parteien auf eine schiedsgerichtliche Streitbeilegung geeinigt hätten und der Streitgegenstand auch Ansprüche etwa wegen Verletzung amerikanischen Kartell-

63

Siehe oben Kapitel 2 – A.V.; Kapitel 2 – B.V.; Kapitel 2 – E.V. Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 f. (1985): „Having permitted the arbitration to go forward, the national courts of the United States will have the opportunity at the award-enforcement stage to ensure that the legitimate interest in the enforcement of the antitrust laws has been addressed. (…) While the efficacy of the arbitral process requires that substantive review at the award-enforcement stage remain minimal, it would not require intrusive inquiry to ascertain that the tribunal took cognizance of the antitrust claims and actually decided them.“ 65 Carbonneau, 40 Me. L. Rev. 263, 277 (1988): „As a practical matter, given the circumstances in Mitsubishi, it is unlikely that such an award would ever come to the United States for enforcement“ (Hervorhebung im Original); s. a. Wolff/Quinke, Art. V NYC Rn. 456 f. 66 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985). 67 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 634 (1985). 68 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 636 (1985): „(…) hence, it has no direct obligation to vindicate their statutory dictates.“ 64

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils

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rechts umfasse, sei das Schiedsgericht natürlich auch gehalten, genau das nationale Recht anzuwenden, dem der Anspruch entstamme.69 Die Verbindung von Rechts- und Forenwahlklausel, die es auch hier gab, war dem Supreme Court nur noch eine Erwähnung in Fußnote 19 wert, die allerdings als berüchtigte prospective waiver doctrine70 ein gewisses Eigenleben als Unterfall der effective vindication doctrine entwickeln sollte. Streitentscheidend im Urteil war sie nicht. Die Anwälte der vermeintlichen Kartelldeliquentin Mitsubishi hatten nämlich in der mündlichen Verhandlung „zugestanden“, dass amerikanisches Recht auf diese Ansprüche Anwendung fände, und so waren diese offenbar auch vom Schiedsgericht akzeptiert worden.71 Das war für das Gericht ausreichend. Denn damit scheide jedenfalls aus, dass es sich bei der Kombination (in tandem) dieser Vereinbarungen aus Sicht von Soler um einen prospektiven Verzicht (prospective waiver) auf die gesetzlichen Rechte nach dem Clayton Act gehandelt habe; bei einem solchen würde man nicht zögern, einen public policy-Verstoß festzustellen.72 So schloss denn der Supreme Court, nun wieder in den Entscheidungsgründen: „And so long as the prospective litigant effectively may vindicate its statutory cause of action in the arbitral forum, the statute will continue to serve both its remedial and deterrent function.“73

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung I. Vertragsauslegung Auch nachdem der Supreme Court die Frage der Auslegung der Schiedsvereinbarung in Mitsubishi eher unspektakulär entschieden hatte, ist vereinzelt vor Gerichten darüber gestritten worden, unter welchen Umständen kartelldeliktische Ansprüche in eine weite Schiedsklausel einzubeziehen sind. Auch hier kommt ein 69

Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 636 f. (1985). Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1239 f. (2010); Wolff/Quinke, Art. V NYC Rn. 434; a. A. anscheinend Schlosser, in: FS BGH, III, S. 399 (433 f.), der davon ausgeht, die US-amerikanische Rechtsprechung habe das in tandem-Argument „auf ganzer Linie verworfen“; die dortigen Ausführungen geben die Rechtsprechung nicht zutreffend wieder; ablehnend auch Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 247, 259 ff. 71 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637, Fn. 19 (1985). 72 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637, Fn. 19 (1985). „We merely note that in the event the choice-of-forum and choice-of-law clauses operated in tandem as a prospective waiver of a party’s right to pursue statutory remedies for antitrust violations, we would have little hesitation in condemning the agreement as against public policy.“ 73 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 (1985); bestätigt in Shearson/Am. Exp., Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 240 (1987). 70

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

Zwei-Stufen-Test zur Anwendung, der – in Abweichung von dem eigentlich auf die Schiedsfähigkeit bezogenen Test in Mitsubishi74 – lediglich danach fragt, ob es eine wirksame Schiedsvereinbarung gibt und der Streitgegenstand von dieser erfasst wird.75 Gerichte in den USA wenden weite Schiedsklauseln aber recht selbstverständlich auf spezialgesetzliche Ansprüche an, solange diese einen Bezug zum Vertrag haben oder mit diesem die Tatsachengrundlage teilen.76 Nur eindeutige Beweise eines entgegenstehenden Willens könnten ein abweichendes Ergebnis rechtfertigen.77 Als Grundlage gilt weiterhin der touch matters-Test, den die Gerichte insbesondere um die Formulierung erweitert haben, dass die Einordnung unabhängig von der dogmatischen Grundlage der geltend gemachten Ansprüche zu erfolgen habe.78 Auch prüfen Gerichte, ob der Vertrag hinweggedacht werden könnte, ohne dass der geltend gemachte Anspruch entfiele, was dann gegen eine Einbeziehung spräche.79 Für Kartellschadensersatzansprüche wird eine Einbeziehung bejaht,80 und zwar insbesondere mit der Erwägung, dass der kartellbedingt überhöhte Marktpreis in 74

S. o. Kapitel 3 – C.II.1. Ausführlich und instruktiv auch zur Frage, inwieweit hierfür auf das Recht der Bundesstaaten zurückgegriffen werden kann In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 519 ff. (3rd Cir. 2019); siehe zu dieser Entscheidung die Besprechung von Blanke, G.C.L.R. 2020, R7 (passim). 76 Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1455 ff. m. w. N. zu den denkbaren Formulierungen. 77 NCR Corp. v. Korala Assocs., Ltd., 512 F.3d 807, 813 (6th Cir. 2008); Simon v. Pfizer Inc., 398 F.3d 765, 775 (6th Cir. 2005); Masco Corp. v. Zurich Am. Ins. Co., 382 F.3d 624, 627 (6th Cir. 2004): „most forceful evidence“; diese Formulierung geht zurück auf United Steelworkers of Am. v. Warrior & Gulf Nav. Co., 363 U.S. 574, 585 (1960). 78 Genesco, Inc. v. T. Kakiuchi & Co., 815 F.2d 840, 846 (2nd Cir. 1987): „If the allegations underlying the claims ,touch matters‘ covered by the parties’ sales agreements, then those claims must be arbitrated, whatever the legal labels attached to them“; bestätigt etwa in Chelsea Family Pharmacy, PLLC v. Medco Health Sols., Inc., 567 F.3d 1191, 1197 f. (10th Cir. 2009); Brayman Const. Corp. v. Home Ins. Co., 319 F.3d 622, 626 (3rd Cir. 2003); Oldroyd v. Elmira Sav. Bank, FSB, 134 F.3d 72, 77 (2nd Cir. 1998). 79 NCR Corp. v. Korala Assocs., Ltd., 512 F.3d 807, 814 (6th Cir. 2008): „if an action can be maintained without reference to the contract or relationship at issue, the action is likely outside the scope of the arbitration agreement – along with the presumption in favor of arbitrability and the intent of the parties“, unter Bezugnahme auf Nestle Waters N. Am., Inc. v. Bollman, 505 F.3d 498, 505 (6th Cir. 2007), sowie dort Fazio v. Lehman Bros., 340 F.3d 386, 395 (6th Cir. 2003); s. a. S+L+H S.p.A. v. Miller-St. Nazianz, Inc., 988 F.2d 1518, 1524 (7th Cir. 1993): „a claim (…) that draws its very essence from the fact of and performance under the [Agreement] in question (…) necessarily is a claim that arises out of and relates to the Agreement.“ 80 So etwa in unterschiedlichen Fallkonstellationen In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 523 ff. (3rd Cir. 2019) („Any controversy or claim arising out of or relating to this agreement“; anders noch die Vorinstanz, In re Remicade Antitrust Litig., 2018 WL 5314775, 6 ff. (E.D. Pa. 2018), rev’d and remanded sub nom; In re Pharmacy Ben. Managers Antitrust Litig., 700 F.3d 109, 116 (3rd Cir. 2012) („Any and all controversies in connection with or arising out of this Agreement“); In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 282 (4th Cir. 2007); JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 171 ff. (2nd Cir. 2004) 75

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils

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Vertragskonditionen übersetzt werde81. Exemplarisch mag hierfür das Urteil in JLM Industries stehen, in dem sich der US Court of Appeals for the Second Circuit ausführlich und auch gerade vor dem Hintergrund des Mitsubishi-Urteils mit dem Zusammentreffen von Schiedsklauseln und Kartellschadensersatzansprüchen wegen horizontaler Wettbewerbsverstöße auseinandersetzte.82 Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass zwar die tatsächliche Grundlage der Ansprüche der Kartellgeschädigten in einer Absprache wurzele, die ihren Ursprung nicht in der von der Schiedsklausel abgedeckten Vertragsbeziehung zwischen Kartellantin und Kartellgeschädigter habe.83 Dessen ungeachtet habe sich diese Absprache aber auf die fragliche Vertragsbeziehung ausgewirkt, denn die Klägerin hätte ihre Schäden nicht erleiden können, wenn sie nicht in einer Vertragsbeziehung mit der Kartellantin die Vereinbarung getroffen hätte, kartellbedingt übersetzte Preise zu zahlen.84 Bei weiten („Any and all differences and disputes of whatsoever nature arising out of this Charter“); Spinelli v. Nat’l Football League, 96 F. Supp. 3d 81, 103 ff. (S.D.N.Y. 2015); In re Polyurethane Foam Antitrust Litig., 998 F. Supp. 2d 625, 637 ff. (N.D. Ohio 2014) („Any payment dispute of claim arising out of or relating to any product delivered to the buyer or any invoice relating thereto or any breach thereof“); In re A2P SMS Antitrust Litig., 972 F. Supp. 2d 465, 484 ff. (S.D.N.Y. 2013) („Any dispute, controversy or claim arising out of or relating to this Agreement“); In re TFT-LCD (Flat Panel) Antitrust Litig., 2011 WL 2650689, 4 f. (N.D. Cal. 2011) („Any disputes related to this Agreement or its enforcement“); In re Currency Conversion Fee Antitrust Litig., 265 F. Supp. 2d 385, 406 ff. (S.D.N.Y. 2003): (Any dispute, claim, or controversy (…) arising out of or relating to this Agreement); In re Universal Serv. Fund Tel. Billing Practices Litig., 300 F. Supp. 2d 1107, 1124 f. (D. Kan. 2003) („any dispute between [Parties] arising out of or relating to this Agreement… Any claim (…) of any kind, (…), whether sounding in contract, statue or tort“); B-S Steel of Kansas, Inc. v. Texas Indus., Inc., 229 F. Supp. 2d 1209, 1226 (D. Kan. 2002) („Any controversy or claim arising out of or related to these Conditions of Sale or any other transactions“); Bischoff v. DirecTV, Inc., 180 F. Supp. 2d 1097, 1106 (C.D. Cal. 2002) („any legal claim relating to this Agreement“); restriktiver aber Coors Brewing Co. v. Molson Breweries, 51 F.3d 1511, 1515 ff. (10th Cir. 1995) („Any dispute arising in connection with the implementation, interpretation or enforcement of this Agreement“). 81 In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 523 ff. (3rd Cir. 2019); JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 171 ff. (2nd Cir. 2004); In re TFT-LCD (Flat Panel) Antitrust Litig., 2011 WL 2650689, 4 f. (N.D. Cal. 2011); In re Currency Conversion Fee Antitrust Litig., 265 F. Supp. 2d 385, 406 ff. (S.D.N.Y. 2003). 82 JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 171 ff. (2nd Cir. 2004); siehe S. 179 ff. bejahend zur Frage, ob horizontale Streitigkeiten – in Abgrenzung zur Vertikalstreitigkeit im Mitsubishi-Urteil – schiedsfähig sind. 83 JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 175 (2nd Cir. 2004). 84 JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 175 (2nd Cir. 2004): „Rather, as was the case in [Mitsubishi], JLM will try to proffer evidence of a conspiracy which was formed independently of the specific contractual relations between the parties. Nevertheless, JLM asserts that it suffered damages as a result of this conspiracy, and it could not have suffered these damages if it had not entered into the ,nearly 80‘ contracts with the Owners (…). That is, the damages which JLM asserts it suffered as a result of the conspiracy among the Owners result from the fact that it entered into the charters, each of which specifies price terms which are variously characterized in the amended complaint as ,artificially high‘ and as ,overpayments.‘“ (Hervorhebung im Original); dazu Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 034: „Finally, the court accepted that the necessary link was a sort of ,without which not‘ test of causation. Without the

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

Schiedsklauseln sei unerheblich, ob die fraglichen Verhaltensweisen auch eine vertragliche Pflichtverletzung konstituierten;85 und während unklar bleibe, wo die Grenze bei von der Schiedsvereinbarung erfassten Nebenstreitigkeiten (collateral matters) zu ziehen sei, fielen Kartellschadensersatzansprüche jedenfalls noch in den Anwendungsbereich.86 Über die estoppel-Doktrin seien an die so ausgelegte Schiedsvereinbarung sogar Unternehmen gebunden, die diese nicht einmal gezeichnet hatten.87 Ein weiteres Gericht erkannte, es sei unerheblich, dass die Anwendung einer Schiedsklausel dazu führe, dass jede Geschädigte außer der konkreten Klägerin gegen die Kartellantin vorgehen könne; das sei kein merkwürdiges, sondern das einzig folgerichtige Ergebnis des konkret verhandelten Vertrages.88 Jüngst bestätigte ein Bundesberufungsgericht diesen Ansatz umfassend und führte insbesondere aus, es komme nicht darauf an, ob ein Kartellfolgevertag conditio-sine-quanon für den Anspruch sei; entscheidend sei, dass der konkrete Anspruch nicht ohne Bezugnahme und Berufung auf den Kartellfolgevertrag geltend gemacht werden könne.89

II. Die second look doctrine Mittlerweile schauen amerikanische Gerichte beim zweiten Blick nicht mehr besonders genau hin. Der public policy-Vorbehalt aus 9 U.S.C. § 207 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ erfährt eine sehr restriktive Auslegung durch die Bundesberufungsberichte, die die Schwelle für diesen von der im Schiedsverfahren unterlegenen

contract, there would have been no competition claim on any of the four bases“; bestätigt durch In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 523 ff. (3rd Cir. 2019). 85 JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 176 (2nd Cir. 2004). 86 JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 176 (2nd Cir. 2004). 87 JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 177 f. (2nd Cir. 2004); in Abgrenzung dazu allerdings restriktiver Ross v. Am. Exp. Co., 547 F.3d 137, 143 ff. (2nd Cir. 2008); auch In re Wholesale Grocery Prod. Antitrust Litig., 707 F.3d 917, 921 ff. (8th Cir. 2013); zur estoppelDoktrin Kapitel 2, Fn. 485. 88 In re Currency Conversion Fee Antitrust Litig., 265 F. Supp. 2d 385, 410 (S.D.N.Y. 2003); dazu Nazzini, EBLR 2008, 89 (96 f.). 89 In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 524 (3rd Cir. 2019): „But we are not swayed by the fact that RDC’s antitrust claims could not exist but-for the Agreement; what is dispositive is that they cannot be adjudicated without ,reference to, and reliance upon,‘ it“; ebenso EPIX Holdings Corp. v. Marsh & McLennan Companies, Inc., 410 N.J. Super. 453, 474 f. (App. Div. 2009), zum Recht des Bundesstaates New Jersey. Instruktiv ist das Verfahren In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig. auch insoweit, als dort zwar im Ausgangspunkt um das Recht des Bundesstaates New Jersey ging, welches auf das Schiedsvereinbarungsstatut anwendbar war, allerdings das Berufungsgericht eine Einbeziehung der Ansprüche in den sachlichen Anwendungsbereich der Klausel bejahte, ohne hierfür auf die Wertungen des FAA zurückgreifen zu müssen; s. a. die Besprechung von Blanke, G.C.L.R. 2020, R7 (passim).

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils

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Partei zu beweisenden Vorbehalt als „außerordentlich hoch“ und „extrem streng“90 bezeichnet haben. Eine Kontrolle der ermittelten Tatsachengrundlage oder der einfachen Rechtsanwendung findet nicht statt.91 Und auch wenn ohne eine abweichende Rechtswahlklausel von Gesetzes wegen US-amerikanische Eingriffsnormen auf den Fall Anwendung gefunden hätten, geht es – vielleicht anders, als das Mitsubishi-Urteil noch vermuten ließ92 – nicht darum, ob diese zur Anwendung gebracht wurden. Vielmehr geht es nur noch darum, ob eine Rechtsordnung zur Anwendung gekommen ist, die im Großen und Ganzen vergleichbare Rechtsbehelfe kennt, sodass die Anerkennung des Schiedsspruchs keinen grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspricht.93 Was das heißt, hat die kartellrechtliche Rechtssache Baxter94 verdeutlicht. Dort sollte ein Schiedsspruch im Anwendungsbereich von 9 U.S.C. § 207 vollstreckt werden. Wortreich verweigerte das zuständige Bundesberufungsgericht für den 7. Bezirk im Exequaturverfahren eine Prüfung in der Sache, obwohl der Vorwurf im Raum stand, das Schiedsgericht habe mit seiner Auslegung in einem Lizenzdisput im Wege einer Gebietsaufteilung einer Partei ein Monopol eingeräumt, also einen per se-Verstoß gegen § 1 Sherman Act (15 U.S.C. § 1) begangen.95 Die Autorität von Schiedsgerichten, so das Berufungsbericht, umfasse es zwar nicht, Gesetzesverstöße anzuordnen, aber ob die Auslegung des Verfahrens zwischen den Schiedsparteien einen solchen Effekt habe, sei eben eine Rechtsfrage, die zu entscheiden alleinige Aufgabe des Schiedsgerichts gewesen sei. In kartellrechtlichen Sachverhalten reiche aus, dass das Schiedsgericht das kartellrechtliche Problem ausgemacht und behan-

90 Chevron Corp. v. Republic of Ecuador, 949 F. Supp. 2d 57, 69 (D.D.C. 2013), m. w. N.; s. a. Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 487, 496 (11th Cir. 2019); Inversiones y Procesadora Tropical INPROTSA, S.A. v. Del Monte Int’l GmbH, 921 F.3d 1291, 1306 (11th Cir.); Encyclopaedia Universalis S.A. v. Encyclopaedia Britannica, Inc., 403 F.3d 85, 90 (2nd Cir. 2005). 91 United Paperworkers Int’l Union, AFL-CIO v. Misco, Inc., 484 U.S. 29, 36 ff. (1987); Nauru Phosphate Royalties, Inc. v. Drago Daic Interests, Inc., 138 F.3d 160, 164 f. (5th Cir. 1998); Executone Info. Sys., Inc. v. Davis, 26 F.3d 1314, 1320 (5th Cir. 1994). 92 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 f. (1985); allerdings hatte Carbonneau eine entsprechende Entwicklung vorhergesehen, Carbonneau, 19 Vand. J. Transnat’l L. 265, 285, 297 (1986): „[T]he defined standard (…) operates as a ploy, a meaningless token by which to give the semblance of protection to national interests where no such safeguard in fact exists“; „The confusing and potentially dangerous shift of domestic public law concerns to the enforcement stage is likely to be ineffectual, destined to act as the shadow of a safeguard rather than a genuine means of protection“; zustimmend Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 186 ff., der die Prüfung in die Nähe eines Placebo rückt. 93 Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 487, 503 f. (11th Cir. 2019); dazu noch unten Kapitel 3 – E.V. 94 Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829 (7th Cir. 2003). 95 Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829, 831 ff. (7th Cir. 2003); siehe dazu auch Nazzini, EBLR 2008, 89 (98); Blanke/Landolt/Levin/Price, Rn. 39 – 036 f.; Blanke/Landolt/ Joelson, Rn. 33 – 040 f.

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

delt habe.96 Verstoße der Schiedsspruch dann tatsächlich gegen das Kartellrecht, könnten ja etwa die von dem Schiedsspruch nicht gebundenen US-Bundesbehörden gegen den Wettbewerbsverstoß vorgehen; zwischen den Parteien des Schiedsverfahrens aber sei das letzte Wort gesprochen.97 Eine Überprüfung dieses Urteils wurde von der Mehrheit der Richter:innen am Berufungsgericht für den 7. Bezirk und auch vom Supreme Court abgelehnt.98 Das fügt sich in die Tendenz, wonach allenfalls ganz vereinzelt internationalen Schiedssprüchen die Anerkennung wegen eines public policy-Vorbehalts verweigert wird, was auch daran liegt, dass selbst in Fällen, in denen Gerichte einen möglichen Vorbehalt der öffentlichen Ordnung identifiziert haben, dieser durch die schiedsfreundliche Einstellung noch überlagert wird99. Bei inländischen Schiedssprüchen findet 9 U.S.C. § 10 Anwendung, der Art. 5 UNÜ nicht spiegelt, sondern nur einzelne Teilaspekte nennt.100 Das führt zu der Frage, ob es noch weitere, ungeschriebene Gründe für die Aufhebung eines Schiedsspruchs gibt. Entwickelt wurden durch die Rechtsprechung richterrechtliche Ausnahmen unter Rekurs auf allgemeine Prinzipien des common law. Hiernach kann ein Schiedsspruch vor allem dann aufgehoben werden, wenn er arbitrary and capricious ergeht, einen manifest disregard of the law darstellt oder einen ein Verstoß gegen public policy begründet.101 Der public policy-Test wird ähnlich restriktiv ausgelegt wie im Anwendungsbereich des UNÜ, wurde aber gleichwohl ehemals vom Supreme Court anerkannt.102 Der Vorbehalt eines manifest disregard of the law hat zur Voraussetzung, dass sich das Schiedsgericht bewusst über ein ihm bekanntes und evident auf den Fall anwendbares Rechtsprinzip hinweggesetzt hat, was eben96 Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829, 832 (7th Cir. 2003): „The arbitral tribunal in this case ,took cognizance of the antitrust claims and actually decided them.‘ Ensuring this is as far as our review legitimately goes“, unter Bezugnahme auf Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985); zustimmend Stawski Distrib. Co. v. Browary Zywiec S.A., 349 F.3d 1023, 1025 (7th Cir. 2003); siehe aber auch das Minderheitenvotum, Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829, 836 (7th Cir. 2003) (Cudahy, J., dissenting): „Now, the majority has taken the process one giant step further and has found that Mitsubishi not only allows submission of statutory and antitrust claims to arbitration, but denies our prerogative to refuse to enforce awards that command unlawful conduct. (…) This cannot be correct. While Mitsubishi and its progeny make clear that the choice of the arbitral forum is to be respected, they do not confer on the arbitrators a prerogative to preemptively review their own decisions and receive deference on that review in subsequent judicial evaluations.“ 97 Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829, 832 ff. (7th Cir. 2003), mit einem hämisch anmutenden Hinweis auf vergangene Rechtsverstöße durch die hier im Schiedsverfahren unterlegene Partei. 98 Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829 (7th Cir. 2003), reh’g denied, 325 F.3d 945, cert. denied, 540 U.S. 963 (2003). 99 Siehe etwa zum Recht des Bundesstaates New York, Telenor Mobile Commc’ns AS v. Storm LLC, 524 F. Supp. 2d 332, 356 ff. (S.D.N.Y. 2007), aff’d, 584 F.3d 396, 410 f. (2nd Cir. 2009). 100 Zum Wortlaut des 9 U.S.C. § 10 bereits oben Kapitel 2, Fn. 510. 101 Sundquist, 2015 J. Disp. Resol. 407, 410 ff. (2015); Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 122 jew. m. w. N. aus der Rechtsprechung. 102 United Paperworkers Int’l Union, AFL-CIO v. Misco, Inc., 484 U.S. 29, 42 f. (1987).

D. Fortschreibung des Mitsubishi-Urteils

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falls einen sehr schwer zu beweisenden Standard darstellt.103 Diese Vorbehalte wurden bereits zur Überprüfung inländischer Schiedssprüche kartellrechtlichen Inhalts herangezogen, wo die Kontrolle zumindest über den Baxter-Standard auch hinausging.104 Die Zukunft dieser richterrechtlich entwickelten Kontrollmaßstäbe ist allerdings unklar, nachdem der Supreme Court in Hall Street geurteilt hatte, dass Parteien zu einem schiedsgerichtlichen Verfahren wegen der pro enforcement bias unter dem FAA die in 9 U.S.C. § 10 kodifizierte Reichweite der gerichtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen nicht vertraglich erweitern konnten.105 Damit besteht die reelle – und bei Betrachtung der übrigen Rechtsprechung auch keineswegs fernliegende – Möglichkeit, dass bei der gerichtlichen Kontrolle inländischer Schiedssprüche in den USA überhaupt kein public policy-Vorbehalt mehr existiert.106

III. Die effective vindication doctrine und die prospective waiver doctrine Die effective vindication doctrine ist für den weiteren Fortgang der Untersuchung zentral, da sie die amerikanische Antwort auf die Frage darstellt, wie die Effektivität des Kartellrechts in der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung sichergestellt bleiben soll. Zudem hat sie im Gegensatz zu den vorstehenden Fragen den Supreme Court auch noch nach Mitsubishi wiederholt beschäftigt. Deshalb wird ihr im Folgenden ein eigener Abschnitt gewidmet. 103 Telenor Mobile Commc’ns AS v. Storm LLC, 584 F.3d 396, 407 f. (2nd Cir. 2009); Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 123. 104 Am. Cent. E. Texas Gas Co. v. Union Pac. Res. Grp., Inc., 93 F. App’x 1, 5 ff. (5th Cir. 2004). 105 Hall St. Assocs., L.L.C. v. Mattel, Inc., 552 U.S. 576, 584 ff. (2008); s. a. Stolt-Nielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662, 672 (Fn. 3) (2010): „We do not decide whether ,manifest disregard‘ survives our decision in [Hall Street], as an independent ground for review or as a judicial gloss on the enumerated grounds for vacatur set forth at 9 U.S.C. § 10“; zum jetzt entstandenen circuit split zur Frage, ob die in 9 U.S.C. § 10(a) aufgeführten Gründe zur vacatur richterrechtlich erweitert werden können, vgl. die Nachweise bei Sundquist, 2015 J. Disp. Resol. 407, 413 f. (2015); Balthasar/Niedermaier, Kapitel S Rn. 123; explizit eine eigenständige public policy-Prüfung ablehnend etwa Soaring Wind Energy, LLC v. CATIC USA, Inc. 333 F.Supp.3d 642, 655 f. (N.D. Tex. 2018); Am. Postal Workers Union, AFL-CIO v. U.S. Postal Serv., 2010 WL 1962676, S. 2 f. (N.D. Tex. 2010); jeweils unter Berufung auf Citigroup Glob. Markets, Inc. v. Bacon, 562 F.3d 349, 358 (5th Cir. 2009), wo es allerdings um die public policyPrüfung unmittelbar gar nicht ging; anders aber Grigsby & Assocs., Inc. v. M Sec. Inv., 635 F. App’x 728, 733 (11th Cir. 2015). 106 Zumindest auf Bundesebene ist dies eine naheliegende Annahme; so auch Sundquist, J. Disp. Resol. 407, 407, 420 (2015); nicht weiter eingegangen werden kann hier auf die Möglichkeit einer erweiterten Prüfung unter dem Recht der Bundesstaaten, auf die der Supreme Court in Hall Street hingewiesen hatte, Hall St. Assocs., L.L.C. v. Mattel, Inc., 552 U.S. 576, 590 (2008).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

E. Die Agonie der effective vindication doctrine I. Die Anwendung in der weiteren höchstgerichtlichen Rechtsprechung In der Rechtsprechung des Supreme Court hat die effective vindication doctrine in der Folgezeit wiederholt in Fällen Erwähnung gefunden, in denen spezialgesetzliche Ansprüche einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung zugeführt werden sollten. Der große praktische Durchbruch blieb ihr allerdings verwehrt. 1. Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp und 14 Penn Plaza LLC v. Pyett Ein Bereich, in dem die effective vindication doctrine bestätigend zitiert wurde, ist der der Altersdiskriminierung (Rechtssachen Gilmer und 14 Penn Plaza).107 Hier wehrte sich ein Arbeitnehmer letztlich vergeblich dagegen, seine spezialgesetzlichen Ansprüche wegen Alterdiskriminierung durch seine Arbeitgeberin vor Schiedsgerichten durchsetzen zu müssen.108 Vor dem Supreme Court wurde ausführlich über die Adäquanz der anzuwendenden Schiedsverfahrensregelungen109 und auch darüber gestritten, ob die in der Schiedsgerichtsbarkeit eingeschränkte Möglichkeit der discovery ausreichend sei. Ja, so das Gericht – eine schlankere discovery sei ein Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit und etwaige sich daraus ergebende Nachteile würden durch eine flexiblere Beweiswürdigung ausgeglichen.110 Da die Kostenfrage eine wiederkehrende ist, sei daneben noch erwähnt, dass nach den anzuwendenden

107 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20 (1991); 14 Penn Plaza LLC v. Pyett, 556 U.S. 247 (2009). 108 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 28 (1991), dort wurde vorbehaltlos auf Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 (1985) Bezug genommen; 14 Penn Plaza LLC v. Pyett, 556 U.S. 247, 273 f., (2009): „(…) a substantive waiver of federally protected civil rights will not be upheld (…)“ unter Bezugnahme auf Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637, Fn. 19 (1985) – also ausdrücklich auf Fußnote 19 wie auch auf die eigentliche effective vindication doctrine – sowie auf Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 29 (1991), wobei allerdings eine Prüfung in der Sache wegen prozessualer Präklusion unterblieb. 109 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 28 ff. (1991). 110 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 31 (1991): „It is unlikely, however, that age discrimination claims require more extensive discovery than other claims that we have found to be arbitrable, such as RICO and antitrust claims. (…) Although those procedures might not be as extensive as in the federal courts, by agreeing to arbitrate, a party ,trades the procedures and opportunity for review of the courtroom for the simplicity, informality, and expedition of arbitration‘“; zu diesem Teil des Mitsubishi-Urteils siehe bereits oben Kapitel 3, Fn. 61.

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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Verfahrensvorschriften die Arbeitgeberinnen die Kosten der Schiedsrichter:innen zu tragen hatten.111 2. Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer Ein weiterer Bereich ist der der Seefrachtverträge. In Vimar Seguros112 beanspruchte die Klägerin vor ordentlichen Gerichten Schadensersatz wegen Beschädigung der Fracht. Dieser Fall gab dem Supreme Court die Gelegenheit zur Anwendung der effective vindication doctrine in ihrer ganzen Blüte, also insbesondere auch mit Fußnote 19 des Mitsubishi-Urteils. § 3(8) COGSA113 enthielt eine Bestimmung, wonach jede Klausel nichtig war, die eine Verringerung der Haftung des Schiffes selbst oder der Frachtführerin herbeiführte. Die Klägerin wehrte sich gegen die motion to compel arbitration mit dem Argument, dass die Prozessführung vor dem vertraglich vereinbarten japanischen Schiedsgericht mit einem auch monetär erheblichen Aufwand verbunden sei und dieses – wie vertraglich vereinbart – japanisches Recht und nicht etwa den COGSA anwenden würde, was jeweils ihre Aussichten auf vollen Schadensersatz mindern würde. Der Supreme Court lehnte beide Argumente ab. Eine Kostenaufstellung der möglicherweise entstehenden Kosten der Rechtsverfolgung sei nicht zielführend und auch nicht geeignet, inländische von ausländischer Rechtsverfolgung abzugrenzen.114 Ebenso sei im Einredeverfahren spekulativ, ob das japanische Schiedsgericht den COGSA anwenden würde und zu welchem Ergebnis es letztlich käme, wenn es ihn nicht anwendete.115 Gleichzeitig bestätigte der Supreme Court aber auch sein obiter dictum in Fußnote 19 des Mitsubishi-Urteils und erweiterte dieses um den Zusatz, dass für die Abwendung eines public policy-Verstoßes im Einredeverfahre die hier bestehende Möglichkeit einer anerkennungsrechtlichen Kontrolle maßgeblich sei.116 111 Dieser Umstand ergibt sich nicht unmittelbar aus Gilmer, wohl aber aus bezugnehmenden Urteilen, etwa Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 94 (2000) (Ginsburg, J., concurring in part and dissenting in part). 112 Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528 (1995). 113 Carriage of Goods by Sea Act, 46 U.S.C. app. § 1303(8) (1988). 114 Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528, 540 (1995): „Whatever the merits of petitioner’s comparative reading of COGSA and its Japanese counterpart, its claim is premature. At this interlocutory stage it is not established what law the arbitrators will apply to petitioner’s claims or that petitioner will receive diminished protection as a result. (…) Respondents seek only to enforce the arbitration agreement. (…) It would be unwieldy and unsupported by the terms or policy of the statute to require courts to proceed case by case to tally the costs and burdens to particular plaintiffs in light of their means, the size of their claims, and the relative burden on the carrier.“ 115 Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528, 540 f.(1995): „As the District Court has retained jurisdiction, mere speculation that the foreign arbitrators might apply Japanese law which, depending on the proper construction of COGSA, might reduce respondents’ legal obligations, does not in and of itself lessen liability under COGSA § 3(8).“ 116 Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528, 540 (1995), unter Verweis auf Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637,

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3. Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph In Green Tree klagte eine Kreditnehmerin als Verbraucherin gegen ihre Kreditgeberin auf Schadensersatz.117 Im Vertrag enthalten war eine Schiedsklausel, die sich allerdings über die Kosten eines Schiedsverfahrens ausschwieg. Die Verbraucherin argumentierte, dies belaste sie mit im Einzelnen nicht absehbaren, potentiell prohibitiven Kosten der Rechtsverfolgung – Kosten der Anmeldung des schiedsgerichtlichen Verfahrens, für Schiedsrichter:innen und Verwaltungsgebühren118 – und sei somit geeignet, ihr die effektive Durchsetzung ihrer spezialgesetzlichen verbraucherschützenden Ansprüche119 zu erschweren. Der Supreme Court referierte seine Rechtsprechung aus Mitsubishi und Gilmer120 und stellte ausgehend hiervon fest, dass prohibitive Kosten eines schiedsgerichtlichen Verfahrens prinzipiell geeignet sein könnten, die Klägerin von der effektiven Durchsetzung ihrer gesetzlichen Rechte abzuhalten.121 Genauso, wie die Beweislast für die erfolgreiche Verteidigung gegen eine Schiedsklausel im Rahmen des ZweiStufen-Tests122 nach Gilmer die Partei treffe, die sich gegen das schiedsgerichtliche Verfahren wehre, treffe diese nun auch die Beweislast dafür, dass durch die schiedsgerichtliche Streitbeilegung Kosten entstünden, die einer effektiven Verwirklichung entgegenstünden.123 Dies allerdings war im gerichtlichen Verfahren nicht dargetan worden, und in Ermangelung des Vortrages wäre eine Invalidierung der Schiedsklausel „spekulativ“,124 weshalb der Supreme Court offenließ, wie substantiiert ein entsprechender Vortrag zu erfolgen hätte.125

Fn. 19 (1985): „Were there no subsequent opportunity for review and were we persuaded that ,the choice-of-forum and choice-of-law clauses operated in tandem as a prospective waiver of a party’s right to pursue statutory remedies …, we would have little hesitation in condemning the agreement as against public policy.‘“ (Auslassungen im Original). 117 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79 (2000). 118 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90, Fn. 6 (2000). 119 Truth in Lending Act (TILA), 15 U.S.C. §§ 1601 ff. und Equal Credit Opportunity Act (ECOA), 15 U.S.C. §§ 1691 ff. 120 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90 (2000), unter Bezugnahme auf Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 28 (1991); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 (1985). 121 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90 (2000): „It may well be that the existence of large arbitration costs could preclude a litigant such as Randolph from effectively vindicating her federal statutory rights in the arbitral forum.“ 122 Siehe zu diesem Test oben Kapitel 3 – C.II.1. 123 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 92 (2000): „Similarly, we believe that where, as here, a party seeks to invalidate an arbitration agreement on the ground that arbitration would be prohibitively expensive, that party bears the burden of showing the likelihood of incurring such costs. Randolph did not meet that burden.“ 124 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 91 (2000): „The ,risk‘ that Randolph will be saddled with prohibitive costs is too speculative to justify the invalidation of an arbitration agreement.“

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4. PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book Schließlich sei noch die Entscheidung PacifiCare aufgeführt, in der der Supreme Court zwar die effective vindication doctrine nicht erwähnte, aber seine darauf basierende Rechtsprechung aus Vimar Seguros fortschrieb.126 Die Klägerinnen machten dort, gestützt auf 18 U.S.C. § 1964(c), dreifachen Schadensersatz nach den RICOVorschriften geltend. In der Schiedsvereinbarung wurde allerdings die Gewährung von punitive damages ausgeschlossen.127 Der Supreme Court entschied diese Rechtssache letztlich wie auch die Rechtssache Vimar Seguros. Es sei nämlich keineswegs eindeutig, was genau der Ausschluss von punitive damages meine; schließlich seien die nach dem RICO Act, aber auch nach dem Clayton Act zu gewährenden treble damages zumindest auch remedial, also kompensatorischer Natur.128 Möglicherweise würden das auch Schiedsrichter:innen so sehen und ungeachtet der Schiedsklausel dreifachen Schadensersatz zusprechen, hätte also die Beschränkung der Kompetenz des Schiedsgerichts keine Auswirkungen.129 Da das unklar sei, verbiete sich wiederum eine Spekulation durch die ordentlichen Gerichte, und seien die Parteien zunächst an das Schiedsgericht zu verweisen.130

II. Kristian v. Comcast Corp. (1st Cir. 2006) Auch die instanzgerichtliche Rechtsprechung hatte Gelegenheit, die effective vindication doctrine anzuwenden. Aus den zahllosen Rechtsprechungsfällen131 soll hier vor allem das Urteil Kristian v. Comcast Corp. hervorgehoben werden,132 da es 125 Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90 ff. (2000). In der Frage der Beweislast erging das Urteil allerdings nur mit 5 – 4 Stimmen entlang der ideologischen Linien der Richter:innen. Die Minderheit stellte heraus, dass dem in Gilmer klagenden Arbeitnehmer die Möglichkeit eines kostenlosen Schiedsverfahrens zur Verfügung gestanden hatte, weshalb sich dort die Frage, inwieweit Verfahrenskosten eine Auswirkung auf die effektive Rechtsdurchsetzung haben konnten, gar nicht gestellt habe. Die Mehrheit vermische indes zu trennende Aspekte – generelle Adäquanz des Schiedsgerichts zur Entscheidung der Streitigkeit dort, Zugangsbarrieren zum Forum in Form von Verfahrenskosten hier – und irre so auch, wenn sie einen Gleichlauf der Darlegungs- und Beweislast annehme. Schließlich trete hier eine Verbraucherin einem Unternehmen gegenüber, welches über diese in den AGB festgelegte Art des schiedsgerichtlichen Verfahrens über Informationen verfügen müsse und deshalb mit einer sekundären Darlegungslast belastet werden könne, Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 93 ff. (2000) (Ginsburg, J., concurring in part and dissenting in part). 126 PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book, 538 U.S. 401 (2003). 127 PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book, 538 U.S. 401, 403, 406 (2003). 128 PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book, 538 U.S. 401, 405 (2003). 129 PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book, 538 U.S. 401, 405 ff. (2003). 130 PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book, 538 U.S. 401, 406 f. (2003). 131 Div. Nachweise aus der Rechtsprechung bei Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, 833 f. 836 (2012); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 736 ff. (2012), namentlich zum Auschluss von class actions sowie der Problematik der durch das Schiedsverfahren verursachten Kosten. 132 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25 (1st Cir. 2006).

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eine Vielzahl denkbarer Anwendungsmöglichkeiten der Doktrin aufzeigt und dabei nicht nur die vorstehende ältere Rechtsprechung des Höchstgerichts aufgreift, sondern aus dieser einen Gegenentwurf zur neueren Rechtsprechung schreibt. Die Klägerinnen, die sich für die Geltendmachung von Ansprüchen gem. § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15(a)) zusammengeschlossen hatten, wehrten sich gegen die Verweisung an das Schiedsgericht. Gegen die Wirksamkeit der Schiedsklausel brachten sie vor, die eingeschränkten Möglichkeiten zur discovery, eine auf ein Jahr verkürzte Verjährungsfrist, der Ausschluss von treble damages, von Kostenerstattungsregelungen und von class arbitrations mache ihnen die effektive Verwirklichung ihrer Rechte unmöglich.133 Bei einer Schadenssumme, die sich pro Klägerin im maximal vierstelligen Bereich bewegte, drohten Verfahrenskosten im hohen sechs- oder gar siebenstelligen Dollar-Bereich.134 Das Gericht nahm sich jedem dieser Einwände minutiös an.135 Zur eingeschränkten discovery merkte es an, diese Frage sei durch den Supreme Court in Gilmer bereits abschließend geklärt worden und einer erneuten Bewertung nicht zugänglich.136 Es handele sich dabei auch um eine prozessuale Frage.137 Prozessuale Fragen dieser Art, ebenso wie die der Wirksamkeit der abgekürzten Verjährung, hätten einen potentiellen Bezug zu den Tatsachenfragen des Falles und seien wie diese vom Schiedsgericht zu beantworten.138 Anders aber der Ausschluss der treble damages gem. § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15(a)). Hierin sah das Gericht ohne jeden Zweifel139 genau die in Mitsubishi angesprochene Konstellation eines waivers und invalidierte den Ausschluss, aufgrund einer salvatorischen Klausel indes nicht die Schiedsgerichtsvereinbarung140.141 Auch in den Regelungen zur Kostentragung erblickte das Ge133 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 37 (1st Cir. 2006); siehe für die entsprechenden Bestandteile der formularmäßigen Schiedsvereinbarung u. a. S. 32 ff., 42, 44, 48, 50, 52 f. 134 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 54, 58 f. (1st Cir. 2006). 135 Erheblichen Begründungsaufwand verwendeten die Richter:innen dabei auf die Frage, wer insoweit zur Entscheidung berufen sei, das ordentliche Gericht oder das Schiedsgericht. Diese Ausführungen sind weniger relevant als die Aussagen, die das Gericht letztlich in der Sache traf, und werden deshalb hier nicht wiedergegeben. Ebenfalls wird hier nicht auf die wesentlich gleichgelagerten klägerischen Ansprüche wegen Wettbewerbsverstoßes unter dem Recht des Bundesstaates Massachusetts eingegangen. 136 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 42 f. (1st Cir. 2006); siehe zu Gilmer oben Kapitel 3 – E.I.1.; für eine ausführlichere Begründung bei einem vergleichbaren Sachverhalt siehe In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 285 ff. (4th Cir. 2007); Booker v. Robert Half Int’l, Inc., 413 F.3d 77, 81 ff. (D.C. Cir. 2005). 137 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 43 (1st Cir. 2006). 138 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 43 ff. (1st Cir. 2006); ausführlich zu einer Verkürzung der Verjährungsfristen auch In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 287 ff. (4th Cir. 2007). 139 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 45 ff. (1st Cir. 2006) in Abgrenzung zu PacifiCare Health Sys., Inc. v. Book, 538 U.S. 401, 407 (2003). 140 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 48 f. (1st Cir. 2006). Aus deutscher Perspektive mag verwundern, dass das Gericht mit einer salvatorischen Klausel eine rechtswidrige formularmäßige Schiedsvereinbarung aufrechterhielt. Ein naheliegender Einwand wäre, Ver-

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richt einen eindeutigen Widerspruch zu der gesetzlichen Vorschrift des 15 U.S.C. § 15(a).142 Unter Beachtung des aus Green Tree heranzuziehenden Beweismaßstabs sei offensichtlich, dass – gerade im Kartellrecht – die Belastung mit prohibitiven Kosten drohe, weshalb das Gericht auch diese Regelung invalidierte.143 Und diese Besonderheiten des Kartellrechts sollten letztlich auch dem Ausschluss der class arbitration entgegenstehen. Dort sei es erstens wegen der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität solcher Fälle aus Sicht der Geschädigten unvorstellbar, nicht kollektiv vorzugehen, zweitens gebe es weder für die Geschädigten noch für Anwält:innen ökonomische Anreize, sich der Fälle anzunehmen, und so würde auch, drittens, das kartellrechtliche private enforcement insgesamt geschwächt, was den Vorstellungen des Gesetzgebers widerspreche.144

III. Dogmatische Überlegungen Reichweite und dogmatische Verortung der effective vindication doctrine sind teils unklar und sollen hier aufbereitet werden. Erkennbar ist, dass die Doktrin ein Artefakt der objektiven Schiedsunfähigkeit (non-arbitrability) spezialgesetzlicher Ansprüche ist, wie sie bis zur Mitsubishi-Trilogie145 vorherrschend war.146 Ihr ursprünglicher wenderinnen hiermit zur Erstellung einer solchen Klausel zu ermuntern. Dieses Argument wurde in Booker v. Robert Half Int’l, Inc., 413 F.3d 77, 84 ff. (D.C. Cir. 2005) m. w. N. ausführlich und gerade auch als Anwendungsfall der effective vindication doctrine besprochen. Das Gericht sah in der Aufrechterhaltung einer allerdings nur in einem Punkt rechtswidrigen Klausel den Parteiwillen eher verwirklicht als in der Invalidierung der gesamten Klausel. Angemerkt sei allerdings, dass das Gericht die Doktrin dort systematisch fehlerhaft auf bundesstaatliches Recht anwendete, siehe dazu Andresen v. IntePros Fed., Inc., 240 F. Supp. 3d 143, 154 f. (D.D.C. 2017); McGill v. Citibank, N.A., 181 Cal. Rptr. 3d 494, 505 (Ct. App. 2014) (aufgehoben aus anderen Gründen durch 345 P.3d 61 (Cal. 2015)); siehe zu dieser Unterscheidung auch noch die nachstehenden Ausführungen sowie unten Kapitel 3 – E.IV.3.d)aa). 141 Für die Invalidierung in vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen auch Booker v. Robert Half Int’l, Inc., 413 F.3d 77, 83. (D.C. Cir. 2005); Hadnot v. Bay, Ltd., 344 F.3d 474, 478, Fn. 14 (5th Cir. 2003). 142 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 50 ff. (1st Cir. 2006). 143 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 51 ff. (1st Cir. 2006): „The [Supreme] Court’s assumption that a showing of prohibitive arbitration costs is a valid challenge to enforcement of an arbitration agreement makes practical sense. If, because of a consumer agreement – for example, the Policies & Practices – a plaintiff’s only apparent dispute resolution forum is binding, mandatory arbitration, and the plaintiff cannot afford to arbitrate because of an inability to recover attorney’s fees and costs, the plaintiff is essentially deprived of any dispute resolution forum whatsoever. (…) [Witnesses’] declarations establish that the pursuit of Plaintiffs’ antitrust claims will require a huge outlay of financial resources. Without the possibility of recovering costs and attorney’s fees, an individual plaintiff would undoubtedly have an impossible time securing legal representation in either Plaintiff, given the minor amount an individual plaintiff would likely recover relative to the cost of prosecution“; siehe zu Green Tree oben Kapitel 3 – E.I.3. 144 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 57 ff. (1st Cir. 2006). 145 Zu dieser Begrifflichkeit vgl. oben Kapitel 2 – B.I.2.

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Anwendungsbereich ist ein materiellrechtlicher Ausschluss, denn in Mitsubishi war fraglich gewesen, ob das Schiedsgericht mit dem Sherman Act materielles Wettbewerbsrecht anwenden würde.147 Die Doktrin ist im B2B-Kontext entwickelt worden und deshalb nicht auf strukturelle Ungleichlagen beschränkt.148 Ihr Sinn und Zweck ist es, im öffentlichen Interesse liegende, potentiell widerstreitende Zielvorstellungen des Gesetzgebers auszugleichen.149 Einerseits betrifft dies die schon dargestellte schiedsfreundliche Einstellung, ausgedrückt im FAA, die zumindest das Ziel hat, Schiedsvereinbarungen auf eine Stufe mit anderen Verträgen zu heben, sowie die grundlegende und zur objektiven Schiedsfähigkeit führende Annahme, dass die Schiedsgerichtsbarkeit ein zur Beilegung spezialgesetzlicher Ansprüche geeignetes Forum ist.150 Andererseits soll sie dabei helfen, den in weiteren spezialgesetzlichen Regelungswerken verkörperten Wertungen auch – beziehungsweise durch die Zurverfügungstellung einer weiteren prozessualen Möglichkeit noch verstärkt151 – dann zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn der Streitgegenstand als schiedsfähig angesehen und deshalb der korrespondierende Anspruch vor einem Schiedsgericht verfolgt wird.152 Im Falle des Kartellrechts verfolgt der Gesetzgeber wie aufgezeigt einen bunten Strauß an Zielen, von denen die Abschreckung der Schädigerinnen sowie die Kompensation der Geschädigten die gewichtigsten sind.153 Insoweit, als die effective vindication doctrine diese gesetzgeberischen Ziele austariert, betrifft sie nur das Verhältnis mehrerer bundesrechtlicher Normen zueinander.154 Green Tree ist für das Verständnis der Dogmatik der Doktrin ebenfalls zentral. Hier erweiterte der Supreme Court ihren Anwendungsbereich nämlich über den materiellrechtlichen Ausschluss der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche auch auf die Konstellation, dass Anmelde- und Verwaltungsgebühren die

146 Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 724, 745 (2012) („the ghost of the non-arbitrability doctrine“); ebenso Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 8 f. (2015). 147 Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 4 (2013). 148 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 614 (1985); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 749 f. (2012). 149 Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 170 ff. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 401 (2014). 150 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3062 ff. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 401 f. (2014); zur schiedsfreundlichen Einstellung vgl. oben Kapitel 3 – B.II. 151 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3063 f. (2015). 152 Bykov, 50 U.C.D. L. Rev. 1323, 1332 f. (2017); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3063 f. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 402 f. (2014). 153 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 (1985); s. a. ebd., S. 652: „The unique public interest in the enforcement of the antitrust laws is repeatedly reflected in the special remedial scheme enacted by Congress“; siehe zu den mit dem private enforcement verfolgten Zielen im US-Recht bereits oben Kapitel 2 – C.I.3.a). 154 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 252 (2013) (Kagan, J., dissenting); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 957 f. (2013); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 726, 743 f. (2012).

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Durchsetzung spezialgesetzlicher Rechte erschweren.155 Dabei handelt es sich im Gegensatz zu der in Mitsubishi behandelten aber um eine prozessuale Fragestellung,156 was gleichzeitig nahezulegen scheint, dass die Doktrin über den dortigen engen Anwendungsfall hinaus eine grundsätzliche Rolle bei der Sicherstellung des Justizzugangs einnimmt157. Dies stellt nicht nur eine dogmatische Erweiterung des Anwendungsbereiches dar, sondern auch eine praktische. Weit verstanden, unterfallen ihr so nämlich Vorschriften zur Kostentragung im schiedsgerichtlichen Verfahren. Anlass für Konflikte können hälftige Kostentragungsregelungen inklusive der Kosten der Schiedsrichter:innen geben, die Vorschrift, dass jede Partei ihre Anwaltskosten selbst trägt, oder der umgekehrte Fall, dass sie die Kosten der anderen Partei trägt.158 Solche Regelungen weichen zum Nachteil von Klägerinnen von der allgemeinen Rechtslage im Gerichtsverfahren unter der American rule of costs gem. Fed. R. Civ. P. 54(d)(1) sowie speziell im Kartellrecht von der Regelung des Clayton Act, 15 U.S.C. § 15(a), ab.159 Durch die so aufgestoßene Tür war, wie gezeigt,160 das Bundesberufungsgericht in Kristian v. Comcast Corp. geschritten. Ob diese Kosten bei der Beurteilung einer Schiedsgerichtsvereinbarung tatsächlich berücksichtigungsfähig sein sollten und wie diese im Einredeverfahren notwendigerweise prognostische Bewertung durchzuführen sein sollte, stellte die Instanzgerichte aber vor Herausforderungen. Hier hatten sich nach Green Tree zwei konkurrierende Ansätze herausgebildet.161 Überwiegend wurde ein dreistufiger Test angewandt, in dem die ordentlichen Gerichte hauptsächlich die Möglichkeit der konkreten Klägerin prüften, für die Kosten der Schiedsgerichtsbarkeit aufzukommen, sodann die Kostendifferenz zwischen schiedsgerichtlichem und ordentlichem Verfahren in den Blick nahmen, und schließlich untersuchten, ob diese Kostendifferenz im konkreten Fall geeignet war, von Klagen abzuhalten.162 Dieser Test hatte vor allem die subjektive Möglichkeit zur 155

Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90 (2000). Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 4 f. (2013). 157 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 400 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 959 (2013). 158 Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 736 ff. (2012). 159 Zu dieser für Anspruchstellerinnen günstigen Kostentragungsregelung Kapitel 2 – C.I.3.b)ee). 160 S. o. Kapitel 3 – E.II. 161 Bykov, 50 U.C.D. L. Rev. 1323, 1338 f. (2017); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 406 ff. (2014); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 736 ff. (2012); vor Green Tree wurde teilweise sogar per se von einer Unwirksamkeit solcher Kostenregelungen ausgegangen, die von den für Gerichtsprozesse vorgeschriebenen Kostentragungsregelungen abwichen, siehe Cole v. Burns Int’l Sec. Servs., 105 F.3d 1465, 1483 ff. (D.C. Cir. 1997); hierzu Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 405 f. (2014). 162 Bradford v. Rockwell Semiconductor Sys., Inc., 238 F.3d 549, 556 (4th Cir. 2001): „[The] crucial inquiry under Gilmer is whether the particular claimant has an adequate and accessible substitute forum in which to resolve his statutory rights and that Gilmer does not call for the conclusion that fee splitting, in all cases, deprives the claimant of such a forum. We believe that 156

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Kompensation der konkreten Klägerin im schiedsgerichtlichen Verfahren im Blick163 und war von den zur Auswahl stehenden der restriktivere, weshalb auch insoweit die effective vindication doctrine nicht besonders häufig erfolgreich angewandt wurde164. Andere Gerichte, so auch das Bundesberufungsgericht in Kristian v. Comcast Corp., waren großzügiger und betrachteten daneben auch die Auswirkungen, die eine bestimmte Schiedsvereinbarung auf weitere, ähnlich situierte Klägerinnen haben mochte, was insbesondere auch die möglicherweise über den Einzelfall hinausgehende objektiv vereitelte Abschreckungswirkung der fraglichen deliktischen Norm einschloss.165 Diese Gerichte waren ob eines solchen möglichen chilling effects eher bereit, selbst solche Schiedsvereinbarungen zu invalidieren, die hälftige Kostentragungsregelungen vorsahen.166 Die Doktrin hat daneben noch weitere denkbare Spielarten167 und wurde etwa auch bereits in Fällen eingewendet, in denen sich eine Seite in der Schiedsvereinbarung einen strukturellen Vorteil bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts gesichert hatte168. Vergeblich war allerdings der Versuch, in dem Umstand, dass Geschädigte wegen einer Schiedsvereinbarung nicht gegen alle gesamtschuldnerisch haftenden Kartellantinnen vorgehen konnten, einen Verstoß gegen die effective vindication doctrine zu etablieren. Es gebe nämlich kein Recht auf eine gesamtthe appropriate inquiry is one that evaluates whether the arbitral forum in a particular case is an adequate and accessible substitute to litigation, i. e., a case-by-case analysis that focuses, among other things, upon the claimant’s ability to pay the arbitration fees and costs, the expected cost differential between arbitration and litigation in court, and whether that cost differential is so substantial as to deter the bringing of claims“; s. a. Livingston v. Assocs. Fin., Inc., 339 F.3d 553, 557 (7th Cir. 2003); Musnick v. King Motor Co. of Fort Lauderdale, 325 F.3d 1255, 1259 (11th Cir. 2003) m. w. N. 163 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 408 f. (2014); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 736 (2012). 164 Siehe die Nachweise bei Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, 832 f. (2012); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 736 ff. (2012). 165 Morrison v. Circuit City Stores, Inc., 317 F.3d 646, 661 (6th Cir. 2003): „[T]he Bradford case-by-case approach is inadequate to protect the deterrent functions of the federal anti-discrimination statutes at issue. The issue is not only whether an individual claimant would be precluded from effectively vindicating his or her rights in an arbitral forum by the risk of incurring substantial costs, but also whether other similarly situated individuals would be deterred by those risks as well. A cost-splitting provision should be held unenforceable whenever it would have the ,chilling effect‘ of deterring a substantial number of potential litigants from seeking to vindicate their statutory rights“; Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 58 f. (1st Cir. 2006); zu diesem Ansatz Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 411 ff. (2014); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 737 ff. (2012). 166 Morrison v. Circuit City Stores, Inc., 317 F.3d 646, 676 f. (6th Cir. 2003); wohl auch Spinetti v. Serv. Corp. Int’l, 324 F.3d 212, 216 f. (3rd Cir. 2003); siehe aber auch Mazera v. Varsity Ford Mgmt. Servs., LLC, 565 F.3d 997, 1003 ff. (6th Cir. 2009). 167 Vgl. etwa Bykov, 50 U.C.D. L. Rev. 1323, 1334 f. (2017). 168 Walker v. Ryan’s Family Steak Houses, Inc., 400 F.3d 370, 385 f. (6th Cir. 2005); McMullen v. Meijer, Inc., 355 F.3d 485, 494 (6th Cir. 2004); siehe dazu Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 416 ff. (2014).

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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schuldnerische Inanspruchnahme in einem einheitlichen Forum, und die aus einer Pflicht zur individuellen Inanspruchnahme folgenden Unannehmlichkeiten würden für sich genommen die effektive Verwirklichung der Rechte unter dem Clayton Act nicht vereiteln.169 Kein Problem hängt aber mit dem der Kosten eines einzelnen Verfahrens so eng zusammen wie das der kollektiven Rechtsdurchsetzung,170 und zwar wiederum sowohl dogmatisch als auch praktisch. Auch dort stellt sich nämlich die Frage, ob die Doktrin der Abbedingung eines prozessualen Instruments entgegensteht, welches Klägerinnen vor ordentlichen Gerichten zur Verfügung steht. Es geht um class actions gem. Rule 23 der Fed. R. Civ. P., die wie schon aufgezeigt praktisch eine ebenso überragend wichtige Rolle spielen, wie sie umstritten sind.171 In diesen sogleich besprochenen rechtspolitischen Mahlstrom geriet die effective vindication doctrine.

IV. Jüngere Entwicklungen Ihr weiteres Schicksal entschied sich an einem einzigen Fall, American Express.172 Um diesen vollständig einordnen zu können, ist es notwendig, einen Ausflug in das Recht der kollektiven Rechtsdurchsetzung in den USA zu unternehmen. Dieser Exkurs ist aber auch insoweit gewinnbringend, als class actions nach traditionellem Verständnis eben eine bedeutende Rolle beim kartellrechtlichen private enforcement in den USA spielen. 1. Der rechtspolitische Hintergrund Die Rechtsprechung des Supreme Court zum FAA entwickelte sich bis zu einem bestimmten Punkt unabhängig von den ideologischen Zuordnungen der Mitglieder des Gerichts.173 Bis zu diesem Punkt sah sich die Rechtsprechung durchaus dogmatischer Kritik ausgesetzt, stellte allerdings nach überwiegender Auffassung kein rechtspolitisches Problem dar; die Reichweite des Geltungsvorrangs von Bundesgesetzen oder deren historische Auslegung sind in erster Linie diffizile rechtliche Probleme. 169

In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 283 ff. (4th Cir. 2007): „[T]he antitrust statutes themselves do not grant private plaintiffs a right to proceed against all co-conspirators in a single action;“ in diesem Sinne auch bereits State of Ga. v. Pennsylvania R. Co., 324 U.S. 439, 463 (1945); Wilson P. Abraham Const. Corp. v. Texas Indus., Inc., 604 F.2d 897, 904, Fn. 15 (5th Cir. 1979). 170 In diesem Sinne In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 285 (4th Cir. 2007); Adkins v. Labor Ready, Inc., 303 F.3d 496, 502 f. (4th Cir. 2002). 171 S. o. Kapitel 2 – C.I.3.b)cc). 172 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228 (2013). 173 Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 391 ff. (2016); sehr kritisch diesbezüglich Schwartz, 87 Ind. L. J. 239, 253 ff. (2012); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 157 (2006); in diese Richtung auch Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 509 (2012).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

Spätestens mit der durch Neubesetzungen zu Beginn des neuen Jahrtausends erfolgten veränderten Ausrichtung des Gerichts wurde allerdings die Morgenröte einer neuen Zeit sichtbar. Der weiterhin extensiv interpretierte FAA wurde nun Schauplatz kontroverser Auseinandersetzungen und einer Reihe von knappen 5 – 4 Entscheidungen des Supreme Court, in denen sich das Lager der Richter:innen dauerhaft entsprechend ihrer ideologischen Ausrichtung spaltete174 und die auch über rechtliche Fachzirkel hinaus für Aufsehen sorgten175. Es ist dieselbe Frontstellung, von der auch die Rede ist, wenn eine „Tribalisierung“176 des Kartellrechts beklagt wird, mit der dieses in eine tief politisierte Debatte über das richtige Maß an marktordnungsrechtlicher Regulierung gezogen wird177. Rein deskriptiv lässt sich festhalten, dass in dieser Ära eines als zunehmend konservativ wahrgenommenen Gerichts Konzerne und Großunternehmen überproportional häufig etwa in Auseinandersetzungen mit Arbeitnehmer:innen sowie Verbraucher:innen obsiegen.178 Eine Vielzahl von Urteilen erging zu US-amerikanischen Sammelklagen.179 Diese Sammelklagen exponieren Deliktstäterinnen wie beschrieben auch im Kartellrecht in ganz erheblicher Weise, wobei auch Unternehmen von den Möglichkeiten der kollektiven Rechtsdurchsetzung unter Rule 23 der Fed. R. Civ. P. Gebrauch machen 174 Siehe die Nachweise bei Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 394 (2016); ebenso Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 802, 860 ff. (2012); zu nennen sind seitdem noch die Entscheidungen Lamps Plus, Inc. v. Varela, 139 S. Ct. 1407 (2019); Epic Sys. Corp. v. Lewis, 138 S. Ct. 1612 (2018). 175 Insbesondere eine dreiteilige, sehr kritische Artikelserie der New York Times unter der Überschrift „Beware the Fine Print“ sorgte für einiges Aufsehen. Der erste Teil dieser Serie, veröffentlicht am 31. 10. 2015 unter Section A, S. 1 der gedruckten Ausgabe unter dem Titel „Arbitration Everywhere, Stacking the Deck of Justice“, setzt sich mit den nachfolgend dargestellten Urteilen Concepcion und American Express auseinander; abrufbar unter https://www. nytimes.com/2015/11/01/business/dealbook/arbitration-everywhere-stacking-the-deck-of-justi ce.html. 176 Ackermann, NZKart 2018, 501 (501 f.). 177 Vgl. hierzu Baker, Antitrust Paradigm, S. 32 ff., S. 53 ff. sowie Ackermann, NZKart 2018, 501 (501 f.). 178 Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 495 f. (2012); Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 796 ff. (2012); die herausragende Aktivität etwa der US Chamber of Commerce vor dem Supreme Court, die sich über amicus-Briefe auf Seiten von Unternehmen an einer Vielzahl an Verfahren beteiligt und dort auch zumeist die obsiegende Partei unterstützt, ist über die Jahre gut dokumentiert worden und wird als ein Indikator dieser Entwicklung herangezogen; siehe etwa Emmert, 87 U. Cin. L. Rev. 227, passim (2018); Epstein/Landes/Posner, 97 Minn. L. Rev. 1431, passim (2013); Franklin, 49 Santa Clara L. Rev. 1019, passim (2009). 179 Freer, 48 Akron L. Rev. 721, 721 f. (2015) nennt allein 14 Entscheidungen im Zeitraum von 2010 – 2014; neben den nachfolgend dargestellten waren dies im Bereich des Kartellrechts vor allem Comcast Corp. v. Behrend, 569 U.S. 27, 38 (2013) (Regressionsmodelle seien ungeeignet zur Bezifferung des Schadens innerhalb einer class, in der eine Vielzahl an Geschädigten durch ein wettbewerbswidriges Verhalten geschädigt worden war); Stolt-Nielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662, 684 (2010) (wenn sich die Schiedsvereinbarung über class actions ausschweigt, dürfen die Schiedsrichter:innen keine kollektive Verfahren anordnen, da dies der Parteivereinbarung widerspreche); zur Kontroverse um class actions Kapitel 2 – C.I.3.b)cc).

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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und dies einen wesentlichen Teil des private enforcement im US-amerikanischen Wettbewerbsrecht darstellt.180 Um nicht von Geschädigten weiterhin vor Foren kollektiver Streitbeilegung gezerrt zu werden, kamen findige Unternehmensjurist:innen etwa von wettbewerbsrechtlichen Delinquentinnen zunehmend auf die Idee, kautelarjuristisch alle Möglichkeiten zur aggregierten Rechtsdurchsetzung mit dem Verzicht auf class actions in der Schiedsvereinbarung auszuschließen, sog. class action waivers.181 Formal betrachtet ist dies jedenfalls möglich, da die Schiedsgerichtsbarkeit auf einer vertraglichen Grundlage beruht und der FAAverlangt, dass das Schiedsverfahren so durchgeführt wird, wie es der Parteivereinbarung entspricht.182 Class actions respektive die dazugehörenden waiver sind ein prozessualer Mechanismus, kein materieller Ausschluss der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche.183 Gegen diese für Geschädigte wenig erbauliche Vorgehensweise wandten sie sich aus zwei Richtungen. Zum einen wurde vorgebracht, ein solcher Ausschluss kollektiver Rechtsverfolgung sei jedenfalls gegenüber Verbraucher:innen unter bundesstaatlichem Vertragsrecht sittenwidrig – die unconscionability challenge als „erste Welle“ rechtsvernichtender Einwendungen.184 Zum anderen, und dies ist die „zweite Welle“ rechtsvernichtender Einwendungen, wurde argumentiert, derartige Ausschlüsse führten dazu, dass in Ermangelung einer effektiven Durchsetzungsmöglichkeit nach dem Maßstab der effective vindication doctrine die mit spezialdeliktischen Gesetzen verfolgten Regelungsziele verhindert würden.185 So wurden class actions zu einem weiteren Schauplatz im Ringen um die richtige Auslegung des FAA.186 Die Rechtsprechung des Supreme Court zu beiden Angriffen gegen den Ausschluss kollektiver Rechtsdurchsetzung steht in einem unmittelbaren Zusammenhang und wird im Folgenden dargestellt und bewertet. 2. Class actions vor dem Supreme Court: AT&T Mobility LLC v Concepcion Eine Vielzahl an Bundesstaaten, darunter Kalifornien, positionierte sich dahingehend, dass class action waivers nach ihrem bundesstaatlichen materiellen Ver180

Siehe oben Kapitel 2 – C.I.3.b)cc). Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 397 f. (2016); dies., 104 Mich. L. Rev. 373, 396 ff. (2005), dort sogar mit Schilderungen, wonach ein ganzer Industriezweig, beinahe wie die alte deutsche Kartellschiedsgerichtsbarkeit, konspirativ solche waiver entworfen, implementiert und danach auch juristisch verteidigt habe. 182 Siehe zu diesem Punkt oben Kapitel 2 – C.I.3.b)cc). 183 Spencer, 35 Harv. J. L. & Pub. Pol’y 991, 1000 (2012). 184 Gilles, 104 Mich. L. Rev. 373, 399 ff. (2005); umfassend hierzu und zu Concepcion Horton, 106 Nw. U. L. Rev. 387, passim (2012). 185 Gilles, 104 Mich. L. Rev. 373, 406 ff. (2005). 186 Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 395 ff. (2016). 181

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

tragsrecht als sittenwidrig erachtet wurden.187 In Concepcion hatte der Supreme Court zu entscheiden, ob das bundesstaatliche Verbot, vor ordentlichen oder vor Schiedsgerichten die kollektive Rechtsdurchsetzung auszuschließen, gegen § 2 FAA (9 U.S.C. § 2) verstieß. Vor dem Hintergrund der dortigen savings clause war also die Frage, ob das Verdikt der Sittenwidrigkeit von class action waivers eine Grundlage in den allgemeinen Vertragsrechtskodifikationen oder der vertragsrechtlichen Billigkeit hatte, oder ein Schiedsvereinbarungen unmittelbar oder mittelbar schlechterstellendes Sonderrecht darstellte und deshalb vom FAA verdrängt wurde.188 In einer mit 5 – 4 Stimmen entlang der ideologischen Linien der Richter:innen189 ergangenen und von Justice Scalia verfassten Entscheidung befand der Supreme Court, dass der bundesstaatliche Ausschluss Schiedsvereinbarungen schlechter stellte, so gegen den Gewährleistungsgehalt von § 2 FAA (9 U.S.C. § 2) verstoße und damit entsprechend der Vorrangklausel gem. Art. VI § 2 der US-Bundesverfassung von diesem verdrängt werde.190 Es handele sich um eine Regelung, die zwar Schiedsvereinbarungen nicht formal schlechterstelle, aber ihre Wirksamkeit nur mit Blick auf den FAA entfalte.191 Die zwingende Eröffnung der Möglichkeit, kollektive 187 Siehe etwa die sog. Discover Bank Rule des obersten Gerichts von Kalifornien, Discover Bank v. Superior Court, 36 Cal. 4th 148, 162 f. (2005): „[W]hen the waiver is found in a consumer contract of adhesion in a setting in which disputes between the contracting parties predictably involve small amounts of damages, and when it is alleged that the party with the superior bargaining power has carried out a scheme to deliberately cheat large numbers of consumers out of individually small sums of money, then (…) the waiver becomes in practice the exemption of the party ,from responsibility for [its] own fraud, or willful injury to the person or property of another.‘ Under these circumstances, such waivers are unconscionable under California law and should not be enforced“, unter Bezugnahme auf Cal. Civ.Code § 1668 (2005). 188 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 340 (2011). 189 Bemerkenswert ist hier insbesondere die rechtliche Würdigung von zwei Mitgliedern der Mehrheit. Justice Thomas, das wohl konservativste Mitglied des Gerichts und ein ausgesprochener Kritiker von vermeintlich überbordenden Bundeskompetenzen, hatte bis zu diesem Fall sechs Minderheitenvoten verfasst, in denen er die Präzedenzwirkung von Southland – also die Anwendbarkeit des FAA auch auf Bundesstaaten – als Verstoß gegen föderale Prinzipien abgelehnt hatte, vgl. Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 395, 400 (2016). Bekanntlich hatte daneben auch Justice Scalia einmal geschrieben, er werde Southland verwerfen, sollte er jemals die hierzu erforderliche Mehrheit versammeln können, Allied-Bruce Terminix Companies, Inc. v. Dobson, 513 U.S. 265, 285 (1995) (Scalia, J., dissenting). Diese Bedenken ließen die Richter dann allerdings in Concepcion schnell hinter sich, als sich mit der durch Southland eröffneten Vorrangklausel der US-Bundesverfassung die Möglichkeit ergab, Sammelklagen erheblich einzuschränken. Für das „widerwillig“ zustimmende Votum von Justice Thomas in diesem Fall, gestützt auf Argumente, die im Laufe des Verfahrens keine Partei vorgebracht hatte, siehe AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 352 ff. (2011) (Thomas, J., concurring); siehe hierzu auch Horton, 106 Nw. U. L. Rev. 387, 399 ff. (2012); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 507 f. (2012). 190 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 352 (2011). 191 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 344 ff. (2011): „Requiring the availability of classwide arbitration interferes with fundamental attributes of arbitration and thus creates a scheme inconsistent with the FAA.“

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Schiedsverfahren anzustrengen, stehe nämlich im Widerspruch zu Grundprinzipien des Schiedsverfahrens, namentlich seiner privatautonomen Ausgestaltung, der Vertraulichkeit, der Effizienz und dem informellen Charakter.192 Daneben erhöhe die kollektive Rechtsdurchsetzung die zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Unternehmen, die wegen der beschränkten justiziellen Nachprüfbarkeit von Schiedssprüchen „in terrorem“ dazu gedrängt sein könnten, unbegründete Ansprüche zu vergleichen.193 Dass durch die dann notwendigerweise individuellen Schiedsverfahren unter Umständen eine Vielzahl an Ansprüchen gar nicht verfolgt werde, sei zwar möglicherweise misslich, aber die Realisierung geringwertiger Schadensersatzansprüche sei nun einmal kein legislatorisches Ziel des FAA, und seine abschließende Regelung stehe Versuchen der Bundesstaaten, dieses Ziel über Umwege auch in der Schiedsgerichtsbarkeit zu etablieren, entgegen.194 Zudem sei es im konkreten Fall wegen einer klägerfreundlichen Ausgestaltung der Schiedsklausel auch unwahrscheinlich, dass nur wegen des Ausschlusses kollektiven Rechtsschutzes Ansprüche nicht verfolgt würden.195 Nach dieser Entscheidung, die ein gewaltiges Echo in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft hervorrief,196 war klar, dass die Sittenwidrigkeit als erste Welle rechtsvernichtender Einwendungen gegen die zunehmend verbreiteten class action waiver ausschied. Für die effective vindication doctrine war damit aber noch keine Aussage getroffen; Concepcion betraf zunächst ausschließlich den normenhierarchischen Vorrang von Bundesrecht vor bundesstaatlichem Recht.197

192 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 348 ff. (2011); „Arbitration is poorly suited to the higher stakes of class litigation.“; ähnlich auch schon Stolt-Nielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662, 686 ff. (2010); für eine Auseinandersetzung mit diesen Argumenten vgl. AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 362 ff. (2011) (Breyer, J., dissenting). 193 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 350 f. (2011). 194 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 351 (2011): „(…) States cannot require a procedure that is inconsistent with the FAA, even if it is desirable for unrelated reasons.“ 195 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 351 f. (2011); Klägerinnen wurden erhebliche finanzielle Anreize und Kompensationen in Aussicht gestellt, sollten sie einen Schiedsspruch erlangen können, der für sie vorteilhafter als das letzte Vergleichsangebot von AT&T Mobility gewesen wäre. Der Schaden der Klägerinnen belief sich auf USD 30,23. Kritisch zu den Wirkungen derartiger Klauseln ausführlich Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, passim (2012). 196 Siehe etwa die Nachweise bei In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litig., 309 F.R.D. 107, 147 (D. Mass. 2015), as amended (Aug. 7, 2015); Pika/Trippel, SchiedsVZ 2016, 288 (291); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3067 (2015); Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 162 f., 173 f. (2015); kritisch etwa Horton, 106 Nw. U. L. Rev. 387, passim (2012); Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 868 ff. (2012). 197 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 426 f. (2014).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

3. American Express Co. v. Italian Colors Restaurant Über die effective vindication doctrine wurde dann in American Express gerichtet.198 Die dort getroffenen Aussagen sind für den weiteren Untersuchungsfortgang von zentraler Bedeutung. a) Sachverhalt American Express Co. (Amex) ist eine große Ausstellerin von Kreditkarten. In dieser Eigenschaft vertreibt Amex sowohl Kreditkarten mit Guthaben (charge cards), die am Ende eines Rechnungszeitraums voll ausgeglichen werden müssen, als auch echte Kreditkarten, bei deren Rechnungslegung nur ein Teil beglichen werden muss und daneben Zinsen auf den ausstehenden Teil auflaufen. Amex erhebt für den Einsatz der Karten höhere Gebühren von Gewerbetreibenden als etwa die Wettbewerberinnen Visa und Mastercard, was damit gerechtfertigt wird, dass Inhaber:innen von Amex charge cards zumeist besonders begütert und deshalb als Zielgruppe für die Gewerbetreibenden attraktiv sind. In den Verträgen mit Amex mussten sich die Gewerbetreibenden allerdings verpflichten, alle Amex-Karten zu akzeptieren, obwohl die auch bei den echten Kreditkarten deutlich höheren Gebühren nicht durch eine besonders wohlhabende Zielgruppe aufgewogen wurden. Von den Gewerbetreibenden wurde Amex deshalb die Ausnutzung ihrer Marktmacht auf dem Markt der charge cards durch ein illegales Koppelungsgeschäft (tying arrangement) als Verstoß gegen § 1 Sherman Act (15 U.S.C. § 1) vorgeworfen.199 Die Gewerbetreibenden, unter ihnen Italian Colors Restaurant, schlossen sich zu einer class action vor ordentlichen Gerichten gegen Amex zusammen und forderten Schadensersatz. Die Verträge zwischen Amex und den Gewerbetreibenden enthielten allerdings eine von Amex als zwingend vorausgesetzte Schiedsvereinbarung, weshalb Amex in den jeweiligen Verfahren die Schiedseinrede erhob. Diese Schiedsvereinbarung stipulierte neben einem class action waiver auch, dass jede Partei ihre auch im Falle eines Obsiegens nicht erstattungsfähigen Kosten ihrer Rechtsverfolgung selbst zu tragen hatte.200 Überdies lehnte Amex jedes Ansinnen ab, 198

Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228 (2013). Zum Begriff des Koppelungsgeschäfts in den USA vgl. Eastman Kodak Co. v. Image Tech. Svcs., Inc., 504 U.S. 451, 461 f. (1992); Jefferson Parish v. Hyde, 466 U.S. 2, 12 (1984). 200 In re Am. Express Merchants’ Litig., 554 F.3d 300, 306, 318 (2nd Cir. 2009) (Amex I). Die Klausel hatte den folgenden Wortlaut: „If arbitration is chosen by any party with respect to a claim, neither you nor we will have the right to litigate that claim in court or have a jury trial on the claim (…). Further, you will not have the right to participate in a representative capacity or as a member of any class of claimants pertaining to any claim subject to arbitration. The arbitrator’s decision will be final and binding. Note that other rights that you would have if you went to court may also not be available in arbitration.“ (Großschreibung angepasst). Weiter hieß es: „The arbitration proceeding and all testimony, filings, documents and any information relating to or presented during the arbitration proceedings shall be deemed to be confidential information not to be disclosed to any other party.“ 199

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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das es den Klägerinnen ermöglicht hätte, die Kosten zu mitigieren.201 Gegen die Schiedseinrede verwehrten sich die Gewerbetreibenden unter Verweis auf die zwischen den Parteien auch nicht streitige Schadenshöhe, die durchschnittlich nur 1.751 US-Dollar und im Maximum lediglich 12.850 US-Dollar betrug, bei Zugrundelegung des dreifachen Schadensersatzes gerundet also maximal 38.549 US-Dollar.202 Nach dem unstreitigen Vorbringen der Klägerinnen hätte demgegenüber das benötigte ökonomische Gutachten zur Schadensberechnung pro Verfahren Kosten verursacht, die mindestens mehrere hunderttausend US-Dollar und potentiell über eine Million US-Dollar betragen hätten.203 Diese Kosten seien ob der Ausgestaltung der Schiedsklausel geeignet, die einzelnen Klägerinnen von der effektiven Verwirklichung ihrer Rechte unter dem Clayton Act abzuhalten. Vor dem District Court war Amex erfolgreich.204 Nach einer durch zivilprozessuale Untiefen bedingten Odyssee des Verfahrens unterlag Amex allerdings in derselben Sache gleich viermal vor dem US Court of Appeals for the Second Circuit,205 bis der Supreme Court 2013 eine endgültige Entscheidung verkündete206. b) Mehrheitsmeinung Das Urteil in American Express wurde von derselben Mehrheit getragen, die auch hinter dem Urteil Concepcion gestanden hatte, und wiederum von Justice Scalia verfasst. Dieser rekapitulierte zunächst die bekannten Auslegungsgrundsätze des FAA und stellte nach den Mitsubishi-Grundsätzen fest, dass auch im Kartellrecht keine spezialgesetzliche Beschränkung der allgemeinen Schiedsfähigkeit dieser Ansprüche bestehe.207 Soweit das Kartellrecht von übergeordneten öffentlichen Interessen getragen werde, seien diese vom Gesetzgeber etwa durch den dreifachen Schadensersatz abschließend berücksichtigt worden.208 Nachdem auf diese Weise ein dem kodifizierten Kartellrecht immanenter Vorbehalt gegen den class action waiver abgelehnt worden war, wandte sich der Su201

Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 246 (2013) (Kagan, J., dissenting). In re Am. Express Merchants’ Litig., 554 F.3d 300, 317 (2nd Cir. 2009) (Amex I). 203 In re Am. Express Merchants’ Litig., 554 F.3d 300, 317 (2nd Cir. 2009) (Amex I). 204 In re Am. Express Merchants Litig., 2006 WL 662341 (S.D.N.Y. 2006). 205 In re Am. Express Merchants’ Litig., 554 F.3d 300 (2nd Cir. 2009) (Amex I), cert. granted, judgment vacated sub nom. Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 559 U.S. 1103, 130 (2010), and rev’d and remanded sub nom; In re Am. Express Merchants’ Litig., 634 F.3d 187 (2nd Cir. 2011) (Amex II), and rev’d sub nom; In re Am. Exp. Merchants’ Litig., 667 F.3d 204 (2nd Cir. 2012) (Amex III), reh’g denied; In re Am. Exp. Merchants’ Litig., 681 F.3d 139 (2nd Cir. 2012) (Amex IV), cert. granted, 568 U.S. 1006 (2012). 206 Auch hier hatte die US Chamber of Commerce einen amicus-Brief verfasst, Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228 (2013), 2012 WL 6759408 (U.S.). 207 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 232 ff. (2013); zum Zwei-Stufen-Test aus Mitsubishi siehe oben Kapitel 3 – C.II.1. 208 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 233 f. (2013). 202

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

preme Court der effective vindication doctrine als richterrechtlichem Vorbehalt zu. Diese sei in Mitsubishi nur ein obiter dictum gewesen und zumindest vor dem Supreme Court noch nie erfolgreich geltend gemacht worden.209 Dabei bleibe es auch. Ausweislich des in Mitsubishi gewählten Wortlauts sei diese Ausnahme anwendbar auf einen „prospective waiver of a party’s right to pursue statutory remedies“, erfasse also Umstände, in denen die Geltendmachung dieser Rechte gänzlich vereitelt werde.210 Darunter falle beispielsweise eine Schiedsvereinbarung, die die Geltendmachung gesetzlicher Ansprüche im Schiedsverfahren verbiete, und – möglicherweise – eine Schiedsvereinbarung, die derart hohe Anmeldungs- und administrative Verfahrenskosten vorsehe, dass der Zugang zum schiedsgerichtlichen Forum nicht mehr praktikabel sei.211 Davon nicht erfasst sei aber der Fall, dass die Beweisführung für die Klägerin schlicht zu teuer sei, denn „the fact that it is not worth the expense involved in proving a statutory remedy does not constitute the elimination of the right to pursue that remedy.“212 Alles, was der Ausschluss des Kollektivverfahrens bewirke, sei, das Schiedsverfahren auf die eigentlichen Vertragsparteien zu beschränken.213 Das entspreche der Rechtslage, wie sie vor Einführung von kollektiven Rechtsschutzmechanismen 1938 bestanden habe, und was damals mit der Möglichkeit der individuellen Rechtsverfolgung als ausreichend erachtet wurde, sei doch wohl auch heute noch recht und billig.214 Die Notwendigkeit einer prognostischen Kostenaufstellung des Schiedsverfahrens durch staatliche Gerichte im Einredeverfahren habe der Supreme Court bereits in Vimar Seguros abgelehnt.215 Überhaupt könne auf die tragenden Entscheidungsgründe zu Concepcion auch im vorliegenden Fall rekurriert werden: Dort habe man bereits ein Gesetz für nichtig erklärt, das mit fundamentalen Grundlagen der Schiedsgerichtsbarkeit inkompatibel gewesen sei, habe weiter festgehalten, dass die Umstellung von individuellen auf kollektive Schiedsverfahren mit der Vertraulichkeit den Hauptvorteil der Schiedsgerichtsbarkeit opfere, und habe schließlich das Argument abgelehnt, dass kollektive Schiedsverfahren für die Durchsetzbarkeit bestimmter Ansprüche notwendig seien.216 Der vom Berufungsgericht vorgeschlagene Lösungsweg hingegen verlange, die Kosten und Erfolgsaussichten der 209

Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 235 (2013). Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 (2013) (Hervorhebung im Original). 211 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 (2013). 212 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 (2013) (Hervorhebungen im Original). 213 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 (2013). 214 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 f. (2013). 215 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 237 f. (2013), unter Verweis auf Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528, 536 (1995). 216 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 238 (2013): „Truth to tell, our decision in AT&T Mobility all but resolves this case“, unter Verweis auf AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 344 ff. (2011). 210

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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Rechtsverfolgung eines jeden Anspruchs im schiedsgerichtlichen Verfahren durch eine extensive Prozessführung im Einredeverfahren festzustellen, und solch ein gerichtlicher Überbau sei mit der schiedsgerichtlichen Prämisse einer schnellen Streitbeilegung nicht in Einklang zu bringen.217 c) Minderheitenvotum Diese Überlegungen wurden von Justice Kagan in einem langen Minderheitenvotum zurückgewiesen. Die effective vindication doctrine sei in ständiger Rechtsprechung vom Supreme Court betont worden und gerade im Kartellrecht essentiell, denn dessen effektive Durchsetzung liege besonders im Interesse der Öffentlichkeit und dem des historischen Gesetzgebers.218 Sie sei kein bloßes obiter dictum, sondern ein fundamentaler Bestandteil der Hinwendung zur kartellrechtlichen Schiedsfähigkeit;219 ohne sie könne sich ein Monopolist unter Ausnutzung seiner Monopolmacht auch noch von der Haftung für Wettbewerbsverstöße freizeichnen220. Bliebe sie auf explizite Ausschlüsse gesetzlicher Ansprüche beschränkt, würden zahllose weitere denkbare vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten – etwa die Festsetzung sehr kurzer Verjährungsfristen oder der Ausschluss ökonomischer Gutachten als zulässige Beweismittel – eröffnet, die alle einen dem Ausschluss vergleichbaren Effekt hätten.221 Eine solche Immunisierung gegen zivilrechtliche Haftung sei nicht Sinn und Zweck des FAA; dieser solle die Schiedsgerichtsbarkeit als eine effiziente Methode der Streitbeilegung stärken, nicht aber eine „idiotensichere“ Methode darstellen, legitime Ansprüche zu vereiteln.222 Deshalb sei die effective vindication doctrine auch ein Mittel zur Stärkung des FAA, denn mit ihr hätten Unternehmen einen Anreiz, den Anforderungen des FAA entsprechende faire Schiedsklauseln zu entwerfen und so tatsächlich mehr Schiedsverfahren herbeizuführen, ohne sie hingegen den Anreiz, eine Schiedsvereinbarung abzuschließen und gleichzeitig das Schiedsverfahren praktisch möglichst auszuschließen.223 Und unter dieser Prämisse und mit der Auferlegung der Beweislast auf die sich auf die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung berufende Partei habe die Doktrin auch über dreißig Jahre 217 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 238 f. (2013): „The FAA does not sanction such a judicially created superstructure.“ 218 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 241 (2013) (Kagan, J., dissenting). 219 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 246 f. (2013) (Kagan, J., dissenting). 220 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 241 (2013) (Kagan, J., dissenting). 221 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 241 f. (2013) (Kagan, J., dissenting), mit weiteren Beispielen. 222 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 243 f. (2013) (Kagan, J., dissenting): „That statute reflects a federal policy favoring actual arbitration – that is, arbitration as a streamlined ,method of resolving disputes,‘ not as a foolproof way of killing off valid claims. Put otherwise: What the FAA prefers to litigation is arbitration, not de facto immunity“ (Zitate ausgelassen, Hervorhebung im Original). 223 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 244 (2013) (Kagan, J., dissenting).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

hinweg in der gerichtlichen Praxis funktioniert, ohne dass dies negative Auswirkungen auf die Schiedsgerichtsbarkeit gehabt hätte.224 Für den vorliegenden Fall bedürfte es nur der präjudiziellen Anwendung von Green Tree, wo die effective vindication doctrine auf Fälle erstreckt worden sei, in denen die schiedsgerichtlichen Verfahrenskosten die Rechtsverfolgung unerschwinglich machten.225 Und genau so habe Amex die Schiedsklausel entworfen, denn nicht nur habe Amex individuelle Schiedsverfahren vorgeschrieben, sondern sich auch allen denkbaren Möglichkeiten der Kostenteilung, -tragung und -verringerung verweigert, im vorhinein und nachhinein des Schiedsverfahrens, unter den Klägerinnen und mit Amex selbst.226 Damit schließe die Schiedsvereinbarung auch Möglichkeiten zur Kostenverringerung und Prozesskonsolidierung aus, die bereits vor 1938 bestanden hätten – nicht, dass es darauf ankäme, denn abzustellen sei nicht auf die historische Welt von 1938, sondern auf die heutige.227 Ungeachtet dessen habe Amex die Klägerinnen in eine Situation gebracht, in denen diese nur noch die Alternative hätten, für die Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche entweder ein Vielfaches an nicht erstattungsfähigen Kosten aufzuwenden, oder auf ihre gesetzlichen Ansprüche gleich ganz zu verzichten.228 Soweit die Mehrheitsmeinung auf Concepcion rekurriere, gehe dies fehl. In Concepcion seien class actions streitgegenständlich gewesen, aber die effective vindication doctrine sei nicht auf deren Zulässigkeit beschränkt, sondern nehme das gesamte Vertragswerk ins Visier, was die Mehrheitsmeinung in ihrer Fokussierung auf class actions gänzlich verkenne.229 Zudem habe die Unzulässigkeit des kollektiven Schiedsverfahrens wegen der ausreichenden Möglichkeiten zur individuellen Rechtsverfolgung in Concepcion gerade auf die hier entscheidende und wegen der konkreten Ausgestaltung zu bejahende Prüfung, ob die Schiedsvereinbarung in einer Gesamtbetrachtung der effektiven Rechtsdurchsetzung entgegensteht, gar keinen 224

Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 244 f. (2013) (Kagan, J., dissenting). Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 243 (2013) (Kagan, J., dissenting), unter Verweis auf Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90 ff. (2000). 226 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 246 (2013) (Kagan, J., dissenting). 227 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 250 f. (2013) (Kagan, J., dissenting): „[T]hat requires courts to determine in the here and now – rather than in ye olde glory days – whether an agreement’s provisions foreclose even meritorious antitrust claims.“ 228 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 245 f. (2013) (Kagan, J., dissenting): „That counts as a ,prohibitive‘ cost, in [Green Tree’s] terminology, if anything does. No rational actor would bring a claim worth tens of thousands of dollars if doing so meant incurring costs in the hundreds of thousands. (…) In short, the agreement as applied in this case cuts off not just class arbitration, but any avenue for sharing, shifting, or shrinking necessary costs. Amex has put Italian Colors to this choice: Spend way, way, way more money than your claim is worth, or relinquish your Sherman Act rights.“ (Hervorhebung im Original). 229 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 251 (2013) (Kagan, J., dissenting): „The idea that AT&T Mobility controls here depends entirely on the majority’s view that this case is ,class action or bust.‘ Were the majority to drop that pretense, it could make no claim for AT&T Mobility’s relevance.“ (Hervorhebung im Original). 225

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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Einfluss gehabt.230 Und schließlich sei das Verhältnis von Bundesrecht zum Recht des Bundesstaates Kalifornien in Concepcion nach der Vorrangklausel zu bemessen gewesen, weshalb die allein das Verhältnis von bundesrechtlichen Kodifikationen regelnde effective vindication doctrine in Concepcion folgerichtig weder Erwähnung noch Anwendung finde.231 d) Anmerkungen Die folgenden Abschnitte stellen eine kritische Würdigung des Mehrheitsvotums dar. Da die Dogmatik des Urteils rechtspolitische Implikationen für das Kartellrecht und das private enforcement auch über den Einzelfall hinaus hat, unterteilen sich die Anmerkungen in eine unmittelbar an das Urteil ansetzende dogmatische Kritik (aa)) sowie eine rechtspolitische Betrachtung (bb)). aa) Eine Nahaufnahme Das faktische Ergebnis von American Express liegt auf der Hand. Die Anspruchsdurchsetzung der durch den Marktmachtmissbrauch mutmaßlich Geschädigten wurde durch die just vom marktmächtigem Unternehmen entworfene Schiedsklausel vereitelt. Selbst im Falle des Obsiegens war schlechterdings ausgeschlossen, dass sich die Anspruchsdurchsetzung ökonomisch lohnen würde. Ein zweites Forum stand daneben nicht zur Verfügung. Der prozessuale class arbitration waiver hatte damit die faktischen Wirkungen eines materiellrechtlichen Anspruchsausschlusses. All das war unstreitig oder von den Geschädigten hinreichend dargetan. Die Kompensationswirkung gegenüber den Geschädigten und insbesondere auch die Abschreckungswirkung der Kartellgesetze gegenüber den Schädigerinnen entfielen für diesen Wettbewerbsverstoß vollständig. Wenn der Anwendungsbereich einer Doktrin, die eine effektive Durchsetzbarkeit spezialgesetzlicher Ansprüche sicherstellen sollte, in diesem Fall nicht eröffnet war – wann denn dann? Der Weg zu diesem befremdlich anmutenden Ergebnis der Mehrheitsmeinung führt über mehrere dogmatisch unhaltbare Annahmen, beginnend mit der Degradierung der effective vindication doctrine zu einem bloßen obiter dictum.232 Dies war schon bei Mitsubishi unzutreffend. Zweifelsohne ist das seinerzeit in Fußnote 19 des Mitsubishi-Urteils ausgelagerte in tandem-Argument ein obiter dictum. Das Gericht hatte lediglich festgestellt – „[w]e merely note“ –, dass die Kombination einer Forenund Rechtswahlklausel unter Umständen, wie sie nicht denen des Sachverhalts

230

Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 251 f. (2013) (Kagan, J., dissenting). Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 252 (2013) (Kagan, J., dissenting). 232 Siehe zu diesem Punkt bereits vor Urteilsverkündung Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 17 ff. (2013); anders aber wohl Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 170 f. (2015). 231

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

entsprachen, invalidieren würde.233 Ebenso hatte es aber in den Entscheidungsgründen selbst – „[a]nd so long as“ – zur Kondition erhoben, dass das Kartellrecht so lange seine abschreckende und kompensatorische Wirkung behalte, wie die gesetzlichen Ansprüche nach dem Clayton Act vor einem Schiedsgericht effektiv durchgesetzt würden.234 Der materielle Gewährleistungsgehalt der Kartelldeliktsnormen sei gewährleistet, wenn die Kartellgeschädigte bloß ein prozessuales Forum zur Geltendmachung gegen ein ebenso gut geeignetes austausche.235 Nicht das in tandem-Argument, wohl aber den Gedanken der effektiven Rechtsdurchsetzung hatte es so als tragend erachtet und zu einem elementaren Bestandteil erklärt.236 Und nur wenige Seiten vorher hatte das Gericht, wenn auch im Zusammenhang mit der generellen Eignung der Schiedsgerichtsbarkeit zur Beilegung kartellrechtlicher Streitigkeiten, noch ausgeführt, dass eine Forenwahlklausel dann invalidiert würde, wenn sie die praktische Konsequenz hätte, einer Partei den Justizzugang insgesamt zu verwehren.237 Damit ist dem Gericht in Mitsubishi bei aller Liberalisierung der Rechtsprechung zur objektiven Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitgegenstände das Bestreben anzumerken, potentiell eine wirksame gerichtliche Kontrolle auch im Einredeverfahren aufrechtzuerhalten. Die Möglichkeit zur schiedsgerichtlichen Beilegung kartellrechtlicher Streitigkeiten und damit auch der Gewährleistungsgehalt des materiellen Rechts muss nach dieser Konzeption mit einer praktischen Möglichkeit zur Geltendmachung korrespondieren, die spezialgesetzliche Rechte nicht einer vertraglichen Konstruktion anheimfallen lässt.238 Auch für die Rechtsprechung in der Folgezeit kann nicht von einem obiter dictum ausgegangen werden. Dass die effective vindication doctrine eine besonders prominente Rolle in den Jahren nach 1985 gespielt hätte, lässt sich sicherlich für die Rechtsprechung des Supreme Court weniger behaupten als für die der Instanzgerichte; sie ist von dem Höchstgericht eher stiefmütterlich behandelt worden. Das ändert allerdings nichts an dem Umstand, dass sie über die Jahre immer wieder 233 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637, Fn. 19 (1985). 234 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 (1985); so auch Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 396 f., 436 f. (2014); Bolin, 47 Loy. L. A. L. Rev. 563, 573 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 958 f. (2013). 235 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 628 (1985). 236 Ebenso Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 242 f., 246 f. (2013) (Kagan, J., dissenting): „crucial (…) limiting principle“; „core part of Mitsubishi“; „essential condition of the decision’s holding“ (Hervorhebung im Original); Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 9 (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 397, 437 (2014); Bolin, 47 Loy. L. A. L. Rev. 563, 574 (2014). 237 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 f. (1985): „[It] would warrant setting aside a forum-selection-clause [if] (…) proceedings ,in the contractual forum will be so gravely difficult and inconvenient that [the resisting party] will for all practical purposes be deprived of his day in court.‘“, unter Bezugnahme auf M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 12, 15, 18 (1972). 238 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3072 ff. (2015).

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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bestätigend zitiert und ihr Anwendungsbereich in Green Tree auf den prozessualen Fall der Beeinträchtigung der Rechtsverfolgung durch Verfahrenskosten ausgeweitet wurde.239 Und in diesem Fall kam es, anders als in Mitsubishi, gerade auf diese Frage auch an. Für ein obiter dictum hätte der Supreme Court keinen Beweismaßstab aufstellen müssen.240 Die Mehrheitsmeinung reduziert den Anwendungsbereich der Doktrin demgegenüber auf zwei genau umrissene Ausnahmen, nämlich den Fall, dass die Schiedsvereinbarung die Geltendmachung spezialgesetzlicher Ansprüche formal ausschließt, sowie den, dass exorbitant hohe Anmelde- und Verwaltungsgebühren das Schiedsgericht als Forum praktisch unerreichbar machen.241 Schon, dass diese Kosten einen Anwendungsbereich der Doktrin darstellen, die in American Express streitgegenständlichen aber nicht, ist eine sophistische Differenzierung.242 Zwischen dem „right to pursue“, bezogen auf einen Anspruch nach § 4 Clayton Act (15 U.S.C. § 15), sowie der „expense involved in proving a claim“243 besteht bestenfalls ein semantischer Unterschied. Inhaltlich handelt es sich um eine kaum nachvollziehbare und auch sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen diesen und einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle mit faktisch gleicher Konsequenz.244 Dieser fehlgeleitete Rückschluss von einem materiellen und einem prozessualen, mithin von zwei exemplarischen Beispielen im Anwendungsbereich der Doktrin auf ihren gesamten Anwendungsbereich, ist, wie Justice Kagan richtigerweise mit wuchtigen Worten anmerkt, idiosynkratisch245 und mit dem Sinn und Zweck der in Green Tree substantiell erweiterten Doktrin nicht in Einklang zu bringen246. Mit der formalisierten Lesart, wie sie die Mehrheitsmeinung propagiert, kann die effective vindication doctrine weder einen Ausgleich zwischen dem FAA und anderen gesetzlichen Regelungswerken schaffen, noch den Zugang zu einem justiziellen Forum

239

Green Tree Fin. Corp.-Alabama v. Randolph, 531 U.S. 79, 90 (2000). So auch Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 17 f. (2013). 241 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 (2013). 242 Zutreffend Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 249 (2013) (Kagan, J., dissenting); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 440 (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 985 (2013); Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 20 f. (2013). 243 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 (2013) (Hervorhebungen im Original). 244 So auch Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 775 f. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 438 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 981 ff.(2013). 245 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 249 (2013) (Kagan, J., dissenting). 246 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 247 f. (2013) (Kagan, J., dissenting); Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 772 f. (2015); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2887 (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 438 (2014); Bolin, 47 Loy. L. A. L. Rev. 563, 574 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 981 ff. (2013); Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 19 (2013). 240

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

sicherstellen.247 Die effective vindication doctrine wird zu einer nominal vindication doctrine.248 Das erklärt auch, warum der Supreme Court so einseitig darauf abstellt, die justizielle Prüfung im Einredeverfahren sei ineffizient und mit dem Zweck des FAA nicht in Einklang zu bringen.249 Dabei handelt es sich zwar im Grundsatz um eine beachtenswerte Kritik, die an einem neuralgischen Punkt ansetzt, denn justizielle Vorverfahren laufen dem Zweck eines Schiedsverfahrens zuwider.250 In einer echten Abwägung – der sich der Supreme Court faktisch verweigert, indem er als Gegenpol zum Zweck des FAA lediglich praktisch nicht vorkommende Konstellationen zulässt, obwohl es sich bei der hiesigen dem Anschein nach genau um die Konstellation handelt, die der Grund für die Geburt der Doktrin in Mitsubishi war251 – würden diesem Interesse des FAA aber die Ziele des Clayton Acts gegenübergestellt werden.252 Geradezu abenteuerlich mutet es an, wenn das Gericht für die Begründung dieses Ergebnisses auf den Fall Concepcion rekurriert.253 Ob man die durchaus fragwürdige254 Prämisse der dortigen Mehrheitsmeinung – das unterschiedslose Verbot eines class action waivers stelle Schiedsvereinbarungen schlechter als sonstige Verträge, da die kollektive Rechtsdurchsetzung in besonderer Weise mit den durch den FAA geförderten Grundsätzen eines bilateralen Schiedsverfahrens kollidiere – teilt, ist dafür gar nicht weiter relevant. Entscheidend ist der hier schon mehrfach betonte Umstand, dass die Verdrängung (preemption) der Discover Bank rule als bundesstaatlichem Recht durch den FAA unter der Vorrangklausel der US-Bundesverfassung eine gänzlich andere und unter einer eigenständigen Dogmatik aufzulösende Rechtsfrage betrifft als diejenige der Kollision zweier Bundesgesetze mit einem normenhierarchisch gleichrangigen Geltungsanspruch.255 Für diese letztgenannte, in 247 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 438 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 975 (2013). 248 Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 12 (2015); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (393). 249 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 238 f. (2013). 250 Siehe dazu bereits einleitend Kapitel 2 – A.V. 251 Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 978 (2013). 252 So auch Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 445 f. (2014). 253 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 238 (2013). 254 Siehe nur AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 362 ff. (2011) (Breyer, J., dissenting); siehe auch noch die Ausführungen in Kapitel 3 – E.IV.3.d)bb). 255 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 252 (2013) (Kagan, J., dissenting): „In [an] all federal context, one law does not automatically bow to the other (…)“; grundsätzlich zu dem Prinzip, kollidierenden Bundesgesetzen jeweils so weit wie möglich zur Anwendung zu verhelfen United States v. Palumbo Bros., 145 F.3d 850, 862 (7th Cir. 1998) unter Bezugnahme auf United States v. Borden Co., 308 U.S. 188, 198 („[I]t is a cardinal principle of construction that (…) [w]hen there are two acts upon the same subject, the rule is to give effect to both“); s. a. Bykov, 50 U.C.D. L. Rev. 1323, 1354 f. (2017); Sebok, 65 DePaul L. Rev. 687, 709 (2016);

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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American Express entschiedene Frage konnte Concepcion deshalb mitnichten den Weg ebnen.256 Es ist allerdings nicht so, als hätte die Mehrheitsmeinung dieses Problem nicht zumindest mit einiger Verspätung erkannt. In einer als Antwort auf das Minderheitenvotum gedachten Fußnote erklärt sie, Concepcion hätte ganz ungeachtet seiner dogmatischen Aufhängung als Fall unter der Vorrangklausel einen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, wonach der Gesetzeszweck des FAA, Schiedsvereinbarungen zur Durchsetzung zu verhelfen, jeden anderweitigen Gesetzeszweck, geringwertigen Schadensersatzansprüchen zur Durchsetzung zu verhelfen, übertrumpfe, da sich dieser anderweitige Zweck dem FAA nicht entnehmen lasse.257 Das erstaunt aber nicht minder: Denn damit wäre in einem Fall der preemption die in ihrer Gesamtheit eigentlich auch schwer vorstellbare Aussage getroffen worden, wonach der Regelungszweck eines Bundesgesetzes (des FAA) jeden anderen Zweck eines nichtkonstitutionellen Gesetzes (hier des Clayton Act) aussteche. Warum das so sein sollte, wurde in keinem dieser Urteile auch nur angedeutet.258 Im Gegenteil ignoriert diese Schlussfolgerung gerade zwei Besonderheiten in Concepcion. Zunächst ist das die doch recht preemption-spezifische Wertung, dass im abschließenden Anwendungsbereich eines Bundesgesetzes die Bundesstaaten nun einmal keine Gesetze erlassen können, die die Anwendbarkeit eines Bundesgesetzes an bundesstaatliche Voraussetzungen knüpfen.259 Und daneben ist es der fallspezifische Umstand, dass wegen der klägerfreundlichen Ausgestaltung der konkreten Schiedsklausel die Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs auch im Individualverfahren nicht ausgeschlossen gewesen war.260 Indem das Gericht die letztgenannten, offensichtlich vom Sachverhalt in American Express abweichenden Umstände nicht einmal mehr zur Kenntnis nahm, bestätigte es allerdings auch weitsichtige Befürchtungen, wo-

Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 170 ff. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 443 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 988 ff. (2013). 256 Zutreffend deshalb Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 251 f. (2013) (Kagan, J., dissenting). 257 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 238, Fn. 5 (2013); „In dismissing AT&T Mobility as a case involving pre-emption and not the effective-vindication exception, the dissent ignores what that case established – that the FAA’s command to enforce arbitration agreements trumps any interest in ensuring the prosecution of low-value claims.“ 258 Vgl. Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 444 f. (2014); siehe allgemein zum problematischen Geltungsanspruch des FAA noch sogleich. 259 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 351 (2011): „But States cannot require a procedure that is inconsistent with the FAA, even if it is desirable for unrelated reasons.“; hierzu Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 251 f. (2013) (Kagan, J., dissenting); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 444 (2014). 260 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 351 f. (2011); hierzu Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 252 (2013) (Kagan, J., dissenting); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 444 (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 991 ff. (2013).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

nach sie für die Urteilsgründe in Concepcion eigentlich nicht maßgeblich gewesen waren.261, 262 bb) Eine Gesamtbetrachtung Die Argumentation der Richtermehrheit, so wenig überzeugend sie auch ist, sollte zudem den Blick auf eines nicht verstellen. American Express muss in einer Reihe mit weiteren Entscheidungen gelesen werden, die jedenfalls im Ergebnis einem systematischen Angriff auf regulatorische Fundamente des amerikanischen Rechtssystems, die Durchsetzungsfähigkeit materiellen Rechts und den Zugang zur Justiz namentlich, aber keineswegs ausschließlich in Situationen struktureller Unterlegenheit gleichkommen,263 und in denen eine faktische Haftungsfreistellung von Delinquentinnen häufig die Folge ist264. In der Reihe dieser Entscheidungen stellt American Express den „Gnadenschuss“265 für eines der effektivsten Instrumente privater Rechtsdurchsetzung dar, nämlich Rule 23 der Fed. R. Civ. P. Dass mit diesem Schuss nicht nur das prozessuale Element der class action erlegt wurde, sondern gleichzeitig auch ein wesentlicher Teil des kartellrechtlichen private enforcements, war wohl eher ein Kollateralschaden: „to a hammer, everything looks like a nail.“266 Dennoch lädt dies zu einigen grundlegenden Bemerkungen über das Verhältnis von Schiedsgerichtsbarkeit und Kartellrecht ein. Das Vehikel, mit dem die Agenda 261

Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 514 (2012); siehe aber auch Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 186 f. (2015). 262 Diesen Abschnitt treffend schließen kann das bei Sternlight, 80 Brook. L. Rev. 1309, 1309 (2015) wiedergegebene Zitat von Dingel: „I’ll let you write the substance (…) you let me write the procedure, and I’ll screw you every time.“ 263 Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 113 (2006). 264 Zur Haftungsfreizeichnung Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 244, 253 (2013) (Kagan, J., dissenting); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3075 ff. (2015); Freer, 48 Akron L. Rev. 721, 745 (2015); Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 775 ff. (2015); Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 47 (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 378, 440 (2014); Bolin, 47 Loy. L. A. L. Rev. 563, 578 (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 996 (2013); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 756 (2012); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 506 (2012). 265 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3067 (2015): „coup de grâce“; s. a. Freer, 48 Akron L. Rev. 721, 755 (2015) („perfect storm“); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 996 (2013) („largely unavailable“); Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391 S. 21 ff., S. 27 (2013) („world without class actions“); Weston, 60 U. Kan. L. Rev. 767, 791 (2012) („death knell“); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 514 (2012) („Consumer class actions are essentially dead“); prophetisch Gilles, 104 Mich. L. Rev. 373, 379 (2005) („prediction of the near-total demise of the modern class action“); auch Orgel, Class Arbitration, S. 351, 362 ff., sieht mit Blick auf Stolt-Nielsen und Concepcion das Ende der class arbitration nahen. Allerdings fand der Supreme Court noch weitere Gelegenheiten, seine Rechtsprechung in diese Richtung zu treiben, siehe Lamps Plus, Inc. v. Varela, 139 S. Ct. 1407 (2019); Epic Sys. Corp. v. Lewis, 138 S. Ct. 1612 (2018), in denen er den FAA gegen class actions von Arbeitnehmer:innen in Stellung brachte. 266 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 252 (2013) (Kagan, J., dissenting).

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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der Richtermehrheit durchgesetzt wird, ist der FAA. Ironischerweise zitierte die Mehrheit in American Express noch einen allgemeinen Leitsatz, wonach keine gesetzliche Regelung ihren Geltungsanspruch bedingungslos verfolge.267 Für den FAA gilt das aber offensichtlich nicht. Im Bundesgesetzbuch der USA ist § 2 FAA (9 U.S.C. § 2) das alles überragende Superstatut, und es setzt sich auch gegenüber Gesetzen durch, die Jahrzehnte nach dem FAA erlassen wurden.268 Es walzt mit einer ausladenden preemption über jeden Versuch einer bundesstaatlichen Regulierung der Schiedsgerichtsbarkeit hinweg269 und sorgt dafür, dass jede Streitigkeit allein unter der Perspektive des FAA und nicht auch der anderer Bundesgesetze beurteilt wird270. Mit Kleinigkeiten wie den Zielen des wettbewerbsrechtlichen Gesetzgebers und einzelnen, zu deren Durchsetzung implementierten Vorschriften im schiedsgerichtlichen Verfahren, hält sich der Supreme Court schon lange nicht mehr auf. Und an die Kandare genommen werden Schiedsrichter:innen nur, wenn sie auf die Idee kommen, kollektive Verfahren durchzusetzen.271 All dies geschieht unter dem Banner einer schiedsfreundlichen Einstellung, die tatsächlich, und damit ganz im Gegensatz zur effective vindication doctrine, auf einem obiter dictum beruht.272 Eine innere Rechtfertigung dafür, mit der Schiedsfreundlichkeit zugleich eine so ausgeprägte Justizfeindlichkeit zu verbinden, war nie ersichtlich und ist der Supreme Court auch bis heute schuldig geblieben.273 Gleiches gilt für die Maßgabe, sie in den Rang 267 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 234 (2013): „[N]o legislation pursues its purposes at all costs“, unter Verweis auf Rodriguez v. United States, 480 U.S. 522, 525 f. (1987). 268 Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 511 (2012): „Within all of that vast statutory corpus, in the eyes of the current Supreme Court, arguably one statute, and indeed one provision of one statute, stands above all others. That super-statute is Section 2 of the Federal Arbitration Act. And it reigns supreme even over statutes enacted decades later“; ebenso Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 172 f. (2015); s. a. Bykov, 50 U.C.D. L. Rev. 1323, 1354 f. (2017); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 379 (2014) („fetishizing of arbitration“); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 974 (2013). 269 Sebok, 65 DePaul L. Rev. 687, 706 (2016); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 508 f. (2012). 270 Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 438 f., 445 f. (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 975 (2013). 271 So auch Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 796 ff., 862 ff. (2012), Weston, 60 U. Kan. L. Rev. 767, 774 ff. (2012); Schwartz, 87 Ind. L. J. 239, 265 (2012); jew. unter Bezugnahme auf Stolt-Nielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662 (2010); ein weiterer erstaunlicher Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung ist, dass auch die beschränkte und von den Parteien nach der Rechtsprechung des Supreme Court ja gerade nicht erweiterbare Kontrolle im Anerkennungsverfahren gem. 9 USC § 10 als ein Argument herangezogen wird, weshalb Unternehmen eine class action nicht zugemutet werden könne, siehe AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 350 f. (2011); ebenso Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2891 (2015); Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 37, 44 f. (2015). 272 Moses H. Cone Mem’l Hosp. v. Mercury Constr. Corp., 460 U.S. 1, 24 f. (1983). 273 So auch Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 509 f. (2012); Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 838 f., 877 ff. (2012); Schwartz, 67 Law & Contemp. Probs. 5, 29 ff. (2004); für eine umfassende Darstellung der rechtspolitischen Sozialisierung der von republikanischen Präsidenten in den „litigation wars“ ernannten Bundesrichter:innen seit

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

einer public policy zu heben, sodass sie dort als prozessuales Mittel zur Vereitelung von materiellen Regelungswerken mit allgemein anerkannter gesellschaftspolitischer Relevanz herangezogen werden kann. Jetzt, wo die Schiedsgerichtsbarkeit ihr eigentliches Versprechen nicht mehr erfüllen kann, ein Mittel der effizienten Streitbeilegung zu sein,274 wird sie nur noch um ihrer selbst willen durchgesetzt,275 eine Untote aus den Kellern des Obersten Gerichts.276 Diese bedroht die Herrschaft des materiellen Rechts selbst.277 Mit der einseitigen Aufgabe der Ziele des Clayton Acts und des Sherman Acts zugunsten eines Primats der privatautonomen Schiedsvereinbarung wird Parteien zwar nicht ermöglicht, Recht zu schaffen, wohl aber, die Geltung materiellen Rechts für sie ohne jede Kontrolle abzuschaffen.278 Es handelt sich bei den fraglichen Rechtsnormen um solche, die aufgrund eines Marktversagens gerade zur Regulierung der betroffenen Unternehmen geschaffen wurden, und welche nach der Vorstellung der demokratisch legitimierten Gesetzgebungsorgane im Interesse der Allgemeinheit im Wege des private enforcement durchgesetzt werden sollen.279 Dieses materielle, eigentlich ja der öffentlichen Ordnung zugehörende Recht wird auf die Stellung einer beliebigen allgemeinen Vertragsbedingung reduziert und tritt dort sogar noch hinter der Schiedsvereinbarung zurück280. Es ist in diesem Zusammenhang eine zumindest interessante Korrelation, dass mit der zunehmenden Verbreitung der Schiedsklauseln auch die Wettbewerbssituation in den USA immer schlechter wird.281 Präsident Reagan, der sich zum Ziel gesetzt hatte, Möglichkeiten zur strategischen Prozessführung einzudämmen, siehe Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 377 ff. (2016); dies betrifft alle fünf Richter, die die Mehrheit in Concepcion und American Express stellten; ebd., S. 389 f.; siehe hierzu auch Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2843 ff. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 391 f. (2014); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 758 f. (2012). 274 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 628, 633 (1985); so im Übrigen selbst noch bei Concepcion, AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 344 (2011); hierzu Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 243 f. (2013) (Kagan, J., dissenting). 275 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3071 f. (2015). 276 Zu vergeblichen Versuchen, dieser Rechtsprechung legislativ beizukommen, etwa Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 457 ff. (2014); hierzu auch Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 401 ff. (2016); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3083 ff. (2015); Freer, 48 Akron L. Rev. 721, 749 (2015); Weston, 60 U. Kan. L. Rev. 767, 792 ff. (2012). 277 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3074 ff. (2015); sehr kritisch auch In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litig., 309 F.R.D. 107, 146 f. (D. Mass. 2015), as amended (Aug. 7, 2015) („What is striking is that, other than the majority of the Supreme Court whose questionable jurisprudence erected this legal monolith (…), no one thinks they got it right – no one (…)“ m. w. N. 278 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3075 ff. (2015). 279 Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 762 ff. (2012). 280 Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 764 (2012); in diesem Sinne auch Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 44 ff. (2015). 281 Siehe etwa Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 42 ff. (2015) ausführlich dazu, wie konzentrierte Märkte der Verbreitung dieser Klauseln Vorschub leisten; allgemein zur zunehmenden Marktkonzentration in den USA, in der oft auch ein neues Gilded Age nach einem

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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Was die konkreteren praktischen Auswirkungen angeht, mag die Bedeutung der effective vindication doctrine erst dann voll zutage treten, wenn sie von Gerichten nicht mehr angewandt wird und ihre abschreckende Wirkung auf die Kautelarpraxis nicht mehr entfalten kann.282 Delinquentinnen jedenfalls wären schlecht beraten, würden sie die sich hier bietenden Gelegenheiten zur Reduzierung des Haftungsrisikos nicht ergreifen.283 Die daraus entstehenden rechtspolitischen Folgen sind enorm und gehen weit über den Einzelfall hinaus. Class action waivers werden zur Norm, wofür es auch bereits Anzeichen gibt.284 In ihrem Nachgang werden kleine und mittlere Schadensersatzansprüche nicht mehr verfolgt.285 Das erscheint nur logisch – die einzig rationale Alternative zu einer class action sind in vielen Fällen nicht eine der Anzahl der aggregierten Klägerinnen entsprechende Zahl individueller Klagen, sondern null Klagen.286 Das gilt auch, wenn es wie etwa im Fall Concepcion vorgeblich klägerfreundliche Schiedsvereinbarungen sind. Diese ändern nämlich nichts daran, dass Anwaltskanzleien derartige Fälle typischerweise nicht annehmen und dass auch dann, wenn sie es tun, bei der Rechtsverfolgung in den USA jedenfalls zunächst erst einmal erhebliche Kosten entstehen, die auch nur unter Umständen Zeitalter enormer wirtschaftlicher Konzentration erblickt wird Wu, The Curse of Bigness, S. 14 ff.; Baker, Antitrust Paradigm, S. 13 ff.; in diese Richtung auch Gutiérrez/Philippon, NBER Working Paper 24700, S. 2 ff.; Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 771 f. (2015); s. a. Ackermann, NZKart 2018, 501 (502). 282 Wie die kautelarjuristische Praxis etwa auf Concepcion reagiert hat, lässt sich bei Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, 844 ff. (2012) nachvollziehen. 283 So auch Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3081 (2015); Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 190 (2015); Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 775 (2015); Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391, S. 2 (2013); dies., 88 Notre Dame L. Rev. 825, 855 f. (2012); Franklin/ Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 513 (2012); in diesem Sinne auch Orgel, Class Arbitration, S. 363. 284 Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 406 ff. (2016); dies., 88 Notre Dame L. Rev. 825, 844 ff., 866 ff. (2012); Sternlight, 80 Brook. L. Rev. 1309, 1345 f. (2015). 285 Freer, 48 Akron L. Rev. 721, 755 (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 450 (2014); Wolf, 21 Am. U. J. Gender Soc. Pol’y & L. 951, 977 ff., 995 f. (2013). 286 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 365 (2011) (Breyer, J., dissenting), Stolt-Nielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662, 699 (2010) (Ginsburg, J. dissenting), jew. unter Bezugnahme auf Carnegie v. Household Int’l, Inc., 376 F.3d 656, 661 (7th Cir. 2004): „The realistic alternative to a class action is not 17 million individual suits, but zero individual suits, as only a lunatic or a fanatic sues for $30“; in diese Richtung früher auch der Supreme Court, Amchem Prods., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 617 (1997): „The policy at the very core of the class action mechanism is to overcome the problem that small recoveries do not provide the incentive for any individual to bring a solo action prosecuting his or her rights.“; Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156, 161 (1974): „A critical fact in this litigation is that petitioner’s individual stake in the damages award he seeks is only $70. No competent attorney would undertake this complex antitrust action to recover so inconsequential an amount. Economic reality dictates that petitioner’s suit proceed as a class action or not at all“; Sebok, 65 DePaul L. Rev. 687, 690 f. (2016); Freer, 48 Akron L. Rev. 721, 744 f. (2015); Fitzpatrick, 57 Ariz. L. Rev. 161, 166 (2015); Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 38 (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 432, 450 (2014); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 756 (2012); Weston, 60 U. Kan. L. Rev. 767, 794 (2012); Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, 866 ff. (2012); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 507 (2012).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

ersetzt werden.287 Deshalb darf auch nicht – wovon aber selbst das Minderheitenvotum und die Revisionsbeklagten in American Express implizit auszugehen scheinen – nur die einzelne Klägerin mit ihrer einzelnen Schiedsvereinbarung in den Blick genommen werden.288 Schon unter einem solchen Verständnis wäre die praktische Relevanz der effective vindication doctrine deutlich vermindert.289 Das Kartelldeliktsrecht der USA – anders als das private enforcement in Europa – bezweckt eben auch die flächendeckende Abschreckung und hält echte Instrumente für eine entsprechende Durchsetzung bereit. Eine Bewertung, ob die Schiedsvereinbarung einer effektiven Durchsetzung der Rechte nach dem Clayton Act und dem Sherman Act entgegensteht, kann sich deshalb diesen Auswirkungen in der Fläche nicht verschließen.290 Die Betrachtung der Flächeneffekte führt noch zu einem weiteren alten Vorbehalt gegen die Schiedsgerichtsbarkeit. Auch wenn es nach wie vor Klägerinnen geben wird, die ihre Kartellschadensersatzansprüche verfolgen können, weil diese ihnen einen ausreichenden monetären Anreiz bieten, unterfallen auch diese Fälle als Beifang den durch die Furcht vor kollektiver Rechtsdurchsetzung motivierten Schiedsklauseln.291 Zudem haben in den USA, anders als in Europa, indirekte Abnehmerinnen nach der Illinois Brick-Rechtsprechung keine Ansprüche gegen Kartellantinnen unter US-Bundesrecht.292 Flächendeckend werden so das Kartellrecht und weitere Rechtsgebiete nahezu in Gänze dem öffentlichen justiziellen Forum entzogen – im common law, das mehr als kontinentaleuropäische Rechtssysteme davon lebt, dass Präzedenzfälle das Recht fortentwickeln, und dort gerade auch im Kartellrecht, ist das eine für alle Parteien problematische Entwicklung, die gar als Endpunkt des Rechts bezeichnet wird.293 Exemplarisch kann diese wie folgt ver287 Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, 866 ff. (2012); ausführlich zu diesem Punkt am Beispiel der Arbeitnehmer:innenschiedsgerichtsbarkeit Sternlight, 80 Brook. L. Rev. 1309, 1334 ff. (2015). 288 Brief for Respondents, Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228 (No. 12 – 133), 2013 WL 267025, S. 17 f.; umfassend hierzu Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391 S. 21 ff., S. 27 (2013); ebenso Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 435 (2014). 289 So auch Gilles, Cardozo Legal Studies Research Paper No. 391 S. 21 ff. (2013). 290 Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 37 f. (2015); Chukwumerije, 14 Pepp. Disp. Resol. L.J. 375, 459 (2014); Gilles 88 Notre Dame L. Rev. 825, 866 ff. (2012); dieser Ansatz wurde vormals vertreten von Morrison v. Circuit City Stores, Inc., 317 F.3d 646, 661 (6th Cir. 2003). 291 Kristian v. Comcast Corp., 446 F.3d 25, 58 f. (1st Cir. 2006); Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 408 f., 413 f. (2016). 292 Illinois Brick Co. v. Illinois, 431 U.S. 720, 729 ff. (1977); jüngst bestätigt durch Apple Inc. v. Pepper, 139 S. Ct. 1514, 1520 ff. (2019); s. a. Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 776 (2015); Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 41, Fn. 254 (2015); Gilles, 104 Mich. L. Rev. 373, 417 f. (2005). 293 So der Titel des Aufsatzes von Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371 (2016); zu diesem Punkt auch Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3054 ff. (2015); Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 39 (2015); Horton, 60 U. Kan. L. Rev. 723, 758 f. (2012); Stempel, 60 U. Kan. L. Rev. 795, 810 f. (2012).

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

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deutlicht werden: Im Zeitraum von 2005 bis 2016 entschied der Supreme Court 16 Kartellrechtsfälle.294 Zieht man von diesen 16 Fällen all jene ab, die bei einer früheren massenhaften Verbreitung von class arbitration waivers vor Schiedsgerichten verhandelt worden wären, mit anderen Worten also alle Fälle aus unmittelbaren Vertragsbeziehungen, so wären bestenfalls noch sieben Fälle übrig geblieben, die den Supreme Court erreicht hätten.295 Das private enforcement wäre in diesem Zeitraum zu großen Teilen außerhalb des justiziellen Forums verlagert worden,296 die Fortentwicklung des Rechts wäre weitgehend eingefroren,297 und vertikale Beschränkungen würden in den USA immer noch nach einer per se Regel bewertet298. Das lässt noch außer Betracht, dass die behördliche Rechtsdurchsetzung etwa der FTC in den USA der privaten anders als in Europa nicht selten nachfolgt.299 Die Mehrheitsmeinung breitet über diese Bedenken stets den Schleier einer rein formalistisch verstandenen Privatautonomie.300 Es sei schließlich weit und breit kein Zwang ersichtlich, und den Parteien – und zwar auch den strukturell unterlegenen – stünde es stets frei, sich anderswo für den Vertragsschluss umzusehen, etwa nach einem anderem Arbeitgeber, einem Mobilfunkanbieter, einem Anbieter von Kreditkarten oder einem Zulieferer.301 Ebenso könnten sie doch die Einzel294 Auflistung bei Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 414 (2016); dort nicht mitgezählt ist die kartellrechtliche class action aus Stolt-Nielsen S.A. v. AnimalFeeds Int’l Corp., 559 U.S. 662 (2010), mutmaßlich, da es dort allein um die Schiedsvereinbarung ging. 295 Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 414 (2016); bei den verbliebenen Fällen handelte es sich hauptsächlich um Klagen der FTC sowie von Konkurrentinnen der wettbewerbsschädigenden Unternehmen. 296 Betrachtet man die Zahl privater Kartellklagen im Zeitraum von 1993 von 2018 vor den District Courts, ergibt sich, dass die drei Jahre mit den niedrigsten Verfahrenseingängen alle nach dem Jahr 2010 lagen; Zahlen vom Administrative Office of the United States Courts zum Judicial Business of the United States Courts abrufbar unter https://www.uscourts.gov/statisticsreports/analysis-reports/judicial-business-united-states-courts. Die Zahlen ergeben sich dabei für jedes Jahr aus den Tabellen C-2, für einen 5-Jahres-Zeitraum aus den Tabellen C-2 A. Siehe für einen weiteren Ausschnitt Crane, CPI February 2019, S. 3 f.; s. a. die Darstellung bei Jones, in: Bergström et al. (Hrsg), S. 15 (24 ff.); insgesamt positiver gestimmt American Antitrust Institute/University of San Francisco, Commentary on the 2018 Antitrust Report, S. 12 f. 297 Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 424 (2016): „It all depends on where you are when the music stops.“ 298 Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 414 ff. (2016); vgl. Leegin Creative Leather Prod., Inc. v. PSKS, Inc., 551 U.S. 877, 881 f. (2007); dazu Hovenkamp, 70 Fla. L. Rev. 81, 160 (2018); in anderen Bereichen, etwa Verbraucherschutz- und Arbeitnehmer:innenstreitigkeiten, wären die Folgen noch drastischer; siehe Gilles, ebd. 299 Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2909 f. (2015); die öffentliche Kartellrechtsdurchsetzung ist im Übrigen auf den niedrigsten Stand seit 1990 gesunken, siehe Kades, The state of U.S. federal antitrust enforcement, S. 2 ff. 300 Kritisch zu dieser formalistischen Lesart etwa Lemley/Lesley, 110 Nw. U. L. Rev., 1, 42 ff. (2015); Gilles, 88 Notre Dame L. Rev. 825, 863 ff. (2012); Franklin/Greenberger, 10 DePaul Bus. & Comm. L.J. 495, 509 (2012); ausführlich Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939, 1952 ff., 2008 ff. (2014). 301 Vgl. auch Elhauge, 38 Fordham Int’l L.J. 771, 774 f. (2015).

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heiten des Schiedsverfahrens frei aushandeln, ganz nach ihrem „Geschmack“.302 Aber – drum prüfe, wer sich bindet – nach Vertragsschluss seien die Parteien nun einmal an der so geschlossenen Schiedsvereinbarung festzuhalten, komme, was da wolle. Für einen solchen Formalismus steht nach Ansicht einiger wissenschaftlicher Stimmen die Lochner-Ära Modell.303 In der Tat liegt dieser Vergleich so fern nicht, wie wohl eher unfreiwillig der maliziöse Hinweis in American Express verdeutlicht, nach dem die Rechtslage in der Zeit vor 1938, damals wie jetzt endlich wieder ohne class actions, doch kaum schlechter als die in der heutigen Zeit gewesen sei.304 In jedem Fall bleibt zu konstatieren, dass Privatautonomie mehr ist als bloßer Formalismus. Mit diesem haben, „nach einem bekannten Wort Anatole Frances, alle [nur] die gleiche Freiheit, unter der Brücke zu schlafen, fehlt es m.a.W. vielen an einer materialen Freiheit.“305 Teil dieser so fehlenden materialen Freiheit ist der durch das Kartellrecht geschützte Wettbewerb sowie die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer:innen. Vor diesen Zusammenhängen verschließt der Supreme Court die Augen.

V. Die prospective waiver doctrine Aufgrund des nationalen Sachverhalts hatte der Supreme Court keine Gelegenheit gehabt, sich in American Express auch noch zu internationalen Sachverhalten zu äußern, namentlich zur prospective waiver doctrine aus Fußnote 19 des MitsubishiUrteils.306 Bei diesem Unterfall der effective vindication doctrine hatte der Supreme Court mit der Invalidierung einer Forenwahlklausel gedroht, wenn die Kombination (in tandem) der Wahl ausländischen Rechts und eines drittstaatlichen Forums zur Umgehung zwingender US-amerikanischer Normen eingesetzt würde.307 Fußnote 19 war allerdings schon vorher unbeliebt gewesen, und zwar in Rechtsprechung308 und Literatur309 gleichermaßen. Zudem war die schiedsfreundliche Einstellung der Ge302

Epic Sys. Corp. v. Lewis, 138 S. Ct. 1612, 1623 (2018). Benannt nach Lochner v. New York, 198 U.S. 45 (1905); hiermit wird gemeinhin eine Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben, in der der Supreme Court rigoros progressive Versuche der staatlichen Marktregulierung im Namen der Vertragsfreiheit verwarf; vgl. etwa Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3083 (2015); Schwartz, 87 Ind. L. J. 239, 259 (2012); Moses, 34 Fla. St. U. L. Rev. 99, 113, 158 f. (2006). 304 Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 236 f. (2013). 305 Riesenhuber, ZfPW 2018, 352 (362). 306 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637, Fn. 19 (1985). 307 S. o. Kapitel 3 – C.V. 308 Richards v. Lloyd’s of London, 135 F.3d 1289, 1295 (9th Cir. 1998): „Without question this case would be easier to decide if this footnote in Mitsubishi had not been inserted“ (Hervorhebung im Original); s. a. die Nachweise in Kapitel 3, Fn. 317. 309 Siehe etwa Rau, 3 WAMR 133, 142 f. (2009): „an appreciation of the indispensable nature of choice-of-law and choice-of-forum clauses, and universal recourse to them, has given 303

E. Die Agonie der effective vindication doctrine

177

richte ursprünglich gerade in Fällen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Anwendungsbereich des UNÜ entdeckt worden,310 was eine durchgreifende Prüfung anhand des in tandem-Arguments nicht unbedingt wahrscheinlicher erscheinen lässt. Konsequenterweise war die Berufung auf dieses Argument auch nahezu nie erfolgreich.311 Zwei hauptsächliche Rechtsprechungslinien lassen sich seit dem kartellrechtlichen Sachverhalt aus Mitsubishi nachverfolgen, einmal die Lloyd’s of London-Saga312 zum Kapitalanlageschutzrecht und einmal Fälle zum internationalen Seeverkehr313. Dort waren teils Normen streitgegenständlich, die in den USA zur public policy zu zählen und auch international zwingend sind, und die zudem zumeist in Fällen strukturellen Ungleichgewichts angewendet wurden. Durch die Kombination von ausländischen Rechts- und Forenwahlklauseln in tandem wurden diese Streitgegenstände der Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte entzogen und in mehr oder weniger entlegenen Weltregionen verhandelt.314 Die Gerichte zeigten sich rise to a growing consensus that footnote 19 has become an embarassing anomaly – indeed virtually ,inapplicable‘“, zitiert nach Fazilatfar, Overriding Mandatory Rules, S. 167, Fn. 75; Carbonneau, 19 Vand. J. Transnat’l L. 265, 287 (1986): „most arcane and intellectually suspect reasoning.“ 310 Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1275 (11th Cir. 2011), dort unter Verweis auf die oben bereits besprochenen Entscheidungen des Supreme Court. 311 Eine aufsehenerregende Ausnahme war die Entscheidung Thomas v. Carnival Corp., 573 F.3d 1113, 1120 ff. (11th Cir. 2009); ausführlich dazu Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1251 ff. (2010). Es dauerte allerdings lediglich zwei Jahre, bis sich dasselbe Gericht von diesem Urteil distanzierte, siehe Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1277 ff. (11th Cir. 2011); ebenso Suazo v. NCL (Bahamas), Ltd., 822 F.3d 543, 551 ff. (11th Cir. 2016); Escobar v. Celebration Cruise Operator, Inc., 805 F.3d 1279, 1290 (11th Cir. 2015); Aggarao v. MOL Ship Mgmt. Co., 675 F.3d 355, 372 (4th Cir. 2012); Williams v. NCL (Bahamas) Ltd., 686 F.3d 1169, 1171 (11th Cir.), opinion withdrawn and vacated, 691 F.3d 1301 (11th Cir. 2012). 312 Dort ging es um Kapitalanlagen in dem britischen Schiffsversicherer Lloyd’s of London, die zu einem erheblichen Kapitalverlust führten und einen Justizkonflikt zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich heraufbeschwörten. Anleger:innen versuchten erfolglos gegen die Verträge vor dem forum derogatum in den USA vorzugehen, wurden dann in England in Anspruch genommen, und diese Urteile wurden auch in den USA vollstreckt; siehe dazu Buxbaum, IPRax 2002, 232 (passim) sowie die ausführliche Aufarbeitung bei Weller, Ordrepublic-Kontrolle, S. 270 ff. 313 In diesen klagen zumeist bei Kreuzfahrtreedereien unter Vertrag stehende Seeleute gegen die Schifffahrtsunternehmen. Zugunsten der Seeleute gibt es eine Reihe zwingender Vorschriften im US-amerikanischen Recht, etwa den Jones Act, der ihnen einen Gerichtsstand in den USA bei einer Rechtsverletzung auf See eröffnet, 46 U.S.C. § 30104, sowie der Seaman’s Wage Act, der ihnen mehrfachen Schadensersatz bei verspäteten Lohnzahlungen zugesteht, 46 U.S.C. § 10313, vgl. die Nachweise in Kapitel 3, Fn. 311; im weiteren Sinne diesem Themenkomplex zuzurechnen ist auch das Urteil des Supreme Court in Vimar Seguros, siehe dazu bereits oben Kapitel 3 – E.I.2. 314 In den Lloyd’s of London-Fällen war der nach Gerichtsstandsvereinbarungen prorogierte Gerichtsstand England und das anwendbare Recht das englische. In der Rechtsprechung zum Seeverkehr richtete sich beides nach Schiedsgerichten in typischen Flaggenstaaten, etwa die Kombination der Wahl panamaischen Rechts mit einem Schiedsgericht mit

178

Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

davon wenig beeindruckt, und Klägerinnen, die unter Berufung auf Fußnote 19 ein Derogationsverbot geltend machen wollten, verloren sowohl im Einrede-315 als auch im Anerkennungsverfahren316. Mehrere Gerichte haben dem in tandem-Argument rundheraus als obiter dictum die Bindungswirkung abgesprochen.317 Soweit es, wie in den Lloyd’s of LondonVerfahren, um die Kontrolle der Gerichtsstandsvereinbarungen im Einredeverfahren ging, überwogen Rechtssicherheit und Privatautonomie.318 Letztlich setzte sich ein Test durch, in dem die Gerichte nicht auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung der jeweiligen US-amerikanischen Vorschriften sondern vielmehr darauf abstellten, ob durch die Rechtswahl ein Ergebnis zu erwarten sei, welches durch fundamentale Widersprüche zu grundlegenden Wertungen des US-amerikanischen Rechts ein untragbares präsumtives Ergebnis produzieren würde.319 Hierbei wurde aber die ausländische Rechtsordnung insgesamt in den Blick genommen,320 und da sich in den meisten Rechtsordnungen grundlegende Ideen wie vertragliche Sekundärrechtsbehelfe und deliktische Ansprüche finden lassen, ist diese Prüfung auch als Trompel’œil bezeichnet worden321. Bei Schiedsgerichten rekurrierten die Gerichte hingegen im Einredeverfahren322 zunächst auf Art. 2 Abs. 3 UNÜ. Hinfällig oder unwirksam im dort benannten Sitz auf den Philippinen, so im Verfahren Thomas v. Carnival Corp., 573 F.3d 1113, 1116 (11th Cir. 2009). 315 Siehe für den Schlusspunkt der Lloyd’s-Prozesse im Einredeverfahren Lipcon v. Underwriters at Lloyd’s, London, 148 F.3d 1285, 1291 (11th Cir. 1998) m. w. N. zu den Entscheidungen der Bundesberufungsgerichte für die übrigen Bezirke; aus dem internationalen Seeverkehr Suazo v. NCL (Bahamas), Ltd., 822 F.3d 543 (11th Cir. 2016). 316 Für ein Urteil aus den Lloyd’s-Anerkennungsverfahren Soc’y of Lloyd’s v. Turner, 303 F.3d 325 (5th Cir. 2002); aus dem internationalen Seeverkehr Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 487 (11th Cir. 2019). 317 Simula, Inc. v. Autoliv, Inc., 175 F.3d 716, 723 (9th Cir. 1999)( „we do not consider that footnote to be binding“); Richards v. Lloyd’s of London, 135 F.3d 1289, 1295 (9th Cir. 1998) („dictum in a footnote regarding antitrust law“); George Fischer Foundry Sys., Inc. v. Adolph H. Hottinger Maschinenbau GmbH, 55 F.3d 1206, 1209 (6th Cir. 1995) („fragment of the footnote“); Roby v. Corp. of Lloyd’s, 996 F.2d 1353, 1364 (2nd Cir. 1993) („clearly in dicta“); Riley v. Kingsley Underwriting Agencies, Ltd., 969 F.2d 953, 957 (10th Cir. 1992) („isolated sentence in a footnote“). 318 Buxbaum, IPRax 2002, 232 (236); Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 297 f. 319 Ausführlich Lipcon v. Underwriters at Lloyd’s, London, 148 F.3d 1285, 1292 ff. (11th Cir. 1998) m. w. N.; s. a. Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1249 ff. (2010). 320 Lipcon v. Underwriters at Lloyd’s, London, 148 F.3d 1285, 1297 ff. (11th Cir. 1998) m. w. N.; vgl. für Schiedsverfahren nur Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 498 ff. (11th Cir. 2019). 321 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 296 f.; s. a. 298 f. 322 Das Prüfprogramm im Einredeverfahren kann wie folgt zusammengefasst werden, siehe Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1269 (11th Cir. 2011): „(1) courts should apply a strong presumption in favor of enforcement of arbitration and choice clauses; (2) U.S. statutory claims are arbitrable, unless Congress has specifically legislated otherwise; (3) choice-of-law clauses may be enforced even if the substantive law applied in arbitration

F. Zwischenergebnis

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Sinne sei eine Schiedsvereinbarung aber nur bei Gründen, die so anerkannt seien, dass sie sich transnational subsumieren ließen.323 Betrug sei ein solcher Grund, der Abschluss einer „take-it-or-leave-it“-Schiedsklausel sei keiner.324 Auch sei unerheblich, ob es überhaupt einen in den USA zu vollstreckenden Schiedsspruch gebe, denn dieses Risiko sei Schiedsverfahren immanent.325 Im Übrigen sei die public policy-Prüfung gem. Art. 5 UNÜ ausschließlich für das Anerkennungsverfahren vorbehalten;326 ohnehin berücksichtigen ordentliche Gerichte auch hier nur grundlegende fairness-Gesichtspunkte327. Was die Kosten des Schiedsverfahrens als Angriffspunkt unter der effective vindication doctrine angeht, haben Gerichte bis jetzt mehrfach offen gelassen, ob diese auf ein Schiedsverfahren unter der UNÜ-Anwendung finden kann, aber gleichzeitig auch bekannt, dass ihnen kein entsprechender Fall bekannt sei.328

F. Zwischenergebnis I. Zusammenfassung Die Rechtsprechung des Supreme Court erzählt mit Mitsubishi und American Express die Geschichte zweier ungleicher Brüder. In Mitsubishi wurde den private potentially provides reduced remedies (or fewer defenses) than those available under U.S. law; and (4) even if a contract expressly says that foreign law governs, as in Vimar, courts should not invalidate an arbitration agreement at the arbitration-enforcement stage on the basis of speculation about what the arbitrator will do, as there will be a later opportunity to review any arbitral award“; ebenso Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 498 (11th Cir. 2019); siehe speziell zur Ablehnung, im Einredeverfahren über das Ergebnis der Rechtsanwendung zu spekulieren, auch den kartellrechtlichen Fall JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 182 (2nd Cir. 2004). 323 Escobar v. Celebration Cruise Operator, Inc., 805 F.3d 1279, 1286 f. (11th Cir. 2015); Aggarao v. MOL Ship Mgmt. Co., 675 F.3d 355, 373 (4th Cir. 2012); Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1276 f. (11th Cir. 2011). 324 Escobar v. Celebration Cruise Operator, Inc., 805 F.3d 1279, 1286 f. (11th Cir. 2015); Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1276 f. (11th Cir. 2011). 325 Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1279 (11th Cir. 2011). 326 Escobar v. Celebration Cruise Operator, Inc., 805 F.3d 1279, 1287 ff. (11th Cir. 2015); Aggarao v. MOL Ship Mgmt. Co., 675 F.3d 355, 372 (4th Cir. 2012); Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1280 ff. (11th Cir. 2011). 327 Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 498 ff. (11th Cir. 2019); Suazo v. NCL (Bahamas), Ltd., 822 F.3d 543, 549 ff. (11th Cir. 2016); Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1283. (11th Cir. 2011). Das führt dazu, dass letztlich keine Kontrolle stattfindet; siehe dazu bereits Kapitel 3 – D.II. 328 Cvoro v. Carnival Corp., 941 F.3d 502 (11th Cir. 2019); Suazo v. NCL (Bahamas), Ltd., 822 F.3d 543, 548, 553 (11th Cir. 2016): „Moreover, we are aware of no court that has even applied the effective vindication doctrine to invalidate an arbitration agreement in the context of a New York Convention case“; so auch Escobar v. Celebration Cruise Operator, Inc., 805 F.3d 1279, 1291 (11th Cir. 2015).

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Kapitel 3: Rechtsvergleichende Betrachtung

attorney generals der Weg zur objektiven Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche geebnet. Die Anwendung des US-amerikanischen Kartellrechts war hierfür aber eine Bedingung. Der Supreme Court setzte der Eignung von Schiedsgerichten zur Behandlung spezialgesetzlicher Ansprüche wegen der typischerweise hinter diesen Ansprüchen stehenden übergeordneten Gemeinwohlerwägungen zudem Grenzen; er zog diese mit der effective vindication doctrine dort, wo Klägerinnen ihre Ansprüche in einem schiedsgerichtlichen Forum nicht mehr effektiv durchzusetzen vermögen. Diese Doktrin wurde im Einredeverfahren in Fällen des materiellen Anspruchsausschlusses wie auch prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten angewandt. Daneben drang das Gericht auf eine nachgelagerte Kontrolle im Anerkennungsverfahren. Wenig Aufwand verwendete der Supreme Court auf die sachliche Reichweite der Schiedsklausel zur Einbeziehung solcher kartellrechtlicher Ansprüche, die im Zusammenhang mit dem Vertrag stehen. Mitsubishi ist hierbei aber nur ein Teil einer größeren Rechtsprechungslinie, die eigentlich nicht das Kartellrecht, sondern zunächst den FAA und zuletzt gerichtlichen Kontrollverlust zum Gegenstand hat. Beginnend in den 1980er-Jahren wurde der FAA von Grund auf verändert. Mit der schiedsfreundlichen Einstellung wurden systematisch rechtsstaatliche Mechanismen abgebaut. Mittlerweile ist zu konstatieren, dass das Gericht sich spätestens in American Express, dem zweiten Teil der hier erzählten Geschichte, von seinen Wurzeln aus Mitsubishi verabschiedet und ausgehend von Vorbehalten gegen class actions die effective vindication doctrine eingemottet hat. Hier wurde das Gegengewicht zur Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Ansprüche aufgegeben. Dies hat dazu geführt, dass das Schiedsrecht nunmehr tatsächlich dazu eingesetzt werden kann, die Inanspruchnahme aus kartellrechtlicher Haftung zu verhindern; zumindest bei Wettbewerbsverstößen, die Streuschäden nach sich ziehen, verliert es so seine kompensatorische und vor allem abschreckende Wirkung. Diese im unmittelbaren Zusammenhang mit den beiden vorstehend genannten Entwicklungen zu lesende Entscheidung ist dogmatisch unhaltbar und rechtspolitisch bedenklich.

II. Antworten auf die untersuchten Fragen aus der Perspektive des US-amerikanischen Rechts In Kurzform lauten die Antworten auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand somit: Bei der weiten Auslegung von Schiedsvereinbarungen macht das US-amerikanische Recht keine Ausnahmen für Kartellschadensersatzansprüche. Das ist die Antwort auf die erste Kardinalfrage des hiesigen Untersuchungsgegenstandes.329 Der internationale Geltungsanspruch von Normen tritt hinter Rechtswahlklauseln zurück. Für die Überprüfung kartellrechtlicher Schiedssprüche im Anerkennungsverfahren ist ausreichend, dass das Schiedsgericht kursorisch die entsprechenden 329

S. o. Kapitel 1 – B.

F. Zwischenergebnis

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Probleme angesprochen hat. Eine weitergehende Kontrolle anhand objektivierter Maßstäbe erfolgt im Einredeverfahren dennoch nicht. Das gilt sowohl für die Frage der praktischen Rechtsverwirklichung, als auch für die Vereinbarung eines drittstaatlichen Streitbeilegungsforums. Hierbei handelt es sich um Antworten auf die zweite Kardinalfrage des hiesigen Untersuchungsgegenstandes.330

330

S. o. Kapitel 1 – B.

Kapitel 4

Erste Kardinalfrage: Zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen Im nachfolgenden Kapitel wird die erste Kardinalfrage beantwortet: Ob Schiedsvereinbarungen – und damit auch Gerichtsstandsvereinbarungen1 – bei Auslegung nach deutschem Recht Kartellschadensersatzansprüche erfassen, konkret also, ob der deliktische Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB in den sachlichen Anwendungsbereich einer solchen Klausel einbezogen ist. Diese Auslegung wird zunächst ausschließlich gem. §§ 133, 157 BGB vorgenommen (A.) und dann im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsvereinbarungen überprüft (B.).

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzansprüchen Für die Beantwortung der Frage nach deutschem Recht werden zunächst Auslegungsgrundsätze im Deliktsrecht dargestellt (I.) und Ansätze aufgezeigt, die einer Erfassung von Kartellschadensersatzansprüchen entgegenstehen könnten (II.), wobei rechtsvergleichend wegen der illustrativen Rechtsprechung zum europäischen Kartelldeliktsrecht das Beispiel des Vereinigten Königreichs einbezogen wird. Sodann wird ein eigener Ansatz zur Behandlung der Ansprüche entwickelt (III.). Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf weite Schiedsklauseln.2

I. Grundsätzliches Die Auslegung von Forenwahlklauseln3 erfolgt nach allgemeinen Grundsätzen nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB.4 Zu ermitteln ist also der wirkliche Wille der 1

Zu dieser Gleichsetzung s. o. Kapitel 2 – F.I. und sogleich Kapitel 4 – A.I.1. Zum Begriff der weiten Schiedsklausel sogleich, sowie zu diesem Untersuchungsgegenstand unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa). 3 Zu dieser Begrifflichkeit s. o. Kapitel 2 – F.I. 4 Für Schiedsvereinbarungen BGH, NJOZ 2019, 1540 (1541); BGH, NJW-RR 2013, 1336 (1337); OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2019, 290 (294); MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 105 m. w. N.; für Gerichtsstandsvereinbarungen BGH, NJW 2019, 1300 (1302); OLG 2

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

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Parteien unter Berücksichtigung der Umstände, die Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern.5 1. Gleichklang der Auslegung von Forenwahlklauseln nach nationalem Recht Wie erwähnt, werden im deutschen Recht einmal gem. §§ 133, 157 BGB gefundene Auslegungsergebnisse häufig simultan für beide Forenwahlklauseln herangezogen.6 Diese Herangehensweise ist nicht unumstritten. So ist etwa geäußert worden, dass Schiedsvereinbarungen grundsätzlich restriktiver auszulegen seien, da mit ihnen die staatliche Gerichtsbarkeit in Gänze derogiert werde.7 Ebenso wird umgekehrt insinuiert, Schiedsvereinbarungen seien tendenziell großzügiger auszulegen, eben weil sie den Willen erkennen ließen, die staatliche Gerichtsbarkeit insgesamt abzuwählen.8 Abstrakt betrachtet erscheint es allerdings sehr fraglich, wie ein solches Fazit mit dem Postulat der Gleichwertigkeit von Schiedsgerichten und ordentlichen Gerichten9 in Einklang zu bringen sein soll. Die pauschale und auf keine gesetzliche Anhaltspunkte stützbare Annahme, die Gesamtderogation der staatlichen Gerichte im kaufmännischen Geschäftsverkehr stelle per se einen für die Parteien folgenreicheren Schritt dar, und deshalb müsse man Schiedsvereinbarungen anders auslegen, und zwar restriktiver, ist mit einem zeitgenössischen Blick auf die Schiedsgerichtsbarkeit nicht zu vereinbaren. Sie verkennt, dass die privatautonome Vereinbarung, antizipierte Streitigkeiten unter Zuhilfenahme eines vor allem bezüglich der Konstitution des Schiedsgerichts und der Ausgestaltung der Verfahren verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Schiedsgerichts zu lösen, nicht weniger wertig ist als die Vereinbarung, im Streitfall ein vorher bestimmtes örtlich zuständiges Gerichts anzurufen.10 Unbestritten hat eine Schiedsabrede andere Auswirkungen, die von den Parteien aber grundsätzlich eingepreist sind und auch mit Brandenburg, NJW 2006, 3444 (3445 f.); Musielak/Voit/Heinrich, § 38 ZPO Rn. 5; Stein/ Jonas/Bork, § 38 ZPO Rn. 59. 5 BGH, NJW 2019, 1300 (1302); MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 105. 6 Siehe oben Kapitel 2 – F.I. 7 Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (588); Funke, WuW 2017, 624 (624); Wolf, IPrax 2018, 594 (598 f.); tendenziell wohl auch Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 426. 8 Thole, ZWeR 2017, 133 (142 f.). 9 BGH, NJW 2004, 2898 (2899); Gößling, Europäisches Kollisionsrecht, S. 6 f.; Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 32 ff., s. a. S. 268 („Gleichwertigkeitspostulat“); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 253; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, S. 187 f.; Schütze, in: FS Stürner I, S. 531 (536); Hesselbarth, Schiedsgerichtsbarkeit und Grundgesetz, S. 10; BT-Drs. 13/5274, S. 34 (Schiedsgerichte bieten eine zu staatlichen Gerichten „gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit“). 10 Siehe auch Schütze, in: FS Stürner I, S. 531 (536): „Beide Gerichte sind zwar gleichwertig aber nicht gleichartig.“

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

den besonderen Vorteilen der Schiedsgerichtsbarkeit erkauft werden. Ebenso klar scheint, dass sich die ökonomischen Erwägungen der Parteien, die sie überhaupt dazu bringen, die Zuständigkeit eines Streitbeilegungsforums zu vereinbaren,11 nicht mit der Art des Forums bzw. der Auswechselung der Beurteilungsgrundlage gem. § 38 Abs. 1 ZPO oder § 1029 Abs. 1 ZPO verändern12. Entsprechend werden die Klauseln in der Rechtsprechung bei Anwendung der §§ 133, 157 BGB auch einheitlich ausgelegt. Wollte man zur Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei deliktischen Ansprüchen einen Präzedenzfall in Deutschland identifizieren, wäre es ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1965 zu Schiedsvereinbarungen.13 Auch normativ werden im Übrigen beide Arten der Forenwahlklauseln gleichgestellt, soweit deutsches Recht und nicht die Brüssel Ia-VO zur Anwendung kommt. Die rechtsstaatliche Einhegung ist weitgehend identisch: Sowohl drittstaatliche Urteile als auch in- und ausländische Schiedssprüche müssen, bevor sie in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden, gem. §§ 722 f., 328 ZPO bzw. § 1060 i. V. m. 1059 Abs. 2 ZPO, § 1061 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 UNÜ ein Exequaturverfahren durchlaufen, in dem sie nur auf ihre Vereinbarkeit mit dem ordre public geprüft werden.14 Gegenstand der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des BGH, ob eine Anerkennung und Vollstreckung des Urteils oder Schiedsspruchs, also das Ergebnis des Prozesses, gegen den ordre public verstößt, und nicht, ob Normen, auch solche zwingender Natur, vom erkennenden Spruchkörper bloß falsch angewandt wurden.15 Das weist diesen Spruchkörpern eine ähnliche Qualität der Rechtsanwendung zu. Ein rechtsvergleichender Blick bestätigt dies: In England dominiert die hier vertretene Auffassung,16 in den USA ohnehin17. 11

Siehe dazu unten Kapitel 4 – A.III.1.b). Vgl. Wagner, ZVglRWiss 114, (2015), 494 (506 f.). 13 BGH, NJW 1965, 300 (300); dieses Urteil zu Schiedsvereinbarungen wird regelmäßig auch für die Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen herangezogen, so explizit OLG Stuttgart, NJOZ 2008, 2290 (2292 f.); OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334); HansOLG, VersR 1978, 1115 (1115); Maier, Marktortanknüpfung, S. 219; Geimer, IZPR, Rn. 1719; PG/Wern, § 40 ZPO Rn. 3; der Sache nach etwa auch BAG, NJW 1970, 2180 (2181); OLG Brandenburg, BeckRS 2014, 4896; MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 80; Stein/Jonas/Bork, § 40 ZPO Rn. 1.; zum Aussagegehalt des BGH-Urteils noch sogleich. 14 Für Urteile im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO gilt das nicht, da diese gem. Art. 39 Brüssel Ia-VO ex lege vollstreckbar sind. Allerdings kann sich auch hier die Vollstreckungsschuldnerin unter Berufung auf den ordre public gegen die Vollstreckung wehren, wenn sie unter Rekurs auf Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO ein neues Verfahren gem. Art. 45 Abs. 4, Art. 46 ff. Brüssel Ia-VO anstrengt; zum Ganzen MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 45 Rn. 1 ff. 15 Siehe hierzu speziell bei kartellrechtlichen Schiedssprüchen BGH, NJW 1969, 978 (979) – Fruchtsäfte; zustimmend Bien, ZZP 132 (2019), 93 (97); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (249); Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 75; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO, Rn. 321; Mankowski, RIW 2018, 1 (15); Langen/Bunte/C. Stadler, § 185 GWB Rn. 246; allgemein zu Gerichtsstandsvereinbarungen BGH, NJW 1998, 2358 (2358); BGH, NJW 1992, 3096 (3098); MüKoZPO/Gottwald, § 328 ZPO Rn. 123. 16 Siehe Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (210), sowie ausführlich unten Kapitel 4 – A.II.2. 12

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

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Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob das europäische Recht unterschiedliche und autonom zu bestimmende Maßstäbe an die Behandlung von Forenwahlklauseln anlegt.18 Bei der hier vorgenommenen Auslegung der sachlichen Reichweite gem. §§ 133, 157 BGB ist es aber gerechtfertigt, beide Forenwahlklauseln einheitlich zu behandeln und Auslegungstopoi einer Klausel auch auf die jeweils andere zu übertragen. 2. Auslegungsgrundsätze bei deliktischen Ansprüchen a) Klauselarten In der Kautelarpraxis sind Schiedsabreden und Gerichtsstandsvereinbarungen auf zwei Arten verbreitet, zum einen als sogenannte enge Klauseln, die alle Streitigkeiten „aus dem Vertrag“ dem vereinbarten Streitbeilegungsforum überantworten, zum anderen – und verbreiteter – als weite Abreden, die alle Streitigkeiten „im Zusammenhang mit dem Vertrag“ erfassen sollen.19 b) Enge Forenwahlklauseln Der BGH hatte schon 1965 die Gelegenheit gehabt, sich mit der sachlichen Reichweite einer engen Schiedsklausel zu befassen. In dieser Entscheidung platzierte er einen Gedanken, der als Keimzelle für heute nahezu einhellig vertretene Grundsätze der Auslegung von Forenwahlklauseln gelten kann.20 Er befand dort nämlich, dass maßgeblich für die Annahme einer Streitigkeit „aus dem Vertragsverhältnis“ der behauptete Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht, nicht der daraus hergeleitete Anspruch sei.21 Sachverhalte, die Vertragsstörungen darstellten, seien auch einheitlich vom Schiedsgericht zu behandeln, weil widrigenfalls die Gefahr einer Umgehung dieser Zuständigkeit durch die Einkleidung des Begehrs in eine 17 Das gilt zumindest für das hier genannte Argument, dass Schiedsvereinbarungen nicht restriktiver ausgelegt werden sollten als Gerichtsstandsvereinbarungen; tatsächlich werden sie wohl eher extensiver ausgelegt, als das bei Gerichtsstandsvereinbarungen der Fall ist; s. o. Kapitel 3 – C.II.; Kapitel 3 – D.I.; s. a. Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (210). 18 Dazu Kapitel 4 – B. 19 LG Dortmund, WuW 2017, 621 (621); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (123); Thole, ZWeR 2017, 133 (134 f.); Thiede, NZKart 2017, 589 (589); Elsing, in: FS Westphalen, 109 (120 f.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 108; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (160); s. a. die Musterklauseln der DIS 2018, abrufbar unter http://www.disarb.org/de/17/klauseln/uebersichtid0, sowie der ICC, abrufbar unter https://iccwbo.org/publication/standard-icc-arbitration-claus es-german-version/, bei denen es sich jeweils um weite Schiedsklauseln handelt. 20 BGH, NJW 1965, 300 (300); siehe dazu auch bereits oben Kapitel 4 – A.I.1. 21 BGH, NJW 1965, 300 (300) („Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis“), im Anschluss an RG, JW 18, 263 Nr. 8; ebenso BGH, NJW 1988, 1215 (1215) („Streitigkeiten (…) aus dem (…) Provisionsanspruch“); für Gerichtsstandsvereinbarungen etwa BGH, NJW 1970, 2180 (2181); Stein/Jonas/Bork, § 40 ZPO Rn. 1; PG/Wern, § 40 ZPO Rn. 3.

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

andere Anspruchsgrundlage bestünde.22 Etwas anderes gelte, wenn wenigstens ein Teil der Ausführungsakte der unerlaubten Handlung nicht zugleich auch eine Vertragsverletzung darstelle.23 Auch im Übrigen hat der BGH bestätigt, dass enge Schiedsvereinbarungen zumindest „weit“ auszulegen sind24 und geht so „im Zweifel“ von der Auslegung aus, die entsprechend des Parteiwillens eine umfassende Zuständigkeit des Schiedsgerichts auch für nicht originär vertragliche Ansprüche begründet.25 Dieser Raison d’Être, dass Parteien keine Aufspaltung der Zuständigkeit wünschen, wird – jedenfalls im Ausgangspunkt – auch ganz überwiegend zugestimmt.26 Aus ihr entwickelte sich der „Grundsatz der schiedsfreundlichen Auslegung“, mit dem jetzt auch in Deutschland Kartellzivilrechtler:innen reüssieren.27 22 BGH, NJW 1965, 300 (300): „[D]ie Parteien gehen bei der Schiedsabrede davon aus, daß Tatbestände, die Vertragsstörungen darstellen, im ganzen vom Schiedsgericht und nicht vom ordentlichen Gericht beurteilt werden sollen. Diese vereinbarte Zuständigkeit läßt sich im Streitfall nicht dadurch umgehen, daß die klagende Partei eine Vertragsverletzung ihres Partners rechtlich – ob mit oder ohne Grund – als unerlaubte Handlung qualifiziert“; siehe dazu im kartelldeliktischen Kontext Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 109; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (161); Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (448); Thiede, NZKart 2017, 589 (589 f.); Weller, IPRax 2016, 48 (49), sowie allgemein die nachstehenden Fußnoten. 23 BGH, NJW 1965, 300 (300), im Anschluss an RG, JW 18, 263 Nr. 8; ebenso BGH, NJW 1988, 1215 (1215). 24 BGH, SchiedsVZ 2007, 215 (216) („Streitigkeiten (…) aus dem vorliegenden Vertrag“); BGH, NJW-RR 2002, 387 (387) („Streitigkeiten aus diesen Gesellschaftsverträgen“); ähnlich BGH, NJW 1970, 1046 (1047) („Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten aus dem (…) Vertrag“); zustimmend BGH, BeckRS 2018, 31390, Rn. 11; Zöller/Geimer, § 1029 ZPO Rn. 78: „in favorem jurisdictionis arbitri“. 25 BGH, NJW 1970, 1046 (1047); BGH, NJW 1978, 212 (212) auch für B2C Rechtsgeschäfte; jüngst für eine weite Schiedsklausel bestätigt von BGH, NJW 2017, 488 (490) („Streitigkeiten, die aus oder im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen entstehen“); auch BGH, BeckRS 2018, 31390, Rn. 11. 26 Siehe für Schiedsgerichtsvereinbarungen etwa OLG München, NZG 2016, 662 (664); OLG München, SchiedsVZ 2014, 262 (264); HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)); LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622); Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 472 ff., 480 f.; Stein/Jonas/Schlosser, § 1029 ZPO Rn. 36 ff.; Elsing, in: FS Westphalen, 109 (120 ff.); Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 3 Rn. 19; MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 106 ff.; Musielak/Voit/Voit, § 1029 ZPO Rn. 23; Saenger/ Saenger, § 1029 ZPO Rn. 15; enger Zöller/Geimer, § 1029 ZPO Rn. 80; für Gerichtsstandsvereinbarungen BAG NJW 1970, 2180 (2181); OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2015, 14693; OLG Brandenburg, BeckRS 2014, 4896; OLG Stuttgart, NJOZ 2008, 2290 (2292 f.); OLG Karlsruhe, BeckRS 2006, 9503, Rn. 7; OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334); OLG München, RIW 1989, 901 (902); KG Berlin, BB 1983, 213 (214); LG München I, NJOZ 2004, 1029 (1030); Zöller/Geimer, Art. 25 EuGVVO, Rn. 39; Zöller/Schultzky, § 38 ZPO Rn. 19; Musielak/Voit/Heinrich, § 40 ZPO Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, Art. 25 EuGVVO nF Rn. 15; Saenger/Bendtsen, § 40 ZPO Rn. 3; Stein/Jonas/Borg, § 40 ZPO Rn. 1; Wieczorek/Schütze/ Smid/Hartmann, § 40 ZPO Rn. 4; von Falkenhausen, RIW 1983, 420 (421 f.); Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2060 f.); enger wohl MüKoZPO/Patzina, § 40 ZPO Rn. 5. 27 Siehe nur LG Dortmund, WuW 2017, 621 (621); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (160); Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171); Thole, ZWeR 2017, 133 (134); Thiede, NZKart 2017, 589 (589).

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

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c) Weite Forenwahlklauseln Demgegenüber fehlen für weite Klauseln entsprechend klare Maßstäbe.28 Allerdings: Führt die weite Auslegung auch enger Klauseln dazu, dass diese immer noch nicht deckungsgleich mit weiten Klauseln sind, so gibt dies Hinweise darauf, wie weit der „Zusammenhang mit dem Vertrag“ potentiell reicht.29 Tatsächlich bestimmt die Rechtsprechung des BGH, dass „[e]ine großzügige Auslegung (…) umso mehr geboten [ist]“, wenn eine Schiedsklausel weit gefasst ist, denn in ihr komme das Interesse zum Ausdruck, „alle im Zusammenhang mit dem Hauptvertrag auftauchenden Streitfragen beschleunigt und tunlichst in ein und demselben Verfahren geklärt zu wissen, und damit [ein] Wille, solche Streitfragen so erschöpfend wie möglich dem Schiedsgericht zu übertragen.“30 Abseits dieser allgemeinen Erwägungen gibt die Rechtsprechung aber konkret über den „Zusammenhang mit dem Vertrag“ von deliktischen Ansprüchen keinen Aufschluss. Das Hanseatische OLG nahm dazu Stellung, welchen Maßstab es an den Zusammenhang mutmaßlicher deliktischer Ansprüche gem. § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 266, 27 StGB, §§ 830, 826 BGB mit einem Schiffbauvertrag legte: Da die Ansprüche ohne den Schiffbauvertrag nicht hätten entstehen können, sei der Zusammenhang unbestreitbar,31 was auf einen Kausalitätsmaßstab hindeutet. Diese Aussage wurde allerdings vom Hanseatischen OLG durch den Rekurs auf letztlich ebenso angenommene parallele und damit die Einbeziehung der deliktischen Ansprüche determinierenden vertragliche Ansprüche relativiert.32 Dieses Argumentationsmuster ist recht typisch33 und letztlich wenig zielführend34. 28

Thole, ZWeR 2017, 133 (136). Elsing, in: FS Westphalen, S. 109 (121 f.). 30 BGH, BB 1971, 369 (370) („Streitigkeiten über, aus oder anläßlich dieses Vertrages oder sonstwie oder anläßlich des Gesellschaftsverhältnisses“); LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622) (auftragsweise eine Schiedsvereinbarung „aus dem Auftrag“ sowie eine für Streitigkeiten „im Zusammenhang“ mit diesem); Thole, ZWeR 2017, 133 (135); wie im vorstehenden Urteil jüngst auch BGH, BeckRS 2018, 31390, Rn. 11; BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett. 31 HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)) („all disputes arising out of or in connection with this contract“). Der Kläger als Rechtsnachfolger ehemaliger Partenreeder i. S. d. § 489 Abs. 1 HGB a. F. begehrte in diesem Verfahren von der beklagten Werft Schadensersatz, weil der Baupreis aus einem Schiffbauvertrag wegen verdeckter Provisionszahlungen sowie der Nichtauszahlung von Zinsen übersetzt gewesen sei. Dies habe dazu geführt, dass die Partenreederei nicht wirtschaftlich habe betrieben werden können, und endete letztlich im Verlust des Beteiligungskapitals. Ursächlich hierfür war ein Firmengeflecht, hinter dem als wirtschaftlicher Profiteur der Gründer der Partenreederei stand; die Beklagte muss mit diesem Gründer eine Abrede gehabt haben, ohne dass sich diese Einzelheiten dem Sachverhalt entnehmen ließen. Das Urteil wurde aus anderen Gründen aufgehoben, siehe BGH, NJW-RR 1991, 423 (424). 32 HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)), das OLG sah bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags nicht nur eine deliktische Schädigungshandlung, sondern gleichzeitig eine Schadensersatzpflicht aus positiver Vertragsverletzung, da sich aus dem Vertrag eine allgemeine Pflicht ergeben habe, die Partenreederei bzw. ihre Mitglieder nicht zu schädigen. 29

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Jüngst hat allerdings der BGH seine Rechtsprechung im Scarlett-Urteil fortgeschrieben.35 Eine Klausel, die Streitigkeiten auch „im Zusammenhang mit dem Vertrag“ erfasse, weise auch Streitigkeiten dem Schiedsgericht zu, „die den eigentlichen Vertragsgegenstand (…) nicht nur unmittelbar betreffen, sondern dazu nur in mittelbarer Beziehung stehen.“36 Ausreichend sei ein „hinreichender Bezug“ zum Vertragsgegenstand.37 Ein solcher könne nicht mit der Überlegung verwehrt werden, dass eine vorhergehende vertragliche Beziehung zwar die Basis für die Schiedsvereinbarung war, nunmehr aber deliktische und von dieser nicht erfasste Ansprüche geltend gemacht werden, denn das stelle die Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs dar.38 d) Bedeutung der Unterscheidung für den Fortgang der Untersuchung Die in der deutschen Rechtsprechung durchaus extensive Auslegung auch schon enger Klauseln gibt Anlass zu der Frage, inwieweit die Unterscheidung zwischen engen und weiten Klauseln überhaupt zielführend ist. Teils werden etwa die engen Schiedsklauseln als bloße Kurzformel der weiten Schiedsklauseln verstanden.39 Das wird allerdings der Parteiintention nicht gerecht. Da die Willenseinigung Grundlage 33 So etwa trotz einer ansonsten weiten Auslegung OLG München, BeckRS 2017, 121060, Rn. 46, 51, zu einer Gerichtsstandsvereinbarung; LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622), zu einer Schiedsvereinbarung; Thiede, NZKart 2017, 589 (592); Musielak/Voit/Voit, § 1029 ZPO Rn. 23; letztlich selbst Thole, ZWeR 2017, 133 (143), der diesem Ansatz ansonsten skeptisch gegenübersteht, siehe ebd., S. 137. 34 Zu diesem Punkt unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa). 35 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett („Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit dem Vermehrungsvertrag“); zustimmend BGH, BeckRS 2018, 31390, Rn. 11 („Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag“); Zöller/Geimer, § 1029 ZPO Rn. 78; MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 71. In dem Urteil BGH, SchiedsVZ 2017, 144 – Scarlett hatten Klägerin und Beklagter einen Vermehrungsvertrag über die Gewährung einer Produktionslizenz für Saatgetreide geschlossen. Dieses Saatgut wurde von dem Beklagten ausgebracht, durfte allerdings unter Abbedingung des ansonsten bestehenden gesetzlichen Nachbaurechts nicht für Folgegenerationen vermehrt werden. Für das Jahr 2008 war dann zwischen den Parteien streitig, ob der Beklagte das Saatgut entgegen der vertraglich eingeräumten Lizenz selbst oder im Wege der Fremdaufbereitung vermehrt hatte, und die Klägerin begehrte unter anderem gestützt auf unionsrechtliche Normen über den gemeinsamen Sortenschutz Auskunft von dem Beklagten. Diese Ansprüche fielen unter die Schiedsvereinbarung, und zwar sowohl Ansprüche, die das Saatgut der dem Vertrag nachfolgenden Saatgutgenerationen betrafen, als auch Ansprüche, die möglicherweise dadurch entstanden waren, dass der Beklagte von dem gesetzlichen Nachbaurecht Gebrauch gemacht hatte. Nicht erfasst wären allerdings solche Ansprüche gewesen, die die Klägerin darauf gestützt hätte, dass der Beklagte unabhängig von der vertraglichen Regelung im Landhandel Verbrauchssaatgut erworben und zum Nachbau eingesetzt hätte. Siehe zu diesem Punkt noch unten Kapitel 4 – A.III.2.c)aa). 36 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett. 37 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett. 38 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146 f.) – Scarlett. 39 MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 110; das Konzept enger Schiedsklauseln ablehnend Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 421.

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

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der Kognitionsbefugnis des Schiedsgerichts ist, drückt sich eine enger gefasste Kognitionsbefugnis eben im Wortlaut bzw. in der Wahl einer engen Klausel aus.40 Entsprechend wird auch im common law dem Unterschied zwischen engen und weiten Schiedsklauseln erhebliche Bedeutung beigemessen.41 Die Fassung der Klausel bleibt also ein valides Argument, was die Rechtsprechung auch wiederholt betont hat.42 Für den Fortgang der Untersuchung wird bei Beibehaltung der Unterscheidung im Übrigen der Fokus ihrer praktischen Verbreitung entsprechend auf weite Klauseln gelegt. Wie die vorstehenden Ausführungen verdeutlicht haben, ist bei engen Klauseln die entscheidende Frage, ob ein paralleler vertraglicher Anspruch besteht, mit dem deliktische Ansprüche die Tatsachengrundlage teilen. Diese Frage ist zwar im Kartellprivatrecht nicht so eindeutig zu beantworten, wie teilweise suggeriert wird.43 In ihren Grundzügen ist sie aber geklärt und deshalb auch dogmatisch weniger interessant als die ungeklärte Frage, wann ohne eine solche geteilte Tatsachengrundlage für Kartellschadensersatzansprüche ein „Zusammenhang mit dem Vertrag“ im Sinne der bei weiten Klauseln verwendeten Formulierung anzunehmen ist.44 3. Weite Auslegung auch im Übrigen Mit Blick auf die neben dem deliktischen Anspruch aus § 33a GWB sonst denkbaren Ansprüche45 soll hier noch am Rande angemerkt werden, dass auch die Erfassung von Ansprüchen aus cic46 sowie Streitigkeiten über die Wirksamkeit und

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Siehe dazu schon oben Kapitel 2 – E.II.3. Elsing, in: FS Westphalen, S. 109 (121); ähnlich Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 481; nach Stein/Jonas/Schlosser, § 1029 ZPO Rn. 35, ist das englische Urteil in Sachen Fiona Trust sogar dasjenige, welches weltweit als Leitentscheidung zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen angesehen wird; zu diesem noch unten Kapitel 4 – A.II.2.b). 42 Elsing, in: FS Westphalen, S. 109 (121); für ein Beispiel aus der Rechtsprechung siehe insbesondere BGH, NJW-RR 2002, 387 (387), in dem der BGH einen Anspruch auf Darlehensrückzahlung einer KG gegen einen ihrer Kommanditisten als nicht von einer Schiedsklausel „aus dem Gesellschaftsvertrag“ erfasst ansah, gerade weil es sich hierbei nicht um eine weite Klausel handelte; die Unterscheidung betonen etwa auch BGH, BeckRS 2018, 31390, Rn. 11; BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett; lediglich von Rabulistik bei der Auslegung sollte Abstand genommen werden, in diesem Sinne bereits BGH, NJW 1970, 1046 (1046). 43 Siehe unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa)(1). 44 Zudem werden bloß vor Entstehung der Streitigkeit abgeschlossene Schiedsvereinbarungen in den Blick genommen, siehe dazu auch Kapitel 2, Fn. 33, Kapitel 5, Fn. 238. 45 Siehe den Überblick oben Kapitel 2 – C.II.3.d). 46 Für Schiedsvereinbarungen HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)); Stein/Jonas/Schlosser, § 1029 ZPO Rn. 36; für Gerichtsstandsvereinbarungen LG Berlin, IPRax 2005, 261 (261); Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 151; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.134. 41

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

das Bestehen eines Vertrages47 und damit auch Ansprüche aus Bereicherungsrecht, schon bei engen Klauseln einhellige Meinung ist. Damit zusammenhängend gilt der allgemeine Grundsatz, wonach Forenwahlklauseln unabhängig vom Hauptvertrag zu beurteilen und von dessen Nichtigkeit jeweils nicht berührt werden.48

II. Versuche der Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereiches von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen Ausgehend von diesem Hintergrund werden nachfolgend überblicksweise Argumente dargestellt, mit denen – teils auch schon vor dem CDC-Urteil49 des EuGH – Anstrengungen unternommen wurden, Forenwahlklauseln im deutschen Recht in wettbewerbsrechtlichen Fällen oder themenverwandten Bereichen, vor allem allgemeindeliktischen und betrügerischen Fällen, einzuschränken (nachfolgend 1.). Versucht wurde dies entweder über den Hebel der Auslegung oder über den der Wirksamkeit der Abrede. Als Inspirationsquelle wird hierbei auch das englische Recht einbezogen (nachfolgend 2.). 1. Deutschland a) Vorhersehbarkeitskriterium Von Kritiker:innen einer weiten Auslegung wird vorgebracht, eine vorvertragliche Schädigung habe zwar der schädigenden, regelmäßig aber nicht der geschädigten Partei bei Vertragsschluss vor Augen gestanden. Ein entsprechender Einbeziehungswille habe sich deshalb bei der letztgenannten Partei gar nicht bilden können,50 hätte sie sich doch ansonsten nicht auf ein von der Schädigerin vorgeschlagenes Forum eingelassen51. Dann entspreche es aber dem wohlverstandenen subjektiven Parteiwillen wie auch einer Auslegung anhand objektivierter Maßstäbe, dass eine 47

Für Schiedsvereinbarungen BGH, NJW 2017, 488 (490); BGH, NJW 1978, 212 (212); MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 110; für Gerichtsstandsvereinbarungen BGH, NJW 1987, 3080 (3081); Stein/Jonas/Wagner, Art. 23 EuGVVO Rn. 127; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.133. 48 Dies ergibt sich auch bereits aus Artikel 16 Abs. 1 UNCITRAL ML, § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO, Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO; für Schiedsvereinbarungen BGH, NJW 1991, 2215 (2216); BGH, NJW 1970, 1046 (1047); Stein/Jonas/Schlosser, § 1040 ZPO Rn. 5 ff. sowie oben Kapitel 2 – E.II.1.; für Gerichtsstandsvereinbarungen OLG Stuttgart, MDR 2008, 709 (709 f.) m. w. N.; Stein/Jonas/Bork, § 38 ZPO Rn. 64; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.133; Kapitel 2 – F.III.3.b). 49 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC; s. u. Kapitel 4 – B.I. 50 Wolf, IPRax 2018, 594 (597 f.); ders., Internationale Durchsetzung, S. 190; ebenso Hack, GWR 2018, 14 (14); Stadler, JZ 2015, 1138 (1148 f.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (507); noch weitergehend Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 218. 51 Geimer, in: FS Martiny, S. 711 (732); Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 191.

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Einbeziehung auch solcher Ansprüche in die Forenwahlklausel, die ihren Ursprung in einer vorvertraglichen oder sittenwidrigen Schädigung haben, ausscheide.52 Diese Ansicht wird auch von Wertungsgesichtspunkten getragen, da zwischen den Parteien hinsichtlich der Schädigung eine Informationsasymmetrie besteht; es mag insoweit unbillig erscheinen, dass sich der Wissensvorsprung der schädigenden Partei auch noch bei der Frage fortsetzt, wo über Ansprüche wegen dieser Schädigung verhandelt wird.53 Auch der EuGH hat seine CDC-Entscheidung maßgeblich auf dieses Kriterium gestützt.54 b) Maßstäbe der deliktischen Einbeziehung Auch wenn im Grundsatz Konsens darüber besteht, dass deliktische Ansprüche dann wie vertragliche Ansprüche einbezogen werden, wenn sie mit diesen konkurrieren,55 lässt sich doch darüber streiten, wann sie dies tun56. Konkurrieren sie nicht, sollen nach teilweise vertretener Auffassung deliktische Ansprüche nicht solche „aus“ dem Vertrag sein, sondern solche, die von Gesetzes wegen entstehen.57 In diese Richtung gehen auch Argumente, wonach deliktische Ansprüche – gegebenenfalls je nach Zeitpunkt der Entstehung – keine vertraglich „bestimmte“ Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 ZPO bzw. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO oder § 1029 Abs. 1 ZPO seien.58 Dies gelte zumal, wenn der deliktische Anspruch der Geschädigten aus einer Absprache der Schädigerin mit einer dritten Partei resultiere.59 Ebenso wird angenommen, dass es für eine Einbeziehung nicht ausreiche, dass der

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HansOLG, RIW 1982, 669 (669); OLG Stuttgart, BB 1974, 1270 (1270); Funke, WuW 2017, 624 (624); Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 137 ff., S. 180; Maier, Marktortanknüpfung, S. 166, S. 225 ff.; zustimmend Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel IaVO Rn. 366; siehe aber demgegenüber auch Rn. 362. 53 Geimer, in: FS Martiny, S. 711 (732); Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 137 ff., S. 180. 54 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC; s. u. Kapitel 4 – B.I. 55 S. o. Kapitel 4 – A.I.2.b). 56 Siehe etwa OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 6809: Keine Einbeziehung deliktischer Ansprüche aus § 826 BGB eines Anlegers gegen sein Brokerunternehmen unter folgende Schiedsklausel: „sämtliche Streitfragen, die sich zwischen uns in Bezug auf eine Transaktion oder die Auslegung, Erfüllung oder Verletzung dieses (…) Vertrags (…) ergeben“; dem zustimmend Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (172); offen gelassen im Revisionsverfahren, BGH, NJW-RR 2011, 1188 (1190). 57 Ehricke, ZZP 111 (1998), 145 (154); Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 137 f. 58 Wolf, IPRax 2018, 594 (597 f.); ders., Internationale Durchsetzung, S. 191 f.; Tzakas, Die Haftung für Kartellverstöße, S. 136 ff., S. 179 f. 59 Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589 f.); Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (168 f.); so wohl auch OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 6809.

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Deliktsanspruch nur entstehen konnte, weil ein Vertrag geschlossen worden war.60 Im Bereich des Kartelldeliktsrechts bestehe auch kein enger Zusammenhang von Klagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts zum Vertrag mit Forenwahlklausel.61 c) Betrügerische und sonst vorsätzliche, deliktische Schädigungshandlungen Bei den zwei Urteilen, die häufig als Ausgangspunkt einer Bestrebung zur einschränkenden Auslegung von Forenwahlklauseln zitiert werden, handelt es sich um ältere Rechtsprechung des OLG Stuttgart von 1973 sowie des Hanseatischen OLG von 1981 zu Gerichtsstandsvereinbarungen.62 Nach dem OLG Stuttgart hat eine Vertragspartei, die durch ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten zu einem Vertragsschluss veranlasst worden sein soll, regelmäßig nicht den Willen, für die ihr daraus zustehenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung in dem Vertrag einen Gerichtsstand zu vereinbaren.63 Dies gelte zumindest, soweit es sich um formularmäßige Abbedingungen handele, und im Übrigen habe die Schädigerin kein schutzwürdiges Interesse daran, dass ihr ihre Rechtsverteidigung entgegen der Wertung des § 32 ZPO erleichtert werde.64 Das Hanseatische OLG befand im Fall einer vorsätzlichen, betrügerischen Falschausstellung eines Konnossements, dass hieraus resultierende Ansprüche keinesfalls von einer die Zuständigkeit der Gerichte in Äthiopien prorogierenden Gerichtsstandsvereinbarung erfasst sein könnten. Denn dass redliche Parteien einen solchen Fall vorher ins Auge fassten, erschiene „ganz ungewöhnlich und verstieße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden (§§ 133, 157, 138 Abs. 1 BGB).“65 Die formularmäßige Klausel sei einschränkend auszulegen, eine Berufung hierauf scheitere auch am Einwand unzulässiger Rechtsausübung.66 Das Gericht verwahrte sich auch dagegen, „der un-

60 Vischer, in: FS Jayme, S. 993 (997); in diese Richtung auch Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 191 f.; a. A. Thole, ZWeR 2017, 133 (137); Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (89 ff.). 61 Wolf, IPRax 2018, 594 (596 ff.); ders., Internationale Durchsetzung, S. 192 f. 62 HansOLG, RIW 1982, 669; OLG Stuttgart, BB 1974, 1270. 63 OLG Stuttgart, BB 1974, 1270 (1270); die Klausel lautete: „Erfüllungsort und Gerichtsstand sind München“; ähnlich für einen Fall der cic auch LG Braunschweig, BB 1974, 571 (571 f.). 64 OLG Stuttgart, BB 1974, 1270 (1270); hiergegen OLG Stuttgart, NJOZ 2008, 2290 (2293). 65 HansOLG, RIW 1982, 669 (669); die Klausel bezog sich auf alle Streitigkeiten „under this carriage“. Die Entrüstung des OLG ist wohl vor dem Hintergrund der damaligen in Äthiopien herrschenden revolutionären Militärjunta zu verstehen, dazu von Falkenhausen, RIW 1983, 420 (422); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 425 f.; Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2063). 66 HansOLG, RIW 1982, 669 (669).

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gerechten oder gewissenlos geführten Sache zum Siege zu verhelfen.“67 Die Oberlandesgerichte stützten ihre Entscheidungen also auf eine Mischung aus auslegungsund wirksamkeitsbezogenen Argumenten, die ihren Ursprung in der angenommenen Schwere des vorsätzlichen Schädigungsverhaltens hatten.68 Diese Urteile finden auch deshalb immer wieder Erwähnung,69 weil sie im berühmten Provimi-Urteil70 des englischen High Court von 2003 unverhofft wiederauftauchten und die Entscheidung maßgeblich stützten. Dort war über einen Fall aus dem Vitaminkartell71 zu befinden; die Parteien hatten teils deutsche Gerichte prorogiert, geklagt wurde aber auf Schadensersatz unter Bezugnahme auf die besonderen Gerichtsstände der Brüssel I-VO vor dem High Court. Auszulegen war eine Gerichtsstandsklausel nach deutschem Recht.72 Nach der Konsultation der jeweiligen Parteigutachter befand der High Court, dass die Klägerinnen „much the better of the argument“ dahingehend hätten, dass bei einer Auslegung nach deutschem Recht allgemeine Gerichtsstandsklauseln betrugsähnliche oder vorsätzliche Schädigungen nicht erfassten.73 Viel spreche auch dafür, dass die kartelldeliktischen Ansprüche nicht „aus dem Vertrag“ entstammeten, sondern eben aus der separaten Kartellabrede.74 Dass der High Court diesen Urteilen allerdings derartiges Gewicht bei der Entscheidung beimaß, dürfte nicht unwesentlich damit zusammenhängen, dass in-

67 HansOLG, RIW 1982, 669 (669); die Argumentation des Hanseatischen OLG explizit ablehnend OLG Bremen, RIW 1985, 894 (895); von Falkenhausen, RIW 1983, 420 (421 f.). 68 Die argumentativen Volten beider OLG sind nicht leicht nachvollziehbar; siehe zur Kritik etwa LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Thole, ZWeR 2017, 133 (138 f.); von Falkenhausen, RIW 1983, 420 (421 f.); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 425 ff.; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 327 f.; Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (580 f.); Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2062 ff.); keine Probleme, deliktische Ansprüche aus vorsätzlichen betrügerischen Handlungen einzubeziehen, hatten etwa OLG Stuttgart, NJOZ 2008, 2290 (2293); OLG Karlsruhe, BeckRS 2006, 9503, Rn. 7; OLG München, RIW 1989, 901 (902); OLG Bremen, RIW 1985, 894 (895); LG München I, NJOZ 2004, 1029 (1030); zustimmend allerdings Maier, Marktortanknüpfung, S. 166, S. 225 ff.; Geimer, in: FS Martiny, S. 711 (731 ff.) (Derogation „bei Vorsatztaten wegen Sittenwidrigkeit unwirksam“); Vischer, in: FS Jayme, S. 993 (997 f.); Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 191 f.; Wieczorek/Schütze/ Smid/Hartmann, § 40 ZPO Rn. 4; Zöller/Geimer, § 1029 ZPO Rn. 80, Art. 25 EuGVVO Rn. 39; unalex/Hausmann, Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 143. 69 Von einer „gewissen Prominenz“ spricht Thiede, NZKart 2017, 589 (590). 70 Provimi Ltd v Aventis Animal Nutrition SA [2003] EWHC 961 (Comm). 71 Sache COMP/E-1/37.512 – Vitamine, ABl. 2003 L 6/1. 72 Provimi Ltd v Aventis Animal Nutrition SA [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 69 ff. 73 Provimi Ltd v Aventis Animal Nutrition SA [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 91 ff. („The place of jurisdiction for all disputes arising out of the legal relationship between us and the buyer is the Local Court of Lörrach and the District Court of Freiburg“). 74 Provimi Ltd v Aventis Animal Nutrition SA [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 102; anders obiter dictum zum englischen Recht, ebd., Rn. 122: „An English court would almost certainly conclude that the present disputes have arisen out of the legal relationship in connection with which the jurisdiction clauses were made. That is because an English court would say that, broadly speaking, the present disputes arise out of the contracts for the sale of the vitamins.“

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

haltlich entgegengesetzte Urteile offenbar vom Gutachter der Beklagten nicht vorgetragen worden waren.75 d) Allgemeine Geschäftsbedingungen Teils werden besondere Maßstäbe an Forenwahlklauseln angelegt, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) i. S. d. § 305 Abs. 1 BGB enthalten sind. Die formularmäßige Vereinbarung solle regelmäßig nur vertragliche Ansprüche erfassen, auf deliktische Ansprüche müsse sie sich explizit beziehen.76 Dies ergebe sich auch aus dem in § 305c Abs. 2 BGB benannten Grundsatz, nachdem Unklarheiten bei der verwendeten Klausel zuungunsten des Verwenders gehen.77 Daneben wird auch angenommen, eine solche Klausel sei wegen der fehlenden Kenntnis vom Delikt überraschend und deshalb unwirksam.78 e) Schutzgutbezogener Ansatz Speziell im Kartelldeliktsrecht kulminieren die vorstehend geäußerten Bedenken in der Literatur häufig in einer Ablehnung der Erfassung kartellrechtlicher Ansprüche durch Forenwahlklauseln. Bei Kartellverstößen kommen die vorstehend dargestellten Erwägungen nämlich zusammen; sie geschehen zumeist vorvertraglich, vorsätzlich und sind wenigstens im weiteren Sinne den fraudulösen Verhaltensweisen zuzurechnen. Dass eine geschädigte Partei, fragte man sie ex post, den speziellen Anspruch eher vor einem anderen als dem vormals vereinbarten Forum verhandeln wollen würde, liegt in vielen Fällen auf der Hand;79 nimmt man darüber hinaus an, dass die deliktischen Ansprüchen der Kartellabrede entstammen, ließe sich auch objektiv am Zusammenhang zum gesonderten Kartellfolgevertrag zwei75 Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2064); verbreitet wird daher angenommen, dieses Urteil verkenne die deutsche Rechtslage; siehe etwa Bulst, EBOR 2003, 623 (648 f.); Basedow/ Heinze, in: FS Möschel, 63, (82, Fn. 77); Thole, ZWeR 2017, 133 (138); Wurmnest, in: FS Magnus, 567 (581); ders., EuZW 2012, 933 (936); Wäschle, Weltkartelle, S. 25; wohl zustimmend aber Eilmansberger, CML Rev. 2007, 431 (444). 76 Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 192 ff.; MüKoZPO/Patzina, § 40 ZPO Rn. 5; Saenger/Bendtsen, § 38 ZPO Rn. 31; Ehricke, ZZP 111 (1998), 145 (154 ff.). HansOLG, RIW 1982, 669 (669); OLG Stuttgart, BB 1974, 1270 (1270); a. A. OLG Stuttgart, NJOZ 2008, 2290 (2293); KG Berlin, AfP 1998, 74 (74); Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 328 f.; Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (93). 77 Ehricke, ZZP 111 (1998), 145 (155) sieht als Indiz für das Vorliegen von Unklarheiten schon den Umstand an, dass Parteien um die Auslegung streiten; s. a. Provimi Ltd v Aventis Animal Nutrition SA [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 83; a. A. Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 329; Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2066); von Falkenhausen, RIW 1983, 420 (422). 78 Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 193, ohne Angabe einer Norm. 79 In diese Richtung Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591); Vischer, in: FS Jayme, S. 993 (998); Maier, Marktortanknüpfung, S.226 f.; Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 137 ff., S. 180.

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feln80. Vor allem aber sei speziell bei Kartelldeliktsfällen zu beachten, dass es sich um einen Verstoß gegen ein besonderes Schutzgut handele, dessen Einhaltung im öffentlichen Interesse liege;81 es müsse daher den schädigenden Marktteilnehmerinnen versagt sein, in ihrem eigenen Interesse über die Zuständigkeit zur Beurteilung solcher Verstöße zu disponieren82. Freilich haben die wenigen Gerichte, die mit offensiven Ansprüchen nach §§ 26 Abs. 2, 35 GWB a. F. befasst waren, für diese Argumente wenig Sympathien gezeigt.83, 84 Deshalb wird stattdessen versucht, eine Zweiteilung zwischen unmittelbar vertragsbezogenen kartelldeliktischen Ansprüchen – beispielsweise wegen verweigerter Belieferung – sowie Schadensersatzansprüchen gegen Kartellantinnen zu etablieren.85

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Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171); Wolf, IPRax 2018, 594 (596 f.); ders., Internationale Durchsetzung, S. 191 ff.; Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589 f.); Steinle/ Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (168 f.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015) 494 (507); Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 137 f., S. 180; zum EuGH und seiner vergleichbaren Argumentation in CDC unten Kapitel 4 – B.I.3. 81 So Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (507); von einem Anspruch eigener Art sprechen auch Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589). 82 Ehricke, ZZP 111 (1998), 145 (173), der dieser Sichtweise aber selbst nicht zustimmt. 83 KG Berlin, AfP 1998, 74 (74). Das KG hatte insbesondere keine Bedenken, das auf § 26 Abs. 2 GWB a. F. gestützte und auf Weiterbelieferung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Begehren der Klägerin wegen des kartellrechtlichen Charakters des Anspruchs und seines ordre public-Bezugs oder einer etwaigen Forenzersplitterung mit weiteren Beklagten als von einer Gerichtsstandsvereinbarung erfasst anzusehen; zustimmend Ehricke, ZZP 111 (1998), 145 (172 ff.). Die im Urteil des KG wiedergegebene, formularmäßige Gerichtsstandsvereinbarung lautete „Erfüllungsort und Gerichtsstand für alle vertraglichen und außervertraglichen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung“, woraus teils geschlussfolgert wird, dass es sich hierbei um einen Sonderfall handele, da die Einbeziehung auch deliktischer Ansprüche schon ob des Wortlauts eindeutig von den Parteien gewünscht war, siehe Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (580); Thole, ZWeR 2017, 133 (140). Allerdings stellt sich die Frage nach wie vor, ob die dann streitigen außervertraglichen Ansprüche solche „aus der Geschäftsverbindung“ sind. Das ist hier lediglich deshalb leichter zu bejahen, weil es um den Abbruch eines laufenden Dauerschuldverhältnisses ging. 84 Wie das KG hatte auch das OLG Stuttgart keine Bedenken, einen auf §§ 26 Abs. 2, 35 GWB gestützten Schadensersatzanspruch als von einer Gerichtsstandsvereinbarung („zuständig im Falle irgendwelcher Streitigkeiten, die dennoch in Verbindung mit dem vorliegenden Vertrag entstehen können“) erfasst anzusehen, OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334); siehe allerdings auch OLG München, WRP 2018, 629, zum Gerichtsstand beim Diskriminierungsund Konditionenmissbrauch, dazu noch unten Kapitel 4 – B.IV. 85 Den letztgenannten Umstand stellt Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (580) heraus; a. A. (beide Anspruchsarten gleichermaßen nicht erfasst) Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 194 f. Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen (Haager Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, im Folgenden HGÜ) etabliert ebenfalls eine Zweiteilung. Offensive Kartellprozesse werden dort vom Anwendungsausschluss des Art. 2 Abs. 2 lit. h) erfasst, nicht aber defensive Kartellstreitigkeiten, da sich dieser Einwand dann nur als Vorfrage stellt; siehe die deutsche Übersetzung des erläuternden Berichts zum HGÜ, Rn. 62 f., abrufbar unter https://www.hcch.net/de/publications-and-studies/details4/?pid=3959&dtid=3.

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f) Effektivitätsgebot Im engen Zusammenhang mit den schutzgutbezogenen Erwägungen wird auch vertreten, eine Einschränkung der sachlichen Reichweite von Forenwahlklauseln sei auf Grundlage des Effektivitätsgebots herbeizuführen. Diesen Anknüpfungspunkt hatte das LG Dortmund in dem Vorlagebeschluss in der Rechtssache CDC angeführt, allerdings ohne weitere Begründung.86 Ein denkbarer Ansatz ist hierbei, dass die Pflicht zur schiedsgerichtlichen Geltendmachung einen chilling effect auf prospektive Klägerinnen ausübt, mit der Folge, dass diese ihre Rechte gar nicht erst geltend machen.87 Dieser Effekt dürfte sich vor allem dann einstellen, wenn im schiedsgerichtlichen Verfahren für die effektive Geltendmachung der Ansprüche unabdingbaren Regelungen der KartSE-RL und des GWB keine Anwendung fänden.88 Daneben ist ein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot mit der nicht prozessökonomischen und insbesondere auch der Schlagkraft des private enforcement durch kollektive Rechtsdurchsetzung abträglichen Verfahrensfragmentierung begründet worden.89 Die Kartellantinnen haften gem. § 33d Abs. 1 GWB gesamtschuldnerisch für den gesamten durch das Kartell verursachten Schaden.90 Eine Schiedsvereinbarung habe zur Konsequenz, dass die hiervon gebundene Kartellantin nur vor dem Schiedsgericht verklagt werden könne und die Möglichkeit der Streitverkündung gegenüber ihren Mitkartellantinnen für einen späteren Binnenregress verliere.91 Zudem könnten die übrigen Kartellantinnen von der Geschädigten auf Ersatz des gesamten Schadens vor einem ordentlichen Gericht verklagt werden.92 Für die Beklagte bedeute dieser Umstand, dass sie sich auch nach dem Obsiegen in einem Forum gesamtschuldnerischen Regressforderungen aufgrund eines in einem anderen Forum erhobenen, tatbestandlich aber identischen Vorwurfs ausgesetzt sehen könnte.93 Der Sache nach würde sie so für Schadensposten kontributionspflichtig, für die sie vis-à-vis der eigentlichen Geschädigten wegen einer inter partes entgegenstehenden Rechtskraft des Schiedsspruchs nicht mehr hafte.94 86 LG Dortmund, NZKart 2013, 472 (475); siehe aber ausführlich zustimmend GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 118 ff. – CDC. 87 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388). 88 So Hack, GWR 2018, 14 (14) mit Blick auf die Bindungswirkung wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen; unklar Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589, Fn. 49); Funke, WuW 2017, 624 (624); skeptisch Mäsch, WuW 2016, 285 (290). 89 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 126 – CDC; Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Hack, GWR 2018, 14 (14); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586); Funke, WuW 2017, 624 (624); a. A. Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (511). 90 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)bb). 91 Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Funke, WuW 2017, 624 (624). 92 Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Funke, WuW 2017, 624 (624); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586). 93 Vgl. Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (25 f.); Wolf, IPRax 2018, 594 (599). 94 Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (25 f.).

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Weiter können unmittelbar Geschädigte etwa über den Zwischenvertrieb gleichzeitig auch mittelbar Geschädigte sein. Zudem können sie aber auch Preisschirmgeschädigte sein, wenn sie Waren von Kartellaußenseiterinnen beziehen, die im Windschatten des Kartells ihre Preise erhöht haben.95 Diese Schadenspositionen als Teil des Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB seien dann aber jedenfalls vor einem ordentlichen Gericht geltend zu machen, was dazu führe, dass nicht einmal unter den Vertragsparteien der Schiedsvereinbarung eine einheitliche Zuständigkeit bestehe.96 Insgesamt ergäben diese Umstände durch ihre mehrfache Verfahrenszersplitterung ein sachwidriges Ergebnis, was nicht nur die Parteien nicht gewollt haben könnten,97 sondern auch die Gefahr sich widersprechender und so dem Zweck von Art. 101 AEUV zuwiderlaufender Entscheidungen berge98.99 2. Exkurs: Vereinigtes Königreich An dieser Stelle soll exemplarisch die Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsklauseln im Vereinigten Königreich aufgezeigt werden. Wurmnest hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich ein solcher Seitenblick anbietet, schon ob der in grenzüberschreitenden Handelssachen erfahrenen und pragmatischen Gerichte.100 Zudem bietet das Vereinigte Königreich mit dem spezialisierten Competition Appeal Tribunal (CAT) sowie weiteren prozessualen Besonderheiten einen attraktiven Gerichtsstand gerade für Kartellschadensersatzklagen.101 Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist zudem besonders interessant, dass sich der englische High Court noch zum Zeitpunkt der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU mit einer Übertragbarkeit der CDC-Rechtsprechung auf Schiedsvereinbarungen befasst hat.102 95 Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586, 590); siehe zu dieser Konstellation auch Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 237. 96 Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586, 590); ebenso, diesen Umstand aber kritiklos hinnehmend Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161, 163); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 114; wohl auch Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (25, Fn. 61); a. A. – für eine Einbeziehung auch dieses Schadens in die Schiedsvereinbarung – Thole, ZWeR 2017, 133 (144 f.). 97 Hack, GWR 2018, 14 (14); Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Funke, WuW 2017, 624 (624); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (590). 98 Wolf, IPRax 2018, 594 (599); verhalten hierzu Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (25 ff.). 99 Siehe zu dieser Auffassung auch noch Kapitel 5 – B.I.3.c)bb)(1). 100 Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (581); s. a. ders., in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (85 ff.); ihm zustimmend Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 329 ff.; s. a. Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 431 ff.; Maier, Marktortanknüpfung, S. 242 ff.; Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 189 ff.; zur weltweiten Bedeutung des sogleich dargestellten Urteils Fiona Trust siehe Stein/Jonas/Schlosser, § 1029 ZPO Rn. 35. 101 Für einen Überblick vgl. Oest/Hess/Janutta, CCZ 2017, 273 (277 ff.); Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Raible/Lepper, § 36 Rn. 1 ff. 102 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch); s. u. Kapitel 4 – A.II.2.d).

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Methodisch ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass auch im britischen Recht nach einhelliger Meinung bei den an ihre Auslegung anzusetzenden Maßstäben nicht zwischen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen unterschieden wird.103 Gerade der im Zusammenhang mit Forenwahlklauseln als leading case angesehene Fall Fiona Trust hatte, soweit es um die tragenden Entscheidungsgründe ging, eine Schiedsklausel zum Gegenstand.104 Die Rechtspraxis für beide Forenwahlklauseln wird deshalb gemeinsam dargestellt. a) One-stop adjudication Forenwahlklauseln105 werden auch im Vereinigten Königreich ausgehend von ihrer Formulierung und vom Parteiwillen ausgelegt, wobei ebenso zu berücksichtigen ist, welche Bedeutung eine rationale Person dem Erklärungsgehalt der Parteien beigemessen hätte.106 Hierbei herrscht mittlerweile ein Ansatz vor, der als common sense approach umschrieben werden könnte. Nicht die „various linguistic nuances“107 einer Gerichtsstandsvereinbarung seien entscheidend, sondern was sich kommerziell erfahrene Parteien vernünftigerweise bei der Einigung vorgestellt hätten – und das sei eben die Vereinbarung eines einheitlichen Gerichtsstandes,

103 Monde Petroleum SA v Westernzagros Ltd [2015] EWHC 67 (Comm), Rn. 34; Donohue v Armco Inc. & Ors [2000] EWCA Civ 94, Rn. 71; Continental Bank N.A. v Aeakos Compania Naviera S.A. [1994] 1 Lloyd’s Rep. 505, 508 (CA); Briggs, Civil Jurisdiction, Rn. 23.03 ff.; ders. Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 4.33; Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Rn. 12 – 109 ff.; Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (577); Maier, Marktortanknüpfung, S. 245 ff.; Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 190. 104 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40. Der Fall wird hier – wie in der englischen Rechtsprechung und Literatur – mit Fiona Trust bezeichnet, obwohl er im Law Reporter des House of Lords, anders als noch vor dem Court of Appeal ([2007] EWCA Civ 20), mit der vorstehenden Parteirolle aufgeführt wird, siehe hierzu Briggs, Civil Jurisdiction, Rn. 23.03. 105 Die normativen Grundlagen sind für Schiedsvereinbarungen der Arbitration Act 1996 s. 6 sowie für Gerichtsstandsvereinbarungen das common law i. V. m. den Common Rules of Procedure r. 6.11, r. 6.12, r. 6.36 i. V. m. Practice Direction 6B, para.3.1(6)(d), siehe dazu Danov, Jurisdiction and Judgments, S. 70 ff., S. 104 ff., S. 225 ff. 106 Sogenannte construction and interpretation; hierzu instruktiv Arnold v Britton & Ors [2015] UKSC 36, Rn. 14 ff., Rn. 68 ff.; Rainy Sky SA & Orsd v Kookmin Bank [2011] UKSC 50 Rn. 14 ff.; auch Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Rn. 12 – 109; Briggs, Civil Jurisdiction, Rn. 23.03. 107 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 12; ähnlich auch Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (575), unter Verweis auf Continental Bank N.A. v Aeakos Compania Naviera S.A. [1994] 1 Lloyd’s Rep. 505, 508 (CA): „The answer is not to be found in the niceties of the language [of a clause]. It is to be found in a common sense view of the purpose of the clause“; dieses Urteil verweist wiederum auf Compania Naviera S.A. v Salen Rederierna A.B. [1984] 2 Lloyd’s Rep. 235, 238 UKHL: „[I]f detailed semantic and syntactical analysis of words in a commercial contract is going to lead to a conclusion that flouts business commonsense, it must be made to yield to business commonsense.“

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weshalb einer weiten Klausel zumeist auch eine weite Auslegung folgt.108 Gerichte bezeichnen diese mittlerweile vorherrschende Doktrin als presumption of one-stop adjudication.109 Bestätigt wurde diese presumption in verschiedenen Entscheidungen, welche die für Deutschland dargestellten Fallgruppen spiegeln. Zu nennen ist etwa der Donohue-Fall, in dem eine Vertragspartei mutmaßlich die vorvertragliche Abrede getroffen hatte, ihren Vertragspartner zu betrügen (pre-existing conspiracy to defraud), was aber ihre Berufung auf die Gerichtsstandsklauseln zuungunsten der geschädigten Vertragspartei im Rahmen einer anti-suit injunction vor dem Court of Appeal und House of Lords nicht hinderte.110 Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und – betrügerische oder fahrlässige – Falschangaben bei Vertragsschluss werden als von Gerichtsstandsklauseln erfasst angesehen.111 Selbiges gilt für die Erfassung deliktischer Ansprüche, darunter solche wegen einer gegen Art. 81, 82 108 Pointiert etwa Briggs, Civil Jurisdiction, Rn. 23.03: „[It] provides clear authority for the view that words of ambiguous scope will be given as broad a meaning as they may properly bear. This is because it is not rational to suppose that parties who were of sound mind will have wished some aspects of a possible dispute, for which they have made provisions, but not others, to fall within the scope of a choice of court“; ähnlich ders., Agreements on jurisdiction and choice of law, Rn. 4.40: „If litigation is expensive, and a distraction from commercial activity, why would any sane person wish to face the prospect of defending claims in more than one court? Litigation may be fun for some, but it is rarely so for the lay client. Why would it not be the intention to limit to one the courts before which, so far as the intentions of the parties may secure it, proceedings may be begun? Arguments to the contrary look very unpersuasive“; zustimmend Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 333 f. 109 Monde Petroleum SA v Westernzagros Ltd [2015] EWHC 67 (Comm), Rn. 33; Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 13, 31; Donohue v Armco Inc. & Ors [2000] EWCA Civ 94, Rn. 71; Continental Bank N.A. v Aeakos Compania Naviera S.A. [1994] 1 Lloyd’s Rep. 505, 508 (CA); Kitechnology BV v Unicor GmbH Plastmaschinen [1994] I.L.Pr. 568, 575 (CA); Harbour Assurance Co (UK) Ltd v Kansa [1993] 1 Lloyd’s Rep. 455, 470; immer wieder wird hierbei auf ein älteres Zitat aus Ashville Investments Ltd v Elmer Contractors Ltd [1989] Q.B. 488, 517 (CA) verwiesen: „I would be very slow to attribute to reasonable parties an intention that there should in any foreseeable eventuality be two sets of proceedings.“ 110 Die dort verwendete Gerichtsstandsklausel lautete: „the parties hereby irrevocably submit themselves to the exclusive jurisdiction of the English Courts to settle any dispute which may arise out of or in connection with this Agreement.“ Hierzu befand das House of Lords: „The exclusive jurisdiction clause in the sale and purchase agreement, […], was in wide terms. The practice of the English courts is to give such clauses […] a generous interpretation“; Donohue v. Armco Inc and Others [2001] UKHL 64, Rn. 14; für die Entscheidung des Court of Appeal Donohue v Armco Inc. & Ors [2000] EWCA Civ 94. 111 UBS AG v HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585, Rn. 60, 82 ff.; für den Fall einer Nichtigkeit wegen Verstoßes des Hauptvertrages gegen ein gesetzliches Verbot siehe Harbour Assurance Co (UK) Ltd v Kansa [1993] 1 Lloyd’s Rep. 455; s. a. The Angelic Grace [1995] I Lloyd’s Rep. 87, 89: „In order that there should be a sufficiently close connection [between the tortious claim and a claim under the contract], the claimant must show that either that the resolution of the contractual issue is necessary for a decision on the tortious claim, or, that the contractual and tortious disputes are so closely knitted together on the facts that an agreement to arbitrate one can properly be construed as covering the other.“

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EG (Art. 101, 102 AEUV) verstoßenden Vertragsbeendigung, unter eine weite Schiedsklausel.112 b) Fiona Trust Besondere Aufmerksamkeit verdient daneben die schon erwähnte Entscheidung Fiona Trust. Hier machten die Klägerinnen, die behaupteten, dass ein für sie nachteiliger Vertrag durch Bestechung ihrer Angestellten zustande gekommen sei, als Geschädigte die Nichtigkeit des Vertrages geltend; ebenso führten sie an, dass der Vertrag – und mit ihm die Schiedsabrede – bei Kenntnis der Bestechung nicht zustande gekommen wäre. Mit dem Argument, dieser Disput falle nicht unter die Schiedsabrede „[a]ny dispute arising under this charter“, unternahmen sie den letztlich erfolglosen Versuch, die Schiedsabrede abzustreifen.113 Bis zu dieser Entscheidung war es gängige Praxis in der britischen Rechtsprechung gewesen, mit fein ziselierter Argumentation im Hinblick auf Parteiwillen und die Usancen der jeweiligen Branche die sachliche Reichweite von Forenwahlklauseln mit so ähnlichen Formulierungen wie „arising from“ und „arising under“ unterschiedlich auszulegen. Die Richter räumten mit diesen „fussy distinction[s]“114 auf und befanden: „the time has come to draw a line under the authorities to date and make a fresh start.“115 Bewehrt mit Urteilen unter anderem des amerikanischen Supreme Court und auch des BGH116 urteilten sie, dass im internationalen Handelsverkehr ein allgemeiner Konsens dahingehend bestehe, Forenwahlklauseln weitgehend zur Wirksamkeit zu verhelfen117. Auszugehen sei stets von der rationalen Prämisse der Einbeziehung aller Ansprüche, und nicht hierfür, sondern für alle abweichenden Annahmen müsse es besondere Anhaltspunkte geben.118 Auch das 112

ET Plus SA & Ors v Welter & Ors [2005] EWHC 2115 (Comm), Rn. 49 ff.; die Klausel lautete dort: „agree to submit any potential disputes regarding the performance or the interpretation of this Contract to an arbitration tribunal“; zustimmend Danov, Jurisdiction and Judgments, S. 65 f.; siehe insgesamt zum vorstehenden auch die Nachweise bei Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 179. 113 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 1 ff. 114 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 27; s. a. Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Rn. 12 – 109. 115 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 12. 116 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 14, unter Bezugnahme auf BGH, 6 Arb. Int’l 79 (1990); es handelt sich dabei um die Entscheidung BGH, JZ 1970, 730; m. zust. Anm. Schlosser, 6 Arb. Int’l 86 (1990), im Original veröffentlicht in JZ 1970, 733. 117 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 31. 118 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 6, 7, 13: „[T]he construction of an arbitration clause should start from the assumption that the parties, as rational businessmen, are likely to have intended any dispute arising out of the

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Argument, den Parteien könne aufgrund der mangelnden Vorhersehbarkeit kein Wille zur Einbeziehung unterstellt werden, wischten die Richter beiseite.119 Schließlich führten sie aus, dass der Grundsatz der rechtlichen Trennung von Hauptvertrag und Schiedsabrede nicht zulasse, von einer möglicherweise täuschungsbedingten Unwirksamkeit des Hauptvertrages auch auf die Unwirksamkeit der Schiedsabrede zu schließen.120 Die Entscheidung hat in der Literatur Zuspruch erfahren.121 c) Ryanair v Esso Trotz ihrer insgesamt liberalen Rechtsprechungslinie ringen auch die britischen Gerichte um die sachliche Reichweite von Forenwahlklauseln bei Kartellschadensersatzklagen.122 Aus der Rechtssache Provimi ist das schon erwähnte obiter dictum in der Welt, wonach weite Gerichtsstandsvereinbarungen im englischen Recht auch Kartellschadensersatzansprüche erfassen würden.123 Als es aber dann auf diese Frage tatsächlich ankam, versagte der Court of Appeal in Ryanair v Esso die Einbeziehung der Ansprüche wegen einer Verletzung von Art. 81 Abs. 1 EG (Art. 101 Abs. 1 AEUV) in eine Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO).124 Ryanair berief sich darauf, dass diese deliktischen Ansprüche ob ihrer engen Verbindung mit vertraglichen Ansprüchen von der Klausel erfasst sein müssten.125 Die Richter waren der Auffassung, zunächst im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung untersuchen zu können, ob die gelrelationship into which they have entered or purported to enter to be decided by the same tribunal. The clause should be construed in accordance with this presumption unless the language makes it clear that certain questions were intended to be excluded from the arbitrator’s jurisdiction“; dem zustimmend Monde Petroleum SA v Westernzagros Ltd [2015] EWHC 67 (Comm), Rn. 33. 119 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 27: „The purpose of the clause is to provide for the determination of disputes of all kinds, whether or not they were foreseen at the time when the contract was entered into.“ 120 Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 16 ff., Rn. 32 ff. 121 Briggs, Civil Jurisdiction, Rn. 23.03 („heroic judgement“); ders., Agreements on Jurisdiction, Rn. 4.49; Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws, Rn. 12 – 105 ff. 122 Für weitere einschränkende Auslegungen siehe die Nachweise bei Briggs, Civil Jurisdiction, Rn. 23.08. 123 Provimi Ltd v Aventis Animal Nutrition SA [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 122; s. o. Kapitel 4, Fn. 74. 124 Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450. Hier hatte Ryanair seine Treibstofflieferantin Esso Italiana auf Schadensersatz verklagt, nachdem die italienischen Behörden einen Verstoß gegen Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) festgestellt hatten. Die Parteien hatten folgende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen: „For the purposes of the resolution of disputes under this Agreement, each party expressly submits itself to the non-exclusive jurisdiction of the Courts of England.“ 125 Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 13 ff.

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tend gemachten vertraglichen Ansprüche irgendeine vernünftige Aussicht auf Erfolg hatten,126 und kamen zu dem Ergebnis, dass es an dieser Aussicht fehle127. Mit einer Argumentation, die eine Blaupause für den EuGH in CDC gewesen sein könnte, stellten sich die Richter sodann auf den Standpunkt, vernünftige Kaufleute wären „überrascht“ zu erfahren, dass deliktische Ansprüche wegen eines Verstoßes gegen Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) in Italien von einer – hier nicht ausschließlichen – Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten englischer Gerichte erfasst würden.128 Auch die Fiona Trust-Doktrin sei nicht uneingeschränkt übertragbar, weil es sich hier anders als dazumal um eine nicht ausschließliche Gerichtsstandsklausel handele und sich die geltend gemachten deliktischen Ansprüche mit den vertraglichen keine Tatsachengrundlage teilten.129 Schließlich habe die Kartellgeschädigte keine Beziehung zu den anderen Kartellantinnen, demgegenüber aber ein Interesse, mit weiteren Geschädigten konzertiert vorzugehen, was ihr aber im Rahmen eines individuell prorogierten Gerichtsstandes nicht möglich sei.130 Inwieweit dieses Urteil verallgemeinerungsfähig ist, bleibt unklar; eine gewisse Rechtsunsicherheit auch im Vereinigten Königreich scheint die Konsequenz zu sein.131 Teils wird in der deutschen Literatur angenommen, die Umstände des Falles seien wegen der nicht ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung besonders gelagert; hier seien andere Maßstäbe angezeigt gewesen, um forum shopping einzudämmen.132 Diese Argumentation vermag allerdings nicht aufzulösen, weshalb bei fakultativ prorogierten Gerichten die Maßstäbe an den hinreichend engen Zusammenhang deliktischer Ansprüche mit dem Vertrag andere sein sollen. Dogmatisch fragwürdig erscheint aber die Vorgehensweise, die Zulässigkeit einer Klage zu verneinen, da ein unstreitig in den Anwendungsbereich der Gerichtsstandvereinbarung fallender vertraglicher Anspruch vermeintlich keine Aussicht auf Erfolg habe.133 Auch ist im englischen Recht nach Fiona Trust die Annahme, dass Kaufleute sich bei Abschluss einer Forenwahlklausel lediglich für „jeden Anspruch mit ver-

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Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 20. Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 27 ff. 128 Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 46, 49. 129 Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 45 f.; dazu Scott, Br. YeArb. Int’l Law 2014, 485 (509 f.). 130 Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 46., 49; kritisch dazu Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 134 f. (2018). 131 Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (23); Haydn-Williams, Arbitration 2014, 220 (223 ff.); Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (428). 132 So Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 331; Kamann/Ohlhoff/Völcker/ Wurmnest, § 31 Rn. 123; das erscheint schon mit den praktischen Konsequenzen des CDCUrteils, welches forum shopping ermöglicht, nicht in Einklang zu bringen. Was dort möglich ist, dürfte erst recht gelten, wenn die Parteien noch einen zusätzlichen Gerichtsstand prorogieren. 133 Haydn-Williams, Arbitration 2014, 220 (223). 127

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nünftiger Aussicht auf Erfolg“ auf ein Forum verständigen wollten, nicht unmittelbar überzeugend.134 d) Microsoft v Sony Als der High Court 2017 in der Rechtssache Microsoft v Sony mit derselben Problematik im Rahmen einer follow-on-Konstellation mit einer Schiedsabrede befasst war, akzeptierte er Ryanair als Präjudiz.135 Er gab gleichwohl Sony, welche als Beklagte und Kartellantin die Schiedseinrede erhoben hatte, wegen eines prozessualen Kabinettstückchens recht.136 Mit Blick auf die Ryanair-Doktrin wohl nicht ganz freiwillig hatte Sony nämlich argumentiert, die Ausführung eines etwaigen Kartells hätte auch gegen vertragliche Pflichten vis-à-vis Microsoft verstoßen, und zwar wegen einer Abrede im Kaufvertrag, die den Parteien auftrug, in gutem Glauben zu verhandeln und Umstände offenzulegen, die einen negativen Einfluss auf vertraglich vereinbarten Leistungen hätten.137 Bei Annahme eines deliktischen Anspruchs wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV sei es so eine notwendige Folge, einen weitgehend gleichlaufenden vertraglichen Anspruch anzunehmen.138 Microsoft als Klägerin hatte diesen vermeintlich konkurrierenden vertraglichen Anspruch gar nicht vorgetragen. Bei den Klauseln, denen das Gericht Anhaltspunkte für einen solchen Anspruch entnahm, handelte es sich auch nur um boilerplateKlauseln.139 Das Ergebnis ist nicht zuletzt deshalb erstaunlich, da das Berufungsgericht in Ryanair es noch abgelehnt hatte, bei Kartellverstößen von einer solchen impliziten vertraglichen Pflichtverletzung auszugehen.140 Dieses Mal zeigte sich der High Court gleichwohl überzeugt: Vertragliche Ansprüche Microsofts seien neben deliktischen plausibel, gut begründbar, und in materieller Hinsicht würden sich beide 134

So auch Haydn-Williams, Arbitration 2014, 220 (223 f.); zur Argumentation der Gerichte in Fiona Trust oben Kapitel 4 – A.II.2.b). 135 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 47 ff., 54, 72. Die Klausel lautete: „any disputes related to this agreements or its enforcement“, schloss aber gewisse Sachmaterien explizit aus. Der High Court schloss sich der Ryanair-Doktrin insbesondere mit folgender Erwägung in Rn. 54 an: „[I]t is difficult to see how a tortious claim can arise out of a contractual relationship when the only claim in contract that can be said to be related is unarguable.“ 136 Vgl. auch Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (424, 429), der diese Vorgehensweise als „legal parlour game“ bezeichnet. 137 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 59 ff. 138 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 70. 139 Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (428 f.): gemeint sind damit Standard-Klauseln, die in der kommerziellen Praxis in vielen Verträgen bedenkenlos integriert werden, ohne, dass Parteien diesem Umstand typischerweise besondere Bedeutung bei den Verhandlungen beimessen. 140 Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 39 „However, there is no need to give a contractual remedy for breach of a statutory duty which brings with it its own remedy. Otherwise every single contract would involve such an implied term, yet such a term has never been found to exist“; dazu Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (428).

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Ansprüche gewichtig überschneiden.141 Das ist ein eher niedrigschwelliger Test.142 Nachdem er überdies zum Ergebnis gekommen war, dass der Effektivitätsgrundsatz der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht entgegenstehe, da der Einwand der drohenden Verfahrenszersplitterung im Bereich des Kartelldeliktsrechts vom EuGH in CDC bei Gerichtsstandsvereinbarungen abgelehnt worden sei,143 ordnete der High Court ein Verfahren vor dem Schiedsgericht an.144 3. Zusammenfassung Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Deutschland wird darüber gestritten, wann insbesondere Ansprüche aus einer vorvertraglichen deliktischen Schädigung, die zumindest auch in der Abrede der Schädigerin mit einer dritten Partei wurzeln, in weite Schiedsvereinbarungen einzubeziehen sind; wo also die Grundannahme, dass solche Klauseln weit auszulegen sind, endet. Die Rechtslage in Deutschland stellt sich uneinheitlich dar. Demgegenüber haben sich britische Gerichte sehr umfassend zugunsten einer one-stop-adjudication positioniert. Die Behandlung von Kartellschadensersatzansprüchen hat allerdings auch dort für Unruhe gesorgt und die Gerichte innerhalb weniger Jahre zu zwei recht gegensätzlichen Urteilen verleitet.

III. Die Auslegung von Schiedsvereinbarungen am Maßstab des nationalen Rechts Nachstehend erfolgt eine Positionierung zu den dargestellten Eingrenzungsmöglichkeiten. Darüber hinaus wird ein eigener Auslegungsmaßstab gem. §§ 133, 157 BGB für Kartellschadensersatzansprüche im Anwendungsbereich weiter Schiedsklauseln entwickelt. Die Argumente werden dabei entsprechend ihrer jeweiligen eher subjektiven (1.) oder eher objektiven (2.) Färbung § 133 bzw. § 157 BGB zugeordnet, wobei Überschneidungen selbstverständlich nicht ausbleiben145. 1. Das subjektive Vorstellungsbild der Parteien Die Auslegung am Maßstab des nationalen Rechts hat sich, wie ausgeführt, zunächst gem. § 133 BGB am subjektiven Vorstellungsbild der Parteien zu orientieren.

141

Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 67 ff. Blanke, G.C.L.R. 2017, R 21 (R 26). 143 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 f. 144 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 70 ff. 145 Siehe nur MüKoBGB/Busche, § 157 BGB Rn. 1: „Eine klare Trennung der Anwendungsbereiche von §§ 133, 157 ist insoweit nicht möglich.“ 142

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a) Auslegung des Parteiwillens Im Ausgangspunkt stellt sich hiernach die Frage, ob Unternehmen mit einer Schiedsvereinbarung alle anlässlich der Abwicklung der Vertragsbeziehung entstehenden Streitigkeiten dem Schiedsgericht zuweisen wollen oder sich für Streitigkeiten bestimmter Qualität die teils weit verteilten allgemeinen und besonderen örtlichen Gerichtsstände der Brüssel Ia-VO erhalten wollen. Nach hier vertretener Einschätzung sollte stets eine starke Vermutung dafür streiten, diese Frage im Sinne der ersten Alternative zu beantworten. Eine solche Herangehensweise ist insgesamt naheliegend und sachgerecht. Parteien einer Forenwahlklausel, eventuell noch abgesichert über eine Rechtswahlklausel, wollen die Streitbeilegung umfassend hinsichtlich des materiell anwendbaren Rechts und prozessual bestimmenden Verfahrensrechts planbar machen und insbesondere nachträgliches forum shopping ausschließen.146 Sie wollen dem Schiedsgericht eine umfassende Kognitionsbefugnis geben,147 und zwar zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Anzulegen ist kein ex post-Maßstab, bei dem die Kartellgeschädigte für ihre Zustimmung die Fakten zugrunde legen kann, wie sie sich bei Klageerhebung darstellen, die also etwa den veränderten rechtlichen Regelungsrahmen des private enforcement Rechnung trägt.148 Maßgeblich ist vielmehr eine ex ante-Betrachtung, die sich allein auf die Frage beschränkt, wie weit die vereinbarte Zuständigkeit des Schiedsgerichts ausgehend vom Parteiwillen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsabrede reicht – in der Formulierung der englischen Gerichte „a matter of interpretation of the [Agreement], not an exercise in hindsight.“149 Zu diesem Zeitpunkt ist die Interessenlage der Parteien nämlich kongruent.150 Später, nach Entstehung der Streitigkeit, erhofft sich hingegen eine Partei Vorteile davon, das forum prorogatum zu ignorieren.151 Nach hier vertretener und nachfolgend noch weiter ausgeführter Auffassung erfassen weite Schiedsvereinbarungen deshalb auch Kartellschadensersatzansprü146

BGH, NJW 2020, 399 (403); Antomo, Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung, S. 53; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 336 f.; Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 157. 147 Der Sache nach auch BGH, BeckRS 2018, 31390, Rn. 11; BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett; BGH, NJW 1978, 212 (212); BGH, NJW 1970, 1046 (1047), jeweils ohne kartellrechtlichen Bezug; mit einem solchen LG Dortmund, WuW 2017, 621 (621). 148 Problematisch ist es deshalb auch, eine „ggfs. schon vor Jahrzehnten vereinbart[e]“ Schiedsklausel faktisch ausschließlich aus Sicht der Geschädigten vor dem Hintergrund des konkreten betroffenen Kartellfalles auszulegen; in diesem Sinne aber Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591). 149 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 72; zutreffend insoweit auch Ryanair Ltd v Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 34. 150 BGH, NJW 2020, 399 (403). 151 Antomo, Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung, S. 53 ff.; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 15 f.; zu diesem Punkt auch noch nachstehend.

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che.152 Den Parteien einer Schiedsvereinbarung wird so kein Wille unterstellt, der nicht vorhanden ist, sondern es wird die Manifestation ihres Willens, der Wortlaut einer weiten Schiedsklausel, zum Anlass genommen, ihren Intentionen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Geltung zu verhelfen.153 Wenn Parteien bestimmte Streitigkeiten aus der Schiedsvereinbarung ausnehmen wollen, können sie dies, ohne, dass es sie vor kautelarjuristische Probleme stellen würde. Sie müssen es auch, um einem entsprechenden Willen Ausdruck zu verleihen.154 Demgegenüber widerspricht der umgekehrte Fall kautelarjuristischen Grundannahmen.155 b) Die ökonomische Perspektive Diese weite Auslegung lässt sich vor allem im unternehmerischen Geschäftsverkehr durch eine ökonomische Betrachtung absichern, wie sie von den Gerichten des Vereinigten Königreichs regelmäßig impliziert wird.156 Prozessführung ist mit Verfahrens- und Transaktionskosten verbunden, die dem regelmäßigen Geschäftsablauf entzogen werden.157 Dies gilt selbst dann, wenn Prozesskosten im Falle des Obsiegens erstattungsfähig sind, da auch diese Kosten zunächst mit einer naturgemäß unsicheren Aussicht auf Rendite investiert werden müssen und gebunden sind; überdies werden Zinsen vor Erlass des Schiedsspruchs nur zurückhaltend gewährt.158 Deshalb ergibt sich für die Parteien ein starker Anreiz, Kosten zu minimieren, und ein 152 Ebenso ohne weitere Begründung PG/Wern, § 1025 ZPO Rn. 14; Musielak/Voit/Voit, § 1029 ZPO Rn. 23. 153 Wie hier Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1449 ff.; zum Wortlaut der Klauseln oben Kapitel 4 – A.I.2. 154 BGH, NJW 1970, 1046 (1047); OLG München, BeckRS 2017, 121060, Rn. 46, zu einer Gerichtsstandsvereinbarung; Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 034; zutreffend auch für das englische Recht Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 13, Rn. 31; dem zustimmend Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 134 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (80). 155 Siehe etwa Born, International Arbitration and Forum Selection Agreements, Kapitel 3 A 2 – Scope of the Arbitration Agreement, der dazu rät, möglichst simple weite Klauseln zu nutzen und nur in besonderen Fällen Ausnahmen hinzuzufügen; ähnlich Friedland, Arbitration Clauses for International Contracts, S. 60 ff., der dazu rät, stets den Musterklauseln zu folgen: „An arbitration clause that provides ambiguously for arbitration of a set of disputes that is less than the universe of disputes arising out of or in connection with the contact [sic] is an invitation to litigation about the scope of the arbitrators’ jurisdiction“; vgl. die Musterklauseln der DIS 2018, abrufbar unter http://www.disarb.org/de/17/klauseln/uebersicht-id0, sowie der ICC, abrufbar unter https://iccwbo.org/publication/standard-icc-arbitration-clauses-german-version/; zur Stellung solcher Klausen im Gesamtvertrag vgl. Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1449 f. m. w. N. („afterthought“); ähnlich Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 038. 156 Etwa Premium Nafta Products Ltd & Ors v Fili Shipping Company Ltd & Ors [2007] UKHL 40, Rn. 12; Compania Naviera S.A. v Salen Rederierna A.B. [1984] 2 Lloyd’s Rep. 235, 238 UKHL. 157 Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 12 ff.; Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 027; Briggs, Agreements on Jurisdiction, Rn. 4.40. 158 Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 027.

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Mittel zur Allokationseffizienz ist die Verfahrenskonzentration in einem Forum.159 Der solchen Klauseln zugeschriebene ökonomische Wert ist ein Teil der Erklärung, weshalb ein Verstoß gegen diese durch Klagen im forum derogatum vertragliche Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1 BGB nach sich ziehen kann.160 Auch dann, wenn ein Kartellschadensersatzprozess nur einer unter mehreren streitbefangenen Verfahrenskomplexen aus einer laufenden Geschäftsbeziehung der Parteien ist, oder wenn sie weitere Verfahrenskomplexe in den Prozess einführen wollen,161 steigert eine Schiedsvereinbarung die Verfahrenseffizienz. Zumeist bestehen zwischen diesen Ansprüchen Interdependenzen, und ist es prozessökonomisch, sie gesammelt abzuhandeln, um nicht auf die sukzessive Verhandlung in einer Vielzahl von Streitbeilegungsforen mit streitiger sachlicher Zuständigkeit angewiesen zu sein.162 Jedenfalls bei abstrakter Betrachtung deckt sich das auch mit den ökonomischen Interessen der Kartellgeschädigten als rationaler Akteurin. Subjektiv geht es dieser nämlich nicht um die in der Funktionalisierung der Privatklägerinnen ausgedrückten Ziele des private enforcement, sondern um ihre Kompensation.163 Und für diese Kompensationsansprüche aus ihrer schuldrechtlichen Sonderbeziehung zur Kartellantin hat sich die Geschädigte mit der Schiedsvereinbarung für eine besondere Form der Streitbeilegung mit verringerten Transaktionskosten entschieden.164 159 Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 027; durch ihre Allokationseffizienz haben Forenwahlklauseln auch gesamtwirtschaftliches Potential, siehe Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 12 ff. 160 So jüngst für Gerichtsstandsvereinbarungen BGH, NJW 2020, 399 (401 f.); siehe davor schon grundlegend und rechtsvergleichend Antomo, Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung, passim; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 435 ff.; speziell für Schiedsvereinbarungen Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, S. 157 ff. 161 Ausweislich der DIS Jahresstatistik 2018, S. 2, führen Klageerweiterungen und Widerklagen insgesamt zu einer Streitwertsteigerung verglichen mit dem Streitwert des Klageantrages um 24 – 34 %, http://www.disarb.org/upload/statistics/DIS-Verfahrensstatistik%20201 8.pdf; wohl a. A. als hier – Kartellschadensersatzansprüche würden „in aller Regel“ nicht parallel zu sonstigen vertraglichen Streitigkeiten geltend gemacht – Wagner, ZVglRwiss 2015, 494 (507 f.). 162 Vgl. schon für enge Schiedsklauseln Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 421: „Eine Klausel, die von Streitigkeiten ,aus diesem Vertrag‘ spricht, meint im allgemeinen auch Streitigkeiten aus nichtvertraglichen Anspruchsgrundlagen, die aus den mit dem Vertrag begründeten wirtschaftlichen Beziehungen der Parteien entstanden sind. Einige Anspruchsgrundlagen der gerichtlichen Entscheidung vorzubehalten, das aber (notgedrungen!) bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts über die ihm unterbreiteten Anspruchsgrundlagen auszusetzen, ist unnötig umständlich und bringt das Risiko einer Verkürzung des Rechtsschutzes mit sich“; Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 027. 163 Vgl. Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 303 f., m. w. N.; wohl auch Thole, ZWeR 2017, 133 (143). 164 Dass es sich in der konkreten Situation als prozessökonomischer darstellen kann, einen Prozess gegen das gesamte Kartell über eine Ankerbeklagte nach dem Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu führen, oder unter Umständen kollektive Streitbeilegungsmechanismen zu nutzen, ist demgegenüber nicht nur eine nachträgliche und damit auf den falschen Zeitpunkt

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c) Die Vorhersehbarkeit schädigender Ereignisse Gegen eine solche weite Auslegung kann insbesondere nicht ins Feld geführt werden, dass zumindest eine Partei die konkrete Streitigkeit nicht vorhersehen konnte.165 Dieser Einwand wird, beschränkt auf den konkreten Erwartungshorizont der Kartellgeschädigten, zweifelsohne regelmäßig zutreffen, denn von der geheimen Kartellabrede wusste sie nichts. Er ist aber eigentlich nur ein Allgemeinplatz. Keine redliche Partei im unternehmerischen Verkehr hat ein Interesse daran, (schieds)gerichtliche Auseinandersetzungen zu führen. Die Anlässe hierzu sind weit überwiegend unvorhergesehen, eine Schiedsvereinbarung Ausdruck der Planung für den Fall einer unwillkommenen Eventualität. Der Sinn und Zweck jedenfalls einer weiten Abrede ist deshalb auch gerade nicht, die Zuständigkeit des vereinbarten Schiedsgerichts unter den Vorbehalt der konkreten Vorhersehbarkeit zu stellen, sondern die umfassende Zuständigkeit abstrakt-generell auch für im Einzelnen unvorhergesehene Streitigkeiten zu begründen.166 Die naheliegende Reaktion auf eine sicher vorhersehbare Schädigung wäre schließlich nicht gewesen, insoweit den Anwendungsbereich einer Schiedsvereinbarung einzuschränken, sondern vom Hauptvertrag Abstand zu nehmen,167 was die mangelnde Tragfähigkeit dieses Arguments für die Auslegung verdeutlicht. Auch im Übrigen handelt es sich hierbei um einen Irrweg, der nicht weiter beschritten werden sollte. Es greift zu kurz, aus dem konspirativen Element der Kartellabrede zu schlussfolgern, diese sei schon deshalb für die kartellgeschädigte Gegenseite nicht vorhersehbar gewesen. Kartelle und wettbewerbsbeschränkende Abreden sind im Wirtschaftsleben sicherlich nicht die Anomalie, zu der sie eine solche Interpretation machen würde.168 Dagegen sprechen das Ausmaß der Kartellierung, ausgedrückt in dem erheblichen Schaden, den Kartelle anrichten, und auch abstellende Erwägung, sondern bezieht auch Umstände mit ein, die nicht inter partes zwischen den Schiedsparteien wirken können. 165 Siehe dazu oben Kapitel 4 – A.II.1.a); Kapitel 4 – A.II.1.b); Kapitel 4 – A.II.1.c), sowie zu den entsprechenden Ausführungen des EuGH unten Kapitel 4 – B.I.3.; zur mit dem hiesigen Abschnitt korrespondierenden Kritik an dessen Rechtsprechung Kapitel 4 – B.III.1.c)bb). 166 Seggewiße, EuZW 2019, 81 (82); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Thole, ZWeR 2017, 133 (141); Thiede, NZKart 2017, 589 (591 f.); Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (246); ders., in: FS Magnus, S. 567 (581); Weller, IPRax 2016, 48 (49); Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (24); Wäschle, Weltkartelle, S. 23 f.; Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (416); Dasser, in: FS Kostkiewicz, S. 21 (33); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 124; Stancke/ Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 105. 167 Thole, ZWeR 2017, 133 (139); Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 105. 168 Treffend Weller, IPRax 2016, 48 (49): „Denn der Haftungsgrund für deliktische Ansprüche ist bei Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung konkret in aller Regel unbekannt, abstrakt-generell hingegen ist die Möglichkeit deliktischer Rechtsverletzungen im Vollzug einer vertraglichen Rechtsbeziehung zweifellos und insbesondere hinsichtlich kartellrechtlicher Verbotsnormen allgemein bekannt, und dies spricht für den Einschluss daraus erwachsender deliktischer Ansprüche durch allgemein weit formulierte Zuständigkeitsvereinbarungen.“

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die zunehmende Verbreitung von Compliance-Klauseln und solchen zur Schadenspauschalisierung169. Dass eine Kartellabrede ein so seltener Fall wäre, dass schon die abstrakte Vorhersehbarkeit zu verneinen wäre, kann hiernach kaum angenommen werden.170 Auch der Umstand, dass eine Streitigkeit für eine wirksame Schiedsabrede sich auf ein „bestimmtes Rechtsverhältnis“171 beziehen muss, gibt für eine derartige Interpretation nichts her.172 Vielmehr handelt es sich dabei um einen Zirkelschluss, der die Ermittlung eines Auslegungsergebnisses mit dem Verweis auf dessen normative Voraussetzung ersetzt und nichts über die Parteivorstellung bei Vertragsschluss aussagt, anhand derer zu ermitteln ist, ob ein Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB „im Zusammenhang“ mit dem Kartellfolgevertrag steht.173 Daneben zeigt die gedankliche Erstreckung auf weitere Vorschriften des BGB, dass es sich um ein ebenso konturloses wie opportunes Kriterium handelt. Die fehlende Vorhersehbarkeit ist die ratio legis einer Reihe von Sekundärrechten, bei einer Anfechtung wegen einer arglistigen Täuschung i. S. d. § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ebenso wie beim wertungsmäßig unverdächtigen Fall der schon vor Vertragsschluss bestehenden objektiven Unmöglichkeit gem. §§ 311a Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB mit der Rechtsfolge eines Schadensersatzanspruchs nach § 311a Abs. 2 BGB. Diese dürften dann wie ein Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB ebenfalls nicht von einer Schiedsabrede erfasst werden.174 Genau diese Rechtsfolge wird aber, soweit ersichtlich, nicht vertreten, wäre sie doch eine empfindliche Schwächung der Rechtssicherheit bei Forenwahlklauseln.175

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So auch Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (246); ders., in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (90); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 427 f.; dies., BB 2018, 3028 (3028); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (417); Stancke/Weidenbach/ Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 114; zu diesen Klauseln noch unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa)(1). 170 Dagegen spricht auch, dass Informationen über Kartelle schon aus der Zeitungslektüre zugänglich sind, siehe etwa Kapitel 1, Fn. 6, Kapitel 2, Fn. 9, Kapitel 2, Fn. 367. 171 Etwa §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 ZPO, Art. 7 Abs. 1 UNCITRAL ML, Art. 2 Abs. 1 UNÜ, Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. 172 So auch Seggewiße, EuZW 2019, 81 (82). 173 Zur Ermittlung dieses Zusammenhangs Kapitel 4 – A.III.2. 174 LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (128); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Thole, ZWeR 2017, 133 (139, 141); Thiede, NZKart 2017, 589 (591); Dasser, in: FS Kostkiewicz, S. 21 (33); Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (581); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (416); a. A. Wolf, IPRax 2018, 594 (598), der diesen Gedanken nicht für übertragbar hält. Angemerkt sei noch, dass sich das LG Dortmund seine Erwägungen zu Schiedsvereinbarungen auch für Gerichtsstandsvereinbarungen zu eigen gemacht hat, siehe LG Dortmund, WuW 2018, 640 (642) (Streitigkeiten „aus dem Vertrag oder im Zusammenhang mit dem Vertrag“); bestätigt durch OLG Düsseldorf BeckRS 2020, 2204, Rn. 70, dort war allerdings keine Kartellschadensersatzforderung streitgegenständlich. 175 Ähnlich Thole, ZWeR 2017, 133 (141).

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d) Das zeitliche Moment (die vorvertragliche Schädigung) Auch als objektives Abgrenzungskriterium taugt der Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nicht.176 Da es ohne Implementierung der möglicherweise zeitlich vorgehenden Kartellabrede in Kartellfolgeverträge zwar ein behördliches Bußgeld, aber keine Kartellschadensersatzansprüche gibt,177 lässt sich mit guten Gründen schon an der grundlegenden Prämisse einer vorhergehenden Schädigung zweifeln.178 Doch selbst bei Anknüpfung der Kartellschadensersatzansprüche an die Kartellabsprache handelt es sich bei den Schadensersatzansprüchen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens im Allgemeinen und Kartellverstößen im Besonderen zwar häufig um solche, die einer den Kartellfolgeverträgen vorgelagerten Abrede entstammen, aber eben nicht immer. Schließlich ist ebenso denkbar, dass die Kartellabrede erst geschlossen wird, wenn sich Kartellantin und Kartellgeschädigte bereits in einer vertraglichen Beziehung befinden, etwa über einen Rahmenvertrag. Ist in diesem eine Schiedsklausel enthalten, gilt diese regelmäßig für alle den Rahmenvertrag laufend vollziehenden einzelnen Ausführungsverträge.179 Finden sich zudem Preisanpassungsklauseln für die Ausführungsverträge, ist der Kartellverstoß zwar nicht diesen, aber dem für die Vereinbarung des Schiedsgerichts entscheidenden Rahmenvertrag zeitlich nachgelagert. Hier nach dem zufälligen Entstehungszeitpunkt des Kartells zu differenzieren, ist ein sachlich nicht zu rechtfertigendes Ergebnis. Auch ein weiteres Beispiel verdeutlicht einen nicht zu übersehenden Wertungswiderspruch. So wären Ansprüche wegen eines Wettbewerbsverstoßes durch ein einzelnes marktmächtiges Unternehmen von einer Forenwahlklausel erfasst, nicht aber aus einer Absprache mehrerer Unternehmen resultierende Ansprüche.180 In der Tat ergibt der Blick in die Gerichtspraxis, dass auf der Ausnutzung von Marktmacht basierende Streitigkeiten – und die daraus resultierenden Ansprüche – ohne Pro176

Siehe dazu oben Kapitel 4 – A.II.1.a); Kapitel 4 – A.II.1.b); Kapitel 4 – A.II.1.c). Siehe noch sogleich unter Kapitel 4 – A.III.2.b). 178 So etwa auch Wäschle, Weltkartelle, S. 22. 179 BGH, SchiedsVZ 2007, 215 (216 f.), zu einer engen Schiedsklausel; OLG München, NJOZ 2019, 144 (151); Geimer, IZPR, Rn. 3809a. 180 „Sprechen sich etwa mehrere Unternehmen ab, um im Kollektiv ihre wirtschaftliche Macht gegenüber ihren Abnehmern auszuüben und diese zu nachteiligen Verträgen zu veranlassen, so wären entsprechende Schadensersatzansprüche nicht umfasst, da einzelne Elemente der Wettbewerbsbeschränkung im vorvertraglichen Bereich verwirklicht wurden. Wird die gleiche missbräuchliche Maßnahme durch ein einzelnes Unternehmen mit Marktmacht verwirklicht, so würde – mangels vorvertraglicher Absprache – die Gerichtsstandsvereinbarung greifen. Ein sachlicher Grund für die prozessuale Ungleichbehandlung dieser aus kartellrechtlicher Sicht vergleichbaren Sachlagen erschließt sich nicht.“ Dieses Beispiel ist auf Basedow zurückzuführen; zitiert aus Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (581); ders., in: Nietsch/ Weller (Hrsg.), S. 75 (90); zustimmend LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622 f.); Thiede, NZKart 2017, 589 (590); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 422, 426; a. A. aber wohl Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 194 f., der beide Anspruchsarten nicht als von einer Gerichtsstandsvereinbarung erfasst ansieht. 177

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bleme unter Gerichtsstandsvereinbarungen subsumiert wurden, obwohl auch hier ein Wettbewerbsverstoß in Form eines Marktmachtmissbrauchs ursächlich für kartelldeliktische Schadensersatzansprüche gewesen war.181, 182 e) Grad des Verschuldens Ähnliche Bedenken sind es auch, die überzeugend gegen eine Differenzierung nach dem Grad des deliktischen Verschuldens streiten.183 Eine solche hat keine Grundlage im Parteiwillen. Sie ist getragen von der nachvollziehbaren Absicht, einem diffusen Gefühl der Unbilligkeit abhelfen zu wollen.184 Dass aber die privatautonome Entscheidung, mit einer Vertragspartnerin zu kontrahieren und die an sich zuständigen Gerichte zu derogieren, auch zur Konsequenz haben kann, sich an eine vorsätzlich handelnde Deliktstäterin zu binden, liegt in der Natur der Sache und ist für sich genommen weder ein Argument gegen den Hauptvertrag – der ja, wie aufgezeigt,185 gerade auch als Kartellfolgevertrag nicht etwa unwirksam ist – noch gegen die Reichweite der Forenwahlklausel186. Vielmehr würde im Gegenteil die

181 EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 28 ff. – Apple Sales International, dazu noch unten Kapitel 4 – B.II.3.; KG Berlin, AfP 1998, 74 (74); OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334); aus England ET Plus SA & Ors v Welter & Ors [2005] EWHC 2115 (Comm), Rn. 49 ff. 182 Ebenso wenig überzeugend und daher auch abzulehnen wäre eine Zweiteilung zwischen defensiven und offensiven Kartellstreitigkeiten im sachlichen Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung, zumal der Wettbewerbsverstoß als defensiver Einwand auch Tatbestandsvoraussetzung des Kartellschadensersatzanspruchs ist. 183 Siehe dazu oben Kapitel 4 – A.II.1.c). 184 Thole, ZWeR 2017, 133 (139); ein solches allgemeines Unbehagen dürfte auch für das in dieser Diskussion omnipräsente Urteil des HansOLG, RIW 1982, 669 (669) maßgeblich gewesen sein, in dem dieses moralisierend bekannte, bei der Prorogation des Deliktsgerichtsstandes nicht der ungerechten oder gewissenlos geführten Sache zum Sieg verhelfen zu wollen, siehe auch von Falkenhausen, RIW 1983, 420 (422); Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2063), sowie bereits oben Kapitel 4 – A.II.1.c). Klar benennt hingegen HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)), dass zwar das Ergebnis, das Opfer krimineller Handlungen an ein Schiedsgericht mit einem Mittäter zu binden, auf den ersten Blick befremden mag, hierfür aber allein die falsche Wahl des Geschäftspartners ursächlich war. 185 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.d)aa). 186 Thole, ZWeR 2017, 133 (139); HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)); ähnlich Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 428; für eine andere Beurteilung spricht sich Funke, WuW 2017, 624 (624), aus und nennt den Fall, dass die Kartellgeschädigte mit einer Kartellantin kontrahieren musste, weil Teil der Kartellabsprache die Aufteilung von Gebieten oder Kundenkreisen gewesen war; dem zustimmend Krüger/ Seegers, WuW 2019, 170 (172); dann sei die Schiedsabrede selbst unmittelbare Folge des Kartells, und wer es Kartellantinnen erlaube, sich auf diese zu berufen, adele den Kartellverstoß. Richtigerweise ist aber nicht ersichtlich, weshalb genau dieser Fall, der sich immerhin auf der Ebene des Hauptvertrages auch nicht etwa dadurch auswirkt, dass dieser entgegen sonstiger Grundsätze plötzlich nichtig wäre, anders behandelt werden sollte. Dass der Zusammenhang

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Deliktstäterin je nach Lage des Falles für ihre vorsätzliche Schädigung noch damit belohnt, dass die für die Geschädigte möglicherweise vorteilhafte Forenwahlklausel nicht griffe.187 Überhaupt findet der letztgenannte Punkt in der Diskussion erstaunlich wenig Beachtung. Es mag zwar unter wertenden Gesichtspunkten einleuchten, der Bindung an die Schiedsvereinbarung zugunsten der Geschädigten abzuhelfen. Weniger überzeugend erscheint die Einschränkung der Bindungswirkung aber, wenn der nicht minder wahrscheinliche Fall berücksichtigt wird, dass sich mit der Berufung auf eine vorsätzliche Schädigung die Kartellantin einem vorteilhafteren als dem gewählten Forum zuwenden möchte.188 Entstehen durch eine vorsätzliche deliktische Schädigungshandlung in einer Vertragsbeziehung neben den deliktischen Ansprüchen auch Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1 BGB,189 stellt sich zudem die Frage, wie mit diesen verfahren werden sollte. Selbst wenn die vorsätzlichen deliktischen Ansprüche aus dem Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung ausgenommen würden, erscheint kaum denkbar, mit den Sekundäransprüchen wegen einer vorsätzlichen Verletzung des vertraglich geschuldeten Pflichtenprogramms ebenso zu verfahren. Das würde genau zu der gespaltenen Zuständigkeit führen, die zu vermeiden Ziel der Auslegung der Schiedsvereinbarung ist. Zudem ist speziell zum Kartelldeliktsrecht anzumerken, dass der EuGH sich noch nicht zur Kompatibilität eines Verschuldenserfordernisses mit Art. 101 AEUV geäußert hat,190 was ebenfalls dagegen spricht, hierin einen entscheidenden Umstand zu sehen. Um den gefühlten Missstand einer Bindung an Deliktstäterinnen zu beseitigen, ist deshalb nicht die Auslegung der Schiedsabrede das Mittel der Wahl, sondern die Anwendung objektiver Wirksamkeitsgründe, wie sie das BGB etwa mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB sowie die Wettbewerbsvorschriften mit § 1 GWB und Art. 101 Abs. 2 AEUV kennen.191 Der Trugschluss liegt aber dann darin, allein wegen einer vorsätzlichen deliktischen Schädigung automatisch auch die Sittenwidrigkeit anzunehmen respektive in der Schiedsvereinbarung stets zugleich einen Ausfluss der Kartellabrede zu sehen.

der Forenwahlklausel zum Hauptvertrag hier noch ersichtlicher ist als sonst, kann im Gegenteil als Argument für eine weite Auslegung der Schiedsvereinbarung herangezogen werden. 187 Wäschle, Weltkartelle, S. 24; ähnlich auch Thiede, NZKart 2017, 589 (590). 188 Der Sache nach auch Wäschle, Weltkartelle, S. 23 f.; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 428. 189 Zur Frage, ob das bei Kartellschadensersatzansprüchen der Fall ist, noch unten Kapitel 4 – A.III.2.a)aa)(1). 190 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Kamann, § 24 Rn. 24; LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 49; das verdeutlicht auch Art. 3 KartSE-RL, wenngleich die Mitgliedstaaten gem. Erwägungsgrund 11 S. 5 KartSE-RL ein entsprechendes Erfordernis vorsehen können. 191 Vgl. zum amerikanischen Recht Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 627 (1985).

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f) Allgemeine Geschäftsbedingungen Auch die Verwendung formularmäßiger Klauseln i. S. d. § 305 Abs. 1 BGB ändert an diesem Auslegungsergebnis nichts. Eine solche Klausel ist nicht überraschend i. S. d. § 305c Abs. 1 BGB und wird deshalb Vertragsbestandteil. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen folgt dies de lege lata bereits daraus, dass im Anwendungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO Prorogationsbeschränkungen des nationalen Rechts unanwendbar sind,192 bei Schiedsvereinbarungen verdeutlicht § 1031 Abs. 3 ZPO die Möglichkeit einer formularmäßigen Vereinbarung einer Schiedsklausel, die schon aufgrund ihrer Verbreitung für sich genommen auch nicht überraschend ist193. Ebenfalls folgt aus einer formularmäßigen Verwendung kein abweichendes Auslegungsergebnis.194 AGB sind – ausgehend von §§ 133, 157 BGB – nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartner:innen unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden.195 Gerade das Ergebnis dieser Auslegung und die typische Interessenlage der beteiligten Kreise, nämlich die rechtssichere Vereinbarung einer Zuständigkeit, wurde bereits dargestellt.196 Auch die Zweifelsregelung des § 305c Abs. 2 BGB bestimmt nichts anderes. Hiernach gehen zwar Zweifel zu Lasten des Verwenders. Es handelt sich aber um eine subsidiäre Regelung,197 die überhaupt nur dort Anwendung findet, wo die Auslegung Zweifel ergibt. Die Annahme, den Parteien sei bei einer formularmäßigen Bestimmung weniger als bei einer individualvertraglich ausgehandelten an Rechtssicherheit und prozessökonomischer Streitbeilegung gelegen, ist nicht überzeugend und vermag solche Zweifel deshalb nicht zu streuen.198

192 EuGH, Urt. v. 16. 03. 1999, ECLI:EU:C:1999:142, Rn. 51 – Castelletti; HansOLG NJW 2004, 3126 (3128); OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334 f.); Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 83, 220; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 14. 193 OLG München, NJOZ 2018, 1791 (1795); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 212; Stein/Jonas/Schlosser, § 1029 ZPO Rn. 18; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 5 Rn. 13. 194 Vgl. jüngst auch BGH, NJW 2020, 399 (401): Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung unabhängig davon, ob diese eine formularmäßige oder individualvertraglich ausgehandelte darstellt. 195 BGH, NJW 2018, 1957 (1958 f.); ausführlich MüKoBGB/Basedow, § 305c Rn. 28 ff. 196 Siehe die Ausführungen in den vorigen Kapiteln; wie hier Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (93). 197 BGH, NJW 2011, 2122 (2123); MüKoBGB/Basedow, § 305c BGB Rn. 44. 198 Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (93); Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 328 f.; von Falkenhausen, RIW 1983 420 (422 f.); Bulst, EBOR 2003, 623 (646); Pfeiffer, in: FS Wolfrum, S. 2057 (2060); so allgemein auch BGH, NJW 2020, 399 (401); a. A. wohl MüKoZPO/Patzina, § 40 ZPO Rn. 5.

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g) Exkurs: Prozessuale Hindernisse – doppelrelevante Tatsachen Gegen die propagierten Möglichkeiten zur einschränkenden Auslegung weiter Forenwahlklauseln sprechen zudem ihre praktischen Folgen. Das ordentliche Gericht im Einredeverfahren oder das Schiedsgericht bei der Prüfung seiner Zuständigkeit hätten umfangreich den Sachverhalt dahingehend zu ermitteln, ob etwa eine Schädigungshandlung vorsätzlich erfolgte oder wann ein Kartell in Vollzug gesetzt wurde.199 Eine solche Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit wird allgemein mit Recht abgelehnt, da sie wenig prozessökonomisch ist und zudem für Beklagte die Gefahr bietet, anstelle eines klageabweisenden Sachurteils lediglich ein Prozessurteil zu erstreiten.200 Um dem vorzubeugen, kennt die deutsche zivilprozessuale Dogmatik die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen.201 Für die Zulässigkeit einer auf doppelrelevante Tatsachen gestützten Klage ist bekanntlich lediglich deren schlüssige Behauptung erforderlich.202 Auch der EuGH hat zum vereinheitlichten Zuständigkeitsrecht klargestellt, dass Gerichte zur Begründung ihrer Zuständigkeit bei Tatsachen, die sowohl für die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Klage relevant sind, nicht in eine der Begründetheit vorgreifende Prüfung in der Sache einsteigen müssen203 und etwa zur Eröffnung des Deliktsgerichtsstands den Klägervortrag als wahr unterstellen können204. Geht es nach den Verfechter:innen einer einschränkenden Auslegung, ist etwa die Frage der vorsätzlichen deliktischen Schädigungshandlung bei Kartellschadensersatzansprüchen in diesem Sinne nicht nur anspruchs-, sondern auch zuständigkeitsbegründend und deshalb eine doppelrelevante Tatsache.205 Diese müsste also nach den gerade aufgestellten Maßstäben nur schlüssig behauptet werden, um die Zuständigkeit des staatlichen Gerichts unter Nichtberücksichtigung einer Schiedsklausel begründen zu können. Angemerkt sei weiter, dass diese Möglichkeit – etwa mit dem Torpedo einer negativen Feststellungsklage206 – auch den Kartellantinnen 199

Thole, ZWeR 2017, 133 (138 f.). BGH, NJW 1994, 1413 (1413 f.); MüKoZPO/Wöstmann, § 1 ZPO Rn. 26. 201 Dies meint Tatsachen, die sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründung einer Klage Voraussetzung sind, also anspruchs- und dann notwendigerweise auch zulässigkeitsbegründend, MüKoZPO/Wöstmann, § 1 ZPO Rn. 26; Schütze, in: FS Stürner I, S. 531 (534 f.). 202 BGH, NJW-RR 2008, 516 (517); BGH, NJW 1994, 1413 (1414 f.); das meint einen Rechtsvortrag, der in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet ist, das Recht als in der Person der Klägerin entstanden anzusehen, BGH, NJW 2009, 2137 (2137); BeckOK ZPO/Bacher, § 253 ZPO Rn. 22. 203 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 01. 2015, ECLI:EU:C:2015:37, Rn. 58 ff. – Kolassa m. w. N.; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:458, Rn. 39 – Roche Nederland (in Bezug auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, heute Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO); siehe hierzu Basedow/Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (66 f.); Musielak/Voit/Stadler, Art. 4 EuGVVO nF Rn. 4. 204 EuGH, Urt. v. 03. 04. 2014, ECLI:EU:C:2014:215, Rn. 20. – Hi Hotel HCF. 205 So auch LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622 f.); Thole, ZWeR 2017, 2017, 133 (139); Thiede, NZKart 2017, 589 (589 f.). 206 S. o. Kapitel 2 – F.III.2.c). 200

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offensteht. Im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO steht gegen diese Möglichkeit, zumindest soweit Klägerinnen abredewidrig vor ein mitgliedstaatliches Gericht ziehen, auch nicht das aus dem angelsächsischen Rechtskreis bekannte Mittel der anti-suit injunctions zur Verfügung.207 Das zeigt erneut, weshalb solche Kriterien bei der Zuständigkeitsbestimmung beliebig und der Rechtssicherheit letztlich abträglich sind. 2. Der objektive Nexus: Ein „Zusammenhang mit dem Vertrag“ Kritiker:innen der hier vertretenen Auslegung von Schiedsvereinbarungen ist zuzugeben, dass die extensive Interpretation des Parteiwillens nicht unbegrenzt weit getrieben werden kann; zur Veranschaulichung mag das Gedankenspiel des High Court im Microsoft-Fall dienen, der lapidar anmerkte, nicht von einer Schiedsabrede erfasst wäre es wohl, wenn die eine Partei einer Vertragsbeziehung die andere zufällig auf offener Straße überfahren würde.208 Fraglich ist also, welche objektiven Kriterien für den klassischen Fall eines Kartellschadensersatzanspruchs entwickelt werden können, um eine Beurteilung zu rechtfertigen, die einen solchen als „im Zusammenhang mit dem Vertrag“ stehend erachtet und gleichzeitig das vom subjektiven Erwartungshorizont der Parteien ausgehende Ergebnis absichert. Bei der Auslegung eines Vertrages gem. §§ 133, 157 BGB lässt sich dieses Erfordernis normativ an § 157 BGB festmachen, der mit Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte objektive Kriterien für die Auslegung benennt.209 Im Folgenden soll die Rechtslage für möglicherweise neben den Anspruch aus § 33a Abs. 1 GWB tretende weitere Ersatzansprüche der Geschädigten beleuchtet werden (a)). Zudem wird untersucht, ob sich der von unmittelbaren Abnehmerinnen gem. § 33a Abs. 1 GWB geltend gemacht Schaden ohne Rekurs auf den Kartellfolgevertrag bilden lässt (b)). Schließlich wird geprüft, ob Besonderheiten komplexer kartellrechtlicher Ausgleichsverhältnisse zu einer abweichenden Auslegung zwingen (c)). a) Im engen sachlichen Zusammenhang mit Ansprüchen aus § 33a Abs. 1 GWB stehende Ansprüche Der Kartellgeschädigten möglicherweise neben dem deliktischen Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB zustehende Ansprüche wurden bereits skizziert.210 An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen 207 EuGH, Urt. v. 10. 02. 2009, ECLI:EU:C:2009:69, Rn. 26 ff. – West Tankers; zu diesem Urteil noch unten Kapitel 4 – B.III.2. 208 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 45; dem wird man wohl zustimmen müssen. 209 BGH, NJW 1955, 337 (337): „Dem Richter wird durch § 157 BGB jedoch die Aufgabe gestellt, den gesamten Vertragsinhalt nach objektivem Maßstab zu ermitteln“; BeckOK BGB/ Wendtland, § 157 BGB Rn. 2, 8; MüKoBGB/Busche, § 157 BGB Rn. 2. 210 Siehe oben Kapitel 2 – C.II.3.d).

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für alle denkbaren Fallkonstellationen zu prüfen. Vielmehr soll eine grundsätzliche Vorstellung davon entwickelt werden, ob und inwieweit es gerechtfertigt ist, die Schiedsvereinbarung für diese jedenfalls vom sachlichen Anwendungsbereich erfassten Ansprüche211 anders auszulegen als bei Ansprüchen gem. § 33a Abs. 1 GWB. aa) Zur Frage eines neben § 33a Abs. 1 GWB bestehenden Schadensersatzanspruchs gem. § 280 Abs. 1 BGB Von den so neben § 33a Abs. 1 GWB untersuchten Ansprüchen sind solche gem. § 280 Abs. 1 BGB, wenn sie sich mit dem deliktischen Anspruch die Tatsachengrundlage teilen, wegen der mit ihnen einhergehenden einheitlichen Zuständigkeit des Schiedsgerichts selbst bei engen Schiedsklauseln wie ausgeführt besonders interessant.212 Das mag der Grund dafür sein, weshalb sich bei der Beantwortung der Frage, wann ein „Zusammenhang mit dem Vertrag“ vorliegt, die erkennenden Gerichte und auch Stimmen in der Literatur zumeist doch darauf zurückziehen, dass eine Einbeziehung jedenfalls dann anzunehmen sei, wenn sich der deliktische Vorwurf tatbestandlich mit einer vertraglichen Pflichtverletzung decke.213 Für die Bestimmung des Zusammenhangs bei weiten Schiedsvereinbarungen ist damit aber natürlich dogmatisch wenig gewonnen; und wie zu zeigen sein wird, gilt das auch für die meisten praktischen Konstellationen, wenn es an dieser tatbestandlichen Identität nämlich fehlt. Vielmehr muss es darum gehen, Ansprüche einzubeziehen, bei denen zumindest eine ausreichende Parallelität vorliegt.214 (1) Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Leistungspflicht Ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB für die Erfüllung eines Kartellfolgevertrages wegen Verletzung einer Leistungspflicht besteht nach hier vertretener Auffassung in Ermangelung einer Pflichtverletzung nicht.215 Eine solche bezeichnet jede objektive Abweichung einer Vertragspartei vom geschuldeten Pflichtenprogramm in Form der Verletzung einer Haupt- oder Nebenleistungs211

Siehe oben Kapitel 4 – A.I.2.; Kapitel 4 – A.I.3. Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 13; grundlegend BGH, NJW 1965, 300 (300); siehe dazu oben Kapitel 4 – A.I.2.b). 213 So etwa trotz einer ansonsten weiten Auslegung OLG München, BeckRS 2017, 121060, Rn. 46, 51, zu einer Gerichtsstandsvereinbarung; HansOLG, RIW 1989, 574 (578) (m. zust. Anm. Bredow, EWiR 1989, 933 (934)); LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622), jeweils zu einer Schiedsvereinbarung; Thiede, NZKart 2017, 589 (592); Musielak/Voit/Voit, § 1029 ZPO Rn. 23; letztlich selbst Thole, ZWeR 2017, 133 (143), der diesem Ansatz ansonsten skeptisch gegenübersteht, siehe ebd., S. 137. 214 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett: „mittelbare Beziehung“, „hinreichender Bezug“; Thole, ZWeR 2017, 133 (137 f.): „zeitliche Koinzidenz und Parallelität“; Bulst, EBOR 2003, 623, 646 f.; Elsing, in: FS Westphalen, S. 109 (121 f.). 215 Zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen oben Kapitel 2 – C.II.3.d)bb). 212

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pflicht.216 In Betracht kommt bei kartellierten Waren allein die Verletzung einer Nebenleistungspflicht, die nicht in den abschließend geregelten Anwendungsbereich des Mängelgewährleistungsrechts der §§ 434 ff. BGB fällt217 und deshalb auch nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zu den kaufvertraglichen Hauptleistungspflichten des § 433 BGB steht218. Bezüglich der Leistungspflichten, also der Leistung der kartellierten Waren durch die Kartellantin, wird der Vertrag aber so abgewickelt, wie er nach dem geschuldeten Pflichtenprogramm abzuwickeln war. Hinsichtlich des kartellbedingt überhöhten Preises kommt eine Pflichtverletzung ohnehin nicht in Betracht, da die Aushandlung des Preises bis zur objektiven Grenze etwa des § 138 BGB der Privatautonomie überlassen bleibt.219 Einer materiellen Preiskontrolle enthält sich das BGB bewusst.220 Zwar ist zutreffend, dass dies unter der Prämisse steht, dass sich der Preis im freien Spiel der Marktkräfte gebildet hat, ein Grundsatz, den das Kartell gerade ausgehebelt hat.221 Allerdings übersetzt sich diese Verletzung des absolut geschützten Rechtsguts Wettbewerb nicht auch in die Verletzung einer vertraglichen Nebenleistungspflicht. Diese hätte sonst den Inhalt, dass jede Vertragspartei dafür Sorge zu tragen hätte, dass ihre Leistung einem marktüblichen Niveau entspricht, gebildet durch das Agieren der Marktakteure. Eine solche Pflicht existiert nicht.222 Der gesuchte Schaden wäre daneben auch schon mit Abschluss des Vertrages entstanden, da sich schon aus diesem die Verpflichtung der Kartellgeschädigten ergibt, kartellierte Waren zu einem kartellbedingt überhöhten Preis abzunehmen. Diese Haftung wird zumeist unter dem Schlagwort „Vertrag als Schaden“ diskutiert. Sie knüpft an vorvertragliche Pflichtverletzungen223 oder deliktische224 Handlungen vor Abschluss des Vertrages an, weil der Vorwurf in diesem Fall ist, dass die Ursache für die Schädigung einer Partei in einem vor oder bei Abschluss des Vertrages liegenden Verhalten der Schädigerin zu sehen ist. Richtigerweise ist deshalb auch die hier in 216

BeckOK BGB/Lorenz, § 280 BGB Rn. 11; siehe zu den Schutzpflichten sogleich. Auch eine kartellierte Sache ist nicht mangelhaft i. S. d. § 434 BGB, weil die Sache unmittelbar in ihrer Ist- nicht von ihrer Sollbeschaffenheit abweicht. Wäre das im Übrigen anders, würden unmittelbare Abnehmerinnen mittelbaren Abnehmerinnen in der Lieferkette verschuldensunabhängig auf Nacherfüllung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB haften, was unter Wertungsgesichtspunkten ersichtlich kein angemessenes Ergebnis darstellen würde. 218 Hierzu und zu Fallgruppen etwa BeckOK BGB/Faust, § 433 BGB Rn. 46 ff.; MüKoBGB/Westermann, § 433 BGB Rn. 53 ff. 219 BGH, NJW 2004, 1732 (1743); Staudinger/Beckmann, § 433 BGB Rn. 80 ff. 220 Franck, AcP 213 (2013), 223 (239 ff.); BeckOK BGB/Faust, § 434 BGB Rn. 42; Staudinger/Beckmann, § 433 BGB Rn. 80. 221 Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (221); Schwietert, Effet utile, S. 254 f. 222 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 565; wohl auch Wolf, IPRax 2018, 594 (596 f.); implizit Wäschle, Weltkartelle, S. 22 f.; Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (91); ähnlich auch schon Fikentscher, BB 1956, 793 (797); a. A. Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 110. 223 Staudinger/Schwarze, § 280 BGB Rn. E 30. 224 Staudinger/Oechsler, § 826 BGB Rn. 149 ff. 217

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Betracht kommende vertragliche Pflichtverletzung nicht die, eine Leistung zu erbringen, deren Gegenwert kein Ausdruck eines Marktverhaltens ist, sondern die, über diesen Umstand schuldhaft nicht aufgeklärt zu haben beziehungsweise während der Willensbildung der Vertragspartnerin nicht in loyaler Weise zu dieser beigetragen und sie vor Schaden bewahrt zu haben225. Soweit gegenteilig ein zum Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB paralleler vertraglicher Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Leistungspflicht angenommen wird, geschieht dies zumeist apodiktisch oder sind die dort in Bezug genommenen Quellen zirkulär.226 Dass ein solcher Anspruch praktisch nicht vorkommt, liegt deshalb auch nicht an der für die Klägerinnen vorteilhaften Anspruchsausformung des Anspruchs nach § 33a Abs. 1 GWB,227 worauf es bei der Auslegung der Schiedsvereinbarung auch nicht ankommen kann, sondern daran, dass es ihn schlicht nicht gibt. Die Abkürzung, für die Auslegung der Schiedsvereinbarung mit Blick auf einen deliktischen Anspruch auf einen parallelen Anspruch wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenleistungspflicht zu rekurrieren, ist so verbaut. Allerdings bleibt es den Parteien unbenommen, durch weitere vertragliche Absprachen den Wettbewerbsverstoß auch in den Rang einer vertraglichen Pflichtverletzung zu heben. In Betracht kommen hierbei Abreden zur Schadenspauschalisierung, Compliance-Klauseln und Vertragsstrafen.228 Im Einzelnen wird zwar unterschiedlich bewertet, inwieweit Klauseln dieser Art zulässig sind und welche Auswirkungen sie auf das vertraglich geschuldete Pflichtenprogramm haben.229 Jedenfalls aber, und das soll hier ausreichen, geben diese Klauseln den Parteien 225

MüKoBGB/Westermann, § 433 BGB Rn. 53. Siehe etwa LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Thole, ZWeR 2017, 133 (143); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 110. Dort wird jeweils eine Altauflage des Buches von Inderst/Thomas zitiert, die aber wie vorstehend zitiert in aktueller Auflage die Gegenauffassung vertreten. Daneben wird Kling/Thomas, Kartellrecht, § 23 Rn. 40 zitiert, wo sich allerdings nur der dürre Hinweis findet, § 33 Abs. 3 GWB (§ 33a Abs. 1 GWB n.F.) „kann neben vertragliche Ansprüche treten, etwa aus § 280 BGB.“ Weiterhin wird Kamann/Ohlhoff/Völcker/Denzel/Holm-Hadulla, § 26 Rn. 489 ff. in Bezug genommen. Dort geht es aber allein um eine mögliche Haftung aus cic. 227 So aber Thole, ZWeR 2017, 133 (143); wohl auch Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585, (589). 228 Vgl. überblicksweise Reimers/Brack/Schmidt, CCZ 2016, 83 (passim); Schmidt, WuW 2015, 812 (passim); Dreher, in: FS Schroeder, S. 231 (passim). 229 Siehe etwa zu Compliance-Klauseln: Wäschle, Weltkartelle, S. 78 f.: Aufwertung zu einer vertraglichen Pflichtverletzung; so wohl auch Dreher, in: FS Schroeder, S. 231 (240 f.); anders Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (230 ff.): Klausel führe zu einer konkludenten Täuschungshandlung und damit einer Aufklärungspflicht i. S. d. §§ 123 Abs. 1 Alt. 1, 241 Abs. 2 BGB; sich dem anschließend Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (91); ders., CML Rev. 2016, 225, 246; ebenso Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 13 f.; Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (448); wohl ebenso Wolf, IPRax 2018, 594 (596 f.); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 427 f.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Denzel/Holm-Hadulla, § 26 Rn. 938; s. a. Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 114: Klausel mache Wettbewerbsverstoß vorhersehbar; ebenso Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 42. 226

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Anlass, über in die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts fallende Ansprüche gem. § 280 Abs. 1 BGB zu streiten. (2) Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Schutzpflicht In den Blick zu nehmen ist dann die ebenfalls zu Schadensersatzansprüchen gem. § 280 Abs. 1 BGB führende230 und zumeist im Zusammenhang mit einer Haftung aus cic gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB diskutierte Frage der Verletzung einer Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB.231 Die hiernach gesuchte Nebenpflicht ist eine Aufklärungspflicht als Unterfall der Informationspflicht; diese beinhaltet die Pflicht, bei Vertragsschluss den anderen Teil auch unaufgefordert über die für diesen erkennbar entscheidungserheblichen Umstände aufklären.232 Wie schon angemerkt,233 wird eine Aufklärungspflicht im Bereich der Wettbewerbsverstöße durch die Kartellantin kontrovers diskutiert und von der wohl überwiegenden Auffassung auch abgelehnt.234 Gegen eine allgemeine Aufklärungspflicht im Falle des bloßen Unterlassens wird insbesondere ausgeführt, jede Partei habe sich nach dem Grundsatz der Selbstverantwortung selbst über die

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MüKoBGB/Ernst, § 280 BGB Rn. 93. Vgl. Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 110. 232 MüKoBGB/Bachmann, § 241 BGB Rn. 121; demgegenüber ist beim Fall der aktiven Täuschung auf Nachfrage eine Pflichtverletzung und auch eine arglistige Täuschung gem. § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ohne Weiteres zu bejahen, hat aber kaum praktische Relevanz; wie hier Mayer, WuW 2010, 29 (32 f.); Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (221); Schwietert, Effet utile, S. 254. 233 Siehe oben Kapitel 2 – C.II.3.d)cc). 234 Dagegen Wolf, IPRax 2018, 594 (597); Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (448); Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 111; ders., AcP 213 (2013), 223 (235 ff.); Dück/ Schultes, NZKart 2013, 228 (230 f.); Mayer, WuW 2010, 29 (32 f.); Kahle, Leistungskondiktion, S. 110 ff.; Volhard, in: FS Gaedertz, S. 599 (609 f.); Staudinger/Singer/Finckenstein, § 123 BGB Rn. 14; Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 13; implizit auch Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (91); ders., CML Rev. 2016, 225, 246; dafür Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (124); Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (221); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 565 f., 584 f.; Dreher, in: FS Schroeder, S. 231 (240 f.); ders., in: FS Canenbley, S. 167 (170 ff.); Schwietert, Effet utile, S. 252 ff.; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt, § 33a GWB Rn. 33; ohne nähere Begründung auch Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 110; offen gelassen von Bechtold, NZKart 2020, 459 (461); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Denzel/Holm-Hadulla, § 26 Rn. 489 ff.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Weidenbach, Kap. L Rn. 24; unklar Fikentscher, BB 1956, 793 (795, 797); dieser nimmt an, eine Aufklärungspflicht bei § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB bestehe nicht in jedem Fall, sondern nur dann, wenn die Kartellantin sich des Umstandes bewusst sei, dass die Vertragspartnerin auf den Abschluss eines Vertrages zu Wettbewerbsbedingungen vertraut. Demgegenüber werden an die Pflichten im Rahmen der cic weniger strenge Anforderungen gestellt. 231

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relevanten Marktumstände zu informieren.235 Etwas anderes folge auch nicht aus dem Umstand, dass die Tatsache der Kartellierung typischerweise nur den Kartellantinnen bekannt sei und es sich überdies noch um eine rechtswidrige Abrede handele, die eine garantenstellungsähnliche Position aus Ingerenz begründen könnte.236 Zudem streite für die Kartellantin der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit,237 dies auch vor dem Hintergrund, dass sie andernfalls gezwungen würde, bei Vertragsschluss zugleich auch ihr gem. Art. 23 VO 1/2003 oder § 81 GWB relevantes Verhalten zu offenbaren238. In OWiG-Verfahren finde dann gem. § 46 OWiG die StPO Anwendung, was auch den nemo-tenetur-Grundsatz einschließt;239 für natürliche Personen gelte dieser ohnehin240. Auf Rechtsfolgenseite stelle schließlich die mit der Bejahung einer Aufklärungspflicht einhergehende Möglichkeit einer Arglistanfechtung und Kondiktion des Kaufpreises eine unbotmäßige Bevorteilung der Kartellgeschädigten dar.241 Dieser Ansicht wird hier nicht zugestimmt. Anerkanntermaßen findet der Grundsatz der Individualverantwortung dort seine Grenze, wo besondere und zusätzliche Umstände hinzutreten, die nur einer Partei bekannt sind und um deren Relevanz für ihre Vertragspartnerin, insbesondere mit Hinblick auf den Vertragszweck, diese Partei weiß.242 Das ist ausgehend vom Einzelfall zu beurteilen und bemisst sich danach, ob die Mitteilung dieser Tatsachen gem. § 241 Abs. 2 BGB nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte redlicherweise erwartet werden kann.243 Hierbei ist die Pflicht zur Aufklärung aus Ingerenz eine anerkannte Fallgruppe, namentlich dann, wenn gerade das pflichtwidrige Vorverhalten auch eine erhebliche Informationsasymmetrie bedingt.244 Auch besteht eine 235 Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (230); Mayer, WuW 2010, 29 (32 f.); Kahle, Leistungskondiktion S. 110 ff.; vgl. allgemein BGH, NJW 1989, 763 (764); Staudinger/Beckmann, § 433 BGB Rn. 139. 236 Kahle, Leistungskondiktion, S. 133 ff. 237 Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (230). 238 In diese Richtung Kahle, Leistungskondiktion, S. 138 f., S. 145 ff., der die Heranziehung dieses Grundsatzes letztlich aber selbst ablehnt. Für Submissionskartelle ist § 298 StGB zu beachten. 239 Kahle, Leistungskondiktion, S. 145 f. 240 Franck, AcP 213 (2013), 223 (258 ff.). 241 Kahle, Leistungskondiktion, S. 155. 242 BGH, NJW 2010, 3362 (3362); MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 66. 243 BGH, NJW 2010, 3362 (3362); MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 66. 244 MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 67 ff.; demgegenüber lehnt Kahle, Leistungskondiktion, S. 144 ff., die Fallgruppe der Ingerenz anscheinend grundsätzlich ab und meint im Übrigen, dass es widersprüchlich wäre, bei einem Dauerdelikt an die Durchführung des Kartells zugleich die Pflicht einer Wiederherstellung des Wettbewerbs zu knüpfen. Gerade weil sich aber die zivilrechtlichen Ansprüche nicht unmittelbar aus dem Umstand ergeben, dass eine Kartellabrede geschlossen wurde, sondern hierfür im Rahmen eines zweiaktigen Geschehens auch die Implementierung der Kartellabrede erforderlich ist, bietet es sich an, an das schon gem. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV untersagte Handeln der Kartellabrede die Ingerenz hinsichtlich der Kartellfolgeverträge zu knüpfen. Franck, AcP 213 (2013), 223 (250 ff.) lehnt den

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Aufklärungspflicht bei Umständen, die geeignet sind, den Vertragspartner nachhaltig wirtschaftlich zu schädigen.245 Das ist bei Kartellverstößen zweifelsohne der Fall. Hier setzt eine Partei das gesamte Marktgeschehen oder einen Teil davon als Preisnavigator außer Kraft, um – wohlgemerkt auf Kosten ihrer baldigen Vertragspartnerin als weiterer Marktteilnehmerin – mittels einer kollusiven Abrede eine Kartellrendite zu erwirtschaften. Das ist ein Umstand, den die Geschädigte üblicherweise nicht überblicken kann und der ihre Fähigkeit zum privatautonomen und eigenverantwortlichen Handeln – die ja gerade der Grund dafür ist, keine Preiskontrolle vorzunehmen – einschränkt.246 Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass etwa auf Oligopolmärkten die Preisbildung ebenfalls nicht funktioniert und über diesen Umstand nicht aufzuklären ist.247 Denn in den hier interessierenden Fällen geht es nicht darum, dass auch in anderen Fällen kein idealer Markt vorliegt, sondern basiert der fragliche Informationsvorsprung gleichzeitig auf einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB und damit auf einer Handlung, die über den Folgevertrag zum Nachteil der Vertragspartnerin implementiert wird. In einer solchen Lage ist von einer Aufklärungspflicht auszugehen. Letztlich deutet auch die spärliche Rechtsprechung in diese Richtung. Der BGH jedenfalls ließ keine generellen Vorbehalte gegen eine kartellbedingte Aufklärungspflicht erkennen,248 obwohl Kartellfälle diesbezüglich strukturell zumeist vergleichbar sein dürften und es sich deshalb angeboten hätte, etwaige einschränkende Grundsätze auch zu benennen. Dem steht im Ergebnis auch der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht entgegen. Dieser wäre hier in einer zivilrechtlichen Ausprägung heranzuziehen,249 da der nemo-tenetur-Grundsatz allenfalls mittelbar betroffen ist, nämlich für das einer Offenbarung nachgelagerte OWiG-Verfahren, und dort etwa auch mit Beweisver-

Pflichtwidrigkeitszusammenhang ab, weil es beim Kartellverbot darum gehe, einen allokativen Wohlfahrtsverlust zu vermeiden, nicht darum, marktliche Informationsmechanismen zu gewährleisten. Ein Zusammenhang ist dessen ungeachtet aber, wie er auch selbst feststellt, nicht zu leugnen. Für das Kartelldeliktsrecht ist dieser nach hier vertretener Auffassung auch ausreichend. 245 BGH, NJW 2010, 3362 (3362); BeckOGK/Rehberg, § 123 Rn. 98. 246 Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (221); Schwietert, Effet utile, S. 254 f.; Dreher, in: FS Canenbley, S. 166 (171 f.); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 584. 247 So aber Franck, AcP 213 (2013), 223 (244 ff.); Kahle, Leistungskondiktion, S. 106 ff., 110, 160 f. 248 BGH ZfBR 2010, 368 (369); so dann auch OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 29967, Rn. 77; s. o. Kapitel 2 – C.II.3.d)dd); offen gelassen von LG Mannheim, GRUR 2004, 182 (184) – Vitaminkartell; nicht beanstandet durch OLG Karlsruhe, NJW 2004, 2243 (2244). 249 Für einen solchen Grundsatz Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (230), unter Verweis auf OLG Hamm, NZG 2005, 211 (212 f.); Ansätze hierzu finden sich auch bei BGH, NJW 1991, 1819 (1820), wo der BGH möglicherweise die Offenlegung einer strafrechtlichen Handlung zivilrechtlich nicht gefordert hätte. Allerdings ergibt sich hieraus für das Kartellrecht nichts, da es hier nicht um die Offenlegung, sondern um die Abstandnahme geht.

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wertungsverboten zufriedenstellend berücksichtigt werden kann.250 Letztlich kann der Rekurs auf den einen wie den anderen Grundsatz aber nur überzeugen, wenn die im Angesicht der Selbstbelastungsfreiheit bestehenden Optionen der Kartellantin auf den Abschluss des Vertrages oder die Offenlegung des Verstoßes künstlich verknappt werden. Auch dann erscheint es fraglich, warum die Rechtsordnung, die im Übrigen darauf bedacht ist, kartellrechtliche Verstöße aggressiv aufzudecken und dann abzustellen, das den Verstoß erst implementierende Verhalten der Kartellabrede in Kartellfolgeverträgen plötzlich zivilrechtlich privilegiert.251 Immerhin ist selbst im Strafrecht anerkannt, dass vorangegangene rechtswidrige Taten Delinquentinnen und Delinquenten nicht notwendigerweise von ihrer Pflicht befreien, zur zivilrechtlichen Schadloshaltung beizutragen.252 Daneben hat die Kartellantin aber in jedem Fall die Möglichkeit, den Kartellfolgevertrag schlicht nicht abzuschließen.253 Ein solcher disclose-or-abstain-Grundsatz ist aus dem Kapitalmarktrecht bekannt, wo Emittentinnen die Pflicht trifft, Insiderinformationen zu veröffentlichen.254 Das Kapitalmarktrecht ist dem Kartellrecht wenigstens in Grundzügen und insoweit vergleichbar, als in beiden Rechtsgebieten eine funktionale Subjektivierung255 für die Zwecke des dahinterstehenden wirtschaftsregulatorischen Ziels erfolgt, und deliktische Handlungen privater Parteien dieses Marktgeschehen außer Kraft setzen können. In den Sonderregelungen der §§ 13 ff. WpHG (nunmehr auch wesentlich abgebildet in § 26 WpHG n.F.) wird eine spezialgesetzliche Ausprägung eines in das allgemeine Vertragsrecht übertragbaren Rechtsgedankens gesehen.256 Dies ist zutreffend, soweit darauf abgestellt wird, dass die Rechtsordnung eine Vertragsanbahnung durch eine Partei unter systematischer Ausnutzung von Insiderinformationen zulasten der anderen Partei missbilligt.257 250

Insoweit wie hier Kahle, Leistungskondiktion, S. 145 f. Diesen Widerspruch sieht auch Kahle, Leistungskondiktion, S. 147; im Ergebnis ähnlich Schwietert, Effet utile, S. 254 f. 252 Vgl. zur Diskussion um die Vereinbarkeit von § 142 Abs. 1, 2 StGB mit dem nemotenetur-Grundsatz BVerfG, BeckRS 2001, 30168011; MüKoStGB/Zopfs, StGB § 142 Rn. 63. 253 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 565 f. 254 Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 578; KK-WpHG/Klöhn, Vor §§ 12 – 14 Rn. 49. 255 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 250. 256 Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 578. 257 Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 578 f.; demgegenüber lehnt Kahle, Leistungskondiktion, S. 134 ff., eine Übertragbarkeit der kapitalmarktrechtlichen Grundsätze auf das Kartellrecht ab, da es sich bei den Regelungen im WpHG um nicht analogiefähige Sondervorschriften handele, das Kartellrecht eine andere Marktstruktur habe und zudem die Ausnutzung von Wissensvorsprüngen ein legitimes rechtsgeschäftliches Handeln sei. Tatsächlich sind allerdings Kapitalmarktrecht und Kartellrecht nicht nur im Hinblick auf eine funktionale Subjektivierung zur Durchsetzung eines auch objektiv-rechtlichen Schutzguts vergleichbar. In beiden Fällen wird auch das Vertrauen der weiteren Beteiligten darauf geschützt, dass die ihnen gegenübertretenden Akteure nicht wesentliche Marktumstände einseitig außer Kraft gesetzt haben, was gerade nicht die Fallgruppe einer legitimen Ausnutzung eines Wissensvorsprungs ist. Zudem geht es nicht um eine analoge Anwendung der Vorschriften des WpHG, sondern um einen allgemeinen Grundsatz des disclose-or-abstain. 251

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Eine Abstandnahme vom Abschluss des Kartellfolgevertrages mag praktisch schwer vorstellbar sein, insbesondere, da sie dem Zweck der Kartellabrede zuwiderliefe. Aber auch in Submissionsfällen und Bieterverfahren, wo die einhellige Rechtsprechung unproblematisch eine Aufklärungspflicht annimmt,258 wird den Kartellantinnen dieser Ausweg offensichtlich zugetraut. Selbiges gilt für den Fall der aktiven Täuschung gem. §§ 123 Abs. 1 Alt. 1, 241 Abs. 2 BGB, in denen Delinquentinnen ebenso zugetraut wird, auf Nachfrage anstelle einer wahrheitswidrigen Antwort einfach zu schweigen,259 obwohl das für den anvisierten Vertragsschluss mit der nachfragenden Vertragspartnerin in spe wohl eher kein gutes Omen wäre. Dass die Täuschungshandlung dort aktiv oder konkludent und nicht mit einem Unterlassen vollzogen wird, ist jedenfalls kein Grund, in Fällen der Unterlassung schon aus Rechtsgründen an der Zumutbarkeit des Nichtabschlusses eines Kartellfolgevertrages zu zweifeln;260 zumal, da der Bezugspunkt der zukünftige Abschluss des Kartellfolgevertrages und nicht das zurückliegende Verhalten der Kartellabrede ist. Deshalb ist für den stillschweigenden Abschluss der Kartellfolgeverträge die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht mit den daraus resultierenden Ansprüchen gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zu bejahen. bb) Die bereicherungsrechtliche Wertung Mit dieser Verletzung der Aufklärungspflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB steht zugleich261 die arglistige Täuschung durch Unterlassen gegenüber der Geschädigten fest, die dieser den Anfechtungsgrund gem. § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB an die Hand gibt. Wird hiernach die Anfechtung mit der Rechtsfolge des § 142 Abs. 1 BGB ausgeübt, ist ein Kondiktionsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die 258 BGH, NJW 2001, 3718 (3179) („Sowohl bei einer förmlichen öffentlichen Ausschreibung als auch bei einer freihändigen Vergabe mit Angebotsanfragen durch öffentliche oder private Auftraggeber an zumindest zwei Unternehmer enthält die Angebotsabgabe vor dem gesetzlichen Hintergrund der Regelung in § 1 GWB regelmäßig die schlüssige (konkludente) Erklärung, dass dieses Angebot ohne eine vorherige Preisabsprache zwischen den Bietern zu Stande gekommen ist. (…). Ein solcher Erklärungsinhalt ergibt sich aus dem Umstand, dass die Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung, in der im Wettbewerb verschiedener Anbieter der Marktpreis für eine bestimmte Leistung ermittelt werden soll, zum Ausdruck bringt, deren tragende Säule (…) – sich an keiner unlauteren Absprache beteiligt zu haben – anzuerkennen“); BGH, NJW 1992, 921 (923); OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2008, 1965 (1966); OLG München, NJW-RR 2002, 886 (887); HansOLG, WuW/E OLG 5376 (5381); OLG Celle, NJW 1963, 2126 (2127); Volhard, in: FS Gaedertz, S. 599 (609) verweist zudem auf eine unveröffentlichte Entscheidung des OLG Bremen. 259 Franck, AcP 213 (2013), 223 (229 ff., 259). 260 Anders mag dies allenfalls dann zu bewerten sein, wenn eine Kartellantin zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kartellfolgevertrages im Begriff ist, einen Kronzeugenantrag zu stellen, siehe Dreher, in: FS Schroeder, S. 231 (242 f.). 261 Zu den insoweit identischen Voraussetzungen einer Aufklärungspflicht gem. §§ 123 Abs. 1 Alt. 1, 241 Abs. 2 BGB Franck, AcP 213 (2013), 223 (224, 230); Dück/Schultes, NZKart 2013, 228 (230 f.).

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Konsequenz.262 Ein solcher ist von einer Schiedsklausel erfasst.263 Damit führt für die Kartellgeschädigte neben dem Anspruch aus cic ein weiterer Pfad zu einem Anspruch, der ersichtlich demselben Sachverhalt entstammt wie der Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB. Hiergegen kann auch nicht eingewendet werden, dass die Belastung mit Kondiktionsansprüchen auf Rechtsfolgenseite für die Kartellantinnen eine unbillige Härte darstellen würde.264 Das erscheint gerade auch in Anbetracht der typischerweise sehr klägerfreundlichen Rechtsprechung des EuGH in Fällen, die im weiteren Sinne dem private enforcement zuzuordnen sind, wenig überzeugend, zumal die jeweiligen Ansprüche gegen die Kartellantin in elektiver Konkurrenz stünden und so jedenfalls nicht zu einer Mehrfachkompensation führten. Vielmehr wird im Gegenteil vertreten, dass die Voraussetzungen an eine täuschungsbedingte Anfechtung gem. §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB noch durch das Prinzip des effet utile zugunsten der Kartellgeschädigten modifiziert werden müssten.265 Auch wenn man diese Auffassung nicht teilt, bleibt es dabei, dass das durch die Pflicht zur Aufklärung letztlich erreichte Ergebnis nicht unter Wertungsgesichtspunkten zu korrigieren ist. Vielmehr erscheint es gerade bei Berücksichtigung auch dieser Aspekte angemessen, dass die Kartellantin die Folgen ihres eigenen rechtswidrigen Verhaltens, nämlich die Verfälschung des Marktpreises, auch prozessual zu tragen hat.266 cc) Konsequenz: Vertragliche Scharade Es zeigt sich also, dass neben dem Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB Ansprüche gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB sowie § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB regelmäßig267 vorliegen und solche aus einer Nebenleistungspflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 BGB zumindest in einigen Fallkonstellationen denkbar sind. Diese Ansprüche lassen sich wie auch der Anspruch aus § 33a Abs. 1 GWB auf denselben Lebenssachverhalt zurückführen, nämlich den Kartellverstoß einerseits und seine Implementierung in die Kartellfolgeverträge andererseits. Sie unterfallen schon engen Schiedsklauseln.268 Das führt zu der Frage, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, über die Auslegung der Schiedsvereinbarung zu einem anderen zuständigen Forum zu gelangen, je nachdem, ob diese Ansprüche oder ein Anspruch gem. 262

S. o. Kapitel 2 – C.II.3.d)dd). S. o. Kapitel 4 – A.I.3. 264 So Kahle, Leistungskondiktion, S. 155. 265 So ausführlich Schwietert, Effet utile, S. 251 ff. 266 Palzer/Preisendanz, EWS 2010, 215 (222); zur faktischen Umkehr der Beweislast bezüglich des Marktpreises der kartellierten Güter siehe bereits oben Kapitel 2 – C.II.3.d)dd). 267 Zumindest für die Fälle der aktiven Täuschung wird das auch nicht bestritten. Es gibt also selbst dann, wenn man das hier vertretene Ergebnis nicht teilt, Fälle, in denen allgemein davon ausgegangen wird, dass Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB bzw. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB neben den Anspruch aus § 33a Abs. 1 GWB treten. 268 S. o. Kapitel 4 – A.I.3. 263

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§ 33a Abs. 1 GWB geltend gemacht werden. Für eine solche abweichende Auslegung ließe sich wohl anführen, dass der Anknüpfungspunkt eben nur ähnlich, aber mit Ausnahme eines Anspruchs gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Nebenleistungspflicht nicht identisch ist. Der Kartellverstoß ist Tatbestandsmerkmal nur des § 33a Abs. 1 GWB, nicht hingegen der übrigen Ansprüche, die an ihn nur insoweit inzident anknüpfen, als ohne den Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUVauch keine Aufklärungspflichtverletzung bestünde. Diese Differenzierung überzeugt aber nicht. Dagegen spricht vor allem, dass nur ein „Zusammenhang mit dem Vertrag“ im Sinne einer „mittelbaren Beziehung“ erforderlich ist, ohne, dass dies notwendigerweise mit einer tatbestandlichen Identität einhergehen muss.269 So kann etwa nicht verkannt werden, dass es im Falle der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines wegen Täuschung über den Umstand der Kartellierung angefochtenen Vertrages wegen der Nichtigkeit ex tunc gem. § 142 Abs. 1 BGB zumindest im Rechtssinn überhaupt keinen Vertrag gegeben hat, mit dem ein solcher Zusammenhang hergestellt werden könnte. Auch eine Haftung gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB knüpft nicht an einen etwaigen Vertrag an, sondern statuiert von Gesetzes wegen und auch gegen den Willen der Parteien einen spezifischen Pflichtenkanon als Rechtsfolge ihres Verhaltens.270 Beides hat damit keinen näheren Zusammenhang zu einem wirksamen Kartellfolgevertrag als ein deliktischer Anspruch, der in seiner konkreten Form und insbesondere zur Bestimmung der Schadenshöhe nicht ohne Rekurs auf den Vertrag gebildet werden kann.271 Entsprechend ist das Prüfprogramm der hier in den Blick genommenen Ansprüche weitgehend identisch, angefangen bei der Bejahung des Kartellverstoßes als Anknüpfungspunkt für etwaige Nebenleistungs- und Aufklärungspflichten oder für die Haftung gem. § 33a Abs. 1 GWB, bis zur Rechtsfolge, in der entweder im Rahmen des Schadensersatzes gem. §§ 249 ff. BGB oder der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung über den hypothetischen Marktpreis gestritten wird. Zudem lädt eine gesonderte Behandlung des Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zu prozessualen Volten dergestalt ein, dass sich Parteien vor dem ordentlichen Gericht im Einredeverfahren darum bemühen, vertragliche Ansprüche in einen nach dem Klägervortrag ersichtlich kartelldeliktisch geprägten Sachverhalt hineinzulesen. Die bisherigen Erfahrungen sowohl des High Court als auch des LG Dortmund zeigen, dass namentlich die Beklagten auf diese Weise kreativ werden dürften.272 Klägerinnen wiederum steht es frei, ihre Ansprüche 269 Zu diesem Maßstab BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett: „mittelbare Beziehung“, „hinreichender Bezug“; siehe bereits oben Kapitel 4, Fn. 214. 270 BeckOGK/Herresthal, § 311 BGB Rn. 4, 22 f., 192; MüKoBGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 39. 271 So im Ergebnis auch LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622); siehe zu diesem Punkt noch nachstehend Kapitel 4 – A.III.2.b). 272 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 59 ff., zu diesem Kapitel 4 – A.II.2.d); LG Dortmund, WuW 2017, 621 (622); Segan, J.E.C.L. & Pract.

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

entweder von vornherein oder im Laufe des Verfahrens auch auf vertragliche Pflichtverletzungen gem. § 280 Abs. 1 BGB zu stützen oder hilfsweise273 für den Fall, dass die Klage gestützt auf § 33a Abs. 1 GWB keinen Erfolg hat, die Anfechtung zu erklären, um eine teilweise Zuständigkeit des eigentlich vereinbarten Forums herbeizuführen.274 Kehrt man zum Ausgangspunkt der Überlegungen zurück, die einst Raison d’Être bei der Bestimmung der sachlichen Reichweite auch enger Schiedsklauseln waren, dass also auch aus Gründen der Rechtssicherheit eine prospektive Klägerin die vereinbarte sachliche Zuständigkeit nicht begründen oder umgehen können soll, indem sie sich prozesstaktisch wahlweise auf die deliktische oder die vertragliche Anspruchsgrundlage beruft,275 so ist doch augenfällig, dass plötzlich bei weiten Schiedsklauseln und Kartellschadensersatzansprüchen einem solchen Verhalten gerade Vorschub geleistet wird. Mit der Art der Klausel – die argumentative Stütze der Rechtssicherheit ist bei beiden Klauselarten die tragende – ist das nicht zu erklären, wohl aber mit der Fokussierung auf eine bei engen Klauseln maßgebliche tatbestandliche Identität, die den Blick auf den eigentlich angezeigten Erst-RechtSchluss hin zu einem weiter gefassten Zusammenhang bei weiten Klauseln offenbar verstellt hat. b) Ursächlicher Zusammenhang Dieser „Zusammenhang mit dem Vertrag“ lässt sich wie folgt begründen. Das Erfordernis einer mittelbaren Beziehung respektive eines hinreichenden Bezuges aus der Rechtsprechung des BGH276 kann als Minus in die aus dem deutschen Schadensrecht bekannte Zurechnungsdogmatik und dort konkret in das Erfordernis der äquivalenten und adäquaten Kausalität übersetzt werden277. Ist der Vertrag also kausal für den Anspruch, sind die Anforderungen der Rechtsprechung erst recht 2018, 423 (429 f.). Der englische Microsoft-Fall ist auch insoweit erstaunlich, als es die vom High Court angenommene, implizite Pflicht der Vertragsparteien zur Unterlassung treuwidriger Verhandlungen vor allem aus kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen bekannt ist. Das spricht nicht für die Tragfähigkeit des CDC-Urteils, siehe Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (428 f.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (125). 273 Zur Möglichkeit der Prozesshandlungen unter einer innerprozessualen Bedingung allgemein BGH, NJW-RR 2008, 85 (86); MüKoZPO/Rauscher, Einl. ZPO Rn. 454. 274 Im Ergebnis ebenso Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 429. 275 BGH, NJW 1965, 300 (300), siehe oben Kapitel 4 – A.I.2.b); im kartelldeliktischen Kontext Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 109; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (161); Meier/ Schmoll, WuW 2018, 445 (448); Thiede, NZKart 2017, 589 (589 f.); Weller, IPRax 2016, 48 (49). 276 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett: „mittelbare Beziehung“, „hinreichender Bezug“. 277 Dazu allgemein Staudinger/Schiemann, § 249 BGB Rn. 8 ff.; MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 103 ff.; ebenfalls für die Prüfung im Sinne einer „without which not“ Kausalität im Kartelldeliktsrecht Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 034, unter Bezugnahme auf JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA., 387 F.3d 163, 175 (2nd Cir. 2004); dazu bereits oben Kapitel 3 – D.I.

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erfüllt.278 Hiernach ist auf der ersten Stufe eine Ursache dann für eine Folge äquivalent kausal im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne, dass auch zugleich der Erfolg entfiele.279 Auf der zweiten Stufe der adäquaten Kausalität ist demgegenüber zu fragen, ob diese Ursache auch unter allgemeinen und nicht nur etwaigen im konkreten Fall ganz außergewöhnlich gelagerten Umständen geeignet wäre, einen Erfolg der fraglichen Art herbeizuführen.280 Für die Annahme eines „Zusammenhangs mit dem Vertrag“ auch ohne strenge Kongruenz mit vertraglichen Ansprüchen muss also erstens ein Vertrag für den Tatbestand eines deliktischen Anspruchs dergestalt wichtig sein, dass er nicht hinweggedacht werden kann, ohne, dass der von der unmittelbaren Abnehmerin geltend gemachte Anspruch in seiner konkreten Form entfiele. Zweitens darf der Anspruch auch keine zufällige Folge des zeitlich vorgelagerten Abschlusses eines Kartellfolgevertrages sein. Tatsächlich lässt sich so die Annahme, dass zwischen Kartellfolgevertrag und Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB eine ursächliche Beziehung besteht, zweifach absichern. Die erste Absicherung betrifft die Entstehung des Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB. Die Kartellabrede selbst hat zwar zivilrechtlich nicht mehr nur die Nichtigkeit gem. Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB zur Folge. Aus sich heraus führt sie aber auch nicht zu einem Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB. Dieser Anspruch entsteht vielmehr erst dann, wenn die Kartellabrede in Vollzug gesetzt wird, also gerade durch den Ausführungsvertrag.281 Dieser ist conditio-sine-qua-non für den geltend gemachten Anspruch der unmittelbaren Abnehmerin.282 Dass es zwar eine vorvertragliche Abrede mit dem Ziel der Schädigung 278 Thole, ZWeR 2017, 133 (137) meint unter Bezugnahme auf LG Essen, BeckRS 2015, 7614, Kausalität sei nicht das zutreffende Kriterium, um den Zusammenhang mit dem Vertrag zu bestimmen. Das mag insoweit zutreffend sein, als Kausalität wie aufgeführt nicht das einzige denkbare Kriterium der Bestimmung der Reichweite weiter Schiedsklauseln ist. Thole beachtet hierbei allerdings nicht, dass im vom LG Essen entschiedenen Fall das Schiedsvereinbarungsstatut („any dispute, controversy or claim arising hereunder or in connection herewith“) russischem Recht unterlag, weshalb eine Übertragung der dort angenommenen Auslegungsgrundsätze keinen Automatismus darstellt. Vor allem aber sah auch das LG Essen in der Sache selbst den Ursächlichkeitszusammenhang zutreffend als eine Unterform des Zusammenhangs an, siehe ebd., S. 739. Genau diese Art des Zusammenhangs ist aber nach hier vertretener Auffassung bei Kartellschadensersatzansprüchen zu bejahen. Das Urteil des LG Essen ist im Berufungsverfahren bestätigt worden, siehe OLG Hamm, BeckRS 2019, 38848, Rn. 180 ff., dort ebenfalls zur Auslegung nach russischem Recht. 279 BGH, NJW 2018, 541 (542); MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 103. 280 BGH, NJW 2018, 541 (543); MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 110. 281 Wäschle, Weltkartelle, S. 22; Kahle, Leistungskondiktion, S. 145; wohl auch Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (90); siehe dazu oben Kapitel 2 – C.II.3.d)aa); Kapitel 4 – A.III.1.d); letztlich stimmt diesem Punkt unfreiwillig auch Wolf, IPRax 2018, 594 (598) zu, der schreibt, der – für den haftungsausfüllenden Tatbestand notwendige – Schaden entstehe der Kartellgeschädigten ausschließlich im Rahmen des vereinbarten Kartellfolgevertrages. 282 Thole, NZKart 2020, 227 (228); ders., ZWeR 2017, 133 (143); Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 136 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (81 f.); zustimmend Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (418 f.): „As the supply contract is the means to implement the

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gegeben haben mag, diese aber ohne eine Implementierung gegenüber den unmittelbar Geschädigten eben auch nur eine Abrede geblieben wäre, ist eine Erwägung, die auch die Rechtsprechung für die Bejahung eines „Zusammenhangs mit dem Vertrag“ genügen ließ.283 Ein Ursachenzusammenhang besteht daneben aber vor allem bei der Bestimmung des Schadens gem. §§ 249 ff. BGB als Teil des geltend gemachten Anspruchs. Kartellgeschädigte müssen für die Berechnung des Schadensersatzes nach der Differenzhypothese jedenfalls zum tatsächlich gezahlten und deshalb bekannten Kartellpreis vortragen.284 Im Kartellschadensersatzprozess finden zwar Beweiserleichterungen wie die Schätzung der konkreten Schadenshöhe gem. § 287 ZPO Anwendung.285 Diese erleichtert dem Gericht die Schadensberechnung, entbindet die Parteien aber nicht von der objektiven Beweislast oder Darlegungs- und Substantiierungspflichten.286 Der Kartellpreis wie auch damit im Zusammenhang stehende Nebenabreden, Rabattierungen oder Liefermodalitäten ergeben sich allein aus dem Kartellfolgevertrag.287 Ohne diesen ist die Bestimmung des kartellbedingt gezahlten Mehrpreises, des haftungsausfüllenden Tatbestands und damit auch des Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB schlechterdings ausgeschlossen. Der Rekurs auf den Vertrag ist deshalb notwendig, um den deliktischen Anspruch geltend machen zu können. Es besteht hiermit für den Anspruch eine äquivalente Kausalität im Sinne der conditiosine-qua-non-Formel.288 Und hierbei handelt es sich auch nicht um einen bloß zuanticompetitive practice, no tort would be committed, in relation to the buyer without that contract, and it is impossible to determine the buyer’s damage without resorting to the price agreed in the supply contract“ (Hervorhebungen im Original); auch LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 428 f. 283 HansOLG RIW 1989, 574 (578); zu diesem Urteil oben Kapitel 4 – A.I.2.c); ebenfalls dieser Parallelität zustimmend Thole, ZWeR 2017, 133 (143). 284 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 593. 285 BGH, NJW 2019, 661 (664) – Schienenkartell I; BGH, NJW 2016, 3527 (3531 f.) – Lottoblock II; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 141 ff., 254 ff.; Köhler, GRUR 2004, 99 (103); überblicksweise Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 592 ff. sowie bereits oben Kapitel 2 – C.II.3.c)aa). 286 Dazu für Kartellschadensersatzprozesse Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 607 f.; allgemein zum Verhältnis von § 287 ZPO und Beweis- und Substantiierungslasten BGH, NJW 2012, 2267 (2268); BGH, MDR 2006, 1392 (1393); BeckOK ZPO/Bacher, § 287 ZPO Rn. 13; MüKoZPO/Prütting, § 287 ZPO Rn. 28 f., 31 f. 287 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (418 f.); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 429; auch Thole, ZWeR 2017, 133 (139 f., 143); diesem zustimmend MüKoWettbR/Keßler, § 87 GWB Rn. 32. 288 Vgl. für die Herangehensweise der amerikanischen Gerichte, In re Remicade (Direct Purchaser) Antitrust Litig., 938 F.3d 515, 524 (3rd Cir. 2019): „But we are not swayed by the fact that RDC’s antitrust claims could not exist but-for the Agreement; what is dispositive is that they cannot be adjudicated without ,reference to, and reliance upon,‘ it“; ebenso zum Recht des Bundesstaates New Jersey EPIX Holdings Corp. v. Marsh & McLennan Companies, Inc., 410 N.J. Super. 453, 474 f. (App. Div. 2009); ähnlich auch JLM Indus., Inc. v. Stolt-Nielsen SA, 387 F.3d 163, 171 ff. (2nd Cir. 2004); In re TFT-LCD (Flat Panel) Antitrust Litig., 2011 WL 2650689,

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fälligen, außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegenden und konkret auch nicht vorhersehbaren Zusammenhang. Denn die Implementierung der Kartellabrede in den Kartellfolgevertrag, und dann auch die Notwendigkeit, die Schadenshöhe anhand des Folgevertrages zu bestimmen, ist die einzig logische und für objektive Beobachter:innen vorhersehbare Konsequenz der Kartellabrede. Spätestens damit ist der objektive Nexus gefunden, der den Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB „in Zusammenhang mit dem Vertrag“ stellt.289 Zwei Einwände lassen sich vorbringen. So ließe sich argumentieren, dass auch andere als die unmittelbaren Abnehmerinnen einen Schadensersatzanspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB haben können, obwohl sie keinen Kartellfolgevertrag mit den Kartellantinnen geschlossen haben. Ist damit die Idee eines ursächlichen Zusammenhangs von Kartellfolgevertrag und Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB entkräftet? Mitnichten. Denn an der Kausalität des Kartellfolgevertrages für den konkret geltend gemachten Anspruch der unmittelbaren Abnehmerinnen und damit auch für deren Schaden ändert diese Annahme nichts. In die Kausalitätsdogmatik übersetzt, handelt es sich dabei vielmehr um eine unbeachtliche Reserveursache.290 Dieser hier vertretenen Auffassung lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, dass nach dem vorherrschenden prozessual zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff291 einzelne Liefergeschäfte keine eigenen Streitgegenstände, sondern nur Rechnungsposten im Rahmen der Schadensschätzung gem. § 287 ZPO seien292. Denn selbst wenn diese Einschätzung zutrifft,293 ist damit nur etwas über den prozessualen Streitgegenstand, nicht aber über den materiellen Anspruch gesagt, nach dem sich die Zuständigkeit erst auszurichten hat. Materiellrechtlich nämlich be4 f. (N.D. Cal. 2011); In re Currency Conversion Fee Antitrust Litig., 265 F. Supp. 2d 385, 406 ff. (S.D.N.Y. 2003); siehe dazu bereits oben Kapitel 3 – D.I. 289 Im Ergebnis wie hier Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (418 f.); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 429; wohl auch Thole, ZWeR 2017, 133 (143); Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 136 (2018); anscheinend nur auf das Vorhandensein des Kartellfolgevertrages abstellend ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (81 f.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (128). 290 Reserveursachen sind zwar nach nicht unbestrittener Auffassung grundsätzlich berücksichtigungsfähig, sie sind es aber allenfalls dann, wenn die Reserveursache mit Sicherheit ebenfalls zu dem konkret eingetretenen Schaden geführt hätte, allgemein BGH, NJW 1998, 2830 (2832); OLG Hamm, NJW-RR 2018, 984 (986); OLG Schleswig, NJW 2005, 439 (441); MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 213; für eine ähnliche Argumentation wie die hier vertretene vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 17537; teilweise kritisch dazu Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Ohlhoff, § 26 Rn. 188 f. Wenn demgegenüber unmittelbare Abnehmerinnen gleichzeitig mittelbar oder durch Preisschirmeffekte Geschädigte sind, handelt es sich nicht mehr um Reserveursachen. Siehe zu diesem Punkt noch sogleich. 291 Siehe nur BGH, NJW 2015, 1296 (1296); Thole, NZKart 2020, 227 (229); MüKoZPO/ Becker-Eberhard, vor § 253 ZPO Rn. 32 ff. jew. m. w. N. 292 So aber Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (172), unter Verweis auf KG Berlin, NJOZ 2010, 536 (538). 293 Für einen einheitlichen Streitgegenstand in Kartellschadensersatzprozessen auch Thole, NZKart 2020, 227 (229 f.) m. w. N.

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gründet jeder einzelne Kartellfolgevertrag respektive jeder einzelne Bezugsvorgang auch einen eigenen Anspruch, und zwar auch innerhalb einer laufenden Geschäftsbeziehung.294 Das gilt selbst dann, wenn Schädigerin und Geschädigte über einen Rahmenvertrag verbunden sind, weil diesem regelmäßig einzelne Bezugsvorgänge zeitlich versetzt nachfolgen.295 Diese können dann etwa hinsichtlich des intertemporalen Rechts und des Verzinsungsbeginns eigenständig zu beurteilen sein.296 Dem steht auch der Grundsatz der Schadenseinheit297 nicht entgegen, da aus der Kartellabrede zwar ein Wettbewerbsverstoß folgt, aber eben kein einheitlicher, sich organisch fortentwickelnder Schaden, sondern eine Vielzahl einzelner Geschehensabläufe und damit auch einzelner Schäden, die von der sukzessiven Implementierung der Abrede durch immer neue Bezugsvorgänge abhängen.298 c) Die Berücksichtigung spezifisch kartellrechtlicher Besonderheiten bei der Auslegung der Vereinbarung Im folgenden Abschnitt wird untersucht, ob sich spezifische Besonderheiten komplexer kartelldeliktischer Ausgleichsverhältnisse auf die Auslegung auswirken. aa) Weitere Schadenspositionen, insbesondere Preisschirmschäden Problematisch ist die Berücksichtigung weiterer Schadenspositionen unmittelbarer Abnehmerinnen. Diese können nämlich in Personenidentität auch mittelbare und umbrella-Geschädigte sein.299 Es stellt sich die Frage, wie mit diesen Schadenspositionen bei der Auslegung zu verfahren ist. Teils wird auch bei den Preisschirmschäden unmittelbarer Abnehmerinnen argumentiert, sie seien von einer Schiedsklausel erfasst. Hierfür seien prozessökonomische Überlegungen maßgeblich, und bei ihrer Auslegung sei die Frage der persönlichen Reichweite von der inhaltlichen Auslegung zu trennen.300 Sei die persönliche Reichweite erst einmal bejaht, müssten auch die Preisschirmschäden einbezogen werden.301

294 Thole, NZKart 2020, 227 (228), unter Verweis auf BGH, NJW 2019, 661 (668) – Schienenkartell I; s. a. BGH, NZKart 2021, 44 (51) – Schienenkartell V. 295 Thole, NZKart 2020, 227 (228). 296 Thole, NZKart 2020, 227 (228); zum intertemporal anwendbaren Recht etwa LG Hannover, NZKart 2018, 100 (103); zu den Zinsen etwa OLG Karlsruhe BeckRS 2014, 20482 Rn. 172. 297 Zu diesem etwa BGH, NZG 2017, 753 (755 f.). 298 Thole, NZKart 2020, 227 (228). 299 Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586, 590); siehe zu dieser Problematik bereits oben Kapitel 4 – A.II.1.f). 300 Thole, ZWeR 2017, 133 (144 f.). 301 Thole, ZWeR 2017, 133 (144 f.).

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

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Diese Überlegung ist mit Recht als wenig nachvollziehbar bezeichnet worden.302 Sie würde letztlich dazu führen, dass im Verhältnis der Streitparteien auch jeder zufällige Anspruch vom sachlichen Anwendungsbereich einer weiten Schiedsvereinbarung erfasst wird, wenn nur die persönliche Anwendbarkeit bejaht werden kann.303 Bei Preisschirmschäden und auch bei den mittelbaren Abnehmerinnen entstehenden Schäden handelt es sich um in diesem Sinne zufällige Schäden, da sie jede Marktteilnehmerin und nicht nur die unmittelbare Abnehmerin treffen können. Deshalb sind diese Schadenspositionen auch nicht Ausfluss eines Kartellfolgevertrages, anlässlich dessen die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts für Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Vertrag vereinbaren wollten, oder dieses konkreten Beschaffungsvorgangs, sondern Ausfluss der allgemeinen und vom konkreten Kartellfolgevertrag losgelösten Tätigkeit der Geschädigten auf einem kartellierten Markt. Insoweit stellen sie also unmittelbare Abnehmerinnen mit den übrigen Geschädigten auf eine Stufe, was sich auch daran zeigt, dass keine weiteren Ansprüche neben § 33a Abs. 1 GWB in Betracht kommen. Zusammengenommen steht das der Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs von Anspruch und Vertrag entgegen. Dieses Ergebnis fügt sich in die schon mehrfach herangezogene Scarlett-Entscheidung des BGH zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen ein.304 Denn dort hatte der BGH ausgeführt, wenn der Landwirt unabhängig von seiner Eigenschaft als Vertragspartner im Rahmen des Vermehrungsvertrags noch am übrigen Markt Saatgut beziehe und einsetze und auch dieses Verhalten gesetzliche Auskunftsansprüche der klagenden Vertragspartnerin nach sich ziehe, handele es sich insoweit um einen Lebenssachverhalt, für den ein Zusammenhang mit dem Vertrag nicht mehr zu erkennen sei.305 Die Vorinstanz, deren Ausführungen sich der BGH zu eigen machte, hatte noch pointierter formuliert, dass insoweit der Landwirt trotz seiner Eigenschaft als Vertragspartei wie jeder andere Landwirt auch zu behandeln sei.306 Der BGH erkannte zwar die prozessökonomischen Vorteile einer gesammelten Abhandlung dieser Auskunftsansprüche an, sah sich aber außerstande, diese Rechtsfolge ohne eine entsprechende Abfassung der Schiedsklauseln herbeizuführen.307 Dahinter steht letztlich das zutreffende und für das Schiedsgericht maßgebliche Kriterium der hinreichenden Kognitionsbefugnis. Die Parallelität zu umbrella302

Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586, Fn. 9); ablehnend auch Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (162); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 114. 303 Zur Vermeidung der Einbeziehung zufällig entstehender Ansprüche Kapitel 4 – A.III.2.; Kapitel 4 – A.III.2.b). 304 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 – Scarlett; siehe bereits oben Kapitel 4 – A.I.2.c) sowie Kapitel 4, Fn. 35. 305 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett. 306 OLG Braunschweig, BeckRS 2015, 116195, Rn. 21; BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett. 307 BGH, SchiedsVZ 2017, 144 (146) – Scarlett; ähnlich bereits OLG Braunschweig, BeckRS 2015, 116195, Rn. 21.

232

Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Schäden bei Kartellschadensersatzansprüchen, die alle Marktbeteiligten unterschiedslos und gerade unabhängig von Vertragsbeziehungen treffen, ist deutlich erkennbar. Das führt letztlich dazu, dass eine Kartellgeschädigte vor dem Schiedsgericht zwar ihre Ansprüche gem. § 33a Abs. 1 GWB geltend machen kann, soweit sie die Beschaffungsvorgänge aus dem jeweiligen Kartellfolgevertrag betreffen, nicht aber sonstige Schadenspositionen.308 Zweifelsohne ist dieses Ergebnis als kontraintuitiv und wenig prozessökonomisch einzustufen, wird so doch in diesen Fällen die eben erst begründete einheitliche Zuständigkeit eines Schiedsgerichts aufgespalten und werden die durchzuführenden Verfahren auf mehrere Foren aufgeteilt. Nach hier vertretener Auffassung handelt es sich dabei trotzdem um die dogmatisch überzeugende Lösung. Das gilt insbesondere auch insoweit, als sie arbiträre und von der Prozesstaktik der Parteien abhängige Ergebnisse vermeidet. bb) Komplexe Rechtsverhältnisse Der Umstand, dass Kartellantinnen gem. § 33d Abs. 1 GWB gesamtschuldnerisch auf den durch das Kartell verursachten Schaden haften, führt demgegenüber zu keinen größeren Problemen bei der Auslegung. Die gesamtschuldnerische Haftung wie auch das prozessuale forum shopping unter der Brüssel Ia-VO309 sind für die Geschädigten vorteilhaft.310 Diese Aussage überzeugt zwar, lenkt aber gleichzeitig den Blick vom Sonderbereich des Kartellrechts auf die allgemeine Regel des § 840 Abs. 1 BGB. Dort – wie auch in einer Vielzahl weiterer und überwiegend deliktischer Haftungstatbestände311 – findet sich die gesetzliche Anordnung einer gesamtschuldnerischen Haftung. Diese materiellen Anordnungen einer Haftungsgemeinschaft können aber kein Grund sein, eine inter partes wirkende Vereinbarung über den prozessual zuständigen Spruchkörper zu ignorieren. Nicht nur bleibt die materielle Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung durch eine Schiedsvereinbarung ohnehin unberührt, auch bei der Untersuchung der hinter dem Abschluss dieser Vereinbarung stehenden Parteierwägungen ist nicht danach zu differenzieren, ob – möglicherweise – mehr als eine Schädigerin auftritt. Wie andere, bereits dargestellte Kriterien312 ist auch dieses für die Zuständigkeitsprüfung ungeeignet. Ferner sind zudem nicht beide Parteien der Schiedsvereinbarung „zwischen den Stühlen“ verschiedener Regressverhältnisse, sondern vertraut eine in die vereinbarte Zuständigkeit und hat die andere versäumt, die vielfältigen Regressverhältnisse ein308 Kritisch dazu Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586); im Ergebnis wie hier Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161, 163); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 114, wohl auch Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (25, Fn. 61). 309 S. o. Kapitel 2 – F.III.2. 310 S.a. Kapitel 5 – B.I.3.a). 311 Vgl. MüKoBGB/Heinemeyer, § 421 BGB Rn. 44; BeckOK BGB/Gehrlein, § 421 BGB Rn. 10. 312 Siehe dazu Kapitel 4 – A.III.1.g).

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

233

zubeziehen.313 An einzelne Gesamtschuldnerinnen werden in komplexen Rechtsverhältnissen eben individuelle Rechtsfolgen geknüpft. Materiellrechtlich ergibt sich dies bereits aus den §§ 422 ff. BGB.314 Spiegelbildlich dazu ist prozessual anerkannt, dass eine Gesamtschuld die Grenzen der persönlichen Reichweite der Schiedsvereinbarung nicht zu ändern vermag315. Deshalb ist auch im Kartellrecht der Umstand, dass mehrere Schädigerinnen unter Umständen nicht gemeinsam verklagt werden können, jedenfalls bei Auslegung der Parteivereinbarung die notwendige und als solche auch nicht fernliegende Folge einer Schiedsvereinbarung.316 cc) Schutzgutbezogene Erwägungen im engeren Sinn Übrig bleibt nunmehr noch das Argument, dass Parteien nicht über zwingendes Marktordnungsrecht disponieren können sollten, und – wenn schon nicht bei anderen deliktischen Ansprüchen – dann doch wenigstens im Kartelldeliktsrecht eine Abkehr von den Grundsätzen der weiten Auslegung zu gelten habe.317 Diese Auffassung stützt sich auf das besondere öffentliche Schutzgut des Wettbewerbs.318 In letzter Konsequenz dient aber jeder deliktische Anspruch einem öffentlichen Interesse.319 Wenn der Wettbewerb insoweit besonders ist, dann vor allem, als er durch seine Konsequenzen besonders eng mit Verträgen verwoben ist.320 Kartelldeliktische Klagen unmittelbarer Abnehmerinnen bewegen sich immer zumindest in der vertraglichen Peripherie, und die Wettbewerbsvorwürfe finden ihren Niederschlag gerade im Kartellfolgevertrag.321 Entsprechend werden auch in Deutschland sonstige wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten, die zweifelsohne gleichermaßen am öffentlichen Interesse ausgerichtet sind, teils inklusive der geltend gemachten Schadensersatzansprüche in Forenwahlklauseln einbezogen.322 Überdies gibt es noch weitere

313

Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (200); s. a. Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (69). Siehe auch allgemein MüKoBGB/Heinemeyer, § 425 BGB Rn. 1: „Damit enthält § 425 [BGB] eigentlich nur die Aussage, dass gesamtschuldnerische Verbindlichkeiten nicht notwendig auf Dauer ein gemeinsames Schicksal haben müssen.“ 315 BGH, NJW-RR 1991, 423 (424); BGH, NJW 1977, 1397 (1398 f.); Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 25; Stein/Jonas/Schlosser, § 1029 ZPO Rn. 33; MüKoZPO/ Münch, § 1029 ZPO Rn. 52. 316 Thole, ZWeR 2017, 133 (144); vgl. etwa für die USA In re Currency Conversion Fee Antitrust Litig., 265 F. Supp. 2d 385, 410 (S.D.N.Y. 2003). 317 In diese Richtung etwa Wagner, ZVglRWiss 114 (2015) 494 (507 f.); von einem Anspruch eigener Art sprechen auch Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589). 318 Siehe dazu oben Kapitel 4 – A.II.1.e). 319 LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Thole, ZWeR 2017, 133 (143). 320 Mankowski, EWiR 2019, 157 (158); Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 024. 321 Mankowski, EWiR 2019, 157 (158). 322 LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Thole, ZWeR 2017, 133 (143) unter Verweis auf KG Berlin, AfP 1998, 74 (74); OLG Stuttgart, RIW 1991, 333 (334); im Urteil des 314

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Rechtsgebiete, in denen Institutionenschutz durch Individualschutz erfolgt.323 In diesen werden, soweit ersichtlich, ebenfalls keine besonderen Vorgaben für die Auslegung von Forenwahlklauseln aufgestellt. Subjektiv kann nämlich keine Rede davon sein, dass den Parteien einer Schiedsvereinbarung andere als die schon ausgeführten ökonomischen Erwägungen vor Augen stehen, und zwar auch den Klägerinnen. Diese schließen eine Schiedsvereinbarung nicht mit Blick auf die ihnen vom Gesetzgeber zugedachte Rolle als Agenten der Rechtsdurchsetzung,324 sondern für die erleichterte Beilegung aller prospektiven Streitigkeiten, auch solche kartellrechtlicher Art. Und selbst wenn eine Rechtsordnung, wie etwa die US-amerikanische, Klägerinnen zu Bannerträgerinnen auch der mit den kartellrechtlichen Normen intendierten Abschreckung macht, geht damit noch keine Abkehr von einer am Parteiwillen orientierten Auslegung der Schiedsvereinbarung einher.325 All dies spricht dagegen, auf Ebene der Auslegung einen schutzgutbezogenen Exzeptionalismus offensiver Kartellrechtsstreitigkeiten zu etablieren. Ein solcher Ansatz ließe sich auch nicht dogmatisch kohärent etablieren. Es handelte sich hierbei um eine unerquickliche Vermengung ordnungspolitischer Vorbehalte mit subjektiven Parteiinteressen, in der die Vorstellungen zweier Parteien bei Abschluss einer Schiedsvereinbarung mit abstrakten Wertungsüberlegungen bezüglich eines als besonders bedeutsam identifizierten Rechtsguts substituiert werden, zulasten der Rechtssicherheit326. Wenn aber mit schutzgutbezogenen Erwägungen eine Sonderbehandlung des Kartellrechts begründet oder anders gewendet die prozessuale Disponibilität des Kartellprivatrechts zumindest in Teilen eingeschränkt werden soll, sollte an der richtigen Stelle angesetzt werden. Zutreffender Ansatzpunkt ist die Berücksichtigung ordnungspolitischer und rechtsstaatlicher Erwägungen anhand verfahrensrechtlicher Sicherungen. Die dazu bestehenden Möglichkeiten wurden bereits dargestellt. Sie reichen von der Schiedsunfähigkeit der Sachmaterie bis zu einer materiellen Kontrolle im Einredeverfahren, von der Bindung von Schiedsgerichten an Eingriffsnormen bis zu einer Überprüfung kartellrechtlicher Schiedssprüche am Maßstab des ordre public im AnerkennungsverfahOLG Stuttgart begehrte die Klägerin, der von ihrer Zulieferin nach ihrem Vortrag unter Verstoß gegen das GWB gekündigt worden war, Weiterbelieferung und Schadensersatz. 323 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 250, nennt neben dem Kartellrecht etwa das Lauterkeitsrecht und das Kapitalmarktrecht. 324 In diesem Sinne Thole, ZWeR 2017, 133 (143); s. a. Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 303 f. 325 Siehe dazu oben Kapitel 3 – C.II.1.; Kapitel 3 – D.I. Wie dort auch sei allerdings angemerkt, dass auch im US-amerikanischen Recht die Auslegung kartellrechtlicher Schiedsvereinbarungen mit einem dogmatischen Fehlgriff begann, der indes nicht die einschränkende Auslegung, sondern im Gegenteil gerade die Begründung der objektiven Schiedsfähigkeit betraf. 326 Vgl. zu diesem Einwand Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 337; Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (95 ff.); wohl a. A. und deshalb auch nur im Ergebnis überzeugend der Ansatz von Nowag/ Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (460 ff.).

A. Die sachliche Reichweite von Schiedsvereinbarungen

235

ren.327 Diese objektivierte Beachtung schutzgutspezifischer Besonderheiten im schiedsgerichtlichen Verfahren ist der systematisch angezeigte Weg; die Zweckentfremdung der Auslegung ist es nicht.328, 329

IV. Zusammenfassung der Auslegung nach deutschem Recht Bei einer Auslegung am Maßstab der §§ 133, 157 BGB sind Kartellschadensersatzansprüche von weiten Schiedsvereinbarungen erfasst.330 Im wohlverstandenen subjektiven Vorstellungsbild der Parteien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, den Anwendungsbereich weiter Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzansprüchen einzuschränken. Vielmehr verkehren entsprechende Überlegungen den Grundsatz einer umfassenden, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses interessengerechten und deshalb auch rechtssicheren Wahl eines Schiedsgerichts in ihr Gegenteil, ohne, dass hiermit praktische Vorteile einhergingen oder sich diese Abkehr von allgemeinen Grundsätzen für den Bereich des Kartellschadensersatzes dogmatisch überzeugend begründen ließe. Das gilt namentlich auch für das Kriterium einer vermeintlich für die Geschädigte nicht vorhersehbaren Schädigung. Unter Anlegung eines objektivierten Maßstabs lässt sich dieses Ergebnis absichern. Maßgeblich hierfür ist zum einen, dass neben dem deliktischen Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB regelmäßig auch Ansprüche der Geschädigten gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB und § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht oder einer darauffolgenden täuschungsbedingten Anfechtung des Kartellfolgevertrags bestehen. Diese Ansprüche teilen zwar mit dem Anspruch gem. § 33a Abs. 1 GWB keine strenge Tatsachengrundlage. Sie laden aber zu prozessualen Volten dergestalt ein, dass Parteien durch die wahlweise Berufung auf diese Ansprüche die Zuständigkeit eines bestimmten Spruchkörpers herbeiführen könnten. Für die Erfassung eines Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB als Anspruch „im Zusammenhang mit dem Vertrag“ wiederum ist eine geteilte Tatsachengrundlage nicht erforderlich, sondern es reicht ein hinreichender Bezug zum Kartellfolgevertrag. Ein solcher liegt vor, da der Schaden unmittelbarer Abnehmerinnen und damit der konkret geltend gemachte Anspruch nicht ohne Rekurs auf den Kartellfolgevertrag gebildet werden kann. Schutzgutspezifische Besonderheiten sind im Rahmen der Auslegung nicht zu berücksichtigen 327

Überblicksweise Kapitel 2 – A.V. Im Ergebnis wie hier Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (415). 329 Vgl. für eine ähnliche Kritik am Mitsubishi-Urteil oben Kapitel 3 – C.II.3. 330 Für enge Schiedsklauseln gilt dies nur, soweit ein paralleler vertraglicher Anspruch wegen Verletzung einer Nebenleistungspflicht gem. § 280 Abs. 1 BGB besteht. Vorbehaltlich spezieller vertraglicher Regelungen, die einen Pflichtverstoß in der Beteiligung am Kartell, nicht bloß der Nichtaufklärung über diesen Umstand erblicken, ist das nicht der Fall, siehe Kapitel 4 – A.III.2.a)aa)(1). 328

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

und zwingen zu keiner abweichenden Bewertung. Problematisch ist lediglich die abweichende Behandlung weiterer Schadenspositionen, die aber Ausfluss der in der Schiedsvereinbarung verkörperten Einigung der Parteien und deshalb hinzunehmen ist.

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsvereinbarungen Das vorstehend zur Anwendbarkeit von Schiedsvereinbarungen auf Kartellschadensersatzansprüche gem. §§ 133, 157 BGB gefundene Ergebnis soll nunmehr im Lichte der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen CDC331 und Apple332 überprüft werden. Wie ausgeführt, sind Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen i. S. d. §§ 38 Abs. 1, 1029 Abs. 1 ZPO nach nationalem Recht gem. §§ 133, 157 BGB einheitlich auszulegen.333 In praktischer Hinsicht ist aber für Gerichtsstandsvereinbarungen bei grenzüberschreitenden Kartellen innerhalb der EU allein die Vorschrift zur Prorogation gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO von Relevanz.334 Gelten insoweit nach der Rechtsprechung des EuGH (nachstehend I., zum Urteil CDC, sowie II., zum Urteil Apple) bei kartellschadensersatzrechtlichen Streitgegenständen andere unionsrechtliche Auslegungsergebnisse, stellt sich die Frage, inwieweit an den soeben entwickelten Grundsätzen für Schiedsvereinbarungen festzuhalten ist (III.).

I. Rechtssache CDC 1. Sachverhalt In der Rechtssache CDC nahm ein Klagevehikel, welches sich Ansprüche von 32 Kartellgeschädigten in 13 Mitgliedstaaten der EU hatte zedieren lassen, die Beteiligten des Wasserstoffperoxid-Kartells335 auf Schadensersatz in Anspruch. Die sechs Beklagten waren über die EU verteilt und wurden, sehr zu ihrem Missfallen, gesamtschuldnerisch mittels des Gerichtsstandes der Streitgenossenschaft gem. Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO (Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) wegen einer deutschen Ankerbeklagten vor dem LG Dortmund verklagt. In einigen Lieferverträgen waren Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen enthalten, derentwegen die Beklagten die 331

EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC. EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854 – Apple Sales International. 333 S. o. Kapitel 4 – A.I.1. 334 S. o. Kapitel 2 – F.II. 335 COMP/F/C.38.620 – Wasserstoffperoxid und Perborat, Az. K(2006) 1766; es handelte sich hierbei um eine horizontale Absprache. 332

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

237

Zuständigkeit des LG Dortmund rügten. Dies nahm das Landgericht in der hier interessierenden dritten Vorlagefrage zum Anlass, um den EuGH gem. Art. 267 AEUV um eine Auslegung des europäischen Rechts zu der offenen Frage zu ersuchen, ob die für kartelldeliktische Streitigkeiten besonders geeigneten besonderen Gerichtsstände gem. Art. 5 Nr. 3 bzw. Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 2 bzw. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO)336 durch den ausschließlichen Gerichtsstand gem. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) derogierbar sind. Bedauerlicherweise ist der Wortlaut der Klauseln unbekannt.337 Ebenso ist unklar, ob Foren in Drittstaaten außerhalb der EU benannt wurden.338 2. Schlussantrag Der Generalanwalt nahm die Vorlage zum Anlass, seiner rechtlichen Würdigung einige generelle Bemerkungen voranzustellen. So spreche die Bedeutung des Art. 101 AEUV dafür, die Vorschriften der prozessualen Brüssel I-VO (Brüssel IaVO) in den Dienst der vollen Verwirklichung der materiellen Wettbewerbsvorschriften zu stellen, dies auch unter dem Blickwinkel des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gem. Art. 47 EU-GRCh.339 Da es sich bei dem Recht auf volle Kompensation um ein dem Primärrecht entnommenes handele, sei das bei der Verwirklichung des Unionsrechts mit den Mitteln der mitgliedstaatlichen Verfahrensordnungen zu beachtende Effektivitätsgebot „erst recht“ auf den europäischen Sekundärrechtsakt der Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO) anzuwenden.340 Zudem sei aus dem Auftreten von Klagevehikeln zu folgern, dass Individualklagen im Fall komplexerer Wettbewerbsverstöße nicht „vernünftig“ seien.341 Mit Blick auf die Forenwahlklauseln sollte nach Auffassung von GA Jääskinnen zwischen solchen Klauseln unterschieden werden, die im Einklang mit Art. 23 Brüssel I-VO (Art. 25 Brüssel Ia-VO) ein mitgliedstaatliches Gericht prorogierten, und solchen, die ein drittstaatliches Forum benannten. Problematisch seien sie beide. Eine Prorogation mitgliedstaatlicher Gerichte gem. Art. 23 Brüssel I-VO (Art. 25 Brüssel Ia-VO) sei zwar nach allgemeinen Grundsätzen als gelebter Ausdruck der Privatautonomie möglich, und ihr stehe auch nicht der Grundsatz der vollen Wirk-

336

F.III.2.

Zu den so eröffneten Möglichkeiten zum prozessualen forum shopping s. o. Kapitel 2 –

337 Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 9 ff. – CDC; für den Vorlagebeschluss LG Dortmund, BeckRS 2013, 10006; siehe allerdings GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 94 – CDC sowie die dort aufgeführten Fußnoten, in denen beispielhaft eine enge Gerichtsstandsvereinbarung und eine weite Schiedsklausel aufgeführt werden; hierzu Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (430). 338 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 94 – CDC. 339 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 27 – CDC. 340 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 31 f. – CDC. 341 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 29 – CDC.

238

Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

samkeit des Kartellverbots gem. Art. 101 AEUV entgegen.342 Bei diesen Gerichtsstandsvereinbarungen sei aber zu prüfen, ob sie dem Erfordernis einer eindeutigen und nicht mit Mängeln behafteten Zustimmung genügen, was im Hinblick auf Kartellschadensersatzansprüche zweifelhaft sei, da der Geschädigten das Kartell bei Abschluss der Vereinbarung unbekannt gewesen sei.343 Die Beurteilung anderer Klauseln außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel I-VO bereitete GA Jääskinnen offensichtlich erhebliches Kopfzerbrechen.344 Hier sei die Anwendbarkeit europäischer Wettbewerbsvorschriften nicht gleichermaßen sichergestellt.345 Diese Klauseln seien anhand des nationalen Rechts zu bewerten und am Maßstab des Effektivitätsgebots zu messen.346 Für Schiedsvereinbarungen helfe das Eco Swiss-Urteil, wonach die europäischen Wettbewerbsvorschriften dem ordre public zuzurechnen seien und die diesbezügliche Rechtsanwendung durch ordentliche Gerichte kontrolliert werde, nur bedingt weiter.347 Es sei ergangen, bevor das private enforcement mit der Courage-Rechtsprechung seine Premiere gefeiert habe, und weil das so sei, habe es auch die tatsächlichen Begleitumstände der privaten Rechtsdurchsetzung und deren Stellenwert in der Rechtsprechung des EuGH nicht berücksichtigen können.348 Betrachte man drittstaatliche Forenwahlklauseln heute, seien diese zwar nicht als solche ein Hindernis für die praktische Wirksamkeit des Art. 101 AEUV, denn sie verhinderten keine dann gegebenenfalls fragmentiert zu erhebenden Klagen der Geschädigten.349 Es sei aber schwierig, diesen „theoretischen Standpunkt“ in einem komplexen Kartell durchzuhalten, wenn nicht eine explizite Zustimmung der Parteien vorliege und die drittstaatlichen Foren das Wettbewerbsrecht als Teil des ordre public anzuwenden hätten.350 342

CDC.

GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 114 f., 105 ff. –

343 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 110 f. – CDC; neben dem Generalanwalt war auch die Kommission dagegen, Kartellschadensersatzansprüche in allgemein gefasste Forenwahlklauseln einzubeziehen, siehe GA Jääskinnen, ebd., Rn. 96, 128; von dieser unveröffentlichten Stellungnahme berichten auch Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (167); bei den Verfassern handelt es sich teils um am Verfahren beteiligte Parteivertreter. 344 Siehe zu den Schwierigkeiten, diese Ausführungen des Generalanwalts in eine Dogmatik für die Behandlung von Schiedsvereinbarungen zu übersetzen Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (400 ff.). 345 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 100 – CDC; Segan sieht in dieser Anmerkung für Schiedsgerichte einen Wiedergänger aus der Zeit vor der mit der Mitsubishi-Rechtsprechung angestoßenen Liberalisierung der Kartellschiedsgerichtsbarkeit, Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423, 429 f.; wohl ähnlich Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (213 f.). 346 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 118 f. – CDC. 347 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 123 f. – CDC. 348 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 123 f. – CDC. 349 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 125 – CDC. 350 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 126 – CDC.

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

239

Ohne allerdings dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, wandte sich der Generalanwalt der Durchsetzbarkeit dieser Klauseln zu und griff seine schon zu Art. 23 Brüssel I-VO (Art. 25 Brüssel Ia-VO) entwickelte Voraussetzung eines qualifizierten Zusammenhangs zwischen der Forenwahlklausel und des bestimmten Rechtsverhältnisses für die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeiten auf.351 Damit schuf er ein neues Problemfeld, welches er aber gleichermaßen nicht auflöste. Auch wenn nämlich das LG Dortmund als mitgliedstaatliches Gericht allein die Reichweite einer ihm vorliegenden Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen könne und „hierzu sogar verpflichtet“352 sei, sei es doch so, dass wie bei den die Zuständigkeit von mitgliedstaatlichen Gerichten prorogierenden Gerichtsstandsvereinbarungen im Falle eines als deliktisch einzustufenden Kartellschadensersatzanspruchs die Geschädigte das ursächliche Ereignis nicht habe vorhersehen können.353 Deshalb könnten auch drittstaatliche Forenwahlklauseln Ansprüche wie die in Frage stehenden nicht erfassen.354 3. Urteil Der Gerichtshof ging einigen Fallstricken aus dem Weg, indem er sich bei der Beantwortung der Vorlagefrage nur bezüglich der in den Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) fallenden Klauseln zu einer Entscheidung berufen und hinsichtlich der übrigen Klauseln nicht ausreichend informiert fühlte.355 Im Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) sei es allerdings zum einen so, dass die materiellen Rechtsnormen keinen Einfluss auf die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung haben könnten.356 Und zum anderen stehe das in jedem Mitgliedstaat geltende Rechtsbehelfssystem über die Absicherung des Art. 267 AEUV pauschalen Annahmen, ein prorogiertes Gericht werde die effektive Verwirklichung der Wettbewerbsvorschriften nicht sicherstellen, entgegen.357 Derogationsfest seien die Gerichtsstände der deliktischen Handlung358 und der Streitgenossenschaft gem. 351

GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 128 ff. – CDC. GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 127 – CDC. 353 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 129 – CDC. 354 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 130 – CDC. 355 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 58 – CDC: „Vor der Behandlung dieser Frage ist klarzustellen, dass der Gerichtshof zu einigen Abweichungsklauseln, die ebenfalls in den genannten Verträgen enthalten sein sollen, ohne jedoch in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 zu fallen, nicht über ausreichende Informationen verfügt, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben.“ 356 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 62 – CDC. 357 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 63 – CDC. 358 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 43 – CDC: „Was den Ort des ursächlichen Geschehens angeht, ist zunächst festzustellen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Käufer ihren Bedarf zwar im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit verschiedenen Beteiligten des fraglichen Kartells gedeckt haben. Das schädigende Ereignis 352

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Art. 5 Nr. 3, Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) also auch in Kartelldeliktsfällen nicht.359 In einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens seien aber die persönliche und sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung zu untersuchen. In persönlicher Hinsicht sei zu bedenken, dass eine Dritte (hier also das Klagevehikel) nur dann an eine Gerichtsstandsvereinbarung gebunden sein könne, wenn sie dieser zugestimmt habe oder nach den Bestimmungen des in der Sache anwendbaren nationalen Rechts in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei eingetreten sei.360 In sachlicher Hinsicht erinnerte der EuGH das LG Dortmund daran, dass es für die Auslegung der Vereinbarung zuständig sei,361 gab ihm aber noch folgendes mit auf den Weg:362 68. Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann nur eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit betreffen, was die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die Rechtsstreitigkeiten einschränkt, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde. Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (…). 69. Im Hinblick auf dieses Ziel wird das vorlegende Gericht u. a. zu berücksichtigen haben, dass eine Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasst, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird. 70. Bei einem solchen Rechtsstreit kann nämlich, da er für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt seiner Zustimmung zu der genannten Klausel nicht hinreichend vorhersehbar war, weil diesem Unternehmen eine Beteiligung seines Vertragspartners an dem rechtswidrigen Kartell zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, nicht davon ausgegangen werden, dass er auf den Vertragsverhältnissen beruht. Eine solche Klausel würde mithin nicht zur wirksamen Derogation der Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts führen. 71. Sofern dagegen eine Klausel vorläge, die sich auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht und in der ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats als dem des vorlegenden Gerichts bestimmt wird, müsste sich das vorlegende Gericht selbst dann für unzuständig erklären, wenn diese Klausel zu einer Verdrängung der liegt jedoch nicht in einer eventuellen Verletzung von vertraglichen Verpflichtungen, sondern in der Beschränkung der Vertragsfreiheit durch dieses Kartell, die dazu führt, dass es für die Käufer unmöglich wird, ihren Bedarf zu einem nach den Gesetzen des Marktes gebildeten Preis zu decken“. 359 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 61, 71 – CDC. 360 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 64 f. – CDC. 361 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 67 – CDC. 362 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 68 ff. – CDC (Rechtsprechungsverweise ausgelassen).

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

241

in den Art. 5 und/oder 6 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln führen sollte.

4. Rezeption Das Urteil des EuGH hat – auch wegen der grundlegenden und mit praktisch sehr weitreichenden Folgen verbundenen Ausführungen zu den besonderen Gerichtsständen gem. Art. 5 Nr. 3, Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) – eine erhebliche und in ihrer Gesamtheit kaum zu überblickende Resonanz ausgelöst. Dass es nach dem EuGH kein kartellrechtliches Derogationsverbot im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-VO gibt, ist hierbei noch eine überwiegend einhellig geteilte Auffassung.363 Namentlich bei der hier interessierenden Frage der Auslegung von Forenwahlklauseln haben sich die Lager von Kritiker:innen364 und Befürworter:innen365 des Urteils aber scharf geteilt. Das betrifft sowohl die Kompetenz des EuGH, derartige Auslegungsvorgaben überhaupt der Brüssel Ia-VO zu entnehmen,366 als auch die Tragfähigkeit des Kriteriums der Vorhersehbarkeit367 respektive des zutreffenden Anknüpfungspunktes des Deliktsvorwurfs beim Anspruch nach § 33a Abs. 1 GWB368. Natürlich wird auch über die

363 Mankowski, JZ 2019, 141 (143); ders., EWiR 2015, 687 (688); Wurmnest, NZKart 2017, 2 (8); Roth, IPRax 2016, 318 (325); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 164 ff. 364 Malanczuk/Gernat, NZKart 2020, 77 (79); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (161); Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (429 ff.); Thole, ZWeR 2017, 133 (140 ff.); Thiede, NZKart 2017, 589 (591 ff.); Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (246); Weller, IPRax 2016, 48 (49); Mäsch, WuW 2016, 285 (290 f.) Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (20 ff.); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (412 ff.); wohl auch Mankowski, EWiR 2015, 687 (688); Wäschle, Weltkartelle, S. 21 ff.; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 416 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 124; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 105 f.; Langen/Bunte/C. Stadler, § 185 GWB Rn. 246. 365 LG München I, Urt. v. 07. 02. 2020, Az. 37 O 18934/17, Rn. 111, juris, insoweit in NZKart 2020, 145 nicht abgedruckt; Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171 f.); Wolf, IPRax 2018, 594 (596 ff.); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (587 f.); Funke, WuW 2017, 624 (624); Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (168 f.); Harler/Weinzierl, EWS 2015, 121 (122 f.); Stadler, JZ 2015, 1138 (1148 f.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (504 ff.); Dohrn, IWRZ 2015, 33 (35); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 212 f.; wohl auch Hack, GWR 2018, 14 (14). 366 Allgemein für derartige Vorgaben Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 120; sehr kritisch demgegenüber Mäsch, WuW 2016, 285 (291), die Aussagen zur Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarungen seien „ultra vires“ ergangen; verhalten auch Langen/Bunte/ C. Stadler, § 185 GWB Rn. 246. 367 Zustimmend bspw. Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (588); Stadler, JZ 2015, 1138 (1148); ablehnend Thiede, NZKart 2017, 589 (591); Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (246); Weller, IPRax 2016, 48 (49). 368 Restriktiv etwa Wolf, IPRax 2018, 594 (597 f.); Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (168 f.); großzügiger Thole, ZWeR 2017, 133 (142 f.); Wäschle, Weltkartelle, S. 21 f.; Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (412 ff.).

242

Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Bedeutung kollektiver Streitbeilegungsmechanismen369 und nicht zuletzt über die Frage gestritten, wie es um die Übertragbarkeit auf nicht – jedenfalls gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel I-VO (Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO) nicht unmittelbar – dem Regelungsregime des europäischen IZPR unterfallende Schiedsvereinbarungen bestellt ist370. Insoweit ziehen auch mitgliedstaatliche Gerichte aus dem CDC-Urteil unterschiedliche Rückschlüsse.371 Hauptgrund für dieses breite Meinungsspektrum dürfte sein, dass die Weigerung des EuGH, auch nur irgendetwas zum Problem in der Sache beizutragen, orakelhaft372 scheint und zu Interpretationen im Sinne eines beredten Schweigens einlädt373. Eine naheliegende Interpretation ist allerdings in den Unzulänglichkeiten der das Verfahren gem. Art. 267 AEUV prägenden Vorlagefrage des LG Dortmund zu erblicken, in der wichtige Details wie die Formulierungen der Klauseln, das auf diese anwendbare Recht und die Orte der vereinbarten Foren unterschlagen worden waren.374

II. Rechtssache Apple 1. Sachverhalt Nur kurze Zeit nach CDC entschied der EuGH in Apple die dazu korrespondierende Fallkonstellation zu Art. 102 AEUV. Hier hatte Apple mit einer zum Zeitpunkt 369

Für einen Verstoß gegen das Effektivitätsgebot wegen der Verfahrensfragmentierung etwa Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586); a. A. Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (511). 370 Bejaht etwa von Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171); Wolf, IPRax 2018, 594 (598); Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (165 ff.); Dohrn, IWRZ 2015, 33 (35); Harler/ Weinzierl, EWS 2015, 121 (122 f.); Geiss/Daniel, E.C.L.R. 2015, 430 (434 f.); abgelehnt von Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (447 ff.); Thiede, NZKart 2017, 589 (591); Thole, ZWeR 2017, 133 (141 ff.); Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (21 ff.); Pike/Tosheva, G.C.L.R. 2015, 82 (85); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 107; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (160). 371 Siehe nur gegen eine Übertragung auf Schiedsvereinbarungen LG Dortmund, WuW 2017, 621; Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch); dafür Gerichtshof Amsterdam, WuW 2015, 1179; vgl. im Übrigen die Schilderungen bei Nowag/ Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (454 ff.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (126 f.); Wolf, IPRax 2018, 594 (598); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (162); Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (426); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (590); Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (20 ff.); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (394 ff.); siehe zur niederländischen Rechtsprechung Malanczuk/Gernat, NZKart 2020, 77 (78 f.). 372 Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (425); Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 132 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (79); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (214); ähnlich Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584 (590); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (505). 373 Vergleiche nur Thole, ZWeR 2017, 133 (141), Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 119 einerseits, sowie Funke, WuW 2017, 624 (624); Harler/Weinzierl, EWS 2015, 121 (122) andererseits. 374 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 94 – CDC; Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (430).

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

243

der Vorabentscheidung durch den EuGH bereits in die Insolvenz gefallenen französischen Händlerin einen Vertrag abgeschlossen, mit dem diese den Status einer Wiederverkäuferin erhielt. Der Vertrag enthielt eine Rechtswahlklausel zugunsten irischen Rechts und eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung, wonach grundsätzlich die Zuständigkeit irischer Gerichte prorogiert wurde, Apple sich aber vorbehielt, die Händlerin an ihrem Sitz oder an einem fliegenden deliktischen Gerichtsstand zu verklagen.375 Die Händlerin nahm Apple, gestützt auf die deliktische Anspruchsnorm des Art. 1382 des französischen Zivilgesetzbuches, vor dem Handelsgericht in Paris auf Schadensersatz wegen Verstoßes gegen Art. 102 AEUV in Anspruch. Apple erhob die Schiedseinrede. Nach fünf Jahren Streit über die Zulässigkeit und dem zwischenzeitlichen Urteil in der Rechtssache CDC war dann die Cour de Cassation so weit, dem EuGH gem. Art. 267 AEUV die Frage vorlegen zu können, ob die Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) auch ohne explizite Bezugnahme auf wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten wohl zur Derogation der Zuständigkeit der französischen Gerichte führte. 2. Schlussantrag Die Parteien stritten – wenig überraschend – vor allem darum, ob die Grundsätze des CDC-Urteils auf den vorliegenden Fall übertragbar waren. GA Wahl referierte in seinen Schlussanträgen zunächst die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zu Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) und erinnerte daran, dass der Grundsatz der effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften der Anwendung einer Gerichtsstandsvereinbarung auch im Falle eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV nicht entgegenstehe.376 Wie zuvor bei GA Jääskinnen schimmerte auch bei GA Wahl die Schwierigkeit durch, allgemeingültige Maßstäbe zu entwickeln. So führte er zunächst aus, es sei Sache des nationalen Gerichts, die fragliche Klausel auszulegen; generelle Auslegungsmaßstäbe ohne Bezugnahme auf die konkrete Klausel ließen sich nicht bilden.377 Es sei nämlich „unverhältnismäßig“, in allen Fällen von Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung eine explizite Erwähnung wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten zu verlangen, wenn diese Klausel insgesamt weit genug formuliert sei, alle Streitigkeiten zu erfassen, die auch nur entfernt mit 375 EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 9 – Apple Sales International: „This Agreement and the corresponding relationship between the parties shall be governed by and construed in accordance with the laws of the Republic of Ireland and the parties shall submit to the jurisdiction of the courts of the Republic of Ireland. Apple [Sales International] reserves the right to institute proceedings against Reseller in the courts having jurisdiction in the place where Reseller has its seat or in any jurisdiction where a harm to Apple [Sales International] is occurring.“ 376 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 27 ff., 40 ff. – Apple Sales International. 377 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 53 f. – Apple Sales International.

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

dem Vertragsverhältnis zusammenhängen.378 Das sei eine angezeigte Fortentwicklung des CDC-Urteils, welches in zweifacher Hinsicht im Kontext des speziellen Sachverhalts zu lesen sei.379 Zum einen habe dort die Lösung des EuGH den Vorteil gehabt, eine Zersplitterung der Zuständigkeit im Rahmen der erhobenen „Sammelklage“ zu verhindern.380 Zum anderen habe das geheime Kartell keinen Ausdruck in den Kartellfolgeverträgen finden können, weshalb das Kriterium der Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung einer gerichtlichen Zuständigkeit dafür gesprochen habe, die Gerichtsstandsvereinbarung unangewendet zu lassen.381 Demgegenüber sei aus dem CDC-Urteil nicht zu folgern, dass Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) eine unterschiedliche Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen fordere, je nachdem, ob es sich bei der fraglichen Streitigkeit um eine wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUVoder Art. 102 AEUV handele.382 Es sei stets zu untersuchen, ob den Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung bei deren Abschluss die konkrete Streitigkeit vor Augen gestanden habe und diese ihren Ursprung im fraglichen Vertrag habe.383 Das sei in bestimmten Fällen bei auf einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV gestützte Klagen denkbar,384 aber keineswegs, wenn es sich um den Fall der Beteiligung einer Vertragspartnerin an einem Kartell mit Dritten handele385. Ebenso sei es bei auf einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV gestützten Klagen denkbar, wenn das Vertragsdokument die fraglichen Preis- und Lieferbedingungen sowie die Gerichtsstandsvereinbarung enthalte.386

378

tional.

GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 56 – Apple Sales Interna-

379 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 58, 61 – Apple Sales International. 380 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 62 f. – Apple Sales International. 381 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 64 – Apple Sales International. 382 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 69 – Apple Sales International. 383 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 71 ff., 77 – Apple Sales International. 384 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 75 – Apple Sales International; GAWahl nennt den Fall, dass ein Lieferant an der Spitze eines selektiven oder exklusiven Vertriebssystems wegen Verstößen gegen Art. 101 AEUV gegenüber seinen Vertriebshändlern verklagt wird. 385 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 63, 77 – Apple Sales International. 386 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 78 – Apple Sales International.

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

245

3. Urteil Der EuGH brach die ihm zur Auslegung vorgelegten Fragen inhaltlich darauf herunter, ob „das vorgetragene wettbewerbswidrige Verhalten [etwas] mit dem Vertragsverhältnis zu tun hat, in dessen Rahmen die Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde.“387 Damit war der Bogen zur CDC-Rechtsprechung, nach der Rechtsstreitigkeiten ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben müssen, in dem die Gerichtsstandsvereinbarung enthalten ist, um eine Überraschung einer Partei zu verhindern, auch hier gespannt.388 Anders als in diesem Urteil beziehungsweise anders als grundsätzlich bei Art. 101 AEUV könne sich aber das vorgeworfene wettbewerbswidrige Verhalten – der Marktmachtmissbrauch – der Schädigerin gem. Art. 102 AEUVauch in den Vertragsbeziehungen zur Geschädigten und über die dort vereinbarten Vertragsbedingungen manifestieren.389 Deshalb sei die Erfassung dieser Streitigkeiten durch die Gerichtsstandsvereinbarung in solchen Fällen nicht für eine Partei überraschend, und entsprechend könne die Anwendbarkeit nicht schon aus dem Grund verneint werden, dass sich die fragliche Klausel nicht explizit auf Streitigkeiten aus dem Wettbewerbsrecht beziehe.390 4. Rezeption Das Apple-Urteil teilt mit CDC zwar nicht die vielfältige, wohl aber die zu einem großen Teil negative Presse. Insbesondere wird ein Bruch zur CDC-Rechtsprechung beklagt.391 Die vom EuGH vorgenommene Grenzziehung zwischen einem Kartell, das sich nicht in den Vertragsbedingungen manifestiere, und einem Marktmachtmissbrauch, der in ihnen seinen Ausdruck finde, sei schmallippig und wenig überzeugend.392 Unterschiedlich wird aufgefasst, ob der EuGH bezüglich der Vorhersehbarkeit eine generelle Unterscheidung zwischen den Tatbeständen der Art. 101 und 102 AEUV für zivilrechtliche Streitigkeiten etablieren wollte.393 Kritisiert wird 387

EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 27 – Apple Sales International. EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 22 ff. – Apple Sales International, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 68 ff. – CDC. 389 EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 28 – Apple Sales International. 390 EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 29 f. – Apple Sales International. 391 Seggewiße, EuZW 2019, 81 (81 f.); Pfeiffer, LMK 2018, 412366; s. a. Ferro, CPI October 2018, S. 2 f.; dieser deutet Wortwahl und Begründung des Urteils als Hinweis auf Friktionen innerhalb der 3. Kammer des EuGH, weshalb keine klare Entscheidung getroffen worden sei. 392 Schnichels/Lenzing/Stein, EuZW 2019, 885 (893); Seggewiße, EuZW 2019, 81 (81 f.); Ferro, CPI October 2018, S. 4; Pfeiffer, LMK 2018, 412366; Stammwitz, BB 2018, 3028 (3028); a. A. Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171); Sirakova/Westerhoven, IPRax 2019, 493 (495); wohl auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (443 f.). 393 Für eine generelle Unterscheidung zwischen den Tatbeständen der Art. 101 und 102 AEUV wohl Sujecki, EWS 2019, 196 (204); Sirakova/Westerhoven, IPRax 2019, 493 (495 f.); Pfeiffer, LMK 2018, 412366; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 109 ff.; a. A. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (444); Wiegandt, EWiR 2019, 61 (62); Ferro, CPI 388

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

ferner, dass der EuGH das Verhältnis von seinen Auslegungskriterien zum nationalen Prorogationsstatut ungeklärt lasse, was auch insoweit problematisch sei, als Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nunmehr eine Verweisung auf die lex fori prorogati enthalte.394 Ob des typischen Gefälles zwischen den Parteien in Marktmachtkonstellationen wird auch darauf verwiesen, dass eine Forenwahlklausel in Fällen des Art. 102 AEUV ein größeres Potential habe, der effektiven Durchsetzung des Wettbewerbsrechts entgegenzuwirken, etwa wenn das marktmächtige Unternehmen seine Konditionen durchsetze und es so der Gegenseite unter finanziellen Gesichtspunkten unmögliche mache, ihre Forderungen durchzusetzen.395 Deshalb hätte der EuGH sich mit dem Effektivitätsgrundsatz auseinandersetzen müssen.396 Es sei „bizarr“, dass die Klausel, die den Marktmachtmissbrauch in konkrete Vertragspreise übersetze, in einem Vertrag als Verstoß gegen Art. 102 AEUV nichtig sei, nicht aber die Klausel, mit der das marktmächtige Unternehmen ein gerichtliches Forum für die Geschädigte praktisch unerreichbar mache.397

III. Stellungnahme Im Folgenden wird die Rechtsprechung des EuGH kritisch eingeordnet (1.) und ihre Übertragbarkeit auf Schiedsvereinbarungen im Lichte der Brüssel Ia-VO geprüft (2.). 1. Dogmatische Kritik a) Zum Derogationsverbot Zutreffend ist die Schlussfolgerung des EuGH, dass es kein kartellrechtliches Derogationsverbot gibt.398 Während die Reichweite eines Verbots gem. § 185 Abs. 2 GWB auf nationaler Ebene umstritten ist,399 lässt sich ein solches jedenfalls im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-VO dem Wortlaut der Verordnungen nicht entnehmen und wäre als immanenter Vorbehalt systematisch im Angesicht des Katalogs derogationsfester Gerichtsstände in Art. 23 Abs. 5 Brüssel I-VO (Art. 25

October 2018, S. 4; Stammwitz, BB 2018, 3028 (3028): Behandlung des Verstoßes unabhängig von Einordnung bei Art. 101 oder 102 AEUV, aber Vermutungswirkung für Einbeziehung bei Art. 102 AEUV; s. a. Mankowski, JZ 2019, 141 (142). 394 Pfeiffer, LMK 2018, 412366; s. a. Seggewiße, EuZW 2019, 81 (82). 395 Mankowski, JZ 2019, 141 (142); Stammwitz, BB 2018, 3028 (3028); Ferro, CPI October 2018, S. 4 f. 396 Ferro, CPI October 2018, S. 4 f. 397 Ferro, CPI October 2018, S. 5. 398 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 59 ff. – CDC. 399 S. o. Kapitel 2 – F.II.

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

247

Abs. 4 Brüssel Ia-VO) wenig überzeugend400. Auch ist fraglos zutreffend, dass es mit dem Regelungszweck der Brüssel I/Ia-VO nicht zu vereinbaren wäre, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung vom derogierten Gericht nur ob der Mutmaßung unbeachtet bleiben könnte, dass das prorogierte mitgliedstaatliche Gericht dem Wettbewerbsrecht nicht gleichsam zur Geltung verhelfen würde.401 Zweifelhaft erscheint allerdings die Annahme, dass das einem Rechtsstreit zugrundeliegende materielle Recht unter keinen Umständen und insbesondere auch nicht unterhalb der Schwelle eines allgemeinen Derogationsverbots Einfluss auf die Wirksamkeit der Klausel gem. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) haben könnte.402 Das ist eine zum Einfluss mitgliedstaatlicher Haftungsnormen auf eine Klausel gem. Art. 17 EuGVÜ (Art. 25 Brüssel Ia-VO) entwickelte Rechtsprechung.403 In der Tat ist der Zweck der Brüssel I/Ia-VO autonom und verordnungsspezifisch zu bestimmen, sie ist deshalb auch ohne Rücksicht auf mitgliedstaatliches Recht auszulegen.404 Diese Unbeachtlichkeit des am Gerichtsstand geltenden mitgliedstaatlichen Haftungsrechts lässt es aber nicht als zwingend erscheinen, jedenfalls implizit bei der Prüfung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsklausel auch dem – normenhierarchisch höherrangigen – primärrechtlichen Unionskartellrecht jeden Einfluss auf die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach der sekundärrechtlichen Brüssel I/Ia-VO zu versagen. Auch anderweitig bringt sich der EuGH so in argumentative Nöte. Mit der grundsätzlichen Aussage ist ein Maßstab zur Berücksichtigung von aus der Sachmaterie folgenden rechtspolitischen Erwägungen aufgestellt, an dem sich die Rechtsprechung des EuGH messen lassen muss. Diesen Test besteht sie nicht.405

400 Mankowski, JZ 2019, 141 (143); ders., EWiR 2015, 687 (688); Wurmnest, in: FS Magnus, S. 567 (569 ff.); ders., in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (96 f.); Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 337; s. a. Basedow/Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (81); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 164 f. 401 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 63 – CDC, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 11. 05. 2000, ECLI:EU:C:2000:225, Rn. 33 – Renault; dazu Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (245). 402 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 62 – CDC, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 16. 03. 1999, ECLI:EU:C:1999:142, Rn. 51 – Castelletti; in diesem Urteil ging es um die Anwendbarkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, die zur Prorogation englischer Gerichte und dort in Kombination mit einer Rechtswahlklausel auch zur Anwendung englischen Rechts als Vertragsstatut geführt hätte. Die derogierten italienischen Gerichte sahen darin die Gefahr einer Haftungserleichterung für die Verwenderin der Klauseln. 403 Siehe bereits die vorstehende Fußnote. 404 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:471, Rn. 29 – Reisch Montage; BGH, NJW-RR 2007, 1570 (1571); MüKoZPO/Gottwald, vor Art. 1 Brüssel Ia-VO Rn. 48 jew. m. w. N. 405 Dazu noch sogleich, insbesondere Kapitel 4 – B.III.1.d).

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

b) Zur persönlichen Reichweite Herauszugreifen sind weiter die nicht unproblematischen und auch anlasslosen406 Anmerkungen des EuGH zur persönlichen Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen. Die Ausführungen zu einem „Eintritt in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei“ scheinen nahezulegen, dass es unter der Geltung der Brüssel I/Ia-VO nicht etwa einer Abtretung der Forderung zur Singularsukzession bedürfte, sondern gleich einer Vertragsübernahme.407 Eine solche wird freilich eher selten vorliegen, was dann die pikante Folge hätte, dass die einfache Zession etwa an ein Klagevehikel bereits ausreichen würde, um die Bindung an die Gerichtsstandsvereinbarung abzustreifen.408 Hierbei handelt es sich um ein bisher aus der Rechtsprechung des EuGH unbekanntes Erfordernis.409 Dessen genaue Konturen sind noch unklar; richtigerweise sollte auch bei Anwendung autonom unionsrechtlicher Maßstäbe für die vom EuGH geforderte Zustimmung ausreichen, dass die Zessionarin sich freiwillig zu einem Erwerb der Forderung in der Form verpflichtet – und diese ihr zediert wird – wie sie bei der Zedentin bestand, denn nur in dieser Form kann diese sie auch übertragen.410 Jedenfalls bei Geltung des deutschen Rechts war es bisher folgerichtig so, dass die Abtretung gem. §§ 398 ff. BGB in entsprechender Anwendung des § 401 BGB auch den Übergang der Forenwahlklauseln nach sich zog.411

406

Mäsch, WuW 2016, 285 (290 f.); Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 106. EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 64 f. – CDC; den EuGH so verstehend und ablehnend auch Stadler/Klöpfer, ZEuP 2017, 890 (927); Mäsch, WuW 2016, 285 (291); Stadler, JZ 2015, 1138 (1148 f.); Musielak/Voit/Stadler, Art. 25 EuGVVO nF Rn. 4a. 408 Mäsch, WuW 2016, 285 (291); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 405; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 106. 409 Der EuGH bezieht sich auf EuGH, Urt. v. 07. 02. 2013, ECLI:EU:C:2013:62, Rn. 29 – Refcomp, sowie EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:606, Rn. 24 f., 30 – Coreck. In Refcomp ging es allerdings allein um die Zustimmung einer dritten Partei zur Erstreckung einer Forenwahlklausel in Kettenlieferverträgen, in Coreck um die allein nach nationalem Recht zu beurteilende Drittwirkung einer Klausel in einem Konnossement. Das trägt deshalb die insinuierten Schlussfolgerungen aus dem CDC-Urteil nicht; s. a. Stadler/Klöpfer, ZEuP 2017, 890 (927). Siehe nunmehr aber jüngst zur Bestätigung der CDC-Rechtsprechung EuGH, Urt. v. 18. 11. 2020, Rs. C-519/19, Rn. 40 ff. – Ryanair. 410 Wäschle, Weltkartelle, S. 35; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 404 f.; ähnlich Musielak/Voit/Stadler, Art. 25 EuGVVO nF Rn. 4a; aus der Rechtsprechung KG Berlin, BeckRS 2018, 14615, Rn. 14; a. A. Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 186. 411 BGH, NJW 1998, 371 (371); BGH, NJW 1978, 1585 (1586); Wäschle, Weltkartelle, S. 35; Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 405; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 521; MüKoBGB/G. H. Roth/Kieninger, § 401 BGB Rn. 12; BeckOK BGB/Rohe, § 398 BGB Rn. 59; Zöller/Geimer, § 1031 ZPO Rn. 17; ebenso nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen CDC und Ryanair OLG Köln, NZV 2021, 196 (197). 407

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

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c) Zur sachlichen Reichweite aa) Eine Auslegung nach europäischen Maßstäben Daneben erscheint wiederum schon im Ausgangspunkt sehr fraglich, weshalb sich der EuGH in CDC bemüßigt fühlte, ein eigenständiges unionsrechtliches Auslegungskriterium zu begründen. Mit der unmittelbar vorhergehenden Betonung, dass es Sache des erkennenden mitgliedstaatlichen Gerichts sei, die Klausel auszulegen,412 ist das auf den ersten Blick kaum in Einklang zu bringen.413 Für die Neufassung der Brüssel Ia-VO gilt die Prärogative des einschlägigen nationalen Rechts umso mehr, da nunmehr in Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO der Trennungsgrundsatz zwischen Forenwahlklausel und Hauptvertrag eingefügt wurde und zudem Abs. 1 S. 1 a. E. bestimmt, dass das prorogierte Gerichte dann nicht zuständig ist, wenn die Vereinbarung nach dem Recht der lex fori prorogati nichtig ist.414 Wegen der intertemporalen Anwendbarkeit war das in den CDC- und Apple-Urteilen noch nicht von Belang, was sich aber in Zukunft ändern dürfte.415 Auch ist traditionell gerade die Subsumtion deliktischer Ansprüche unter Forenwahlklauseln eine dem nationalen Gericht unter Anwendung der jeweils einschlägigen Rechtsnormen überantwortete Auslegungsfrage, was auch erklärt, weshalb diese Frage international sehr unterschiedlich bewertet wird.416 Letztlich mag für den EuGH gerade dieser Umstand und damit das Bestreben, im Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) eine europaweit einheitliche Behandlung dieser Klauseln herbeizuführen, eine Rolle gespielt haben.417 Seit jeher prüft der EuGH, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-VO Gegenstand einer klar zum Ausdruck gekommenen Willenseinigung zwischen den Parteien war.418 Eine Entwicklung zunehmend einheitlicher Maßstäbe im Regime der internationalen Zuständigkeit innerhalb der EU wird auch durchaus gefordert,419 wenngleich ebenso vertreten wird, die Brüssel I/Ia-VO gebe zur Willenseinigung nur Formerfordernisse auf, verhalte

412

EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 67 – CDC. Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 104. 414 Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.130. 415 Pfeiffer, LMK 2018, 412366. 416 Siehe oben zu Schiedsvereinbarungen Kapitel 2 – E.II.3.b). 417 Roth, IPRax 2016, 318 (326); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 214 f. 418 EuGH, Urt. v. 20. 04. 2016, ECLI:EU:C:2016:282, Rn. 27 – Profit Investment SIM; EuGH, Urt. v. 07. 07. 2016, ECLI:EU:C:2016:525, Rn. 37 – Höszig, m. w. N. 419 Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 77 ff., 141 ff.; Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 358; zunehmend mit solchen Vorgaben rechnend auch Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 31 Rn. 120; verhalten positiv insoweit beim CDC-Urteil deshalb Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (246). 413

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

sich aber nicht zu den materiellen Anforderungen an eine Einigung420. Der Wortlaut des ersten Absatzes legt allerdings das gegenteilige Verständnis einer an autonom europäischen Maßstäben ausgerichteten Auslegung nahe, insbesondere als es in S. 2 heißt, dass prorogierte Gerichte „ausschließlich zuständig [sind], sofern nicht die Parteien etwas anderes vereinbart haben“, was sowohl das Primat einer materiellen Einigung421 als auch eine Vermutungsregel in Bezug auf deren Inhalt darstellt422. Um eine Kompetenzüberschreitung handelt es sich deshalb beim CDC-Urteil sicherlich nicht,423 wohl aber um einen Bruch mit der bisherigen Dogmatik. bb) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit Ist damit etwas zum Prinzip eigenständiger unionsrechtlicher Vorgaben zur Willenseinigung bei Gerichtsstandsvereinbarungen gesagt, so gilt es, sich der Vorhersehbarkeit als dessen erster konkreter Ausformung zuzuwenden. Der EuGH entwickelt diese Anforderung aus einem Dreischritt, der von dem Kriterium der bestimmten Streitigkeit gem. Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO) über das Erfordernis der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Zuständigkeiten im Bereich des vereinheitlichten Zuständigkeitsregimes zu dem Fall eines vermeintlich überraschenden Kartells führt. Leser:innen dieser Ausarbeitung wird nach den grundlegenden Ausführungen zum deutschen Recht nicht überraschen,424 dass nach hier vertretener Auffassung insbesondere der dritte Schritt einen Fehltritt darstellt. Die Vorhersehbarkeit ist kein tragfähiges Kriterium und gerade im Kartellrecht sachlich schlicht unzutreffend.425 Es bleibt auch unklar, auf welchen Augur der EuGH wartet, um Geschädigten die ungute Kunde der Kartellierung zu überbringen und ihnen endlich die Augen zu öffnen. Denn wenn es wirklich auf die konkrete Vorhersehbarkeit ankäme, dann wäre die – in letzter Konsequenz ja auch nur abstrakte – Aufnahme wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten in eine Forenwahlklausel immer noch nicht geeignet, diese sicherzustellen.426 Das Unionsrecht bietet auch keine Veranlassung, diese Frage bezogen auf die Auslegung konkreter Forenwahlklauseln anders zu bewerten als nach deutschem Recht. Eine geschlossene 420 MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 15; nicht recht nachvollziehbar ist allerdings, wie sich dies nach Auffassung des Autors zu dem CDC-Urteil verhält, welches in der Kommentierung bei Rn. 67 bei den Prorogationsbeschränkungen Erwähnung findet. 421 Siehe insoweit auch die Erwägungsgründe 14 Brüssel I-VO bzw. 19 Brüssel Ia-VO. 422 Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rn. 141, 143. 423 So aber Mäsch, WuW 2016, 285 (291). 424 S. o. Kapitel 4 – A.III.1. 425 S. o. Kapitel 4 – A.III.1.c). 426 Vgl. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (463), nach denen tatsächlich in außergewöhnlichen Fällen auch die explizite Erwähnung von Kartellschadensersatzfällen nicht ausreichen soll; vgl. auch Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (401 f.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (128); Thole, ZWeR 2017, 133 (141); wie hier LMRKM/Wurmnest, Anh § 33a GWB Rn. 24; nicht recht nachvollziehbar Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 218, wonach sogar die positive Kenntnis der Geschädigten bei Vertragsschluss nicht ausreichen solle.

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

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europäische Auslegungsdogmatik, in die sich dieses Kriterium einfügen würde, gibt es mangels anderweitiger Anwendungsfälle ohnehin nicht.427 Normativ ist es aber im Gegenteil gerade so, dass die – vom EuGH nicht widerlegte oder auch nur angesprochene – Vermutungswirkung des Art. 23 Abs. 1 S. 2 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO) zugunsten eines ausschließlichen Gerichtsstandes, so sie denn greift, die Prorogation auch für kartelldeliktische Ansprüche umso naheliegender erscheinen lässt.428 Unabhängig hiervon vermögen auch die beiden erstgenannten argumentativen Schritte die Schlussfolgerung des EuGH nicht zu tragen. Das Kriterium des bestimmten Rechtsverhältnisses aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO) findet sich gleichermaßen in einer Vielzahl die Vereinbarung von Zuständigkeiten zulassender Normtexte.429 Es drückt zwar aus, dass die Parteien das fragliche Rechtsverhältnis hinreichend individualisiert haben müssen, um den Bezugspunkt der Forenwahlklausel vor allem für mögliche zukünftige Rechtsstreitigkeiten erkennbar zu machen,430 bei Lichte betrachtet aber auch nicht mehr. Das Bestimmtheitserfordernis legt fest, dass die Vereinbarung ausgelegt werden soll, nicht aber, wie das nach dem jeweils anwendbaren Statut zu geschehen hat.431 Eine formalistische Handhabung des Kriteriums produziert Abgrenzungsprobleme und verträgt sich nicht mit kommerziellen Realitäten.432 Auch das vom EuGH in ständiger Rechtsprechung entwickelte Erfordernis, dass die vom allgemeinen Gerichtsstand abweichenden Zuständigkeiten vorhersehbar

427 Heinze merkt an, dass der EuGH bereits in Eco Swiss die sachliche Reichweite als Grenze der Anerkennung von Schiedssprüchen herausgestellt habe, siehe EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 38 – Eco Swiss; Heinze, in: Ferrari, S. 383 (412, Fn. 116). Das ist in der Tat eine interessante Parallele, die das Auslegungskriterium stärker als rechtsstaatliches Kriterium verankern würde. Allerdings nahm der EuGH auf diese Rechtsprechung in CDC nicht mehr Bezug, und es erscheint wahrscheinlicher, dass der EuGH nur ihm im Rahmen des Eco Swiss-Verfahrens plausibel erscheinende Aufhebungsgründe gem. Art. 5 UNÜ referierte, als dass er hiermit tatsächlich eine Aussage zur Reichweite von Art. 5 Abs. 1 lit. c) UNÜ verbinden wollte. 428 Hess, in: FS Prütting, S. 337 (343); in anderen Fällen zog der EuGH diese Vermutungswirkung auch heran, siehe etwa EuGH, Urt. v. 07. 07. 2016 ECLI:EU:C:2016:525, Rn. 28, 45 f. – Höszig. 429 Etwa §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 ZPO, Art. 7 Abs. 1 UNCITRAL ML und Art. 2 Abs. 1 UNÜ. 430 Siehe etwa zu § 40 ZPO MüKoZPO/Patzina, § 40 ZPO Rn. 5; BeckOK ZPO/Toussaint, § 40 ZPO Rn. 1 f.; zu § 1029 ZPO Musielak/Voit/Voit, § 1029 ZPO Rn. 16; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.102 zu Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie Rn. 8.355 zu Art. 2 UNÜ; dazu auch Staudinger/Hausmann, IntVertrVerfR, Rn. 509. 431 In diesem Sinne auch Seggewiße, EuZW 2019, 81 (82); a. A. Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 195 ff.; zu diesem Zirkelschluss bereits oben Kapitel 4 – A.III.1.c). 432 Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn 280; siehe auch LMRKM/Wurmnest, Anh. § 33a GWB Rn. 24.

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

sein sollen, um zu verhindern, dass Beklagte überrascht werden,433 wird im CDCUrteil nicht überzeugend rezitiert. Die Anwendung des Kriteriums auf kartelldeliktische Streitigkeiten erzeugt nur eine scheinbare Vorhersehbarkeit, führt tatsächlich aber zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Wieso das so ist, wurde unter Verweis auf die Praxis mitgliedstaatlicher Gerichte schon dargelegt.434 Im europäischen Vergleich kommt noch hinzu, dass manche Rechtsordnungen das Institut elektiver Anspruchskonkurrenz vertraglicher und deliktischer Ansprüche nicht kennen und so auch im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-VO nicht einheitlich entschieden würde.435 Wie wenig vorhersehbar die aus dem CDC-Urteil resultierenden Gerichtsstände davon abgesehen auch im größeren Kontext sind, wird insbesondere im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Deliktsgerichtsstand aus Art. 5 Nr. 3 Brüssel IVO (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) deutlich. Zu diesem eröffnete der EuGH einer erstaunten Fachöffentlichkeit nämlich, dass der durch das Kartell entstehende Schaden und damit der den deliktischen Gerichtsstand gewährende Erfolgsort am Sitz der Klägerin liege.436 Bisher und zuletzt noch 2015437 hatte es in der Rechtsprechung stets 433

EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 23 – CDC; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:471, Rn. 25 – Reisch Montage; EuGH, Urt. v. 28. 09. 1999, ECLI:EU: C:1999:456, Rn. 24 – GIE Groupe Concorde; EuGH, Urt. v. 17. 06. 1992, ECLI:EU:C:1992: 268, Rn. 18 – Handte; Stein/Jonas/Wagner, Einl. Art. 2 EuGVVO Rn. 16 f.; s. a. Erwägungsgründe 15 und 16 Brüssel Ia-VO. 434 S. o. Kapitel 4 – A.III.1.c); Kapitel 4 – A.III.1.d); Kapitel 4 – A.III.1.g); Kapitel 4 – A.III.2.a)cc). Angemerkt sei daneben, dass schon die Formulierung des EuGH, wonach eine „Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasst, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird“ (EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 69 – CDC), unterschiedlich interpretiert wird. Teils wird daraus geschlussfolgert, dass nur enge, nicht aber weite Klauseln sich explizit auf die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beziehen müssten, etwa Mankowski, JZ 2019, 141 (142); s. a. Dasser, in: FS Kostkiewicz, S. 21 (32); a. A. etwa Sirakova/Westerhoven, IPRax 2019, 493 (493, 495); Ferro, CPI October 2018, S. 2; Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (403 f.); hierzu auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (463). Dass der EuGH sich nicht auch zu weiten Klauseln äußern wollte, ist allerdings auch wenig wahrscheinlich. Wenn die Ausführungen nicht für alle Gerichtsstandsvereinbarungen hätten gelten sollen, hätte sich der EuGH nämlich wie auch zu Schiedsvereinbarungen einer Antwort auf die Vorlagefrage in Ermangelung von Informationen enthalten müssen. Zudem lässt auch der Umstand, dass im AppleVerfahren eine weite Klausel streitgegenständlich war, und der Gerichtshof wie zuvor auch GA Wahl hier in Abgrenzung zu CDC nicht nach der Art der Klausel differenzierte, sondern nur das Kriterium der Vorhersehbarkeit der Streitigkeit untersuchte, diese Auffassung deutlich überzeugender erscheinen. 435 Wäschle, Weltkartelle, S. 22 f., unter Verweis auf das französische Prinzip des non cumul; zur Problematik der Anspruchskonkurrenz im Bereich des europäischen Kollisionsrechts BeckOGK/Rühl, Rom II-VO Art. 4 Rn. 24 ff. m. w. N.; ein weiterer Problempunkt bei uneinheitlichen Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte sind negative Kompetenzkonflikte, dazu Ferro, CPI October 2018, S. 4. 436 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 52 ff. – CDC; der Generalanwalt etwa hatte wegen der Schwierigkeiten bei der Bestimmung des deliktischen Erfolgsortes diesen

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

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geheißen, eine Abkehr vom Grundsatz des actor sequitur forum rei gem. Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) sei nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil der – möglicherweise auch im Vergleich zur Beklagten schwächeren438 – Klägerin am Ort ihres Wohnsitzes durch eine in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommene Handlung ein finanzieller Schaden entstanden war.439 Vielmehr war bei Kartelldelikten analog zur Bestimmung des materiell anwendbaren Wettbewerbsrechts gem. Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO440 bisher nach überwiegender Auffassung das Marktortprinzip heranzuziehen441 und galt hinsichtlich der Kognitionsbefugnis des angerufenen Gerichts zumindest am Erfolgsort das Mosaikprinzip442. Im Zuständigkeitsregime für kartelldeliktische Streitigkeiten eröffnet der EuGH aber auf diese Weise einen Klägergerichtsstand, ein Ergebnis, dass er „ansonsten scheut wie der Teufel das Weihwasser.“443 Daneben eröffnet er Kartellgeschädigten den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, der im Ergebnis auch bei mittelmäßig komplexen Kartellen dazu führen dürfte, dass eine geeignete Ankerbeklagte in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union zur Verfügung steht.444 Gerichtsstand bei Kartelldeliktsfällen unangewendet lassen wollen, siehe GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 47 ff., 52 – CDC; der EuGH äußerte sich dazu gar nicht erst. 437 EuGH, Urt. v. 28. 01. 2015, ECLI:EU:C:2015:37, Rn. 48 f. – Kolassa. 438 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2012, ECLI:EU:C:2012:664, Rn. 46 – Folien Fischer und Fofitec; EuGH, Urt. v. 16. 01. 2014, ECLIEU:C:2014:7, Rn. 31 – Kainz. 439 EuGH, Urt. v. 28. 01. 2015, ECLI:EU:C:2015:37, Rn. 48 f. – Kolassa; EuGH, Urt. v. 10. 06. 2004, ECLI:EU:C:2004:364, Rn. 20 f. – Kronhofer; EuGH, Urt. v. 05. 02. 2004, ECLI: EU:C:2004:74, Rn. 36 f. – DFDS Torline. 440 Wurmnest, NZKart 2017, 2 (5); ders., CML Rev. 2016, 225 (244); Mäsch, WuW 2016, 285 (289); Mankowski, EWiR 2015, 687 (688); Wurmnest, EuZW 2012, 933 (935); D. J. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 391 ff.; Heinze, in: FS Ahrens, S. 521 (528); MüKoBGB/Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 120 ff., jew. m. w. N.; kritisch Wäschle, Weltkartelle, S. 106 ff. 441 Wurmnest, NZKart 2017, 2 (5); Mäsch, WuW 2016, 285 (289); Roth, IPRax 2016, 318 (325); Stadler, JZ 2015, 1138 (1140); Mankowski, EWiR 2015, 687 (688); Wurmnest, EuZW 2012, 933 (935); Heinze, in: FS Ahrens, S. 521 (528). 442 So benannt nach der Shevill-Rechtsprechung, EuGH, Urt. v. 07. 03. 1995, ECLI:EU:C: 1995:61, Rn. 24 ff. – Shevill u. a.; siehe hierzu Wurmnest, NZKart 2017, 2 (5 f.); Roth, IPRax 2016, 318 (325); Stadler, JZ 2015, 1138 (1140); Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584 (590); Wurmnest, EuZW 2012, 933 (938); Wäschle, Weltkartelle, S. 127 ff.; MüKoBGB/ Wurmnest, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 126; positiv bewertet von Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 115 ff. 443 Mäsch, WuW 2016, 285 (289); auch Wurmnest, NZKart 2017, 2 (5); ders., CML Rev. 2016, 225 (242); Roth, IPRax 2016, 318 (325); kritisch zu diesem Punkt, wenngleich im Ergebnis zustimmend, Stadler, JZ 2015, 1138 (1140); s. a. Wäschle, Weltkartelle, S. 105 ff.; Heinze, in: FS Ahrens, S. 521 (526 ff.). 444 Wurmnest, CML Rev. 2016, 225 (237 f.); Pike/Tosheva, G.C.L.R. 2015, 82 (83); Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 47; siehe zu dem Beispiel von Basedow/ Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (78 f.) bereits oben, Kapitel 2, Fn. 556; s. a. dort auch die vorausschauende und zutreffende Wertung: „[Der] Grundsatz ,strikter Auslegung‘ (…) und die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeiten ließen sich bei einer potentiell europa-

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Und zu guter Letzt schneidet er Beklagten mit seiner Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen das neben Torpedoklagen einzig zur Verfügung stehende Verteidigungsmittel ab.445 Altverträge werden die vom EuGH geforderten Forenwahlklauseln nämlich kaum einmal enthalten.446 In Anbetracht dessen ist erstaunlich, welch kapriziösen Ergebnisse mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Zuständigkeiten gerechtfertigt werden. cc) Art. 101 und Art. 102 AEUV als Anknüpfungspunkte Wie wenig überzeugend die Ausführungen des EuGH sind, verdeutlicht dann auch die Differenzierung in Apple, wonach die Anwendbarkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung bei Schadensersatzklagen aufgrund einer behaupteten Verletzung des Art. 102 AEUV nicht schon aus dem Grund verneint werden könne, dass diese sich nicht explizit auf Verletzungen des Wettbewerbsrecht beziehe.447 Ob das eine grundsätzliche und an die unterschiedlichen Tatbestände der Art. 101 f. AEUV anknüpfende oder – wohl eher – im Wege der Auslegung begründete Unterscheidung448 sein soll, ist hierfür nicht weiter relevant. Das Ergebnis, wonach ein überhöhter Preis für Geschädigte regelmäßig vorhersehbar sein soll, wenn er einer Marktmachtkonstellation entspringt nicht aber im Falle von Kartellen, überzeugt kaum.449 Der in CDC eingeschlagene Pfad führt den EuGH somit direkt in die Sackgasse der Marktmachtkonstellationen, vor der schon bei der Auslegung nach dem nationalen Recht gewarnt wurde.450 Auch unter Berücksichtigung der Wertungsgesichtspunkte, die der EuGH seiner CDC-Entscheidung zugrunde zu legen scheint,451 ist das in Apple gefundene Ergebnis ein merkwürdig anmutendes, ist doch die Gefahr, dass ein Unternehmen seine Marktmacht nicht nur in die Vertragskonditionen, sondern auch die Forenwahlklausel übersetzt, prima facie bei Verstößen weiten Gerichtspflicht aller Kartellbeteiligten wegen sämtlicher Schadensersatzansprüche am Sitz jedes Kartellbeteiligten (einschließlich kartellbeteiligter Tochterunternehmen) wohl nur noch rhetorisch aufrechterhalten“; a. A. Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89 (101); zur Bedeutung der Skanska-Kriterien in diesem Zusammenhang Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (108). 445 Siehe hierzu oben Kapitel 2 – F.III.2.c). Ob Kartellantinnen wirklich dazu angehalten sein sollten, Torpedoklagen als Mittel der Wahl zu verwenden, erscheint unter prozessökonomischen Gesichtspunkten fragwürdig. 446 Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (426); Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584 (592); Harler/Weinzierl, EWS 2015, 121 (122); Geiss/Daniel, E.C.L.R. 2015, 430 (435); wohl auch Wäschle, Weltkartelle, S. 23 f. 447 EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 30 – Apple Sales International. 448 Vgl. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (444); Mankowski, JZ 2019, 141 (142). 449 Schnichels/Lenzing/Stein, EuZW 2019, 885 (893); Seggewiße, EuZW 2019, 81 (81 f.); Pfeiffer, LMK 2018, 412366; Stammwitz, BB 2018, 3028 (3028); auch Mankowski, EWiR 2019, 157 (158) betont mit Recht, dass Kartelle und Marktmachtmissbrauch in gleichem Maße ihren Niederschlag im jeweils konkret betroffenen Vertrag finden. 450 S. o. Kapitel 4 – A.III.1.d) und dort das Beispiel von Basedow; zustimmend aber Nowag/ Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (444). 451 Dazu sogleich.

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

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gegen Art. 102 AEUV deutlich größer als in Kartellfällen.452 Bei Anwendung einheitlicher Kriterien, wie sie der Auslegung zugrunde liegen sollten, hätte die Schlussfolgerung hingegen lauten müssen, beide Fälle auch gleich zu behandeln;453 und zwar richtigerweise so, dass weder bei auf Art. 101 AEUV noch bei auf Art. 102 AEUV beruhenden Streitigkeiten die Anwendung einer Gerichtsstandsklausel gem. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) nur aus dem Grund verneint werden kann, dass sie sich nicht explizit auf wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten bezieht. d) Rechtspolitische Erwägungen Die dogmatisch recht inkohärente Rechtsprechung des EuGH gibt Anlass zu der Frage, inwieweit die Ausführungen rechtspolitisch motiviert waren.454 Sowohl in der Rechtssache Apple als auch in CDC sind die Urteile vor dem Hintergrund der Schlussanträge deutlich verständlicher.455 GA Jääskinnen, der als erstes die Idee von einer einschränkenden Auslegung der Forenwahlklauseln aufgriff, stellte seine Erwägungen offen unter das Motto des effet utile und des Effektivitätsgrundsatzes,456 um mit diesen dogmatischen Vehikeln das rechtspolitische Ziel einer Stärkung des private enforcement erreichen zu können. Er betonte auch klar die Notwendigkeit der Sicherstellung der Anwendbarkeit europäischer Wettbewerbsvorschriften und sah diese bei außereuropäischen Foren nicht gegeben.457 GA Wahl wiederum hatte beim EuGH in der Retrospektive recht explizit das Ziel vermutet, mit der Entscheidung in CDC das private enforcement stärken zu wollen.458 Umgekehrt ist zwar auch zu berücksichtigen, dass der EuGH sich diesen Ausführungen nicht anschloss und im Gegenteil sowohl die weiterhin vorzunehmende autonome Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung unter der Brüssel I/Ia-VO ungeachtet des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden materiellen Rechts betonte459 als auch Bestrebungen, den 452 Mankowski, JZ 2019, 141 (142); Stammwitz, BB 2018, 3028 (3028); Ferro, CPI October 2018, S. 4 f. 453 S. o. Kapitel 4 – A.III.1.d). 454 Eine entsprechende Motivation des EuGH – teils auch mit Blick auf den Teil der Entscheidung, der sich auf die ersten zwei Vorlagefragen bezieht – vermuten etwa auch Wurmnest, NZKart 2017, 2 (5 f.); Thiede, NZKart 2017, 589 (591); Mäsch, WuW 2016, 285 (289); Roth, IPRax 2016, 318 (321 f., 325); Stadler, JZ 2015, 1138 (1140); Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 357; Hess, in: FS Prütting, S. 337 (344 f., Fn. 46); Heinze, in: FS Ahrens, S. 521 (529). 455 So für das Apple-Urteil auch Pfeiffer, LMK 2018, 412366. 456 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 31 f., 119 ff. – CDC. 457 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 100 – CDC.; vgl. hierzu Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423, 429 f.; auch Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (400); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (213 f.). 458 GA Wahl, SchlA v. 05. 07. 2018, ECLI:EU:C:2018:541 Rn. 62 – Apple Sales International. 459 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 62 – CDC.

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Effektivitätsgrundsatz stärker zu aktivieren, eine Absage erteilte460. Das passt indes kaum zu der Beobachtung, wonach die CDC-Rechtsprechung eine deutliche Abkehr von zuvor geltenden Grundsätzen darstellt und bei nahezu jeder sich bietenden Gelegenheit klägerfreundliche Erwägungen aneinanderreiht wie Perlen an der Schnur.461 Bei unbefangener Betrachtung des CDC-Urteils erscheint damit naheliegend, dass der EuGH zwar die reine Lehre der Auslegung predigt, sich aber gleichzeitig mit den Generalanwälten den rechtspolitischen Wein der effektiven Verwirklichung des Wettbewerbsrechts einschenkt. Es ließe sich dabei durchaus kritisch hinterfragen, was es rechtfertigt, nur Geschädigte von Wettbewerbsverstößen gegenüber den Geschädigten anderer, strukturell vergleichbarer Deliktstypen dergestalt prozessual zu privilegieren.462 Die grundsätzlichere und hier auch schon zum deutschen Recht463 angemerkte Problematik liegt aber darin, dass sich auch legitime rechtspolitische Erwägungen nicht bruchlos in privatautonome und subjektiv zu bestimmende Parteierwägungen übersetzen lassen,464 wie sie der Prorogation zugrunde liegen. Die Brüche in den Urteilen CDC und Apple lassen sich möglicherweise auch durch diesen Umstand erklären.465 Deshalb sollten rechtspolitische Erwägungen richtigerweise auch nicht als ein Teil der Auslegung maskiert werden. Eine dogmatisch stimmige und zugleich die rechtspolitischen Implikationen berücksichtigende Auseinandersetzung mit diesen Überlegungen verlangt eine Prüfung anhand des objektivierten Maßstabs europäischer Effektivitätsmaximen.466 2. Übertragbarkeit auf Schiedsvereinbarungen Die Übertragbarkeit des CDC-Urteils auf Schiedsvereinbarungen wird nicht selten bedenkenlos bejaht.467 Das führt zu der Frage, welche normativen Ansatz460

EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 62 f. – CDC. Siehe vorstehend Kapitel 4 – B.III.1.c)bb). 462 Vgl. zu einem ähnlichen Gedanken den Vergleich von Geschädigten von Kartelldelikten mit denen in Patentrechtsstreitigkeiten beim Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gem. Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO (Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) Basedow/Heinze, in: FS Möschel, S. 63 (78 f.); vgl. auch Mäsch, WuW 2016, 285 (289) zu Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO); siehe aber auch Heinze, in: FS Ahrens, S. 521 (523 ff.); ähnlich Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 115 f. 463 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)cc). 464 Siehe auch Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (415): „[It may] be doubted in priciple whether the interpretation of the arbitration agreement is the suitable tool to achieve the end of effective enforcement of antitrust law. Because Interpretation aims at identifying the intentions of the parties, not at protecting public interests such as the effective enforcement of antitrust laws.“ 465 Vgl. Ferro, CPI October 2018, S. 2 f., oben Kapitel 4, Fn. 391. 466 S. u. Kapitel 5 – B. 467 Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (171); Wolf, IPRax 2018, 594 (598); Steinle/Wilske/ Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (165 ff.); Dohrn, IWRZ 2015, 33 (35); Harler/Weinzierl, EWS 461

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

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punkte hierfür herangezogen werden können. Solche sind, sieht man einmal von dem eher pragmatischen Argument ab, dass der EuGH, wäre er zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen berufen, wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit seine Argumentation übertragen würde,468 allerdings nicht ersichtlich, denn an dieser Zuständigkeit des EuGH fehlt es. Hierfür ist der Bereichsausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit aus der Brüssel I/Ia-VO gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel I/Ia-VO maßgeblich,469 der in der Neufassung noch um Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO erweitert wurde. Dass die unbesehene Bejahung einer Übertragbarkeit auf Schiedsvereinbarungen nicht überzeugt, zeigt auch die Argumentation von GA Jääskinnen, auf dessen Schlussantrag in der Rechtssache CDC sich Befürworter:innen einer Übertragbarkeit berufen könnten. Denn der Generalanwalt hatte ebenfalls nie erklärt, warum er davon ausging, die für Klauseln im Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) entwickelten Auslegungsgrundsätze auch außerhalb des Anwendungsbereichs der VO anwenden zu können. Vielmehr hatte er nur unvermittelt behauptet, die Klauseln „entsprechend“ auslegen zu können, und dies apodiktisch mit der Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit begründet.470 Gerade das ist aber ein zur Brüssel I/Ia-VO entwickeltes Kriterium,471 und folgerichtig brachte es der EuGH auch nur in deren Anwendungsbereich zur Anwendung472.

2015, 121 (122 f.); Geiss/Daniel, E.C.L.R. 2015, 430 (434 f.); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 42; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 130 f.; Fuchs/ Weitbrecht/Hess/Koutsoukou/Westerhoven, § 20 Rn. 60; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/ Harler/Schwedler, § 38 Rn. 13; wohl auch Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584 (592); unklar Mankowski, EWiR 2015, 687 (688). 468 Ähnlich Thole, ZWeR 2017, 133 (142). 469 LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch) Rn. 33, 74 ff.; Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (445 f.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (127); Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (430); Meier/ Schmoll, WuW 2018, 445 (447); Thiede, NZKart 2017, 589 (591); Thole, ZWeR 2017, 133 (141 ff.); Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (21 ff.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (506); Pike/Tosheva, G.C.L.R. 2015, 82 (85); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 107; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (160); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (412); s. a. Langen/Bunte/ C. Stadler, § 185 GWB Rn. 246. 470 GA Jääskinnen, SchlAv. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 129 – CDC; wie hier Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 132 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (78) („This interpretation appears to be wrong as a matter of law“); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (128); Geradin/Villano, 40 World Competition 67, 88 (2017); zu den Schwierigkeiten des Ansatzes des GA auch Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (400 f.). 471 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 23 – CDC; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:471, Rn. 25 – Reisch Montage; EuGH, Urt. v. 28. 09. 1999, ECLI:EU: C:1999:456, Rn. 24 – GIE Groupe Concorde EuGH, Urt. v. 17. 06. 1992, ECLI:EU:C:1992: 268, Rn. 18 – Handte; Stein/Jonas/Wagner, Einl. Art. 2 EuGVVO Rn. 16 f.; s. a. Erwägungsgründe 15, 16 Brüssel Ia-VO. 472 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 68 ff. – CDC; Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (400 f.).

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Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Nach einer vereinzelt vertretenen Auffassung fällt eine Schiedsklausel in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, da das angerufene und eigentlich nach der Brüssel Ia-VO zuständige mitgliedstaatliche Gericht im Rahmen der Derogation die Reichweite der Schiedsklausel inzident zu klären habe.473 Die Frage, wie weit der Anwendungsausschluss in der Brüssel Ia-VO zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit wegen der sachlichen Reichweite der Schiedsvereinbarung reiche, sei somit eine unionsrechtliche.474 Dies ergebe sich zum einen aus dem neuen Erwägungsgrund 12 der Brüssel Ia-VO475 und sei zum anderen eine Folge der West Tankers-Rechtsprechung des EuGH476. In diesem Urteil hatte der EuGH die Frage, ob ein angerufenes mitgliedstaatliches Gericht trotz einer entgegenstehenden Schiedsvereinbarung zuständig ist, wenn der Streitgegenstand ansonsten in den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO fallen würde, als Vorfrage unter der Brüssel I-VO bezeichnet.477 Diese zuletzt dargestellte Ansicht ist abzulehnen. Hierfür streiten gleich mehrere Gründe. Nicht weiter interessieren soll an dieser Stelle, dass die West TankersRechtsprechung umstritten ist478 und nach Ansicht nicht weniger Stimmen die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel I/Ia-VO in ihr Gegenteil verkehrt479. Denn auch ganz unabhängig davon ist nach der Rechtsprechung des EuGH die Ratio von West Tankers nicht auf die Situation des CDC-Urteils übertragbar. In West Tankers hätte eine anti-suit injunction eines britischen Gerichts zu einem Konflikt zweier mitgliedstaatlicher Gerichte unter der Brüssel I-VO geführt, für die das Schiedsgericht lediglich den Anlass geboten hätte.480 Diesen Konflikt suchte der 473

Wolf, IPRax 2018, 594 (599). Wolf, IPRax 2018, 594 (599 f.). 475 Erwägungsgrund 12 der Brüssel Ia-VO lautet auszugsweise: Diese Verordnung sollte nicht für die Schiedsgerichtsbarkeit gelten. Sie sollte die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. 476 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 98, 121, Fn. 113, 139 – CDC; Wolf, IPRax 2018, 594 (599 f., Fn. 67), jew. unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 10. 02. 2009, ECLI:EU:C:2009:69, Rn. 26 f., 30 f. – West Tankers. 477 EuGH, Urt. v. 10. 02. 2009, ECLI:EU:C:2009:69, Rn. 26, 31 – West Tankers, kritisch zu dieser Begrifflichkeit Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, S. 23 f. 478 Vgl. die Kritik bei Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, S. 15 ff.; Lehmann, NJW 2009, 1645 (1646 ff.) jew. m. w. N.; zur Kritik von GAWathelet an West Tankers nach Verabschiedung der Brüssel Ia-VO GAWathelet, SchlA v. 04. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014: 2414, Rn. 92 ff. – Gazprom; dazu Stadler/Klöpfer, ZEuP 2017, 890 (898 ff.); Baumann, in: FS Ahrens, S. 467 (480). 479 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, S. 15 f.; Lehmann, NJW 2009, 1645 (1646 f.). 480 EuGH, Urt. v. 10. 02. 2009, ECLI:EU:C:2009:69, Rn. 28 ff. – West Tankers; dort war fraglich, ob ein englisches Gericht eine anti-suit injunction erlassen konnte, wenn sich diese dagegen richtete, dass die über eine Schiedsvereinbarung verbundenen Parteien abredewidrig im forum derogatum vor einem ordentlichen italienischen Gericht klagten. 474

B. Eine Überprüfung der Auslegungsgrundsätze

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EuGH zu vermeiden. In CDC hätte es hingegen allenfalls einen Jurisdiktionskonflikt zwischen einem Schiedsgericht und einem ordentlichen Gericht gegeben. Wie der EuGH allerdings in Gazprom selbst schon einmal ausgeführt hatte, ist das kein Konflikt im Sinne der West Tankers-Rechtsprechung und damit auch nicht unter der Brüssel I/Ia-VO, da das Schiedsgericht ohnehin keine das ordentliche Gericht bindende Anordnungen erlassen kann.481 Im Übrigen sagt auch die Tatsache, dass die Reichweite des Bereichsausschlusses gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO eine unionsrechtliche Frage ist und als solche der Auslegung durch den EuGH unterliegt, zwar etwas darüber aus, durch welches mitgliedstaatliche Gericht die Auslegung der Schiedsvereinbarung vorzunehmen ist, nicht aber darüber, wie diese zu erfolgen hat. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO kann hierfür auch bei einer noch so extensiven Interpretation des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO der zutreffende Maßstab nicht sein.482 Erst recht gilt dies nach der Neufassung der Brüssel Ia-VO, die gem. Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO explizit und deutlicher als in der Altfassung den Vorrang des UNÜ bekundet. Aus dem neu eingefügten Erwägungsgrund 12 Brüssel Ia-VO lässt sich deshalb allenfalls entnehmen, dass es auf das Schiedsvereinbarungsstatut ankommt und eine simple Übertragung der europäischen Auslegungskriterien in der Brüssel Ia-VO keine Grundlage findet.483 Dementsprechend hatte der EuGH in West Tankers auch nicht geurteilt, wie das ursprünglich angerufene italienische Gericht eine Auslegung der Schiedsvereinbarung unter Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel IaVO) vorzunehmen habe, sondern lediglich und gerade unter Verweis auf Art. 2 Abs. 3 UNÜ festgehalten, dass es diese Auslegung unbehelligt von einer anti-suit injunction durch ein britisches Gericht vornehmen könne.484 Eine Übertragung der CDC-Rechtsprechung findet darin keine Stütze.

IV. Exkurs: Die Rechtssache Wikingerhof/Booking.com Nach den Rechtssachen CDC und Apple hatte der BGH erstmalig in der Rechtssache Wikingerhof/Booking.com Gelegenheit, sich zur zur Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei Streitigkeiten um das EU-Wettbewerbsrecht im Anwedungsbereich der Brüssel Ia-VO zu positionieren.485 Die Klägerin, ein Hotel, hatte der Beklagten, eine Hotelbuchungsplattform, Marktmachtmissbrauch vorgeworfen und sie gem. § 33 Abs. 1 GWB auf Unterlassung in Anspruch genommen. 481

EuGH, Urt. v. 13. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:316, Rn. 35 ff. – Gazprom; dazu auch Baumann, in: FS Ahrens, S. 467 (473 ff.). 482 Im Ergebnis wie hier Thiede, NZKart 2017, 589 (592). 483 Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (430); s. a. Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (127); Thiede, NZKart 2017, 589 (592). 484 EuGH, Urt. v. 10. 02. 2009, ECLI:EU:C:2009:69, Rn. 25 ff., 33 – West Tankers. 485 BGH, NZKart 2021, 346 (passim) – Wikingerhof/Booking.com.

260

Kapitel 4: Erste Kardinalfrage

Die Parteien waren über einen sogenannten Hotelvertrag miteinander verbunden. Nach den Feststellungen enthielten die AGB der Beklagten in der Fassung von 2009 eine enge Gerichtsstandsklausel zugunsten niederländischer Gerichte, in neueren Fassungen von 2015 dann eine weite.486 Die weite Gerichtsstandsvereinbarung genügte allerdings nach Auffassung des BGH nicht den Anforderungen des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO,487 weshalb zwischen den Parteien allenfalls die enge Klausel zur Anwendung kam und sich der BGH zu der hier vordergründig interessierenden weiteren Klausel nicht abschließend positionieren musste. Den Unterlassungsanspruch der Beklagten gem. § 33 Abs. 1 GWB, den der BGH in Übereinstimmung mit dem EuGH als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO qualifiziert hatte,488 sah er indes als von der engen Klausel jedenfalls nicht erfasst an.489 Die enge Gerichtsstandsvereinbarung derogierte deshalb die Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht. Diesem Ergebnis des BGH ist zuzustimmen. Auch nach hier vertretener Auffassung sind wettbewerbsrechtliche Ansprüche deliktischer Natur und werden somit von engen Forenwahlklauseln nur insoweit erfasst, als es einen parallelen „Anspruch aus dem Vertrag“ gibt.490 Unter Anwendung der Apple-Grundsätze hätte für den BGH wohl auch mit Blick auf die weite Gerichtsstandsvereinbarung eine Einbeziehung der Ansprüche in den sachlichen Anwendungsbereich der Klausel nahegelegen, da hiernach die Anwendung zumindest nicht aus dem Grund verneint werden kann, dass sich die fragliche Klausel nicht explizit auf die geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche bezieht.491 Weitergehende Aussagen lassen sich der Rechtssache Wikingerhof/Booking.com indes nicht entnehmen.

V. Zusammenfassung Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Korrektur der zum deutschen Recht entwickelten Auslegungsgrundsätze492 für Schiedsvereinbarungen im Lichte der EuGH-Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen gem. Art. 23 Abs. 1 486

Für den Wortlaut der Klauseln siehe LG Kiel, BeckRS 2017, 154337, Rn. 4, 7. BGH, NZKart 2021, 346 (348 ff.) – Wikingerhof/Booking.com. 488 BGH, NZKart 2021, 346 (347) – Wikingerhof/Booking.com; zum Urteil des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren siehe EuGH, Urt. v. 24. 11. 2020, ECLI:EU:C:2020:950, Rn. 36 – Wikingerhof. 489 BGH, NZKart 2021, 346 (347 f.) – Wikingerhof/Booking.com; auf die Klausel fand niederländisches Recht Anwendung, welches der BGH allerdings weitgehend parallel zum deutschen Recht auslegte. Für einen insgesamt ähnlichen Sachverhalt siehe auch OLG München, WRP 2018, 629 (630) („Klage zur Durchsetzung dieses Vertrags“), die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil wurde zurückgewiesen, siehe BGH, Beschl. v. 13. 11. 2018, KZR 4/18. 490 Siehe dazu oben Kapitel 4 – A.IV. 491 In diesem Sinne BGH, NZKart 2021, 346 (347) – Wikingerhof/Booking.com. 492 Dazu bereits oben Kapitel 4 – A.IV. 487

C. Zwischenergebnis

261

Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) nicht angezeigt ist. Die vom EuGH insbesondere in den Rechtssachen CDC und Apple vertretene Auffassung ist abzulehnen. Sie erscheint trotz anderslautender Lippenbekenntnisse rechtspolitisch motiviert und mäandert insgesamt dogmatisch wenig überzeugend zwischen allgemeinen Leitlinien und einer unklaren Kasuistik. Zur vom EuGH stets geforderten Vorhersehbarkeit gerichtlicher Zuständigkeiten im vereinheitlichten Zuständigkeitsregime trägt dies nicht bei. Ungeachtet dessen sind diese Urteile nicht ex lege auf Schiedsvereinbarungen übertragbar, da auch unter Berücksichtigung der West Tankers-Rechtsprechung die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel I/Ia-VO greift. Offen bleibt damit weiterhin, ob unabhängig von der subjektiven Auslegung der vom EuGH nicht näher geprüfte Effektivitätsgrundsatz unter bestimmten Umständen zu einer Invalidierung der Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren zwingt.

C. Zwischenergebnis Weite Schiedsvereinbarungen erfassen bei einer Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB Kartellschadensersatzansprüche unmittelbarer Abnehmerinnen gem. § 33a Abs. 1 GWB.493 Eine Kontrolle von Schiedsvereinbarungen im Einredeverfahren anhand überindividueller Wertungen ist jedenfalls im Rahmen der Auslegung abzulehnen. Der EuGH kommt im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO zu abweichenden Ergebnissen, soweit Gerichtsstandsvereinbarungen betroffen sind. Dieser Rechtsprechung fehlt es an dogmatischer Kohärenz und insoweit auch an Relevanz für die Auslegung von Schiedsvereinbarungen.494

493 494

Siehe die Zusammenfassung oben Kapitel 4 – A.IV. Siehe die Zusammenfassung im vorigen Abschnitt.

Kapitel 5

Zweite Kardinalfrage: Zur Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren Das den inhaltlichen Teil abschließende Kapitel dieser Arbeit widmet sich der zweiten einleitend als Kardinalfrage bezeichneten Problemstellung aus der Perspektive des Unionsrechts. Dabei wird die Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle der Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren anhand objektivierter Maßstäbe europäischer Effektivitätsmaximen untersucht (B.). Wie zu zeigen sein wird, wirken diese allerdings auch in den übrigen Verfahrensstadien auf eine schiedsgerichtliche Streitbeilegung kartellrechtlicher Sachverhalte ein. Daher werden zunächst dogmatische Grundlagen und Vorfragen geklärt (A.).

A. Grundlagen und Vorfragen Einleitend wird ein Überblick über dogmatische Grundlagen europäischer Effektivitätsmaximen gegeben (I.). Sodann werden zwei Vorfragen beleuchtet: Inwieweit internationale Schiedsgerichte an europäische Eingriffsnormen gebunden sind (II.) und nach welchem Maßstab die Kontrolle dieser Rechtsanwendung im Aufhebungs- und Anerkennungsverfahren überprüfbar ist (III.). Diese erlauben möglicherweise Rückschlüsse auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab im Einredeverfahren.

I. Dogmatische Grundlagen 1. Effektivitätsmaximen im unionsrechtlichen Primärrecht Das unionsrechtliche Primärrecht wirkt dreifach auf das Kartelldeliktsrecht ein: Durch das Prinzip des effet utile, durch den Effektivitätsgrundsatz und durch das Recht auf einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf.1 Diese Begrifflichkeiten und ihre dogmatischen Grundlagen werden nachstehend beleuchtet und im weiteren Verlauf der Ausarbeitung teils auch gesondert herangezogen. Soweit 1 Ebenso etwa Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (446 ff.); Immenga/Mestmäcker/ Franck, vor § 33 GWB Rn. 9.

A. Grundlagen und Vorfragen

263

hier von europäischen Effektivitätsmaximen die Rede ist, meint dies einen Oberbegriff für diese Rechtsinstitute und Auslegungsmaximen. a) Der Grundsatz des effet utile Der Grundsatz des effet utile ist eine teleologische Methode zur Auslegung des Unionsrechts, die darauf abzielt, diesem zu „praktischer Wirksamkeit“ zu verhelfen.2 Es hat seinen Anwendungsbereich vor allem im Bereich direkter Kollisionen von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht.3 Das Prinzip liegt dem europäischen Kartellschadensersatzanspruch zugrunde: Die Idee, dass „Jedermann“ i. S. d. Courage-Formel zivilrechtlichen Schadensersatz für Verstöße gegen Art. 85 EGV (Art. 101 AEUV) fordern können soll, hat ihren dogmatischen Ursprung darin, dass andernfalls die praktische Wirksamkeit des Art. 101 AEUV und insbesondere der Verbotsnorm des Abs. 1 beeinträchtigt wäre.4 Hierbei handelt es sich also um eine positive Aussage des Art. 101 AEUV.5 b) Der Effektivitätsgrundsatz Das Effektivitätsgrundsatz (Effektivitätsgebot) ist trotz gemeinsamer dogmatischer Wurzeln vom Prinzip des effet utile abzugrenzen.6 Der Effektivitätsgrundsatz ist ein normativ im Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gem. Art. 4 Abs. 3 EUV wurzelndes7 Strukturprinzip, welches nach der Formel des EuGH gewährleisten soll, dass nationale Rechtsvorschriften „die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“8. Es findet seine innere Berechtigung in dem Umstand, dass die Mitgliedstaaten beim Vollzug des Unionsrechts in Ermangelung einer umspannenden 2 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 250; vgl. hierzu nur die französischen und deutschen Fassungen von EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 26 – Courage; in früheren Urteilen wurde die französische Begrifflichkeit demgegenüber auch in der deutschen Sprachfassung mit aufgeführt, siehe EuGH, Urt. v. 08. 04. 1976, ECLI:EU:C:1976: 57, Rn. 69/73 – Royer. 3 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 250; Schwietert, Effet utile, S. 39 ff. 4 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 26 – Courage. 5 Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 11. 6 Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (446 ff.); Schwietert, Effet utile, S. 45; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 250; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 47 ff. 7 Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (448); Schwietert, Effet utile, S. 44 f.; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 33 ff. 8 Siehe nur EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 25 – Kone m. w. N.; grundlegend EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976, ECLI:EU:C:1976:188, Rn. 5 – Rewe; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976, ECLI:EU:C:1976:191, Rn. 11/18 – Comet; jetzt auch Erwägungsgrund 11 KartSE-RL; zur Schwierigkeit, eine „übermäßige“ Beeinträchtigung festzustellen, etwa Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 35 m. w. N.; Groussot/Minssen, EuConst 2004, 385 (391): „The caselaw on procedural autonomy of the member states if of a Byzantine nature (…).“

264

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Verfahrensordnung zumeist im Rahmen der „Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten“9 auf ihr jeweiliges nationales Recht zurückgreifen.10 Vor allem auf diese Weise kann es zu indirekten Kollisionen zwischen Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht kommen, also zwischen Rechtsnormen, die nicht die gleiche Frage regeln.11 Das Effektivitätsgebot stellt somit eine unionsrechtliche Untergrenze der Verfahrensautonomie auf,12 damit das Unionsrecht nicht nur „law in the books“ bleibt.13 Für dieses Ziel hat auch das Effektivitätsgebot eine positive Ausprägung, die eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Fall einer übermäßigen Beeinträchtigung vorsieht.14 Der anzulegende Maßstab ist strenger, je stärker das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Norm ist und je stärker die Verwirklichung des Unionsrechts gefährdet wird.15 Allerdings ist er auch zielgruppenbezogen; im weniger strengen B2B-Kontext etwa kommt es darauf an, ob die Rechtsdurchsetzung auch wirtschaftlich erfahrenen und rechtlich beratenen Akteuren übermäßig erschwert wird.16 Das Effektivitätsgebot wirkt in der Rechtsprechung des EuGH auf vielschichtige Weise auf den Vollzug des Unionsrechts ein17 und hat immer wieder Impulse auch für

9 EuGH, Urt. v. 12. 02. 2020, ECLI:EU:C:2020:92, Rn. 48 f. – Nikolai Kolev; EuGH, Urt. v. 28. 02. 2018, ECLI:EU:C:2018:121, Rn. 22 – Nidera; EuGH, Urt. v. 07. 01. 2004, ECLI:EU:C: 2004:12, Rn. 65, 67 – Wells; siehe für den normativen Gehalt dieses Grundsatzes Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1419 f.). 10 Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 30 m. w. N.; HWBEuP/Heinze, S. 337. 11 Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 30 f.; indirekte Kollisionen entstehen etwa dann, wenn materielles Unionsrecht eine Rechtsfolge vorgibt, die das nationale Verfahrensrecht nicht kennt oder deren Verwirklichung es prozessual ausschließt, Kulms, ebd. 12 Eine weitere Grenze der Verfahrensautonomie ist der Äquivalenzgrundsatz, nach dem die Vorschriften über Rechtsbehelfe, die die Durchsetzung europäischen Rechts betreffen, nicht weniger günstig sein dürfen als entsprechende Rechtsbehelfe, die nur innerstaatliches Recht betreffen, siehe EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 25 – Kone m. w. N.; der Grundsatz ist insgesamt nur von untergeordneter Relevanz (vgl. Schwietert, Effet utile, S. 43) und wird auch für die vorliegende Bearbeitung nicht weiter thematisiert; siehe zu beiden Grundsätzen Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1418). 13 HWBEuP/Heinze, S. 339. 14 Etwa EuGH, Urt. v. 27. 03. 2014, ECLI:EU:C:2014:190, Rn. 44 – LCL Le Crédit Lyonnais; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2005, ECLI:EU:C:2005:637, Rn. 69, 95 – Schulte; EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984, ECLI:EU:C:1984:153, Rn. 18, 23, 26 – Von Colson und Kamann; dazu ausführlich Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 38 ff.; HWBEuP/Heinze, S. 338 f.; s. a. Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 (2018); Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 21. 15 Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 179. 16 Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 100 f., 102 f., 106 f., 179, 205, unter Verweis etwa auf EuGH, Urt. v. 15. 12. 2011, ECLI:EU:C:2011:844, Rn. 37 ff. – Banca Antoniana Popolare Veneta; EuGH, Urt. v. 18. 12. 2008, ECLI:EU:C:2008:746, Rn. 41 – Sopropé; ebenso Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 282. 17 Überblick m. w. N. Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 23 ff.; HWBEuP/ Heinze, S. 340.

A. Grundlagen und Vorfragen

265

die Ausgestaltung des private enforcement geliefert18. Charakterisieren lässt es sich mit einer objektiv-rechtlichen Dimension und einer subjektiv-rechtlichen Dimension.19 Die objektiv-rechtliche Dimension betrachtet die Durchsetzung des Unionsrechts durch das Prisma seines objektiven Gewährleistungsgehalts.20 Die subjektiv-rechtliche Dimension vermisst die Durchsetzung der individuellen Rechtsposition.21 c) Das Recht auf einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf Die Dritte im Bunde der europäischen Effektivitätsmaximen ist das Recht auf einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gem. Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV, Art. 47 EU-GRCh, Art. 6 EMRK. Dieses enthält Vorgaben für die prozessuale Ausgestaltung gerichtlicher Rechtsbehelfe, nicht aber für das materiell anwendbare Kartelldeliktsrecht.22 Der Anwendungsbereich dieses Grundsatzes ist somit enger gefasst als der des Effektivitätsgebots.23 Sowohl das Effektivitätsgebot als auch das Recht auf einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf finden sich in einigen Bereichen und gerade auch im Kartelldeliktsrecht sekundärrechtlich kodifiziert.24 Eine hiermit in Zusammenhang zu bringende Entwicklung ist, dass in der Rechtsprechung Effektivitätsgebot und das Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf aus Art. 47 EU-GRCh zu verschmelzen scheinen.25 Das ist wegen der jeweiligen dogmatischen Struktur naheliegend, denn auch dieser Grundsatz dient dem prozessualen Schutz des Trägers von Rechten wie auch der Durchsetzung des Unionsrechts.26 Gleichzeitig führt es dazu, dass nicht immer abzusehen ist, welches Prinzip der EuGH heranzieht.27 Nachstehend wird daher auf 18

Siehe nur EuGH, Urt. v. 28. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:263, Rn. 43, 52 ff. – Cogeco Communications; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 95 – Manfredi; EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 29, 31 – Courage; siehe dazu auch Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 51 f.; Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 14. 19 Siehe hierzu Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 251 ff.; Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 37 ff. 20 Umfassend Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 109 ff. 21 Umfassend Kulms, Effektivitätsgrundsatz, S. 43 ff. 22 Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 22. 23 Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 22. 24 Siehe Art. 4 sowie ErwG 11, 37, 46 KartSE-RL; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 260 ff.; HWBEuP/Heinze, S. 339 f. 25 Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 45 ff.; HWBEuP/Heinze, S. 339, jew. m. w. N.; etwa EuGH, Urt. v. 29. 10. 2009, ECLI:EU:C:2009:666, Rn. 44 – Pontin; EuGH, Urt. v. 13. 03. 2007, ECLI:EU:C:2007:163, Rn. 37 f. – Unibet; siehe dazu auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen, S. 249, 253 ff.; Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (448); Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 23. 26 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 47 EU-GRCh Rn. 3, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 05. 03. 1996, ECLI:EU:C:1996:79, Rn. 72 – Brasserie du Pêcheur. 27 Immenga/Mestmäcker/Franck, vor § 33 GWB Rn. 23 („kaum vorhersehbar“).

266

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

eine eigenständige Prüfung am Maßstab des Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf verzichtet und dieses vielmehr als eine Ausprägung des allgemeinen Effektivitätsgebots berücksichtigt. d) Abgrenzung von Effektivitätsgebot und effet utile Die eben dargestellten dogmatischen Unterschiede der jeweiligen Ausprägungen der Effektivitätsmaximen führen zu der Frage, wann bei der hier interessierenden Prüfung das eine oder das andere Konzept heranzuziehen ist. Nach den Ausführungen von Generalanwältin Kokott und Generalanwalt Wahl markiert die Grenze zwischen effet utile und Effektivitätsgrundsatz im Kartelldeliktsrecht gleichzeitig die Grenze zwischen Regelungsbereichen, die dem Unionsrecht unterliegen und solchen, die dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegen.28 Hierbei soll mit den Tatbestandsmerkmalen das „Ob“ eines Kartellschadensersatzanspruchs mit dem Maßstab der praktischen Wirksamkeit unmittelbar dem Unionsrecht entnommen werden, während das „Wie“ der prozessualen Durchsetzung eines Kartellschadensersatzanspruchs dem mitgliedstaatlichen Recht unterliegt und in der Konsequenz am Effektivitätsgrundsatz zu messen ist.29 Die jüngere Rechtsprechung des EuGH scheint den Standpunkt von Kokott und Wahl zu bestätigen.30 Entsprechend wird diese Abgrenzung hiernach zugrunde gelegt.31 Wo es im folgenden Abschnitt also um die Frage geht, welche Teile des materiellen EU-Kartelldeliktsrechts unmittelbar Geltung beanspruchen, ist das am Maßstab praktischer Wirksamkeit des effet utile zu messen. Wo hingegen die mittelbaren Auswirkungen des Vollzugs des Unionsrechts durch das nationale Verfahrensrecht geprüft werden, kommt das Effektivitätsprinzip zur Anwendung.32

28 GAin Kokott, SchlA v. 29. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:651, Rn. 38 ff. – Otis; GA Wahl, SchlA v. 06. 02. 2019, ECLI:EU:C:2019:100, Rn. 36 ff. – Skanska Industrial Solutions u. a. 29 GAin Kokott, SchlA v. 29. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:651, Rn. 44 f. – Otis; GA Wahl, SchlA v. 06. 02. 2019, ECLI:EU:C:2019:100, Rn. 40 f. – Skanska Industrial Solutions u. a.; GAin Kokott, SchlA v. 30. 01. 2014, ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 23 – Kone; wie dort im Ergebnis Schwietert, Effet utile, S. 80. 30 EuGH, Urt. v. 12. 12. 2019, ECLI:EU:C:2019:1069, Rn. 25 ff. – Otis; EuGH EuGH, Urt. v. 14. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:204, Rn. 43 ff. – Skanska Industrial Solutions u. a. 31 Wie hier auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (449 ff.). 32 Es kann dabei an dieser Stelle offen bleiben, ob hiermit die alte Streitfrage, ob der Anspruch wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts einen genuin-europäischen Kartellschadensersatzanspruch oder einen nur nach den Vorgaben des Unionsrechts auszufüllenden mitgliedstaatlichen Anspruch vorgibt, im Sinne der ersten Auffassung entschieden wurde. Zu dieser umstrittenen Frage siehe nur die Aufarbeitung von Schwietert, Effet utile, S. 29 ff. m. w. N. Hier ist vielmehr ausschließlich maßgeblich, dass unmittelbar dem Unionsprimärrecht entnommene Bestandteile des Kartelldeliktsrechts am Maßstab des effet utile zu messen sind.

A. Grundlagen und Vorfragen

267

2. Zur Anwendung des Unionsrechts durch Organe der Rechtsprechung Abschließend ist eine weitere für den Fortgang der Untersuchung essentielle unionsrechtliche Besonderheit herauszuarbeiten, der eine spezifisch unionsverfassungsrechtliche Qualität zukommt. Aus dieser lassen sich auch bisher wenig beachtete Leitlinien zum Verhältnis des Unionsrechts zu privaten Schiedsgerichten ableiten. a) Zum Recht auf ein Unionsgericht Wie zu zeigen sein wird, schließt der EuGH aus der Autonomie des Unionsrechts auch auf Vorgaben für die Anwendung des Unionsrechts durch Gerichte und alternative Streitbeilegungsforen. aa) Autonomie des Unionsrechts Ausgangspunkt der hier dargestellten Überlegungen ist der allgemein bekannte Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts. In den Worten des EuGH ist es „dadurch gekennzeichnet, dass es einer autonomen Quelle, den Verträgen, entspringt und Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten hat, sowie durch die unmittelbare Wirkung einer ganzen Reihe für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen. Solche Merkmale haben zu einem strukturierten Netz von miteinander verflochtenen Grundätzen, Regeln und Rechtsbeziehungen geführt, das die Union selbst und ihre Mitgliedstaaten wechselseitig sowie die Mitgliedstaaten untereinander bindet.“33 bb) Die justizverfassungsrechtliche Komponente Die Autonomie des Unionsrechts steht nicht allein. Gemeinsam mit dem europäischen Rechtsbehelfssystem kulminiert sie in der rechtsstaatlichen Zentralnorm des Art. 19 Abs. 1 EUV.34 Hieraus folgen spezifische qualitative und institutionelle Anforderungen, die eine Bedingung des Unionsrechts an seinen Vollzug durch justizielle Organe darstellen. In dieser Konzeption sind ordentliche mitgliedstaatliche Gerichte Wächter des Unionsrechts und nehmen eine zentrale Rolle ein, wenn es darum geht, den durch die Unionsrechtsordnung verliehenen und unmittelbar

33 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 33 – Achmea; EuGH, Gutachten v. 18. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2454, Rn. 165 ff. – Gutachten 2/13; grundlegend EuGH, Urt. v. 15. 07. 1964, ECLI:EU:C:1964:66, Slg. 1964, 1251 (1269 f.) – Costa/ENEL; EuGH, Urt. v. 05. 02. 1963, ECLI:EU:C:1963:1, Slg. 1963, 1 (25) – van Gend & Loos; siehe dazu auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, AEUV Art. 1 Rn. 60 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ F. C. Mayer, EUV Art. 19 Rn. 68. 34 T. Jaeger, EuR 2018, 611 (631).

268

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

wirkenden autonomen Rechten zu einer einheitlichen Durchsetzung zu verhelfen.35 Um sie herum entspinnt sich das europäische Gerichtssystem.36 Mit diesem spannt der EuGH einen prozessualen Schirm um das autonome Unionsrecht, der konzeptionell37 dessen lückenlose und einheitliche Anwendung sicherstellt. Diese einheitliche Anwendung des Unionsrechts geht nahtlos über in die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und die Anforderungen an einen wirksamen Rechtsbehelf beim Vollzug des Unionsrechts.38 Dieses System hat in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH noch einmal eine deutliche Aufwertung erfahren.39 Es ist vom EuGH in seinem epochalen Urteil in der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses über Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV zum Maßstab einer Art. 2 EUV entsprechenden nationalen Gerichtsorganisation erhoben worden,40 in seinem AchmeaUrteil gegen die Zulässigkeit eines Intra-EU-BIT41 und kurze Zeit später auch gegen rechtsstaatswidrige Eingriffe in die Unabhängigkeit der nationalen Justiz durch mitgliedstaatliche Regierungen und Parlamente42 in Stellung gebracht worden.

35 EuGH, Beschl. v. 11. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:615, Rn. 44 ff. – Kommission/Polen; EuGH, Gutachten v. 30. 04. 2019, Rn. 111 – Gutachten 1/17; EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI: EU:C:2018:158, Rn. 35 ff. – Achmea; EuGH, EuGH, Urt. v. 27. 02. 2018, ECLI:EU:C:2018: 117, Rn. 32 ff. – Associação Sindical dos Juízes Portugueses; EuGH, Urt. v. 28. 04. 2015, ECLI: EU:C:2015:284, Rn. 45 – T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission; EuGH, Gutachten v. 18. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2454, Rn. 174 ff. – Gutachten 2/13; EuGH, Gutachten v. 08. 03. 2011, ECLI:EU:C:2011:123, Rn. 66 ff. – Gutachten 1/09; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ F. C. Mayer, EUV Art. 19 Rn. 1. 36 EuGH, Beschl. v. 11. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:615, Rn. 44 f. – Kommission/Polen; EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 35 ff. – Achmea; EuGH, Gutachten v. 18. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2454, Rn. 174 ff. – Gutachten 2/13; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ F. C. Mayer, EUV Art. 19 Rn. 1. 37 Für die erstmalige Feststellung des EuGH, dass ein mitgliedstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen mit nationalen Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden konnten, gegen die Vorlageverpflichtung aus Art. 267 Abs. 3 AEUV verstoßen hat, siehe EuGH, Urt. v. 04. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:811, Rn. 105 ff. – Kommission/Frankreich. 38 T. Jaeger, EuR 2018, 611 (616 ff.). 39 Siehe dazu umfassend T. Jaeger, EuR 2018, 611 (passim). 40 EuGH, Urt. v. 27. 02. 2018, ECLI:EU:C:2018:117, Rn. 29 ff. – Associação Sindical dos Juízes Portugueses; der Präsident des EuGH Lenaerts stellt dieses Urteil der Rechtssache Van Gend & Loos gleich, siehe Grabitz/Hilf/Nettesheim/F. C. Mayer, EUV Art. 19 Rn. 1, Fn. 2. 41 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 43 ff. – Achmea; hierbei handelt es sich um ein Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedstaaten der EU; zum rechtsstaatlichen Gehalt dieses Urteils Miller, EuZW 2018, 357 (358 ff.); T. Jaeger, EuR 2018, 611 (623 ff.). 42 EuGH, Beschl. v. 11. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:615, Rn. 42 ff., 71 ff., 108 ff. – Kommission/Polen; s. a. EuGH, Beschl. v. 08. 04. 2020, ECLI:EU:C:2020:277, Rn. 29 ff. – Kommission/Polen.

A. Grundlagen und Vorfragen

269

cc) Die institutionelle Ausprägung Konstitutive Wirkung für dieses System in institutioneller Hinsicht haben zwei spezifische Ausprägungen, nämlich der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens sowie das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV. So hat der EuGH in dem europäischen Gerichtsverbund wiederholt die Bedeutung des erstgenannten Grundsatzes im Anwendungsbereich der Brüssel-Verordnungen betont,43 der für die „Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums unabdingbar ist“44. Daneben ist Herzstück der europäischen Gerichtsorganisation, in den Worten des EuGH das „Schlüsselelement des so gestalteten Gerichtssystems“45, das Vorlageverfahren gem. Art. 267 AEUV. Durch die Vorlageverpflichtung der letztinstanzlichen Gerichte gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV ist sichergestellt, dass der EuGH mit Fragen der Auslegung des Unionsrechts befasst werden kann.46 b) Schiedsgerichte Dem ist nunmehr die abweichende Situation vor Schiedsgerichten gegenüberzustellen.

43

EuGH, Urt. v. 16. 01. 2019, ECLI:EU:C:2019:24, Rn. 41 – Liberato; EuGH, Urt. v. 15. 02. 2017, ECLI:EU:C:2017:118, Rn. 50 – W und V; EuGH, Urt. v. 16. 07. 2015, ECLI:EU:C: 2015:471, Rn. 40, 63 – Diageo Brands; EuGH, Urt. v. 19. 11. 2015, ECLI:EU:C:2015:763, Rn. 35 – PPU – P; EuGH, Urt. v. 13. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:316, Rn. 34, 37, 39 – Gazprom; EuGH, Urt. v. 15. 07. 2010, ECLI:EU:C:2010:437, Rn. 81 – Purrucker; EuGH, Urt. v. 10. 02. 2009, ECLI:EU:C:2009:69, Rn. 30 – West Tankers; EuGH, Urt. v. 28. 04. 2009, ECLI: EU:C:2009:271, Rn. 73 – Apostolides; siehe Erwägungsgrund 26 Brüssel Ia-VO; Erwägungsgründe 16 f. Brüssel I-VO; Erwägungsgrund 21 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel IIa-VO); s. a. BGH, NJW 2020, 399 (402): Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO als maßgeblicher Unterschied in der Behandlung mitgliedstaatlicher und drittstaatlicher Gerichte. 44 EuGH, Urt. v. 16. 01. 2019, ECLI:EU:C:2019:24, Rn. 41 – Liberato; EuGH, Urt. v. 15. 02. 2017, ECLI:EU:C:2017:118, Rn. 50 – W und V. 45 EuGH, Beschl. v. 11. 07. 2019, ECLI:EU:C:2019:615, Rn. 45 – Kommission/Polen; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:853, Rn. 41 – XC u. a.; EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 37 – Achmea; EuGH, Gutachten v. 18. 12. 2014, ECLI:EU:C: 2014:2454, Rn. 176, 198 – Gutachten 2/13. 46 Zu dieser Vorlageverpflichtung etwa Calliess/Ruffert/Wegener, AEUV Art. 267 Rn. 27 ff.; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Anhang 3 VO 1/2003 Rn. 44 ff. sowie Rn. 34 ff. zum Vorabentscheidungsverfahren in Kartellsachen allgemein.

270

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

aa) Keine institutionelle Einbindung An dem soeben dargestellten institutionellen System nehmen Schiedsgerichte nicht teil.47 Das gilt für den Grundsatz wechselseitigen Vertrauens, den jedenfalls die ordentlichen Gerichte den Schiedsgerichten nicht entgegenbringen. Diese Schlussfolgerung ergibt sich bereits aus Erwägungsgrund 12 Brüssel Ia-VO, der sogar die Anerkennung gerichtlicher Urteile mit Schiedsbezug aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausnimmt.48 Und es gilt für die Dialogmöglichkeit mit dem EuGH, denn vertragliche Schiedsgerichte sind keine i. S. d. Art. 267 AEUV vorlageberechtigten Gerichte.49 Dieser Umstand wurde indirekt auch vom EuGH in seinem CDC-Urteil hervorgehoben und mit dem Effektivitätsgebot verbunden.50 bb) Rechtssache Eco Swiss Diese Erkenntnis wiederum leitet über zu der Frage, welche Anforderungen daran gestellt werden müssen, wenn kommerziellen Schiedsgerichten aufgrund einer privatautonomen Vereinbarung die Anwendung solcher Normen zugestanden wird, die dem ordre public zuzurechnen sind. Einen ersten Teil der Antwort, für inländische Schiedssprüche, hatte der EuGH in der Rechtssache Eco Swiss gegeben.51 Hier wurde die Freigabe der dem europäischen ordre public zuzurechnenden Materie des Art. 81 EG (Art. 101 AEUV)52 bei einem Schiedsgericht in der EU unter den Vorbehalt gestellt, dass der Schiedsspruch danach von einem ordentlichen Gericht im Verfahren der Aufhebung und Anerkennung gegebenenfalls unter Zuhilfenahme des Vorabentscheidungsverfahrens auf eine Verletzung des Art. 81 Abs. 1 EG (Art. 101 Abs. 1 AEUV) überprüft werden kann53. Denn, so der EuGH, es bestehe ein Interesse daran, dass jede Bestimmung des Unionsrechts, unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, eine einheitliche Auslegung erfährt.54 cc) Rechtssache Achmea Während der EuGH sich in Eco Swiss also zu ausländischen Schiedsgerichten nicht äußern musste, prononciert das Achmea-Urteil die Wertungen, die zu be47 GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 59 ff. – Genentech; im Ergebnis wie hier auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (450); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (11 f., 15). 48 Baumann, in: FS Ahrens, S. 467 (479 f.); Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, S. 25, 174 ff., allerdings für eine Reform de lege ferenda, S. 182 ff., S. 226 ff. 49 Siehe dazu noch unten Kapitel 5 – A.I.2.b)aa); Kapitel 5 – B.I.2.c). 50 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 63 – CDC. 51 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269 – Eco Swiss; siehe zu diesem Urteil bereits oben Kapitel 2, Fn. 173. 52 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 36, 39 – Eco Swiss. 53 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 37, 40 – Eco Swiss. 54 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 40 – Eco Swiss.

A. Grundlagen und Vorfragen

271

rücksichtigen sind, wenn eine Streitigkeit über die Anwendung des Unionsrechts dem europäischen Gerichtssystem wenigstens potentiell vollständig entzogen wird. Soweit es hier interessiert, hatte der EuGH zu prüfen, inwieweit die Klausel eines Intra-EU-BIT, die im Streitfall die Einleitung eines Schiedsverfahrens durch eine Investorin gegen einen Vertragsstaat vorsah, mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen ist, konkret mit den Art. 344, 267 AEUV.55 Letztlich ging es also darum, inwieweit einem solchen Investitionsschiedsgericht die Anwendung des Unionsrechts übertragen werden konnte. Diese Frage war dem EuGH von dem mit einer Aufhebungsklage gem. § 1059 Abs. 2 ZPO als Rechtsmittelinstanz befassten BGH gem. Art. 267 AEUV vorgelegt worden.56 Der EuGH referierte zunächst seine vorstehend schon skizzierte Rechtsprechung zur Bedeutung des mitgliedstaatlichen Gerichtssystems für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts,57 und befand, dass der im BIT vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts durch das Investitionsschiedsgericht führen könnte58. Sodann war zu fragen, ob die Anwendung des Unionsrechts trotzdem im europäischen Gerichtssystem sichergestellt bleibe.59 Da der EuGH auch dem Investitionsschiedsgericht absprach, ein gem. Art. 267 AEUV zur Vorlage berechtigtes Gericht zu sein,60 blieb als letzte Ausfahrt für eine den Anforderungen von Art. 19 EUV genügende Beteiligung der ordentlichen Gerichte noch das Anerkennungsverfahren61. Im streitigen Sachverhalt war diese durch die Beteiligung der deutschen Gerichte sichergestellt gewesen.62 Doch das stellte mehr ein zufälliges Ergebnis dar, denn das Schiedsgericht war in der Wahl seines Sitzes frei gewesen.63 Der EuGH sah die Gefahr, dass bei der Wahl eines anderen Sitzes die dann anwendbare nationale Schiedsverfahrensordnung keine Kontrollmöglichkeit vorsehen würde; und auch der hier einschlägige § 1059 Abs. 2 ZPO ermöglichte schließlich nur eine eingeschränkte Überprüfung des Schiedsspruchs.64 Zwar konzedierte der EuGH, der an dieser Stelle den Bogen zu Eco Swiss schlug, eine solche eingeschränkte Überprüfung bei Handelsschiedsgerichten akzeptiert zu haben.65 Aber eben nur, weil das 55

EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 23 – Achmea. BGH, SchiedsVZ 2016, 328 (328). 57 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 32 ff. – Achmea. 58 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 42 – Achmea. 59 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 43 – Achmea. 60 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 49 – Achmea. 61 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 50 ff. – Achmea. 62 Die Aufhebungsklage war beim OLG Frankfurt a. M. erhoben worden, siehe OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2015, 6323. 63 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 51 f. – Achmea. 64 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 53 – Achmea. 65 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 35 f., 40 – Eco Swiss, sowie EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, ECLI:EU:C:2006:675, Rn. 34 ff. – Mostaza Claro. 56

272

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Handelsschiedsgericht – insoweit anders als ein Investitionsschiedsgericht66 – auf eine privatautonome Vereinbarung zurückzuführen sei, und vor allem nur insoweit, als die Anwendung der grundlegenden Bestimmungen des EU-Rechts vor ordentlichen Gerichten überprüfbar und das Vorabentscheidungsverfahren eröffnet bleibe.67 Und so kam der EuGH nicht etwa zu dem denkbaren Ergebnis, aus Art. 19 EUV die Vorgabe abzuleiten, bei jeder unrichtigen Anwendung des Unionsrechts einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung i. S. d. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO anzunehmen68. Vielmehr ließ der EuGH die Möglichkeit ausreichen, dass Schiedsgerichte das Unionsrecht ohne eine Kontrollmöglichkeit durch ordentliche Gerichte unrichtig anwenden könnten, um das Konzept des Intra-EU-BIT gleich in Gänze als unionsrechtswidrigen Verstoß gegen Art. 344, 267 AEUV abzuräumen.69 Diese Rechtsfolge war keine Kleinigkeit.70 Sie lässt sich dogmatisch ebenfalls dem effet utile zuordnen, allerdings nicht als Ausprägung des materiellen EU-Wettbewerbsrechts, sondern des Justizverfassungsrechts.71 3. Zusammenfassung Es zeigt sich, dass die Gemengelage zwischen europäischem Primärrecht und nationalem Kartelldeliktsrecht komplex ist. Das Primärrecht wirkt unter dem Oberbegriff der Effektivitätsmaximen auf das private enforcement ein. Zugleich berücksichtigt der EuGH in seiner Rechtsprechung zu privaten Schiedsgerichten nicht mehr nur materiellrechtliche Erwägungen, sondern auch spezifische justizverfassungsrechtliche Wertungen. Vor diesem doppelten Hintergrund sind die Anforderungen an Schiedsgerichte bei der Beilegung kartelldeliktischer Streitigkeiten zu untersuchen.

66 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 55 ff. – Achmea; der EuGH hob hervor, dass Mitgliedstaaten mit dem einem Investitionsschiedsgericht zugrundeliegenden Vertrag Streitigkeiten betreffend die Anwendung des Unionsrechts entgegen ihrer Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV dem Gerichtssystem entzögen, was geeignet sei, den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und den Charakter des durch Art. 267 AEUV abgesicherten Rechts in Frage zu stellen. 67 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 f. – Achmea. 68 Miller, EuZW 2018, 357 (361), auch mit dem Hinweis, dass diese Lösung nicht das Risiko der Wahl eines Sitzes im außereuropäischen Ausland beseitigt hätte; dazu auch Müller/ Simon, NJOZ 2018, 961 (963 f.); der Generalanwalt, der allerdings in nahezu jedem Punkt anderer Meinung als der EuGH war, hatte diese Gefahr noch für vernachlässigbar gehalten, siehe GA Wathelet, SchlA v. 19. 09. 2017, ECLI:EU:C:2017:699, Rn. 251 ff. – Achmea. 69 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 59 f. – Achmea; s. a. OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2021, 1799 Rn. 27 ff. 70 Zu den Auswirkungen auf die knapp 200 Intra-EU-BIT etwa Müller/Simon, NJOZ 2018, 961 (963 f.). 71 Wohl ebenso Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (450 f.).

A. Grundlagen und Vorfragen

273

II. Erste Vorfrage: Bindung von Schiedsgerichten an Eingriffsnormen Es ist bereits dargestellt worden, dass Eingriffsnormen eine besondere Stellung einnehmen und aus dem Chor des IPR als Solitäre herausragen.72 Zu fragen ist damit zunächst, inwieweit Schiedsgerichte an Eingriffsnormen gebunden sind und vor allem solche unionskartellrechtlicher Natur anzuwenden haben. 1. Schiedsgerichte mit Sitz in der EU Bei Schiedsgerichten mit Sitz in der EU ist die Rechtslage unproblematisch. Für Schiedsgerichte kann sich jedenfalls die Notwendigkeit zur Berücksichtigung der Eingriffsnormen der Rechtsordnung ihres Sitzes ergeben.73 Unproblematisch ist es auch, wenn in- oder ausländische Schiedsgerichte eine mitgliedstaatliche Rechtsordnung als Vertragsstatut anzuwenden haben, da so die Eingriffsnormen dieser Rechtsordnung zwanglos Anwendung finden.74 Das schließt EU-Wettbewerbsrecht ein. 2. Schiedsgerichte mit Sitz außerhalb der EU Demgegenüber rüttelt die Frage, inwieweit internationale Schiedsgerichte, die keine lex fori haben, auch drittstaatliche Eingriffsnormen berücksichtigen müssen, an schiedsgerichtlichen Grundfesten.75 Wenden sie ex officio bzw. nach dem Grundsatz iura novit curia andere Normen als die der lex causae an, zu denen die Parteien möglicherweise nicht einmal vorgetragen haben, so überschreiten sie unter Umständen ihr Mandat als „creature of contract“ und gelangen gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) UNÜ zu einer Rechtsanwendung ne ultra petita. Wenden sie diese Normen aber nicht an, so riskieren sie, dass entweder der Staat am Sitz des Schiedsgerichts 72

S. o. Kapitel 2 – D.I. Das gilt dann, wenn diese Normen betroffen sind; dazu ausführlich Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2918 ff.; s. a. Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (295); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 120, 136 ff. m. w. N. 74 Dass Schiedsgerichte die Eingriffsnormen der lex causae anzuwenden haben, solange der Streitgegenstand schiedsfähig ist, ist unstreitig, siehe schon P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 277 ff. (1986); ebenso Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 108 ff.; Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 90 ff.; Bermann, International Arbitration, Rn. 449; Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (295); di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (358 f.); Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2908 ff., 2916 f.; Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (88); dies gilt auch für Eingriffsnormen von Drittstaaten, wenn diese nach dem Recht der lex causae berücksichtigt werden können, etwa nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO. 75 Zum nachstehenden Zielkonflikt grundlegend P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, passim (1986); siehe etwa auch Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 144 ff.; Cordero-Moss, in: Limits to Party Autonomy, S. 289 (289 ff.); Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (295); Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 921 ff. (2016); Werner, 12 J. Arb. Int’l 21, 22 f. (1995); Jarvin, 2 Arb. Int’l 140, 156 (1986). 73

274

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

den Schiedsspruch aufhebt oder andere Staaten im Anerkennungsverfahren dem Schiedsspruch unter Rekurs auf Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ wegen der im Kartellrecht bestehenden Überschneidungen von Eingriffsnormen und ordre public76 die Vollstreckung verweigern. a) Stimmen wider die Anwendung durch Schiedsgerichte Gegen die Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen wird vor allem angeführt, dass die Schiedsrichter:innen ihre Autorität ausschließlich aus der Schiedsvereinbarung gewönnen und deshalb auch nicht dazu angehalten oder auch nur dazu berechtigt seien, die Interessen von Staaten zu berücksichtigen.77 Es gebe zwar Bestrebungen, mit dem Schiedsspruch nicht gegen den die öffentliche Ordnung eines Drittstaats zu verstoßen, aber wenn ein solches Ergebnis nach der von den Parteien gewählten Rechtsordnung das angezeigte sei, sei das nicht zu vermeiden und berechtige Schiedsrichter:innen nicht, sich hierüber hinwegzusetzen.78 Das Schiedsgericht könne sich gerade mit dem Gedanken trösten, dass der Schiedsspruch in der Rechtsordnung, in der ein ordre public-Konflikt bestehe, nicht vollstreckbar sei.79 Die Entscheidung nach der prospektiven Vollstreckbarkeit auszurichten sei aber verfehlt, da gar nicht absehbar sei, wo diese betrieben werden solle;80 auch könnten Parteien den Sitz eines Schiedsgerichts gerade deshalb wählen, weil er einen geringen Bezug zu ihnen aufweise81. Dessen ungeachtet sei der Schiedsspruch für die Parteien nicht wertlos, da sich unter der Vielzahl der Signatarstaaten des UNÜ mit einiger Wahrscheinlichkeit einer finden lasse, in dem erfolgreich vollstreckt werden könne.82 Wenngleich dünn gesät, scheint die schiedsgerichtliche Praxis – und die der staatlichen Gerichte im Anerkennungsverfahren – mit solchen Erwägungen auch der Parteiautonomie den Vorzug zu geben.83 76

Siehe dazu oben Kapitel 2 – D.II. Bogdan, Private International Law, S. 251 f.; kritisch auch Lorenzo, 12 Y.B. Priv. Int’l L., 67 (86 ff.) (2010); van Houtte, EBLR 2008, 63 (67), der allerdings eine Bindung an die Eingriffsnormen der lex arbitri annimmt. 78 Bogdan, Private International Law, S. 251 f. 79 Bogdan, Private International Law, S. 253. 80 Van Houtte, EBLR 2008, 63 (68); insoweit kritisch auch Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 95 f. 81 Bermann, International Arbitration, Rn. 452 ff.; Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2919 f.; di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (365 f.). 82 Bogdan, Private International Law, S. 254. 83 Siehe die Nachweise bei Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 914 ff. (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (834); s. a. Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2925, mit Nachweisen zu Fällen, wo die Anwendung – nicht etwa die Nichtanwendung – drittstaatlicher Eingriffsnormen zur Aufhebung des Schiedsspruchs führte; zu einem anderen Ergebnis kommt Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 139 ff. Einen Einblick liefert der Schiedsspruch Accentuate v Asigra v. 03. 03. 2008, Rn. 18 ff., abgedruckt im korrespondieren Urteil im Exequaturverfahren, Accentuate v Asigra [2009] EWHC 2655 (QB), Rn. 73: „There may be interesting academic and intriguing domestic and international policy 77

A. Grundlagen und Vorfragen

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In praktischer Hinsicht bereitet zudem die Kakofonie potentiell anwendbarer Eingriffsnormen Probleme. In Betracht kämen neben denen der lex causae auch die des Sitzes des Schiedsgerichts, des Orts der Vertragserfüllung oder desjenigen, an dem der Schiedsspruch mutmaßlich vollstreckt werden soll.84 Weitere Rechtsordnungen – etwa die, deren Märkte nach dem Auswirkungsprinzip betroffen waren – sind denkbar. Das würde zu der paradoxen Situation führen, Schiedsgerichte in einem stärkeren Maß an Eingriffsnormen zu binden als staatliche Gerichte, die nur die Anwendung der Eingriffsnormen ihrer lex fori schulden.85 Vorschriften wie Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, der ordentlichen Gerichten innerhalb der EU die Möglichkeit gibt, drittstaatliche Eingriffsnormen zu berücksichtigen, stellten im internationalen Vergleich Ausnahmevorschriften dar.86 Ein Problem der Anwendung ex officio sei im Übrigen, dass sie das rechtliche Gehör der Parteien verletze87 und praktisch für ein Schiedsgericht kaum durchzuführen sei, da es ohne korrespondierenden Parteivortrag die benötigten ökonomischen Daten seiner Entscheidung nicht zugrunde legen könne88. b) Stimmen für die Anwendung durch Schiedsgerichte Demgegenüber argumentieren Verfechter:innen einer Anwendung von zwingenden Regeln durch Schiedsrichter:innen zumeist damit, dass Schiedsgerichte nicht im luftleeren Raum und auch nicht als alleinige Diener der Parteiinteressen agierten, sondern eine justizähnliche Stellung einnähmen, deren Funktion sie auf die Ein-

reasons why an arbitral tribunal should or should not apply non lex contractus mandatory rules of law to certain situations, [but] this does not justify restricting the parties’ freedom to choose a desired governing law in Ontario.“ Der High Court erkannte diesen Schiedsspruch, der sehenden Auges gegen zwingendes Unionsrecht verstieß, zwar nicht an, beeilte sich aber noch herauszustellen, dass nichts an dieser Entscheidung eine Kritik des Schiedsgerichts darstelle, sondern dieses zutreffend auf Grundlage der Parteivereinbarung gehandelt habe, Accentuate v Asigra [2009] EWHC 2655 (QB), Rn. 96. 84 Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (295); s. a. Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (61 f.). 85 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (377); dafür Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.429. 86 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (365 ff.); einen ähnlichen Regelungsgehalt hat etwa Art. 19 des Schweizerischen IPRG, § 187(2)(b) des Restatement (Second) of Conflict of Laws sowie die Regelungen in Art. 11 der Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts, die sich freilich gerade für Schiedsgerichte nicht abschließend positionieren, siehe Art. 11 Abs. 5; zu diesem Punkt Kramer, in: Ferrari (Hrsg.), S. 285 (309 ff.); Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2922 f. 87 Zur Gefahr einer Aufhebung gem. Art. 5 Abs. 1 lit. b), lit. d) UNÜ Cordero-Moss, in: Limits to Party Autonomy, S. 289 (305 ff.); für einen Vergleich der Situation vor ordentlichen Gerichten EuGH, Urt. v. 14. 12. 1995, ECLI:EU:C:1995:441, Rn. 15, 22 – van Schijndel und van Veel; GA Saggio, SchlA v. 25. 02. 1999, ECLI:EU:C:1999:97, Rn. 21 ff. – Eco Swiss; vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung bei Blanke/Landolt/de Groot, Rn. 16 – 001 ff. 88 Van Houtte, EBLR 2008, 63 (66).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

haltung von Eingriffsnormen verpflichte.89 Aufgrund dieser Stellung sei es nicht erforderlich, dass die Parteien das Schiedsgericht expressis verbis zur Einhaltung der relevanten Eingriffsnormen verpflichteten, die Kompetenz ergebe vielmehr sich ungeschrieben aus den implied powers der institutionellen Stellung als Schiedsgericht.90 Auch die Prozessökonomie spreche dafür.91 Ein allgemeines Prinzip der Anwendung von Eingriffsnormen durch Schiedsgerichte sei im Entstehen begriffen.92 Zudem handele es sich nicht um eine Rechtsanwendung ultra petita, wenn das Schiedsgericht, nachdem es die Parteien eingeladen habe, ihre Rechtsansichten vorzutragen, eine eigene und möglicherweise abweichende rechtliche Argumentation zur Frage des anwendbaren Rechts aufgrund der beigebrachten Tatsachen entwickele.93 Teils wird auch vertreten, das Kartellrecht sei Teil eines transnationalen ordre public.94 Daneben stellt eine Vielzahl an Stimmen, die eine Anwendung von Eingriffsnormen befürworten, auf die Pflicht der Schiedsrichter:innen ab, einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu produzieren.95 Diese Pflicht findet sich teils in Schiedsordnungen,96 wird aus diesen ebenso wie aus Schiedsverträgen hergeleitet,97 und bekanntlich wurde mit dem Vorbehalt des ordre public und der Gefahr der Nichtvollstreckung auch in Mitsubishi und Eco Swiss gedroht98. 89 Blanke/Landolt/de Groot, Rn. 16 – 126; di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (371); P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 285 (1986); ähnlich Cordero-Moss, in: Limits to Party Autonomy, S. 289 (312); Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (93 f.). 90 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (370 f.); zum Begriff der implied powers (oft auch inherent powers) siehe International Law Association, Inherent and Implied Powers of Arbitrators: Report for the Biennal Conference in Washington D.C. (2014). 91 Andernfalls müsse das Schiedsgericht sein Verfahren aussetzen, wann immer eine Partei die Anwendbarkeit einer zwingenden Norm behaupte, P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 285 (1986). 92 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (372) unter Verweis insbesondere auch auf Art. 11 Abs. 5 Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts. 93 Cordero-Moss, in: Limits to Party Autonomy, S. 289 (322 ff.); Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1132; in diese Richtung wohl auch Schmidt, BB 2006, 1397 (1399); Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (212). 94 So wohl Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (213); für den Fall von Hard-core-Verstößen Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (94 ff.); Meinhardt/Ahrens, SchiedsVZ 2006, 182 (187 f.) m. w. N., mit kritischer Besprechung der abweichenden Rechtsprechung des Schweizerischen BGer, BGE 132 III 389 (passim); kritisch dazu auch Orth, ZWeR 2018, 382 (385 f.); zustimmend aber van Houtte, EBLR 2008, 63 (66). 95 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (370); Rosenfeld, in: Ferrari (Hrsg.), S. 245 (251 f.); Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1132; Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (11); Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (94); bereits Jarvin, 2 Arb. Int’l 140, 155 (1986); P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 284 (1986); s. a. Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (61 ff.). 96 Siehe etwa Art. 42 ICC-SchO 2017, Art. 32.2 LCIA-SchO 2014; so auch Nazzini, EBLR 2008, 89 (104 ff.). 97 BGH, NJW 1986, 3077 (3077 f.); Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 167 ff. 98 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985); EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 36 ff. – Eco Swiss; insbesondere aus Eco Swiss wird eine solche faktische Pflicht abgeleitet, siehe etwa Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l

A. Grundlagen und Vorfragen

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Teils wird daran erinnert, dass sich Schiedsgerichte nicht über den erkennbaren Willen von Staaten hinwegsetzen könnten, auf deren Kooperation und Akzeptanz die Schiedsgerichtsbarkeit genauso fuße wie auf der Parteiautonomie.99 Zudem blieben Schiedsgerichte auf die Kooperation staatlicher Gerichte an ihrem Sitz angewiesen, sowohl im Erkenntnisverfahren als auch mit Blick auf eine spätere Aufhebung und potentiell weitreichenden Folgen für die Anerkennung auch in anderen Ländern.100 Der Sinn von Eingriffsnormen sei gerade, einer „Internationalisierung der Streitigkeit“ entgegenzuwirken; wenn es Parteien und Schiedsrichter:innen im nationalen Kontext nicht erlaubt werde, zwingendes Recht abzuwählen, müsse dies auch im internationalen Kontext gelten.101 Eingriffsnormen seien eine inhärente Einschränkung der Privatautonomie und setzten so auch der Wahl einer anderen Rechtsordnung aus übergeordneten Gemeinwohlerwägungen Grenzen.102 Die Rechtswahl erstrecke sich deshalb nur auf vertragliche Ansprüche.103 Die praktischen Probleme bei der Bestimmung der anwendbaren Eingriffsnormen ließen sich wegen des großen Ermessens, welches Schiedsgerichten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts zukäme, lösen.104 Auch in der schiedsgerichtlichen Praxis finden sich Beispiele, in denen Schiedsgerichte Ansprüche einer anderen Rechtsordnung als der von den Parteien gewählten lex causae erwägen, und teils werden Regeln auch ex officio angewandt.105

L. & Pol. 867, 915 (2016); Meinhardt/Ahrens, SchiedsVZ 2006, 182 (185); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (10 f.); wohl auch Langen/Bunte/C. Stadler, § 185 GWB Rn. 247; zu den indirekten Auswirkungen der Drohung mit einer Aufhebung auch Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (65 ff.). 99 Blanke, EBLR 2005, 169 (179); in diese Richtung auch LMRKM/Meessen/Funke, Europäisches Recht, 1. Teil, Int. KartR. EU Rn. 156. 100 Asensio, in: Ferrari (Hrsg.), S. 177 (230 ff.); ähnlich Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (271). 101 P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 284 f. (1986). 102 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 909 f. (2018); wohl ähnlich Reithmann/ Martiny/Hausmann, Rn. 8.426 ff.; Zöller/Geimer, § 1051 ZPO Rn. 4. 103 Cordero-Moss, in: Limits to Party Autonomy, S. 289 (311); nicht unähnlich ist, aus einer privatrechtlichen Perspektive, auch das Argument, Schiedsvereinbarungen seien weiter zu interpretieren als Rechtswahlklauseln und würden deshalb den Schiedsgerichten auch die Kognitionsbefugnis über diese außervertraglichen, nach einer dritten Rechtsordnung zu entscheidenden Ansprüche geben; Bermann, International Arbitration, Rn. 459 ff.; zu dem Argument, dass sich Rechtswahlklauseln nur auf den vertraglichen Teil erstrecken, auch Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2917 mit Nachweisen aus der schiedsgerichtlichen Praxis. 104 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (375 ff.). 105 Siehe die Nachweise bei Bermann, International Arbitration, Rn. 467, Fn. 1145; Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2920 f.; ältere Beispiele bei P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 285 (1986); Beispiele für Anwendungen ex officio bei Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1131 f., II, S. 2929 f.; van Houtte, EBLR 2008, 63 (65 ff.); für eine Anwendung ex officio auch Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (121); Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (99 f.).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

c) Ethische Pflicht zur Anwendbarkeit Eine weitere Ansicht stellt daneben weniger auf eine rechtliche als vielmehr auf eine zumeist als ethisch bezeichnete Pflicht zur Anwendung von Eingriffsnormen ab.106 Schiedsrichter:innen dürften sich nicht zum Werkzeug einer Partei machen, die eine Umgehung staatlicher Eingriffsnormen zum Ziel habe.107 Es sei die Pflicht von Schiedsrichter:innen, durch die Berücksichtigung der Interessen der Staaten dazu beizutragen, dass die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit in ihrer derzeitigen liberalen Form fortbestehen könne.108 Daneben wird auch angeführt, Schiedsgerichte seien die Wächter der internationalen Handelsordnung und müssten in besonderer Weise darauf hinwirken, dass diese hohen kaufmännischen Standards gerecht werde.109 d) Stellungnahme Manch ein Jurist sieht in der Problematik, ob und inwieweit Schiedsgerichte Eingriffsnormen anzuwenden haben, eine Glaubensfrage.110 Nach hier vertretener Auffassung sind die freie Rechtswahl der Parteien und in Ermangelung einer solchen das Ermessen des Schiedsgerichts, auf einem methodisch vertretbaren Weg zu einer anwendbaren lex causae zu gelangen, für den internationalen Handelsverkehr und die Streitbeilegung im Kontext desselben essentiell. Gleichermaßen selbstverständlich sollte es daneben sein, dass die Internationalisierung einer Streitigkeit diese nicht in eine rechtsfreie Zone bringen kann. Die Berücksichtigung von Eingriffsnormen kategorisch abzulehnen ist eine libertär anmutende111 Auffassung, die weder dogmatisch noch rechtspolitisch überzeugt. In gleicher Weise ist die Ansicht abzulehnen, wonach eine Pflicht der Schiedsrichter:innen, einen vollstreckbaren Schiedsspruch zu produzieren, schon ausreiche, um das Spannungsfeld befriedigend aufzulösen. Eine solche Pflicht kann, wenn sie besteht, die im Verhältnis der Schiedsparteien getroffene Rechtswahl nicht überschreiben.112 Eine Selbstverpflichtung, Eingriffsnormen aus Sorge um den Fortbestand der Schiedsgerichtsbarkeit zur Anwendung zu bringen, ist demgegenüber überhaupt keine Pflicht, sondern allenfalls ein hehres Ziel und damit unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten 106 Siehe die Darstellung bei Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (345 ff.); di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (373); mit dieser Pflicht – und den negativen Auswirkungen auf die Reputation der Schiedsrichter:innen, wenn sie hiergegen verstoßen – argumentiert auch Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 925 (2016). 107 Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (345 f.). 108 P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 285 f. (1986). 109 Jarvin, 2 Arb. Int’l 140, 155 f. (1986). 110 Blanke/Landolt/de Groot, Rn. 16 – 130, m. w. N., zur Anwendung ex officio. 111 Ähnlich auch schon P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 284 (1986); „Finally, many jurists have a liberal philosophy which makes them loath to aid and abet the process of State interventionism.“ 112 Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2914.

A. Grundlagen und Vorfragen

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nur von überschaubarem Wert.113 Aus der Perspektive des effet utile europäischer Wettbewerbsvorschriften kann die Antwort deshalb nur lauten, dass Schiedsgerichte an Eingriffsnormen gebunden sind. Andernfalls bestünde die Möglichkeit, dass Wettbewerbsverstöße, die sich auf den Binnenmarkt auswirken, nicht kartelldeliktisch kompensiert werden können. Das wäre ein offensichtlicher Widerspruch zur praktischen Wirksamkeit des Art. 101 AEUV. Zu konzedieren ist gleichwohl, dass es erheblicher dogmatischer Verrenkungen bedarf, um die Bindung eines Schiedsgerichts an Eingriffsnormen wiederherzustellen, wenn die Parteien das Band zur lex fori erst einmal auf diese Weise durchtrennt haben. Das IPR und die sich selbst zur Anwendung bringenden Eingriffsnormen funktionieren konzeptionell über ein Forum. Staatliche Gerichte sind die Wächter dieses Forums, Schiedsgerichte sind es nicht. Die wünschenswerte Antwort hierauf wäre eine eher unwahrscheinliche internationale Vereinheitlichung, etwa eine Neufassung des UNÜ. Der zutreffende Ansatzpunkt mit dem gegebenen Regelungsrahmen ist nach hiesiger Auffassung, den öffentlich-rechtlichen Charakter der Eingriffsnormen als Schranke der Rechtswahlklausel zu betonen.114 Wie jede andere Freiheit auch findet die Freiheit, die Rechtsordnung abzuwählen, ihre Grenzen in übergeordneten Gemeinwohlerwägungen. Diese bringen Staaten in Normen zum Ausdruck, deren zwingende Anwendbarkeit sie für alle Fälle anordnen und dadurch die Freiheit zur Rechtswahl durchaus auch mit Blick auf die späteren Verfahren, in denen Eingriffsnormen relevant werden, beschränken.115 Dass es Teil der Privatautonomie sein soll, diese fundamentalen Wertentscheidungen durch eine einfache Vereinbarung umgehen zu können, überzeugt hingegen weder im nationalen noch im internationalen Kontext.116 Vielmehr schwingt in der staatlichen Entscheidung, den legislatorischen Rahmen für eine den Anforderungen des UNÜ entsprechende schiedsfreundliche Haltung zu bereiten und auch die eigene Prüfungskompetenz zurückzunehmen, die berechtigte und für Schiedsgerichte verpflichtende Erwartung mit, die staatliche Autorität zu respektieren und diese als zweites Standbein ihrer sonst aus dem Vertrag gespeisten Legitimation anzusehen. Das hilft dabei, die absolute Fixierung auf den Parteiwillen zu überwinden, und sich daran zu erinnern, dass Schiedsgerichte, wenn sie einen den staatlichen Gerichten vergleichbaren Rechtsschutz bieten wollen, sich auch an ähnlichen Grundentscheidungen messen lassen müssen.117 113 In diesem Sinne auch Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 913 (2018); Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2914. 114 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 908 f., 922 ff. (2018); wohl ähnlich Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2913 ff.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.426 ff.; Zöller/Geimer, § 1051 ZPO, Rn. 4. 115 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 908 f., 922 ff. (2018). 116 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 910 (2018); P. Mayer, 2 Arb. Int’l 274, 284 f. (1986); s. a. Elsing, in: FS Mailänder, S. 87 (93 f.). 117 Zum Gleichwertigkeitspostulat siehe bereits oben Kapitel 2 – A.III.; in diesem Sinne speziell für die Schiedsgerichtsbarkeit in Kartellsachen auch Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 923 f. (2016); vgl. auch Carbonneau, 40 Me. L. Rev. 263, 286 (1988).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Praktisch jedenfalls sollte die Berücksichtigung von Eingriffsnormen in Kartellschadensersatzprozessen Schiedsgerichte nicht vor unüberwindbare Probleme stellen. Diese sind vergleichsweise leicht zu identifizieren, da sie selbstleuchtend118 sind, also bei den hier in Rede stehenden Hard-core-Verstößen durch das Auswirkungsprinzip119 untersucht werden muss, auf welche Märkte, auf denen die Parteien des Rechtsstreits aktiv sind, sich die wettbewerbsbeschränke Abrede der Kartellantinnen ausgewirkt hat.120 Das stellt zumindest einen für Schiedsgerichte handhabbaren Maßstab dar. Nicht selten wird es zudem eine vorhergehende Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde geben. Da es sich um eine adversiale Situation handelt, in der die Kartellgeschädigte Schadensersatz im private enforcement fordert, hat – in bester Tradition der Funktionalisierung von Privatklägerinnen zur Erreichung auch überindividueller Ziele – nicht nur der Staat mit seinen regulatorischen Vorstellungen,121 sondern auch eine Partei ein Interesse daran, diese Normen zur Anwendung zu bringen, und wird dem Schiedsgericht einen entsprechenden Sachvortrag unterbreiten. Das führt zur Kongruenz von öffentlichen und privaten Interessen bei der Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen und schließt auch einen Gehörsverstoß aus.122 Es wird also insbesondere nicht – als Reminiszenz zur historischen Einleitung – darum gehen, dass Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts wählen, um so gerade die wettbewerbswidrige Abrede zu implementieren.123 Worum es aber geht, ist eine Balance zwischen Privatautonomie und weiteren gesellschaftlichen Grundentscheidungen. Auch dieser Ansatz ist von der jeweiligen lex fori gedacht und deshalb nicht vor den damit einhergehenden praktischen Problemen gefeit, denn er vermag konzeptionell eine Bindung des Schiedsgerichts an Eingriffsnormen herzustellen, die tatsächliche Anwendung aber nicht zu garantieren. Das folgt letztlich aus der einer Rechtsordnung zumindest faktisch auferlegten Grenze der Territorialität. Zur Wahrheit gehört deshalb auch, dass dieser Ansatz in einigen Rechtskreisen, unter 118 Mistelis, in: Berman/Mistelis (Hrsg.), S. 291 (297): „self-luminous“; ausführlich zu der Frage, wie das Kartellrecht die anzuwendenden Eingriffsnormen zu identifizieren hat Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 172 ff.; umfassend zum Auswirkungsprinzip als „Ausweg aus dem kollisionsrechtlichen Dilemma“ der Schiedsgerichtsbarkeit in Kartellsachen Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 234 ff.; teils a. A. Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 171 f.; allgemein Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 121 ff. 119 Zur Anknüpfung über das Auswirkungsprinzip im US-amerikanischen und unionsrechtlichen Wettbewerbsrecht Kapitel 2 – C.I.4.; Kapitel 2 – C.II.4. 120 So auch di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (375 ff.). 121 di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (364 f.). 122 Zu diesem und zur Anwendung ex officio auch zutreffend Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 206 ff. 123 Nach Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 214 ff. haben Schiedsrichter:innen dies unter Berufung auf einen transnationalen ordre public zu ignorieren; di Brozolo, in: Ferrari (Hrsg.), S. 351 (374 f.) meint, dass Schiedsrichter:innen in einem solchen Fall ihr Mandat niederlegen müssten.

A. Grundlagen und Vorfragen

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anderem auch angelsächsisch geprägten, auf weniger Verständnis stoßen wird,124 und sich einige Fälle positiver Kompetenzkonflikte nur lösen lassen, indem das Schiedsgericht entweder einen der Aufhebungsklage ausgesetzten oder in einer anderen Rechtsordnung nicht anerkennungsfähigen Schiedsspruch produziert125. Die sich daran anschließende Frage ist, wie viel Pragmatismus das Unionsrecht erlaubt und welche Kompromisse europäische Gerichte angesichts dieser jedenfalls de facto möglichen Nichtbeachtung von Eingriffsnormen durch ausländische Schiedsgerichte einzugehen gewillt sind.126 3. Zusammenfassung Nach alledem ist auf die erste Vorfrage zu antworten, dass auch internationale Schiedsgerichte Eingriffsnormen anzuwenden haben. Deren öffentlich-rechtlicher Charakter ist dem effet utile des Art. 101 AEUV zuzurechnen und damit eine immanente Beschränkung der in einer abweichenden Rechtswahl verkörperten Privatautonomie.

III. Zweite Vorfrage: Zur Kontrollmöglichkeit der Kartellrechtsanwendung durch ordentliche Gerichte Die zweite Vorfrage knüpft an Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ an. Wie schon geschildert ist der „zweite Blick“, der von staatlichen Gerichten durch die Brille des ordre public im Rahmen der Aufhebungs- und Anerkennungsverfahren127 auf die Schiedssprüche geworfen wird, eine allgemein akzeptierte Art der Kontrolle.128 Sie ist auch notwendig, um ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit als Korrelat zur Möglichkeit, Streitigkeiten – wie die historische Erfahrung der deutschen Kartellschiedsgerichtsbarkeit zeigt, solche über Wettbewerbsrecht zumal129 – aufgrund privatautonomer Vereinbarung den ordentlichen Gerichten zu entziehen, zu gewährleisten.130 Wird der vom Schiedsgericht entschiedene Fall in rechtlicher und tatsächlicher 124

Accentuate v Asigra [2009] EWHC 2655 (QB), Rn. 73, 96; siehe auch unten Kapitel 5, Fn. 674. 125 Das ist namentlich der Fall, wenn eine Anwendung ex officio von EU-Wettbewerbsrecht durch das Schiedsgericht dazu führt, dass Gerichte eines Drittstaats von einer Rechtsanwendung ultra petita gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) UNÜ ausgehen. 126 S. u. ausführlich Kapitel 5 – B.II. 127 Zu diesen Kapitel 2 – E.V. 128 S. o. Kapitel 2 – B.V. 129 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (406); s. a. oben Kapitel 2 – B.II.2. 130 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (406); allgemein zur Notwendigkeit der ex postKontrolle Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 270; Musielak/Voit/ Voit, § 1059 ZPO Rn. 1; BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, § 1025 ZPO Rn. 2.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Hinsicht aber neu aufgerollt und durch die staatlichen Instanzen getrieben, konterkariert das die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit, widerspricht es dem Verbot der révision au fond und verkommt die Schiedsgerichtsbarkeit zu einem kostspieligen Vorverfahren der ordentlichen Gerichte.131 Bei einer nur kursorischen Prüfung ist demgegenüber für die rechtsstaatlichen Garantien der im Schiedsverfahren unterlegenen Partei nichts gewonnen. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die ex postKontrolle seit jeher.132 1. Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Schiedsgerichte Für diese Prüfung können inländische und ausländische Schiedssprüche gleichbehandelt werden. Ein Unterschied zwischen ordre public interne und ordre public international ist, so er denn existiert, im hier interessierenden Kontext zu vernachlässigen.133 Ausgegangen wird also von der Situation, dass eine Prüfung im Aufhebungs- bzw. Anerkennungsverfahren erfolgt, weil ein Schiedsspruch innerhalb der EU ergangen ist oder hier zumindest vollstreckt werden soll.134 2. Zum Streit um den anwendbaren Prüfungsmaßstab Die Diskussion um den auch international sehr unterschiedlich bewerteten Prüfungsmaßstab kennt im Wesentlichen einen maximalistischen und einen minimalistischen Ansatz.135 In diesen Ansätzen werden zwei Fragestellungen verbunden. Zum einen wird unterschiedlich aufgefasst, ob die Überprüfung kartellrechtlicher Schiedssprüche sich auch auf einen „Begriffshof“ der Wettbewerbsvorschriften oder nur auf deren Kern erstreckt, zum anderen, wie genau – in tatsächlicher wie recht-

131 Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 25, 270, 282; Zöller/Geimer, § 1059 Rn. 75; MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 7a. 132 Blanke bezeichnet dies als Unendliche Geschichte, vgl. den Beitrag in Bray/Bray (Hrsg.), S. 169. 133 BGH, NJW 2009, 1215 (1216) („allenfalls geringfügig[e] Abweichung“); s. a. BGH, SchiedsVZ 2018, 53 (59); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 279 f., 284; Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 260 f.; BeckOGK/Stürner, Art. 6 EGBGB Rn. 171 ff. 134 Der Frage, ob weitergehende Sicherungsmaßnahmen im Einredeverfahren erforderlich sind, um sicherzustellen, dass es zu einer solchen überhaupt kommt, wird im Rahmen der hier als zweiten Kardinalfrage bezeichnete Problemstellung nachgegangen, dazu Kapitel 5 – B. 135 Vgl. überblicksweise mit Nachweisen aus der Rechtsprechung etwa Geradin/Villano, 40 World Competition 67, 90 (2017); Korzun, 48 N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 867, 906 ff., (2016); Reidlinger/Ionescu/Kustor, G.C.R.L. 2016, 109 (114 f.); Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 29 ff.; Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 175 ff.; Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (214 ff.); Münch, in: FS Rüßmann, S. 865 (passim).

A. Grundlagen und Vorfragen

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licher Hinsicht – ein ordentliches Gericht den Schiedsspruch zu kontrollieren hat.136, 137 a) Minimalistischer Ansatz Nach einer vielfach vertretenen Auffassung138 beschränkt sich die Kontrolle der Wahrung des ordre public auf eine minimalistische Prüfung. Insbesondere in Frankreich ist eine solche Lesart vorherrschend; nach der Rechtsprechung zu den kartellrechtlichen Fällen Thales und Cytec muss ein solcher Verstoß „flagrant, effectif et concrète“ sein.139 Alles andere widerspreche dem Grundsatz, dass auch eine sachlich falsche Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht hinzunehmen sei, und führe zu einer nicht vorgesehenen révision au fond.140 Insoweit wird auf die Rechtsprechung des EuGH verwiesen, der in Eco Swiss geurteilt hatte, das Erfordernisses der Effizienz des Schiedsverfahrens könne es „je nach Lage des Falles“ rechtfertigen, „Schiedssprüche nur in beschränktem Umfang zu überprüfen.“141 Zudem habe der EuGH für die ordentliche Gerichtsbarkeit in der Rechtssache Renault entschieden, dass auch eine mögliche Verkennung von Art. 86 EGV (Art. 102 AEUV) durch ein Gericht nicht zur Verweigerung der Urteilsanerkennung durch das Vollstreckungsgericht gem. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ berechtige, und dies, bevor der ordre public-Vorbehalt in seiner heutigen Form gem. Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel IaVO noch um das Erfordernis des „offensichtlichen“ Widerspruchs erweitert wurde.142 In Deutschland wird auf die neuere Rechtsprechung des BGH seit 2014 136 Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (14 f.); zum „Begriffshof“ Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 867; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 325. 137 Für die parallele Diskussion um ein Wirkungsprivileg von Vergleichen siehe etwa Tillwich, Kartellverbot, S. 76 ff.; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 38 m. w. N. 138 Zur Auffassung der US-amerikanischen Gerichte siehe Baxter Int’l, Inc. v. Abbott Labs., 315 F.3d 829, 832 (7th Cir. 2003): „Mitsubishi did not contemplate that, once arbitration was over, the federal courts would throw the result in the waste basket and litigate the antitrust issues anew. That would just be another way of saying that antitrust matters are not arbitrable“; dazu bereits oben Kapitel 3 – D.II. 139 Cour de Cassation, RevArb 2008, 473 (478 ff.) – Cytec; Cour d’appel de Paris, RevArb 2005, 751 (758 f.) – Thalès; ebenso Cour de Cassation, RevArb 2012, 76 (78); aus Belgien Cour d’appel de Bruxelles, RevArb 2009, 574 (584 ff.) – Cytec; zustimmend Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 349; Reidlinger/Ionescu/Kustor, G.C.R.L. 2016, 109 (115 ff.); Kasolowsky/Steup, SchiedsVZ 2008, 72 (75 f.); dazu auch Tillwich, Kartellverbot, S. 106. 140 Cour de Cassation, RevArb 2008, 473 (478 ff.) – Cytec. 141 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 32, 35 – Eco Swiss; in diesem Sinne Kasolowsky/Steup, SchiedsVZ 2008, 72 (73); siehe zu dieser Rechtsprechung auch EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea; EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, ECLI:EU:C:2006:675, Rn. 34 – Mostaza Claro. 142 Komninos, in: Basedow et al. (Hrsg.), S. 191 (219 f.) unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 11. 05. 2000, ECLI:EU:C:2000:225, Rn. 30 ff. – Renault: s. a. EuGH, Urt. v. 16. 07. 2015, ECLI: EU:C:2015:471, Rn. 47 ff. – Diageo Brands.

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verwiesen; diese betone das Erfordernis einer offensichtlichen Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts.143 Ein solches hatte der deutsche Gesetzgeber in den §§ 1041, 1044 ZPO a. F.144 vorgesehen. § 1059 ZPO in seiner heutigen Fassung enthält dieses Kriterium demgegenüber nicht mehr. Der Gesetzgeber habe es aber mit der bloß redaktionellen Novellierung nicht streichen wollen.145 Schon zuvor ist ein einschränkender Ansatz über die Idee eines Begriffshofs entwickelt worden. Hiernach haben dem ordre public zuzurechnende Normen einen Begriffskern, der ihre klare Stoßrichtung bildet, sowie einen Begriffshof im Randbereich, in dem sich typischerweise Meinungsverschiedenheiten ergäben.146 Entscheidend für diese Auffassung spreche weniger die hierdurch erlangte Rechtssicherheit als vielmehr die Erwägung, dass nicht jeder Schiedsspruch, der eine später vom ordentlichen Gericht nicht geteilte Auslegung einer zwingenden wirtschaftspolitischen Vorschrift zum Gegenstand habe, zwingend einen Verstoß gegen den ordre public darstellen solle.147 Hierbei sei auch zu beachten, dass gerade wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten faktenintensiv seien.148 Später auftretende ernsthafte Zweifel etwa an der vom Schiedsgericht vorgenommenen Marktabgrenzung oder der Vertretbarkeit der rechtlichen Würdigung des Schiedsgerichts begründeten deshalb keine ordre public-Widrigkeit.149 Regelmäßig sei ein flagranter Verstoß auch ausgeschlossen, wenn keine Partei die wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkte im

143 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 31 unter Verweis auf BGH, NJW 2014, 1597 (1597 f.) („Die Annahme (…), dass ein Widerspruch gegen den ordre public nur bei „offensichtlicher“ Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts vorliege und daher der Einwand einer Verletzung des ordre public nur in „extremen Ausnahmefällen“ greife, ist zutreffend“); in diesem Sinne auch BGH, SchiedsVZ 2018, 53 (59); BGH, BeckRS 2016, 2020, Rn. 10 (jeweils keine kartellrechtlichen Sachverhalte); Baumert, SchiedsVZ 2014, 139 (139 ff.); unklar Langen/Bunte/C. Stadler, § 185 GWB Rn. 247. 144 Siehe dazu BGH, NJW 2014, 1597 (1598); BGBl. 1986, I, S. 1152. 145 Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 325; ausführlich zur Genese der Norm Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 256 ff. 146 Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 325, 349; Steindorff, WuW 1984, 189 (198); Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 867; diesen zustimmend Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 193 ff.; der Sache nach auch Heukamp, Schiedszusagen S. 166 ff.; Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 70 f.; wohl auch OLG München, NZKart 2015, 198 (201) – Pechstein. 147 Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 325; in diesem Sinne auch Bosch, in: FS Bechtold, S. 59 (66 ff.). 148 Blanke/Landolt/de Groot, Rn. 16 – 050; für eine Bindung des ordentlichen Gerichts an den vom Schiedsgericht festgestellten Sachverhalt auch Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (217); Münch, in: FS Rüßmann, S. 865 (882); Zöller/Geimer, § 1059 ZPO Rn. 53; insoweit aber a. A. Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 37. 149 Bechtold, NZKart 2020, 459 (464); Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 349; Möller, in: FS Schlosser, S. 599 (604 f.); so im Ergebnis auch MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 899.

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Verfahren vorgetragen habe.150 Auch in die obergerichtliche Rechtsprechung haben diese Erwägungen bereits Einzug gehalten.151 b) Maximalistischer Ansatz Ebenso häufig, in Deutschland zumal, findet sich daneben allerdings die Annahme, dass einem Schiedsgericht bei der Beurteilung kartellrechtlicher Fragen kein Ermessen eingeräumt werden könne und eine in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht umfängliche Prüfung stattzufinden habe.152 Insbesondere die – freilich eher ältere – Judikatur des BGH hat den staatlichen Gerichten, beginnend mit der Flugplatz-Entscheidung, bei Kartellschiedssprüchen ein sehr weitreichendes Prüfprogramm auferlegt.153 Wenn der Staat einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nicht im Wege der Vollstreckbarerklärung bestätigen wolle, müsse ihm insoweit eine umfassende Prüfbefugnis zustehen, die leerliefe, wenn sie in irgendeiner Weise an die Feststellungen des Schiedsgerichts gebunden wäre.154 Es sei auch nicht zwischen einem Begriffskern und einem Begriffshof zu unterscheiden.155 Die Art. 101 f. AEUV seien dem ordre public in Gänze zuzurechnen und müssten deshalb richtig angewendet werden, da alles andere den Parteien erlaube, ihre zivilrechtliche 150

Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO Rn. 349. OLG Thüringen, SchiedsVZ 2008, 44 (46): „summarisch vorgenommene Plausibilitätsüberlegung“, „Ergebnis in der Sache hinzunehmen und einer erneuten – umfänglichen – Überprüfung auf seine kartellrechtliche Zulässigkeit durch den Senat im Anerkennungsverfahren nicht zugänglich (Verbot der révision au fond (…)“ (Hervorhebung im Original); dem zustimmend Kasolowsky/Steup, SchiedsVZ 2008, 72 (75 f.); wohl ebenso Kling/Thomas, Kartellrecht, § 23 Rn. 111; Musielak/Voit/Voit, § 1059 ZPO Rn. 31; Heukamp, Schiedszusagen, S. 166 ff.; für eine Vertretbarkeitsprüfung auch OLG München, SchiedsVZ 2012, 339 (341); ohne kartellrechtlichen Bezug, aber dem französischen Ansatz folgend OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2010, 20179. 152 OLG Celle, WuW 2017, 508 (509 f.); OLG Düsseldorf WuW 2006, 281 (282 ff.) – Regenerative Wärmetauscher; OLG Düsseldorf NJOZ 2002, 2480 (2481); Ason, WuW 2014, 1057 (1061 ff.); Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 75; ders. ZWeR 2007, 394 (417); ders., BB 2006, 1397 (1400); ders., in: FS Kerameus, S. 1197 (1204 f.); Tillwich, Kartellverbot, S. 105, 108 f.; auch Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 24 Rn. 44 f.; Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 33; LMRKM/Jaeger, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 33; grundsätzlich zustimmend Bien, ZZP 132 (2019), 93 (119 f.); tendenziell auch Remien, FS Kropholler, S. 869 (882 ff.). 153 BGH, NJW 1959, 1438 (1439 f.) – Flugplatz; allgemein zum ordre public schon zuvor BGH, NJW 1958, 1538 (1538 f.); in Kartellsachen BGH, NJW 1972, 2180 (2181) – Eiskonfekt; BGH, NJW 1969, 978 (979 f.) – Fruchtsäfte; BGH, GRUR 1967, 378 (381) – Schweißbolzen; BGH, GRUR 1966, 576 (580) – Zimcofot; Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 196 sowie ders., ZZP 132 (2019), 93 (119), spricht insoweit zustimmend von der „These von der unbeschränkten Nachprüfbarkeit kartellrechtlicher Schiedssprüche“; wohl ebenso, ohne vertiefte Erörterung, BGH, NJW 1984, 1355 (1356); OLG Dresden, SchiedsVZ 2005, 210 (211 ff.); OLG Frankfurt a. M., RIW 1989, 911 (912 ff.); offen gelassen von OLG Frankfurt a. M., WuW 2020, 38 (42 f.); HansOLG, BeckRS 1998, 06211, Rn. 93 ff. (ohne kartellrechtlichen Bezug). 154 BGH, NJW 1959, 1438 (1439 f.) – Flugplatz. 155 Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (10 f.); Schmidt, in: FS Kerameus, S. 1197 (1204 f.). 151

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Streitigkeit teilweise dem Anwendungsbereich der Wettbewerbsvorschriften zu entziehen.156 Dies sei auch das von Eco Swiss geforderte Ergebnis, wo der EuGH umgekehrt gerade geurteilt habe, dass der ordre public-Maßstab die eingeschränkte Kontrolle von Schiedssprüchen durchbreche.157 Soweit der BGH in seiner Rechtsprechung seit 2014 das Erfordernis der Offensichtlichkeit betont habe, sei dies auf den Prüfungsmaßstab, nicht aber die Prüfungstiefe bezogen.158 Nicht selten wird diese Meinung allerdings mit dem einschränkenden Vorbehalt vertreten, dass es in der Natur der notwendig näherungsweisen kartellrechtlichen Sachmaterie liege, auch bei Ablehnung eines Beurteilungsspielraums im Rechtssinne zumindest faktisch doch auf eine Annäherung über Daumenregeln angewiesen zu sein.159 Es sei schlicht nicht sinnvoll, wenn ein Schiedsspruch als Produkt eines mit großem ökonomischen und kartellrechtlichen Sachverstands besetzten Schiedsgerichts nur deshalb von einem ordentlichen Gericht aufgehoben werde, weil dieses ein einzelnes Tatbestandsmerkmal anders auslege.160 Bei gleichermaßen vertretbaren Auffassungen des Schiedsgerichts und des ordentlichen Gerichts komme eine Aufhebung deshalb „de facto“ selten in Betracht.161 Dies nivelliert die Unterschiede zwischen den vertretenen Auffassungen erheblich.162 Einer näheren Betrachtung lohnt das Verfahren Genentech vor dem EuGH.163 Ausgangspunkt war eine Klage auf Nichtigkeitserklärung eines Schiedsspruchs vor der französischen Cour d’appel de Paris. In diesem war die unterlegene Schiedsbeklagte als Lizenznehmerin dazu verurteilt worden, trotz der erfolgten Nichtigkeitserklärung eines lizenzierten Patents für dieses weiterhin Lizenzgebühren zu zahlen.164 Spät – nach Auffassung des Einzelschiedsrichters zu spät – machte die Schiedsbeklagte im Schiedsverfahren geltend, eine solche Verpflichtung verstoße gegen Art. 101 AEUV.165 Die Cour d’appel de Paris legte diese Frage dem EuGH vor. GA Wathelet nahm dies in den Schlussanträgen zum Anlass für einige grundsätzliche Ausführungen. Die Überprüfung von Schiedssprüchen sei anhand der vom 156

Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (15 f.); Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 33. Münch, in: FS Rüßmann, S. 865 (880 ff.), allerdings für eine Reform de lege ferenda. 158 Bien, ZZP 132 (2019), 93 (120); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 196. 159 OLG Celle, WuW 2017, 508 (509 f.); Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 75; ders. ZWeR 2007, 394 (417); ders., BB 2006, 1397 (1400); ders., in: FS Kerameus, S. 1197 (1207); Bien, ZZP 132 (2019), 93 (120 ff.); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 201 ff.; Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 33. 160 Bien, ZZP 132 (2019), 93 (121); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 201 unter Verweis auf Gruppenfreistellungsverordnungen; Bosch, in: FS Bechtold, S. 59 (66). 161 Schmidt, BB 2006, 1397 (1400); Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 33. 162 Eine nach den unterschiedlichen Gefährdungsgraden für den ordre public abgestufte Lösung schlägt Pocsay vor, Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 254 ff., 286 ff., 304 ff. 163 EuGH, Urt. v. 07. 07. 2016, ECLI:EU:C:2016:526 – Genentech. 164 EuGH, Urt. v. 07. 07. 2016, ECLI:EU:C:2016:526, Rn. 3 ff. – Genentech. 165 GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 24 f. – Genentech. 157

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EuGH in Eco Swiss entwickelten Vorgaben vorzunehmen, und dieses Verfahren über den Vorbehalt des ordre public sei dem System gegenseitigen Vertrauens, wie es – abgesichert über Art. 267 AEUV– zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten bestehe, gegenüberzustellen.166 Diese Gegenüberstellung ergebe für die Schiedsgerichtsbarkeit wenig erbauliches: Während bei einem Verfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten stets sichergestellt sei, dass diese auch das Unionsrecht und den ordre public anwendeten, seien Schiedsgerichte nur dann, wenn Unionsrecht als lex contractus oder lex arbitri Geltung erlange, ebenfalls hieran gebunden.167 Die Kontrolle der Einhaltung des Unionsrechts finde hier also nachgelagert und wiederum durch die mitgliedstaatlichen Gerichte statt.168 Den französischen Ansatz lehnte er als Verstoß gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz ab.169 Vorschriften, die dem ordre public zuzurechnen seien, gebe es ohnehin nur wenige; würde die Prüfung der Wahrung dieser Vorschriften zusätzlich auf offensichtliche oder offenkundige Verstöße beschränkt, würde dies dazu führen, dass nur noch Hard-core-Verstöße von einem mit einem Schiedsspruch befassten Gericht geprüft würden, und diesem etwa die bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV vollständig entzogen seien.170 Hinsichtlich der Rechtsfolgen, die eine effektive Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsvorschriften für Kartellgeschädigte vorsehe, sei insoweit aber kein Unterschied zwischen bewirkten und bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen zu machen.171 Überhaupt könne „[k]eine Rechtsordnung Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen, die Teil ihrer öffentlichen Ordnung sind, hinnehmen, unabhängig davon, ob diese Verstöße offenkundig und/oder offensichtlich sind oder nicht.“172 In ähnlicher entschiedener Manier lehnte der Generalanwalt auch die Annahme ab, eine Prüfung des Schiedsspruchs habe zu unterbleiben, wenn das Schiedsgericht die wettbewerbsrechtlichen Probleme bereits behandelt habe oder die nationale Verfahrensordnung eine solche Prüfung in der Sache nicht vorsehe. Das Verhalten der Parteien während des Schiedsverfahrens könne auf die effektive Verwirklichung einer so grundlegenden Vorschrift wie Art. 101 AEUV keinen Einfluss haben.173 Noch etwas deutlicher fiel der Hinweis aus, Kartelldelinquentinnen könnten ihren Wettbewerbsverstoß nicht unter Rückgriff auf das Schiedsverfahren dem Anwendungsbereich der Art. 101 f. AEUV entziehen.174 166 167 168 169 170 171 172 173 174

GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 59 ff. – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 61 f. – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 60 – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 58 – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 64 ff. – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 64 – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 67 – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 70 f. – Genentech. GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 72 – Genentech.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Der EuGH allerdings beließ es bei der Feststellung, keinen Wettbewerbsverstoß erkennen zu können, und verlor deshalb zu diesen Ausführungen kein Wort.175 c) Stellungnahme Die nachstehenden Ausführungen unterteilen sich in eine Stellungnahme zum Prüfungsmaßstab beim ordre public (aa)) sowie eingrenzende Anmerkungen dazu, welche Bestandteile des EU-Wettbewerbsrechts zum ordre public zu zählen sind (bb)). aa) Grundsätzliches Bei der hier interessierenden Fragestellung sind erneut mehrere konträr anmutende Positionen in Einklang zu bringen.176 Die Parteien haben in sich bewusster Abkehr von der ordentlichen Gerichtsbarkeit einem Schiedsgericht zugewandt und so gleichzeitig ihr Interesse an einer effizienten und vor allem dennoch rechtssicheren Verfahrensbeendigung kundgetan. Der Respekt vor diesem privatautonomen Wunsch ist es, der hinter der zurückgenommenen Prüfung steht, wie sie von staatlichen Gerichten im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung bereits praktiziert wird. Dieses Ansinnen würde auf den Kopf gestellt, wenn jedes Exequaturverfahren dazu führte, dass ein Schiedsspruch vollständig neu aufgerollt und durch den ordentlichen Instanzenzug getrieben würde, selbst wenn dieser wie in Deutschland mittlerweile nur noch aus dem reduzierten Instanzenzug gem. §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4, 1065 ZPO besteht. Allerdings ist auf der anderen Seite der Waagschale zu berücksichtigen, dass der Staat aus Respekt vor der privatautonomen Entscheidung der Schiedsparteien und aus Gründen der Rechtssicherheit ein allgemein schiedsfreundliches Regelungsregime etabliert hat und auf eine materielle Kontrolle ausländischer Schiedssprüche schon bis auf den Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ verzichtet. Dann noch in diesem letzten Bereich, dem der „elementare[n] Grundlagen der Rechtsordnung bzw. eklatante[n] Verstöße gegen die materielle Gerechtigkeit,“177 nur auf dem Papier zu kontrollieren, ist ein Zangengriff reduzierter Prüfdichte, der rechtsstaatlichen Anforderungen nicht mehr genügt178. Die Kontrolle findet bereits bezogen auf den

175 EuGH, Urt. v. 07. 07. 2016, ECLI:EU:C:2016:526, Rn. 39 ff. – Genentech; es ist bedauerlich, dass der EuGH zu dieser Frage nicht einmal ein obiter dictum beisteuern wollte, so auch Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (446 f.). 176 Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (15). 177 BGH, NJW 2014, 1597 (1597); s. a. BGH, SchiedsVZ 2018, 53 (59). 178 So zumindest im Ergebnis auch GA Wathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016: 177, Rn. 67 – Genentech; Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 f. (2018); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (408 f.); Tillwich, Kartellverbot, S. 108 f., 111.

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Schiedsspruch und nicht auf die konkrete Rechtsanwendung statt,179 was den auf Schiedsgerichte vermeintlich bestehenden Zwang, sich der in Einzelfragen bei den ordentlichen Gerichten vorherrschenden kartellrechtlichen „Mode“ anzuschließen,180 erheblich reduziert. Dann weniger gravierend gegen elementare Grundlagen verstoßende Schiedssprüche gibt es schon begrifflich nicht. Die besondere Bedeutung gerade des auch eine materiellrechtliche Prüfung ermöglichenden und von Amts wegen zu prüfenden Vorbehalts des ordre public gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ bzw. des § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO zeigt eine Gegenüberstellung mit den verfahrensrechtlichen Aufhebungsgründen der Art. 5 Abs. 1 UNÜ, § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die lediglich auf Antrag geprüft werden.181 Die amtswegige und der Parteidisposition entzogene182 Prüfung verdeutlicht, dass der Staat ein ursprüngliches Eigeninteresse strikt zu wahren hat,183 in diesem Fall die Einhaltung rechts- und wirtschaftspolitischer Grundentscheidungen. Entsprechend verbietet sich eine Bindung des Exequaturgerichts an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen des Schiedsgerichts ebenso wie eine beschränkte Prüfung auf bloß flagrante Verstöße, und zwar unabhängig davon, ob eine Partei sich im Schiedsverfahren auf das Kartellrecht berufen hat oder nicht184. Dies liegt nicht in der Natur der Sache der Kartellschiedsgerichtsbarkeit und ist deshalb auch nicht in einem Misstrauen gegen diese begründet, sondern in der Natur der Wettbewerbsvorschriften wie auch der anerkennungsrechtlichen ordre public-Kontrolle, die der Privatautonomie jeweils nicht unterliegen.185 Der Gesetzgeber kann Privaten auch 179 BGH, NJW 1969, 978 (979) – Fruchtsäfte; Bien, ZZP 132 (2019), 93 (97); Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (547); Mankowski, RIW 2018, 1 (15); Antomo, IHR 2013, 225 (233); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 ff.); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (249); Immenga/Mestmäcker/ Schmidt, § 87 GWB Rn. 75; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO, Rn. 321; Langen/Bunte/ C. Stadler, § 185 GWB Rn. 247; siehe bereits oben Kapitel 4, Fn. 15. 180 So die Befürchtung von Heukamp, Schiedszusagen, S. 167 f. 181 Siehe dazu Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 98; Schwab/ Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 24 Rn. 53 f.; MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 49 ff.; BeckOKZPO/Wilske/Markert, § 1059 ZPO Rn. 68 ff. 182 Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 98; Musielak/Voit/Voit, § 1059 ZPO Rn. 39; MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 53; enger, aber insoweit, als der ordre public nicht nur Individualinteressen schützt, ebenfalls zustimmend OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2016, 131986, Rn. 70; Zöller/Geimer, § 1059 ZPO, Rn. 80 ff. 183 MüKoZPO/Münch, § 1059 ZPO Rn. 50. 184 Dieser letztgenannte Aspekt findet eine gewisse Stütze in der Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz unter der Klauselrichtlinie, siehe EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, ECLI:EU: C:2006:675, Rn. 34 ff. – Mostaza Claro: Berufung auf die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung seitens der Verbraucher:innen im Anerkennungsverfahren auch dann zu prüfen, wenn diese sich darauf im Schiedsverfahren nicht berufen hatten. Der Gerichtshof leitete dieses Urteil ausdrücklich aus einer Analogie zu seiner Eco Swiss-Rechtsprechung her. 185 Vgl. – allerdings mit Blick auf die Geltung von Eingriffsnormen – GAWathelet, SchlA v. 17. 03. 2016, ECLI:EU:C:2016:177, Rn. 70 ff. – Genentech; Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 929 (2018); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (15 f.); Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), S. 187 (197 f.); s. a. Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (408 f.).

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keine grundrechtswidrige Vollstreckungsgewalt verleihen.186 Zudem bleibt die Anerkennung und Vollstreckung der Schiedssprüche im Rahmen der rechtsstaatlichen Letztverantwortung für die Verwirklichung des Rechts staatliche Aufgabe.187 Deshalb würde jede andere als die hier vertretene Auffassung dazu führen, dass der Staat die Entstehung ordre public-widriger Schiedssprüche nicht bloß passiv duldete, sondern darüber hinaus auch noch durch Entleihung seiner Vollstreckungsgewalt aktiv bestätigte oder zumindest billigte.188 Dass hier ausnahmsweise die Befassung mit der Sachmaterie zu einer weitergehenden inhaltlichen Prüfung durch ordentliche Gerichte führen kann, ist für die Schiedsgerichtsbarkeit zweifelsohne eine bittere Pille, die sie wohl oder übel als Preis für die ihr ansonsten eingeräumte Freiheit schlucken muss. Dass eine solche Praxis aber zu einer Flut an gerichtlichen Folgeverfahren führen würde, ist wiederum eine durch die praktischen Fallzahlen nicht bestätigte Annahme.189 Zuzugestehen ist, dass sich ein so eindeutiges Ergebnis aus der Rechtsprechung des BGH schwerlich herleiten lässt. Dieser setzte sich in seinem Urteil aus 2014 zwar mit seiner älteren Flugplatz-Rechtsprechung zur Überprüfung kartellrechtlicher Schiedssprüche auseinander und referierte die im Verlauf der Jahre jeweils anwendbaren Prüfungsmaßstäbe.190 Er schloss sich auch der Auffassung an, dass die Novellierung des § 1059 ZPO in die heutige Fassung eine redaktionelle Änderung gewesen sei.191 Auch wenn diese Aufreihung vermuten lässt, dass sich der BGH hinsichtlich der Prüfungsintensität von seiner Flugplatz-Rechtsprechung fortbewegt hat,192 so schließt sie zumindest auch nicht aus, dass lediglich der jeweils anwendbare Prüfungsmaßstab und nicht die Prüfungsintensität dargestellt wurden193. Eine Klarstellung jedenfalls enthalten die entsprechenden Passagen nicht.

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Tafelmaier, Schiedsspruch und staatliche Gerichtsbarkeit, S. 270 m. w. N. S. o. Kapitel 2, Fn. 18. 188 In diesem Sinne BGH, NJW 1959, 1438 (1439 f.) – Flugplatz; ebenso Kornblum, NJW 1969, 1793 (1797); tendenziell auch Ason, WuW 2014, 1057 (1063 f.); a. A. aber Cour de Cassation, RevArb 2008, 473 (482) – Cytec: Dass das Forum den Schiedsspruch anerkennt und toleriert, mache ihn noch nicht zu einem Produkt des Forums. 189 Das liegt nicht zuletzt daran, dass es der Parteidisposition obliegt, ob überhaupt ein entsprechendes Verfahren eingeführt wird, s. a. Ason, WuW 2014, 1057 (1061); s. a. Spiegel, Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 172. 190 BGH, NJW 2014, 1597 (1597 f.), auch zu weiteren Vorschriften wie Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; siehe zur Verwendung dieses Kriteriums auch BGH, SchiedsVZ 2018, 53 (59); BGH, BeckRS 2016, 2020, Rn. 10. 191 BGH, NJW 2014, 1597 (1598), unter Verweis auf BT-Drs. 13/5274, S. 58 f. 192 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 31; Baumert, SchiedsVZ 2014, 139 (139 ff.). 193 Bien, ZZP 132 (2019), 93 (120); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 196. 187

A. Grundlagen und Vorfragen

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(1) Einfluss des effet utile Darauf kommt es aber auch nicht entscheidend an, da ein solcher Maßstab aus den Gründen, wie sie von GA Wathelet in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Genentech dargelegt worden sind, gegen europäische Effektivitätsmaximen verstieße.194 Auch die Rechtsprechung des EuGH zu dem bei den europäischen Wettbewerbsvorschriften anzulegenden Kontrollmaßstab weist vergleichsweise deutlich in diese Richtung. Aus dem Grundsatz praktischer Wirksamkeit der justizverfassungsrechtlichen Wertungen195 lässt sich dabei bereits entnehmen, dass der EuGH dem Aufhebungs- und Anerkennungsverfahren als Korrelat zur Schiedsfähigkeit grundlegender Normen offensichtlich erhebliche Bedeutung beimisst. Hiernach kann jedenfalls der Umstand, dass der EuGH bei ordentlichen Gerichten eine falsche Rechtsanwendung akzeptiert, und zwar auch im Kartellrecht, nicht dazu führen, dass eine solche auch bei Schiedsgerichten hingenommen würde. Denn dieser Umstand ist genau auf die institutionelle Ausprägung des europäischen Gerichtssystems zurückzuführen, liegt also gerade darin begründet, dass es bei ordentlichen Gerichten ein System gegenseitigen Vertrauens und insbesondere die Möglichkeit und teils auch die Verpflichtung zur Vorlage gem. Art. 267 AEUV gibt.196 Hier gibt es beim Kriterium der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage auch keinen vom Grad des Zweifels an der Auslegung europäischen Rechts abhängigen Filter.197 Die Rechtfertigung für die Anerkennung auch einer fehlerhaften Anwendung des Wettbewerbsrechts liegt also in einem institutionellen Gefüge, in dem dieses Risiko zwar faktisch im Einzelfall besteht, konzeptionell aber gerade nicht.198 Bei Schiedsgerichten wird aber durch eine sachliche Überprüfung im Anerkennungsverfahren nicht an einem abgeschlossenen Verfahren eines mitgliedstaatlichen Gerichts und damit auch nicht implizit an einem dort wirkenden Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gerüttelt. Vielmehr betreten dort mit den mitgliedstaatlichen Gerichten im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren wieder die eigentlichen Wächter des Unionsrechts die Bühne und werden, zwar in einem späten Verfahrensstadium, aber doch erstmalig, mit der korrekten Anwendung der europäischen Wettbewerbsvorschriften befasst. Das legt nahe, dass durch diese dann auch genau hingesehen werden muss, denn ihre Beteiligung ist kein Selbstzweck.199

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S. o. Kapitel 5 – A.III.2.b). GA Wathelet ordnet, insoweit abweichend zu der hier entwickelten Auffassung, alle Komponenten dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot zu. Letztlich unterscheidet sich das dortige von dem hier gefundenen Ergebnis aber nicht. 195 S. o. Kapitel 5 – A.I.2. 196 EuGH, Urt. v. 11. 05. 2000, ECLI:EU:C:2000:225, Rn. 33 – Renault; wie hier Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (15). 197 EuGH, Urt. v. 06. 10. 1982, ECLI:EU:C:1982:335, Rn. 10 ff. – Cilfit u. a.; Grabitz/Hilf/ Nettesheim/Karpenstein, Art. 267 AEUV Rn. 25 ff., Rn. 51 ff. 198 Zu diesem Punkt oben Kapitel 5 – A.I.2.a)bb). 199 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 27. 04. 1994, ECLI:EU:C:1994:171, Rn. 21 ff. – Gemeente Almelo: Zwingende Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auch dann, wenn ein staatliches

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

(2) Einfluss des Effektivitätsgrundsatzes Diese Prämisse lässt die weiterführende Annahme, die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie könne, wenn sie schon ein Aufhebungs- oder Anerkennungsverfahren vorsehen müsse,200 aus Gründen der Effizienz des Schiedsverfahrens zumindest den Prüfungsmaßstab einschränken, bereits als recht fernliegend erscheinen. Und tatsächlich sind entsprechende Vorschriften ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz als Grenze der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie. Dass das Interesse an einer effizienten Schiedsgerichtsbarkeit jedenfalls im Bereich des Wettbewerbsrechts kein Substitut für das wechselseitige Vertrauen ordentlicher Gerichte im europäischen Rechtsraum ist, wird bereits bei genauerer Betrachtung des Eco Swiss-Urteils deutlich. Dort setzte der Gerichtshof der Passage, in der eine aus der Natur des Schiedsverfahrens folgende eingeschränkte Prüfung von Schiedssprüchen grundsätzlich für zulässig erachtet wurde, ein einschränkendes und aus der Bedeutung dem des ordre public zuzurechnenden Art. 81 Abs. 1 EG (Art. 101 Abs. 1 AEUV) folgendes „jedoch“ gegenüber.201 Damit relativierte er nicht etwa die Bedeutung des ordre public mit Blick auf die Interessen des Schiedsrechts, sondern im Gegenteil das Interesse an einem effizienten Schiedsverfahren mit der Bedeutung des Kartellrechts,202 was der hier vertretenen Auffassung bereits sehr nahe kommt.203 Beschränkte sich die Prüfung in diesem Stadium auf flagrante Verstöße, wäre aber wegen der Acte-clair-Doktrin kaum vorstellbar, wann jemals eine Vorlage an den EuGH erforderlich sein sollte.204 Acte clair hieße dann außerhalb der kartellrechtlichen Hard-core-Verstöße eher so viel wie Carte blanche.205 Entsprechende Streitigkeiten könnten durch prozessuale Maßnahmen der Parteien flächendeckend der Jurisdiktion europäischer Gerichte entzogen werden, was sich kaum in die ansonsten doch eher um die Anwendung des Wettbewerbsrechts besorgte Rechtsprechung des Gericht über den Einspruch gegen einen Schiedsspruch nach billigem Ermessen zur Entscheidung berufen ist. 200 Siehe auch Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 180 f., die ebenfalls zustimmt, dass zumindest das „Ob“ eines solchen Kontrollverfahrens durch Eco Swiss vorgegeben wird. 201 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 35 f. – Eco Swiss; bestätigt in EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea; EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, ECLI:EU:C:2006:675, Rn. 34 ff. – Mostaza Claro. 202 Wie hier Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (122); tendenziell Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (15); auch Münch, in: FS Rüßmann, S. 865 (880 ff.), allerdings für eine Reform de lege ferenda; MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 898, der ebenfalls für ein anderes Ergebnis plädiert. 203 Insoweit wie hier auch Spiegel, EuZW 1999, 568 (568 f.); ders., Kartellprivatrecht in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 123; demgegenüber entnimmt Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (14 ff.) zwar nicht dem Eco Swiss-Urteil entsprechend weitreichende Vorgaben, teilt aber die hier vertretene Auffassung. 204 Remien, in: FS Kropholler, S. 869 (882). 205 Vgl. Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 917 (2018); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (16).

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EuGH einfügen würde.206 Dies wäre ein Einfallstor, um die Durchsetzung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte übermäßig zu erschweren. Gleichzeitig würde dieser Umstand auch dazu führen, dass für die Vollstreckung von Schiedssprüchen gezielt mitgliedstaatliche Jurisdiktionen mit einem weniger strengen Prüfungsmaßstab angesteuert würden,207 und in Folge dessen die einheitliche Anwendung der Wettbewerbsvorschriften im gemeinsamen Binnenmarkt nicht mehr sichergestellt wäre.208 bb) Zur Reichweite des kartellrechtlichen ordre public Obwohl damit zur umfassenden Überprüfbarkeit kartellrechtlicher Schiedssprüche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung genommen wurde, ist es auch nach hier vertretener Auffassung notwendig, die reine Lehre des Maximalismus so einzuschränken, wie es bei den sich im Ergebnis nahekommenden Abstufungen der verschiedenen Ansätze vorherrschend ist. So besteht auch ohne eine Bindung des ordentlichen Gerichts für dieses regelmäßig nicht das Bedürfnis, vom Schiedsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen anzuzweifeln. Diese Prüfung fällt zumeist nicht in den Bereich des materiellen ordre public gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ. Vielmehr ist der zutreffende Ansatzpunkt für die Aufhebung dieser Feststellungen etwa die Versagung rechtlichen Gehörs durch das Schiedsgericht gem. Art 5 Abs. 1 lit. b) UNÜ oder der verfahrensrechtliche ordre public gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ.209 Was die rechtliche Würdigung angeht, sollte eine differenziertere Betrachtung stattfinden als die generalisierende Annahme, „das Kartellrecht“ sei Teil der öffentlichen Ordnung. Es ist wenig überzeugend, davon auszugehen, das Kartellverbot gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB sei in gleicher Weise zu elementaren Grundsätzen zu zählen wie etwa das Schriftformerfordernis bei wettbewerbsbeschränkenden Abreden zwischen Wasserversorgungsunternehmen i. S. d. § 31 Abs. 1, 2 GWB210 oder die Vorschriften über die aufschiebenden und sonstigen Wirkungen der einvernehmlichen Streitbeilegung gem. Art. 18 KartSE-RL; oder, in Schiedssprüche übersetzt, dass die Verurteilung zu einer wettbewerbswidrigen Handlung elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen ebenso widerspreche wie die

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Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (122). Hierzu lädt etwa Niggemann, SchiedsVZ 2005, 265 (273) mit Blick auf Frankreich ein; kritisch Ason, WuW 2014, 1057 (1063 f.); Remien, in: FS Kropholler, S. 869 (877); s. a. Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 55 f. 208 Wie hier Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (408 f.); a. A. Reidlinger/Ionescu/Kustor, G.C.R.L. 2016, 109 (115 ff.). 209 Zöller/Geimer, § 1059 ZPO Rn. 53. 210 Bien, ZZP 132 (2019), 93 (103); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 168; möglicherweise a. A. Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 94 f., zum Schriftformerfordernis des § 34 GWB a. F. 207

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

fälschliche Nichtigerklärung eines kartellrechtskonformen Vertrages211. Insoweit ist der notorisch schwer fassbare Begriff212 des ordre public zu konturieren. Dies kann in der vorliegenden Arbeit nur im Rahmen der folgenden Ansatzpunkte geleistet werden. So erscheint es etwa für europäisches Wettbewerbsrecht naheliegend, zwischen Primärrecht und Sekundärrecht zu differenzieren sowie bei der Anwendung der KartSE-RL zwischen der Verletzung von im Wesentlichen213 materiellem und von prozessualem Recht.214 Die KartSE-RL enthält eine Reihe vornehmlich dem materiellen Haftungstatbestand zuzurechnende Vorschriften, die nach der Rechtsprechung des EuGH in Courage und Manfredi unmittelbar aus Art. 101 f. AEUV abzuleiten und in ihrer sekundärrechtlichen Ausformung somit lediglich deklaratorischer Natur sind.215 Diese sind Teil des ordre public.216 Selbiges gilt auch für die Tatbestandsmerkmale des Kartellschadensersatzanspruchs, die vom EuGH zukünftig in einer zunehmend detaillierten Auslegung des Art. 101 AEUV direkt dem Primärrecht entnommen werden.217 Daneben bietet es sich an, Fälle, in denen Schiedsgerichte eine Schadensersatzklage zu Unrecht abgewiesen haben, von denen zu trennen, in denen sie einer solchen zu Unrecht stattgegeben haben. Der erstgenannte Fall widerspricht prima facie dem vom EuGH herausgearbeiteten materiellen Gewährleistungsgehalt der Art. 101 f. AEUV, während der letztgenannte Fall regelmäßig nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung darstellen wird.218 211 So tendenziell Bien, ZZP 132 (2019), 93 (110 ff.); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 176 ff.; Bosch, in: FS Bechtold, S. 59 (67). 212 S. o. Kapitel 2 – D.II. 213 Es ist nicht bei allen Vorschriften des europäischen Wettbewerbsrechts klar, ob es sich bei diesen im eigentlichen Sinne um materiellrechtliche oder prozessuale Vorschriften handelt; teils werden diese auch im mitgliedstaatlichen Recht unterschiedlich umgesetzt. Ein Beispiel dafür ist die discovery, die in § 33g GWB anders als in Art. 5 KartSE-RL als eigener materieller Anspruch ausgestaltet ist. Isidro spricht deshalb von „Rules on the Merits“ und „Rules pertaining to the Procedure“, Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (433 ff.); das ist auch die hier maßgebliche Differenzierung. 214 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 46 ff.; ebenso Wilske/ Steinle/Schuler, ZWeR 2020, 458, 462; siehe zu dieser Differenzierung im Kontext von effet utile und Effektivitätsgebot oben Kapitel 5 – A.I.1.d). 215 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 48 f.; Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (447 f.). 216 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 47 ff.; ähnlich Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (447 f.); vgl. auch Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (10 f.): Bei Art. 81 f. EG (Art. 101 f. AEUV) sei jedenfalls nicht zwischen einem wie auch immer gearteten Begriffskern und Begriffshof zu differenzieren; vgl. auch für die Zuordnung des § 35 GWB a. F. zum deutschen ordre public Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 95 ff. 217 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 50; s. a. hierzu und zu entsprechenden Beispielen aus der Rechtsprechung des EuGH bereits oben Kapitel 5 – A.I.1.d). 218 So auch Schmidt, BB 2006, 1397 (1399); zweifelnd noch ders., in: FS Pfeiffer, S. 765 (772 f.); Pocsay, Kartellrecht in internationalen Schiedsverfahren, S. 77 ff.; wohl auch Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 95, zu § 35 GWB a. F.; ähnlich, allerdings gemünzt auf den defensiven Kartellzivilprozess Reid-

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Tendenziell nicht dem ordre public zuzurechnen sind Vorschriften, die im Wesentlichen die Einzelheiten der prozessualen Durchsetzung der Ansprüche vor mitgliedstaatlichen Gerichten regeln.219 Dies gilt etwa für die discovery in Art. 5 ff. KartSE-RL sowie die Beweisregelungen der Art. 15 ff. KartSE-RL.220 Zweifel erscheinen allerdings gegenüber der Annahme angebracht, dass die prozessuale Bindung nationaler Gerichte an die Entscheidungen mitgliedstaatlicher Wettbewerbsbehörden oder der europäischen Kommission (Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003, Art. 9 KartSE-RL oder die überschießende Umsetzung in § 33b GWB) nicht zum ordre public zählen soll.221 Setzt sich das Schiedsgericht über die Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes durch eine europäische bzw. mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörde hinweg, ist vielmehr die öffentliche Ordnung berührt. Denn hier handelt es sich um die Feststellung eines möglicherweise den Kernverstößen zuzurechnenden Wettbewerbsverstoßes durch die Kartellbehörde und damit um die Implementierung der zentralen Kartellverbotswertung auch im offensiven follow-onKartellprozess zu Zwecken der privatrechtlichen Durchsetzung.222 Eine Abweichung durch das Schiedsgericht ist nicht hinzunehmen. 3. Zusammenfassung Als Teil des ordre public ist die Rechtsanwendung kartellrechtlicher Normen durch die Schiedsgerichte ex post im Exequaturverfahren durch das ordentliche Gericht überprüfbar. Entgegen einer vielfach vertretenen Auffassung ist diese Überprüfung durch Unionsgerichte rechtlich und tatsächlich umfassend durchzuführen. Einschränkungen ergeben sich nur insoweit, als ein Teil der kartellrechtlichen Normen nicht zum ordre public zu zählen ist. Jedenfalls zu diesem zählen aber die Bestandteile des materiellen Haftungstatbestands des Kartellschadensersatzanspruchs, die unmittelbar Art. 101 AEUV entnommen werden, sowie Normen, die Wertungen des Kartellverbots in das Kartelldeliktsrecht implementieren. Kommt es zu einem Aufhebungs- oder Anerkennungsverfahren, ermöglicht diese Bindung eine linger/Ionescu/Kustor, G.C.R.L. 2016, 109 (116); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (14 f.); Lieberknecht, in: FS Sölter, S. 311 (312 f.); a. A. Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (515) vor allem unter Verweis auf Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003; wohl wie hier aber Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 194b, der dabei zutreffend auch eine Differenzierung zwischen follow-on- und stand alone-Klagen ablehnt. 219 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 52 ff.; Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (449). 220 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 52 ff. 221 So Bien, ZZP 132 (2019), 93 (103 f.); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 170; Kamann/ Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 52; unklar Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589, Fn. 49); Funke, WuW 2017, 624 (624). 222 Siehe hierzu auch Kapitel 5 – B.I.2.a); im Ergebnis wie hier Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 125; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (164); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (450 f.); wohl auch Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 5; tendenziell LMRKM/Zuber, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 12.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

umfassende Kontrolle kartellrechtlicher Schiedssprüche und damit auch eine rechtsstaatliche Einhegung der Schiedsgerichtsbarkeit.

B. Zweite Kardinalfrage: Zur Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren Abschließend ist der Kern der zweiten Kardinalfrage in den Blick zu nehmen. In der hier folgenden Prüfung kulminieren einige Annahmen. So ist herausgestellt worden, dass bei einer Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB der sachliche Anwendungsbereich von weiten Schiedsvereinbarungen Kartellschadensersatzansprüche erfasst und schutzgutbezogene Erwägungen bei der Auslegung dieser Vereinbarungen kein abweichendes Ergebnis vorgeben.223 Allerdings können gegebenenfalls objektivierte und vom wettbewerbsrechtlichen Schutzgut ausgehende Erwägungen auf andere – dogmatisch überzeugendere – Weise Berücksichtigung finden, nämlich über Effektivitätsmaximen. Zudem hat die Prüfung ergeben, dass die ex post-Betrachtung kartellrechtlicher Schiedssprüche im Anerkennungsverfahren für die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle der Anwendung kartellrechtlicher Normen ausreichend ist, da der Schiedsspruch nicht bloß auf flagrante Verstöße kontrolliert wird.224 Es bleiben allerdings offene Fragen. Namentlich ist zu untersuchen, ob es einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren bedarf; entweder, weil die Rechtsverfolgung ganz unterbliebe, wenn die Geschädigten an ein Schiedsgericht verwiesen würden (I.), oder aber, weil bei ausländischen Schiedsgerichten eine anerkennungsrechtliche Kontrolle nicht sichergestellt wäre (II.). Diesen zumindest faktisch bestehenden Umgehungsmöglichkeiten der nachgelagerten Kontrolle folgt die nachstehende Prüfung.

I. Die Invalidierung von Schiedsvereinbarungen im Einredeverfahren Die Prüfung unterteilt sich in drei Abschnitte: Zunächst wird ein einzelfallbezogener Prüfungsmaßstab entwickelt (1.). Dieser wird sodann auf einzelne Aspekte des europäischen private enforcement (2.) sowie auf die besonders gewichtige Problemstellung der komplexen Rechtsverhältnisse (3.) angewandt.

223 S. o. Kapitel 4 – A.IV.; zum Einfluss, den die Rechtsprechung des EuGH auf diese Auslegung hat, oben Kapitel 4 – B.V. 224 S. o. Kapitel 5 – A.III.3.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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1. Dogmatische Grundlagen und Prüfungsmaßstab Die hier vorgenommene Prüfung betrifft ausschließlich das „Wie“ der prozessualen Geltendmachung eines Kartellschadensersatzanspruchs und somit jedenfalls die Durchsetzung europäischen Rechts mit den Mitteln des nationalen Verfahrensrechts, gemessen am Effektivitätsgrundsatz. Zu untersuchen sind also wesentliche Vorschriften der VO 1/2003 sowie der KartSE-RL, die allesamt nicht auf Schiedsgerichte anwendbar sind.225 Eines Rückgriffs auf den Auslegungstopos der praktischen Wirksamkeit bedarf es deshalb an dieser Stelle nicht.226 a) Allgemeine Anwendbarkeit auf Schiedsvereinbarungen Als Norm des nationalen Verfahrensrechts bestimmt § 1032 Abs. 1 ZPO, dass sich ordentliche Gerichte auf eine Schiedseinrede hin durch Prozessurteil für unzuständig erklären müssen und die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts in der Konsequenz daraus dem Schiedsgericht überantworten. Wenn dieser gerichtliche Akt im Einredeverfahren mit der dann eröffneten Durchführung eines Schiedsverfahrens Auswirkungen auf die einheitliche Anwendung des Unionsrechts hat und dessen Durchsetzung gegebenenfalls übermäßig erschwert oder verhindert, ist das am Effektivitätsgrundsatz zu messen. Das entspricht letztlich der nahezu einhelligen Auffassung.227 Die Invalidierung der Schiedsvereinbarung kann dann die nach dem 225 Die KartSE-RL ist nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht auf Schiedsgerichte anwendbar. Adressaten sind vielmehr nationale Gerichte gem. Art. 2 Nr. 9 KartSE-RL, also Gerichte i. S. d. Art. 267 AEUV; die Rechtsprechung des EuGH fasst Schiedsgerichte nicht unter den dortigen Gerichtsbegriff, s. u. Kapitel 5 – B.I.2.c). Eine Schadensersatzklage i. S. d. Richtlinie meint gem. Art. 2 Nr. 4 KartSE-RL eine Klage vor einem solchen nationalen Gericht. Zudem werden Schiedsverfahren in Erwägungsgrund 2 und Art. 18 Abs. 2 KartSE-RL gesondert erwähnt, s. a. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (458 f.); Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567, 582 ff. (2015); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (443, 450 f.); Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 37, 54. Auch die VO 1/2003 richtet sich nur an Gerichte, nicht an Schiedsgerichte. Insbesondere Art. 15, 16 VO 1/2003 sind deshalb dem Wortlaut nach nicht auf Schiedsgerichte anwendbar, siehe Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (615 f.); Nazzini, EBLR 2008, 89 (103 f., 107, 109); Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 156 ff.; Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 1, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 5; LMRKM/Zuber, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 12; FK/Jaeger, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 6; MüKoWettbR/Nothdurft, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 5; Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 35 f.; weitgehender allerdings MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 845; Bechtold/ Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 8. 226 Siehe grundlegend zu dieser Unterscheidung sowie ihren Auswirkungen für die hier vorgenommene Prüfung oben Kapitel 5 – A.I.1.d). 227 Siehe nur trotz gegenteiliger Auffassungen in der Sache GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 118 f. – CDC; LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 81; Nowag/ Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (452 ff.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (127 f.); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Wolf, IPRax 2018, 594 (596, 598); Funke, WuW 2017, 624 (624); Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 131 f. (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (78, 82); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (510 ff.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 119;

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Unionsrecht als ultima ratio angezeigte Sanktionsfolge des Effektivitätsgrundsatzes sein.228 Zwar ist nach anderen Stimmen ein Einfluss des Effektivitätsprinzips im Einredeverfahren, bezogen auf Gerichtsstandsvereinbarungen gem. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, abzulehnen.229 Das meint aber vor allem, dass eine Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB der einer Gerichtsstandsvereinbarung im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO zugrundeliegenden Einigung am Maßstab des Effektivitätsgrundsatzes dogmatische Schwierigkeiten aufwerfen würde und der Rechtssicherheit abträglich wäre.230 Insoweit wird diesen Einwänden hier zwar zugestimmt, denn es entspricht dem auch bereits gefundenen Ergebnis, wonach die Auslegung solcher Klauseln nach nationalem Recht parteiautonom und unabhängig vom Effektivitätsgebot vorzunehmen ist.231 Sie lassen sich aber jedenfalls nicht auf die Frage übertragen, ob eine Schiedsvereinbarung als Ausfluss des nationalen Verfahrensrechts zur Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts bei einer objektivierten Anwendung des Effektivitätsgebots als Untergrenze der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie im Einredeverfahren zu invalidieren ist.232 b) Konkrete Anwendbarkeit und näherungsweise Bestimmung eines konkreten Prüfungsmaßstabs Im Einredeverfahren hat ein ordentliches Gericht zunächst zu ermitteln, ob die sachliche Auslegung der Schiedsvereinbarung nach dem auf diese anwendbaren Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (410 ff.); unklar Thiede, NZKart 2017, 589 (592); s. a. Erwägungsgrund 11 KartSE-RL; siehe allerdings auch Basedow, der – bezogen auf die Invalidierung bei Vereinbarung eines drittstaatlichen Forums, aber wohl verallgemeinerungsfähig – meint, die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten gebe ihnen in dieser Frage einen Spielraum, der vom Effektivitätsgrundsatz insoweit nicht eingeschränkt werde, Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (350); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (28 f.); dagegen aber mit Recht Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 916 ff. (2018): „On the contrary: national procedural autonomy does not, itself, limit the principle of effectiveness of EU law but is subordinate to it“; vgl. noch weitergehend Hess, WuW 2010, 493 (495), der von einer „Überwindung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie“ spricht. 228 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 (2018). 229 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 335 ff.; Wurmnest, in: Nietsch/ Weller (Hrsg.), S. 75 (95 ff.); wohl auch Weller, ZVglRWiss 112 (2013), 89 (90), dort zu Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO (Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO); siehe dazu auch Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 415 f. 230 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 337; Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (95 ff.); ähnlich auch Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); a. A. allerdings Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (460 ff.), die so die Auslegung durch den Effektivitätsgrundsatz bestimmen wollen. 231 Vgl. auch bereits oben Kapitel 4 – A.III.2.c)cc). 232 A.A. Wolf, IPRax 2018, 594 (598), der wohl einen Widerspruch darin erblicken möchte, bei der Frage der Auslegung wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO einen Einfluss des Unionsrechts abzulehnen, nunmehr aber die Einwirkung des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots hinzunehmen. Das ist aber kein Widerspruch, sondern eine logische Folge der unterschiedlichen Bezugspunkte. Siehe hierzu auch noch unten Kapitel 5, Fn. 422.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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Recht die Erfassung eines Schadensersatzanspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts ergibt. Danach sieht es sich mit der Frage konfrontiert, ob es auf die gem. § 1032 Abs. 1 ZPO erhobene Schiedseinrede die Sache durch Prozessurteil abweist oder die Schiedsvereinbarung wegen eines Verstoßes gegen den Effektivitätsgrundsatz invalidiert. Diese Frage ist akzessorisch zum Regelungszweck des EU-Wettbewerbsrechts zu beantworten. Der zuvorderst auf Kompensation zielende Kartellschadensersatzanspruch wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts ist als Ausprägung des Gewährleistungsgehalts von Art. 101 AEUV Teil des objektiven Marktordnungsrechts und gleichzeitig subjektives Recht.233 Dessen Ausübung kann das nationale Schiedsverfahrensrecht durch seine prozessualen Wirkungen für einzelne oder für eine größere Anzahl an prospektiven Klägerinnen praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.234 Zu berücksichtigen ist aber, dass es sich beim Effektivitätsgrundsatz um einen Mindeststandard235 handelt und auch die idealiter bestehenden Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit236 respektive Erfordernisse der Prozessökonomie und der Effizienz des Schiedsverfahrens237 bei einer Abwägung Gewicht erlangen. Immerhin wollte der europäische Gesetzgeber aus diesen Gründen die Schiedsgerichtsbarkeit auch für Kartellschadensersatzsachen stärken.238 Es liegt zudem in der Natur der 233 S. o. Kapitel 2 – C.II.1.; Kapitel 2 – C.II.3.a)bb); der Maßstab ist damit auch anders als in den USA nicht, ob Schiedsvereinbarungen der abschreckenden Wirkung des Kartellrechts abträglich sind. 234 Wohl nicht selten, aber wegen der nicht stets verallgemeinerungsfähigen Umstände des Einzelfalls auch nicht notwendigerweise, werden beide Befunde Hand in Hand gehen. 235 In diesem Sinne auch Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 131 f. (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (78); siehe auch bereits Kapitel 5 – A.I.1.b). 236 Insbesondere also eine schnelle, konsensuale, günstigere und effiziente Streitbeilegung, die zu einem leichter zu vollstreckenden Titel führt, so speziell für Kartellschadensersatzprozesse etwa Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (29 ff.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (512 ff.); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (164 f.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 128 ff.; a. A. Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (172). 237 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 35 – Eco Swiss; auch EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea; EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, ECLI:EU: C:2006:675, Rn. 34 – Mostaza Claro. 238 Erwägungsgrund 48 der KartSE-RL; a. A. Wolf, IPRax 2018, 594 (559); ders., Internationale Durchsetzung, S. 165 f.; dieser meint, der Gesetzgeber habe hierbei nur nach Entstehung der Streitigkeit getroffene Schiedsvereinbarungen fördern wollen, bleibt für diese wenig überzeugende Annahme aber einen Nachweis schuldig. Nach Entstehung der Streitigkeit abgeschlossene Schiedsvereinbarungen sind seit jeher unproblematisch möglich; dass sie kaum vorkommen, liegt daran, dass in dieser Phase in vielen Fällen eine Einigung illusorisch bleiben wird; siehe zu nachträglichen Einigungen Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (449 f.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (514 f.); Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165 (169); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (7). Einer solchen Einigung steht auch entgegen, dass die Beklagten kaum darauf verzichten wollen, sich gegen die Zulässigkeit der Klage verteidigen zu können, siehe Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 68; s. a. Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (208); Elsing, in: FS Wegen, S. 615 (629 f.). Gerade im Kartellrecht ergeben sich dabei auch Probleme, siehe etwa das Verfahren im Zementkartell, in dem die Parteien nach Klageerhebung 2005 zunächst vier Jahre um die Zulässigkeit stritten,

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Sache, dass Schiedsvereinbarungen gerade auch mit Blick auf Vorteile in der Streitbeilegung ausgewählt werden.239 Zu vermeiden sind Ergebnisse, in denen an jedem Schiedsverfahren innewohnende Umstände Konsequenzen geknüpft werden, die aufgrund ihrer Pauschalität den Einwand der Schiedsfähigkeit in neuem Gewand begründen.240 Insbesondere kann es auch nicht um eine umfassende Modellierung der Kartellschiedsverfahren oder darum gehen, dass Klägerinnen ihren Anspruch überhaupt oder auf eine bestimmte Art und Weise durchsetzen241.242 Stattdessen sind die prozessualen Möglichkeiten einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung im konkreten Fall komparativ denen gegenüberzustellen, die das Unionsrecht staatlichen Gerichten namentlich in Gestalt der KartSE-RL an die Hand gibt. Das ist in seiner Gesamtheit, was das Unionsrecht als für die effektive Rechtsdurchsetzung zumindest angemessen erachtet, lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass jeder Teil dieser Gesamtheit unabdingbar ist. Zudem lässt sich dem europäischen Recht auch nicht die Aussage entnehmen, dass das private enforcement Anlass sein muss, Klägerinnen alle Hindernisse der Rechtsverfolgung abzunehmen.243 In der Summe handelt es sich deshalb um einen durchaus anspruchsvollen Prüfungsmaßstab.244 Andererseits lehrt aber gerade der rechtsvergleichende Teil,245 dass eine die praktische Wirksamkeit sicherstellende Doktrin notwendig ist, um im Verhältnis von Kartellrecht und Schiedsrecht einen Kipppunkt zu verhindern. Die funktionale Subjektivierung von Privatklägerinnen zur Durchsetzung des Kartellrechts stößt dort an ihre Grenzen, wo das Verfahrensrecht nicht mehr der Durchsetzung des materiellen Rechts, sondern bloß noch der Immunisierung vor der kartelldeliktischen Haftung dient. Aus diesem Grund reicht es auch nicht aus, mit dem Kartellschadensersatzanspruch einen Anspruch zur Durchsetzung des Marktordnungsrechts zu schaffen, es geht um die Gewährleistung von dessen praktischer Wirksamkeit.246 BGH, GRUR-RR 2009, 319 (319) – Zementkartell, ehe im Jahr 2015 die abschließende Entscheidung in der Sache erging, OLG Düsseldorf, NZKart 2015, 201 (201 ff.). Nicht zuletzt deshalb ist eine extensive Auslegung der vor Entstehung der Streitigkeit abgeschlossenen Schiedsvereinbarungen auch im Interesse des europäischen Gesetzgebers. 239 Zu diesem Widerspruch Blanke/Landolt/Landolt, Rn. 2 – 035 ff. 240 Vgl. Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (429); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (510 f.); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (415 f.); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (215 f.). 241 Vgl. Maier, Marktortanknüpfung, S. 282. 242 Das ist erneut das grundsätzliche Problem der Balance von Privatautonomie und Marktschutz auch im private enforcement; Pike/Tosheva, G.C.L.R. 2015, 82 (85). 243 So zutreffend auch Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 335 f.; s. a. Fuchs/Weitbrecht/Mallmann/Lübbig, § 13 Rn. 2. 244 Ähnlich, aber wohl zu restriktiv Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 136 ff. (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (82 f.); ähnlich Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (410 ff.); weniger restriktiv und eher der Invalidierung zuneigend Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (463 f.). 245 S. o. Kapitel 3 – E.IV.3.; Kapitel 3 – E.IV.3.d); siehe auch zum rechtshistorischen Teil oben Kapitel 2 – B.II.2. 246 Vgl. Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (398).

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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Dieser Kipppunkt ist ob seiner mannigfaltig denkbaren Erscheinungsformen nicht leicht zu vorherzusagen.247 Aufstieg und Fall der effective vindication doctrine liefern aber Anschauungsmaterial.248 So macht eine Schiedsvereinbarung, die es der von einem wettbewerbswidrigen Verhalten Geschädigten untersagt, Ansprüche gem. § 33a Abs. 1 GWB einzuklagen, also die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines Schiedsgerichts bei gleichzeitigem Ausschluss der Geltendmachung des Kompensationsrechts, die Rechtsverfolgung „praktisch unmöglich“.249 Dieses Potential haben auch Kosten, unabhängig davon, ob es sich um solche der Rechtsverfolgung im engeren oder im weiteren Sinne handelt.250 Auch Beweislasten der Parteien, fehlende Möglichkeiten zur Beweiserhebung und -würdigung, der Prozess der Konstituierung und die Zusammensetzung des Schiedsgerichts, kurze Verjährungsfristen oder eine Beschränkung der im Schiedsspruch möglichen Rechtsfolgen251 können die Rechtsverfolgung zumindest „übermäßig erschweren“.252 Ein starker Indikator dürfte zudem sein, wenn diese Folgen von Delinquentinnen bewusst und konspirativ herbeigeführt wurden.253 Diesen Fallbeispielen 247 Für eine Einzelfallbetrachtung auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (461); Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 137 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (82 f.); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (121, 129); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (410 ff.). 248 Umfassend Kapitel 3 – E. 249 Für diesen hypothetischen Fall als Ausgangspunkt der effective vindication doctrine in den USA Kapitel 3 – E.III.; wie hier Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (410 f.); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (448). 250 Für eine entsprechende Argumentation im Mehrheitsvotum in American Express Kapitel 3 – E.IV.3.b); dagegen Kapitel 3 – E.IV.3.c); Kapitel 3 – E.IV.3.d)aa); wie hier Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (411 f.). 251 Zu diesen und weiteren Beispielen Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (411 f.); Landolt/ Blanke/Landolt, Rn. 2 – 039 ff.; Am. Exp. Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 241 f. (2013) (Kagan, J., dissenting), dazu bereits oben Kapitel 3 – E.IV.3.c). 252 Daneben ist im Einredeverfahren insbesondere die Erfassung von Fällen denkbar, die Schiedssprüche produzieren können, denen im Anerkennungsverfahren etwa aufgrund der § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 UNÜ die Anerkennung verweigert würde. Ein Beispiel sind die Franchisefälle, in denen – allerdings bei Anwendung einer § 307 BGB entsprechenden österreichischen Vorschrift auf die Schiedsklausel – Schiedssprüchen gem. § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 lit. a) die Anerkennung verweigert wurde, da eine unangemessene Benachteiligung in dem Umstand erkannt wurde, dass die strukturell unterlegenen Franchisenehmer:innen aus Deutschland für eine mündliche Verhandlung nach New York hätten fliegen müssen, siehe OLG Celle, Beschl. v. 04. 12. 2008 – 8 Sch 13/07 –, Rn. 22 ff., juris; OLG Bremen, NJOZ 2009, 1188 (1189); OLG Dresden, IPRax 2010, 241 (242); ebenso OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 12436; zustimmend Thorn/Nickel EIAR 2018, 43 (45 ff.); Schulz/ Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196 (200 ff.); siehe namentlich ebd., S. 201 f.; es handele sich um eine Vereitelung des Justizgewährleistungsanspruchs, die dem Schiedsgericht auch die Qualität als gleichberechtigtes Streitbeilegungsforum nehme; s. a. Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 7, 277 ff. 253 Für entsprechende Mutmaßungen in den USA vgl. oben Kapitel 3, Fn. 181. Allerdings wird es sich dabei um extreme Ausnahmefälle handeln, in denen auch ein Verstoß gegen materielle Verbotsnormen in Erwägung gezogen werden kann. Zudem widerspricht es der gelebten Kautelarpraxis – siehe dazu bereits oben Kapitel 4, Fn. 155 –, anzunehmen, dass Forenwahlklauseln bei den Vertragsverhandlungen ein derartiges Gewicht beigemessen wird

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

ist gemein, dass von der Schiedsvereinbarung für die Rechtsverfolgung prohibitive Wirkungen ausgehen, und zwar aufgrund materiellrechtlicher, prozessualer oder ökonomischer Gestaltungen. Es werden für die Kompensation der Geschädigten unerlässliche Durchsetzungsmechanismen und damit auch der hinter diesen Mechanismen stehende Normzweck des Art. 101 AEUV vereitelt. Entfalten andere Fallkonstellationen eine vergleichbar prohibitive Wirkung, ist die Invalidierung im Einredeverfahren gerechtfertigt. Das ist der hier vertretene Maßstab. Bei dieser Bewertung scheint es angezeigt, die wirtschaftlichen Realitäten der beteiligten Vertragsparteien auch im unternehmerischen Rechtsverkehr stärker einzubeziehen, als das bisher in der Rechtsprechung des EuGH der Fall war.254 Neben anderen Faktoren sollte also Berücksichtigung finden, ob zwischen Klägerin und Beklagter ein strukturelles, insbesondere ökonomisch bedingtes Ungleichgewicht besteht.255 Je eher sich die Parteien auf Augenhöhe begegnen, desto mehr Gestaltungsfreiheit kommt ihnen zu und desto eher kann davon ausgegangen werden, dass die Geschädigte subjektiv-rechtlich ihren Kompensationsanspruch erstreiten und objektiv-rechtlich die ihr zugedachte funktionalisierte Rolle zur Verwirklichung des Gewährleistungsgehalts von Art. 101 AEUV auszufüllen vermag.256 Umgekehrt ist die Gestaltungsfreiheit geringer, je eher die Geschädigte bei Ansprüchen wegen Verletzung von Art. 101 AEUV in ihrer durch ein ökonomisches Gefälle ausgedrückten Beziehung zur Kartellantin einer Geschädigten in einer Marktmachtkonstellation gem. Art. 102 AEUV vergleichbar ist. Der Schiedsvereinbarung kann dann die Wirkung eines prozessualen Steins im Mosaik just desjenigen wettbewerbswidrigen Verhaltens zukommen, das präventiv zu verhindern und repressiv zu kompensieren Anspruch der Wettbewerbsvorschriften ist.257 Ein naheliegender und tatsächlich im Zuge der Liberalisierung des Schiedsrechts vom deutschen Gesetzgeber auch erhobener Einwand ist, dass strukturelle Unoder dass die beim Abschluss des Kartellfolgevertages handelnden Personen vom Kartellverstoß wissen; ebenso Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 113; Blanke/Landolt/ Landolt, Rn. 2 – 038; insoweit auch Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591). Überdies ist eine entsprechende Absicht schon ob des häufig erfolgten Zeitablaufs kaum beweisbar und taugt so nicht als maßgebliches Abgrenzungskriterium. 254 Vgl. EuGH, Urt. v. 24. 10. 2018, ECLI:EU:C:2018:854, Rn. 21 ff. – Apple Sales International, wo Ausführungen zu diesem Thema vermisst werden. 255 Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591); insoweit auch Wolf, Internationale Durchsetzung, S. 194; jeweils für Art. 102 AEUV ebenso Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (444); Mankowski, JZ 2019, 141 (142); Krüger/Seegers, WuW 2019, 170 (173); Stammwitz, BB 2018, 3028 (3028); Ferro, CPI October 2018, S. 4 f.; in diese Richtung auch Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 30; für einen vergleichbaren Ansatz aus der Sportschiedsgerichtsbarkeit Orth, ZWeR 2018, 382 (386 ff.); umfassend Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, 2016, passim, der wirtschaftliche Stärke und unterlegene Marktmacht als Merkmale struktureller Unterlegenheit hervorhebt, S. 11 ff.; a. A. Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 164 ff. 256 Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591). 257 Vgl. weitergehend als hier Orth, ZWeR 2018, 382 (383 f., 389).

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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gleichgewichte kein Problem des Kartellrechts, sondern des Schiedsrechts seien.258 Problematisch an dieser Auffassung ist aber, dass sie das Kartellrecht unter Wert verkauft und jedenfalls dann, wenn auch das Schiedsrecht keine adäquaten Lösungen bereithält, der erste Schritt zu einer amerikanischen Lösung gemacht ist, die das Primat der privatautonomen Einigung über die objektiv-rechtliche Komponente des Marktordnungsrechts erhebt.259 Dann erfolgt nämlich weder ein Schutz durch das Kartellrecht, noch durch das Schiedsverfahrensrecht. Dabei drückt der Umstand, dass die Parteien das Wettbewerbsrecht nicht abwählen können und es seine Verbindlichkeit auch gegen eine abweichende Rechtswahl behält, gerade aus, dass es dieses Primat der privatautonomen Einigung in der EU – mit Recht – nicht gibt.260 Was materiellrechtlich gilt, muss konsequenterweise auch in der prozessualen Privatautonomie gelten, wenn sich aus dieser prohibitive Wirkungen für die Rechtsdurchsetzung ergeben können. Dieser Geltungsanspruch des Wettbewerbsrechts und auch der des Art. 47 EUGRCh endet nicht vor geschäftlich erfahrenen Parteien; zumal sich, jedenfalls in der EU, die Problematik der durch Schiedsvereinbarungen gebundenen Erstabnehmerinnen ohnehin in aller Regel nur im B2B-Bereich überhaupt stellt.261 Verdeutlicht man sich etwa die Ausgangssituation in American Express, war die dortige Klägerin, obschon ein gewerbliches Unternehmen, im Vergleich zur juristischen und ökonomischen Feuerkraft der Beklagten eher einer Verbraucherin gleichzustellen.262 Dieses Verhältnis kann kaum mit solchen verglichen werden, wie sie in den Urteilen europäischer mitgliedstaatlicher Gerichte zum Effektivitätsgrundsatz zugrunde lagen, in denen große internationale Unternehmen im Nachgang von Kartellen ge-

258 BT-Drs. 13/5274, S. 76; dazu Schmidt, BB 2006, 1397 (1397); siehe bereits oben Kapitel 2 – B.II.3.; deshalb gegen eine Berücksichtigung derartiger Erwägungen unter der Brüssel Ia-VO Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 164 ff.; in diese Richtung auch Geimer, IZPR, Rn. 1600 („Das einseitige Diktat einer Partei ist keine zuständigkeitspolitisch akzeptable Anknüpfung“). Geimer führt allerdings ebenso an, dass eine Zuständigkeitsvereinbarung unwirksam sein soll, wenn eine Partei unter anderem durch Einsatz ihrer wirtschaftlichen Macht die andere zu einer internationalen Zuständigkeit eines Forums zu nötigen versucht, durch die die Rechtsverfolgung übermäßig erschwert wird. Das ist der hier vertretenen Auffassung teils nicht unähnlich. 259 So auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (471 f.); vgl. im Übrigen Gilles, 2016 U. Ill. L. Rev. 371, 408 (2016) („It is, to say the least, unclear what point is served by fee or damages caps, cost shifting, or discovery limitations if private ordering can permissibly mandate that the case cannot be prosecuted in the first instance“); bedenklich aber etwa Wurmnest, in: Nietsch/ Weller (Hrsg.), S. 75 (97). 260 Vgl. Allgemein Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 20: „[D]ie eingeräumte Vertragsfreiheit beider Parteien [wird] zur Freiheit einer Partei, dem Gegenüber Vertragsbedingungen zu diktieren. Der Zweck von Privatautonomie und Parteiautonomie wird konterkariert. Der Vertragsinhalt entspricht nur noch formal, nicht mehr auch materiell einer Willenseinigung beider Parteien.“ 261 Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (471). 262 S. o. Kapitel 3 – E.IV.3.a).

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geneinander prozessierten.263 Es gibt keinen Grund, solche Disparitäten zu ignorieren und so im Ergebnis das Wettbewerbsrecht auf dem Altar der Schiedsvereinbarung zu opfern. Auf derartige Abwege führt aber eine streng formalistische und am vermeintlichen vertraglichen Konsens ausgerichtete Betrachtung, die tatsächliche Auswirkungen einer Schiedsvereinbarung bei der Prüfung der Effektivität der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften außer Acht lässt.264 Der EuGH sollte das wahrnehmbare Signal senden, sich diesen Zusammenhängen nicht zu verschließen.265 2. Bewertung einzelner Aspekte des kartellrechtlichen private enforcement Die nachstehenden Aspekte sind Teil des vor ordentlichen Gerichten zu beachtenden klägerfreundlichen Regelungsregimes des kartellrechtlichen private enforcement.266 Für Schiedsgerichte vor allem innerhalb der EU267 wird untersucht, ob diese Vorschriften entsprechend einiger Stimmen in der Literatur so gewichtig sind, dass ihre Nichtanwendung die Durchsetzung der durch das Unionsrecht garantierten Rechte übermäßig erschwert und die Invalidierung im Einredeverfahren rechtfertigt. a) Bindungswirkung Als vermeintlich augenscheinlichstes Defizit der Schiedsgerichtsbarkeit lässt sich die fehlende Bindungswirkung wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen268 anfüh-

263 Im Urteil des High Court zum Lithium-Ionen-Kartell waren dies etwa Microsoft und Sony, siehe Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 1 ff.; in der vom LG Dortmund entschiedenen Rechtssache standen sich Beteiligte und Geschädigte des Schienenkartells gegenüber, LG Dortmund, WuW 2017, 621 (621); in einem weiteren Verfahren stritten sich eine große deutsche Automobilherstellerin und eine Zuliefererin um eine vermeintlich gegen §§ 19 f. GWB verstoßende Kündigung, LG Dortmund, WuW 2018, 640 (640). 264 Zum amerikanischen Recht bereits Kapitel 3 – E.IV.3.d)bb); ebenso Orth, ZWeR 2018, 382 (387); unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 55 – Achmea; dort hatte der EuGH geurteilt, dass sich die besondere Behandlung der Handelsschiedsgerichtsbarkeit auf die Privatautonomie stütze; eine in diesem Sinne nicht privatautonome Einigung nimmt Orth in den hier besprochenen Konstellationen an; zum Achmea-Urteil noch unten Kapitel 5 – B.II.1.c)cc). 265 Vgl. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (471). 266 Siehe die Darstellung oben Kapitel 2 – C.II.3.c). 267 Bei diesen ist die Möglichkeit der nachgelagerten Kontrolle im Aufhebungsverfahren zu bedenken, dazu Kapitel 2 – E.V.; Kapitel 5 – A.III.; zur drittstaatlichen Streitbeilegung s. u. Kapitel 5 – B.II. 268 Wie sie Art. 9 KartSE-RL und bereits vorher Art. 16 VO 1/2003 vorsehen, umgesetzt in § 33b GWB.

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ren.269 Das wäre in der Tat schon wegen der herausragenden Bedeutung der followon-Klagen270 in der EU problematisch und würde die Kartellgeschädigten in die Situation bringen, den Kartellverstoß überhaupt erst belegen zu müssen,271 was in ganz erheblicher Weise von entsprechenden Klagen abhalten dürfte. Allerdings implementiert die Anordnung der Bindungswirkung die zentrale Wertung des Kartellverbotsrechts in die zivile Rechtsdurchsetzung und ist aus diesem Grund nach hier vertretener Auffassung trotz ihres Charakters als Verfahrensvorschrift dem ordre public zuzurechnen.272 Sie bindet deshalb auch Schiedsgerichte.273 Damit ist auch eine praktisch ohnehin kaum vorstellbare274 Abweichung des Schiedsgerichts von einer solchen Entscheidung durch die jedenfalls an Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003 und Art. 9 KartSE-RL275 gebundenen ordentlichen Gerichte überprüfbar276 und beeinträchtigt die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht übermäßig. b) Beteiligung der Wettbewerbsbehörden Ähnlich verhält es sich mit Bedenken, nach denen sich Wettbewerbsbehörden vor einem Schiedsgericht nicht ausreichend in Schadensersatzverfahren einbringen können.277 Zwei Szenarien sind hierbei zu unterscheiden. Geht es um die Beteiligung der Wettbewerbsbehörden bereits im Erkenntnisverfahren auf entsprechende Bestrebungen der Parteien hin, so sind weder das Schiedsgericht noch die Wettbe-

269 Zu diesem häufig genannten Punkt etwa Wilske/Steinle/Schuler, ZWeR 2020, 458, 470; Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (450); Hack, GWR 2018, 14 (14); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589); Funke, WuW 2017, 624 (624); Mäsch, WuW 2016, 285 (290); ebenso, im Kontext des ordre public (dazu bereits oben Kapitel 5 – A.III.2.c)bb)), Bien, ZZP 132 (2019), 93 (103 f.); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 170; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/ Schwedler, § 38 Rn. 52. 270 Handelt es sich um die Konstellation einer stand alone-Klage mit einer absehbaren Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde, sollte das Schiedsgericht das Verfahren aussetzen; so wohl auch Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567, 578 (2015); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (451). 271 Funke, WuW 2017, 624 (624). 272 Im Ergebnis wie hier Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567, 577 f., 582 f. (2015); Fuchs/ Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 125; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (164); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (450 f.); wohl auch Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 5. 273 So auch MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 845; Bechtold/Bosch/Brinker, EUKartellrecht, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 8. 274 So auch Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 125; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (164); Mäsch, WuW 2016, 285 (290). 275 Bzw. an die nationale Umsetzungsnorm des § 33b GWB. 276 Bereits zu Art. 16 VO 1/2003 ebenso Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 5; LMRKM/Zuber, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 12. 277 Funke, WuW 2017, 624 (624).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

werbsbehörden gehindert, den Kontakt zu suchen.278 Derartige Kooperationen sind auch bekannt geworden.279 Gerade dann, wenn ein möglicher Verstoß gegen den ordre public und der Erlass eines ansonsten nicht vollstreckungsfähigen Schiedsspruchs im Raum steht, kann die frühzeitige Beteiligung der Wettbewerbsbehörden angeraten sein.280 Geht es demgegenüber um eine institutionalisierte Möglichkeit der Beteiligung von Wettbewerbsbehörden als amici curiae, so ist anzumerken, dass es nicht viel Fantasie bedarf, um hierin einen Widerspruch zum grundsätzlich legitimen Interesse der Parteien an einem effizienten und insbesondere auch vertraulichen Streitbeilegungsmechanismus zu erkennen.281 Dieser müsste durch ein besonderes Kontrollinteresse zu rechtfertigen sein. Während des Erkenntnisverfahrens ist ein solches aber im Regelfall nicht ersichtlich; im Gegenteil räumt gerade die gesetzliche Wertung des § 90 GWB dem Zweck des Schiedsverfahrens Vorrang vor Informationsinteressen des BKartA ein.282 Und die Europäische Kommission nimmt schon die durch Art. 15 VO 1/2003 vor ordentlichen Gerichten eröffnete Gelegenheit zur Mitwirkung an den Verfahren nicht besonders häufig wahr.283 Zudem haben die Wettbewerbsbehörden nicht im schiedsgerichtlichen Erkenntnisverfahren, zweifelsohne aber im Anerkennungsverfahren die Möglichkeit, ihre Rolle als amici curiae auszufüllen.284 Damit verschiebt sich allein der Zeitpunkt ihrer Beteiligung. Als ultima ratio kommt in Betracht, dass die Kommission Schiedssprüchen, die einen Wettbewerbsverstoß darstellen, wenigstens faktisch ihre Durchsetzbarkeit nimmt. Auch das ist vereinzelt schon vorgekommen.285 Darüber hinausgehender Beteiligungsmöglichkeiten bedarf es nicht.286 278 Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (passim); Nazzini, EBLR 2008, 89 (106); Van Houtte, EBLR 2008, 63 (73 ff.); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (12); Blanke/Landolt/Komninos, Rn. 21 – 001 ff.; Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 2; FK/Jaeger, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 6; MüKoWettbR/Wurmnest, Bd. 1 Grundl. Rn. 1492; deutlich zurückhaltender aber Heukamp, Schiedszusagen, S. 181 f. 279 Europäische Kommission, XXVI Bericht über die Wettbewerbspolitik 1996, S. 375; siehe dazu Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (612 f.); Blanke/Landolt/Komninos, Rn. 21 – 038; s. a. für einen anderen Fall Sachs, SchiedsVZ 2004, 123 (129). 280 Ausführlich auch zu weiteren Vorteilen der Beteiligung der Europäischen Kommission an Schiedsverfahren Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (619 ff., 623 ff.); s. a. Nazzini, EBLR 2008, 89 (106 ff.). 281 Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (622 f.); Blanke/Landolt/Komninos, Rn. 21 – 026 f. 282 FK/Meyer-Lindemann, § 90 GWB Rn. 10. 283 Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (164); LMRKM/Zuber, Art. 15 VO 1/2003 Rn. 4, nennt die Zahl von über 100 Beteiligungen der Europäischen Kommission an Verfahren mitgliedstaatlicher Gerichte im Zeitraum von 1993 – 2018. Das BKartA war im Berichtszeitraum 2017/2018 an insgesamt 20 Zivilverfahren gem. § 90 GWB, Art. 15 Nr. 1 VO 1/2003 beteiligt, siehe BT-Drs. 19/10900, S. 37; siehe dazu schon oben Kapitel 2 – C.II.3.c)gg). 284 Nazzini, EBLR 2008, 89(108); Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 90 GWB Rn. 5; MüKoWettbR/Nothdurft, § 90 GWB Rn. 6; FK/Meyer-Lindemann, § 90 GWB Rn. 10. 285 S. o. Kapitel 2 – B.III.; wenig praktikabel dürfte demgegenüber für den Bereich des Kartellschadensersatzes die früher von der Kommission bei Freistellungsentscheidungen ge-

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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c) Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV Neben der mangelnden Interaktion mit den Wettbewerbsbehörden wird auch die fehlende Möglichkeit zur Kommunikation mit dem EuGH beklagt.287 Vertragliche Schiedsgerichte sind nach der Nordsee-Rechtsprechung des EuGH keine Gerichte i. S. d. autonom zu bestimmenden Gerichtsbegriffs des Art. 267 Abs. 2 AEUV und deshalb nicht vorlageberechtigt.288 Maßgeblich ist für den EuGH, dass es sich bei Schiedsparteien nicht um solche handele, die eine rechtliche oder tatsächliche Verpflichtung gehabt hätten, ihre Streitigkeit vor ein Schiedsgericht zu bringen.289 Auch sei die öffentliche Gewalt der Mitgliedstaaten nicht in die Entscheidung der Schiedsparteien einbezogen, ein Schiedsgericht zu wählen, und könne in dessen Verfahrensablauf auch nicht eingreifen.290 Spätestens seit der Achmea-Entscheidung291 zu Investitionsschiedsgerichten ist auch klar, dass der EuGH trotz aller Kritik292 im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit erst recht an seiner Rechtsprechung festhalten wird. Das erschwert den Gang nach Luxemburg, versperrt ihn aber nicht; er führt vielmehr über die „goldene Brücke“293, die der EuGH im gleichen Atemzug baut. Eine so aufgezeigte Möglichkeit ist die der gerichtlichen Unterstützungshandlung im Erkenntnisverfahren nach nationalen Regelungen wie § 1050 ZPO,294 eine weitere die Vorlage des ordentlichen Gerichts im Anerkennungsverlebte Praxis sein, sich Schiedssprüche vorlegen zu lassen; in jedem Fall handelt es sich dabei auch nicht um eine amici-Beteiligung im eigentlichen Sinn, siehe Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (613 ff.). 286 Für einen unverbindlichen Vorschlag der Kooperation von Schiedsgerichten und Kommission bei der Anwendung der Art. 101 f. AEUV Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 243 f. 287 Wolf, IPRax 2018, 594 (598); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589); Funke, WuW 2017, 624 (624). 288 EuGH, Urt. v. 23. 03. 1982, ECLI:EU:C:1982:107, Rn. 13 – Nordsee; EuGH, Urt. v. 27. 01. 2005, ECLI:EU:C:2005:69, Rn. 13 – Denuit und Cordenier; s. a. EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 34, 40 – Eco Swiss; EuGH, Urt. v. 12. 06. 2014, ECLI:EU:C: 2014:1754, Rn. 27 – Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta AS. 289 EuGH, Urt. v. 27. 01. 2005, ECLI:EU:C:2005:69, Rn. 13 – Denuit und Cordenier; EuGH, Urt. v. 23. 03. 1982, ECLI:EU:C:1982:107, Rn. 11 – Nordsee. 290 EuGH, Urt. v. 27. 01. 2005, ECLI:EU:C:2005:69, Rn. 13 – Denuit und Cordenier; EuGH, Urt. v. 23. 03. 1982, ECLI:EU:C:1982:107, Rn. 12 – Nordsee. 291 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 43 ff. – Achmea. 292 Siehe Basedow, 32 J. Arb. Int’l 367, 369 ff. (2015); Schütze, SchiedsVZ 2007, 121 (123); Spiegel, EuZW 1999, 568 (569); Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 103 ff.; Hilbig, Kartellverbot in Handelsschiedsverfahren, S. 158 ff.; für eine Vorlagemöglichkeit auch Gößling, Europäisches Kollisionsrecht, S. 214 ff.; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Anhang 3 VO 1/2003 Rn. 39. 293 Friese, Kartellrecht und Schiedsverfahrensrecht, S. 99 m. w. N. 294 EuGH, Urt. v. 23. 03. 1982, ECLI:EU:C:1982:107, Rn. 14 f. – Nordsee; es ist nicht unumstritten, ob das den gesteckten Rahmen des § 1050 ZPO überschreitet (so etwa Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 35), aber eine entsprechende Möglichkeit ist mit der eindeutigen Rechtsprechung des EuGH spätestens im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung an-

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

fahren295. Auch hier kommt es damit nur zu einer zeitlichen Verzögerung, welche für den Gewährleistungsgehalt des Unionsrechts weniger ein Problem darstellen dürfte als für die beteiligten Schiedsparteien. d) Verjährung Bei den gem. Art. 10 KartSE-RL umzusetzenden Verjährungsvorschriften ist leicht vorstellbar, wie sie die Rechtsdurchsetzung übermäßig erschweren können,296 und entsprechend wird die Bedeutung des Effektivitätsprinzips für diese Vorschriften auch in Erwägungsgrund 36 KartSE-RL besonders betont. Der EuGH hatte jüngst in der Rechtssache Cogeco Gelegenheit, sich zu Anforderungen an nationale Verjährungsvorschriften außerhalb des Anwendungsbereichs der KartSE-RL zu äußern.297 Der EuGH führte hierbei aus, die Umstände der jeweiligen Regelungen seien in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der besonderen kartellrechtlichen Komplexität zu würdigen.298 Eine im Vergleich zu den fünf Jahren gem. Art. 10 Abs. 3 KartSE-RL kurze Verjährungsfrist von drei Jahren, die in Verbindung mit den sonstigen Verjährungsregelungen zur Folge haben konnte, dass die Frist vor Kenntnisnahme des Verstoßes durch die Geschädigte ablief und überdies auch für die Dauer des behördlichen Ermittlungsverfahrens nicht gehemmt war, stellte einen Verstoß gegen das Effektivitätsgebot dar.299 Die Generalanwältin hatte ergänzend ausgeführt, zunehmen; im Ergebnis wie hier BGH, SchiedsVZ 2016, 328 (333); OLG Frankfurt a. M., SchiedsVZ 2013, 119 (125); Schütze, SchiedsVZ 2007, 121 (124), m. w. N.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 16 Rn. 51; s. a. die Nachweise bei Thörle, Investitionsschutzabkommen, S. 206 f.; für die effektive Verwirklichung des Unionsrechts dürfte das letztlich weniger wichtig sein, als die jedenfalls bestehende Möglichkeit zur Vorlage im Aufhebungsund Anerkennungsverfahren. 295 EuGH, Urt. v. 23. 03. 1982, ECLI:EU:C:1982:107, Rn. 14 f. – Nordsee; ebenso EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea; EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI: EU:C:1999:269, Rn. 40 – Eco Swiss; EuGH, Urt. v. 27. 04. 1994, ECLI:EU:C:1994:171, Rn. 22 – Gemeente Almelo. Die zuletzt angeführten Urteile beruhten alle auf Vorabentscheidungsverfahren in Anerkennungs- und Aufhebungsverfahren. Diese Möglichkeit unterschlagen Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589); Funke, WuW 2017, 624 (624); bei Wolf, IPRax 2018, 594 (598 f.) wird sie zwar angesprochen, es bleibt aber unklar, warum sie nicht ausreichen soll. 296 Etwa durch besonders kurze Verjährungsfristen, die kenntnisunabhängig zu laufen beginnen und bei follow-on-Klagen nicht für die Dauer des behördlichen Verfahrens gehemmt sind; siehe allgemein auch bereits EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 77 f. – Manfredi. 297 EuGH, Urt. v. 28. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:263, Rn. 43 ff. – Cogeco Communications; siehe dazu auch Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (109). 298 EuGH, Urt. v. 28. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:263, Rn. 45 f. – Cogeco Communications; für eine Gesamtwürdigung auch GAin Kokott, SchlA v. 17. 01. 2019, ECLI:EU:C:2019:32, Rn. 81 – Cogeco Communications; EFTA-Gerichtshof, NZKart 2018, 495 (497) – Nye Kystlink AS v Color Group AS and Color Line AS; in diesem Sinne bereits EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 78 ff. – Manfredi. 299 EuGH, Urt. v. 28. 03. 2019, ECLI:EU:C:2019:263, Rn. 47 ff. – Cogeco Communications.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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kürzere Verjährungsfrist, wie die hier im Raum stehende Frist von drei Jahren, seien für sich genommen keine übermäßige Beeinträchtigung bei der zivilrechtlichen Geltendmachung eines Kartellschadensersatzanspruchs.300 Dem ist nach hier vertretener Auffassung nichts hinzuzufügen. e) Discovery Bisweilen findet sich die Klage, Schiedsgerichte hätten eine schlechtere Möglichkeit zur Sachaufklärung als ordentliche Gerichte,301 was eine vor dem Hintergrund der Regelung der Art. 5 ff. KartSE-RL und der fehlenden hoheitlichen Befugnisse des Schiedsgerichts zu lesende Beschwerde ist. Diese überzeugt nicht. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche gem. § 33g GWB oder § 242 BGB können jedenfalls auch vor Schiedsgerichten geltend gemacht werden.302 Daneben müssen Klägerinnen zwar bei der Informationserlangung privilegiert werden, um die Aufdeckung typischerweise verschleierter Wettbewerbsverstöße und damit die effektive Verwirklichung des EU-Wettbewerbsrechts zu ermöglichen.303 Hierfür müssen aber nicht notwendigerweise die durch Art. 5 ff. KartSE-RL vorgegebenen Auskunftsansprüche Anwendung finden.304 Zum einen spielt die Musik in der Beweisaufnahme bei den in Europa typischen follow-onKonstellationen eher im Bereich des ökonomischen Sachverständigen- denn des Zeugenbeweises, und zumindest für den Umgang mit diesem Beweismittel sollten Schiedsgerichte ordentlichen Gerichten strukturell überlegen sein.305 Zum anderen und grundsätzlicher wird sich, wer die discovery des europäischen und deutschen Kartellschadensersatzanspruchs mit der anderer Rechtsordnungen vergleicht, schnell von der Vorstellung verabschieden, dass diese einen Goldstandard darstellt, dessen Anwendbarkeit bei der Durchsetzung der EU- Wettbewerbsvorschriften unverzichtbar ist. An die – allerdings teils auch sehr kritisch bewertete – discovery des US-amerikanischen Systems306 reichen die Vorschriften der Art. 5 ff. KartSERL, §§ 33g, 89b ff. GWB ohnehin nicht heran. Doch auch ohne einen Vergleich mit 300

GAin Kokott, SchlA v. 17. 01. 2019, ECLI:EU:C:2019:32, Rn. 78 – Cogeco Communications; EFTA-Gerichtshof, NZKart 2018, 495 (497) – Nye Kystlink AS v Color Group AS and Color Line AS. 301 Funke, WuW 2017, 624 (624); Siwy, wbl 2017, 193 (198), scheint zwar die generelle Eignung von Schiedsgerichten nicht in Frage zu stellen, sieht aber in der Nichtanwendung der österreichischen Vorschriften zur discovery einen Verstoß gegen den ordre public. 302 Wilske/Steinle/Schuler, ZWeR 2020, 458, 465; Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 127; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (164). 303 Zum Effektivitätsgrundsatz bei Auskunftsansprüchen grundlegend EuGH, Urt. v. 14. 06. 2011, ECLI:EU:C:2011:389, Rn. 24 ff. – Pfleiderer; s. a. EuGH, Urt. v. 06. 06. 2013, ECLI:EU: C:2013:366, Rn. 27, 32 – Donau Chemie; Erwägungsgrund 14 KartSE-RL; Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Denzel/Holm-Hadulla, § 29 Rn. 15. 304 Im Ergebnis wie hier Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (449). 305 Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 127; ders., SchiedsVZ 2018, 159 (164). 306 S. o. Kapitel 2 – C.I.3.b)dd).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

dem extrem freigiebigen US-amerikanischen Beweisverfahren dürfte in der Rechtsanwendung durch Schiedsgerichte ein Durchsetzungsdefizit eine fernliegende Annahme sein. Denn in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit – deren Vertreter naturgemäß vor dem Hintergrund unterschiedlicher zivilprozessualer Beweisverfahren sozialisiert wurden – ergibt sich schon seit jeher die Notwendigkeit, die divergierenden Herangehensweisen der civil law- und common law-Jurisdiktionen in Ausgleich zu bringen. Deshalb enthalten Schiedsverfahrensordnungen allgemein gehaltene Regeln zur discovery, die es dem Schiedsgericht ermöglichen, flexibel zu reagieren.307 Ein Beispiel stellt Art. 3 der IBA-Regeln zur Beweisaufnahme in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit dar, der gemeinhin als eine gelungene Synthese verschiedener Ansätze und damit als ein für die Parteien akzeptabler Mittelweg aufgefasst wird.308 Schiedsgerichten ist es auch ohne Weiteres möglich, die Wertungen des § 89b GWB, der die prozessuale Durchsetzung des Anspruchs regelt,309 sowie des § 89d Abs. 4 GWB, der sicherstellt, dass die unionsrechtlichen Vorgaben der Art. 5 f. KartSE-RL nicht durch andere zivilprozessuale Vorlage- und Offenlegungspflichten unterlaufen werden,310 zu berücksichtigen. Diese Flexibilität ist kein Nachteil der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern gerade ein Alleinstellungsmerkmal. Im Notfall können Schiedsgerichte zudem die gerichtliche Unterstützung bei der Beweisaufnahme in Anspruch nehmen,311 was in Deutschland insbesondere bei Verfahren gem. § 89c GWB relevant werden könnte. Wie weit der Arm der Justiz bei solchen Unterstützungshandlungen reichen kann, zeigt die Rechtsprechung der USBundesberufungsgerichte. Hiernach finden die Vorschriften über die Unterstützung von foreign or international tribunals bei der Beweiserlangung gem. 28 U.S.C. § 1782 auch auf Schiedsgerichte Anwendung.312 Das hätte zur Folge, dass Schiedsgerichte etwa aus der EU zumindest in komplexen internationalen Kartellfällen, in denen Delinquentinnen ihren Sitz auch in den USA haben oder dort anzutreffen sind, mit Hilfe des jeweiligen Federal District Court eine discovery nach 307

Überblick bei Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2511 ff. In diesem Sinne Blanke, ASA Bulletin 2019, 611 (625 f.); Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164 (174 f.); Trittmann, IWRZ 2016, 255 (258 f.); Kneisel/Lecking, SchiedsVZ 2013, 150 (150 ff.); Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2520 ff.; McIlwrath/Savage, International Arbitration, Rn. 5 – 183; Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Einl. Rn. 27; speziell für Kartellschadensersatzklagen Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/ Harler/Schwedler, § 38 Rn. 58 f. 309 Wiedemann/Ollerdißen, § 62 Rn. 143. 310 Wiedemann/Ollerdißen, § 62 Rn. 218. 311 So etwa die Regelung des § 1050 ZPO; wie hier Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/ Harler/Schwedler, § 38 Rn. 59 ff.; für die USA vergleiche § 7 FAA (9 U.S.C. § 7); Nachweise aus weiteren Rechtsordnungen bei Born, International Commercial Arbitration, II, S. 2570 ff. 312 So das Berufungsgericht im Verfahren In re Application to Obtain Discovery for Use in Foreign Proceedings, 939 F.3d 710, 717 ff. (6th Cir. 2019); anders zuvor El Paso Corp. v. La Comision Ejecutiva Hidroelectrica Del Rio Lempa, 341 F. App’x 31, 33 f. (5th Cir. 2009); Nat’l Broad. Co. v. Bear Stearns & Co., 165 F.3d 184, 189 ff. (2nd Cir. 1999); hierzu Schley/Lange, RIW 2020, 342 (passim). 308

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US-Maßstäben durchführen können,313 und zwar auch für extraterritorial belegene Beweismittel314. Das würde ihnen eine mächtige und wie erwähnt weit über den Maßstab der Art. 5 ff. KartSE-RL hinausgehende Möglichkeit zur Beweiserhebung an die Hand geben. Derweil war vor ordentlichen Gerichten in Deutschland selbst die intertemporale Anwendbarkeit der durch die 9. GWB-Novelle eingeführten §§ 33g, 89b ff. GWB streitig.315 Dazu verfahren die Gerichte bei der Herausgabe der die Geschädigten besonders interessierenden Kronzeugenanträge sehr restriktiv.316 Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, in der Handhabung der discovery durch Schiedsgerichte eine übermäßige Beeinträchtigung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte zu vermuten.317 f) Beweisregelungen und passing-on defence Mit ähnlichen Erwägungen lässt sich auch festhalten, dass eine Nichtbeachtung der sonstigen beweisrechtlichen Vorschriften, v. a. des Art. 17 Abs. 1, 2 KartSE-RL, durch das Schiedsgericht nicht naheliegend ist und im Übrigen für sich genommen auch die Rechtsverfolgung nicht übermäßig beeinträchtigt.318 Art. 17 Abs. 1 S. 1 KartSE-RL, wonach weder die Beweislast noch das Beweismaß für die Ermittlung des Schadensumfangs die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren darf, ist ein wenn auch zutreffender, so doch recht allgemein gehaltener Programmsatz. Eine Vermutung der Schadensverursachung, wie sie Art. 17 Abs. 2 KartSE-RL vorsieht, ist allgemeiner Konsens.319 313

Derzeit ist diese Möglichkeit bis zu einer endgültigen Klärung der Auslegung von 28 U.S.C. § 1782 durch den Supreme Court noch auf die Jurisdiktion des United States Court of Appeals for the Sixth Circuit beschränkt, siehe Schley/Lange, RIW 2020, 342 (346); eine Klärung dieser Frage könnte herbeigeführt werden durch Servotronics, Inc. v. Rolls-Royce PLC, 975 F.3d 689 (7th Cir. 2020), cert. granted, 141 S. Ct. 1684, 209 L. Ed. 2d 463 (2021). 314 In re del Valle Ruiz, 939 F.3d 520, 532 f. (2nd Cir. 2019); dazu Schley/Lange, RIW 2020, 342 (346). 315 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)ee). 316 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)ee). 317 Siwy, wbl 2017, 193 (198) ist der Auffassung, die Nichtanwendung der österreichischen Umsetzungsnormen zu den Art. 5 ff. KartSE-RL begründe einen Verstoß gegen den österreichischen ordre public. Unabhängig davon, ob dies eine treffende Interpretation der österreichischen Rechtslage ist, handelt es sich jedenfalls um eine nicht auf die deutsche Rechtslage übertragbare Einschätzung. Verfahrensnormen des Kartelldeliktsrechts sind nicht dem ordre public zuzurechnen, soweit sie nicht spezielle Wertungen des Kartellverbotsrechts implementieren, s. o. Kapitel 5 – A.III.2.c)bb). 318 Siehe Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (449): „Important as they may be, these rules are simply accessory to the right to compensation“; wohl ebenso Kamann/Ohlhoff/Völcker/ Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 52 f. 319 Über eine solche besteht in der einen oder anderen Form Konsens, siehe etwa die Übersicht ökonomischer Studien bei Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 89; MüKoWettbR/Engelsing/Schneider, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 12 f.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Schiedsgerichte sollten keine Probleme haben, diesen im Verfahren zu berücksichtigen. Die Vorschriften zur passing-on defence gem. Art. 12 ff. KartSE-RL sind demgegenüber zumindest insoweit zwingend, als sie auch bereits gem. Art. 101 AEUV die Aktivlegitimation auch mittelbarer Abnehmerinnen i. S. d. „Jedermann“-Formel eröffnen.320 Diese sind aber mit Delinquentinnen sowieso nicht über eine vor Entstehung der Streitigkeit geschlossene Schiedsvereinbarung verbunden. g) Kosten Wie schon ausgeführt, können die im weiteren Sinne mit dem Schiedsverfahren verbundenen Kosten prohibitive Wirkung entfalten und so auch die Rechtsverfolgung übermäßig erschweren.321 Bei der Bemessung bietet es sich an, die zu erwartenden Kosten des Schiedsverfahrens ins Verhältnis zu setzen, zu der geltend gemachten Schadenssumme einerseits sowie zu den Kosten des Gerichtsverfahrens, wie sie bei Berücksichtigung des § 89a GWB anfallen, andererseits.322 Eine prohibitive Wirkung wird anzunehmen sein, wenn die Kosten der Rechtsverfolgung vor einem Schiedsgericht die eine oder die andere Bezugsgröße nicht nur unerheblich, sondern um ein Vielfaches übersteigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kosten für einen Kartellschadensersatzprozess auch vor ordentlichen Gerichten regelmäßig sechsstellige Summen erreichen.323 Diese Last kann Klägerinnen auch im Schiedsverfahren nicht abgenommen werden. Das Schiedsgericht sollte aber von dem ihm typischerweise eingeräumten weiten Ermessen324 dahingehend Gebrauch machen, dass im Obsiegensfall Kosten des Verfahrens und der Rechtsverfolgung erstattungsfähig sind. Generell wird sich die Problematik prohibitiver Kostenregelungen im Schiedsverfahren unter größeren Unternehmen kaum einmal stellen. Einen erheblichen Unterschied können Kostentragungsregelungen allerdings in Kollektivverfahren ausmachen, in

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Zu den Anforderungen an die praktische Wirksamkeit bei der Aktivlegitimation siehe nur EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 21 ff. – Kone. 321 S. o. für den einzelfallbezogenen Maßstab Kapitel 5 – B.I.1.b); in diesem Sinne Hack, GWR 2018, 14 (14); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591); Funke, WuW 2017, 624 (624). 322 Für den vormals vertretenen Ansatz in den USA siehe Kapitel 3 – E.III. 323 Vgl. die Rechnung bei Fuchs/Weitbrecht/Rother, § 3 Rn. 38 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 644 ff., dort noch ohne Berücksichtigung von § 89a Abs. 3 GWB n.F.; s. a. Weitbrecht, WuW 2015, 959 (967): ökonomisch lohne sich ein Prozess dann, wenn es um den Bezug kartellbefangener Produkte in einem Umfang von mindestens 5 Millionen Euro bei einer angenommener Schadenssumme von 500.000 Euro gehe; zu notwendigen ökonomischen Gutachten, für die zumeist sechsstellige Beträge aufgerufen werden ders., NZKart 2020, 106 (112). 324 Born, International Commercial Arbitration, III, S. 3350 ff. m. w. N.; siehe etwa Art. 38 Abs. 5 ICC-SchO 2017; Art. 33.3 DIS-SchO 2018; Art. 28 LCIA-SchO 2014.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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denen ohne Skaleneffekte für eine Vielzahl kleinvolumiger Ansprüche die Rechtsverfolgung nicht sinnvoll möglich ist.325 h) Zusammenfassung Die im vorstehenden Abschnitt untersuchten Aspekte als Teil des kartellrechtlichen private enforcement stellen zwar prozessuales Handwerkszeug zur Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen dar. Sie sind aber mit der Ausnahme der Bindungswirkung wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen für die Rechtsdurchsetzung nicht so zentral, dass sie ein Abweichen von dem allgemeinen Maßstab rechtfertigen würden, wonach ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz durch Feststellung einer prohibitiven Wirkung der Schiedsvereinbarung im Einzelfall zu ermitteln ist. 3. Komplexe kartelldeliktische Ausgleichsverhältnisse Im Kartelldeliktsrecht ist die Problematik der multilateralen Rechtsverhältnisse virulent und wird auch häufig gegen die Erfassung von Kartellschadensersatzansprüchen durch Schiedsvereinbarungen in Stellung gebracht.326 Aufgliedern lässt sich dieser Komplex in teils nebeneinanderstehende, teils verbundene Problemkreise, ausgehend von der kartelldeliktischen gesamtschuldnerischen Haftung (a)). Schwerpunktmäßig behandelt werden Möglichkeiten der anfänglichen (b)). und nachträglichen Beteiligung (d)) Dritter an Verfahren sowie das Problem des kollektiven Rechtsschutzes (c)).327 Diese werden wiederum den zivilprozessualen Möglichkeiten zur Verfahrensharmonisierung und -kollektivierung vor den ordentlichen Gerichten gegenübergestellt. So sollen Auswirkungen der Komplexität kartelldeliktischer Rechtsverhältnisse an sich von der Frage getrennt werden, ob tatsächlich die schiedsgerichtliche Streitbeilegung zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Durchsetzung des Unionsrechts führt.

325

Dazu noch unten Kapitel 5 – B.I.3.c). GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 126 – CDC; Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Hack, GWR 2018, 14 (14); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586); Funke, WuW 2017, 624 (624); im Übrigen bereits oben Kapitel 4 – A.II.1.f). 327 Zwischen der anfänglichen und der nachträglichen Beteiligung Dritter wird hier vor allem deshalb unterschieden, da sich die zivilprozessualen Rechtsverhältnisse in Kartelldeliktsfällen sukzessive entfalten, weshalb in unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen die Notwendigkeit bestehen kann, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen, s. a. Krüger, Kartellregress, S. 146. Mit Beteiligungsmöglichkeiten Dritter sind hier nicht nur die aus der ZPO bekannten Möglichkeiten zur Streitgenossenschaft i. S. d. §§ 59 ff. ZPO sowie der Beteiligung Dritter i. S. d. §§ 64 ff. ZPO gemeint, sondern auch Mehrparteienverhältnisse; hier geht die Parteistellung über Rechtsstellung der Beteiligten bei einer Nebenintervention hinaus, siehe Elsing, in: FS Wegen, S. 615 (616 f., 629 f.). 326

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

a) Zur Bedeutung der gesamtschuldnerischen Haftung Nach hier vertretener Auffassung ist die gesamtschuldnerische Haftung der Kartellantinnen gem. Art. 11 KartSE-RL bzw. § 33d GWB dem unionsrechtlichen ordre public zuzurechnen und so auch von Schiedsgerichten zu beachten.328 Kartellantinnen für den gesamten durch das Kartell entstandenen Schaden zivilrechtlich haftbar zu machen, ist eine Idee, an der Gesetzgeber weltweit Gefallen gefunden haben,329 und in der natürlich ohne viel Fantasie ein Beitrag zur Stärkung des private enforcement erblickt werden kann. An dieser – keineswegs lückenlosen330 – materiellen Haftungsanordnung ändert sich aber nichts, wenn zwei Parteien über eine Schiedsvereinbarung verbunden sind. Die Geschädigte muss sich lediglich entscheiden, ob sie gegen die Schädigerin vorgeht, mit der sie über eine Schiedsvereinbarung verbunden ist, und den im Zusammenhang mit dem Vertrag stehenden Anteil des Schadens dort liquidiert, oder ob sie andere Schadenspositionen und andere Kartellantinnen als Gesamtschuldnerinnen, für die der sachliche bzw. persönliche Anwendungsbereich der Schiedsklausel nicht eröffnet ist, vor ordentlichen Gerichten ein- und verklagt.331 Das ist zunächst nur ein Mehr an Optionen, wie sie die Gesamtschuld auch im Übrigen bietet; in der Praxis werden keineswegs immer alle Gesamtschuldnerinnen konzertiert verklagt332. Um nur deshalb eine übermäßige Beeinträchtigung der EU-Wettbewerbsvorschriften anzunehmen, müsste zu deren Gewährleistungsgehalt auch die prozessuale Garantie gehören, alle Kartellantinnen in einem einheitlichen Forum in Anspruch nehmen zu können. Bei Kartellfällen stehen sich aber notwendigerweise mehrere Schädigerinnen und zumeist auch eine Vielzahl an Geschädigten gegenüber, weshalb eine potentiell unüberschaubare Anzahl an Ausgleichsverhältnissen nebeneinander 328

Ebenso Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (448); wohl auch Kamann/Ohlhoff/Völcker/ Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 51; s. a. oben Kapitel 5 – A.III.2.c)bb). 329 Fuchs/Weitbrecht/Paul, § 5 Rn. 215; zur Rechtslage vor Inkrafttreten der KartSE-RL bzw. der 9. GWB-Novelle in Deutschland siehe bereits BGH, NJW 2012, 928 (935) – ORWI; Köhler, GRUR 2004, 99 (101); s. a. Krüger, Kartellregress, S. 24 ff., 111 f. 330 Siehe die Haftungserleichterungen für KMU und Kronzeugen, Art. 11 Abs. 2 – 4 KartSE-RL, §§ 33d Abs. 3 – 5, 33e GWB. 331 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa); auch noch Kapitel 5 – B.I.3.c)bb)(3)(d); wohl wie hier Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163 f.). 332 Der Gewinn durch zusätzliche Schuldnerinnen ist etwa abzuwiegen gegen Prozesskostenrisiken und Effizienzverluste, siehe für entsprechende Überlegungen Kamann/Ohlhoff/ Völcker/Hutschneider/Middelschulte, § 43 Rn. 60 f.; Fuchs/Weitbrecht/Mallmann, § 14 Rn. 59 f.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Makatsch/Bäuerle, Kap. C Rn. 25. Teils werden auch Schädigerinnen nicht mitverklagt, wenn die Bescheide gegen sie noch nicht bestandskräftig sind. Im Verfahren LG München I, NZKart 2020, 145 (145), ist Scania nicht als Beteiligte des LKW-Kartell (AT.39824 – Trucks) verklagt, bereits gegen Scania durch andere Klägerinnen angestrengte Verfahren werden ausgesetzt, LG Mainz, NZKart 2019, 116 (116). Ein anderes Beispiel ist das Zementkartell, wo durch dasselbe Klagevehikel nach einer ersten Klageabweisung durch Sachurteil wegen einer Änderung des Streitgegenstandes eine neue zulässige Klage gegen Kartellantinnen erhoben worden war, siehe LG Mannheim, BeckRS 2017, 101297.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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steht.333 Das sorgt für eine hochkomplexe Gemengelage.334 Gerade weil diese Komplexität Kartelldeliktsfällen immanent ist, kann es sich dabei um das entscheidende Kriterium nicht handeln.335 Andernfalls wären kartellrechtliche Schiedsgegenstände bei vor Entstehung der Streitigkeit geschlossenen Schiedsvereinbarungen faktisch nicht schiedsfähig, was bekanntlich der geltenden Rechtslage nicht entspricht.336 b) Anfängliche Möglichkeiten zur Beteiligung Dritter und zur Verfahrenskonsolidierung Offen ist allerdings, wie es sich mit den der Gesamtschuld zur Seite gestellten prozessualen Instrumenten zur Harmonisierung komplexer Rechtsverhältnisse verhält. Der nachstehende Abschnitt behandelt mit Ausnahme des Abtretungsmodells die zu Prozessbeginn bestehenden Möglichkeiten zur Verfahrenskonsolidierung. aa) Vor staatlichen Gerichten Vor staatlichen Gerichten gilt, dass die ZPO den Boden für einen Zweiparteienprozess bereitet und eine Absage an ein Mehrparteienverfahren darstellt.337 Die Vorschriften zur Verbindung paralleler Prozessrechtsverhältnisse wurden bereits angesprochen.338 Hier geht es um die anfänglichen Möglichkeiten der subjektiven und objektiven Klagehäufung gem. §§ 59 ff., 260 ZPO, § 88 GWB.339 bb) Vor Schiedsgerichten Schiedsgerichten stehen nicht die Möglichkeiten hoheitlicher Anordnung und gesetzlichen Zwangs zur Verfügung, wie sie für den staatlichen Zivilprozess kennzeichnend sind, und ihre Basis ist die Schiedsvereinbarung.340 Dafür ergeben

333 Dazu Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 316 ff.; Krüger, Kartellregress, S. 39, 116 ff. 334 Krüger, Kartellregress, S. 39. 335 Siehe zu entsprechenden Überlegungen oben Kapitel 5 – B.I.1.b); vgl. für eine ähnliche Argumentation aus den USA In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 283 ff. (4th Cir. 2007), oben Kapitel 3 – E.III.; vgl. auch Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 136 f. (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (81 f.), namentlich zum englischen Recht. 336 Erwägungsgrund 48 KartSE-RL. 337 MüKoZPO/Lindacher/Hau, ZPO vor § 50 Rn. 4 ff.; Musielak/Voit/Weth, § 50 ZPO Rn. 4 f.; entsprechend zur Brüssel Ia-VO Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 85. 338 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)cc); Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(4). 339 Zur Nebenintervention und zur Streitverkündung siehe noch gesondert unten Kapitel 5 – B.I.3.d). 340 Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (307).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

sich durch die verfahrensrechtliche Privatautonomie weitreichendere Gestaltungsmöglichkeiten. In der institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit sind vor allem Mehrvertragsverfahren, Mehrparteienverfahren sowie Möglichkeiten zur Einbeziehung Dritter und zur Verfahrenskonsolidierung im Schiedsverfahren bekannt.341 Das Mehrvertragsverfahren342 berücksichtigt die Konstellation, dass zwischen zwei Parteien mehrere Vertragsverhältnisse mit möglicherweise voneinander abweichenden Schiedsvereinbarungen bestehen können.343 Diese können in einem Verfahren verbunden werden, wenn sich eine entsprechende Einigung ermitteln lässt344 und die Schiedsvereinbarungen miteinander kompatibel sind345. Ebenso lässt sich die Verklammerung verschiedener Verträge über einen Rahmenvertrag herbeiführen.346 Eine weitere Möglichkeit sind die echten Mehrparteienverfahren.347 Auch hier muss eine entsprechende Einigung vorliegen,348 die multilateral wirkt und so alle Akteure untereinander bindet349. Eine solche kann auch stillschweigend angenommen werden, wenn die Parteien vorhersehen konnten, dass aus der Vertragsbeziehung entstehende Streitigkeiten nicht in angemessener Weise durch jeweils bilaterale Schiedsverfahren beizulegen sind.350 Treten Mehrparteien- und Mehrvertragsverfahren kombiniert auf, müssen üblicherweise auch deren Voraussetzungen kumulativ vorliegen.351 cc) Bewertung Was die Optionen angeht, mehrere Sachverhalte vor einem Spruchkörper zu konsolidieren, sind Schiedsgerichte ordentlichen Gerichten in der Theorie wenigstens gleichwertig. Die Mehrvertragsverfahren sind der objektiven Klagehäufung vor ordentlichen Gerichten gem. § 260 ZPO, § 88 GWB vergleichbar. Die echten 341

Etwa Art. 6 Abs. 4 – 7, 7 ff. ICC-SchO 2017, Art. 8, 17 ff. DIS-SchO 2018. Art. 9 ICC-SchO 2017, Art. 17 DIS-SchO 2018. 343 Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (308). 344 Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (470); Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (308 f.). 345 Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (471); Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388); Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (308 f.). 346 Vgl. die detaillierte Schiedsklausel in OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2019, 290 (291); Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (470). 347 Art. 8 ICC-SchO 2017, Art. 18 DIS-SchO 2018. 348 Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (471); Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (389); Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (309). 349 Vgl. OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2019, 290 (294); Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (471). 350 KG Berlin, NJW 2008, 2719 (2719 f.); OLG Frankfurt a. M., SchiedsVZ 2006, 219 (222); Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (471); Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (390); Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 10 Rn. 15. 351 Art. 17.4, 18.2 DIS-SchO 2018; dazu Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (472); Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (309). 342

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Mehrparteienverfahren gehen über die subjektive Klagehäufung gem. §§ 59 ff. ZPO, 88 GWB und auch die Möglichkeiten zur Streitverkündung und Nebenintervention hinaus.352 In der Praxis sind diese Verfahren auch nicht selten.353 Ihre Relevanz lässt sich steigern, wenn bei der Vertragsgestaltung vor Entstehung der Streitigkeit diese Komplexitäten bei der Abfassung von Klauseln antizipiert werden.354 Nach Entstehung der Streitigkeit sollten die Schiedsgerichte das ihnen in diesen Fällen eingeräumte Ermessen355 großzügig im Sinne einer Verfahrenskonsolidierung ausüben. Hier sollte gerade auch bei gleichgelagerten Kartellschadensersatzfällen das Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung Berücksichtigung finden. Leider ist insbesondere zu Mehrparteienverfahren in Fällen des kartellrechtlichen private enforcement zu konstatieren, dass in der Praxis wohl nur wenige dieser Kamele durch das Nadelöhr der Schiedsvereinbarung passen werden.356 Dass der Abschluss einer solchen Mehrparteienschiedsvereinbarung gelingt, ist vor Entstehung der Streitigkeit völlig illusorisch und danach kaum weniger aussichtslos. Die Verfahrenskonsolidierung bleibt dann theoretischer Natur. Unter Effektivitätsgesichtspunkten könnte dieses Ergebnis in zwei Richtungen korrigiert werden. So wäre zu fragen, ob Parteien gegen ihren Willen in den Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung einzubeziehen sind, und die Antwort darauf kann nur lauten, dass dem nicht so ist. Andernfalls würde die Schiedsvereinbarung respektive die Einigung zur Einbeziehung Dritter in das Schiedsverfahren zu einem Vertrag zulasten Dritter,357 der diesen Dritten auch gleich noch ihren verfassungsmäßig verbürgten gesetzlichen Richter entzöge358. An dessen Stelle träte dann ein Schiedsgericht, auf dessen Zusammensetzung die Beteiligte keinen Einfluss gehabt hätte.359 Das wäre ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien und für den Schiedsspruch 352

In diesem Sinne Elsing/Shchavelev, IPRax 2018, 461 (472). Siehe etwa Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (307): Ca. 33 % der ICC-Verfahren und ca. 26 % der DIS-Verfahren haben mehrere Beteiligte; ähnliche Zahlen nennen Gharibian/ Pieper, BB 2018, 387 (387); Hamann/Lennarz, SchiedsVZ 2006, 289 (290). 354 So auch Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (393); Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (307); Elsing, in: FS Wegen, S. 615 (628 f.); ausführlich dazu Hamann/Lennarz, SchiedsVZ 2006, 289 (294 ff.); MüKoVVG/Gal, Bd. III, 130. Rn. 178 ff. 355 Zu diesem Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (310 f.). 356 Natürlich gibt es auch bei einer entsprechend weit gefassten Schiedsvereinbarung eine Vielzahl weiterer Aspekte, die Mehrparteienschiedsverfahren verkomplizieren, siehe etwa Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (307 f.); ausführlich Welser, in: FS Elsing, S. 651 (662 ff., 665 ff.). Auf diese kann hier nicht weiter eingegangen werden. 357 Siehe nur OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2019, 290 (294); OLG Brandenburg, BeckRS 2013, 4179; OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2011, 7075; Zöller/Geimer, § 1029 ZPO Rn. 39, § 1031 ZPO Rn. 18; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 22; entsprechend zur Streitverkündung unten Kapitel 5 – B.I.3.d)bb). 358 BGH, NJW 1977, 1397 (1399); s. a. Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (90); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (740), jeweils für den Fall der Streitverkündung. 359 Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388). 353

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folglich ein Aufhebungsgrund gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) ZPO, § 1060 Abs. 2 S. 1 ZPO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 lit. c) UNÜ.360 Die andere Alternative wäre wiederum die Invalidierung der Schiedsklausel. Für die effektive Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts wäre damit aber nicht viel gewonnen, und zwar aus den Gründen, wie sie auch bereits zur Frage der gesamtschuldnerischen Haftung aufgeführt worden sind.361 Der Umstand, dass eine subjektive Klagehäufung gegen alle Kartellantinnen vor dem Schiedsgericht ausscheidet, nimmt der Geschädigten nämlich nicht die Möglichkeit, im Übrigen vor dem ordentlichen Gericht gegen die Gesamtschuldnerinnen vorzugehen.362 Zudem ist gerade die Möglichkeit des streitgenössischen Vorgehens zumeist ein zweifelhaftes Vergnügen für die Beteiligten und das Gericht.363 Die Invalidierung der Schiedsklausel als ultima ratio im Einredeverfahren ist damit nicht gerechtfertigt. c) Insbesondere: Abtretungsmodell Der kollektive Rechtsschutz, gerade auch im Kartelldeliktsrecht, ist ein weites Feld, das hier nicht abgesteckt werden kann.364 Im Grundsatz kann die Sinnhaftigkeit derartiger Instrumente insbesondere zur Geltendmachung von Streuschäden nach hier vertretener Auffassung nicht mehr ernsthaft bestritten werden. Sie ermöglichen wenigstens in der Theorie die Kompensation dieser Schadensposition, dienen der effektiven Rechtsverwirklichung und erfüllen so das Versprechen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes des Art. 47 EU-GRCh.365 Ebenso liegen die prozessökonomischen Vorteile für die Parteien und das Gericht auf der Hand.366 Damit dienen solche Instrumente der objektiven Rechtsbewahrung und der subjektiven Rechtsdurchsetzung.367 Betrachtet man mit den USA das Ursprungsland des kartellrechtlichen private enforcement, so sind Kollektivklagen auch ein Gradmesser für die Schlagkraft der privaten Rechtsdurchsetzung insgesamt.368 Das Beispiel aus

360

Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (307). S. o. Kapitel 5 – B.I.3.a). 362 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa); Kapitel 4 – A.III.2.c)bb); Kapitel 5 – B.I.3.a). 363 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(4). 364 Siehe dazu die Darstellungen etwa bei Vogel, Kollektiver Rechtsschutz, 2010; Bernhard, Kartellrechtliche Sammelklagen, 2010; Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 9 ff.; allgemein zu kollektiven Rechtsbehelfen Meller-Hannich, NJW-Beil. 2018, 29 (passim); s. a. Collective redress in the Member States of the European Union, European Parliament, 2018, PE 608.829. 365 Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 18 ff. 366 Bernhard, Kartellrechtliche Sammelklagen, S. 127 ff.; Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 22 ff. 367 Meller-Hannich, NJW-Beil. 2018, 29 (30 f.); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (636, Fn. 57). 368 In diesem Sinne für die EU auch Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 21. 361

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American Express369 entfaltete sich nicht zufällig am Beitrag, den diese Art der Rechtsdurchsetzung leisten könnte, wenn sie nicht anderweitig vereitelt würde, im gegebenen Fall durch die Verfahrensfragmentierung durch Schiedsvereinbarungen. Das deutsche Pendant ist der Konflikt zwischen Abtretungsmodell und Schiedsvereinbarung. In Ermangelung einer echten class action ist das Abtretungsmodell das zumeist praktizierte Modell des kollektiven Rechtsschutzes.370 Und da bei einer Zession an Klagevehikel auch die Schiedsvereinbarung übergeht371 und die Erhebung der Schiedseinrede Klägerinnen potentiell dazu zwingen kann, anstelle eines Kollektivprozesses eine Vielzahl fragmentierter Individualprozesse zu führen, ergeben sich in der Sache vergleichbare Probleme. aa) Status Quo Wie schon angedeutet,372 stehen Abtretungsmodelle als „unechte Sammelklagen“373 vor erheblichen Problemen rechtlicher und rechtstatsächlicher Art. Dass die Klagevehikel einer entsprechen Kapitalausstattung bedürfen, da die Zession andernfalls ob des Kostenrisikos für die Beklagten nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf gleich gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig ist,374 stellt nur mehr eine Randnotiz dar. Aus klägerischer Sicht eher problematisch sind die ausdauernden und zunehmend auch erfolgreichen Versuche, die Zession an Klagevehikel gem. § 134 BGB i. V. m. §§ 3, 4 RDG zu Fall zu bringen.375 Das eigentliche Problem aber ist die Masse an Prozessstoff.376 Die theoretischen Vorteile kollektiver Streitbeilegung er369

S. o. Kapitel 3 – E.IV.3. S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(5). 371 In entsprechender Anwendung des § 401 BGB, s. o. Kapitel 2 – E.II.3.a); Kapitel 4 – B.III.1.b). 372 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(5). 373 Heese, NZV 2019, 273 (275). 374 OLG Düsseldorf, NZKart 2015, 201 (204 f.); dazu Hempel, NJW 2015, 2077 (2078 ff.); kritisch Stadler, WuW 2018, 189 (192 f.); Immenga/Mestmäcker/Franck, § 33a GWB Rn. 26; Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 101. 375 Ausgangspunkt für diesen Streit ist ein nicht kartellrechtlicher Themenkomplex, in dem aber teilweise dieselben Dienstleister wie etwa im LKW-Kartell (AT.39824 – Trucks) Ansprüche eingesammelt haben, siehe dazu Henssler, NJW 2019, 545 (passim), sowie Römermann/Günter, NJW 2019, 551 (passim). In schneller Folge sind zu dieser Frage auch Urteile ergangen, siehe etwa großzügig jüngst BGH, NZKart 2021, 515 (passim) – AirDeal; siehe auch BGH, NJW 2020, 208 (212 ff.); LG Braunschweig, AnwBl 2020, 174 (174); in Abgrenzung dazu aber restriktiv für den Bereich des Kartellschadensersatzes LG München I, NZKart 2020, 145 (146 ff.); kritisch Römermann, AnwBl Online 2020, 273 (274 ff.); s. a. LG Mannheim, WuW 2019, 416 (passim); Stadler, WuW 2018, 189 (191). Diese Diskussion kann hier nicht nachgezeichnet werden. Ausgegangen wird vielmehr von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Abtretungsmodells. 376 Vgl. allgemein die Schilderungen der Mitglieder des Kartellsenats am BGH, Podszun/ Pohlmann, WuW 2020, 174 (177); Klumpe, NZKart 2019, 405 (405); für ein Verfahren haben Richter:innen nach dem PEBB§Y-Schlüssel ganze 20 Stunden, siehe Klumpe/Thiede, NZKart 370

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

füllt das Abtretungsmodell unter dem Regelungskonzept der ZPO, die auf einen Zweiparteienprozess zugeschnitten ist, jedenfalls nicht.377 Klagevehikel bündeln den Prozessstoff, aber sie bündeln nach wie vor nur tausende Einzelklagen, die von dem zuständigen Gericht theoretisch relationsmäßig378 und unter Beachtung des jeweils auf die zedierte Forderung anwendbaren Rechts379 bearbeitet werden müssen. Das ist bei einer Klageschrift über mehrere hunderttausend Seiten schlicht nicht zu leisten,380 weshalb die Vermutung naheliegt, dass faktisch eine Abkehr von den Grundsätzen des Zweiparteienprozesses stattfindet und Gerichte – wenn sie Klagen denn bearbeiten381 – zu einer Gruppenbetroffenheit übergehen382. Wesentliche Grundsätze des deutschen Zivilprozesses und auch des Schadensrechts – dass etwa Schadensersatz kein Reflex der Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde sein darf, sondern auf dem Kompensationsprinzip und dem Verbot der Überkompensation beruht – könnten so stillschweigend aufgegeben werden.383 Bedenklich ist das, weil diese Neuerungen allein durch die Überforderung der Gerichte und nicht durch den Gesetzgeber legitimiert sind. Diese Überforderung entspringt zudem der Art und Weise der prozessualen Geltendmachung der Forderungen und jedenfalls nicht unmittelbar der kartellrechtlichen Sachmaterie, was eine Rechtfertigung dieser Abkehr besonders begründungsbedürftig erscheinen lässt.384 Durch seine Inaktivität schließlich verpasst es der Gesetzgeber auch, einen Regelungsrahmen zu schaffen, 2019, 136 (138 f.); wohl auch deshalb ist das Abtretungsmodell bei Gerichten nicht übermäßig beliebt, siehe LG München I, NZKart 2020, 145 (148 f.); Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (112). 377 Klumpe, NZKart 2019, 405 (405 f.); zum Zweiparteienprozess BT-Drs. 19/2507, S. 14; MüKoZPO/Lindacher/Hau, Vor § 50 ZPO Rn. 4 ff. 378 Klumpe, NZKart 2019, 405 (405); s. a. die Schilderung bei Podszun/Pohlmann, WuW 2020, 174 (177). 379 Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO eröffnet zwar die Möglichkeit, dass nach Wahl der Klägerin umfassend die lex fori Anwendung findet, gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO bemisst sich allerdings die vorgelagerte Übertragbarkeit und das Rechtsverhältnis zwischen Zedentin und Zessionarin nach dem Recht, dem die Forderung unterliegt, siehe Fuchs/Weitbrecht/Krüger/ Weitbrecht, § 19 Rn. 124 f. 380 Plastisch Klumpe, NZKart 2019, 405 (405 f.); in diesem Sinne auch die Schilderung bei Podszun/Pohlmann, WuW 2020, 174 (177); LG München I, NZKart 2020, 145 (148 f.); s. a. Pressegespräch 2019 des LG Stuttgart, S. 19 f., abrufbar unter http://www.landgericht-stuttgart. de/pb/site/jum2/get/documents/jum1/JuM/import/landgericht%20stuttgart/pdf/PDF%20für%2 0Pressemitteilungen/Pressegespräch%202019%20-%20Handout.pdf; Pressemitteilung 07/2018 des LG München I, abrufbar unter https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/landge richt/muenchen-1/presse/2018/7.php; damit einher geht auch eine bedenkliche Unwucht in der technischen Ausstattung zwischen Anwaltschaft und Gerichten. 381 Teils ein „an Justizverweigerung grenzendes Schneckentempo bei der Terminierung mündlicher Verhandlungen und dem Erlass erster Zwischenentscheidungen“ sieht Weitbrecht, NZKart 2018, 106 (111); zur Verfahrensdauer auch Rengier, WuW 2018, 613 (618 f.); Stancke, WuW 2018, 59 (64). 382 Stancke, WuW 2018, 59 (63). 383 Stancke, WuW 2018, 59 (63); s. a. Klumpe, NZKart 2019, 405 (406). 384 Stancke, WuW 2018, 59 (63); wie ausgeführt treten Klagevehikel auch in anderen Masseverfahren auf, siehe die Nachweise in Kapitel 5, Fn. 375.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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der den aus den USA bekannten Einwänden begegnet, die Kollektivverfahren ein erhebliches Erpressungspotential unterstellen.385 Daneben und abschließend ist grundsätzlich fraglich, ob das Abtretungsmodell bei echten Streuschäden die rationale Apathie der Geschädigten zu überwinden vermag.386 bb) Bedeutung kollektiver Rechtsschutzmechanismen für die effektive Verwirklichung des EU-Wettbewerbsrechts Nach diesem Abstecher in die Niederungen des deutschen Abtretungsmodells sind die unionsrechtlichen Vorgaben als Maßstab des Effektivitätsgebots zu untersuchen. (1) Auffassung, wonach ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz anzunehmen ist Nach einem häufig geäußerten Vorbehalt gegen Schiedsvereinbarungen sei kollektive Streitbeilegung in Gestalt des Abtretungsmodells unabdingbar, um Kartellschadensersatzprozesse adäquat prozessual abzubilden und insbesondere auch kleinvolumigen Abnehmerinnen zu ermöglichen, den Kartellantinnen eine Kompensation abzuringen, weshalb die Fragmentierung gegen das Effektivitätsgebot verstoße.387 Sie würde zu gestiegenen Kosten der Rechtsverfolgung388 und in der Konsequenz möglicherweise auch dazu führen, dass die Geschädigten wegen eines chilling effects ganz von der Geltendmachung ihrer Rechte abgehalten würden389. Das sei mit dem vom europäischen Gesetzgeber erklärten Ziel einer Stärkung des private enforcement nicht in Einklang zu bringen und auch im Hinblick auf das gem. Art. 47 EU-GRCh und Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf bedenklich.390 385 Siehe zu den Problemen einer Adaption von US-Sammelklagen in der ZPO Schütt, WuW 2018, 66 (passim); s. a. Stancke, WuW 2018, 59 (64 f.). 386 Hempel, NJW 2015, 2077 (2079); Vogel, Kollektiver Rechtsschutz, S. 160; Fuchs/ Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 99; in diese Richtung auch Weber, NZKart 2018, 13 (18); Rother, NZKart 2017, 1 (2). 387 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 29, 125 f. – CDC; Hack, GWR 2018, 14 (14); Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (588); Funke, WuW 2017, 624 (624); zu diesen Einwänden auch bereits oben Kapitel 4 – A.II.1.f); zum ebenfalls in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einwand, dass Schiedsverfahren zu Parallelverfahren und widersprüchlichen Entscheidungen führen, siehe in Kapitel 5 – B.I.3.b)bb) die Erwägungen zu Mehrparteienverfahren sowie unten in Kapitel 5 – B.I.3.d)bb) zur Herbeiführung der Interventionswirkung und Kapitel 5 – B.I.3.e) zur Gefahr der widersprüchlichen Entscheidungen. 388 Hack, GWR 2018, 14 (14); Wolf, IPRax 2018, 594 (599); Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (591); Funke, WuW 2017, 624 (624). 389 Vgl. Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388). 390 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 27 ff. – CDC; Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (588).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

(2) Auffassung, wonach ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz abzulehnen ist Nach anderer Auffassung stellt die Verfahrensfragmentierung keinen Widerspruch zum Effektivitätsgrundsatz dar. Sie sei eine notwendige Folge der Schiedsfähigkeit; gegenteilige Wertungen würden der Sache nach die Schiedsunfähigkeit begründen.391 Der EuGH habe sich in CDC zur Gefahr der Verfahrensfragmentierung bei Gerichtsstandsvereinbarungen geäußert und Bestrebungen von GA Jääskinnen gerade mit der Ablehnung des Derogationsverbots eine Absage erteilt.392 Der stattdessen entwickelte Ansatz sei – zunächst noch bei der Bestimmung des Deliktsgerichtsstands gem. Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) – gewesen, der Abtretung einer Forderung keine eigenständige Bedeutung beizumessen,393 weshalb der EuGH dann auch bei der Bestimmung des Erfolgsorts zu der Schlussfolgerung gelangt sei, dass auch ein Klagevehikel getrennte Klagen am Erfolgsort eines jeden eingesammelten Anspruchs hätte erheben müssen394. Das materielle Recht habe danach überhaupt keinen Einfluss auf die Vereinbarung der Zuständigkeit,395 was auch der Annahme der sachgebietsbezogenen Notwendigkeit kollektiver Rechtsdurchsetzung entgegenstehe. (3) Stellungnahme Die praktische Bedeutung des Abtretungsmodells als eine Form des kollektiven Rechtsschutzes und der mögliche Einfluss von Schiedsvereinbarungen darauf ist unmittelbar eingängig. Auf den Prüfstand zu stellen ist aber, inwieweit es sich dabei tatsächlich um einen durch das Unionsrecht anerkannten und deshalb auch durch die Mindestgarantie des Effektivitätsgebots abgesicherten Mechanismus handelt.

391 Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (415 f.); in diese Richtung auch Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 137 (2018); ders., Ital. Antitrust Rev. 2016, 70 (82); Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (120 f.); Wurmnest, in: Nietsch/Weller (Hrsg.), S. 75 (96 f.); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (215 f.); vgl. für Gerichtsstandsvereinbarungen auch Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 415 f. 392 LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 f.; Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (510 f.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 117 f. 393 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 i), unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 35 – CDC; dem High Court zustimmend Nazzini, 37 U. Queensland L.J. 127, 136 (2018). 394 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 ii), unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 55 – CDC. 395 Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 iii); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (510 f.); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (160, 163); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 118, jew. unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 62 – CDC.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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(a) Normative Anknüpfungspunkte Diese Untersuchung wird dadurch erschwert, dass normative Anknüpfungspunkte für das Abtretungsmodell im Unionsrecht rar sind. Das Primärrecht enthält keine entsprechenden Vorgaben.396 Die KartSE-RL spricht kollektive Rechtsschutzmechanismen allein in Erwägungsgrund 13 mit der eher defensiven Formulierung an, dass Mitgliedstaaten durch die Richtlinie nicht dazu verpflichtet werden sollen, Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes für die Durchsetzung der Art. 101 f. AEUV einzuführen. Es ist nicht klar, ob Abtretungsmodelle als Modell der materiellrechtlichen und nicht prozessualen Bündelung überhaupt unter kollektive Rechtsschutzmechanismen im Sinne des Erwägungsgrunds 13 zu fassen sind.397 Der Richtlinientext erwähnt zwar in den Art. 2 Nr. 4, Art. 7 Abs. 3 KartSE-RL die Möglichkeit der Geltendmachung durch eine Zessionarin, nicht aber die der kollektiven Geltendmachung im Wege des Abtretungsmodells.398 Normsystematisch erscheint ohnehin auch dann, wenn das Abtretungsmodell nicht unter Erwägungsgrund 13 zu fassen ist, eine stillschweigende weitergehende Privilegierung dieses materiellrechtlichen Instruments gegenüber den nach Erwägungsgrund 13 nicht privilegierten prozessualen Instrumenten abwegig. Allenfalls implizit lässt sich für die Notwendigkeit echter oder unechter kollektiver Maßnahmen die in Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 KartSE-RL kodifizierte Courage-Formel heranziehen, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass jede natürliche oder juristische Person wirksam vollständigen Ersatz des ihr durch einen Wettbewerbsverstoß entstandenen Schaden erlangen kann. Zudem stellt Erwägungsgrund 48 S. 3 KartSE-RL die anvisierte Stärkung der Schiedsgerichtsbarkeit unter den teilweisen Vorbehalt, dass entsprechende Verfahren so viele Geschädigte und Schädigerinnen wie rechtlich möglich erfassen sollten.399 Im Übrigen schweigt sich die Richtlinie aus. (b) Widerstreitende Zielvorstellungen des europäischen Gesetzgebers und historische Erwägungen Ergiebiger sind die in Ermangelung greifbarer Regelungen sodann zu untersuchenden Zielvorstellungen des europäischen Gesetzgebers im Lichte ihrer histori396

Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 72. In der Kommissionsempfehlung 2013/396/EU, Nr. 3 lit. a) meinte kollektive Rechtsschutzmechanismen nur solche, in denen mehrere Klägerinnen durch prozessuale Instrumente verbunden werden. Aus diesem Grund gegen eine Erfassung des Abtretungsmodells von Erwägungsgrund 13 KartSE-RL Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 93; offengelassen von Hempel, NJW 2015, 2077 (2079); ders., NZKart 2013, 494 (497). 398 A.A. Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 93, 102, mit einer recht großzügigen Interpretation des Wortlauts der Art. 2 Nr. 4, Art. 7 Abs. 3 KartSE-RL, die lediglich Anspruchsinhaber „einschließlich einer Person, die den Anspruch dieser Person erworben hat“ erwähnen. 399 Dabei bleibt unklar, ob mit dem rechtlich Möglichen der im nationalen Recht bestehende Regelungsrahmen nur möglichst weit ausgelegt werden sollte, oder ob dies auch eine an die Adresse der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber gerichtete Aufforderung zur liberaleren Gestaltung des nationalen Schiedsverfahrensrechts beinhaltet. 397

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schen Entwicklung. Derer gibt es drei, die vorstehend angesprochen wurden400 und die nicht leicht in Einklang zu bringen sind. Die prominenteste, nämlich die Aktivierung von Klägerinnen zur Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung, lässt sich zweifelsohne für die Notwendigkeit der Anspruchsbündelung fruchtbar machen, eben weil bei unmittelbaren Abnehmerinnen der kompensatorische Gewährleistungsgehalt des Art. 101 AEUV ansonsten auf große Unternehmen begrenzt bliebe, die bereits bei einer individuellen Klage über ihr Auftragsvolumen eine Schadenssumme in Aussicht haben, die sie aus ihrer rationalen Apathie zu locken vermag. Insoweit entspricht die Warnung vor einer Beeinträchtigung der effektiven Verwirklichung des Unionsrechts durch die Verfahrensfragmentierung auch ganz dem Telos der Wettbewerbsvorschriften im Sinne des „Jedermann“-Rechts401 auf Kompensation. Im hier interessierenden Kontext ist allerdings die hinter Erwägungsgrund 13 stehende Geschichte kollektiver Rechtsschutzmechanismen zu beleuchten. Wie schon an anderer Stelle beschrieben, war die Europäische Kommission in ihrem als Reaktion auf das Courage-Urteil 2005 vorgestellten Grünbuch mit weitreichenden Vorstellungen auch zu Sammelklagen an den Start gegangen.402 Diese waren ein wesentlicher Grund für die Kritik am Grünbuch und dem Vernehmen nach auch ursächlich für das Scheitern des ersten Richtlinienentwurfs 2009.403 Die Kommission begrub diese Pläne zwar nicht und startete beispielsweise 2011 eine Konsultation zum kollektiven Rechtsschutz.404 Das Europäische Parlament allerdings begleitete diesen Prozess deutlich reservierter und sprach sich gegen einige der besonders weitreichenden Vorschläge aus.405 Das Produkt der Konsultation war eine bloß unverbindliche Empfehlung der Kommission über gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren.406 Damit hatte es, abgesehen 400 Zuvorderst die vom europäischen Gesetzgeber ausgerufene Stärkung des private enforcement zum Zweck der Verwirklichung des kompensatorischen Gewährleistungsgehalts von Art. 101 AEUV, Erwägungsgründe 3, 4, 11, Art. 3, 4 KartSE-RL; die Stärkung der Schiedsgerichtsbarkeit, Erwägungsgrund 48 KartSE-RL; die Entscheidung gegen kollektive Rechtsschutzmechanismen im weiteren Sinne, Erwägungsgrund 13 KartSE-RL; siehe bereits vorstehende Seite. 401 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, ECLI:EU:C:2001:465, Rn. 26 – Courage. 402 Kommission, Grünbuch, KOM (2005) 672 endg., Rn. 2.5; dazu oben Kapitel 2 – C.II.3.a)aa). 403 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.a)aa). 404 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, 04. 02. 2011, SEK(2011), 173 endg.; dazu Hempel, NZKart 2013, 494 (496); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 130. 405 Siehe die Nachweise bei Hempel, NZKart 2013, 494 (496 f.); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/ Weitbrecht, § 19 Rn. 131. 406 Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013: Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, 2013/396/EU; dazu etwa Schweitzer, NZKart 2014,

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von besagtem Erwägungsgrund 13 KartSE-RL, zunächst sein Bewenden. 2018 dann machte die Kommission erneut auf sich und das Thema aufmerksam, zunächst mit einem Bericht zu ihrer Empfehlung von 2013, in dem sie zwar an ihren grundsätzlichen Zielen festhielt, aber auch konstatierte, dass den Empfehlungen durch die Mitgliedstaaten „in eher geringem Umfang Folge geleistet worden ist.“407, 408 Ebenfalls noch 2018 stellte die Europäische Kommission einen Entwurf für eine Richtlinie über Verbandsklagen vor, der aber das Kartellrecht explizit ausnahm.409 Sollte aus dieser Richtlinie noch ein für das Kartellrecht nützliches Instrument werden,410 müsste der Anwendungsbereich erheblich erweitert werden. Ein Blick auf den zeitlichen Horizont bis zur Verabschiedung der KartSE-RL lehrt Zurückhaltung. Bis es so weit ist, bieten nicht nur das positive europäische Recht, sondern auch der in Regelungswerken ausgedrückte Wille des europäischen Gesetzgebers wenig Anhaltspunkte dafür, dass dem Abtretungsmodell eine genuin unionsrechtliche, im Falle der Verfahrensfragmentierung durch Schiedsvereinbarungen eigenständige und regelmäßig durch Sanktionen des Effektivitätsgrundsatzes zu schützende Bedeutung im private enforcement zukäme. Vielmehr sind die Normen der KartSE-RL zumindest auch das Ergebnis eines Prozesses, an dessen Ende die Entscheidung gegen kollektive Rechtsschutzmechanismen im Unionsrecht stand. (c) Positionierung des EuGH Vor diesem Hintergrund wäre es auch aus Gründen der Gewaltenteilung nicht unproblematisch gewesen, hätte der EuGH in CDC das Spiel über die Bande der Gerichtsstandsvereinbarungen zum Anlass genommen, kollektive Rechtsschutzmechanismen durch die Invalidierung der Gerichtsstandsvereinbarungen im Einredeverfahren einzuführen.411 Nun wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt, dass aus 335 (339); ausführlich Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 132 ff.; insgesamt kritisch Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 73 ff. 407 Bericht der Europäischen Kommission vom 25. 01. 2018, COM(2018) 40 final, S. 25; Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (465); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 158. 408 Tatsächlich sind horizontal integrierte kollektive Rechtsschutzmechanismen in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten unbekannt. Zum Untersuchungszeitpunkt der nachstehenden Studie gab es diese nur in sechs Mitgliedstaaten, siehe Bericht der Europäischen Kommission v. 25. 01. 2018, COM(2018) 40 final, S. 4. Daneben ist das Bild sowohl hinsichtlich der prozessualen Mittel als auch der einbezogenen Rechtsgebiete ein sehr heterogenes, siehe Collective redress in the Member States of the European Union, European Parliament, 2018, PE 608.829, S. 20 ff.; s. a. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (465 f.); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (624 f.); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 112 ff., jew. m. w. N.; s. a. Dauses/ Micklitz/Rott, H. V. Rn. 704 ff.; Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 75 ff. 409 Nunmehr Art. 1, 2 Abs. 1 i. V. m. Anhang I; Verbandsklagen-RL s. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(2). 410 Für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs Mengden, NZKart 2018, 398 (400 ff.). 411 Zuzugeben ist allerdings, dass der EuGH die Rechtsentwicklung unter Rekurs auf den primärrechtlichen Art. 101 AEUV hätte vorantreiben können. Das läge im Bereich des

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Luxemburg deutliche rechtspolitische Töne vernehmbar waren, die Klagevehikel im Ergebnis auch stärkten.412 Doch die Gelegenheit, ausdrücklich ein Sonderprozessrecht nur für diese zu etablieren, ließ der EuGH entgegen der Einladung des Generalanwalts trotzdem verstreichen.413 Das gilt für den Deliktsgerichtsstand gem. Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO), bei dem die Zession keinen Einfluss auf die Bestimmung des Gerichtstands haben und der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs nach wie vor der Sitz der Zedentin sein sollte.414 Und es gilt für Gerichtsstandsvereinbarungen, für deren Parteien zwar ein horizontales Kartell nicht vorhersehbar sein soll, die aber nicht schon wegen der Art der Rechtsdurchsetzung unangewendet bleiben.415 Hätten entweder die kollektive Rechtsdurchsetzung oder aber das Bedürfnis nach einheitlichen Entscheidungen per se einen solchen Stellenwert für das private enforcement, wie ihnen zugeschrieben werden, hätte die Konsequenz lauten müssen, unter Berufung hierauf die Geltung von Forenwahlklauseln im Bereich des Kartelldeliktsrechts einzuschränken.416 Mit anderen Worten hätte entweder aus dem materiellen Kartellrecht oder, speziell für Gerichtsstandsvereinbarungen, zumindest aus einem immanenten Derogationsvorbehalt der Brüssel I/Ia-VO geschlussfolgert werden müssen, dass die besonderen Gerichtsstände im Kartellprivatrecht nicht abbedungen werden können. Der EuGH konzentrierte sich darauf, festzustellen, dass ein solches Derogationsverbot nicht aus dem materiellen Streitgegenstand folgt.417 Nimmt man den Gerichtshof also beim Kartellschadensersatzes durchaus auf der seit der Courage-Entscheidung vorangebrachten Rechtsprechungslinie. 412 S. o. Kapitel 4 – B.III.1.c)bb); Kapitel 4 – B.III.1.d). 413 Der Generalanwalt hatte seinen kompletten Schlussvortrag unter das Motto eines einheitlichen Forums gerade auch für Klagevehikel gestellt, siehe GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, u. a. Rn. 8 ff., 27, 47 ff., 57, 73, 119 ff. – CDC; dazu treffend Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 78 ff., 81: „In conclusion, whilst I accept that it is possible for the provisions of EU law to permit a court to sideline or declare ineffective an arbitration clause, there is nothing in the decision of the Court in CDC to mandate such a course. Indeed, to the contrary, to do so, would be to disregard the entire trend and direction of the approach of the Court. I appreciate that the Court did not consider arbitration clauses specifically. However, that fact cannot disguise the basic truth that the Court’s approach to the risk of ,fragmentation of claims‘ was fundamentally different to that of the Advocate General, and involved a wholesale rejection of his approach.“ 414 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 35, 55 – CDC, entgegen GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 47 ff. – CDC; zutreffend Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 i), ii); ebenso für Verbrauchergerichtsstände EuGH, Urt. v. 25. 01. 2018, ECLI:EU:C:2018:37, Rn. 48 f. – Schrems. 415 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 68 ff. – CDC, entgegen GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 119 ff. – CDC; siehe zu diesem Widerspruch auch die Nachweise in der nachstehenden Fußnote. 416 Ebenso LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 f.; Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Fuchs/ Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 117 f.; s. a. Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S: 383 (415 f.). 417 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 62 – CDC.

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Wort,418 so ist der Auffassung zuzustimmen, dass sich dem CDC-Urteil trotz der Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung keine Privilegierung speziell des durch Klagevehikel betriebenen Abtretungsmodells entnehmen lässt.419 Das gilt umso mehr, als es hier anders als noch bei der Frage der normativ allein bei Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO) verankerten und Schiedsklauseln deshalb nicht erfassenden Maxime der Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung der sachlichen Reichweite einer Prorogation420 nicht um eine Frage des europäischen Zuständigkeitsrechts geht. Vielmehr fällt die Frage der effektiven Verwirklichung der Art. 101 f. AEUV durch kollektive oder durch das nationale Verfahrensrecht fragmentierte Streitigkeiten zweifelsohne in den Bereich des Unionsrechts und auch in die Kompetenz des EuGH.421 Wollte man also jede Art der beim Zusammentreffen von Schiedsvereinbarungen und horizontalen Wettbewerbsverstößen notwendig auftretende Verfahrensfragmentierung über den Kamm der übermäßigen Beeinträchtigung des Unionsrechts scheren, hätte sich der EuGH hierzu durchaus auch in Unkenntnis des Wortlauts der Klauseln äußern können.422 Zumindest erscheint es nicht unmittelbar eingängig, weshalb das nationale Verfahrensrecht die Verwirklichung des materiellen EU-Wettbewerbsrechts verhindern oder übermäßig erschweren sollte, wenn es lediglich Auswirkungen hat, die sich so auch durch Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zuständigkeitsrecht ergeben.423 418

Das bringt den schon hervorgehobenen Widerspruch des EuGH zum Vorschein, sich rechtspolitischen Erwägungen prima vista zu verschließen, sie aber als Subtext seiner dogmatischen Erwägungen einfließen zu lassen; siehe dazu oben Kapitel 4 – B.III.1.a); Kapitel 4 – B.III.1.d). 419 So zutreffend LG Dortmund, WuW 2017, 621 (623); Microsoft Mobile OY (Ltd) v Sony Europe Ltd & Ors [2017] EWHC 374 (Ch), Rn. 80 f.; Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (510 f.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 117 f. 420 Hierzu oben Kapitel 4 – B.III.2. 421 Siehe bereits oben Kapitel 5 – B.I.1.a). 422 In diesem Sinne auch Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163); Fuchs/Weitbrecht/ Weitbrecht, § 17 Rn. 119; a. A. Wolf, IPRax 2018, 594 (598), der einen Widerspruch darin erblicken möchte, aus dem CDC-Urteil zwar die Erwägungen zum Effektivitätsgrundsatz, nicht aber die Auslegungsgrundsätze zur Bestimmung der sachlichen Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen auf Schiedsvereinbarungen zu übertragen. Das ist aber kein Widerspruch, sondern eine logische Folge der unterschiedlichen Bezugsverhältnisse. Aussagen zur Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen sind auf Schiedsvereinbarungen nicht übertragbar, da sie vom Bereichsausschluss des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO erfasst werden. Beim Effektivitätsgebot geht es aber um die übermäßige Beeinträchtigung der Verwirklichung des europäischen Wettbewerbsrechts. Zuzugestehen ist aber, dass letztlich erneut nur gemutmaßt werden kann, aus welchem Grund sich der EuGH nicht zu einer Bewertung imstande sah. 423 Jedenfalls nicht tragfähig ist die von einigen Stimmen geäußerte Auffassung, dieser Unterschied lasse sich über den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens unter mitgliedstaatlichen Gerichten i. V. m. Art. 267 AEUV erklären, so Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (589); Funke, WuW 2017, 624 (624), unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015: 335, Rn. 63 – CDC. Für Schiedsgerichte mit Sitz innerhalb der EU ist das kein überzeugendes Argument, da hier die Kontrolle im gerichtlichen Anerkennungsverfahren inklusive der

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

(d) Grenzen des Vergleichs von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen Grenzen der Rückschlüsse aus der CDC-Rechtsprechung sind dort zu ziehen, wo Schiedsvereinbarungen noch weitergehenden negativen Einfluss auf den kollektiven Rechtsschutz haben, als den Einfluss, den das europäische Wettbewerbsrecht bei Gerichtsstandsvereinbarungen hinzunehmen gewillt ist. Tatsächlich gibt es bei der Verfahrensskalierung noch solche Unterschiede. Mit Gerichtsstandsvereinbarungen ergeben sich Hebel für Parallelverfahren, wenn diese auf ein einheitliches forum prorogatum zeigen.424 Dann ermöglicht etwa § 147 ZPO die Verbindung mehrerer bei einem Gericht anhängiger Prozesse. Für die so verbundenen Prozesse kommt es zur Klagehäufung, mehrere Parteien werden Streitgenossen.425 Zudem steht der Streitverkündung vor ordentlichen Gerichten nicht entgegen, dass das angerufene Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Hauptparteien zuständig geworden war,426 und eine Konzentration bleibt auch möglich, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung zufällig auf den Wohnsitz der Ankerbeklagten gem. Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zeigt427. In der schiedsgerichtlichen Praxis sind diese Möglichkeiten sehr begrenzt, und es bleibt bei der in Mehrparteienverfahren noch eher in als Mehrvertragsverfahren ausgeprägten limitierenden Wirkung der Schiedsvereinbarung,428 die natürlich gerade in Massenkonstellationen von der Beklagten auch gewünscht ist. Allerdings beschränkt sich die limitierende Wirkung der Schiedsvereinbarung wie ausgeführt auch auf den Schadensteil, der ihrem sachlichen Anwendungsbereich unterfällt.429 Mit diesem werden häufig Mehrvertragsverfahren möglich sein.430 Für Schadenspositionen, die nicht dem Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung unterfallen, ist den Geschädigten auch weiterhin der Weg zu den ordentlichen Gerichten und damit auch zu einem Vorgehen im Wege des Abtretungsmodells eröffMöglichkeit des Vorabentscheidungsverfahrens sichergestellt bleibt, s. o. Kapitel 5 – B.I.2.c). Lediglich für Schiedsgerichte mit Sitz außerhalb der EU kann sich hieraus ein Argument ergeben; siehe dazu unten Kapitel 5 – B.II. 424 Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 167, unter Verweis auf Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (352); mit den dort angesprochenen Vorteilen der kostensenkenden Bündelung der Rechtsverfolgung an einem einzigen Ort scheinen allerdings eher ökonomische Vorteile für die Beklagten und nicht etwa Vorteile für die Klägerinnen gemeint zu sein. 425 Zur Rechtsfolge des § 147 ZPO OLG Koblenz, NJW-RR 2014, 507 (508); MüKoZPO/ Fritsche, § 147 ZPO Rn. 9; zur streitgenössischen Geltendmachung oben Kapitel 2 – C.II.3.c) cc); Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(4). 426 Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (88 f., Fn. 7); das ist von der umstrittenen Konstellation zu trennen, in der die den Streit verkündende Partei mit der Streitverkündungsempfängerin eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen haben; siehe dazu unten Kapitel 5, Fn. 490. 427 Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 335. 428 S. o. Kapitel 5 – B.I.3.b)cc). 429 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa). 430 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa); Kapitel 5 – B.I.3.a); wohl ebenso Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163 f.).

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net.431 Letztlich sind auch die verbleibenden Vorteile bei Gerichtsstandsvereinbarungen begrenzt, insbesondere, wenn die Prorogationen nicht auf ein einheitliches Forum zeigen. Das streitgenossenschaftliche Vorgehen leidet unter den beschriebenen Unzulänglichkeiten432 und ist kein Ersatz für echte Sammelklagen oder deren unechte Wiedergänger in Form des Abtretungsmodells. Deshalb bleibt es nach hier vertretener Auffassung dabei, dass es vor dem Hintergrund des Stellenwerts der Kollektivmodelle im europäischen Kartellzivilrecht nicht angezeigt ist, bei Schiedsvereinbarungen „das Kind mit dem Bade auszuschütten“433 und diese generell im Einredeverfahren unter Verweis auf das Effektivitätsgebot zu invalidieren. (e) Schlussfolgerung: Anwendung des allgemeinen Maßstabs Eine Betrachtung der Kollektivklagen im Bereich des Kartelldeliktsrechts ist ernüchternd. De lege lata gibt es sie im Bereich des Kartellschadensersatzes zumindest als echte Sammelklagen trotz praktischen Bedarfs nicht. Diese Problematik lässt sich über den Umweg der Forenwahlklauseln in der praktischen Rechtsanwendung nur unbefriedigend auflösen. Das zeigen Gerichtsstandsvereinbarungen im Anwendungsbereich der Brüssel I/Ia-Verordnung; entsprechendes gilt für Schiedsvereinbarungen. Diese Vergegenwärtigung hilft, wieder die richtige Perspektive einzunehmen. Da kollektive Streitbeilegungsmechanismen – anders als in den USA – nicht dem Gewährleistungsgehalt des europäischen Wettbewerbsrechts zuzurechnen sind, können sie auch nicht unmittelbar als Maßstab dienen.434 Doch ihr Ausschluss kann in Kombination mit den höheren Kosten der Rechtsverfolgung435 ebenso das Streitbeilegungsforum praktisch unerreichbar machen.436 Durch die Verfahrensfragmentierung werden diese sich eher auf einem Niveau befinden, welches die Durchsetzung der durch das Unionsrecht garantierten Rechte übermäßig erschwert und so auch eine Invalidierung der Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren rechtfertigt. So ist nach allgemeinen Maßstäben437 nicht die Fragmentierung der Verfahren das unmittelbare Problem, sondern eine prohibitive Wirkung des Schiedsverfahrens auf die Rechtsverwirklichung. Die durch den Wechsel auf das schiedsgerichtliche Verfahren entstehenden Kosten sind in Verhältnis zu setzen zu den Kosten, wie sie bei gerichtlicher Rechtsverfolgung entstanden wären. War im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit des kollektiven Rechtsschutzes gegeben und ist sie das im schiedsgerichtlichen 431

S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa); Kapitel 5 – B.I.3.a); wohl ebenso Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (163 f.). 432 S. o. Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(4). 433 Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (511). 434 So auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (466). 435 S. o. Kapitel 5 – B.I.1.b); Kapitel 5 – B.I.2.g). 436 Vgl. für den entsprechenden Gedanken aus den USA In re Cotton Yarn Antitrust Litig., 505 F.3d 274, 285 (4th Cir. 2007); Adkins v. Labor Ready, Inc., 303 F.3d 496, 502 f. (4th Cir. 2002), oben Kapitel 3 – E.III. 437 S. o. Kapitel 5 – B.I.1.b).

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Verfahren nicht mehr, werden die Kosten der Rechtsverfolgung im Schiedsverfahren die ansonsten zu erwartenden häufig um ein Vielfaches übersteigen.438 Übersteigt dies dann auch noch die Schadenssumme um ein Vielfaches, ist eine prohibitive Wirkung zu bejahen. Ob der in Relation zur Schadenssumme bedeutenderen Steigerung der Verfahrenskosten bei kleinen Schadensposten wird die Invalidierung umso eher angemessen sein, je eher ökonomisch unterlegene Parteien dazu gezwungen werden, ihre Ansprüche in Einzelprozessen geltend zu machen, in denen sie das nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll können.439 Dieser Indikator wird also unter den an eine Schiedsvereinbarung gebundenen Geschädigten440 recht zuverlässig zwei Gruppen unterscheiden: Einerseits Unternehmen, die aufgrund ihrer Lieferbeziehung ein Schadensvolumen erlangen, das effektiv über das Schiedsverfahren mit seinen Vorteilen für komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten eingeklagt werden kann. Und andererseits Geschädigte, die durch ihre geringen Schadenspositionen von der Geltendmachung abgehalten werden und für die das Schiedsverfahren ohne kollektive Rechtsschutzmechanismen keine Vorteile entfaltet. Bei ihnen ist es auch nach den Ausführungen zur Berücksichtigung ökonomischer Disparitäten441 eher gerechtfertigt, Schiedseinreden zu invalidieren. d) Nachträgliche Beteiligung Dritter Auch nach Rechtshängigkeit einer ersten Klage bestehen Möglichkeiten, Prozessverhältnisse über verschiedene Foren und Zeitabschnitte hinweg zu harmonisieren. Zu fragen ist erneut, wie sich diese Institute vor Schieds- und vor ordentlichen

438 Gerade das Kostenelement ist auch nach der Empfehlung der Europäischen Kommission, 2013/396/EU, Nr. 2, Erwägungsgrund 9, ein zentraler Vorteil des kollektiven Rechtsschutzes. 439 Vgl. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (466, Fn. 182); anders Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (588); diese teilen die hier vertretenen Überlegungen grundsätzlich, meinen allerdings ohne weitere Begründung, dass auch größere Abnehmerinnen ihren Anspruch wirtschaftlich sinnvoll nur gemeinsam geltend machen könnten und eine Unterscheidung danach, ob die Anspruchsdurchsetzung individuell möglich wäre, zu schwierigen Abgrenzungsproblemen führte. Das mag im Einzelfall zutreffen, kann aber nicht als Rechtfertigung dafür dienen, bei kartelldeliktischen Ausgleichsverhältnissen die faktische Schiedsunfähigkeit für vor der Entstehung der Streitigkeit geschlossener Schiedsvereinbarungen anzunehmen. 440 Auf den Bereich der Streuschäden hat deshalb die Schiedsvereinbarung auch kaum Auswirkungen. Hier findet ohnehin nahezu keine Rechtsdurchsetzung statt, siehe Schweitzer, NZKart 2014, 335 (339); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 165 ff. Wo sie aber stattfindet, klagen in aller Regel mittelbare Abnehmerinnen, die an Schiedsvereinbarungen nicht gebunden sind. Ein prominentes Beispiel der massenhaften Durchsetzung von Ansprüchen mittelbar Geschädigter ist das LKW-Kartell (AT.39824 – Trucks), siehe Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (109). 441 S. o. Kapitel 5 – B.I.1.b).

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Gerichten vergleichen lassen und ob vor Schiedsgerichten die Kompensation von Geschädigten übermäßig erschwert wird. aa) Bedeutung der prozessualen Instrumente zur Harmonisierung komplexer Rechtsverhältnisse vor ordentlichen Gerichten Zunächst werden Theorie und Praxis der existierenden gerichtlichen Instrumente dargestellt. (1) In Theorie… Theoretisch können die Vorschriften zur Verfahrensharmonisierung442 einen beträchtlichen Beitrag zur Vereinheitlichung der Rechtslage leisten. Das gilt zuvorderst, wenn die Beklagten gem. § 74 Abs. 3 i. V. m. § 68 ZPO großzügig in alle Richtungen den Streit verkünden443. Die Streitverkündung ist das Mittel zum Schutz gegen die mehrfache Inanspruchnahme durch Geschädigte verschiedener Vertriebsstufen, also gegenüber anderen Geschädigten als der jeweils klagenden Vertriebsstufe.444 Sie ist zulässig, um im Interesse der Streitverkündenden abweichende Beurteilungen desselben Sachverhalts zu vermeiden; das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Schadensweiterwälzung als Teil der Vorteilsausgleichung im Rahmen der Schadensberechnung gem. §§ 249 ff. BGB stellt eine von der Beklagten zu beweisende tragende Feststellung i. S. d. § 68 Hs. 1 ZPO dar.445 Daneben ist die Streitverkündung zur Sicherung der Regressansprüche der Kartellantinnen im Gesamtschuldnerinnenausgleich gem. § 33 Abs. 2 GWB, §§ 426 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB erforderlich.446 442 Das sind die Vorschriften zum lis pendens, Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO, zur Streitverkündung gem. §§ 72 ff. ZPO i. V. m. §§ 66 ff. ZPO, Art. 65 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO zur „gebührend[en] Berücksichtigung“ paralleler Verfahren und bereits ergangener Urteile gem. Art. 15 Abs. 1, Erwägungsgrund 44 KartSE-RL, und zur Verfahrensverbindung- und trennung §§ 145, 147 ZPO; siehe auch Kapitel 5 – B.I.3.b)aa). Die nachstehenden Ausführungen gelten entsprechend für den weniger relevanten Fall der Nebenintervention. 443 Vgl. Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 155. 444 BGH, NJW 2012, 928 (934 f.) – ORWI; zur Streitverkündung in diesen Fällen Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (71 ff.); Hoffmann, NZKart 2016, 9 (11 f.); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 387 ff.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 140, 144 ff.; Fuchs/Weitbrecht/Mallmann, § 14 Rn. 65 ff.; auf dieses Instrument verlässt sich der deutsche Gesetzgeber auch, um den Anforderungen der Art. 12 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1, Erwägungsgrund 44 KartSE-RL gerecht zu werden, so implizit BT-Drs. 18/10207, S. 100; in diesem Sinne auch Zwade/Konrad, WuW 2020, 114 (115); Fuchs/Weitbrecht/Fuchs, § 6 Rn. 135 m. w. N. zu alternativen Vorschlägen; Fritzsche, NZKart 2017, 630 (633 f.); Stauber/ Schaper, NZKart 2014, 346 (347); Kersting, WuW 2014, 564 (571). 445 BGH, NJW 2012, 928 (933 ff.) – ORWI; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 144 f.; allgemein zur Darlegungs- und Beweislast in diesen Fällen Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (52 ff., 64 ff.); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 350 ff. 446 Gem. § 425 Abs. 2 BGB erwachsen Urteile nur zwischen den Parteien in Rechtskraft, nicht aber zwischen den Gesamtschuldnerinnen, selbst wenn diese streitgenössisch verklagt

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Was die Vielzahl an Schadensersatzprozessen angeht, die mittlerweile aus einzelnen Wettbewerbsverstößen erwachsen,447 können Art. 15 Abs. 1 KartSE-RL, Art. 30 Brüssel Ia-VO daneben sicherstellen, dass Parallelverfahren Berücksichtigung finden. (2) … und Praxis Praktisch allerdings gibt es kein robustes System des lis pendens für Kartellschadensersatzklagen unter dem Regelungsregime der Brüssel Ia-VO.448 Art. 29 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sieht zwar zwingend die Verfahrensaussetzung vor, wenn nach dem Prioritätsprinzip ein anderes Gericht bereits angerufen wurde.449 Die Norm ist aber in Ermangelung eines identischen Streitgegenstandes nicht anwendbar, wenn in follow-on-Konstellationen für denselben Wettbewerbsverstoß ob der Vielzahl an Sonderrechtsbeziehungen zwischen Kartellantinnen und Geschädigten die Prozesse vor ordentlichen Gerichten in Mitgliedstaaten der EU aus dem Boden sprießen.450 Das lässt im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO noch Art. 30 Abs. 1 Brüssel IaVO übrig,451 nach dem mitgliedstaatliche Gerichte solche Verfahren, die i. S. d. Art. 30 Abs. 3 Brüssel Ia-VO im Zusammenhang mit Verfahren vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten stehen, unter den Voraussetzungen des Abs. 1 aussetzen oder sich gem. Abs. 2 für unzuständig erklären können. Für Kartellschadensersatzprozesse ist der Zusammenhang i. S. d. Art. 30 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zu bejahen.452 Art. 30 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eröffnet indes kein internationales Forum, sondern setzt voraus, dass das zuerst angerufene Gericht für alle zu verbindenden Klagen örtlich und international zuständig ist.453 Eine solche einheitliche Zuständigkeit ist in Kartellschadensersatzfällen aber insbesondere bei Klagen am deliktischen Erfolgsort454 regelmäßig nicht gegeben.455 Bei Art. 30 Abs. 1 Brüssel Ia-VO wiederum ist die Annahme, mit diesem rudimentären Instrument eine europaweite Kohärenz wurden; OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, 739 (740); Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 317; BeckOK BGB/Gehrlein, § 421 BGB Rn. 13; zur Streitverkündung im Kartellzivilprozess in diesen Fällen Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 140 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Raible/Lepper, § 26 Rn. 615; Fuchs/Weitbrecht/Mallmann, § 14 Rn. 70 f. 447 Für Verfahrenszahlen aus Deutschland Kapitel 2 – C.II.3.b). 448 Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (28). 449 Siehe zu diesen Anforderungen allgemein MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 29 Rn. 6, Rn. 9 ff.; Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 32 Rn. 49 ff. 450 Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (28, Fn. 69). 451 Der für den Fall einer drittstaatlichen Rechtshängigkeit einschlägige Art. 33 Brüssel IaVO bleibt hier außer Betracht. 452 Hoffmann, NZKart 2016, 9 (16); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 32 Rn. 64; Erwägungsgrund 44 KartSE-RL. 453 EuGH, Urt. v. 24. 06. 1981, ECLI:EU:C:1981:148, Rn. 19 – Elefanten Schuh; Hoffmann, NZKart 2016, 9 (16); MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 30 Rn. 6. 454 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 52 – CDC. 455 Hoffmann, NZKart 2016, 9 (16).

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herstellen zu können, doch eher fernliegend. Zu berücksichtigen ist auch, dass die freie Wahl eines Forums durch Klägerinnen rechtspolitisch gewünscht ist und nicht unterlaufen werden sollte.456 Auch die Vorgaben für die im nationalen Prozessrecht vorzuhaltende Möglichkeit zur Verfahrenskonsolidierung sind überschaubar. Art. 15 KartSE-RL stellt für die gebotene „gebührende Berücksichtigung“ anderer Verfahren wachsweiche Kriterien auf.457 Mit den §§ 72 ff. ZPO ist die anvisierte Harmonisierung jedenfalls nicht umfassend zu leisten.458 Es handelt sich dabei schon nicht um ein amtswegiges Instrument.459 Die Streitverkündung fordert vom Gericht und den Parteien bei einer steigenden Zahl von Nebenintervenientinnen auch einen erheblichen Tribut, dem keine hohen Effizienzsteigerungen gegenüberstehen.460 Und selbst in ihren zwei hauptsächlichen Anwendungsfällen weist die Streitverkündung praktische Lücken auf. Bei der Inanspruchnahme über die Vertriebsstufen hinweg gilt dies schon wegen der naheliegenden Möglichkeit,461 dass insbesondere bei Streuschäden die Geschädigten so zahlreich und den Kartellantinnen auch unbekannt sind, dass Streitverkündungen schlicht nicht praktikabel sind.462 Auch wenn mittelbare Geschädigte identifiziert werden können, ist damit nicht gesagt, dass diese Informationen liefern können oder wollen, die es ermöglichen, die Schadensweiterwälzung zu belegen.463 Das ist für die Kartellantinnen ein Problem, denn ein non-liquet in der Frage der Schadensweiterwälzung ist keine der Bindungswirkung gem. § 68 Hs. 1 ZPO zugängliche tragende Feststellung464 und wirkt in doppelter Hinsicht gegen sie: Gegenüber den unmittelbaren Abnehmerinnen sind sie gem. Art. 13 S. 2 KartSE-RL 456 Hoffmann, NZKart 2016, 9 (16); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, § 32 Rn. 64, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung englischer Gerichte; Dauses/Hoffmann, H. I. § 1. Rn. 108. 457 So auch Hoffmann, NZKart 2016, 9 (9 f., 13); Dauses/Hoffmann, H. I. § 1. Rn. 107. 458 Das gilt auch für die europäische Streitverkündung gem. Art. 65 Abs. 1 S. 2 Brüssel IaVO. Diese ist bereits nur dort möglich, wo die Mitgliedstaaten die Europäische Kommission über die betreffenden nationalen Regelungen notifiziert und eine Interventionsklage gem. Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen haben, dazu Hoffmann, NZKart 2016, 9 (16 f.). 459 Kersting, WuW 2014, 564 (571), der sich deshalb für die Aufwertung des § 147 ZPO für eine gerichtsübergreifende Verfahrensverbindung ausspricht; s. a. Hoffmann, NZKart 2016, 9 (11, 14). 460 Siehe dazu oben Kapitel 2 – C.II.3.c)dd)(4); zur prozessökonomischen Kritik am Gesamtschuldnerinnenausgleich in den USA Krüger, Kartellregress, S. 207 ff. 461 Siehe BGH, NJW 2012, 928 (934 f.) – ORWI: „unüberschaubar großen Personenkreis“ potentieller Anspruchsberechtigter; zu deshalb in Betracht kommenden sekundären Darlegungslasten Wiedemann/Ollerdißen, § 62 Rn. 44 ff.; Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (71 ff.). 462 Fritzsche, NZKart 2017, 630 (634); Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (79); Hoffmann, NZKart 2016, 9 (12); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 391 f.; Stancke/ Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 145; Fuchs/Weitbrecht/Mallmann, § 14 Rn. 69; LMRKM/Kersting, § 33c GWB Rn. 72. 463 Fuchs/Weitbrecht/Mallmann, § 14 Rn. 69; zu unterschiedlichen Interessenlagen zwischen den Hauptparteien und den Streitverkündungsempfängerinnen auch Hoffmann, NZKart 2016, 9 (13 f.); Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (54 f.). 464 Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 144 f.

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beweisbelastet, gegenüber mittelbaren Abnehmerinnen wirkt unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1, 2 KartSE-RL zu ihren Ungunsten eine Vermutung der Weiterwälzung.465 So rückt die mehrfache Inanspruchnahme der Kartellantinnen in greifbare Nähe, obwohl Art. 12 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1 KartSE-RL ein solches Ergebnis gerade verhindern sollen.466 Ebenso ist aber auch möglich, dass es Kartellantinnen gelingt, den gem. Art. 13 S. 2 KartSE-RL erforderlichen Beweis gegenüber den unmittelbaren Abnehmerinnen zu führen, dann aber die Vermutung des Art. 14 Abs. 1, 2 KartSE-RL gegenüber mittelbaren Abnehmerinnen zu widerlegen und gar nicht zu haften,467 was den Regelungszielen des europäischen Wettbewerbsrechts erst recht widerspräche. Auch die Streitverkündung zum Zwecke des Gesamtschuldnerinnenausgleichs hat ihre Tücken. Ansprüche aus dem Kartellregress gem. § 426 Abs. 1, 2 BGB, deren Verjährung nicht erst mit der Befriedigung des ursprünglichen Anspruchs gem. § 33a Abs. 1 GWB beginnt,468 lassen sich über die Streitverkündung nur schwer vor der Verjährung schützen.469 Die cessio legis gem. § 426 Abs. 2 BGB zieht zudem in entsprechender Anwendung des § 401 BGB die Schiedsvereinbarung mit sich, sodass die örtliche Zuständigkeit für diesen Anspruch von der des Anspruchs nach § 426 Abs. 1 BGB abweichen kann.470 Daneben wirkt die Interventionswirkung gem. § 68 Hs. 1 ZPO ausschließlich zugunsten der Streitverkünderin respektive zulasten der Streitverkündungsempfängerin,471 weshalb sie einen für die streitverkündende Partei ungünstigen Ausgang des Erstprozesses voraussetzt472. Ausgeschlossen ist die 465 Zur Problematik des non-liquet im Erstprozess oder auch in beiden Prozessen Zwade/ Konrad, WuW 2020, 114 (115); Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (76 f.); Kirchhoff, WuW 2015, 952 (954 f.); Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 394 ff.; Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 144 f. 466 Zwade/Konrad, WuW 2020, 114 (115); Thomas, ZHR 180 (2016), 45 (78 f.); ders., in: FS Geimer, S. 735 (736); Kirchhoff, WuW 2015, 952 (954); siehe zum Zusammenspiel von ORWI-Urteil, den Anforderungen der KartSE-RL und §33c Abs. 2 GWB auch ders., WuW 2017, 487 (488 f.). 467 Hoffmann, NZKart 2016, 9 (14); Fuchs/Weitbrecht/Fuchs, § 6 Rn. 134. 468 Siehe nunmehr §§ 33d Abs. 2 GWB i. V. m. § 33h Abs. 7 GWB. 469 Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. E Rn. 142 f.; zur Verjährungsproblematik vor der 9. GWB-Novelle auch Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 333 ff.; Krüger, Kartellregress, S. 126 ff. 470 Staudinger/Looschelders, § 426 BGB, Rn. 136, 143; auch hier gibt es also vor ordentlichen Gerichten keine einheitliche Zuständigkeit. 471 BGH, NJW 2015, 1824 (1825); BGH, NJW 1987, 1894 (1895); Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 322; das ist allerdings nicht unumstritten, siehe dazu Inderst/ Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 392 ff.; MüKoZPO/Schultes, § 68 ZPO Rn. 9 ff. 472 Zöller/Althammer, § 74 ZPO, Rn. 6. Eine für die als Beklagte den Streit verkündende Partei positive Entscheidung entfaltet keine Interventionswirkung, da sich die Streitverkündungsempfängerin mit ihrem Vortrag nicht in Widerspruch zur streitverkündenden Partei setzen darf, §§ 74 Abs. 3, 68 Hs. 2, 67 S. 1 Hs. 2 ZPO, und zur Klageabweisung führende Feststellungen deshalb auch nicht angreifen könnte, siehe Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 322.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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Wirkung des § 68 Hs. 1 ZPO daneben auch im Verhältnis zur Gegnerin der den Streit verkündenden Partei.473 Obsiegt also die in Anspruch genommene Kartellantin im Prozess gegen eine Geschädigte, kann sie mit Mitteln der Streitverkündung nicht verhindern, dass dieselbe Geschädigte erfolgreich eine weitere Kartellantin in Anspruch nimmt und die zunächst obsiegende Kartellantin so über den Umweg des Kartellregresses für diesen Anspruch doch noch kontributionspflichtig wird.474 bb) Streitverkündung und Schiedsverfahren Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Streitverkündung im Schiedsverfahren zu untersuchen. Hierbei ist vor allem zwischen der Streitverkündung aus einem Schiedsverfahren mit dem Ziel der Interventionswirkung in einem nachfolgenden ordentlichen Gerichtsverfahren sowie der Konstellation vice versa zu unterscheiden.475 (1) Streitverkündung aus einem laufenden Schiedsverfahren Die Streitverkündung aus einem laufenden Schiedsverfahren heraus ist möglich,476 wenngleich sich dies nicht aus den im Schiedsverfahren unanwendbaren §§ 72 ff. ZPO ergibt, sondern aus der Verfahrensautonomie der Parteien und des Schiedsgerichts gem. § 1042 Abs. 3, 4 ZPO477. Um damit allerdings auch eine Interventionswirkung herbeiführen zu können, muss die Streitverkündungsempfängerin dem Verfahren zunächst beitreten können.478 Das sichert das rechtliche Gehör der Streitverkündungsempfängerin479 und gibt ihr die Möglichkeit, der Hauptpartei prozessualen Beistand zu leisten480. Hier ist erneut besonderes Augenmerk darauf zu 473

BGH, NJW-RR 1990, 121 (121 f.); Zöller/Althammer, § 74 ZPO Rn. 6. Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 322 f.; ebenso Goldsmith ASA Bulletin 2016, 10 (25 f.), für die Rechtskraftwirkung i. S. d. § 1055 ZPO. 475 Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (88); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (739 f.). Die für die erste Konstellation angestellten Erwägungen gelten entsprechend, wenn aus einem schiedsgerichtlichen Verfahren die Interventionswirkung für ein weiteres schiedsgerichtliches Verfahren hergestellt werden soll. Regelmäßig unproblematisch ist der Standardfall der Streitverkündung aus einem ordentlichen Gerichtsverfahren mit Interventionswirkung für ein weiteres gerichtliches Verfahren. 476 BGH, BeckRS 1964, 31190956; OLG Köln, BeckRS 2015, 123288, Rn. 25; Hamann/ Lennarz, SchiedsVZ 2006, 289 (291 f.); Wach, in: FS Elsing, S. 611 (618); Zöller/Geimer, § 1032 ZPO Rn. 18, § 1042 ZPO Rn. 42; Saenger/Saenger, § 1042 ZPO Rn. 22; Schwab/ Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 16 Rn. 19. 477 Wilske/Steinle/Schuler, ZWeR 2020, 458, 464; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 (3); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (92); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (738); wohl ebenso Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388); Meier/Schmoll, WuW 2018, 445 (449). 478 Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (737). 479 BGH, NJW 2015, 559 (560); MüKoZPO/Schultes, § 66 ZPO Rn. 1, Fn. 3; Musielak/ Voit/Weth, § 72 ZPO Rn. 1; s. a. Zöller/Geimer, § 1042 ZPO Rn. 3. 480 Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (737). 474

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

legen, dass das Schiedsverfahren dem Vertrag zwischen den Parteien entstammt. Noch dazu ist es vertraulich.481 Es ist also mindestens zu fordern, dass beide Streitparteien trotz ihrer zumeist gegenläufigen Ziele482 darin übereinstimmen, eine dritte Partei am Verfahren zu beteiligen.483 Ebenso muss das Schiedsgericht zustimmen, denn dieses ist vertraglich nur zur Erbringung von Dienstleistungen an die Schiedsparteien verpflichtet.484 Selbst wenn diese erste Hürde der bloßen Möglichkeit des Beitritts genommen wird, schließt sich daran noch eine weitere an, wenn sich die Streitverkündungsempfängerin den Beitritt höflich, aber bestimmt verbittet, und sich auch im Übrigen nicht wenigstens konkludent der Schiedsabrede oder der Interventionswirkung485 unterwirft. Wieder stellt sich die Frage, ob mit der Interventionswirkung Rechtswirkungen des Schiedsverfahrens auch gegen den Willen einer nicht an diesem Verfahren beteiligten Dritten herbeigeführt werden können, und erneut ist das zu verneinen.486, 487

481 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 (3); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (91 f.); ders., in: FS Wegen, S. 615 (619); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (738); anders aber Wach, in: FS Elsing, S. 611 (620), der dem keine stets überwiegende Bedeutung beimisst. 482 Beispielsweise wird die Schiedsklägerin als unmittelbare Abnehmerin nur ein begrenztes Interesse daran haben, dass eine mittelbare Abnehmerin auf Seiten der Kartellantin für den Einwand der Schadensweiterwälzung streitet. 483 Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388); Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 (3); Hamann/Lennarz, SchiedsVZ 2006, 289 (291 f.); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (92); ders., in: FS Wegen, S. 615 (619); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (738); Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11; bei einer Nebenintervention auch OLG Düsseldorf, SchiedsVZ 2003, 84 (86); Musielak/Voit/Weth, § 66 ZPO Rn. 3; MüKoZPO/Schultes, § 66 ZPO Rn. 2; MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 65; a. A. Wach, in: FS Elsing, S. 611 (620); für eine Schiedsvereinbarung, die den Eintritt der Rechtsfolgen der §§ 68 ff. in Mehrparteienkonstellationen umfassend regelt, siehe OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2019, 290 (291). 484 Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (388); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (92 f.); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (738); Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 16 Rn. 18, 20; bei einer Nebenintervention auch OLG Düsseldorf, SchiedsVZ 2003, 84 (86); Musielak/Voit/Weth, § 66 ZPO Rn. 3; a. A. Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 (3); Hamann/Lennarz, SchiedsVZ 2006, 289 (291); Wach, in: FS Elsing, S. 611 (620); Zöller/Geimer, § 1042 ZPO Rn. 41; MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 65. 485 Zur Frage, ob die Übernahme der Interventionswirkung konkludent auch durch die Streitverkündungsempfängerin erfolgen kann Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (740), m. w. N. 486 BGH, BeckRS 1964, 31190956; OLG Köln BeckRS 2015, 123288, Rn. 25; Gharibian/ Pieper, BB 2018, 387 (388); Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 (3); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (93); ders., in: FS Wegen, S. 615 (619 f.); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (740); Zöller/ Geimer, § 1032 ZPO Rn. 18, § 1042 ZPO Rn. 42; Saenger/Saenger, § 1042 ZPO Rn. 22; MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 65; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 16 Rn. 18 f.; grds. auch Hamann/Lennarz, SchiedsVZ 2006, 289 (291 f.); zur Frage, ob die Streitverkündung trotzdem die Verjährungshemmung entsprechend § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB auslösen kann, siehe nur Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11; siehe zum Vertrag zulasten Dritter sowie zum Entzug des gesetzlichen Richters durch die Bindung einer Nichtvertragspartei an die Rechtswirkung der Schiedsvereinbarung bereits oben Kapitel 5 – B.I.3.b)cc).

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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(2) Streitverkündung aus einem laufenden Gerichtsverfahren Unterschiedlich wird demgegenüber beurteilt, ob auch eine Streitverkündung aus dem ordentlichen Gerichtsverfahren Interventionswirkung in einem Schiedsverfahren entfaltet. Notwendigerweise muss dann die Streitverkünderin eine Schiedsvereinbarung mit der Streitverkündungsempfängerin geschlossen haben. Teils wird angenommen, die Herbeiführung einer Interventionswirkung für das folgende Schiedsverfahren sei möglich.488 Ebenso wird vertreten, die Schiedseinrede könne gem. § 1032 Abs. 1 ZPO auch der Streitverkündung entgegengehalten werden.489 Nach einer weiteren Auffassung soll zwar nicht die Schiedseinrede der Streitverkündung entgegengehalten werden können, aber die Frage der Interventionswirkung ohne Beitritt im Einzelfall durch Auslegung der Schiedsvereinbarung ermittelbar sein.490 Der letztgenannten Auffassung ist im Ergebnis zuzustimmen. Zwar ist zutreffend, dass die Vorschriften der §§ 72 ff., 66 ff. ZPO die Interventionswirkung für das Schiedsverfahren nicht ausschließen.491 Das tun sie allerdings für andere Rechtswege auch nicht, und dennoch hat der BGH angenommen, dass aus einem ordentlichen Gerichtsverfahren keine Interventionswirkung für ein Verfahren in Betracht komme, 487

Nach einer teilweise vertretenen Auffassung kann sich die Bindungswirkung nicht nur aus den prozessualen Vorschriften zur Streitverkündung ergeben, sondern auch aus dem materiellen Recht; siehe zu diesem auf RGZ 55, 14 (17) zurückgehenden Gedanken ausführlich Wach, in: FS Elsing, S. 611 (614 ff.); offenbar auch MüKoZPO/Münch, § 1029 ZPO Rn. 64. In den hier interessierenden Konstellationen gibt es aber keine Pflichtverletzung durch die Streitverkündungsempfängerin, sondern allenfalls durch die Streitverkündende, weshalb auch nach dieser Auffassung keine Bindungswirkung in Betracht kommt, siehe Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (741). 488 Garbe-Emden, BauR 2012, 1035 (1037); vorbehaltlich eines vertraglichen Ausschlusses in der Schiedsvereinbarung ebenso Kraft/Looks, BB 2002, 1171 (1171); wohl auch Zöller/ Geimer, § 1032 ZPO, Rn. 18. Es erscheint allerdings fraglich, ob das in diesen Fundstellen in Bezug genommene Urteil des HansOLG tatsächlich die ihm zugeschriebenen Aussage hatte. Das Gericht war im Verfahren zur Vollstreckbarkeitserklärung gem. § 1060 ZPO mit der Frage konfrontiert worden, ob gem. § 1060 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 1059 Abs. 2 ZPO ein Aufhebungsgrund vorlag, weil sich das Schiedsgericht nach einer Streitverkündung aus einem Verfahren vor einem staatlichen Gericht an die dortigen Feststellungen gebunden gesehen hatte. Das HansOLG verneinte einen Gehörsverstoß der Vollstreckungsgegnerin, da das Schiedsgericht sich mit deren Ansichten befasst und diese abgelehnt hatte, HansOLG, BB 2002, 1170 (1170 f.). Damit ist aber wegen des Verbots der révision au fond allein die Aussage verbunden, dass der Schiedsspruch insgesamt keinen Verstoß gegen den ordre public darstellt; wie hier Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (742). 489 MüKoZPO/Münch, § 1032 ZPO Rn. 13; a. A. etwa Musielak/Voit/Voit, § 1032 ZPO Rn. 5; BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, § 1032 ZPO Rn. 12 f.; auch Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (195, 199), der allerdings der Streitverkündungsempfängerin entsprechend § 1032 Abs. 1 ZPO die Schiedseinrede gegen die Interventionswirkung zugestehen will. 490 Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (89 f.); Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11; dem wohl zustimmend Wiedemann/Ollerdißen, § 63 Rn. 5; auch für Gerichtsstandsvereinbarungen wird vertreten, dass eine ausschließliche Prorogation im Zweifel die Streitverkündung auf das gewählte Forum beschränkt, siehe dazu umfassend Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (passim). 491 Kraft/Looks, BB 2002, 1171 (1171); Bartels, BB 2001, Beilage 7, 20 (21).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

das in die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt.492 Da das Schiedsverfahren gem. § 1042 Abs. 3, 4 ZPO nahezu vollständig der Parteidisposition unterliegt, gilt das auch für die Frage, ob die Parteien der Schiedsvereinbarung damit zugleich die Interventionswirkung aus einem staatlichen Gerichtsverfahren geregelt haben.493 Hierbei kann ein besonders gewichtiger Aspekt sein, ob die Parteien widerstreitende Entscheidungen vermeiden wollten.494 Auch ein Beitritt der Streitverkündungsempfängerin hat einen solchen Erklärungswert.495 Allerdings ist Ausgangspunkt der Überlegungen wiederum, dass die Parteien ihr Prozessverhältnis umfassend der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen496 und es gerade bilateral beilegen497 wollten. Es überzeugt dann nicht, den Parteien unbesehen die Vereinbarung einer in ihrer Reichweite über die materielle Rechtskraft von Urteilen noch hinausgehenden Interventionswirkung498 und damit eine weitgehende Klärung des Streitgegenstandes durch den Umweg über das ordentliche Gericht zu unterstellen499. Das wäre auch insoweit widersinnig, als die Interventionswirkung eben nur zugunsten einer der zwei prospektiven Schiedsparteien wirken kann.500 Richtigerweise ist deshalb die Interventionswirkung aus einem staatlichen Verfahren für das schiedsgerichtliche Zweitverfahren nicht ausgeschlossen, aber auch nicht die Regel. 492 BGH, NJW 1993, 2539 (2540): „[Der Rechtsgedanke des § 68 Hs. 2 ZPO] muß erst recht gelten, wenn durch eine Streitverkündung in einem Verfahren außerhalb der für das spätere Verfahren ausschließlich zuständigen Gerichtsbarkeit Bindungen für den später geführten Rechtsstreit erzeugt und dadurch die Parteien den speziellen Ausgestaltungen dieses Verfahrens entzogen werden könnten“; Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (197 f.); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (742); a. A. Bartels, BB 2001, Beilage 7, 20 (20). 493 Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (742); s. a. Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (196). 494 Kraft/Looks, BB 2002, 1171 (1171); Bartels, BB 2001, Beilage 7, 20 (21); BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, § 1032 ZPO Rn. 12 f.; s. a. Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11; das wird insbesondere in Betracht kommen, wenn die Schiedsvereinbarung vor dem Hintergrund möglicherweise multilateraler Rechtsverhältnisse und den damit zusammenhängen Regressansprüchen geschlossen wurde. 495 Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (90); Bartels, BB 2001, Beilage 7, 20 (20); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (743); Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (199 f.), will hingegen der Streitverkündungsempfängerin trotz Beitritts die Einrede des § 1032 ZPO Abs. 1 gegen die Interventionswirkung erhalten. 496 Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (197); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (90); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (742); siehe dazu insgesamt auch bereits oben Kapitel 4 – A.III.1. 497 Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (196 f.), mit dem zutreffenden Hinweis, dass nur einer Partei der Vorwurf gemacht werden kann, zwischen zwei Prozessverhältnissen zu stehen, aber nur eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen zu haben; in diesem Sinne auch Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (69); s. a. Kapitel 4 – A.III.2.c)bb). 498 Da nicht nur der Tenor, sondern auch die tatsächlich und rechtlich tragenden Entscheidungsgründe der Interventionswirkung zugänglich sind, siehe BGH, NJW 2015, 559 (560); BGH, MDR 2004, 464 (465); Musielak/Voit/Weth, § 68 ZPO Rn. 3; Zöller/Althammer, § 68 ZPO, Rn. 9. 499 Stretz, SchiedsVZ 2013, 193 (197); Elsing, SchiedsVZ 2004, 88 (90); Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (742 f.); s. a. Musielak/Voit/Voit, § 1042 ZPO Rn. 11. 500 S. o. Kapitel 5 – B.I.3.d)aa)(2).

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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(3) Korrekturen mit dem Effektivitätsgrundsatz Wiederum stellt sich die Frage, ob die vorstehend dargestellten Anforderungen an die Herbeiführung der Interventionswirkung aus oder für Schiedsgerichte mit dem Effektivitätsgebot zu modifizieren sind, um eine etwaige übermäßige Erschwerung der Durchsetzbarkeit der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte abzuwenden. Soweit es darum geht, das private enforcement möglichst machtvoll und auch abschreckend durchzusetzen, ist das jedenfalls nicht der Fall. Im Gegenteil läge unter diesem Blickwinkel der vollständige Ausschluss der Streitverkündung viel näher. Das gilt besonders augenscheinlich für den durch die Streitverkündung geschützten Kartellbinnenregress, den auszuschließen die zuerst in Anspruch genommene Kartellantin empfindlich treffen würde. Tatsächlich entspricht das der Rechtslage, wie es sie in Form der no-contribution rule in den USA gibt,501 und wie sie vereinzelt auch in Deutschland ventiliert wurde502. Zwar wäre ein solcher Regressausschluss eine willkürliche Haftungsverlagerung503 und nunmehr auch gem. Art. 11 Abs. 5 KartSERL unionsrechtswidrig. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Klage über den geschmälerten Kartellbinnenregress am eigentlichen Zweck des hier auf seine effektive Wirksamkeit untersuchten Unionsrechts – der Kompensation der Geschädigten – vorbeigeht. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Rechtskraft des klagabweisenden Schiedsspruchs gem. § 1055 ZPO nur inter partes wirkt und so einer Inanspruchnahme im Kartellbinnenregress nicht entgegengehalten werden kann.504 Diese Gedanken gelten entsprechend für den Schutz der Kartellantinnen vor der Inanspruchnahme durch Geschädigte mehrerer Marktstufen. Die effektive Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts zu Kompensationszwecken ist nicht davon abhängig, ob Kartellantinnen vor einer bisweilen drohenden doppelten Inanspruchnahme geschützt werden.505 Dass ein bloßes Vermeidungsinteresse der Kartellantinnen für sich genommen nicht schutzwürdig ist, lässt sich auch den Vorschriften zur Offenlegung von Beweismitteln gem. Art. 5 Abs. 4 KartSE-RL bzw. § 33g Abs. 3 S. 3 GWB entnehmen.506 Zwar könnte die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 Hs. 1 ZPO theoretisch auch Geschädigten zugutekommen und so von der 501 Texas Indus., Inc. v. Radcliff Materials, Inc., 451 U.S. 630, 646 (1981); Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 250 ff.; Krüger, Kartellregress, S. 164 ff.; Langer/Lai, Competition Law of The United States, Rn. 182 ff.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 195. 502 Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 491 f.; siehe zu dieser Diskussion Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 266 ff.; Krüger, Kartellregress, S. 59 ff.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 527 f., jew. m. w. N. 503 Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 269; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 528; siehe insoweit auch Krüger, Kartellregress, S. 275. 504 Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (25 f.). 505 Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (739). 506 Allerdings ist hierbei das illegitime Vermeidungs- vom legitimen Verteidigungsinteresse zu trennen, siehe dazu Wiedemann/Topel, § 50 Rn. 162 ff.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

KartSE-RL unerwünschte Haftungslücken vermeiden. Praktisch ist aber allenfalls vorstellbar, dass die beklagte Kartellantin als Teil der passing-on defence mittelbaren Abnehmerinnen den Streit verkündet. Die Interventionswirkung wirkt aber nicht zuungunsten der Streitverkünderin507 und deshalb in diesem Fall überhaupt nicht.508 Zudem sind die aktiven Klägerinnen eher die unmittelbaren als die mittelbaren Abnehmerinnen,509 weshalb für die effektive Rechtsdurchsetzung insgesamt nicht erforderlich erscheint, dass die bereits durch die KartSE-RL auf Kosten der unmittelbar Geschädigten privilegierten mittelbaren Abnehmerinnen510 noch weiter gestärkt werden. cc) Verfahrenskonsolidierung und Schiedsverfahren Zur Vermeidung von Wiederholungen wird an dieser Stelle zur nachträglichen Verfahrenskonsolidierung durch Verfahrensverbindung auf die vorigen Ausführungen verwiesen. Moderne Schiedsordnungen sehen entsprechende Möglichkeiten vor. Diese erlauben es, Drittparteien in ein laufendes Verfahren einzubeziehen und dieses zu einem Mehrparteienverfahren aufzuwerten.511 Verfahren können konsolidiert werden, teils auch ohne Konsens der Parteien.512 Die praktischen Möglichkeiten bleiben aus den bekannten Gründen aber auf die der Schiedsvereinbarung unterworfenen Parteien begrenzt.513 Eine übermäßige Erschwerung der Verwirklichung des EU-Wettbewerbsrechts liegt darin nicht. Die entsprechenden Vorschriften des Zivilprozesses vor den ordentlichen Gerichten, namentlich Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO und § 147 ZPO, lassen wie aufgezeigt bereits erhebliche Lücken, hinter denen die Möglichkeiten des Schiedsverfahrens nicht bedeutend zurückbleiben.514 e) Effektive Rechtsdurchsetzung im Übrigen Die vorstehenden Erwägungen waren solche, die sich vorwiegend mit der subjektiven Anspruchsdurchsetzung und dem Einfluss der schiedsgerichtlichen Verfahren auf die Kompensationswirkung der EU-Wettbewerbsvorschriften befassten. Das lässt noch Raum für die Überlegung, dass es nicht allein unter diesem Gesichtspunkt zu bewertende Beeinträchtigungen des Unionsrechts gibt. Denn auch die 507

S. o. Kapitel 5 – B.I.3.d)aa)(2). Vgl. Thomas, in: FS Geimer, S. 735 (739). 509 Weitbrecht, NZKart 2020, 106 (109); Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 10. 510 Fritzsche, NZKart 2017, 630 (633); Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7 (12); Schweitzer, NZKart 2014, 335 (339). 511 Art. 7 ICC-SchO 2017, Art. 19 DIS-SchO 2018; dazu Gharibian/Pieper, BB 2018, 387 (389 f.), Elsing, in: FS Wegen, S. 615 (625 ff.). 512 Art. 10 ICC-SchO 2017, Art. 8 DIS-SchO 2018; dazu Benedict, SchiedsVZ 2018, 306 (310 f.). 513 S. o. Kapitel 5 – B.I.3.b)bb); Kapitel 5 – B.I.3.b)cc). 514 S. o. Kapitel 5 – B.I.3.d)aa)(2). 508

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Vorschriften der Art. 12 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1 KartSE-RL, die nicht der Kompensation der Geschädigten dienen, sondern der Vermeidung einer doppelten Inanspruchnahme und widersprüchlicher Entscheidungen, müssen einheitlich angewandt werden. Insoweit werden Beeinträchtigungen wohl nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Betrachtet man die Gesamtheit aller zivilrechtlichen Ausgleichsverhältnisse, die einem einzelnen Wettbewerbsverstoß zuzuordnen sind, sind Schiedsgerichte ein weiterer Faktor in der Gleichung. Sie sind aber nicht der Faktor, der die Auflösung dieser Gleichung übermäßig erschwert. Dafür ist bereits die Gemengelage vor staatlichen Gerichten auch durch die KartSE-RL zu wenig koordiniert und liefert zu viel Potential für widersprüchliche Entscheidungen. Diese – zumindest derzeit – bestehenden Konstruktionsfehler des private enforcement bei komplexen Rechtsverhältnissen lassen sich nicht, jedenfalls nicht vollständig, über das Recht der Forenwahlklauseln lösen. Betrachtet man hingegen den für die Parteien der Schiedsvereinbarung unmittelbar relevanten Ausschnitt des Verfahrens, so kann dieser typischerweise im Schiedsverfahren effizienter beigelegt werden, gerade auch weil sich einige Probleme, die die Befriedung multilateraler Rechtsverhältnisse vor ordentlichen Gerichten nach sich zieht, gar nicht stellen. Deshalb spricht viel dafür, dass die KartSE-RL mit der gem. Erwägungsgrund 48 erwünschten Förderung der Schiedsgerichtsbarkeit Reibungsverluste an anderer Stelle ob der allgemeinen Vorteile des Schiedsverfahrens akzeptiert. f) Sonderfall der auseinanderfallenden Schadenspositionen Wie ausgeführt,515 gibt es Schadenspositionen, die nicht in den sachlichen Anwendungsbereich einer Schiedsvereinbarung fallen, obwohl die Geschädigte ansonsten einen im Zusammenhang mit dem Vertrag stehenden Anspruch als unmittelbare Abnehmerin hat, beispielsweise, wenn sie in Personenidentität auch umbrella-Geschädigte ist. Bei einem Kartell gibt es allerdings immer andere Schädigerinnen, gegen die die Geschädigte ohnehin separat prozessieren muss. Weitere Schadenspositionen auch gegenüber der unmittelbaren Vertragspartnerin sind dann diesem gesondert zu behandelndem Prozessrechtsverhältnis zuzuschlagen.516 Und auch soweit sich diese Einwände grundsätzlich gegen nebeneinanderstehende Prozessrechtsverhältnisse richten, kann das nach hier vertretener Auffassung nicht verfangen, und zwar aus denselben Gründen, wie sie auch zur Verfahrenskomplexität angeführt wurden: Die gesonderte Behandlung zweier über eine Schiedsabrede verbundener Parteien ist in kartellrechtlichen wie auch in anderen Gesamtschuldverhältnissen die logische Folge des Abschlusses einer solchen Vereinbarung.517 515

S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa). Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159 (162 ff.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 112 ff.; s. a. bereits Kapitel 4 – A.III.2.c)aa) sowie Kapitel 5 – B.I.3.a). 517 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)bb); Kapitel 5 – B.I.3.a). 516

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Gleichzeitig erlaubt sie die effizientere Beilegung des von der Schiedsklausel erfassten Teils des Anspruchs. Der nicht erfasste Teil, insbesondere soweit es sich um in ihrer Komplexität noch einmal gesteigerte und praktisch auch schwerer durchzusetzende Preisschirmschäden handelt,518 wird gegenüber den aus dem Kartellfolgevertrag erwachsenen Schäden einen nachrangigen Schadensposten darstellen. Für die Invalidierung der Schiedsvereinbarung unter Effektivitätsgesichtspunkten wegen einer übermäßigen Beeinträchtigung der Rechtsverfolgung ist das nicht ausreichend. Eine prohibitive Wirkung ist nicht erkennbar. g) Anmerkungen de lege ferenda Um der in diesem Abschnitt geäußerten Kritik an den rechtlichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, sollen noch einige Anmerkungen de lege ferenda folgen. aa) Beschränkte Gesamtwirkung von Schiedssprüchen Eine Vielzahl der Probleme des kartellrechtlichen Schiedsverfahrens hängen an der Wirkung des Schiedsspruchs auf den Kartellregress.519 Doch eine denkbare Lösung bietet die KartSE-RL: Sie besteht in der Erstreckung der Regelungen über die beschränkte Außenwirkung von Vergleichen gem. Art. 19 KartSE-RL bzw. § 33f GWB auch auf Schiedssprüche. Hiernach wird die sich vergleichende Schädigerin gem. Art. 19 Abs. 1 KartSE-RL in Höhe ihres Anteils von der Haftung frei; die Haftung der übrigen Schädigerinnen verringert sich nach Art. 19 Abs. 2 S. 1 KartSERL in entsprechender Höhe. Ein Binnenregress gegen die sich vergleichende Schädigerin ist gem. Art. 19 Abs. 2 S. 2 KartSE-RL ausgeschlossen. Für eine solche Erstreckung der Regelungen von Art. 19 Abs. 1, 2 KartSE-RL lässt sich anführen, dass die Richtlinie in Erwägungsgrund 48 Schiedsverfahren expressis verbis als ein Beispiel einer einvernehmlichen Streitbeilegung nennt.520 Zudem definiert Art. 2 Nr. 21 KartSE-RL die einvernehmliche Streitbeilegung als einen Mechanismus, der es den Parteien ermöglicht, den Streit über einen Kartellschadensersatzanspruch außergerichtlich beizulegen, und Art. 2 Nr. 22 KartSE-RL benennt den Vergleich als eine durch eine einvernehmliche Streitbeilegung erzielte Einigung.521 Und immerhin liegt auch dem Schiedsverfahren eine einvernehmliche Einigung auf eine andere als eine gerichtliche Streitbeilegung zugrunde, nämlich in 518 Stöber, EuZW 2014, 257 (259, 261); Stancke/Weidenbach/Lahme/Hölzel, Kap. B Rn. 12; Stancke/Weidenbach/Lahme/Makatsch/Bäuerle, Kap. C Rn. 18; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 238 f.; zur Kausalität Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 186 ff. m. w. N. 519 Vgl. Makatsch, CCZ 2015, 127 (129). 520 Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (16, Fn. 30); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/ Harler/Schwedler, § 38 Rn. 66. 521 Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 66 f.

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Form der Schiedsvereinbarung.522 All das deutet darauf hin, dass Schiedsverfahren im Sinne der KartSE-RL zur einvernehmlichen Streitbeilegung zählen und deshalb auch unter die Vorschrift des Art. 19 Abs. 1, 2 KartSE-RL zu fassen sind.523 Freilich spricht gegen eine solche Interpretation, dass Art. 18524 und Art. 19 Abs. 3525 KartSE-RL ihrem Normzweck nach eher auf Verfahren wie eine Mediation abzuzielen scheinen und das adversiale Schiedsverfahren sich von diesen Formen der alternativen Streitbeilegung konzeptionell doch erheblich unterscheidet. Eine solche beschränkte Außenwirkung wäre zudem weitgehend unbemerkt eingeführt worden – dem deutschen Gesetzgeber stand sie in § 33f GWB ersichtlich nicht vor Augen – und würde Fragen aufwerfen, wieso Schiedssprüchen eine solche Wirkung zukommt, wenn die Urteile ordentlicher Gerichte nur im Umfang des Art. 15 KartSERL „gebührend berücksichtigt“ werden sollen. Daneben treten praktische Probleme, denn für die Vereinbarung einer beschränkten Außenwirkung müssen im Streitbeilegungsverfahren der Parteien Faktoren Berücksichtigung finden, die der Klägerin zumeist unbekannt sind und die den Prozess überdies verlängern.526 Gleichzeitig müssen Schiedssprüche rechtzeitig ergehen und überhaupt der Veröffentlichung zugänglich sein, um i. S. d. Art. 19 Abs. 1, 2 KartSE-RL Berücksichtigung finden zu können.527 Insgesamt ist damit eher nicht davon auszugehen, dass Schiedssprüchen de lege lata eine beschränkte Außenwirkung zukommt. Gleichwohl ließen sie sich so ohne 522

Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 67. Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (16, 27); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (455 f.); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 65 ff.; offengelassen von Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (416, Fn. 127). 524 Art. 18 KartSE-RL sieht eine Hemmung der Verjährungsfrist für die Dauer der einvernehmlichen Streitbeilegung unbeschadet der nationalen Vorschriften zu Schiedsverfahren vor und differenziert damit sowohl nach dem Wortlaut als auch dem Telos zwischen Schiedsgerichten und sonstigen Formen der alternativen Streitbeilegung. Die Norm scheint nicht für Alternativverhältnisse, wie sie meistens zwischen Schieds- und ordentlichem Gericht bestehen, sondern für sukzessive Streitigkeiten konzipiert worden zu sein, etwa eine dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Mediation; siehe Driessen-Reilly, 31 Arb. Int’l 567, 579 f. (2015); Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (455 f.). 525 Art. 19 Abs. 3 S. 1 KartSE-RL sieht eine Ausfallhaftung der sich vergleichenden Schädigerin für den Fall vor, dass die Geschädigte keinen Ersatz bei den anderen Schädigerinnen erlangen kann. Die Übertragung dieses Rechtsgedankens auf einen Schiedsspruch würde diesem die Rechtssicherheit nehmen, siehe Isidro, in: Ferrari (Hrsg.), S. 421 (456). Diese Möglichkeit ist aber nicht zwingend und kann gem. Art. 19 Abs. 3 S. 2 KartSE-RL abbedungen werden. In einer Schiedsvereinbarung könnte die konkludente Abbedingung dieser Haftung gesehen werden. 526 Das gilt vor allem, da die Geschädigte sich Klarheit über den Haftungsanteil der Vergleichspartnerin im Innenverhältnis der Kartellantinnen verschaffen muss; zu dieser Problematik bei Vergleichen Makatsch, CCZ 2015, 127 (131 f.); Kersting, WuW 2014, 564 (571 f.); Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, S. 362 f.; für praktische Probleme bei der Bestimmung einzelner Haftungsanteile in der Gesamtschuld siehe auch Krüger, Kartellregress, S. 101 ff. 527 Diese praktischen Probleme bestehen allerdings ebenso bei Vergleichen. 523

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

zusätzliche Verwerfungen in das diffizile Gesamtbild komplexer Kartellrechtsstreitigkeiten besser integrieren. Wenigstens de lege ferenda ist diese Möglichkeit daher zu befürworten. bb) Weiterentwicklung der Streitverkündungslösung Die schon zur 9. GWB-Novelle entwickelten528 und nunmehr auch im Rahmen der 10. GWB-Novelle nicht aufgegriffenen Ansätze zur Fortentwicklung der Streitverkündungslösung können hier zwar nicht im Einzelnen bewertet werden. Der Überblick über das bestehende Recht hat aber gezeigt, dass sie auch für zukünftige Novellen als notwendige Denkanstöße für den Gesetzgeber dienen sollten. Auch die Regelungen des lis pendens sollten an das Kartellschadensersatzrecht angepasst werden. cc) Weiterentwicklung des kollektiven Rechtsschutzes Insbesondere im Kartellrecht bietet sich für Modelle des kollektiven Rechtsschutzes wegen des komplexen Zusammenspiels von IPR, IZPR und materiellem Wettbewerbsrecht eine europäische Lösung an.529 Wären Kollektivverfahren eine positivrechtliche Vorgabe, würde dieses auch weitergehende Aussagen zu dem Prüfungsmaßstab ermöglichen, an dem sich alternative Arten der Streitbeilegung diesbezüglich zu messen haben. Dessen ungeachtet ist eine Reform, die die ZPO an die Realität von Massenprozessen vor ordentlichen Gerichten anpasst, auch auf nationaler Ebene überfällig.530 Eine derartige Novelle sollte dann auch gleich das 10. Buch der ZPO einbeziehen, um nach US-amerikanischem Vorbild Kollektivverfahren im Schiedsrecht zu ermöglichen.531 Auch die institutionelle Schiedsge528

Überblicke bei Zwade/Konrad, WuW 2020, 114 (115 ff.), Fuchs/Weitbrecht/Fuchs, § 6 Rn. 134 f. 529 Für die Notwendigkeit eines kollektiven Rechtsschutzmechanismus auf europäischer Ebene insgesamt Collective redress in the Member States of the European Union, European Parliament, 2018, PE 608.829, S. 65 ff. 530 Siehe nur Klumpe, NZKart 2019, 405 (406), zu einem Vorschlag nach Vorbild des aktienrechtlichen Spruchverfahrens, §§ 1 ff. SpruchG; zur Möglichkeit des außergerichtlichen Sammelvergleichs Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 88 ff.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (628 f.); grundsätzlich dazu auch Kommissionsempfehlung 2013/396/EU, Rn. 25 ff.; zu opt-out-Mechanismen und Möglichkeiten im Bereich der Verbandsklagerechte bei Streuschäden Fuchs/Weitbrecht/Krüger/Weitbrecht, § 19 Rn. 165 ff.; Vorschläge zur Überarbeitung der Prozessfinanzierung in Masseverfahren Stadler, WuW 2018, 189 (193 f.); ausführlich zu offenen Fragen des kollektiven Rechtsschutzes auch dies., ZHR 182 (2018), 623 (646 ff.); s. a. die Gesetzgebungsvorschläge bei Bernhard, Kartellrechtliche Sammelklagen, S. 249 ff., und Vogel, Kollektiver Rechtsschutz, S. 263 ff. 531 Collective redress in the Member States of the European Union, European Parliament, 2018, PE 608.829, S. 16, 38. Dort werden auch weitere Inspirationsquellen aus der EU benannt. Kollektive alternative Streitbeilegungsmechanismen gibt es demnach in Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und dem kürzlich ausgetretenen Vereinigten Königreich.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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richtsbarkeit ist gehalten, an diesem Prozess mitzuwirken und Regelungswerke bereitzustellen. Dann, aber wohl auch nur dann, können Schiedsgerichte für jede Art von Streitigkeit einen echten Beitrag zum private enforcement leisten und werden so gestärkt, wie es dem Telos von Erwägungsgrund 48 KartSE-RL entspricht. Sie erlauben es dann nämlich, Streitigkeiten vor allem weniger formalisiert als im Zweiparteienprozess beizulegen und so dem kompensatorischen Gehalt von Art. 101 AEUV zur Geltung zu verhelfen. h) Zusammenfassung Die Behandlung komplexer Rechtsverhältnisse, wie sie für das Kartelldeliktsrecht typisch sind, stellt ordentliche wie alternative Streitbeilegungsforen vor Probleme. Die limitierenden Faktoren sind für Schiedsverfahren die Schiedsvereinbarung und für ordentliche Gerichte die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Im Vergleich mit diesen beeinträchtigen auch Schiedsvereinbarungen die Verwirklichung der durch das Unionsrecht garantierten Rechte nicht übermäßig. Vielmehr sind die Nachteile die logische Folge der Schiedsvereinbarung und werden sie durch die im Übrigen ermöglichte effizientere Streitbeilegung wenigstens eines Teils des Streitstoffs aufgewogen. Das gilt im Grundsatz auch für kollektive Rechtsschutzmechanismen in Form des Abtretungsmodells, deren Unzulänglichkeiten nicht über eine weitreichende Invalidierung von Schiedsvereinbarungen behoben werden können. Die Untersuchung der möglicherweise mit dem Wechsel auf das Schiedsverfahren einhergehenden prohibitiven Wirkungen wird hier aber nicht selten zu dem Ergebnis kommen, dass namentlich die Verfahrenskosten eine solche Invalidierung rechtfertigen.

II. Streitbeilegung außerhalb der EU Abschließend ist noch zu untersuchen, wie bei der Vereinbarung der Zuständigkeit eines drittstaatlichen Schiedsgerichts zu verfahren ist.532 Die ohnehin unstete Beziehung von Eingriffsnormen und privatautonomer Rechtswahl wird fragil, wenn die prozessuale Dimension der Schiedsvereinbarung hinzutritt.533 Auch die Überlegungen zur Bindung der Schiedsgerichte an Eingriffsnormen534 und zur Kontrolle

532 Die im vorstehenden Abschnitt Kapitel 5 – B.I. ausgeführten Erwägungen gelten dabei entsprechend. Hier sind nur noch Umstände zu untersuchen, die spezifisch die Möglichkeit behandeln, dass Eingriffsnormen ungeachtet ihrer Anwendbarkeit in drittstaatlichen Schiedsverfahren durch die Kombination mit einer Rechtswahlklausel keine Berücksichtigung finden. 533 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 911 (2018): „The balance between private and public interests in terms of choice of law, however, becomes fragile, if not a delusion, when the procedural dimension of party autonomy is added to the equation.“ 534 S. o. Kapitel 5 – A.II. – erste Vorfrage.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

des kartellrechtlichen ordre public535 sind dann gegebenenfalls wertlos. Denn ein gegen den unionsrechtlichen ordre public verstoßender Schiedsspruch, der am Sitz des Schiedsgerichts nicht aufgehoben und in einem Drittstaat vollstreckt wird, ist in der EU nicht kontrollierbar.536 Dieser Gefahr kann allenfalls durch eine Prüfung im Einredeverfahren begegnet werden. Die Tragfähigkeit der für ein solches Vorgehen streitenden Ansätze wird im folgenden Abschnitt untersucht. 1. Die hierzu vertretenen Ansätze im Überblick Dieser Ansätze gibt es im Wesentlichen zwei: Die Invalidierung der Schiedsvereinbarung durch eine ordre public-Kontrolle, ein vor allem aus der Rechtsprechung zur Handelsvertreterrichtlinie537 bekannter Ansatz, oder die Invalidierung unter Zuhilfenahme des Effektivitätsgebots, eine vor allem seit dem CDC-Urteil thematisierte Möglichkeit. Zuvorderst historischen Wert hat demgegenüber die zunächst angeführte Auffassung von Altenmüller. a) Territoriale Begrenzung der Schiedsfähigkeit Altenmüller war in seiner grundlegenden Dissertation von 1972 der Auffassung, die Schiedsfähigkeit der §§ 1 ff. GWB a. F. sowie Art. 85 f. EGV (Art. 101 f. AEUV) unterliege territorialen Grenzen.538 Maßgeblich für diese – noch zur Geltung des § 91 GWB a. F. entwickelte539 – Ansicht war die Annahme, dass die für Kartellstreitigkeiten eröffneten Zuständigkeiten vor den ordentlichen Gerichten materiellrechtlich geprägt seien.540 Die Zuständigkeit eines ausländischen Schiedsgerichts sollte sich nur vereinbaren lassen, wenn keine internationale Gerichtszuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gegeben war.541 Diese Auffas535

S. o. Kapitel 5 – A.III. – zweite Vorfrage. Zur Auslandsvollstreckung etwa OLG Stuttgart, IHR 2012, 163 (165); Mäsch, WuW 2016, 285 (290); LMRKM/Meessen/Funke, Europäisches Recht, 1. Teil, Int. KartR. EU Rn. 156; Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584 (590 f.); Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 32; Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (388); Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellstreitigkeiten, S. 139. 537 Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, im Folgenden HV-RL. Der Ansatz der ordre public-Kontrolle im Einredeverfahren ist das Pendant zur amerikanischen prospective waiver doctrine, so auch Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 246 ff., v. a. 259 ff.; zu dieser oben Kapitel 3 – C.V.; Kapitel 3 – E.V. 538 Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 34 ff., 68 f., 110. 539 Siehe dazu oben Kapitel 2 – B.II.2; Kapitel 2 – B.II.3. 540 Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 68 f., 110. 541 Altenmüller, Die schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 34 ff., 110; dazu Immenga/Mestmäcker/Schmidt, 2. Aufl. 1992, § 91 GWB Rn. 55. 536

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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sung hat sich letztlich nicht durchsetzen können, wobei auf eine fehlende Praktikabilität und die Möglichkeit der nachgelagerten Kontrolle verwiesen worden war.542 b) Ordre public-Kontrolle der Schiedsvereinbarung In der Praxis hat sich demgegenüber sukzessive der Ansatz einer ordre publicKontrolle von Schiedsvereinbarungen im Einredeverfahren entwickelt. aa) Die Ingmar-Rechtsprechung des EuGH Im Jahr 2000 ließ der EuGH mit seinem viel beachteten Ingmar-Urteil aufhorchen.543 In diesem Urteil befasste er sich mit der Auslegung der Art. 17 ff. HV-RL. Diese sehen vor, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, in ihren nationalen Rechtsordnungen einen Ausgleichsanspruch der Handelsvertreterinnen gegen die Unternehmen nach Vertragsbeendigung zu schaffen, und sind gem. Art. 19 HV-RL zwingendes Recht. Im Streitfall hatten allerdings die Parteien, eine britische Handelsvertreterin und ein kalifornisches Unternehmen, bei weiterhin bestehender Zuständigkeit britischer Gerichte ihren in Großbritannien zu erfüllenden Handelsvertretervertrag kalifornischem Recht unterstellt. Nach Vertragsbeendigung klagte die Handelsvertreterin ihre Kompensation in England ein, gestützt auf das die HV-RL umsetzende englische Recht. Ebenfalls nach englischem Recht setzt sich allerdings eine Rechtswahlklausel durch, solange nicht der ordre public dem entgegensteht.544 Im Vorabentscheidungsverfahren befragt, stellte der EuGH zunächst den zwingenden Charakter der Art. 17 f. HV-RL heraus.545 Sodann schob er hinterher, die Richtlinie bezwecke über die Gruppe der Handelsvertreterinnen die Stärkung der Sicherheit des Handelsverkehrs, den Schutz der Niederlassungsfreiheit und des unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt, weshalb ihre Einhaltung „unerlässlich“ und „es für die gemeinschaftliche Rechtsordnung von grundlegender Bedeutung“ sei, dass sie nicht „schlicht“ durch eine Rechtswahlklausel umgangen werden könne.546 Art. 17 f. HV-RL seien deshalb, wenn die Handelsvertreterin ihre Tätigkeit 542 Siehe die Kritik bei Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 77; Immenga/ Mestmäcker/Schmidt, 2. Aufl. 1992, § 91 GWB Rn. 52, 55; Steindorff, WuW 1984, 189 (193) m. w. N. 543 EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:605 – Ingmar. 544 So die Vorlagefrage, EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:605, Rn. 13 – Ingmar. 545 EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:605, Rn. 21 f. – Ingmar. 546 EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:605, Rn. 23 ff. – Ingmar; s. a. EuGH, Urt. v. 17. 10. 2013, ECLI:EU:C:2013:663, Rn. 37, 39 f. – Unamar; EuGH, Urt. v. 23. 03. 2006, ECLI:EU:C:2006:199, Rn. 22 f. – Honyvem; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, ECLI:EU:C:2011: 685, Rn. 65 – eDate Advertising u. a.: „Der Gerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass zwingenden Bestimmungen einer Richtlinie, die für die Verwirklichung der Ziele des Binnenmarkts erforderlich sind, ungeachtet einer abweichenden Rechtswahl zur Anwendung zu

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in einem Mitgliedstaat der EU ausübe, auch gegen die abweichende Rechtswahl anzuwenden.547 bb) Die Rechtsprechung deutscher Gerichte Anders als der EuGH haben sich deutsche Gerichte auch mit der Kombination von Rechts- und Forenwahlklauseln befasst.548 (1) BGH, Urt. v. 30. 01. 1961 – VII ZR 180/60 Auch der BGH hatte einst über den Ausgleichsanspruch der Handelsvertreterinnen zu befinden. 1961 stellte sich die Frage der Anwendbarkeit des damals noch nicht als international zwingend erachteten § 89b HGB a. F. im Angesicht einer kombinierten Rechts- und Forenwahlklausel. Hierbei nahm der BGH zwar an, dass die Fragen nach der Wirksamkeit beider Vereinbarungen logisch zu trennen seien, sich aber eine gemeinsame Behandlung insoweit anbiete, als sonst „im Einzelfall“ die Gerichtsstandsvereinbarung doch einer an sich nicht wirksam zu vereinbarenden Rechtsordnung zur Anwendung verhelfen könnte.549 Letztlich kam der BGH aber zu dem Ergebnis, dass die Prorogation niederländischer Gerichte und die Wahl niederländischen Rechts nicht gegen Art. 30 EGBGB a. F. oder § 134 BGB verstießen.550 Maßgeblich war hierfür nach Auffassung des BGH, dass es sich bei der Beklagten um eine niederländische AG mit in den Niederlanden belegenem Vermögen und Produktionsstätten handelte, die deshalb ein legitimes Interesse daran gehabt habe, ihre Rechtsbeziehungen niederländischem Recht und einem niederländischen Gerichtsstand zu unterwerfen, und auch keine planvolle Umgehung der zwingenden deutschen Regelungen vorgelegen habe.551, 552

verhelfen ist“; bestätigt in EuGH, Urt. v. 16. 02. 2017, ECLI:EU:C:2017:129, Rn. 31 f. – Agro Foreign Trade & Agency. 547 EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:605, Rn. 26 – Ingmar; vgl. für den Fall eines nicht ausreichenden Binnenmarktbezugs EuGH, Urt. v. 16. 02. 2017, ECLI:EU:C:2017: 129, Rn. 33 ff. – Agro Foreign Trade & Agency. 548 Siehe auch die Darstellung bei Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 57 ff. 549 BGH, NJW 1961, 1061 (1062). 550 BGH, NJW 1961, 1061 (1062). 551 BGH, NJW 1961, 1061 (1062). 552 Auch in Fällen, in denen eine Umgehung des zwingenden § 662 HGB a. F. durch Gerichtsstandsklauseln in Konnossement-Bedingungen im Raum stand, erwähnte der BGH zwar die Möglichkeit der Unwirksamkeit, sah aber die Mindesthaftung der Verfrachter auch bei Anwendung des ausländischen Rechts noch als gewahrt an, BGH, NJW 1983, 2772 (2772 f.), wo als mögliche Anknüpfungspunkte die §§ 138, 242 BGB erwähnt werden; BGH, NJW 1971, 325 (325 f.); vgl. Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (545); Antomo, IHR 2013, 225 (229); Rühl, IPRax 2007, 294 (296 f.).

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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(2) BGH, Urt. v. 15. 06. 1987 – II ZR 124/86 1987 dann hatte sich der BGH in einem Verfahren mit der Frage auseinanderzusetzen, wie mit einer Schiedsabrede in einem Vertrag über Börsentermingeschäfte an ausländischen Börsen umzugehen war, den die Parteien dem Recht des Bundesstaates New York unterstellt hatten.553 Materiell waren zwingende Vorschriften über Börsentermingeschäfte oder den Differenzeinwand gem. §§ 764, 762 BGB a. F. anwendbar, die nach der Rechtsprechung des BGH jeweils dem ordre public zuzurechnen und von Richter:innen von Amts wegen zu berücksichtigen waren.554 Da New Yorker Recht keine entsprechenden Vorschriften kannte, war die Schiedsabrede nach dem BGH „unverbindlich“ beziehungsweise „nicht anzuerkennen“.555 Die dogmatische Herleitung dieses Ergebnisses beschränkte sich auf die Überlegung, dass andernfalls die Anwendbarkeit der dem ordre public zuzurechnenden Vorschriften nicht sichergestellt sei, ohne dieses weiter normativ zu verorten.556 An späterer Stelle im Urteil hielt der BGH indes fest, dass die Nichtanerkennung mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen unter dem UNÜ in Einklang zu bringen sei. Vorliegend scheitere die Anwendung nämlich schon an Art. 2 Abs. 1 UNÜ, nach dem einer Schiedsvereinbarung dann die Anerkennung versagt werden könne, wenn der Streitgegenstand nicht schiedsfähig sei, was nach dem Vorstehenden der Fall sei.557 Überdies könne gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ „berücksichtigt werden“, dass die Nichtbeachtung der deutschen Eingriffsnormen gegen den deutschen ordre public verstoße.558 (3) OLG München, Urt. v. 17. 05. 2006 – 7 U 1781/06 Hervorzuheben sind daneben mehrere Urteile, die an die zwischenzeitliche Ingmar-Rechtsprechung des EuGH anknüpfen, darunter eines des OLG München.559 Hier hatte eine deutsche Handelsvertreterin mit einem wiederum kalifornischen Unternehmen für den Handelsvertretervertrag die Geltung kalifornischen Rechts und 553 BGH, NJW 1987, 3193 (3193); siehe für einen ähnlichen Sachverhalt BGH, NJW 1984, 2037 (2037). 554 BGH, NJW 1987, 3193 (3194). 555 BGH, NJW 1987, 3193 (3193 f., Leitsatz 1); so auch BGH, NJW 1984, 2037 (2037) bezüglich einer Gerichtsstandsvereinbarung: „Aus demselben Grunde muß auch einer Gerichtsstandsvereinbarung die Wirksamkeit versagt werden, die bei ihrer Anwendung in Verbindung mit einer Rechtswahlklausel zur Folge hätte, daß die zur Entscheidung berufenen Gerichte den Termineinwand nicht beachten, wie dies hier der Fall wäre, da das englische Recht diesen Einwand nicht kennt“; so auch BGH, NJW 1995, 1225 (1227); OLG Düsseldorf, IPRax 1997, 115 (117); anders für den Fall eines deutschen Schiedsgerichts und der Anwendung deutschen Rechts BGH, NJW 1991, 2215 (2215 f.); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 372 (373). 556 BGH, NJW 1987, 3193 (3194); immerhin erwähnte der BGH den ordre public hier erstmalig als Prüfungsmaßstab, siehe Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (545). 557 BGH, NJW 1987, 3193 (3195). 558 BGH, NJW 1987, 3193 (3195). 559 OLG München, IPRax 2007, 322 (322).

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die Zuständigkeit kalifornischer Gerichte sowie560 eines internationalen Schiedsgerichts vereinbart. Das OLG München witterte nach ausgiebiger Bezugnahme auf Ingmar und die Rechtsprechung des BGH561 in dieser Konstellation die „nahe liegende Gefahr“, dass die Eingriffsnorm des § 89b HGB nicht angewendet würde, wofür maßgeblich die nicht näher belegte Annahme war, ein kalifornisches Gericht werde zu dem aus seiner Sicht „vertretbaren“ Ergebnis gelangen, den Vertrag lediglich kalifornischem Sachrecht zu unterwerfen, und ließ diese Gefahr für ein Derogationsverbot ausreichen.562 Entsprechendes habe auch für die Schiedsvereinbarung zu gelten.563 (4) OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. 12. 2011 – 5 U 126/11 Auch das OLG Stuttgart sah die Kombination ausländischer Rechts- und Forenwahl in einem Handelsvertretervertrag als unwirksam an.564 Hier war allerdings im Vertrag ein entsprechender Ausschluss des Ausgleichsanspruchs aufgenommen worden und die gewählte Rechtsordnung kannte kein Äquivalent, weshalb es nach dem OLG Stuttgart in Abgrenzung zum OLG München als sicher zu erwarten war, dass ausländische Gerichte die hiesigen Eingriffsnormen nicht anwenden würden.565 In diesem Fall sei es nicht nur erforderlich, dass sich der intertemporal noch anwendbare § 34 EGBGB a. F. i. V. m. § 89b HGB gegen die Rechtswahl durchsetze, sondern zur prozessualen Absicherung sei auch die Gerichtsstandsvereinbarung in Gänze „nicht anzuerkennen“.566 Die anerkennungsrechtliche Kontrolle des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sei unzureichend, wenn das ausländische Gericht keinen Ausgleichsanspruch kenne, da dann nach Klagabweisung im Ausland mangels Vollstreckung in Deutschland keine Kontrolle stattfände.567 Das Gericht tendierte dazu, eine auf den Ausgleichsanspruch beschränkte Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel

560 Wegen der Entscheidung des OLG München kam es auf eine etwaige Perplexität nicht mehr an. 561 OLG München, IPRax 2007, 323 (323); für einen arbeitsrechtlichen Sachverhalt mit ähnlicher Problematik siehe LAG Hessen, NJOZ 2001, 45 (45). 562 OLG München, IPRax 2007, 322 (324). 563 OLG München, IPRax 2007, 322 (324); in einem anderen Verfahren einige Jahre später hatte derselbe Senat ebenfalls über einen Fall zu entscheiden, in dem der Ausgleichsanspruch der Handelsvertreter dem Recht von Wisconsin unterstellt worden war. Es fehlte allerdings auch ohne Gerichtsstandsvereinbarung an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, weshalb das OLG diesen Fall von der hier dargestellten Rechtsprechung abgrenzte, siehe OLG München, ZVertriebsR 2015, 381 (382); kritisch zu dieser Differenzierung Emde, ZVertriebsR 2015, 384 (384 f.). 564 OLG Stuttgart, IHR 2012, 163 (163). 565 OLG Stuttgart, IHR 2012, 163 (164 f.). 566 OLG Stuttgart, IHR 2012, 163 (164 f.); vgl. LAG Hessen, NJOZ 2001, 45 (52): Unwirksamkeit der Rechts- und auch der Forenwahlklausel wegen Art. 30 EGBGB a. F. 567 OLG Stuttgart, IHR 2012, 163 (165).

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anzunehmen, invalidierte aber aus Gründen der Prozessökonomie die gesamte Gerichtsstandsvereinbarung.568 (5) BGH, Beschl. v. 05. 09. 2012 – VII ZR 25/12 Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das sich an den Hinweisbeschluss anschließende Urteil hat der BGH zurückgewiesen und die Erwägungsgründe des OLG Stuttgart bestätigt.569 Von einer Vorlage an den EuGH bezüglich der Frage der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sah er nach der Acte-clair-Doktrin ab; es sei erforderlich, die Art. 17 f. der HV-RL auch zuständigkeitsrechtlich abzusichern.570 Wie hier ist auch bei Urteilen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten der EU571 zu beobachten, dass die Ingmar-Rechtsprechung – in der es um die Wirksamkeit einer Forenwahlklausel ja gar nicht ging, da nur eine Rechtswahlklausel eingriff – weitreichende Folgen hat. (6) Rechtsprechung des OLG Düsseldorf Im weiteren Sinne dieser Rechtsprechung zuzuordnen sind auch die Brokerhaftungsfälle des OLG Düsseldorf, die teils Verbraucher:innen und teils kaufmännische Anleger:innen betrafen.572 Hier judizierte das OLG Düsseldorf, dass die Wahl New Yorker Rechts nach dem einfach zwingenden Art. 42 EGBGB a. F. unwirksam gewesen sei, und weil einerseits der Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO derogationsfest, andererseits die Anwendung deutschen Rechts durch das vereinbarte internationale Schiedsgericht „kaum zu erwarten, keinesfalls sicher“ sei, müsse „daher die Unwirksamkeit der Rechtswahl [entsprechend Art. 42 EGBGB] auf die Schiedsvereinbarung ,durchschlagen‘.“573 568

OLG Stuttgart, IHR 2012, 163 (165 f.). BGH, ZVertriebsR 2013, 89 (89 f.). 570 BGH, ZVertriebsR 2013, 89 (89). 571 Siehe etwa aus Österreich OGH Wien, IPRax 2018, 532 (532); aus England Accentuate Ltd v Asigra Inc [2009] EWHC 2655 (QB), Rn. 62 ff.; s. a. die Nachweise insbesondere aus Belgien und Italien bei Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 906 ff. (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (820 ff.); Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (333); Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (166 ff.). 572 Hierzu zählen etwa die Fälle OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 5894; OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 24852; OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 18578; siehe hierzu insgesamt m. w. N. Niedermaier, SchiedsVZ 2012, 177 (passim); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 85 ff. 573 OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 18578; der BGH bestätigte das Urteil mit anderen Erwägungen und äußerte sich zu diesem Punkt nicht mehr, BGH, NZG 2011, 911 (912 f.); OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 24852; hier hob der BGH auf, da das OLG die falsche Schiedsklausel herangezogen hatte, BGH, SchiedsVZ 2011, 46 (47 f.); OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 5894, wo fälschlicherweise die vorstehende Judikatur des BGH als Referenz herangezogen wird. Mittlerweile sind die Fälle allerdings über Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II-VO zu lösen, der eine vorherige Rechtswahl anders als Art. 42 EGBGB bei Rechtsgeschäften im kommerziellen Bereich zulässt, Niedermaier, SchiedsVZ 2012, 177 (183). 569

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

cc) Stimmen in der Literatur Namentlich Weller hat ein Konzept zur ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen entwickelt.574 Hierbei sollten zwar keine Derogationsverbote unmittelbar aus den Eingriffsnormen folgen,575 aber sachrechtliche Gestaltungsschranken als Beschränkung der Dispositionsmaxime im Verfahrensrecht gelten576. Für deren Berücksichtigung sollen im materiellen Recht wurzelnde, der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie immanente Schranken577 sowie Wertungen des anerkennungsrechtlichen ordre public gem. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO mittelbar in Art. 6 EGBGB projiziert werden578. Vor allem der klägerische Justizanspruch habe hierbei Berücksichtigung zu finden.579 Eine solche Kontrolle sei gegenüber einer reinen anerkennungsrechtlichen ordre public-Kontrolle aus Gründen der Justizgewährung, der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie vorteilhaft.580 Allerdings sei eine Prognose bezüglich des Ergebnisses vorzunehmen und die entsprechende Klausel im Zweifel gar nicht581 und im Übrigen erst dann zu invalidieren, wenn anhand des zu erwartenden ausländischen Prozessergebnisses ein Rechtsfolgenausspruch zu erwarten sei, der dem inländischen Sachnormzweck widerspreche582. Auch andere Stimmen sprechen sich für die Invalidierung über den Vorbehalt des ordre public aus, um die schwächere Partei vor der Umgehung einer Eingriffsnorm zu schützen, die ihrem Schutz dienen soll.583 dd) Haager Gerichtsstandsübereinkommen Ein ähnlicher Ansatz scheint auch dem HGÜ zugrunde zu legen, dem die EU beigetreten ist584. Art. 6 lit. c) HGÜ sieht vor, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit dann nicht zugunsten des forum prorogatum verneinen muss, wenn die

574

Weller, Ordre-public-Kontrolle, 2005; s. a. ders., IPRax 2016, 48 (50). Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 166 ff., auch zu § 130 Abs. 2 GWB (§ 185 Abs. 2 GWB), S. 360. 576 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 359 f. 577 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 141 ff. 578 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 318. 579 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 319 ff., 360, 364. 580 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 176 ff., v. a. S. 180 ff. 581 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 180, S. 352 ff. 582 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 360 f. 583 Siehe etwa Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (69); Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (546); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 262 ff.; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), S. 187 (207 ff.). 584 Siehe die Beschlüsse des Rates vom 26. 02. 2009 über die Unterzeichnung und vom 04. 12. 2014 über die Genehmigung des Abkommens, abgedruckt in ABl. EU L 133/1, 29. 05. 2009, S. 1 ff., sowie ABl. EU 335/5, 10. 12. 2014, S. 5 ff. 575

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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Anwendung der Gerichtsstandsvereinbarung dem ordre public des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich widersprechen würde.585 ee) Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf Kartellschadensersatzansprüche Die vorstehend dargestellte Rechtsprechung europäischer und mitgliedstaatlicher Gerichte ist mit Sicherheit – und im Vergleich zu dem eher farblosen Aufhänger der Art. 17 ff. HV-RL bzw. § 89b HGB auch erst recht – auf die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen gem. § 33a Abs. 1 GWB zur zivilrechtlichen Kompensation einer Verletzung von Art. 101 AEUV586 im außereuropäischen Ausland übertragbar.587 Es ist in dieser Hinsicht nachgerade erstaunlich, dass diese Problematik – also insbesondere auch die Kombination von ausländischer Rechtswahl und Schiedsgerichten mit Sitz außerhalb der EU – anscheinend noch kein Gericht beschäftigt hat und auch nur wenig Widerhall in der Literatur findet588. c) Kontrolle der Schiedsvereinbarung am Maßstab der Effektivitätsmaximen Der Ansatz, Schiedsvereinbarungen bei der Bestimmung eines Schiedsgerichts mit Sitz außerhalb der EU durch den Rekurs auf Effektivitätsmaximen zu invalidieren, kann demgegenüber nicht auf eine vergleichbar reiche Fallpraxis zurückblicken.589 aa) Weiterentwicklung aus der ordre public-Kontrolle In der Literatur wurden entsprechende Überlegungen angestellt, weniger allerdings im Sachzusammenhang zum Kartellschadensersatz als vielmehr als Alternative zur ordre public-Kontrolle. So hätten sich die Gerichte die Frage stellen müssen, ob die effektive Verwirklichung der Art. 17 f. HV-RL neben der Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel wegen der fortbestehenden Gefahr der Nichtanwendung der für den Binnenmarkt besonders bedeutsamen Normen auch die Invalidierung der Fo585

Siehe dazu Antomo, IHR 2013, 225 (232); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 256 f.; Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (346 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (24 f.); das Abkommen ist aber gem. Art. 2 Abs. 2 lit. h) HGÜ nicht auf kartellrechtliche Streitigkeiten anzuwenden. 586 Zur Einordnung dieser Vorschriften als Eingriffsnormen und Teil des ordre public s. o. Kapitel 2 – D. 587 So auch Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 256. 588 Siehe aber Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, S. 320; Weitbrecht/Fuchs/ Weitbrecht, § 17 Rn. 35 ff.; Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (332 ff.); angedeutet auch bei Mankowski, JZ 2019, 141 (144); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (9 f.). 589 Angedeutet für die Frage der Gesamtnichtigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung von BGH, ZVertriebsR 2013, 89 (89 f.).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

renwahlklausel erfordere.590 Unter bestimmten Umständen sei das jedenfalls anzunehmen.591 Eine Partei zu zwingen, ihren auf europäische Eingriffsnormen gestützten Anspruch in einem ausländischen Forum vorzutragen, wo eine abweichende Rechtswahlklausel der Anwendung entgegenstehe, sei die genaue Definition einer übermäßigen Erschwerung der Durchsetzung der Unionsrechte.592 Ihre Invalidierung sei die dann unionsrechtlich vorgegebene Sanktion.593 Allerdings reiche dafür die vor allem vom OLG München angenommene naheliegende Gefahr nicht aus, denn übermäßig erschwert im Sinne des Effektivitätsgebots werde die Verwirklichung des Unionsrechts nur dann, wenn feststehe, dass es zu einer Nichtberücksichtigung komme.594 bb) Rechtssache CDC Auftrieb erfahren hat der Ansatz daneben durch die Begründung des EuGH in seinem CDC-Urteil, in dem er judizierte, der Derogation von den Gerichtsständen der Art. 5, 6 Brüssel I-VO (Art. 7, 8 Brüssel Ia-VO) durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 25 Brüssel Ia-VO) könnten keine Bedenken des ursprünglich zuständigen Gerichts entgegengehalten werden, das forum prorogatum werde dem EU-Wettbewerbsrecht nicht in effektiver Weise zur Durchsetzung verhelfen.595 Vielmehr biete das in jedem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, ergänzt durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, allen Rechtsbürgern eine ausreichende Garantie.596 Das hat die Fantasie beflügelt, erlaubt es doch im Umkehrschluss durchaus, an der effektiven Verwirklichung des Kartellrechts bei der Rechtsdurchsetzung außerhalb der EU sowohl vor drittstaatlichen Gerichten als auch vor Schiedsgerichten zu zweifeln.597 Seitdem hatte der EuGH keine Gelegenheit, diesen Gedanken weiter auszuführen. 590 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 916 ff. (2018) (Effektivitätsgebot); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (836) (effet utile); Rühl, IPRax 2007, 294 (299); dieser grundsätzlich zustimmend Antomo, IHR 2013, 225 (234 f.); (effet utile); auch Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 249 ff.; angedeutet von Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (252, Fn. 60); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 269; zuvor bereits Weller, Ordre-publicKontrolle, S. 352 f. 591 Rühl, IPRax 2007, 294 (299); Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 352. 592 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 f. (2018). 593 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 (2018). 594 Rühl, IPRax 2007, 294 (300); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 260; a. A. Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 921 (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (836 f.); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 269. 595 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 63 – CDC. 596 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 63 – CDC; deutlich weitgehender noch GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 27 ff. – CDC, s. o. Kapitel 4 – B.I.2. 597 Siehe Mäsch, WuW 2016, 285 (290); Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584 (590 f.); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (512); Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 212; auch Mankowski, JZ 2019, 141 (144); für einen der Sache nach vergleichbaren Ansatz aus der

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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cc) Rechtssache Achmea Auf justizverfassungsrechtlicher Ebene und damit unabhängig vom materiellen Sachrecht hingegen hat der EuGH allerdings seitdem nachgelegt, und zwar mit den beschriebenen Anforderungen an die zur Anwendung des Unionsrechts berufenen Rechtsprechungsorgane, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.598 dd) Eine geänderte Auffassung der Europäischen Kommission Auch die Europäische Kommission hat in einer jüngeren Verpflichtungszusage gem. Art. 9 VO 1/2003 Schiedsauflagen verlangt, die eine Streitbeilegung innerhalb der EU sicherstellen.599 Die Kommission schrieb, diese Regelung verpflichte die Schiedsgerichte dazu, das EU-Recht einzuhalten und anzuwenden.600 Das ist zwar nach hier vertretener Auffassung nicht richtig, denn zur Anwendung verpflichtet sind die Schiedsgerichte ohnehin.601 Gemeint dürfte aber ohnehin etwas anderes gewesen sein, nämlich insbesondere die Möglichkeit zu einer nachträglichen Aufhebungsklage. Das deutet darauf hin, dass neben dem EuGH auch die Europäische Kommission diesem Thema verstärkte Aufmerksamkeit widmet.602, 603 2. Dogmatische Kritik an den Ansätzen Die nachstehende Bewertung unterteilt sich in eine Darstellung der Kritik, wie sie in der Literatur sowohl am Ansatz der ordre public-Kontrolle (a)) als auch am Ansatz der Prüfung am Maßstab der Effektivitätsmaximen geäußert wird (b)).

Sportschiedsgerichtsbarkeit vgl. Orth, ZWeR 2018, 382 (386 ff.); s. a. oben Kapitel 5 – A.I.2.b) aa). 598 S. o. Kapitel 5 – A.I.2.a). 599 Sache AT.39816 – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa, ABl. 2018 C 258/7, dort Rn. 12; dazu Orth, ZWeR 2018, 382 (390). 600 Im Wortlaut: „Das Schiedsverfahren muss in der EU stattfinden. Diese Regelung verpflichtet die Schiedsgerichte dazu, das EU-Wettbewerbsrecht einzuhalten und anzuwenden und stellt sicher, dass die Kommission als Amicus Curiae auftreten kann.“ 601 S. o. Kapitel 5 – A.II.2.d). 602 Die Europäische Kommission hatte auch im Achmea-Verfahren die Gefahr der Vollstreckung des Schiedsspruchs in Drittstaaten herausgestellt, siehe GAWathelet, SchlA v. 19. 09. 2017, ECLI:EU:C:2017:699, Rn. 251 – Achmea; für ihre Stellungnahme im CDC-Verfahren siehe GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 100, Fn. 116 – CDC. 603 Orth, ZWeR 2018, 382 (388 ff.) sieht diese Entscheidung in der Tradition der früheren Kommissionsentscheidungen mit Bezug zur Kartellschiedsgerichtsbarkeit, etwa das Verfahren Centraal Bureau voor de Rijwielhandel; siehe dazu bereits oben Kapitel 2 – B.III., dort auch zur Kommissionsentscheidung Campari; dazu auch Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 212.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

a) Ordre public-Kontrolle Die Ingmar-Rechtsprechung des EuGH sowie die sich daran anschließende Rechtsprechung deutscher Gerichte werden überwiegend kritisiert. So verwundert der als sehr kursorisch eingestufte dogmatische Unterbau des Ingmar-Urteils, in dem der EuGH bloß vom zwingenden Charakter der Art. 17 f. der HV-RL auch auf deren Qualität als Eingriffsnorm schloss, ohne allerdings das Kind auch bei diesem Namen zu nennen;604 ein Muster, was sich noch nach der Kodifizierung von Art. 3 Abs. 4, Art. 9 Rom I-VO wiederholte605. Erhebliche Skepsis wird daran bekundet, in diesen Normen ein für die Verfasstheit der EU besonders wichtiges Regelungswerk zu erblicken.606 Ein grundsätzlicheres Argument ist, dass der Ansatz der ordre public-Kontrolle den Unterschied zwischen ius und forum verkenne.607 Anders als nämlich bei der Anwendung fremden Rechts wegen einer entsprechenden Rechtswahlklausel könne es bei der bloßen Anerkennung einer Forenwahlklausel überhaupt nicht zu einem Ergebnis kommen, das den grundlegenden Wertungen des derogierten Forums widerspreche, da es für das dort angerufene Gericht allein um die Zulässigkeitsfrage gehe, ob seine internationale Zuständigkeit bestehe; und sei diese abzulehnen, würden die Wertungen des drittstaatlichen Forums nicht geprüft.608 Verneine das angerufene Gericht seine Zuständigkeit zugunsten des drittstaatlichen Forums, so könne zwar wiederum dieses zu einem Ergebnis kommen, dass dem ordre public des forum derogatum widerspreche, eine Aussicht auf Anerkennung habe das drittstaatliche Urteil dann aber nicht, und deshalb bestehe auch kein Konflikt im rechtlichen Sinne.609

604 HWBEuP/Ellger, S. 375; Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (158 f.); Antomo, IHR 2013, 225 (228); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2197 f.); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (55); Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (304 f.); mit anderem Ansatz kritisch auch Schurig, in: FS Jayme, S. 837 (839 ff.). 605 EuGH, Urt. v. 16. 02. 2017, ECLI:EU:C:2017:129, Rn. 30 f. – Agro Foreign Trade & Agency; dazu Rohrßen, ZVertriebsR 2017, 186 (186 f.); auch EuGH, Urt. v. 17. 10. 2013, ECLI: EU:C:2013:663, Rn. 40 – Unamar; s. a. Rauscher/von Hein, Art. 3 Rom I-VO Rn. 134. 606 HWBEuP/Ellger, S. 375; Antomo, IHR 2013, 225 (227 f.); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (55 ff.); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 102 ff.; wohl auch Schurig, in: FS Jayme, S. 837 (844); Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (305); a. A. Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 132 ff. 607 Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (348); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (27); Zöller/Geimer, ZPO, IZPR Rn. 70; tendenziell Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 264; siehe dazu auch Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 263 f. 608 Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (347 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (25 f.), mit dem Beispiel einer Kartellschadensersatzklage; zustimmend Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 34. 609 Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (348); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (26 f.); tendenziell ähnliche Argumentation Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 f.); ihm zustimmend Antomo, IHR 2013, 225 (233).

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Weitere Stimmen führen an, dass die Rechtsprechung deutscher wie europäischer Gerichte den eigentlich auch dem europäischen IPR zugrunde liegenden Gedanken der Privatautonomie konterkariere.610 Reguliert würden die Vertragsbeziehungen geschäftlich erfahrener Parteien, die sehenden Auges611 Rechts- und Forenwahlklauseln abgeschlossen hätten. Für solche gebe es legitime Gründe, im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr für die Unternehmen etwa den, alle Rechtsbeziehungen einem einheitlichen Recht zu unterstellen,612 für die Handelsvertreterin den, durch den Verzicht auf einen Ausgleichsanspruch andere Vorteile während der Laufzeit des Vertrages zu erlangen613. Warum sich gegen eine solche Vertragsgestaltung die lex fori und die Zuständigkeit des forum derogatum in Gänze durchsetzen sollten, also noch nicht einmal beschränkt auf den speziellen nachvertraglichen Provisionsanspruch, erschließe sich nicht.614 Beim Verweis auf die Bedeutung des Sekundärrechts für die Niederlassungsfreiheit und den unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt handele es sich zudem um einen Zirkelschluss, denn wenn die Art. 114 f. AEUV die EU nur insoweit zur Rechtssetzung im Bereich des IPR ermächtigten, als dies zur Schaffung eines Binnenmarktes erforderlich sei, lasse sich hiermit auch die Konsequenz rechtfertigen, jedwedes Sekundärrecht mit ausreichendem Bezug zum Binnenmarkt auch gegen drittstaatliche Regelungen durchsetzen.615 Eine solche Schlussfolgerung sei inakzeptabel.616 Sie führe zu einer im englischen Sprachraum als parochial bezeichneten Handhabung des Unionsrechts617 und widerspreche Grundsätzen der Staatencomitas618. Gegen die deutsche Rechtsprechung wird vorgebracht, dass bereits die dogmatische Grundlage, auf der die Gerichte zu ihrem Ergebnis – die Forenwahlklausel sei

610 Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (161 f.); Rühl, IPRax 2007, 294, (298, 301 f.); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (253); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (58); Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (311). 611 In diese Richtung auch Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 36. 612 Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2201); Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (218); Rühl, IPRax 2007, 294 (302); vormals auch BGH, NJW 1961, 1061 (1062). 613 Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2198); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (249); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (57); ähnlich auch Basedow, in: FS Bogdan, S. 15 (30); Rühl, IPRax 2007, 294 (302). 614 Antomo, IHR 2013, 225, (236); so tendenziell auch Ayad/Schnell, BB 2012, 3103 (3104). 615 Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (161); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (59); Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (292); ähnlich auch Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (305), die das Wettbewerbsargument vor allem deshalb ablehnen, weil es im Wesentlichen nur der Begründung einer Kompetenz des europäischen Gesetzgebers diene; s. a. Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 106 ff. 616 Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (161). 617 Bonomi, 5 Y.B. Priv. Int’l L., 53, 90 (2003); s. a. Michaels/Kamann, EWS 2001, 301 (311). 618 Antomo, IHR 2013, 225 (232); Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (161).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

„nicht anzuerkennen“ – gelangten, unklar geblieben sei.619 Ob es sich um eine ordre public-Kontrolle handele und sich diese etwa auf Art. 6 EGBGB oder den anerkennungsrechtlichen ordre public gem. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO stütze, bleibe offen.620 Im Ergebnis würden die ordentlichen Gerichte für die Schiedsgerichtsbarkeit in unzutreffender Weise, nämlich über die Anknüpfung des Schiedsortes und des Hauptvertragsstatuts, eine teilweise Schiedsunfähigkeit von Eingriffsnormen begründen, die weder nach § 1030 ZPO noch Art. 2 Abs. 3 UNÜ vorgesehen sei.621 Die Gerichte hätten überdies zu dem vermeintlich unionsrechtlich determinierten Schluss von der Unwirksamkeit der Rechtswahl auch zur Unwirksamkeit der Forenwahlklausel dem EuGH gem. Art. 267 AEUV vorlegen müssen.622 Auf ganz besonders wenig Zustimmung ist das Urteil des OLG München gestoßen.623 Es handele sich um eine zur Sicherstellung der Beachtung von Eingriffsnormen nicht erforderliche und auch im Übrigen nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Privatautonomie, wenn Forenwahlklauseln schon ob einer nahe liegenden Gefahr der Nichtbeachtung international zwingender Normen im drittstaatlichen Forum vom Gericht invalidiert werden.624 Ein solcher „Freibrief“ für mitgliedstaatliche Gerichte, Forenwahlklauseln unter geschäftlich erfahrenen Parteien nach einer kursorischen Prüfung zu invalidieren, habe keine Berechtigung in Form eines Marktordnungsversagens, könne negative Auswirkungen auf den internationalen Handelsverkehr zeitigen625 und positive Kompetenzkonflikte herauf619

Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (55); dies., IPRax 2018, 541 (544 f.); Antomo, IHR 2013, 225 (225 f., 230); Rühl, IPRax 2007, 294 (298, 301); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (247); wohl auch Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (151). 620 Rühl, IPRax 2007, 294 (298); s. a. Antomo, IHR 2013, 225 (225, 230). 621 Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (55); dies., IPRax 2018, 541 (546); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (247 f.); Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (217 f.); Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen, S. 303; Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 286 f.; Stein/Jonas/Schlosser, § 1030 ZPO Rn. 5, Anh. § 1061 ZPO Rn. 345; Reithmann/Martiny/ Hausmann, Rn. 8.359. 622 Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (151); Antomo, IHR 2013, 225 (234 f.); Rühl, IPRax 2007, 294 (299 f.); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2198 f., 2201 f.); Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (349); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (28); gegen Ingmar als zutreffenden Ausgangspunkt auch Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (253). 623 OLG München, IPRax 2007, 322; eingehend Rühl, IPRax 2007, 294 (298 ff.); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (247 ff.); auch Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (217 f.); Semler, ZVertriebsR 2016, 139 (142 f.); Antomo, IHR 2013, 225 (233 f.); Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (545, 548); Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.359; Fuchs/Weitbrecht/Weitbrecht, § 17 Rn. 35; Geimer, IZPR, Rn. 1770; Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 260; positiv bewertet allerdings von Thume, IHR 2006, 169 (169 f.); differenzierend Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818 (827 ff.). 624 Semler, ZVertriebsR 2016, 139 (142 f.); Rühl, IPRax 2007, 294 (298); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (249 f.); zumeist wird in diesem Zusammenhang die Einholung von Sachverständigengutachten durch das Gericht gefordert. 625 Rühl, IPRax 2007, 294 (298, 302).; auch Antomo, IHR 2013, 225 (228); Rühl, IPRax 2007, 294 (302); ähnlich Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (350 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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beschwören626. Notwendig und ausreichend sei die nachgelagerte Kontrolle im Exequaturverfahren.627 Lediglich ausnahmsweise und insbesondere in Fällen, in denen die bezweckte Umgehung von Eingriffsnormen evident der Grund für den Abschluss einer Gerichtsstandsklausel gewesen sei oder der ordre public-Verstoß schon positiv feststehe, sei eine Invalidierung schon im Einredeverfahren statthaft.628 b) Effektivitätsmaximen Auch gegen die Kontrolle durch den Effektivitätsgrundsatz werden dogmatische Einwände erhoben. So hat Basedow grundsätzliche Bedenken betreffend die Balance von Effektivitätsgebot und mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie vorgebracht.629 Es sei auch zu fragen, ob die Durchsetzung der Eingriffsnormen im forum derogatum sichergestellt sei, ob dieses es mit der Verwirklichung dieser Normen eigentlich ernst meine,630 und ob – mit Blick auf die Handelsvertreterkonstellationen – die beklagten Unternehmen überhaupt Vermögen in der EU hätten631. Zudem wird auch in dieser

(30); Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 269; Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 93. 626 Antomo, IHR 2013, 225 (236); Schack, IZVR, Rn. 565. 627 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (248); Stein/Jonas/Schlosser, Anh. 1061 § ZPO Rn. 345; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.378 ff.; Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 f.); Antomo, IHR 2013, 225 (232 f.); Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (151); Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (335 f.); Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (171 ff.); den besseren dogmatischen – nicht aber praktischen – Ansatz erblickt hierin auch Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818 (828 f.). 628 Die vertretenen Begründungsansätze variieren, siehe Wolff/Quinke, Art. V NYC Rn. 435 f.; ders., SchiedsVZ 2007, 246 (248, 252) m.w. N. (analoge Anwendung des anerkennungsrechtlichen ordre public gem. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ auch im Einredeverfahren); ebenso Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 280; Rühl, IPRax 2007, 294 (297 f., 301) (wohl anerkennungsrechtliche ordre public-Kontrolle im Einredeverfahren, daneben insbesondere Beeinträchtigung der Effektivitätsmaximen); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 f.) (Prüfung der anerkennungsrechtlichen ordre public-Widrigkeit im Einredeverfahren, nur unter besonderen Umständen reiche bereits eine nahe liegende Gefahr aus); Antomo, IHR 2013, 225 (232) (ist ordre public-Widrigkeit offensichtlich, widerspräche es dem Justizgewähranspruch, die Klägerin an das ausländische Forum zu verweisen); Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (171) (Hinfälligkeit einer Schiedsvereinbarung i. S. d. Art. 2 Abs. 3 UNÜ, wenn positiv feststehe, dass diese nur der Umgehung von Eingriffsnormen diene); Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (348 f., 351 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (27 f., 30 f.) (Ausnahme bei missbräuchlicher Umgehung von Eingriffsnormen, zuvor Untersuchung von deren gesellschaftsgestaltender Wirksamkeit); noch weitergehend und diese Möglichkeit stets ablehnend Zöller/Geimer, ZPO, IZPR Rn. 69; Geimer, IZPR, Rn. 1058, 1770, 2719, 3799a (bei Nichtanerkennung des Urteils oder Schiedsspruchs wegen eines ordre public-Vorbehalts sei eine Ersatzzuständigkeit im Inland zu eröffnen); s.a. Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 263 ff., die eine europäischen ordre public-Kontrolle für nicht mit der Brüssel Ia-VO vereinbar hält. 629 Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (350); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (28 f.); siehe dazu bereits ablehnend oben Fn 227. 630 Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (348 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (27 f.). 631 Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (350 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (29 f.).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Lösung ein Übergriff von aus dem materiellen Recht gewonnenen Wertungen auf das europäische Zuständigkeitsrecht erblickt.632 Insgesamt begegnet die unionsrechtlich determinierte Annahme einer Invalidierung über den Effektivitätsgrundsatz aber wohl weniger im Ausgangspunkt als vielmehr in ihren Rechtsfolgen ähnlichen Bedenken wie auch die ordre publicKontrolle. So wird auch von Kritiker:innen zugestanden, dass Gerichte möglicherweise bei Anwendung dieses Maßstabs zum zutreffenden Ergebnis gelangt seien.633 Das ändere aber nichts daran, dass der regelmäßige Schluss von der unionsrechtlichen Qualität des Streitgegenstandes auf die Unwirksamkeit der Forenwahlklausel eine übermäßige Beeinträchtigung der Privatautonomie geschäftlich erfahrener Parteien darstelle634. 3. Bewertung der Ansätze Auch die nachstehende Bewertung beginnt zunächst mit einer Kritik an der ordre public-Kontrolle (a)). Sodann wird der hier vertretene Ansatz ausgeführt (b)). a) Stellungnahme zur ordre public-Kontrolle Gegen die ordre public-Kontrolle, wie sie von Gerichten in der EU mal mehr, mal weniger offen praktiziert wird, werden mit Recht erhebliche Bedenken vorgebracht. In der Summe handelt es sich bei diesem Vorgehen, die Anwendung auch international zwingender Normen zuständigkeitsrechtlich abzusichern,635 um eine Verwechslung von Rechtspolitik und Dogmatik636. Bereits, dass der EuGH einen Bezug zu dem gemeinsamen Binnenmarkt der EU genügen lässt, um eine einfach zwingende Norm zu einer Eingriffsnorm aufzuwerten,637 ohne eine solche auch nur zu definieren, erinnert an eine Rechtsanwen632

Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 263 ff. Rühl, IPRax 2007, 294 (302), zur Entscheidung OLG München, IPRax 2007, 322; Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (351); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (30 f.), zur Entscheidung EuGH, Urt. v. 09. 11. 2000, ECLI:EU:C:2000:605 – Ingmar; dazu auch Weller, Ordre-publicKontrolle, S. 351 f. 634 Rühl, IPRax 2007, 294 (302): „Dies aber läuft auf eine Bevormundung der Parteien hinaus, die nicht nur ihres Gleichen, sondern vor allen Dingen auch ihre innere Berechtigung sucht“; tendenziell zustimmend Antomo, IHR 2013, 225 (231, 234 ff.); Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (352); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (31). 635 BGH, ZVertriebsR 2013, 89 (89). 636 In diesem Sinne auch Schack, IZVR, Rn. 565. 637 Vgl. für die Schlussfolgerung, dass nicht jede europäische Norm oder jede eine Richtlinie umsetzende mitgliedstaatliche Norm auch international zwingend sein kann etwa BGH, NJW 2006, 762 (764); Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (161); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (59); Freitag/Leible, RIW 2001, 287 (292); wohl auch Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (152); in diese Richtung allerdings EuGH, Urt. v. 25. 10. 2011, ECLI:EU:C:2011:685, Rn. 65 – eDate Advertising u. a.; für die parallele Diskussion zur Reichweite des ordre public 633

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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dung ex cathedra. Und obwohl schon dieser erste Schritt zu ausladend ist, ist er nur der Beginn für eine noch weitreichendere Invalidierung auch der Forenwahlklausel durch die deutschen Gerichte, die so erst recht nur von überschaubarer dogmatischer Überzeugungskraft ist. Der Sache nach kommt die Rechtsprechung dabei zu einer teilweisen Schiedsunfähigkeit der jeweiligen Eingriffsnormen, und zwar geknüpft daran, ob die Zuständigkeit eines inländischen oder eines drittstaatlichen Schiedsgerichts und ob die Anwendbarkeit inländischen oder drittstaatlichen Rechts gewählt wurde.638 Bezeichnend für die konfuse Handhabung dieser Kriterien ist die noch zu altem Schiedsrecht ergangene Entscheidung des BGH von 1987 zu Börsentermingeschäften.639 Hier geriet der BGH über die verschiedenen Kategorien der Schiedsfähigkeit und des ordre public-Vorbehalts ins Stolpern und verneinte die logisch vorrangige Frage der abstrakt-generellen Schiedsfähigkeit des Streitgegenstandes mit dem auf den präsumtiven Schiedsspruch bezogenen Ergebnis der einzelfallbezogenen ordre public-Kontrolle.640 Es scheint, als habe sich dieser Fehler unausgesprochen fortgesetzt. Die gesetzliche Systematik ist eine andere, und zwar sowohl des UNÜ als auch des deutschen Rechts, auf das es gem. Art. 2 Abs. 1, Abs. 3 UNÜ ankommt.641 Die Schiedsfähigkeit von Sachverhalten ist abstrakt-generell gegeben, wenn der Streitgegenstand i. S. d. § 1030 Abs. 1 ZPO ein vermögensrechtlicher Anspruch ist und keine Ausnahme gem. § 1030 Abs. 2, 3 ZPO vorliegt. Sie ist der Regelfall.642 Ein GA Wathelet, SchlA v. 04. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2414, Rn. 182 – Gazprom; Szpunar, in: Ferrari (Hrsg.), S. 85 (104). 638 Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (55); dies., IPRax 2018, 541 (546); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (247 f.); Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (217 f.); Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen, S. 303; Stein/Jonas/Schlosser, § 1030 ZPO Rn. 8, Anh. 1061 § ZPO Rn. 345; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.359. 639 BGH, NJW 1987, 3193 (3195). 640 Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 236; sehr kritisch auch S. 245 f.; Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 78 ff.; s. a. Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (247 f.); Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (217 f.); in anderen Entscheidungen (und anderen Sachzusammenhängen) hat der BGH diesen Unterschied allerdings nicht verkannt, siehe etwa BGH, NJW 2004, 2898 (2899 f.). 641 Siehe dazu bereits oben Kapitel 2 – E.II.2.b). Zutreffend ist allerdings auch, dass dieses Vorgehen ob des weiten Wortlauts von Art. 2 Abs. 3 UNÜ jedenfalls nicht konventionswidrig ist; so auch Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (546); Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (151); Antomo, IHR 2013, 225 (228); Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (217); ausführlich Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 162 f., 297 ff.; Born, International Commercial Arbitration, I, S. 1148; Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (175). Der Auffassung der amerikanischen Gerichte, es bedürfe zur Invalidierung einer Schiedsklausel gem. Art. 2 Abs. 3 UNÜ eines transnational anerkannten Grundes (s. o. Kapitel 3 – E.V.), kann nicht zugestimmt werden. Zu bedenken ist auch, dass der Schutz grundlegender staatlicher Entscheidungen und die Sicherstellung der Anwendung der entsprechenden Normen zumindest ein weniger schwerwiegender Vorbehalt als die objektive Schiedsunfähigkeit ist. 642 BGH, NJW 2004, 2898 (2899 f.); Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (546); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarung, S. 157; MüKoZPO/Münch, § 1030 ZPO Rn. 1; BTDrs. 13/5274, S. 34 f.

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Ausschluss gem. § 1030 Abs. 3 ZPO setzt eine gesetzliche Regelung voraus,643 die es aber für das Kartellrecht nicht gibt. Im Gegenteil bewegen sich der europäische und der deutsche Gesetzgeber gerade dort nicht von der Schiedsfähigkeit fort, sondern auf diese zu.644 Auch die tradierte deutsche kartellrechtliche Sonderanknüpfung gem. § 185 Abs. 2 GWB begründet keine partielle Schiedsunfähigkeit.645 Und noch etwas verdeutlicht diese Norm, nämlich die Unterscheidung zwischen materiellem und Verfahrenskollisionsrecht.646 Deshalb begründet sie auch keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte; „[d]as aus deutscher Sicht international zwingende Kartellrecht eröffnet kein forum legis“647. Nimmt man diesen, der praktischen Wirksamkeit des materiellen Rechts potentiell abträglichen Unterschied hin, ist aber erklärungsbedürftig, weshalb aus Eingriffsnormen, die nach ihrem Wortlaut ersichtlich keine Derogationsverbote vorsehen, plötzlich mithilfe eines Durchgriffs des materiellen Kollisionsrechts auf das Verfahrensrecht ein zu643 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (248); MüKoZPO/Münch, § 1030 ZPO Rn. 31; Musielak/ Voit/Voit, § 1030 ZPO Rn. 2. 644 Erwägungsgrund 48 sowie Art. 18 Abs. 2 KartSE-RL; BT-Drs. 13/5274, S. 71, S. 76; S. 34 zur Schiedsfähigkeit zwingender Normen; s. a. oben Kapitel 2 – B.II.3.; Kapitel 2 – B.III. 645 Auf diese Norm wird hier nicht vertieft eingegangen, da sie in deren jeweiligen Anwendungsbereich von Art. 101 f. AEUV, Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom-II VO verdrängt wird, siehe nur Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, EU, II. Abschnitt, A. Int. Anwendungsbereich Rn. 69; MüKoWettbR/Säcker, Art. 101 AEUV Rn. 922, § 185 GWB Rn. 9, sowie oben Kapitel 2 – F.II., und auch im Übrigen als nationalstaatliche Norm keinen Einfluss darauf hat, welche Anforderungen das Unionsrecht an die Behandlung der Kombination von Schiedsgerichtsvereinbarungen und Rechtswahlklauseln stellt. Angemerkt sei allerdings, dass aus dieser Norm für das deutsche Kartellrecht zumeist zwei Dinge gefolgert werden: Zum einen, dass sie der Derogation der deutschen internationalen Gerichtsbarkeit im Rahmen einer Gerichtsstandsvereinbarung entgegenstehe, zum anderen, dass die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts möglich bleibe, siehe Immenga/Mestmäcker/Schmidt, § 87 GWB Rn. 46 77; Immenga/ Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 338, 340; MüKoBGB/Immenga, Int. WirtR, IntWettbR/IntKartellR Rn. 59. Bezüglich des Verbots der Prorogation drittstaatlicher Gerichte gelten die in diesem Abschnitt vorgebrachten Bedenken entsprechend, da es sich um einen dogmatisch zweifelhaften Ansatz handelt. Erstaunlich ist auch die abweichende Behandlung von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen. Zur Rechtfertigung wird angeführt, dass das Schiedsgericht wegen § 185 Abs. 2 GWB an deutsches Kartellrecht gebunden bleibe. Teils wird dies mit dem lapidaren Hinweis verbunden, es sei „kaum zu erwarten“, dass sich das Schiedsgericht an diese Bindung stets halten werde; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 341, 407. Das in diesem Abschnitt behandelte Problem wird also offensichtlich nonchalant hingenommen. Da es im deutschen Recht kein Effektivitätsprinzip gibt, ist richtigerweise für beide Möglichkeiten der Derogation deutscher Gerichte auf einen einheitlichen Maßstab zurückgreifen, der dann nur in einer ausnahmsweisen ordre publicKontrolle liegen kann. 646 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 326; s. a. Weller, IPRax 2016, 48 (50). 647 Geimer, IZPR, Rn. 1055; ebenso Immenga/Mestmäcker/Rehbinder/von Kalben, § 185 GWB Rn. 326; FK/Rudolf, § 185 GWB Rn. 278; für ein Gegenbeispiel vergleiche das im Unamar-Verfahren anwendbare belgische Recht, EuGH, Urt. v. 17. 10. 2013, ECLI:EU:C: 2013:663, Rn. 18 – Unamar.

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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ständigkeitsrechtlicher Gleichklang aus dem Nichts geschaffen werden sollte648. Denn auch hier gilt: Der Zweck von Eingriffsnormen – ihre positive Dimension649 – ist nicht der Schutz vor ordre public-widrigen Schiedssprüchen.650 Demgegenüber finden sich bei einer Betrachtung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Regelungsrahmens an anderer Stelle nicht nur die hier vermissten Derogationsverbote,651 sondern auch eine kodifizierte ordre public-Kontrolle. Danach kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese den Regelfall der nachgelagerten Kontrolle im Anerkennungsverfahren beschreibt.652 § 1061 ZPO i. V. m. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ, § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO für Schiedssprüche, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO für Gerichtsstandsvereinbarungen bringen dies zum Ausdruck. Und diese geben auch den zutreffenden Prüfungsmaßstab vor, denn für diesen Vorbehalt ist bekanntlich nicht die fehlerhafte Rechtsanwendung auch international zwingender Normen ausreichend, sondern die Anerkennung des Schiedsspruchs als Produkt der Rechtsanwendung müsste zu einem Ergebnis führen, das grundlegenden Wertungen des Forums widerspricht.653 Gerade das ist die negative Dimension des ordre public im Anerkennungsverfahren.654 Zu Recht ist auch darauf hingewiesen worden, dass die ordre public-Kontrolle im Einredeverfahren nur schwer zu leisten ist.655 Diesen denkbar restriktiven Maßstab muss ein Schiedsspruch nämlich erst einmal erreichen; regelmäßig wird er das im Ergebnis nicht. Es läge also nahe, mit einer entsprechenden Prognose im Einrede648 Vgl. Schack, IZVR, Rn. 565; Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (544); insoweit kritisch auch Weller, IPRax 2016, 48 (50); ders., Ordre-public-Kontrolle, S. 360; diese Vermengung mit Blick auf die Brüssel Ia-VO ablehnend auch Westerhoven, Gerichtsstandsklauseln, S. 265 ff. 649 S. o. Kapitel 2 – D. 650 Antomo, IHR 2013, 225 (233); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 ff.). 651 Einige Gerichtsstände hat der deutsche Gesetzgeber nämlich durchaus derogationsfest ausgestaltet, etwa § 26 Abs. 2 FernUSG, § 53 Abs. 3 KWG, § 319 Abs. 2 S. 2 KAGB, siehe Geimer, IZPR, Rn. 1772. 652 Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (546); Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (151); Antomo, IHR 2013, 225 (232 f.); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 f.); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (248); Cordero-Moss, in: Ferrari (Hrsg.), S. 317 (335 f.); Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (171 ff.); Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.378 ff.; Schack, IZVR, Rn. 565; Stein/Jonas/ Schlosser, Anh. 1061 § ZPO Rn. 345; den besseren dogmatischen – nicht aber praktischen – Ansatz erblickt hierin auch Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818 (828 f.). 653 BGH, NJW 1969, 978 (979) – Fruchtsäfte; Bien, ZZP 132 (2019), 93 (97); Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (547); Mankowski, RIW 2018, 1 (15); Antomo, IHR 2013, 225 (233); Dathe, NJOZ 2010, 2196 (2199 ff.); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (249); Immenga/Mestmäcker/ Schmidt, § 87 GWB Rn. 75; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 ZPO, Rn. 321; Langen/Bunte/ C. Stadler, § 185 GWB Rn. 247; siehe bereits oben Kapitel 4, Fn. 15. 654 S. o. Kapitel 2 – D.II. 655 Antomo, IHR 2013, 225, (234); Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818 (829 ff.); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (252 f.); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 265, 287; Geimer, IZPR, Rn. 1770; Zöller/Geimer, ZPO, IZPR, Rn. 70.

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

verfahren zurückhaltend zu verfahren.656 Anders und genau gegenteilig geht die Rechtsprechung vor. Der Vorbehalt des ordre public, der für Ausnahmekonstellationen wie die Vereitelung des Justizgewährungsanspruchs gedacht ist und dort auch ungeachtet seiner dogmatischen Verortung657 seine Berechtigung hat, verkommt zum argumentativen Mähdrescher, wann immer Zuständigkeitsrecht und Eingriffsnormen kollidieren. b) Stellungnahme zu den Effektivitätsmaximen Diese Bedenken gegen die dogmatischen Brüche der ordre public-Kontrolle und die holzschnittartige Anwendung durch die Rechtsprechung sollten allerdings nicht den Ansatz der Kontrolle der extraterritorialen Anwendung von Eingriffsnormen im Einredeverfahren diskreditieren. Nach hier vertretener Auffassung ermöglicht ein Zusammenspiel von justizverfassungsrechtlichem effet utile und materiellrechtlich inspiriertem Effektivitätsgrundsatz jedenfalls für den Bereich des EU-Wettbewerbsrechts eine dogmatisch überzeugende und auch im Einzelfall verhältnismäßige Lösung. Diese geht vom zutreffenden Ansatzpunkt im Einredeverfahren aus, nämlich der Sicherstellung der tatsächlichen Geltung der fraglichen Eingriffsnormen im schiedsgerichtlichen Erkenntnisverfahren anstelle der prognostizierten ordre publicWidrigkeit präsumtiver Schiedssprüche. Sie ermöglicht so eine zielgenaue und prozessökonomische Prüfung, welche gleichzeitig die Sanktionsdrohung gegenüber den Parteien aufrechterhält. aa) Zwei grundlegende Stützen (1) Verstoß gegen das Effektivitätsgebot des EU-Wettbewerbsrechts Der Effektivitätsgrundsatz ist der fehlende Zwischenschritt von dem Programmsatz, dem in Eingriffsnormen verkörperten materiellen Wettbewerbsrecht tatsächlich zu ihrer internationalen Geltung zu verhelfen, hin zur Invalidierung der Forenwahlklausel, wenn diese an deren Beachtung Zweifel aufkommen lässt. Denn Klägerinnen zu zwingen, ihre durch das Unionsrecht garantierten Rechte vor ein ausländisches Schiedsgericht zu bringen, mit einer wegen einer abweichenden Rechtswahlklausel nur vagen Hoffnung auf Anwendbarkeit, kann natürlich die Durchsetzung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte übermäßig erschweren; in vielen Fällen wird es das Inbild einer solchen Erschwerung sein.658 Diese tatsächlichen Auswirkungen sind nach hier vertretener Auffassung nicht von der Hand zu weisen, auch wenn sie entsprechend der vorstehenden Ausführungen im 656 Antomo, IHR 2013, 225, (234, sowie passim zu dem hier interessierenden Regel-Ausnahme-Verhältnis); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (252 f.); Geimer, IZPR, Rn. 1770; Zöller/ Geimer, ZPO, IZPR, Rn. 70; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 8.378 ff. 657 Vgl. zu den verschiedenen dazu vertretenen Ansätzen der ordre public-Kontrolle im Einredeverfahren oben Kapitel 5 – B.II.1.b)cc) sowie Kapitel 5, Fn. 628. 658 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 919 f. (2018).

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Ergebnis noch keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung konstituieren mögen. Der Effektivitätsgrundsatz knüpft entsprechend auch nicht an die negative Dimension des ordre public an, sondern an die positive Dimension der Eingriffsnormen, um ihre Anwendbarkeit für ein bevorstehendes Erkenntnisverfahren sicherzustellen.659 In diesen Konstellationen geht es um die grundsätzliche Frage, ob sich auf die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte mit Eingriffsnormqualität wie den Kartellschadensersatzanspruch jemals vor einem Unionsgericht berufen werden kann.660 Und je grundsätzlicher die Beeinträchtigung für die effektive Durchsetzung der Unionsrechte ist, desto eher rechtfertigt sie auch die ultima ratio der Invalidierung als effektivrechtliche Sanktionsfolge.661 Auf diese Art und Weise zeitigt also das Effektivitätsgebot, ausgehend von der Anknüpfung der Eingriffsnormen und aus autonom unionsrechtlichen Überlegungen, Auswirkungen auf das Zuständigkeitsrecht. Und wo die Frage ist, was das Unionsrecht mit Blick auf die Fragilität der Beziehung von Eingriffsnormen, Rechtswahl und Schiedsvereinbarungen anbietet,662 ist das Effektivitätsgebot die Antwort. (2) Verstoß gegen den effet utile des Justizverfassungsrechts Diese Annahmen fügen sich in das größere Bild ein, wie es die Rechtssachen Eco Swiss und Achmea für die justizverfassungsrechtliche Komponente zeichnen. Die Vereinbarung der Zuständigkeit eines drittstaatlichen Schiedsgerichts betrifft nämlich nicht nur den Gewährleistungsgehalt des materiellen EU-Wettbewerbsrechts. Dieser Aspekt ist sicherlich der präsentere, schon da er vom EuGH explizit in CDC angesprochen wurde.663 Doch daneben muss auch hier die noch grundsätzlichere Schlussfolgerung aus den Rechtssachen Eco Swiss und Achmea Berücksichtigung finden. Diese Urteile nehmen die besondere Qualität des Unionsrechts zum Ausgangspunkt, um ausgehend vom rechtsstaatlichen Fixpunkt des Art. 19 AEUV ein 659 Zu diesen Dimensionen Kapitel 2 – D.II., zur entsprechenden Kritik an der ordre publicKontrolle Kapitel 5 – B.II.3.a). 660 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 919 (2018), unter Bezugnahme auf Lenaerts/Corthaut, E.L. Rev. 2006, 287 (309): „National procedural autonomy may explain why parties will or even must choose one procedural route or another. However, the binding force of EU law as such should not be made dependent on this as well. There is a fundamental difference between the national procedural autonomy to provide adequate remedies, which may indeed result in differences in enforcement of EU law and the prior question whether a certain EU norm can be invoked before the national judge. The former is as a matter of subsidiarity usually left to the Member States and rightly so. The latter should be a matter of EU law, applying equally across all the Member States, thus giving everyone as much or as little chance to rely on EU law using whatever procedural format the Member State provides for this“ (Hervorhebungen im Original). 661 Zu dieser Kapitel 5 – A.I.1.b); Kleinheisterkamp hält Staaten, deren Gerichte nicht zu dieser Rechtsfolge gelangen, für schadensersatzpflichtig i. S. d. Francovich-Rechtsprechung, Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 f. (2018). 662 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 911 (2018), s. o. Kapitel 5 – B.II. 663 EuGH, Urt. v. 21. 05. 2015, ECLI:EU:C:2015:335, Rn. 63 – CDC; s. o. Kapitel 5 – B.II.1.c)bb).

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Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

Primat der Unionsgerichte für die Anwendung des Unionsrechts zu etablieren; gerade das ist die justizverfassungsrechtliche Komponente des Unionsprimärrechts.664 Trennlinie ist das institutionelle Gerichtssystem.665 Aus diesem ergibt sich die Voraussetzung – und der EuGH wacht darüber offensichtlich auch mit Argusaugen – dass die Kontrolle der Rechtsanwendung durch mitgliedstaatliche Gerichte und in der Konsequenz auch durch den EuGH jedenfalls in der Theorie des durch Art. 267 AEUV vorgegebenen Systems sichergestellt bleibt.666 An ihren Endpunkt gedacht, etabliert diese Rechtsprechung eine unionsrechtliche Vorrangdogmatik, in der sich zwei Antipoden gegenüberstehen: Einerseits die Unionsgerichte, also der Verbund von ordentlichen mitgliedstaatlichen Gerichten und EuGH an ihrer Spitze – und andererseits alle anderen Rechtsprechungsorgane, also etwa Schiedsgerichte und ordentliche drittstaatliche Gerichte.667 Eine derart weitgehende Aussage muss hier nicht getroffen werden, da mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand nur der bei den grundlegenden Normen des EUWettbewerbsrechts anzulegende Maßstab interessiert. Doch für diesen Ausschnitt ist die Annahme eines aus der Autonomie des Unionsrechts folgenden justizverfassungsrechtlichen Vorrangs zutreffend, wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben. Bereits nach der Rechtssache Eco Swiss ist Korrelat zur Schiedsfähigkeit dieser Normen in der EU und damit zur Derogation mitgliedstaatlicher Gerichte die nachgelagerte Kontrolle.668 Und die andere Seite dieser Medaille, nämlich die für drittstaatliche Schiedsgerichte, ist dann und wohl auch erst recht die Vorgabe, ein entsprechendes Kontrollverfahren sicherzustellen.669 In Achmea wurde dieses Prinzip zu einem ehernen erhoben.670 Auch unter der angezeigten Berücksichtigung aller Unterschiede der dort streitgegenständlichen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zur hier interessierenden Handelsschiedsgerichtsbarkeit671 gibt es eine verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerung: Privatrechtssubjekte, die Streitigkeiten über grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts aufgrund privatautonomer Ent-

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Siehe oben Kapitel 5 – A.I.2.; wie hier Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (450 ff.). Zu diesem oben Kapitel 5 – A.I.2.a)cc); Kapitel 5 – A.I.2.b)aa). 666 S. o. Kapitel 5 – A.I.2.a)bb); Kapitel 5 – A.III.2.c)aa)(1); s. a. Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (450 ff.). 667 Siehe Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (451): „Achmea thus has been described as a judgement establishing preemption for all areas covered by EU law vis-à-vis any judicial body outside the EU-Member State judicial hierarchy“ m. w. N. (Hervorhebungen im Original). 668 EuGH, Urt. v. 01. 06. 1999, ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 35 f., 40 – Eco Swiss; ebenso EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea; EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, ECLI:EU:C:2006:675, Rn. 34 ff. – Mostaza Claro. 669 Ähnlich wohl Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 920 f. (2018). 670 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2018, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 54 – Achmea; s. o. Kapitel 5 – A.I.2.b)cc); so auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (451 f., 459 f.); a. A. Herrmann, G.C.R.L. 2019, 118 (123). 671 Dazu etwa auch Nowag/Tarkkila, CML Rev. 2020, 433 (451, Fn. 106); T. Jaeger, EuR 2018, 611 (625); Thörle, Investitionsschutzabkommen, S. 214 f. 665

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scheidung vor einem Schiedsgericht ausfechten wollen, müssen diese Überprüfung ermöglichen. bb) Zwei Schlussfolgerungen für die verhältnismäßige Anwendung im Einzelfall Die dann noch verbleibende Problematik ist, ob diese Beschränkung der Privatautonomie verhältnismäßig ist.672 Denn natürlich können einige der gegen eine ordre public-Kontrolle vorgebrachten Bedenken auch hier angeführt werden. Bei den Parteien wird es sich zumeist um geschäftlich erfahrene handeln, in deren Vertragsfreiheit eingegriffen wird. An der Verhältnismäßigkeit werden Zweifel angemeldet, und tatsächlich wird in vielen Fällen – den idealtypischen schiedsgerichtlichen Verfahren, in dem international agierende Unternehmen ihre Streitigkeiten beilegen – nicht unmittelbar einleuchten, dass diese ihre Streitigkeit nicht drittstaatlich und unbelastet von Eingriffsnormen beilegen dürfen. Auch die Staatencomitas,673 die Auswirkungen auf den internationalen Handelsverkehr, die Rechtssicherheit von Forenwahlklauseln und damit zusammenhängend die Problematik der Kompetenzkonflikte präsentieren sich als offene Fragen.674 Bedenkt man allerdings, dass es hier um justizverfassungsrechtliche Wertungen und die Eingriffsnormqualität des EU-Wettbewerbsrechts und – anders als in der Ingmar-Rechtsprechung des EuGH – nicht um die Erhebung von Sonderprivatrecht

672 Siehe zur Erforderlichkeit der hier vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfung Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 922 ff. (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (828 f., 837); Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (547 f.); siehe zu diesem allgemeinen unionsrechtlichen Prinzip nur EuGH, Urt. v. 13. 11. 1990, ECLI:EU:C:1990:391, Rn. 13 – Fedesa u.a sowie Art. 5 Abs. 1, 4 EUV. 673 Eine in diesem Zusammenhang gerne zitierte Passage findet sich in M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 9 (1972): „We cannot have trade and commerce in world markets and international waters exclusively on our terms, governed by our laws, and resolved in our courts.“ 674 Zu den in diesem Absatz genannten Einwänden oben Kapitel 5 – B.II.2.; zum Unverständnis, mit dem auf den hier vertretetenen Weg insbesondere im angelsächsischen Rechtskreis reagiert werden dürfte, siehe Accentuate v Asigra [2009] EWHC 2655 (QB), Rn. 73, 96 (dazu bereits oben Kapitel 5, Fn. 83, Kapitel 5, Fn. 124); s. a. Dundas, 76 Arbitration 159, 164 f. (2010): „As a former Head of Legal at an international oil company, I have major conceptual difficulty with the concept that a Canadian contract with Canadian arbitration, as agreed by the parties, should in fact, by operation of EU law, turn out to be a Brussels sprout (…) [T]here is an element of dishonesty in Accentuate contracting on one basis, then pleading a wholly different basis’ (…) The fact that EU law (which the judge was bound to apply) condones this [element of dishonesty of pleading on a wholly different basis than what was agreed] is no advertisement for the European Union’s credentials as a supporter of a free world trade system; (…) this is about protectionism“; zitiert nach Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 906, 929 (2018) (Hervorhebungen dort); ähnlich Ragno, in: Ferrari (Hrsg.), S. 139 (175 f.); s. a. zum USamerikanischen Verständnis Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 293 ff.

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in den Rang der international zwingenden Normen geht,675 können diese Einwände nur noch auf den ersten Blick überzeugen. Das gilt vor allem, soweit das Vorhandensein einer privatautonomen Einigung betont wird. An dieser wurden hier schon verschiedentlich Zweifel angemeldet, da es im Kartellrecht Fälle gibt, in denen dieser Einigung aufgrund der zwischen den Parteien bestehenden Disparität eher deskriptive Qualität zukommt.676 Doch auch ansonsten verkennt diese Hervorhebung den Prüfungsmaßstab. Denn der gesamte Zweck international zwingender Normen liegt darin, dass sie nicht abbedungen werden können, nicht prozessual, und auch nicht faktisch – gerade das macht sie zu overriding mandatory provisions.677 Die Missachtung dieser in Eingriffsnormen gegossenen grundlegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen toleriert ein Staat auf seinem Staatsgebiet typischerweise nicht.678 Gerade diese Missachtung droht durch auf drittstaatliche Foren weisende Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen, und an ihrer Abwendung hat ein Staat bei Vorliegen dieser Anwendungsvoraussetzungen im Übrigen auch bei extraterritorialer Streitbeilegung kein geringeres Interesse.679 Der Effektivitätsgrundsatz verhilft so der positiven Dimension dieser Normen zu der faktischen Wirksamkeit, die ihnen de iure ohnehin zukommen sollte. Es ist deshalb auch einigermaßen verwunderlich und stellt Ursache und Wirkung auf den Kopf, wenn ein Problem darin erblickt wird, dass Staaten die Wirksamkeit ihrer etwa im Wege des Auswirkungsprinzips betroffenen Eingriffsnormen und den damit einhergehenden regulatorischen Anspruch auch im Anblick einer internationalen Schiedsvereinbarung nicht etwa aufgeben, sondern zu verteidigen suchen.680 Viel eher scheint für die Problematik nämlich ursächlich zu sein, dass Zuständigkeitsvereinbarungen ungeachtet ihres regulatorischen Umfeld getroffen werden.681 Die marktordnungspolitischen Regelungsziele, die hinter einer Norm wie Art. 101 AEUV stehen, bestimmen sich unabhängig von dieser Individualvereinbarung.682 Anders gewendet, ist ihr Regelungsziel nicht die Mikroebene einer einzelnen Vereinbarung, sondern die aus der Vielzahl dieser Vereinbarungen bestehende Makro675 Zu dieser Kritik HWBEuP/Ellger, S. 375; Antomo, IHR 2013, 225 (227 f.); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (55 ff.); wohl auch Schurig, in: FS Jayme, S. 837 (844); Michaels/ Kamann, EWS 2001, 301 (305). 676 S. o. Kapitel 5 – B.I.1.b); vgl. auch Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 (549); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 20; für die Problemstellung aus den USA Kapitel 3 – E.IV.3.d)bb). 677 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 928 f. (2018). 678 Die Forderung von Basedow, in: FS Magnus, S. 337 (350 f.); ders., in: FS Bogdan, S. 15 (29 f.), die internationale Reichweite der Eingriffsnormen danach zu bemessen, ob der Staat sie in seinem Rechtsgebiet tatsächlich durchsetzt, ist jedenfalls für EU-Kartellrecht unproblematisch. 679 Allgemein Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 55 ff. 680 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 923 ff., 928 ff. (2018). 681 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 923 ff., 928 ff. (2018). 682 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 929 (2018).

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ebene,683 die gerade auch die Sicherung materieller Vertragsfreiheit zum Ziel hat684. Und deshalb ist das Vertrauen auch gutgläubiger Parteien auf Mikroebene weniger schutzwürdig als der für Rechtsstaatlichkeit im europäischen Binnenmarkt stehende Regulierungsanspruch auf Makroebene.685 Diese Perspektive zugrunde gelegt, wird deutlich, weshalb Gerichte nicht hinnehmen, dass eine „nahe liegende Gefahr“686 der Missachtung von Eingriffsnormen bei der Vereinbarung eines drittstaatlichen Gerichts „regelmäßig“687 besteht. Im Rechtsstaat bestimmt das Recht die Praxis, nicht die Praxis das Recht.688 (1) Einwirkung auf das Einredeverfahren Als Lösung bietet sich ein eigentlich schon lange bekannter und aus zwei Abschnitten bestehender Weg an, mit dem die Parteien es buchstäblich selbst in der Hand haben, die Invalidierung ihrer Schiedsvereinbarung abzuwenden. Der erste Abschnitt gilt dem Einwand, die mögliche Nichtanwendung der Eingriffsnormen des EU-Wettbewerbsrechts erschwere die Durchsetzung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig. Diesen Abschnitt hat Kleinheisterkamp unter Rekurs auf das Mitsubishi-Urteil aufgezeigt, also ausgerechnet das Urteil, welches die Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten gewissermaßen überhaupt erst begründete.689 Dort hatte sich der Supreme Court zufrieden gezeigt, nachdem die vermeintliche Delinquentin die Anwendbarkeit des US-amerikanischen Kartellrechts „zugestanden“ hatte.690 Das sei, so Kleinheisterkamp, auch hier angezeigt. Rufe eine Partei – unter Zugrundelegung der Schiedsvereinbarung abredewidrig – das forum derogatum an, so sei die Rechtswahlklausel in den Blick zu nehmen, denn 683

Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 929 (2018). Vgl. oben Kapitel 5 – B.I.1.b); vgl. allgemein zur Sicherung des Wettbewerbs durch materielle Vertragsfreiheit Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 21 f. 685 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 929 (2018); s. a. ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (835 f.). Das gilt auch für ausländische Parteien, die ein grundsätzlich nachvollziehbares Interesse daran haben mögen, ihre Rechtsbeziehungen einer einheitlichen Rechtswahl zu unterstellen. Auf Makroebene profitieren auch sie von dem stabilen Rechtsrahmen, der durch die Durchsetzung bestimmter rechtlicher Rahmenbedingungen im europäischen Binnenmarkt garantiert wird. Ihre Tätigkeit auf eben diesem Binnenmarkt ist Beleg dafür. Genau umgekehrt werden die makroökonomischen Vorteile in den USA bewertet, siehe Weller, Ordre-publicKontrolle, S. 297 f. 686 OLG München, IPRax 2007, 322 (324), Kapitel 5 – B.II.1.b)bb)(3); so auch Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 921 (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (836 f.); Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 269, 292; zu dieser viel kritisierten Wendung auch oben Kapitel 5 – B.II.2.a). 687 Rühl, IPRax 2007, 294 (298). 688 Frei nach BVerfG, NJW 2015, 2787 (2793); BVerfG, NJW 2013, 1058 (1070). 689 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 925 ff. (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (837 ff.); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985); dazu oben Kapitel 3 – C.IV.; Kapitel 3 – C.V.; Kapitel 3 – E.III. 690 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637, Fn. 19 (1985). 684

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schließlich sei es diese, die zur Anwendung anderer Normen als der europäischen Eingriffsnormen führe.691 Sodann sei zu untersuchen, ob das Kollisionsrecht der lex causae die Berücksichtigung europäischer Eingriffsnormen vorsehe, oder ob die lex causae ein der lex fori vergleichbares System des kartelldeliktischen Rechtsschutzes biete.692, 693 Wenn das nicht der Fall sei, könne sich die kartellrechtliche Delinquentin als im Einredeverfahren mutmaßlich Beklagte mit der Anwendung der EU-Eingriffsnormen einverstanden erklären, und die Einwilligung der Klägerin ergebe sich konkludent.694 Dem ist zuzustimmen. Dieser Ansatz erscheint rechtstechnisch zwar zunächst paradox, da die Parteivereinbarung so nur festschreibt, was ohnehin gelten sollte, und ihr auf diesem Wege erneut – bloß umgekehrt – ein höherer Stellenwert eingeräumt wird.695 In diesem Verfahrensstadium geht es aber auch nicht um eine Rechtswahl im eigentlichen Sinne, sondern um die Abwendung der unionsrechtlichen Sanktion der Invalidierung der Schiedsvereinbarung.696 Für diese Rechtsfolge und auch für die Vermeidung positiver Kompetenzkonflikte697 ist diese Lösung ausreichend. Sie 691

Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 925 f. (2018); vgl. für einen ähnlichen Ansatz Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1268 (2010). 692 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 926. (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (838 f.); vgl. auch Orth, ZWeR 2018, 382 (386 f.); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 269 f. 693 Die zweite Möglichkeit könnte vor allem in den Beziehungen zum Vereinigten Königreich Relevanz erlangen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Perspektive der Rechtsanwendung in dem vor dem Austritt aus der EU beliebtesten kartellrechtlichen Klagestandort einen besonderen Schutz der klägerischen Partei im Einredeverfahren erforderlich machen sollte; für Überlegungen, wie die Auswirkungen des Brexit auf das grenzüberschreitende private enforcement reduziert werden können Mäger, NZKart 2018, 3 (6 ff.); Fuchs/Weitbrecht/ Rother, § 3 Rn. 61. 694 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 926 f. (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (839); Biehl, Eingriffsnormen und Schiedsvereinbarungen, S. 272 f.; wohl auch Wolff/ Quinke, Art. V NYC Rn. 437; ein weiterer Ansatz könnte sein, dass ein bereits konstituiertes Schiedsgericht eine entsprechende Erklärung abgibt. Stimmt die beklagte Schiedspartei dem aber nicht zu, droht eine Aufhebungsklage gestützt auf den Einwand des ne ultra petita gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) UNÜ. 695 Wie auch Kleinheisterkamp selbst zugesteht, Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 927 (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (839); zu diesem Punkt auch Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (59 f.); kritisch Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 290 f. 696 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 927 (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (839). 697 Zur Gefahr dieser Konflikte Antomo, IHR 2013, 225, (236); Schack, IZVR, Rn. 565. Positive Kompetenzkonflikte lassen sich nicht vollständig vermeiden, wenn eine Einigung über die Anwendung europäischer Eingriffsnormen im Einredeverfahren nicht zustande kommt und sich das Schiedsgericht von der Invalidierung unbeeindruckt zeigt. Die Möglichkeiten der Gerichte des forum derogatum in einer solchen Situation sind begrenzt; es kann dann nur noch darauf ankommen, die von der Eingriffsnorm geschützte Partei – also die Kartellschadensersatzklägerin – vor den Kosten und dem Aufwand des ausländischen Schiedsverfahrens zu schützen und ihren Justizgewährungsanspruch im Inland durchzusetzen. Das ist dann jedenfalls verhältnismäßig; siehe dazu Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 919 ff. (2018) ders.,

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berücksichtigt auch die besonderen Interessen an der Effizienz des Schiedsverfahrens ohne ein extensives Vorverfahren. Zudem garantiert ein solches Vorgehen, dass die Rechtswahl der Parteien im Sinne einer dépeçage698 im Übrigen bestehen bleibt, und es nicht zur grobkörnigen Invalidierung wie bei der ordre public-Kontrolle kommen muss. (2) Einwirkung auf das Anerkennungsverfahren Nach hier vertretener Auffassung bedarf es allerdings darüber hinaus eines zweiten Schrittes. Auch dieser ist konzeptionell im Mitsubishi-Urteil angelegt,699 vor allem aber Ausfluss der EuGH-Rechtsprechung zur Schiedsfähigkeit. Die nachträgliche Kontrolle des Schiedsspruchs im über Art. 267 AEUV verbundenen europäischen Gerichtssystem muss hiernach sichergestellt bleiben.700 Die Parteien müssen sich deshalb spätestens im Einredeverfahren dazu verpflichten, bei Streitigkeiten um die Beachtung europäischen Wettbewerbsrechts eine Vollstreckung des Schiedsspruchs in Drittstaaten nicht zu betreiben, bevor nicht ein mitgliedstaatliches Gericht mit der Möglichkeit der Verweigerung der Anerkennung und der Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV befasst worden ist.701 Ebenso kommt ein vertraglicher Ausschluss dieses Verfahrens nicht in Betracht.702 Dieses zusätzliche, auf das Anerkennungsverfahren gerichtete Sicherungssystem ist, wie schon ausgeführt, der Preis der Schiedsfähigkeit grundlegender Normen des Unionsrechts.703 Er führt das Mitsubishi-Urteil an sein logisches Ende und vermeidet den in diesem Urteil angelegten blinden Fleck der Auslandsvollstreckung.704 Zusammengenommen erRabelsZ 73 (2009), 818 (835 f.); Thorn/Nickel, EIAR 2018, 43 (58); dies., IPRax 2018, 541 (547 f.); Weller, Ordre-public-Kontrolle, S. 184, 325 ff.; vgl. auch Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1271 f. (2010); siehe auch Mogendorf, Strukturell unterlegene Unternehmer, S. 66 f. 268 f., der zu Recht davor warnt, den internationalen Entscheidungseinklang zum tragenden Prinzip zu erheben. 698 Kleinheisterkamp, 67 Int’l & Comp. L.Q. 903, 927 (2018); ders., RabelsZ 73 (2009), 818 (839); vgl. auch Antomo, IHR 2013, 225 (236). 699 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985); s. o. Kapitel 3 – C.IV. 700 Siehe dazu oben Kapitel 5 – A.I.2.; Kapitel 5 – A.III.2.c)aa)(1); Kapitel 5 – B.II.3.b) aa)(2); s. a. Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 212. 701 Damit ist nicht gemeint, dass Parteien notwendigerweise ein streitiges Anerkennungsverfahren bestreiten müssen. Natürlich können sie einen Schiedsspruch auch einfach akzeptieren. Es geht allerdings darum, konzeptionell die Beteiligung ordentlicher mitgliedstaatlicher Gerichte sicherzustellen. 702 So auch Wagner, ZVglRWiss 2015, 494 (512); Eilmansberger, SchiedsVZ 2006, 5 (14); allgemein zu dieser Frage Stein/Jonas/Schlosser, § 1059 ZPO Rn. 2 m. w. N. 703 Dazu bereits oben, Kapitel 5 – A.I.2.; Kapitel 5 – A.III.2.c)aa)(1). 704 Carbonneau, 40 Me. L. Rev. 263, 277 (1988): „As a practical matter, given the circumstances in Mitsubishi, it is unlikely that such an award would ever come to the United States for enforcement“ (Hervorhebung im Original); Wolff/Quinke, Art. V NYC Rn. 456 f.; s. a. Brubaker/Daly, 64 U. Miami L. Rev. 1233, 1269 ff. (2010) sowie oben Kapitel 3 – C.IV. Der EuGH scheint die Möglichkeit der Auslandsvollstreckung ernster zu nehmen, wie seine Ach-

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möglichen diese Maßnahmen selbst unter Zugrundelegung eines denkbar restriktiven Ansatzes, wie sie von GA Jääskinnen im CDC-Verfahren vertreten worden waren,705 die Beachtung des EU-Wettbewerbsrechts unter gleichzeitiger Achtung der Privatautonomie. 4. Zusammenfassung Es zeigt sich, dass der Möglichkeit zur schiedsgerichtlichen Streitbeilegung kartelldeliktischer Streitigkeiten tatsächlich geographische Grenzen gesetzt sind;706 nicht in dem Sinne, dass die Schiedsfähigkeit beschränkt wäre, wohl aber in dem, dass Unionsrecht Barrieren errichtet, die eine Invalidierung von Vereinbarungen über die Zuständigkeit eines ausländischen Schiedsgerichts in Kombination mit drittstaatlichen Rechtswahlklauseln zur Regel werden lassen. Unverhofft erlebt damit eine Auffassung von Altenmüller ihre Renaissance und darf so zumindest im Ergebnis auf ihre Richtigkeit pochen. Zutreffend ist prognostiziert worden, dass für die Zukunft ein „Damoklesschwert“ über jeder Schiedsvereinbarung schwebt, die für Rechtsverhältnisse, auf die Eingriffsnormen Anwendung finden, eingegangen wurde.707 Diese Gefahr ist aber handhabbar, wenn die Parteien sich an die aus dem fundamentalen Charakter der fraglichen unionsrechtlichen Normen folgenden Vorgaben anpassen. Auf Ebene des materiellen EU-Wettbewerbsrechts muss im Einredeverfahren sichergestellt werden, dass das Schiedsgericht die Eingriffsnormen anwendet. Die justizverfassungsrechtliche Komponente macht überdies eine Kontrolle im europäischen Gerichtssystem zur Bedingung der Schiedsfähigkeit, weshalb die Parteien eine solche in der EU sicherstellen müssen. Demgegenüber ist die von Gerichten praktizierte ordre public-Kontrolle kein tauglicher dogmatischer Ansatzpunkt und auch in der Rechtsfolge unscharf.

mea-Rechtsprechung zeigt. Die Vollstreckung aus Schiedssprüchen aus einem solchen IntraEU-BIT außerhalb der EU wäre wohl schon aus Gründen der Staatenimmunität nur sehr theoretisch zu erwarten gewesen, siehe GA Wathelet, SchlA v. 19. 09. 2017, ECLI:EU:C:2017:699, Rn. 253 Fn. 200 – Achmea. Dieser Punkt wurde im Urteil nicht aufgegriffen, war für den EuGH also augenscheinlich irrelevant. 705 GA Jääskinnen, SchlA v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2443, Rn. 100 – CDC; zu dessen Ausführungen bereits oben Kapitel 4 – B.I.2. sowie zur Kritik die Nw. in Kapitel 4, Fn. 345, Kapitel 4, Fn. 457. 706 Vgl. Fuchs/Weitbrecht/Bien, § 17 Rn. 212. 707 Antomo, IHR 2013, 225 (236); Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 (246).

B. Notwendigkeit einer weitergehenden Kontrolle im Einredeverfahren

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III. Weitere Schlussfolgerungen für die Praxis 1. Kautelarjuristisches Die Ausführungen in diesem und auch den vorhergehenden Kapiteln haben gezeigt, dass auf die Formulierung einer den Anforderungen des EU-Wettbewerbsrechts genügenden Schiedsvereinbarung einiger Aufwand verwendet werden sollte. Die Praxis wird sich an die Anforderungen des EuGH zur expliziten Einbeziehung wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten auch unter weite Schiedsklauseln schon aus Gründen der anwaltlichen Vorsicht anpassen.708 Es ist auch zu überlegen, wie mit verschiedenen Schadenspositionen eines Anspruchs nach § 33a GWB zu verfahren ist, die ansonsten vom Anwendungsbereich der Klauseln nicht erfasst werden.709 Unbedingt erforderlich ist es, die Anwendbarkeit europäischer Eingriffsnormen auch bei einem abweichenden Vertragsstatut festzuhalten.710 Zudem sollte die Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs in einem Drittstaat unter den Vorbehalt der vorherigen Anerkennung und Vollstreckung in einem Mitgliedstaat der EU gestellt werden.711 Daneben sollten Parteien Anstrengungen unternehmen, die Komplexität der kartelldeliktischen Rechtsverhältnisse in ihren Schiedsvereinbarungen abzubilden, und ihre Klauseln so den in den Schiedsordnungen der institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit enthaltenen Möglichkeiten der Mehrvertrags- und Mehrparteienverfahren, der Verfahrensverbindung und der Streitverkündung re-

708 Ausführlich hierzu mit Vorschlägen Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (33 ff.); s. a. den Vorschlag von Stammwitz, Internationale Zuständigkeit, S. 437; zur Einbeziehung nach hier vertretener Auffassung s. o. Kapitel 4 – A.IV.; von einer zunehmenden Verbreitung der Klauseln ausgehend auch Schnichels/Lenzing/Stein, EuZW 2019, 885 (893); Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (430); Wurmnest, NZKart 2017, 2 (8); ders., EuZW 2012, 933 (936); Roth, IPRax 2016, 318 (326); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (508); Mankowski, EWiR 2015, 687 (688); Harler/Weinzierl, EWS 2015, 121 (122); Dohrn, IWRZ 2015, 33 (35); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (416 f.); Stancke/Weidenbach/Lahme/Lahme, Kap. D Rn. 113; siehe aber auch LMRKM/Wurmnest, Anh § 33a GWB Rn. 23. Teils wird vertreten, die explizite Einbeziehung solcher Ansprüche würde das Verhältnis der Parteien über Gebühr belasten, etwa Wilske/ Steinle/Schuler, ZWeR 2020, 458, 461; Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (513); Stadler, JZ 2015, 1138 (1149); Kamann/Ohlhoff/Völcker/Schwarz/Harler/Schwedler, § 38 Rn. 13; angedeutet auch bei Goldsmith, ASA Bulletin 2016, 10 (34). In früheren Zeiten wurden entsprechende Vorbehalte auch für die Berufung auf die kartellrechtlich bedingte Nichtigkeit eines Vertrages geltend gemacht, siehe etwa Lieberknecht, in: FS Sölter, S. 311 (314). Derartige Bedenken dürften aber angesichts der Konjunktur privater Kartellschadensersatzklagen und der Geltung der Klauseln in beide Richtungen die Einbeziehung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche unter Forenwahlklauseln heutzutage nicht mehr hindern. Entsprechend haben sie auch die zunehmende Verbreitung von Compliance- oder Schadenspauschalisierungsklauseln nicht gehindert. 709 S. o. Kapitel 4 – A.III.2.c)aa). 710 Antomo, IHR 2013, 225 (236); s. o. Kapitel 5 – B.II.3.b)bb)(1). 711 S. o. Kapitel 5 – B.II.3.b)bb)(2).

374

Kapitel 5: Zweite Kardinalfrage

spektive Interventionswirkung öffnen.712 Abschließend gilt es gerade in strukturellen Ungleichlagen auch unterhalb der Ebene des Wettbewerbsverstoßes zu bedenken, dass eine Invalidierung der Schiedsklausel durch das Effektivitätsgebot droht, wenn diese prohibitive Wirkung entfaltet.713 2. Für welche Partei lohnt sich die Erhebung der Schiedseinrede? Ein weiterer Punkt sei abschließend angemerkt. Die Untersuchung hat auch gezeigt, dass die Erhebung der Schiedseinrede, anders als teilweise und vor allem für die Geschädigten als Klägerinnen kolportiert, keineswegs stets für eine der zwei beteiligten Parteien negativ ist. Zwar kann sie für Klägerinnen prohibitive Wirkungen entfalten. Doch auch für Beklagte kann das Schiedsverfahren Nachteile zeitigen,714 die sie von der Erhebung der Schiedseinrede abhalten könnten.715 Unter Zugrundelegung dieser Umstände handelt es sich bei der Entscheidung für und wider die Erhebung dieser Einrede in vielen Fällen lediglich um Prozesstaktik und damit um forum shopping, wie es auch ansonsten im Kartelldeliktsrecht der EU ausgeübt wird. Es bestätigt sich damit, was bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde. Auch im Kartellrecht werden Vorteile des schiedsgerichtlichen Verfahrens mit dem Verzicht auf die des ordentlichen erkauft, was das Schiedsgerichtliche notwendigerweise anders, aber nicht notwendigerweise schlechter werden lässt als ordentliche Gerichtsverfahren.716

IV. Zusammenfassung Die europäischen Effektivitätsmaximen führen zu einer weitergehenden Kontrolle der Schiedsvereinbarung auch im Einredeverfahren. Hierbei garantiert zunächst das Effektivitätsgebot, dass eine Schiedsvereinbarung keine prohibitive Wirkung für die Verwirklichung der durch das Unionsrecht garantierten Rechte entfaltet. Eine solche ist aber nicht schon dann anzunehmen, wenn einzelne Bestandteile des europäischen private enforcement im Schiedsverfahren keine An712 S. o. Kapitel 5 – B.I.3.b)bb); Kapitel 5 – B.I.3.b)cc); Kapitel 5 – B.I.3.d)bb); Kapitel 5 – B.I.3.d)cc); siehe für ein Beispiel die im Verfahren OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2019, 290 (291) abgedruckte Schiedsvereinbarung. 713 S. o. Kapitel 5 – B.I.1.b). 714 Zum Problem der Waffengleichheit, da die fehlerhafte Abweisung einer Kartellschadensersatzklage eine Verletzung des ordre public darstellt, die fehlerhafte Stattgabe aber nicht, oben Kapitel 5 – A.III.2.c)bb); zu Grenzen der subjektiven Rechtskraftwirkung des Schiedsspruchs und dem Problem einer drohenden parallelen und dann auch mehrfachen Inanspruchnahme sowie geschmälerten Möglichkeiten zur Streitverkündung und zum Binnenregress oben Kapitel 5 – B.I.3.d)bb)(3). 715 Eine entsprechende Vermutung hegen etwa Petrasincu/Westerhoff, WuW 2017, 585 (586); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (515). 716 Vgl. für diesen Gedanken bereits oben Kapitel 4 – A.I.1.

C. Zwischenergebnis

375

wendung finden oder bestimmte prozessuale Konstellationen schwieriger abzubilden sind. Zu vermeiden sind apodiktische Ergebnisse, in denen an einem Schiedsverfahrensrecht immanente Umstände Konsequenzen geknüpft werden, die der Sache nach den Einwand der Schiedsunfähigkeit in neuem Gewand begründen.717 Ein wesentlicher Indikator für prohibitive Wirkungen der Schiedsvereinbarung können die Kosten des Schiedsverfahrens in Relation zu denen der gerichtlichen Anspruchsverfolgung sein. Diesem Umstand kommt bei der kollektiven respektive durch Schiedsvereinbarungen fragmentierten Rechtsverfolgung besondere Bedeutung zu. Anderes gilt für die Streitbeilegung außerhalb der EU. Hier stellt die Schiedsvereinbarung – gegebenenfalls in Kombination mit einer Rechtswahlklausel – wegen der Gefahr der Nichtbeachtung europäischer Eingriffsnormen vor Probleme und ist eine regelmäßige Invalidierung im Einredeverfahren anzunehmen. Parteien können diese abwenden, indem sie die Anwendbarkeit europäischer Eingriffsnormen bestätigen und sich verpflichten, den Schiedsspruch in einem Mitgliedstaat der EU zu vollstrecken.

C. Zwischenergebnis Bei der Beantwortung der zweiten Kardinalfrage zeigt sich, dass europäische Effektivitätsmaximen in mehrfacher Hinsicht auf die schiedsgerichtliche Beilegung kartellrechtlicher Streitigkeiten einwirken. Aufgrund materiellrechtlicher und justizverfassungsrechtlicher Erwägungen ergibt sich eine Frontstellung, in der sonstige Streitbeilegungskörper die Antipoden der zur Anwendung des Unionsrechts berufenen Unionsgerichte sind. Diese ist aufzulösen, indem die Anwendbarkeit grundlegender unionsrechtlicher Normen und die Beteiligung der ordentlichen Gerichte als Bedingung der Schiedsfähigkeit sichergestellt werden. Das führt jedenfalls aus der Perspektive des Rechts der Europäischen Union zu der Bindung auch internationaler Schiedsgerichte an Eingriffsnormen. Es führt weiter dazu, dass kartellrechtliche Schiedssprüche umfassend am Maßstab des ordre public kontrolliert werden müssen. Da eine nachgelagerte Kontrolle für die Verwirklichung des Gewährleistungsgehalts des europäischen Primärrechts nicht ausreichend ist, erfolgt darüber hinaus eine weitgehende Prüfung von Schiedsvereinbarungen auch im Einredeverfahren. Diese hat zumeist nicht für innereuropäische, wohl aber für drittstaatliche Schiedsgerichte weitreichende Folgen.

717 Vgl. Segan, J.E.C.L. & Pract. 2018, 423 (429); Wagner, ZVglRWiss 114 (2015), 494 (510 f.); Heinze, in: Ferrari (Hrsg.), S. 383 (415 f.); Komninos, in: FS Forrester, II, S. 201 (215 f.).

Kapitel 6

Ergebnisse A. Abschließende Bewertung 1. Schiedsrecht und Kartellrecht befinden sich in einem natürlichen Spannungsverhältnis. Schiedsverfahren sind geronnene Privatautonomie und erlauben den Parteien, materiellrechtlich und prozessual umfassend über einen Streitgegenstand zu disponieren. Demgegenüber ist das Kartellrecht Marktordnungsrecht mit einem überindividuellen Regelungsinteresse und einem zwingenden Anwendungsanspruch. 2. Die Durchsetzung des Kartellrechts und damit auch der Schutz des Wettbewerbs erfolgt in den hier untersuchten Rechtsordnungen zumindest auch privatautonom. Namentlich das Kartelldeliktsrecht wird hierbei für die Aktivierung der Kartellgeschädigten funktionalisiert. Gleichzeitig erfolgt eine Indienstnahme dieser Privatklägerinnen für die Regelungsziele des materiellen Wettbewerbsrechts. Dies schließt in den USA zuvorderst die Sicherstellung der abschreckenden Wirkung des Kartellrechts ein, in der EU die komplementäre Verwirklichung des kompensatorischen Gewährleistungsgehalts des Art. 101 AEUV. In beiden Rechtsordnungen kommt dem private enforcement mittlerweile eine zentrale Stellung im kartellrechtlichen Sanktionssystem zu. 3. Eine weitreichende Überantwortung der Rechtsdurchsetzung an Privatrechtssubjekte schließt die objektive Schiedsfähigkeit des Kartellrechts ein. Gleichzeitig bedingt sie die Gefahr, dass privatautonome Vereinbarungen über die Modalitäten der Durchsetzung die praktische Wirksamkeit des Kartellrechts schmälern. Aus diesem Grund erfolgt die Freigabe der kartellrechtlichen Sachmaterie für Schiedsverfahren nur unter Beachtung besonderer Sicherungsmechanismen im Einrede- und Anerkennungsverfahren. 4. Wird diese Konfliktlinie einer rechtsvergleichenden Betrachtung am Beispiel des US-amerikanischen Antitrustrechts unterzogen, so zeigt sich, dass dort mittlerweile eine rechtsstaatlich entgrenzte Schiedsgerichtsbarkeit systematisch der Verwirklichung des materiellen Kartellrechts entgegensteht. Die Kontrolle eines Schiedsspruchs im Anerkennungsverfahren beschränkt sich auf die kursorische Prüfung, ob ein Schiedsgericht kartellrechtliche Normen identifiziert und angewandt hat, ungeachtet des dabei erzielten Ergebnisses.

A. Abschließende Bewertung

377

5. Im Einredeverfahren wird in den USA eine extensive Auslegung der Schiedsvereinbarung vorgenommen, die Kartellschadensersatzansprüche erfasst. Eine Prüfung der praktischen Anwendbarkeit kartelldeliktischer Normen im Schiedsverfahren am Maßstab der effective vindication doctrine erfolgt demgegenüber faktisch nicht mehr. Vielmehr stutzt der Supreme Court diese Doktrin auf rechtspolitisch bedenkliche und dogmatisch auch nicht überzeugende Weise von ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich auf einige idiosynkratische Einzelfälle zurecht und nimmt so der Doktrin und mit ihr auch gleich Teilen des private enforcement im Angesicht einer Schiedsvereinbarung die praktische Bedeutung. 6. Ursächlich für diesen Kontrollverlust ist zum einen die an Vergötzung grenzende Rechtsprechung des Supreme Court zum Federal Arbitration Act. Die hieraus folgende, schon lange zum Selbstzweck erhobene schiedsfreundliche Einstellung ist ein paradigmatisches Beispiel für Pfadabhängigkeit und damit ein spezifisches Phänomen des US-amerikanischen Schiedsrechts. Zum anderen aber steht dahinter mit der Übergewichtung der Privatautonomie im Kartellrecht auch ein fehlgeleiteter Formalismus, der eine verallgemeinerungsfähige und letztlich auch schon in der historischen deutschen Kartellschiedsgerichtsbarkeit zu beobachtende Gefahr zeigt: Dass sich Schiedsgerichte von einem Mittel zur Streitbeilegung zu einem der flächendeckenden Immunisierung vor kartellrechtlicher Haftung wandeln. 7. In der EU erfolgt nur die Auslegung einer Schiedsvereinbarung in vergleichbar liberaler Weise. Eine gem. §§ 133, 157 BGB ausgelegte weite Schiedsvereinbarung erfasst Kartellschadensersatzansprüche gem. § 33a Abs. 1 GWB. Ansätze für eine einschränkende Auslegung der sachlichen Reichweite, namentlich unter Zuhilfenahme des Kriteriums der Vorhersehbarkeit konkreter Streitigkeiten, sind abzulehnen. Auch aus dem Schutzgut Wettbewerb oder aus den Besonderheiten offensiver kartelldeliktischer Streitigkeiten ergibt sich nichts anderes; insbesondere sind nicht subjektive Parteivorstellungen mit objektiven Maßstäben zu substituieren. 8. Ausreichend für die Annahme eines Zusammenhangs einer konkreten Streitigkeit mit dem Kartellfolgevertrag ist eine mittelbare Beziehung im Sinne eines bloß hinreichenden Bezugs. Ein solcher ist immer dann zu bejahen, wenn der konkrete Anspruch nicht ohne Rekurs auf den Kartellfolgevertrag gebildet werden kann. Er ist abzulehnen, wenn es sich um Schadenspositionen handelt, die unmittelbare Abnehmerinnen nicht in ihrer Eigenschaft als Vertragspartnerin, sondern nur zufällig in ihrer Eigenschaft als Marktbeteiligte treffen. 9. Dem steht nicht entgegen, dass der EuGH in den Rechtssachen CDC und Apple eine andere Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO etabliert hat. Diese Rechtsprechung kann dogmatisch nicht überzeugen, führt zu kapriziösen Ergebnissen und ist wegen des Bereichsausschlusses des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO ohnehin nicht auf Schiedsvereinbarungen übertragbar. 10. Im Übrigen ist aber die Kontrolle von Schiedsvereinbarungen im Einrede- und von Schiedssprüchen im Anerkennungsverfahren anhand europäischer Effektivi-

378

Kapitel 6: Ergebnisse

tätsmaximen durchzuführen. So gerät das Schiedsrecht in das Kraftfeld der Autonomie des Unionsrechts und kann dort nicht auf Nachsicht hoffen. Vielmehr wirken justizverfassungsrechtliche Wertungen und solche des materiellen EU-Wettbewerbsrechts auf das Schiedsrecht ein. Aus der grundlegenden Bedeutung dieser Normen für die verfasste Rechts- und Wirtschaftsordnung ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Die Streitigkeiten müssen in das europäische Gerichtssystem eingebunden bleiben, was die Notwendigkeit einer Kontrolle durch die ordentlichen Gerichte als Wächter des Unionsrechts einschließt. Diese Kontrolle ist der Preis der Schiedsfähigkeit. 11. Für die Prüfung kartellrechtlicher Schiedssprüche im Anerkennungsverfahren bleibt festzuhalten, dass der zweite Blick auf den Schiedsspruch kein flüchtiger sein darf. Nationale Verfahrensregelungen, die eine gerichtliche Kontrolle nur bei flagranten Verstößen vorsehen, sind unionsrechtswidrig. Dem steht das Verbot der révision au fond im eng umrissenen Bereich des ordre public nicht entgegen. Zu diesem sind nicht alle Bestimmungen des private enforcement zu zählen. Vielmehr beschränkt sich der ordre public auf unmittelbar dem Primärrecht entnommene Bestandteile des materiellen Haftungstatbestandes sowie auf prozessuale Vorschriften, die das Kartellverbot in die kartelldeliktische Rechtsdurchsetzung implementieren. 12. Auch im Einredeverfahren wirken primärrechtliche Wertungen als unionsrechtliches Korrektiv. Diese können zur Invalidierung der Schiedsvereinbarung führen. Bei einer Prüfung am Maßstab des Effektivitätsgebots ist zu untersuchen, ob die Schiedsvereinbarung auf die subjektiv-rechtliche Rechtsverfolgung prohibitive Wirkung entfaltet oder die Verwirklichung des objektiven Gewährleistungsgehalts des EU-Wettbewerbsrechts verhindert und so die Rechtsdurchsetzung übermäßig erschwert. Eine solche prohibitive Wirkung ist in vielen Konstellationen denkbar und deshalb einzelfallbezogen zu ermitteln, aber nicht schon dann anzunehmen, wenn allgemein dem private enforcement zuzurechnende Vorschriften im Schiedsverfahren keine Anwendung finden. 13. Entsprechendes gilt, wenn eine Schiedsvereinbarung auf kollektive Rechtsschutzmechanismen trifft. Die Komplexität kartelldeliktischer Ausgleichsverhältnisse bringt auch eine potentielle Verfahrensfragmentierung durch Schiedsvereinbarungen mit sich. Derartige notwendige Folgen einer Schiedsvereinbarung sind aber für sich genommen insbesondere dann nicht für eine Invalidierung im Einredeverfahren ausreichend, wenn sie lediglich an Unzulänglichkeiten anknüpfen, die auch das Regelungsregime des private enforcement vor staatlichen Gerichten kennzeichnen. 14. Ein strengerer Prüfungsmaßstab ist bei der Kombination der Wahl ausländischen Rechts und eines ausländischen Schiedsgerichts anzulegen. In diesen Fällen ist die nachgelagerte Überprüfung des Schiedsspruchs in der EU nicht gewährleistet, was die Autonomie des Unionsrechts und den Gewährleistungsgehalt der EU-

B. Epilog

379

Wettbewerbsregeln beeinträchtigen kann. Dieser Gefahr ist mit einer engmaschigen Kontrolle der Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren zu begegnen. 15. Dabei ist aber der von der Rechtsprechung beschrittene Pfad einer ordre public-Kontrolle im Einredeverfahren nicht zielführend, da eine auf das Anerkennungsverfahren gerichtete Prognose Wertungen des Verfahrensrechts an die Stelle des materiellen Kollisionsrechts setzt und auch im Übrigen außer in Ausnahmefällen keinen geeigneten Prüfungsmaßstab bereitstellt. 16. Für die weitgehende Wahrung der Privatautonomie unter gleichzeitiger Beachtung der grundlegenden Normen und Wertungen des Unionsrechts sollte vielmehr auch insoweit eine Prüfung am Maßstab europäischer Effektivitätsmaximen erfolgen. Um deren Gewährleistungsgehalt gerecht zu werden, sind die Anwendung unionsrechtlicher Eingriffsnormen durch das drittstaatliche Schiedsgericht und eine Kontrolle des Schiedsspruchs durch eine nachfolgende Exequatur in einem Mitgliedstaat der EU sicherzustellen. Erst das schließt die Bresche, die die Verfahrensautonomie ansonsten in das System der Kontrolle des EU-Wettbewerbsrechts im europäischen Gerichtssystem schlägt.

B. Epilog Die Beziehung von Kartellrecht und Schiedsrecht ist eine wechselvolle. Wann immer sich das Kartellzivilrecht fortentwickelt, muss diese zwischen Kooperation und Antagonismus neu austariert werden. Das Ergebnis dieses Prozesses weist fundamentalen rechtlichen Wertungen ihre relative Bedeutung zu. Mit der offensiven Kartellrechtsdurchsetzung ist dies in einem neuen Zusammenhang relevant geworden. Einmal mehr entwickelt sich das Recht dies- und jenseits des Atlantiks dabei sehr unterschiedlich. Mit der hier vorgelegten Ausarbeitung wurde eine mögliche Ordnung dieser Verhältnisse für die Europäische Union aufgezeigt.

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Materialienverzeichnis Deutschland: Gesetzesbegründungen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, BT-Drs. 19/2507 vom 05. 06. 2018 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 18/10207 vom 07. 11. 2016 Unterrichtung durch die Bundesregierung – Weißbuch der Kommission, BR-Drs. 248/08 vom 10. 04. 2008 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 15/3640 – Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 15/5049 vom 09. 03. 2005 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 15/3640 vom 12. 08. 2004 Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrens (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG), BT-Drs. 13/ 5274 vom 12. 07. 1996 Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. II/1158 vom 22. 01. 1955 Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. I/3462 vom 13. 06. 1952 EU: Vorschläge der Kommission Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM/2018/0185 final vom 11. 04. 2018 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/ 22/EG, COM(2018) 184 final vom 11. 04. 2018 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, COM(2013) 404 final vom 11. 06. 2013

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Materialienverzeichnis

Vorschlag der Kommission an den Rat hinsichtlich der ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, IV/KOM(60) 158 endg. vom 28. 10. 1960 EU: Berichte und Stellungnahmen Europäische Kommission – Bericht über die Umsetzung der Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 über gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten (2013/396/EU), COM(2018) 40 final vom 25. 01. 2018 Europäische Kommission – Memo/08/741, vom 27. 11. 2008 Europäische Kommission – XXVI. Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1996, Brüssel Europäische Kommission – XIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1983, Brüssel/Luxemburg 1984 Sonstiges Unterrichtung durch die Bundesregierung – Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2017/2018 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 19/10900 vom 19. 06. 2019 Europäisches Parlament – Collective redress in the Member States of the European Union, Directorate-General for Internal Policies of the Union (European Parliament), PE 608.829 vom Oktober 2018 Bundeskartellamt – Merkblatt: Das Settlement- Verfahren des Bundeskartellamtes in Bußgeldsachen, Februar 2016 European Commission Competition Policy Brief 2015 – 1, The Damages Directive vom 13. 01. 2015 Commission Staff working document impact assessment report – Damages actions for breach of the EU antitrust rules Accompanying the proposal for a directive of the European Parliament and of the Council on certain rules governing actions for damages under national law for infringements of the competition law provisions of the Member States and of the European Union, SWD (2013) 0203 final vom 11. 06. 2013 Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in Kartellfa¨ llen“, ABl. 2008 C 167/1 ff. vom 02. 07. 2008 Weißbuch der Kommission, Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, KOM (2008) 165 endg. vom 02. 04. 2008 Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen ABl. 2006, C 298/17, vom 08. 12. 2006 Bundeskartellamt – Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7. März 2006 Commission staff working paper accompanying the White paper on damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC(2008) 404 final vom 02. 04. 2008 Grünbuch der Kommission, Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, KOM (2005) 672 endg. vom 19. 12. 2005

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Commission Staff working paper – Annex to the Green Paper Damages actions for breach of the EC antitrust rules Commission Staff Working Paper, SEC(2005) 1732 vom 19. 12. 2005 Entschließung des Europäischen Parlaments, ABl. EG 1961 P73 vom 15. 11. 1961 Kurzprotokoll der 197. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 22. 06. 1957

Stichwortverzeichnis Abtretungsmodell siehe auch Verfahrenszersplitterung – Alternativen 87 – Bedeutung für die effektive Verwirklichung des EU-Wettbewerbsrechts 321 – Grundlagen 89 Achmea-Urteil – Darstellung 270 – Schlussfolgerungen für internationale Schiedsgerichte 365 American Express Co. v. Italian Colors Restaurant – Bewertung 165, 170, 303 – Darstellung 160 – Relevanz 36 Anerkennungsverfahren – Grundlagen 36, 108 – Prüfungsmaßstab von Schiedssprüchen nach Unionsrecht 271, 274, 281, 291, 295 – Prüfungsmaßstab von Schiedssprüchen nach US-Recht 178, 180 – Verzahnung mit dem Einredeverfahren 262, 345, 363, 371 Apple-Urteil – Darstellung 242 – Kritik 246 – Relevanz 36 AT&T Mobility LLC v. Concepcion siehe Concepcion Auslegung siehe Schiedsvereinbarungen/ Gerichtsstandsvereinbarungen

CDC-Urteil – Darstellung 236 – Kritik 246 – Relevanz 36 – Schlussfolgerungen für internationale Schiedsgerichte 354, 365

– Schlussfolgerungen zur kollektiven Rechtsdurchsetzung 321, 325 class actions (USA) – Grundlagen 68, 102 – jüngere Entwicklungen 157, 170 Concepcion 157, 169, 170 Courage-Urteil 77, 81, 85, 263, 323 Derogationsverbot 44, 120, 246, 322, 362 discovery – nach Unionsrecht 90, 295, 309 – nach US-Recht 70, 146, 150 Eco Swiss-Urteil – Grundlagen 36, 61, 251, 270 – Kartellrecht und ordre public 62, 104, 276, 283, 292 – Schlussfolgerungen für internationale Schiedsgerichte 238, 271, 292, 365 effective vindication doctrine – Grundlagen 138, 145, 146 – Niedergang und Auswirkungen 180, 301, 377 Effektivitätsgrundsatz (Effektivitätsgebot) – Einwirkung auf das Anerkennungsverfahren 292, 371 – Einwirkung auf das Einredeverfahren 304, 321, 339, 359, 364, 369 – Grundlagen 263 effet utile – Einwirkung auf das Anerkennungsverfahren 272, 291 – Einwirkung auf das Einredeverfahren 364 – Grundlagen 255, 263 Eingriffsnormen – Bindung von Schiedsgerichten an Eingriffsnormen 273, 278, 345 – Einwirkung auf das Anerkennungsverfahren 371

Stichwortverzeichnis – Einwirkung auf das Einredeverfahren 345, 364, 369 – Kartellrecht als Teil der Eingriffsnormen 43, 103 Einredeverfahren – Grundlagen 36, 108 – Prüfungsmaßstab von Schiedsvereinbarungen nach Unionsrecht 225, 261, 262, 296 304, 313, 345, 360 – Prüfungsmaßstab von Schiedsvereinbarungen nach US-Recht 162, 166, 178, 181 – Verzahnung mit dem Anerkennungsverfahren 345, 363, 369 ex ante-Kontrolle siehe Einredeverfahren ex post-Kontrolle siehe Anerkennungsverfahren Federal Arbitration Act (FAA) – Grundlagen 47, 106, 127, 130 – jüngere Entwicklungen 155, 161, 167, 171 Fiona Trust 200 Forenwahlklauseln 118; siehe auch Schiedsvereinbarungen, Gerichtsstandsvereinbarungen Genentech-Verfahren 286, 291 Gerichtsstände im Kartelldeliktsrecht 71, 120, 239, 250, 259 Gerichtsstandsvereinbarungen siehe auch CDC-Urteil; Schiedsvereinbarungen – Auslegung 183, 192, 197 – Grundlagen 118, 124 Gesamtschuldnerische Haftung siehe auch Verfahrenszersplitterung – nach Unionsrecht 86, 196, 232, 314, 331 – nach US-Recht 67, 155 Ingmar-Rechtsprechung 347, 356, 367 in tandem-Argument siehe Prospective waiver doctrine Italian Colors siehe American Express Co. v. Italian Colors Restaurant Justizverfassungsrecht

267, 272, 355, 364

415

Kartellschadensersatzansprüche – Erfassung durch Forenwahlklauseln siehe Schiedsvereinbarungen – Unionsrecht 78 – US-Recht 66 Kartellschadensersatzrichtlinie – Abdingbarkeit im Schiedsverfahren 304, 323, 342 – Grundlagen 73, 84 – Teil des ordre public 293 Kollektive Rechtsdurchsetzung siehe Abtretungsmodell, class actions; Verfahrenszersplitterung Microsoft v Sony 203, 215, 322, 326 Mitsubishi v. Soler Chrysler – Darstellung 50, 133 – Hinwendung 47 – Relevanz 36, 138 New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche 50, 105, 113, 177, 259, 273, 281, 349, 361 ordre public siehe auch public policy – Grundlagen 62, 104 – Kontrolle von Schiedssprüchen siehe Anerkennungsverfahren – Kontrolle von Schiedsvereinbarungen siehe Einredeverfahren – Reichweite 293 passing-on defence 71, 92, 311, 340 private enforcement 39, 63; siehe auch Kartellschadensersatz prospective waiver doctrine 138, 145, 346 public policy 47, 104, 115, 132, 142, 147, 172 Ryanair v Esso

201

Sanktionssystem, kartellrechtliches 64, 75, 102 Schiedsfähigkeit des Kartellrechts – Grundlagen 34, 109 – historische Entwicklung 48, 57, 60, 133, 137, 346

416

Stichwortverzeichnis

– Korrektive zur Schiedsfähigkeit 34, 45, 166, 291, 346, 366, 371 Schiedsklauseln siehe Schiedsvereinbarungen Schiedssprüche – Anerkennung und Vollstreckung/Kontrolle siehe Anerkennungsverfahren – beschränkte Gesamtwirkung 342 Schiedsvereinbarungen – Auslegung nach deutschem Recht (enge Schiedsvereinbarungen) 185, 235 – Auslegung nach deutschem Recht (weite Schiedsvereinbarungen) 187, 190, 204, 215, 235 – Auslegung nach US-Recht 134, 139 – Einfluss der CDC-Rechtsprechung 249, 256 – Grundlagen 34, 41, 107, 182

– Kontrolle siehe Einredeverfahren – vor/nach Entstehung der Streitigkeit geschlossene Schiedsvereinbarungen 44, 49, 189 second look doctrine 63, 138, 143; siehe auch Anerkennungsverfahren Streitverkündung 89, 196, 331, 335, 344 treble damages

64, 67, 149, 161

Verfahrenszersplitterung – nach Unionsrecht 197, 204, 313, 317, 345 – nach US-Recht 154, 161, 170, 317 Vorabentscheidungsverfahren 269, 291, 307, 354, 364, 371 Wikingerhof/Booking.com-Verfahren

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