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German Pages 272 Year 2021
Marco Gutjahr (Hg.) Die Ambivalenz von Bild und Klang
rerum religionum. Arbeiten zur Religionskultur | Band 2
Editorial Religion ist ein Kulturphänomen. Sie zeigt sich in Kunst und Gesellschaft, in Ethos und Recht, in Sprache, Konsumkultur, Musik und Architektur. Eine Deutung spätmoderner Religion wird sich darum immer auch auf weitere Segmente der Gegenwartskultur einlassen müssen. Dies gilt auch und gerade aus der Perspektive der Religionsforschung innerhalb und außerhalb von Theologie. Jenseits der überkommenen polarisierenden Orientierungen am isolierten Subjekt oder am dogmatischen Normenkanon rückt Religion als dynamische Ausdrucksform performativer Praxis ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Religionswissenschaft, Praktische Theologie und Kulturwissenschaft stellen sich dieser Aufgabe in je spezifischen Theoriezugriffen. Dabei werden Differenzen und Deutungskonflikte, Geltungsansprüche und Übergänge kenntlich gemacht und aufgeklärt. Denn die Frage nach religionskulturellen Formaten korreliert mit der nach religiösen Traditionen, theologischen Normierungen und sozialen Zuschreibungen. Diskurse zu Religion werden so in Bezugnahme auf religionstheoretische Fragehorizonte zum Gegenstand interdisziplinären Austauschs – empirisch, philologisch und historisch vergleichend. Die Bände dieser neuen Reihe widmen sich in unterschiedlicher Weise kulturellen Phänomenen und deuten sie semiotisch und ästhetisch in ihrer geschichtlich gewordenen Gestalt. Im Horizont fachlich gebundener Herangehensweisen wissen sich die Herausgeberin und die Herausgeber in besonderer Weise der Frage nach der Relevanz ihres Gegenstands verpflichtet. Die Reihe wird herausgegeben von Klaus Hock, Anne Koch und Thomas Klie.
Marco Gutjahr, geb. 1975, ist Literaturwissenschaftler. Sein Hauptinteresse gilt der Erforschung moderner literaturtheoretischer Konzepte und der deutschen Literatur seit 1800. Außerdem arbeitet er zu Fragen der Literatur- und Kunstkritik sowie der Bildtheorie.
Marco Gutjahr (Hg.)
Die Ambivalenz von Bild und Klang Ästhetische Relationen in der Moderne
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Inhalt
Einleitung Bild und Klang Unterwegs zu einer Theorie ästhetischer Relationen
Marco Gutjahr | 9
I. Logiken ästhetischer Relationen Bild/Klang
Jean-Luc Nancy | 17 Nelson Goodman und The Sound of Pictures
Jens Schröter | 23
Multiple Chiasmen Versuch einer kurzen Situationsbeschreibung ›moderner‹ Musik und Malerei zwischen Sicht- und Hörbarem, Sehen und Hören, Bild und Klang
Burkhard Liebsch | 35
II. Imaginationen – Identitäten – Politiken Die Klangfarben Afrikas und der »Drumbeat of Life«: Imagination, Synästhesie, Divination
Klaus Hock | 71
Geistliche Gesänge statt Feindbilder Klangliche Repräsentationen religiöser Identitäten im christlich-muslimischen Dialog
Verena Grüter | 97
»Du sollst nicht begehren …« Bild und Klang der Begierde in theologischen Deutungen bei Augustin und Kierkegaard
Ulrich Lincoln | 115
Picturing biblical sounds An essay on two millennia of imagery of King David’s connection with Music
Jean Goldenbaum | 139
III. Praktiken ästhetischer Relationen Die dunkle Kunst Ein Gespräch über Thomas Mann und die Musik
Marco Gutjahr und Heinz-Jürgen Staszak | 165 Noten zum Klang-Bild
Benjamin Sprick | 183
Bildbeschreibung, Klangbeschreibung? Ästhetische Ekphrasis als ein produktives Missverständnis zwischen Narziss und Echo
Volkmar Mühleis | 197
Schrift- und Klangbildlichkeit Zeichen-Installationen des chinesischen Künstlers Xu Bing
Arne Klawitter | 219
Autorinnen und Autoren | 239 Personenregister | 245 Sachregister | 253
Einleitung
Bild und Klang Unterwegs zu einer Theorie ästhetischer Relationen Marco Gutjahr
Es ist kein sehr junges Phänomen, Bild und Klang, Farbe und Ton oder Malerei und Musik aufeinander zu beziehen. Schon die Welt der Griechen, so weiß Nietzsche in der Geburt der Tragödie zu berichten, unterschied deutlich zwischen der »Kunst des Bildners«1 und der »unbildlichen Kunst der Musik«, wobei der Unterschied nicht bedeutete, dass das eine das andere kategorisch ausschloss. Beide Sphären, »Triebe«, wie Nietzsche sie nannte, gingen zwar »im offnen Zwiespalt« nebeneinander her, weshalb es auch bis heute nicht selbstverständlich ist, bildende und tönende Künste in einen wissenschaftlichen Zusammenhang zu bringen, da der »ungeheure Gegensatz, nach Ursprung und Zielen«, so Nietzsche weiter, unüberbrückbar erscheint. Gut so, möchte man meinen, denn wer wäre schon daran interessiert, das Bildliche bruchlos in das Klangliche und das Klangliche bruchlos in das Bildliche übersetzen zu können? Und doch gibt es zwischen beiden, so könnte man sagen, Beziehungen eigener Art, ohne das eine auf das andere zu reduzieren, wobei für Nietzsche so viel klar ist: Beide reizen sich gegenseitig »zu immer neuen kräftigeren Geburten«2 und münden, zumindest für Nietzsche, in der »attischen Tragödie«3. Es ist bekannt, dass diese Synthese keine abschließende Überbrückung das Grabens zwischen Bild und Klang war, sondern eher eine erste historische Repräsentationsform ästhetischer Relationalität, die von da an zum Sehnsuchtsraum ästhetischer Bestrebungen wurde, die in der Einheit der Sinne
1 Friedrich Nietzsche, »Die Geburt der Tragödie«, in: ders., Kritische Studienausgabe Bd. 1, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York 1980, S. 9–156, hier: 25. 2 Ebd. 3 Ebd., S. 26.
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und letztlich im Gesamtkunstwerk das Ideal jeglicher künstlerischer Betätigung sahen. Nietzsches Überlegungen sind diesbezüglich nicht singulär, vielmehr sind sie Teil eines Diskurses, dessen lose Enden vielleicht bis in die griechische Antike oder gar archaische Kulturräume4 reichen mögen, der sich aber begrifflich, strategisch und auch institutionell erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts zu verdichten scheint, wenn auch auf den verschiedensten Gebieten und konzeptionell wie thematisch in unterschiedlicher Intensität, Geschwindigkeit und Zielrichtung. Dieses Konglomerat syn(äs)thetischen Denkens unter dem allgemeinen Begriff »ästhetische Relationalität« zu fassen, eröffnet die Möglichkeit, das vermeintlich Disparate, Differente und völlig Verschiedene als Konstellation einer historischen Diskursivität zu betrachten. Man denke dabei etwa an die kaum zu überschauenden Arbeiten in Physiologie und Psychologie, für die Georg Tobias Ludwig Sachs mit seiner Erlanger Dissertation Historiae naturalis duorum Leucaethiopum. Auctoris ipsius et sororis eius (1812), in der er von »gefärbten Vorstellungen«5 spricht, Johannes Müllers Handbuch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen (1826), in dem er das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien aufstellt und natürlich Zwangsmässige Lichtempfindungen durch Schall (1881) von Eugen Bleuler und Karl Lehmann richtungsweisend für eine Theorie der automatischen Übertragung von Sinnesreizen waren. Man denke aber auch an die philosophischen Anstrengungen, die um 1800 besonders auf die Einheit des Bewusstseins hingewiesen haben und in Kants »Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können«6 einen ersten Höhepunkt gefunden haben und Konstruktionen wie den »sensus communis aestheticus«7 und das »Vikariat der Sinne«8 erst mög4 Vgl. Albert Wellek, »Zur Geschichte und Kritik der Synästhesie-Forschung«, in: Archiv für die gesamte Psychologie (1931), Bd. 76, S. 325–363. 5 Georg Tobias Ludwig Sachs, Historiae naturalis duorum Leucaethiopum. Auctoris ipsius et sororis eius, Sulzbach 1812, S. 80 (§157). 6 Immanuel Kant, »Kritik der reinen Vernunft«, in: ders., Werkausgabe Bd. III, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 131995, S. 136 (B 131). 7 Immanuel Kant, »Kritik der Urteilskraft«, in: ders., Werkausgabe Bd. X, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1974, S. 227–228 (B 160). 8 Immanuel Kant, »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«, in: ders., Werkausgabe Bd. XII, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1977, S. 454 (B 55): »Gibt es ein Vikariat der Sinne, d. i. einen Gebrauch des einen Sinnes, um die Stelle eines andern zu vertreten? Dem Tauben kann man, wenn er nur sonst hat hören können, durch die Gebärdung, also durch die Augen desselben, die gewohnte Sprache ablocken; wozu auch die Beobachtung der Bewegung seiner Lippen gehört, ja durch das Gefühl der Betastung bewegter Lippen im Finstern kann eben dasselbe geschehen.
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lich machten. Auch die Literatur entdeckt um 1800 die Synästhesie und zwar als literarisches Mittel, als eine rhetorische Figur, ganz ausgeprägt und explizit zum Beispiel bei E.T.A. Hoffmann9, später bei Theophile Gautier10, Charles Baudelaire11 und Arthur Rimbaud12. Was Richard Wagner mit dem »Gesamtkunstwerk« in romantischer Tradition für die Musik etabliert, findet seine erstaunliche Fortsetzung in der bildenden Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, etwa bei Kandinsky in Über das Geistige in der Kunst (1911) oder in Über Bühnenkomposition (1912). Wenn ich also von »Bild und Klang« als einem Ausdruck, als eine Erscheinungsweise ästhetischer Relationalität spreche, dann nicht, um die Vielfalt der Phänomene in der Einfalt eines Klischees verschwinden zu lassen, sondern um einen Diskurszusammenhang herzustellen, der es erst erlaubt, die ganze Tragweite syn(äs)thetischen Denkens ansatzweise abzuschätzen. Dabei kann es nicht darum gehen, wie Rudolf Gahlbeck emphatisch hoffte, eine gewisse »Allgmeingültigkeit« in der Bewertung bestimmter synästhetischer Phänomene zu erlangen. So schreibt er 1925 in Farbenhören: »Bei dem Hören von Farben oder […] beim Sehen von Tönen, diesem Grenzgebiet zwischen Musik und Malerei, also einer dreidimensionalen und zweidimensionalen Kunst, handelt es sich um eine Erscheinung, die weiter verbreitet ist, als man im Allgemeinen annimmt. Schon bei Goethe findet sich ein Hinweis darauf, und in der folgenden Zeit hat sich diese Erscheinung namentlich in Frankreich reger Beachtung erfreut, doch ist erst in jüngster Zeit der Versuch unternommen worden, Musik durch Farbe und Form darzustellen. Es ist klar, dass für eine solche Empfindung der Farben, die zu Trägern musikalischer Werte geworden sind, keine Regelmäßigkeit und Übereinstimmung bestehen kann, da sowohl ein Tongefüge als auch ein Farbengebilde bei jedem Menschen verschiedene Eindrücke auslöst.
Ist er aber taub geboren, so muß der Sinn des Sehens aus der Bewegung der Sprachorgane die Laute, die man ihm bei seiner Belehrung abgelockt hat, in ein Fühlen der eigenen Bewegung der Sprachmuskeln desselben verwandeln; wiewohl er dadurch nie zu wirklichen Begriffen kommt, weil die Zeichen, deren er dazu bedarf, keiner Allgemeinheit fähig sind.« 9 Vgl. Paul Margis, »Die Synästhesien bei E.T.A. Hoffmann«, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 6 (1911), S. 91–99. 10 Vgl. Theophile Gautier, Le Club des Hachichins, Paris 1846. 11 Vgl. Charles Baudelaire, »Entsprechungen/Correspondences«, in: ders., Die Blumen des Bösen/Les Fleurs du Mal, aus dem Französischen übertragen von Friedhelm Kemp, München 21998, S. 22–25. 12 Vgl. Arthur Rimbaud, »Vokale/Voyelles«, in: ders., Sämtliche Dichtungen, aus dem Französischen übersetzt von Thomas Eichhorn, München 42010, S. 120–121.
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Immerhin aber scheint es, als könne in zahlreichen Fällen die Allgemeingültigkeit nahezu erreicht werden.«13
Hier zeigt sich, wie ambitioniert Gahlbeck die Reichweite und Vergleichbarkeit synästhetischer Phänomene auffasst, auch wenn er bereit ist, zuzugeben, dass Töne und Farben »bei jedem Menschen verschiedene Eindrücke« auszulösen in der Lage sind. Allen Zugeständnissen zum Trotz, dass ästhetisches Empfinden also subjektiven Bahnen folgt, scheint ihm »Allgemeingültigkeit« zum einen erstrebenswert und zum anderen, mit entsprechenden Einschränkungen, auch erreichbar. Dass sich diese Hoffnung bisher nicht eingelöst hat, ist bekannt und mag der Einen oder dem Anderen Grund genug sein, in der Synästhesie bestenfalls nicht mehr zu sehen als die romantische Sehnsucht nach einer Einheit der Künste und schlimmstenfalls faulen Zauber. Diese Deutungen mögen zwar naheliegend erscheinen, sehen sich aber mit einer ungebrochenen wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens konfrontiert, die längst den Boden verlassen hat, auf dem es einst darum ging, in der Synästhesie etwas Pathologisches oder Geniales, etwas Regressives oder Progressives zu sehen. In dem Moment, in dem man den Versuch aufgibt, das Synästhetische als das eine oder das andere auszuweisen, eröffnet sich ein Diskursraum, der das ganze kulturelle Potenzial des Synästhetischen sichtbar und beschreibbar macht, das an nicht weniger als an die condition humaine selbst rührt: »Eine Reduktion und Verflachung der im Synästhesiediskurs angelegten Paradoxien verfehlt seinen grundsätzlichen Charakter, der darin besteht, den widersprüchlichen Positionen zu entsprechen und sie dadurch verbinden zu können. Denn das Synästhetische geht in einer Definition nicht auf und beinhaltet immer ein ›Mehr‹, das im negativen Sinn als begriffliche Fehlentwicklung verteufelt werden kann. Fassbar wird dieser Bedeutungsüberschuss erst in einem Verständnis des Synästhetischen als Projektionsfläche und Verhandlungsraum für Fragen menschlichen Wahrnehmens, Denkens und Fühlens im Lichte ihrer medialen Beeinflussung und Zurichtung.«14
Das Synästhetische, vielleicht ästhetische Synthesen grundsätzlich, als einen Diskurs zu betrachten, erlaubt es also, Paradoxien und Widersprüche zwischen Ein13 Rudolf Gahlbeck, »Farbenhören«, in: Marco Gutjahr/Jörg Jewanski/Rebekka R. Tibbe, Gemalte Musik. Rudolf Gahlbecks Schriften zur Farbe-Ton-Forschung, Münster 2020, S. 3–8, hier: 3. 14 Melanie Gruß, Synästhesie als Diskurs. Eine Sehnsuchts- und Denkfigur zwischen Kunst, Medien und Wissenschaft, Bielefeld 2017, S. 399.
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zelphänomenen, Eindrücken oder Ereignissen nicht als Mangel, Fehler oder Obskurantismus abwerten zu müssen, sondern als Reichtum eines Wahrnehmungs-, Denk- und Fühlzusammenhangs, der von vornherein nicht ohne Rest aufzugehen braucht. Es ist vielmehr genau dieser Überschuss, den die Beiträge dieses Bandes15 zum Anlass nehmen, vor allem, aber nicht nur, die Konjunktion von Bild und Klang einem Stresstest auszusetzen, um neben den geläufigen Resonanzen und Interferenzen auch Ambivalenzen zum Vorschein zu bringen. In dieser Hinsicht betreten sie echtes Neuland, sowohl in der Beleuchtung des Phänomens »Bild und Klang« als harmonischer und zugleich ambivalenter Beziehung, als auch in der Beschreibung und Vermessung einer daraus abgeleiteten Theorie ästhetischer Relationen, die historisch wie systematisch als Beitrag zur Erforschung des Konstruktes »Moderne« gewertet werden kann.
15 Vom 30.06.–02.07.2016 und vom 03.–04.11.2016 fand am Institut für interdisziplinäre Bildforschung der Universität Rostock die Tagungsreihe »Bild und Klang« statt. Sie wurde von Jens Wolff konzipiert und mit von ihm bei Thyssen eingeworbenen Mitteln durchgeführt. Einige Beiträge dieses Bandes gehen auf Vorträge während der Novembertagung zurück.
I. Logiken ästhetischer Relationen
Bild/Klang Jean-Luc Nancy
Das Bild wirft mir eine Intimität an den Kopf, die direkt meine Intimität trifft – durch das Sehvermögen, durch das Gehör oder durch den Sinn der Wörter, wenn es eine Bildunterschrift trägt. Ich höre es in seinen Formen und in seinen Farbtönen widerhallen, in seiner Körnung und seiner Modellierung. Der Klang breitet sich intimer in mir aus als meine Intimität – durch die Vibration, durch die Modulationen, durch die Klangfarben. Er durchdringt meine Nerven und meine Muskeln, meine Gelenke [articulations], er lässt mich flüchtige Formen sehen, er hat einen Geschmackssinn, einen Geschmack und manchmal singen Wörter am äußersten Rand ihrer Bedeutung. Bild und Klang berühren sich, umschlingen sich, lösen sich und verbinden sich wieder. Sie sind, ein jeder für den anderen, Spiegel oder Echo. Echo, die von Narziss geliebte Nymphe, die ihm das Ende seiner Sätze wiederhallen lässt – köstlicher und begehrenswerter als der gesamte Satz. Mit Echo erfährt Narziss die schöne Wahrheit seines Bildes: Es war, im Spiegel des Wassers, keine eitle Illusion. Es war das, was bleibt, indem es sich entfernt, das, was die Präsenz weder zurückhält noch wiederholt, sondern von ihr aus auf ein unendliches Außen zugeht. Die Resonanzen haben kein Ende, obgleich sie schließlich nachlassen, bis sie für unsere begrenzten Sinne nicht mehr wahrnehmbar werden. Dennoch folgen dieselben Sinne ihnen unmerklich ins Nichtwahrnehmbare. Eine Schattierung geht, dabei den Raum umschmeichelnd, verloren, ein Klang, dabei die Stille öffnend, erlischt. In diesem doppelten Vorgang verschwindet der Grund. Er verschwindet in seinem Grundwesen, das nämlich darin besteht, nicht zu erscheinen. Man kann also sagen, dass er als das erscheint, was er ist, indem er verschwindet. Indem er als Grund verschwindet, geht er gänzlich ins Bild bzw. in den Klang über. Er erscheint darum aber noch lange nicht und das Bild ist weder seine Manifestation
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noch sein Phänomen. Er ist die Kraft des Bildes, sein Himmel und sein Schatten. Der Klang ist nicht sein Erscheinen: Er bringt dessen Kraft als eine einem schwarzen Loch entnommene Energie zum Ausdruck. Auf Deutsch ist es ziemlich vielsagend: *Bild/Klang. Das kracht, das hallt zwischen zwei klaren und starken Einsilbern – wovon der zweite den hellen Klang, den der erste eher schärft, zwischen zwei stummen Konsonanten nachhallen lässt. Uhland hat diese Resonanz in den folgenden Zeilen, die aus einem von ihm in seine »Liedersammlung« aufgenommenen Volkslied stammen, ins Spiel gebracht: »Ich hort ein frewlein klagen, fürwar ein weiblichs bild«1
*Klage, das Klagen. Die Klage ist hier das Bild der Frau: Die Frau in uns ist das, was das Unglück der Welt beklagt, was der intimen Resonanz zwischen dem Leben und dem Tod, zwischen den Geschlechtern, zwischen der Natur und der Macht vertraut ist. Es ist egal, wie man diese Verse einst verstanden haben mag, ob sie ein wenig misogyn sind oder aber zärtlich und galant: Wichtig ist, dass sie die *Klage – die mit dem *Klang nichts zu tun hat, außer dass sie ähnlich klingt – wiederhallen lassen. *Der Klang der Klage ist eine oft als Titel eines Musikstücks oder einer Dichtung aufgenommene Assonanz: Von einem zum anderen *klingt es, tönt es nach, hallt es wieder. Er lässt die *Klage mit dem *Bild wiederhallen. Er lässt das *Klingen des *Klangs hörbar werden, die lebendige, zugespitzte Resonanz, den geschärften, spitzen, höheren Klang, der aus der zunächst stummen, weiten und ausgedehnten Erhebung des Grollens im Grund hervorgeht. I/A: nicht Intelligence Artificielle, keine künstliche Intelligenz, sondern genau das Gegenteil: i-ah auf Deutsch, hi-han auf Französisch, der Schrei des Esels. Victor Hugo fordert auf: »Ecouter la façon dont l’homme fait hi-han!«2 [»Zuzuhören, wie der Mensch i-ah macht!«] 1 »[Ich hort ein frewlein klagen]«, in: Ludwig Uhland (Hg.), Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder. Erster Band: Liedersammlung in fünf Büchern. Erste Abtheilung, Stuttgart/Tübingen 1844, S. 184–185, hier: 184. 2 Victor Hugo, »L'âne«, in: ders., Oeuvers poétiques complètes, réunies et présentées par Francis Bouvet, Paris 1961, S. 995–1020, hier: 999.
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Aber für Hugo selbst ist der Esel eine sehr kluge Figur, die sich mit Kant unterhält. Er unterhält sich auch mit Hegel, der schreibt, »Esel ist ein Ton«3 – ein Klang, ebenso wie das Wort »Sein«, im Sinne des Selbstbezugs der Wörter, die nichts mit der Sache gemein haben. Dieser Selbstbezug, diese Autoreferenz wird zur Alloreferenz im I/A von *Bild/Klang: Die Resonanz des Intimen mit sich selbst erfordert eine Unterscheidung der Betonungen. Der Sinn erfordert im Allgemeinen eine Unterscheidung der Sinne: sichtbar/hörbar – es ist der gleiche, sodass es unmöglich ist, dass er schlicht und einfach gleich ist. Eine Kraft drängt sich zwischen *Bild und *Klang, von *Bild zu *Klang und zurück. Es ist die Kraft des Grundes, der Druck, den der Grund auf die Oberfläche ausübt: Er übt ihn distinguierend aus, das heißt so, dass man ihn als Grund wahrnimmt, obgleich er sich weder fassen noch verstehen – weder identifizieren noch kategorisieren lässt. Aber er hallt wieder – es hallt in ihm wieder, von ihm aus und durch ihn und diese Resonanz lässt sich sehen oder hören (berühren, riechen, schmecken: sie sind alle da, mehr oder weniger vermischt). Das ist das Intime, das Intimste – denn das Intime ist immer intimer (wie Augustinus es sehr schön gesagt hat4) und der Grund immer tiefgründiger. Aber es ruft, es ruft sich in Erinnerung: Zeigt mich! Vernehmt mich! Die Abwesenheit des Abgebildeten (das Original des Porträts) ist nichts anderes als eine intensive, in sich selbst zurückgezogene Präsenz, die ihre Intensität in einem Umriss zusammenbringt. Die Abwesenheit des Erklingenden (der Emittent, das Instrument) ist nichts anderes als eine intensive, in sich selbst zurückgezogene Präsenz, die ihre Ferne in einer Vibration exponiert. Die Ähnlichkeit versammelt in der Kraft und versammelt sich darin als Kraft des Selben – des Selben, das sich in sich von sich unterscheidet: Daher rührt der Genuss, den wir darin finden. »Prendi, quest’è l’immagine ... «, singt Violetta, die im Sterben ihrem Liebhaber ihr Bild gibt, »[n]imm das, es ist ein Bild von mir«5.
3 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke Bd. 8: Jenaer Systementwürfe III, herausgegeben von Rolf-Peter Horstmann, Hamburg 1976, S. 190. 4 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones, aus dem Lateinischen übersetzt von Joseph Bernhart, Frankfurt am Main 2007, S. 53 ( III 6,11). 5 Guiseppe Verdi, La Traviata (Violetta), Oper in drei Akten von Francesco Maria Piave, neue deutsche Übersetzung von Joachim Popelka und Georg C. Winkler, Frankfurt am Main/Mailand 1964, S. 245.
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Abb. 01: Giuseppe Verdi, La Traviata (Uraufführung am 6. März 1853) Auszug aus dem 3. Akt
Bild/Klang | 21
Ihr Gesang ist die Gabe des Bildes und das Bild selbst. Ihr Bild löst sich in der Resonanz der absoluten Entfernung des Intimen, im verschwindenden, aber makellosen Ablösen ihrer Sinne auf. Aus dem Französischen übersetzt von Marco Gutjahr
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 01: Giuseppe Verdi, La Traviata. Opera in 3 atti di Francesco Maria Piave, nuova Edizione riveduta e corretta, Milano 1953, S. 409.
Nelson Goodman und The Sound of Pictures Jens Schröter
1968 erscheint Languages of Art von Nelson Goodman. Goodmans Entwurf einer Symboltheorie ist in meinen Augen einer der wichtigsten theoretischen Beiträge zur Ästhetik. Und das zweite Kapitel von Languages of Art heißt The Sound of Pictures1 – das war, als mich die Anfrage für diese Tagung erreichte, nach ein bisschen Nachdenken, ein interessantes Thema. Warum heißt das so? Was kann uns das über die Beziehung von Bild und Klang lehren? In dem Kapitel geht es v. a. um metaphorische Bezugnahmen, in denen Klänge z. B. farbig und Farben schreiend genannt werden können, hier also ein metaphorischer Transfer zwischen Bild und Klang stattfindet – dabei diskutiert er ausführlich eine wichtige Form der Bezugnahme, die er Exemplifikation nennt. Aber bei der Lektüre des Kapitels schien es mir, dass sich eine allgemeinere Frage für mich aufdrängt, nämlich die nach der Nutzbarmachung der Goodmanschen Symboltheorie für die Beschreibung klanglicher Phänomene – in Abgrenzung und in Bezug zu bildlichen Phänomenen. Der Grund für dieses Interesse ist einfach: Goodmans Ansatz stellt eine der, wie mir scheint, interessantesten und plausibelsten Unterscheidungen von Bild und Text vor. Die grundlegende Frage wäre also, wie sich dann Klang dazu verhält.2 Im ersten Teil will ich detailliert Goodmans Vorschlag für die Bild Text/Differenz darstellen, da sein symboltheoretischer Ansatz in der Regel nicht so gut bekannt ist, dabei sollen eine Reihe von Begriffen eingeführt werden. Es gibt in dieser Diskussion verschiedene Hinweise auf Klang, die dann im zweiten Teil diskutiert werden. Im dritten Teil folgt ein Fazit. 1 Nelson Goodman, Languages of art. An approach to a theory of symbols, Indianapolis 1968, S. 45.
2
2 Sieht man Klang als ein Basismedium neben Text und Bild, vgl. Jochen Venus, »Basismedien: Bild, Klang, Text, Zahl, Geste«, in: Jens Schröter (Hg.), Handbuch Medienwissenschaft, Stuttgart 2014, S. 215–222.
24 | Jens Schröter
1. G OODMANS VORSCHLAG ZUR BILD/TEXT-DIFFERENZ Eine Voraussetzung von Goodmans Ansatz ist die dezidierte Zurückweisung der Auffassung, Bilder seien als Zeichen zu definieren, die über eine Ähnlichkeitsbeziehung mit ihren Referenten bestimmt seien. Seine Kritik in Languages of Art ist derartig fundamental, dass man danach m. E. keine Ähnlichkeitstheorie des Bildes mehr vertreten kann – auch wenn Goodman nicht bestreitet, dass Bilder dem, was sie darstellen, ähnlich sein können. Nach der Zurückweisung der Ähnlichkeitsauffassung bleibt die Frage wie Bilder von Texten unterschieden werden können. In diesem Punkt nimmt Goodman die Position ein, dass sich aus der syntaktischen Struktur verschiedener Symbolsysteme bereits ausreichende Unterschiede ableiten lassen. Da sich Bild und Schrift/Sprache nach Goodman auf syntaktischer Ebene unterscheiden, werde ich mich im Folgenden nur mit dem syntaktischen Teil der Symbolsysteme, d. i. dem Symbolschema, beschäftigen und die semantische Ebene, auf der sich Bild und Sprache/Schrift sehr nahestehen, ausklammern. Wichtig dabei ist, dass diese Symbolsysteme eher zur Zeit gültige Verwendungsregeln beschreiben und nicht objektive, materielle Eigenschaften vorliegender Markierungen: D. h. Goodman lehnt die (bereits ontologische) Frage ›Was ist ein Bild?‹ ab, um sie zu ›Wann ist ein Bild?‹ umzuformen.3 Abhängig von (selbst bestimmten Macht-Diskursen unterstehenden) Verwendungsweisen kann ein und dasselbe Gebilde mal als Bild, mal als Text fungieren. Goodmans Ansatz ist deskriptiv: Die von ihm beschriebenen Symbolschemata sind keine Essenzen oder Wesen von Bild und Text, sondern die gegenwärtig gültige syntaktische Struktur, die sich jederzeit auch ändern könnte. a. Die Syntax eines Symbolsystems bestimmt: Wie die Symbole eines Systems individuiert und identifiziert werden, d. h. welche Gebilde, Markierungen Symbolvorkommnisse des betreffenden Systems sind und unter welchen Bedingungen mehrere Markierungen Vorkommnisse desselben Zeichens sind. b. Von den zahllosen Markierungen aller Art (Gekritzel, Laute, Gesten, Farbkleckse usw.) sind nicht alle zu jeder Zeit Zeichen, d. i. Inskriptionen. Eine Inskription ist eine Markierung genau dann, wenn sie einem Charakter (oder mehreren Charakteren?), einer bestimmten Klasse, zugeordnet werden kann. Wichtig: Sehr verschiedene Markierungen können als Inskriptionen eines Charakters fungieren, d. i. kein Grad von Ähnlichkeit ist vonnöten.
3 Vgl. Oliver Scholz, »When is a Picture?«, in: Synthese (1993), Nr. 95, S. 95–106.
Nelson Goodman und The Sound of Pictures | 25
Obwohl sich die erste und die zweite, sowie die dritte und die vierte Markierung am ähnlichsten sind, gehören sie nicht zu demselben Charakter. Die erste, die dritte und die fünfte Markierung hingegen gehören zu demselben Charakter (»Q«), sind mithin Inskriptionen dieses Charakters. Nr. 6 ist natürlich nur über den Gleichklang der Aussprache des Buchstaben Q und dem abgebildeten Tier (»Kuh«) mit dieser Reihe verbunden, aber es wäre denkbar, dass jemand in einem Chat auf die Frage »Wie ist der erste Buchstabe im Wort ›Quark‹?« mit einem solchen Bild antwortet – und das Bild dann plötzlich als Inskription des Charakters Q operiert (auch wenn das kein verallgemeinerter Fall ist). Nr.
1
2
3
4
5
q
b
Q
O
[kuː]
6
c. Die Entscheidung, ob eine gegebene Markierung die Inskription eines Charakters ist, wird von einem Zeichenrepertoire, in Schrift/Sprache: dem Alphabet, ermöglicht. Das Zeichenrepertoire legt fest, was die konstitutiven, syntaktisch bedeutsamen und was die kontingenten, syntaktisch belanglosen Merkmale von Markierungen sind. Bei Buchstaben sind die Größe, die Dicke, der Schrift-Typ, das Material für ihre syntaktische Funktion als Teil des Symbolsystems Schrift/ Sprache völlig belanglos. Alle Inskriptionen eines Charakters sind syntaktisch vollkommen gleichwertig. Diese Aufteilung ermöglicht – so Goodman – die verlustfreie Reproduktion von Texten (»Allographie«): Dies bedeutet, dass ich feststellen kann, ob zwei vorliegende Texte identisch sind, d. h. zu demselben »Werk« gehören, indem ich sie Markierung für Markierung abzähle und vergleiche, ob die gleichen Markierungen in der gleichen Reihenfolge auftauchen – dazu muss ich noch nicht einmal die Sprache beherrschen, in der der Text geschrieben ist. Ob der eine Text in einem anderen Schriftsatz gehalten ist als der zweite ist dafür, ob es sich um denselben TEXT handelt, irrelevant. Allerdings hat hier die Kritik, insbesondere von Gregory Currie4 angesetzt: Eine Neuauflage von Sprachen der Kunst, in der nur ein Komma anders wäre, könnte – streng nach Goodman – nicht mehr als derselbe Text gelten: Diese Kon4 Vgl. Gregory Currie, An Ontology of Art, New York 1989.
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sequenz ist offensichtlich absurd und daher haben die Nachfolger Goodmans versucht, die Allographie-These graduell auszudeuten.5 Des Weiteren ist es naheliegend, dass die von Jorge Louis Borges erdachte Fiktion eines Autors, der im 20. Jahrhundert zufällig Don Quixote – Wort für Wort identisch – noch einmal schreibt, zum Streitfall geworden ist. Während Goodman behaupten muss, dass es sich bei beiden Texten um Instantiationen desselben Werks handelt, hat Danto dagegen argumentiert6, dass die Einbeziehung des historischen Kontextes die Annahme nahelege, dass es sich um zwei Werke handele. Ferner ermöglicht das Zeichenrepertoire die klare Trennung in einfache (»G« oder »O«) und zusammengesetzte Zeichen (»Goodman«). d. Wann sind also die drei oben vorliegenden Markierungen Inskriptionen desselben Charakters? Worin müssen sie übereinstimmen? Goodmans Antwort ist verblüffend simpel: Darin »Q«s zu sein, Replikas voneinander zu sein. Goodmans Vorschlag steht hier in gewisser Nähe zu Saussures diakritischer Konzeption des Zeichens7, insofern nur die ausreichende Unterscheidbarkeit von allen anderen gültigen Zeichen eines gegebenen Symbolsystems ausschlaggebend ist: Eine krakelige Markierung, die nicht eindeutig »Q« oder »O« zuzuordnen ist, gilt nicht als Inskription eines gültigen Charakters und also als fehlerhaft. Und zwar aus zwei Gründen: d.1 Erstens lässt das zur Zeit gültige Symbolsystem Sprache/Schrift nicht zu, dass eine Inskription zu zwei Charakteren gehört: Ein »Q« darf nicht zugleich ein »O« sein. Dieses zentrale Kriterium nennt Goodman die Disjunktheit der Sprache/ Schrift. d.2 Zweitens lässt das zur Zeit gültige Symbolsystem Sprache/Schrift nicht zu, dass eine Inskription zwischen zwei Charakteren steht: Es gibt kein »halb Q/ halb O«. Die Inskriptionen gehen nicht ineinander über, mithin kommt der Sprache/Schrift auch Differenziertheit zu. Ein diskretes und disjunktes Symbolschema nennt Goodman auch ›digital‹.
5 Vgl. Jakob Steinbrenner, Kognitivismus in der Ästhetik, Würzburg 1996, S. 114. 6 Vgl. Arthur Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst, aus dem Englischen übersetzt von Max Looser, Frankfurt am Main 31996, S. 62–66 und S. 68. 7 Vgl. W.J.T. Mitchell, »Realism, Irrealism, and Ideology: After Nelson Goodman«, in: ders., Picture Theory, Chicago/London 1994, S. 345–370, hier: 347, weist daraufhin, dass sich Goodman und Saussure auch darin ähneln, ein weitgehend ahistorisches Modell entwickelt zu haben. Dies kritisiert – wie bereits erwähnt – auch Danto in seiner Diskussion des Pierre Menard, Autor des Don Quixote-Problems.
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e. Wie steht es so betrachtet mit dem Bild? Für Bilder gibt es kein Zeichenrepertoire, keine endlichen Listen exakt unterschiedener Zeichencharaktere. D. h. zunächst, dass es keine klare Trennung in einfache und zusammengesetzte Zeichen und keine klare Aufteilung in bedeutsame Zeichen und Trennungszeichen gibt. Weiterhin kann keine Markierung als nicht-wohlgeformt ausgeschieden werden und wichtiger noch: e.1: Keine noch so feine Eigenschaft einer Markierung (Farbton, Dicke, Größe, Material) kann als kontingent ausgeschieden werden. Daher sind Bilder auch nur näherungsweise reproduzierbar (»Autographie«). Hierzu sind zwei Anmerkungen zu machen: Erstens ist mit den digitalen Bildern ein Bildtyp entstanden, der nicht mehr als autographisch beschrieben werden kann. Ist das Bild als Bit-Map im Speicher abgelegt8, kann ich diese Bit-Map Bit für Bit abzählen, ›buchstabieren‹ und die Übertragung dieser Bitkette in einen anderen Computerspeicher wird – dieselbe Software sei vorausgesetzt – exakt dasselbe Bild ergeben. Goodman, da er seinen Ansatz als deskriptiv versteht, würde wohl keine Schwierigkeiten haben zuzugestehen, dass eben ein neuer, allographischer Bildtyp entstanden ist. Interessant ist hieran, dass Goodmans syntaktische Beschreibung einen plausibleren Unterschied zwischen analogen und digitalen Bildern ermöglicht, als etwa die Kriterien »ikonisch« vs. »arbiträr«. Diese scheitern nicht nur an der Unhaltbarkeit des Ähnlichkeitskriteriums für Bilder, zumal auch analoge Bilder – glaubt man Goodman – sehr wohl Fiktives und Generelles zeigen können, sondern schon daran, dass auch die digitale Bilder irgendwelchen realen oder fiktiven Referenten9 ›ähnlich‹ sehen können (oder sogar indexikalisch auf sie verweisen).10 Zweitens ermöglicht die Bestimmung traditioneller Bilder als autographisch die Unterscheidung zwischen Fälschung und Original. Da kein Zeichenrepertoire (d. i. Notationssystem) für diese Bilder vorliegt, kann sich die Werkidentität (›Was ist eine gültige Instantiation des Werks und was nicht?‹) nicht über syntaktische Abzählbarkeit generieren, sondern hängt von der Werkgeschichte ab. Das gilt übri-
8 Wobei diese Art von digitalem Bild nicht die Stärke der Digital-Technologie sein dürfte, die eher darin besteht, dass der Computer Grafik in Echtzeit errechnet. Allerdings würden selbst solche in Echtzeit errechneten Bilder mit Goodman als allographisch zu bezeichnen sein, insofern die Algorithmen und die von ihnen verarbeiteten Daten exakt abgezählt werden können. 9 Falls man die Rede von einem ›fiktiven Referenten‹ nicht als sinnlos zurückweist. 10 Vgl. Jens Schröter, »Gestaltung und Referenz in der analogen und digitalen Fotografie«, in: Claudia Mareis/Christof Windgätter (Hg.), Long Lost Friends. Wechselbeziehungen zwischen Design-, Medien- und Wissenschaftsforschung, Zürich 2013, S. 63–76.
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gens auch für die Fotografie. Diese hat als zweiphasige11 Kunst folgende Struktur: Alle Abzüge, die vom Negativ gemacht werden, gelten – selbst wenn unerkennbar oder miserabel – als gültige Instantiationen, während jede Reproduktion eines bereits gegebenen Abzugs als Fälschung oder doch zumindest als nicht-original gilt. e. 2: Es kann nicht bestimmt werden, ob eine gegebene Markierung zu einem oder mehreren Charakteren gehört. Bilder sind nicht disjunkt. e. 3: Es kann nicht bestimmt werden, ob eine gegebene Markierung zwischen zwei Charakteren liegt oder nicht. Bilder sind nicht differenziert. (Was selbstverständlich ein rein syntaktisches Kriterium ist und nichts mit ihrer Semantik oder ihrem Wert zu tun hat!) Ergo: In bildhaften Systemen herrscht weder syntaktische Disjunktheit noch Differenziertheit. Goodman nennt diesen Zustand ›dicht‹. Ein Zeichen ist mithin nur dann ein Bild, wenn es zu einem Symbolsystem mit einem syntaktisch dichten Symbolschema gehört. Ein solches dichtes Symbolschema nennt Goodman auch ›analog‹. f. Ein Zeichen ist mithin nur dann ein Bild, wenn es zu einem Symbolsystem mit einem syntaktisch dichten Symbolschema gehört. Diese Bestimmung besagt aber gerade nicht, dass die Zugehörigkeit zu einem syntaktisch dichten Symbolschema Eigenschaft der Markierungen, der Zeichen selbst ist. Sehr wichtig ist es, Goodmans Ansatz nicht essenzialistisch misszuverstehen. Ein und dieselbe Markierung kann je nach dem Symbolschema, welches in Anwendung12 gelangt, mal ein Text, mal ein Bild sein, aber niemals beides zum selben Zeitpunkt!13 Ein mit 11 Dies ist ein Differenzierungsvorschlag Goodmans, den ich hier nicht näher erläutern werde. 12 Allerdings ist Goodmans Ansatz in dieser Hinsicht manchmal unklar: Ob die ›Dichte‹ eine Eigenschaft einer vorliegenden Markierung ist oder vielmehr im Gebrauch erst konstituiert wird, verschwimmt bisweilen. Goodmans Nachfolger haben demgegenüber eine dezidiert pragmatische Lektüre seiner Philosophie starkgemacht, die den Schwerpunkt auf den Gebrauch legt (vgl. Dirk Eitzen, »When is a Text?«, in: Iris (1989), Nr. 9, S. 119–130; Scholz, »When is a Picture?«, a.a.O.). Scholz weist daraufhin, dass die Bedeutung der Bildverwendungen, der »Bildspiele« (Oliver Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellung, Freiburg 1991, S. 126) zumeist deswegen so unterschätzt werden, da sich in sprachlichen Wendungen wie »Das Bild stellt x dar« ein aktivisches Missverständnis eingeschlichen hat (ebd., S. 113): Es wird suggeriert, dass das Bild etwas tut, dass das Bild ›weiß‹, was es darstellt, während dieser Bezug doch allein in der Verwendung erst produziert wird. 13 Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Symbolschemata geben kann, die lokal dicht und an anderen Stellen disjunkt/differenziert sind, vgl. dazu Nelson Goodman/Catherine
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der Schreibmaschine geschriebener Text, der aus unterschiedlich fett gedruckten Buchstaben besteht, sodass eine Betrachtung des Textes aus einiger Entfernung bspw. ein Bild von Nelson Goodman ergibt, ist kein Gegenbeispiel. Lese ich den Text, brauche ich den unterschiedlichen Druck der Buchstaben nicht zu beachten, ja er stört vielleicht sogar: D. h. ich behandle die Dicke, Größe usw. der Buchstaben als kontingent, was bedeutet, dass ich das Symbolschema Sprache/Schrift anwende, das Gebilde mithin als Text ›konstituiere‹. Betrachte ich das Gebilde jedoch (aus einiger Entfernung) als Bild, muss ich gerade die Dicke, Größe usw. der Markierungen in den Blick nehmen, beachten, damit sich ein Bild ergibt: Also behandele ich diese Eigenschaften als konstitutiv und ›konstituiere‹ das Gebilde als Bild. Ich kann aber (schon logisch) niemals gleichzeitig die Dicke der Buchstaben als konstitutiv und als nicht-konstitutiv behandeln. Ich kann jederzeit einen geschriebenen Text (wie den vorliegenden) nehmen und um 90° kippen, etwas entfernt halten, die Augen etwas zukneifen und so ein Bild einer Skyline sehen (und tatsächlich arbeiten viele Werbeplakate mit solchen Effekten). So kann ich etwas, das vorher als Text galt, als Bild konstituieren. Der umgekehrte Fall jedoch scheint weniger sinnfällig. Unter welchen Umständen behandele ich ein Bild als Text oder doch zumindest als ein Zeichen in einem disjunkten System? Ein gutes Beispiel ist jedoch die vielleicht in Kneipen anzutreffende Gewohnheit, die Toiletten mit Bildern berühmter Filmstars zu bezeichnen. Die Herrentoilette wird bspw. mit Humphrey Bogart, die Damentoilette mit Marilyn Monroe in hochfliegendem Rock gekennzeichnet. Diese Bilder als Bilder von Konkretem zu verstehen, wäre misslich. Denn dann hätten nur Humphrey oder vielleicht kleine Filmschauspieler oder Männer mit viel Gel in den Haaren Zutritt zur Herrentoilette und nur Marilyn oder nur blonde Frauen mit Röcken Zutritt zur Damentoilette. Das Bild Bogarts funktioniert also in dieser Situation äquivalent zum Wort »Männer«, während das Bild Monroes äquivalent zum Wort »Frauen« fungiert. Und in diesem lokalen System gibt es nur zwei Charaktere: eben »Männer« und »Frauen«. Da es keinen dazwischenliegenden Charakter gibt, handelt es sich um ein endlich differenziertes System. Ein weiteres Beispiel: OO Diese beiden Markierungen können zwei Vorkommnisse des Buchstabens »O« sein, ein Bild von Augen, Kugeln, Rädern oder zwei ganze Noten, also Teil einer musikalischen Notation. Sie können auch zwei benachbarte Dörfer auf einer LandElgin, Revisionen. Philosophie und andere Künste und Wissenschaften, aus dem Englischen übersetzt von Bernd Philippi, Frankfurt am Main 1989, S. 162–178.
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karte repräsentieren. Es hängt vom angewendeten Symbolschema ab, welches wiederum vom Kontext nahegelegt wird. Ob etwas ein Bild oder ein Text ist, kann man also außerhalb von Verwendungsweisen, von der konkreten Anwendung der Symbolschemata im gegebenen Einzelfall nicht bestimmen. Der Einwand, dass das nur für sehr einfache Vorkommnisse wie ›OO‹ gilt, nicht aber für komplexere Bilder wurde oben bereits mit dem Toilettenbeispiel widerlegt. Dies öffnet auch den Raum für eine politisch orientierte Analyse der Bild/ Text-Beziehung. Bild oder Text werden durch Gebrauchsweisen konstituiert, diese aber finden nicht im luftleeren Raum eines willkürlichen und selbstherrlichen Subjektes statt14, sondern sind vom »Kontext« bestimmt und von Gebrauchsanweisungen, Konventionen usw. gerahmt. Insofern stellt sich die Frage nach den zur Zeit gültigen Diskursen, die die Anwendung zur Zeit gültiger Symbolschemata in gegebenen Fällen ›nahelegen‹: »Benutze ich ein Gemälde von der Rückseite her als Fußabtreter, so gebrauche ich es offenbar nicht als bildhafte Darstellung. Bei dieser Verwendung dient das Gemälde nicht einmal als Zeichen.«15
Um Scholz’ groteskes Beispiel aufzugreifen: In einem Museum sorgen Paratexte (Hausordnungen, der internalisierte Diskurs der ›Ehrfurcht-vor-großer-Kunst‹), sowie handfeste materielle Sanktionierungsmittel (Wächter, Alarmanlagen, Absperrungen und ggf. Hausverbote und polizeiliche Internierung) dafür, dass die Gemälde nicht zu Fußabtretern umgewertet werden. Scholz bemerkt folglich: »Abweichungen im Gebrauch werden oft von anderen bemängelt, berichtigt oder mit weiteren Sanktionen bedacht werden. Es gibt Maßstäbe der Richtigkeit für die Bildverwendungstätigkeiten und das sie umgebende Verhalten.«16
Statt also zu fragen »Was ist ein Bild?« und »Was ist ein Text?« sollte man fragen: Unter Anwendung welchen Symbolsystems im Rahmen welcher, diese Anwendung steuernden, Diskurse, konstituiert sich historisch etwas als ein Bild oder ein Text: Wann ist ein Bild?17 und Wann ist ein Text?18 ... und wäre die Anschlussfrage 14 Vgl. W.J.T. Mitchell, »Pictures and Paragraphs. Nelson Goodman and the Grammar of Difference«, in: ders., Iconology. Image, Text, Ideology, Chicago/London 1986, S. 53– 74, hier: 71. 15 Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen, a.a.O., S. 125. 16 Ebd. 17 Vgl. Scholz, »When is a Picture?«, a.a.O. 18 Vgl. Eitzen, »When is a Text?«, a.a.O.
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dann: Wann ist ein Klang? Das scheint zumindest kontraintuitiv, denn Bild und Text haben immerhin gemeinsam, auf visuellen Markierungen zu basieren – das unterscheidet sie vom Klang.
2. SYMBOLSCHEMATA DES KLANGS Wir hatten in der bisherigen Diskussion zwei Beispiele, in denen Klang eine Rolle spielte: Siehe nochmals Abb. 1: Ein bestimmter Klang kann – das ist offensichtlich und banal – als Inskription eines bestimmten Charakters behandelt werden. Etwa der Klang ›Kuh‹ als Vorkommnis des Charakters Q – ebenso wie ein geschriebenes, gemaltes, aus Kartoffeln gelegtes oder wie auch immer instantiiertes Q. Der Punkt daran ist, dass symboltheoretisch der Klang und das visuell sichtbare Zeichen und sogar ein bestimmtes Bild absolut äquivalent operieren können. D. h. es gibt Symbolverwendungen, die jeden medialen Unterschied ignorieren. Interessanterweise liefert Goodmans Ansatz also nicht nur eine der interessantesten Definitionen des Unterschieds zwischen Bild und Text, sondern kann auch Fälle spezifizieren, in denen dieser Unterschied keine Rolle spielt, in denen die Pragmatik und Praxis die mediale Differenz löscht. Als ein erstes Ergebnis kann man also festhalten, dass Bild und Klang in manchen Situationen zu unterscheiden sind, in manchen aber durchaus äquivalent operieren und daher gerade nicht unterschieden sind. Gemeinsam ist ihnen, dass es, ebenso wie für das Bild, für den Klang kein Repertoire gibt, das vorschreibt, welche Klänge gültige Inskriptionen oder wie man vielleicht besser sagt, Instantiationen gegebener Charaktere sind. Nun wird man sofort etwas einwenden, und damit kommen wir zu dem zweiten Fall: Für Klänge gibt es partiell doch ein Repertoire und das ist die tonale Notation. Klänge z. B. in klassischer Musik sind Instantiationen der Partitur und das Notensystem legt fest, welche Klänge in welchen Abständen möglich sind und welche nicht. Kein Klang kann gleichzeitig, sagen wir, ein C und ein H sein. Die Notation bestimmt damit auch die Werkidentität. So gesehen ist das Symbolschema der Musik – und Goodman diskutiert das ausführlich – nicht analog, sondern digital und steht damit der Schrift näher als dem Bild. Aber abgesehen davon, dass es Musiken ohne Notation gibt, ist der Punkt, den etwa Friedrich Kittler schon gemacht hat, dass die musikalische Notation gerade nicht das Klangliche des Klangs notiert, sondern eben nur die Tonhöhen, Intensitäten etc. im Rahmen klassisch-symbolischer Kunstmusik. Die Klanglichkeit selber, also ob ein gegebenes Stück auf dieser oder jener Geige mit ihren spezifischen Charakteristika gespielt wird, ist der symbolischen Notation, dem digitalen Schema der Notation gegenüber prinzipiell äußerlich. Es ist an dieser Stelle wichtig, daran zu erinnern, dass man Noten auch buchstäblich lesen
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und die Musik nur im Kopf haben kann, ohne jeden realen Klang. Eine Praxis, die z. B. für Adorno durchaus wichtig war. Doch die spezifischen Charakteristika des Klangs machen aber oft Entscheidendes aus und die Entwicklung des Klangs ist in der europäischen Popmusik später gerade zur entscheidenden Größe geworden. Die Klage, Popmusik habe so lächerlich einfache und stereotype melodische Strukturen verfehlt den Punkt, dass es vielmehr der auf Notation irreduzible Sound ist, der oft (nicht immer) entscheidend ist. Und für diesen Sound gibt es kein Repertoire – insbesondere mit der Entstehung elektronischer Klangquellen (seien sie nun im technischen Sinne analog oder digital) und ihrer populären Ausbreitung sind ungeheure Möglichkeiten entstanden, nie gehörte Sounds in beliebig feinen Modulationen und Abstufungen zu produzieren. Musik in diesem Sinne ist die digitale (jetzt digital wieder in Goodmans Sinn) Organisation analogen Materials – in dieser Hinsicht steht Musik zwischen Text und Bild. Drittens schließlich ist auf semantischer Ebene, die bis jetzt noch gar nicht diskutiert wurde, zu vermerken, dass Bilder und Texte vorwiegend denotieren, während Musik in ihrer Abstraktheit – den speziellen Fall der Programmmusik klammere ich jetzt hier aus – eher, und damit komme ich dann doch noch ganz kurz zum Kapitel The Sound of Pictures, die Instrumente und die Zeit ihres Erklingens exemplifiziert. Der Klang einer Stradivari stellt nicht anderes vor, sondern exemplifiziert eben den Klang einer Stradivari.
3. KURZES FAZIT Goodmans Symboltheorie ist 2018 bereits 50 Jahre alt geworden. Sie bleibt eine Herausforderung für die Medientheorie, jedoch fehlt die systematische Auseinandersetzung bis heute. Ich konnte hier nur Andeutungen machen und fasse zusammen: • Bild und Klang können in entsprechenden Kontexten funktional absolut äquivalent operieren, ihre mediale und aisthetische Differenz ist dann operativ gelöscht. • Klang hat kein Repertoire und ist insofern ein analoges Symbolschema (wie das Bild). • Musikalische Notation hingegen ist ein digitales Symbolschema und steht dem Text sehr nahe. • Insofern ist Musik in der Regel sowohl analog als auch digital – analog hinsichtlich des Sounds, digital hinsichtlich der tonalen Struktur. • Klänge sind in der Regel nicht denotativ, sondern exemplifikativ.
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Dies ist nur ein skizzenhafter Anfang – die detaillierte Rezeption von Goodmans Symboltheorie in der Medientheorie benötigt noch weitere Studien.
Multiple Chiasmen Versuch einer kurzen Situationsbeschreibung ›moderner‹ Musik und Malerei zwischen Sicht- und Hörbarem, Sehen und Hören, Bild und Klang Burkhard Liebsch
1. NUR SEHEND SEHEN, NUR HÖREND HÖREN Es ist das unendliche Privileg der Bilder, absolut nichts sagen und erst recht nichts verlauten lassen zu müssen.1 Von Menschenhand geschaffen, bleiben sie stumm wie natürliche Dinge, ohne doch je wie diese nur indifferent an Ort und Stelle zu verharren. In ihrem bloßen Dasein richten sie sich zwar an nichts und niemanden; doch sind sie ganz und gar darauf angewiesen, bei Gelegenheit zu zeigen, was sie uns sehen lassen. Sie, speziell die Kunstbilder moderner Malerei, von denen hier allein die Rede sein soll2, zeigen nur, indem sie sehen lassen, was auch immer. Keineswegs ist sicher, dass sie stets und unvermeidlich etwas Identifizierbares 1 Die Betonung liegt hier eindeutig auf ›müssen‹. Und ›absolut‹ ist vom lat. absolvere (ablösen, losmachen, befreien, freisprechen etc.) her zu lesen, das eine Bewegung des – niemals völlig gelingenden – Sichlösens andeutet, nicht als Anzeige einer schlechterdings ›jenseits‹ jeglichen Sagens und jeglicher Sagbarkeit liegenden Irrelativität. 2 Wobei ich das Attribut ›modern‹ sehr weit fasse, nämlich so, dass es sowohl in der Musik wie auch in der Malerei ein grundsätzlich gebrochenes Verhältnis zu jeglicher vor-gegebenen bzw. normativen Wirklichkeit impliziert, das sich ihr gegenüber als autark zu behaupten versucht. Darunter verstehe ich aber gerade nicht die viel zitierte »Eliminierung alles Vorgegebenen«. Allemal bleibt nämlich der Künstler sich selbst, als leibhaftiges, sensibles und responsives Wesen, vorgegeben. Nur darauf kann er letztlich seinen mit ästhetischen Mitteln ausgefochtenen Kampf um ein lebbares Leben stützen. Darauf komme ich am Schluss zurück.
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zeigen und dass darin ihr eigentlicher Sinn liegen muss. Was sie sehen lassen bzw. ob sie überhaupt ›etwas‹ sehen lassen, muss sich zeigen. Nicht so, dass das Sehen zuerst stattfinden müsste, damit sich dann gegebenenfalls etwas zeigen kann; vielmehr so, dass das Sichzeigen im Modus des Sehens selbst stattfindet, und so, dass man genau darauf auch aufmerksam wird. Das Sehen manifestiert das SichZeigen im gleichen Zug, ohne dass freilich das Ereignis des Sichzeigens selbst je zu sehen wäre. Nur so lassen Bilder sehen: Sehend realisiert das menschliche Auge, was sie zu sehen geben, und dabei das Sichzeigen der Bilder als solches. Dazu sind allerdings Augen erforderlich, die nicht ›nur sehen‹, sondern hinsehen, schauen und mustern können wie in einem studium3, aber auch sich ergreifen, hinreißen und bestechen lassen in pathischer aisthesis und in diversen Formen besonderer ästhetischer Zuwendung. Max Imdahl sprach von einem (nicht identifizierenden) »sehenden Sehen«4. Dieses richtet sich nicht souverän auf ein an sich totes Bild, um sich des bildlich Sichtbaren und des an ihm Identifizierbaren zu bemächtigen. Vielmehr realisiert es, dass das Bild ›zu sehen gibt‹, vorausgesetzt, ein darauf aufmerksames Sehen greift das Sichtbare auf ‒ nicht als Anderes ›wiedergebendes‹, sondern als seinerseits originär ›sichtbar Machendes‹. Vermittels des Bildes gibt moderne Kunst nicht etwa Sichtbares wieder, sondern macht allererst sichtbar, heißt es programmatisch in Paul Klees Schöpferischer Konfession (1918). Dieses ›Machen‹ geht aber weder einseitig vom Bild aus, noch auch steht es seinem Betrachter zu Gebote. Vielmehr spielt es sich zwischen ihnen ab, ungeregelt, anarchisch und mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Für die Musik der Moderne gilt, seit dem sie ›zu sich selbst gekommen‹ zu sein scheint, analog: Ihr unendliches Privileg ist es, absolut nichts sagen und darüber hinaus vor Augen führen zu müssen.5 Darf das Bild ganz und gar Bild und nichts als das sein, so darf die Musik ganz und gar Musik und nichts als das sein. Selbst wenn sie sich im Choral, im Lied und im Libretto gesungener Worte bedient, selbst wenn sie eine gewisse bildliche Vorstellung programmatisch vorgibt und ihrerseits Bilder hervorruft: nichts dergleichen muss sie tun; und wenn, dann doch so, dass sie all das ganz und gar zu Musik macht. Insofern gilt sie als von jeglicher nicht-musikalischen Vorgabe und von jeglicher über sie hinausweisen3 Vgl. Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt am Main 1989, S. 53. 4 Raphael Rosenberg, »Ikonik und Geschichte. Zur Frage der historischen Angemessenheit von Max Imdahls Kunstbetrachtung«, online: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/ artdok/volltexte/2006/193/ (abgerufen: 02.02.2018). 5 Vgl. in diesem Sinne Emmanuel Levinas, »Die Wirklichkeit und ihr Schatten«, in: Die Unvorhersehbarkeiten der Geschichte, Freiburg im Breisgau Alber 2006, Kap. VII, hier: 105, 110–111.
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den Verpflichtung befreit. Allenfalls lässt sie hören ‒ wenn auch vielfach nichts, was sich als ›etwas‹ ohne Weiteres identifizieren ließe. Liegt das, was Musik bzw. Musikalisches als solche(s) ausmacht, nicht ganz und gar im ›Wie‹ des zu Gehör zu Bringenden?6 Bezieht sich nicht stets auf dieses ›Wie‹ die Anweisung, es »mit äußerster«, gegebenenfalls auch »abgründiger, ja maßloser Sensibilität« vorzutragen ‒ handle es sich nun um die posthume Cis-Moll-Nocturne (op. 27; 1827) Frédéric Chopins, des angeblichen »Erfinders und Gründers moderner Sensibilität«7, um Johannes Brahms Intermezzi, wie in diesem Fall8, oder um Alexander Skrjabins Préludes? In jedem Fall gibt Musik zu hören, was sich niemals als eindeutig zu hören Gegebenes ›festmachen‹ lässt. Deshalb muss sich ›wirkliches‹ Hören, will es ihr gerecht werden, stets und unvermeidlich als ein Hinein- und Heraushören erweisen. Auch die strikteste Werktreue kann und will, recht verstanden, niemals die Spielräume eines wirklich hörenden Hörens eliminieren, das sich ergreifen, rhythmisch ›mitnehmen‹ und schließlich hinreißen lässt… Wie das Bild zu sehen gibt, so gibt das Stück dem zu hören, der nicht nur ›Ohren hat‹ und in diesem Sinne hören kann, sondern sich im Modus des Hörens dem zu hören Gegebenen hingibt, ohne es souverän beherrschen zu wollen. Nur so kann ein hörendes Hören realisieren, was das Stück originär hörbar macht, so aber, dass es dabei rückhaltlos auf seine Hörer angewiesen bleibt. Selbst die x-te musikalische Wiedergabe gibt nie etwas nur wieder, sofern ihr ein hörendes Hören folgt. Auch hier spielt sich alles in einem Zwischenreich ab: zwischen zu hören Gegebenem einerseits und denjenigen, die sich ihm überantworten, andererseits. Auch hier gilt: Was zu hören ist, muss sich zeigen; und zwar so, dass man auf das Sichzeigen als solches aufmerksam wird. So bietet es sich an, im Fall des Sehens und des Hörens phänomenologisch von Formen des Sichzeigens zu sprechen ‒ mit Bezug auf Subjekte, denen sich etwas zeigen kann und die sich etwas zeigen ›lassen können‹, ohne dass das fragliche ›Lassen‹ streng genommen wiederum auf das subjektive ›Können‹ eines 6 Vgl. Christian Grüny, »Figuren von Differenz. Philosophie zur Musik«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 57 (2009), Nr. 6, S. 907–932. Levinas bezieht dieses ›Wie‹ auf die Ablösung von jeglicher Substanzialität, wie er sie par excellence in der Musik bzw. im verklingenden Ton erkennt, deren eigentliche »Musikalität« er genau so definiert, um letztere dann auch in der darstellenden Kunst wiederzuerkennen. Offensichtlich meint »Musikalität« hier nur ein formales Element des Ästhetischen. 7 Vladimir Jankélévitch/Béatrice Berlowitz, Quelque part dans l’inachevé, Paris 1978, S. 219. 8 Vgl. Joachim Kaiser, »Glenn Gould«, in: Klaus Stadler (Hg.), Lust an der Musik, München/Mainz 61989, S. 259–270, hier: 261.
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homo capax bzw. eines sujet capable9 rückführbar wäre. Wenn sich das ästhetisch entscheidende sehende Sehen so wie auch das hörende Hören in jenem Zwischenreich abspielt, kann es weder auf ein Bild oder auf ein aufgeführtes Stück noch auch auf ein souverän des Sicht- und Hörbaren sich bemächtigendes Subjekt zurückzuführen ein. Das Bild lässt nur so sehen, das Stück lässt nur so hören, dass alles darauf ankommt, ob und wie sich ein wahrnehmendes Subjekt Sicht- und Hörbares ›geben‹ lässt.10 Gewiss gilt das jeweils in unterschiedlicher Art und Weise, denn das aufgeführte Stück muss ich hören. Ich kann es nicht nicht hören, es sei denn ich verlasse den Raum. Vor dem Bild aber kann ich jederzeit die Augen schließen. Ich kann es auch nicht sehen, nicht sehen wollen. Die visuelle Abwendung von ihm macht es wirklich unsichtbar, wohingegen kein Weg- und Überhören das Hören vermeiden kann. Das Bild ist still, stumm und so gesehen absolut passiv und unaufdringlich. Aus eigener Kraft vermag es nichts, es sei denn, man setzt sich ihm aus. Wo man es aufbewahrt, in der Regel musealisiert, ist es auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, aufgesucht, angemessen beleuchtet und schließlich bestaunt zu werden. Werden die Lichter gelöscht, wenn der Tag zur Neige geht, fällt es in die pure Materialität toter Materie zurück. Bilder ›leben‹ nur durch unser Sehen. Bilder gibt es nur als gesehene; als ästhetische Objekte im engeren Sinne nur vermittels eines sehenden Sehens ‒ kraft eines ›Lebens der Augen‹.11 Und seit dem man Bilder von jeglichem Anspruch, noch anderes zu sein als nur Bilder, befreit hat, erfordern sie scheinbar auch ein ›reines‹, von allen Beimischungen einer heterogenen aisthesis gereinigtes Sehen, das für das Wunder des Sichzeigens selbst aufgeschlossen ist. Nur durch ›reines Sehen‹, das an ›reiner Sichtbarkeit‹ interessiert ist, gibt es endlich Bilder, die nichts als Bilder sein dürfen12 ‒ vorausgesetzt, man ringt sich zu »voraussetzungsloser« Seherfahrung durch, die jegliche Dinglichkeit und konkrete Wirklichkeit hinter sich lässt bzw. davon ›abstrahiert‹, um sich ganz und gar der
9 Vgl. Paul Ricœur, »The Problem of the Will and Philosophical Discourse«, in: James M. Edie/Francis H. Parker/Calvin O. Schrag (Hg.), Patterns of the Life-World, Evan ston 1970, S. 273–289, hier: 283–284; Paul Ricœur, »De la métaphysique à la Morale«, in: Revue de Métaphysique et de Morale, 4 (1993), S. 455–477, besonders S. 469–470. 10 Siehe zu den Begriffen des ›Gebens‹ und ›Zeigens‹ Emmanuel Levinas, »Über die ›Ideen‹ von E. Husserl«, in: ders., Die Unvorhersehbarkeiten der Geschichte, a.a.O., S. 37–78. 11 Vgl. Jean Starobinski, Das Leben der Augen, Berlin, Frankfurt am Main/Wien 1984; John Berger, Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens, Berlin 112009. 12 Vgl. Walter Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, Reinbek 1986, S. 10ff.
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Wahrnehmung des zu sehen Gegebenen zu überlassen und in ihr aufzugehen, ohne dabei nach irgendeinem Sinn oder Zweck zu fragen.13 »In der Malerei gibt es nichts zu lesen, es gibt nur zu sehen«14, behauptete kategorisch Theo van Doesburg. Er hätte auch sagen können, es gebe darüber hinaus nichts zu hören, zu riechen und zu schmecken. Demnach hätte das ›moderne‹ sehende Sehen allerdings nicht nur alle anderen Sinne, sondern auch alles normalerweise Sichtbare hinter sich gelassen und wäre erst dadurch »zu sich selbst gekommenen« (Conrad Fiedler). Nur auf den ersten Blick mutet es paradox an, sich ganz in diesem Sinne in ein Museum begeben zu wollen, um dort nichts zu sehen. Wird man nicht erst so, d. h. unter Verzicht auf ein normalisiertes Sehen, überhaupt auf das »Phänomen des Sehens«15 selbst aufmerksam? Man hat in diesem Sinne vielfach von der Autonomie des Bildes, des Sehens, der Farbe und der Kunst gesprochen, kann damit aber wohl doch keine Selbstgesetzgebung meinen, wie es der Wortsinn besagt, sondern lediglich, dass das Bild, das Sehen, die Farben und die Kunst bzw. die an ihm beteiligten Künste nunmehr auf rein gar nichts anderes verpflichtet sein sollen. Mangels eines erkennbaren ästhetischen ›Gesetzes‹16 ist allerdings treffender von Autarkie auszugehen. Das Bild steht für sich, schweigend bzw. nichts sagend.17 Weder spricht es, noch klingt es. Ganz sich selbst überlassen hängt es in der Stille der Museen. Wenn diese die Bilder als »Stimmen der Stille« aufbewahren sollen, wie André Malraux meinte, so müssen wir doch zugeben, dass sie rein gar nichts verlauten lassen und unhörbar bleiben.18 Dennoch, meint Werner Haftmann, wäre ihnen gegenüber dies die einzig angemessene »Haltung: jedes Bild abzuhören nach dem ihm innewohnenden Anruf einer uns noch verborgenen Erfahrung […]«.19 Wie kommt es, dass man diesem »tragischen Treibgut der Kultur in den Schreinen der Museen«20 im Zeichen eines reinen Sehens, reiner Sichtbarkeit und
13 Vgl. Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1 [1954], München 61979, S. 61. 14 http://www.minas-mainz.de/html/lectures/lecture_09.htm (abgerufen: 02.02.2018). 15 Conrad Fiedler, Schriften über Kunst, Köln 1977, S. 173, 175. 16 Vgl. ebd., S. 232. 17 Vgl. Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, a.a.O., S. 111, zu Giorgio di Chirico. 18 Vgl. André Malraux, Stimmen der Stille, München, Zürich 1956; Maurice Merleau-Ponty, Die Prosa der Welt, München 1994, S. 121; ders., Das Auge und der Geist, Hamburg 1984, S. 111. 19 Werner Haftmann, Skizzenbuch. Zur Kultur der Gegenwart, München 1960, S. 121. 20 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 446.
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reiner Malerei21 hartnäckig eine gewisse Vernehmbarkeit zuschreiben will? Muss das nicht darauf hinauslaufen, die Apologie der Reinheit zu unterlaufen und jenes absolute Privileg der modernen Bilder wieder in Abrede zu stellen? Geben die Bilder nicht nur zu sehen, machen sie vielmehr auch vernehmlich, was sich in gewisser Weise hören lassen müsste (wenn auch nur im Antworten auf jene Stimmen der Stille), kann dann nicht eine akroamatische Hermeneutik für sie zuständig werden, die nachvollzieht, was im Modus des Sehens gewissermaßen zu verstehen gegeben wird?22 Erweist sich letztlich auch das, was sich im Modus des Sehens zeigt, als eine Art des Hörens auf das, was uns kraft eines Bildes in Anspruch nimmt? Oder produziert vielmehr umgekehrt alles Sich-Zeigen (auch dessen, was wir hörend realisieren) zunächst nur ›Bilder‹, fassen wir diesen Begriff nur weit genug, nämlich so, dass er alles einschließt, was geistig ›etwas sehen lässt‹, wie es Martin Heidegger vorgeschlagen hat?23 Muss sich nicht auch allem Hören zunächst etwas zeigen? Und ist letzteres so zu verstehen, dass sich das Sichzeigende sehen lassen muss, wie es eine zutiefst lichtmetaphysisch bestimmte Überlieferung nahe legt, die alles Sichzeigende als geistig Sichtbares auffasst?24 Offensichtlich haben wir es hier nicht nur mit einem weit gehenden Auseinandertreten von Sehen und Hören als Erfahrungsmodalitäten zu tun, die sich zu einem ›reinen‹ Sehen und ›reinen‹ Hören steigern und voneinander trennen können, sondern auch mit gegenläufigen und überkreuzten Interpretationen dieser Modalitäten selbst. Im einen Fall können sie besagen, auch Sehen sei eine Art Hören bzw. Vernehmen, im anderen Fall umgekehrt, auch Hören sei eine Art Sehen, Realisieren von ›Bildern‹ oder geistiger Sichtbarkeit. Derart überkreuzte Interpretationen des Sehens (als eines Hörens) und des Hörens (als eines Sehens) haben im vergangenen Jahrhundert hohe Wellen geschlagen, ohne dass es zur Versöhnung der Verteidiger des Sehens mit den Verfechtern des Hörens gekommen 21 Vgl. Ulrich Reißer/Norbert Wolf (Hg.), Kunst-Epochen. 20. Jahrhundert II, Stuttgart 2003, S. 35. 22 Vgl. Manfred Riedel, Hören auf die Sprache. Die akroamatische Dimension der Hermeneutik, Frankfurt am Main 1990, S. 10, 59, 63–66; Jürgen Trabant, Traditionen Humboldts, Frankfurt am Main Suhrkamp 1990, S. 176. 23 Martin Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954, S. 200f. An dieser Stelle droht in der Tat ein Ikonismus, der nicht nur behauptet, »alles, was sichtbar wird, kann auch Bild sein« (G. Boehm), sondern jeglicher Erfahrung abverlangt, das jeweils Erfahrene bildlich zu manifestieren. Vgl. zum fraglichen Ikonismus in der eingeschränkteren Bedeutung vgl. Bernhard Waldenfels, Sinne und Künste im Wechselspiel. Modi ästhetischer Erfahrung, Berlin 2010, S. 78, 108. 24 Vgl. Martin Jay, Downcast Eyes. The Denigration of vision in twentieth-century french thought, Berkeley/Los Angeles/London 1994.
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wäre. Hat Jacques Derrida nicht einen radikalen Prozess gegen die abendländische Metaphysik genau deshalb eröffnet, weil er glaubte nachweisen zu können, dass sie bis hin zu Edmund Husserl im Grunde alles, was sich dem Bewusstsein als Erfahrbares darstellt, als von diesem ›Vernommenes‹ versteht, d. h. so, dass es gleichsam sich selbst hört, um auf diese Weise seine eigene Präsenz und die eigene Macht der Gegenwärtigung alles Erfahrenen zu verbürgen?25 War aber diese Metaphysik nicht von Platon bis Georg W. F. Hegel immer auf das Denken einer Präsenz eingeschworen, die nur in einem geistigen Licht erfahrbar wird? Hatte sie insofern nicht stets das Sehen, die Aufklärung des Sichtbaren und das »Auge des Begriffs« privilegiert?26 In Interpretationen moderner Malerei und moderner Musik begegnet uns, darum unbekümmert, demgegenüber immer wieder ein Insistieren darauf, man widme sich im einen Fall nur dem Sehen, im anderen Fall nur dem Hören, nur Bildern oder nur Klängen in ihrer ästhetischen Erfahrbarkeit, um einem sehenden Sehen oder einem hörenden Hören autarke Freiheitsspielräume zu eröffnen und dauerhaft zu sichern. Sollte die Apologie der Reinheit nicht gerade darauf hinauslaufen, das ›moderne‹ Bild vor jeglicher Erwartung in Schutz zu nehmen, Anderes als nur Sichtbares zu präsentieren bzw. überhaupt erst sichtbar zu machen?27 Sollte sie das endlich zu sich selbst gebrachte, nichts Anderem mehr verpflichtete Hören nicht vollkommen gegenüber fremden Ansprüchen abgrenzen? Woher auch immer das zu Gehör zu Bringende rühren mag, im Ereignis des Hörens genügt es sich demnach absolut selbst ‒ auch wenn es stimmen sollte, dass sich kein ›Selbst‹ des musikalischen Kunstwerks nachweisen lässt. Die Genealogie des reinen Bildes wie auch die Genealogie des derart autarken Hörereignisses weist u. U. allerdings weit und tief in »seelische Antwortverhältnisse« zur Natur, in eine extase de la vie und in einen horreur des Lebens zurück, das dem Anruf der Welt folgt oder dem »Kommen des Unbewussten« nachgibt.28 Und je weiter und tiefer man in Richtung dessen zurückgeht, was die in den entsprechenden Künsten sich manifestierende ästhetische Erfahrung zunächst herausgefordert hat, desto mehr erweisen sich Sehen und Hören als miteinander kontaminiert, vermischt oder synästhetisch assoziiert. Niemals steht reines Sehen und reines Hören am Anfang menschlicher
25 Vgl. Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen, Frankfurt am Main 1979, S. 65ff., 163. 26 Vgl. Georg W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte Bd. I. Die Vernunft in der Geschichte, Hamburg 1994, S. 32. 27 Vgl. Fiedler, Schriften über Kunst, a.a.O., S. 194, 215, 229. 28 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 40ff., 118, 315, 516.
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Erfahrung.29 Allenfalls können reines sehendes Sehen und reines hörendes Hören aus Prozessen der Differenzierung und der Abgrenzung von einander hervorgehen. Muss demnach nicht am Anfang der ›Emanzipation‹ des Sehens und des Hörens von allen anderen Sinnen eine Nicht-Differenziertheit stehen, die, wenn überhaupt, nur mit Mühen und künstlich zu überwinden sein wird? Gehen wir psycho-ontogenetisch so weit wie möglich zurück30, so stoßen wir auf einen leiblichen Resonanzkörper, der seinerseits respondieren kann31 und auf diese Weise 29 Auch dann nicht, wenn einer der normalerweise verfügbaren Sinne ganz ausfällt und jemand nur hören oder nur sehen kann. Bloß hören oder bloß sehen zu können, bedeutet keineswegs, zu ›reinem‹ Hören oder zu ›reinem‹ Sehen im Sinne der hier eingeführten zugespitzten Deutung in der Lage zu sein. Beides bringt niemand als natürliche Fähigkeit mit; beides geht vielmehr aus subtilen Prozessen einer Art Destillation und Sublimierung aus einem zunächst gerade nicht speziell ästhetisch sehenden Sehen und nicht hörenden Hören hervor. 30 Wie es die genetische Psychologie seinerzeit vorgeschlagen hat. Einflussreich war vor allem Heinz Werner, Einführung in die Entwicklungspsychologie [1926], München 41970, § 13, S. 61, der jene Nicht-Differenziertheit als Synästhesie einstufte. Daran knüpften (kritisch) Kurt Goldstein (»Über den gegenseitigen Einfluss motorischer und sensorischer Vorgänge. Mit kinematographischen Vorführungen«, in: Bericht über den X. Kongress für experimentelle Psychologie in Bonn, April 1927, Jena 1928, S. 116ff.), Ernst Cassirer (Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil. Phänomenologie der Erkenntnis [1929], Darmstadt 71954, S. 41) und Maurice Merleau-Ponty mit seiner Konzeption einer primordialen »Kommunikation der Sinne« und einer »›Urschicht‹ des Empfindens« an, »die der Teilung der Sinne vorgängig« sei (Phänomenologie der Wahrnehmung [1945], Berlin 1966, S. 266). Hier liegen Rückbezüge auf Aristoteles’ koine aisthesis, auf den sensus communis bzw. s. interior und auf das sensorium commune ebenso nahe wie auf Johann G. Herders Theorie seelischer Einbildung. Vgl. ausführlich dazu die Beiträge in: Hans Adler/Ulrike Zeuch (Hg.), Synästhesie. Interferenz ‒ Transfer ‒ Synthese der Sinne, Würzburg 2002. In die gleiche Richtung wie Merleau-Ponty zielte Helmuth Plessner mit seiner Schrift »Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes (1923)«, in: ders., Gesammelte Schriften III, Frankfurt am Main 1980, S. 7–316. Von »tiefster Nichtdifferenziertheit« spricht später der Psychoanalytiker René Spitz mit Blick auf den »coenästhetischen« Leib des Kleinkindes (Vom Säugling zum Kleinkind. Naturgeschichte der Mutter-Kind-Beziehungen im ersten Lebensjahr, Stuttgart 61980, S. 62, 71). Entscheidend sind in diesem Zusammenhang nicht die psychologischen Befunde als solche, sondern Versuche, sie ästhetisch zu nutzen. Siehe dazu die folgende Anmerkung 31. 31 Vgl. Merleau-Ponty, Die Prosa der Welt, a.a.O., S. 80–81, sowie den Hinweis auf Susanne K. Langer bei Christian Grüny, Kunst des Übergangs. Philosophische Konstella tionen zur Musik, Weilerswist 2014, S. 92.
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beweist, dass es sich um Anfänge psychischen Lebens handelt. Allerdings nur in gewissen physischen Grenzen dessen, wofür es empfänglich ist. Dieser Resonanzkörper entpuppt sich in phänomenologischer Beschreibung als ein Leib, der sich immerfort unter ungeteilter Mitbeteiligung aller Sinne synergetisch zu allem Erfahrenen verhält. Den ständigen leiblichen Vollzug dieser Synergie muss man erst künstlich fragmentieren, um etwas derart Abstraktes wie ›bloßes‹ oder ›reines‹ Sehen und Hören aus ihm herauspräparieren zu können.32 Nicht wenige Künstler der Moderne, die an Analogien, Parallelen, Isomorphien, Interferenzen und sogar an einer tieferen ‒ sei es verlorenen, sei es wiederzugewinnenden ‒ Identität von Sicht- und Hörbarem, Bildern und Klängen, Musik und Malerei interessiert waren, haben mit der Idee geliebäugelt, ihre ästhetische Sensibilität durch Rückbesinnung auf noch nicht rationalistisch überformte, differenzierte oder fragmentierte »Urzustände« der Erfahrung zu erneuern. Wie Melanie Gruß ausführlich gezeigt hat, kam dabei solchen Zuständen, deren Überbleibsel man in der Tiefe der eigenen Gegenwart verschüttet wähnte, häufig ein kulturkritischer Nimbus zu, wo immer man sich von ihrer Reaktivierung eine Erneuerung ästhetischer Erfahrung versprach.33 »Das Primitive, das Dämonische, das Archaische, darunter ahnt der moderne Geist die alte magische Einheit«, ja sogar eine Art Vor-Welt, in der »Mensch und Umwelt« noch nicht getrennt erscheinen.34 Aber können solche Urzustände je rein gewesen sein bzw. wieder rein 32 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, a.a.O., S. 265. 33 Vgl. Melanie Gruß, Synästhesie als Diskurs. Eine Sehnsuchts- und Denkfigur zwischen Kunst, Medien und Wissenschaft, Bielefeld 2017. So richtete man sich gegen »eindimensionale«, »entwirklichte«, technisch und rationalistisch überformte Erfahrung und glaubte das dagegen in Stellung gebrachte Synästhetische »in ›urmenschlichen‹ Kontexten« verorten zu können, die wie ein »Fossil« der Ursprünge menschlicher Kultur erhalten geblieben sein sollen (vgl. S. 18, 183, 213, 302). Gruß zeigt einerseits, wie wenig sich das zeitweise zur ästhetischen Modeerscheinung aufgerückte Synästhetische generell für eine solche Indienstnahme eignet, und wie es gleichwohl mit der Aussicht auf neue, erst technisch zu bewerkstelligende, keineswegs ›ursprüngliche‹ Erfahrungen herbeizitiert werden konnte (vgl. S. 166, 227, 261, 377). Zeitweise konnte der Eindruck entstehen, das Synästhetische fundiere sogar den Ursprung der Künste und weise zugleich den Weg in deren künftige, inter-mediale Konstellation bzw. zu einer KunstSynthese, wie sie die Romantik und die Idee des Gesamtkunstwerks im 19. Jahrhundert vorgezeichnet hatten (S. 199ff.; vgl. Hajo Düchting, »Bilder nach Musik ‒ Zum Problem der Visualisierung musikalischer Eindrücke«, in: Jörg Jewanski/Natalia Sidler [Hg.], Farbe ‒ Licht ‒ Musik. Synästhesie und Farblichtmusik, Bern 2006, S. 399–406, hier: 400–401). 34 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 191.
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zum Vorschein kommen, wenn man sie einmal hinter sich gelassen hat? Und sind sie ‒ wenn nicht im ontogenetisch oder gattungsgeschichtlich Primitiven, im Dämonischen oder Archaischen ‒ ersatzweise dort zu finden, wo Paul Gauguin sie zu finden vorgab, nämlich im Exotischen? Oder versprechen vielmehr Verfahren der »totalen Negation aller Trübungsquellen«35, wie sie Kasimir Malewitsch versucht hat, zu der gesuchten Erneuerung zu verhelfen? Sprudeln deren Quellen aus einer verlorenen ontogenetischen Kindheit oder gattungsgeschichtlichen Primitivität, auf die man sich nur zurückzubesinnen bräuchte36, oder liegen sie vielmehr vor uns in einer wieder zu gewinnenden Naivität? Für Paul Cézanne war die Antwort klar: Ich bin »nicht mehr unschuldig. Wir sind zivilisierte Menschen […]. Es gibt eine Art von Barbarei bei den falschen Primitiven, die hassenswerter ist als selbst die Akademie; man kann heute nicht mehr primitiv sein«37. Ungeachtet dieser Bedenken geistert die Idee einer erst zu gewinnenden, neuen Sensibilität nach dem Urteil Haftmanns durch die moderne Kunst ‒ von Paul Klee, der auf die Reaktivierung eines ursprünglichen, von einer »modernen Sensibilität« allerdings erst zu rehabilitierenden Weltbezugs aus war, bis hin zu Pablo Picasso, Henri Rousseau, Paul Klee, Otto W. Schulze (Wols), Jackson Pollock, Willem de Kooning, Robert Motherwell und Franz Kline. Was das Liebäugeln mit dem Primitiven, mit dem Archaischen, Dämonischen oder auch Magisch-Legendären angeht, so drängt sich zweifellos die Frage auf, ob diese Titel bloße Regressionen in eine ontogenetische oder gattungsgeschichtliche ›Kindheit‹ anzeigen sollen. So oder so kann man »›auf die Kindheit zurückkommen‹ [revenir à l’enfance]«; und das muss keineswegs darauf hinauslaufen, »›zur Kindheit zurück[zu]kehren‹ [retourner en enfance]«. Ersteres würde bedeuten: in gewisser Weise wieder Kind zu werden; letzteres würde bedeuten, »das Kind zu geben«. Hier hat man laut Vladimir Jankélévitch nur die Wahl zwischen Verjüngung und Verblödung (gâtisme).38 Aber weder das eine noch das andere hatten jene im Sinn, die man als »Primitive einer neuen Sensibilität« bezeichnen könnte. Ihre ästhetischen Verfahren glichen eher Methoden der Destillation, der Purifikation und der Läuterung, die allerdings derart gegensätzliche Richtungen wie die formale Abstraktion einerseits und die Würdigung des Realen in seiner ganzen 35 Ebd., S. 227; vgl. Werner Haftmann, Der Mensch und seine Bilder. Aufsätze und Reden zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln 1980, S. 201. 36 Vgl. Gruß, Synästhesie als Diskurs, a.a.O., S. 65, 205 zur ästhetischen Re-Primitivierung. 37 Paul Cézanne, Über die Kunst. Gespräche mit Gasquet. Briefe, Mittenwald 1980, S. 17–18. 38 Vgl. Vladimir Jankélévitch, »Austerität und Dekadenz«, in: ders., Das Verzeihen. Essays zur Moral und Kulturphilosophie, Frankfurt am Main 2004, S. 186–239, hier: 227.
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Zerbrechlichkeit, Un-Menschlichkeit und Dämonie39 andererseits einschlagen konnten. Während die formale Abstraktion aktiv konstruiert, lässt die Würdigung des Realen, insofern es dem Künstler widerfährt, dessen pathische Passivität zum Vorschein kommen. Steht aber am Ende von beiden, zunächst gegensätzlichen, dann aber vielfach miteinander verschlungenen Wegen auf jeden Fall ein durch ästhetische Läuterung zu sich selbst gebrachtes Sehen, das sich in autarken Bildern niederschlägt und sich an ihnen erfreut, ohne noch irgendeinem physischem oder geistigem ›Sinn‹ verbunden oder gar verpflichtet zu sein? Gilt analog das Gleiche für ein zu sich selbst gebrachtes Hören, das nur noch Hören sein will und ›zeitgemäßer‹ Musik überhaupt nichts anderes mehr abverlangt? Ist das Auge im reinen Sehen so dem Sichtbaren überantwortet, das nichts mehr hören lässt, wie das Ohr dem Hörbaren, das nichts mehr sehen lässt? Genau das wäre zu erwarten, wenn wir es in der Kunst nur noch mit einem reinen Sehen und in der Musik nur noch mit einem reinen Hören zu tun hätten. Auf der Ebene der ästhetischen Erfahrung sollten wir es demzufolge nur noch mit Sehen oder Hören, niemals aber mit einer Vermischung von Sehen und Hören und niemals zugleich auch mit anderem (wie etwa mit anderen Sinnen oder mit ›Lesen‹, ›Verstehen‹, ›Deuten‹ usw.) zu tun bekommen. Und das Gleiche sollte auf der Ebene der theoretischen Interpretation dieser Erfahrung gelten. Umso erstaunlicher mutet es an, wie oft in der Kunst wie auch in der Musik gewissermaßen Übergriffe vorkommen, die Bildern Musikalisches attestieren und umgekehrt Musik Farbigkeit zusprechen.40 Kann ein Bild ›wirklich‹ klingen? Und kann Gehörtes ›wirklich‹ koloriert sein? Ist es von vornherein unsinnig, so zu fragen, oder bewegen wir uns hier, metaphorisch gesprochen41, im Reich einer aus39 Haftmann, Skizzenbuch, a.a.O., S. 60ff. Hier erinnert die Rede vom Unmenschlichen an das Inhumane bei Jean-François Lyotard, Das Inhumane, Wien 32006. 40 Vgl. die Übersicht von der Malerei her bei Werner Haftmann, »Das Musikalische in der Malerei des 20. Jahrhunderts«, in: Der Mensch und seine Bilder, a.a.O., S. 83–117; von der Musik her dagegen bei Heinz-Klaus Metzger, »Schönberg und Kandinsky. Ein Beitrag zum Verhältnis von Musik und Malerei« [1963], in: ders., Musik wozu. Literatur zu Noten, herausgegeben von Rainer Riehm, Frankfurt am Main 1980, S. 181–207. 41 Wie es vielfach nahe gelegt wurde. So von Herder, der »eine Tonkunst, die malen, und eine Malerei, die tönen« könnte, in Betracht zog, aber nicht ernst nehmen konnte. Johann G. Herder, »Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume«, in: Sämtliche Werke VIII, Hildesheim 1967, S. 16; vgl. online: http://www.skleber.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/DiePlastik.pdf (abgerufen: 02.02.2018). Jacob Grimm dagegen ließ gelten, dass »das sehen ein hören, das hören ein sehen« sein könnte, da ja »die ausdrücke wechseln«; deshalb sei »den dichtern von selbst das recht gegeben einen [Ausdruck] für den andern zu setzen«,
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ufernden Metaphorik, die sich kritisch-ikonologisch nicht beherrschen lässt, also nirgends eindeutig Grenzen erkennen lässt, jenseits derer eine fruchtbare, lebendige oder inspirierende Metaphorik in katachrestischen Missbrauch bzw. ›blumige Sprache‹ übergeht, der keinerlei konkreter Sinn mehr zu entnehmen ist? Ist das, wenn es sich so verhält, nur ein Problem der Sprache, oder weist es darauf hin, dass keineswegs ausgeschlossen werden kann, dass Sichtbares und Hörbares, Bild und Klang, Malerei und Musik selbst doch gewissermaßen interferieren? Wo aber wäre diese Interferenz zu lokalisieren? In der ästhetischen Erfahrung selbst (wie in Phänomenen der Synästhesie42), in deren hermeneutischer Auslegung durch Künstler, die sich poetischer Sprachmittel bedienen müssen, um sich und anderen verständlich zu machen, was sie eigentlich tun, oder in theoretischen Interpretationen ihrer Praxis, die nicht einmal ausschließen, dass man das Sehen als eine Art Hören und das Hören als eine Art Sehen konzeptualisiert?
vgl. Jacob Grimm, »Die fünf Sinne«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum, 6 (1948), S. 1–15, hier: 8–9; vgl. online: http://www.goethezeitportal.de/wissen/projektepool/in termedialitaet/intermedialitaet-synaesthesie/synaesthesie-in-der-literaturwissenschaft lichen-forschung.html (abgerufen: 02.02.2018). Anders kann man ja prima facie nicht von der Metapher sprechen. Ob das dahin führen muss, dass sich dem Metaphorischen nichts je ganz und gar entziehen kann (nicht einmal das Sein, wie Heidegger hoffte), wenn es vollkommen delimitiert wird, bleibe dahin gestellt; vgl. Jacques Derrida, »Der Entzug der Metapher«, in: Volker Bohn (Hg.), Romantik. Literatur und Philosophie. Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt am Main 1987, S. 317–355. 42 Diese bei Merleau-Ponty beiläufig zum Normalfall erhobenen Phänomene haben sich als überaus uneinheitlich erwiesen. Und man streitet seit Alfred Vulpians (1866) Ersetzung der Rede von einer sensibilité réflexe durch den Begriff synesthésie über die Ebenen und Arten und Weisen intermodaler bzw. intersensorischer Assoziationen, Kollisionen, Interferenzen, Kooperationen und Rückkoppelungen; vgl. wiederum den Band von Jewanski/Sidler (Hg.), Farbe ‒ Licht ‒ Musik. Synästhesie und Farblichtmusik, a.a.O. sowie Arnold Wohler, Synästhesie als ein strukturbildendes Moment in der Kunst des 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung von Malerei und Musik, Münster 2010. Für originäre synästhetische Verflechtungen aller Sinne spricht zwar viel; doch erweisen sie sich als individuell höchst unterschiedlich ausgeprägt, zumal wenn ein Verlernen eingesetzt hat, das Interferenzen zwischen verschiedenen Sinnen geradezu absurd erscheinen lässt, wie Merleau-Ponty gezeigt hat: Phänomenologie der Wahrnehmung, a.a.O., S. 268. In keiner Weise folgt aber aus dem Nachweis von Synästhesien, ob und wie sie ästhetisch-künstlerisch maßgeblich werden sollen. Für Adorno jedenfalls musste das Verhältnis von Musik und Malerei ungeachtet dieser Phänomene »widerspruchsvoll bis zur Unvereinbarkeit« bleiben.
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Dass man diese zu differenzierenden Fragen nur sprachlich aufwerfen kann, ist keine Trivialität. Denn so ist es ausgeschlossen, dass wir gewissermaßen unvermittelt von der Beziehung zwischen Bild und Klang, Sichtbarem und Hörbarem, Malerei und Musik handeln können. Wir bedürfen eines Dritten in der Form symbolischer ›Vermittlung‹43; eines Dritten, das aber durch eine Bildlichkeit, die nur originär Sichtbares vor Augen führen will, ebenso zurückgewiesen wird, wie durch eine Praxis musikalischen Vortrags, die nur dem Hören verpflichtet ist. In beiden Fällen ›zeigt sich‹ vielleicht nicht ›etwas‹, wohl aber findet visuelles oder akustisches Sich-Zeigen statt, so aber, dass es niemals durch Anderes substituierbar ist. Arme Kritiker, die in der Intensität ihrer publizistischen Ergüsse das Gesehene oder Gehörte glauben beschwören zu können und doch hinnehmen müssen, sich von der ästhetischen Erfahrung in dem Maße weiter zu entfernen, wie sie verbales Aufheben von ihr machen… Niemals wird der Musikkritiker allein durch seine Kritik dazu befähigt, (bessere) Musik hervorbringen; das versteht sich von selbst. Niemals wird seinen Worten aber auch nur annähernd zu entnehmen sein, was er überhaupt gehört hat, kennt man nicht zuvor selbst schon das von ihm besprochene Stück, dessen ›Interpretation‹ er zerreißt… Armer Kunstkritiker, der niemals vor den Augen seiner Leser das Bild wieder lebendig erstehen
43 »Konvergieren Malerei und Musik nicht durch Anähnelung, so treffen sie sich in einem Dritten: beide sind Sprache. […] Die Konvergenz der Medien wird offenbar durchs Hervortreten ihres Sprachcharakters«, heißt es bei Theodor W. Adorno, »Über einige Beziehungen zwischen Musik und Malerei« [1965], in: ders., Musikalische Schriften I–III. Gesammelte Schriften 16, Frankfurt am Main 1997, S. 628–642, hier: 633 (Hervorhebung B. L.). An anderer Stelle ist statt von Anähnelung auch von Pseudomorphose die Rede (ebd., S. 629; ders., Philosophie der neuen Musik, Frankfurt am Main 1978, S. 174). Sie wird vor allem Igor Strawinski zum Vorwurf gemacht, da er »die räumlichflächenhafte Konzeption der Musik von Debussy geradewegs übernommen« (ebd., S. 175) habe. So weit, Malerei und Musik jeweils mit Sprache gleichzusetzen, gehe ich allerdings nicht. (Dabei ist nicht zu übersehen, dass Adorno Sprache hier als »namenlose, unakustische […] aus dem Material« fasst und sie gerade dem Kommunikativen entgegensetzt [»Über einige Beziehungen zwischen Musik und Malerei«, a.a.O., S. 634]. Vom eigentümlichen, schließlich als écriture beschriebenen Sprachbegriff Adornos sehe ich hier ebenso ab wie vom fragwürdigen Normativismus seines vom »Rezipienten« praktisch abgekoppelten Konstruktionsbegriffs.) ‒ Auch der Vergleich des Verhältnisses von Musik und Malerei mit einer Übersetzung von einer Sprache in eine andere hinkt allzu sehr; vgl. Haftmann, »Das Musikalische«, a.a.O., S. 95, wo es heißt, bei Kandinskys Kompositionen handle es sich um »Übersetzungen« Wagnerscher Tondramatik.
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lassen kann, das er in höchsten Tönen lobt.44 Beide produzieren nur Worte, nichts als Worte, denen gegenüber sich das angesichts der Bilder originär zu Sehende ebenso wie das originär zu Hörende souverän behauptet, ohne dabei im Geringsten Macht ausüben zu müssen. Dass Bilder eben nur Sichtbares zu sehen geben und dass Musik nur Hörbares zu hören gibt, genügt vollkommen. In beiden Fällen appelliert ästhetische Erfahrung nur an unsere Wahrnehmung als Inbegriff des Sich-Zeigen-lassens dessen, was ›es‹ zu hören oder zu sehen gibt. Zumal die ästhetische Wahrnehmung weiß: ›es gibt‹ nur zu sehen, nur zu hören, und widersetzt sich jeglichem darüber hinaus gehenden Anspruch, ihrerseits noch etwas ›sagen‹, ›aussagen‹, ›zu verstehen geben‹ und ›bedeuten‹ zu sollen. Jedes Reden von ästhetischem Sehen und Hören muss diese absolute Kränkung hinnehmen. Und doch kann und muss man von beidem sprechen.45 Wie Sicht- und Hörbares, Klänge und Bilder, Musik und Malerei möglicherweise interferieren ‒ wenn denen Recht zu geben ist, die das ungeachtet der Lobredner auf reines Sehen und reines Hören suggerieren ‒, davon kann man nur reden und darüber kann man nur schreiben. Dabei erweist es sich als unvermeidlich, sich über formale Parallelen und Analogien hinaus weit auf die offene See einer Metaphorik zu begeben, die Bildliches quasi-musikalisch und Musikalisches quasi bildlich zu verstehen nahe legt, ohne dabei je sinnkritisch die Bedingungen eines derartigen, gewissermaßen überkreuzten Transfers zu klären. Deshalb verlangt diese Metaphorik nach einer ikonologisch-kritischen Revision, deren Durchführbarkeit allerdings bis heute rückhaltlos problematisch erscheint.46 Abgesehen von dem offenen Problem, wie es um die effektiven Aussichten einer solchen Revision bestellt ist, möchte ich mich im Folgenden auf die Frage beschränken, warum wir überhaupt Anlass dazu haben, Hör- und Sichtbares, Klang und Bild, Musik und Malerei gewissermaßen überkreuzt zueinander ins Verhältnis zu setzen und wie diese Überkreuzung ihrerseits zu denken wäre.
44 Sehen fängt erst da an, wo »alle Möglichkeit des Benennens und Konstatierens« aufhört, schrieb C. Fiedler, Schriften über Kunst, a.a.O., S. 190ff. So müsste es wohl auch aufhören, wo alles Anschauen, Benennen, Identifizieren und kritisches Urteilen anfängt. 45 Vgl. Jean Tardieu, Mein imaginäres Museum, Frankfurt am Main 1979, S. 14ff. 46 Vgl. die Bilanz bei Bernhard H. F. Taureck, Metaphern und Gleichnisse in der Philosophie. Versuch einer kritischen Ikonologie der Philosophie, Frankfurt am Main 2004.
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2. KLANGBILDER UND BILDKLÄNGE Wollte man auflisten, wie die klassische Musik vor allem seit der Romantik Bilder heraufzubeschwören versucht hat, käme man so schnell an kein Ende. In Fantasien, Romanzen und Nocturnes hat sie ihnen freien Lauf gelassen, wollte aber vielfach nicht darauf verzichten, sie gewissermaßen programmatisch an die Leine zu nehmen. Ludwig van Beethovens Klaviersonate op. 81a Les Adieux, l’absence et le retour ruft wirklich die Stimmungen des Abschieds, der Abwesenheit und des jubelnden Wiedersehens hervor und provoziert die inneren, entsprechend ›gestimmten‹ Bilder, denen man sich hingeben kann. Genauso weckt Frédéric Chopins so oft national-thanato-politisch missbrauchter Marche funèbre (2. Sonate, op. 35, 2. Satz) die getragene Trauer, Robert Schumanns Kinderscenen (op. 15) die Erinnerung an eine verlorene Welt der Naivität. Edvard Griegs Morgenstimmung lässt ›wirklich‹, im Imaginären, die Sonne aufgehen ‒ wie einst über der marokkanischen Wüste oder über dem norwegischen Jotunheimen (Erste Peer Gynt-Suite, op. 46); mit Claude Debussys Prélude namens Voiles (1ère livre, Nr. II) assoziieren wir leichthin im Nebel verwehte Schleier, mit Des pas sur la neige (Nr. VIII) leichte Schritte und Spuren im Schnee, mit La cathédrale engloutie (Nr. X) ein stilles, tiefes und klares Wasser, durch das noch die unversehrten Türme der versunkenen Kirche zu sehen sein sollten; mit La terrasse des audiences du clair de lune (Préludes, 2e livre, Nr. VII) mediterranes Mondlicht über einer dunklen, ruhigen Landschaft. Eric Saties Sevère réprimande ruft Bilder des gestrengen Tadels genauso erfolgreich hervor wie sein Seul a la maison Imaginationen kindlicher Einsamkeit; Peter Tschaikowskis Jugend-Album (op. 39) spielt auf dem Register kindlichen Mitleids mit der kranken Puppe genauso, wie Leoš Janáčeks Auf verwachsenem Pfade Bilder eines kaum mehr betretenen Hohlwegs hervorruft; und Gustav Holsts Saturn aus der Orchestersuite The Planets macht das erst ferne, dann gefährlich nahe Vorbeiziehen dieses riesigen Sonnentrabanten genauso vorstellbar wie Maurice Ravels Jeux d’eau die eigentümliche Freiheit dieses Elementes. Dabei will uns Debussy so wenig an die konkrete Stadt Ys erinnern, die einer bretonischen Legende zufolge mitsamt ihrer Kathedrale in den Fluten untergegangen sein soll, wie Modest Mussorgsky, Nikolay Rimsky-Korsakov oder Maurice Ravel an Kiew, wo das Große Tor steht, Finale des Zyklusses Bilder einer Ausstellung (1886) mit seinem mindestens dreideutigen Titel. (Handelt es sich nicht um musikalische ›Bilder‹ von Gemälden, die ihrerseits unsere Imagination auf den Plan rufen?) Mussorgsky mag tatsächlich von einer Kunstausstellung, nämlich von realen Bildern Viktor Hartmanns, ausgegangen sein47; doch seine Musik 47 Mussorgskis Komposition wurde offenbar durch die im Jahre 1874 in der Akademie der Künste in Sankt Petersburg veranstaltete Gedächtnisausstellung für seinen ein Jahr
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konnte diese so wenig wie irgendeine andere ›Programmmusik‹ ein anderes Thema bildlich gleichsam in Hörbares übersetzen. Vielmehr evoziert sie imaginäre Bilder einer imaginären Ausstellung, beschreibt sie tonmalerisch-narrativ und entfesselt so die Fantasie, die sich, inspiriert von den Klangfarben der musikalischen Bilder des Ochsenkarrens, des alten Schlosses und der Hütte der Baba-Yaga, ihre eigenen, allenfalls indirekt zu kommunizierenden inneren Bilder macht.48 Nicht wesentlich anders verhält es sich mit Igor Strawinskis Balletten Der Feuervogel, Petroushka und Le Sacre du Printemps. Letzteres gemahnt allerdings nicht nur an eine tief im kollektiven Gedächtnis verankerte archaische Opferszene, sondern lässt an der Schwelle zum Ersten Weltkrieg, bereits bedrohlich-prophetisch das kommende, bildlich kaum mehr darstellbare Schicksal von Hekatomben von Opfern (victims) vorausahnen, die als sacrificium schlechterdings nicht mehr zu deuten waren.49 So weit, so konventionell. Man sieht Bilder, man transformiert sie kompositorisch, verdichtet sie und macht sie hörbar in der Form von Klangbildern, die imaginative Nachbilder hervorrufen, welche sich im Reich der Fantasie niemals an die Kette von Vorbildern legen lassen. (Keineswegs »hat man an die Bilder von [François] Boucher zu denken«, wenn man Maurice Ravels Ma mére l’Oye lauscht; und ebenso wenig »bei der türkischen Musik Mozarts etwa an die ›Persischen Briefe‹« Montesquieus, wie Vladimir Jankélevitch meint.50) Der Preis einer solchen Beschreibung sind unvermeidlich Äquivokationen bzw. Aufspaltungen des Bildbegriffs, der seinerseits metaphorisch funktioniert. »›Bild‹ ist, wie gern übersehen wird, selbst eine Metapher«51. Das reale Vorbild, wie es Mussorgsky vor Augen gehabt haben mag, um sich ein imaginäres, schließlich kompositorisches Bild von ihm zu machen, geht in rätselhafter Art und Weise im komponierten Bild auf, das wiederum hörbar wird, wie es ein bloß sichtbares Bild niemals werden kann. Das hörbare Bild geht seinerseits in eine imaginäre Bildlichkeit ein, die weder im engeren Sinne sichtbar noch hörbar sein kann. Dabei arbeitet die Beschreibung der Übergänge vom realen zum ästhetisch materialisierten, schließlich hör- oder sichtbaren und endlich imaginären Bild ihrerseits mit Bildern. So entstammt letzteres nach gängiger Auffassung der Einbildung(zuvor verstorbenen Freund Viktor Hartmann angeregt. Nur zu drei Sätzen sind Bildvorlagen nachweisbar. Viele Bilder des Künstlers sind verschollen. 48 So hat Wassili Kandinsky Bilder zu Mussorgskys musikalischen Bildern entworfen. 49 Vgl. Herfried Münkler, Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 60–61, 70, 83; ders., Der grosse Krieg. Die Welt 1914–1918, Reinbek 2015, S. 208, 225, 227, 467. 50 Vladimir Jankélévitch, Ravel, Reinbek 1980, S. 101. 51 Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 101.
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skraft), wobei dieser Begriff den Prozess der Hervorbringung eines imaginären Bildes wiederum als einen bildlichen bzw. bildgebenden aufzufassen nahe legt.52 Es nimmt nicht wunder, dass man sich auch zwischen verschiedenen Bildtypen nur metaphorisch bildliche Relationen vorstellen konnte. Diese erschöpfen sich allerdings keineswegs darin, Bilder als oder wie Klänge zu ›sehen‹ oder umgekehrt Musik quasi bildlich aufzufassen. Nicht selten liefen sie darauf hinaus, dass Malerei Musik wird und dass Musik malt. In diesem Falle wäre »Musik […] sichtbar geworden«; im ersten Fall wäre es gerechtfertigt, nicht nur metaphorisch von »tönendem Licht« zu sprechen.53 Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass meist ein vorsichtiges ›als‹, ›wie‹ oder ›quasi‹ zwischen Musik und Malerei mit zu denken ist, was auf metaphorische oder gleichnishafte Interpretationsspielräume hinweist, die voraussetzen, dass dasjenige, was metaphorisch in Beziehung gesetzt oder einem Vergleich unterzogen wird, nicht gleich ist. Viel weiter geht eine »assoziative Gleichsetzung von Malerei und Musik«54, wie sie schon in der Romantik (bei Wilhelm H. Wackenroder, Ludwig Tieck, Otto P. Runge und Novalis) anzutreffen war, als Alexander Wallace Rimington um 1800 die chromatische Orgel erdachte.55 Ein dreiviertel Jahrhundert zuvor hatte bereits Louis-Bertrand Castel ein Farbklavier bzw. eine »Augenorgel« entworfen, wie es Georg Philipp Telemann 1739 nannte. Ein derartiges Lichtinstrument sah tatsächlich Alexander Skrjabin (1872‒1915) vor, der 1910/11 eine eigene, geteilte Luce-Stimme für seine sinfonische Dichtung Promethée. Poème du feu (op. 60) komponierte.56 Von ihm sagt man (ohne darüber sehr viel zu wissen57), er habe als Synästhetiker vermutlich die erste Lightshow der Welt komponiert. Bei der Uraufführung dieses Werkes für Chor, Orchester und Farbklavier im Jahre 1915 in New York wurde ein stummes clavier à lumière verwandt.58 Für Skrjabin hatten Assoziationen von Farblichem und Klanglichem wie 52 Vgl. das Interview mit Ricœur in: Peter Engelmann (Hg.), Philosophien, Wien 1985, S. 142–155, hier: 143–148. 53 Vgl. die entsprechenden Hinweise bei Gruß, Synästhesie als Diskurs, a.a.O., S. 137, 141. 54 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 176 (Hervorhebung B. L.). 55 Vgl. Jörg Jewanski, »Von der Farbe-Ton-Beziehung zur Farblichtmusik«, in: ders./Sidler (Hg.), Farbe ‒ Licht ‒ Musik, a.a.O., S. 131–210, hier: 171ff. 56 Vgl. Leonid Sabanejew, »Prometheus von Skrjabin«, in: Wassili Kandinsky/Franz Marc (Hg.), Der Blaue Reiter [1912], München/Zürich 51986, S. 107–125; Hans H. Stuckenschmidt, Twentieth Century Music, New York/Toronto 1979, S. 17ff. 57 Siehe die Skepsis bei Gruß, Synästhesie als Diskurs, a.a.O., S. 161, 163, 222–223, 363. 58 Zum Hintergrund vgl. online: http://contrapunkt-online.net/alexander-skrjabin-undseine-mystische-farbenkunst/ (abgerufen: 02.02.2018).
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in Titeln seiner Klaviersonaten op. 7 und op. 9 (»Weiße Messe« und »Schwarze Messe«), in der Rede von »gelbem Klang« ‒ das ist der Titel einer Bühnenkomposition von Wassily Kandinsky aus dem Jahre 1912 ‒ oder von »Silbermelodie« und »schwarzen Takten«, die man später bei Ernst Wilhelm Nay antrifft, vermutlich nicht nur (oder primär) metaphorische Bedeutung.59 Skrjabin war, wie manche behaupten, ›wirklich‹ ein Musikmaler und malender Komponist, bei dem sich Klangliches und Bildliches wohl unterscheiden ließ, aber zutiefst synästhetisch verbunden blieb. So hat Skrjabin, heißt es, mit dem »ewigen Vergleich farbiger mit musikalischen Klängen ernst gemacht« ‒ wie auch der ebenfalls synästhetisch veranlagte Litauer Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875‒1911), auf den Haftmann diese Worte münzt. Čiurlionis habe »Musik gemalt«, heißt es. 60 Viel häufiger als ein derart weites Vordringen des Malerischen in die musikalische aisthesis, Komposition und Aufführung selbst ‒ bis hin zu einer gegenseitigen Durchdringung, wo sich Bilder und Klänge nicht nur gegenseitig hervorrufen, sondern sich auch miteinander vermischen in synästhetischer Promiskuität ‒ ist die bloße, durch ein ›wie‹ oder ›als (ob)‹ angezeigte Analogie in der Deutung von Farblichem als quasi Musikalischem (vice versa), ohne dass damit im Geringsten eine synästhetische Assoziation oder gar Fusion gemeint sein muss.61 In der ästhetischen Wahrnehmung offenbarten sich Cézanne »Wesen, […] die mit der Sonne in die Seele ein[ziehen], ohne daß es eine Scheidewand gibt zwischen ihnen und dem Licht, ohne Zeichnung, ohne Abstraktion, ganz in Farben. Und eines Tages werden dieselben Dinge wieder sichtbar, aber unbegreiflich, eingehüllt in einen zarten Glanz. Ganz glücklich, als ob sie eine geheimnisvolle Musik
59 Vgl. Charles S. Myers, »Zwei Fälle von Synästhesie« [1914/5], in: Alexander Skrjabin, Briefe. Mit zeitgenössischen Dokumenten, Leipzig 1988, S. 384–388. 60 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 174–175. Statt diese Innovation zu würdigen, stuft Hans Sedlmayr Skrjabin mit W. Iwanow nur als pathologisches Beispiel für den der nachklassischen Kunst der Moderne zur Last gelegten »Auszug aus dem Reich des Humanismus« ein, der nur noch zersprengte »Nomaden des Schönen« und die sattsam bekannten bzw. denunzierten »heimat- und bodenlosen Kosmopoliten« zurückgelassen habe; Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Berlin 1955, S. 33, 119. Wenige Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs kann dieser Autor in der Zerrissenheit moderner Kunst nichts ›Positives‹, kein Sichtbarmachen existenzieller Dramatik etwa erkennen, nur eine verfehlte »Überwindung der Erdgebundenheit« des Menschen bzw. eine »Verlassenheit« von der Erde; ebd., S. 83, 88, 92. 61 Vgl. Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, a.a.O., S. 77, zu Kandinsky.
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geatmet hätten«62. So gedachte er offenbar, die ›geatmete Musik‹ dieser Wesen ›sichtbar‹ zu machen. Wie sollte das gelingen, wenn nicht durch einen seinerseits quasi-musikalischen Prozess des Malens, der ein quasi-musikalisches Ergebnis und eine quasi-musikalische Wirkung hervorzubringen versprechen müsste? Um den Prozess, das Ergebnis und die Wirkung zu charakterisieren, wird man nicht müde, musikalische Metaphern zu bemühen: Metaphern der psychischen Resonanz als eines Anklingens, der Rhythmik, des (farblichen) Tons, der Klangdichte, des Zusammenklangs der Farbelemente durch Akkordierung und Orchestrierung, ihrer Komposition und Harmonie. Gewiss: Einige dieser Metaphern konnten sich weitgehend vom Musikalischen bzw. Klanglichen lösen und schließlich auch in der Architektur (als einer »verstummten Tonkunst«63) Verwendung finden, wo sie praktisch keine Spur einer anderen Herkunft mehr verraten. Auch Gebäude können rhythmisch arrangiert und kompositorisch orchestriert werden. In der Malerei jedoch scheint man gerade auf die Assoziation mit der Musik besonderen Wert zu legen. Warum spräche man sonst ‒ abgesehen von formalen Charakterisierungen von Rhythmen, Kontrasten, Harmonien, Intensitäten, Helligkeit, Volumen, Dichte und Rauhigkeit64 etc. ‒ ausdrücklich von einer »Musikalisierung der Malerei«65, von einer »Musik der Farben« oder vom »orphischen Singen« gewisser Bilder, wie es Guillaume Apollinaire 1912 aus »Klängen farbiger Formen« hatte heraushören wollen?66 Warum verkündete Paul Gauguin, nunmehr trete die Malerei »in ihre musikalische Phase«67 ein ‒ worin ihm offenbar manche wie Kandinsky und Adolf Hoelzel folgen wollten, andere freilich nicht? Sollte fortan der Künstler mit der Skala seiner Farben spielen »wie der Komponist bei der Orchestrierung einer Symphonie«? Oder sollte er »dem Musiker gleich werden, der die sieben [!] Noten der Tonleiter variiert, um die Melodie zu erzeugen«68? Oder sollte er seine Farben auswählen, »um der musikalischen Wirkungen willen«69 ‒ sei es im Sinne einer »menuetthaften Musikalität«, sei es einer Fuge (woran offenbar Lyonel 62 Cézanne, Über die Kunst, a.a.O., S. 41. 63 Haftmann, »Das Musikalische in der Malerei«, a.a.O., S. 103. 64 Bei Heinz Werner stehen die letzten fünf Begriffe für intersensorische Attribute, die jedem der menschlichen Sinne zugesprochen werden können. 65 Haftmann, »Das Musikalische in der Malerei«, a.a.O., S. 88. Im Folgenden führt der Autor die fragliche Musikalisierung auf das ›romantische‹ Moment der Malerei zurück (S. 90). 66 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 66, 181, 453. 67 Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 2 [1965], München 31980, S. 147. 68 Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, a.a.O., S. 22–23 (Hervorhebungen B.L.). 69 Ebd., S. 30.
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Feininger dachte70), einer »reinen Kantilene«, wie sie Haftmann bei Paul Klee zu vernehmen meinte, oder »grüner Trauer«-Musik, wie sie Vladimir Jankélévitch bei Claude Debussy wahrnahm?71 Was für eine wilde Vegetation poetischer Überkreuzungen von Farblichem und Klanglichem, Bildlichem und Musikalischem, Malerei und Musik ‒ teils semantisch innovativ und insofern lebendig wie der »sonore Zauber« angesichts von Emile Noldes Bildern chthonisch-mythischer Wesen, teils hinkend wie in der Rede von einer »Klaviatur farbiger Streifen«, teils auch stereotyp wie in der Begeisterung über »Symphonien aus Farben«72, in die auch Besucher niederländischer, quasi militärisch arrangierter Tulpenbeete ausbrechen. Noldes Mühle (1924), sein Schwüler Abend (1930) und sein Bild Fremde Menschen (1946) ›klingen‹ demnach erdhaft dunkel; Klees Farb-Klaviatur legt Gedanken an eine serielle Kombinatorik nahe, die das statische Bild doch niemals so realisieren kann wie ein diachrones Musikstück; und die Parallelisierung von Farblichkeit und polyphoner Symphonik erschöpft sich schließlich in einer vagen Andeutung von Vielfalt… In jedem Fall, möchte man meinen, ›hinken‹ die Vergleiche ‒ vorausgesetzt, es soll sich um solche handeln. Dass sie hinken, würde sich sofort zeigen, wollte man versuchen, sie ›beim Wort zu nehmen‹. Dunkle Farben erzeugen normalerweise keine tiefen Bässe. Niemals kann der Künstler so mit seiner Farbpalette spielen wie ein Pianist mit seiner Klaviatur. Niemals dürfte sich eine Symphonie in bloß bunter Vielfalt erschöpfen, wie sie Touristen selbst angesichts ›unmöglichster‹ Farbkombinationen entzücken lässt. Doch solches Hinken ist keiner Metapher zum Vorwurf zu machen, wenn es stimmt, was Bernhard Taureck unmissverständlich feststellt: »Wir kennen […] keine Normen für das Gelingen von Bildern. Katachresen wie ›Dies schlägt dem Fass den Boden ins Gesicht‹ beurteilen wir zwar als verfehlt, doch wir wissen nicht, nach welchen Normen Verschiedenes mit Verschiedenem zu verbinden sei. Mit Hilfe einer Metapher, von der wir unterstellen, dass von ihr nicht gilt, was sie aussagt verständigen wir uns alltagssprachlich über die Unmöglichkeit der Verbindung von Verschiedenem: ›Jeder Vergleich hinkt.‹«73
70 Vgl. Johannes Langner, Lyonel Feininger. Segelschiffe. Einführung, Stuttgart 1962, S. 7, 12. Hier wird die Kunst der Fuge zunächst zum bloß analogen Vorbild; dann aber soll sie der Maler in »klingende Transparenz« umgemünzt haben. 71 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 252, 295, 297; Jankélévitch, Ravel, a.a.O., S. 20. 72 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 105, 301, 154, 160, 398. 73 Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 73.
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Wenn das zutrifft, haben wir offenbar allenfalls noch die Wahl zwischen ironischerweise mehr oder weniger gutem bzw. gelingendem ›Hinken‹. Bewegen wir uns nicht auf der Ebene synästhetischer Verknüpfungen von Sichtbarem und Hörbarem, Bildern und Klängen, Musik und Malerei, sondern auf der Ebene von Analogien, Gleichnissen und überkreuzten Metaphorisierungen, so kann es demnach nicht in Frage kommen, diese einfach als sachfremd, unangemessen oder deplatziert zurückzuweisen ‒ ob nun mit Blick auf künstlerische Prozesse, auf Werke, die aus ihnen hervorgehen, oder deren ästhetische Wirkungen. Ebenso wenig wäre aber auch an eine Überwindung der in Analogien, Gleichnissen und überkreuzten Metaphorisierungen allemal bereits vorausgesetzten Differenzierung des Analogisierten, des Verglichenen und Übertragenen zu denken. Wenn es Nay gelungen sein sollte, die »ewige Metapher von der ›Musik der Farben‹ […] konkret [zu] verwirklich[en]«74, und wenn es Skrjabin gelungen sein sollte, die Farblichkeit seiner Musik herauszuarbeiten, so kann das doch in beiden Fällen nicht bedeuten, dass Musik und Malerei, Sicht- und Hörbares, Bilder und Klänge zur Deckung kommen ‒ was offenbar auf deren Entdifferenzierung bzw. Nivellierung hinauszulaufen drohte. Aus einer enthusiastischen Poetik, die Kunst nur durch musikalische Sprache und Musik nur in verbalen Registern der Malerei glaubt loben zu können und sich dabei selbst feiert, zu schließen, man habe es damit zu tun, dass Musik ›wirklich‹ Malerei und letztere umgekehrt ›wirklich‹ Musik werden kann, würde auf einen ikonologischen Fehlschluss hinauslaufen, der aus sprachlichen Bildern nicht-bildhafte Bedeutungen ableitet75 und dabei das für Analogien, Gleichnisse und Metaphern unentbehrliche ›als‹ oder ›wie‹ im Verständnis von etwas als etwas und im Vergleich mit etwas anderem zum Verschwinden bringt. Möglicherweise fruchtbar bleiben sprachlich gewissermaßen überkreuzte Beziehungen zwischen Sicht- und Hörbarem, Bildern und Klängen, Musik und Malerei nur solange, wie dies nicht geschieht. Diese Beziehungen werden möglicherweise inspirierend deutbar, wenn eine delimitierte chiasmatische Metaphorik vom Einen aufs jeweils Andere gleichsam übergreift, aber sie werden am Ende auch ruiniert, wenn dabei die ikonologische Differenz selbst zum Verschwinden gebracht wird, die sie eigentlich zum Vorschein bringen sollte. Will man die Frage nach synästhetischen Zusammenhängen, metaphorischen Interferenzen und chiasmatischen Übergriffen von Sichtbarem auf Hörbares (vice versa), von Bildlichem auf Klangliches (vice versa), von Malerei auf Musik (vice versa) nicht vollkommen verwirren, erscheint es deshalb als ratsam, sich noch einmal darauf zu besinnen, was die Sprache im Modus des Redens und Schreibens über diese Verhältnisse als ›Drittes‹, ›Vermittelndes‹ überhaupt vermag. 74 Wie Haftmann meint (vgl. Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 505). 75 Vgl. Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 208.
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3. Z UR METAPHORISCHEN DEUTUNG BILDLICHER REDE Von Anfang an erweist sich philosophische Besinnung auf das, was Sprache vermag, eigentümlich irritiert von bildlicher Rede. Aristoteles begnügte sich damit, die Philosophie auf möglichst unzweideutige Aussagen und auf logisches Schlussfolgern zu verpflichten, die bildliche Rede in Anbetracht ihrer notorischen Vieldeutigkeit aber gleichsam in ein Reservat zu verweisen, in dem sich poetische Freiheit mit eigenem Recht entfalten und austoben darf. So wurde Poesie davor bewahrt, sich in destruktiver Weise an epistemischen Konzepten messen lassen zu müssen; so gewann sie ein eigenes, unangefochtenes Spielfeld, von dem für die Philosophie keine Gefahr mehr auszugehen schien; und so wurde sie schließlich als zu sich selbst gekommene, scheinbar befreite, gleich wieder gefangen genommen. Außerhalb ihres Spielfeldes hat sie nichts zu suchen; insbesondere in der aufs Aussagen und Schlussfolgern beschränkten Philosophie nicht, denn alles, was metaphorisch gesagt wird, ist Aristoteles zufolge unklar, undeutlich, ungewiss und zweifelhaft.76 Dieser Einzäunung der Metapher im Feld des Poetischen steht die Tendenz entgegen, ihr den gesamten Sprachgebrauch zu überlassen bzw. zu behaupten, es sei unmöglich, ihn wenigstens in bestimmten Teilbereichen völlig vom Metaphorischen zu reinigen. Von Xenophanes, der als erster auf den Anthropomorphismus bestimmter Götterbilder hinwies und bereits nahe legte, dass wir die Bildlichkeit niemals abzustreifen vermögen, über Plotin, der von Gott vorsichtig ›gleichsam‹ (hoîon) spricht, und Thomas von Aquin bis hin zu Johann Georg Hamann und Friedrich Nietzsche schließlich setzt sich der Verdacht durch, die gesamte Semantik sei durch und durch metaphorisch und infolge dessen entweder von jeglicher nicht-bildlichen Wahrheit und von ametaphorischem Verifikationismus ausgeschlossen, wie es schon das Platonische Höhlengleichnis nahe legte77, oder aber »die Wahrheit selbst« sei »unter die Menschen / getreten / mitten ins / Metapherngestöber«78, wie es in Paul Celans Atemwende heißt. Angesichts dieser Ausgangslage hat Bernhard Taureck zu bedenken gegeben, ob man nicht auf dem Weg einer kritischen Ikonologie zu eruieren versuchen muss, was bildliche Rede leistet, leisten kann und sollte bzw. wo sie ihre Spielräume überreizt, überzieht oder gar ruiniert. Dabei muss es seines Erachtens vor 76 Vgl. Aristoteles, Topik, VI.2, 139b 33; Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 53. 77 Zum Vorangegangenen vgl. Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 280–281, 253, 53–56, 346. 78 Paul Celan, Atemwende, Frankfurt am Main 1967, S. 85.
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allem um eine Untersuchung des Bildgebrauchs gehen. Als poetisch ist dieser einzustufen, wenn er Verschiedenes auf ›unmögliche‹ Art und Weise miteinander verbindet und so »die Nicht-Möglichkeit der Verbindung des Verschiedenen negiert«79. Das tut er unvermeidlich in Unkenntnis der Bedingungen, unter denen das geschehen kann. Er gebraucht einfach Bilder, ohne sich dabei darauf zu besinnen, ob und wie sie ›passen‹, wie ihr Gebrauch gelingen und überzeugen kann. In dieser auf den ersten Blick misslichen Lage sind wir allerdings nolens volens, wenn es denn stimmt, dass keine objektiven Kriterien für den angemessenen, richtigen oder fruchtbaren Gebrauch von Metaphern in Aussicht sind. Keine Metapher und kein Gleichnis, das sich als solches explizit zu erkennen gibt (x ist ›gleichsam als‹ y zu sehen, zu verstehen, zu begreifen…), kann die »Wirklichkeit sichern«, die es zur Sprache bringt. Beide, Metapher und Gleichnis, »distanzier[en] uns […] von unserer Übereinstimmung mit dem, was wirklich der Fall ist. Allgemeiner: das Bild, mit dessen Hilfe wir Übereinstimmung zwischen Rede und Welt herstellen könnten, stellt sich zugleich wieder zwischen beide«80. Dennoch kann poetische Rede mit »ontologischer Vehemenz«81, wie Paul Ricœur sagen würde, auf eine »Kongruenz von Sagen und Sein« abzielen, »und dies am Ende gar in dem Sinn, […], dass es Dichtung ist, die überhaupt erst Wirklichkeit konstituiert‹«82. Liefe das nicht darauf hinaus, Herders Vermutung zu bestätigen, dass »unser ganzes Leben« von Anfang an »gewissermaßen eine Poetik [ist]«83? In diesem Fall würde sich das Poetische als tief in unseren Weltverhältnissen verwurzelt erweisen und bereits dort ansetzen, wo sich originäres Sich-Zeigen abspielt, dem ursprünglich jegliche eindeutige und klare Differenzierung von Sehen und Hören abgeht. So können Sehen und Hören von Anfang an ineinander übergehen, miteinander interferieren und gewissermaßen überkreuzte Deutungen des Sehens als einer Art Hören und des Hörens als einer Art Sehen nahe legen. Genau das geschieht auch in ästhetischen und theoretischen Interpretationen dessen, was Musiker und Maler eigentlich tun. Diese Interpretationen bedienen sich ihrerseits einer Poetizität der Rede, die Bilder ›in höchsten Tönen‹ lobt und Musik ›in den schönsten Farben‹ feiert, ohne uns aber je davon überzeugen zu können,
79 Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 74. 80 Ebd., S. 282. 81 Paul Ricœur, La Métaphore vive, Paris 1975, S. 313, 379; ders., »Philosophie et langage«, in: Revue Philosophique, 4 (1978), S. 449–463, hier: 458–459. 82 Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 21. 83 Johann G. Herder, »Über Bild, Dichtung und Fabel« [1786], in: ders., Werke in zehn Bänden, Bd. 4, Frankfurt am Main 1994, S. 631–677, hier: 635. Offen bleibt hier, wie sich das Poetische zum eingangs betonten Sichzeigen verhält.
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derartige Chiasmen von Sicht- und Hörbarem, Sehen und Hören, Bildern und Klängen, Musik und Malerei könnten dahin führen, deren Differenzen zu tilgen.84 Die Frage, ob die Poetizität solcher Rede unmittelbar enthüllen kann, was menschliche Wirklichkeit oder das In-der-Welt-sein selbst ›ursprünglich‹ ‒ oder vielmehr gerade unter kontingenten historischen Bedingungen auf neue Weise ‒ ausmacht, statt nur einem nicht-philosophischen Reservat wahrheitsindifferenter Bildlichkeit überlassen zu bleiben, versucht ein philosophischer Gebrauch von Metaphern und Gleichnissen gerade nicht direkt zu beantworten.85 Taureck zufolge zeigt das deren reflexive Verwendung an. Während sich im poetischen Bildgebrauch in der Mitteilung der Bilder nicht auch schon deren Bildstatus mitteilt (sodass es den Anschein haben kann, als könnten Musik und Malerei ohne Weiteres in einander übergehen), geschieht genau das in einem philosophisch-reflexiven Sprachmodus. In beiden Fällen aber kommt es durch Metaphern und Gleichnisse zu einer nicht-folgernden, epistemisch unmöglichen Verbindung von Verschiedenem und infolge dessen zur Erzeugung von Fremdheit durch sprachliche Aneignung.86 Die Rede ist auch von einem »entgrenzenden Hindurchstoßen zu einem Andersartigen«87, das sich in der sprachlichen Aneignung ihr zugleich widersetzt, sodass es gerade als fremd Bleibendes zum Vorschein kommt. Genau so könnte man auch chiasmatische, ›sprachlich vermittelte‹ Verhältnisse zwischen Sichtund Hörbarem, Bildlichem und Klanglichem, Malerei und Musik verstehen. Allerdings kommt fremd Bleibendes nicht ein für allemal zum Vorschein. Durch Wiederholung und Proliferation nutzt sich die poetische Kraft originärer Metaphern und Gleichnisse ab, sie wird fade und ausdrucksarm, bis sie schließlich ganz erlahmt und stirbt. Zum Tod der Metapher kommt es ironischerweise umso eher, wie sie ›Erfolg‹ hat, um sich in gedankenlosem Gebrauch zu erschöpfen, der sie schließlich gar nicht mehr als solche erkennt. Wer eine Metapher in Um84 Deshalb spricht Ricœur auch von einem »paradoxe indépassable« im Herzen metaphorischer Wahrheit. Es liegt darin, »d’inclure la pointe critique du ›n’est pas‹ (littéralement) dans la véhémence ontologique du ›est‹ (métaphoriquement)«; Ricœur, La Métaphore vive, a.a.O., S. 235. 85 Haftmann lehnt sich an Heideggers Rede vom In-der-Welt-Sein mehrfach an (vgl. Verfemte Kunst, a.a.O., S. 17); jedoch so, dass gerade kein geschichtlich unanfechtbares Existenzial dabei herausspringt. Das zeigt sich, wo es darum geht, wie die Wissenschaften der Moderne, allen voran die Physik, und die geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts den »Wirklichkeitsgrund« ästhetischer Lebensformen tangiert haben, die sich, wie dieser Autor glaubt, so weit abseits des Politischen halten sollten, wie nur eben möglich (Der Mensch und seine Bilder, a.a.O., S. 10, 79, 256ff.). 86 Vgl. Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 42, 45, 187. 87 Ebd., S. 27.
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lauf setzt, riskiert unvermeidlich, dass andere sie sich zu eigen machen, dass sie Erfolg hat, mehr und mehr gebraucht, variiert und recycelt wird, bis sie endlich nichts mehr sagt und dringend nach semantischer Innovation verlangt, für die das sprachliche Bild allein aus eigener Kraft allerdings nicht sorgen kann. Wehrlos muss es hinnehmen, x-fach gebraucht, wiederholt, abgeschwächt, verdünnt und sogar mit prima facie inkompatiblen Bildern vermischt zu werden. Sie »interagieren« förmlich in einer nicht zu kontrollierenden Promiskuität. Taureck spricht von einer »Interimaginität ohne Regeln«88, die nirgends klare oder unverrückbare Grenzen zwischen Metapherngebrauch und -missbrauch erkennen lässt.89 Wie, wenn nicht konventionell, kontingent oder arbiträr, soll man bestimmen, wo angesichts derartiger Anarchie Grenzen liegen? Auch forciertes Grenzenziehen sichert freilich nicht das Gelingen von Bildern bzw. der Bildverwendung. Das liegt wesentlich an ihrer Produktivität. Sie bzw. diejenigen, die sie gebrauchen, öffnen sich auf eine befremdliche Alterität hin, die irritiert (wie in der Rede von »blauer« oder »grüner Trauer« [Maeterlinck; Debussy]) und zugleich fasziniert. Angesichts dieser Alterität werden sie nicht einfach als ›unklar‹, ›vieldeutig‹, ›zweifelhaft‹ und letztlich jeglicher vernünftigen Aussagbarkeit entzogen entwertet und abgetan oder einem Sonderbereich anormalen Redens zugewiesen; im Gegenteil: mehr oder weniger irritiert und inspiriert begreift man poetische Bilder als Öffner auf irreguläre, stets nur im Nachhinein normalisierbare sprachliche Spielräume hin; sei es auch nur, um der absoluten Fadheit eines bloß prosaischen Redens, Aussagens und Schlussfolgerns zu entgehen, ohne definitiv zu wissen, was poetische Rede überhaupt leisten kann. Gewiss keine Kongruenz von Referenz und Sache, insistiert Taureck, allenfalls von Ausdruck und Sache.90 Solche Kongruenz verbürgt aber keine ›definitive‹ Wirklichkeit und Gelingen in diesem Sinne. Metaphern und Gleichnisse kann man nicht verwenden, ohne zugleich eine »Infinition«, d. h. eine »unbestimmte Erweiterung« des bildlich zu Bestimmenden entweder zu beabsichtigen oder unfreiwillig in Kauf nehmen zu müssen. So findet im bildlichen Sprachgebrauch unvermeidlich eine paradoxe »Ent-Begrenzung« statt91, die einerseits etwas prädiziert (a ist ›wie‹ b; c ist ›als‹ d zu verstehen; e ist vergleichbar ›mit‹ f usw.), andererseits aber die eindeutige, klare, definitive… Bestimmbarkeit des fraglichen Bildes im gleichen Zug 88 Auch im Verhältnis zwischen Bildern und Begriffen werden Regeln vermisst; vgl. ebd., S. 207. 89 Ebd., S. 24, 33, 83. 90 Vgl. ebd., S. 78. Demgegenüber zielt jene »ontologische Vehemenz« bei Ricœur doch auf die Referenz ‒ immer mit Blick auf eine nur poetisch auszumalende Welt, »dans quoi il serait possible de vivre« (»Philosophie et langage«, a.a.O., S. 460). 91 Vgl. Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 160, 178, 413.
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gewissermaßen widerruft. Genau dadurch werden Interpretationsspielräume eröffnet.92 Nur so vermitteln Bilder Gegenstandsbezogenheit: indem sie den Schein durchkreuzen, Begriffe verfügten über ihn.93 Im Gegensatz zu Begriffen geben Bilder ihren Gegenstand demnach frei. Sie »geben Gegenstandsbezogenheit«, wie Taureck schreibt, indem sie ihren Gegenstand poetisch frei beschreiben und in diesem Sinne sein lassen. Ihn ›als‹ oder ›wie‹ etwas zur Sprache zu bringen, heißt im Grunde, sich rückhaltlos zur Kontingenz eines Anders-Verstehens, -deutens und -interpretierens bekennen zu müssen. Was überhaupt ›als‹ oder ›wie‹ etwas anderes zu verstehen, deuten und interpretieren ist, kann niemals mit diesem Anderen einfach zusammenfallen. Bildlich zu sagen: etwas (x) sei wie etwas anderes (y), bedeutet unvermeidlich, anerkennen zu müssen, dass y nicht einfach x sein kann. In diesem Sinne muss man zu dem Schluss kommen: Metaphorische »Inbesitznahme von Welt« ist, wenn überhaupt, möglich, ohne dem vermeintlich Angeeigneten auf diese Weise seine Fremdheit zu nehmen94; mehr noch: Sie kann notwendigerweise nur so erfolgen, dass es unmöglich ist, ihr ihre Fremdheit zu nehmen. Auch die Rede von Inbesitznahme ist allerdings eine Metapher, wenn auch eine ›tote‹, der man nur wieder Leben einhauchen kann, wenn man die Aufmerksamkeit darauf richtet, was sich der Inbesitznahme radikal entzieht.
4. PATHISCHE AISTHESIS AUSGESETZTEN LEBENS Moderne Philosophen haben auf diese Frage immer wieder ‒ implizit oder explizit ‒ eine Antwort gegeben: nichts entzieht sich. Wenn der Mensch tatsächlich unumschränkter maître et possesseur du monde ist, wie es in René Descartes’ Discours sur la méthode heißt, wenn er alles versteht, was er selbst gemacht hat, wie Gambattista Vico behauptete, und wenn sowohl die Natur als auch das von Menschen Gemachte im Modus einer indifferenten Wirklichkeit vorliegt, die als bloße res extensa, als an sich Seiendes oder objektives Sein von sich aus nichts gegen ihre Inbesitznahme auszurichten vermag, dann hat es mit allem Entzug ein Ende. Ironischerweise wird aber gerade dies ästhetisch als radikale Entfremdung und als Erfahrung des Sichselbstfremdwerdens gedeutet. Von Blaise Pascals Erschrecken angesichts des Schweigens der unendlichen Räume und Kants Ding(en) an sich über Nietzsches schiefe Ebene, auf der wir angeblich ins Nichts rollen, bis hin zu Heideggers indifferenter ›Vorhandenheit‹ reichen die Befunde und Klagen darüber, dass wir Menschen scheinbar nur noch mit Verobjektiviertem, Verding92 Vgl. ebd., S. 454. 93 Vgl. ebd., S. 468. 94 Vgl. ebd., S. 462.
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lichtem, mit nichts sagenden choses mortes, mit Gleichgültigem als »nicht mehr lesbarer« (Antonin Artaud) und jeglicher Metaphorisierung sich widersetzender Wirklichkeit zu tun haben.95 In diese Kerbe schlug auch Hans Sedlmayr mit seiner Diagnose eines »Verlusts der Mitte«, die schon Cézanne als tendenziell pathologischen Fall beschreibt, der den längst allgemein eingetretenen »Verlust der Einfühlung« in eine zur bloßen Wirklichkeit versachlichten Welt nicht mehr zu kompensieren vermöge. Spätestens seit dem herrsche die pure Verlassenheit ‒ von der Erde, der der Mensch doch ontologisch zugehöre; und zwar so, dass ihm daraus eigentlich »bindende« Aufträge erwachsen müssten.96 Schon bei Cézanne zeige sich ein Sichverschwenden an die Farbe in einem reinen Sehen, das »die Welt des Menschen unvermerkt« buchstäblich aus den Augen verliere.97 Infolge dessen erweise sich die Freiheit des ästhetischen Sehens (wie auch die des Hörens) gar nicht mehr verpflichtet auf eine maßgebende Wirklichkeit und laufe ständig Gefahr, auf keinen Widerstand mehr zu treffen, der ihr in ihrer Rückhaltlosigkeit noch einen gewissen Anhalt zu bieten verspräche98, sei es auch nur vermittels eines einsamen, vor Vermarktung sich in acht nehmenden Lebens in der Abgeschiedenheit. Dabei schien gerade Cézanne um diese Gefahr zu wissen und suchte ‒ wie er ausdrücklich bekannte: als »Primitiver meines eigenen Weges« ‒ die »Wahrheit der Malerei« als »Philosophie des Menschen«99. Die Richtung, die er mit diesen Worten weisen wollte, war die der rückhaltlosen ästhetischen Selbstexposition, des Nichtwissens ungeachtet einer »allzu reichen Vergangenheit, in einer mit Bedeutungen überladenen Welt«, die in ihrer ständigen Beschleunigung alles verschwinden zu lassen scheint. »Man muß sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet«.100 Bevor es dazu irreversibel kommt, wollte er sich zu einem neuartigen, vollkommenen Resonanzkörper ausbilden, um »sich die Natur in ihm«101 denken zu lassen. So sollte es weniger zu einer optischen Besitzergreifung von Sehdaten, als vielmehr dazu kommen, dass die Bilder sich im Künstler selbst bilden, um von ihm Besitz zu ergreifen, wie es Marc Chagall ausdrückte. Worum es dabei ging, war weniger ein ständiges Hin und Herr zwischen besitz95 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 2, a.a.O., S. 191. 96 Sedlmayr, Verlust der Mitte, a.a.O., S. 33, 92ff., 99, 88. 97 Vgl. ebd., S. 109. 98 In dieser Sicht könnte sich Jankélévitch in diesem Fall mit seiner Dekadenz-Diagnose bestätigt sehen, die er besonders an Skrjabins Klaviersonaten ausprobiert (»Austerität und Dekadenz«, a.a.O., S. 208–209, 216). 99 Cézanne, Über die Kunst, a.a.O., S. 18, 43, 69. 100 Ebd., S. 76, 101. 101 Ebd., S. 132.
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ergreifendem Subjekt und beherrschtem Objekt (das auch der Maler selbst sein konnte) als vielmehr »in ›selbstvergessener‹ Tätigkeit ein Antwortverhältnis zum Material zu gewinnen«102. Von diesem Antwortverhältnis ‒ von dieser ästhetischen Responsivität103 ‒ sagte John Marin mit Blick auf die moderne Stadt: »Ich kann den Klang dieser Auseinandersetzung hören und das ist eine großartige Musik«104. Das Wirkliche mag in der Moderne einer durchgreifenden ›Versachlichung‹ anheimgefallen sein, doch musste daraus keineswegs eine nur noch anti-klassische Kunst resultieren, die sich angeblich gleichgültig mit ihr abfindet und zur »Zerfetztheit allen Seins« bedingungslos ›ja‹ sagt.105 Gerade in der Versachlichung, die eine maßgebende Wirklichkeit und Normen nicht länger vorgeben kann, wird vielmehr der Resonanzkörper des Künstlers zum primären, vielleicht einzigen Medium, auf das man nun überhaupt erst wirklich aufmerksam wird. So wird für Theo van Gogh der menschliche Schmerz derart maßgeblich, dass man von einer geradezu vorbildlichen Tragik in seiner Antwort auf die existenzielle Bedrohung sprechen konnte, der er sich ausgesetzt sah. Hat dieses »exemplarische« Leben nicht »eine geheime Wirkkraft in der ganzen Lebenshaltung der Moderne«106 bewiesen? So kommen terribles passions humaines zum Vorschein, die den Menschen keineswegs nur verschwinden, sondern im Gegenteil aus der Negativität der ›nächtlichen Helle‹ dieser Leidenschaften von den »Wurzeln der Welt her« verwandelt wieder erstehen lassen sollten.107 Mitnichten verfolgt moderne Kunst auf diesem Weg nur das restaurative Projekt einer glücklichen Wiedereinhausung in der Welt. Ihre »Grundstimmung der Verlorenheit« kann und will sie vielfach nicht
102 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 289. 103 Haftmann spricht von »antwortender Sensibilität« und mit Johann W. Goethe von »antwortenden (Gegen-)Bildern« in diesem Sinne (Skizzenbuch, a.a.O., S. 118, 180) ‒ und hat dabei die Responsivität der Maler der Gegenwart selbst im Blick; vgl. Werner Haftmann, Verfemte Kunst. Bildende Künstler der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 1986, S. 14; ders., Paul Klee. Wege bildnerischen Denkens [1950], Hamburg/Frankfurt am Main 1961, S. 67. Ein neues ästhetisches Ding, heißt es hier, entsteht »als eine Antwortformel unseres Geistes auf den Anruf gewöhnlicher Dinge; psychologisch gesprochen, als Ausdrucksformel unseres Staunens«. Im Skizzenbuch gibt der Autor dieser Deutung allerdings eine sonderbare platonische Wendung (S. 180). Vgl. zum ›Anruf‹ Merleau-Ponty, Die Prosa der Welt, a.a.O., S. 87. 104 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 391. 105 Vgl. Sedlmayr, Verlust der Mitte, a.a.O., S. 102, 106. 106 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 26–27. 107 Vgl. ebd., S. 29, 39, 73, 94.
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leugnen.108 Sie führt vor Augen, wie der Tod »an der Erscheinung nagt«109 und beschwört wie Charles Baudelaire die »blutende«, mit André Masson und Cesare Pavese die »offene«, mit Wols die »ewige Wunde der Welt«110. Ob sie sich damit abfindet oder mit Georges Rouault in eine große, an Hiob gemahnende Klage einstimmt, ob sie so zu »jenem Schöpfungsgrund zurückzukommen« hofft, »aus dem ehemals das Lied des Orpheus stieg«, oder ob sie sich wie die peintres maudites ganz der Heimatlosigkeit überlässt111, stets zieht sie doch die Register eines sich als ›ausgesetzt‹ begreifenden Lebens. Stets geht es um das »in der modernen Seinsdeutung immer wiederkehrende[] Gleichnis vom Leben als des Ausgesetzten vor einem unbestimmten hohlen Fond« oder um eine Fabel »von der Unstabilität und dem Ausgesetzten alles Daseienden«.112 So gesehen manifestiert moderne Kunst ästhetisch die Erfahrung der Heimatlosigkeit, des Verstoßenseins, der Verloren- und Verlassenheit in einer »hoffnungslos verschlossenen Welt«113, deren Weltlichkeit keine Metaphysik und keine politisch absolut zuverlässige Struktur mehr verbürgt. Erst recht nicht nach dem europäischen Desaster der beiden Weltkriege. So weist das ästhetische »Pathos der Verlorenheit« in »geheimer Trauer« (wie bei Ottone Rosai und Amedeo Modigliani114) auf einen zwar von der Romantik geerbten, inzwischen aber politisch dramatisierten Bruch mit der Welt hin, der sich nicht mehr beheben lassen sollte.115 Vor diesem erklärtermaßen kierkegaardschen, mit Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre angereicherten Hintergrund versteht Haftmann die ästhetisch aktivierte Passion der Künstler als Mittel gegen die Angst, die dieser Bruch hervorrufen musste, aber auch als privilegiertes Medium der Exposition des Ausgesetztseins, die es sichtbar macht, statt es ›bewältigen‹ und ›aufheben‹ zu wollen. Als Ausgesetzte setzten sie sich aus, mittels ihrer Bilder, die den Betrachtern die gleiche Erfahrung zuspielen mussten, um sie zu sensibilisieren für die »Dunkelheit, in der sich Welt vor uns verbirgt«, wo sich das »Drama der Menschen« abspielt ‒ wenn es nach Picasso oder Malern wie Jackson 108 Vgl. ebd., S. 76, 153, 186, 204, 207, 209, 213, 329. 109 Vgl. ebd., S. 78, 321, 416, 424 zu Marc Chagall, Ben Shahn und Wols; zu letzterem Reißer/Wolf (Hg.), Kunst-Epochen. 20. Jahrhundert II, a.a.O., S. 43–44. 110 Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 343, 475; ders., Verfemte Kunst, a.a.O., S. 186; Skizzenbuch, a.a.O., S. 158; ders., Der Mensch und seine Bilder, a.a.O., S. 252. 111 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 97, 187, 327. 112 Vgl. ebd., S. 121, 441. 113 Ebd., S. 273. 114 Vgl. ebd., S. 262, 325. 115 Vgl. ebd., S. 192, 272, 285–286, 477.
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Pollock und Wols geht, die nichts »verächtlicher« erscheinen lassen, als diesen »riesige[n] Troß von heutigen Malern, die im Windschatten dieser tragischen Gestalten ihre ›informellen‹ Idyllen züchten«116. Im Gegensatz zu gefälliger Kunst, die das Auge nicht verletzen und den vergesellschafteten Geschmack nicht beleidigen soll, suchen diese ausgesetzten Menschen das Verletzende und gewinnen es schließlich selbst einem verkohlten Stück Holz »in seiner tragischen Versehrtheit«117 ab ‒ um das Ausgesetztsein rückhaltlos zum Vorschein kommen zu lassen; sei es drastisch wie in Otto Dix’ eschatologisch gestimmtem Expressionismus oder in Francis Bacons und Roberto Mattas schreienden Bildern (Study after Velázquez’s Portrait of Pope Innocent X; Die Folterung der Djamila), sei es subtil wie in Jean Dubuffets tellurischen Topografien einer horizontlosen »einsamen Erde«, die gelegentlich wie verlassen wirkt.118 Möglicherweise liegt darin der Appell an die Adresse einer existenziellen und politischen Sensibilität, die auf dem Umweg über die ästhetische Darstellung des Ausgesetztseins erfahrbar macht, was es heißt, nicht nur selbst (sich selbst und der Welt), sondern einander ausgesetzt zu sein, um auf diese Weise die Frage neu aufzuwerfen, ob und wie es möglich sein kann zu ko-existieren, ohne jenen Bruch zu leugnen, wie es in dem Fall drohen könnte, wo man »das riesige Feld der modernen Welterfahrung« ästhetisch »in Besitz zu nehmen« versucht, um es auf diese Weise »zur wirklichen Heimat« werden zu lassen.119 Wenn dieser so sehr zur exklusiven Behauptung des Eigenen missbrauchte Begriff überhaupt noch politische Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, dann nur so, dass er wirklicher Obdach- und Heimatlosigkeit120 Rechnung trägt, sei diese nun metaphysisch oder historisch und politisch begründet121 ‒ statt unumwunden »als heilende Kraft« gegen Leere und Gewaltträchtigkeit einer »bindungslosen Freiheit«122 die angeblich »erprobten Ideen aus dem Bereich des Christlichen, Huma116 Ebd., S. 350, 480. 117 Vgl. ebd., S. 353, 494–495, 518–519. 118 Vgl. ebd., S. 269, 400, 447, 452, 498. 119 Vgl. ebd., S. 241, sowie zur angeblichen Rettung durch Kunst ebd., S. 518. 120 Vgl. Burkhard Liebsch, »Heimat für Heimatlose? Politische Überlegungen zur Literatur der Verlassenheit«, in: Ulrich Hemel/Jürgen Manemann (Hg.), Heimat finden ‒ Heimat erfinden. Politisch-philosophische Perspektiven, Paderborn 2017, S. 113–132. 121 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 2, a.a.O., S. 325 zu einem »Übergewicht des Sozialen«, das man dem politischen Totalitarismus und dem mit ihm einhergegangenen Primat des Politischen zu verdanken habe; siehe dazu: Verfemte Kunst, a.a.O., S. 13. 122 Vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 442, 477. Die Rede von bindungs- bzw. voraussetzungsloser Freiheit erinnert sehr an Jean-Paul Sartre.
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nistischen und Sozialen anzuempfehlen«123. Nur unter dieser Voraussetzung ist auf dem Umweg einer rückhaltlosen Ästhetik der Verlassenheit »die Antwortlosigkeit des schöpferischen Menschen auf das Maßlose der Ereignisse im geschichtlichen Raum«124 speziell Europas partiell überwindbar. Nur in diesem indirekten, keinesfalls unmittelbar politisierbaren Sinne versteht Haftmann denn auch die ästhetischen Anstrengungen einer der Devise L’homme témoin folgenden Kunst für den Menschen (L’art pour l’homme), von der er annahm, dass sie »ins Soziale […] zurückwirken«125 könne. »Von was da Zeugnis abgelegt wurde, das war die Leere der Welt, das Untröstliche der verlassenen Dinge in der gespenstischen Kahlheit der Räume, das Ausgesetzte des Menschen«. Selbst in der prima facie für das Gegenteil sprechenden, so überaus reichhaltigen bildlichen Flora und Fauna Franz Marcs und Paul Klees »klingt«, so meint er, »immer die leise Trauer mit um das Herausgefallensein des Menschen« aus jeder ihn letztlich bergenden Welt.126 Diese Trauer ›klingt‹ aber nur an, insofern sie wahrzunehmen ist vermittels des ästhetisch sichtbar Gemachten ‒ unter Verzicht auf jeden Versuch, »das fürchterliche Ausgeschlossensein« aus einer stummen und gleichgültigen, allenfalls mathematisch fassbaren Natur und »die Leere, die wir nicht mehr mit ererbten Bildern willkürlich ausfüllen können«127, beschönigen zu wollen.
5. SCHLUSS In dieser Perspektive empfiehlt es sich, von einem angeblich ›reinen‹ Sehen oder ›reinen‹ Hören nicht allzu viel Aufhebens zu machen. Worauf es modernen Künsten, Malern, Komponisten und Dichtern…, allererst ankommt bzw. ankommen müsste, ist die rückhaltlose Selbstexposition, das Sichaussetzen im Ausgesetztsein, das ästhetisch zur Darstellung kommen soll und dabei aus einer Sensibilität und Responsivität schöpft128, die nicht von vornherein aufgetrennt ist in diverse 123 Ebd., S. 422. 124 Ebd., S. 423. 125 Haftmann, Skizzenbuch, a.a.O., S. 156, 121. 126 Zum Vorangegangenen vgl. Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert 1, a.a.O., S. 440, 508. 127 Ebd., S. 518. 128 Vgl. die Vorstudien von Burkhard Liebsch, »Ästhetik der Existenz oder existenzielle Ästhetik? Anmerkungen zu einer leidenschaftlichen Lebensform«, in: Elke Bippus/ Jörg Huber/Roberto Nigro (Hg.), Ästhetik der Existenz. Lebensformen im Widerstreit, Zürich/Wien 2013, S. 69–94; »Nicht normalisierbares Leben: Was Aristoteles’ Politik, Friedrich Schillers ›ästhetische Erziehung‹ und Giorgio Agambens ›Lebensformen‹
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Modi ästhetischer Erfahrung, welche miteinander durch mannigfaltige Querverflechtungen verbunden sind, wie es nicht zuletzt im Diskurs über das Synästhetische deutlich wird. Apologien ›reinen‹ Hörens und Sehens sollten nicht darauf hinauslaufen, andere ›Sinne‹ vollkommen abzutrennen; ihr Sinn lag vielmehr darin, jegliche Unterwerfung unter heteronome Normen zurückzuweisen, die darauf hinauslaufen, das ästhetische Sichaussetzen zu bevormunden, zu reglementieren und womöglich auf gefällige Weise zu entschärfen. In diesem Sinne war nichts einzuwenden gegen Versuche, Bilder und Klänge zu mischen und deren Deutungen in einer delimitierten Metaphorik sich überkreuzen zu lassen ‒ vielleicht in der utopischen Hoffnung, an ein primordiales, synästhetisches, orphisch-vorsokratisches129 Milieu leibhaftigen In-der-Welt-seins wieder Anschluss zu finden, in dem man auf diese Weise allerdings nicht ›Wurzeln schlagen‹ und derart ungefährdet ›wohnen‹ kann, wie es ontologische Visionen einer angeblich längst anstehenden Wiederbeheimatung des Menschen in einem ›irdischen‹ Leben suggerieren.130 Die fragliche Metaphorik tendiert offenbar zu zwei Extremen: angesichts des Befundes, dass scheinbar nichts nicht-metaphorisch gesagt werden kann, in ihrer Unbegrenztheit nahezu beliebig zu werden einerseits und zu ikonologischen Fehlschlüssen andererseits, die suggerieren, bildlich Gesagtes ›sei‹ so und so. Wenn Musik infolge einer solchen Gleichsetzung131 so aufgefasst wird, dass sie ›wirklich‹ malt, geht aber die Fruchtbarkeit chiasmatischer Bezüge von Klängen auf Bilder (vice versa) ebenso verloren wie im umgekehrten Fall, in dem man unterstellt, Bilder seien musikalische Kompositionen bzw. schlicht ›Musik‹. In beiden Fällen wäre gar nichts gewonnen. In beiden Fällen würde man sich nicht mehr ›kalkuliert verlieren‹ (um ein Oxymoron Taurecks aufzugreifen132) in einem exzessiven Bildgebrauch, sondern sich ihm von vornherein derart ausliefern, dass er nichts mehr lehren könnte. Was aber könnte er überhaupt lehren ‒ und woraufhin sollten wir ihn insofern kritisch befragen? Zum Abschluss der hier vorgelegten kurzen Situationsbeschreibung multipler chiasmatischer Verhältnisse zwischen Sicht- und Hörbarem, Bildern und Klänmiteinander verbindet. Zum Verhältnis von Ästhetik, Sozialphilosophie und Geschichte«, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 60 (2015), Heft 2, S. 183–205. 129 Vgl. Haftmann, Der Mensch und seine Bilder, a.a.O., S. 218. 130 Nicht umsonst fasste Ernst Wilhelm Nay seine Bilder wie »Nomadenlieder« auf (ebd., S. 274). Haftmann spricht an anderer Stelle von »Lieder[n] von der Erde« als einer verwundeten Welt (Skizzenbuch, a.a.O., S. 127). 131 Von der explizit bei Haftmann mit Blick auf den russischen symbolistischen Ästhetizismus die Rede ist; ders., Der Mensch und seine Bilder, a.a.O., S. 197. 132 Vgl. Taureck, Metaphern und Gleichnisse, a.a.O., S. 377.
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gen, Malerei und Musik möchte ich folgende Deutung vorschlagen: Wir kommen normalerweise als Sehend-Hörende und als Hörend-Sehende zur Welt, in einer primären, individuell höchst unterschiedlich ausgeprägten, polyästhetischen Sensibilität und Responsivität, die jeden früher oder später mit der existenziellen Frage konfrontieren muss, ob und wie das ungefragt in Gang gekommene und radikal der Welt, Anderen und sich selbst ausgesetzte Leben überhaupt ›lebbar‹ sein soll. Künstler geben darauf durchweg die Antwort: nur im rückhaltlosen Sichaussetzen des ästhetischen Lebens selbst ‒ was auch immer dann aus ihm wird, wie auch immer man unter höchst verschiedenen historischen Umständen ›bewerten‹ wird, was es hervorbringt: Kunst, Anti-Kunst oder »entartete« Kunst... Haftmann hat gezeigt, »in welcher Unbedingtheit der Künstler zu existieren hat«133, gerade in Zeiten, wo sein Tun als verfemt gilt und keine Hoffnung darauf mehr besteht, dieser Spuk werde vorübergehen. In dieser Unbedingtheit gedeiht keine Autonomie, möglicherweise aber eine Autarkie ästhetischer Existenz, die jegliche Unterwerfung unter heteronome Normen zurückweisen muss. Das bedeutet indessen nicht, dass sie sich in ihrer Freiheit nicht synästhetischer und chiasmatischer Bezüge auf andere Register menschlicher Erfahrung bedienen dürfte. Letztlich tut sie das, um in dieser Weise kreativ auf das zurückzukommen, wovon sie ausgegangen ist: auf ihre responsive Sensibilität selbst. In ihren primitiven, archaischen, kindlichen und wilden Formen kennt diese zunächst sich selbst nicht. Sie muss sich ästhetisch äußern, um sich als Sensibilität eines ausgesetzten Lebens ‒ als verletzte, verwundete oder zerrissene, als einsame und abgeschiedene, aber auch als dem Schicksal Anderer verbundene, an ihm teilnehmende und sich ihm verpflichtende ‒ überhaupt verstehen zu können; sie muss sich in einem Werk manifestieren, es vor sich bringen und sich dazu verhalten. Nicht notwendig in und mit Worten, die allemal verfehlen, was bildlich zu sehen und musikalisch zu hören gegeben wurde, wohl aber in einer ständigen, ästhetisch inspirierten Refiguration des ausgesetzten Lebens selbst. Am Ende äußert sich dieses in ästhetischer Art und Weise nicht, um affirmativ zu bruchloser Identität mit sich selbst zu gelangen, sondern, im Gegenteil, um sich selbst unähnlich, anders und verfremdet zu erscheinen, d. h. um Distanz zu sich selbst als ausgesetztem zu gewinnen. Von vornherein muss es wenigstens ahnen, wenn nicht wissen, der Welt, Anderen und sich selbst ausgesetzt zu sein. Doch daraus kann nur dann etwas ästhetisch produktiv hervorgehen, wenn ausgesetztes Leben darin nicht einfach aufgeht, sondern sich mit seinem Ausgesetztsein auseinandersetzt, d. h. wenn es sich letzteres auch vom Leib hält, um es ästhetisch überhaupt artikulieren zu können. Ob allerdings unvermeidlich ausgesetztes Leben, das sich auf der nicht endenden Suche nach seiner wirklichen Lebbarkeit auch seinerseits ästhetisch aussetzt, um seinem Ausgesetztsein nicht 133 Haftmann, Verfemte Kunst, a.a.O., S. 17.
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ausgeliefert zu bleiben, je dahin gelangen kann, letzteres zu überwinden, steht dahin. Für die einen liegt in dieser Zielperspektive die eigentliche Eschatologie der Kunst, für die anderen ihr ärgster Verrat.
II. Imaginationen – Identitäten – Politiken
Die Klangfarben Afrikas und der »Drumbeat of Life«: Imagination, Synästhesie, Divination1 Klaus Hock
Der Titel dieses Beitrags setzt bereits Akzente. Denn die Klangfarbe, das Timbre, gehört zunächst in den Bereich des Klangs2 und stellt dort eine zusammengesetzte, zumindest abhängige Größe insofern dar, als schon der Klang selbst von Grundtönen determiniert und von Obertönen beeinflusst ist – wobei letztere ihrerseits wiederum zwar im musikalischen, aber nicht im akustischen Sinne »Töne« sind. Der Klang als – »harmonisches« (?) – Tongemisch erscheint somit als ebenso komplexes wie diffuses, bereits in sich hybrides, aber auch grundsätzlich »offenes« Phänomen, das hinsichtlich der Rede von seiner Klangfarbe nur metaphorisch auf das Bild verweist, selbst aber eindeutig im Bereich des Akustischen verbleibt. Umgekehrt sind Farbklänge den Klangfarben strukturell analog konstituiert. Sie sind Melangen aus farblicher Helligkeit und Qualität bzw. Intensität und entsprechend ebenso unselbständige, hybride, prinzipiell »offene« Phänomene wie die Klangfarben. Aber auch sie verweisen als Farb(en)klänge gleichermaßen nur metaphorisch auf den Klang, während sie selbst unverkennbar im Bereich des Visuellen beheimatet bleiben. Dennoch ist mit den wechselseitigen metaphorischen Referenzen ein Potenzial zumindest virtueller Synergien angezeigt, die ein Zusammenschauen und -hören von Klang(farbe) und Farben(klang) möglich erscheinen lassen, eine Synästhesie, die zumindest vorstellbar ist und so als Ima-
1 Danksagung: Dieser Artikel wurde durch einen Forschungsaufenthalt im Rahmen des aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung »Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa« der Universität Erlangen-Nürnberg ermöglicht. 2 Vgl. etwa Daniel Muzzulini, Genealogie der Klangfarbe, Bern 2006.
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giniertes bildhaft auszugestalten wäre – weshalb das Pendel des Wahrnehmungsmodus wieder in den Bereich des Visuellen zurückschwingt. Mit Blick auf den Titel dieses Beitrags beleuchten die wenigen im Folgenden referierten Blitzlichter zudem indirekt auch die Schwierigkeit, auf die Frage danach, was denn unter »Afrika« zu verstehen sei, eine eindeutige Antwort zu geben. Jenseits eines bloß geographisch-topographischen Verständnisses ist Afrika zunächst in seiner Pluralität und Diversität in den Blick zu nehmen, wobei zudem der Aspekt der »Erfindung« Afrikas berücksichtigt werden muss.3 »Afrika« zeigt sich somit als fluides, stets neu verortetes und zu verortendes Phänomen, dem keine Eigentlichkeit, keine quasi substanziell gedachte Wesenheit zugeschrieben werden kann. Wenn wir von Afrika reden, ist also auch die diskursive Erzeugung einer Aura des Imaginären zwischen (affirmativer/kolonialer) Zuschreibung und (subalterner/subversiver) Aneignung in Rechnung zu stellen. Ansonsten wird »Afrika« im Folgenden relativ unspezifisch verwendet als »Terminus …, der geo-kulturell-historische Phänomene umschreibt, die sich aus ihren vormaligen topographischen Verortungen gelöst haben und nun in Gestalt vielfältig durchmischter, zugleich globalisierter und teilweise re-lokalisierter Diskurse und Praktiken greifbar werden.«4
1. BLITZLICHTER: AFRIKA ALS KLANG UND FARBE Bei den Farbklängen soll eingesetzt werden, obwohl (oder vielleicht besser: gerade weil) unsere Fantasie zu »Afrika« eher Klänge – insbesondere Rhythmen und Trommeln, die drumbeats, wenngleich vielleicht zunächst weniger den »Drumbeat of Life« – als Farben assoziiert. Allerdings kommen uns durchaus auch Letztere, oftmals im Modus bunter und »greller« Vielfalt, in den Sinn, wenn wir an Afrika denken bzw. an das, was wir uns unter Afrika vorstellen. Bisweilen drängen sich sogar die Farbklänge in den Vordergrund – selbst dann, wenn eigentlich Musik und Performance im Zentrum eines Ereignisses stehen –, zumindest 3 Ausgelöst wurde die immer noch anhaltende Diskussion durch die Publikation der Bandes von Valentin Y. Mudimbe, The Invention of Africa: Gnosis, Philosophy, and the Order of Knowledge, Bloomington/Indianapolis 1988. 4 Klaus Hock, »Der diviner als Pastor – der Pastor als diviner? Anmerkungen zur Interferenz von Divination und Religion in afrikanischen Kontexten«, in: Uta Andrée/Ruomin Liu/Sönke Lorberg-Fehring (Hg.), Transkulturelle Begegnungen und interreligiöser Dialog. Erkundungen und Entdeckungen im Anschluss an Werner Kahl, Hamburg 2017, S. 191–222, hier: 193.
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in der sprachlichen Komposition: »Fest der Farben, Klänge und Kulturen« titelte im Mai 2016 der Kreisanzeiger Ortenberg5 in seinem Bericht über das Afrika Fest – Burg Lißberg,6 ein kleines, seit drei Jahrzehnten bestehendes Festival, das von einer Privatinitiative ins Leben gerufen wurde und aus dessen Erlös diverse Entwicklungsprojekte in Afrika unterstützt werden. Es tritt äußerst bescheiden auf im Vergleich zu dem ebenfalls seit 30 Jahren bestehenden Würzburger Africa Festival – der Selbstbeschreibung nach »Europas größtes Festival für afrikanische Musik und Kultur«7 –, das nun wiederum ganz die Musik ins Zentrum stellt. Das Visuelle ist dort in das vielfältige Rahmenprogramm ausgewandert, wo es primär in einer Fotoausstellung und im »Arte Kinozelt« seinen Platz findet, sekundär dann aber auch in einer Modenschau oder auf dem Basar.8 Und doch dürften Bild und Klang mehrfach zusammenkommen, namentlich in den musikalischen Performances, aber auch auf diversen Nebenschauplätzen des Rahmenprogramms, wie etwa den Angeboten für Kinder oder der Straßenparade. »Spektakulär« in geradezu programmatischem Sinne bezieht auch die von André Heller erstmals 2005 initiierte Show des »magischen Zirkusspektakels« Afrika! Afrika!9 Bild und Klang aufeinander. Aber es gibt sie auch ohne Klang – »die Farben Afrikas«. Vor etwa 20–25 Jahren machte eine Ausstellung die Runde, in der Aufnahmen der Fotojournalistin Margaret Courtney-Clarke präsentiert wurden, die »Die Kunst der Frauen im westlichen und südlichen Afrika« zeigten. Dazu erschien ihr Bildband »Die Kunst der Frauen von Mauretanien, Senegal, Mali, Elfenbeinküste, Burkina Faso, Ghana, Nigeria«.10 Zur Schau gestellt wurde, wie afrikanische Frauen die Tradition der Hausmalerei praktizieren, bei der alljährlich die Lehmbauten nach den Regenfällen ausgebessert und mit farbigen Mustern und Motiven verziert werden. Offensichtlich denken viele engagierte Menschen an »die Farben Afrikas«, denn mehrere Projekte und Initiativen, denen »Afrika« – welches auch immer und aus welchen Gründen auch immer – am Herzen liegt, sind nach dieser Wendung 5 Vgl. online: http://www.kreis-anzeiger.de/lokales/wetteraukreis/ortenberg/fest-der-farben-klaenge-und-kulturen_16904677.htm (abgerufen: 30.11.2017). 6 Vgl. online: http://www.afrika-fest.de (abgerufen: 30.11.2017). 7 Online: http://www.africafestival.org (abgerufen: 30.11.2017). 8 Online: http://www.africafestival.org/rahmenprogramm (abgerufen: 30.11.2017). 9 Online: http://www.afrikaafrika.de (abgerufen: 30.11.2017). 10 Margaret Courtney-Clarke, Die Farben Afrikas. Die Kunst der Frauen von Mauretanien, Senegal, Mali, Elfenbeinküste, Burkina Faso, Ghana, Nigeria, aus dem Englischen übersetzt von Werner Petermann, München 1993 (engl. 1990); vgl. auch dies., Ndebele. Die Kunst der Frauen Südafrikas, aus dem Englischen übersetzt von Werner Petermann, München 1994 (engl. 1986).
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benannt, so beispielsweise eine 2014 gegründete Initiative in Schwerin.11 Google Maps hat die Metaphorik allerdings hart »geerdet« und den Verein als »Farbenfachgeschäft« kategorisiert.12 Schnitt. – Zu einem anderen »Schnitt«: Das Berliner Modelabel »L’Urban Dirndl« bringt bayerische Traditionen und afrikanische Farbmuster zusammen – und mit dieser Programmatik steht es inzwischen nicht mehr allein.13 Eveline Stoesser, Inhaberin des Labels, antwortet in einem Interview mit dem Lifestyle-Magazin Amicella auf die Frage nach dem Woher des afrikanischen Aspekts: »… warum nicht zwei Traditionen miteinander verbinden, das Dirndl aus Bayern und die farbenfrohen Wax Prints aus Westafrika« – und bringt einen durchaus wichtigen außer-afrikanischen Aspekt ins Spiel, denn auf die Frage: »Die Stoffe beziehen Sie aus Afrika?« gibt sie die Auskunft: »Nein, die Stoffe sind aus Holland. Die Holländer produzieren seit 167 Jahren hochwertige Stoffe für Westafrika.«14 Tatsächlich wurden diese Stoffe mindestens bis zu den 1960er Jahren vornehmlich in Europa gefertigt. Inzwischen gibt es auch afrikanische Produktionsstätten – wobei die Abhängigkeit von europäischen Unternehmen fortbesteht –15, wenngleich nach wie vor die African-Waxprint-Tradition in den Niederlanden lebendig ist.16 Ein letztes Blitzlicht, mit dem wir uns schon einmal weit über die Farbklänge hinausbewegen: In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg suchten europäische Künstler nach neuartigen Formen der Präsentation synästhetisch vermittelter Inszenierungen rund um den Themenbereich Kosmologie und Kosmogonie. In einem ungewöhnlichen Zusammenspiel von literarischer Afrika-Rezeption, skulp11 Online: http://www.couleurs-afrik.de (abgerufen: 30.11.2017). 12 Online: https://www.google.de/maps/place/Couleurs+Afrik+Die+Farben+Afrikas+e.V. /@53.6330506,11.4126553,17z/data=!3m1!4b1!4m5!3m4!1s0x47adda194e295d4b:0x 333144a468617cc4!8m2!3d53.6330506!4d11.414844?dcr=0 (abgerufen: 30.11.2017). 13 Vgl. das Münchener Modelabel NOHNEE Dirndl à l’Africaine (online: https://www. nohnee.com; abgerufen: 01.12.2017). 14 http://www.amica.de/mode/interview-mit-eveline-stoesser-berliner-dirndl-fuers-bayrische-oktoberfest_id_3214757.html (abgerufen: 01.12.2017). 15 Die Monopolstellung der Vlisco Group (https://www.vlisco.com) dürfte ungebrochen sein; vgl. Robb Young, »Africa’s Fabric Is Dutch«, in: New York Times, 14.11.2014 (online: http://www.nytimes.com/2012/11/15/fashion/15iht-ffabric15.html?pagewanted=all&_r=0; abgerufen: 01.12.2017). 16 So etwa die erst vor einigen Jahren gegründete Firma Julius Holland (s. https://www. juliusholland.com, abgerufen am 01.12.2017). Zum Thema vgl. insbesondere den kürzlich erschienenen Band: Suzanne Gott/Kristyne S. Loughran/Betsy D. Quick/Leslie W. Rabine (Hg.), African-print Fashion now! A Story of Taste, Globalization, and Style, Los Angeles 2017.
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turaler Einkleidung, kubistisch-bühnenbildnerischer Raumimagination und musikalischen Klängen des aufkommenden Jazz schufen Protagonisten des Ballets suédois 1923 in Paris ein experimentelles Bild-, Musik- und Tanz-Werk, in dem eine »afrikanisch« assoziierte Schöpfung tänzerisch performiert wurde: Fernand Légers und Darius Milhauds Ballet La création du monde.17 Die Farbklänge gehören mit den Klangfarben zusammen, und wie die wenigen, eher zufälligen Schlaglichter ausgeleuchtet haben, stehen Ton und Klang in ihrer Referenz auf Afrika – sei sie imaginiert oder generiert – selten isoliert oder für sich allein. Mehr noch: In wechselseitigem Bezug setzen sie aus ihrer Interaktion heraus eine Dimension frei, die zunächst im Modus von Performances Auditives und Visuelles auf einer neuen Ebene zusammenführt. Unten wird danach zu fragen sein, inwieweit dies zusätzliche Dimensionen freisetzt und eine weitere Öffnung ermöglicht – über das unmittelbar Sinnliche hinaus. Zunächst aber ist hinsichtlich der Klangfarben und der mit ihnen verknüpften Farbklängen der dadurch ausgelösten synästhetischen Aura nachzuspüren.
2. EMPLARISCHE EINBLICKE 2.1 Youssou N’dour und die Neukomposition Afrikas Youssou N’dour, einer der wohl profiliertesten Vertreter der sogenannten »World Music«18 – wobei zu fragen wäre, ob er tatsächlich in dieser Kategorie am besten aufgehoben ist bzw. sich selbst darin gut aufgehoben sähe –, hat mit seinem musikalischen Projekt »Égypte« nicht nur Musikgeschichte geschrieben, sondern auch ein bisschen Mediengeschichte; immerhin ist er 2005 dafür mit dem Grammy für das beste Weltmusikalbum ausgezeichnet worden. Die Entstehung und der weitere Kontext dieses Projekts sind auch in der DVD »I Bring What I Love« dokumentiert.19 Die Einstiegssequenz dieser DVD eignet sich ausgezeichnet dafür, beispielhaft nach dem Zusammenhang von Bild und Klang zu fragen und ein paar erste, 17 Ulrich Konrad, »Cosmogonie nègre. Afrikanische Weltschöpfungsmythen in Fernand Legers und Darius Milhauds Ballett La creation du monde (1923)«, in: Dorothea Klein (Hg.), Die Erschaffung der Welt – alte und neue Schöpfungsmythen, Würzburg 2012, S. 115–134. 18 Gérald Arnaud, Youssou N’Dour – le griot planétaire, Paris 2008; Timothy D. Taylor, Global Pop: World music, world markets, New York 1997, S. 27–136. 19 Youssou N’Dour – I bring what I love. Ein Film von Elizabeth Chai Vasarhelyi, Leipzig: Kinowelt Home Entertainment 2010.
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oberflächliche Eindrücke von der Dimension des Imaginären und Synästhetischen zu geben. Zum Visuellen: Es sticht die farbliche Inszenierung hervor – die Bühne ist in ein tiefes, dunkles Blau getaucht –, aber auch die in den Aufnahmen vermittelte expressive Körperlichkeit: das Heraustreten des Künstlers aus dem visuellen Off; seine geschlossenen Augen als Zeichen einer Art »Innenschau«; anschließend sein Blick nach oben, ins Unendliche, fast wie in Erwartung einer Botschaft aus einer anderen Welt; im Gegenlicht die Schweißperlen, in denen die Leiden der Afrikaner, insbesondere zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels sowie durch den und in Folge des Kolonialismus, kondensieren; gestreckter Arm und geballte Faust als Symbol des Widerstandes und als historische Referenz auf den Anti-Apartheit-Kampf in Südafrika. Zum Auditiven: hohe Emotionalität, die sich ins große Finale steigert –»Afrika«; unterlegt mit sphärischen Klängen, in diesem Falle durch Synthesizer elektronisch erzeugt, eigentlich eher eine Besonderheit »westlicher« Musik; und die Stimme Youssou N’dours selbst, ein Reservoir mit hellem Stimmungspotential, das hier auf die Botschaft zugeschnitten ist, die sich durch den Text erschließt – eine hybride Collage aus Englisch, Französisch und Wolof –, aber doch vornehmlich durch den Klang lebt: I am Youssou N’dour Calling all Africans Asking you to share ideas and come to a meeting of minds Without borders, let’s pool our resources and work together Let’s come together and let nothing pull us apart You heads of state, you may lead a country but you don’t own it True leaders love their countries Although we can ask for help, let’s depend on ourselves first We are Africa When the sun comes up Be on your feet Ready with the tools of your trade The day passes quickly Let’s confront our problems one at a time United we are stronger A long road lies ahead We have much to do So let’s get ready When I think of how our grandparents suffered, I cry But our past must not stop us from moving forward I dream to see Africa unified by a common vision Let’s marshal our ideas, our energies
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Open the borders, and come together Change your thinking Work together Keep on working Cheikh Anta Diop Kwame Nkrumah Stephen Biko All you people Africa
Bei »Égypte« handelt es sich nicht um Youssou N’dours erstes, aber sicherlich umfangreichstes und ambitioniertestes Projekt, nach »Afrika« zu fragen. Ein anderes ist »Rückkehr nach Gorée«, in dem er sich auf Spurensuche begibt, um den Fährten der Wanderung afrikanischer Musik im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels bin hin zur modernen Blues-, Jazz- und Rockmusik nachzugehen.20 In »Égypte« wird Youssou N’dour von einem ägyptischen Orchester begleitet. Dabei kombiniert der Künstler Musiktraditionen nordostafrikanischer und westafrikanischer Provenienz – beinahe ikonisch repräsentiert durch die Verwendung der westafrikanischen Kora und der arabischen Oud. Die Texte wiederum – auf Wolof oder Arabisch gesungen – stellen sich in die Tradition westafrikanischer mystischer Ausprägungen des Islams und sind mehrheitlich den großen Marabouts der senegalesischen Sufi-Bruderschaften gewidmet. Youssou N’dours Projekt geht allerdings weit darüber hinaus, lediglich als künstlerische Melange den Reichtum afrikanischer Musiktraditionen neu zu präsentieren. Es steht für mehr und ist in programmatischer Hinsicht vielleicht als musikalisches Pendent zu Sheikh Anta Diop’s Oeuvre zu betrachten.21 Das Imaginäre des Projekts besteht darin, mittels der Musik eine Rekonstruktion, oder besser: Neukomposition Afrikas vorzunehmen, in der sich der Gedanke Afrikas als »Wiege der Menschheit« (nicht nur) im Medium der ägyptischen Großreiche und eines humanistischen Islams – vornehmlich in seiner mystischen Spielart – mit einem Plädoyer für die Wiederbelebung des gemeinsamen afrikanischen Erbes verbindet und zugleich einen wesentlichen Beitrag zum globalen Humanismus zu leisten beabsichtigt. Es geht darum, die imaginären Räume des zerrissenen, 20 Youssou N’Dour, Rückkehr nach Goree. Ein Film von Pierre-Yves Borgeaud, Mouna 2009. 21 Cheikh Anta Diop, L’Unité culturelle de l’Afrique noire. Domaines du patriarcat et du matriarcat dans l'antiquité classique, Paris 1959; s. a. Leonhard Harding/Brigitte Reinwald (Hg.), Afrika – Mutter und Modell der Europäischen Zivilisation? Die Rehabilitierung des Schwarzen Kontinents durch Cheikh Anta Diop, Berlin 1990.
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geschundenen Afrikas, das sich auf der konkreten Ebene – also historisch und geographisch, politisch, sozial, kulturell etc. – als zerstörter Raum erweist, wieder heil werden und damit heilend wirken zu lassen. Zu diesem Zweck sollen die ebenso imaginären wie ambivalenten Größen Ägypten/Afrika als Klangräume abgebildet werden und dann selbstverständlich nicht nur in der Imagination verbleiben, sondern Wirksamkeit entfalten: im Medium des »Klangbildes« Afrikas, das den Namen »Ägypten« trägt, um im Rekurs auf einen (wiederum: imaginierten) gemeinsamen Ursprung das Zukunftsprojekt »Afrika« Wirklichkeit werden zu lassen. Dieses Imaginäre wird gefördert und verstärkt, oder besser: beglaubigt durch das, was hier als »intendierte Synästhesien« eingeführt werden soll. 2.2 Die »Five Notes« als Drumbeat of Life Mit den »Five Notes« nehme ich Bezug auf einen Rhythmus, der nach der Darstellung einer unter dem Titel »The Short History of Five Notes« von der BBC ausgestrahlten Dokumentation von Westafrika ausgehend in die Welt gewandert ist.22 Vehikel seien vornehmlich die Kpanlogo-Musik und der dazugehörige Kpanlogo-Tanz gewesen; sie hätten die mit der gleichnamigen Fasstrommel geschlagenen »five notes«,23 nach Aussage der Reporterin eine Art »musikalische DNA«, mit auf die Reise genommen: von der afrikanischen Westküste zunächst auf die Zuckerplantagen der Karibik, dann in die USA, von dort nach Großbritannien und Europa und zurück nach Westafrika. In der Sendung folgt die Dokumentation dieser Route, die in Accra beginnt und wieder in Ghana endet. Dort wird vor Ort auch ein Schmied interviewt, der auf die Fertigung traditioneller ngongo – Doppelglocken aus Metall – spezialisiert ist, die als Begleiterinnen der Kpanlogo-Trommel ebenfalls um die Welt gegangen sind. Selbstverständlich ist der Schmied mehr als nur ein Handwerker; seiner Zunft wird insbesondere – aber nicht nur – in Westafrika die Expertise für alle jene Domänen zugeschrieben, die wir als Medizin, 22 Vgl. online: http://www.bbc.co.uk/worldservice/documentaries/2011/02/110209_short_ history_five_notes.shtm (abgerufen: 01.12.2017). Vgl. hierzu insbesondere Klaus Hock, »Afrika«, in: ders./Friedrich Huber/Guillermo Kerber/Olaf Schumann/Ulrich Schoen (Hg.), Die Fliehkraft und die Schwerkraft Gottes. Ausbreitung der Christenheit und Begegnung der Religionen in den letzten zweitausend Jahren Bd. 4: Im Kielwasser von Kreuzzug und Kolumbus, Münster 2015, S. 221–295, hier: S. 221–222. 23 Vgl. etwa Kongo Zabana, Kpanlogo, Accra 1997 sowie für den zeitgenössischen Kontext John Collins, »The Generational Factor in Ghanaian Music. Concert Parties, Highlife, Simpa, Kpanlogo, Gospel and Local Techno-Pop«, in: Mai Palmberg/Annemette Kirkegaard (Hg.), Playing with Identities in Contemporary Music in Africa, Uppsala 2002, S. 6–74.
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Heilung und Therapie (im weitesten Sinne), aber auch als Kunst und vor allem als Religion in Gestalt eigenständiger, voneinander weitgehend getrennter Bereiche konzeptualisiert haben; daraus erklärt sich auch die Sonderstellung dieser Gruppe in vielen afrikanischen Gesellschaften.24 Der Handwerker erläutert die wechselseitigen Beziehungen zwischen Klang, Materie und der »anderen Welt« so: »Jedes Metall ist der Gott des Eisens …« und »… man kann den Geist Oguns anrufen, wenn der richtige Rhythmus gespielt wird«. Ein weiterer Schmied, auf die spirituelle Dimension des Rhythmus’ der five notes hin befragt, bestätigt diese Aussage und ergänzt: »Ja, das ist es, was wir mit allen unseren Vorfahren gemeinsam in uns tragen.« Vielleicht ist die in der Sendung gegebene Darstellung der Migrationsgeschichte jener five notes aus streng musikwissenschaftlicher Perspektive nicht in jeder Hinsicht belastbar und ein wenig holzschnittartig geraten, wenngleich beispielsweise der Zusammenhang zwischen diesem Rhythmus und dem Bossa Nova als weithin anerkannt gelten kann.25 Jedenfalls haben sich die five notes in der »Neuen Welt« in verschiedene Formen ausdifferenziert und sind unter dem Sammelbegriff des »Clave« bekannt.26 Auf abstrakt-metaphorischer Ebene werden in völlig anderen Kontexten assoziative Konnotationen zu den five notes hergestellt: im medizinischen Bereich etwa durch den Hinweis auf Zusammenhänge zwischen Herzrhythmus und musikalischem Rhythmus27 oder in Studien des MIT durch Theorien über struktu-
24 Vgl. herzu die »klassische« Studie von Guido Schmitz-Cliever, Schmiede in Westafrika – ihre soziale Stellung in traditionellen Gesellschaften, Hohenschäftlarn 1979. 25 Royal Hartigan, West African Rhythms for Drumset, Miami 1995, S. 11. 26 Vgl. etwa David Peñalosa, The Clave Matrix. Afro-Cuban Rhythm. Its Principles and African Origins, Redway, CA 2012. 27 Henrik Bettermann/David Amponsah/Dirk Cysarz/Peter Van Leeuwen, »Musical Rhythms in Heart Period Dynamics. A Cross-Cultural and Interdisciplinary Approach to Cardiac Rhythms«, in: American Journal of Physiology, 277 (Heart Circ. Physiol. 46): H1762–H1770, 1999; s. a. Henrik Bettermann, Musikalische Rhythmen im menschlichen Herzschlag. Ein interdisziplinärer und interkultureller Ansatz zur Erforschung der Herzrhythmik (=Vortragsmanuskript zum Arbeitstreffen Rhythmusforschung in Öschelbronn, Version 14.10.99, online: http://www.icaat-medsektion.net /file-admin/ user_upload/Download/Vertiefende_Literatur/Publikationen/ Vortragsmanuskript_Musikalische_Rhythmen_im_menschlichen_Herzschlag_Henrik_Bettermann_1999.PDF; abgerufen: 10.12.2017).
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relle Beziehungen zwischen Sprache und Musik,28 wenngleich in diesem Fall von den five notes vornehmlich im Sinne von fünf Tonhöhen die Rede ist. Diese Metaphorik spiegelt sich auch in der Religionsgeschichte wider, wo wir in den unterschiedlichsten Variationen die Vorstellung finden, dass bestimmte Klänge als Resonanzen, als »Wiederklänge« eines kosmischen Vorgangs zu begreifen sind.29 Die metaphorischen Assoziationen lassen sich noch weiterführen: Die five notes, nicht selten kombiniert mit Tönen (in der Grundbedeutung: »Spannungen«), setzen Zeichen (engl.: »notes«) durch Schläge (»beats« – etymologisch ableitbar vom althochdeutschen »bozan«, Busen, gegen den das Herz trommelt)30 – und somit ergibt sich zugleich eine gedankliche Verknüpfung zwischen dem Kosmischen, Allgemeinen und dem Individuell-Besonderen, Existenziellen in Gestalt des drumbeat of life.31 Der drumbeat of life fand als Metapher vornehmlich in christlichen Kontexten Verwendung, was als Indiz dafür betrachtet werden kann, dass die hier metaphorisch annoncierte Grundidee über den im engeren Sinne »traditionellen« afrikanischen Kontext hinauswirkt. Ein Blick in das gleichnamige Bändchen – ein vom damaligen simbabwischen anglikanischen Bischof Sebastian Bakare 1997 herausgegebenes Büchlein zur Thematik »Jubiläumsjahr« – ist für unsere Zwecke zunächst wenig aufschlussreich. Wohl aber erwähnt der Bischof in seinem Bericht an die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1998 in Harare die zentrale Bedeutung der Trommel und des Tanzes – beide waren zunächst von der christlichen Mission verdrängt, verboten und unterdrückt worden – und verweist auf ihre identitätsstiftende und therapeutische Rolle.32 Mit Blick auf die Frage des Synästhetischen sind in diesem Zusammenhang zwei Dinge hervorzuheben. Zum einen: Wir können das Moment des Synästhetischen am Beispiel der five notes selbstverständlich nur andeutungsweise nachvollziehen. Es ist hier zunächst vielleicht weniger das Visuelle als das Materielle, das 28 Evelina Fedorenko/Aniruddh Patel/Daniel Casasanto/Jonathan Winawer/Deward Gibson, »Structural Integration in Language and Music. Evidence for a Shared System«, in: Memory and Cognition, 37.1 (2009), S. 1–9. 29 Vgl. hierzu insbesondere Annette Wilke/Oliver Moebus, Sound and Communication. An Aesthetic Cultural History of Sanskrit Hinduism, Berlin/Boston 2011. 30 Vgl. zur ersten Orientierung das Online Etymology Dictionary, online: http://www.etymonline.com/index.php sowie die entsprechenden Verweise ebd., https://www.etymonline.com/word/beat (abgerufen: 01.12.2017). 31 Sebastian Bakare, The Drumbeat of Life. Jubilee in an African Context, Geneva 1997. 32 Sebastian Bakare, »The Drumbeat of Life«, in: Andrew Wheeler (Hg.), Voices from Africa. Transforming Mission in a Context of Marginalization. An Anthology, London 2002, S. 1–6, hier: 2.
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synästhesierende Signale sendet – das Metall, aus der Erde gewonnen; die Glocke, damit geformt; der Klang, daraus erwachsend; der Rhythmus, dadurch gesetzt… – und sicherlich ließen sich auch darüber hinausgehende synästhesierende Signale ausfindig machen – der erwähnte Ogun, »Gott des Eisens« ist ein sog. »heißer« orishá, dessen »Hitze« für den Fertigungsprozess der Glocke konstitutiv ist und auf diese Weise über und durch das Material wirkt. Zum anderen: Die Dimension des Imaginären geht hier ein Stück weiter als im Fall des oben angeführten »Égypte«-Projekts Youssou N’dours. Bei den five notes bleibt sie einerseits bezogen auf das Existenzielle, gewissermaßen rückgebunden – »geerdet«, um eine synästhesierende Assoziation zu dem aus der Erde gewonnenen Metall aufzugreifen –, andererseits bezogen auf den Kosmos, das große Ganze. Denn die five notes kennen buchstäblich keine Grenzen, auch keine Grenzen zur Sphäre jenseits der fassbaren Welt, zur »anderen »Welt«, da sie letztlich, selbst wenn nicht aus ihr erwachsend, so doch mit ihr und in ihr verbunden sind, wobei diese Verbindung durch Ogun repräsentiert ist. 2.3 Klangfarben und Farbklänge des Divinatorischen Das Wort »Divination« und sein Bedeutungsumfeld bringen nochmals ganz eigene Probleme mit sich. Selbst bei Kolleginnen und Kollegen aus dem weiten Bereich der Religionsforschung vermag der Terminus Divination bisweilen Unsicherheiten, wenn nicht gar Irritationen auszulösen – durchaus zurecht, denn der Begriff ist ein wenig schillernd. Vielleicht denkt nicht jede und jeder gleich an den näherliegenden Verwendungszusammenhang, der durch Ciceros Schrift »de divinatione« initiiert33 wurde: Im Alten Rom gleichbedeutend mit der Mantik – vom Griechischen μαντικὴ τέχνη (mantikḗ téchnē)‚ der Kunst der Zukunftsdeutung –, wurde »Divination« über die Jahrhunderte hinweg nach und nach zum Terminus technicus für das, was gemeinhin als Wahrsagung, Weissagung, Vorausschau u.ä., negativ auch als »Wahrsagerei«, aufgefasst wird. Doch in Assoziation mit dem divinum, das in der Divination steckt, schlichen sich auch weitergehende Ableitungen ein, die auf das Erkennen, Erahnen, Aufdecken des Göttlichen in der Welt oder in der Natur abheben. Diese hinterließen u.a. nicht nur in (Religions-)Psychologie oder Hermeneutik ihre Spuren – so etwa bei Friedrich Schleiermacher, Leopold 33 Cicero verfasst vom Herbst 45 v. Chr. bis Mai 44 v. Chr. die drei thematisch zusammengehörigen Werke De natura deorum, De divinatione und De fato über Religion und Theologie. De natura deorum ist als Gespräch zwischen Cicero und seinem Bruder Quintus auf dem Landgut bei Tusculum gestaltet. Im Buch 1 verficht Quintus die Bedeutung der divinatio mit einer Vielzahl von Beispielen. Im Buch 2 widerlegt Cicero diese Beispiele und bringt grundsätzliche Einwendungen gegen die divinatio.
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von Ranke oder Kierkegaard –, sondern fanden auch in einem der großen Werke der Religionsforschung – Rudolf Ottos »Das Heilige« – ihren Niederschlag, namentlich in dessen Bestimmung der Divination als »[d]as etwaige Vermögen, das Heilige in der Erscheinung echt zu erkennen und anzuerkennen«,34 was zu den soeben erwähnten, bis in die Gegenwart hinein bestehenden Irritationen beigetragen haben mag. Analoges gilt für die Mantik (von μάντις = der Seher und μαίνεσθαι = rasen, verzückt sein). Schon Platon ließ Sokrates in seinem Dialog »Phaidros« angesichts der Verballhornung der manikḗ téchnē hin zur mantikḗ téchnē darüber klagen, dass die Leute aus Unwissenheit die höchstedle »Wahnsagekunst« zur schnöden »Wahrsagekunst« gemacht hätten.35 Auch die Mantik hat in der europäische Geistesgeschichte weitergehende Deutungen erfahren und beispielsweise in der Philosophie ihre Spuren hinterlassen, so etwa in Überlegungen zum Verhältnis von Hermeneutik und Semantik.36 »Divination« – also das, was der Duden als »Ahnung, Voraussage von Ereignissen; Wahrsagekunst« erklärt –, ist in dem hier verwendeten Grundverständnis ein umfassendes System, in dem es darum geht, Wissen zu erlangen, das nicht ohne Weiteres zugänglich ist. Vorausgesetzt ist eine Situation, in der »alltägliche« Kenntnisse auf Fragen, Probleme oder Unwägbarkeiten nur unzureichend Antworten geben können, aber in der doch irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen sind, um handlungsfähig zu bleiben oder überhaupt erst zu werden. Die dazu notwendigen Informationen oder Wissensbestände sind vorhanden, müssen allerdings auf außergewöhnliche Art abgerufen werden, da sie dem unmittelbaren Zugriff verborgen sind. Es geht also grundsätzlich um die Kommunikation zwischen den Menschen und dem, was hier als »andere Welt« bezeichnet wird, um irreführende Implikationen durch Begriffe wie »Jenseits«, »Übernatürliches« o.ä. zu vermeiden, also zwischen dem in »dieser« Welt offenliegenden und verfügbaren 34 Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, herausgegeben von Jörg Lauster, Peter Schüz und Hans Joas, München 2014 (1936; 1917), S. 173–201, hier: 173; Hervorhebung im Original. 35 Vgl. online: http://gutenberg.spiegel.de/buch/platons-werke-erster-theil-7316/5; http:// www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.01.0174%3Atext %3DPhaedrus%3Asection%3D244d (abgerufen: am 10.12.2017). 36 Wolfram Hogrebe, Metaphysik und Mantik. Die Deutungsnatur des Menschen, Frankfurt am Main 1992, S. 126 bestimmt in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Semantik und Mantik so: »Der Unterschied zwischen beiden ist darin gegeben, dass die Semantik den Bedeutungen von Wörtern und Sätzen nachgeht und letztlich an der Klärung von Verwendungsregeln und Wahrheitsbedingungen orientiert ist; während die Mantik den Bedeutungen von Dingen und Sachverhalten nachspürt und letztlich an der Gewinnung von Handlungshinweisen unter situativen Lebensbedingungen orientiert ist.«
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Wissen und dem darüber hinausgehenden Wissen, das in »jener« Welt in Gestalt eines nicht ohne Weiteres zugänglichen »Wissensspeichers« bereitsteht. Divinationssysteme sind dabei nicht a priori und nicht zwangsläufig Ausdrucksformen von »Religion«, aber eine potenziell religiöse Weltdeutung ist für sie grundsätzlich von mit-konstitutiver Bedeutung. Im Zusammenhang unseres Themas geht es also um einen Begriff der Divination, wie er auch in den sog. »Divination Studies« Verwendung findet, die sich seit etwa anderthalb Jahrzehnten insbesondere in den afrikabezogenen Wissenschaften als so etwas wie eine eigenständige interdisziplinäre Subdisziplin herauszubilden begonnen haben. Mit Blick auf diese Vorarbeiten brauchen wir nicht weiter irgendwelche Reflexionen oder Mutmaßungen über Semantik, Verwendung, Begriffsentwicklung, Vorkommen etc. anstellen. Stattdessen können wir auf eine Definition zurückgreifen, die den momentanen Forschungsstand über Divination mit Schwerpunktsetzung auf ihre afrikanischen Erscheinungsformen implizit sehr gut widerspiegelt: »Divination is a way to solve a problem of a client, by a technique to gain additional knowledge about the client’s history and present situation in life. The technique involves a standardized knowledge that accesses hidden aspects of reality, often in a mediated interaction between specialist and client. The technical forms of divination are legion, and usually involve a randomizing agent or act (throwing or rubbing objects, animals or parts of animals), or the inducement of trance and intuition, which then lead to complex interpretations or calculations. Those interpretations and calculations are often based upon substantive bodies of local or regional knowledge, sometimes in the form of a fixed corpus, most often incorporated in more diffuse systems of insight. The verb ›divine‹ stems from Latin, divinus, god, and usually is interpreted in terms of foretelling the future. …[W]e see not so much a future orientation, as a review of the present situation of the client and an analysis of his or her personal history, in short, a review of reality. The technique plus the specialist – male as well as female – are dominant in the process, more than the supernatural agents …, though gods, ancestors and spirits do play a large variety of roles. In Africa, with its rich tapestry of local cultures, divination techniques are part and parcel of local and regional cultures, but in no way are restricted to specific societies or localities, and diviners as well as clients routinely cross cultural borders just as they do gender boundaries.«37
Weltweit – und auch in Afrika – gibt es unzählige Divinationsmethoden, über deren Klassifikation zwar keine letzte Einigkeit herrscht, die sich aber doch ganz 37 Walter E. A. van Beek/Philip M. Peek, »Reality Reviewed: Dynamics of African Divination«, in: dies. (Hg.), Reviewing Reality: Dynamics of African Divination, Wien 2013, S. 1–22, hier: S. 1–2.
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grob systematisieren lassen. Bereits auf Platon geht die äußerst hilfreiche Unterscheidung zwischen »induktiven« und »intuitiven« Divinationsformen zurück – die ersten beziehen ihre Informationen aus der Interpretation von Zeichen, die zweiten mittels eines direkten Zugangs zu den gewünschten Informationen –, wobei allerdings in beiden Fällen Interpretationsbedarf gegeben ist. Anders, aber in durchaus ähnlicher Bezugssystematik unterschied Cicero zwischen »technischer« und »natürlicher« Divination, wobei letztere an religiöse Phänomene wie Prophetie, Offenbarung oder ekstatische Erfahrungen grenzt. Diese grobe Grundunterscheidung bewährt sich auch bei afrikanischen Divinationssystemen, in denen etwa zwischen »geomantischer« und »mediumistischer« Divination differenziert wird. Bei der ersten werden Zeichen durch stichprobenartige Erkundungen in ihrer Bedeutung untersucht oder auf ihre Bezüge zu dem gegebenen Fall hin übergeprüft; bei der zweiten eröffnet das außerordentliche Wahrnehmungsvermögen der Expertinnen und Experten den Zugang zu Informationen, die der gewöhnlichen, alltäglichen Perzeption verborgen bleiben.
3. B ILD UND KLANG: IMAGINIERTE SYNÄSTHESIEN ALS KATALYSE DIVINATORISCHER PRAXIS Welche Bedeutung kommt nun im Kontext divinatorischer Prozesse dem Klang zu? Differenziert nach verschiedenen Divinationsformen, bei denen Klänge in unterschiedlicher Form Anwendung finden, lässt sich ganz grob folgendes Muster erkennen: In Divinationssystemen, die üblicherweise dem intuitiven oder mediumistischen Spektrum zugeordnet werden, sind die Klangformen in der Regel bei weitem intensiver und extensiver als in geomantischen oder induktiven. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Techniken appliziert werden, bei denen die Zuhilfenahme von weiteren »Größen« ausdrücklich erwünscht oder notwendig ist, um im Rahmen einer entsprechenden Konsultation zum Erfolg beizutragen. Eine solche Größe kann beispielsweise ein Zustand sein (Trance), der bisweilen durch einen Geist induziert wird, oder der Beistand eines geistigen Wesens, aber auch Besessenheit durch einen Geist etc. Für Divinationsformen, die eher dem induktiven oder geomantischen Typus zugeordnet werden, sind verschiedene Klangformen gleichermaßen von nicht zu unterschätzender Bedeutung, sie werden in der Regel allerdings leichter übersehen. Die Sitzungen oder Beratungen im Rahmen afrikanischer Divination weisen zweifellos vielfältige rituelle Elemente auf. Je mehr davon, vielleicht in besonders expressiver Form, zur Anwendung kommen, desto profilierter sind auch dynamische Klangformen konturiert – durch Trommeln oder andere Musikinstrumente sowie jenseits des Klangs auch durch weitere Ausdruckshandlungen, insbesonde-
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re Tanz. Musik im Besonderen und Klang/Klänge im Allgemeinen sind entsprechend Teil eines performativen Ensembles ritueller Praktiken. Darüber hinaus ist für unser Thema allerdings insbesondere das von Interesse, was mit den Begriffen des Imaginativen und des Synästhetischen umschrieben werden kann. In diesem Zusammenhang soll allerdings ganz bewusst nicht weiter auf die philosophischen und/oder psychoanalytischen Implikationen des Imaginationsbegriffs eingegangen werden, auch nicht auf jene, die aus seinem Verwendungszusammenhang in der französischen Philosophie, Soziologie und Psychoanalyse oder auch im Kontext neuerer Debatten innerhalb der Bildwissenschaft erwachsen. Die Reflexion diesbezüglicher Fragen könnte und sollte sicherlich fortgeführt und weiter ausdifferenziert werden – ebenso mit Blick auf das Synästhetische, wobei an dieser Stelle allerdings ebenfalls nicht weiter auf die komplexen Wissenschaftsdiskurse in Neurophysiologie und Philosophie Bezug genommen wird. Hinsichtlich des Synästhesie-Verständnisses ist weiterhin darauf hinzuweisen, dass im Wissenschaftsdiskurs Synästhesien üblicherweise nicht einfach als cross-modale Korrespondenzen betrachtet werden, dass es bei ihnen also um mehr geht als lediglich um die Zuordnung von bestimmten Elementen korrelierender Modalitäten (dunkel/tief; hell/hoch). Allerdings wird im Folgenden »Synästhesie« auch nicht in einem unmittelbaren und damit spezifischen Sinne auf das Zusammenfallen der Wahrnehmung von Bild und Klang – in neurophysiologischer Perspektive wohl eher: Farbe und Ton – bezogen, sondern auf bildklanglich/klangbildlich ausgelöste Prozesse der Synästhesierung. Entsprechend der von der Deutschen Synästhesie-Gesellschaft vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen genuiner Synästhesie, Gefühlssynästhesie und metaphorischer Synästhesie38 wären die in Blick genommenen Phänomene am ehesten unter der Kategorie einer »inversen metaphorischen Gefühlssynästhesie« zu verorten, bei der durch synästhesierende Impulse kognitive Irritationen induziert und dadurch wiederum (»Bewusstseins«- oder/und »Gefühls«-) Zustände ausgelöst werden, die mit imaginierten Wahrnehmungen einhergehen. Zunächst ist an dieser Stelle ein Beispiel für die Bedeutung sinnlicher Erfahrungen in afrikanischen Kontexten einzubringen, aus denen synästhetische Erfahrungen erwachsen können. Wie von anderer Seite beobachtet wurde, ist insbesondere der synästhetische Sehmodus ritueller Situationen auch für Divinationspraktiken von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Am konkreten Beispiel lässt sich aufzeigen, dass dies nicht nur aus einer etischen Perspektive zutrifft – zumal, wenn diese sich im weiteren Verlauf in eine emische verwandelt. Die Anthropologin Kathryn Linn Geurts berichtet, wie sie eines Tages auf ihrem Compound mit dem Auto über einen Stein fuhr: 38 Online: http://www.synaesthesie.org/de/synaesthesie (abgerufen: 11.12.2017).
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»A jolt shot through my body as if I had been struck by lightning. Immediately upon entering the house, I told my husband about the experience. He laughed at me and stated, I told you that stone was a legba!«39
Als sie später mit Verwandten auf das Ereignis zu sprechen kommt, sind diese zunächst äußerst alarmiert, kommen dann jedoch zu dem Schluss, dass der Stein ohne Absicht überfahren worden war und von daher keine unmittelbaren Konsequenzen drohen: »›Never mind. As for you, you didn’t know what it was. Nothing needs to be done. But now that you know, just don’t run over it again.‹«40
Wie Geurts schrieb, war ihr nicht ganz klar, über was sie denn nun Bescheid wissen sollte; aber als der Besuch bei ihren Verwandten beendet war, stellte ihr Mann erneut fest: »›I told you that rock was a legba!‹«41 Ein legba ist in der Ewe-Kosmologie ein spiritueller Schwellenwächter, der oftmals die Form eines Steines annehmen kann. Wichtig für uns ist, dass er den Übergang von dieser Welt in die andere Welt markiert – eine durchaus gefährliche, auf jeden Fall ambivalente Transit-Region. Das ist ein Aspekt, auf den es hier ankommt. Der andere ist nicht weniger bedeutsam: Ein Freund erklärt der Anthropologin, dass die Erfahrung des blitzartigen Schocks ein typisches Beispiel für seselelame gewesen sei – ein Ewe-Begriff, der in etwa mit »Körperfühlen« übersetzt werden könnte (wörtlich ungefähr: »Fühl-Fühl auf dem Fleisch innen-drinnen«). Bei seselelame handelt es sich um eine kulturelle Kategorie, ein Konzept sinnlicher Wahrnehmung, das über unser herkömmliches Fünf-SinneSystem hinausgeht, namentlich durch zwei Aspekte: azolizozo oder azolime, das sowohl den kinästhetischen Sinn und die Entwicklung moralischer Dispositionen beschreibt, und sesetonume, das Sinneswahrnehmungen bezeichnet, die sich auf Sprachliches, aber in weiterer Bedeutung auch auf eine allgemeinere Kategorie des »Mund-Empfindens« bezieht. Insofern ist seselelame eine Größe, die Empfinden (»sensation«), Gefühl (»emotion«), Gestimmtheit oder Naturell (»disposition«) und Begabung (»vocation«) integriert und damit weit über die Kategorie unseres Fünf-Sinne-Sensoriums, das in seselelame einbegriffen ist, hinausgeht. Gegenüber der »Armut« unserer Kategorien, die vornehmlich auf Kognitives und Affektives fokussiert sind, beschreibt seselelame einen integralen Gesamt39 Kathryn Linn Geurts, »On Rocks, Walks, and Talks in West Africa. Cultural Categories and an Anthropology of the Senses«, in: Ethos, 30/3 (2002), S. 178–198, hier: 178. 40 Ebd., S. 179. 41 Ebd., S. 179.
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»Sinn« – falls unsere Kategorie der »Sinne« überhaupt zutreffend sein sollte –, einen Sinn, der vielleicht besser mit Begriffen der Intuition, der Imagination, der Emotion oder des »Körperwissens« zu beschreiben wäre.42 Mit Blick auf intuitive Divinationstechniken beschreibt René Devisch, einer der renommiertesten Forscher in Sachen afrikanische Divinationssysteme, die Bedeutung der sog. »Schlitztrommel« im Rahmen der Initiation einer Divinationsexpertin bei den Yaka, einer Ethnie im südwestlichen Kongo-Gebiet. Wie er feststellt, geht es darum, der Initiantin ihr ständiges Bestreben nach Differenzierungen d. h. zwischen menschlich/nichtmenschlich, innen/außen, sichtbar/unsichtbar etc. »auszutreiben« – zugunsten ihrer neuen Befähigung zu intermodaler bzw. Modi und Welten überschreitender Kommunikation. Im Folgenden werden die komplexen Details des vieldimensionalen Initiationsgeschehens beiseitegelassen, und der Fokus soll alleine auf der Schlitztrommel liegen. In dieser ist nämlich materialiter, in quasi verkörperlichter Form eingetragen, wie die Initiantin ihre außerordentliche Wahrnehmungsfähigkeit in der liminalen Region »zwischen den Welten« erlangen konnte: Die Schlitztrommel (engl. »slit-gong«) »… is a log – long as a newborn but of a width to hold in one hand – hollowed through its oblong slit with vaginal connotations. Capped by a head, bearing an amalgamation of human and animal features (chicken, tortoise, chameleon), the whole takes on a phallic-like shape. The slit gong functions as a resonating envelope, voice and ear, very much as the diviner’s double (called yilesi). The slit gong figures as an open womb and the beating enacts the pulsating bond of the living with ›the uterine and originary chthonic womb or source of all life,‹ ngoongu. The diviner thus becomes the uterine voice of the perennial womb of the world.43
In der Konsultation selbst ist die Schlitztrommel gleichermaßen von zentraler Bedeutung: Sie begleitet die einleitenden Tänze und markiert die Initialphase der Konsultation, wenn die Expertin ihren Divinationskorb, einen mit diversen Objekten gefüllten Behälter, befragt – in einem monotonen »chanting«, kedibila genannt, was wörtlich so viel wie »Interpolation« oder »Debatte« bedeutet und darauf zielt, das Unsagbare dem Bewusstsein zugänglich zu machen, in sprachlich Mitteilbares zu verwandeln und in die Lebenswelt der Klient(inn)en zu übersetzen, die während der Behandlung ihrerseits das Enthüllte aufnehmen und im antwortenden Refrain »chanten«. Alles das ist durch die Schlitztrommel evoziert, so Devisch, und auch nach Auskunft der Expert(inn)en entspringen die divina42 Ebd., S. 188 und passim. 43 René Devisch, »Divination in Africa«, in: Elias Kifon Bongmba (Hg.), The Wiley-Blackwell Companion to African Religions, New York/Malden 2012, S. 79–96, hier: S. 90–91.
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torischen Bekundungen, die sie artikulieren, der Befragung der Schlitztrommel, genauer gesagt: »diviners say it is the slit-gong itself which utters the oracle. … [T]he gong acts as the initiate’s double, turning the diviner on herself into an outreaching touch, eye and ear, both tangible, visible, audible, and at the same time touching, seeing, and speaking. This embodied identification … brings the diviner’s slit-gong close to what can amount to some radical perspectival ontological move evocative of the »Thinking through things‹…«44
Doch auch in weniger mediumistischen Divinationsystemen spielt der Klang eine Rolle – und als nächstes Beispiel soll ein besonders subtiles, aber nicht weniger wirkmächtiges Phänomen beschrieben werden, bei dem der Klang in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der divinatorischen Praxis steht. Henry John Drewal, Experte für afrikanische Kunstgeschichte, hat diesbezüglich festgestellt, dass das Hören von besonders großer Bedeutung ist – vor allem in Kontexten, in denen die Oralität eine so herausragende Rolle spielt. Bedauerlicherweise werden in der kunstgeschichtlichen Forschung zu Afrika »Klänge« oftmals ignoriert oder unterschätzt, wie Drewal am Beispiel der Divinationsschale des Ifá-Orakels verdeutlicht: »While we marvel at the complex imagery on the tray’s border and wax eloquent about such sights, we forget that the hollow area carved into the underside of the tray creates a sound chamber. The tray is a wooden drum. When an Ifa priest strikes its surface with the pointed end of a divination tapper, the sound reverberates in order to ›communicate between this world and the next‹… Sacred sounds, not just images, create a transcendent, evocative experience of art.«45
Anders als in dem soeben vorgestellten Beispiel können auch bei intuitiv-mediumistischen Divinationspraktiken bisweilen klangliche Elemente in den Vordergrund rücken. Ein südafrikanischer Musikpädagoge etwa berichtet, wie er in die Handhabung von Orakelschalen eingeführt wurde: »Songs and dances characterised the entire process of digging for and gathering of herbs as well as administering medicines. Novices in training for healing and divining had to use music, i.e. clapping of hands, drumming and dancing to induce ancestral trances on a daily basis… With drums beating in the background, novices danced and evoked their spirits to 44 Ebd., S. 94. 45 Henry John Drewal, African Art and the Senses (online: http://www.sensorystudies.org/ sensorial-investigations/african-art-and-the-senses; abgerufen: 10.12.2017).
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become active… In most cases those around the possessed novice or trainee are expected to respond by clapping hands and beating a drum rhythmically. Usually the spirit in possession begins singing her or his favoured song and is then joined by those who sit around.«46
Bevor wir ein erstes, wenngleich noch unabgeschlossenes Resümee ziehen, soll im Folgenden ganz kurz eine Kulturpraxis, eine Tradition vorgestellt werden, die selbst zwar nichts unmittelbar mit Divination zu tun hat, aber doch einige Analogien dazu aufweist – und nicht nur zur Divination, sondern ebenfalls zum Klang, zur Musik, wobei dann wiederum die Frage des Synästhetischen thematisch wird. Der österreichische Musikethnologe Gerhard Kubik hat sich vor geraumer Zeit in einem Beitrag über das Raum-Zeit-Verständnis afrikanischer Kulturen mit Ideographien (oder Piktographien) in der Region des nordwestlichen Sambia und östlichen Angola befasst, die auf Luchazi, einer der Sprachen der dort wohnenden Ethnien der Ngangela-Gruppe, als tusona (sg. kasona) bezeichnet werden. Erwachsene, zumeist ältere Männer, zeichnen dabei bestimmte graphische Muster spezifischer Charakteristika oder Stilformen mit den Fingern in den flachen Sand – manchmal auch auf Hauswände oder auf Gegenstände. Mit einem solchen kasona ist es möglich, jenen Einsichten in die Struktur der Welt Ausdruck zu verleihen, die sprachlich nicht erfasst werden können. Entsprechend werden tusona beispielsweise auch im Zusammenhang mit Initiationsriten eingesetzt. »Tusona ideographs often make the inner, perhaps we should say essential, order in situations, events, institutions and human interaction visible to the eye. They take the mind on a trip to unknown dimensions of the psyche. … In other words, there are inherent patterns in many of the tusona emerging from a perceptual regrouping process. These patterns then stimulate in the lonely drawer day-dream-like associations: trees, people, animals, paths, objects seem to emerge from them, and this in turn is a stimulus for creative thought. What the mukakusona begins to see in those structures is in some way comparable to what a diviner (mukakutaha) ›sees‹ in the configuration formed by the little objects in his ngombo (divining basket), although the tusona, of course, have nothing to do with divination.«47
Kubik entdeckt nun analoge Formen der Erzeugung solcher Muster in den Musiktraditionen rund um die Großen Seen, namentlich in den amadinda-Kompositio46 Mogomme Masoga, »Establishing Dialogue: Thoughts on Music Education in Africa«, in: Anri Herbst (Hg.), Emerging Solutions for Musical Arts Education in Africa, Cape Town 2005, S. 1–10, hier: 1. 47 Gerhard Kubik, »African Space/Time Concepts and the Tusona Ideographs in Luchazi Culture, with a Discussion of Possible Cross-parallels in Music«, in: African Music, 6/4 (1987), S. 53–98, hier: 86–87.
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nen. Darauf kann und soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Für unseren Zweck ist entscheidend, dass die Ideographien und Kompositionen nicht einfach »Bildkunst« oder »Musik« im westlichen Sinne darstellen. Vielmehr sind sie »… little closed systems of functional and causal relationships, little universes without exits. The minds who created them must have been researchers in the basic sense of the word. By creating the self-contained mini-universes of these configurations they also created mini-replicas of what our macro-universe may ultimately be like. They discovered abstract relationships which are not man-made, which come about and exist without human deliberation.«48
Genau darin besteht auch ein Bezug zur Funktionsweise von Divinationssystemen. Dieser Bezug mag zwar nicht unmittelbar gegeben sein – wohl aber in der grundlegenden Möglichkeit, den Makrokosmos jenseits der allgemein zugänglichen, alltäglichen Erfahrungsbereiche zu erschließen. Diese Beobachtungen führen zu zwei fundamentalen Feststellungen: Zum einen: Mit Blick auf das Verständnis von Divination sind zunächst wiederum zwei Aspekte wichtig. Erstens die Liminalität, die Schwellenregion als entscheidender »Ort«, an dem Klang und Bild sowie die durch sie ausgelösten synästhetischen Effekte die »Türöffnung« zwischen den Welten möglich machen. Ergänzt werden sollte und müsste noch die Bewegung, der Tanz, die Dimension des Kinästhetischen – die Bewegungsempfindung als Fähigkeit dazu, körperliche Bewegungen zu kontrollieren, ohne dass dies en détail, unmittelbar reflektiert oder bewusst geschieht. Bei Divination geht es nicht nur, aber vornehmlich auch um Interaktion: »Interaction in the unstable border zone between the here and the there, the living and the deceased, the visible and the invisible, the auspicious and the uncanny – whether in dreamsharing, ritual, sacrifice, divination, witchcraft, healing, pilgrimage, poetry, dance or song, Islamic or Christian liturgy…«49
Diese Interaktion spielt sich in Grenzbereichen ab und ist an Grenzverbindungen interessiert:
48 Ebd., S. 87. 49 Adebayo Olukoshi/Francis B. Nyamnjoh, »Editorial«, in: CODESRIA Bulletin, 1–2 (2008), S. 1–4, hier: 3.
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»between here and over there, the living and the dead, the sayable and unsayable, the visible and invisible, the familiar and the strange, the controllable and uncontrollable, the self and the other).«50
In den Worten von René Devisch: »The formation of such a borderlinking moreover encourages a world-to-world communication peculiar to the mediumnic divinatory oracle and to other initiatory or ritual states of wonderment and sheer virtuality opened to the future. In contrast, sorcery comes to corrupt such a formation by turning it into sheer anxiety and destructive bordercrossing.«51
Zum anderen: Afrikanische Divinationssysteme sind kosmologisch zu entschlüsseln. Bild und Klang (sowie Bewegung) entwickeln an den Schwellen zwischen dieser und der anderen Welt sowie zwischen den »sozialen Welten« hier wie dort die Kraft des Imaginären und ihre synästhesierende Wirkung. Dadurch erst – und vielleicht sogar nur dadurch – sind Grenzöffnungen und Grenzverbindungen möglich, als unabdingbare Voraussetzung für Transformationen und Repositionierungen der Einzelnen in ihrem Verhältnis zum Ganzen. Aus einem völlig anderen Zusammenhang lässt sich beleuchten, wie dieser Vorgang der »Grenzüberschreitung« mit Blick auf unsere Fragestellung nach dem Zusammenhang von Bild und Klang im Kontext afrikanischer Divinationssysteme interpretiert werden könnte: aus dem Dadaismus. Mit Blick auf unser Thema ist dieser Querverweis bei weitem weniger an den Haaren herbeigezogen, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: 2016 und 2017 zeigten das Museum Rietberg Zürich und die Berlinischen Galerie / Landesmuseum für moderne und zeitgenössische Kunst, Fotografie und Architektur eine Ausstellung zum Thema »Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden«.52 Mag bei den Initiatorinnen und Initiatoren unter anderem insbesondere der Gedanke im Vordergrund gestanden haben, aufzuzeigen, wie viel »Afrika« im »Dada« steckt, ist für unseren Zweck ein anderer Aspekt vom Interesse: Dem Dadaismus ging es programmatisch nicht nur um die provokante Kritik an herkömmlichen Formen von Kunst und Literatur, sondern auch um die grundsätzliche Infragestellung aller überkommenen bürgerlichen Werte und Ideale – und im Kern letztlich um die fundamentale Erschütterung des etablierten rationalen, diskursiven Denkens. Bei der Suche nach 50 René Devisch, »›The Shared Borderspace‹, a Rejoinder«, in: CODESRIA Bulletin, 1–2 (2008), S. 50–61, hier: 52. 51 Ebd., S. 52. 52 Ralf Burmeister/Michaela Oberhofer/Esther Tisa Francini (Hg.), Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden, Zürich 2016.
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geeigneten Instrumenten zum Erreichen dieses Ziels haben diverse Phänomene der Synästhesie auf manche Dadaisten eine besondere Faszination ausgeübt. Von dem austro-deutsche Dadaisten Raoul Hausmann, der Mitte der 1920er Jahre in Gestalt des »Optophons« eine synästhetische Apparatur entwickelt hatte,53 wurde dies programmatisch unter das Motto gestellt: »Meine Herren Musiker, meine Herren Maler: ihr werdet durch die Ohren sehen und mit den Augen hören und ihr werdet den Verstand dabei verlieren!«54
Die Analogie zu den von uns betrachteten Divinationsphänomenen besteht darin, dass durch synästhesierende Effekte das diskursive, rationale Denken irritiert, vielleicht gar »anästhesiert« werden soll, um durch die Elimination des alltäglichen Verstandes das Potential anderer Wahrnehmungs- und Empfindungsmodi zu aktivieren: Das den Kosmos abbildende Divinationsbrett lässt mittels jener akustischen Signale, die durch die auf das Brett geworfenen Kauri-Muscheln oder die Divinationskette ausgelöst werden, den Klang des Kosmos widerhallen – und der babalawo, der »Vater des Geheimnisses« als Divinationsexperte, vermag diese quasi rituell synästhesierten Signale zu entziffern. Analoges gilt, wenngleich weniger subtil und performativ um ein Vielfaches aufgeladen, für die Verwendung der Schlitztrommel im Zusammenhang divinatorischer Konsultationen, wie oben skizziert.
4. R ESÜMEE: BILD UND KLANG, DIVINATION, TRANSFORMATION – ORIENTIERUNG An mehreren Beispielen wurden im Vorhergehenden Aspekte des Synästhetischen thematisiert, die in verschiedener Weise mit Imaginationen interferieren. Diese Imaginationen liegen auf unterschiedlichen Ebenen und lassen sich nach AkteurPerformanz-Zusammenhängen differenzieren. (1) In den einleitenden Bemerkungen ist auf Imaginationen verwiesen worden, die sich größtenteils als von außen kommende – europäische, »westliche« – Projektionen darstellen, ohne jedoch darin aufzugehen. Das war auch gar nicht zu erwarten, da aufgrund der globalen Verwobenheit Klänge und Farben eine 53 Vgl. Raoul Hausmann, Elektronische Eidophonie und andere Aufsätze, herausgegeben von Karl Riha, Siegen 1991. 54 Raoul Hausmann, »Die überzüchteten Künste. Die neuen Elemente der Malerei und Musik (1931)«, in: ders., Texte bis 1933. Bd. 2: Sieg, Triumph, Tabak mit Bohnen, herausgegeben von Michael Erlhoff, München 1982, S. 130–144, hier: S. 144.
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nun schon längere transkulturelle Geschichte aufweisen können, wie am Beispiel der Weltmusik, aber auch schon des Fado u. a. Musikformen, oder umgekehrt an der kolonialen Geschichte der Waxprints deutlich wird. Auffallend ist in diesem Zusammenhang der Charakter jener Projektionen in Gestalt der exotischen und exotisierenden Wahrnehmung, die ein Gesamtbild Afrikas »zeichnet«, mit dessen Metaphorik über das Bildliche hinaus nicht nur Farbklänge, sondern auch Klangfarben assoziiert werden. Dies ist als projizierte Imagination zu fassen, deren synästhetische Dimension bestenfalls implizit, als fantasierte, exotisierende gegeben ist. Der Klang der Trommeln kann übers Bild imaginiert werden – und ist ggf. auch als multimediales und multisensorisches Projekt zu inszenieren, wie etwa André Hellers Zirkusshow »Afrika – Afrika«. (2) Auf einer anderen Ebene befinden wir uns im Falle von Youssou N’dours Projekt – oder besser: Projekten, denn die Konzentration auf die »Neukomposition Afrikas« beschränkt sich ja nicht auf das »Égypte«-Vorhaben. Hier haben wir es mit dem zu tun, was als projektierte Imagination charakterisiert werden kann – als das gezielte Vorhaben, einen (Klang-)Raum zu schaffen, ein »Bild« Afrikas zu generieren, das durch intendierte Synästhesien Mächtigkeit und (virtuelle) Realität erhält: Die Kraft des Intermodalen soll synästhetische Dynamiken anstoßen, die zur Ver-Wirklichung des Imaginierten beitragen – »I bring what I love«. (3) Die five notes wiederum haben als Beispiel dafür gedient, wie in afrikanischen Kontexten die Bereiche des Existenziellen und des Kosmischen in einer Klang-Bild-Korrespondenz miteinander in Beziehung gesetzt werden (können) – wobei das Bild hier vornehmlich in seiner metaphorischen Dimension in den Blick kommt. Entsprechend wäre es möglich, die five notes in ihren vielfältigen sensorischen und materiellen Entfaltungen – und Korrespondenzen, Inter-Relationen, oder noch genauer: in dem dadurch hergestellten Kontinuum – als Referenz auf ontologische Grundstrukturen zu »lesen«, in denen die Einzelnen und der gesamte Kosmos eingezeichnet sind. Hierbei handelt es sich um eine repräsentierte Imagination, durch die der Zusammenhang – oder besser: die Einbindung – des Einzelnen ins Ganze unmittelbar »vorgestellt« wird, und zwar in einer »Vorstellung« (Repräsentation), die insofern über die bloße Vergegenwärtigung des nicht unmittelbar Gegebenem hinausgeht, als Synästhesien »aufgerufen« – oder vielleicht besser: »angerufen« oder auch »abgerufen« werden. Zur Erinnerung: »Jedes Metall ist der Gott des Eisens« und »man kann den Geist Oguns anrufen, wenn der richtige Rhythmus gespielt wird«. Materie – Metall und Erde –, Klang und Rhythmus, Hitze und »Macht« bilden ein Kontinuum, das synästhesierend »wahrgenommen« und dadurch »verwirklicht« werden kann; das Englische »realize« gibt dies besser wieder als das Deutsche »wahrnehmen«. (4) Noch einen Schritt weiter schließlich führen unsere Beispiele afrikanischer Divinationssysteme. Das im weitesten Sinne »rituelle« Geschehen evoziert eine
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»Wahrnehmung« – eine nun wirklich eher im Sinne der realization zu verstehende »Verwirklichung« – des ontologischen Zusammenhangs dieser mit der anderen Welt und der Repositionierung der Einzelnen innerhalb dieses Gesamtzusammenhangs. Die rituell induzierte Imagination führt für den Experten/die Expertin zu einer realisierten Synästhesie, die es ihm/ihr ermöglicht, diesem ontologischen Zusammenhang an der »Schwelle« zwischen den beiden Welten »nachzuspüren« und ihn »aufzuspüren«, und eröffnet zugleich den Klientinnen und Klienten die Gelegenheit, in einen Kommunikationsraum einzutreten, der eine Transformation und damit ihre Neuverortung im Gesamtzusammenhang des Kosmos zu bewirken vermag. Diese könnte noch weiter insofern differenziert werden, als für die divinatorische Praxis des/der Experten/in die kognitive Verarbeitungsebene von konstitutiver Bedeutung ist. Insofern müsste also spezifischer von Ideastäsie gesprochen werden, da für die Expert(inn)en über die sensorischen Auslöser hinaus die »synästhetischen« Wahrnehmungen an semantische Repräsentationen, also die Bedeutung der diese Wahrnehmungen auslösenden Impulse, gebunden sind – für unseren Fall wäre das der Eintritt in die Liminalität zwischen dieser und der anderen Welt –, während sich die »synästhetischen« Wahrnehmungen der Klient(inn) en in der Regel lediglich sinnlichen Auslösern (Bild, Klang, Tanz …) verdanken. Doch damit begeben wir uns vielleicht bereits zu sehr in den Bereich der Bewusstseins- und Wahrnehmungsforschung und weg von dem, was für religionswissenschaftliche Zugänge von besonderem Interesse sein dürfte. Diesbezüglich ist mit Blick auf afrikanische religiöse Phänomene im Allgemeinen und hinsichtlich afrikanischer Divinationssysteme im Besonderen ausschlaggebend, dass das Zusammenwirken von Bild und Klang – über cross-modale Bezüge hinausgehend und ergänzt durch die kinästhetische Dimension – »Grenzöffnungen« und Grenzverbindungen ermöglicht, die der Transformation des Einzelnen wie der Gesellschaft dienen. Ein letztes Wort, mit dem die Notwendigkeit angezeigt werden soll, unseren bisherigen Umgang sowohl mit »Bild, Klang und Bewegung« afrikanischer Provenienz als auch mit großen afrikanischen religiösen Traditionen und Wissenssystemen (wie etwa den Divinationssystemen) unter postkolonialer Perspektive gegen den Strich zu bürsten. Das betrifft die Selbstkritik gegenüber unseren eigenen Imaginationen, soweit mit ihnen ein »repräsentatives Afrika« fantasiert wird; das betrifft Verständnis und Offenheit gegenüber afrikanischen Imaginationen, die nicht selten mit einem strategischen Essenzialismus ein imaginäres Afrika projektieren; und das betrifft auch die Frage des forschenden Umgangs mit afrikanischen Religionen oder afrikanischen Wissenssystemen. In diesen Bereichen hat sich Einiges verändert, wenngleich noch viele Fragen offen sind. Wir wissen heute um die Problematik westlicher Epistemologien, die mit binären Codes scharfe konzeptuelle Dichotomien gezogen haben – zwischen Religiösem und Säkularem,
Die Klangfarben Afrikas und der »Drumbeat of Life« | 95
zwischen Zeitlichen und Ewigen, zwischen Tradition und Moderne etc., – aber eine klare Antwort darauf, wie damit verantwortungsvoll umzugehen ist, steht noch aus. Vielleicht können afrikanische Klänge und Bilder (und Bewegungen) durch die Kraft ihrer Imaginationsproduktivität dazu beitragen, dass wir lernen, veränderte Perspektiven einzunehmen und neue Zugänge zu afrikanischen Wissens- und Glaubenssystemen zu finden.
Geistliche Gesänge statt Feindbilder Klangliche Repräsentationen religiöser Identitäten im christlich-muslimischen Dialog Verena Grüter
1. E INLEITUNG: DER KARIKATURENSTREIT VON 2006 UND EIN MUSIKPROJEKT Zu Beginn des Jahres 2006 erschütterte der sogenannte Karikaturenstreit islamische und europäische Länder. Im September 2005 hatte eine dänische Tageszeitung Karikaturen veröffentlicht, die den Propheten Mohammed sowie religiöse Vollzüge von Muslimen zeigten. Im Oktober desselben Jahres wurden sie in der ägyptischen Zeitung Al Fager nachgedruckt, und Anfang 2006 erschienen sie in einer norwegischen Zeitung. Etwa zur selben Zeit tauchten in einer Zusammenstellung zweier dänischer Imame die veröffentlichten Karikaturen zusammen mit weiteren Karikaturen teilweise obszönen und beleidigenden Inhalts auf. Als Reaktion auf die Veröffentlichung kam es in etlichen muslimischen Ländern zu Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen: In einigen arabischen Staaten wurden dänische und norwegische Produkte boykottiert, die dänische Botschaft in Libyen wurde geschlossen, diejenige in Jakarta von Demonstranten besetzt; das EU-Büro im Gazastreifen wurde im Januar 2006 gestürmt und das Redaktionsgebäude der dänischen Tageszeitung Jyllands Posten in Kopenhagen musste wegen einer Bombendrohung evakuiert werden. Im Februar 2006 wurden die dänische und die norwegische Botschaft in Damaskus von Demonstranten in Brand gesteckt. Pakistans Gesundheitsminister Nasir Khan kündigte an, die Einfuhr von Medikamenten aus jenen europäischen Ländern zu verbieten, in denen die Karikaturen erschienen waren. Der indische Politiker und Minister für die muslimische Minderheit in Uttar Pradesh, Haji Yakub Qureshi, setzte 2006 im Anschluss an das islamische Freitagsgebet in Meerut ein Kopfgeld von knapp 10 Millionen Euro für die Er-
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mordung eines der dänischen Zeichner der Mohammed-Karikaturen aus. Die gewalttätigen Proteste richteten sich bald auch gegen andere europäische Länder. Als Reaktion auf die gewalttätigen Eskalationen, ausgelöst durch die Karikaturen, brachte die Kirchliche Kulturwerkstatt der Lutherischen Kirche Norwegens in Oslo im Jahr 2006 ein ungewöhnliches Projekt auf den Weg: Gegen die als blasphemisch empfundenen Karikaturen setzte Erik Hillestadt, Begründer der Kulturwerkstatt, ein Musikprojekt. Er nannte es Dialogue1. Geistliche Gesänge aus Christentum und Islam sollten Brücken schlagen über die Gräben, die die Karikaturen aufgerissen hatten. Angesichts dieses Projekts gehe ich der Frage nach, wie musikalische Klänge religiöse und kulturelle Identitäten prägen und wie sich diese Prozesse zu bildlichen Repräsentationen von Identität verhalten. Der landläufigen Auffassung von Musik als einer Art »universaler Weltsprache«, die Differenzen überwindet, stelle ich die These entgegen, dass durch Musik fragmentarische Identitäten konstruiert werden, die wechselseitige Empathie ermöglichen. In dem hier untersuchten musikalischen Dialogprojekt werden religiöse und kulturelle Identitäten auf spezifische Weise durchlässig gemacht, sodass sie wechselseitig spielerisch erprobt und eine mystische Einheit imaginiert werden kann.
2. M USIK UND RELIGIÖS-KULTURELLE IDENTITÄT Hillestadts musikalisches Dialogprojekt suggeriert – auf den ersten Blick – zwei Grundannahmen: Zum einen, dass sich unterschiedliche religiös-kulturelle Identitäten durch Musik repräsentieren lassen. Und zum zweiten, dass Musik eine Verbindung zwischen diesen unterschiedlichen Identitäten herstellen kann. Drittens legt der politische Kontext des Projekts die Annahme nahe, dass Musik über Eigenschaften verfügt, verschiedene religiös-kulturelle Identitäten miteinander zu verbinden, die der darstellenden Kunst nicht in derselben Weise zu eigen sind. Zunächst möchte ich diese Grundannahmen auf dem Hintergrund des Forschungsstands musikwissenschaftlicher Disziplinen erörtern. Die Frage, ob Musik transkulturelle Bedeutungen transportiert – als eine Art anthropologischer Konstante – oder eher kulturelle Differenzen definiert, wird zwischen den musikwissenschaftlichen Disziplinen kontrovers verhandelt.2 Aus
1 Vgl. online: http://kkv.no/musikk/utgivelser/2000-2009/2006/sondre-bratland-og-javedbashir/ (abgerufen: 13.12.2017). 2 Vgl. dazu die Debatte bei Rolf Oerter, »Musik – Einheit und Vielfalt ihrer kulturellen Ausprägung. Eine kultur- und musikpsychologische Perspektive«, in: Erwägen – Wissen – Ethik, 18 (2007), 4, S. 521–532.
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musikethnologischer Perspektive wird Musik als zwar kulturell universal3, in ihrer je konkreten Gestalt aber als Repräsentation sozialer Strukturen verstanden.4 Insofern bleibt symbolische Kommunikation durch Musik an die jeweiligen sozialen Strukturen gebunden: »There is no question but that music serves a symbolic function in human cultures on the level of affective or cultural meaning. Men everywhere assign certain symbolic roles to music which connect it with other elements in their cultures. It should be emphasized that on this level we do not expect to find universal symbolism ascribed to music; rather, this symbolic level operates within the framework of individual cultures.«5
In diesem kulturanthropologischen Konzept erscheint Musik als kulturvariantes Symbolsystem sozialen Verhaltens und zwar gerade wegen ihrer fehlenden eindeutigen semantischen Konnotationen. Bedeutung erhalten musikalische Klänge infolge ihrer Einbettung in soziale Strukturen, in denen sie verschiedene Funktionen übernehmen können. Allerdings sind die Zusammenhänge zwischen sozialen und musikalischen Strukturen nicht eindeutig zu erweisen. Poststrukturalistische Forschung hinterfragt daher kritisch die deterministisch anmutende Vorstellung der Beziehung zwischen sozio-kultureller und musikalischer Struktur und kehrt die Fragerichtung um: Musik wird nicht mehr als Ausdruck bestehender, nicht-musikalischer sozio-kultureller Strukturen betrachtet. Vielmehr tritt die Bedeutung von Musik als transformativer Kraft für soziokulturelle Identitäten in den Blick: »The theorization of music and sociocultural identity is presently a major preoccupation. An older model, given new life in certain versions of subculture theory, argues that music reflects or enunciates underlying social relations and structures. The problem is to trace the links between a musical form or practice and its production or consumption by particular 3 Vgl. Alan Merriam, The Anthropology of Music, Evanston 52000, S. 28: »Music is also a universal in human culture, though not an absolute, and the fact that it is found everywhere is of great importance in reaching an understanding of what it is and does for men.« 4 Vgl. ebd., S. 27: »Each culture decides what it will and will not call music; and sound patterns, as well as behavior, which fall outside these norms are either unacceptable or are simply defined as something other than music. Thus, all music is patterned behavior; indeed, if it were random, there could be no music. […] Music is a uniquely human phenomenon which exists only in terms of social interaction; that is, it is made by people for other people, and it is learned behavior.« 5 Ebd., S. 246.
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social groups. This ›homology‹ model has often been discredited for a mechanical, deterministic mapping of the relation between social base and cultural superstructure, whether in Marxian or Durckheimian formulations. […] A new model has emerged based on these criticisms, which amounts to a current orthodoxy. It proposes that music ›reflects‹ nothing: rather, music has a formative role in the construction, negotiation, and transformation of sociocultural identities. In this view, music engenders communities or ›scenes‹; it allows a play with, a performance of, and an imaginary exploration of identities. Its aesthetic pleasure has much to do with this vicarious exploration of identities.«6
Es ist die Performativität von Musik, ihre Eigenschaft, durch die Verbindung zwischen Ästhetik und Sozialität Wirklichkeit hervorzubringen, die sich ihre eigenen Szenen, ihre »communities« schafft und dadurch kollektive Identitäten ausbildet. Zugleich lädt der ästhetische Genuss des Musikerlebens dazu ein, spielerisch unterschiedliche Identitäten zu erproben. Die Performativität von Musik ist für das norwegisch-pakistanische Dialogprojekt von entscheidender Bedeutung: Es zielt darauf ab, zwei unterschiedliche religiöse und kulturelle Identitäten so zueinander in Beziehung zu setzen, dass das wechselweise spielerische Erproben beider ermöglicht wird. Daraus ergibt sich jedoch die Frage, wie Differenz und Alterität musikalisch erzeugt werden: »How should we conceive of difference in music?«, fragen Georgina Born und David Hesmondhalgh und spezifizieren die Frage: »How other cultures are represented in music through the appropriation or imaginative figuration of their own music, and, conversely, how social and cultural identities and differences come to be constructed and articulated in music.«7
Sollen durch musikalische Klänge alternative Identitäten imaginiert werden, so kann die Beziehung zu außermusikalischen sozio-kulturellen – und in diesem Falle vor allem: religiösen – Identitätsmerkmalen nicht völlig ausgeklammert bleiben. Born und Hesmondhalgh konkretisieren die Frage nach der Konstruktion von Alterität durch Musik insbesondere aufgrund ihrer fehlenden denotativen Eigenschaften: »The kind of difference invoked when music, that quintessentially nonrepresentational medium, is employed (paradoxically) so as to represent, through musical figures, another 6 Georgina Born/David Hesmondhalgh (Hg.), Western Music and its Others. Difference, Representation and Appropriation in Music, Berkeley/Los Angeles/London 2000, S. 31. 7 Ebd., S. 2.
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music, another culture, an other? What is implied by attending to the boundaries of musicalaesthetic discourses inherent in this notion of representing or appropriating another music or culture in music?«8
Anders gefragt: Wie können unterschiedliche sozio-kulturelle bzw. religiöse Identitäten durch Musik hervorgebracht werden, die doch – anders als die visuellen und literarischen Künste9 – keine denotativen Eigenschaften hat? Diese Frage führt zurück zu den Beziehungen zwischen musikalischen Klängen und außermusikalischen Faktoren der Ausbildung von Identitäten. Ohne die ältere musik ethnologische Position unverändert wieder aufzunehmen, nach der Musik die außermusikalischen sozio-kulturellen Strukturen einfach repräsentiert, verstehe ich mit Born und Hesmondhalgh die beiden Funktionsweisen von Musik – Identitäten sowohl zu repräsentieren als auch hervorzubringen – nicht als gegeneinander exklusiv: »There is a need to acknowledge that music can variably both construct new identities and reflect existing ones. Sociocultural identities are not simply constructed in Music; there are ›prior‹ identities that come to be embodied dynamically in musical cultures, which then also form the reproduction of those identities – no passive process of reflection. We cannot afford to jettison completely a reflectionist model when […] in certain circumstances music does function primarily and powerfully to articulate the boundaries defining the collective identities or mutual antagonisms of pre-existing socio-cultural groups, groups defined by shared cultural systems quite distinct from music.«10
Die Art und Weise, wie Musik sozio-kulturelle und religiöse Identitäten hervorbringt und repräsentiert, steht im Mittelpunkt meiner Untersuchung. Wie zu zeigen sein wird, stellt das norwegisch-pakistanische Dialogprojekt darauf ab, gegeneinander abgegrenzte religiös-kulturelle Identitäten sowohl darzustellen als auch diese Grenzen gleichzeitig zu überwinden. Ziel meiner Untersuchung ist es aufzuweisen, inwiefern die spezifischen Eigenschaften von Musik als nicht denotativer Kunst genau diese Prozesse der Konstruktion von Identitäten und der spielerischen Erprobung unterschiedlicher Identitäten ermöglichen, die die Imagination von sozio-kultureller und religiöser Alterität voraussetzt. 8 Ebd., S. 1. 9 Vgl. ebd., S. 2: »This [the representation of the cultural other in western art music; VG] is to address the nature of specifically musical representation – a problem easily ignored given music’s status as a nonrepresentational medium; given also the more obviously ideological propensities of denotative media, that is, the literary and visual arts.« 10 Ebd., S. 31–32.
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In diesem Sinne möchte ich das norwegisch-pakistanische Projekt Dialogue unter der Fragestellung erörtern, wie die gewählte musikalische Form die antagonistischen kollektiven religiösen Identitäten norwegischen Christentums und pakistanischen Islams einerseits als gegeneinander abgegrenzte Identitäten gestaltet und doch zugleich ein wechselseitiges, spielerisches Ausloten der beiden Identitäten ermöglicht. Abschließend frage ich, wie sich die spezifisch musikalischen Möglichkeiten, Identität zu imaginieren, zu den bildhaften Aspekten von Imagination verhalten.
3. G EISTLICHE VOLKSMUSIK ALS FORMATIVE REPRÄSENTATION RELIGIÖS-KULTURELLER IDENTITÄTEN Für sein musikalisches Dialogprojekt stellte Erik Hillestadt gemeinsam mit dem in Norwegen lebenden pakistanischen Produzenten Khalid Salimi ein Gesangsduo zusammen: Der Norweger Sondre Bratland11 gilt als bedeutendster norwegischer Sänger im Bereich cross-over zwischen Volksmusik und Weltmusik, insbesondere aus Asien, mit einem Schwerpunkt auf geistlicher Musik. Javed Bashir12, geboren in Lahore, kommt aus einer Familie, in der der aus dem Punjab stammende Quawwali-Gesang praktiziert wird. Er gilt als bedeutender Qawwali-Sänger, der ebenso Popmusik und cross-over singt. Das Duo wählte aus jeder der beiden Traditionen zwölf geistliche Dichtungen oder Lieder aus. Bratland griff auf zahlreiche geistliche Lieder aus dem skandinavischen Luthertum zurück, von denen etliche bis heute im Norsk Salme Bok13, dem Gesangbuch der Lutherischen Kirche in Norwegen, stehen. Unter seinen Texten finden sich frühe lutherische Choräle wie das Loblied von Hans Tomissøn14 (1532–1573) und eine anonyme deutsche Dichtung aus dem 16. Jahrhundert15; ein Morgenlied des dänischen Bischofs Thomas Kingo (1634–1706)16 und Choräle
11 Vgl. online: http://www.sondrebratland.no/index.php (abgerufen: 18.12.17). 12 Vgl. online: https://en.wikipedia.org/wiki/Javed_Bashir (abgerufen: 18.12.17). 13 Norsk Salme Bok, Oslo 1985. 14 Jeg vil meg Herren love som mime synder bar (Engl.: I will praise the Lord who took my sins away). Alle Textzitate und englischen Übersetzungen (mit Ausnahme des Gedichts von Hauge) sind dem Booklet zur CD entnommen. 15 Eg veit I himmerik ei borg (Engl.: I know a castle in the kingdom of heaven). 16 Nå rinner solen opp av østerlide (Engl.: Now the sun rises in the east), Norsk Salme Bok, Nr. 773.
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des dänischen Bischofs und Liederdichters Hans Adolph Brorson (1694–1764)17; ein Lied des englischen Kardinals John Henry Newman (1801–1890)18, aber auch Lieder aus der skandinavischen Erweckungsbewegung von Selma Sundelius-Lagerström (1859–1927)19 und Per Nordsletten (1837–1923)20. Außerdem verwendet er eine anonyme Dichtung zu einer norwegischen Volksmelodie21 und ein Gedicht des norwegischen Lyrikers Olav H. Hauge (1908–1994)22, zu dem er selbst die Melodie geschrieben hat. Bratlands Auswahl an Liedern repräsentiert augenfällig skandinavisches volkskirchliches Luthertum ebenso wie die erwecklichen Strömungen darin. Das Gedicht von Olav Hauge ist in Norwegen sehr bekannt und verbreitet und wurde 2016 zum besten norwegischen Gedicht gekürt.23 Anders als die geistlichen Lieder in Bratlands Repertoire spricht dieses Gedicht keine explizit christliche Sprache. 17 Korset vil jeg aldri svilke (Engl.: I will never betray the cross), Norsk Salme Bok, Nr. 75; Akk Fader, la Ditt Ord, Din Ånd dog rett få overhånd (Engl.: Oh Father, let your Word and Yours Spirit be Sovereign), nicht im Norsk Salme Bok; O Du min Immanuel (Engl.: Oh Immanuel of mine), Norsk Salme Bok, Nr. 368; Alle vegne hvor jeg vanker (Engl.: All the places where I wander), nicht im Norsk Salme Bok. 18 Leid, milde ljos, igiennom skoddeeim (Engl.: Lead me, oh Light, through lands of fog), Norsk Salme Bok, Nr. 414. 19 Jesus, giør meg stille, stille! (Engl.: Jesus, make me silent, silent!), nicht im Norsk Salme Bok. 20 For Guds folk er hvilen tilbake (Engl.: For the people of God the repose still remains), nicht im Norsk Salme Bok. 21 Jeg vet om en kilde som ingen kann tømme (Engl.: I know a source that no one can empty), nicht im Norsk Salme Bok. 22 Det er den draumen me ber på (Engl.: It’s the Dream, translated by Robert Bly):
»It’s that dream that we carry with us that something wonderful will happen, that it has to happen, that time will open, that the heart will open, that doors will open, that the mountains will open, that wells will leap up, that the dream will open, that one morning we’ll slip in to a harbor that we’ve never known.«
23 Vgl. online: https://www.nrk.no/kultur/bok/_det-er-den-draumen_-er-norges-beste-dikt1.13140034 (abgerufen: 27.12.2017).
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Es formuliert Hoffnung metaphorisch als Öffnung auf Veränderung hin, ohne diese jedoch konkret zu füllen. Dieser metaphorische Charakter ermöglicht es, das Gedicht im Kontext des interreligiösen Musikprojekts neu zu deuten. Das macht es besonders geeignet für ein spielerisches Ausprobieren von Identitäten, wie ich es im folgenden Abschnitt eingehender erörtern werde. Auf der materiellen Ebene der ausgewählten Texte und Melodien kann daher mit Recht gesagt werden, dass Bratlands Gesänge norwegische volkskirchliche Tradition repräsentieren. In Anschluss an Merriam halte ich fest, dass die Lieder soziales Verhalten widerspiegeln: Die Gemeindelieder, die sich im Norsk Salme Bok finden, haben ihren Sitz im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde. Angestimmt im Rahmen der Liturgie und begleitet vom Klang der Orgel, konstituiert der gemeinsame Gesang dieser Choräle die Gemeinde, die sich damit zu ihrer denominationellen Identität bekennt. Die eher erwecklichen Lieder – zu denen auch das Lied von Newman gehört, das seiner evangelikalen Lebensphase entstammt – repräsentieren den lutherischen Pietismus, der in Norwegen stark ausgeprägt ist.24 Der symbolische Verweischarakter dieser Lieder ist demzufolge norwegischen Lutheranerinnen und Lutheranern unmittelbar verständlich, die sie ihrer religiösen Praxis zuordnen können. Insofern bestätigen sie die religiös-kulturelle Identität einer bestimmten Zielgruppe.25 Diese außermusikalischen sozio-kulturellen Identitätsmerkmale bestehen in Bratlands Repertoire jedoch nicht nur aus den konkreten religiösen Inhalten. Sie ergeben sich darüber hinaus aus dem politischen Kontext der Lutherischen Kirche Norwegens: Seit die Reformation in Norwegen 1537 von König Christian III eingeführt wurde, war das Luthertum in Norwegen Staatsreligion. Die lutherische Denomination galt als öffentliches Bekenntnis des norwegischen Staates, der König war Oberhaupt der Kirche und seine evangelisch-lutherischen Minister bildeten den Staatskirchenrat. Mindestens die Hälfte der Regierungsmitglieder mussten der Kirche angehören. Dieses Staatskirchenrecht wurde erst mit der Verfassungsänderung von 2012 reformiert.26 Seitdem sollen andere religiöse Gemein24 Erich Beyreuther, »Erweckungsbewegungen im 19. Jh.«, in: RGG3, S. 622–629. 25 Vgl. Born/Hesmondhalgh (Hg.), Western Music and its Others, a.a.O., S. 31–32. 26 Der König ist nicht mehr Oberhaupt der Kirche, Bischöfe werden seitdem gewählt und haben zusammen mit den Pastoren seit Januar 2017 ihren Status als Staatsbeamte verloren. 2013 ist außerdem ein neues Gesangbuch in Gebrauch genommen worden. Das Norsk Salme Bok 2013 ersetzt inzwischen das hier zugrunde gelegte Norsk Salme Bok von 1985. Da das Dialogprojekt jedoch vor dieser Reform entstanden ist, habe ich auf das damals gültige Gesangbuch zurückgegriffen. Die neue Version ist mir leider nicht zugänglich, sodass ich nicht überprüfen konnte, ob die von Bratland ausgewählten Lieder, die sich in der Gesangbuchversion von 1985 befanden, auch in der neuen Version
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schaften ebenso staatlich gefördert werden wie die Kirche. Zu dem Zeitpunkt der Entstehung des Dialogprojekts war die lutherische Kirche in Norwegen jedoch noch Staatskirche, sodass den von Bratland gesungenen Liedern auch eine politische Symbolik innewohnt: Sie repräsentieren die Identität des politisch-religiösen Kollektivs, das sich durch staatliche Privilegien vor anderen religiösen Gruppen auszeichnet. Vergleichbares lässt sich über die Gesänge sagen, die Javed Bashir ausgewählt hat. Sie stammen überwiegend von bekannten Sufi-Dichtern aus dem Punjab: Drei der Gedichte gehen auf Shah Hussain (1539–1593)27 zurück, bekannt auch unter dem Namen Madho Lal Husain. Er verwandte in seinen Gedichten das traditionelle mystische Vokabular von Sehnsucht und der Hoffnung auf das Entwerden, und führte als erster Volkssagen aus dem Punjab wie die von der unglücklichen Liebe zwischen Hir Ranjah und Sohni Mehanval28 in den Kontext mystischer Gedanken ein.29 Drei weitere Gedichte sind von Bulleh Shah (1680–1752)30 verfasst. Als Zeitgenosse des Niedergangs der Mogulherrschaft in Indien suchte er seine Zuflucht vor den politischen Katastrophen in der Mystik. Seine Dichtungen in Panjabi und Farsi verschafften ihm den Ruhm eines ›Rumi des Punjab‹.31 Zwei weitere Texte aus Bashirs Repertoire stammen von seinem Vater, dem Qawwal Bashir Ahmed Khan, und vier Texte, alle auf Urdu, sind anonym überliefert. Sufi-Dichtungen haben ihren traditionellen Sitz im Leben in den QawwaliPerformances an den Sufi-Schreinen in Nordindien und Pakistan.32 Sie werden einstimmig gesungen von professionellen Qawwals und begleitet von starkem rhythmischem Händeklatschen sowie den dazu gehörenden Instrumenten: den Perkussionsinstrumenten Tabla und Dholak sowie dem Harmonium. Die performative Dynamik der Musik, bei der sich das Tempo – angetrieben vom Klatschen und den Perkussionsinstrumenten – ständig steigert, führt die Gläubigen zu einer
noch vorhanden sind. Vgl. hierzu online: https://de.wikipedia.org/wiki/Norwegische_ Kirche#Geschichte (abgerufen: 20.12.2017). 27 Annemarie Schimmel, Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus, Frankfurt am Main/Leipzig 1995, S. 544. 28 Vgl. ebd., S. 549–551. 29 Vgl. ebd., S. 544. 30 Vgl. ebd., S. 549. 31 Vgl. ebd., S. 549. 32 Vgl. James Richard Newell, Experiencing Qawwali: Sound as Spiritual Power in Sufi India, Nashville 2007, online: http://etd.library.vanderbilt.edu/available/etd-09262007151811/unrestricted/newelldissertation.pdf (abgerufen: 20.12.2017).
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religiösen – häufig ekstatischen – Erfahrung33 und vermittelt so die spirituelle Kraft, die dem Sufi-Heiligen von Gott gegeben wurde und an der die Gläubigen auf diese Weise Anteil bekommen: »Although much effort is expended by Sufis to ensure that the sung text is primary in the performance of traditional, religious Qawwali, it is the transmission of baraka [spiritual power, or blessing] through musical sound that distinguishes Qawwali as the particular performance of expressive culture that it is. The explicit religious function of Qawwali is to act as a catalyst for ecstatic states of religious experience. In this context, the music itself is not simply a vehicle for the sung text, it is also a vehicle for the transmission of spiritual power [baraka]. According to many Chishtiyya Sufi saints [Awliya], spiritual music is identical with spiritual power, that is, it is coextensive with religious experience and communion with the divine.«34
Diese religiöse Erfahrung ist für die Gläubigen identitätsstiftend, denn sie werden dadurch in die unmittelbare Gemeinschaft mit dem Sheikh und über ihn mit dem Propheten Mohammed eingegliedert.35 Insofern führt die Teilnahme an einer Qawwali-Performance dazu, dass die religiöse Identität der Gläubigen ständig neu hervorgebracht und dadurch zugleich stabilisiert wird. Dabei spielt die Imagination eine wichtige Rolle: Während die Verbindung zwischen dem Gläubigen und dem Sheikh in der Qawwali-Zeremonie performativ hergestellt wird, wird die Zusammengehörigkeit zwischen dem Sheikh und dem Propheten und über beide hinaus mit Gott imaginiert. Die Praxis der Qawwali-Performanz ist bis heute an Sufi-Dergahs in Indien und Pakistan lebendig. Darüber hinaus jedoch spielte Qawwali im Zuge der Entwicklung einer nationalen kulturellen Identität Pakistans eine wichtige Rolle. Auf der Suche nach einer nationalen Identität infolge der Teilung Pakistans und 33 Vgl. ebd., S. XXXI: »It is thus one of the central claims of this study that Qawwali musicians and singers [qawwals] use the sounds of Qawwali as symbolic representations of the inner meaning of Qawwali experience. These symbolic representations are modes of musical expression that coax the listener to turn inward by mirroring the desired subjective states through the deliberate manipulation of suggestive sounds.« 34 Ebd., S. XVIII. 35 Vgl. ebd., S. 37: »This orientation emphasizes the imperative placed upon the listener to associate himself (with some exceptions, only males are allowed to attend most mahfils) with the shaykh and, by extension, the entire lineage back to the Prophet, and ultimately to an existential union with God as the divine Beloved. The purpose of the music and the sung texts in this context is to then enliven the enactment of this physical arrangement and arouse spiritual feeling in the listener.«
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Indiens 1947 bildete Radio Pakistan eine Art kolonialen Radiosender nach dem Vorbild des British Broadcasting Service in Indien und machte Qawwali zur Nationalmusik: »More lasting was the use of the Sufi qawwali as a quasi-national music, whose strongly rhythmic, improvisational character, and flamboyant performance style were all retained and were showcased by many performers on state television from the 1960s onward. In fact, one of the first LP records of Pakistan, still famous today, was Tajdar-e-haram, which launched the great Ghulam Farid Sabri and his qawwali group, later renamed the Sabri Brothers.«36
Aus der rituellen Musik wurde damit ein Symbol national-kultureller Identität, die sich in den 1990er Jahren noch verstärkte: Im Zusammenhang der Internationalisierung und der Entstehung der World Music fand Qawwali Zugang zur internationalen Bühne der Weltmusik. Damit ging zweifelsfrei eine gewisse Anpassung des Stils an den Geschmack eines internationalen Publikums einher: »Aspects of westernization include television broadcasting of Western music dubs and the recasting of traditional music into various styles of fusion by artists such as Adnan Sami Khan and the late Nusrat Fateh Ali Khan. At the same time traditional Pakistani genres, especially the ghazal and qawwali, enjoyed a revival and have now become an export specialty. Such reflected glory has in turn reinvigorated these musical forms at home, especially among the less westernized middle class.«37
Im Rahmen der weltweiten Verbreitung steht Qawwali inzwischen international symbolisch für die kollektive religiös-kulturelle Identität Pakistans. Da Pakistan seine politische Identität religiös definiert, kommt demnach der Qawwali-Musik eine politische Symbolik zu, die den Islam als dominante Identität hervorhebt: »Thus, against prevailing views that music is primarily a means for the imagining of emergent and labile identities, we stress that music is equally at times a medium for marking and reinforcing the boundaries of existing sociocultural categories and groups. Again as Stoke has argued, ›Music is intensely involved in the propagation of dominant classifications‹ of ethnicity, class, and gender, and notably, too, in the cultural articulation of nationalism.
36 Vgl. Regula Burckhardt Qureshi, »Music, the State, and Islam«, in: Alison Arnold (Hg.), The Garland Encyclopedia of World Music, Vol. 5: South Asia, The Indian Subcontinent, New York/London 2000, S. 744–750, hier: 746. 37 Ebd., S. 748.
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Indeed, ›the violence which enforces dominant classifications is seldom far away from musical performances in many situations.‹«38
Über das Repertoire beider Sänger lässt sich also sagen, dass die ausgewählten Lieder die jeweilige dominante religiöse, kulturelle und politische Identität repräsentieren. In den Gesängen des Duos begegnen sich nicht allein kulturspezifische Gestalten des Christentums und des Islams. Sie repräsentieren darüber hinaus die jeweilige sozio-kulturelle und religiöse Identität der dominierenden gesellschaftlichen Gruppen Norwegens und Pakistans. Damit ist die politische Ebene eingeholt, zu der der Karikaturenstreit sich entwickelt hatte.
4. » I AM YOU«: DAS IMAGINATIVE SPIEL MIT IDENTITÄTEN Zwischen diesen beiden hoch symbolisch aufgeladenen musikalischen Repertoires wird nun auf der CD ein Dialog in Gestalt einer Collage39 hergestellt. Dazu werden jeweils zwei Lieder – eines aus jeder der beiden religiös-kulturellen Traditionen – miteinander verschränkt. Sie werden in ihren jeweiligen Originalsprachen – Norwegisch, Panjabi und Urdu – strophenweise alternierend von den beiden Sängern gesungen. Auf diese Weise ergeben jeweils zwei Lieder einen neuen Gesang. Ohrenfällig – um einen analogen Begriff zum visuellen Paradigma zu finden – ist deren einheitlicher Klangcharakter. Bewirkt wird er, indem beide Sänger solistisch und nahezu völlig unbegleitet singen. Bilden die jeweiligen Instrumente wichtige kulturelle Identitätsmerkmale der beiden Gattungen geistlicher Gesänge, so erscheinen sie hier drastisch reduziert. Der Verzicht auf Instrumente, aber auch auf die Gemeinschaft der Gläubigen, die in beiden religiösen Traditionen unverzichtbarer Bestandteil der religiösen Performanz ist, entkleidet die Gesänge ihres jeweiligen sozio-kulturellen Kontextes. Indem kulturspezifische musikalische Parameter – ihre spezifischen Skalensysteme, Harmonien, Rhythmen, Tempi, Vortragsweisen und Instrumentalklänge – ausgeblendet werden, entfallen kulturbedingte musikalische Differenzen. Damit entfällt zugleich ein wesentlicher Teil der religiös und kulturell repräsentativen Funktion der jeweiligen Musik. 38 Born/Hesmondhalgh (Hg.), Western Music and its Others, a.a.O., S. 32 unter Bezugnahme auf: Martin Stokes, »Introduction: Ethnicity, Identity and Music«, in: ders. (Hg.), Ethnicity, Identity and Music: The Musical Construction of Place, Oxford 1997, S. 8–10. 39 Vgl. ebd., S. 39.
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Übrig bleiben auf das absolute Minimum zurückgeführte, relativ abstrakte Klanggerüste: Die traditionellen Texte werden als Sologesänge vorgetragen, von Bratland zu überlieferten Volks- oder Choralmelodien, von Bashir zu improvisierten Melodien auf der Grundlage nordindischer Skalensysteme, die auch den Qawwali-Gesängen zugrunde liegen. Das klangliche Ergebnis ähnelt in seiner Konzentration auf die einstimmige, unbegleitete melodische Darbietung der Texte eher den Rezitationsformen liturgischer Texte, wie sie in der Gregorianik und der Qur’anrezitation in beiden religiösen Traditionen verwendet werden. Positiv wird dadurch eine klangliche Nähe geschaffen, die zwischen den konkreten Performanzen norwegischer Choräle und pakistanischem Qawwali in den jeweiligen Kontexten nicht gegeben ist. Diese Nähe wird auch durch die Zusammenstellung der Texte betont: Mit einer Ausnahme spricht in allen Liedern aus der norwegisch-lutherischen Überlieferung das gläubige Individuum. Es handelt sich um individuelle Gebetslieder, in denen das gläubige Subjekt sich an Gott oder Jesus Christus direkt wendet und um Bewahrung des Seelenheils bittet oder die eigene Hingabe an den Glauben ausdrückt. Im überwiegenden Teil der Lieder drückt sich die Hoffnung auf jenseitiges Heil aus – durchaus nicht nur individuell, sondern auch für die Kirche als Ganze. In der sufischen Dichtung ist die Vereinigung der Seele mit Gott das schlechthinnige Thema.40 So handeln die von Bashir vorgetragenen Gesänge von der Liebe zu Gott und der Sehnsucht nach Vereinigung mit ihm, beklagen die Sündhaftigkeit des Mystikers, erzählen von den Gefahren des mystischen Weges und zelebrieren so den Schmerz der Seele, die sich nach der mystischen Vereinigung mit dem Geliebten, mit Gott sehnt.41 Den auf diese Weise durch Collage-Technik entstandenen Gesängen sind im Booklet Stichwortüberschriften gegeben, die die unterschiedlichen Texte unter ein gemeinsames Thema stellen. Manchmal sind die Überschriften einem der Texte entnommen, in anderen Fällen stellen sie eher thematische Verbindungen
40 Schimmel, Mystische Dimensionen des Islam, a.a.O., S. 545: »Das kräftige, bäuerliche, sehr idiomatische Panjabi und das komplizierte, musikalische Sindhi […] waren ausgezeichnete Medien, um mystische Gefühle […] auszudrücken. Die mystischen Verse kreisen um das endlose Sehnen der Seele, um glühende Liebe, Sehnsucht nach dem Schmerz, der eine göttliche Gnade ist.« 41 Religionstheologisch interessant und aufschlussreich wäre eine detaillierte Analyse der ausgewählten Texte und ihrer Zusammenstellung. Aus Gründen der sprachlichen Zugänglichkeit der Originaltexte kann ich hier nur auf die englischen Übersetzungen verweisen.
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zwischen den Texten her. Der Reigen der Titel42 beginnt mit der Suche nach der Einheit mit Gott und führt über konkrete Motive religiöser Praxis wie Hoffnung, Nachfolge, Andacht und Gotteslob schließlich zu der Frage nach der Identität des religiösen Subjekts, die mit der mystischen Einheit zwischen dem Ich des Mystikers und dem göttlichen Du beantwortet wird. Was bedeutet diese Konzentration nun für die Rolle von Musik, individuelle und kollektive Identitäten erzeugen zu können? Ihrer klanglichen Spezifika entkleidet, laden die ineinander verschränkten Sologesänge die Zuhörenden auf eine interkulturelle und interreligiöse Hörerlebnisreise ein. Die zu überwindenden Schwellen sind auf die Unterschiede der Sprachen und der Skalensysteme reduziert und damit sehr niedrig gehalten. Dass die Fremdheit begrenzt wird, macht es leichter, zwischen den Klängen sozusagen hin und her zu wandern. Sie versetzen die Hörenden in eine Bewegung, in eine Erfahrung des »betwixt and between«43: Beide religiös-kulturellen Identitäten können spielerisch erprobt und wechselweise eingenommen werden, ohne dass die Zuhörenden sich in ein Kollektiv eingliedern müssen. Sie nehmen nicht an einem christlichen Gottesdienst oder an einem Qawwali-Ritual teil, es bleibt bei der Imagination der jeweiligen Identität. Das liegt in der Natur musikalischer Klänge, die keine denotative Funktion haben. Darin wurzelt ihre Fähigkeit, intersubjektive Empathie zu ermöglichen: »It is precisely music’s extraordinary power of imaginary evocation of identity and of crosscultural and intersubjective empathy that render it a primary means of both marking and transforming individual and collective identities. As Born has argued previously, it is because music lacks denotative meaning, in contrast with the visual and literary arts, that it has particular powers of connotation.«44
Die Gestaltung der geistlichen Gesänge zu musikalischen Collagen bewirkt einerseits eine Gegenüberstellung, eine gewisse Distanzierung, die die jeweiligen reli-
42 Unity with God – Across the river – Hope – To find the path – Following – The source – Morning hymn – Praise – God’s presence – Heaven – Devotion – Who am I? – I am you. 43 Victor Turner, »Frame, Flow and Reflection: Ritual and Drama as Public Liminality«, in: Japanese Journal of Religious Studies, 6 (1979), S. 465–499, hier: 465: »Public reflexivity is also concerned with what I have called ›liminality‹. This term, literally ›being-on-a-threshold‹, means a state or process which is betwixt-and-between the normal, day-to-day cultural and social states and processes of getting and spending, preserving law and order, and registering structural status.« 44 Born/Hesmondhalgh (Hg.), Western Music and its Others, a.a.O., S. 33.
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giös-kulturellen Identitäten differenziert wahrnehmen lässt.45 Zugleich ermöglicht die musikalische Gestaltung intersubjektive Empathie, die sowohl mithilfe der Texte als auch auf der Basis der musikalischen Klänge die Konnotation mystischer Einheit nahelegt. Die Imagination der beiden religiös-kulturellen Identitäten wird in diesem Projekt jedoch zusätzlich in besonderer Weise stimuliert: Aufgenommen wurden die Gesangsstücke nämlich in drei Moscheen und drei christlichen Kirchen. Mit den Räumen tritt der Aspekt der Bildhaftigkeit zu den Klängen hinzu. Dies Verhältnis möchte ich in dem folgenden letzten Abschnitt beleuchten.
5. B ILDHAFTE KLANGRÄUME UND DIE IMAGINATION RELIGIÖS-KULTURELLER IDENTITÄT Das reich bebilderte Booklet der CD Dialogue erzählt die Geschichte des Projekts, das die beiden Sänger und das Produzententeam nach Pakistan, Syrien und Norwegen geführt hat. Anstatt eine Studioaufnahme zu produzieren, wählte Hillestadt als Aufnahmeorte gottesdienstliche Gebäude in drei der von dem Karikaturenstreit betroffenen Ländern. Als ersten Aufnahmeort in Pakistan wählte das Team das Mausoleum des Großmoguls Jahangir (reg. 1605 – 1627), dessen Regierungszeit sich durch eine liberale Religionspolitik auszeichnete, sowie die Wazir-Khan-Moschee in Lahore. Die aus dem elften Jahrhundert stammende, romanische Gamle Aker Kirche in Oslo, die Heddal-Stabholzkirche in Telemark, erbaut um 1250, sowie die Kirche in Vinje aus dem 17. Jahrhundert bildeten die Aufnahmeorte in Norwegen. Seinen Abschluss fand das Projekt mit einer Aufnahme in der Umayyaden-Moschee in Damaskus. Errichtet ursprünglich als Basilika über dem Grab Johannes des Täufers, beherbergt sie außerdem in einem Anbau das Grab Ali Husseins und bildet so einen wichtigen Ort sowohl für Christen als auch für Muslime. Jeder der Aufnahmeorte ist in dem Booklet durch eine kleine Fotosequenz dokumentiert, und der Begleittext erklärt, welche der Gesangscollagen an welchem Ort aufgenommen wurden. Als Hörerin der CD kann ich mir mit dem Hörerlebnis zugleich einen visuellen Eindruck des Ortes verschaffen, an dem die jeweilige Musik eingespielt worden ist. Ich kann also meine Imagination der jeweiligen religiös-kulturellen Identität, die durch die Musik hervorgerufen wird, visuell unterstützen. Der Text im Booklet lädt allerdings auch dazu ein, visuelle und akustische Wahrnehmung miteinander zu verknüpfen, indem die spezifische Aufnahmesituation knapp erläutert und mit bestimmten, in der Aufnahme hörbaren Geräuschen 45 Vgl. ebd., S. 39: »We might explore […] juxtaposition as a musical collage that creates perspectival distance, fragmentation, and relativism between each musical object alluded to.«
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verbunden wird: Werden die Aufnahmen im Jahangir-Mausoleum dezent vom Gesang der Grillen begleitet, so braust entfernt im Hintergrund der Aufnahmen in der Wazir-Khan-Moschee der Großstadtverkehr von Lahore. Während sich die Gamle Aker Kirche in Oslo auch in den Aufnahmen durch ihre hervorragende Akustik auszeichnet, werden im Booklet an der Stabholzkirche und der Dorfkirche in Vinje lediglich visuelle Merkmale wie Holzschnitzereien und Farbgebung hervorgehoben, die sich nicht akustisch auswirken. Der größte Teil der Gesänge wurde in der Umayyaden-Moschee aufgenommen, wo manche Stücke durch die Mitwirkung von Mamoun Abdulsalam und dem Peace Choir von Damaskus ergänzt werden. Abbildungen von Menschen stellen im Islam ein viel diskutiertes theologisches Problem dar. Als Hörerin der CD frage ich mich, wie Javed Bashir bei den Aufnahmen in den Kirchen mit den Kruzifixen und Altarbildern umgegangen ist – bilden sie doch einen denotativen Kontrapunkt zur bildlosen Musik.46 Im Booklet finden sich hauptsächlich Außenaufnahmen der Kirchen. Ein Kruzifix und ein Altarbild sind lediglich im Innenraum der Stabholzkirche zu erkennen. Von der Wazir-Khan-Moschee und dem Mausoleum des Moguls Jahangir gibt es nur Außenaufnahmen, aber in der Umayyaden-Moschee posieren die beiden Sänger sowohl vor dem Schrein Johannes des Täufers als auch vor dem Grabmal des Imams Hussein. Im Begleittext wird berichtet, wie das Produzententeam vom Großmufti die Genehmigung zur Aufnahme in der Moschee einholte – und von ihm nicht allein die Genehmigung in Gestalt einer Fatwa, sondern darüber hinaus seinen Segen für das Projekt erhielt.47 Zweifellos bewirken die Fotografien im Booklet, dass die Imagination der beiden religiös-kulturellen Identitäten bei den Zuhörenden stärker denotativ ausgestaltet wird. Offenbar wollten die Produzenten bei ihrem Versuch, den Karikaturen mit der Musik eine bildlose Kunst gegenüberzustellen, doch nicht völlig auf eine Visualisierung der Kontexte verzichten. Der Konnotation mystischer Einheit, 46 Zur Frage interreligiöser musikalischer Aufführungen in gottesdienstlichen Räumen vgl. Verena Grüter, Klang – Raum – Religion. Ästhetische Dimensionen interreligiöser Begegnung am Beispiel des Festivals Musica Sacra International, Zürich 2017. 47 Booklet zur CD: »In Syria we asked the Grand Mufti Dr. Ahmed Hassoun for permission to record in the most sacred place in the country, the Umayyad Mosque in Damascus. The Grand Mufti wanted a meeting with us, before he would ›sign a final fatwa‹. In the meeting he declared his full support to the idea of the project and gave us a speech about the importance of dialogue in our time. Music follows us through life from the sound of lullabies to the moaning lament at the grave, he said. And God is the greatest composer of all, having created the sound of the wind through the crown of the trees and the sound of the sea against the shores. He blessed the project.«
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die sich beim Hören der Gesangsstücke einstellen kann, werden mit den Fotografien denotative Kontexte beigestellt. Anders als bei einer Life-Performance wird akustisches und visuelles Erleben beim Hören der CD jedoch nicht unmittelbar miteinander verbunden. Wichtiger als die Fotografien der konkreten Aufnahmeorte ist wohl die Information über den Prozess der Aufnahmen selbst, der die Sänger und das Produktionsteam in die Länder geführt hat, die an dem Karikaturenstreit beteiligt waren. Als gottesdienstliche Räume können Moscheen und christliche Kirchen sogenannte entgegenkommende kognitive und emotionale Haltungen erzeugen, die das Erleben der musikalischen Klänge in eine religiöse Erfahrung überführt.48 Stärker als die Fotos selbst ist daher das Wissen um diese Orte und ihre symbolische Bedeutung für den Prozess der Hervorbringung von Imagination reli giös-kultureller Identitäten zu veranschlagen: Als Hörerin werde ich auf die Reise mitgenommen, kann mich durch aufmerksames Hören akustisch in die Räume hineinversetzen und die Erfahrung machen, wie interreligiöse Gesangscollagen mich zwischen christlicher und muslimischer Identität hin und her leiten und eine mystische Klangeinheit suggerieren, in der doch die beiden Identitäten noch als unterschiedene wahrnehmbar bleiben. Über die individuelle Rezeption hinaus, die die CD ermöglicht, ist das Dialogprojekt Dialogue auch international wahrgenommen worden: Im selben Jahr des Erscheinens der CD eröffneten Javed Bashir und Sondre Bratland das Mela-Festival in Oslo49 mit den dialogischen Gesängen vor rund eintausend Zuhörenden.50 Im folgenden Jahr wurde es im Rahmen eines Festivals in Islamabad vorgestellt51 und errang den Preis für das beste Cross-Over-Album im Rahmen des FolkelarmFestivals in Norwegen52. Schließlich wurde es im Jahr 2011 im Rahmen des 33.
48 Vgl. dazu Grüter, Klang – Raum – Religion, a.a.O., S. 301–306. 49 Siehe online: https://www.youtube.com/watch?v=RnSGSO0-rLY (abgerufen: 27.1.2018). 50 Auskunft von Erik Hillestadt in einer Mail an die Vfn. vom 12.08.2012: »We had a concert presentation for some 1.000 people at the Mela Festival in Oslo, it was also presented in a Festival in Pakistan. It won an award in Norway as the most interesting album in the field of cross over in the ›Folkelarm‹ festival the year after the release. I have been invited to present the project in countless conferences and meetings throughout Norway and some places in Sweden, and in general the reviews were really good.« 51 Siehe online: https://www.firda.no/kultur/musikar-kom-seg-ut-av-islamabad/s/1-51-2865 214 (abgerufen: 27.1.2018). 52 Siehe online: http://www.folkedans.com/plater/folkelarmprisen.htm (abgerufen: 27.1.2018).
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Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dresden auch einem großen deutschen Publikum präsentiert.53 Die besondere Fähigkeit von Musik, aufgrund ihrer fehlenden denotativen Komponente interkulturelle und interreligiöse Empathie zu ermöglichen, kann politische Konflikte nicht einfach lösen. Sie kann aber positive Konnotationen fördern und dadurch Feindbilder – die ebenfalls auf der Imagination religiös-kultureller Identitäten beruhen! – deaktivieren helfen. Dies weiter zu erforschen, wäre ein lohnendes Ziel für eine zu entwickelnde Religionsästhetik.
53 Vgl. das Programmbuch des 33. DEKT in Dresden »… da wird auch dein Herz sein«, S. 141–142: »Unbegrenzt – Unlimited: Arts and Religions in the Process of Liberation, Time for Dialogue – Begegnung christlicher und muslimischer Gesänge, Musikalischliterarisches Erlebnis mit dialogischen Elementen, Khalid Salimi, künstlerischer Leiter Mela-Festival, Oslo/Norwegen, Javed Bashir (Gesang), Lahore/Pakistan, Sondre Bratland (Gesang), Folkmusiker und Sänger, Edland/Norwegen, Sprecher: Erik Hillestad, Oslo/Norwegen, Moderation: Dr. Verena Grüter, Hamburg, Anne Veiteberg, Oslo/Norwegen.«
»Du sollst nicht begehren …« Bild und Klang der Begierde in theologischen Deutungen bei Augustin und Kierkegaard Ulrich Lincoln
Es ist immer noch ein Klassiker: Madonna’s Video zu ihrem Song Like a Prayer von 1989 hat bereits manche theologische Interpretation erlebt1 – zu Recht: In diesem Video aus der frühen Hochzeit von MTV werden Religion und Erotik auf exemplarische Weise miteinander in Beziehung gebracht. Das Video inszeniert den Song mit der Bildsprache des lateinisch-katholischen Volksglaubens, mit Heiligenbildern und wundersamen Tränen, während die Musik Pop- und Folkmelodien mit ausladenden Gospelchorklängen kombiniert. Die narrative Struktur des Videos, eine Geschichte über rassistische Gewalt in den Südstaaten der USA, dient primär als Medium für das ekklektische Zitieren der Bilder und Klänge. Die Ebenen verschwimmen, Erotik und Gottesliebe, Selbstbestimmung und Opfer, alle diese Dinge klingen an und werden in ein Gesamtbild mit »überkomplexer Intertextualität« (A. Mertin) integriert. Die massive Klischeehaftigkeit der einzelnen Elemente sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kunstfigur Madonna hier eine Studie über die popkulturelle Beziehung von Religion und Erotik in Ton und Bild vorstellt, die auch heute noch anregend ist, trotz ihrer inzwischen altertümlich anmutenden Bild- und Tonsprache. Das Musikvideo ist eine der exemplarischen Kunstformen, in denen man das Zusammenspiel von Bild und Ton, von Seh- und Hörsinn studieren kann. Im Folgenden möchte ich dieses Beziehungsspiel mit jener anderen Konstellation verbinden, die bereits anklang: der Beziehung von Religion und Begierde. Dabei soll 1 Vgl. u. a. Andreas Mertin, ICONOCLASH. Der Skandal um Madonnas »Like a prayer« als Streit um Zeichen und Bilder (online: https://www.amertin.de/aufsatz/2004/madonna.htm; abgerufen: 05.06.2007); dort finden sich auch weitere Literaturhinweise.
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der Begriff der Begierde ausdrücklich mehr umfassen als ausschließlich erotische Phänomene. Die christliche Theologie hat von Beginn an einen intensiven Diskurs über das menschliche Verlangen und Begehren geführt, insbesondere über das Verhältnis von Sexualität und Glaube.2 Und von Anfang an hat dieser Diskurs nicht nur moralische, sondern immer auch ästhetische Dimensionen. Denn in der Tat geht es beim Begehren nicht nur um ein vitales menschliches Verhalten, sondern auch um ein Wahrnehmen. Diese Konstellation geht zurück auf den biblischen Text selbst. So lesen wir beim Evangelisten Matthäus: »Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ›Du sollst nicht ehebrechen.‹ Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Abfall verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.«3
In dieser Passage aus der Bergpredigt Jesu findet das Begehren seinen unmittelbaren Ausdruck im Sehen. Die alttestamentliche Regelung des Ehescheidung4 wird hier übersetzt in ein Verbot des begehrlichen Blickes, oder besser: in ein Aufmerksam-werden auf das Begehren im eigenen Blick. Die anschließende hyperbolische Aufforderung zur Selbstverstümmelung bestimmt Begehren erneut nicht als bloßen Wunsch oder Fantasie, sondern als leibliche Äußerung. Sexuelles Begehren ist Sehen und liegt im Sehen, deshalb ist das Sehorgan selbst so gefährlich. Weder ein böser Wille noch irgendein rechtliches Argument werden hier diskutiert, sondern das Organ, und zwar das Organ des Begehrens, und nicht das Organ des Sexualaktes. Die Grenze wischen Begehren und Befriedigung, zwischen Sehen und Geschlechtsakt wird aufgehoben. Begehren zeigt sich nicht als bloßer Wunsch oder Trieb, sondern als leibliche Aktivität und Handlungsform – und als soziale Praxis von brennender Aktualität: Der gegenwärtig politische Streit um religiös konnotierte Verhüllungspraktiken wie Hijab und Burka und das sogenannte Burkaverbot beleuchtet die Relevanz des hier angedeuteten Zusammenhangs auch in säkularen Gesellschaften. Die Praxis der weiblichen Vollverschleierung hat, so kann man vermuten, einen Zusammenhang von Geschlechterrollen und Sehsinn zur Voraussetzung, der in westeuropäischen Gesellschaften nur widerstrebend verstanden wird. Die Anstößigkeit des (männlichen) Blicks und das entsprechende Bedürfnis eines vor jeder Ein-Sicht geschützten Raums stehen quer zu einer Lebenswelt, die in vielen Bereichen durch expansive Offenheit und ungeschützte Selbstmitteilung 2 Vgl. Elaine Pagels, Adam, Eve, and the Serpent, New York 1988. 3 Mt 5,27–29. 4 Vgl. Dtn 24,1–4.
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geprägt ist.5 Interessant ist dabei die Beobachtung, dass in der gesellschaftlichen Debatte der Verschleierung die Rolle des – männlichen – Begehrens als Begründung für das Verhüllungsgebot, wie er etwa im Koran, aber auch im christlichen Kanon explizit gemacht wird, kaum vorkommt. Im Vordergrund stehen politische und rechtliche Fragen.6 Die folgenden Überlegungen wollen der angedeuteten Verbindung zwischen (männlichem) Begehren und Wahrnehmung in der theologischen Debatte nachgehen. Dabei wollen wir nicht beim Sehen stehenbleiben, sondern zusätzlich auch nach der Relevanz des Hörsinns für die theologische Thematisierung der Begierde fragen. Wie sieht das Begehren aus, wenn christliche Autoren darüber nachdenken, und wie klingt es? Was sieht und hört das Begehren?7 Es geht um Imagination und Klanglichkeit im theologischen Denken, um Seh- und Hörpraktiken eines Diskurses und um die Beziehung dieser beiden Formen. Und damit zielt meine Frage nicht auf die Begierde der Bilder (und Töne), also auf das, was Philipp Stoellger das »Begehren nach Sichtbarkeit oder sinnlicher Wahrnehmbarkeit«8 5 »Das Hijab befreit die Frauen davon, als Sexualobjekte der Begierde betrachtet zu werden oder davon nach ihrem Aussehen oder ihrer Körperform eher beurteilt zu werden als nach ihrem Geist oder Verstand. Nie wieder Sklaven des Konsums sein, das Hijab befreit Frauen von der Notwendigkeit, unrealistischen Stereotypen und Bildern zu entsprechen, die von den Medien diktiert werden« (online: http://www.islamreligion. com/de/articles/2770/warum-muslimische-frauen-ein-kopftuch-tragen;
abgerufen:
31.03.2014). 6 Vgl. Sabine Berghahn/Petra Rostock (Hg.): Der Stoff, aus dem Konflikte sind. Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz, unter Mitarbeit von Alexander Nöhring, Berlin 2009. Zu den theologischen Grundlagen des koranischen Verschleierungsgebots vgl. den Beitrag von Indre Monjezi Brown, »Muslimische Frauen und das Kopftuch – Hijab und Islamischer Feminismus«, in: Berghahn/Rostock (Hg.), Der Stoff, aus dem Konflikte sind, a.a.O., S. 437–463; vgl. ferner das FAZ-Interview mit Hans Belting: »Im Westen hat das Antlitz eine andere Bedeutung als im Orient« (online: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/burkaverbot-das-gesicht-spielt-im-westeneine-groessere-rolle-14552542.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2; abgerufen: 01.12.2016). 7 Die wichtige Frage nach der Relevanz von Geschlechterrollen und -konstruktionen blende ich im Folgenden aus Platzgründen aus. Die Autoren, die in diesem Aufsatz angeführt werden, repräsentieren einen vorrangig männlichen Blick auf den Zusammenhang von Begehren, Religion und Ästhetik. 8 Philipp Stoellger, »Bilder lassen und machen sehen. Zur Deutungsmacht des Bildes im religiösen Kontext«, in: ders./Marco Gutjahr (Hg.), Visuelles Wissen. Ikonische Prägnanz und Deutungsmacht, Würzburg 2014, S. 143–172, hier: 147.
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genannt hat. Vielmehr geht es mir um die Bilder und Töne der Begierde: um die klanglichen wie visuellen Ausdrucksformen und Manifestationen von bestimmten Affekten und Leidenschaften. Mein Ausgangspunkt ist ausdrücklich nicht der Bildbegriff, vielmehr geht es mir um eine Annäherung an diesen. Wir beginnen mit einigen einleitenden exegetischen Bemerkungen zum Themenfeld Begehren, Bedürfnis und Streben. Anschließend fragen wir, welche Rolle die visuellen und klanglichen Aspekte der Begierde in der Theologie haben. Augustin und Kierkegaard sind die beiden Autoren, die uns hier interessieren werden.
1. BEGEHREN Was ist Begehren? Ist es ein vitales Streben nach Erfüllung und Sättigung, ein Trieb im Sinne Freuds, oder eine vom Willen gesteuerte Bewegung? Für die antike Ethik stellen die menschlichen Bedürfnisse, Begierden und Leidenschaften die wichtigsten Themen der Philosophie, sofern sie sich als lebens- und praxisrelevant versteht. Martha Nussbaum hat insgesamt die hellenistische Philosophie als eine therapeutische Denk- und Lebensschule interpretiert, der es darum geht, in den richtigen Umgang mit den menschlichen Begierden und ihren Dynamiken einzuweisen.9 Diese Zentralität des Themas geht in der neuzeitlichen Philosophie verloren, die Begierden rutschen hier eher an den Rand der Aufmerksamkeit. Kant sucht nach einem Begriff für das allgemein menschliche Phänomen und bestimmt Begierde als »Selbstbestimmung der Kraft eines Subjekts durch die Vorstellung von etwas Künftigem als einer Wirkung derselben«10. Von hier ausgehend unterscheidet Kant die beiden Hauptgattungen der Begierde, nämlich den Affekt und die Leidenschaft. Letztere hält er für eine schlimme Krankheit, weil sie eine »von der Vernunft schwer oder gar nicht bezwingliche Neigung« sei. Ein Bildbezug ist in Kants Definition unmittelbar gegeben, insofern das Begehren von einer »Vorstellung« geleitet ist. Etwas zu begehren, heißt zu allererst, etwas zu sehen, um es dann haben oder genießen zu wollen. Der Zusammenhang von Bild und Begehren scheint unmittelbar gegeben zu sein und zieht sich durch die wissenschaftliche
9 Vgl. Martha Nussbaum, Therapy of Desire. Theory and Practice in Hellenistic Ethics, Princeton/NJ 1994; vgl. dies., Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001. 10 Immanuel Kant, »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«, in: ders., Kants gesammelte Schriften Bd. 7, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1907, Nachdruck Berlin 1968, S. 251.
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wie ästhetische Literatur.11 Und Sigmund Freud hat ausdrücklich vom »Schautrieb« als einer wesentlichen Form der menschlichen Triebstruktur gesprochen.12 Doch tatsächlich ist dies nicht die einzige Möglichkeit, das Begehren und seine Wahrnehmungsformen zu verstehen. Schauen wir erneut auf den biblischen Befund: Im Neuen Testament ist Epitymia der terminus technicus für das Begehren, es folgt darin dem Sprachgebrauch der Septuaginta. Begehren/epitymia kann manchmal wertneutral oder positiv gemeint sein, als allgemein menschliches Bedürfnis und Streben.13 Prägnanter ist jedoch die kritische Verwendung an jenen Stellen, an denen epitymia als böse und destruktive Äußerung gekennzeichnet wird – wie in der eingangs zitierten Stelle aus der Bergpredigt. Hier wie an vielen andere Stellen wird klar gewertet: Begehren hat zerstörerische Kraft14, zerstört personale Beziehungen und soziale Verhältnisse und hat im Horizont der anbrechenden Gottesherrschaft keinen Platz unter den Menschen. Neben dieser eschatologischen Dimension evozieren die Worte Jesu in der zitierten Passage zum Ehebruch einen weiteren, vorausliegenden Kontext: Durch den Hinweis auf das Sehen verweisen die Worte unmittelbar zurück auf die Urgeschichte des begehrenden Blickes im Garten Eden. Dort heißt es: »Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte«15. Am Anfang der biblischen Sündenfallgeschichte steht das begehrende Sehen. Hier schließen sich zwei Fragen an: Erstens, wie ist das Verhältnis von Begehren und Sünde im biblischen Textkorpus zu verstehen? Und zweitens, was bedeutet die prominente Stellung der Wahrnehmung in diesem Zusammenhang? Beginnen wir mit der ersten Frage und stellen zunächst für die Rezeptionsgeschichte fest: Wenn wir hier einen engen Zusammenhang von Sünde und Begehren in der Sündenfallgeschichte markieren, so folgt diese Markierung einer wesentlichen Spur der Auslegungsgeschichte des Textes: Zahlreiche Interpretationen von Gen 3 in der frühjüdischen hellenistischen Literatur, insbesondere von Philo,
11 Ein berühmtes Beispiel ist Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray (1891). Als Beleg dafür, dass die Begierde auch mit anderen Sinnen verbunden werden kann, mag Patrick Süskinds Kriminalroman Das Parfum (1985) gelten. 12 Vgl. Sigmund Freud, »Triebe und Triebschicksale«, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 10: Werke aus den Jahren 1913–1917, herausgegeben von Anna Freud, London/Frankfurt a.M. 41967, S. 210–232. 13 Vgl. Mt 13,17; Lk 15,16; Phil 1,23. 14 Vgl. H. Schönweiß, »Art. ›Begehren‹«, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Bd. 1, Wuppertal 41977, S. 67. 15 Gen 3,6.
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weisen der epitymia eine zentrale Rolle für das Erwachen der Sünde zu.16 Diese Zuweisung ist oft damit verbunden, der Frau (oder der Schlange) eine unmittelbare Beziehung zum Begehren und damit eine vorrangige Schuld am Sündenfall zuzuschreiben. Diese frühjüdische Rezeptionsgeschichte klingt nun auch im Neuen Testament bei Paulus an, wird jedoch von ihm zugleich auf prägnante Weise gebrochen. Paulus denkt im Römerbrief über die Entstehung der Sünde und die Rolle der Tora, des alttestamentlichen Gesetzes, nach und lässt dabei den Menschen, der unter der Herrschaft der Sünde steht, sagen: »Ich wüsste nichts von der Begierde, wenn mir nicht die Tora gesagt hätte: Du sollst nicht begehren«17. Paulus tut hier zweierlei: Erstens lässt er den Dekalog anklingen, in dem es heißt: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh«18 usw. Und zweitens spitzt er die 10 Gebote des Dekalogs und alle 613 Gebote der gesamten Tora auf diese eine Aussage zusammen, die in der hier genannten verabsolutierten Form in der hebräischen Bibel gar nicht vorkommt: »Du sollst nicht begehren«. Diese Zuspitzung ist bemerkenswert und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens löst Paulus durch seine semantische Komprimierung das Begehren von seiner exklusiven Bindung an die sexuelle Konnotation. Zweitens verleiht er ihm damit zugleich eine neue Zentralität, die es vorher so nicht hatte19: Wenn wir den alttestamentlichen Text betrachten, sehen wir, dass dieser vor allem die Gegenstände des Begehrens nennt: Haus, Frau, Knecht usw. In der frühjüdischen Auslegungstradition von Gen 3 hingegen steht die Frage nach dem Subjekt der Begierde im Mittelpunkt: der Frau; Adam erscheint meistens nicht als eigentlich Handelnder oder Verursachender in der Affäre. Paulus aber spricht in einer sehr reduzierten Weise, die von allen konkreten Objekten absieht: Du sollst nicht begehren. Ein Begehren ohne Objekt ist tatsächlich eine sperrige, wenn nicht widersinninge Re16 Vgl. Michael Wolter, Der Brief an die Römer. 1. Teilband, Neukirchen-Vluyn 2014, S. 431; Andrew Bowden, »A Delight to the Eyes and Desirous to Make One Wise«: The Hellenistic Reception of Desire in Genesis 3 (online: https://www.academia. edu/10807134/_A_Delight_to_the_Eyes_and_Desirous_to_Make_One_Wise_The_ Hellenistic_Reception_of_Desire_in_Genesis_3; abgerufen: 06.08.2013). 17 Röm 7,7. 18 Ex 20,17. 19 Bowden, The Hellenistic Reception, a.a.O., zeigt auf, dass die große Bedeutung der Begierde bei Paulus zwar ebenso bei anderen hellenistische Autoren zu finden ist, dass Paulus aber zugleich sich darin von diesen absetzt, dass er die Begierde ausdrücklich nicht der Frau oder der Schlange zuschreibt, sondern den Mann (Adam) als das Subjekt des Sündenfalls bestimmt.
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deweise. Doch Paulus erreicht damit einen ganz bestimmten rhetorischen Effekt: Er wechselt die Argumentationsebene. Wenn der Dekalog sagt: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus und Frau«, dann ist dies eine ethische Aussage, ein Verbot. Wenn aber Paulus behauptet, die gesamte Tora ließe sich in dem Satz zusammenfassen: »Du sollst nicht begehren«, dann ist dies eine anthropologische Aussage. Nicht der Gegenstand des einzelnen Begehrens, sondern die Struktur des menschlichen Begehrens überhaupt wird damit zum Thema der Interpretation. Diese thematische Verschiebung, die gewissermaßen einer phänomenologischen Reduktion gleichkommt, spiegelt sich auch im weiteren Kontext der Passage im Römerbrief: Das Gebot »du sollst nicht begehren« korrespondiert dem Ich, das in Röm 7 über seinen eigenen Zustand grundsätzlich reflektiert. Auf dieses Subjekt, sein Welt-, Selbst- und Gottesverhältnis zielt die Argumentation. Paulus überwindet damit den patriarchal-einseitigen Blick auf die Frau als erstes Subjekt der Sünde. Zugleich macht er damit klar, dass Begehren nicht ein intentionales, sondern ein responsives Verhalten ist: Das Begehren wird erst durch das Gesetz geweckt. Allgemeiner gefasst kann man sagen: Das Begehren ist in erster Linie nicht der Akt, in dem jemand etwas Bestimmtes will oder erstrebt, sondern in dem jemand auf einen fremden Anspruch reagiert und antwortet. Es handelt sich um ein responsives Begehren, das, wie Bernhard Waldenfels sagt, »durch die Ansprüche eines fremden Begehrens geweckt wird und nicht rein aus sich erwacht«20. Diese Struktur von Responsivität lässt sich in Paulus’ Argumentation wiederentdecken. Und damit sind wir auch schon bei unserer zweiten Frage, den Formen der Wahrnehmung. Während das intentionale Modell das Begehren primär vom Sehen her versteht, legt die Kategorie der Responsivität auditive Metaphern nahe. Bernhard Waldenfels spricht vom Vernehmen eines fremden Anspruchs im Begehren, vom Wecken des eigenen Begehrens und schließlich von einer »Einstimmung« in den fremden Anspruch. Begehren wird unter diesem Gesichtspunkt als ein Vorgang erkennbar, der gerade nicht ausschließlich durch zupackende, volitionale Aktivität bestimmt ist, sondern auch durch eine grundlegende Passivität, ein Betroffen-sein. Diese Passivität nun lässt sich freilich auch visuell ausdrücken, etwa wenn Waldenfels mit Merleau-Ponty davon spricht, »dass wir uns selbst von den Dingen beobachtet fühlen«21. In der auf Paulus folgenden Geschichte des christlichen Denkens hat das Begehren immer wieder eine zentrale Rolle eingenommen. Es erscheint zeitweise als der große Gegenspieler des Evangeliums im Innersten des menschlichen We20 Bernhard Waldenfels, Antwortregister, Frankfurt am Main 1994, S. 342. Waldenfels zufolge lässt sich selbst die Freud’sche Triebtheorie, die vom Reiz-Reaktions-Schema ausgeht, dem Modell des Responsiven zuordnen. 21 Ebd., S. 346.
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sens. Mit dieser Zuspitzung ging die christliche Theologie über das hinaus, was die klassische antike Ethik ihr als Problemstellung überlassen hatte.22 Einer der wichtigsten Weichensteller in dieser Geschichte ist Augustinus. Er ist aber nicht nur von dem Phänomen des eigenen Begehrens gleichermaßen abgestoßen wie fasziniert, sondern verbindet dieses fascinosum et tremendum auch in intensivster Weise mit der Frage des Sehens.
2. BEGIERDE WILL SEHEN: AUGUSTINUS Die deutlichsten Ausführungen zur menschlichen Begierde bei Augustin finden wir in seinen Confessiones.23 Wir konzentrieren uns auf das X. Buch, ohne auf die hermeneutischen Herausforderungen der Interpretation des Werkes einzugehen.24 Das X. Buch bildet eine zentrale Weiche in der Gesamtkonzeption des Werkes: Nach der Erzählung der eigenen Bekehrung (Buch VIII) und des Todes der Mutter (IX) und vor der Entfaltung der zentralen christlichen Glaubenswahrheit in Form einer großen Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte (XI – XIII) steht das Buch X. als das eigentliche Bekenntnis des Autors: als die Rechenschaft über seinen Lebensweg im Modus des Erinnerns. Deshalb bedenkt dieses Buch einerseits das Gedächtnis und dessen Leistungsfähigkeit grundsätzlich, andererseits werden noch einmal die wichtigsten Motive und Leidenschaften reflektiert, mit denen Augustin sich auf seinem persönlichen Weg zu Gott auseinandersetzen musste. Damit gibt er insbesondere und ausführlich Rechenschaft über die Begierden, die diesen Weg gestaltet und begleitet haben. Die Begierden dominieren Augustins Lebensbeichte von Anfang an. Oft, aber längst nicht ausschließlich, schildert Augustin sie in den Farben des sexuellen Begehrens. Die Begierden erweisen sich als die größte Gefahren in seinem Leben, indem sie den Willen immer wieder binden und die Lust auf die falschen, nämlich vergänglichen Objekte richten. Andererseits werden sie damit zu den wichtigsten Motiven, mit denen die eigentliche Sehnsuchtsgeschichte des Autors erzählt werden kann: seine Lie22 Vgl. Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, herausgegeben und übersetzt von Olaf Gigon, München 41981, VI, 1139 a 16ff. Aristoteles verbindet Vernunft und Begehren im Leitbegriff des »vernünftigen Strebens« (orexis dianotike). Zur weiteren Auseinandersetzung der antiken Philosophieschulen mit diesem spannungsvollen Begriff vgl. Nussbaum, Therapy of Desire, a.a.O. 23 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, eingeleitet und übertragen von Wilhelm Thimme, München 1982. 24 Vgl. Paula Frediksen, »Die Confessiones«, in: Volker Henning Drecoll (Hg.), AugustinHandbuch, Tübingen 2007, S. 294–309.
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be zu Gott. In dieser Perspektive erscheinen die Begierden, so verwerflich sie in Augustins Augen sind, als Gottes Instrumente, mit denen er Augustin auf den rechten Weg gebracht hat. Sie erst füllen diese Biografie aus und machen sie zu einer Bühne, auf der die göttliche Gnadenwahl entfaltet werden kann.25 So bringt auch die berühmte Bekehrungsszene in IX, 12 (»tolle, lege«) mit dem Zitat aus Röm 13,13f. (»Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt«) den Gegensatz von menschlichen Begierden und Gottes Gnade in überaus deutlicher Form ins Spiel. Der eschatologische Gegenbegriff zu dem als Leiden und Anfechtung erfahrenen Begierden und Trieben in den Confessiones ist die »Ruhe«. Das Begriffspaar Begehren und Ruhe bildet eine der zentralen semantischen Achsen in der Komposition des Werkes. Das X. Buch widmet sich den Begierden noch einmal in theoretischer Absicht. An einer Stelle teilt Augustin alle Formen der Begierde in die drei Formen der Fleischeslust, Augenlust und Hoffahrt ein.26 Doch wichtiger als diese Einteilung scheinen mir einige grundsätzliche Erwägungen zum Verhältnis von Begehren und Sehen, wie es sich in dem Werk darstellt. 2.1 Die Grundfigur: Begehren sieht Augustin schildert das Sehen als Grundform des Begehrens: Seine Schilderungen der Lüste und Triebe sind immer wieder am Vorgang des Sehens orientiert. Augustin anerkennt diesen Zusammenhang ausdrücklich, indem er im X. Buch dem umfassenden anthropologischen Phänomen des Begehrens nun auch einen ebenso umfassenden ästhetisch-epistemologischen Begriff an die Seite stellt, die »Augenlust«: »Neben jener Fleischeslust, die sich im gierigen Genusse aller Sinne regt und jeden zugrunde richtet, der fern von ihr frönt, wohnt in der Seele eine andere Gier, zwar nicht sinnlich zu genießen, aber durch die Sinne des Leibes zu erspähen, was zur Befriedigung eitlen Vorwitzes dienst und sich herausputzt mit dem Namen Erkenntnis und Wissenschaft. Da 25 »Dass der zunächst platonisch konzipierte Gott als der eigentlich Handelnde einer individuellen Lebensgeschichte erscheint, deren eingestandene Zerrissenheiten so ungeheuer sind, dass sie einer Zusammenfügung durch menschliche Weisheit widerstreben – dies ist über Gnaden- und Erbsündenlehre hinaus der theoretische Gehalt der Confessiones« (Kurt Flasch, Augustin. Einführung in sein Denken, Stuttgart 1980, S. 258–259). 26 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, a.a.o., S. 277.
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diese Gier im Wahrnehmungstriebe wohnt und unter allen Sinnen, die der Wahrnehmung dienen, die Augen die Vornehmsten sind, nennt Gottes Wort sie »der Augen Lust«. Denn das Geschäft der Augen ist das Sehen […] So wird denn, wie ich sagte, alle Lust an sinnlicher Wahrnehmung Augenlust genannt, weil auch die übrigen Sinne, wenn sie etwas erkunden, gewissermaßen das Amt des Sehens, bei dem die Augen den Vorrang haben, vertretungsweise ausüben«27
Die Augenlust ist gerade nicht sinnlich, sondern geistig zu verstehen, gewissermaßen als eine reine Anschauungsform der Begierde. Die Augenlust ist die Lust an sinnlicher Wahrnehmung überhaupt. Die Beispiele, die Augustin im Kontext der Stelle zur Erläuterung liefert, betreffen vor allem die Neugier und die TheaterLeidenschaft. Beides sind freilich zunächst empirisch-sinnliche Wahrnehmungsvorgänge. Doch die Subsumierung unter den Begriff oder die Anschauungsform der Augenlust scheint Augustin wichtig zu sein, um die Gefahr und Destruktivität, das Sucht-Potenzial dieser Wahrnehmungsformen benennen zu können. Vor allem die Theater-Sucht hat bereits an mehreren Stellen seiner Biografie eine wichtige Rolle gespielt. So berichtet er im I. Buch aus seiner Jugend: »Denn nicht darum war ich ungehorsam, weil ich etwas Besseres erwählte, sondern aus Liebe zum Spiel, aus Verlangen nach stolzen Siegen in Wettkämpfen, und weil ich meine Ohren kitzeln lassen wollte von trügerischen Fabeln. Diese schürten das Feuer zu immer heißerer Glut, und je länger je mehr funkelte die Neugier aus meinen Augen, die die Schauspiele, die kindischen Spiele der Erwachsenen, zu sehen begehrten.«28
Später berichtet er, wie sein Freund Alyphus dem Theater geradezu verfällt.29 Es sind gefährliche und unkontrollierbare Gefühle, die im Theater erregt werden. Das Auge, das neben der Hand das wichtigste Organ der zupackenden, ordnenden und eingreifenden Funktion des menschlichen Leibes darstellt, ist zugleich das Organ, das sich am stärksten der Eigenkraft und Fremdwilligkeit der wahrgenommenen Objekte aussetzt.30 Ob die von Schauspielern auf der Bühne ge27 Augustinus, Bekenntnisse, a.a.O., S. 287–288. 28 Ebd., S. 43. 29 Vgl. ebd., S. 148–149. 30 Vgl. die antike Legende vom Malerwettstreit zwischen Parrhasios und Zeuxis: Dabei ging es um die Frage, wer am naturgetreusten malen könne. Zeuxis malt seine Trauben so täuschend echt, dass die Vögel kommen und sie picken wollen. Parrhasios aber führt seinen Konkurrenten zu einem Vorhang; als dieser voller Neugier auf das dahinter sich befindende Bild den Vorhang zurückschieben will, muss er sich geschlagen geben. Denn der Vorhang ist gemalt.
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spielten Affekte oder der Anblick eines zerfleischten Leichnams31, immer sind es die Gegenstände des sinnlichen Wahrnehmens, die den geistigen Blick verwirren und von seinem eigentlichen Gegenstand abbringen: Gott. Augustin unterscheidet sinnliches Wahrnehmen und geistige Orientierung, insofern jeder einzelne Wahrnehmungsvorgang die Möglichkeit hat, auf Gott hin- oder von ihm fortzuweisen. Der sinnliche Akt ist immer mit einer grundlegenden Intentionalität verbunden. Die Augenlust ist demnach eine ideale, d. h. nicht-empirische Anschauungsform, eine bestimmte Intentionalitätsform – mit großem soteriologischen Gewicht. Diese Intentionalität aber denkt er vom Willensbegriff her: 2.2 Die Verstärkung: Begehren will sehen Augustins Ausführungen zum Begehren stehen im engen Zusammenhang mit seiner Theorie des Willens, wie sie in Confessiones VIII entwickelt wird. Diese Willenstheorie wiederum muss vor dem Hintergrund der antiken akrasia-Debatte betrachtet werden: des Problems der Willensschwäche oder Unberrschtheit, des schlechten Handelns wider bessere Einsicht.32 Augustin radikalisiert die traditionelle Problemstellung unter dem Eindruck seiner Sündenlehre und spricht von einer »Krankheit der Begehrlichkeit«33, d. h. der Mensch findet sich in einem dauerhaften Zustand der inneren Zerrissenheit vor: zwei oder noch mehr Willensformen streiten in seiner Seele miteinander. Damit ist ausdrücklich nicht ein Gegensatz von rationaler Seele und eigenwilligen Leib gemeint, sondern ein Zwiespalt in der Seele.34 Es ist die Einheit des Willens, die fehlt. »Keiner der Teilwillen kann zum Gesamtwillen werden.«35 Diese fehlende Einheit hat nun aber wiederum mit dem Sehen zu tun: Die Augenlust als Ausdruck der Krankheit der Begehrlichkeit ist diejenige Intentionalitätsform, die dem psychischen Zustand der inneren Zerrissenheit entspricht Das Begehren will sehen. Das Sehen ist nicht ein Mittel oder Instrument des Begehrens, sondern ist selbst sein Inhalt und Vollzug. Diese totalisierende Bestimmung wird mit der Kategorie der Augenlust zum Ausdruck gebracht. Aber das heißt nicht, dass jedes Sehen auch Ausdruck des Begehrens ist und dem Frommen nur noch das Schließen der Augen bliebe. Dies würde zu einem metaphysischen 31 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, a.a.O., S. 288. 32 Vgl. Christoph Horn, »Anthropologie«, in: Volker Henning Drecoll (Hg.), Augustin Handbuch, Tübingen 2007, S. 479–487. Vgl. insbesondere Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, a.a.O., Buch VII. 33 Augustinus, Bekenntnisse, a.a.O., S. 205. 34 Vgl. ebd., S. 207–208. 35 Horn, »Anthropologie«, a.a.O., S. 485.
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Dualismus führen, den der Anti-Manichäer Augustin nicht gutheißen könnte. Gleichwohl, die Ambivalenz bleibt, und die intensive und biografisch schmerzvolle Auseinandersetzung mit der Augenlust führt nahezu unvermeidlich zu einer Wendung nach innen. 2.3 Die Sublimierung: Das innere Licht »Schöne und mannigfache Formen, leuchtende und liebliche Farben lieben meine Augen. Doch sie sollen meine Seele nicht fesseln. Das soll allein Gott. […] Denn die Königin der Farben, das helle Tageslicht, das alles überflutet, was wir erblicken, fällt mir […] auf mancherlei Weise schmeichelnd in die Augen, auch wenn ich mit anderem beschäftigt bin und nicht darauf achte. Und mit solcher Macht umfängt es uns, dass, wenn es sich plötzlich uns entzöge, wir’s mit Verlangen suchen und, bliebe es lange fort, schmerzlich trauern würden«36.
Dieser Passage ist die tiefe Ambivalenz eines Autors anzumerken, der in höchst empfindsamer Weise das Schöne wahrnimmt und literarisch gestaltet und zugleich ein tiefes Misstrauen gegen das eigene ästhetische Erleben artikuliert. Das Sichtbare, und insbesondere das Licht, in dem es steht und erscheint, hat große Macht über den Menschen; mehr Macht, als ihm und seiner Gottesbewegung guttut. Augustin löst diese Spannung, indem er das Licht nach innen trägt: »O Licht, das Tobias sah, als er mit geschlossenen leiblichen Augen seinem Sohne den Weg des Lebens wies …«37. Augustin entdeckt die geistige Illumination, die im Letzten mit Gottes Gegenwart in der Seele identisch ist. Das innere Licht, gewissermaßen eine Sublimierung der Augenlust, wird zu einem zentralen Bestandteil von Augustins Theorie des Geistes. Hans Blumenberg hat gezeigt, dass Augustin den Lichtbegriff auf entscheidende Weise gegenüber der antiken, insbesondere der neuplatonischen Tradition modifiziert, indem er ihm seine metaphysische Aufladung nimmt und ihn von der Metaphysik zur Metaphorik führt.38 Charles Taylor interpretiert Augustins Weg nach innen als einen Weg zu einer »radikalen Reflexiviät«, die aufs Engste mit der Lichtmetapher zusammenhängt:
36 Augustinus, Bekenntnisse, a.a.O., S. 285. 37 Ebd. 38 Vgl. Hans Blumenberg, »Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung«, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, Auswahl und Nachwort von Anselm Haverkamp, Frankfurt am Main 2001, S. 139–171, hier: 156.
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»The inner light is the one which shines in our presence to ourselves; it is the one inseparable from our being creatures with a first-person standpoint. What differentiates it from the outer light is just what makes the image of inwardness so compelling, that it illuminates that space where I am present to myself«39.
Das Erleuchten eines (inneren) Raumes ist ein anderer Vorgang als das Sehen eines äußeren oder inneren Objekts; das Letztere wird für Descartes’ Erkenntnistheorie bestimmend, die am entscheidenden Punkt der Selbstgewissheit an Augustin anknüpft. Augustin aber ist es, der der Subjektivität erstmals einen neuen Raum erschlossen hat, den er zugleich als Ort der unmittelbaren Gottesnähe versteht.40 Der enge Zusammenhang zwischen Sehen und Begehren bleibt dabei bestehen, insofern es nun um die Gottesliebe geht. Dass die Leidenschaft auch hier erhalten bleibt, kann man an jeder Zeile der Confessiones ablesen. Die Augenlust ist umgezogen in den Innenbereich des Selbst- und Gottesverhältnisses, der ein Raum in der Perspektive der ersten Person Singular ist. Man mag dies eine Verinnerlichung des begehrenden Sehens nennen, wenn damit mehr gemeint ist als ein bloßer Subjektivismus oder Mystizismus. Es ist die spezifische Wahrnehmungsform und Bildpraxis der Ersten-Person-Singular-Perspektive, die hier mit Augustin erstmalig benennbar wird. Für unsere Frage nach dem Zusammenhang von Begehren und Wahrnehmungspraktiken bedeutet die Wendung nach Innen einen entscheidenden Schritt. Zugleich damit kommt nun auch das Hören erstmals in Spiel. Augustin selbst hat ca. 10 Jahre vor den Confessiones eine wichtige theoretische Schrift über die Musik verfasst.41 Diese ist an dem kosmologischen Modell einer an Zahlenverhältnissen orientierten Musik-Metaphysik orientiert und steht insofern noch außerhalb jener Verinnerlichung. Die Aussagen über Musikwahrnehmungen und den Gehörsinn in den Confessiones artikulieren aber dieselbe Ambivalenz, die wir auch für den Sehsinn festgestellt haben: »Ich schwanke hin und her, bald die Gefahr der Sinnenlust, bald die erfahrene Heilsamkeit bedenkend«42. Freilich, insgesamt scheint er die Gefahr der Hörlust geringer einzuschätzen als die der Augenlust.
39 Charles Taylor, Sources of the Self. The Making of the Modern Identity, Cambridge/MA 1989, S. 131. 40 Zur Rezeptionsgeschichte der Augustinischen Lichtlehre in Scholastik und Renaissance vgl. Blumenberg, »Licht als Metapher«, a.a.O., S. 164ff. 41 Vgl. Augustinus, »De musica libri sex«, in: Carl Johann Perl (Hg.), Aurelius Augustinus’ Werke in deutscher Sprache. Abt.1: Die frühen Werke des Heiligen Augustinus, übertragen von Carl Johann Perl, Paderborn 1962. 42 Augustinus, Bekenntnisse, a.a.O., S. 284.
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Und so bleibt dann auch für seine Wendung nach Innen der Seh-Akt Paradigma und leitender Wahrnehmungssinn. Im Folgenden wollen wir einen Sprung von 1450 Jahren machen und uns einem Beispiel stellen, in dem das menschliche Begehren ausdrücklich im Medium des Hörens thematisch wird.
3. D IE MUSIKALISCHE FIGUR DES BEGEHRENS: KIERKEGAARDS MOZART-INTERPRETATION Søren Kierkegaards Buch Entweder-Oder43 versammelt in seinem ersten Teil eine verwirrende Vielzahl unterschiedlicher Texte und Gattungen. Insgesamt geht es dem pseudonymen Herausgeber darum, die Formen der ästhetischen Existenzform in ihren Selbstzeugnissen auftreten zu lassen. Ästhetisch heißt in diesem Zusammenhang die Ausrichtung eines Lebensentwurfes auf ausschließlich sinnliche Gegenstände und Ziele. Das Essay zu Mozarts Oper Don Giovanni (in Dänemark als Don Juan übersetzt), das nach Auskunft des pseudonymen Herausgebers Victor Eremita von einem A genannten Autor verfasst wurde, bringt diese Lebensform auf den Leitbegriff der »sinnlichen Genialität«. Sinnliche Genialität, typologisch verkörpert in der Figur des Don Juan, ist demnach eine Lebensform, deren Hauptmerkmal der stetige Vollzug des erotischen Verführens und sexuellen Genießens ist. Don Juan verführt Frauen, das ist der wesentliche Inhalt seiner Existenz. Mozarts Größe liegt darin, dass er diesen Stoff nicht nur in vollendeter Form zum Ausdruck gebracht hat, sondern auch dies in dem einzig angemessenen Medium: der Musik. Der Autor stellt zunächst eine kunsttheoretische Überlegung an und behauptet, dass sinnliche Genialität niemals direkt im Medium von Reflexion, Sprache oder Bild dargestellt werden kann, sondern allein in der Musik ihren angemessenen sinnlich-geistigen Ausdruck findet. Die Musik steht als Medium künstlerischer Darstellung in einem dialektischen Verhältnis zur Sprache, dem Medium des Geistes: Musik ist einerseits ebenso wie die Sprache akustisch-semiotisch bestimmt, andererseits aber ist sie durch ihre wesentliche Unbestimmtheit und Sinnlichkeit von
43 Die Werke Kierkegaards werden zitiert nach der dänischen Ausgabe Søren Kierkegaard Skrifter (SKS), herausgegeben vom Søren Kierkegaard Forskningscenteret, 28 Bände, 1997–2012, und der deutschen Gesamtausgabe, ders., Gesammelte Werke, übersetzt und herausgegeben von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans-Martin Junghans, 30 Bdn., 1986–1995 (Band- bzw. Abteilungsnummer). Die Übersetzung ist gelegentlich verändert.
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der Sprache, dem Medium der Reflexion, qualitativ unterschieden.44 Anders gesagt, was den Menschen als geistiges Wesen qualifiziert, also die Welt der Ideen und der Vernunft, erscheint in der Musik im Medium des Vor- und Nachsprachlichen, oder wie A sagt, im Unbestimmten und Unmittelbaren. »Die Musik drückt nämlich stets das Unmittelbare in seiner Unmittelbarkeit aus […].«45 Am Rande wird auch die medientheoretische Differenz zur Skulptur und zum Bild ausdrücklich benannt, doch der eigentliche Angelpunkt des Arguments ist das Verhältnis zwischen Musik und Sprache. In diesem Sinne ist die Musik das vollkommen geistige Ausdruckmedium des Sinnlichen. Das Sinnliche wiederum kulminiert im Begriff des erotischen Begehrens. Die These des Textes lautet daher, dass das Wesen der Musik, das sie von allen anderen Ausdrucksformen unterscheidet, das erotischen Begehren sei, und dass wir in Mozarts Don Giovanni den klassischen Ausdruck dieses Verhältnisses haben. Die sinnliche Genialität ist der »eigentliche Gegenstand« der Musik. Der Begriff der sinnlichen Genialität entsteht dadurch, dass A das kunsttheoretische Verhältnis von Geist und Medium, von Bestimmtem und Unbestimmbarem, analogisiert mit jenem anthropologischen Thema, das wir in Röm 7 und bei Augustinus sahen: der Zerrissenheit des menschlichen Willens. Wir sahen bei Augustin, dass dies nicht als ontologischer Gegensatz von Leib und Seele oder von Geist und Materie zu verstehen ist, sondern als eine Spannung im Geist, in der einen menschlichen Seele. Genau diese Spannung wird von Kierkegaards Ästhetiker mit dem Begriff der sinnlichen Genialität be-
44 Der Ästhetiker setzt sich hier kritisch von der romantischen Musiktheorie bei Tieck, Hoffmann und Wackenroder ab, für die das Element der Unbestimmtheit gerade der entscheidende »poetische« Überschuss gegenüber der Sprache bedeutete, vgl. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, Kassel 1978, S. 62ff. Der damit einhergehenden These vom ästhetischen Vorrang der Musik gegenüber der Sprache erteilt A eine klare Absage (vgl. Søren Kierkegaard, »Entweder / Oder. Erster Teil, Band 1«, in: ders., Gesammelte Werke. 1. Abteilung, herausgegeben von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes, aus dem Dänischen übersetzt von Emanuel Hirsch, Gütersloh 31993, S. 74 [dän. »Enten – Eller. Første del«, in: Søren Kierkegaards Skrifter bd. 2, udgivet af Søren Kierkegaard Forskningscenteret, København 1997, S. 76]). Diese von A vorausgeschickte Relativierung des Sprachcharakters der Musik darf man nicht vergessen, wenn er im Folgenden auf die methodischen und rhetorischen Vorzüge der Musik zu sprechen kommt. 45 Kierkegaard, »Entweder / Oder. Erster Teil, Band 1«, a.a.O., S. 74.
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nannt und ontologisch festgeklopft. Mit Hilfe des kantischen Geniebegriffs46 werden hier Geist und Sinnlichkeit metaphorisch-terminologisch auf engste zusammengeschweißt. Der entscheidende Unterschied zu Augustin liegt nicht im Verständnis der Begierde, sondern darin, dass Kierkegaards Pseudonym das Begehren ausdrücklich mit dem Hören und der entsprechenden Kunstform, der Musik, verbindet. Dabei ist die thematische Verbindung von Hörsinn und Sexualität nichts Neues, sie gehört vielmehr zum Grundbestand des abendländischen Hördiskurses, wie das reichhaltige mythologische Material zeigt.47 Insbesondere die Romantik hat diesen Zusammenhang erneut ans Licht gebracht. Ein frühromantischer Autor wie Wilhelm Heinse etwa beschreibt das menschliche Hören in explizit sexueller Metaphorik. In Heinses Figur des Rauschens gehen Wasser, Musik, Sex und Geräusch eine eigentümliche semantische Verbindung ein.48 Insbesondere das Hören von Opernmusik wird von Heinse als orgiastisches Eintauchen in einen Ozean von Klang und Gefühl beschrieben. Was nun A’s Behandlung des Zusammenhangs von Musik, Hörsinn und Sexualität von dieser »audioerotischen« Hörtheorie (Veit Erlmann) unterscheidet, ist seine nichtreduzierbare intentionale Struktur: Wenn Heinse im Bild des Rauschens das Ideal eines vollkommen selbstreferenziellen Hörens malt49, das sich im Klang verliert, besteht Kierkegaards Ästhetiker auf der irreduziblen Fremdheit der sinnlichen Genialität, auf die das Hören gleichwohl bezogen bleibt. Der menschliche Geist kann die eigene Sinnlichkeit niemals völlig integrieren, bleibt aber gleichwohl auf jenes Andere des Geistes unablässig bezogen. Der Hinweis auf Heinse zeigt, dass Kierkegaard die thematische Verbindung von Hören und Sexualität aus der Romantik übernimmt, sie aber gleichzeitig unterbricht und für eine Theorie musikalischer Wirkung nutzbar macht, die einige weit über das Gebiet der Musik hinausführende Einsichten über das menschliche Hören im Allgemeinen enthält. Der Ästhetiker spricht scheinbar im überschwänglichen Duktus der Romantik, wenn er den Zusammenhang von Musik und Hörsinn beschreibt, aber tatsächlich hält er strikt an einer ge46 Die These von der Sinnlichkeit als »Prinzip« nimmt Kants Verständnis des Genies als einer naturhaft-angeboren Fähigkeit zur Regelsetzung in der Kunst auf, vgl. Immanuel Kant, »Kritik der Urteilskraft«, in: ders., Werke Bd. 5: Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, S. 237–620, hier: 405–406 (A 179). 47 Vgl. Ulrich Lincoln, Die Theologie und das Hören, Tübingen 2014, S. 27ff. 48 Veit Erlmann, Reason and Resonance. A History of Modern Aurality, New York 2010, S. 166ff. 49 Vgl. ebd., S. 174.
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brochenen Intentionalität des Hörens fest. Insofern das menschliche (geistbestimmte) Hören auf etwas uneinholbar Fremdes bezogen ist, ist die Hörerfahrung für ihn kein ekstatisch-kosmisches Verschmelzungserlebnis, sondern die Erfahrung einer grundlegenden Befremdung. Der Begriff der sinnlichen Genialität erweist sich als genau jene Klippe, an der die romantische Hörtheorie zerschellt und ihre Bestandteile in die allergrößte Spannung zueinander gebracht werden.50 A behauptet, dass die radikale Spannung zwischen Sinnlichem und Geistigem erst im Christentum vollständig zutage getreten ist, indem es im Sündenbegriff die Sinnlichkeit als Gegenprinzip bestimmt hat. Ähnlich wie bei Augustin wird die Bezogenheit beider Pole aufeinander nicht aufgegeben. Genau dies kann im Phänomen des Begehrens aufgedeckt werden. Kierkegaards Autor entfaltet entlang des Mozart’schen Werkes eine an Hegel erinnernde Phänomenologie des Begehrens. Von der schlafend-träumenden Begierde, die im Pagen aus dem Figaro verkörpert ist, gelangt er zur erwachenden Begierde, die erstmals einen Gegenstand ihrer selbst findet: Hierfür steht die Figur des Papageno aus der Zauberflöte. Aber erst im dritten Stadium, im Don Juan, kommt die Begierde im Hegel’schen Sinn zu sich selbst: »Im Don Juan […] ist das Begehren absolut bestimmt als Begierde, ist in intensivem und extensivem Sinne die unmittelbare Einheit der beiden vorhergehenden Stadien. Das erste Stadium begehrt ideal, das Eine; das zweite begehrt das Einzelne unter der Bestimmung des Mannigfaltigen, das dritte ist die Einheit hiervon. Das Begehren hat in dem Einzelnen seinen absoluten Gegenstand, es begehrt das Einzelne absolut.«51
Die Begierde in diesem Sinne des realisierten Begriffs als Einheit von Einzelnem und Absoluten kann weder gesehen noch gesagt, sondern allein gehört werden. Der Autor versucht, diesen Begriff und seine Momente in der ästhetischen Textur und Anlage der Oper und ihrer Hauptfigur aufzuweisen: »Sein Leben schäumt über wie der Wein, an dem er sich stärkt, sein Leben ist bewegt wie die Töne, die sein fröhliches Mahl begleiten, immer triumphiert er. Er hat keine Vorbereitung nötig, keinen Plan, keine Zeit, denn er ist immer fertig, weil nämlich die Kraft stets in
50 Man kann fragen, inwieweit diese intensive Spannung innerhalb des Stoffes der Oper und seiner Hauptfigur noch mit der klassischen Harmonieästhetik kompatibel ist, die der Ästhetiker einleitend für die Oper in exemplarischer Weise in Anspruch nimmt. 51 Kierkegaard, »Entweder/Oder. Erster Teil, Band 1«, a.a.O., S. 90 (dän. S. 90).
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ihm ist, wie das Begehren desgleichen, und nur wenn er begehrt, ist er so recht in seinem Element.«52
Don Juan ist Kraft, Bewegung, reine Performativität, und eben dies verweist auf die Musik als allein angemessenes Ausdrucksmedium: »Kannst du durch’s Hören keine Vorstellung von Don Juan bekommen, so kannst du’s nie«.53 A argumentiert auch gattungstheoretisch: Das Drama ist reflektierte Handlung und zeitlich entfaltete Struktur, die Oper dagegen ist »unmittelbare Handlung«54, die wesentlich durch Stimmung und den Zusammenklang des Gleichzeitigen wirkt. In der Figur des Don Juan klingt die ganze Oper zusammen, in ihm resoniert das gesamte Drama.55 Im Begriff der sinnlichen Genialität wird das Sinnliche zum Gegenprinzip gegen das Geistige erhoben. Damit ist zugleich ausgesagt, dass diese sinnliche Genialität erst durch das Christentum möglich wird; denn erst das Christentum entdeckt mit der Sündenlehre den prinzipiellen Gegensatz von Sinnlichkeit und Geist und erhebt damit, also im Zurückweisen des Anspruchs der Sinnlichkeit, dieselbe in eine geistig bestimmte Sphäre. Insofern setzt die Figur des Don Juan das christliche Sündenbewusstsein und damit das Wissen um die verloren gegangene Unschuld voraus. Die Geschichte von Gen 3 wird als Hintergrund erneut erkennbar. Und so erweisen sich sowohl der Don-Juan-Stoff als auch sein eigentümliches Medium, die Musik, als originär christliche Artefakte bzw. Kunstformen. Hieraus folgt, dass die Rede von sinnlicher Genialität neben anderen auch als eine Theorie über die ästhetische Wahrnehmung in einem christlichen, d. h. einem durch das Sündenbewusstsein geprägten Klang- und Resonanzraum gelten kann. Was das bedeutet, und zwar für eine individuelle Existenz ebenso wie für eine gesamte Kultur, entfaltet Kierkegaard einige Jahre später in der Schrift Der Begriff Angst. Dort werden die Bruchstellen aufgedeckt, an denen dieses Sündenbewusstsein in Gestalten
52 Ebd. S. 180 (dän. S. 104–105). 53 Ebd., S. 110 (dän. S. 106). A erörtert ausführlich andere Möglichkeiten der Interpretation der Don Juan-Figur, etwa bei Heiberg, Byron und Moliere, und will beweisen, dass diese Dichtungen allesamt das intellektuelle, reflektierende Moment stärker betonen, welches jedoch bei Mozart gerade keine Rolle spiele. 54 Ebd., S. 128 (dän. S. 121). 55 Durch diese Behauptung kommt A auch um das Problem des Endes der Oper herum: der gerechte Tod des Don Juan ist keine ethische Widerlegung seiner ästhetischen Lebensform.
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der Angst das Individuum immer wieder einholt.56 Die Angst kann aber auch schon unser ästhetischer Autor bei Don Juan entdecken.57 Don Juan selbst wird zum hinweisenden Zeichen seines christlichen Resonanzraumes: »Wie ein Stein, wenn man ihn so wirft, dass er die Oberfläche des Wassers schneidet, eine Zeitlang in leichten Sprüngen darüber hinhüpfen kann, wohingegen er, sobald er zu springen aufhört, augenblicklich im Abgrund versinkt, so tanzt Don Juan über den Abgrund hin, jubelnd in seiner kurzen Frist«.58 Wir sehen also: Der Kierkegaardsche Autor zeichnet zahllose Bilder, um die Figur des Begehrens in ihrer wesenhaften Bildlosigkeit plastisch hervortreten zu lassen. So ist Don Juan selbst ein Bild, und dies in mehrfacher Hinsicht: als Kunstfigur, die Teil einer Fiktion ist; als Bühnencharakter, der von einem Schauspieler dargestellt wird; und als »Repräsentation« oder »Inkarnation« einer Idee.59 Und doch kann man dieses Bild nach Aussage seines Interpreten nicht anders als im Hören der Musik richtig erfassen oder anders gesagt: Dieses Bild »will aus der Entfernung verstanden werden«60. Diesem gegenseitigen Verblenden von Klang und Bild will ich abschließend noch ein wenig nachgehen.
56 Vgl. Søren Kierkegaard, »Der Begriff Angst«, in: ders., Gesammelte Werke 11/12, herausgegeben von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes, aus dem Dänischen übersetzt von Emanuel Hirsch, Gütersloh 1981, S. 1–169 (dän. Søren Kierkegaard, »Begrebet Angest«, in: ders., Søren Kierkegaards Skrfiter bd. 4, udgivet af Søren Kierkegaard Forskningscenteret, Købnhavn 1998, S. 309–454), Kapitel 3 und 4. Die Beschreibung der Angst unter dem Pathos- bzw. Sympathiebegriff (»sympathetische Antipathie und antipathetische Sympathie«) bedient sich unmittelbar der Begrifflichkeit der musikalisch-rhetorischen Ästhetik. Insgesamt lässt sich zeigen, dass der pseudonyme Autor der Angstschrift bereits in der Interpretation des Sündenfalls in Kap. 1 die Angst als ein akustisches Phänomen und als ein Organ der Resonanz einführt, vgl. Ulrich Lincoln, »Rede und Resonanz. Zur Bedeutung einer lebensweltlichen Rhetorik des Christlichen bei Sören Kierkegaard«, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie (2006), Nr. 48, S. 424–444. 57 Kierkegaard, »Entweder/Oder. Erster Teil, Band 1«, a.a.O., S. 139 (dän. S. 131). 58 Ebd., S. 140 (dän. S. 131). 59 Vgl. ebd., S. 67–68 (dän. S. 70–71). 60 Ebd., S. 129 (dän. S. 122).
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4. E IN HÖRBARES BILD? UNTERWEGS ZU EINER ANTHROPOLOGIE DES BEGEHRENS Wir stellen also eine Ambivalenz bei A fest: Einerseits macht er überdeutlich, dass die sinnliche Genialität nicht ins Bild gefasst werden kann: »Sie [sc. die sinnliche Genialität] lässt sich nicht malen, denn sie kann nicht in bestimmten Umrissen erfasst werden, sie ist eine Kraft, ein Wetter, Ungeduld, Leidenschaft usw. von ganz und gar lyrischer Art, jedoch so beschaffen, dass sie nicht in einem einzigen Moment ist, sondern in einer Sukzession von Momenten«61. Begehren ist kein Stillleben, sondern ist reine Bewegung in der Bewegung, und diese zeigt sich nur dem Ohr, nicht dem Auge. Auf der anderen Seite braucht doch auch dieser Klang der Begierde ein Bild: Don Juan selbst ist ein Bild, genauer gesagt eine Repräsentation und Inkarnation. Damit ist ausdrücklich etwas anderes gemeint als eine mythologische oder typologische Verbildlichung einer allgemein-menschlichen Eigenschaft: »In der Inkarnation hat das einzelne Individuum die ganze Lebensfülle in sich, und diese ist für die übrigen Individuen nur dadurch, dass sie sie in dem inkarnierten Individuum anschauen«62. Erst von dieser bildtheoretischen Fassung des Inkarnationsgedankens her kann A dann auch die christliche Deutung der mythischen Gestalt des Don Juan vorantreiben: »Die Idee der Repräsentation ist durch das Christentum in die Welt gebracht. Denke ich mir nun das Sinnlich-Erotische als Prinzip, als Kraft, als Reich, bestimmt vom Geist, das heißt, so bestimmt, dass der Geist es ausschließt, denke ich es mir weiter in einem einzigen Individuum konzentriert, so habe ich den Begriff sinnlich-erotischer Genialität.«63 Die repräsentierende Kraft des Don- JuanBildes, oder im Hegel’schen Sinn: die geschichtliche Realität des Begriffs, ist christologisch gedacht: als höchste Konzentration einer Idee in einer einzelnen anschaubaren Person. Die konkrete Anschaulichkeit und Vereinzelung dieser Person ist Voraussetzung ihres Wirklichkeitsgehalts, freilich auch nicht mehr. Denn zugleich ist eben die Wirklichkeit des von ihr ausgedrückten Gehaltes, nämlich des Begehrens in einem kategorialen Sinn, gerade nicht zu sehen, sondern nur zu hören. Don Juan ist demnach so etwas wie ein hörbares Bild. Das klingt widersprüchlicher als es ist. »Wer sehen will, muss hören«, formuliert Doris Kolesch, um am Beispiel der modernen Kunst zu zeigen, »inwiefern Strukturen, Ordnungen und Rhythmisierungen des einen Sinnes im anderen wiederkehren 61 Ebd., S. 59–60 (dän. S. 64). 62 Ebd., S. 67 (dän. S. 70), Hervorhebung von U.L. 63 Ebd., S. 68 (dän. S. 71).
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bzw. von diesem aufgenommen und modifiziert werden«64. Hören braucht Visualität – und umgekehrt. Im Kontext des Kierkegaardschen Projekts verweist das hörbare Bild aber noch auf die Paradoxalität der dogmatischen Christologie: Die historische Tatsache der Existenz Jesu von Nazareth, also ihre historische Anschaulichkeit, verbindet sich mit seiner über das Anschauliche hinausgehende Bedeutung als des Christus, die nur geglaubt werden kann. Der Glauben steht hier an derselben Stelle, die der Ästhetiker in seiner Theorie für das Hören reserviert hat.65 Die Bedeutung des Bildes kann nur gehört werden. Wir fassen zusammen: Wenn Augustin mit seiner Verinnerlichung des begehrenden Blickes erstmals den Innenraum des Subjekts erschlossen hat, so ist es Kierkegaards Ästhetiker, der das Bild des Begehrens, oder besser: das Bild des Begehrenden, primär als Klangkörper innerhalb eines umfassenden Resonanzraumes erkundet. Was bedeutet das nun abschließend für ein Verständnis gegenwärtiger Bild- und Klangpraktiken? Sicherlich kann man sagen, dass für die spätmoderne Gesellschaft das Begehren eine ganz besondere Rolle spielt: Freuds Kulturtheorie und der in ihr ausgeführte Begriff gesellschaftlicher BegierdeMechanismen hat jüngst neue Anwendungen in der Interpretation der liberalen Demokratie und ihrer kolonialen Gewaltgeschichte gefunden.66 Aber auch im Innern dieser Gesellschaften herrscht die Begierde: Hedonismus, Konsumismus und die digitale Revolution sind Stichworte, die auf die Kraft verweisen, mit der Praktiken des Begehrens die Lebenswelt durchdringen, ökonomisch, ästhetisch, politisch. Werbung, Design, Konsum, facebook und Instagram alle diese Medien arbeiten mit den spezifischen Rezeptionskräften, die auf das Begehren antworten bzw. es hervorrufen. Augustins »Augenlust« ist der antike Name für einen Reiz-Mechanismus, der in der modernen Kultur eine ungebrochene Leitfunktion und eine ungeheure Stärke ausübt. Die Freud’sche Vorstellung eines spannungs- und leidensreichen Ausgleichs zwischen Lust- und Realitätsprinzip scheint in der post-industriellen Gesellschaft aus der Balance zu geraten. Hartmut Rosa hat die Kauf- und Konsumkultur der Spätmoderne 64 Doris Kolesch, »Wer sehen will, muss hören. Stimmlichkeit und Visualität in der Gegenwartskunst«, in: dies./ Sybille Krämer (Hg.), Stimme. Annäherungen an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2006, S. 40–64, hier: 42. 65 Kierkegaard selbst hat die Bildthematik in Hinsicht auf die christologische Frage in einem späteren Werk, der Einübung ins Christentum, ausdrücklich thematisiert, vgl. Ulrich Lincoln, »›Dich sehen in deiner wahren Gestalt …‹ – Bild und Bildung in Kierkegaards ›Einübung im Christentum‹«, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche (2016), Nr. 113.2, S. 171–194. 66 Vgl. Achille Mbembe, Politik der Feindschaft, Berlin 2017.
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als ein Phänomen der Resonanz und des Beziehungsbegehrens gedeutet.67 Im Konsum drückt sich demnach eine Resonanzsehnsucht aus, eine Suche nach sprechenden, erfüllenden Weltbeziehungen, die gleichwohl durch die systemischen Steigerungszwänge von Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung notwendigerweise enttäuscht werden muss. Freilich, Augustin und Kierkegaard zwingen uns dazu, von der vagen Metapher der Resonanz zur konkreten Metaphorologie des Begehrens zurückzukehren. Die Frage, woher die ikonische Kraft kommt, die etwa der Bildschirm in der digitalen Kultur ausübt, wäre mit Hilfe einer neuen Anthropologie des Begehrens zu erörtern. Freilich müsste es dabei um das Begehren als Intentionalitätsstruktur gehen und nicht nur um die unendlich vielen Objekte der Begierde, hinter denen das Begehren selbst verschwindet. Die Begierde produziert und respondiert unendlich viele Bilder, doch sie selbst bleibt unsichtbar, unbildlich. Bis die Kunst eintritt, und zwar die Hörkunst. Folgt man Kierkegaards Autor, so ist es nicht das Auge, sondern das Ohr, dem sich die Umrisse und Gestalt jener menschlichen Urkraft abzeichnen, die im Ikonischen wirkt und doch möglicherweise aus dem Klang kommt. Man sieht, dass wir hier zu quasi-mythologischen Sprachformen greifen müssen. Dort im Nichtbildlichen schlummert und lauert die Begierde. In eben dieser Konstellation wird das Begehren im Mythos beschrieben, nämlich als Kraft und Gefahr des Klangs: Odysseus’ Fahrt an den Sirenen vorbei gibt uns das Bild dieser lebensbedrohlichen Verführung durch den Klang. Der Klang ist die Natur, an der die menschliche Kultur zerschellt. Der Mensch aber folgt dem Klang, das ist sein Begehren. Und auch im Märchen vom Rattenfänger von Hameln liegt diese Konstellation vor: Der Klang der Flöte führt erst die Ratten und dann die Kinder in den Berg. Der Klang ist völlig transparent und objektlos, er ist reine Gegenwart bar jeder Verweisung und Repräsentation. Und doch ist er auch Gestaltung, Melodie und Stimme, d. h. reine Leiblichkeit. In dieser vollkommenen Leiblichkeit wird der Klang zum Bild der Begierde. Und erst als Klang wird die zivilisationsbedrohende Gefahr spür- und erlebbar, die im Begehren auch liegt. Die Frage nach dem Begehren und seinen Erscheinungsformen führt uns zu den Traumageschichten der spätmodernen Gesellschaft. Klang und Bild, Religion und Begehren: Für beide Autoren, Augustin wie Kierkegaard, markiert der theologische Sündenbegriff die Grenze dessen, was mit anthropologischen Mitteln hinsichtlich dieser Konstellationen ausgedrückt werden kann. Der Sündenbegriff erweist sich damit als eine wichtige 67 Vgl. Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen, Frankfurt am Main 2016, S. 697–698. Rosa identifiziert das Begehren als die elementare Form der Weltbeziehung, neben der Angst. (ebd., S. 187ff.).
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theologische Kategorie nicht nur für eine Interpretation des menschlichen Begehrens, sondern auch von damit zusammenhängenden Bild- und Tonpraktiken. Es ist der besondere Stil des Kierkegaardschen Textes, dass er den Leser heimlich an diese Grenze heranführt, ohne den Begriff und das Phänomen der Sünde in moralisch-ethischer Weise eng zu führen. In der Rolle des Ästhetikers, und damit in der Begegnung mit Bild- und Klangformen des Begehrens, nimmt Kierkegaard eine Enttabuisierung und Entmoralisierung des Begehrens vor, die es überhaupt erst möglich macht, sich der tiefen Ambivalenz dieses Phänomens zu stellen. Dies ist für eine theologische Interpretation der hier interessierten Konstellation ein methodischer Standard, hinter den man nicht mehr zurückfallen sollte. Eine Anwendung dieser begrifflichen Instrumente auf popkulturelle Phänomene der gegenwärtigen Lebenswelt legt sich nahe.
Picturing biblical sounds An essay on two millennia of imagery of King David’s connection with Music Jean Goldenbaum
Although this is a fact not recognized by many music researchers, the millennial liturgical writings known as the Tanakh, the Jewish Bible, happen to be one of the most valuable objects of musicological study related to Antiquity that we possess today. Mentioned in more than 250 occasions in the Tanakh, these musical themes form a central part of the biblical narratives, being present in various spheres of the culture and the day-to-day activities of the ancient Israelites. According to the stories, the functions of music extended both to the religious (in terms of worship) and to the secular or indirectly religious (as a means of jubilation and expression of happiness). At other times, structured musical art is not present in the narrative, but rather the conscious and coordinated use of sound, as a tool for social and community organization and even for military administration. It is astonishing that the musical instruments of the four major sections we know today (woodwinds, brass, strings and percussion) are mentioned in the Tanakh, which were probably the ancestors of today’s modern ones. Thus, the modern orchestra we know today was already represented in the ancient scriptures.1 In the midst of such circumstances, it is necessary to reflect on the following question: what knowledge from biblical times do we have in terms of how music sounded? The answer is simple: since, of course, there was not – and would not be for tens of centuries – the possibility of capturing the sound in an audio recording, this alternative is ruled out. Another one, more possible, would be through writings that contained musical notation – the earliest of which would be scores – but 1 I also conduct a detailed survey of all Tanakh passages where Music and Sound are present. In this article, as the title clarifies, I will address a clipping of this theme.
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there are no signs of musical notation among the ancient Israelites (and even in other civilizations of the time, little is known about this theme, about which we find something more concrete only in later periods to the Tanakh).2 In short, what we have are texts in which information about this music and its environment is recorded, but we do not have any reference in relation to its sonority (neither through recordings nor codifications). In the centuries that followed, a third body of information would be born, namely, the production of the image relative to this music. And how does the »imagery of sound« manifest itself? In this case, we are dealing fundamentally with the illustration of instruments. In this article we will focus specifically on the character David, the supposed ruler of the Kingdom of Judah and, later, of Israel, around the year 1000 BCE. It is convenient to use David, because out of all the characters of the Bible, he is undoubtedly the one who is most associated with music, thanks to the attribution to himself of the composition of dozens of psalms (which, although they are poems, were conceived with the intention of always being chanted with or without instrumental accompaniment) and passages in which he is described as an excellent interpreter of the instrument called kinnor ()כִ ּּנֹור. The kinnor, a musical instrument in which we will concentrate, precisely because it is the one that according to the Scriptures David performed, was a string instrument. The word ›kinnor‹ is translated by both Jewish and non-Jewish sources, sometimes as ›harp‹, sometimes as ›lyre‹. It is mentioned 42 times in the Tanakh, for the first time already in the first book, Bereshit (Genesis, 4:21).3 Here is an addendum: in addition to the kinnor, another string instrument, the nevel ()נֶבֶ ל, is also often referred to in the Jewish Bible. The nevel, in its turn, is
2 The discussion around the History of Musical Notation is vast and sharply divides the opinions of musicologists. Some consider what they call ›Hurrian Hymns‹ (clay slab fragments dating to about 1400 BCE) as the earliest example of musical notation known to mankind (I personally am skeptical about these and I think that the legitimacy of the pieces is questionable and based on hypotheses and not on science). The ›Epitaph of Scylla‹, whose date should vary between the years 200 BCE and 100 CE, has more credibility among musicologists since it dates back to a time when research on musical notation was already considerably advanced, especially in the Greek world. Still, its decoding still generates disagreements. More in: Martin L. West, »The Babylonian Musical Notation and the Hurrian Melodic Texts«, in: Music & Letters, 75 (1994), no. 2, S. 161–179; Jon D. Solomon, »The Seikilos Inscription: A Theoretical Analysis«, in: American Journal of Philology, 107 (1986), S. 455–479. 3 Blue Letter Bible. Entry: Lexicon : Strong’s H3658. https://www.blueletterbible.org/ lang/lexicon/lexicon.cfm?Strongs=H3658&t=KJV
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translated as ›harp‹, ›lyre‹, ›psaltery‹, ›lute‹ and ›viola‹.4 This plurality with regard to translations is inconvenient because it makes it difficult to determine what the instruments mentioned in the Tanakh really were. I therefore try to achieve unity and coherence in this area by proposing a definitive translation for both instruments mentioned above. Since in modern Hebrew it was agreed that the kinnor would name the violin and the nevel the contemporary harp, it is reasonable that we then assign the nevel the translation ›harp‹, and the kinnor, ›lyre‹. Musicologists diverge widely about the differentiation of these two terms, harp and lyre, but in our present context, it is enough for us to postulate that we are dealing with string instruments of the harp and lyre family. Thus, unable to know with complete clarity how the kinnor sounded, we propose in this article to evaluate different images about it and its interpreter David, in order to understand how the man’s imagination was built around the hidden instrument that is present in this epic account, one of the most traditional and read in the history of humanity, the Tanakh. The following deals with both fully artistic representations (paintings, stained glass, frescoes) and theological ones (illustrations printed in Bibles or presented in synagogues or churches). However, before we list any of the cases mentioned above, we shall begin with the representation of kinnor in a different context. I am referring to its image depicted on iron coins dating from the second century of the common era, on the occasion of the Bar Kokhba revolt, the third war between the Jews and the Roman Empire that occurred between the years 132 and 135.5 The Jews, whose goal was to free themselves from Roman rule, were led by Simon bar Kokhba (unknown birth date, death in 135), known as ›the Prince‹ and regarded as the hope of freedom for his people.6 During this time, bronze and silver coins were minted in the region of Israel with certain images and inscriptions intended to arouse patriotism among the Jews, something necessary during the war period, during which they were to fight the enemies. Among these coined symbols were the lulav herb (used in Sukot’s feast), grape clusters (which symbolize wine, an essential part of the Sabbath and other festivities), characteristic palms of the region’s vegetation, the facade of the at the time already destroyed Temple of Jerusalem, and finally two musical instruments: the trumpet and the kinnor. The trumpet is fundamentally 4 Blue Letter Bible. Entry: Lexicon : Strong’s H5035. https://www.blueletterbible.org/ lang/lexicon/lexicon.cfm?Strongs=H5035&t=KJV / http://www.biblehub.com 5 These coins were first found in the mid-nineteenth century, cf. Frederic W. Madden, History of Jewish coinage, and of money in the Old and New Testament, San Diego 1864, s. Introduction. 6 Jewish Encyclopedia. Entry: Bar Kokba and Bar Kokba War http://jewishencyclopedia. com/articles/2471-bar-kokba-and-bar-kokba-war
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the instrument that represents the Temple, according to the scriptures.7 And the kinnor is the symbol of King David and the city of Jerusalem. These coins happen to be the earliest reproductions that we possess that indicate how the kinnor might appear. The images are not identical, which reinforces the idea that there was no standardization in the construction of the instruments. Some examples can be seen on picture 01. If we analyze the illustration of the lyres, we see below a base which is sometimes larger, sometimes smaller, which may or may not characterize an acoustic box. On this basis we see two vertical rods on which a horizontal rod is supported. A sort of square is formed and in its middle, the strings are vertically stretched. The number of strings varies widely, and can appear from three to six (again: without standardization).8 Before we proceed, it is necessary to briefly focus on the theme ›archeology‹. To this day no lyre or other instruments have been found through excavations in the region of Israel. It must be taken into account that much of the region is impossible to research, after all the cities of these places are still alive today, built and populated. The closest that was discovered in this sense was not in Israel, but in the region of present-day Iraq, the well-known ›Lyres of Ur‹.9 These lyres, which are believed to date from up to 2,500 BCE, have some kind of similarity in terms of construction with those illustrated in Bar Kokhba coins. We will not go into the merits of how these discoveries were treated, since this would exceed the theme we propose to discuss, touching on points such as legitimacy, reconstruction and others. What we have to mention here and to affirm is that through these lyres we do not get much more information regarding the final product derived from these instruments, that is the musical sound. As we have seen, the coins of the Kokhba Bar Revolt were only found in the nineteenth century. Hence the idea of the appearance of the kinnor depended very
7 In 82 CE, 12 years after the conquest of Jerusalem by the Romans, which resulted in the destruction of the Second Temple of the Jews, the Emperor Domitian (51–96) built in honor of his brother and former emperor Titus (39–81) the ›Arch of Titus‹, which still stands on the Via Sacra in Rome, Italy. In this arch is carved a scene that illustrates the destruction of the Temple and in it one can see clearly the presence of two trumpets on the Ark of the Covenant. 8 Coin Archives. Entry: Bar Kokhba. https://www.coinarchives.com/a/results.php?search=bar+kochba 9 University of Liverpool. Ancient Iraqi harp reproduced by Liverpool engineers. https://web.archive.org/web/20100701185936/http://www.liv.ac.uk/news/press_releases/2005/07/lyre_of_ur.htm
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much on the imagination of the biblical illustrator or artist, as we shall see on figure 02. Possibly the earliest illustration we know of King David with his kinnor is a mosaic found in the ancient synagogue of Gaza built in the year 50810 (fig. 02) In this mosaic we see David with a rectangular kinnor in his lap. What strikes the attention is the stick that he carries in his right hand, something unusual in the representations of David. In most cases, as we shall see in this article, he is illustrated by performing the lyre with his hands only, most likely thanks to the biblical passage from the Book of Samuel where it is clarified: »And it would be, that when the spirit of God was upon Saul, that David would take the harp, and would play with his hand, and Saul would be relieved, and it would be good for him, the spirit of evil would depart from him.«11
It should be remembered that in the sixth century, when the mosaic was created, there were no music bows yet.12 The bat that David bears should have a percussive function on the strings. The next image that we will analyze (fig. 03), dates still of the High Middle Ages, more properly of 9th Century. This is the Byzantine ›Psalter of Chludov‹. Here we see King David handling a small square lyre of very simple construction, with nine strings extended vertically. Already in the following image (fig. 04), from the eleventh century, we see a triangular lyre, played by the king sitting and supported on his lap, with eight strings. In the following illustration (fig 05), which dates from the thirteenth century, we see a more sophisticated lyre, more like the traditional Irish harp, with a better worked instrumental body and a larger number of strings of various sizes. Note that of these first three medieval illustrations, probably the first one characterizes the lyre produced by or for the common citizen of Israel, who did not have much financial means to buy an instrument of the level of that the king would buy. With four wooden rods tied and some strings extended, a kinnor was made.
10 In 1965 Egyptian archaeologists discovered a place where a synagogue had existed and found much of the mosaic intact and well preserved in it. When in 1967 in the Six-Day War Israel captured the Gaza Strip, the Israelis found the mosaic partially destroyed. It has been restored and is now housed in The Good Samaritan Museum (Road 1, between Jerusalem and Jericho). Vgl. Connie Green, »King David’s Head from Gaza Synagogue Restored«, in: Biblical Archaeology Review, 20 (1994), 2, S. 58–63, 94. 11 1 Sam. 16:23 12 Eric Halfpenny, Encyclopædia Britannica, 1988, entry: Bow (music).
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The one of image 03 already seems to indicate more than one material in its construction and that of image 04 points to a more refined finish. Of course, medieval artists sought inspiration in their own time by illustrating the Bible. Imposing the characteristics of their time on the reality of earlier times is a recurring mistake – deliberate or not – in the universe of biblical illustration. This question is well represented in the following image, dated from a century onwards, the 14th (fig. 06). In the image in which the young David avoids being killed by his predecessor King Saul13, he carries an instrument that resembles a kind of German zither or a Baltic psalter. In this type of instrument the acoustic box is an essential part and all the strings extend over it. Most probably the kinnor of David’s time did not possess this acoustic elaboration, but the artist – aware or unaware – brings the biblical story to its time and place, that is, medieval Europe. After this brief review of biblical illustrations from the Middle Ages, where we investigated different possibilities of expression related to the kinnor, we enter the time of Renaissance painting. Drawing an immediate parallel to the previous image, we see on picture 07 the 1423 painting by Italian Gentile de Fabriano (1370–1427), where a King David in a clearly Christianized aspect brings in his lap once more the German zither. At the beginning of the sixteenth century we have the engraving of the Dutchman Lucas van Leyden (1494–1533), in which David finds himself again before Saul (fig. 08). Here his lyre is well finished, but is simple, thin and, apparently, made of wood. There is no acoustic box, and although the instrument is of a considerable size, it is light enough to be carried by David standing and without the aid of a support. In the seventeenth century, painters produced various and varied paintings of David and his kinnor, notably those of Rembrandt van Rijn (1606–1669) and Gerard van Honthorst (1592–1656), who perpetuated the character in well-known works (fig. 09 and 10). In both these paintings, we can see David playing his lyre made of wood with a rich finishing. The main thing to be pointed out here is the presence of what seems to be tuning pegs, something which naturally existed at the time of the painters, but not at the time of the character. This era is also marked by kinnor representations completely incoherent with the time in which David lived. Certainly in these cases, it is not a matter of ignorance on the part of the artists, but a conscious proposal to insert David and his music in the current context in which they lived, seeking to bring the biblical 13 1 Samuel 19:9–10.
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character closer to the citizen of that time. Thus, we see in the work of Giovanni »Guercino« Barbieri (1591–1666) David with a baroque violin in his hands and Bernardo Cavallino’s (1616–1656) with a kind of lute (fig 11 and 12). Still in this century, it is also interesting to include the painting of Hendrick ter Brugghen (1588–1629) (fig. 13), in which the aged king performs his instrument before a score book (of almost modern appearance), something that, as already mentioned in the present article, as far as we know, did not exist at that time. Throughout the seventeenth century we did not find great differences in the creative process of artists in regard to the illustration of David and the kinnor. In the 18th century though, a new imaginative tendency in this area happened to show itself among the painters. About the first half of this century, it is worth mentioning the work of Antoine-Jean Gros (1771–1835), who portrays the kinnor as an instrument of great stature, similar to the modern harp that would later be part of the orchestra (fig. 14). In the second half of the century, and especially in its last quarter, we see a wide and varied range of options around biblical characterizations. In the specific case of the kinnor, this period is marked by the beginning of the great development of archaeological excavations (including the discovery of the coins of Bar Kokhba), which may have considerably influenced the imagination of the artists. It seems, once the likely real appearance of the kinnor was discovered, that some of the artists extended their creativity around it as much as possible. Some examples of this phenomenon can be seen on pictures 15, 16 and 17. In the picture of Dante Rossetti (1828–1882) we see a King David of clearly European appearance, performing a kind of small organ or an unusual-looking harp. Kristian Zahrtmann (1843–1917) opts for a much simpler but modern-looking kinnor whose body seems to be made of some kind of metal. Ludwik Wiesiołowski (1854–1892) decides for an also simple lyre, but of modern design, colorful and unusual. And painters like Nikolay Zagorskiy (1849–1893) and Julius Kronberg (1850–1921) opted for simpler and more realistic representations (fig. 18 and 19). The first one depicts a more rustic landscape, a king who inhabits a tent instead a castle, while young David performs a kinnor without much sophistication. The second painting presents a lyre apparently produced from natural wood or even a kind of leaf or bark, although the setting in which they are found is that of a luxurious palace. At the end of the nineteenth century and the beginning of the twentieth century a new and important phenomenon began to take shape in the form of biblical painting and illustration: Jewish artists began to present their works with a peculiar vision regarding the biblical contents. Before we get to Marc Chagall (1887–1985), who may be considered one of the greatest – possibly the great-
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est – Bible scenes painters that ever existed, four other very important Jewish artists, who also expressed themselves on the central theme of this article deserve mention: Jozef Israëls (1824–1911), Simeon Solomon (1840–1905), Abel Pann (1883–1963) and Reuven Rubin (1893–1974) (fig. 20, 21, 22 and 23). In the Impressionist picture of Israëls, David performs a reasonably simple kinnor, with the acoustic box below, as suggested by the illustrations of the Bar Kokhba coins. Similar is the form of the lyres played by the men who accompany the king in the episode in which the Ark of the Covenant is transferred to Jerusalem, portrayed by Solomon. Pann brings a great contrast in portraying a fully tribal David, with a harp made from the carcass of a dead animal, with its skull serving as an acoustic box and one of its horns as a curved rod for the extension of the strings. Finally, Rubin represents the kinnor in the most faithful way to reality, with two vertical stems and a thinner upper horizontal one. Chagall portrayed King David about 20 times in his paintings, making him one of his most-painted characters. We conclude this essay with one of his paintings, in which David flying over the city performs his music with a square kinnor (as the instrument is almost always portrayed by the painter) (fig. 24). As we have seen in this brief history of painting King David and his kinnor, the artists seemed/seem to regard the lyre as an extension of David’s body and person; something that defines his character, his personality and some of the most relevant passages of his life narrated in the Jewish liturgical scriptures. Thus, regardless of the sound itself produced by the character and his instrument, music becomes present and performs its function in the artist’s emission and in the viewer’s reception of the image. From this, the imagination of how this music sounded belongs to the artists and spectators themselves, which creates a special interest generated by the mysticism surrounding this topic, by the unknown around this music that was lost as sound, but lives on as image and imagination. Before concluding, it is interesting to present a brief digression as to how the kinnor might have sounded. Technically, I believe that most of the executions of that time were through improvisations, momentary executions, a conception similar to that which still prevails in parts of the eastern world. Logically there was no tempered tuning, so microtonal freedom certainly existed – something also characteristic in today’s Eastern music – and something that the West would only rediscover at the end of the nineteenth century. In addition to that, there is no reason to believe or to state scientifically that there was any kind of standardization in terms of tuning or even of instrument building. The strings were made from the intestines of goats, sheeps or other animals, or from some kind of tough vegetable yarn. The body of the instruments depended – as it still does today – on how much money was invested in its construction. The simplest ones were only made of wood or pieces of trees, gourds or even bones of dead animals. The more complex
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instruments, such as the King’s, could be made of finished wood and some had parts covered with copper, bronze, silver or even gold. As a final image we present the well-known sculpture found in the City of David in Jerusalem (fig. 25). Clearly inspired by the coins of Bar Kokhba, the sculpture eternalizes the reality of the ancient instrument, which, crossing the barriers between religion and historicity, has consolidated itself as an important symbol of a people and its culture.
Fig. 1
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Fig. 25
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Fig. 01: Bar Kokhba Revolt coins, in: https://www.coinarchives.com/a/results. php?search=bar+kochba (last access: 20.02.2018). Fig. 02: Mosaic of King David, found at the ancient Synagogue of Gaza, in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:PikiWiki_Israel_14995_Mosaic_ of_David_playing_the_harp.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 03: King David on the Chludov Psalter, in: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Chludov_david.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 04: King David, illustration from an illuminated Evangelion manuscript brought to Zagreb, Croatia in ca. 1094, in: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:David_on_throne.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 05: King David playing the harp, The ›Great Bible‹, London, ca. 1410, in: https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:BL_Alphonso_Psalter.jpg (last access: 20.02.2018).
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Fig. 06: David und King Saul, Speculum Humanae Salvationis, ca. 1360, in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Speculum_Darmstadt_2505_33r. jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 07: The Prophet David, by Gentile da Fabriano (1370–1427), in: https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Gentile_da_Fabriano_026.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 08: David Playing the Harp before Saul, by Lucas van Leyden (1494–1533), in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%27David_Playing_the_Harp_ before_Saul%27_by_Lucas_van_Leyden,_Honolulu_Museum_of_Art.JPG (last access: 20.02.2018). Fig. 09: Saul and David, by Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606–1669), in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Saul_and_David_by_Rembrandt_ Mauritshuis_621.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 10: King David playing the harp, by Gerard van Honthorst (1592–1656), in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gerard_van_Honthorst_-_King _David_Playing_the_Harp_-_Google_Art_Project.jpg (last access: 20.02. 2018). Fig. 11: King David, by Giovanni Francesco »Guercino« Barbieri (1591–1666), in: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7d/Guercino_David. jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 12: David plays to Saul, by Bernardo Cavallino (1616–1656), in: https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Bernardo_Cavallino-David_plays_to_ Saul-Kunsthistorisches_Museum.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 13: King David playing the harp, by Hendrick ter Brugghen (1588–1629), in: ttps://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brugghen_King_David.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 14: David playing his harp for a distraught Saul, by Antoine-Jean Gros (1771–1835), in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:David_playing_ his_harp_for_a_distraught_Saul._Steel_engravin_Wellcome_V0016626.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 15: The seed of David, by Dante Gabriel Rossetti (1828–1882), in: https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Dante_Gabriel_Rossetti_-_The_Seed_of_ David_(1856_ca)_-_3.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 16: David at the palace of Saul, by Kristian Zahrtmann (1843–1917), in: https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:David_ved_Sauls_palads_(Zahrtmann).jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 17: David playing the harp, by Ludwik Wiesiolowski (1854–1892), in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wiesio%C5%82owski_David_ playing_the_harp.jpg (last access: 20.02.2018).
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Fig. 18: David and Saul, by Nikolay Zagorskiy (1849–1893), in: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:N.Zagorskiy_001.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 19: David and Saul, by Julius Kronberg (1850–1921), in: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:Julius_Kronberg_David_och_Saul_1885.jpg(last access: 20.02.2018). Fig. 20: David, Jozef Israëls (1824–1911), in: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Jozef_Isra%C3%ABls_-_David.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 21: David dancing before the Ark, by Simeon Solomon (1840–1905), in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%27David_Dancing_before_the_ Ark%27_by_Simeon_Solomon,_pen_and_ink_.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 22: David and the harp, by Abel Pann (1883–1963), in: http://www.artnet. com/artists/abel-pann/david-and-the-harp-lOMUW2Hk8i7BZkM9_6H_kw2 (last access: 20.02.2018). Fig. 23: King David, by Reuven Rubin (1893–1974), in: http://www.artnet.com/ artists/reuven-rubin/king-david-XxDllGqBGXicuYeLg_XK0Q2 (last access: 20.02.2018). Fig. 24: King David, Marc Chagall (1887–1985), in: http://foto.ilsole24ore. com/Editrice/ILSOLE24ORE/QUOTIDIANO_INSIDE_ITALY/Online/ MediaCenter/Gallery/ImmaginiTrattate/2014/11/11/08-kKP-–1131x900@ Quotidiano_Inside_Italy-Web.jpg (last access: 20.02.2018). Fig. 25 King David’s harp at the entrance to the City of David in Jerusalem, in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Davids-harp.jpg (last access: 20. 02.2018).
III. Praktiken ästhetischer Relationen
Die dunkle Kunst Ein Gespräch über Thomas Mann und die Musik Marco Gutjahr und Heinz-Jürgen Staszak
/ / Thomas Mann und die Musik – für jeden, der im Dunstkreis der deutschen bürgerlichen Kultur aufgewachsen ist, hat die Kombination »Thomas Mann und die Musik« mehr Konsequenz und Folgerichtigkeit als durch das bloße »und« ausgedrückt wird. Diese Verbindung ist weitaus inniger und intensiver als es die nüchterne Konjunktion markieren kann; man ist fast versucht, dieses »und« durch ein Gleichheitszeichen zu ersetzen. — In der Tat, man kann nicht gut über Thomas Mann sprechen, weder über Aspekte seiner Person noch seines Schaffens, ohne zugleich auch über Musik reden zu müssen, so fest verankert ist diese Schwesterkunst in seinem literarischen Kosmos. Vielleicht muss man sogar so weit gehen und behaupten, dass man heute auch kaum über Musik reden kann, ohne dabei häufig über Thomas Mann oder zumindest in seinen Worten zu reden, so klug, so tiefgründig, so erhellend sind seine Einsichten über die eigentlich dunkle Kunst der Musik, diese »Kunst der Nacht«1, wie es bei Nietzsche heißt. Müssen wir in diesem Kontext eigentlich über Adorno reden?
1 »Nacht und Musik. — Das Ohr, das Organ der Furcht, hat sich nur in der Nacht und in der Halbnacht dunkler Wälder und Höhlen so reich entwickeln können, wie es sich entwickelt hat, gemäss der Lebensweise des furchtsamen, das heisst des allerlängsten menschlichen Zeitalters, welches es gegeben hat: im Hellen ist das Ohr weniger nöthig. Daher der Charakter der Musik, als einer Kunst der Nacht und Halbnacht.« (Friedrich Nietzsche, »Morgenröte«, in: ders., Kritische Studienausgabe Bd. 3, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York 21988, S. 9–331, hier: 205).
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/ / Ganz sicher kann man heute auch nicht über Musik reden, zumindest, wenn man nicht nur über ihr Technisch-Handwerkliches redet, ohne sich auf die Gedanken des Frankfurter Kulturphilosophen Theodor W. Adorno zu beziehen, gleich über welche der E-Musiken man spricht, die alte Musik, die Musik der Klassik, die Musik des 19. Jahrhunderts oder gar die Musik der Moderne. Mit Thomas Mann wurde er bekannt im antifaschistischen Exil in den USA. Hier wurde Adorno zum Mittler zwischen Thomas Mann und Arnold Schönberg, er wurde mit seinen souveränen Kenntnissen zum musikalischen Gewährsmann für Thomas Mann, insbesondere am Beginn der vierziger Jahre, als Mann seinen großen Roman Doktor Faustus schrieb, der ja nicht nur – wie er selbst behauptete – der »Roman seiner Epoche«2 ist, der aber auch nicht einfach nur – wie sein Untertitel – »das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn« andeutet, ein Musikerroman ist, sondern der auch der Roman der Musik, zumindest der deutschen Musik ist. — Ja, Adorno ging mit ihm die Schönberg’sche »Harmonielehre« durch, exerzierte ihm musikalische Probleme am Flügel vor, erläuterte sie wortreich und prüfte später auch das Manuskript des Faustus. / / Genau, der intellektuelle Kontakt zwischen beiden war bei der Entstehung des Doktor Faustus so eng, dass man durchaus sagen kann, dass viele der musikphilosophischen Passagen des Faustus von Adorno inspiriert sind. Thomas Mann sagte mal zu Bruno Walter, das er so »manches von Adorno als Seines übernommen«3 hätte – natürlich nicht als Plagiat, wie ihm häufig unterstellt wird, sondern »als Seines übernommen«, denn was ins eigene Werk eingeschmolzen sei, werde geistiges Eigentum des Nehmenden. Eigentlich sind ganze Passagen des Romans ohne die intensivste Unterstützung Adornos gar nicht zu denken, etwa die Beet2 Thomas Mann, »Die Entstehung des Doktor Faustus«, in: ders., Gesammelte Werke Bd. XI, Frankfurt am Main 21974, S. 145–301, hier: 168–169: »Wie nötig waren Maske und Spiel angesichts des Ernstes meiner Aufgabe, dessen ich mir hier zum erstenmal von Anbeginn klar bewußt war. […] Diesmal zuerst, bei dem Werk meines Alters, war es anders. Dies eine Mal wußte ich, was ich wollte und was ich mir aufgab: nichts Geringeres als den Roman meiner Epoche, verkleidet in die Geschichte eines hoch-prekären und sündigen Künstlerlebens.« 3 Thomas Mann, »Tagebucheintrag vom 23. Juli 1945«, in: ders., Tagebücher 1944– 1.4.1946, herausgegeben von Inge Jens, Frankfurt am Main 1986, S. 231: »Zum Abendessen Bruno Walter und Tochter./Im Arbeitszimmer Vorlesung der Abschnitte opus 111 und Beißel/– mit überraschender, aufregender Wirkung auf W. Es sei über Beethoven nie so Wahres gesagt worden. Dabei ist manches von Adorno als das Meine übernommen./Je prends mon bien où je le trouve./«
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hoven-Vorträge Wendell Kretzschmars oder die literarische Komposition des apokalyptischen Oratoriums. Was aber nichts anderes heißt als: Wenn man heute über Musik redet und dabei sich auf Adorno’sche Gedanken stützt, dann tritt dabei auch immer der Doktor Faustus und damit Thomas Mann in den näheren Dunstkreis … — … wie auch umgekehrt. Wenn ich das recht überblicke, dann beginnt man eigentlich gerade erst zu ahnen, worin diese »Koautorschaft« Adornos tatsächlich bestand, für die Thomas Mann wirklich dankbar war, wenn auch nicht zu sehr. Adrian Leverkühns Klavierlehrer skandiert bekanntlich in einem seiner Vorträge zu Beethoven das Arietta-Motiv aus der Klaviersonate opus 111 mit einigen fragwürdigen, aber sinnreichen Erweiterungen. Da wird dann »Him-melsblau« zu »O – du Himmelsblau« und eben »Wie-sengrund« zu »Grü-ner Wiesengrund«4. / / Richtig, es gibt also einen unauflösbaren, ja konstitutiven Zusammenhang zwischen Werk und Person Thomas Manns einerseits und der Musik andererseits, ein Zusammenhang, der das eingangs von mir erwähnte »und« geradezu notwendig macht. — Wir reden aber immer noch über Thomas Mann als einem, sagen wir, intellektuellen Musiker, oder? / / Dass er nur ein »intellektueller Musiker« geworden ist, lag an seiner mangelhaften musikalischen Vorbildung – ohne gründliche und frühe Ausbildung wird man kein guter Musiker, weder ein reproduzierender noch ein produzierender und mir fällt tatsächlich gerade auch kein Beispiel einer Spätentwicklung zum Komponisten ein. Thomas Mann spielte leidlich Geige und hat in den Münchner Jugendjahren mit Freunden gemeinsam musiziert, aber wohl bald hat die musikalisch-handwerkliche Fähigkeit nicht mehr mit den musikalisch-intellektuellen Ansprüchen Schritt gehalten und ist dann eingestellt worden. Es blieb somit immer eine leidend liebende Beziehung zur Musik und zu Musikern. — Nun sind ja Doppelbegabungen im Bereich der Kunst aber nicht selten, ich denke etwa an Goethe und die Malerei; aber die Doppelbegabung Literatur und Musik scheint mir doch eher selten auffällig zu werden, was nichts damit zu tun haben muss, dass sie möglicherweise wirklich seltener vorkommt, sondern einfach damit, dass bei den meisten dieser Begabungen eben eher der musikalische 4 Thomas Mann, »Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde«, in: ders., Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Bd. 10.1, herausgegeben von Ruprecht Wimmer, Frankfurt am Main 2007, S. 84.
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Teil entwickelt wird, als der literarische, weshalb es vielleicht auch mehr Musiker*innen mit einer literarischen Doppelbegabung gibt, als Literat*innen mit einer musikalischen, Robert Schumann etwa. / / Gibt es das wirklich? Also echte Doppelbegabungen, auf einem gleichermaßen hohen Level? — Sie haben recht, ich muss das präziseren. Wenn ich von Doppelbegabungen spreche, dann vielleicht mit folgendem typologischen Zuschnitt: Zum einen gibt es da die Robert Schumanns oder – aktueller – die Peter Härtlings dieser Welt, die eine der beiden Begabungen wirklich entwickeln, während die andere als latenter Untergrund vorhanden bleibt, aber nicht auf die erste übergreift, sondern eher in den Dienst der anderen gestellt wird. Dann könnte man an E.T.A. Hoffmann denken, bei dem wir sicherlich von einer gleichberechtigten Entwicklung beider Begabungen sprechen können, die nebeneinander ausgeübt wurden, ohne dass die eine die andere dominiert hätte. Schließlich denke ich an eine echte Synthese beider Begabungen, die bei Richard Wagner etwa ins »Gesamtkunstwerk« mündet, wenn man so will also in eine Literarisierung der Musik, und bei Thomas Mann in seinen »Musikerroman« und dementsprechend eine Musikalisierung der Literatur. / / Aber diese Typologien sind doch nicht nur die Folge individueller Dispositionen, sie sind doch vermutlich auch Ausdruck kultureller Veränderungen? Wenn Thomas Mann hundert Jahre früher gelebt hätte, dann wäre er – trotz seiner Doppelbegabung und trotz seines möglicherweise universelleren Genies auch nur ein E.T.A. Hoffmann geworden … — … das »nur« ist aber schon ein wenig gehässig? / / Ja, schon! Dieses kleine Gedankenexperiment sollte auch nur andeuten, dass, damit diese großartige »Synthese«, wie Sie es genannt haben, die Thomas Mann zwischen Musik und Literatur gelungen ist, vermutlich kulturelle Voraussetzungen nötig hatte, die ihm erst seine Zeit zur Verfügung stellte und die 100 Jahre früher eben noch nicht gegeben waren. Welche kulturellen Voraussetzungen das sind, wird deutlicher, wenn wir uns probeweise andere »und«-Konstellationen vor Augen führen: Lessing und die Musik, Goethe und die Musik, Hegel und die Musik usw. Da zeigt sich etwas oder? — Natürlich, in der rationalistischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts entwickelt sich die Literatur, die Sprachkunst, die an Vernunft und Verstand gebundene Kunst zur Leitkunst, sie wird sogar zum Maßstab des Ästhetischen schlechthin, während
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der Musik im intellektuellen Diskurs der Zeit eher eine Randfunktion zugewiesen wird. Auch in der Praxis hat die Musik des 18. Jahrhunderts mit der Literatur, mit dem Wort zunächst nicht viel im Sinn, auch wenn beide, die Literatur, das Wort für die Musik häufig der Anlass zu ihrer Produktion sind. Das ändert sich schlagartig im Übergang zum 19. Jahrhundert und hier speziell mit Beethoven; es kommt ein Prozess in Gang, den man als »Literarisierung der Musik« bezeichnen kann. Beethovens sinfonisches Prinzip, das sich zum beherrschenden Prinzip der Musik entwickelt, ist im Gegensatz zur Fuge etwa, die nach einem architektonischen Prinzip funktioniert, eigentlich ein literarisches Prinzip, insofern nämlich fast alle Kompositionen Beethovens, sofern sie nach dem Sonatenhauptsatzprinzip gestaltet sind, Geschichten erzählen, Geschichten von Konflikten, ihrer kämpferischen Bewältigung, Geschichten von Auseinandersetzung und Sieg, aber eben musikalisch erzählt, das heißt ohne Worte und ohne Personen, seine Sinfonien sind eigentlich alle Opern, aber, wie gesagt, ohne Personen und deshalb ohne Gesang, instrumentale Opern, weshalb er auch bloß eine Oper geschrieben hat – und die Ouvertüren dazu gerieten ihm dann auch noch immer wieder zu Sinfonien. Diese Literarisierung der Musik ließ die Musik wieder Anschluss gewinnen an die Literatur; der damit gegebene Effekt wurde verstärkt dadurch, dass gleichzeitig mit Beethoven die Literatur, insbesondere die romantische Literatur sich musikalisierte, allerdings zuerst nur dergestalt, dass musikalische Elemente formbildend in der Literatur verwendet werden, die Elemente Rhythmus und Klang. Freilich gab es das auch schon vorher, als Reim und Versmaß, aber doch eher nur als rationale Ordnungsprinzipien des Wortes. In der romantischen Poesie wird der Klang nicht mehr nur als wortorganisierendes Moment eingesetzt, sondern tatsächlich als ein musikalisches Mittel. Denken wir nur an die Schlussverse in Brentanos Was reif in diesen Zeilen steht: O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!5
/ / Ja, sehr schön! Gerhard Schulz sprach in diesem Zusammenhang mal explizit von »Sprachmusik«6. Diese beiden Entwicklungen, die romantische Poesie und die Musik Beethovens werden dann wiederum zur Quelle Richard Wagners, der im Grunde eine Synthese zwischen Literatur und Musik unter der Herrschaft der 5 Clemens Brentano, »[Was reif in diesen Zeilen steht]«, in: ders., Werke Bd. 3, München 2002, S. 929–930.
3
6 Gerhard Schulz, Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 2. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806–1830, München 1989, S. 759.
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Musik vor Augen hatte, nämlich die Wagner’sche Oper als Gesamtkunstwerk. In erster Linie geht es dabei um ein Werk, in dem Musik nicht nur eine literarische Handlung begleitet und ausdeutet, wie noch bei Mozart, sondern die Musik und das Wort gemeinsam eine Geschichte erzählen … — … allerdings nicht mehr mit dem sinfonischen Prinzip … / / … genau, sondern mit den Wagner’schen Prinzipien der unendlichen Melodie und der Leitmotivtechnik … — … die dann Thomas Mann wiederum zu einem exzellenten literarischen Mittel entwickelt hat. / / Definitiv! Musik wird aber zunächst zu einer der Literatur gleichberechtigten Kunst im 19. Jahrhundert, in der Praxis der Kunstausübung, aber auch im intellektuellen Diskurs über Kunst, und Wagner wird damit sogar zum Inbegriff deutscher Kultur für diese Zeit. In diesem Sinne wird Wagners Werk auch logisch-historisch zur kulturellen Voraussetzung des Werkes von Thomas Mann. Man könnte sagen, dass die Synthese von Musik und Literatur im Lichte der Musik durch Wagner die Voraussetzung war für die Synthese von Literatur und Musik im Lichte der Literatur durch Thomas Mann. So ist es ja vielleicht gar kein Zufall, dass das Wagner’sche Werk auch persönlich zur Initiation und Keimzelle des Mann’schen Künstlertums wurde. Die Wagner’sche Musik verschafft dem sich bildenden Genie den ersten Kunsteindruck, in diesem Werk offenbart sich ihm nicht nur die Musik als Kunst, sondern auch die Kunst als Musik, hier erfährt er die ersten und prägenden sinnlichen, aber auch intellektuellen Sensationen. Sie wird ihn Zeit seines Lebens persönlich und als Werkkonstituante begleiten, in Leiden und in immer grundierender Liebe. — Thomas Mann und Richard Wagner ist wiederum ein ganz eigenes Thema. Was mich hier aber besonders interessiert, sind einige Formen der Synthese von Literatur und Musik im Lichte der Literatur wie sie Thomas Mann vorgenommen hat, oder das, was ich vorhin als »Musikalisierung der Literatur« bezeichnet habe. Man könnte geradezu von der Musik als »handelnder Person« sprechen, denn viele Geschichten, die Thomas Mann erzählt, sind Geschichten von Musik, Geschichten, in denen Musik nicht nur kulturelles Beiwerk ist, sondern ein Element, ohne das es diese Geschichte so gar nicht gäbe, und wenn man sich das musikalische Element wegdenken würde, wären es plötzlich völlig andere Geschichten.
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Denken wir nur an Gerda Buddenbrook, die als großartige Violinistin und Verehrerin Wagners eingeführt wird, für die Musik gerade das nicht Bürgerliche, sondern das Andersartige ist, die Kunst als Ausschweifung und Verführung. Denken wir aber auch an die gleichnamige Hauptfigur aus der Novelle Der kleine Herr Friedemann, der Krüppel, der die Wucht seiner aussichtslosen Liebe zur schönen und kühlen Bürgerdame Frau von Rinnlingen durch den Lohengrin erfährt und an dieser Liebe stirbt, zugegeben, einen etwas ironischen und dennoch makabren Liebestod … / / … Tristan? — Ja, natürlich, vor allem als ironisches Gegenstück zu Tonio Kröger. Der Höhepunkt der eher symbolischen Liebesgeschichte zwischen dem etwas unappetitlichen Ästheten Spinell und der etwas naiven und unbedarften Bürgerdame Gabriele Klöterjahn ist deren Vorspielen von Wagners Tristan am Klavier. Herr Spinell überredet die lungenkranke Gabriele dazu, um der, was sie ja eigentlich gar nicht will, Gewöhnlichkeit ihres bürgerlichen Lebens zu entkommen und der Weihen der Kunst teilhaftig zu werden. Sie bezahlt ihr Spiel schließlich mit dem Leben. Man könnte hier von der Musik als Verführung zum Tod, als ästhetischem Mord sprechen. Auf ähnliche Art und Weise wird auch das Konzept im Zauberberg gestrickt, dass der Mensch »um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft […] über seine Gedanken einräumen«7 solle. Dieses Konzept war ohne Musik nicht zu gestalten, denn die Musik war auch das Reich des Todes, indem sie das Reich der Tiefe, des Irrationalen, des Mythos des nicht gewöhnlichen Lebens war, wodurch geradezu eine Euphorisierung des Todes durch Musik erreicht wird. Hans Castorp, zwischen dem Befürworter der romantischen Todessehnsucht – Naphta – und dem Befürworter des sinnenfrohen, tätigen Lebens stehend – Settembrini –, schlägt den Hinweis des letzteren, dass Musik »politisch verdächtig«8 sei, in den Wind und verbringt seine Nächte gerne mit Musik; nicht zuletzt gehört Franz Schuberts Am Brunnen vor dem Tore zu den »Vorzugs-Programmnummern seiner nächtlichen Konzerte«9. / / … Schubert … womit wir letztlich direkt zum Doktor Faustus geführt werden?
7 Thomas Mann, »Der Zauberberg«, herausgegeben von Michael Neumann, in: ders., Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Bd. 5.1, Frankfurt am Main 2002, S. 748. 8 Ebd., S. 175. 9 Ebd., S. 987 (vgl. S. 985, 990).
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— Das kann man sicherlich so sehen. Immerhin verbringt Adrian Leverkühn seine Kindheit auf Hof Buchel, das aus einem Fachwerkhaus im Viereck mit Scheune und Ställen besteht. In der Mitte befindet sich besagter Lindenbaum. Das erinnert natürlich sofort an das Schubert-Lied am Schluss des Zauberbergs. Der Doktor Faustus führt das deutsche Schicksal als das Schicksal der deutschen Musik vor, oder das Schicksal der deutschen Musik als das deutsche Schicksal. Dabei wird ein sehr raffinierter historischer Bogen vom Ausgang des Humanitätsdenkens des 18. Jahrhunderts zur Barbarei des Faschismus geschlagen, von der 9. Sinfonie, wenn man so will, direkt zu Dr. Fausti Weheklag, mit der die 9. Sinfonie ja zurückgenommen werden soll. Es geht dabei um nicht weniger als das tieftragische Schicksal der modernen Kunst, die sich dem Teufel, der Kälte und dem Liebesverbot verschreiben muss, um überhaupt noch Kunst zu ermöglichen. Es gibt zwar ein Licht der Hoffnung, den Durchbruch zu einer Kunst, die »mit der Menschheit auf Du und Du«10 steht, eine Hoffnung, die in diesem Roman freilich nur noch ausgesprochen, aber literarisch nicht mehr gestaltet werden kann. Auch komponiert ist sie nur noch als einsam verschwebender Celloton möglich. / / Das ist alles sehr einleuchtend, aber ist Thomas Mann nicht zu sehr Literat, Wortkünstler, um ständig und permanent die Musik als handelnde Person zu verwenden? — Wichtige seiner Werke, besonders der frühen, sind reine Literaten-Werke, dort, wo er die Künstlerproblematik behandelt, sind diese Künstler der Erkenntnis, also Literaten. Erst im Doktor Faustus wird der Künstlerroman auch zum Musikerroman. Natürlich geistert auch in den Novellen Tonio Kröger und Der Tod in Venedig auf geheimnisvolle und offensichtliche Weise die Musik herum, nicht als Gegenstand der Darstellung, sondern in einer Art Anspielungstechnik, die in diesen Künstlerschicksalen immer auch die Musik als Paradigma der Kunst präsent sein lässt. / / Sie meinen, dass hinter der Figur Gustav von Aschenbach der Musiker Gustav Mahler angenommen werden kann? — Ja, durchaus. Noch eher geht es mir aber um Musik als Konstruktionsprinzip des Erzähltextes. Nehmen wir beispielsweise Tonio Kröger. Es ist kein Geheim-
10 Thomas Mann, »Doktor Faustus«, a.a.O., S. 469.
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nis, dass dieser Text wie eine Sonate aufgebaut ist, zumindest kann sein Aufbau so verstanden werden:11 1. Exposition: Wie Tonio Kröger in seiner Liebe zu den Gewöhnlichen, den Blonden und Blauäugigen, zu Hans Hansen und Ingeborg Holm, seine Andersartigkeit, seine Unbürgerlichkeit, sein Künstlertum erfährt: »Damals lebte sein Herz; Sehnsucht war darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit.«12 Letztlich gehört dazu die Erkenntnis, dass man gestorben sein muss, um ganz Schaffender zu sein. 2. Durchführung: Gespräch bei der Malerin Lisaweta – zwischen Wonnen der Gewöhnlichkeit und dem Erkenntnisekel und der Kälte der Kunst. 3. Reprise: Reise nach Dänemark, Reise in die Vergangenheit, in die Jugend, Wiederbegegnung mit Hans Hansen und Ingeborg Holm. 4. Coda: Absage an ein menschenfeindliches Ästhetentum: »Ich werde Besseres machen, Lisaweta […]. Schelten Sie diese Liebe nicht, Lisaweta; sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit.«13 / / Ist das überzeugend? — Ein stückweit, aber man sollte so etwas natürlich nicht überbetonen. Diese Prothesen sind letztlich hilflose Versuche, Zugang zur Literatur zu bekommen und in diesem Fall zu den Erzähltexten Thomas Manns. Das nimmt dem Ganzen natürlich nicht die Spannung und den Unterhaltungswert. Es ist schlicht ein Spiel, von dem eigentlich jeder weiß, dass es nicht zu gewinnen ist. Literarische Texte, wie Derrida mit Blick auf Kafkas Vor dem Gesetz konstatiert, produzieren Anknüpfungspunkte, legen Spuren, die einem Zugang suggerieren, aber letztlich diesen Zugang selbst aufschieben, verzögern. Diese »Zugänge« werden natürlich dauernd von uns Literaturwissenschaftler*innen beackert, da der »Diskurs des Gesetzes«14 eben »nicht ›nein‹« sagt, sondern nur »›noch nicht‹«15. Natürlich ist ein
11 Vgl. kritisch zu dieser Parallelisierung: Hans Emons, Sprache als Musik, Berlin 2011, S. 155–159. 12 Thomas Mann, »Tonio Kröger«, in: ders., Die Erzählungen, Frankfurt am Main 2005, S. 265–331, hier: 275. 13 Ebd., S. 331. 14 Jacques Derrida, Préjugés. Vor dem Gesetz, aus dem Französischen übersetzt von Detlef Otto und Axel Witte, Wien 21999, S. 64. 15 Ebd.
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»noch nicht« eine Art Versprechen, eine Geste der Offenheit, der Öffnung, die aber ewig Geste bleibt, unter Umständen, wie bei Kafka, »bis zum Tod«16. Ähnlich ist es auch mit der Leitmotivtechnik, die Thomas Mann meisterhaft beherrscht. Joseph und seine Brüder, das zunächst zwar gar nichts mit Musik, allerdings schon sehr viel mit Wagner zu tun hat, ist als Tetralogie angelegt, die als Parallele und Gegenentwurf zum Ring der Nibelungen gelesen werden kann, wobei es auch hier um den Mythos, aber eben als Humanisierung des Mythos geht: 1. So stellt beispielsweise der 4. Teil des Joseph auch eine Dämmerung, aber keine Götterdämmerung dar. Dort geht es um die Dämmerung Hegels, in der sich die Eule der Minverva, der Vogel der Vernunft zu seinem Flug aufmacht, um die Möglichkeit einer sozialen Utopie auszuloten und nicht um den Untergang einer verdorbenen und verderblichen Welt, sondern um die Möglichkeit einer besseren, in der eine Versöhnung von Macht und Geist wirklich wird. 2. Schauen wir uns noch kurz das Vorspiel des Joseph an, das durchaus als eine Nachgestaltung des Rheingold-Vorspiels mit Worten gelten kann. Es heißt bei Thomas Mann: »Vorspiel: Höllenfahrt« und beginnt: »Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen? Dies nämlich dann sogar und vielleicht eben dann, wenn nur und allein das Menschenwesen es ist, dessen Vergangenheit in Rede und Frage steht: dies Rätselwesen, das unser eigenes, natürlich-lusthaftes und übernatürlich-elendes Dasein in sich schließt und dessen Geheimnis sehr begreiflicherweise das A und O all unseres Redens und Fragens bildet, allem Reden Bedrängtheit und Feuer, allem Fragen seine Inständigkeit verleiht.«17
Sowohl in Rhythmus als auch in Klang ist das eine wortmusikalische Wiederholung des Rheingold-Vorspiels, des Aufbaus des gesamten musikalischen Materials des Rings aus dem tiefen Es der Fagotte, eben Gipfelleistung der nun zu Ende gegangenen bürgerlichen Kulturepoche. / / Musik als handelnde Person, Musik als Konstruktionsprinzip von Erzähltexten und Leitmotivtechnik … Gerade in Ihren Ausführungen zu Joseph und seine Brüder scheint mir noch eine andere Ebene ins Spiel zu kommen. Der Überführung von Klang in die literarische Konfiguration scheint mir fast etwas Bildhaftes zuzukommen …
16 Ebd. 17 Thomas Mann, Joseph und seine Brüder: Die Geschichten Jaakobs, Frankfurt am Main 2003, S. 11.
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— Das ist ein interessanter Hinweis, zumindest wenn man »bildhaft« oder »bildlich« nicht im Sinne von Visuellem oder als rhetorische Figur, als Metapher oder so versteht. Natürlich hat ein »Bild« als Sichtbarkeit es mit der Dimension der Räumlichkeit zu tun, ein Bild als ein Bild von etwas ist beschränkt auf die Dimension der Gleichzeitigkeit, selbst wenn das Abgebildete eine zeitliche Folge ist, können im abbildenden Bild die Stationen einer zeitlichen Folge nur in der Gleichzeitigkeit sichtbar gemacht werden. Der Begriff »Klang« ist da deutlich unschärfer, mit ihm ist auch nicht die genuin musikalische Bedeutung des Terminus als klangliche Färbung eines Tones oder einer Tongruppe durch spezifische Obertonreihen gemeint, sondern eher als Synonym für das Musikalische im Allgemeinen. Dann hat es Klang als akustisches Phänomen mit der Dimension der Zeitlichkeit zu tun, denn das Musikalische bildet eine zeitliche Folge. Als genereller Unterschied zwischen Bild und musikalischem Klang wäre also ein grundsätzlicher Unterschied im Verhältnis zur Zeit auszumachen; während das Bild eine gewisse Gleichzeitigkeit etablieren kann, funktioniert Klang als zeitliche Sukzession, die ein Vorher, Jetzt und Nachher kennt. Übrigens besteht der gleiche grundsätzliche Unterschied zwischen Bild und Sprache – also Sprache als lautliche (klingende) Phänomene der Signifikation. Sprache kann gleichzeitige Dinge und Erscheinungen bestenfalls als gleichzeitige bezeichnen, aber nicht in ihrer Gleichzeitigkeit reproduzieren, sondern immer nur im sprachlichen Nacheinander. / / Sind also Sprache und Klang identisch? — Sprache und Klang als akustische Phänomene sind keineswegs identisch, und nicht nur deshalb, weil sie sich in ihrer Signifikationskraft grundsätzlich unterscheiden. Im Gegensatz zur Sprache kann der Klang (als Musikalisches) auch Gleichzeitigkeiten reproduzieren bzw. herstellen, am konsequentesten als sich zeitlich bewegendes polyphones Stimmengewebe. Ein gleichzeitiges sprachliches Stimmengewebe würde zur bloßen Klangerscheinung und verlöre seine sprachliche Signifikationsfunktion, wäre also bloßes »Sprachgeräusch«. Im Gegensatz dazu kann Musik gleichzeitige Phänomene – also Eindrücke, Ausdrücke, musikalische Figuren usw. – ohne Verlust ihrer spezifischen Darstellungsfähigkeit zusammen erklingen lassen. Da Sprache nur und nur auf das zeitliche Nacheinander verwiesen ist, wäre ihre konsequenteste Realisierung in der Narration zu sehen, die Narration nur dann ist, wenn sie ein Nacheinander als Folge sich aus einander ergebender Begebenheiten darstellt. Unter diesen, zugegebenermaßen sehr abstrakten Voraussetzungen könnte man den höchst unscharfen Problemrahmen »Klang in der Narration« zur Frage nach dem Verhältnis von Gleichzeitigkeit und zeitlichem Nacheinander in der
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Narration einengen, also zur Frage nach den Verfahren ihrer Darstellung und ihrer jeweiligen Funktion. / / Und das Bild? — Hier käme nun der Bildbegriff ins Spiel, nicht als Bezeichnung für ein sichtbares Bild, auch nicht als stilistischer Terminus für Metaphern, sondern eher im Sinne Blanchots, als Terminus für die Bezeichnung der Ambiguität der Zeit – also als Aufhebung der Unterschiede zwischen vorher, jetzt und nachher –, der Ambiguität des Ortes – als Aufhebung der räumlichen Unterscheidungen von dort, hier und nirgendwo – und der Ambiguität der Personalität – als Aufhebung der Unterscheidung von ich, du und niemand – in der literarischen Darstellung. Dieser Bildbegriff scheint mir einen wirklich produktiven Zugang für eine narrative Problemstellung zu versprechen. Andere Bildbegriffe, also sichtbare Bilder oder Metaphern beispielsweise würden ja nur zur trostlosen philologischen Stoffhuberei führen. / / Was genau leistet jetzt der Blanchot’sche Bildbegriff? — Der Blanchot’sche Bildbegriff unterscheidet sich von den traditionellen Begriffen dadurch, dass er konsequent die Beziehung zur Zeit und ihrer Gliederungen in den Mittelpunkt rückt, nämlich als Ambiguität von Gleichzeitigkeit und Nacheinander, womit sich eine deutliche Parallele zum oben entfalteten impressionistischen Klangbegriff herstellen würde, allerdings mit dem bedeutsamen Unterschied, dass der (musikalische) Klang in der Gleichzeitigkeit von Gleichzeitigkeit und Nacheinander sowohl dieses als auch jenes stets deutlich unterscheidet, indessen die literarische Bildlichkeit nach Blanchot die Ambiguität (die Nicht-Entscheidbarkeit) zwischen beiden her- und darstellt. / / Das ist wirklich abstrakt. Vielleicht können Sie das etwas plastischer machen? An Joseph und seine Brüder vielleicht, um Ihr letztes Beispiel aufzugreifen. — Blanchot selbst hat zwar mal eine kleine Literaturkritik zu Joseph und seine Brüder geschrieben, aber natürlich nicht mit dieser Fragestellung. Ich improvisiere also. Statt nach Bild und Klang in der Narration könnte man nun ein Problem als Frage nach den Echos des Blanchot’schen Bildbegriffes und dem literarischen Umgang mit Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit in Manns Joseph formulieren. Gehen wir zunächst von der These Blanchots aus, dass der Joseph-Roman
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wesentlich ein »Roman der Zeit«18 sei. Die schon in der Höllenfahrt vorgenommene Bestimmung (durch den Autor-Forscher) der Zeitbeziehungen des Mythos, also der Mythos als dauernde Gegenwart, ohne Ursprung und Ende, ohne Unterscheidung von vorher, jetzt und nachher, weisen auch auf den diskursiven und reflektierenden Ebenen des Romans eine deutliche Beziehung zur Blanchot’schen Bildlichkeit auf. Die ebenfalls schon in der Höllenfahrt aufgestellte These, dass das »Fest« das »Feierkleid«19 des Mythos sei, in dem er in seiner dauernden Präsenz unmittelbar gegenwärtig sei. Und die Anschlussthese vom »Fest der Erzählung«20, wonach die im Joseph vorgenommene Erzählung nicht einfach nur reproduktive Nacherzählung des Mythos von Joseph und seinen Brüdern (und ihren Vorfahren) sei, sondern eben das Fest der Erzählung des Mythos, in dem dessen dauernde Gegenwärtigkeit unmittelbar präsent werde – womit die Narration ihre konstitutiven Bedingungen als Narration annulliert. Beide Thesen werden im Roman nicht nur diskursiv erörtert, sondern auch narrativ dargestellt. Man könnte besonders die Aufhebung der konstitutiven zeitlichen Bedingungen der Narration zu ihrer Ambiguität (im »Fest der Erzählung«) an der komplexen Erzählstruktur des 1. Bandes deutlich machen, aber dazu müssten wir etwas genauer in den Text schauen. Einen ähnlichen Zusammenhang könnte man übrigens zwischen der Ambiguität der Personalität im Blanchot’schen Bildbegriff und den »mythischen Existenzen« im Joseph herstellen, den dargestellten Personen, die nicht recht wissen, wer sie sind, deren Identität als Personen sich nicht als mit sich selbst identische Individuen durch ein ihnen innewohnendes Selbstbewusstsein herstellt, zeitlich und lokal genau verortbar, sondern durch die mythisch verschwimmende Durchsicht, also Jaakob, Issak, Eliezer und natürlich Joseph, der sich als in die Unterwelt hinab fahrender Tammuz identifiziert, auf ihre göttlich-menschlichen Vorfahren, von denen sie nicht genau wissen, ob sie nicht auch ihre Zukunft sind, worauf übrigens auch Blanchot in einer Bemerkungen über die »von den Abgründen her wehenden« Wirbelstürme aufmerksam gemacht hat, die einzelne biblische Figuren, aber auch Konstellationen und Ereignisse erfassen und diese als sich wiederholende Schicksale in der Geschichte geltend machen. Da ist etwa das Schicksal Kains, das in Ismael, der seinen Vater töten will, wiederkehrt, dann in Esau, der seinen Bruder Jaakob, der ihn um den Segen betrogen hat, töten will, dann die zehn Söhne Jaakobs – ohne Benjamin –, die ihren Bruder Joseph töten wollen usw. 18 Vgl. Maurice Blanchot, »Joseph und seine Brüder von Thomas Mann«, in: ders., Thomas Mann. Begegnungen mit dem Dämon, herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Marco Gutjahr, Wien/Berlin 2017, S. 9–14, hier: 10. 19 Mann, Joseph und seine Brüder: Die Geschichten Jaakobs, a.a.O., S. 55. 20 Ebd.
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/ / Das »usw.« ist mir etwas zu schnell, auch wenn wir uns nicht mehr allzu lange mit diesem Thema beschäftigen können. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist es Thomas Mann, der, indem er einen mythologischen Stoff bearbeitet, also weit in der Zeit zurück geht, die Zeit neu denkt, sie irgendwie, ja, was eigentlich, auflöst oder abschafft? — Weder noch … und das »indem« stört mich auch. Nur weil ich einen vergangenheitsgeschichtlichen, einen mythologischen Stoff bearbeite, denke ich die Zeit nicht neu, und nein, die Zeit wird weder aufgelöst noch abgeschafft. Literatur betreibt, ich hatte bereits versucht, darauf hinzuweisen, eine bestimmte Ambiguitätspolitik. Es fällt uns relativ leicht, diese Ambiguitäten für die bildende Kunst oder für die Musik anzuerkennen, da sie keine Sprachkunstwerke sind, ihr Material, wenn man so will, nicht so automatisiert Kommunikation ermöglicht. Wir benutzen Sprache, permanent, sind also darauf angewiesen, dass sie funktioniert, dass sie bestimmte Funktionen realisiert. Literarische Konfigurationen stören diese Funktionen und dieses »stören« kann nun auf verschiedene Art und Weise gedacht werden: Russisch-formalistisch gedacht, »verfremdet« die literarische Konfiguration die Sprache und ermöglicht durch diese erschwerte Wahrnehmung ein neues Sehen. Blanchot denkt nun nicht so formal, geht aber schon davon aus, dass literarisches Sprechen etwas völlig anderes als unsere Alltagskommunikation ist, wenngleich sie notgedrungen aus dieser besteht. Literarisches Schreiben verändert aber genau diese kommunikative Ausrichtung von Sprache, indem es an einigen wichtigen Stellschrauben dreht, wobei sich Blanchot vor allem für drei interessiert: Nennen wir die erste ich spreche, die zweite ich spreche zu und die dritte ich spreche von. Literatur verändert also das Verhältnis von Sprache und sprechendem Subjekt, indem die Sprechposition, über die sich ein Subjekt konstituiert, ausgehölt wird, wodurch auch die Gewissheit meines Sprechens über das Verstehen durch den Anderen sowie die Möglichkeit mich in meinem Sprechen auf Dinge und Gegebenheiten dieser Welt zu beziehen, abhanden kommt. Literatur in diesem Sinne ist eine Sprache, die niemand spricht (ich spreche), die sich an niemanden richtet (ich spreche zu) und die nichts mehr bezeichnet (ich spreche von), ein leeres, ein neutralisiertes Sprechen also oder in der Terminologie Blanchots: ein Bild. Literatur ist Bildproduktion. Das natürlich nicht im Sinne der Ausbildung sprachlicher Bilder, sondern der Sprache als Bild. Die Frage ist nun, wie sich diese Bildwerdung der Sprache in literarischen Texten bemerkbar macht. Blanchot kennt eine Reihe von Verfahren, die er auf sehr anschauliche und beeindruckende Art und Weise demonstriert. Eines dieser Verfahren oder vielleicht sollte man eher von Indikatoren sprechen, ist die Figur der »Zeit der Zeitabwesenheit« …
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/ / …leider ist bei uns die Zeit nicht abwesend, ich wäre also dankbar für eine etwas verkürzte Darstellung! — Ich bin ein großer Freund pointierter Formulierungen, aber manche Dinge sind nicht für die Hosentasche gemacht. Ich gebe mir aber Mühe … die »Zeit der Zeitabwesenheit also«. Literarisches Schreiben bedeutet für Blanchot, in die Affirmation der Einsamkeit des Werkes einzutreten und sich dem Wagnis der Zeitabwesenheit auszuliefern, wo der ewige Wiederbeginn herrscht, bedeutet weiter, vom Ich zum Er überzugehen, sodass das, was mir widerfährt, niemandem widerfährt. Es finden all die Neutralisierungen statt, von denen ich bereits sprach und die im Grunde aus der Sprache ein Bild machen. Es ist wichtig, dass mit »Bild« nicht in erster Linie eine visuelle Reproduktion gemeint ist, sondern die Verwendungsweise der Sprache, in der die Sprache nichts mehr sagt – weil sie nur in ihrem bloßen Sein erscheint oder weil alles gesagt ist –, sondern nur noch etwas zeigt. Dieses Bild, das die Verdichtung, das Kondensat eines unbeendbaren, unaufhörlichen Schreibens in der Zeit der Zeitabwesenheit auf der Ebene des Werkes ist, überführt die klassischen Koordinationen der Zeit, des Raumes und der Personalität nicht einfach in die absolute Absenz, in das Nichts, in die absolute Leere der grundlegenden Passivität, sondern diese Absenz oder Leere wird vergegenwärtigt, in die Präsenz gebracht als Präsenz der Absenz, durch »irgendwann«, »irgendwo« und »man«. Diese »Zeit« ist also kein rein negativer Modus, sie »löscht« Zeit nicht, wie Sie sich vorhin ausgedrückt haben, es ist eine Zeit ohne Negation und damit eine Zeit ohne Gegenwart, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft … / / … womit wir wieder beim Joseph und den »Wirbelstürmen« wären? — Ganz genau … / / …vielleicht können Sie an diesem Beispiel noch einmal abschließend den von Ihnen aufgemachten Zusammenhang von Narration, Bild und Klang verdeutlichen? — Die Schicksale der Figuren der frühen biblischen Mythen sind, so Blanchot, und zwar besonders in Die Geschichten Jaakobs, der bloßen Wiederholung von Ereignissen unterworfen, sie gestalten sich nur durch Auswahl aus einer geringen Anzahl an historischen Formeln. Diese Grundsituierung bezeichnet Blanchot als das Wirken von Wirbelstürmen … die seit dem Ursprung von den Abgründen her wehen und von Generation zu Generation sich in ihren katastrophalen Folgen wiederholen. Die Figuren des Romans leben nicht in ihren eigenen Geschichten
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oder Schicksalen, sondern in solchen, die ihnen die Tradition übermittelt hat, sodass ihre Gegenwart zugleich die Vergangenheit ist. Die »Kraft« nun, die die mythische Existenz Jaakobs erzeugt, charakterisiert Blanchot als von den Abgründen her wehende Wirbelstürme, als elementare Stimme und Bilder der Finsternis, als dunkle Macht. Es handelt sich also um etwas sehr Elementares, etwas Fundierendes, dem nichts mehr vorausgeht, also eine Art »letztes Prinzip«, das zugleich dunkel ist, als Opposition zum Licht eines ordnungs- und sinnstiftenden Prinzips, und dem keine Zeitlichkeit inhärent ist. Diese dunkle Macht, diese Finsternis, diese Abgründe wirken nicht unvermittelt auf die Menschen, sondern nur vermittelt, als Wirbelstürme von den Abgründen, als Echo der Stimme des Elementaren, als Bilder der Finsternis, d. h. die Menschen wissen nicht wirklich von dieser dunklen Macht; bestenfalls ahnen oder spüren sie ihre Bedrohung und machen sich, um diese Bedrohung einzuschränken, starke Bilder von ihr, denen sie folgen. Diese Bilder sind keine abbildenden Reproduktionen dieser dunklen Macht, sondern Entwürfe, die eine sinnvolle menschliche Existenz ermöglichen sollen. Ein solches Bild wird Jaakob, wenn er in seiner mythischen Wirklichkeit zum Symbol wird. Mit guten Gründen sagt Blanchot nicht, wovon er zum Symbol wird, denn er wird nicht zum Symbol der dunklen Macht, sondern zu einem Bild, das unter dem nur geahnten Wirken der dunklen Macht zustande kommt, aber kein abbildendes Bild dieser ist – dieses Symbol ist das Organ aller elementaren Kräfte, der fundierenden Finsternis und Leere, die … / / … ein düsteres Schicksal oder? — Nein, eigentlich nicht, denn jetzt kommt Blanchots bester Trick, nämlich Abrahams »Gotteserfindung« als Akt der Verzweiflung gegenüber der bedrohlichen Finsternis aufzufassen. Die Abschaffung der Zeit wird somit zum Indikator für die Spürbarkeit der ursprünglichen und andauernden Finsternis. / / … Kann man also sagen, dass der Mythos das eigentlich Unerzählbare erzählt und ihm eine Vergangenheit und eine Zukunft gibt, indem er die Zeitlosigkeit in eine sich gegenwärtig vollziehende folgerichtige Abfolge von Ereignissen, eine Story, verwandelt und ihnen eine Historizität gibt? — Im Joseph werden die Mythen nicht nur in realistischer Form nacherzählt, sondern im Erzählen wird sichtbar gemacht, wie das Mythische als Beschreibung des Unbeschreibbaren funktioniert. Er ist nicht einfach nur eine spontane Realisation der literarischen Imaginationskraft, sondern wird im gewissen Sinne selbstreferenziell, indem er das Schicksal der Erzeugnisse der Vorstellungskraft aufzeigt, die Möglichkeit ihrer Wirklichkeit. Darin besteht das Fest der Erzählung, Erzäh-
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lung dessen, was eigentlich keine Storyhaftigkeit und keine Historizität hat – und was den Joseph zum Roman des Romans macht, wozu er zugleich ein Roman der Zeit sein muss. / / Wir haben leider keine Zeit mehr, um hier und jetzt darüber nachzudenken, aber es drängt sich die Frage auf, warum eigentlich dieser ›Dreiklang‹ aus Bild, Klang und Sprache/Narration ausgerechnet an etwas Biblischem enggeführt wurde … — … ja, darüber sollten wir tatsächlich nachdenken, zumal wir noch nicht einmal auf das Blöken Issaks eingegangen sind.
Noten zum Klang-Bild Benjamin Sprick
Ein Cellist wird zu Beginn von Johann Sebastian Bachs Prélude aus der Suite für Violoncello d-moll BWV 1008 aller Wahrscheinlichkeit nach die dritte Note a etwas dehnen. Er folgt dabei einer im Notentext durch eine bestimmte Montagetechnik (›Überbindung‹) suggerierten Gewichtung der zweiten Zählzeit, die mit einer zusätzlichen Erleichterung der ohnehin schon unbetonten ›drei‹ korrespondiert.1 Der Bogen spannt sich in die Saite, der Klang wird intensiviert, um eine musikalische Öffnung hervorzurufen, die das gesamte cellistische Produktionsensemble2 affiziert. Durch die Dehnung des a entsteht die Notwendigkeit, die auf die Überbindung folgenden Sechzehntel f, e und d leicht zu beschleunigen, um den zweiten Takt ›fristgerecht‹ mit einem cis beginnen zu können. Das Wechselspiel von Verlangsamung und Beschleunigung bringt auf Anhieb eine pulsierende musikalische Agogik hervor, die sich im weiteren Verlauf des Prélude in vielfältiger Weise ausdifferenzieren wird.3 1 Der Begriff der Zählzeit lässt Aspekte der Zeit als ›Zahl‹ und als ›Maß‹ der musikalischen Bewegung zusammenfallen. Zählzeiten unterteilen einen Takt nicht nur in (zumindest theoretisch) gleich lange zeitliche Abstände, sondern organisieren auch die metrischen Betonungen in Bezug auf ein Gefüge von Taktschwerpunkten. Im Falle des 3/4-Takts geschieht das in einer barocken Stilistik in Form einer charakteristischen ›Takthierarchie‹, bei der die erste Zählzeit regelhaft am stärksten, die zweite am zweitstärksten und die dritte am schwächsten betont wird. 2 Mit diesem Begriff ist die performativ ineinandergreifende Agentur von musizierendem Cellist und cellistischem Instrumentarium gemeint. Eine Zusammenstellung, die – in Bewegung versetzt – hörbaren Klang produziert. 3 Der Terminus ›Agogik‹ wurde 1884 von Hugo Riemann in die Musiklehre eingeführt, um die Theorie von der »Veränderung der Geschwindigkeit der Tonfolge[n]« zu begründen (Hugo Riemann, Musikalische Dynamik und Agogik, St. Petersburg 1884, S. 10). Die Agogik betrifft vor allem Nuancierungen des Tempos innerhalb musika-
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Abb. 01: Prélude BWV 1008, T. 1
»Angenommen man zöge ein elastisches Band von A nach B – könnte man dessen Dehnung aufteilen?«4 Die rhetorische Frage Henri Bergsons macht deutlich, dass eine Bewegung der Dehnung mit dem Raum, den sie durchläuft keine Verbindung eingeht. Sie entgeht jeglicher Metrik. Während der durchlaufene Raum teilbar ist, lässt sich eine Dehnung nicht teilen, ohne sich dabei in ihrer Beschaffenheit zu verändern. Sie erscheint als ›fragmentarische Ganzheit‹, die ihre Spannung aus intensiven Zwischenräumen generiert. Wie Gilles Deleuze in seiner Kino-Studie Das Bewegungs-Bild deutlich macht, mag man einerseits »noch so sehr zwei Punkte in Raum oder Zeit bis gegen unendlich annähern: die Bewegung wird sich immer in dem Intervall zwischen ihnen ergeben, also hinter unserem Rücken«5. Andererseits kann man die Zeit so lange teilen wie man will, »die Bewegung wird stets in einer konkreten Dauer stattfinden, jede Bewegung wird also ihre eigene qualitative Dauer haben«6. Auch die zu Beginn von Bachs Prélude hervorgebrachlischer Phrasen, durch die der Vortrag ausdrucksvoll gestaltet werden soll. Die als ›agogisch‹ bezeichneten Änderungen des Tempos liegen dabei außerhalb der eindeutig metrisierbaren Tempowerte, wie sie beispielsweise durch ein Metronom klanglich repräsentiert werden können. 4 Henri Bergson, Schöpferische Evolution, aus dem Französischen übersetzt von Margarethe Drewsen, Hamburg 2013, S. 349. 5 Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild. Kino 1, aus dem Französischen übersetzt von Ulrich Christians und Ulrike Bokelmann, Frankfurt am Main 1989, S. 13. 6 Ebd. Bereits die zur Produktion der Tondehnung notwendige Bewegung des Cellobogens macht das deutlich. Sie zeigt sich als kontinuierlicher motorischer Prozess, der sich nicht auf eine Addition von ihm durchlaufener Punkte reduzieren lässt. Die Bogenbewegung lässt sich nur als ganze erfassen, obwohl sie aus verschiedenen, dynamisch ineinander übergehenden ›Phasen‹ zusammengesetzt ist. Dementsprechend unzerlegbar
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te Bewegung der Tondehnung hat ihre eigene und qualitative »Dauer«7. Sie zeigt sich als vielschichtige Überlagerung differierender motorisch-akustischer Ebenen, die sich temporär zu einer affektiv aufgeladenen musikalischen ›Geste‹ zusammengeschlossen haben. Alles bisher Gesagte widerspricht dem Bild, das der Cellist vor sich auf dem Notenständer erblickt. Von qualitativen Dauern, affektiven Dehnungen oder gar von ›intensiven Zwischenräumen‹ ist hier zunächst nichts zu sehen. Die sichtbaren Notenköpfe, Taktstriche und Phrasierungsbögen erscheinen vielmehr als grafisch angeordnete und auf eine abstrakte Zeitordnung bezogene Addition unbeweglicher »Momentschnitte«8, die eine Bewegung – wenn überhaupt – nur in indirekter Weise zum Ausdruck bringt. Eine Note ist ein Punkt, der in das Raster eines aus vertikalen und horizontalen Linien angeordneten Zeit-Diagramms eingezeichnet wurde. Die musikalische Bewegung muss ihrem Bild auf Umwegen entnommen werden. Sie scheint in eigentümlicher Weise in den musikalischen Zeichen ›gespeichert‹ zu sein, ohne dass diese einen direkten Hinweis auf die Möglichkeit einer Entbergung des Gespeicherten geben würden. Dennoch gelingt es dem Cellisten, auf der Grundlage der Bach’schen Notation eine affektiv aufgeladene Bewegung der Tondehnung zu produzieren. Fügt er dem Notierten dabei eigenmächtig etwas hinzu? Oder ›extrahiert‹ er es aus diesem, um dadurch in ihm selbst eine Dimension des Unnotierbaren wirksam werden zu lassen? In welche Beziehungen treten ›Klang‹, (Noten-)›Bild‹ und ›Bewegung‹ im Fall des gedehnten a zu Beginn von Bachs Prélude ein und wie ließe sich ihr Verhältnis denken? ist auch der durch die Bogenbewegung hervorgerufene Klang, der in der Wahrnehmung als unteilbare, wenn auch aus unterschiedlichen Komponenten (Timbre, klangliche Intensität, Tonhöhe, akustische Spannungskurve etc.) zusammengesetzte musikalische Qualität erscheint. 7 Der Begriff der ›Dauer‹ wird hier und im Folgenden als deutsche Übersetzung des französischen Begriffs der durée verwendet, so wie er von Bergson in die philosophische Terminologie eingeführt und von Deleuze differenzphilosophisch weitergedacht wurde. Er dient als Bezeichnung für eine persistierende zeitliche Heterogenität, die sich weder messen noch räumlich verorten lässt. Entgegen den dem deutschen Begriff eingschriebenen Implikationen des Bleibenden und Unwandelbaren kann die durée Bergson zufolge nicht dauern, ohne sich dadurch gleichzeitig zu verändern. Gemeint wäre ein »Nacheinander qualitativer Veränderungen, [die] miteinander verschmelzen und sich durchdringen, ohne die geringste Tendenz, einander äußerlich zu werden, und ohne die geringste Verwandtschaft mit der Zahl: Es wäre die reine Heterogenität« (Henri Bergson, Philosophie der Dauer, Textauswahl von Gilles Deleuze, aus dem Französischen übersetzt von Margarethe Drewsen, Hamburg 2013, S. 23). 8 Deleuze, Bewegungs-Bild, a.a.O., S. 14.
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Abb. 02: Klangliche Aktualisierung
1. ABBILD AUF UMWEGEN Ein Notentext bildet den Klang lediglich auf Umwegen ab. Er enthält für den Cellisten vor allem Informationen darüber bereit, was in einer Komposition potenziell an Klang ›vorhanden‹ ist bzw. was durch eine Aufführung zu Gehör gebracht werden könnte. Die Vorhandenheit des Klangs im Notentext ist allerdings in einer eigentümlichen Weise virtuell. Nicht verzeichnete oder auch gar nicht im Rahmen seiner Systematik verzeichenbare Parameter wie Klangfarbe, klangliche Intensität, Agogik etc. gehören ebenfalls zum klanglichen Potenzial des Notentextes, wie die Parameter, auf die explizit verwiesen wird (Tonhöhe und Tondauer).9 Die 9 »Durch die Entwicklung des europäischen Notationssystems wurde«, so Albrecht Wellmer, »das Schwergewicht der musikalischen Komposition auf die notationell präzise beherrschbaren, gleichsam meßbaren Parameter Tonhöhe und Tondauer gelegt – mit der hierin bereits angelegten Entwicklung des tonalen Systems und der entsprechenden Fokussierung auf die harmonischen und kontrapunktischen Aspekte der Komposition« (Albrecht Wellmer, Versuch über Musik und Sprache, München 2009, S. 74). Ob der von Wellmer verwendete und in der Musiktheorie gängige Terminus des ›Parameters‹ (griechisch παράμετρος, aus pará ›gegen‹, ›neben‹, ›bei‹ und metron ›Maß‹, im Sinne von ›an etwas messen‹, ›vergleichen) hier die richtige Wortwahl darstellt, darf durchaus bezweifelt werden. Er bezeichnet in der Musik die ›Eigenschaften‹ eines Tones bzw. kompositorische Kenngrößen, deren Differenzierung auf einer Analyse getrennter
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schriftliche Notation des Prélude ist somit implizit und explizit zugleich. Sie trägt Züge einer opaken Informationsfläche, die nach einer bestimmten Form ›sonifizierender‹ Lektüre verlangt. Der Cellist ›liest‹ den Notentext, indem er dem ihm zur Verfügung stehenden Instrumentarium konkrete musikalische Bewegungen zufügt. Das lässt einen konventionellen Textbegriff brüchig werden. Im Sinne der Bedeutung des lateinischen Wortes textum muss ein Notentext immer auch als ›Gewebe‹ virtueller Beziehungen von Bild und Schrift, Zeit und Bewegung verstanden werden, die dazu herauszufordern, in einer singulären Weise klanglich aktualisiert zu werden. Um das virtuelle Potenzial eines Notentextes klanglich zu aktualisieren ist es zunächst notwendig, die ihm eingeschriebenen Möglichkeiten technisch zu realisieren.10 Allerdings geht eine derartige Realisierung nicht in einer vermeintlich ›werktreuen‹ Übersetzung des Notierten auf.11 Sie fordert vielmehr zu einer experimentellen Praxis motorischer ›Translation‹ heraus, die die für sich selbst unbewegten Klang-Zeichen in Bewegung versetzt. Die Aktualisierung des klanglichen Potenzials des Notentextes führt in gewisser Weise durch die technische Realisierung ihm eingeschriebener Möglichkeiten hindurch. Nur wenn diese im Sinne Qualitäten beruht. Wie dieser Beitrag zu zeigen versucht, geht es bei der klanglichen Aktualisierung eines Notentextes aber vor allem um die Produktion von Mischungen klanglicher Qualitäten, die sich erst nachträglich in ihre einzelnen Bestandteile untergliedern bzw. ›parametrisieren‹ lassen. Die erwähnte Dehnung des a’s zeichnet sich gerade dadurch aus, dass in ihr metrische, dynamische und timbrematische Parameter, die genaugenommen für sich selbst bereits aus Mischungen anderer Parameter zusammengesetzt sind, zu einer singulären Klangmischung verbunden werden, die sich in grafischer Hinsicht nur bedingt aufzeichnen lässt. 10 Deleuze bestimmt den Unterschied zwischen einer ›Aktualisierung des Virtuellen‹ und einer ›Realisierung des Möglichen‹ in seinem Buch Die Falte. Leibniz und der Barock wie folgt: »Das Paar virtuell-aktuell […] erschöpft das Problem nicht, es gibt ein zweites unterschiedenes Paar möglich-real. […] Es gibt also Aktuelles, das möglich bleibt, und das nicht zwangsläufig real wird. Das Aktuelle konstituiert nicht das Reale, es muss selbst realisiert werden, und das Problem der Realisierung der Welt kommt zu dem ihrer Aktualisierung hinzu. […] Die Welt ist eine Virtualität, die sich in den Monaden oder Seelen aktualisiert, aber auch eine Möglichkeit, die sich in der Materie oder den Körpern realisieren muß.« (Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock, aus dem Französischen von Ulrich Johannes Schneider, Frankfurt am Main 1995, S. 87, Übersetzung modifiziert.) Durch die technische Realisierung der dem Notentext eingeschriebenen motorischen Möglichkeiten aktualisiert sich zugleich ein virtuelles musikalisches Potenzial, das deren Implikationen einschließt und übersteigt. 11 Vgl. dazu Wellmer, Versuch über Musik und Sprache, a.a.O., S. 81.
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ihrer grafischen Inschrift adäquat ›verwirklicht‹ werden, gelingt es, das klangliche Potenzial der Komposition zu aktualisieren. Im Falle des hier genannten Beispiels wird das Spannungsfeld dieser beiden Ebenen nachvollziehbar. Auf der einen Seite beruht die ausdrucksvolle Dehnung des a auf einer technischen Realisierung des Notentextes. Andereseits geht sie im Notierten nicht auf, ebensowenig wie sie notierbar wäre. Dem Notentext wird hier offenbar etwas hinzugefügt, ohne dass es sich dabei um eine wie auch immer geartete Form der ›Addition‹ handeln würde. Eine dem Notentext eingeschriebene Bewegung wird vielmehr forciert, ohne dass sich diese Forcierung von der ihr zugrundeliegenden klanglichen Realisierung abtrennen ließe. Wie ist dieses Paradox zu erklären?12
2. DAS NOTEN-BILD Die Opazität eines Notentextes lässt sich unter anderem daran festmachen, dass in ihm zeichen- und bildhafte Elemente unablässig ineinander überzugehen scheinen. Zwar verweisen die notierten Zeichen auf einen decodierbaren musikalischen Sinn, der beispielsweise musiktheoretisch analysiert oder semiotisch reflektiert werden kann.13 Neben diesem zeichenhaften, teilweise ›musiksprachlich‹ verfassten Sinn drückt der Notentext als verräumlichte grafische Darstellung aber auch einen bildhaften Sinn aus, etwa wenn – wie im angeführten Beispiel – zwei 12 Die Interpretationsgeschichte des Prélude BWV 1008 erscheint als weitverzweigte Auseinandersetzung mit diesem Problem. Während manche Interpreten den Ton nur leicht, fast unmerklich dehnen (Steven Isserlis, Bach. The Cello Suites, hyperion 2007) oder ihn überhaupt nicht metrisch akzentuieren (Mstislav Rostropovitch, J.S. Bach. Cello-Suiten, Warner Classics 1995), messen andere ihm ein derartiges Gewicht bei, dass der erste Takt beinahe zum Vierviertel-Takt mutiert (Pieter Wispelwey, Bach: 6 Suites for Cello solo, Channel Classics 2012). Tendenziell halten sich konservative Interpretationen eher an die metrischen Vorgaben als solche, die sich als durch die stilistischen Neuerungen der ›historischen Aufführungspraxis‹ beeinflusst zeigen. In fast allen Fällen ist dem a jedoch ein gewisses metrisches Zaudern eingeschrieben, das es als offengelassenen Ansatz erscheinen lässt. 13 Vgl. dazu Simone Mahrenholz, Musik und Erkenntnis. Eine Studie im Ausgang von Nelson Goodmans Symboltheorie, Stuttgart 1998, S. 40ff. Das erwähnte a lässt sich terminologisch beispielsweise als Quinte des Grundtontes d fassen, von der über die Terz f das ›Subsemitonium modi‹ cis angesteuert wird, um durch eine in einer barocken Stilstik nicht unkonventionelle musikalische Wendung eine dreischrittige »Sequenzbildung« einzuleiten. Vgl. Ernst Kurth, Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Bach’s melodische Polyphonie, Bern 1948, S. 233.
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Notenköpfe durch eine ›Ligatur‹ miteinander verbunden werden.14 Zwei deutlich markierte musikalische ›Zeitpunkte‹ werden durch eine bogenförmige Linie verkettet, ohne diese dadurch ineinanderfließen zu lassen. Für sich selbst genommen ist der Bindebogen asignifikant. Er gewinnt seine musikalische Aussagekraft erst dadurch, dass er mit anderen Elementen der Notenschrift verbunden wird. Drei grafische ›Bauelemente‹ werden zu einem komplexen Noten-Bild zusammenmontiert, das einen herausgehobenen musikalischen Augenblick zeiträumlich repräsentieren kann.
Abb.: 03: Bach’sche Ligatur
Die bildhafte Dimension des Notentextes lässt sich motorisch nachahmen. Der Blick des Cellisten verfolgt die auf dem Notenblatt verzeichnete Wölbung des Bindebogens und setzt ihren Richtungssinn mit einer dynamischen Bewegung des Cellobogens fort. Diese wiederum produziert einen sich zu seiner Mitte hin in14 Auf diesen Umstand kommt auch Theodor W. Adorno in seinen Skizzen Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion zu sprechen: »Was Zeichen was Bild ist wechselt. Beleg: Notenkopf und Ligatur. Es werden immer mehr Bilder zu Zeichen und diese treten zu immer neuen Bildern zusammen« (Theodor W. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion, Frankfurt am Main 2001, S. 85).
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tensivierenden Klang, der zum Ende kontinuierlich abnimmt. Ein bogenförmiges Klang-Bild entsteht, das die optische Dimension der musikalischen Notenschrift akustisch ›abbildet‹. Ein für sich genommen asignifikantes Montageelement der Notenschrift wird zum Anlass genommen, eine klangliche Öffnung zu produzieren, die einem grafisch vermittelten Richtungssinn in affektiver Weise zu folgen versucht.
3. KLANG-ZEICHEN Dem Notentext ist noch in einer anderen Weise motorischer Sinn eingeschrieben. Er enthält Hinweise, wie sich klangproduzierende Bewegungen zu einem vorgegebenen Maß verhalten sollen. Vor allem ›Tonhöhe‹ und ›Tondauer‹ fungieren in diesem Zusammenhang als normative Vorgabe, der in einer adäquaten Weise Folge zu leisten ist. Die konkrete Bewegung der musikalischen Klangproduktion bleibt zwar dem Cellisten überlassen. Sie findet in der Notation allerdings eine kritische Folie, mit der das durch sie hervorgerufene Ergebnis abgeglichen und ästhetisch bewertet werden kann. Ein Notentext legt somit von vornherein bestimmte Bewegungsspielräume fest, in die sich der Versuch seiner klanglichen Aktualisierung einpassen muss. Es steht beispielsweise nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, um den zu Beginn des Prélude verzeichneten Ton a anzustreichen. Auch müssen die suchenden Bewegungen der Griffhand ihr Ziel möglichst punktgenau treffen, um eine vorab festgelegte harmonische Abfolge nicht irritierenden Unreinheiten auszusetzen. Es ist eine gewisse motorische Ökonomie vonnöten, um den normativen Forderungen der grafischen Notation in einer angemessenen Weise nachzukommen. Musikalisch-technische Produktionsbewegungen müssen motorisch kontrolliert und in einem vorab gesetzten Rahmen zeitlich koordiniert werden. Dennoch verleitet der Notentext gleich zu Beginn des Prélude dazu, von der durch ihn selbst suggerierten Handlungsanweisung abzuweichen und den Ton a gegenüber einer metrisierten Zeitordnung zu dehnen. Der Notentext scheint den Cellisten regelrecht dazu herauszufordern, den durch ihn selbst suggerierten normativen Implikationen gegenüber untreu zu werden und das vorgeschriebene Maß mehr oder weniger deutlich zu überschreiten. In der musikalischen Praxis ist dieser ›Double-Bind‹ nichts Ungewöhnliches. In systematischer Hinsicht jedoch lässt er sich nur schwer erfassen. Durch eine klangliche Aktualisierung wird einem Notentext zwar Bewegung hinzugefügt bzw. aus dieser extrahiert, ohne dabei jedoch eine direkte Verbindung mit ihm einzugehen. Die klangliche Aktualisierung verändert den Notentext nicht, obwohl die stilistischen Normen, nach
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denen sie sich ausrichtet, permanenten Veränderungen unterliegen.15 Der Notentext erscheint daher als virtuelles grafisches Potenzial, das zum Gegenstand vielfältiger klanglicher Projektionen gemacht werden kann. Die Bewegung wird ihm in eigentümlicher Weise nachträglich ›hinzugefügt‹, um ihn auf diese Weise zugleich auf seine eigene Zukunft hin zu öffnen. Darin zeigt sich ein Notentext als sowohl relativ wie künstlich geschlossenes System. Künstlich geschlossen ist der Notentext, weil die Entscheidung darüber, was in ihm notiert ist, bereits getroffen wurde. Relativ geschlossen ist der Notentext, weil er mit einer zeitlichen Öffnung in Verbindung gebracht werden kann, die seine internen Relationen – und mit ihnen alles Notierbare – übersteigt. Beide Dimensionen, die systematisch geschlossene Relationalität der notierten Handlungsanweisungen und deren konkrete Öffnung durch eine zeitlich verfasste Klangproduktion, prallen bei einem Versuch einer klanglichen Aktualisierung notorisch aufeinander und eröffnen das Spannungsfeld dessen, was gemeinhin als musikalische ›Interpretation‹ bezeichnet wird. Dieser geht es immer auch darum, sich von der Logik der Notenschrift zu entfernen, um dadurch gleichzeitig an sie gebunden zu bleiben.
4. REKURSIVE AKTIONSSCHRIFT Aus einer produktionstechnischen Perspektive betrachtet, gleicht ein Notentext weniger einer sprachlichen Aufzeichnung als einem Diagramm, das unter dem Gesichtspunkt einer ihm impliziten Aktion analysiert werden kann, und das operativ wird, wenn das ihm inhärente Denken klanglich konkretisiert wird. Auch wenn den musikalischen Schriftzeichen eine gewisse Signifikanz nicht abzusprechen ist, und sich ihr bildhafter Sinn teilweise motorisch nachahmen lässt – sie fungieren für den Cellisten vor allem als effektive und affektive Handlungsanweisungen, denen in einer normativ eingefassten Weise Folge zu leisten ist. Dabei müssen die Zeichen allerdings in einer paradoxen Weise rekursiv, das heißt ›rückläufig‹ entziffert werden. Sie geben Auskunft darüber, wie das Ergebnis einer erst noch durchzuführenden Klangproduktion verfasst sein soll, die aus diversen Einzelbewegungen zusammengesetzt ist.16 Die zur Herstellung des Klangs notwendigen 15 Ein Prélude von Bach wird heute in der Regel durch andere Bewegungsabläufe aktualisiert, als vor 50 Jahren. Das Stilempfinden hat sich – u. a. durch die ›historische Aufführungspraxis‹ – stark gewandelt. 16 In dieser Hinsicht ist der zeitliche Modus der klanglichen Entzifferung eines Notentextes die vollendete Zukunft des Futur II. Der Notentext wird geklungen haben, so wie er in klanglicher Hinsicht verzeichnet wurde. Deswegen bleibt eine Ausschöpfung seiner
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Aktionen müssen vom Reproduzenten aus den sichtbaren Zeichen ›abgeleitet‹ und in charakteristische Mischungen versetzt werden. Bei dieser Ableitung handelt es sich nicht um den Prozess einer im weitesten Sinne sprachlichen Entzifferung. Die musikalischen Zeichen haben – als Zeichen – keinen motorischen Aussagewert und bilden die zur Produktion des Klangs notwendigen Bewegungen nicht ab. Die motorische Entzifferung eines Notentextes kann sich dementsprechend ausschließlich auf ein praktisch generiertes Erfahrungswissen beziehen, das sich wiederum mit jeder durchgeführten Entzifferung erweitert und modifiziert. Das wird im Zusammenhang der repetitiven Praxis des ›Übens‹ besonders deutlich: Immer wieder werden dort musikalisch-technische Bewegungsabläufe wiederholt, obwohl sich ihr Anlass (der Notentext) nicht zu verändern scheint. Der Notentext erweist sich hier als virtuelles Kraftfeld, das in der musikalischen Praxis eine Vielfalt motorischer Effekte und mentaler Wirkungen hervorruft. Wie ist diese Wirksamkeit zu erklären?
Abb. 04: Cellistisches Produktionsensemble
virtuellen Potenziale allerdings in der Regel auch – bis auf Weiteres – auf die Zukunft verschoben.
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5. DAS ZUCKERWASSER »Will ich mir ein Glas Zuckerwasser bereiten«, so Bergson in einer Passage aus Schöpferische Evolution, »so muß ich, wie ich es auch anstellen mag, warten, bis der Zucker schmilzt. Dieses kleine Faktum ist sehr aufschlußreich. Denn die Zeit, die ich warten muß, ist nicht mehr jene mathematische, die sich auch dann noch mit der Erstreckung der gesamten Geschichte der materiellen Welt zur Deckung bringen ließe, wenn diese auf einen Schlag im Raum hingebreitet wäre. Sie fällt zusammen mit meiner Ungeduld, das heißt mit einem Teil meiner eigenen Dauer, der weder willkürlich ausdehnbar noch einschrumpfbar ist. Es handelt sich nicht mehr um etwas Gedachtes, sondern um etwas Erlebtes. Es geht nicht mehr um eine Relation, sondern um etwas Absolutes. Was aber soll das heißen, wenn nicht, daß das Glas Wasser, der Zucker und der Auflösungsprozess des Zuckers im Wasser zweifellos Abstraktionen sind und daß das GANZE, in dem sie durch meine Sinne und meinen Verstand abgegrenzt wurden, vielleicht in der Art eines Bewußtseins im Fortschreiten begriffen ist?«17
Was will Bergson mit diesem Beispiel sagen? Die »Translationsbewegung«18, die die Zuckerpartikel voneinander löst und im Wasser schweben lässt, geht mit einem qualitativen Übergang von Wasser, in dem Zucker ist, in den Zustand von Zuckerwasser einher. Sie drückt darüber hinaus aber auch eine allgemeinere Veränderung aus. Während sich das Wasser verändert, verändert sich ebenso die mentale Verfassung des Abwartenden. Bergson will vor allem darauf hinweisen, dass dessen »wie auch immer beschaffenes Abwarten eine Dauer als mentale, geistige Realität zum Ausdruck bringt«19. Wird der Abwartende ungeduldig und fängt damit an, mit einem Löffel umzurühren, beschleunigt er zum einen die Bewegung, die das Zuckerwasser hervorbringt. Zum anderen gibt die beschleunigte Bewegung die Veränderung seiner eigenen geistigen ›Realität‹ wieder. Seine Ungeduld nimmt mit dem Maße ab, in dem sich die Zuckerpartikel im Wasser auflösen. Beide Bewegungen bedingen einander, ohne dadurch identisch zu sein. Das cellistische Produktionsensemble erweist sich bei seinem Versuch, den Bach’schen Notentext klanglich zu aktualisieren, dem angeführten Zuckerwasser als nicht vollkommen unähnlich. Auch ihm wird in unterschiedlicher Weise Bewegung hinzugefügt, die sich zugleich in ihm selbst mit-teilt. Den Anstoß bzw. auslösenden ›Reiz‹ stellt dabei eine für sich selbst genommen unbewegte grafische Oberfläche dar, deren implizite Handlungsanweisungen durch die Klangpro17 Bergson, Schöpferische Evolution, a.a.O., S. 7. 18 Deleuze, Das Bewegungs-Bild, a.a.O., S. 26. 19 Ebd., S. 23.
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Abb. 05: Effekte des Virtuellen
duktion motorisch nach außen gekehrt werden. Das Prélude lässt sich nur ›in der Zeit‹ das heißt innerhalb einer sukzessiven Ordnung des Nacheinanders klanglich aktualisieren, was bedeutet, dass sich während der Aktualisierung auch andere Dinge verändern, zum Beispiel die ›geistige Realität‹ des Cellisten, der die Aktualisierung initiiert. Die produktionstechnischen Bedingungen, unter denen sich das Prélude klanglich aktualisieren lässt, und zu denen die Perspektive gehört, die der Cellist auf den Notentext einnimmt, verändern sich noch während der klanglichen Aktualisierung. Der Notentext zeigt sich in diesem Zusammenhang als virtuelles grafisches Potenzial, dessen Aussagekraft durch die von ihm selbst provozierten Bewegungshandlungen modifiziert wird.
6. SCHLUSS Um sich klanglich zu aktualisieren, muss das künstlich geschlossene System des Notentextes mit einer konkreten Dauer in Beziehung gesetzt werden, was durch die motorischen Aktionen des cellistischen Produktionsensembles gewährleistet wird. Musikalische Notation und cellistische Produktion ›kommunizieren‹ in gewisser Weise über die Dauer miteinander, indem sie sich gegenseitig in Bewegung versetzen. Diese Bewegung ist zweiseitig: Zum einen ist sie das, was sich zwischen den Elementen der künstlich geschlossenen Systeme ereignet. Der Notentext motiviert das Produktionsensemble dazu, sich zu bewegen, wodurch sich wiederum die in ihm virtuell gespeicherten Klangbewegungen aktualisieren können.
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Abb. 06: Klang-Bild-Mischung
Zum anderen gibt die Bewegung die Dauer wieder, indem sie deren unablässige Veränderung als Veränderung zwischen Notation und Produktionsensemble ausdrückt. Die Klangproduktion weicht von der sie initiierenden grafischen Vorgabe ab, um sich in dieser Abweichung gleichzeitig auf sie zu berufen. Nicht nur der Ton a wird daher zu Beginn des Prélude BWV 1008 gedehnt. Auch die ästhetischen Relationen von ›Klang‹ und ›Bild‹ treten in Tensionen ein, die die Möglichkeit ihrer trennscharfen Unterscheidung strapazieren. Die motorische Unruhe der musikalischen Klangproduktion lässt beide ununterscheidbar werden, um ihre Differenz dennoch umso wirksamer in Szene zu setzen: In Form von Noten, die sich zu einem ›Klang-Bild‹ verbunden haben, das als Bewegung im musikalischen Denken räumliche Wirkungen zeitigt.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Alle Notenabbildungen sind mit freundlicher Genehmigung des G. Henle-Verlags abgedruckt. Abb. 01: Prélude BWV 1008, Anfang © Foto: Jesko Braun; Noten: Johann Sebastian Bach, Sechs Suiten für Violoncello solo BWV 1007-1012 (Studien-Edition), herausgegeben von Egon Voss, München: Henle 2007. Abb. 02: Klangliche Aktualisierung © Foto: Jesko Braun; Noten: Johann Sebastian Bach, Sechs Suiten für
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Violoncello solo BWV 1007-1012 (Studien-Edition), herausgegeben von Egon Voss, München: Henle 2007. Abb. 03: Bach’sche Ligatur © Foto: Jesko Braun; Noten: Johann Sebastian Bach, Sechs Suiten für Violoncello solo BWV 1007-1012 (Studien-Edition), herausgegeben von Egon Voss, München: Henle 2007. Abb. 04: Cellistisches Produktionsensemble © Foto: Jesko Braun Abb. 05: Effekte des Virtuellen © Foto: Jesko Braun; Noten: 6 Cellosuiten von J. S. Bach. Studien-Edition, München: Henle 2007. Abb. 06: Klang-Bild-Mischung © Foto: Jesko Braun; Noten: 6 Cellosuiten von J. S. Bach. Studien-Edition, München: Henle 2007.
Bildbeschreibung, Klangbeschreibung? Ästhetische Ekphrasis als ein produktives Missverständnis zwischen Narziss und Echo Volkmar Mühleis
Audio, was ich höre: Schritte in einem hallenden Gang, von mehreren Menschen. Sie nähern sich, sprechen miteinander. Jetzt erkenne ich die Sprache – Französisch. Ein Mann sagt: »Et ici, il y a deux Pollock«, »Und hier haben wir zwei Pollocks«. Ein anderer Mann fragt: »C’est ou le tableau«, »Wo ist das Bild?«, und sein Begleiter antwortet: »Le tableau est avant toi«, »Das Bild ist vor dir«, »comme ça«, »so«. Auf drei Meter Abstand, erklärt er. Der andere Mann spricht kurz auf Deutsch, dann wieder Französisch. Sein Begleiter scheint Franzose zu sein, dem Akzent nach, während er selbst im Französischen wie im Deutschen einen slawischen Akzent hat. Er fragt nach der Farbe, woraufhin sein Begleiter wiederholt: »Le tableau est ici.« Und viermal sagt er là, dort, so dass er vier Ecken des Bildes anzuzeigen scheint. »Il n’est pas très grand«, ah, antwortet der Andere, und wieder auf Deutsch: »Sehr klein,« um auf Französisch hinzuzufügen »Les points, c’est ou?« Welche Punkte, fragt sein Gegenüber. Les taches, verbessert er sich, die Farbflecken. Und der Andere meint, es gäbe große Farbflecken auf dem Bild, etwa wie bei Michaux. Man hört ein Rascheln, Rauschen, comme ça, sagt er leise, offenbar zeigt er etwas, das Rascheln kommt von einem Reiben, am Stoff, der Kleidung. Auf einmal sprechen beide Italienisch, akzentfrei, so scheint es, fließend. Ist der Franzose ein Italiener – und der Mann mit dem slawischen Akzent im Deutschen, Französischen? »Alors«, wechselt der Begleiter wieder ins Französische, »je vais faire avant les couleurs claires«, erst werde er die hellen Farben – zeigen, verdeutlichen? Was meint er mit faire, wörtlich: machen? Und er erklärt, wie er die hellen Farben machen werde: très aigu, sehr scharf, spitz, durchdringend, um einen Kontrast mit den dunklen Farben dahinter zu bilden und so ihrer Luminösität, ihrer Lichtverhältnisse, treu zu bleiben. Er räuspert sich. Dann
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schwillt ein scharfer Ton an, im Bereich des H, den er kurz darauf zum Cis steigert und ihn dort anhält, 13, 14 Sekunden lang, stark vibrierend, aber ohne die Tonhöhe zu verlassen. Er endet abrupt und spricht wieder mit ruhiger Stimme, das sei nun die hellste Farbe gewesen, ganz vorne in der Erscheinung. Jetzt werde er im Unterschied dazu ein Beige wiedergeben, im Hintergrund. Mit vier Tönen setzt er zaghaft ein, tiefer, um dann ebenfalls einen langen, vibrierenden Ton zu erzeugen. Die ersten Töne bewegen sich im Bereich der Noten Gis, B, Cis und C, um dann auf dem C etwa 11 Sekunden zu bleiben und wieder abrupt zu enden. Daraufhin resoniert er, aktivisch, wenn man so will, die roten Farbflecken. Er werde sie mit dem Laut A wiedergeben: Nun singt er nicht mehr, sondern stößt A-Laute kurz wie Tupfer in den Raum, auf unterschiedlichen Tonhöhen, mehr am Sprechen orientiert als am Gesang. Das kräftige Gelb werde er nun mit einem langen Ä bilden: Es klingt weniger punktiert als das A, sondern scheint – unterbrochene – Linien zu bilden, ebenfalls auf unterschiedlichen Höhen, einem Stottergesang gleichend (als wäre das Stottern, ein Phänomen des Sprechens, lautmalerisch in Ansätze zum Gesang übertragen, als wollte jemand singen und fände nicht hinein). Dem Schwarz entspräche wiederum ein tiefschwingendes O, das der Begleiter lebhaft entfaltet, gleichfalls in verschiedenen Tonhöhen. Dann stellt er das Grau dar, als ein vermischtes, indem er ein trillerndes Pfeifen mit Mund und Zunge nuanciert, unsauber klingen lässt, als stofflich gebunden und luftig frei zugleich. Video, was ich sehe: Ein weiter Gang, in einem modernen Gebäude, einem Museum oder Ausstellungsraum, Menschen stehen vor Objekten oder gehen an ihnen vorbei, zwei Männer kommen in Richtung der Kamera geschlendert, der eine rechts, ganz in weiß gekleidet, der andere, links, mit schwarzem Hut und rotem Schal. Der große Mann in weiß spricht zu dem andern, gestikuliert. Der Mann mit Hut hat sich bei ihm eingehakt, er streicht sich über den kurzen Bart, an Mund und Kinn. Sie laufen an der Kamera vorbei, sie schwenkt mit, man sieht sie in Großaufnahme von der Seite, frontal im Hintergrund ein Gemälde. Die Kamera verfolgt den Gang der beiden in ihrem Rücken, sie erreichen einen hellen Raum. Schnitt. Nun zeigt das Bild den älteren Mann in weiß rechts, den Mann mit Hut links davon frontal. Der linke Arm des Älteren weist nach links aus dem Bild, der Mann mit Hut scheint nach rechts aus dem Bild in die Höhe zu schauen. Dann dreht der Ältere den anderen sanft und weist ihn mit der Brust in die Richtung, in die er gezeigt hat. Auch der linke Arm des Mannes mit Hut zeigt nun gestisch in die Richtung nach links. Sie gehen gemeinsam diagonal, von der Seite, an einem Gemälde vorbei. Schnitt. Wieder sucht der Mann mit Hut eine Richtung mit seinem Finger, diesmal der rechten Hand, anzudeuten. Der andere nimmt seine Hand und weist sie auf ein Gemälde, das mit der Geste links im Kamerabild erscheint. Die Kamera schwenkt zurück auf die beiden. Dann, der Mann mit Hut, redend, in Großaufnahme. Seine Augenlider zwinkern, aber sein Blick scheint unbestimmt.
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Er trägt eine Brille. Der Ältere hält noch stets seine Hand, mit schnellen Bewegungen führt er sie zum Gemälde und deutet mit ihr auf einige Stellen. Wieder ein Schnitt. Der Winkel ist nun auf die Hände der beiden gerichtet, der Ältere führt mit zwei Händen die linke Hand des anderen und macht Kreisbewegungen mit ihr. Schnitt. Nun ist es ganz offensichtlich, der Mann mit Hut ist blind (und nicht allein sehbehindert), man sieht wie er selbst weiter die Kreisbewegungen nachahmt, während der andere sich bereits von ihm abgewendet hat, ohne dass er es bemerkt hätte, er reagiert in keinster Weise darauf. Schnitt. Man sieht den Blinden hinter dem Gemälde, in seiner Verlängerung mit dem Rücken zur Wand stehen, während der andere rechts im Kamerabild vor dem Kunstwerk steht, sich die Hände reibt, mit ihnen zum Werk hin gestikuliert. Die rechte Hand hält er flach erhoben zum Gemälde, er nimmt die linke dazu und führt beide, als würde er fühlen, im Abstand von bestimmt 20, 30 cm parallel über die Bildfläche. Dazu ist sein Mund geöffnet, und er schaut geradewegs auf das Gemälde. Die Finger vibrieren, plötzlich reißt er sie fort und wendet sich zu dem Blinden. Mit seiner rechten Hand berührt er ihn an der Brust, als wolle er ihm etwas zeigen, behält die Hand im Zeigegestus. Ein schwarzes Kamerabild. Die Kamera fokussiert daraufhin sukzessive den Älteren, wie er gebannt auf das Bild starrt, die Hände langsam ein wenig sinken lässt, der Mund vibriert leicht, dann wieder das plötzliche Abbrechen, er wendet sich zu dem Blinden. Die Kamera behält ihn daraufhin im Fokus. Erneut ein schwarzes Kamerabild. Nun, im Kamerabild, vor dem Blinden, auf Kopfhöhe, die rechte, gestische Hand des Älteren, wie sie zitternd schnell Linien von oben nach unten beschreibt und wieder zurück. Die Stellung der Pupillen des Blinden, sein vermeintlicher Blick, geht dabei im Hintergrund nach rechts in die Leere, er zwinkert mit den Augenlidern, ohne den Kopf zu bewegen. Seine Brille ist nicht verdunkelt, wie etwa für einen lichtempfindlichen Sehbehinderten. Was bewirkt sie, warum trägt er sie? Als modisches Accessoire, zu Hut und Schal (im temperierten Innenraum)? Schwarzes Kamerabild. Jetzt zeigt die Kamera in neuer Position das Gemälde ausschnitthaft links, im Profil leicht von hinten den älteren Mann, wie sein rechter Arm zum Kunstwerk reicht, dahinter den Blinden. Am Hals des Älteren werden seine Lautbildungen deutlich, wie die Muskulatur sich spannt, entspannt, das Ganze im Rhythmus seiner Zeigebewegungen mit Hand und Arm. Seine Hand fährt nahezu über das Gemälde, seine Linien, die Finger ahmen Tupfer nach, schnell, sehr lebendig und zugleich stockend, punktuiert. Sein Kopf wippt mit, bis er den Arm nach oben reißt und aus dem Kamerabild verschwindet. Wieder ein schwarzes Kamerabild. Nächste Einstellung: links im Bild das Gemälde, rechts der blinde Mann. Der Schatten von Arm und Hand des Älteren streift über das Gemälde, im Schein der Deckenbeleuchtung, und über den Blinden, als verbinde er alle drei – Gemälde, Blinden und Zeigenden. Dann erscheinen Arm und Hand links im Kamerabild; Schnitt, Kameraschwenk; der äl-
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tere Mann ist ganz im Bild, wie er redet und gestikuliert. Schwarzes Kamerabild. Der Ausschnitt wird vergrößert, alle drei Elemente sind wieder im Bild, schräg links der Zeigende, in der Mitte davon das Gemälde an der weißen Wand, rechts daneben der blinde Zuhörer. Der Ältere spitzt die Lippen und gestikuliert mit allen zehn Fingern auf Augenhöhe vor dem Gemälde, als dirigiere er in unterschiedlichen Höhen, führt er die Hände hinauf und hinunter, setzt erneut an, und wendet sich mit dem Blinden vom Gemälde ab. Schnitt. In beiden Abschnitten, Audio und Video, habe ich dieselbe Szene beschrieben, zuerst nur die Tonspur, dann ohne Ton die Bildfolge, einer ca. fünfminütigen Sequenz aus der Dokumentation Der Geflüsterte Film – Ein Film mit Blinden für Hörende und Sehende von Nina Rippel aus dem Jahr 1992.1 In bewegten Bildern und Klängen wird gezeigt, wie ein Sehender einem Blinden ein Gemälde vermittelt, indem er das Sichtbare ins Hörbare vor allem durch Lautformen zu übertragen versucht, mit nur wenigen Worten, die zur Angabe des Gemäldes dienen (die ›zwei Pollocks‹; ich habe mich auf die ausführliche Darstellung des ersten Bildes konzentriert, wie auch der Film) oder zur Erläuterung der Laute im Verhältnis zum Gemalten (wofür ein A steht, ein O...). Was erschließt sich in diesem Fall aus Ton und Bild selbst? Auf welchen Kontext verweisen beide, welche Durchdringung voneinander, welche Seh- und Hörfelder? Und was bedeutet dies für die Analyse von Klang im Verhältnis zum Bild allgemein? Diesen Fragen gilt der weitere Text.
1. DIE ANALYSE DER HÖREINDRÜCKE Der Begleiter erläutert dem Anderen, wo das Gemälde sich befindet, wie groß es ungefähr ist, im Verhältnis zu dessen Körper, indem er Hand und Arm führt. Der Andere scheint sich vor allem für die Farbverhältnisse zu interessieren. Zuerst zeigt sein Begleiter ihm mit gemeinsamen Handbewegungen anscheinend die Art, wie die Farben geformt wurden (und verweist auf eine vielleicht beiden vertraute Referenz: den Stil des Malers Henri Michaux). Dann vermittelt er ihm einen Grundkontrast zwischen hellen Farben und dem Beige allgemein. Der Hauptunterschied liegt in der Charakteristik des Tones mehr als in den Unterschieden von Tonhöhe oder Vibration des Klangs: Der spitze, scharfe Ton sticht deutlich heraus und markiert so den Unterschied. Daraufhin widmet sich der Begleiter drei Farbeindrücken, dem Rot, Gelb und Schwarz. Während das Rot punktiert wirkt, erscheint das Gelb als fragmentierte Linie und das Schwarz eher flächig, schwingend. Abschließend beschreibt er erneut einen Kontrast, den von Grau1 Nina Rippel, Der Geflüsterte Film – Ein Film mit Blinden für Hörende und Sehende, 67 min., 16mm, Farbe-s/w, Hamburg 1992.
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mischungen: als eine Differenz von Reibung, an und im Mund, sowie Immaterialität, von luftigem Klang. Über das Hören erfährt der Nichtsehende in diesem Fall also folgendes: Ort und ungefähre Größe des Gemäldes, die reguläre Art der Farbauftragung, dass ein Grundkontrast besteht, eindringlich markiert durch den gellenden Ton, dass drei Farbeindrücke dominieren – rot, gelb und schwarz –, in punktierter, linear unterbrochener und flächiger Form, und dass Graumischungen dabei eine Rolle spielen. Welches Bild haben Sie als Leserin, als Leser nun im Kopf? Welche Vorstellung machen Sie sich von dem Gemälde? Vielleicht haben Sie schon einmal Werke des U.S.-amerikanischen Malers Jackson Pollock gesehen, kennen seine Malweise des Action Painting, die Technik des Dripping, Tröpfelns auf die am Boden liegende Leinwand, um die herum er lief. Wie groß ist ein nicht allzu großes Gemälde, wenn ein Erwachsener davor steht? Welche Maße hat es? Gut, der eine Mann scheint vor allem der Farben wegen gekommen zu sein. Welchen Eindruck machen sie auf ihn, auf uns? Warum werden helle Farben mit scharfem Klang assoziiert? Weil die Sonne, Quelle des Lichts und der Helligkeit, mit ihren Strahlen sticht? Und teilen der Sehende und Nichtsehende diese Erfahrung, dass die Sonne auf der Haut brennt, sticht? Ist das Brennen nicht ebenso flächig, auf der Haut? Daraufhin bekommen wir drei voneinander unabhängige Sequenzen: punktierte A-Laute, in verschiedenen Höhen, fragmentierte Ansätze von Gesangslinien, als Ä, und tiefschwingende Os. Wie verhalten sie sich zueinander? Wo befinden sie sich auf dem Gemälde? Zum Abschluss dann eine Information, klanglicher Kontrast, im Verweis auf eine farbliche Vermischung im Bild, der Grautöne. Haben wir nun eine Vorstellung von dem Bild? Der Farben? Ihrer Verhältnisse, Ein- und Wechselwirkungen? Würden wir das Gemälde wiedererkennen?
2. DIE ANALYSE DER SEHEINDRÜCKE Im Film wird das Gemälde selbst nicht im Ganzen gezeigt, wie man es von Fernsehsendungen (etwa die Reihe Hundert Meisterwerke der öffentlich-rechtlichen Anstalten) kennt. Er gilt der Darstellung, wie der eine Mann dem anderen ein Gemälde zu vermitteln sucht, und konform der anderen Sequenzen in der Dokumentation werden auch keine Zwischen- oder Untertitel eingeblendet, um Personen oder Gegenstände zu benennen. Die synchrone Tonspur lässt einen das Gespräch der beiden verfolgen, und so erfährt, wer Französisch versteht, dass es sich wahrscheinlich um ein Gemälde von Pollock handelt, als eines der ›zwei Pollocks‹. Visuell wird die ge- und misslingende, körperliche Interaktion der beiden deutlich, wie sie zueinander stehen, dass der Mann mit Hut tatsächlich blind ist, sie der Hände bedürfen, um Malart und Positionierungen zu bestimmen. Der
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ältere Mann richtet sich ganz auf das Bild, um mit im Verhältnis dazu ebenso tastend wie beschwörend erscheinden Gesten sich selbst wie dem Anderen einen Eindruck davon zu vermitteln. Es ist offensichtlich, dass er nicht willkürlich die Bewegungen macht und Klänge erzeugt, sondern sehr genau den Verhältnissen im Bild zu entsprechen versucht, auch wenn das nicht – durch zwei Kamerapositionen etwa und der Überblendung der Bilder – anschaulich wird. Im Film steht das Handeln zentral, und so zeigt er vor allem das Agieren zwischen Blindem und Sehendem in einem Museum, vor einem Kunstwerk, ein visuell dominierter Ort, in dem der Blinde passiver erscheint als in anderen alltäglichen Situationen, die der Film zeigt, mit ihm und auch anderen Blinden (so bewegt er sich in einer vorherigen Szene in Paris auf der Straße autonom, während er im Museum im Arm des anderen eingehakt geht). Eine filmische Interpretation der Vermittlung zwischen Begleiter und blindem Betrachter findet in dem Moment statt, da der Schatten von Arm und Hand des Älteren sowohl über das Gemälde streift, im Schein der Deckenbeleuchtung, wie über den Blinden, als verbinde er alle drei. Im Licht gibt der Schatten die Gestalt zu erkennen, bedingen Sehen und Blindheit einander, vergleichbar bereits in der Aussparung des blinden Flecks im Auge, mit dem es nur sieht, indem sein Blick nicht total ist, sondern immer nur partiell, bewegt, umspielend und variierend (man denke auch an die Einlassungen der schwarzen Kamerabilder hierbei). Ohne die Szene symbolisch aufzuladen, durch Länge, Dehnung der Aufnahme, wirkt sie gerade in der belassenen Nüchternheit, dem ungebrochenen Realismus der Dokumentation als eine poetische Verdichtung der angeführten Elemente, von Bild, Begleiter und blindem Zuhörer. Hier gelingt es, im Kamerabild eine eigene Dimension hinzuzufügen, indem es den Schatten einfängt, der nur aus dem Winkel der Kamera sichtbar wird. Die Gleichzeitigkeit von Ton und Bild bewirkt in erster Linie ein besseres Verständnis beider Bereiche. Das Handeln wird vom Sprechen begleitet, erläutert, kommentiert. So kann man nicht nur das Stichwort Pollock auf das gezeigte Gemälde beziehen, man versteht das Tun im Ganzen, warum sie als Sehender und Blinder auf besondere Weise interagieren, wozu die Gesten und Klänge des älteren Mannes dienen, was den Blinden in erster Linie interessiert. Visuell gelingt der Filmemacherin dabei ein eigener, licht- und schattenspielerischer, stummer, aus dem Hintergrund beobachtender Kommentar der Szene. Sie bringt sich hier über das Sehen dieses Schattens ein, der die Elemente verbindet, nicht durch Gesprochenes, als korreliere ihr visuelles Medium und Selbstverständnis damit in besonderer Weise. Das bewegte Bild, das uns zwei Männer vor einem unbewegten Bild zeigt, tritt damit explizit und thematisch in Erscheinung. In diesem Spielraum müssen sich denn auch die weiteren Überlegungen bewegen, wenn man hiervon ausgehend über Bild und Klang nachdenken möchte: über Bild und Klang im Film, der Sicht- und Hörbares in einem Museums- oder Ausstellungsraum vermit-
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telt, angesichts eines Gemäldes. Rippel bleibt an dieser Stelle in ihrem Medium stumm, wie das Gemälde, um beide aufeinander zu beziehen, ohne dabei den Ton des Films aufzugeben, die Registration der Raumklänge. Wir hören weiterhin das Gespräch der beiden, das Tönen des Zeigenden (zwischen Lautmalerei, Parlando und Gesang).
3. KONTEXT Wo wurde die Filmaufnahme gemacht, wer sind die beiden, vor welchem Gemälde von Pollock stehen sie eigentlich? Und wie sieht es im Ganzen aus? Welche genauen Maße hat es, von wann datiert es? All diese Fragen erschließen sich nicht unmittelbar. Die vorherige Szene im Film spielte in Paris, und so wird man wohl an ein Ausstellungszentrum oder Museum für moderne Kunst denken, in dem beide sich befinden. Es handelt sich um das Musée national dʼart moderne im Centre Pompidou. Der ältere Mann ist der Künstler Pier Paolo Piccinato (deshalb spricht er akzentfrei Italienisch) und der Blinde ebenfalls ein Künstler, Evgen Bavčar. Er wurde in der vorigen Szene als blinder Fotograf eingeführt, mit der Bemerkung auch, dass eine nur geometrische Bildbeschreibung seines Erachtens banal ist, auf den Ausdruck eines Bildes komme es an.2 Daher erklärt sich sein verstärktes Interesse an der Farbigkeit des Gemäldes und wohl auch der experimentelle Charakter der Vermittlung. Im Film wird eine Bildbeschreibung für einen Blinden gezeigt, anhand des Beispieles eines abstrakten Gemäldes ohne geometrische Anleihen oder Bezüge, in dem farbige Flächen, Tupfer und getröpfelte Linien das Bild bestimmen. Die Bildbeschreibung respondiert auf den künstlerischen Charakter des Werks, indem sie selbst experimentell künstlerisch erscheint. Es geht um ein der Kunst gerecht werden, das selbst nach einer Kunstform verlangt. Die beiden Künstler führen auf die Art etwas auf, es handelt sich nicht bloß um den kunstinteressierten Blinden und museumspädagogischen Kenner, ihr Tun entspricht selbst einer Performance. Von daher vielleicht auch, warum der Blinde mit Hut, rotem Schal und einer Brille für Sehende im Museum auftritt. Er kommt als Künstler. Spielt er eine Rolle, sich selbst? Und auch der ältere Mann ganz in weiß scheint darauf abgestimmt, zumindest sehr gut dazu passend. Ist dies weniger dokumentarischer Realismus als Komplizenschaft in einem künstlerischen Akt? Spielt die Filmemacherin damit, wenn das Kamerabild den verbindenden Schatten visiert? 2 Er bedient sich als Konzeptkünstler der Fotografie. Näheres hierzu vgl. Volkmar Mühleis, Kunst im Sehverlust, München 2005 sowie ders., »Die Entstehung des Blicks in der Fotografie«, in: Beate Ochsner/Robert Stock (Hg.), senseAbility – Mediale Praktiken des Sehens und Hörens, Bielefeld 2016.
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Das Gemälde von Pollock heißt schlicht Painting (Silver over Black, White, Yellow and Red). Wurde es von ihm selbst so genannt? Der Maler hat nur seinen Namen, das Jahr und die Buchstaben S.D.B.G. auf der Arbeit vermerkt. Es ist 1948 entstanden, in den Maßen 61 x 80 cm. Bisher war von den Farbeindrücken Beige, Rot, Gelb, Schwarz und Grau die Rede. Was bedeutet dagegen die Nennung Silber über Schwarz, Weiß, Gelb und Rot? Es scheint wörtlich gemeint, nicht metaphorisch, symbolisch, spielerisch, ironisch etwa. Wäre statt von ›zwei Pollocks‹ auch von dem Titel die Rede gewesen, hätte man nicht ebenfalls den Hinweis auf das Silber und Weiß besprochen? Sieht der Sehende, was der Titel verspricht? Oder sind die Farben abgeklungen, die Mischungen verändert, im Laufe der Zeit? Warum gibt Piccinato dem Beige so eine große Bedeutung, dass er es als erste Farbe im Kontrast zu den hellen Tönen nennt? Betrachten wir das Gemälde im Ganzen.
4. ERGÄNZENDE BILDBESCHREIBUNG Es ist ein Tanz, möchte man meinen, eine Eruption, ein Wirbelsturm. Eine DeZentrifugale, wenn es so etwas gibt, in der die schwarzen Flächen einen Trichter zu bilden scheinen, Tiefe andeuten, eine noch unbestimmte, vage, sich erst formende Richtung, mit der das Liniengewirr entsteht, Gelb-, Rot- und Silbertöne kreisend, kringelnd, schweifend, springend, vehement bewegt das Bild prägen. Wie entsteht der Eindruck einer Richtung, in dieser wirren Dynamik? Das scheint mir die wichtigste Frage zu sein, will man das Gemälde annähernd beschreiben.3 Sehe ich in der rechten Bildhälfte die schwarzen Flächen, denke ich zum Beispiel an eine sich öffnende rechte Hand, mit dem Daumen unten zum Betrachter, rechts davon, dahinter den Zeigefinger, viel kleiner, dichter, über dem Daumen dann ein nur angedeuteter Mittelfinger, dann ein zu einer Klaue aufragender Ringfinger und nur angedeutet wieder, in der vertikalen Bildmitte nun, ein kleiner Finger, neben dem zur linken Bildhäfte schwarze Flecken schräg bis in die untere linke Ecke des Bildes versetzt gemalt sind. Ich denke an diesen Vergleich, zu sehen sind nur amorphe, schwarzen Flecken. Ich suche eine Gestalt, die anderen Sinnen zugänglich ist, müsste ich es in seiner Abwesenheit oder einem Blinden beschreiben. Die Hand aber ist ein figuratives Bild. Wie es in der Vorstellung abstrahieren? Wie 3 Vgl. hierzu Otto Schönberger hinsichtlich einer Bildbeschreibung: »Zumeist kommt es darauf an, den Punkt zu finden, von dem man auszugehen hat, das Moment, dessen Wiederauftauchen die Vorstellung der Gesamterscheinung nach sich zieht.« (Otto Schönberger, »Die ›Bilder‹ des Philostratos«, in: Gottfried Boehm/Helmut Pfotenhauer (Hg.), Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 157–176, hier: 165.)
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Andeutungen, Suggestionen beschreiben? Denn darum scheint es Bavčar etwa zu gehen, wenn er den Ausdruck eines Bildes vermittelt sehen möchte, in seiner Vorstellungskraft. Das rechteckige Querformat hat Piccinato ihm gezeigt, indem er mit dessen Hand die Ecken und damit die Größe des Gemäldes angegeben hat (Bavčar stand jedoch schräg versetzt zum Bild, nicht frontal vor ihm, so dass körperlich ein verzerrter Eindruck der Proportionen entstanden sein muss). Das Silber hat er offensichtlich als Grau wahrgenommen (wie sehr es seinen Glanz verloren haben mag, lässt sich anhand der Reproduktion nicht beurteilen). Sehen wir nun eher punktierte, rote Striche, gestrichelte, gelbe Linien, schwarze Flächen? Sicher die schwarzen Flächen. Wie im Film sichtbar ist, hat Piccinato das Bild tendenziell von links nach rechts beschrieben, nicht gradlinig, durchaus in Höhen und Tiefen (und auch in Schleifen, auf Voriges zurückkommend), aber doch zumindest in dieser Richtung. Er hat es eher einer Partitur gleich gelesen, als die Akzente seiner Darstellung vom Gehaltzusammenhang des Sichtbaren aus zu entwickeln (denn wie korrespondiert die im Bild generierte Tiefe und Richtung am Beispiel der schwarzen Flecken mit der Wahl, es quer dazu von links nach rechts zu erkunden?). Das Rot als punktiert darzustellen, ergibt sich von links her, wo tatsächlich flache Spuren, Fetzen des Roten erscheinen. Im Ganzen aber sind die roten Partien nicht weniger gebrochen durchlaufend wie die gelben, auch von der Strichführung her (betrachtet man etwa die rechte untere Hälfte des Gemäldes, wo Gelb und Rot anscheinend in ein gemeinsames Spiel verwickelt werden, mit ähnlich gezogenen Linien). Auf der mittleren Vertikale des Bildes gibt es leicht unterhalb des Bildmittelpunkts einen geschlossenen, schwarzen, krackeligen Kreis. Betrachtet man von ihm aus das Geschehen, so wirkt er wie ein zentrierendes Loch, durch das und mit dem die Gewalt der Farbe aufbricht, sich verteilt. Um diesen Kreis sind die schwarzen Partien ausschweifend, wie dunkle Flammen, gestaltet, und inmitten dieses Kreises kreuzen sich zwei rote Linien, wie ein brennender Fluchtpunkt, Entzündungsherd des Ganzen. An dieser Stelle scheint das Rot hinter dem Schwarz zu liegen, während es an anderen Stellen, etwa in der rechten oberen Bildhälfte, sich befreit, das Schwarz überlagert, überwuchert. Vorder- und Hintergrund entwickeln sich so in einer fortwährenden Durchdringung, bei welcher der schwarze Kreis oder der Eindruck einer sich öffnenden Hand als Angelpunkte dienen, um die Gravitation von Vorder- und Hintergrund erahnen lassen, dem Bildgefüge Gewicht zu verleihen. Das stockende Auf und Ab der Tonhöhen, das Piccinato bei Rot und Gelb anklingen ließ, und welches er in genauem Abgleich mit dem Bild zu entwickeln versuchte, scheint dem visuellen Eindruck der akzentuierenden Strichführung dieser Farben durchaus angemessen. Was aber waren nun die ›hellsten‹ Farben, was das Beige (Gelbgrau)? Wie im Fall des Silbers kann es sich um ein vom Farbton verändertes Weiß handeln, das inzwischen eher als Gelbgrau erscheint, in der Mischung auch mit den anderen Gelbtönen im Bild. Ist
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das Gelb der hellste Ton? Erscheint nicht aber das Silber/Grau oft näher, springt es einen nicht förmlich an? Und wie korrespondieren die langen, vibrierenden Töne auf Cis bzw. C mit dem Kontrast von Hell und Dunkel/Beige? Der Kontrast eines Halbtons vermittelt die flächige Nähe von Figur und Grund, Vorder- und Hintergrund, wie sie ein zweidimensionales Bild kennt. Die Stärke des Kontrasts wurde durch die Schärfe der Tonqualität beim Cis markiert. Auch ist es nur ein leichter Kontrast, ein Halbton, die Schärfe sticht hervor, springt von der angedeuteten Fläche, wie es im Bild zu geschehen scheint. Wie aber kommt es dazu, das offensichtlich gefärbte Weiß im Kontrast als Dunkel, als Hintergrund zu bestimmen (Beige)? Auch die weißen Partien springen mit nach vorne, emanzipieren sich vom Hintergrund, greifen von der unteren Bildmitte her aus, über die ganze obere Bildhälfte, aus dem weißlichen Grund des Bildes, seiner Grundierung. Das Gemälde habe ich nun vom Eindruck seiner digitalen Reproduktion her mit Worten, semantisch und formal zu beschreiben versucht. Piccinato dagegen stand frontal vor dem materiellen Bild, in Augenhöhe, und hielt seine Hände meist parallel zu den Farbflächen und -flecken, um ihren Formen zu folgen, einen perzeptiven Verlauf der bildlichen Simultaneität abzugewinnen. Genaues Sehen, freies, haptisches Folgen und die Klangvermittlung des auf die Art körperlich Erfahrenen bestimmten die Beschreibung des Künstlers. Zudem ging er auf ein spezifisches Interesse seines Kollegen ein, die Farben darzustellen. Sehen und Hören sind beides ausgesprochene Fernsinne, und Durchdringungen ihrer Eindrücke bis hin zu synästhetischen, unfreiwilligen, stellvertretenden Überlappungen sind als Phänomen der Wahrnehmung und Vorstellungskraft durchaus bekannt. Die sinnliche Qualität des Einen kann sich nicht nur im Anderen wiederfinden – so wie man, nach der frühkindlichen Phase spielerisch-sinnlicher Erkundung und Differenzierung, bereits aus der Ferne sehend die taktile Beschaffenheit eines Holzstuhles von der eine Plastikstuhles unterscheiden kann –, Klänge können bisweilen selbst mit Farbqualitäten assoziiert und selbst von ihnen besetzt erfahren werden (der Begriff Klangfarbe ist allgemein geläufig, bei Menschen mit starken synästhetischen Eindrücken zwingt das Hören bestimmter Töne selbst zur Vorstellung gewisser Farben). Ist Bavčar ein erblindeter Synästhetiker? Selbst habe ich ihn am 11. September 2001 in Paris besucht, also neun Jahre nach dem Experiment mit Piccinato, noch ohne Kenntnis des Films, für die Recherche zu meiner Studie Kunst im Sehverlust.4 Er erblindete mit elf Jahren, 1957, in seiner Heimat Slowenien aufgrund zweier Minenexplosionen. Farben haben für ihn ebenso die 4 Später, für eine Ausgabe der Sendereihe Forum Kultur des Deutschlandfunks, die ich moderierte, hat er sich zu den Ereignissen in den USA an diesem Tag geäußert, im Rahmen der Sendung zum Thema ›Blindheit und das Internet‹, live ausgestrahlt am 24. Mai 2002.
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sinnliche Bedeutung visueller, rudimentärer Erinnerungen wie auch semantische, mnemotechnische und spielerische Dimensionen. So berichtete er davon, wie er gern Menschen oder Gegenständen einen Farbton zuordnet: »Ich kenne eine Frau, deren Stimme so blau ist, dass es ihr gelingt, etwas davon einem grauen Herbsttag mitzuteilen, und ich habe einen Maler mit einer dunkelroten Stimme kennengelernt, der zufällig eben diese Farbe liebte (…).«5 Und generell meinte er zu seinen Farberinnerungen: »(...) die Monochromie (ist) in meine Welt eingedrungen, und jetzt muss ich mich anstrengen, um mir ein Spektrum von Schattierungen zu bewahren (…).«6 Der neurologischen Forschung nach verbleiben elementare Farbvorstellungen, ohne Spezfika, was als repräsentative Verdichtungen an eine vergleichsweise zunehmend sprachliche Strukturierung dieser Vorstellungen denken lässt.7 Das Experiment mit Piccinato ist als eines zum Spektrum dieser ›Schattierungen‹ zu verstehen. Mit welcher Farbe hat Bavčar die Stimme seines Begleiters assoziiert? Welche Schattierungen haben ihm die Verbindung von Tonhöhe und Vibration jeweils vermittelt, in der Halbtondifferenz? Andere Blinde, wie zum Beispiel der ebenfalls erblindete, niederländische Philosoph und Künstler George Kabel, sind diesbezüglich eher kritisch: Das Eigengewicht der einmal ausgebildeten Sinne erlaube in der Regel nur einen sehr indirekten Verweis vom Hören auf das Sehen etwa, im Vordergrund stehe immer der jeweils eigene Charakter eines Sinnes, im Falle der Musik der des Klanglichen (im Verhältnis zur Malerei beispielsweise).8 Der sinnliche Reiz der experimentellen Bildbeschreibung von Piccinato vermag dazu verleiten, ihr die größere Angemessenheit dem Gemälde von Pollock gegenüber zuzuschreiben, im Vergleich mit einer sprachlichen Erörterung etwa. Das aber wäre eine irreführende Diskussion, da keine Ausschließlichkeit eines Zugangs zu dieser Angemessenheit führen kann, vielmehr nur die ergänzende Durchdringung wahrnehmbarer, vorstellbarer und denkbarer Eindrücke, sprich die Verdichtung des sinnlich Erlebten und mental Repräsentierten in der Verbindung von Klangexperiment vor dem Gemälde mit seiner sprachlichen Erkundung und Kontextualisierung. Die Angemessenheit beruht hier auf einem Produktivmachen der nie identitären, immer nur differentiell, indirekt sich entfaltenden Annäherungen an das Gemälde, das selbst dafür der zentrale Bezugsrahmen bleibt, für 5 Vgl. Mühleis, Kunst im Sehverlust, a.a.O., S. 221. 6 Ebd., S. 221–222. 7 Vgl. hierzu ebd., S. 222 sowie Richard E. Cytowic, »Wahrnehmungs-Synästhesie«, in: Hans Adler/Ulrike Zeuch (Hg.), Synästhesie. Interferenz – Transfer – Synthese der Sinne, Würzburg 2002, S. 7–24. 8 Vgl. George Kabel, »Kunst op de tast«, in: De kunst van het anders zien V, Ausstellungskatalog, herausgegeben von der Stichting Kubes, Zeist 1999; sowie Mühleis, Kunst im Sehverlust, a.a.O., S. 208.
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die responsive Klangerzeugung wie für jede sprachliche Äußerung und Deutung. Es ist diese Indirektheit in Bezug auf das Gleiche (Gemälde), die aus dem Dilemma einer nach Identität strebenden Direktheit führen kann, wie es nach Ovid bereits im Mythos von Narziss und Echo anklingt, der ebenso grundsätzlich vom Verhältnis zwischen Sehen und Hören handelt wie auch als Charakteristikum der Malerei gilt, seitdem Leon Battista Alberti ihn mit seiner Schrift Della Pittura, Über die Malkunst in die maltheoretische Reflexion der Renaissance eingeführt hat.9 Ihn möchte ich abschließend betrachten, um auf die letzte der drei eingehend genannten Fragen einzugehen, die nach der Analyse von Klang im Verhältnis zum Bild allgemein, nachdem das Beispiel der Bildbeschreibung von Painting (Silver over Black, White, Yellow and Red) nun ausführlich behandelt wurde, was sowohl Ton und Bild in diesem Fall bedeuten als auch ihre Durchdringung voneinander, bis hin zu kontextuellen Ergänzungen.
5. NARZISS UND ECHO Das Verhängnis von Narziss liegt in seinem ihn völlig beherrschenden und damit verzehrenden Verlangen nach einem Einswerden mit seinem Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, als einziger Schönheit, die ihn bezaubern kann. Er ist nicht fähig zu Indirektheit und Abstand, das Visuelle hat ganz von ihm Besitz ergriffen, während er schließlich eine Stimme hört, nicht seine eigene, und doch eine, die seine Worte spricht, jene der nur mehr antwortenden Nymphe Echo. Sie war einst als Schwätzerin bekannt gewesen, welche die Himmelskönigin Iuno in lange Gespräche verwickelte, damit Iunos Gemahl Iuppiter sich mit anderen Nymphen vergnügen konnte. Einmal ertappt, bestrafte Iuno sie dafür, indem ihre Stimme nur noch zum Widerhall der letzten Worte Anderer taugte. Echo wurde zum Echo, begegnete dem bildschönen Narziss, verliebte sich in ihn, warb um ihn mit seinen eigenen Worten, doch er begehrte sie nicht, ihr Aussehen, ihre Erscheinung, wies sie ab, woraufhin sie vor Kummer aufs Skelett herunter magerte, zu Stein wurde, aus dem das Echo fortan erklang. Nun erfrischte sich der jagende Narziss etwas entfernt an einem unberührten Wasser, erblickt sein Spiegelbild, verliebt sich in sich selbst, will es umarmen, doch vertreibt es nur. Das Einswerden in der Selbst9 Vgl. Ovid, Metamorphosen, aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht, Stuttgart 1994, drittes Buch, Zeilen 339–510 sowie Leon Battista Alberti, Della Pittura – Über die Malkunst, aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 2002, S. 103, wo Alberti schreibt: »Würdest du vom Malen sagen, es sei etwas anderes als ein ähnliches Umarmen jener Wasseroberfläche durch Kunst?«
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liebe ist unmöglich, sich selbst als einen Anderen zu erlangen (bei allem Verlangen), das Medium erlaubt nur Schein, ist kein Ersatz für den wirklich Anderen. Schlussendlich erkennt Narziss den Schein, wird er vertraut mit dem Bild seiner selbst, dass er zugleich nur als anderes sehen kann – die Augen können sich nicht selbst berühren, wie die Hände, visuell bleibt er nur über den Schein mit sich verbunden, bleibt ein Zwiespalt in seinem Begehren nach dem selbst Einswerden im nurmehr Sichtbaren. Er sieht sich bloß, berührt sich visuell nur dank der Wasseroberfläche, des spiegelnden Mediums, erlebt sich visuell nur gebrochen, wie der Stab im Wasser, und verzweifelt darüber. Sein Wehklagen hallt nun identitär in der Ferne nach, im Echo, und so verbinden sich die in ihrer Beschränkung bzw. Sehnsucht nach Einheit Gefangenen im Schlussbild des Mythos zu einer Szene, die als Gleiche den Bezugsrahmen schafft für die disparat sich unfreiwillig harmonisch Ergänzenden – Narziss will als Liebe alleinige Sichtbarkeit seiner selbst und artikuliert die Unmöglichkeit dessen klanglich, was dank der Gebundenheit Echos an den Widerhall des Gehörten zu einer theatralen Gleichschaltung beider führt, die als seelenlos, nahezu mechanisch, unorganisch und dadurch rezeptiv auch als parodierend und ironisch verstanden werden kann. Statt Einheit finden sie Einfalt, aus unterschiedlichen Gründen verstrickt in sich selbst, untrennbar zum Schluss mit dem andern. In der Reduktion auf Einheit und Direktheit entsteht miteinander ein Missverständnis, das nicht produktiv, sondern nur verhängnisvoll, sprich tragisch für die Protagonisten und komisch wiederum für die Betrachtenden ist. Man kann das Verfehlen allein produktiv machen, indem man die Reduktion aufbricht, zugunsten von Vielfalt und Indirektheit, innerhalb der gleichen Szene, des gemeinsamen Bezugsrahmens, etwa der Konzentration auf das zu beschreibende, sich vorzustellende Gemälde. Was sollte einen sonst davor schützen, nicht ebenso lachhaft für andere zu werden, wie Narziss und Echo? Die Beschreibung muss dem Charakteristischen gerecht werden, und damit das Ungefähre mit dem Genauen verbinden, ähnlich wie ein Charakter als Erscheinung zugleich ungefähr und treffend ist, nicht umgrenzt und doch prägnant. Allgemein kippt im Mythos darüber hinaus das Streben nach Reinheit des Sichtbaren ins Hörbare, und artikuliert sich nur darin das Scheitern dieses Strebens. Weder kann das Sichtbare sich selbst am Körper reflektieren wie die Hände das Taktile im Wechselspiel zu erkunden vermögen – wenn die eine Hand die andere berührt und umgekehrt, während die Augen sich nicht selbst ›in die Augen schauen‹ können, nur dank spiegelnder Medien –, noch artikuliert ein Blick sich vergleichbar weiträumig wie die Stimme, mit der selbst das Echo erschallt, der Raum erklingt. Diese Überlegungen lassen sich allgemein noch weiter führen: Wie entsteht Sicht- und Hörbares? Diese Frage liegt dem Experiment von Bavčar und Piccinato mit zugrunde und stellt sich in diesem
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Zusammenhang ganz grundsätzlich. Wenden wir sie deshalb auf ihr Experiment an und betrachten es noch einmal von diesem Blickwinkel her.
6. ZUM ENTSTEHEN VON BILD UND KLANG Raumzeitlich Wahrnehmbares entsteht für den Menschen in der Ausprägung körperlicher Interaktion mit anderen Körpern, der Ausbildung eines eigenen, relational handlungsfähigen Körperschemas und der Differenzierung wie Konsolidierung seiner sinnlichen, mental integrativen und auch gattungsbedingt befähigenden Möglichkeiten, in Gestalten des Imaginären und Denkbaren. Bevor ein Kleinkind zu sehen lernt, hört und tastet es. Mit der Entfaltung seiner Sinne entwickelt sich die integrative Leistung ihrer Eindrücke und Auswirkungen auf Befähigungen zum Vorstellen und Denken, sprachlichen Strukturieren. So fällt auf, dass die meisten Kinder mit zwei Jahren ungefähr die Rede vom Ich für sich selbst sinnvoll zu verwenden beginnen, in der Periode auch, in der sich das Langzeitgedächtnis konsolidiert, früheste Erinnerungen behalten werden – aber eben nicht sprachlich (wir erinnern uns nicht daran, was wir in dem Alter gesagt haben), sondern bildlich. Es zeigen sich demnach interdependentielle Konsolidierungen, ohne bereits eine volle Befähigung ihrer körperlichen Ausübung erreicht zu haben. Noch als Erwachsene erinnert uns das Spiel mit dem senkrechten Zeigefinger vor der Nase daran, das wir nicht eine Totalität sehen, vielmehr beide Augen uns Eindrücke vermitteln, die verschwimmen können, werden sie nicht körperlich, unbewusst, mental integriert zu einem visuellen Gesamteindruck. Das bedeutet, die körperliche Integration und Konsolidierung beruht stets auf einer körperlichen Übung, die nie garantiert und stets zu leisten ist (aufgrund körperlicher Gesundheit als Befähigung dazu). Zugleich heißt das: Diese Übung beruht auf einer Balance, mit der zu spielen, sie zu erkunden, zu kultivieren, herauszufordern möglich ist. Medien bieten sich hierfür an, und in den Künsten gibt es zahlreiche Beispiele, in denen Arbeiten genau diesem Experiment geschuldet sind.10 Dank des Körpers haben wir Anteil an der stofflichen Welt, und dank der Bewegung nehmen wir sie und uns wahr. Die räumliche Prägung und zeitliche Verschiebung bildet einen Grundkontrast, der sich im Verhältnis zum eigenen Körper ausdrückt: Erfahrener Raum und erfahrene Zeit fallen nie völlig in eins – deshalb nur kann dies erstrebt werden, von Mystikern –, und indem ein jeder sein Körper ist und zugleich im Verhältnis dazu nur wahrnehmen, erfahren, verinnerlichen, 10 In der bildenden Kunst etwa Installationen von James Turrell, in der Musik die Befragung von Klang und Geräusch bei John Cage, im Film die Lichtexperimente von László, Moholy-Nagy, u. a.
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innerlich anders antworten kann, bildlich, gedanklich, öffnet dieser Zwiespalt die Dynamik von Differenzierung und Konsolidierung, in der stetigen Veränderung von Ausbildung der eigenen Befähigungen, dem Älterwerden mit ihnen und Altern. Phänomenologisch wird dieser Grundkontrast in Anlehnung an die Gestalttheorie seit Aron Gurwitsch und Maurice Merleau-Ponty als einer von Thema und komplementärer Miterscheinung bzw. Figur und Grund gedeutet (ausgehend von Edmund Husserls Unterscheidung von Präsentation, Gegenwärtigung, und Appräsentation, der sie begleitenden Miterscheinung).11 Um das mit einem Beispiel des Gestalttheoretikers David Katz zu verdeutlichen: Mit der Bewegung können wir wahrnehmen – sehen dank der Augenbewegung, fühlen dank der Tastbewegung –, aber wir können dabei die Bewegung selbst nicht berühren, sie schwingt als Grund der thematischen, vordergründigen Wahrnehmung mit, ermöglicht sie, wird auffällig nur in ihrem Schwinden, der körperlichen Ermüdung etwa (oder gar im Schwinden des entsprechenden Sinnes, in der Erblindung, im Taubwerden).12 Das Sehen wie das Hören speist sich also aus dem körperlichen Grundkontrast von stofflicher Prägung (materieller Rückbindung, Trägheit, Konsolidierung) und der damit möglichen Beweglichkeit (in der Zeit/Veränderung und als Erfahrung von Zeitlichkeit, Erfahrbarkeit, Verinnerlichung und innerlicher Entgegnung). Er durchzieht jede Wahrnehmung des Sicht- wie Hörbaren, denkt man etwa an die Ausprägung von Farbeindrücken in Komplementärkontrasten (von Rot und Grün zum Beispiel), die Raumerfahrung imaginärer Vorstellungen (als eine von primär Nähe und Ferne, Figur und Grund, ohne weitere Festigkeiten, Raumgrenzen im Traumbild), das Hören einer Melodie, als kontinuierlich kontrastiv ausgebildeter Folge des Hör- und Unhörbaren (nur dank des Themas noch Mitschwingenden) und an die Zeiterfahrung imaginärer Vorstellungen (in dem nicht selbst zu kontrollierenden, nur mit ihm zu erinnernden Kontrast des unter- wie hintergründigen Vergessens und aufscheinenden Behaltens). Der Phänomenologe Bernhard Waldenfels unterscheidet im weiteren die sinnlichen Differenzierungen im sprachlichen Modus des Als bzw. Als-ob.13 Wann erscheint Sichtbares als Eindruck, wann als Bild; wann Hörbares als Geräusch oder Klang? Die Wahrnehmung von Eindrücken und Geräuschen kann ganz ihr selbst geschuldet sein, ohne dass man sich an diese Eindrücke oder Geräusche später erinnern könnte, sie also bildlich, imaginär, vorstellbar bzw. als Hörerlebnis ver11 Vgl. hierzu Aron Gurwitsch, Das Bewußtseinsfeld, Berlin 1975 und Maurice Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, aus dem Französischen übersetzt von Regula Giuliani und Bernhard Waldenfels, München 32004 sowie Edmund Husserl, Phantasie und Bildbewußtsein, Hamburg 2006. 12 Vgl. David Katz, Der Aufbau der Tastwelt, Leipzig 1925. 13 Vgl. Bernhard Waldenfels, Spiegel, Spur und Blick. Zur Genese des Bildes, Köln 2003.
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innerlicht hätte. Dennoch bedarf die Erfahrung eines Seh- oder auch Höreindrucks als eines solchen des Selbstverhältnisses, von dem als körperlicher Grundkontrast gesprochen wurde. Zumindest flüchtig muss es die Chance einer Integration dieser Wahrnehmung in jenes bereits körperschematische und nicht erst bewusstseinstheoretische Selbstverhältnis geben, mit dem sich bildliches und akustisches Erinnern nur ergibt (der visuelle Gesamteindruck des Sehens mit zwei Augen etwa ist jener körperschematischen Übung ebenso geschuldet wie der damit einhergehenden mentalen, visuellen Anschauung). Responsiv gedacht, vom Eindrücklichen her, entscheidet sich die Integration des Erfahrenen zu einem Eindruck nicht von einem selbst her, sondern erleidet man es, und es ist die Frage der eigenen körperlichen Übung, inwieweit Eindrückliches integriert werden kann – Sicht- wie Hörbares kann unterschwellig sein oder zu grell/laut, blendend/ohrenbetäubend bzw. als angenehm erfahrbar, usw. Auch dieser Bereich kann medial erkundet werden, indem bildende Künstler und Musiker Extreme ausloten, Olafur Eliasson eine künstliche Sonne in der Tate Modern installiert oder aufgrund der Verstärkertechnik Drone-Music die Körper der Zuhörer vibrieren lässt.14 Als Eindrück oder Geräusch manifestiert sich dem Sehenden oder Hörenden nur, was nicht zugleich sein Verlangen nach einem Eingehen, Umgang auf und mit dem Erlittenen blendet oder betäubt (indem das Gesehene oder Gehörte traumatisierend wirkt, überfordert, die Integration selbst blockiert). Das körperliche Selbstverhältnis bildet als eines in der Beweglichkeit auch ein damit Gefühltes, Gespürtes aus, im Verhältnis von Kinästhesie und Psyche. Sich frei bewegen zu können, öffnet ein unbeschwertes Gefühl, körperlich beschränkt zu werden, weckt Ängste. Das körperliche Selbstverhältnis drückt sich aus, als Befindlichkeit, die gleichfalls Teil der eigenen Balance ist, und die wie körperliches Erlernen und Aus-Üben das Gedächtnis prägt, indem Angst und Euphorie etwa sich darin seinen Strukturen nach auswirken, in angstbehafteten oder euphorisierenden Bildern und Gedanken. In diesem Dreiklang, von Körperschema, Psyche und Imaginärem, Denkbarem sind wir nie gefestigt, bleiben immer fragil, der Übung und Erhaltung des Körpers ausgesetzt. In diesem Sinne streben wir nach Konsolidierungen unserer selbst, Manifestationen, die behalten, nicht nur ein-, sondern auch ausgeübt werden können, nach der Integration als als. Als Eindruck kann ich ihn behalten, mich seiner vergewissern, an ihn erinnern, ihn als solchen mitnehmen in dem Bestreben nach einer ihm angemessenen Artikulation, nicht anders wie im Falle eines Geräusches. Hast du das auch gehört? Was? Ich habe nichts gehört. Aber da war doch was. Was denn?
14 Vgl. Eliassons Arbeit The Weather Project von 2003 sowie die Konzerte der Gruppe Sunn O))).
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Was ich als Seheindruck behalte, mag sich als Bild äußern. Will ich das Wahrgenommene mit anderen teilen, bedarf es einer erneuten Umwandlung aus dem bereits Integrierten heraus, gemäß der ich anderen einen Eindruck davon geben kann, was mich ›beeindruckt‹ hat. Wenn zum Beispiel zwei Sehende eine Situation teilen, und einer hat etwas gesehen, das er dem anderen mitteilen will, dann kann er – für den Anderen deutlich – mit dem Finger darauf zeigen. Der Fingerzeig verweist nach der eigenen Integration eines Eindrucks als solchem auf das Verlangen, dieses Erlebnis teilen zu wollen. Der Eindruck des Fingerzeigs weist auf den intendierten Eindruck und durchzieht ihn, thematisch, als Figur auf etwas anderes, das nur im Absehen vom Finger erscheint, in der Umstruktierung des Gesichtsfeldes auf die angedeutete, andere Figur-Grund-Relation in der Nähe oder Ferne. Der Eindruck des Fingerzeigs, sein Als, erhält einen zusätzlich verweisenden Charakter, indem das Angezeigte bereits als Eindruck anvisiert wird, mnemotechnisch und sprachlich durchdrungen und damit dem Bildhaften zugänglich. Als Bild zeichnet sich etwas ab, das erinnert werden kann. Eindrücke, Bilder, Geräusche und Klänge drängen sich allesamt auf, aber Bilder und Klänge folgen bereits den imaginären Möglichkeiten der Integration, während Eindrücke und Geräusche drastisch, radikal fremd bleiben können. Diese imaginären Möglichkeiten sind nach Immanuel Kant grundlegend formeller, nach phänomenologischer Sicht struktureller Art. Zeit als Form der Anschauung, Figur und Grund als Kontrast jeder Bildlichkeit. Wiederum öffnen sich damit mediale, künstlerische Experimentierfelder: musikalisch, literarisch, filmisch, bildkünstlerisch in Formen der Zeiterfahrung oder der Verknappung auf einen Grundkontrast (ein einziges Bild, zum Beispiel). Der Modus des Als-ob bezeichnet darüber hinaus zugleich einen Bruch und eine Verschränkung mit dem Als (einem stiftenden, kontrastiven, durchkreuzenden Chiasmus entsprechend15). Als ob hier jemand gewesen wäre heißt: Hier könnte jemand gewesen sein; sicher ist es nicht, aber auch nicht ausgeschlossen. Das Als-ob partizipiert am Als, um es in seine Befragung, Infragestellung zu überführen. Insofern führt es ein in den sprachlichen Charakter des verstärkt Imaginären, vermindert Wahrnehmbaren. Es überlagert den Eindruck, das Bild, vom Vorstellbaren, Denkbaren her. Die Bewegung der Integration, im fragilen Zusammenspiel von Körper, Psyche und Imagination, wird somit vom Denk- und Vorstellbaren aus differenziert. Das Geräusch als Geräusch wird zum Als-ob sei15 Vgl. hierzu näher Volkmar Mühleis, Ein Kind lässt einen Stein übers Wasser springen. Zu Entstehungsweisen von Kunst, München 2011, S. 23–24 sowie Bernhard Waldenfels, Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen. Modi leibhaftiger Erfahrung, Frankfurt am Main 2009, S. 49–50 sowie allgemein zum Thema des Chiasmus das gleichnamige Kapitel in: Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, a.a.O., S. 172ff.
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ner selbst, indem wir nicht mehr wissen: War da etwas? Der Entzug aus der Wahrnehmung – rudimentäre, lose Wahrnehmung –, provoziert das Imaginieren, das Ungesehene sehen zu wollen, es sich einzubilden, Bilder dafür zu finden. Und wieder begegnen wir einem Verhältnis, das künstlerische Experimente eröffnet: Die Andeutung zieht Aufmerksamkeit auf sich, die Aussparung weckt die Neugier, das Fragment suggeriert ein Ganzes, der blinde Fleck stiftet den Seheindruck, indem er mental übersehen wird. Wenn mit dieser Beschreibung der Entstehung von Sicht- und Hörbarem deutlich wird, in welchen Verhältnissen das Bemühen um das Sehen und Hören von Bildern und Klängen sich für Sehende und Hörende abspielt, welche Konsequenzen hat dann die Verschiebung der Konstellationen, wenn der Sehende dem Blinden über das Hören Gesehenes vermitteln will? Zu welcher Übung der jeweiligen Integration und Balance führt dies?
7. NARZISS UND ECHO IM CENTRE POMPIDOU Aufgrund der fragilen körperlichen Balance zwischen Differenzierung und Konsolidierung im Spannungsfeld der eigenen Handlungsfähigkeit und selbstvergewissernden Integration wurden vier entscheidende Angelpunkte dieser Balance bezeichnet, die gleichfalls Möglichkeiten künstlerischer Experimente und Erkundungen bieten: a) die Aufgabe der Integration sinnlicher Eindrücke zu einem ganzheitlichen Erleben (wie etwa dem Eindruck eines Gesichtsfeldes vermittels des biokularen Sehens); b) die Schwellen der Wahrnehmbarkeit und ihrer Überforderung; c) die gestaltende Erkundung der Formen und Strukturen perzeptiver und imaginärer Bedingungen sowie d) das Herausfordern imaginärer und mentaler Kompensationen und Projektionen im Entzug des Wahrnehmbaren. Das künstlerische, bildbeschreibende Experiment von Piccinato und Bavčar akzentuiert die erste genannte Möglichkeit (a) insbesondere für den Blinden, der aus partiellen sinnlichen Eindrücken einen Gesamteindruck zu erleben sucht; die zweite Möglichkeit (b) wird hier nicht erkundet, die Darstellung Piccinatos reizt nicht die Wahrnehmbarkeit aus; die dritte (c) erfolgt vor allem im Spiel Piccinatos mit der Klangerzeugung und Vibration; und die vierte Möglichkeit (d) gilt wiederum verstärkt für Bavčar, der im Entzug alles Farblichen es imaginär zu erhalten und sich weiterhin vorzustellen versucht. Im Zusammenhang mit dem Mythos von Narziss und Echo war gesagt worden: ›In der Reduktion auf Einheit und Direktheit entsteht miteinander ein Missverständnis, das nicht produktiv, sondern nur verhängnisvoll, sprich tragisch für die Protagonisten und komisch wiederum für die Betrachtenden ist. Man kann das Verfehlen allein produktiv machen, indem man die Reduktion aufbricht, zugunsten von Vielfalt und Indirektheit, innerhalb
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der gleichen Szene, des gemeinsamen Bezugsrahmens, etwa der Konzentration auf das zu beschreibende, sich vorzustellende Gemälde.‹ Diese Vielfalt und Indirektheit zeigt sich nun im Zusammenhang genealogischer Überlegungen zum Entstehen von Bild und Klang, dass nämlich die Verteilung der Rollen bei Piccinato und Bavčar zwischen a), c) und d) ausfällt, mit einem Schwerpunkt von a) und d) bei letzterem. Es entsteht dadurch eine überaus komplexe Situation, die bis auf einen Aspekt alle genannten Angelpunkte einbezieht, nicht länger mythisch klaren Identifikationen des Visuellen und Auditiven zugeschrieben, vielmehr gebrochen verteilt auf die beiden Protagonisten im Film. Dadurch mag auf den ersten Blick nicht einmal der Gedanke an den erwähnten Mythos aufkommen (auch deshalb, weil offensichtlich die erotische Note fehlt und beide sich ganz auf die Sache konzentrieren). Piccinato aber artikuliert die Visualität, wie Narziss, klanglich (wieder von dem narrativen Moment befreit, also nicht klagend, und dennoch strukturell äquivalent). Der Blinde verlangt im Hören nach visuellen Eindrücken, farblichen ›Echos‹, wenn man so will. Er beschreibt nicht aktiv, was er sich vorstellt, wie Echo selbst bleibt er passiv, lauschend. Insofern erfährt man als Zuschauer und/ oder -hörer nicht, wie Bavčar die Herausforderung von a) und d) erfährt, die Suche nach einem auditiv, partiell nur gespeisten Gesamteindruck im Farblichen und die damit einhergehende, imaginäre, ergänzende Leistung. Bei Piccinato ist es in erster Linie das horizontale Vibrieren der Stimme, über elf bzw. dreizehn Sekunden hinweg, das visuell einem Flackern gleicht, lodern, und mit dem die Form des Klangs stets als Geräusch mitschwingt, das Unsaubere mit dem gehaltenen Ton, die strukturelle Ambivalenz als Grund sinnlicher Erfahrung. Dieser letzte Aspekt ist für alle Beteiligten wahrnehmbar, auch die Zuschauer und -hörer des Films. Er zieht damit die Aufmerksamkeit auf sich, auch wenn er nur einen der drei genannten Angelpunkte betrifft.
8. ÄSTHETISCHE EKPHRASIS Der griechische Begriff der Ekphrasis, Bildbeschreibung, kommt aus der sophistischen Rhetorik und war darin stets Teil einer Rede, bei der es darum ging, eine Mehrheit von Menschen zu beeindrucken und zu überzeugen. Nichtsdestotrotz sind auch in diesem Zusammenhang bereits einige Merkmale wichtig, welche die Fortschreibung des Begriffs mit prägen sollten: dass Worte Vorstellungsbilder erschaffen, die einen berühren; dass diese Vorstellungsbilder als inneres Sehen in Analogie zum perzeptiven Sehen verstanden werden (bei Hermogenes zum Bei-
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spiel16); und dass die Beschreibung systematisch zu erfolgen habe, sprich einen aussagekräftigen Angelpunkt für das Ganze zu finden, um es dann Schritt für Schritt zu beschreiben und nicht mit dem schlichtweg persönlich bevorzugten Eindruck zu beginnen. Während die Beschreibung also nicht dem Kunstwerk diente, sondern dessen Inanspruchnahme für die Überzeugungskraft, gelang diese doch aber nur, wenn es nicht willkürlich dargestellt wurde, sondern zielgerichtet, ihm gemäß. In der späten Ekphrasis, bei Nikolaos von Myra (4. Jahrhundert n. Chr.), rücken die Maßstäbe des Kunstwerks indirekt selbst in den Vordergrund, aufgrund einer poetologischen wie rezeptiven Kontextualisierung, indem Berichte über den Künstler und solche über die Wirkung der Arbeit bei anderen mit eingeflochten werden. Durch die Kontextualisierung wird das Werk herausgehoben, von seiner direkten Indienstnahme befreit, zugunsten einer erweiterten Inanspruchnahme, die eben zugleich ein erweitertes Interesse am Kunstwerk selbst zulässt, so dass Nikolaos dezidiert zwischen Darstellung und Dargestelltem unterscheidet, Statuen, Bildern und Menschen.17 Das wiederum ermöglichte eine Akzentuierung des berührenden Charakters der Bilder, durch die rezeptive Kontextualisierung. Ebenfalls im 4. Jahrhundert n. Chr. beschreibt Asterios dann ein Kirchenbild der Heiligen Euphemia hinsichtlich ihre Märtyriums vor allem in seiner affektiven Eindrücklichkeit, konform des dramatischen Inhalts der Darstellung.18 Im Unterschied zur Rhetorik richten sich ästhetische Praktiken seit dem 18. Jahrhundert nicht an Mehrheiten, sondern an soziale Strukturen von ihren individuellen Trägern her, und wie diese mit ihrer Individualisierung zu diesen Strukturen beitragen können. Schon Immanuel Kant betonte, dass Originalität des Einzelnen eine in Kunstformen indirekt mitteilbare zu sein habe, um ein gemeinsames Reflektieren der individuellen Kunsterfahrungen zu ermöglichen.19 Dieses gemeinsame Reflektieren ist nicht von Konformitäten erzeugt, es spricht von der individuellen Erfahrung der Freiheit her, wie sie – nach Friedrich Schiller – nur mit dem Kunstwerk erlebt werde, indem es seiner Indienstnahme tout court enthoben wird, zugunsten der Anregung imaginierender Spontaneität als 16 Vgl. Hermogenes, »Progymnasmata 10«, in: Hermogenis opera, herausgegeben von Hugo Rabe, Stuttgart 1985, S. 23, Zeile 10; sowie Fritz Graf, »Ekphrasis: Die Entstehung der Gattung in der Antike«, in: Boehm/Pfotenhauer (Hg.), Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung, a.a.O., S. 143–156, hier: 147. 17 Vgl. ebd., S. 148–149. 18 Die früheren Bildbeschreibungen von Philostratos bedürfen in diesem Rahmen einer eigenen, näheren Untersuchung, vgl. hierzu Schönberger, »Die Bilder des Philostratos«, a.a.O.; sowie Philostratos, Die Bilder, nach Vorarbeiten von Ernst Kalinka herausgegeben, übersetzt und erläutert von Otto Schönberger, München 1968. 19 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Hamburg 1990, S. 161 (§ 46,182).
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solcher, entsprechend der Befreiung zielgerichteter, wissenschaftlicher, logischer Argumentation zugunsten des fragenden, philosophischen, eidetischen Denkens. Ästhetik führt also eine vielfache Indirektheit ein: von Originalität und Mit-Teilbarkeit, von mentaler Freiheit und ihren Konsequenzen für ein Zusammenleben, das von ihr zehrt, aus ihr schöpft. Das Entstehen der Ästhetik im 18. Jahrhundert ist nicht von den politischen Umbrüchen der Zeit zu trennen, auf die ebenso Kant wie Schiller reagiert haben, insbesondere den demokratischen Ansprüchen und damit einhergegangenen Gewaltexzessen in Frankreich. Wenn die aristokratische, feudale Ständegesellschaft zusammenbricht und an ihrer Stelle eine Demokratie treten soll, die ausgeht von der gleichen Freiheit aller und der damit verbundenen solidarischen Verpflichtung füreinander, sich entsprechend politisch zu organisieren, in einer periodisch frei zu wählenden Vertretung der Bevölkerung, so dass nicht erneut die Permanenz einer Herrschaft eingefordert werden kann und so die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger garantiert bleibt, dann bedürfen diese Bürgerinnen und Bürger auch der Erfahrung von Freiheit, und diese Erfahrung gewinnen sie exemplarisch, so Schiller, im Vorstellen und Denken, anhand von Werken, die selbst Zeugnisse sind von dem Bedürfnis nach einer solchen Erfahrung: freie Kunst. Während die rhetorische Ekphrasis demnach mit Worten Vorstellungsbilder schuf, in Anlehnung an Sichtbares, die kollektiv berühren sollten und insofern angemessen systematisch zu beschreiben waren, bis hin zur Kontextualisierung der Werke selbst und ihrer damit verbundenen Akzentuierung, dann führte die Ästhetik in all diese Aspekte den Anspruch der Freiheit ein, und wie direkte Verhältnisse in indirekte erweitert werden können. Piccinato beschreibt das Gemälde Pollocks weder mit Worten noch mit einem kollektiven Anspruch, und er kontextualisiert es kaum (lediglich mit dem Verweis auf Michaux). Er gibt seine ungefähren Maße an, indem er Bavčars Hände an die Ecken des Bildes führt. Seine Beschreibung gilt der Malweise – wieder indem er die Hand seines Gegenübers nimmt und gestisch führt – und der Farben. Was als Systematik verstanden werden kann, beschränkt sich hier auf das Angeben einiger weniger Äquivalenzen: wofür der Klang A farblich steht, das Ä, etc. Diese Äquivalenzen werden in Höhe des Gemäldes von Piccinato erzeugt, dabei streng auf die gesungenen Stellen im Bild achtend. Weiter werden sie aber nicht erörtert, in welchen Verhältnissen im Bild sie jeweils zueinander stehen, zum Beispiel. Zugleich dienen sie der Vorstellung eines bereits lang schon Erblindeten, dem es um Nuancen verbliebener Farbeindrücke geht. Welche Komplexität der Darstellung würde mit seiner Vorstellung noch korrespondieren? Piccinato und Bavčar nehmen sich die künstlerische Freiheit des Experiments, in der ästhetischen Tradition, um damit auch zu erkunden, was Bildbeschreibung in diesem Fall bedeuten kann. Konform dieser Position betonen sie eine Vermitt-
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lung der Affektion, der Berührung. Klänge suggerieren Farben. Evozieren Klänge aber auch Bilder? Selbstverständlich können sie das, auf bestimmte Weise, wenn sie als Zeichen codiert sind, vor allem jedoch unbestimmt (man betrachte nur einmal die numerische im Vergleich zur metaphorischen Titelgebung von Musikstücken). Welcher Musik bedürfte es, um Pollocks Gemälde Painting (Silver over Black, White, Yellow and Red) klanglich zu beschreiben, im ästhetischen Sinne ihm gerecht zu werden, als freie Beschreibung? Könnte ein Free Jazz Ensemble dieses Bild spielen, einer ähnlichen Anleitung von Äquivalenzen nach, wie auch Instrumente und Stimmen in Partituren darstellende Funktionen übernehmen können, in der Oper, im Musiktheater? Jetzt schon wäre ich neugierig auf diese Aufführung. Um die Freiheit aber auch vor der Ausschließlichkeit wiederum ihrer Inanspruchnahme zu bewahren, könnte es, wie gesagt, nicht darum gehen, das Wort und damit auch die Rhetorik völlig zu negieren, sondern vielmehr als Stimme einzubetten, in den insgesamt indirekten Versuch, das Pikturale, Sichtbare, Pigmentierte, anderen Sinnen und Vorstellungen zu öffnen, eingedenk seiner Besonderheiten, materiell und in der Erscheinung. Vielleicht wäre das also ein Ausblick auf ein künstlerisches Forschungsprojekt: eine beschreibende Partitur für Ensemble und Deskriptor von Jackson Pollocks Gemälde Painting (Silver over Black, White, Yellow and Red).
Schrift- und Klangbildlichkeit Zeichen-Installationen des chinesischen Künstlers Xu Bing Arne Klawitter
1. IM REICH DER STUMMEN ZEICHEN Für die meisten westlichen Betrachter ist die chinesische Kunst eine der Vergangenheit: Man denkt zuerst an Terrakotta-Soldaten, Kaisergräber, kalligrafische Zeichen und an Rollbilder, die Pavillons oder eine Hofgesellschaft darstellen. Ende der 1980er Jahre kam es plötzlich, ganz spontan, wie es schien, zu einem künstlerischen Aufbruch, den man im Westen als ›China Avantgarde‹ feierte. Das Jahr 1985 gilt allgemein als Beginn dieses Umbruchs. Eine kleine Gruppe von Künstlern, die sich selbstbewusst ›Modernisten‹ (xàn dài pài) nannten und zu denen Wang Guangyi, Huang Yong Ping, Zhang Xiaogang und Gu Wenda zählten, präsentierte auf einer Ausstellung Werke, die die Vorgaben des sozialistischen Realismus längst hinter sich gelassen hatten und stattdessen Elemente der Pop Art integrierten. Diese provokative konzeptuelle Kunst hatte ihren ersten Höhepunkt dann 1989 mit der Ausstellung »China Avant-Garde Exhibition« und erhielt in Erinnerung an ihr Geburtsjahr den Namen »85 New Wave Movement«. Einige Jahre später sorgte der Künstler Xu Bing (geb. 1955) in Peking mit seinem monumentalen Projekt Tianshu, dt. »Bücher des Himmels« (1987–1991), für Aufsehen und reichlich Diskussionsstoff. Für seine Installation kreierte er über viertausend Schriftzeichen, die auf besondere Weise die Tradition und den Zeichencharakter der chinesischen Schriftzeichen thematisieren und zugleich hinterfragen (Abb. 01). Die Menge war nicht ohne Grund auf diese doch recht große Anzahl festgelegt, denn so viele Zeichen muss ein Chinese ungefähr beherrschen, um seine Alltagslektüre zu bewältigen, zu der neben Tageszeitungen auch staatliche Propagandaschriften gehören. Erste Teile seines Buchdruckprojekts zeigte der Künstler bereits 1987 auf der Ausstellung seiner Drucke und Holzschnitte in Peking. In den Folgejahren weitete er seine vornehmlich auf den Buchdruck
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Abb. 01: Xu Bing, A Book from the Sky Installation, 1987–1991
Abb. 02: Xu Bing, A Book from the Sky Installation, 1987–1991
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beschränkte Arbeit zu einer umfangreichen Installation aus, die ebenso wie die Folgeprojekte durch das konzeptionelle Spiel mit der Schriftbildlichkeit und den Klangbeziehungen von Zeichen unterschiedlichen Ursprungs die Betrachter verwirrt und Anlass zu zahlreichen Diskussionen und Reflexionen gab und weiterhin gibt. Außergewöhnlich an Xu Bings Zeichenkonstrukten ist, dass sie mit keiner konventionalisierten Lautung verbunden werden können und keinerlei Bedeutung besitzen: Sie sind stumm, leer und inhaltslos, reine ästhetische Form. Sie ähneln nur den wirklichen Zeichen; tatsächlich aber sind sie erfunden – allerdings nicht frei erfunden, denn sie unterscheiden sich nur in geringfügigen Details von den realen chinesischen Schriftzeichen. Durch die geschickte Manipulation des Zeichenmaterials werden selbst diejenigen, die chinesische Zeichen lesen könnten, zu Analphabeten, und die chinesischen Besucher der Ausstellung, die unentwegt versuchen, die Zeichen, die sie für die ihrer Sprache halten, finden sich plötzlich in dieselbe Situation versetzt, in die Europäer geraten, wenn sie nach China kommen, ohne Chinesisch gelernt zu haben. Für die »Bücher des Himmels« verwendete Xu Bing ausschließlich die von ihm modifizierten Zeichen. Äußerlich aber entsprachen die Bücher mit den indigofarbenen Einbänden und der weißen Fadenheftung ziemlich genau ihren Vorbildern aus der späten Song-Dynastie des 11. Jahrhunderts. Auch in der Drucktechnik hielt sich Xu Bing exakt an die Vorgaben der alten chinesischen Buchdruckkunst. Drei Jahre hatte es gedauert, bis der Künstler alle nötigen Schriftzeichen in Holzblöcke geschnitzt hatte, die beim Druck seiner Bücher verwendet wurden. Über den auf dem Boden ausgelegten Büchern waren fünf große, mit unzähligen Schriftzeichen bedruckte Papierbahnen befestigt, die wie Baldachine von der Decke herabhingen und den Eindruck ins Monumentale überhöhter buddhistischer Schriftrollen hervorriefen, was nicht zuletzt durch die kalkuliert eingesetzte Beleuchtung einen ganz eigenen ästhetischen Eindruck evozierte. Auch im Format gleichen die von Xu Bing mit äußerster Sorgfalt gefertigten Bücher den kanonischen Klassikern. Auf der ersten Seite sind in dem aufgeschlagenen Buch links drei große Zeichen zu erkennen (Abb. 02), die den Titel benennen. Auch die anderen Bücher lassen verschiedene Details erkennen, so z. B. die kleingedruckten Randbemerkungen oberhalb des Schriftfeldes oder an den Seiten (siehe die Bücher im Bildhintergrund). Die Seitenangaben befinden sich gewöhnlich unterhalb des Textes, wobei die Zahlen in viereckige Kästchen gesetzt worden sind.
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Abb. 03: Fingierte Schriftzeichen aus A Book from the Sky Installation, 1987–1991
2. FINGIERTE SIGNIFIKATION Die grundsätzliche Frage, die Xu Bing mit seinen abgewandelten Schriftzeichen aufwirft, betrifft die Unterscheidung zwischen einer bloßen Strichfolge und einem signifizierenden Zeichen. Was dergleichen Schriftkonstrukte aus semiotischer Perspektive so interessant macht, ist, dass sie die Grenze zwischen der Signifikation und dem Nichtsignifikativen erkunden, woran sich eine Reihe von Fragestellungen anschließt: Unter welchen Bedingungen funktioniert ein Zeichen als Zeichen? Welche Rolle spielen unleserliche oder unlesbare Zeichen in der Zeichenwelt der Gegenwart? Was geschieht mit Schriftzeichen, wenn man sie modifiziert, und welcher Spielraum ist dafür erlaubt? Inwiefern handelt es sich bei diesen Modifikationen überhaupt noch um Zeichen, und sind sie auch dann noch Zeichenträger (Signifikanten), wenn das Bezeichnete nicht mehr unmittelbar präsent ist? Von welcher Art sind solche Signifikanten, die ihr Signifikat eingebüßt haben? Sind sie lediglich Monumente ihrer Schriftbildlichkeit oder können sie neue Bedeutungen generieren? Xu Bing modifiziert die vorgefundenen Zeichen ja nicht, um neue zu schaffen, sondern um sie ihrer Zeichenhaftigkeit zu berauben.
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Wenn hier ein Strich fehlt oder dort einer hinzugesetzt wird, dann kann auf diese Weise das Zeichen derart verfremdet werden, sodass eine Wiedererkennbarkeit und ein Funktionieren im Zeichensystem unmöglich werden. Eine Ähnlichkeit mit dem realen Zeichen ist in diesem Falle nicht mehr ausreichend, um das Zeichen im System der Kommunikation funktionieren zu lassen. Es ist in der Forschung bereits darauf hingewiesen worden, dass Xu Bing bei der Schaffung seiner fingierten Zeichen genau jene Regeln beachtet, denen Psychologen folgen, wenn sie Pseudozeichen für ihre psychologischen Experimente kreieren, wobei sie ganz besonders darauf achten, dass die Radikale, die sogenannten Wurzelzeichen, in den ihnen traditionell zugewiesenen Positionen verbleiben, wie man es von den gewohnten Zeichen her kennt.1 Das Zeichen 江 (jiang, dt. ›Fluss‹) mit dem Radikal ›Wasser‹ wird für ein psychologisches Experiment beispielsweise dahingehend verändert, dass der linke Teil mit dem Zeichen für ›Jade‹ 玉 (yu) verknüpft wird, wobei das Zeichensimulakrum 氵玉 entsteht. Daraus könnte man einen Begriff wie etwa ›Wasserjade‹ herauslesen, aber das Zeichen, so wie es hier geschrieben steht, gibt es nicht: Es ist ein völliges Novum. Dennoch ergibt sich eine neue, gleichsam ›imaginäre‹ Bedeutung, die aber nicht konventionalisiert ist. Ein weiteres Beispiel wäre das Zeichen 姐 (jie), das ›ältere Schwester‹ bedeutet. Während der linke Teil mit der Bedeutung ›Frau‹ erhalten bleibt, wird beim Experiment der rechte Teil des Zeichens durch ⻊ersetzt. Es handelt sich dabei um ein Zeichenelement für ›Fuß‹ und ist z. B. ein Bestandteil des Zeichens für ›Zehe‹: 趾 (zhi). Aber auch dieses Zeichen gibt es in der Schreibweise 女⻊nicht. Man könnte bei seiner Ausdeutung zudem einer Assoziation folgen, die sich aus der horizontalen Anordnung der Radikale auf der rechten Seite ergibt: 口止. Das Zeichen 口 (kou) hat die Bedeutung ›Mund‹, und 止 (zhi), zugleich die lauttragende Komponente des Zeichens, bedeutet soviel wie ›anhalten, stoppen› verbieten, verhindern‹. Das Zeichenkompositum 口止 würde demnach so etwas wie ›nicht sprechen‹ oder ›aufhören zu sprechen‹ assoziieren. Ein ähnliches Verfahren hat auch Xu Bing verwendet. Unterlegt man dem fingierten Zeichen (Abb. 03, oben rechts) eine solche Intention, dann wäre als Ausgangszeichen 岩 (yan) anzunehmen, das sich aus den Elementen 山石 (›Berg‹ und ›Stein‹) zusammensetzt und soviel wie ›Felsen, Klippe‹ bedeutet. Das obere 1 Vgl. Robert E. Harrist Jr., »Book from the Sky at Princeton: Reflections on Scale, Sense, and Sound«, in: Jerome Silbergeld/Dora C.Y. Ching (Hg.), Persistence/Transformation. Text as Image in the Art of Xu Bing, Princeton 2006, S. 25–45; ebenso Brendan Weekes/May Jane Chen/Bo-lin Yin, »Repetition Priming Effects of Chinese Characters and Pseudocharacters«, in: Hsuan-Chih Chen (Hg.), Cognitive Processing of Chinese and Related Asian Languages, Hongkong 1997, S. 171–186.
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Zeichen für ›Berg‹ bliebe hierbei erhalten, während das untere vom Künstler ausgetauscht wird, und zwar durch das Zeichen 疋 (pi), das soviel bedeutet wie ›Stoffballen‹ oder ›eine Rolle aus Stoff‹ (früher auch ein Längenmaß für Seidenstoffe). Das Verfahren ließe sich auch auf andere Zeichenmodifikationen anwenden. Die Neuschöpfung oben links in der Abb. 03 setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Der obere Teil besteht aus dem Zeichen 止 (zhi), was soviel wie ›aufhören‹ bedeutet, und der untere Teil aus dem Zeichen 方 (fang) in der Bedeutung von ›Richtung‹ oder auch ›Quadrat‹. Beide sind zwar reale Zeichen, doch gibt es im Chinesischen kein in dieser Kombination zusammengesetztes Zeichen. Das Gleiche gilt für das darunter stehende Zeichengebilde, das ebenfalls aus zwei Teilen besteht, in dem das obere Zeichen 甘 (gan) ›süß‹ bedeutet und das untere Zeichen 勿 (wu) soviel wie ›nicht‹ oder ›nein‹. Man könnte das Ganze dahingehend interpretieren, dass man nichts Süßes essen solle, doch auch für diese Zeichenkombination gibt es keinerlei Vorbild in der Realität. Das vierte Zeichen unten rechts schließlich scheint auf den ersten Blick eine Modifikation des realen Zeichens 危 (wei) zu sein, das soviel wie ›Gefahr, Unheil, Unglück‹ bedeutet und hier gleichsam verstärkt wird durch das Zeichen 凶 (xiong) mit einer ähnlichen Bedeutung. Letzteres leitet sich vom Radikal 凵 (qu) für ›Grube, Behälter, geöffneter Mund‹ ab. Eine mögliche Bedeutung dieses imaginären Zeichens als Ganzes wäre dann ›doppeltes Unglück‹. Doch auch dieses Zeichen gibt es realiter nicht. Bei allen hier vorgestellten Beispielen handelt es sich um einfache Zusammensetzungen. Für die weit komplexeren Zeichen, wie sie im »Buch des Himmels« weit häufiger zu finden sind, kombinierte Xu Bing nicht nur Radikale, sondern er modifizierte sie auch, so z. B. durch Hinzufügen oder Weglassen einiger Striche. Wir haben es hier demnach mit künstlerischen Zeichenexperimenten zu tun, die ihrerseits auf höchst rationalen Verfahrensweisen beruhen und deren Ziel darin besteht, den Zeichen ihre Bedeutung vollständig zu entziehen, um gleichsam nur Zeichenreste zurückzulassen, die die »Abwesenheit eines Werkes« (Blanchot) indizieren.
3. DIE REINE SPUR DER SCHRIFT Für eine zeichentheoretische Deutung dieser ihre Schriftbildlichkeit ausstellenden Zeichenkonstrukte seien im Folgenden zwei Möglichkeiten vorgestellt. Zum einen kann man sie mit Foucault als »ontologische Hinweise«2 betrachten, die das 2 Michel Foucault, »Die Sprache, unendlich«, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Band I: 1954–1969, herausgegeben von Daniel Defert und François Ewald, aus
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Sein der Sprache indizieren. Im Gegensatz zu selbstreferenziellen Zeichen zeigen solche Indikatoren nicht, dass sie zeigen; stattdessen wird die Verweisungsfunktion suspendiert, sodass sie zeigen, dass sie nicht zeigen. Mit Zeichen, die das Sein der Sprache indizieren, hat man es normalerweise dann zu tun, wenn diese ›Zeichen‹ signalisieren, dass sie Zeichenformen sind, ohne aber tatsächlich auf etwas Außersprachliches zu referieren bzw. einen Sinnzusammenhang zu vermitteln. Das wäre z. B. bei einer unleserlichen Handschrift der Fall, die die Vermutung nahe legt, dass sie sehr wohl etwas bedeutet, doch mit der Einschränkung verbunden ist, dass sie sich nicht entziffern lässt. Eine andere Situation tritt jedoch dann ein, wenn die Zeichen bewusst so arrangiert oder manipuliert werden, dass sie eine Signifikation lediglich fingieren. Genau das trifft auf die konstruierten Schriftzeichen von Xu Bing zu. Allerdings gibt es eine Besonderheit, die dieses Erklärungsmodell infrage stellt, denn die zur Veranschaulichung des Verfahrens ausgewählten Beispiele gestehen der Fantasie einen gewissen Spielraum zu und regen den Betrachter dazu an, nach imaginären Bedeutungen zu suchen. Xu Bings Zeichenkonstrukte erschöpfen sich also nicht allein in ihrer Schriftbildlichkeit und in der Indikation des Nichtsignifikativen, auch wenn diese durch das angewandte Verfahren und die Installation als Ganzes in den Vordergrund gerückt wird. Die zweite Möglichkeit einer Deutung oder zeichentheoretischen Erklärung ließe sich mit Jacques Derrida finden, denn auf Xu Bings fingierte Zeichen trifft im gewissen Sinne auch das zu, was Derrida in seinem Aufsatz Die différance über den grafischen Unterschied zwischen différence und différance bemerkte: »[E]r läßt sich schreiben oder lesen, aber er läßt sich nicht vernehmen.«3 Das stumme Spiel der Differenzen, welche in erster Linie als Schriftspuren verstanden werden, sieht Derrida als die Bedingung der Möglichkeit des Funktionierens eines jeden Zeichens an. Dieser Gedanke ließe sich problemlos auf Xu Bings Zeicheninstallation übertragen, sofern im Zwischenbereich zwischen Zeichen und Nicht-Zeichen Anordnungen von Strichzügen kreiert, modifiziert und unentwegt ›differiert‹ werden, die als ein System leerer Signifikanten erscheinen. Xu Bings Zeichensimulakren laden zur Deutung und Interpretation ein, die sie im selben Moment sabotieren. Sie setzen auf diese Weise den Entzug des Sinns in Szene, wobei die Szenerie eben die Schriftbildlichkeit des Zeichens ist. Sie eröffnen dabei ein freies, assoziatives Spiel von Differenzen, die der realen, funktionierenden Schrift vorausgehen und im Sinne einer Dekonstruktion der chinesischen Schrift dem Französischen von Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek und Hermann Kocyba, Frankfurt am Main 2001, S. 342–356, hier: 346. 3 Jacques Derrida, »Différance«, in: ders., Randgänge der Philosophie, aus dem Französischen übersetzt von Eva Pfaffenberger-Brückner, Wien 1988, S. 29–52, hier: 30.
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aufgefasst werden könnten.4 Mit Derrida ließe sich sagen, dass Xu Bings »Bücher des Himmels« eine Schrift präsentieren, die so weit modifiziert worden ist, dass sie sich dem Nicht-Sinn öffnet: eine Schrift, für die es keine Lautung gibt und die daher nur grafisch existiert oder vielmehr: Spuren der Schrift vor jeder Bedeutung. Mit der Vorstellung einer ›Ur-Schrift‹ hatte Derrida in seiner Grammatologie versucht, sich dem Phonozentrismus der abendländischen Schriftkritik zu entziehen.5 Er kennzeichnet die Auffassung von Leibniz, der in der chinesischen Sprache das Modell einer philosophischen Sprache erblickte, zwar als ein »Verkennen« und hält sie für gleichsam »rationalistisch und berechnend«6. Aber er folgt trotzdem in gewisser Weise dem Weg jener Philosophen, die in der chinesischen Schrift eine Alternative zur abendländischen Metaphysik sahen. Derrida bezieht sich in seiner Argumentation (allerdings recht unkritisch) auf den Sprachwissenschaftler Ernest Fenollosa, der bereits Ezra Pound zu einer ideogrammatischen Poetik inspiriert hatte. Dennoch geht er nicht so weit, wie einige seiner Kritiker behaupten,7 die chinesische Schrift tatsächlich als ›Ur-Schrift‹ anzusehen, die er in der Grammatologie als ein ursprüngliches Auf- und Verschieben der Präsenz und als eine vorgängige Spaltung jeden Ursprungs beschrieben hat. Xu Bings Zeichensimulakren sind im Vergleich zu den realen chinesischen Schriftzeichen in Hinblick auf eine grammatologische Schrifttheorie noch verführerischer. Denn mit ihren unablässigen Abwandlungen markieren sie das »Ende des Buches« und den »Anfang der Schrift«8, indem sie unter der Voraussetzung eines abwesenden (transzendentalen) Signifikats das entgrenzte Spiel der Differenzen anschaulich machen. Mit anderen Worten: Nicht die chinesische Schrift, sondern Xu Bings Schriftsimulation folgt dem Modell des ›freien Spiels‹ von Zeichenspuren, die sich aus rein räumlichen Differenzen einzelner Striche (Markierungen) zusammensetzen und als leere Signifikanten erweisen. Derrida hätte sie wahrscheinlich als eine Art désécriture bezeichnet, als eine »Dekonstruktion aller Bedeutungen, deren Ursprung in der Bedeutung des Logos liegt«9. Begreift man Xu Bings ›Kunstschrift‹ als Inszenierung einer ›reinen Spur der Schrift‹, dann müsste sie, weil die Spur der Schrift auch eine »Spur vor dem Sei4 Vgl. Martina Köppel-Yang, Semiotic Warfare. The Chinese Avantgarde 1979–1989. A semiotic analysis, Hongkong 2003, S. 162–163. 5 Jacques Derrida, Grammatologie, aus dem Französischen von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt am Main 1974, S. 99. 6 Ebd., S. 142. 7 Vgl. David Palumbo-Liu, »Schrift und kulturelles Potential in China«, in: Hans Ulrich Gumbrecht/Ludwig K. Pfeiffer (Hg.), Schrift, München 1993, S. 159–167. 8 Derrida, Grammatologie, a.a.O., S. 16. 9 Ebd., S. 23.
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enden«10 ist, notwendig verborgen sein und als Verbergung ihrer selbst entstehen. Das aber würde bedeuten, dass sie sich nur im Verborgenen präsentieren kann, außerhalb der gewöhnlichen und gewohnten Signifikation. Sie kann daher nur in der Exteriorität, d. h. im nicht-signifikativen Niemandsland der Kunst erscheinen.
4. L AUTBEGEGNUNGEN UND HOMOPHONE KLANGWELTEN Als Xu Bing im Juli 1990 die Volksrepublik China verließ und in die USA emigrierte, setzte er sich gezwungenermaßen mit den kulturellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten auseinander. Ein erster Schritt in diese Richtung war das Projekt ABC... (1991), das aus etwa drei Dutzend Tonquadern besteht, auf denen jeweils auf der einen Seite ein chinesisches Schriftzeichen und auf der anderen ein lateinischer Buchstabe zu sehen ist (Abb. 04). Sobald die grafisch unterschiedlichen, aber auf eine materielle und damit handgreifliche Weise dennoch zusammengehörigen Zeichen ausgesprochen werden, wird der Bezug zwischen ihnen offenbar, denn es besteht eine Lautähnlichkeit: Das ausgesprochene Sinogramm 哀 /ai/ mit der Bedeutung ›Trauer, Wehmut, Schmerz‹ entspricht der Aussprache des englischen Buchstaben A, im Laut des chinesischen Zeichens 彼 /bi/ (jener, jene, jenes) hört man das B und im Zeichen 西 für ›Westen‹ (in der Umschrift xi, aber gesprochen /ɕi:/) das C. Die Bedeutung ist dabei zunächst einmal irrelevant; was zählt ist allein der Klang. Auf überraschende Weise nähert Xu Bing in seiner Installation zwei völlig verschiedene Schriftkulturen einander an, indem er bestimmte Ähnlichkeiten im Klang nutzt. Das Problem allerdings ist, dass man die chinesischen Zeichen und ihre Aussprache kennen muss, um die Klangbeziehung herstellen zu können. Wenn man in der Lage dazu ist, ließe sich in der Weiterführung dieses Gedankens eine zweispaltige Tabelle vorstellen, in der jedem Buchstaben ein chinesisches Schriftzeichen (gegebenenfalls auch mehrere) zugeordnet wären. In dem unvollendeten Projekt My Book (1992) präsentiert Xu Bing auf einer Buchseite genau eine solche Zusammenstellung (Abb. 05). Die Auswahl der chinesischen Schriftzeichen ist dabei allerdings sehr begrenzt, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich wird.
10 Ebd., S. 82.
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Abb. 04: Xu Bing, ABC… (Buchstabenfolge SKY) Installation, 1991
Abb. 05: Xu Bing, My Book Installation,1992
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Buchstabe
Chinesisches Zeichen
Klang (pinyin)
Bedeutung
A
哀
ai
Trauer, Wehmut, Schmerz
B
彼
bi
jener, jene, jenes
C
西
xi
Westen
D
地
di
Erde
E
一
yi
eins
F
癌 夫
ai fu
Krebs + Ehemann
G
寂
ji
still, einsam
H
癌 痴
ai chi
Krebs + blödsinnig, töricht, dumm
I
呀
ai
Oh!
J
介
jie
zwischen jmd. gehen
K
凯
kai
Teilzeichen in ›triumphal‹
L
癌 尔
ai er
Krebs + du
M
癌 母
ai mu
Krebs + Mutter
N
恩
en
Gefälligkeit, Gunst
O
欧
ou
Europa
P
屁
pi
Furz
Q
扣
kou
Knopf
R
阿 尔
a er
[a] + du
S
癌 斯
ai si
Krebs + dieser, diese, dieses
T
剃
ti
rasieren
U
幽
you
Unterwelt; abgeschieden, still, heimlich
V
危
wei
Gefahr, Bedrohung
W
达 布 六
da bu liu
erreichen + Tuch + sechs
X
癌 克 思
ai ke si
Krebs + Gramm + nachdenken
Y
外
wai
außen, äußerlich, außerhalb
贼
zei
Dieb
Z
Es ließen sich selbstverständlich auch andere Beziehungen herstellen. Dennoch ist die Auswahl nicht willkürlich, sondern wird von der (ungefähren) Übereinstimmung der Klänge bestimmt. Auch wenn die Schriftzeichen auf den Tonquadern keinen in sich geschlossenen Text bilden, evozieren die eingemeißelten Zeichen
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zwei verschiedener Schriftsysteme jene Granittafel, den Stein von Rosette, den Jean-François Champollion (1790–1832) nutzte, um mit der Entzifferung einiger der dort abgebildeten ägyptischen Hieroglyphen den Grundstein zu deren wissenschaftlichen Erforschung zu legen. Dieses die Fantasie anregende Spiel von Klangbeziehungen und Schriftbildlichkeit könnte in dem Begriff der ›Klangbildlichkeit‹ zusammengezogen bzw. mit ihm bezeichnet werden. Die Klänge werden in Xu Bings Installation ja nicht akustisch vermittelt, sondern über die Schriftbildlichkeit von Zeichen verschiedener Sprachsysteme bzw. Schriftkulturen. Die Bedeutung ist dabei den Schriftzeichen gleichsam abgezogen, d. h. sie spielt in der Installation keine Rolle. Schriftbild und Klang werden ohne Rücksicht auf die Zeichenbedeutung auf unvorhergesehene Weise miteinander verbunden.
5. WEST-ÖSTLICHE HYBRIDZEICHEN Einige Jahre darauf entwickelte Xu Bing dann eine Art Hybridschrift, die er Square Word Calligraphy (1994) nannte und deren Elemente den chinesischen Schriftzeichen zum Verwechseln ähnlich sehen. Optisch entsteht – zumindest für einen westlichen Betrachter, der diese komplexen Zeichenkonstrukte zum ersten Mal sieht – durchaus der Eindruck, als handle es sich um chinesische Kalligrafie. Lesbar werden die Zeichenkonstrukte aber erst, wenn man sich über diesen ersten Eindruck hinwegsetzt und die quadratisch angeordneten Zeichenkonstrukte auf neue Weise in den Blick nimmt, um aus dem Arrangement lateinische Buchstaben herauszulesen. Auch ein chinesischer Betrachter wird dabei gezwungen, seine eingeübten Sehgewohnheiten abzulegen und in den vermeintlich chinesischen Schriftzügen unvertraute Kombinationen lateinischer Buchstaben zu suchen. In dieser Hinsicht ist Xu Bings west-östliche Kalligrafie doppelt befremdlich: einmal für den westlichen Betrachter, der sofort chinesische Zeichen vermutet und sich in eine fremde Zeichenwelt versetzt fühlt, obgleich er das, was er sieht, doch leicht lesen könnte, und zum anderen für einen chinesischen Betrachter, der seinerseits entweder glaubt, archaische Zeichen vor sich zu haben, oder zum Schluss kommt, dass diese Zeichengebilde für ihn auf der Basis seiner eigenen Sprachkenntnisse nicht lesbar sind (Abb. 06). Doch nicht nur die Bildlichkeit der Zeichen, sondern auch ihre Anordnung ist außergewöhnlich: Der westliche Betrachter findet die lateinischen Buchstaben zu Quadraten zusammengefasst, denen er entweder horizontal von links nach rechts bzw. umgekehrt von rechts nach links folgen kann oder auch vertikal. Dem Chinesen hingegen bleibt von seiner Sprache lediglich eine kleine Anzahl von Grund-
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Abb. 06: Xu Bing, Square Word Calligraphy Installation, 1994
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formen, die aber nichts anderes als Zeichensimulakren sind und die er vor dem Hintergrund seiner Schriftkultur nicht lesen und verstehen kann. Die Square Word Calligraphy eröffnet einen Zwischenraum, in dem sich kulturell verschieden geprägte Blicke gegenseitig kreuzen, Gewohnheiten und Wahrnehmungsschemata auf die Probe gestellt und verunsichert werden, und wo aufgrund einer doppelten Verfremdung die Reflexion auf die Bedingtheit der jeweils eigenen Wahrnehmungsweise gelenkt wird. Man könnte sagen, dass in diesem Dazwischen Wahrnehmung und Denken in Bezug auf sich selbst verfremdet bzw. verschoben werden. Die bisher gewohnte Sehweise wird außer Kraft gesetzt; man ist für einen Moment irritiert, weil man nichts versteht, doch dann wird man förmlich dazu gezwungen, nach anderen Möglichkeiten der Betrachtung und Entzifferung zu suchen. Dass die gewohnten Wahrnehmungsraster einschließlich der Entzifferungs- und Lesetechniken in diesem Zwischenbereich nicht mehr funktionieren, muss also kein Manko bedeuten, sondern lässt sich durchaus als ein Mehrwert verstehen. Man sieht sich dazu veranlasst, seinen Blick für das Andere zu öffnen, bislang nicht Berücksichtigtes in die Betrachtung aufzunehmen, einen neuen Standpunkt zu beziehen und alternative Wahrnehmungsweisen zu erproben. In diesem Dazwischen, wo es zu Überkreuzungen, Aussetzern, Fehlschlägen, erneuten Versuchen, Modifizierungen und Verschiebungen kommt, wird ein komplexer Prozess in Gang gesetzt, der ein Hinterfragen derjenigen Schranken, welche die eigene Wahrnehmung begrenzen, sowie eine Revision desjenigen Standpunktes einschließt, den man aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schriftkultur automatisch einnimmt; ein Prozess, der schließlich zur Einsicht führt, dass die Ordnung, die einer bestimmten Weltsicht unterliegt und die man den Zeichen aufgrund der eigenen kulturellen Prägung unterstellt, nicht die einzig mögliche ist und auch keineswegs immer eine Lösung bereit hält. Alle gerade genannten Eigenschaften lassen diesen Zwischenbereich der Überkreuzung, Infragestellung und Verschiebung als einen genuin transkulturellen Raum erscheinen. Bemerkenswert ist dabei jedoch, wie beide Seiten gleichermaßen dazu angeregt werden, ihren ursprünglichen Standpunkt zu reflektieren und zu modifizieren: Für die Einen sind Xu Bings Schriftzeichen verfremdete Buchstaben, die auf eine besondere Weise zu Blöcken geordnet werden, aber – unter gewissen Schwierigkeiten allerdings und wider Erwarten – doch lesbar sind; für die Anderen bilden sie das verwirrende Simulakrum ihrer eigenen und damit bekannter Schriftzeichen, die nur über den Umweg eines anderen Zeichencodes (in diesem Falle nicht nur einer anderen Sprache, sondern zugleich eines anderen Schriftsystems) lesbar werden. Die Auflösung dieser Rätselschrift wird dann einen Chinesen ebenso erstaunen wie einen Betrachter aus einem anderen Kulturkreis. Beide Seiten aber werden durch dieses Spiel von Gestaltung, Arrangement, Blickrichtung, Leseverlauf
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und Codierung dazu gebracht, ihre überkommene, d. h. eingeübte Wahrnehmung von Schriftzeichen mitsamt den vorgegebenen Lesegewohnheiten zu reflektieren und zu hinterfragen. Wichtig in diesem Kontext ist vor allem der Umstand, dass jemand nur dann in der Lage ist, die Zeichen zu entziffern, wenn er sich auf eine alternative Sichtweise einlässt, d. h. wenn man den Schriftbildern entweder die Gestalt von Zeichen einer jeweils fremden Schriftsprache zubilligt oder aber, von einer ganz neuen Perspektive aus betrachtet, den Code einer anderen Sprache. Gerade dieser Zwang, die Position des Anderen einzunehmen, ist es, der die Präkodierung des Blicks als eine Beschränkung spürbar werden lässt.
6. SCHRIFTBILDLICHE LANDSCHAFTEN Im Jahr 1999 reiste Xu Bing nach Nepal und begann Landschaften zu zeichnen, die sich sowohl aus Bildelementen als auch aus Schriftzeichen zusammensetzten. In dem Skizzenbuch, das er während dieser Reise anfertigte, sind zahlreiche Tuschezeichnungen zu finden, in denen physische Objekte der Landschaft die Gestalt derjenigen Zeichen annehmen, die sie bezeichnen (Abb. 07). Betrachtet man die Bilder und Zeichnungen der Serie Landscript genauer, dann erkennt man, gesetzt man verfügt über eine gewisse Sprachkompetenz im
Abb. 07: Xu Bing, Landscripts from the Himalayan Journal Tusche auf Nepalpapier, 1999
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Abb. 08: Xu Bing, Landscript Tusche auf Papier, 2004
Chinesischen, mitten in der dargestellten Landschaft, mit dünner Tusche gemalt, verschiedene Schriftzeichen, wie z. B. das für ›Stein‹ 石. Die Zeichen, als solche unscheinbar und unauffällig, gehen in die Landschaft ein, verbergen sich in ihr, obwohl sie offen sichtbar sind (Abb. 08). Sobald man aber von ihrer Existenz weiß, sind sie nicht mehr zu übersehen, und sie tauchen unversehens im Vorder- und Mittelgrund, in jeder Ecke des Bildes auf. Doch ist die Präsenz dieser Zeichen so diskret, dass die Gegenständlichkeit des Bildes dadurch in keiner Weise gestört wird. Im Vergleich zu den »Büchern des Himmels«, die nicht mehr gelesen, sondern nur noch betrachtet werden können, hat man es hier mit dem umgekehrten Fall zu tun: Die Landschaften können nun nicht mehr nur betrachtet, sondern auch ›gelesen‹ werden. Xu Bing knüpft dazu an der Bildlichkeit der chinesischen Schriftzeichen an. Tatsächlich eignen sich bestimmte Schriftzeichen, vor allem die Piktogramme wie ›Fluss‹ 川 und ›Baum‹ 木 besonders für die Darstellung der bezeichneten Objekte, und die Häufung solcher Zeichen zur Darstellung eines großen Stromes, Gebirges oder Waldes nimmt den in den Landscripts verwendeten Zeichen zusätzlich ihre Sprach- bzw. Schriftlichkeit und lässt sie als Bildelemente erscheinen. Xu Bings experimenteller Umgang mit Schriftzeichen findet dann seine Fortführung in Installationen wie The Living Word (2001) und A Book from the Ground (2003). Living Word ist ein Arrangement mit dreidimensionalen Figuren des chi-
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Abb. 09: Xu Bing, The Living Word, 2002
nesischen Zeichens für ›Vogel‹, deren optische Veränderung die historische Entwicklung dieses Zeichens vom piktografischen Ursprung zur gegenwärtigen vereinfachten Kurzform illustriert. Im Gegensatz zu den vierhundert verschiedenen Zeichenfiguren der Installation, die diese Entwicklung im historischen Rückblick darstellt, sodass das Zeichen in der piktografischen Gestalt des Vogels schließlich davonzufliegen scheint, zeigen die sieben Versionen von 2003 die Transformation des englischen Wortes ›bird‹ in das Piktogramm eines Vogels (Abb. 09). Die Modifikationen des Zeichens suggerieren eine kontinuierliche Bewegung, die sich scheinbar bis in archaische Vorzeit zurück konstruieren lässt, doch bleibt der Ursprung ein Mythos und spielt insofern ironisch mit dem Vorurteil der piktografischen Entstehung chinesischer Schrift, als eben jene Piktogramme davonzufliegen scheinen.
7. PIKTOGRAMME DES ALLTAGS A Book from the Ground (manchmal auch als A Book from the Earth bezeichnet) setzt im Gegensatz dazu direkt in der Gegenwart an. Das Projekt, so resümiert der Künstler, sei durch das Sammeln von Sicherheitshinweisen einiger Airlines angestoßen worden. Als er schließlich realisierte, dass icons nicht nur einen ein-
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Abb. 10: Xu Bing, A book from the Ground, 2003
fachen Sachverhalt mitteilen können, sondern sich auch zur Narration eignen, war die Idee eines Buches, das nur mit Hilfe von icons geschrieben wird, geboren (Abb. 10). Den historisch-theoretischen Hintergrund dieses Kunstprojekts bildet die Vorstellung einer Universalsprache. Xu Bing zitiert in diesem Kontext den französischen Sprachphilosophen Jean Douet, der 1627 als erster Gelehrter in Frankreich das Chinesische als Modell einer Universalsprache vorgeschlagen hatte.11 Auch 11 Vgl. Jean Douet, Proposition présentée au roy, d’une escriture universelle, admirable pour effects, très utile et nécessaire à tous les hommes de la terre, Paris 1627. Douets 47
Schrift- und Klangbildlichkeit | 237
Gottfried Wilhelm Leibniz bezeigte eine Zeit lang ein großes Interesse an der chinesischen Schrift und stand, um näheren Aufschluss über ihr Wesen zu erhalten, mit mehreren in China tätigen Missionaren im Briefwechsel.12 Er war der festen Überzeugung, dass die Kombination von Zeichenelementen die Voraussetzung dafür sei, eine characteristica universalis zu erstellen, wobei die pikto- und logogrammatischen Schriftzeichen unmittelbar die Folge von Ideen ausdrücken sollten. Derartige sprachphilosophische Überlegungen der Frühaufklärung über eine mögliche Universalsprache bilden die Grundlage für A Book from the Ground. Xu Bing ist der Meinung, dass eine globale Universalsprache auf nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten zurückgreifen müsse, für die pikto- und logografische Schriftzeichen einen immensen Vorteil bieten würden, und so gelangt er von der Unlesbarkeit pseudo-chinesischer Schriftzeichen schließlich zu einer allgemeinen Verständlichkeit von Symbolen. Die Ausstellung Writing between Heaven and Earth (2015) im Frost Art Museum an der Florida International University in Miami führt diese Entwicklung mit ihrer Retrospektive auf die Bücher des Himmels noch einmal deutlich vor Augen.13 Während er in A Book from the Sky reale Schriftzeichen soweit manipulierte, dass sie unlesbar wurden, verwendet Xu Bing in A Book from the Ground icons, die fast jeder Leser, gleichgültig aus welcher Schriftkultur er kommt, verstehen kann. In diesem Sinne begreift er die beiden von ihm entwickelten ›Kunstschriften‹ als welche, die jeden Leser gleich behandeln, denn im einen Fall sind die Zeichenfigurationen für niemanden lesbar, im anderen sollen sie möglichst für alle lesbar sein: »Book from the Sky was an expression of my doubts regarding extant written languages. Book from the Earth is the expression of my quest for the ideal of a single script. Perhaps the idea behind the project is too ambitious, but its significance rests in making the attempt.«14 Während also in der ersten Installation Schriftzeichen derart verändert worden sind, dass sie nicht mehr identifiziert und ausgesprochen werden können und nur noch in ihrer Schriftbildlichkeit als reine ästhetische Form erscheinen, die wieSeiten umfassende Proposition war der erste Entwurf einer Universalschrift in Frankreich, der die Verwendung chinesischer Schriftzeichen in Betracht zog. Bereits zehn Jahre zuvor hatte Herman Hugo in seiner Schrift De prima scribendi origine et universa rei literariae antiquitate (Antwerpen 1617) den gleichen Gedanken entwickelt. 12 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689– 1714), herausgegeben von Rita Widmaier, Hamburg 2006. 13 Siehe die Präsentation auf der Webseite des Künstlers: http://www.xubing.com/ index.php/site/projects/year/2015/xu_bing_writing_between_heaven_and_earth (abgerufen am 18. Februar 2017). 14 Xu Bing, Regarding Book from the Ground; online: http://en.cafa.com.cn/regardingbook-from-the-ground-by-xu-bing.html (abgerufen: 18.02.2017).
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derum die Betrachter zu eigenen, fantasievollen Signifikationsversuchen einlädt, unterstreicht die zweite Installation ABC... die zum Teil überraschende Quasi-Homofonie von Zeichen völlig verschiedener Kultursysteme, wobei der Klang über die Schriftbildlichkeit der Ideogramme und Buchstaben vermittelt wird. Die dritte Installation hingegen geht noch weiter und bringt den aufmerksamen Betrachter dazu, in der Square Word Calligraphy, die zunächst chinesische Schriftzeichen vermuten lässt, eine Anordnung bekannter Buchstaben zu entdecken, die auf Englisch (oder einer anderen ›westlichen‹ Sprache) lesbar ist und damit überraschend die Klangwelt einer ›westlichen‹ Sprache entfaltet. A Book from the Ground bildet den Abschluss dieser Reihe von Installationen, die mit ihren erfundenen, manipulierten und modifizierten Zeichen gewissermaßen vom Himmel auf die Erde gekommen sind, vom Unlesbaren zum universell Lesbaren.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 01: Xu Bing, A Book from the Sky, Installation, 1987–1991 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 02: Xu Bing, A Book from the Sky, Installation, 1987–1991 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 03: Xu Bing, A Book from the Sky (Detailansicht), Installation, 1987–1991 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 04: Xu Bing, ABC..., 1991 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 05: Xu Bing, My Book, 1992 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 06: Xu Bing, Square Word Calligraphy (Square Word), 1994 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 07: Xu Bing, Landscripts from the Himalayan Journal, Tusche auf Nepalpapier, 1999 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre. Abb. 08: Xu Bing, Landscript (Detailansicht), Tusche auf Papier, 1999 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 09: Xu Bing, The Living Word, 2002 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre Abb. 10: Xu Bing, A Book from the Ground, 2003 © Courtesy Xu Bing Studio and Art Centre
Autorinnen und Autoren
Jean Goldenbaum, Dr., Musikwissenschaftler und Komponist, arbeitet als Dozent und Forscher am Europäischen Zentrum für Jüdische Musik (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover). Seine Forschungsschwerpunkte sind Musik in der Jüdischen Bibel, jüdische klassische Musikkomponisten und jüdische Musik in Lateinamerika. Als Komponist hat er vier Alben aufgenommen, war composer-in-residence mehrerer internationaler Veranstaltungen und hat mehr als 60 Werke in 15 Ländern uraufgeführt. Vorträge und Publikationen (Auswahl): Jean Goldenbaum, Concepções e reflexões sobre e ao redor de minha obra musical, São Paulo 2017; Jean Goldenbaum, Jewish Classical Music Composers: The history explained and performed, Lecture. Monash University (Limmud Oz), Melbourne, Australia, 27th June 2016; Jean Goldenbaum, Music in the Jewish Bible, Lecture: Institute of Jewish Studies of the University of Antwerp, Antwerp, Belgium, 16th November 2017 (published as video in the institution channel); Jean Goldenbaum, A Música na Bíblia Judaica, Lecture: Universidade Metodista de Piracicaba, Piracicaba, Brazil, 25th November 2017. Verena Grüter, PD Dr., ist Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Privatdozentin im Fach Interkulturelle Theologie, Missions- und Religionswissenschaft an der Augustana-Hochschule. Sie hatte 2016/2017 die Gastprofessur Pluralisierung des Christentums im nationalen und globalen Kontext an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen inne und vertritt im Wintersemester 2018/19 den Lehrstuhl Interkulturelle Theologie und Religionswissenschaft (Prof. Dr. Michael Bergunder) an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Musik und Klang in interreligiösen Begegnungen. Veröffentlichungen (Auswahl): Verena Grüter, Klang – Raum – Religion. Ästhetische Dimensionen interreligiöser Begegnung am Beispiel des Festivals ›Mu-
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sica Sacra International‹, Zürich 2017; Reinhold Bernhardt/Verena Grüter (Hg.), Musik in interreligiösen Begegnungen. Beiträge zu einer Theologie der Religionen Bd. 14, Zürich 2019; Jochen Arnold/Folkert Fendler/Verena Grüter/Jochen Kaiser (Hg), Gottesklänge. Musik als Quelle und Ausdruck des christlichen Glaubens, Leipzig 22014; Verena Grüter/Benedict Schubert (Hg.), Klangwandel. Über Musik in der Mission, Frankfurt am Main 2010; Verena Grüter, »The Art of Music in Asian Christianity«, in: International Journal of Asian Christianity, vol. 2 (2018), No. 1, S. 1–18; Verena Grüter, »Unerhörte Stimmen – Körperklänge als religiöse Performance«, in: Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft, 44. Jg. (2018), Nr. 1, S. 74–88; Verena Grüter, »Die Stimme in den Religionen«, in: Karl Ermert (Hg), Chormusik und Migrationsgesellschaft – Erhebungen und Überlegungen zu Kinder- und Jugendchören als Orten transkultureller Teilhabe, Wolfenbüttel 2016, S. 38–49. Marco Gutjahr, Dr., ist Mitarbeiter an der Akademie der Polizei Hamburg und Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr. Er war stellvertretender Leiter der Uwe Johnson-Forschungsstelle und des Uwe Johnson-Archivs am Institut für Germanistik sowie Mitglied am Institut für interdisziplinäre Bildforschung der Universität Rostock. Von 2011 bis 2017 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie und Religionsphilosophie der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Er forscht vorwiegend zur deutschsprachigen Literatur seit Ende des 18. Jahrhunderts, zu modernen literaturtheoretischen Konzepten und Methoden, zur deutsch-französischen Literaturgeschichte und zur Theorie des Bildes. Veröffentlichungen (Auswahl): Marco Gutjahr/Jörg Jewanski/Rebekka R. Tibbe (Hg.), Gemalte Musik. Rudolf Gahlbecks Schriften zur Farbe-Ton-Forschung, Münster 2020; Marco Gutjahr/Heinz-Jürgen Staszak, Das literarische Zeichen. Vorlesungen zur Einführung in die strukturalistische Gedichtanalyse, Würzburg 2018; Marco Gutjahr/Maria Jarmer (Hg.), Von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit. Maurice Blanchot und die Leidenschaft des Bildes, Wien/Berlin 2016; Philipp Stoellger/Marco Gutjahr (Hg.), Visuelles Wissen. Ikonische Prägnanz und Deutungsmacht, Würzburg 2014; Philipp Stoellger/Marco Gutjahr (Hg.), An den Grenzen des Bildes. Zur visuellen Anthropologie, Würzburg 2014. Klaus Hock ist Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock sowie Gründungsmitglied des Instituts für interdisziplinäre Bildforschung der Universität Rostock. Seine Forschungsschwerpunkte sind Islam und christlich-islamische Beziehungen (insbesondere in Afrika südlich der Sahara), Afrikanische Religionen und Religio-
Autorinnen und Autoren | 241
nen in Afrika (insbesondere afrikanisches Christentum), Religionshybride, Transkulturation. Veröffentlichungen (Auswahl): Klaus Hock (Hg.), The Power of Interpretation: Imagined Authenticity – Appropriated Identity. Conflicting Discourses on New Forms of African Christianity, Wiesbaden 2016; Klaus Hock/u.a. (Hg.), Im Kielwasser von Kreuzzug und Kolumbus (= Die Fliehkraft und die Schwerkraft Gottes: Ausbreitung der Christenheit und Begegnung der Religionen in den letzten zweitausend Jahren 4), Münster 2015; Klaus Hock, Einführung in die Religionswissenschaft, Darmstadt 52014; Peter A. Berger/Thomas Klie/Klaus Hock (Hg.), Religionshybride. Religion in posttraditionalen Kontexten, Wiesbaden 2013. Arne Klawitter ist Professor für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Waseda Universität in Tokyo. Zu seinen Forschungsbereichen gehören die deutschsprachige Literatur seit Mitte des 18. Jhs. mit Anschlüssen an die englischsprachige und französische Literatur, gelehrte Zeitschriften der Aufklärungszeit, Literaturtheorie und vergleichende Ästhetik. Veröffentlichungen (Auswahl): Arne Klawitter, Die ›fiebernde Bibliothek‹. Foucaults Sprachontologie und seine diskursanalytische Konzeption moderner Literatur, Heidelberg 2003; Arne Klawitter/Michael Ostheimer, Literaturtheorie. Ansätze und Anwendungen, Göttingen 2008; Arne Klawitter, Ästhetische Resonanz. Zeichen und Schriftästhetik aus Ostasien in der deutschsprachigen Literatur und Geistesgeschichte, Göttingen 2015; Arne Klawitter, Fernwestliche Schrifträume. Die Zeichenwelten des chinesischen Künstlers Xu Bing, München 2018; Heinrich Friedrich Diez, Philosophische Abhandlungen, Rezensionen und unveröffentlichte Briefe 1773–1784, herausgegeben von Arne Klawitter, Würzburg 2018. Burkhard Liebsch, Prof. Dr., lehrt Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum; Arbeitsschwerpunkte: Praktische Philosophie/Sozialphilosophie; Theorie der Geschichte; das Politische in kulturwissenschaftlicher Perspektive; spezielle Forschungsthemen: Gewaltforschung, Kulturtheorie, Lebensformen, Sensibilität, Europäisierung, Erfahrungen der Negativität, Geschichte des menschlichen Selbst. Veröffentlichungen (Auswahl): Burkhard Liebsch, Unaufhebbare Gewalt. Umrisse einer Anti-Geschichte des Politischen. Leipziger Vorlesungen zur Politischen Theorie und Sozialphilosophie, Weilerswist 2015; Burkhard Liebsch, In der Zwischenzeit. Spielräume menschlicher Generativität, Offenbach 2016; Burkhard Liebsch, Zeit-Gewalt und Gewalt-Zeit, Offenbach 2017; Burkhard Liebsch, Einander ausgesetzt. Der Andere und das Soziale. 2 Bde., Freiburg/München 2018; Burkhard Liebsch/u. a. (Hg.), Perspektiven europäischer Gastlichkeit. Geschich-
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te ‒ Kulturelle Praktiken ‒ Kritik, Weilserswist 2016; Burkhard Liebsch, Der Andere in der Geschichte. Sozialphilosophie im Zeichen des Krieges, Freiburg/ München 22017; Burkhard Liebsch, Sensibilität der Gegenwart. Wahrnehmung, Ethik und politische Sensibilisierung im Kontext westlicher Gewaltgeschichte, Hamburg 2018; Burkhard Liebsch, Europäische Ungastlichkeit und »identitäre« Vorstellungen: Fremdheit, Flucht und Heimatlosigkeit als Herausforderungen des Politischen, Hamburg 2019. Ulrich Lincoln, Dr. theol., ist evangelischer Pfarrer und Propst der ev.-luth. Propstei Vorsfelde/Wolfsburg. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten zur Theologie und Religionsphilosophie beschäftigt er sich u.a. mit Fragen der theologischen Ästhetik und Hermeneutik, dem Verhältnis von Theologie und Phänomenologie sowie mit dem Werk Søren Kierkegaards. Veröffentlichungen (Auswahl): Ulrich Lincoln, »Dich sehen in deiner wahren Gestalt ...« Bild und Bildung in Kierkegaards Einübung im Christentum‹, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 113 (2016), Nr. 2, S. 171–194; Ulrich Lincoln, Die Theologie und das Hören, Tübingen 2014; Ulrich Lincoln, Äußerung. Studien zum Handlungsbegriff in Kierkegaards »Die Taten der Liebe«, Berlin/ New York 2000. Volkmar Mühleis lehrt Philosophie und Ästhetik an der LUCA School of Arts in Brüssel und Gent. Seine Forschungsschwerpunkte sind Blindheit in der Kunst, das Verhältnis von Kunstpraxis und -theorie, interkulturelle Kunstbetrachtungen sowie regenerative Ästhetik. Als Rezensent publiziert er regelmäßig in der Philosophischen Rundschau und im Deutschlandfunk. Veröffentlichungen (Auswahl): Volkmar Mühleis, Girl with Dead Bird – Intercultural Observations, Leuven 2018; Volkmar Mühleis, Der Kunstlehrer Jacotot – Jacques Rancière und die Kunstpraxis, Paderborn 2016. Weitere Informationen auf: www.volkmarmuehleis.de Jean-Luc Nancy ist emeritierter Professor für Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg (Frankreich). Er hält Gastprofessuren u.a. in Berlin, Irvine, San Diego, Berkeley, Palermo, Tokyo, Stockholm. Sein sehr vielseitiges Werk umfasst Arbeiten zur Ontologie der Gemeinschaft, Studien zur Metamorphose des Sinns sowie zur Transformation der Künste und in den Künsten, Abhandlungen zur Bildtheorie, aber auch zu politischen und religiösen Aspekten im Kontext aktueller Entwicklungen. Veröffentlichungen (Auswahl): Jean-Luc Nancy, Heimsuchung. Von der christlichen Malerei, herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Marco Gutjahr, Wien/Berlin 2016 (frz. Original 2001); Jean-Luc Nancy, Dekons-
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truktion des Christentums, aus dem Französischen übersetzt von Esther von der Osten, Zürich/Berlin 2008 (frz. Original 2005); Jean-Luc Nancy, Maurice Blanchot. Politische Passion, herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Jonas Hock, Wien/Berlin 2016 (frz. Original 2011); Jean-Luc Nancy, Der ausgeschlossene Jude in uns, aus dem Französischen übersetzt von Thomas Laugstien, Zürich/Berlin 2018 (frz. Original 2018). Jens Schröter ist Inhaber des Lehrstuhls »Medienkulturwissenschaft« an der Universität Bonn. Er war Professor für Multimediale Systeme an der Universität Siegen 2008–2015 sowie Leiter der Graduiertenschule »Locating Media« an der Universität Siegen 2008–2012. Seit 2012 ist er Antragssteller und Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs 1769 »Locating Media«, Universität Siegen. 2010–2014 war er Projektleiter (zusammen mit Prof. Dr. Lorenz Engell, Weimar) des DFGProjekts: »Die Fernsehserie als Projektion und Reflexion des Wandels«, 2016– 2018 Sprecher des Projekts »Die Gesellschaft nach dem Geld – Eröffnung eines Dialogs«, VW Stiftung und ist ab dem 1.4.2018 Leiter (zusammen mit Anja Stöffler, FH Mainz) des DFG-Projekts: »Van Gogh TV. Erschließung, Multimedia-Dokumentation und Analyse ihres Nachlasses« (Laufzeit 3 Jahre). Ab 1.10.2018 ist er Sprecher des Projekts »Die Gesellschaft nach dem Geld – Eine Simulation«, VW Stiftung (Laufzeit 4 Jahre). Forschungsschwerpunkte: Digitale Medien, Fotografie, Fernsehserien, Dreidimensionale Bilder, Intermedialität, Kritische Medientheorie. Weitere Stationen: April/Mai 2014: »John von Neumann«-Fellowship an der Universität Szeged; September 2014: Gastprofessur an der Guangdong University of Foreign Studies, Guangzhou, VR China; WS 14/15 Senior-Fellowship am DFG-Forscherkolleg »Medienkulturen der Computersimulation«, Leuphana-Universität Lüneburg. SS 17 Senior-Fellowship am IFK, Wien. WS 17/18 Senior-Fellowship am IKKM, Weimar. Weitere Informationen auf: www.medienkulturwissenschaft-bonn.de. Benjamin Sprick studierte in Hamburg Cello, Philosophie und Musiktheorie/ Komposition. Als Cellist spielte er im NDR-Sinfonieorchester Hamburg und war Mitglied verschiedener Kammermusikformationen. Er war Forschungsstipendiat des Graduiertenkollegs ›Ästhetiken des Virtuellen‹ an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) und arbeitet als Cellolehrer. Seine Forschungsschwerpunkte betreffen Fragen einer ›poststrukturalistischen‹ Theorie der Musik ebenso, wie das Verhältnis von Musik und Dekonstruktion. Veröffentlichungen (Auswahl): Benjamin Sprick, »Der leere Platz. Überlegungen zur Anfangswendung von Beethovens Streichquartett op. 130«, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 9 (2012), Nr. 11, Hildesheim 2012; Benjamin Sprick, »Albrecht Wellmer, Theodor W. Adorno und der Versuch über Musik
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und Sprache«, in: Bericht des IX. Kongresses der Gesellschaft für Musiktheorie, herausgegeben von Jürgen Blume und Konrad Georgi, Mainz 2015; Benjamin Sprick/Jan Philipp Sprick, »Möglichkeit und Wirklichkeit. Musiktheoretische Variationen über Gunnar Hindrichs’ Autonomie des Klangs«, erscheint in: Von der Autonomie des Klangs zur Heteronomie der Musik: Musikwissenschaftliche Antworten auf Musikphilosophie, herausgegeben von Nikolaus Urbanek und Melanie Wald-Fuhrmann, Stuttgart 2018: Benjamin Sprick, Resonanzen des Virtuellen: Musikalische Kinematographik I, Wien/Berlin 2020. Heinz-Jürgen Staszak ist emeritierter Professor für Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Rostock sowie Musik- und Theaterkritiker. Seine Forschungsschwerpunkte betreffen vor allem Fragen der Literaturtheorie und der Wissenschaftstheorie der Literaturwissenschaft. Veröffentlichungen (Auswahl): Heinz-Jürgen Staszak, Das literarische Zeichen. Vorlesungen zur Einführung in die strukturalistische Gedichtanalyse, Würzburg 2018 (zusammen mit Marco Gutjahr); Heinz-Jürgen Staszak, »Evaluation und Transformation in der DDR-Germanistik. Ein Erfahrungsbericht«, in: Jan Cölln/Franz-Josef Holznagel (Hg.), Positionen der Germanistik in der DDR. Personen – Forschungsfelder – Organisationsformen, Berlin/Boston 2013, S. 29–42; Heinz-Jürgen Staszak, »Das sehende und das blickende Auge. Eine empirische Lektüre einer Foucault-Lektüre«, in: Moritz Baßler/Ewout van der Knaap (Hg.), Die (k)alte Sachlichkeit. Herkunft und Wirkungen eines Konzepts, Würzburg 2004, S. 197–210; Heinz-Jürgen Staszak, »Interpretation als problemlösende Tätigkeit«, in: Hans-Georg Werner/Eberhard Müske (Hg.), Strukturuntersuchung und Interpretation künstlerischer Texte, Halle 1991, S. 218–233.
Personenregister
A Mamoun Abdulsalam 112 Hans Adler 42, 207 Giorgio Agamben 65 Leon Battista Alberti 208 Michael von Albrecht 208 David Amponsah 79 Uta Andrée 72 Thomas von Aquin 56 Aristoteles 42, 56, 65, 122, 125 Alison Arnold 107 Gérald Arnaud 75 Augustinus 19, 115, 118, 122–127, 129–131, 135–136 B Francis Bacon 64 Sebastian Bakare 80 Giovanni Barbieri 145 Roland Barthes 36 Simon Bar Kokhba 141–142, 145–147 Javed Bashir 102, 105, 109, 112–114 Bashir Ahmed Khan 105 Oskar Bätschmann 208 Charles Baudelaire 11, 63 Evgen Bavčar 203, 205–207, 209, 214–215, 217 Walter E. A. van Beek 83
Ludwig van Beethoven 49, 166–167, 169 Hans Belting 117 Béatrice Berlowitz 37 John Berger 38 Sabine Berghahn 117 Henri Bergson 184–185, 193 Joseph Bernhart 19 Henrik Bettermann 79 Erich Beyreuther 104 Elke Bippus 65 Michael Bischoff 225 Maurice Blanchot 176–180, 224 Eugen Bleuler 10 Hans Blumenberg 126–127 Bo–lin Yin 223 Gottfried Boehm 204, 216, 240 Humphrey Bogart 29 Volker Bohn 46 Ulrike Bokelmann 184 Elias Kifon Bongmba 87 Pierre–Yves Borgeaud 77 Jorge Louis Borges 26 Georgina Born 100–101, 104, 108, 110 François Boucher 50 Francis Bouvet 18 Andrew Bowden 120 Johannes Brahms 37
246 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
Sondre Bratland 98, 102–105, 109, 113–114 Clemens Brentano 169 Hans Adolph Brorson 103 Indre Monjezi Brown 117 Hendrick ter Brugghen 145 Bulleh Shah 105 Ralf Burmeister 91 C John Cage 210 Ernst Cassirer 42 Louis–Bertrand Castel 51 Daniel Casasanto 80 Bernardo Cavallino 145, 160 Paul Celan 56 Paul Cézanne 44, 52–53, 61 Marc Chagall 145–146 Jean–François Champollion 230 Hsuan–Chih Chen 223 May Jane Chen 223 Dora C.Y. Ching 223 Giorgio di Chirico 39 Frédéric Chopin 37, 49 Ulrich Christians 184 Cicero 81, 84 Mikalojus Konstantinas Čiurlionis 52 Giorgio Colli 9, 165 John Collins 78 Margaret Courtney–Clarke 73 Gregory Currie 25 Dirk Cysarz 79 Richard E. Cytowic 207 D Carl Dahlhaus 129 Arthur Danto 26 Claude Debussy 47, 49, 54, 59 Daniel Defert 224 Gilles Deleuze 184–185, 187, 193
Henry John Drewal 88 Jacques Derrida 41, 46, 173, 225–226 René Descartes 60, 127 René Devisch 87, 91 Cheikh Anta Diop 77 Otto Dix 64 Theo van Doesburg 39 Domitian 142 Jean Douet 236 Margarethe Drewsen 184–185 Volker Henning Drecoll 122, 125 Jean Dubuffet 64 Hajo Düchting 43 E James M. Edie 338 Dirk Eitzen 28, 30 Catherine Elgin 29 Ólafur Eliasson 212 Hans Emons 173 Michael Erlhoff 92 Veit Erlmann 130 François Ewald 224 F Evelina Fedorenko 80 Lyonel Feininger 54 Ernest Fenollosa 226 Conrad Fiedler 39, 41, 48 Kurt Flasch 123 Michel Foucault 224 Paula Frediksen 122 Anna Freud 119 Sigmund Freud 119, 121, 135 G Rudolf Gahlbeck 11–12 Paul Gaugin 44, 53 Theophile Gautier 11 Hayo Gerdes 128–129, 133
Personenregister | 247
Kathryn Linn Geurts 85–86 Sandra Gianfreda 208 Deward Gibson 80 Olaf Gigon 122 Regula Giuliani 211 Johann Wolfgang von Goethe 11, 62, 167–168 Theo van Gogh 62 Kurt Goldstein 42 Hans–Dieter Gondek 225 Nelson Goodman 23–33 Suzanne Gott 74 Glenn Gould 37 Fritz Graf 216 Connie Green 143 Jacob Grimm 45–46 Edvard Grieg 49 Antoine–Jean Gros 145 Christian Grüny 37, 42 Melanie Gruß 12, 43–44, 51 Verena Grüter 97–114 Gu Wenda 219 Hans Ulrich Gumbrecht 226 Aron Gurwitsch 211 Marco Gutjahr 9–13, 21, 117, 165–181 H Werner Haftmann 39, 41, 43–45, 47, 51–55, 58, 61–67 Eric Halfpenny 143 Johann Georg Hamann 56 Leonhard Harding 77 Royal Hartigan 79 Peter Härtling 168 Viktor Hartmann 50 Robert E. Harrist Jr. 223 Olav H. Hauge 102–103 Raoul Hausmann 92 Anselm Haverkamp 129
Georg Wilhelm Friedrich Hegel 19, 41, 131, 134, 168, 174 Johan Ludvig Heiberg 132 Martin Heidegger 40, 46, 63 André Heller 73, 93 Ulrich Hemel 64 Anri Herbst 89 Johann G. Herder 42, 45, 57 Hermogenes 215–216 David Hesmondhalgh 100–101, 104, 108, 110 Walter Hess 38–39, 52–53 Erik Hillestadt 98, 102, 111, 113 Emanuel Hirsch 128–129, 133 Klaus Hock 71–95 E.T.A. Hoffmann 11, 129, 168 Wolfram Hogrebe 82 Gustav Holst 49 Adolf Hölzel 53 Christoph Horn 125 Rolf–Peter Horstmann 19 Huang Yong Ping 219 Friedrich Huber 78 Jörg Huber 65 Herman Hugo 237 Victor Hugo 18–19 Edmund Husserl 38, 41, 211 I Max Imdahl 36 Jozef Israëls 146 Steven Isserlis 188 J Leoš Janáček 49 Vladimir Jankélévitch 37, 44, 50, 54, 61 Martin Jay 40 Jörg Jewanski 12, 43, 46, 51
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Hans Joas 82 Hans–Martin Junghans 128 K George Kabel 207 Franz Kafka 173–174 Werner Kahl 72 Joachim Kaiser 37 Ernst Kalinka 216 Wassili Kandinsky 11, 45, 47, 50–53 Immanuel Kant 10, 19, 60, 118, 130, 213, 216–217 David Katz 211 Guillermo Kerber 78 Nasir Khan 97 Søren Kierkegaard 82, 115, 118, 128–133, 135–137 Thomas Kingo 102 Annemette Kirkegaard 78 Friedrich Kittler 31 Paul Klee 36, 44, 54, 62, 65 Dorothea Klein 75 Franz Kline 44 Hermann Kocyba 225 Doris Kolesch 234–235 Ulrich Konrad 75 Willem de Kooning 44 Martina Köppel–Yang 226 Sybille Krämer 135 Julius Kronberg 145 Gerhard Kubik 89 Ernst Kurth 188 L Susanne K. Langer 42 Johannes Langner 54 Jörg Lauster 82 Peter van Leeuwen 79 Fernand Leger 75 Karl Lehmann 10
Gottfried Wilhelm Leibniz 187, 226, 237 Gotthold Ephraim Lessing 168 Emmanuel Levinas 36–38 Burkhard Liebsch 35–68 Ulrich Lincoln 115–137 Ruomin Liu 72 Max Looser 26 Sönke Lorberg–Fehring 72 Lord Byron (George Gordon Byron) 132 Kristyne S. Loughran 74 Jean–François Lyotard 45 M Frederic W. Madden 141 Madonna 115 Simone Mahrenholz 188 Gustav Mahler 172 Kasimir Malewitsch 44 André Malraux 39 Jürgen Manemann 64 Thomas Mann 165–168, 170–174, 176–178 Franz Marc 51, 65 John Marin 62 Mogomme Masoga 89 André Masson 63 Roberto Matta 64 Achille Mbembe 135 Maurice Merleau–Ponty 39, 42–43, 46, 62, 121, 211, 213 Alan Merriam 99, 104 Andreas Mertin 115 Heinz–Klaus Metzger 45 Henri Michaux 197, 200, 217 Darius Milhaud 75 W.J.T. Mitchell 26, 30 Amedeo Modigliani 63 Oliver Moebus 80
Personenregister | 249
László Moholy–Nagy 210 Moliere 132 Marilyn Monroe 29 Charles de Montesquieu 50 Mazzino Montinari 9, 165 Robert Motherwell 44 Wolfgang Amadeus Mozart 50, 128–129, 131–132, 170 Valentin Y. Mudimbe 72 Volkmar Mühleis 197–218 Johannes Müller 10 Herfried Münkler 50 Modest Petrowitsch Mussorgski 49–50 Daniel Muzzulini 71 Charles S. Myers 52 Nikolaos von Myra 216 N Youssou N’Dour 75–77, 81, 93 Ernst Wilhelm Nay 52, 55, 66 Michael Neumann 171 James Richard Newell 105 John Henry Newman 103–104 Friedrich Nietzsche 9–10, 56, 60, 165 Roberto Nigro 65 Alexander Nöhring 117 Emil Nolde 54 Per Nordsletten 103 Novalis 51 Martha Nussbaum 118, 122 Francis B. Nyamnjoh 90 O Michaela Oberhofer 91 Beate Ochsner 203 Rolf Oerter 98 Adebayo Olukoshi 90 Detlef Otto 173 Rudolf Otto 82 Ovid 208
P Abel Pann 146 Elaine Pagels 116 Mai Palmberg 78 David Palumbo–Liu 226 Francis H. Parker 38 Aniruddh Patel 80 Paulus von Tarsus 120–121 Cesare Pavese 63 Philip M. Peek 83 David Peñalosa 79 Carl Johann Perl 127 Werner Petermann 73 Eva Pfaffenberger–Brückner 225 Ludwig K. Pfeiffer 226 Helmut Pfotenhauer 204, 216 Bernd Philippi 29 Philo von Alexandria 119 Philostratos 204, 216 Francesco Maria Piave 19 Pablo Picasso 44, 63 Pier Paolo Piccinato 203–207, 209, 214–215, 217 Platon 41, 56, 62, 82, 84, 123 Helmuth Plessner 42 Plotin 56 Jackson Pollock 44, 64, 197, 200–204, 207, 217–218 Joachim Popelka 19 Ezra Pound 226 Q Betsy D. Quick 74 Haji Yakub Qureshi 97 Regula Burckhardt Qureshi 107 R Hugo Rabe 216 Leslie W. Rabine 74 Leopold von Ranke 82
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Maurice Ravel 49–50, 54 Brigitte Reinwald 77 Ulrich Reißer 40, 63 Hans–Jörg Rheinberger 226 Paul Ricœur 38, 51, 57–59 Hugo Riemann 183 Manfred Riedel 40 Rainer Riehm 45 Karl Riha 92 Arthur Rimbaud 11 Alexander Wallace Rimington 51 Nikolai Rimski–Korsakow 49 Nina Rippel 200, 203 Hartmut Rosa 135–136 Mstislav Rostropovitch 188 Ottone Rosai 63 Raphael Rosenberg 36 Dante Rossetti 145 Henri Rousseau 44 Petra Rostock 117 Georges Rouault 63 Reuven Rubin 146 Philipp Otto Runge 51 S Leonid Sabanejew 51 Georg Tobias Ludwig Sachs 10 Khalid Salimi 102 Jean–Paul Sartre 63–64 Erik Satie 49 Ferdinand de Saussure 26 Friedrich Schiller 65, 216–217 Annemarie Schimmel 105, 109 Friedrich Schleiermacher 81 Guido Schmitz–Cliever 79 Oliver Scholz 24, 28, 30 Arnold Schönberg 45, 166 Otto Schönberger 204, 216 Ulrich Schoen 78 Calvin O. Schrag 8
Jens Schröter 23–33 Franz Schubert 171–172 Gerhard Schulz 169 Olaf Schumann 78 Peter Schüz 82 Robert Schumann 49, 168 Otto W. Schulze (Wols) 44, 63–64 Hans Sedlmayr 52, 61–62 Ben Shahn 63 Shah Hussain 105 Natalia Sidler 43, 46, 51 Jerome Silbergeld 223 Alexander Skrjabin 51–52, 55 Jon D. Solomon 140 Simeon Solomon 146 René Spitz 42 Klaus Stadler 37 Jean Starobinski 38 Jakob Steinbrenner 26 Martin Stokes 108 Philipp Stoellger 117 Robert Stock 203 stoe Eveline Stoesser 74 Igor Strawinski 47, 50 Hans H. Stuckenschmidt 51 Selma Sundelius–Lagerström 103 Patrick Süskind 119 T Jean Tardieu 48 Bernhard H. F. Taureck 48, 50, 54–60, 66 Charles Taylor 126–127 Timothy D. Taylor 75 Georg Philipp Telemann 51 Wilhelm Thimme 122 Rebekka R. Tibbe 12 Ludwig Tieck 51, 129 Esther Tisa Francini 91 Titus 142
Personenregister | 251
Hans Tomissøn 102 Jürgen Trabant 40 Peter Tschaikowski 49 James Turrell 210 Victor Turner 110 U Ludwig Uhland 18 V Elizabeth Chai Vasarhelyi 75 Anne Veiteberg 114 Jochen Venus 23 Guiseppe Verdi 19–20 Alfred Vulpians 46 W Wilhelm Heinrich Wackenroder 51, 129 Richard Wagner 11, 47, 168–171, 174 Bernhard Waldenfels 40, 121, 211, 213 Bruno Walter 166 Wang Guangyi 219 Brendan Weekes 223 Wilhelm Weischedel 10, 130 Albert Wellek 10 Albrecht Wellmer 186–187, 244 Heinz Werner 42, 53 Martin L. West 140 Andrew Wheeler 80 Rita Widmaier 237 Ludwik Wiesiolowski 145 Oscar Wilde 119 Annette Wilke 80 Ruprecht Wimmer 167 Georg C. Winkler 19 Jonathan Winawer 80 Pieter Wispelwey 188 Axel Witte 173 Arnold Wohler 46 Michael Wolter 120
Norbert Wolf 40, 63 Wols (Otto W. Schulze) 44, 63–64 X Xenophanes 56 Xu Bing 219–238 Y Robb Young 74 Z Kongo Zabana 78 Nikolay Zagorskij 145 Kristian Zahrtmann 145 Ulrike Zeuch 42, 207 Zhang Xiaogang 219 Hanns Zischler 226
Sachregister
A Abbildung 92, 112, 175, 180, 186, 190 Abgebildete 19, 25, 78, 175, 230 Abgrund 37, 133, 177, 179–180 Abstand 31, 183, 197, 199, 208 Abwesenheit 19, 49, 178–179, 204, 224 Action painting 201 Affekt 86, 118, 125, 185, 190–191, 216 Affektion 218 Afrika 71–80, 83–85, 87–89, 91, 93–95, 240 Agogik 183–184, 186 Ähnlichkeit 19, 24, 27, 223, 227 Ähnlichkeitsbeziehung 19, 24, 223 aisthesis 36, 38, 42, 52, 60 Akzent 71, 188, 197, 203, 205, 214, 216–217 Allografie 25–27 Alloreferenz 19 Alphabet 25, 221 Alterität 59, 100–101 Ambiguität 176–178 Ambivalenz 13, 78, 86, 126–127, 134, 137, 215 Analoge 27–28, 31–32, 36, 54, 89 Analogie 43, 48, 52, 55, 89, 92, 215 Analphabet 221 Analyse 30, 109, 186, 200–201, 208
Angst 63, 132–133, 136, 212 Anschauung 124–125, 212–213 Anspielungstechnik 172 Anthropologie 10, 85–86, 98–99, 118, 121, 123, 125, 129, 134, 136 Anthropomorphismus 56 Antike 10, 118, 122, 124–126, 135, 204, 216 Äquivalenz 29, 31–31, 215, 217–218 Archaische 10, 43–44, 50, 67, 230, 235 Argumentation 26, 116, 121, 129, 132, 217, 226 Artikulation 67, 88, 126–127, 209, 212, 215 Assonanz 18 Assoziation 46, 51–53, 79–81, 223, 225 Ästhetik 23, 26, 65–66, 100, 114, 117, 129–133, 135, 137, 217 Ästhetische 9–13, 35–48, 50, 52, 55, 57–58, 60–67, 100, 112, 116, 119, 123, 126, 128–129, 131–132, 135, 168, 171, 190, 195, 197, 215–218, 221, 237 Audio 130, 139, 197, 200 Auditive 75–76, 121, 215 Aufklärung 41, 168, 237 Auge 10, 23, 29, 36, 38–39, 41, 45, 47, 50–51, 61, 63–64, 76, 92, 103, 116,
254 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
119, 123–127, 134–136, 168, 170, 198–200, 202, 206, 209–212, 237 Augenlust 123–127, 135 Ausdruck 11, 18, 59, 62, 83–84, 89, 99, 116, 118, 125, 128–129, 132, 168, 175, 185, 193, 203, 205, 237 Ausschweifung 123, 171, 205 Außersprachliches 225 Ausstellung 49–50, 73, 91, 198, 202–203, 207, 219, 221, 237 Ausstellungsraum 198, 202 Autarkie 35, 39, 41, 45, 67 Autografie 27 Autonomie 39, 67, 202 Autoreferenz 19 B Barbarei 44, 172 Barock 183, 187–188 Bedeutung 12, 17, 28, 40, 52, 55, 61, 80–88, 94, 98–100, 113, 117, 120, 133, 135, 175, 187, 204, 207, 221–227, 229–230 Bedeutungsüberschuss 12 Befremdung 131 Begehren 115–123, 125, 127–137, 209 Begierde 115–120, 122–123, 130–131, 134–136 Begriff 10–12, 23, 38, 40–41, 46–48, 50–51, 53, 59–60, 64, 79, 81–83, 85–87, 104, 116, 118–119, 122–126, 128–137, 170, 175–177, 183, 185, 187, 206, 215, 223, 230, 242 —Bildbegriff 50, 118, 176–177 Bekenntnis 19, 104, 122 Berührung 17, 19, 199, 208–209, 211, 215–218 Beschreibung 12–13, 23–24, 27, 35, 43, 50, 60–61, 66, 73, 86–87, 130,
133, 180, 197, 199–200, 203–209, 214–218 —Bildbeschreibung 197, 203–204, 207–208, 214–217 —Klangbeschreibung 197 Betonung 19, 35, 57, 109, 132, 173, 183, 216–217 Bewegung 10–11, 35, 45, 55, 74, 90–91, 94–95, 103–104, 110, 118, 126, 131–132, 134, 175, 183–185, 187–195, 198–200, 202, 204, 210–213, 235 Bewusstsein 10, 41, 85, 87, 94, 132, 177, 212 —Selbstbewusstsein 177, 219 Beziehung 9, 13, 23–24, 27, 30, 42, 47, 51, 55, 79–80, 93, 99–101, 115, 117, 119–120, 136, 167, 176–177, 185, 187, 194, 221, 227, 229–230 —Ähnlichkeitsbeziehung 24 —Klangbeziehung 221, 227, 230 Bild 9, 11, 13, 17–21, 23–25, 27–32, 35–67, 71–73, 75, 78, 84–85, 90–95, 97–98, 102, 107, 111–112, 114–115, 117, 119, 124, 127–131, 133–137, 174–181, 183–190, 193, 195, 197–222, 224–225, 230, 233–234, 237–238 —Feindbild 97, 114 —Götterbild 56 —Kamerabild 198–200, 202–203 —Klangbild 49–50, 78, 85, 219, 230 —Schriftbild 221–222, 224–225, 230, 233, 237–238 —Spiegelbild 208 —Vorstellungsbild 215, 217 Bildbegriff 50, 118, 176–177 Bildbeschreibung 197, 203–204, 207–208, 214–217 Bildende Kunst 11, 52, 62, 178, 210, 212, 243
Sachregister | 255
Bildfläche 199 Bildgefüge 205 Bildhafte 28, 30, 55, 72, 102, 111, 174–175, 188–189, 191, 213 Bildlichkeit 47, 50, 56, 58, 176–177, 213, 219, 221–222, 224–225, 230, 234, 237–238 —Klangbildlichkeit 219, 230 —Schriftbildlichkeit 221–222, 224–225, 230, 233, 237–238 Bildpraxis 127 Bildsprache 115 Bildtyp 27, 51 Bildunterschrift 17 Blinde 199–200, 202–204, 206–207, 214–215, 217 Buchdruck 219, 221 Buchdruckkunst 221 Buchstabe 25, 27, 29, 31, 61, 81, 204, 227–230, 232, 238 Bühne 11, 52, 75–76, 107, 123–124, 133 Bühnenkomposition 11, 52 Bürgerliche 91, 165, 171, 174 Burka 116 Burkaverbot 116 C Chiasmus 35, 55, 58, 66–67, 213 Chor 51, 115 Choral 36, 102, 104, 109 Christentum 98, 102, 108, 131–132, 134–135 Christologie 134–135 D Dadaismus 91–92 Dämonische 43–45, 177 Darstellung 28, 30, 64–65, 78–79, 128, 172, 175–176, 179, 188, 200–201, 205, 214, 216–217, 234
Dekonstruktion 225–226 Denkbare 207, 210, 212–213 Denken 10–12, 23, 41, 44, 48, 50–51, 55–56, 61–62, 72–73, 91–92, 117, 121–123, 127, 166, 168–172, 181, 185, 191, 195, 202–203, 207, 210, 217, 229, 232 Denotation 32, 100–101, 110, 112–114 Desaster 63 Design 27, 135, 145 Deutung 12, 42, 52, 56–57, 62–63, 66–67, 82–83, 115, 117, 134, 208, 224–225 Dichter*in 45, 65, 103, 105 Dichtung 18, 51, 57, 102–103, 105, 109, 132 Differenz 10, 23–24, 26, 28–32, 37, 42–43, 47, 55, 57–58, 79, 84–85, 87, 92, 94, 98, 100, 108, 111, 127, 129, 141, 144–145, 183, 185–186, 195, 201, 206–207, 210–211, 213–214, 225–226 Digitale 26–27, 31–32, 135–136, 206, 243 Diskurs 10–12, 24, 30, 43–44, 51, 66, 72, 85, 91–92, 116–117, 130, 169–170, 173, 177 Diskursraum 12 Diskurszusammenhang 11 Disposition 86, 168 Divination 71–72, 81–85, 87–94 Doppelbegabung 167–168 E Echo 17, 176, 180, 197, 208–209, 214–215 Eindruck 11–13, 43, 76, 111, 125, 170, 175, 178, 200–201, 204–207, 210–217, 221, 230 —Farbeindruck 200–201, 204, 211, 217
256 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
—Seheindruck 201, 203–204 Ekphrasis 197, 204, 215–217 Emotion 76, 86–87, 113, 118 Empfindung 10–11, 90, 92 Energie 10, 18, 76 —Sinnesenergie 10 Entfernung 21, 29, 133 Entfremdung 60 Entzifferung 92, 191–192, 225, 230, 232–233 Entzug 46, 60, 214, 225 Ereignis 13, 36, 41, 65, 72, 82, 86, 177, 179, 180, 206 Erfahrung 38–43, 45–48, 58, 60, 63–64, 66–67, 84–86, 90, 106, 110, 113, 131, 192, 201, 211–213, 215–217 —Kunsterfahrung 216 —Raumerfahrung 211 Erinnerung 19, 49, 93, 207, 210, 219 Erlebnis 110–111, 114, 131, 211, 213 Ermüdung 211 Erotik 115–116, 128–130, 134, 215 Erscheinung 11, 43, 63, 82–83, 136, 175, 198, 202, 204, 208–209, 211, 218 —Klangerscheinung 175 Erscheinungsweise 11 Erzählstruktur 177 Erzähltext 172–174 Erzählung 122, 173, 177, 180 Essenzialismus 28, 89, 94, 141, 144 Ethik 118, 121–122, 132, 137 Exemplifikation 23, 32 Existenz 65, 67, 128, 132, 135, 177, 180, 234 Experiment 75, 168, 187, 203, 206–207, 209–210, 213–214, 217, 223–224, 234 Expressionismus 60
F Fantasie 49–50, 72, 93–94, 116, 225, 230, 238 Farbe 9, 11–12, 17, 23, 39, 43, 46, 50–55, 57, 61, 71–75, 81, 85, 92–93, 122, 126, 186, 197–198, 200–201, 204–207, 211, 217–218, 221 —Klangfarbe 17, 50, 71, 75, 81, 93, 186, 206 Farbeindruck 200–201, 204, 211, 217 Farbenhören 11–12 Farbfleck 197–198 Farbgebung 112 Farbigkeit 45, 203 Farbklavier 51 Farbmuster 74 Farbton 17, 27, 205, 207 Faschismus 166, 172 Feindbild 97, 114 Figur 11–12, 19, 37, 43, 115, 123, 128, 130–133, 171–172, 175, 177–179, 206, 211, 213, 234–235 Film 29, 75, 77, 200–203, 205–206, 210, 213, 215 Fläche 12, 19, 47, 133, 187, 193, 199, 203–206, 208–209 —Bildfläche 199 —Oberfläche 19, 76, 133, 193, 208–209 —Projektionsfläche 12 Form 9, 11, 17, 23, 36–37, 42, 45–47, 50, 53, 58, 65, 67, 74, 79, 83–84, 86–87, 89, 91, 93, 101–102, 109, 115–130, 132, 136–137, 139, 169–170, 180, 183, 187–190, 195, 200–201, 203–204, 206, 213–216, 221, 225, 232, 235, 237 —Repräsentationsform 9 —Wahrnehmungsform 119, 124, 127 Fotografie 27–28, 36, 91, 112–113, 203
Sachregister | 257
Fragment 43, 98, 111, 140, 184, 200–201, 214 Freiheit 41, 49, 56, 61, 64, 67, 71, 216–218 Fremdheit 58, 60, 110, 130 Fuge 53–54, 169 Fühlen 11–12, 86, 121, 199, 211 Furcht 165 G Gabe 21 —Begabung 86, 167–168 —Doppelbegabung 167–168 Gefüge 11, 183, 205 —Bildgefüge 205 —Tongefüge 11 Gegenstand 60, 89, 120–121, 125, 128–129, 131, 172, 191, 201, 207, 234 Gegenständlichkeit 234 Gehör 17, 37, 41, 127, 186 Geist 11, 39–43, 45, 62, 79, 84, 93, 97, 117, 124–126, 128–132, 134, 166, 169, 174, 193–194 Gemälde 30, 49, 198–205, 207–209, 215, 217–218 Genialität 12, 128–132, 134 Genie 130, 168, 170 Genuss 19, 100, 123 Geräusch 111, 130, 175, 210–213, 215 —Sprachgeräusch 175 Gesamtkunstwerk 10–11, 43, 168, 170 Gesang 21, 97–98, 102, 104–105, 108–114, 169, 198, 201, 203 Geschlecht 18, 116–117 Geschlechterrolle 116–117 Geschmack 17, 64, 107 Geschmackssinn 17 Gesetz 10, 39, 120–121, 173 Gestaltung 27, 110–111, 136, 174, 232
Geste 23–24, 174, 185, 198–200, 202, 217 Gewalt 50, 64, 97–98, 115, 135, 205, 217 Glaube 95, 109, 115–116, 122, 135 Gleichnis 48, 50–51, 54–59, 63, 66 Gleichzeitigkeit 175–176, 202 Gnade 109, 123 Götterbild 56 Gottesliebe 115, 127 Großaufnahme 198 Grund 12, 17–19, 23, 37, 58, 62–63, 72–73, 80, 82, 84, 88, 91, 93, 98, 109, 112, 117, 123, 125, 130, 132–133, 168–169, 179–180, 185, 188, 198–202, 205–213, 215–216, 219, 221, 225, 230, 232, 234, 236–237 Grundierung 206 Grundwesen 17 H Handlung 82, 84, 116, 132, 170, 190–191, 193–194, 210, 214 Handschrift 225 Harmonie 13, 53, 71, 105, 108, 131, 166, 186, 190, 209 Harmonielehre 166 Hedonismus 135 Hermeneutik 40, 46, 81–82, 122 Heteronomie 66–67 Hieroglyphen 230 Hijab 116–117 Hintergrund 51, 63, 98, 112, 125, 132, 198–199, 202, 205–206, 211, 221, 232, 236 Homophonie 227 Hörbare 35, 38, 43, 45–48, 50, 55, 58, 66, 111, 134–135, 183, 200, 202, 209, 211–212, 214 —Unhörbare 39, 211
258 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
Hören 10–12, 18–19, 35, 37–43, 45–48, 53, 57–58, 61–62, 65–67, 71, 88, 92, 110, 112–113, 127–128, 130–135, 200–201, 203, 206–208, 211–212, 214–215 —Farbenhören 11–12 Hörlust 127 Humanismus 52, 77, 174 Humanität 141, 172 I Identität 27, 31, 43, 67, 78, 80, 97–102, 104–108, 110–114, 127, 177, 207–209 Ideografie 89–90 Ikonik 27, 36, 40, 77, 117, 136 Imaginäre 48–51, 72, 76–78, 81, 85, 91, 94, 100, 210–215, 223–225 Imagination 49, 71, 75, 78, 85, 87, 92–95, 101–102, 106, 110–114, 117, 141, 143, 145–146, 180, 213 Immaterialität 201 Impressionismus 146, 176 Indikator 178, 180, 225 Inhalt 97, 104, 125, 128, 216, 221 Inkarnation 133–134 Inschrift 188 Inskription 24–26, 31 Installation 210, 219–222, 225, 227–228, 230–231, 234–235, 237–238 Instantiation 26–28, 31 Institution 10, 89, 239 Instrument 19, 32, 51, 84, 92, 105, 108, 123, 125, 137, 139–147, 169, 183, 187, 218 Integration 80, 210, 212–214 Intellekt 132, 166–167, 169–170 Intensität 10, 19, 31, 47, 53, 71, 84, 116, 122, 126, 131, 165–166, 183–186
Intention 121, 125, 130–131, 136, 140, 223 Intentionalität 125, 131 Interferenz 13, 42–43, 46, 48, 55, 57, 72, 92, 207 Interkulturelle 79, 110, 114 Interpretation 40–41, 45–47, 51, 57, 60, 83–84, 91, 115, 118–119, 121–122, 126, 128, 132–133, 135, 137, 188, 191, 202, 224–225 Interreligiöse 72, 104, 110, 112–114 Intime 17–19, 21 Intimität 17 Intuition 31, 83–84, 87–88 Ironie 55, 58, 60, 171, 204, 209, 235 Irrationale 82, 171 Islam 77, 90, 97–98, 102, 105, 107–109, 111–114, 117 Isomorphie 43 J Jazz 75, 77, 218 K Kalligrafie 219, 230 Kamera 198–200, 202–203 Kamerabild 198–200, 202–203 Kinästhesie 86, 90, 94, 212 Klage 18, 32, 60, 63, 82, 109, 209, 215 Klang 9, 11, 13, 17–19, 23, 25, 31–32, 35, 41, 43, 46–55, 58, 62, 66, 71–76, 78–81, 84–85, 88–95, 97–100, 104, 108–113, 115, 117–118, 130, 132–137, 169, 174–176, 179, 181, 183–188, 190–195, 197, 200–203, 206–215, 217–219, 221, 227, 229–231, 238 —Raumklang 203 Klangbeschreibung 197 Klangbeziehung 221, 227, 230
Sachregister | 259
Klangbildlichkeit 85, 219, 230 Klangdichte 53 Klangerscheinung 175 Klangfarbe 17, 50, 71, 75, 81, 93, 186, 206 Klangkörper 135 Klangliche 9, 23, 31, 51–55, 58, 88, 97, 109–110, 118, 175, 185–191, 194, 201, 207 Klanglichkeit 31, 117 Klangwelt 227, 238 Klaviatur 54 Klaviersonate 49, 52, 61, 167 Klischee 11, 115 Kognitive 26, 85–86, 94, 113 Kommentar 202 Kommunikation 42, 47, 82, 87, 94, 99, 178, 223 Kompensation 214 Komponist*in 52–53, 65, 167 Komposition 11, 47, 49–50, 52–53, 66, 73, 75, 77, 89–90, 93, 123, 167, 169, 186, 188 —Bühnenkomposition 11, 52 Konfiguration 174, 178 Konflikt 114, 117, 169 Konnotation 79, 99, 111–112, 114, 120 Konstellation 10, 42–43, 115, 116, 136–137, 168, 177, 214 Konstrukt 13, 221–222, 224–225, 230 —Schriftkonstrukt 222 Konstruktion 10, 47, 77, 100–101, 117, 172, 174 Konstruktionsprinzip 172, 174 Konsum 117, 135–136 Kontingenz 25, 27, 29, 58–60 Kontrapunkt 112, 126, 188 Kontrast 53, 197, 200–201, 204, 206, 210–213
Konvention 30, 50, 59, 187–188, 221, 223 Konzept 10, 26, 42, 46–47, 56, 79, 86, 94, 99, 122, 171, 203, 219, 221 Konzeption 10, 26, 42, 47, 122, 221 Konzeptkunst 203, 219 Konzert 171, 212 Körper 42–43, 61–62, 76, 86–87, 90, 117, 128, 131, 135, 187, 200–201, 205–206, 209–214 —Klangkörper 135 Körperschema 210, 212 Körperwissen 87 Kraft 9–10, 18–19, 38, 40, 51, 58–59, 62, 64, 78, 91, 93, 95, 99, 106, 109, 118–119, 124, 130–132, 134–136, 175, 180, 189, 192, 194, 198, 205–206, 216, 232 —Signifikationskraft 175 —Überzeugungskraft 216 —Urteilskraft 10, 130, 216 —Vorstellungskraft 180, 205–206 Kraftfeld 192 Kritik 10, 24–25, 42–43, 46–48, 56, 66, 91, 94, 99, 119, 129–130, 165, 173, 176, 190, 207, 226 Kultur 10, 12, 39, 43–44, 72–73, 78–79, 86, 89, 93, 98–104, 106–108, 110–115, 132, 135–137, 165–166, 168, 170, 174, 206, 226–227, 230, 232, 237–238 —Schriftkultur 227, 230, 232, 237 Kulturraum 10 Kunst 9–12, 25–26, 28–31, 35–50, 52–56, 58, 61–68, 73–74, 77, 79, 81–82, 88, 90–92, 98, 101, 112, 114–115, 128–130, 132–136, 165–168, 170–173, 178, 199, 202–204, 206–208, 210, 212–214, 216–219, 221, 224, 226–227, 236–237
260 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
—Konzeptkunst 203, 219 Kunsterfahrung 216 Künstlerproblematik 172 Künstlerschicksal 172 Künstlertum 170, 173 Künstler*in 35, 43, 45–46, 50, 53–54, 61–63, 67, 74, 76–77, 166, 170, 172–173, 203, 206–207, 212, 216, 219, 221, 224, 235, 237 Kunstmusik 31 Kunstwerk 10–11, 41, 43, 168, 170, 178, 199, 202, 216 —Gesamtkunstwerk 10–11, 43, 168, 170 L Laut 11, 24, 198–203, 221, 223, 226–227 Lautmalerei 198, 203 Lautung 221, 226 Leben 18, 35, 38, 41–43, 46–47, 54, 57–58, 60–63, 65–67, 73–74, 82, 87, 104–106, 116, 118, 122–123, 126, 128, 131–137, 165–167, 170–171, 199, 217 Lebenswelt 87, 116, 133, 135, 137 Leere 30, 64–65, 178–180, 199, 225–226 Leib 35, 42–43, 66–67, 116, 123–126, 129, 136, 213 Leiblichkeit 136 Leidenschaft 118, 124, 127, 134 Leitmotivtechnik 170, 174 Lesbare 61, 222, 230, 232, 237, 238 Leser*in 47, 137, 201, 237 Libretto 36 Licht 10, 12, 38, 40–41, 43, 46, 49, 51–52, 72, 74–76, 126–127, 130, 170, 172, 180, 197, 199, 201–202, 210 Lichtverhältnis 197
Liebe 105, 109, 115, 124, 126–127, 167, 170–173, 209 —Gottesliebe 115, 127 —Liebestod 171 Liebesgeschichte 171 Liebesverbot 172 Lied 18, 36, 63, 66, 102–105, 108–109, 172 Linie 185, 189, 198–201, 203–205 Literarisierung 168–169 Literat*in 168, 172 Literatur 11, 45–46, 64, 91, 119, 167–170, 173, 176, 178 Literaturkritik 176 Liturgie 90, 104, 109, 139, 146 Loch 18, 205 Logografie 237 Luminosität 197 Lust 37, 119, 122–127, 135 —Augenlust 123–127, 135 —Hörlust 127 —Sinnenlust 127 Luthertum 98, 102–105, 109 M Macht 18, 24, 38, 41, 48, 88, 93, 117, 126, 174, 180, 185 Maler*in 54, 57, 62–65, 92, 173, 200–201, 204, 207 Malerei 9, 11, 35, 38–41, 43, 45–48, 51–56, 58, 61–65, 67, 73, 92, 167, 203, 207–208 —Lautmalerei 198, 203 Malerische 50, 52, 198 Mangel 13, 30, 39, 167 Mantik 81–82 Material 25, 27, 32, 38, 47, 50, 62, 81, 87, 130, 144, 174, 178, 201, 221 —Zeichenmaterial 221 Materialität 38
Sachregister | 261
—Immaterialität201 Materie 38, 79, 93, 129, 187 Medientheorie 32–33, 129 Medium 23, 62–63, 77–78, 100–101, 107, 115, 128–129, 132, 202–203, 209 Melodie 32, 52–53, 103–104, 109, 115, 136, 147, 170, 188, 211 Mensch 10–12, 18, 35–36, 41, 43–45, 52–54, 56, 58, 60–67, 77, 79, 82, 87, 112, 116, 118–126, 128–131, 134, 136–137, 165, 171–174, 177, 180, 197–198, 207, 210, 215–216 Menschheit 77, 172 Metapher 23, 45–46, 48, 50–61, 66, 71, 74–75, 80, 85, 93, 104, 121, 126–127, 130, 136, 175–176, 204, 218 Metaphorik 23, 45–46, 48, 50–52, 55–56, 58, 60–61, 66, 71, 74, 79–80, 85, 93, 104, 126, 130, 207, 218 Metaphysik 38, 40–41, 63–64, 82, 125–127, 226 Modulation 17, 32 Monade 187 Montage 183, 190 Montagetechnik 183 Motorik 42, 184–185, 187, 189, 190–192, 194–195 Mund 86, 198–199, 201, 223–224 Museum 30, 39, 48, 91, 143, 198, 202–203, 237 Musik 9, 11–12, 18, 29, 31–32, 35–37, 41–55, 57–58, 62, 66–67, 71–73, 75–80, 84–85, 88–90, 92–93, 97–102, 104–105, 107–115, 127–130, 132–133, 165–176, 178, 183, 185–192, 194–195, 207, 210, 212–213, 218
—Kunstmusik 31 —Programmmusik 32, 50 —Sprachmusik 169 Musikalisierung 53, 168–170 Musiker*in 53, 57, 92, 100, 114, 166–168, 172, 212 Musikstück 18, 54, 218 Musiktheater 218 Muster 73–74, 84, 89 —Farbmuster 74 Mystik 51, 77, 98, 105, 109–113, 127, 146, 210 Mystiker*in 109–110, 210 Mystizismus 127 Mythos 130, 134, 136, 171, 174, 177–178, 180, 208–209, 214–215, 235 N Narration 50, 115, 139, 146, 175–177, 179, 181, 215, 236 Notation 27, 29, 31–32, 139–140, 185–187, 190, 194–195 Notationssystem 27, 186 Note 29, 31, 45, 53, 78–81, 93, 183, 185–195, 198, 215 Notenkopf 185, 189 Notensystem 31 Notentext 183, 186–194 Novelle 171–172 O Oberfläche 19, 76, 133, 193, 208–209 Obertonreihe 175 Objekt 24, 38, 62, 87, 117, 120, 122, 124, 127, 136, 198, 133–134 —Sexualobjekt 117 Ontologie 24–25, 57–59, 61, 66, 88, 93–94, 129–130, 224 Opazität 187–188 Oper 19, 21, 128, 130–132, 169–170, 218
262 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
Opfer 50, 115 Oratorium 167 Orchester 49, 51, 53, 77, 139, 145 Orchestrierung 53 Ordnung 30, 134, 169, 180, 185, 190, 194, 232 Original 19, 27–28, 108–109, 216–217 Ouvertüre 169 P Paradoxie 12, 39, 58–59, 100, 135, 188, 191 Parallele 43, 48, 54, 89, 144, 173–174, 176, 199, 206 Paratext 30 Parlando 203 Partitur 31, 205, 218 Passivität 45, 121, 127 Pathologische 12, 52 61 Pathos 36, 45, 60, 63, 133 Performance 72, 100, 106–107, 113, 203 Performativität 85, 92, 100, 105–106, 132, 183 Phänomen 9, 11–13, 18, 23, 39, 41–42, 46, 71–72, 84–85, 88, 92, 94, 116, 118, 122–123, 131, 133, 135–137, 175, 198, 206 Phänomenologie 37, 42–43, 46, 121, 131, 211, 213 Philologie 140, 176 Physiologie 10, 79, 85 Pietismus 104 Piktografie 89, 235 Pluralität 72, 141 Poesie 56, 169 Poetik 46, 54–60, 129, 202, 226 Poetizität 57–58 Politik 97, 111, 135, 178
Politische30, 49, 58, 63–64, 78, 98, 104–105, 107–108, 114, 116–117, 135, 171, 217 Polyphonie 54, 175, 188 Pop Art 219 Porträt 19, 64 Pragmatik Praktik 72, 85, 88, 116, 117, 127, 135, 137, 203, 216 —Tonpraktik 137 —Bildpraktik 137 Präsenz 17, 19, 41, 177, 179, 226, 234 Praxis 31–32, 46–47, 84, 88–89, 94, 104, 106, 110, 116, 118, 127, 169, 170, 187–188, 190–192 —Bildpraxis 127 Primitive 43–44, 61, 67 Prinzip 130–132, 134–135, 169–170, 172, 174, 180 —architektonische Prinzip 169 —Konstruktionsprinzip 172, 174 —literarische Prinzip 169 —Ordnungsprinzip 169 —Realitätsprinzip 135 —sinfonische Prinzip 169 —Sonatenhauptsatzprinzip 169 Programmmusik 32, 50 Projektion 12, 92–94, 191, 214 Projektionsfläche 12 Pseudomorphose 47 Psyche 89, 212–213 Psychologie 10, 42, 81 Q Quawwali 102 R Rassismus 115 Rationalismus 43, 82, 91–92, 125, 168–169, 224, 226
Sachregister | 263
Raum 9–10, 12, 17, 30, 37–38, 41, 47, 51, 56, 59–60, 65, 75, 77–78, 89, 93–94, 111–113, 116, 127, 131–133, 135, 175–176, 179, 184–185, 188–190, 193, 195, 198–199, 202–203, 209–211, 222, 225–226, 232 —Ausstellungsraum 198, 202 —Diskursraum 12 —Klangraum 78, 111 —Kulturraum 10 —Sehnsuchtsraum 9 Raumerfahrung 211 Raumklang 203 Räumlichkeit 175 Realismus 102–103, 119 Realitätsprinzip 135 Referent 24, 27 Referenz 19, 27, 59, 71, 75–76, 93, 130, 180, 200, 225 —Autoreferenz 19 Reflektieren 132, 177, 209, 216, 232–233 Regression 12, 44 Reim 169 Reiz 9–10, 56, 121, 135, 193, 207, 214–215 —Sinnesreiz 10 Relation 9–11, 13, 51, 90, 93, 99–100, 140, 191, 193, 195, 210, 213 Relationalität 9–11, 191 Religion 72, 78–83, 87, 94, 104, 109, 111–115, 117, 133, 136, 147 Renaissance 127, 144, 208 Repräsentation 9, 93–94, 97–99, 133–134, 136 Repräsentationsform 9 Reproduktion 25, 28, 177, 179–180, 189, 205–206
Resonanz 13, 17–19, 21, 42–43, 53, 61–62, 80, 130, 132–133, 135–136 Responsivität 35, 62, 65, 67, 121, 208, 212 Rhetorik 11, 121, 129, 133, 175, 184, 215–218 Rhythmik 53, 79, 105, 134 Rhythmisierung 134 Rhythmus 37, 53, 78–79, 81, 93, 105, 169, 174, 199 Ritual 84–85, 90–94, 107, 110 Roman 119, 166, 168–169, 172, 176–177, 179, 181 —Künstlerroman 172 —Musikerroman 166, 168, 172 Romantik 11–12, 43, 46, 49, 51, 53, 63, 129–131, 169, 171 S Schatten 17–18, 36, 64, 199, 202–203, 207 Schattierung 17, 207 Schautrieb 119 Schema 24, 26, 28–32, 121, 210, 212, 232 —Körperschema 210, 212 Schicksal 50, 67, 71, 119, 172, 177, 179–180 —Künstlerschicksal 172 Schöne 52, 126 Schrei 18 Schrift 17, 24–26, 29, 31, 109, 187, 189–191, 219, 221–222, 224–227, 229–230, 232–235, 237–238 —Handschrift 225 Schriftbildlichkeit 221–222, 224–225, 230, 233, 237–238 Schriftkonstrukt 222 Schriftkultur 227, 230, 232, 237 Schriftsimulation 226
264 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
Schriftzeichen 191, 219, 221–222, 225–227, 229–230, 232–234, 237–238 Seele 41–42, 52, 109, 123, 125–126, 129, 187, 209 Seheindruck 201, 213–214 Sehen 11–12, 17, 19, 27, 29, 31, 35–43, 45–51, 57–58, 61–67, 92, 116–125, 127, 131, 133–135, 178, 185, 200–215, 226 Sehgewohnheit 230 Sehnsucht 9, 12, 43, 105, 109, 122, 136, 171, 173, 209 —Todessehnsucht 171 Sehnsuchtsraum 9 Sehsinn 116, 127 Sehvermögen 17 Selbstbestimmung 115, 118 Selbstbewusstsein 219, 177 Selbstbezug 19 Selbstkritik 94 Selbstreferenzialität 130, 180, 225 Semantik 24, 28, 32, 54, 56, 59, 82–83, 84, 94, 99, 120, 123, 130, 206–207 Semiotik 128, 188, 222, 226 Sexualität 116–117, 120, 122, 128, 130 Sexualobjekt 117 Sichtbare 36, 39–41, 45–48, 55, 126, 200, 205, 209, 211, 213, 217–218 Sichtbarkeit 38–40, 117, 175, 209 Signifikant 222, 225–226 Signifikat 222, 226 Signifikation 175, 222, 225, 227, 238 Signifikationsfunktion 175 Signifikationskraft 175 Sinfonie 169, 172 Sinn 9–12, 17, 19, 21, 32, 36–40, 42–46, 48, 50, 53, 57, 59–60, 65–66, 71–73, 79–80, 85–87, 90, 115–119, 123–125, 127–132, 134, 169–171,
175–176, 178, 180, 188, 190–193, 204, 206–207, 210–212, 214–215, 218, 225–226, 237 —Sehsinn 116, 127 —Geschmackssinn 17 Sinnenlust 127 Sinnesenergie 10 Sinnesreiz 10 Sinnlichkeit 128, 130–132 Sonate 49, 52, 61, 167, 169, 173 —Klaviersonate 49, 52, 61, 167 Sonatenhauptsatzprinzip 169 Soteriologie 125 Sound 23, 32, 80, 88, 99, 105–106, 112, 139–142, 146, 223, Spiegel 17, 80, 83, 104, 121, 208–209, 211, Spiegelbild 208 Spontaneität 216 Sprache 10, 24–26, 29, 40, 44, 46–47, 55–57, 60, 80, 89, 98, 103, 108, 110, 115, 127–129, 173, 175, 178–179, 181, 186–187, 197–198, 208, 221, 224, 226, 230, 232–233, 236–238 —Außersprachliches 225 —Bildsprache 115 —Tonsprache 115 —Universalsprache 236–237 Sprachgeräusch 175 Sprachkenntnis 230 Sprachkompetenz 233 Sprachkunst 168, 178 Sprachmusik 169 Sterben 19 Stereotyp 32, 54, 117 Stilistik 176, 183, 188, 190 Stille 17, 39–40, 49 Stillleben 134 Stimme 39–41, 51, 76, 135–136, 175, 180, 198, 207–209, 215, 218
Sachregister | 265
Stimmengewebe 175 Stimmung 49, 62, 76, 132 Stottern 198 Strategie 10, 71, 94 Struktur 24, 28, 32, 46, 63, 71, 89, 93, 99, 101, 115, 119, 121, 130, 132, 134, 136, 177, 207, 210, 212–216 —Triebstruktur 119 Subjekt 12, 30, 37–38, 62, 109–111, 118, 120–121, 127, 135, 178, Subjektivismus 127 Sublimierung 42, 126 Sufi 77, 105–106, 109 Sufismus 105 Sünde 103, 119–121, 123, 125, 131–133, 136–137 Sündenlehre 123, 125, 132 Symbol 23–26, 28–33, 42, 47, 52, 66, 76, 99, 104–108, 113, 141–142, 147, 171, 180, 188, 202, 204, 237 Symbolsystem 24–26, 28, 30, 99 Symboltheorie 23, 31–33, 188 Symphonie 53–54 Synästhesie 10–12, 41–44, 46, 51–52, 55, 66–67, 71, 74–76, 78, 80–81, 84–85, 89–94, 206–207 Synästhesiediskurs 12 Synthese 9, 12, 42–43, 168–170, 207 System 24–32, 80, 82–84, 86–88, 90–91, 93–95, 99, 101, 108–110, 136, 186, 190–191, 194, 216–217, 223, 225, 230, 232, 238 —Notensystem 31 —Notationssystem 27, 186 —Symbolsystem 24–26, 28, 30, 99 —Zeichensystem 223 T Takt 52, 183, 185, 188 Taktstrich 185
Taktile 206, 209 Technik 84, 87, 109, 170, 172, 174, 183, 201, 212, 221, 232 —Anspielungstechnik 172 —Drucktechnik 221 —Leitmotivtechnik 170, 174 —Montagetechnik 183 Tempo 105, 183–184 Text 23–26, 28–32, 76–77, 109–112, 116, 119–120, 128–129, 137, 140, 172–174, 177–178, 183, 186–194, 221, 229 —Kontext 26, 30, 32, 43, 72, 75, 78–80, 84–85, 88, 91, 93, 98, 104–105, 108–109, 112–113, 117, 119, 121, 124, 135, 165, 200, 203, 207–208, 216–217, 233, 236 —Notentext 183, 186, 186–194 —Paratext 30 Textur 131 Theater 124, 218 —Musiktheater 218 Theologie 81, 109, 112, 115–119, 122, 130, 133, 135–137, 141 Timbre 71, 185, 187 Tod 18, 58, 63, 122, 132, 171–172, 174 —Liebestod 171 Todessehnsucht 171 Ton 9, 11, 12, 17–19, 27, 31–32, 35, 37–39, 41, 45, 47–51, 53, 56–57, 61–63, 67, 71–72, 75, 80, 82, 84–87, 99, 109, 115, 117–118, 123, 126, 131–132, 139, 146, 166–167, 169, 171–173, 175, 183–186, 188, 190, 195, 198, 200–204 —Betonung 19, 35, 183 —Farbton 27, 205, 207 Tondauer 186, 190 Tondehnung 184–185 Tongefüge 11, 71
266 | Die Ambivalenz von Bild und Klang
Tonhöhe 31, 80, 185–186, 190, 198, 200, 205, 207 Tonsprache 115 Tonspur 200–201 Tradition 11, 27, 40, 74, 77–80, 89, 94–95, 104–109, 120, 126, 141, 143, 176, 180, 219, 223 Tragödie 9 Transformation 91–92, 94, 100, 235, 242, 244 Translation 141, 187, 193 Traumageschichte 136 Trieb 9, 105, 116, 118–119, 121, 123–124 —Schautrieb 119 Triebstruktur 119 Typologie 168 U Überbindung 183 Übersetzung 9, 47, 50, 187 Übertragung 10, 27 Überzeugungskraft 216 Umriss 19, 134, 241 Unhörbare 211 Universalsprache 98, 236–237 Unlesbare 222, 237–238 Unterscheidung 19, 23, 27, 84–85, 176, 195, 211, 222 Ursprung 9, 43–44, 57–58, 78, 111, 177, 179–180, 221, 226, 232, 235 Urteilskraft 10, 130, 216 Urzustand 43 V Verfahren 44, 176, 178, 223–225 Verführung 116, 128, 136, 171 Verhandlungsraum 12 Verlangen 40, 45, 48, 59, 116, 124, 126, 183, 187, 199, 203, 208, 212–213, 215
Vermittlung 47, 55, 58, 60, 74, 106, 180, 190, 200–203, 205–207, 210, 214, 225, 230, 238 Vernunft 10, 41, 59, 118, 122, 129, 168, 174 Vers 18, 169 Verschleierung 116–117 Versmaß 169 Verstand 9, 12, 18, 28, 37–39, 46, 52–55, 72, 78, 80, 82, 85, 89–90, 92, 94, 99, 104, 116–117, 130, 133, 135, 168, 173, 178, 193, 197, 202, 209, 214–215, 217–218, 229, 237 Verständnis 12, 28, 38–39, 52–53, 55, 72, 82, 85, 89–90, 94, 130, 135, 197, 202, 214 —Missverständnis 28, 54, 197, 209, 214 Verstehen 19, 28–29, 40, 45, 48, 57–60, 67, 72, 94, 119, 124, 129, 178, 207, 232, 237 Video 115, 198, 200, 239 Virtuelle 71, 93, 186–187, 191–192, 194, 196, 243–244 Visualität 135, 215 Visuelle 31, 38, 47, 71–73, 75–76, 80, 101, 108, 111–113, 117–118, 121, 175, 179, 201–202, 205, 207–210, 212, 215 Vollzug 43, 97, 125, 128 Vordergrund 72, 91, 117, 207, 211, 216, 225 Vorstellen 51, 72, 210, 217, 227 Vorstellung 10, 36, 80, 99, 118, 132, 180, 201, 204–207, 211, 215, 217–218, 226, 242 Vorstellungsbild 215, 217 Vorstellungskraft 180, 205–206
Sachregister | 267
W Wahrheit 17, 56, 58, 61, 82, 122, 126 Wahrnehmbare 17, 113, 117, 207, 210, 213–215 Wahrnehmung 13, 39, 42–43, 45, 48, 52, 72, 84–87, 92–94, 111, 117, 119, 121, 124, 127–128, 178, 185, 206–207, 211–212, 214, 232–233 17 —Nichtwahrnehmbare Wahrnehmungsform 119, 124, 127 Welt 9, 18, 39, 41–44, 49–52, 57–67, 75–76, 78–79, 81–83, 86–87, 89–91, 93–94, 98, 102, 107, 116, 121, 129, 133–137, 168, 174, 177–178, 187, 193, 204, 210–211, 222, 227, 229–230, 232 —Klangwelt 227, 238 —Lebenswelt 87, 116, 133, 135, 137 —Zeichenwelt 230, 241 Weltlichkeit 63 Weltmusik (Worldmusic) 75, 93, 102, 107 Weltverhältnis 57 Werbung 135 Werk 25–27, 31, 37, 51, 55, 67, 75, 81–82, 98, 122–123, 131, 166–168, 170, 172, 179, 187, 199, 201, 203, 216–217, 219, 224 —Kunstwerk 10–11, 41, 43, 168, 170, 178, 199, 202, 216 Widerhall 17, 92, 208–209 Wissen 51, 54, 59, 61, 67, 82–83, 94, 113, 117, 132, 177, 180, 192, 214 —Körperwissen 87 Wort 17, 19, 25–26, 29, 36–37, 39–41, 44–45, 47–48, 52, 54, 58, 60–63, 65, 67, 72, 74, 81–82, 86–87, 91, 94–95, 109–110, 119, 121, 124, 126, 135, 145, 165–166, 169–172, 174,
186–187, 197, 200, 202, 204, 206, 208, 211, 215, 217–218, 226, 235 Wortkünstler*in 172 Z Zeichen 11, 24–31, 39, 76, 80, 84, 115, 133, 185, 185–192, 218–219, 221–227, 229–230, 232–235, 237–238 —Schriftzeichen 191, 219, 221–222, 225–227, 229–230, 232–234, 237–238 Zeichencharakter 27 Zeichencode 232 Zeichengebilde 224, 230 Zeichenmaterial 221 Zeichenrepertoire 25–26 Zeichensimulakrum 223 Zeichensystem 223 Zeichenträger 222 Zeichenwelt 230, 241 Zeit 11, 24, 26–27, 30, 32, 45, 62, 67, 74, 76, 89, 97, 105, 111, 115, 118, 131, 165, 168–170, 175–181, 183–185, 187, 189–191, 193–195, 204, 210–211, 213, 217, 235, 237 Zeitlichkeit 95, 175, 180, 211 Zunge 198 Zusammenklang 53, 132
Architektur und Design Daniel Hornuff
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