Die altnordische Heroische Elegie 9783110870336, 9783110132540


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German Pages 378 [380] Year 1992

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis
Guðrúnarqviða in fyrsta
Guðrúnarqviða ǫnnor
Die Quellen der Guðrúnarqviða ǫnnor
Totenpreis in HH II, Gðr. I und Gðr. II: Ekstase auf dem Hintergrund des Hohenliedes
Guðrúnarqviða in þmðia
Oddrúnargrátr
Guðrúnarhvǫt
Sigurðarqviða in scamma
Das Problem einer deutschen Vorlage der Sigurðarqviða in scamma
Helreið Brynhildar
Atlamál
Teil 2: Die Heroische Elegie als Gesamtphänomen
Darstellung und Auffassung der einzelnen Figuren
Aspekt des Leidens: Wortschatz
Schmerz als Rache
Das Problem des Leidens
Der psychologische Aspekt: Wortschatz
Der moralische Aspekt: Wortschatz
Das Schuldproblem
Die Verankerung der Heroischen Elegie im Altisländischen: Grundsätzliche Fragen
Literaturverzeichnis
Sekundärliteratur
Ausgaben
Weitere Ausgaben
Wörterbücher
Lexika
Übersetzungen
Indices
Sekundärliteratur
Quellen
Sachwörter (Auswahl)
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Die altnordische Heroische Elegie
 9783110870336, 9783110132540

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Die altnordische Heroische Elegie

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Herbert Jankuhn f , Reinhard Wenskus Band 6

w G_ DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

Die altnordische Heroische Elegie von Ulrike Sprenger

w CL DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Einheitsaufnahme

Reallexikon der germanischen Altertumskunde / begr. von Johannes Hoops. In Zusammenarbeit mit C. J. Becker ... Hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter. Bis Bd. 4 hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... NE: Hoops, Johannes [Begr.]; Beck, Heinrich [Hrsg.] Bd. 6. Sprenger, Ulrike: Die altnordische Heroische Elegie. — 1992 Sprenger, Ulrike: Die altnordische Heroische Elegie / von Ulrike Sprenger. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 6) ISBN 3-11-013254-0

© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin 61

Vorwort Das Ziel dieser Arbeit ist es zu zeigen, daß es sich bei der Heroischen Elegie — Guörunarqviöa I und II, Oddrünargrätr, GuörunarhvQt mit Einschluß von Guöninarqviöa III — um junge, isländische Schöpfungen handelt1, d.h. nicht, wie sonst in der altnordischen Literaturgeschichte üblicherweise aufgrund der Arbeiten von Mohr 2 dargelegt wird, um Fremdstofflieder 3 ; als weiterer Umkreis werden dabei auch Lieder wie Siguröarqviöa in scamma, HelreiÖ Brynhildar, Atlamal in grcenlenzco herangezogen. Damit ist es notwendig, sich mit Mohr immer wieder auseinanderzusetzen, wenn auch nicht mit jeder Einzelheit. Klar ist damit auch, daß es sich hier nicht um einen Eddakommentar handelt, auch wenn zuerst jedes Lied einzeln besprochen wird, um es als jung und isländisch darzustellen. An diese Besprechung schließt sich eine die gesamten Schöpfungen berücksichtigende Darstellung, welche die Entstehung dieser Werke im erwähnten Sinn verständlich macht, nämlich derart, daß sich in der Heroischen Elegie ein Wandel in der Auffassung der Heldensagenfiguren abzeichnet: Im Zuge einer intensiven Beschäftigung mit diesen Figuren gab man ihnen einen anderen, menschlicheren Gehalt. Eine hervorragende Rolle spielt dabei die geistliche Literatur, ein Begriff, der nicht nur an isländische, sondern auch an lateinische Texte denken läßt. Christentum und geistliche Literatur sind hier in einem sehr weiten Sinn aufzufassen, u.a. das Hohelied als Liebesdichtung. Ein weiteres zu nennendes Element ist z.B. die höfisch-ritterliche Dichtung. Wenn hier von einem Wandel in der Auffassung der Gestalten der Heldensage gesprochen wird, so deshalb, weil m.E. ein derart geändertes Heldenbild, wie es in der Heroischen Elegie vorliegt, sich nicht wie eine Art Mode vom Ausland her übernehmen läßt, sondern eine Umgestaltung aufgrund einer vertieften Auseinandersetzung mit diesen Figuren verlangt.

1

2 3

Diese These habe ich, als ich das vorher in der Forschung nicht mehr beachtete Thema der Heroischen Elegie erstmals wiederaufnahm, bereits 1981 in einem Vortrag dargelegt (Sprenger, Ulrike: Heroische Elegie und geistliche Literatur. In: Akten der Fünften Arbeitstagung der Skandinavisten des deutschen Sprachgebiets. 16.-22. August 1981 inKungälv, hg. v. Heiko Uecker. St.Augustin 1983. S. 185-196 [durch viele Druckfehler beeinträchtigt]). Mohr a] und b]. "Fremdstofflieder" sind diese Lieder — trotz Ablehnung der These Möhrs — natürlich insofern, als es sich bei der Nibelungensage um einen ursprünglich von außen zugekommenen Sagenstoff handelt.

VI

Vorwort

Für mich ist damit zum vornherein gegeben, daß eine Entstehungsgeschichte, wie sie Mohr beschreibt — die Heroische Elegie in ihrem Wortlaut von außen geprägt —, unhaltbar ist. Dennoch bedeutet das nicht automatisch, daß es nicht auch Einflüsse von außen gegeben hätte4, so rechne ich u.a. damit, daß das von Mohr herangezogene sog. Novellistische Spielmannslied von isländischen Schöpfern der Heroischen Elegie benützt wurde, obwohl es als "Konstrukt" nicht real nachweisbar ist. Ich betrachte das Novellistische Spielmannslied als leichtes Genre 5 — sentimental, bis ins Groteske gehend (wettklagende Frauen aufgrund unzähliger Todesfalle), unterhaltend —, das gewisse Elemente, die später in der Heroischen Elegie benützt wurden, mit sich führte, d.h. als eine Art Transportmittel. Die gegebene Charakterisierung kann eine Benennung mit dem heute obsoleten Begriff "spielmännisch" dennoch akzeptabel erscheinen lassen. Mit Heuslers "isländischer Spätblüte"6 berühren sich meine Darlegungen insoweit, als es sich für mich bei der Heroischen Elegie um eine junge isländische Schöpfung handelt, doch geht der hier dargelegte Wandel weit über das hinaus, was Heusler meint, wenn er von einem Streben nach Innerlichkeit spricht, das dazu führte, die Form des Ereignisliedes zu verlassen. Bei der Darstellung dieser isländischen Schöpfungen wird auch deutlich, daß man, wie ich meine, mit weiterer, früherer, eigenständiger isländischer Heldendichtung rechnen sollte. Vieles mag verloren sein; die Edda selbst stellt wohl einen Kanon, d.h. eine Auswahl dar. Nur Bruchstücke dieser vorauszusetzenden Lieder sind faßbar; die beste Illustration für das Problem stellt Gör. II dar, ein Lied mit einer komplizierten Entstehungsgeschichte. Wer die hier für die Heroische Elegie vorausgesetzte Singularität beanstandet, möge bedenken, daß Island auch deshalb singulär ist, weil es bereits eine große Prosa aufwies, als in Europa Epik sonst noch in Versform gestaltet wurde. Übernationale Bezüge bestehen trotzdem. Die hier angewandte Methode ist im Gegensatz zu vielen heutigen Arbeiten die alte philologische (gewisse Stellen müssen zuerst einmal überhaupt verstanden werden). Eine große Rolle spielt dabei die Heranziehung des Wortschatzes; sie erlaubt z.B. zu zeigen, daß bei den Atlamäl Einfluß eines hagiographischen Modells besteht. Durch die breite Heranziehung des Wortschatzes von Skaldik und Prosa, wobei Texte aus der geistlichen Literatur eine große Rolle spielen, wird deutlich,

4

5

Die höfisch-ritterliche Dichtung, mit der Island über Norwegen in Kontakt kam, betrachte ich nicht als ausländischen Einfluß, wie hier allgemein, wie unten bemerkt, Norwegen als natürlicher Umkreis von Island und damit eine gewisse Einheit bildend angesehen wird. S. auch Mohr b] S. 207ff.

6

Heusler, Andreas: Die altgermanische Dichtung^. Potsdam 1941. S. 187.

Vorwort

VII

daß die Heroische Elegie keine isolierte Schöpfung (Fremdstofflieder) innerhalb des Isländischen darstellt, sondern dort selbst verankert ist. Wenn Mohr bei seinen Untersuchungen die Bezeichnungen "elegienmäßig"," Elegienbereich" usw. in einem sehr weiten Sinn verwendet und z.B. das Leiden entsprechend der Darstellung in der Folkevise einbezieht, so behandle ich diesen Bereich und seinen Wortschatz getrennt; elegienmäßig (im Sinne Möhrs) sind für mich z.B. Begriffe wie gullböca, rekia borda (Stickereimotiv) usw. Daß hier, abgesehen von Dronkes Kommentar zu Atlaqviöa, Atlamal, GuörünarhvQt und Hamöismäl, möglicherweise zum Erstaunen mancher, öfter auf den Kommentar von Gering verwiesen wird, so deshalb, weil bei ihm, aufgrund einer langen Auseinandersetzung mit diesen Liedern, wertvolles Material vorliegt, trotz seiner heute inakzeptablen konstruktiven Textgestaltung. Gering selbst verweist in seinem Kommentar bereits auf die Folkevise, was von Mohr auch hervorgehoben wurde. Gleichfalls enthält der noch ältere Kommentar von Detter-Heinzel Wertvolles. Durch die Heranziehung dieser Arbeiten wird klar, daß innerhalb der Forschung eine gewisse Kontinuität besteht, was mir sehr wertvoll erscheint. Skaldenzitate sind mit Jonssons B-Text wiedergegeben, ausgenommen dort, wo er sich zu weit von der Uberlieferung entfernt. In solchen Fällen und manchmal auch sonst wird der Text aus den entsprechenden Sagas, die auch eine Interpretation liefern, herangezogen. (Der Α-Text ist trotzdem, wie bereits diese Wahl zeigt, keine unbekannte Größe.) Meine Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit der "alten" Fremdstoffliederthese Möhrs; damit kommen unvermeidlicherweise Rekonstruktionsformen wie Brynhildlied, Altere Not usw. ins Spiel. Diese sind in der Forschung umstritten, und erst neulich wurden sie bei der Besprechung eines Buches von Andersson 7 , der mit ihnen gewissermaßen wie mit absoluten Größen arbeitet, einer vehementen Q

Kritik unterzogen , und zwar mit Verweis auf die oral-poetry-Theorie, die freilich auch selbst umstritten ist und z.B. von Haug (s. unten) abgelehnt wird. Rekonstruktionen können suspekt erscheinen. Dennoch fragt es sich, wie weit man mit der oral-poetry-Theorie tatsächlich kommt. Bei der serbokroatischen Heldenlieddichtung, deren Darstellung durch Parry und Lord 9 sowie Braun 10 allein eine authentische Darlegung des mündlichen Vortrage erlaubt (nicht aber die darauf aufbauenden Arbeiten), wird mit Improvisation gearbeitet; der Sänger verwendet Schablonen, die ihm für alle erdenkbaren Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

7 Andersson, Theodore M.: A Preface to the Nibelungenlied. Stanford 1987. 8 Heinzle, Joachim, ZfdPh 109, 1990, S. 120-123. 9 S. z.B. Lord, A.B.: The Singer of Tales. Cambridge/Mass. 1960. 10 M. Braun: Das serbokroatische Heldenlied. Opera slavica. Bd.l. Göttingen 1961. (Braun stützt sich auf anderes, früher gesammeltes Material.)

VIII

Vorwort

Braun spricht nach weiterer Untersuchung dieser Heldenepik von gebundener Improvisation (auch wenn im einzelnen Fall Neuschöpfung, Abänderung möglich ist). Bei diesen Liedern besteht auch Gruppenbildung anhand bestimmter Themen. Wie Braun ausführt, sind persönliche Daten die Kennzeichnung eines Einzelliedes, nämlich die Person des Haupthelden, der räumliche und zeitliche Rahmen. Losgelöst von diesen Daten ist die Handlung eines Liedes, wie z.B. die "Heirat des Königssohnes Marko" etwas Allgemeines, Unbestimmtes, ohne persönliche Prägung. Nach Braun gibt es praktisch nur Nachdichtung ("Nachlieder" sozusagen), die auf irgendein Vorbild zurückgehen, das kaum eruierbar ist. Beliebte Liedinhalte werden immer wieder neu gestaltet. Braun nennt als Beispiel die Brautentführung. Damit kommt es zu der bereits erwähnten Gruppenbildung, wobei ein entsprechendes Handlungsschema benutzt und mit den entsprechenden Schablonen gestaltet wird. Der Improvisator ist damit ein sehr versierter "Techniker", aber kein Schöpfer. In unserem Fall bildet die deutsche Heldenlieddichtung den Ausgangspunkt. Anhand ihrer Gestaltung — sie läßt sich erfassen mit Hilfe früher eddischer Lieder, die auf deutsche Vorbilder zurückgehen, sowie durch das Hildebrandslied selbst (auch das Finnsburglied mag herangezogen werden) — wird erkennbar, daß es im Laufe der Zeit zu einem Bruch in der Auffassung der Heldensage kam: Sagenfiguren, wie z.B. Brynhildr, wurden tiefgehend umgestaltet. Erst war sie eine unerreichbare, hohe, zur Rächerin werdende Figur. In der f»iöreks saga nun ist sie eine Gestalt von niedriger Gesinnung, von Gunther gewonnen durch Defloration durch einen anderen. Kriemhild wiederum tötet z.B. mit einem Feuerbrand ihren schwer verwundeten Bruder Giselher. Abstoßend ist auch die Szene mit der Erschlagung des Etzelsohnes usw. Es ist ein grundlegender geistiger Wandel entsprechend historisch-soziologischen Gegebenheiten, der sich in den verschiedenen Figuren der Piör.s. widerspiegelt, wahrnehmbar noch im Nibelungenlied, dessen Dichter nicht immer eine angemessene höfische Form des Stoffes erreicht. Die Gestaltung eines solchen Wandels kann nicht einem Improvisator zugeschrieben werden, sondern sie ist das Werk eines einzelnen Schöpfers, d.h. eines Dichters, auch wenn es um den Eintritt in eine niedrigere Sphäre geht. Der beschriebene Wandel — die Hauptzüge des Handlungsgerüstes sind dieselben (abgesehen von der neuen Rächerinnenfunktion der Kriemhild) — läßt sich anhand erhaltener Dokumente erfassen; damit muß es erlaubt sein, für einen solchen Wandel eine gewisse Form vorauszusetzen, d.h. sich um eine Rekonstruktionsform zu bemühen, wobei es klar ist, daß dies Versuche sind. (Im einzelnen Fall liegen z.T. auch mehrere solcher Versuche vor.) Diese haben natürlich keine absolute

IX

Vorwort

Geltung 11 , doch erlauben sie gerade im Fall der altnordischen Heroischen Elegie eine Abgrenzung gegenüber deutschen Gestaltungen desselben Heldensagenstoffes. Die Benutzung solcher Rekonstruktionsformen ist so als Arbeitsinstrument für mich vertretbar. Was insbesondere das Brynhildlied anbelangt, so sei hier noch kurz auf das Heldensagenmodell von Haug 12 eingegangen. Er betrachtet dasjenige Heuslers, dem er das seine gegenüberstellt, als rein ästhetisch bedingt, es sei in sich abgeschlossen, ohne Berücksichtigung historischer Gegebenheiten. Was nun, wie er es nennt, MFreierproben und Bezwingung in der Hochzeitsnacht" anbelangt, so hält er diese Motive für von Anfang an gegeben, für Elemente seines Modells, wobei er für das früheste Stadium von Nichtwissen spricht. Die vorliegenden altnordischen Zeugnisse sind für ihn nicht maßgebend. So betrachtet er z.B. die Rächerinnenrolle der Guönin (Akv.) als nordische Gestaltung; sie gehöre nicht zum ursprünglichen Modell. Er übersieht dabei aber, daß diese Funktion der Frau auch im Langobardischen gegeben ist (Rosimund rächt ihren Vater), nur altnordisch ist die Rächerinnenrolle der Guörun kaum. Weiter beachtet er auch nicht, daß Akv., 11

wie Hm. usw., zu den sog. frühen Fremdstoffliedern gehören , diese werden aufgrund syntaktischer und metrischer Merkmale wie auch des Gebrauchs bestimmer Ausdrücke als Schöpfungen betrachtet, denen westgermanische Originale zugrunde liegen. Nun liegt freilich beim Hm.-Stoff eine merkwürdige Variante vor, die uns durch Bragi in der Ragnarsdräpa überliefert ist. Dennoch zeigt ein Vergleich mit dem Hamdirlied, daß, soweit sich das überhaupt beurteilen läßt, keine grundlegenden Veränderungen des Heldensagengeschehens vorliegen. Die Haugsche Aussage ist also mit Skepsis zu betrachten. Man wird damit eine "hohe" (vornehme) Gestaltung der Figuren, wie sie z.B. Akv. zeigt, nicht ohne weiteres als altnordisch abtun können. Haug selber verlangt die Berücksichtigung historischer Umstände. Dies muß dann auch für sein eigenes Modell gelten. Deshalb ist davon auszugehen, daß das, wie er sagt, "Ausspielen der verschiedenen Möglichkeiten eines Themas" nicht jederzeit vollständig war oder noch anders gesagt, daß die Gestaltung von Brynhildr, wie sie in der f»iör.s. vorliegt, nicht immer für diese Figur charakteristisch war, sondern eben abhängig von den

11 12

13

Von einer solchen Rekonstruktionsform, der Älteren Not, liegt immerhin eine Strophe vor! Haug, Walter: Heuslers Heldensagenmodell: Prämissen, Kritik und Gegenentwurf. ZfdA 104, 1975, S. 273-292 sowie: Normatives Modell oder hermeneutisches Experiment: Überlegungen zu einer grundsätzlichen Revision des Heuslerschen Nibelungen-Modells = Hohenemser Studien zum Nibelungenlied. In: Montfort: Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 32, 1980, S. 212-226. Ich kann zwar die Fremdstoffliederthese fiir die Heroische Elegie nicht akzeptieren, bei den frühen Heldenliedern, die einen Beginn bezeichnen, hat sie dagegen für mich ihre Berechtigung.

χ

Vorwort

jeweiligen historisch-soziologischen Bedingungen. Dies ist wohl auch gemeint, wenn Heusler von einem spielmännischen Gestalter spricht. Hier ist weiter auf die Rezeption, die Haug unbeachtet läßt, zu verweisen: Jedes Hörerpublikum hat einen bestimmten Erwartungshorizont, und dieser ist entsprechend den historischsoziologisch bedingten Gegebenheiten verschieden. Der jeweilige Gestalter aber muß diesen Erwartungshorizont berücksichtigen und seinen Stoff entsprechend gestalten. Damit ist die "niedrige" Gestaltung der Brynhildr, wie sie uns in der Mör.s. entgegentritt, als Ausfluß einer bestimmten Epoche und als Prägung eines bestimmten Schöpfers zu verstehen oder laut Haug als damaliges volles Ausspielen aller gegebenen literarischen Möglichkeiten, im Gegensatz zu einem nicht vollen Ausspielen in anderen Schöpfungen. Die Bezeichnung "altnordisch", die zwar definitionsgemäß ganz Skandinavien umfaßt, fungiert hier doch, entsprechend den tatsächlichen Gegebenheiten, als Oberbegriff für "altnorwegisch" und "altisländisch"; dabei könnte es möglicherweise scheinen, daß "altnordisch" (im verengten Sinn) und "altisländisch" ("isländisch") nicht immer streng geschieden sind 14 , wie man vielleicht auch finden könnte, daß Island und Norwegen in allzu starker Verbundenheit gesehen sind, dennoch betrachte ich diese Verbundenheit (obschon sie nicht immer eine "Verbundenheit" war) als gegeben. Den Herausgebern der Beihefte des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde danke ich für die Aufnahme meines Buches in ihre Reihe. Besonderen Dank schulde ich Frau Dr. A. van Nahl für ihren großen Einsatz bei der computergerechten Gestaltung des Textes, sowie Herrn J. Trinkwitz, M.A. für seine sachkundige Mitarbeit.

Ulrike Sprenger

14

Dies gilt insbesondere, wenn hier, entsprechend dem Gebrauch in der altnordischen Literaturgeschichte, immer von der "altnordischen" Heroischen Elegie die Rede ist, obwohl in dieser Arbeit dargelegt wird, daß es sich um isländische Schöpfungen handelt.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Inhaltsverzeichnis

XI

Teil 1: Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

1

Guörunarqviöa in fyrsta

3

Guörunarqviöa Qnnor

22

Die Quellen der Guörunarqviöa Qnnor

50

Totenpreis in HH II, Gör.I und Gör.II: Ekstase auf dem Hintergrund des Hohenliedes

77

Guörünarqviöa in Jjriöia

89

Oddrunargrätr

102

GuöninarhvQt

120

Siguröarqviöa in scamma

149

Das Problem einer deutschen Vorlage der Siguröarqviöa in scamma

163

Helreiö Brynhildar

171

Atlamal

190

Teil 2: Die Heroische Elegie als Gesamtphänomen

215

Darstellung und Auffassung der einzelnen Figuren

217

XII

Inhaltsverzeichnis

Aspekt des Leidens: Wortschatz

227

Schmerz als Rache

255

Das Problem des Leidens

261

Der psychologische Aspekt: Wortschatz

270

Der moralische Aspekt: Wortschatz

276

Das Schuldproblem

290

Die Verankerung der Heroischen Elegie im Altisländischen: Grundsätzliche Fragen

311

Literaturverzeichnis

351

Sekundärliteratur

351

Ausgaben

353

Weitere Ausgaben

357

Wörterbücher

358

Lexika

359

Ubersetzungen

360

Indices

361

Sekundärliteratur

361

Quellen

363

Sachwörter (Auswahl)

367

Teil 1 Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Guörunarqviöa in fyrsta Gudrun; Auffassung und formale Gestaltung Das erste Gudrunlied beginnt mit einem eindrucksvollen Bild: Nahe am Sterben sitzt Guönin kummervoll bei (über) dem toten Sigurör: Gdr.11,3/4

er hon sat sorgfull

yfir Sigurdi.

Das Lied, das unvermittelt mit diesem Bild einsetzt, sagt also nichts über die Erschlagung Sigurds. Der Gebrauch von sitjayfir in Verbindung mit sorgfullr macht aber klar, daß es sich hier um eine Trauersituation handelt; sitja yfir, das weiter unten ausführlich behandelt werden wird 1 , gehört zum Wortschatz des Leidens der altnordischen Heroischen Elegie. Der grenzenlose Schmerz von Guörün ist still, in sich gekehrt. Das wird durch die den Rahmen bildende Szene mit den um die Wette klagenden Frauen (Str. 4; 6-10) herausgearbeitet. Diese versuchen, die schmerzgepeinigte Guörun zu trösten, indem sie von ihrem eigenen unsäglichen, durch Zahlen illustrierten Leid sprechen. Auch wenn sich die erste Frau als freudloseste auf der ganzen Erde bezeichnet und die zweite sie noch zu übertrumpfen versucht — Verlust von sieben Söhnen, des Mannes, der Eltern und von vier Brüdern —, werden diese Klagen von GullrQnd, der Schwester der Guörun, doch zurückgewiesen. GullrQnd ist es auch, welche die Liebe von Guörun und Sigurör als die größte auf der ganzen Erde bezeichnet. Wohl liegt bei dieser Szene eine Dreizahl vor, und insofern ist durch die dritte Figur die Klimax gegeben; dennoch zeigt die Darstellung der Guörun, daß ihr Schmerz nicht lediglich eine Stufe höher liegt als der der anderen Frauen, vielmehr hat er etwas Absolutes — so wie auch von ihrer Liebe gesagt wurde, daß sie die größte war —, er ist etwas kaum mehr Tragbares, das in dem hier bestehenden und im zweiten Gudrunlied geäußerten Wunsch nach dem Tod seinen Ausdruck findet. Die Unsäglichkeit des Schmerzes von Guörun hat eine Parallele in einer anderen Gestalt: in der Marias. In den beiden altnordischen Homilienbüchern wird in einer Predigt zu Marias Himmelfahrt sowie in einer

1

S. S. 247.

4

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Stelle der Mariu saga ausgeführt, daß der Schmerz Marias bitterer und ebenso ihre Liebe zu Jesus größer war als die aller anderen Menschen. Auch Maria hat den Wunsch zu sterben, hier sei nur an eine Stelle aus dem Planctus ante nescia2 erinnert: 9b.

Utinam sie doleam, ut dolore peream.

Die Möglichkeit einer Beeinflussung der Darstellung von Guörun durch die Figur der Maria erscheint auch durch die äußeren Umstände gegeben: Guörun hat wie Maria das Liebste, das sie besaß, verloren. Beide sind schuldlos und — wenn man an Betttod denkt —Zeuge der schrecklichen Tötung. In beiden Fällen ist der Getötete ein unschuldiges Opfer. (Sigurör wird meuchlings erschlagen, insofern ist er auch ein Dulder.) Die Beziehung von Guörun zu Maria läßt sich noch weiter illustrieren. Im ersten Gudrunlied finden sich die Verse: 13,3/4 15,1/2

oc vatt vengi jyr vifs kniam pä hne Gudrun HqU vid bolstri

Guörun sitzt vor dem aufgebahrten Toten, in Str. 15 wird also gesagt, daß sie auf dem Kissen (bolstr) hinsinkt. Das setzt voraus, daß sie vorher ihre Stellung verändert hat: Der Sitzenden wird von GullrQnd ein Kissen hingelegt, darauf kniet sie und betrachtet Sigurör; sein Anblick erschüttert sie und bringt sie eben zum Hinsinken. Daß Guörun vor Sigurör kniet, erscheint auffällig; ihre Stellung dadurch zu begründen, daß sie auf diese Weise in engen Kontakt zu Sigurör kommt , erscheint mir nicht ausreichend; hier schimmert wohl eine frühe Art der Mariendarstellung bei der Beweinung (Threnos) durch. So kniet z.B. im Tetraevangelium von Parma4 Maria vor dem toten Christus und küßt ihn (wie auch Guönin nach dem Rat von GullrQnd den toten Sigurör küssen soll).

2

3 4

Der Planctus ante nescia, eine lateinische Marienklage des Godefroi von St.Viktor, wird von Karel de Vries in seiner Dissertation: De Mariaklachten. Zwolle 1964, S. 57 1180 angesetzt. Nach Philippe Delhaye: Le microcosme de Godefroi de Saint-Victor. Lille/ Gembloux 1951, S. 33 kommt dafür der von Godefroi in St.Viktor verbrachte Zeitabschnitt in Frage: 1155/60-1180. Daß dieser Text erst später ins Isländische übersetzt wurde (Mar.s.850ff.), schließt eine frühere Kenntnis des lateinischen Textes nicht aus. Ich erinnere nur gerade daran, daß St.Viktor jenes Pariser Kloster ist, das von der zweiten Hälfte des 12. Jhs. bis zum Anfang des 13. Ihs. in engem Kontakt mit Norwegen stand. Detter-Heinzel II S. 451. Gabriel Millet: Recherches sur l'iconographie de l'evangile au XIV^, XVe et XVI e siecles. Paris 1916. Fig. 531.

Guöninarqviöa in fyrsta

5

Auf das Bild der großen, Maria gleichenden Dulderin folgt das der großen Liebenden, die nähere Erklärung des unsäglichen Schmerzes. Guörun, die von GullrQnd durch das Enthüllen der Leiche zum Weinen und damit auch zum Sprechen gebracht wird, preist den toten Sigurör in einem Vergleich mit Gerlauch und Edelstein, der die Überlegenheit Sigurös über die Gjukungen versinnbildlicht (Str. 18). Sie erwähnt dabei auch ihre eigene hohe Stellung, die nun verloren ist, nämlich im Vergleich mit dem unbedeutenden (gebeugten) Blatt des Lorbeerbaumes (Str. 19,5ff.). In der folgenden Strophe führt sie ihren Verlust durch Sigurös Tod weiter aus; sess ok seeing ist wohl eine Formel, mit der Guörun auch die sinnliche Seite ihres Verlustes deutlich macht. Die Schuldigen sind ihre Brüder. In der anschließenden Strophe (21) sagt Guörun, bei direkter Anrede, unter Berufung auf die gebrochenen Eide, voraus, daß die Gjukungen (er) ihr Land veröden werden und Gunnarr φύ, Gunnarr) dann den Tod durch den Hort erleiden werde. In der letzten Strophe (22) erinnert sie an die Freude, die sie hatte, wenn Sigurör sein Pferd im Hof sattelte, was sie — in ihrer aufgerührten Stimmung — mit dem Werbungszug zu Brynhildr verbindet. Die Textpartie der Guörun läßt unmittelbar an die entsprechende der Signin in HH II (30ff.) denken. Guörun beginnt mit dem Totenpreis für Sigurör, der von ihrer Klage und Anklage der Brüder (bis 21,4) gefolgt wird; daran schließt sich die "Verfluchung" Gunnars (in Form einer Prophetie); den Abschluß bildet eine Rückerinnerung (22). In HH II ist die entsprechende Textpartie folgendermaßen angeordnet: Mitteilung der Erschlagung Helgis durch Dagr, seine Verfluchung durch Signin, ihr Zurückdenken, Totenpreis für Helgi. Diese Elemente finden sich ebenfalls in der einen Monolog suggerierenden Gör. II (2ff.): Totenpreis für Sigurör, "Klage" (Rückblick), Mitteilung der Erschlagung durch HQgni, Verfluchung HQgnis. HH II und Gör.II ist gemeinsam, daß der Mörder (HQgni ist in Gör.II wohl eher der rädbani, Str.7,7 ist von Gothorms bani die Rede) seine Tat offenbart und dann verflucht wird. Dieselbe Anordnung findet sich im Brot: Str.7 nennt HQgni die Erschlagung Sigurös, und Str. 11 verflucht Guörun Gunnarr. Damit läßt sich annehmen, daß hier ein altes Schema vorliegt: Selbstnennung des Totschlägers und anschließende Verfluchung durch die Betroffene. Zu Gör.I besteht insofern ein Unterschied, als sich, entsprechend der Anlage dieses Liedes, der Totschläger nicht selbst nennt, sondern daß Guörun die Söhne Gjukis anklagt, und zwar in der dritten Person: Str. 20,5/6

valda megir Giüca

mtno bQlvi

Die folgende Strophe zeigt jedoch, daß hier im Lied eine Bruchstelle besteht:

6

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Str. 21

Svä er um lyda landi eydit, sem er um unnod eida svarda; mana pü, Gunnarr, gullz um niota, peir muno per baugar at bana veröa, er pü Sigurdi svaröir eida.

Guönin redet hier erst die Gjukungen, dann Gunnarr direkt an und verflucht ihn anschließend in Form einer Prophetie. Damit liegt es nahe anzunehmen, daß hier ein Stück eines doppelseitigen Ereignisliedes vorliegt, ein Stück also, das aus dem Rahmen der Monologpartie der Guörun hinausfallt. Hierfür spricht auch, daß von einer Anwesenheit Gunnars sonst im Liede nicht die Rede ist und daß eine solche — das Thema des Liedes ist die Lösung des Schmerzes von Guörun — auch nicht vorauszusetzen ist. Außerdem steht die Verfluchung des Täters sonst in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erschlagung; hier ist der Tote bereits aufgebahrt 5 . Str.21 schließt sich auch schlecht an Str.20 an: Nachdem Guörun von ihrem von ihren Brüdern verursachten Schmerz gesprochen hat, spricht sie 21,1/2 von der Verödung des Landes durch die Gjukungen, und anschließend sagt sie ganz konkret, daß Gunnarr der Hort zum Verhängnis werden wird; in Gör.II ist dagegen nur vom Zerfleischen des Herzens von HQgni die Rede (10,5ff.), und auch im Brot (1 l,5ff.) ist die Formulierung viel allgemeiner. Diese zwei Züge — Veröden des Landes6 und Untergang durch den Hort — erscheinen merkwürdig in einem Lied, das ganz dem persönlichen Leid von Guönin gewidmet ist; sie bekräftigen die Annahme, daß diese Strophe aus einem anderen Lied stammt. Daß der Verfasser von Gör.I die Verfluchung Gunnars in sein Lied aufnahm, ist wohl durch das traditionelle altnordische Bild der Guörun bedingt, wozu eben, wie allein schon das Brot, aber auch Gör.II (die betreffende Strophe stammt ebenfalls aus einem doppelseitigen Ereignislied7) zeigen, die Verfluchung des Täters gehört. Möglicherweise folgte die Verfluchung Gunnars in dem für Str. 21 vorauszusetzenden doppelseitigen Heldenlied auf eine Selbstnennung des Totschlägers. Eine solche paßte jedoch nicht in ein Lied über die Schmerzlösung der GuÖnin und vor allem auch nicht in diese Monologpartie. Deshalb findet sich in der dritten Person nur die Anklage der Brüder durch Guönin, wobei das Hauptgewicht durchaus auf dem Schmerz der Guönin liegt, nicht auf dem Tun der Brüder. In HH II und Gör.I und II liegen in den hier herangezogenen Partien dieselben Elemente vor: Offenbarung des Totschlags (fehlt in Gör.I entsprechend der Anlage

5 6 7

S. Anmerkung 13. Für das Veröden des Landes verweist Gering II S. 240 auf eine Stelle aus der Eyrb.s.; möglicherweise handelt es sich um etwas typisch Isländisches. S. S. 50.

Gudninarqvida in fyrsta

7

des Liedes), Verfluchung des Täters, Blick zurück, Totenpreis. In HH II sind diese Elemente in der für ein doppelseitiges Heldenlied logischen Reihenfolge verwendet. In den beiden Gudrunliedern geht der Totenpreis vorauf. Auch wenn Gör.I und II anders angelegt sind, ist doch die Art der Benutzung dieser Elemente auffällig: In Gör.II steht der Totenpreis an der falschen Stelle, nämlich vor der Erschlagung Sigurös, und wie gezeigt, liegt in Gör.I in der Textpartie der Guönin ein Bruch vor, da eine Strophe aus einem doppelseitigen Ereignislied benutzt wurde. Beide Lieder sind hier nicht aus einem Guß; das legt nahe, daß Einfluß eines anderen Liedes — HH II — vorliegt. Eine Verstärkung hierfür ergibt sich daraus, daß auch die Totenpreise von Gör.I und II in Abhängigkeit von HH II zu sehen Q

sind . Damit würde eine Abhängigkeit von HH II selbst dann bestehen, wenn die in GÖr.I und II benutzten doppelseitigen Ereignislieder bereits Totenpreise enthalten hätten (was auf späte Entstehung schließen lassen würde 9 ). Der Einfluß von HH II auf das erste Gudrunlied ist noch weiter faßbar.

Darstellung des toten Sigurös Nach der Enthüllung blickt Guörun auf den Toten. 14,3ff.

sä hon dQglings scQr dreyra runna, fränar sionir Jylkis lidnar, hugborg iqfurs hiQrvi scorna.

Mohr 10 , der auch noch 13,1/2 Svipti hon bleeio afSigurdi (ohne zu erwähnen, daß sich diese Verse auf GullrQnd beziehen) 13,5/6 15,1/2 16,1

"Littu ά liifan, pä hue Guörün pä grit Gudrun

legdu munn vid grQn." hQÜ vid bolstri.

anführt, spricht hier von deutlichen Berührungen mit Siegfrieds Beweinung im NL und zitiert:

8 9 10

S. S. 8 4 f „ S. 88. S. S. 84. Mohr a] S. 277.

8

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

1011,2/3

si huop sin schcene houbet swie rot ez was von bluote,

mit ir vil wizen haut. si het in schiere erkant.

1069,2ff.

si huop sin schatte houbet mit ir vil wizen hant; dö kustes' also toten den edeln ritter guot. diu ir vil liehten ougen vor leide weineten bluot.

1070,2ff.

dö truoc man si von dannen: sine künde niht gegän. do vant man sinneldse daz herliche wip. vor leide möht' ersterben der ir vil wünnecltcher lip.

Mit dem Verweis auf Herkunft dieser Ballade aus dem Sigurd-Kreis führt Mohr auch an DgF 320 A 15

saa tog hun thett blodig hoffuid hun minte hannem for sin mund, hun daned och hun dede y thenn samme stund.

Die NL-Stelle enthält folgende Elemente: Heben des Hauptes und Küssen des Toten, Weinen, Ohnmächtigwerden, Todesnähe. In DgF 320 A 15 fehlt das Weinen, ebenso die Todesnähe (sie stirbt unmittelbar nach ihrer Ohnmacht). Der Vergleich mit Gör.I 14 ergibt große Unterschiede: Es ist nicht vom Haupt die Rede und damit auch nicht vom Heben desselben. Vom Küssen wird zwar 13,5ff. (GullrQnd) gesprochen, aber es kommt nicht dazu; es ist also ein blindes Motiv. Von einer Ohnmacht kann hier nicht die Rede sein, weil kurz nach den Anweisungen von GullrQnd die Monologpartie der Guörün folgt. Daß sie dem Tode nahe ist, wird hier nicht erwähnt. Die einzigen Ubereinstimmungen mit der NL-Szene bestehen darin, daß Guörän den Toten betrachtet und daß sie weint. Das Betrachten des Toten ist jedoch in Gör. I völlig anders dargestellt als im NL: Gudrun erblickt das blutberonnene Haar (nicht das Haupt), die nun erloschenen einst funkelnden Augen, die vom Schwert durchbohrte Brust. In Gör.I ist damit nicht von einem Körperteil die Rede, sondern es wird die Gesamtsicht dargestellt, die GuÖnin vom erschlagenen Sigurör hat, ein krass realistisches Bild. Dieselbe Art der Darstellung findet sich in HH II für den erschlagenen Helgi: 44,1-10

"jyrr vil ec kyssa konung ölifdan, enn pü blodugri brynio kastir; här er pitt, Helgi, helo prungit, allr er visi valdQgg sleginn, hendr ürsvalar HQgna magi."

9

Guörunarqviöa in fyrsta

Helgis Haar ist ganz von Reif benetzt; nicht nur seine Brünne ist blutig, Helgi ist völlig blutbespritzt; seine Hände sind eiskalt. Abgesehen von der mit HH II übereinstimmenden Erwähnung des Haares und der entsprechenden realistischen Darstellung des Toten, ist in Gör.I für Brust die Kenning hugborg verwendet; in HH II — ein Lied, das weitere skaldische Einflüsse aufweist — findet sich für den blutbespritzten Helgi die Kenning valdQgg (Blut) benutzt. Auch bei der grammatischen Konstruktion bestehen Übereinstimmungen, so in der mehrfachen Verwendung des Partizips Perfekt (auch wenn es in Gör.I als Attribut, in HH II prädikativ gebraucht ist), so Gdr.114,4 sowie 14,6;

HH II 44,6 ebenso 44,8

sä hon dQglings scQr 14,8.

dreyra

runna

här er pitt, Helgi,

helo prungit

Damit ist für Gör.I 14,3ff. Abhängigkeit von HH II gegeben. Es kommt dazu, daß 14,5 die Augen Sigurös als fränn bezeichnet werden, ein typisches Attribut im Altnordischen zur Bezeichnung vornehmer Abkunft 11 . Der harte Realismus bei der Darstellung des Toten in Gör.I steht in schroffem Gegensatz zu der vornehmen Umgebung, in der sich die Szene abspielt: Da ist von hohen Würdeträgern die Rede, die vortreten und sich um Guörun bemühen, und da wird von den Frauen dieser Würdenträger gesprochen, die bei Guörun sitzen: ftrar (3,1), gulli biinar (3,3) werden sie genannt. Die alten Eddalieder enthalten 10 itr nicht ; es ist in der Edda jüngeren Datums. Der Gebrauch von itr entspricht an unserer Stelle dem von "schön, herrlich" in jenem allgemeinen, idealisierenden Stil, der die hochmittelalterlichen höfischen Werke charakterisiert. Auch das dazugesetzte gulli biinar — die Frauen sind mit Gold geschmückt — weist in diese Richtung. Man mag in diesem Zusammenhang z.B. an die vielen Kleiderstrophen im NL erinnern, wo oft von dem verwendeten Schmuck die Rede ist, so NL 282,1

Ja lühte ir von ir wcete

vil manec edel stein.

Eine solche Charakterisierung vornehmer Frauen findet sich in den älteren Liedern nicht, Guörün selbst wird dort z.B. mit scirleitr, gaglbiartr charakterisiert; von ihrem Schmuck oder ihren Kleidern wird nicht gesprochen. Dazu kommt, daß in

11 Fränn: die funkelnden Augen finden sich z.B. Rf>.34,7/8 zur Charakterisierung des Jarls. 12 In der Skaldik ist der Ausdruck bereits von t>orbjQrn hornklofi verwendet (s. Jönsson Wb. S. 324). S. auch S. 81.

10

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Zusammenhang mit Guönin und auch mit Brynhildr nicht von einer Hofgesellschaft geredet wird, obwohl beide Königinnen sind; sie treten als Einzelpersonen auf. Hier aber, in Gör.I, ist von einer vornehmen Hofgesellschaft die Rede, wie sie für das Hochmittelalter typisch ist. In diesem Zusammenhang würde man eher an die Aufbahrung einer gewaschenen, hergerichteten Leiche (wie dies im NL geschieht) denken. Oben wurde die hier bestehende Abhängigkeit von HH II dargelegt, d.h. die Übernahme der krass realistischen Darstellung des Toten. Sie ist damit zu erklären, daß die psychologische Wirkung, die der Anblick des Toten hervorrufen und damit GuÖnin zum Weinen bringen soll, zweifellos größer ist, wenn der Tote realistisch dargestellt ist; der Anblick eines "schönen" Toten hätte nicht denselben Effekt. Das Lied bringt also ein bewußtes Aufeinanderprallen 1 zweier Welten: vornehmer Hof — drastischer Tod .

Schmerzlösung mit Enthüllung des Toten Für die richtige Beurteilung dieser Szene ist es weiter wichtig zu sehen, daß es sich in Gör.I nicht um eine "normale" Trauerszene wie im NL und der von Mohr herangezogenen Folkevise handelt: Kriemhild und die Folkevise-Heldin äußern ihre Trauer, wie das in einem solchen Fall zu erwarten ist. In Gör.I geht es jedoch um ein psychologisches Problem: Die schmerzversteinerte, tränenlose Guönin muß erst durch ein Manöver — Wegziehen des Leichentuches, und zwar durch eine andere Person — zum Weinen (Lösen des Schmerzes) gebracht werden. Dement-

13

Damit ist auch gesagt, daß ich die Annahme von Rose Zeller: Die Gudrunlieder der Edda. Tübinger germanistische Arbeiten Bd.26, Stuttgart 1939, S. 76, Sigurör sei — nach Waldtod — auf einer Bahre liegend eben vor Gudrun hingestellt worden, fur unrichtig halte. Zeller verweist lediglich bezüglich des Vergleichs auf HH II; die weitere starke Abhängigkeit des ersten Gudrunliedes von HH II hat sie nicht gesehen. Daß Zellers Interpretation nicht richtig ist, zeigt am besten ein Vergleich mit der ersten Trauerszene von NL (1007): Dort wird die Leiche Siegfrieds vor der Kemenate der Kriemhild am Morgen von einem kameraere gefunden. Die Meldung davon, daß ein toter Ritter draußen liege, löst bei Kriemhild eine Ohnmacht und dann größtes Klagen aus. (Kriemhild kann nicht von Anfang an schmerzversteinert gewesen sein, wie sie in Gör.I dargestellt wird.) Auch die herbeieilende Dienerschaft bricht in Klagen aus. Das schließlich mit Siegmund herbeistürzende Gefolge ist zwar gewaffnet, aber — Zeichen der Verwirrung — nicht richtig angekleidet. Ganz im Gegensatz zu einer solchen Szene wird im ersten Gudrunlied eine vornehme Hofgesellschaft höchst zeremoniös dargestellt: Zuerst treten die Jarle zu Gudrun, dann, eine nach der anderen, die prachtvoll gekleideten Frauen der Jarle, die Gudrun anhand ihrer eigenen leidvollen Erlebnisse zu trösten versuchen; es ist wohl eine Gestaltung nach Art einer Kondolationsszene. Dementsprechend ist auch von der bleeia die Rede, mit der Sigurör bedeckt ist; das ist hier nicht, wie Zeller meint, ein Leintuch, sondern die Leichendecke (s. Mohr b] S. 169; Kuhn Wb. S. 30, auch Am. 103,3).

Guöninarqvifta in fyrsta

11

sprechend wird ihr befohlen, den toten Sigurör anzuschauen; sie tut es nicht von selbst wie Kriemhild. Überdies kniet sie vor dem Toten. Damit ist hier die Frage nach den Quellen zu stellen. Wenn Mohr in seiner ersten Arbeit 14 von Berührungen mit NL, d.h seinen Quellen (Heuslers Brynhildlied, Droeges oder Hempels "rheinisches Epos") spricht, so erwägt er in seiner zweiten15 als eine andere Möglichkeit, ob der durch das Schreien der Gänse Gör. 116,5/6

oc gullo vid

gcess ί tüni

charakterisierte "Leidenschaftsausbruch" der Guörün, wie auch Sg. 29,5-8

at qväöo vid oc gullo vid

kälcar ί νά gcess ί tüni,

auf ein älteres Lied zurückgehe, das seinerseits auf das älteste Lied zurückzuführen wäre, wobei das Erdröhnen des Hauses als Charakteristikum des Leidenschaftsausbruches entweder zum Lachen der Brynhildr (Waldtod) oder zum Weinen der Guörun (Betttod) gehört hätte, wie noch Brot 10,2 NL 1009,4

Hlö pä Brynhildr — beer allr dundido erschre si nach ünkrefte daz al diu kemenäte erdöz

Die Gör.I- und die Sg.-Stelle wären dann Überlieferungsdoubletten dieses älteren Liedes, das auf dem Weg zum "Barock" war, indem es das archaische beer dundi ins Anschauliche und Anhörliche steigerte. Nun geht keine der erwähnten Arbeiten über die Vorstufe auf diese Einzelheit ein; Droege 16 spricht in bezug auf die Trauer der Guörun in der I>iör.s. von Kürzung. Mohr selbst nimmt hier also überdies Zuflucht zu einer älteren Liedstufe mit Beweinungsszene. Grundsätzlich gesehen ist es möglich, daß weitere Quellen (Lieder) bestanden haben. Doch ist hier zunächst einmal zu fragen, wie denn Gör.I 16,5/6 zu verstehen ist. Gering 17 im Kommentar sagt lediglich, daß die Gänse als nervöse Tiere durch das übermäßige Weinen der Guörun zum Schreien veranlaßt werden. Nun ist einmal darauf hinzuweisen, daß Kuhn vor dieser Langzeile ein Komma setzt, während er in Sg.29,7/8 vor gullo keines setzt, d.h. er faßt diese Langzeile als Nebensatz, der vom voraufgehenden svd (29,3) abhängig ist wie 29,5/6. Dies

14 15 16 17

Mohr a] S. 277. Mohr b ] S . 170. Droege (Karl Droege: Die Vorstufe unseres Nibelungenliedes. ZfdA 51, 1909, S. 177-218), S. 184. Gering II S. 239.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

ergibt sich durch den genau parallelen Bau von 29,5/6 und 29,7/8. In Gör.I 16,5/6 stimmt dagegen die Wortstellung nicht mit der voraufgehenden Langzeile mit sva at überein. Kuhn betrachtet also die Verse Gör.I 16,5/6, wie die Interpunktion zeigt, als Hauptsatz (während sie Mohr auch als Nebensatz betrachtet). Das Schreien der Gänse ist in Gör.I mit Kuhn nicht in direkter, grammatisch ausgedrückter Abhängigkeit vom Weinen der Guönin zu sehen. Dennoch weisen die Verse 16,7/8

maerirfuglar,

er mcer ätti

darauf hin, daß es die Gänse der Guönin sind, die Laut geben; zwischen Gänsen und Guönin besteht damit eine Beziehung. Wenn zu gialla vid gesetzt ist, kann man dies als Bezeichnung einer Reaktion der Gänse verstehen, wie dies auch Gering tut (ohne daß er vid erwähnt). Da die Gänse Guörun gehören, läßt sich die Reaktion der Tiere auch im Sinne ihres Mitleidens mit Guönin auffassen, d.h. nicht wie Mohr als Maß für die Heftigkeit ihres Weinens. Verglichen mit dyngia — das Haus erdröhnt infolge der Gewalt des Lachens oder Weinens, d.h. als passive Äußerung —, ist gialla ein aktives Verb, das ebenso für andere Tiere (Adler, Raben, Hunde) gebraucht wird. Auch wenn in Sg.29 das Widerhallen der Kelche und das Schreien der Gänse vom gewaltigen Zusammenschlagen der Hände abhängig gemacht ist, fragt es sich, ob nicht auch hier an ein Mitfühlen-Mitgehen mit dem Schmerz der Guönin gedacht ist, so wie es oben für die Gänse in Gör.I angenommen wurde; die Abhängigkeit von sva muß das nicht ausschließen. Was die Gläser anbelangt, kann man darauf verweisen, daß auch hier ein aktives Verb 1Ä

— qveda vid (antworten, entgegnen) - benutzt ist, auch wenn Kuhn und Gering 19 es bildlich verstehen. Eine solche λInterpretation hätte ihren guten Sinn, λ wenn man bei kdlkar an das noch unten anzuführende Beispiel mit springa dächte, das bei der Kreuzigung Christi für die Steine verwendet ist: Die Steine zerspringen — sterben — mit Christus. Ebenso wäre die Zusammenstellung von Kelchen und Gänsen sinnvoll: Die Gänse symbolisieren die lebende Kreatur, die mit Guönin fühlt, die Kelche die unbelebte, die hier durch die Gewalt des Gefühls der Guönin zu einer Äußerung des Mitempfindens gebracht wird. Mitfühlende Kreatur — hierfür gibt es auch das Beispiel (

Gdr. Η 5

18 19 20

Gecc ec grätandi vid Gratia rceda, urughlyra, ιό frä ec spialla;

Kuhn Wb. S. 162 (antworten, auch bildlich). Gering Wb. Sp. 588 (widerhallen). S. S. 17.

i

13

Guörünarqviöa in fyrsla

hnipnadi Grani pä, drap ί gras ior pat vissi: eigendr ne liföot.

hqföt;

Ein weiteres Beispiel ist Flat.I 520,29f. (Olafs s. Tryggv.), wo Olafs Hund nach dem Verschwinden seines Herrn weint und schließlich stirbt. Empfindsame — weinende — Tiere gibt es vor allem in der späteren Literatur. Das Motiv des Mitklagens von belebter und unbelebter Kreatur ist kaum einem älteren Lied zuzuschreiben, ganz abgesehen davon, daß Mohr sich ausschweigt, was für ein Lied er sich denn im einzelnen vorstellt; sein Hinweis ist unpräzis. Für die weiteren Motive hält Mohr an der postulierten Vorlage (Brynhildlied usw.) fest. Nun ist hier das Motiv des Enthüllens besonders hervorzuheben: Gullrond zieht das Leichentuch vom Toten. Weder NL noch t>iör.s. kennen das Leichentuch. In beiden Werken wird der Erschlagene auf einem Schild nach Hause getragen und im NL vor die Kemenate der Kriemhild gelegt, in t>iör.s. ihr ins Bett geworfen. Das Offnen des Sarges im NL, das Mohr 21 mit dem Enthüllen in Gör.I (und in Balladen) vergleicht, schreibt er doch selbst dem letzten Dichter, zur Schaffung von mehr epischer Breite, zu. Dies scheint logisch, doch ist damit davon auszugehen, daß die Vorlage von NL und Piör.s. das Motiv des Leichentuchs nicht hatte. Damit stellt sich die Frage nach der Quelle. Nun hat Singer"" dargelegt, daß diese Vorlage vom französischen Epos Daurel et Beton verschiedene Züge entliehen habe, u.a. den, daß die Witwe nach dem Heimschaffen des Toten den Mörder anklagt, wobei sie den Toten enthüllt und auf seine Wunde zeigt. Da jedoch das Motiv des Enthüllens nicht aus der postulierten Quelle übernommen wurde, ist Einfluß von Daurel et Beton für G6r.I unwahrscheinlich. Singers Verbindung des Daurel et Beton mit dem Nibelungenkreis, obwohl von Heusler übernommen, wurde schon von Anfang an auch abgelehnt, zuletzt wieder von Andersson 24 . Im Daurel et Beton dient das Motiv des Enthüllens der Uberführung des Mörders; Gör.I weit näher steht eine in der geistlichen Literatur gestaltete Szene. In einem einst fälschlicherweise dem heiligen Bernhard (PseudoBernhard) zugeschriebenen, heute aber einem Ogerius zugewiesenen Werk 0ζ "Tractatus in laudibus sanctae dei genitricis findet sich eine stark ausgebaute Szene mit der trauernden Maria bei der Grablegung Christi: Maria beugt sich über

21 22 23 24 25

Mohr a ] S . 277. Singer (S. Singer: Eine Episode des Nibelungenliedes. Neujahrsblatt der Literarischen Gesellschaft in Bern auf das Jahr 1917, S. 97-104), S. 99ff. Heusler S. 21. Andersson S. 21 Off. Abgedruckt bei Karel de Vries [vgl. Anm.2] S. 277ff., verfaßt vor 1205. Weitere Angaben über Ogerius (zuletzt Abt des Klosters von Locedio [Piemont]) bei de Vries S. 60f.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

den Toten, umarmt und küßt ihn. Sie sagt 286,2/3 Illud adhuc paullulum relinquite michi, utfaciem illius subtracto velamine valeam contemplari. Maria will bei zurückgeschlagenem Leichentuch das Gesicht von Christus betrachten. In dieser Darstellung geht es also lediglich um Trauern und Klagen. Woher das Leichentuchmotiv in Gör.I — das hier sinngemäß nicht der Trauernden selbst, sondern einer Zweitperson gegeben ist — stammt, läßt sich nicht sagen; wie die zwei angeführten Beispiele zeigen, ist es ein europäisches Motiv. Etwas weiteres ist hier zu bedenken: Die Betrachtungsszene im NL darf nicht losgelöst von ihrem Gesamtzusammenhang beurteilt werden; sie stellt den Abschluß der Liebe von Siegfried und Kriemhild dar, einer Liebe, die auch deutlich Züge des Minnedienstes aufweist. Die Liebe wird langsam fortschreitend, in Stufen dargestellt. Beide lieben sich, noch ehe sie sich gesehen haben. NL 133 zeigt, wie Kriemhild, die als unverheiratete Frau noch nicht mit ihm direkt in Kontakt kommen kann, Siegfried durch das Fenster betrachtet . Diese Betrachtungsszene am Anfang dieser Liebe hat ihr — viel stärker ausgestaltetes — Gegenstück in eben der letzten: Durch das Fenster, das in den Sarg geschlagene Loch, betrachtet Kriemhild Siegfried zum letzten Mal. So wie sie sein Bild von Beginn an in sich trug — sein Haupt ist auch noch in der ersten Betrachtungsszene 1011,3 entsprechend der hochmittelalterlichen Darstellungsweise, schön, obwohl es rot von Blut ist —, so konnte sie sich nun nicht davon trennen und ließ den Sarg aufbrechen. Diese enge Verbundenheit mit dem Geliebten, die im Anschauen und Aufnehmen des Toten in sich ihren Ausdruck findet , kann man der Vorstufe nicht zuschreiben; der "Spielmann" zeichnet zwar den Schmerz der Grimhildr in der l>iör.s., aber eine solche Szene wie im NL kann er nicht gestaltet haben. Beide Betrachtungsszenen im NL dürften deshalb seinem Verfasser zuzuschreiben sein; bei der Folkevise kann das Motiv ein jüngerer, auf der Darstellung des NL beruhender Zug sein.

Springa Das Bild der bei dem toten Sigurör sitzenden — sat sorgfullyßr Sigurdi — großen Leidenden, die sich anschickt zu sterben — gordiz at deyia —, wurde oben mit der

26 27

Hinter dieser Szene steht mehr als bei einer der üblichen Fensterszenen: Die Damen betrachten die Ritter beim Turnier. Man mag hier immerhin an Parzival VI 282/83 erinnern: Drei Blutstropfen im reinen Schnee lassen vor Parzival das Bild der Condwiramurs aufsteigen, auch wenn dabei noch eine andere, mystische Dimension besteht.

15

Guörunarqviöa in fyrsta

altisländischen geistlichen Literatur und der Figur der Maria zusammengebracht. Dieses Sterben aus Trauer über den Tod des geliebten Mannes wird in 2,8

mundi hon springa

mit dem Ausdruck springa bezeichnet. Springa, das sich z.B. in der Laxd.s. 158,10 für das Sterben der Hrefna findet, ist, wie noch näher zu zeigen sein wird, offenbar im Altnordischen (Altisländischen) ein Modeausdruck des 13. Jhs. . Das Motiv des Sterbens über den Verlust des geliebten Mannes muß jedoch im Altisländischen und Altnorwegischen schon viel früher heimisch gewesen sein. Von t>yri, der Frau von Oläfr Tryggvason, heißt es in der isländischen Ubersetzung der verlorenen lateinischen Biographie dieses Königs von Oddr Snorrason: 238,12f. oc for hon af pessi verolldu med miclum hartni hiartans —. t>yri war nach dem Tod (Verschwinden) ihres Mannes tief bekümmert; sie aß und trank nicht mehr und starb bald darauf. Eine entsprechende Notiz findet sich bei Adam von Bremen: II 38 Uxor ejus post mortem virifame inediaque miserabiliter vitam consumpsit29 (freilich mit dem Zusatz: ut digna erat). Daß es sich hierbei um lateinische Werke handelt, muß nicht als Hindernis für Kenntnisnahme betrachtet werden. Außerdem ist anzunehmen, daß das Leben von Oläfr Tryggvason — und damit auch das seiner Frau —, das Anlaß zu Legendenbildung gab, schon früh auch eine volkstümliche Tradition hatte 30 . Neben diesem Zeugnis der geistlichen Literatur gibt es ein weiteres, das uns ebenfalls in einem Werk des 13. Jhs. (wie ·•

/

I I

vermutlich die isländische Ubersetzung der Vita des Oläfr Tryggvason ) vorliegt, das aber auf einer noch längeren Tradition beruhen muß, betrifft es doch den Mythos, diesmal nun mit Benutzung des Ausdrucks springa. Von Nanna, der Frau Baldrs, heißt es in der Snorra-Edda: 65,24 Nanna — jja sprack hon afharmi, nämlich wie die Leiche Baldrs auf das Schiff getragen wird. Neckel , der ein Lied über Baldrs Tod erschließt, nimmt an, daß dieses auch die Bestattung enthielt; Nannas Tod aus Harm über Baldrs Tod wäre damit vorauszusetzen. Das Motiv der aus Kummer über den Tod ihres Mannes sterbenden Frau gab es

28

29 30 31 32 33

Springa findet sich auch Flat.II 371,32: (Bersi) sprak par af helstride pui er harm hafde eftirfall hins hceilaga Olafs konongs, hier also für einen Mann verwendet und wie bei der erwähnten Laxd.s.-Stelle mit Zusatz von sind. Abgedruckt in den Monumenta Historica Norvegiae. Adam von Bremen war hier (119,1 lf.) die Quelle für die Historia Norvegiae (deren Abfassungszeit umstritten ist). S. auch de Vries II S. 243. de Vries II S. 242. Gustav Neckel: Die Überlieferungen vom Gotte Balder. Dortmund 1920. S. 65. Ob letztlich das von der Frau einmal geforderte Sterben zusammen mit dem Mann dahinter steht, ist in unserem Zusammenhang nicht von Bedeutung.

16

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

also im Altnordischen schon lange: durch den Baldrmythos und eine Tradition über Pyri, die Frau von Oläfr Tryggvason. Dieser Liebestod wird dann in der altnordischen Literatur mit dem Ubersetzen ritterlich-höfischer Texte ein gängiges Thema. In allererster Linie ist hier die Tristr.s. zu nennen; die Übersetzung erfolgte 1226. Schon Blensinbil, die Mutter von Tristram, stirbt den Liebestod: 15,6/7 heldr kaus hun ηύ at deyja en Ufa und natürlich auch Isond: 112,15 en Isond do pvi skjotast. In den Strengleikar (Tveggja elskanda ljoö) stirbt ein Mädchen nach dem Tod des Liebhabers: 56,36f. at hon fell par nidr oc do af harm. Ein weiteres Beispiel ist das schon erwähnte aus der Laxd.s. (Tod von Hrefha, der Frau Kjartans, nach seiner Erschlagung). Gewissermaßen einen Abschluß solcher Darstellungen bildet in der späten Skaldensaga von Gunnlaugr ormstunga die theatralische Szene mit der aus Liebesgram sterbenden Helga: 107,8f. Ok sidan hue hon aptr ifang bonda sinum ok var pä orend: Helga stirbt vor dem vor ihr ausgebreiteten Prachtmantel Gunnlaugs in den Armen ihres zweiten Mannes (sie stirbt also nicht beim Tod Gunnlaugs). Springa als derartiger Modeausdruck findet sich, abgesehen von den schon erwähnten Beispielen — Snorra-Edda, Laxd.s. — auch im Mälshättakvaeöi, hier für einen Mann verwendet, der den Tod nicht infolge des Verlustes der Geliebten, sondern aus Liebessehnsucht erleidet: Sk.B II S. 141 Str. 13,2

SQrli sprakk afgildri prQ.

Dieses merkwürdige Werk, eine Sprichwortsammlung, versifiziert, ist auf den Orkneyinseln entstanden, jenen Inseln, wo mit französischem Einfluß (Troubadours) 34 , durch die Vermittlung von RQgnvaldr kali, gerechnet wird. Die Verwendung von springa im Sinne von "zerspringen, sterben" läßt sich im Altnordischen weit zurückverfolgen. Einen Beleg gibt es bereits bei Pjoöolfr or Hvini in der HaustlQng: Sk.B I S.16 Str.8,6

(pungr vas Loptr of sprunginn)

Der schwere Loptr (Loki) war (beinahe) zersprungen (tot); es handelt sich dabei um die Szene, da Loki vom Adler (Pjazi) an einer Stange mitgeschleppt wird und fast umkommt. Auch in einer Strophe von Kormäkr ist springa benutzt: Sk.B I S. 75 Str.24,6

34

Einarsson S. 19.

hring-Eir, at marr spryngi

Guörünarqviöa in fyrsta

17

(Pferd). Bei Kormäkr ist allerdings die Echtheit der Strophen (und damit die Datierung) ein großes Problem. Dennoch zeigt auf alle Fälle der Gebrauch von springa bei Pjoöolfr im Sinne von "zerspringen", daß diese Verwendung des Verbs alt sein muß. Es gibt auch Prosabelege, z.B. für sterben aus Erschöpfung, so Eyrb.s.38,15 hann var näliga sprunginn af mcedi oder Fid. II 355,28 sprunginn af rodrinum. Auch in den Strengleikar gibt es noch diese Verwendung: 56,26 par feil hann nidr — ok rann hjarta hans allt or honum ok la hann par pa svabuit sprunginn. Bei allen diesen Belegen, auch bei f'joöolfr, liegt springa eine physische Ursache zugrunde; Loki z.B. hat das Gefühl, daß ihm seine Arme aus den Achseln reißen (SE 79,15). Hier ist vielleicht springa noch konkret zu fassen, sonst aber bereits metaphorisch. Für das Zerspringen (Sterben) aus nichtkörperlicher Ursache — Tod des geliebten Mannes oder Sehnsucht - wird bei den hier angeführten Belegen der Grund angegeben: af gildriprQ, af stridi, afharmi. Lediglich bei der Gör. I-Steile ist der Ausdruck springa absolut gebraucht. Derselbe Gebrauch findet sich in der — wohl jüngeren — Fassung der Uppsala-Handschrift der SnorraEdda von der Bestattung Baldrs: 65,24 (Nanna Nepsdottir) sprakk, er hon frä Dennoch heißt das nicht, daß die beiden Stellen als gleichzeitig zu betrachten wären. Bei Gör.I können metrische Gründe im Spiel sein; dafür spricht, daß z.B. in der Prosaeinführung des Liedes (201,10) ebenfalls afharmi gesetzt ist. Auch ist an die absolute Benutzung bei körperlicher Ursache zu erinnern. Wenn im übrigen die Lesart in der Snorra-Edda, abgesehen von U, lautet: 65,24 pa sprack hon afharmi ok do, d.h. noch do dazugesetzt ist, so ist das stilistisch bedingt: springa als Metapher hat eine starke Kraft der Veranschaulichung; deyja hebt mehr das Endgültige dieses Vorgangs hervor. Ist auch die Verwendung von springa für "sterben" eine späte Modesache 36 , so hat dieses Verb doch eine große Ausdruckskraft. Man braucht hier nur daran zu erinnern, daß z.B. springa — im buchstäblichen Sinn — für die bei der Kreuzigung von Christus anwesenden Steine gebraucht ist: Norwegisches Homilienbuch 114,25 oc sprungu stceinar; in der Stockholmer Homiliu-bok heißt es sogar: 58,10f. Steinar kendo hann puiat peir sprungo a tip daüpa hans.

35 36

Obwohl die Handschrift von U die älteste erhaltene ist, kann sie kaum als ursprünglichere Fassung als RWT zu betrachten sein (vgl. de Vries II S. 216). Man kann natürlich erwägen, ob trotz der hier skizzierten Entwicklung im Gebrauch von springa — von physischer Ursache zum Liebestod —, sprakk schon in dem von Neckel postulierten Lied (wann?) vorlag; auf alle Fälle ist klar, daß springa im Sinne von "sterben" im 13. Jh. zum Modewort wurde. S. auch Beck (Heinrich Beck: Seelenwörter im Germanischen. In: Althochdeutsch, hg.v. R. Bergmann, H. Tiefenbach, L. Voetz. Bd.II. Wörter und Namen. Forschungsgeschichte. Heidelberg 1987. S. 985-999) S. 996, 997.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Unsere Darlegungen zeigen, daß der Ausdruck eine lange Entwicklung durchlaufen hat, bis er zum Modewort für "sterben" nach dem Verlust des Mannes wurde. Wichtig für uns ist, daß es offenbar ein genuin westnordischer Begriff ist, wie das Ostnordische zeigen kann. In der Folkevise gibt es anscheinend nur das Brechen des Herzens, so DgF 47 C 27,2 et sorrigfuldt hjcerte i hende brast. Springa im westnordischen Sinn findet sich ostnordisch offenbar auch sonst nicht. Ebenso hat das Motiv des Sterbens nach dem Tod des geliebten Mannes im Altnordischen eine lange Vorgeschichte. Wenn in Gör.I in Zusammenhang mit den Jarlen und ihren Frauen, beim Wettklagen, für Guönin das Modewort springa verwendet wird, so ist das insofern bezeichnend, als es im Lied selbst einen anders gearteten, mehr gesellschaftlichen Bereich betrifft, als dies z.B. zu Beginn des Liedes mit dem Bild der sitzenden Guönin der Fall ist, wo deyja benutzt ist. Den Abschluß des Liedes bildet eine heftige Auseinandersetzung zwischen GullrQnd und Brynhildr. Ausgelöst wird sie durch die letzten Verse, die Guörün spricht; sie erwähnt in ihrer kurzen Rückschau die unselige Werbungsfahrt und spricht von Brynhildr in der dritten Person: 22,5-8

"oc peir Brynhildar bidiaföro, armrar vcettar, illo heilli."

Brynhildr selbst, die anwesend sein muß, wendet sich darauf mit einer Verwünschung von GullrQnd direkt an Guönin, in der zweiten Person. Diese antwortet jedoch nicht, sondern GullrQnd spricht (24)38; sie erhebt gegen Brynhildr schwerste Anklage: Brynhildr war der Kummer von sieben Königen und die Verderberin der Freunde der Frauen (was auf die Erschlagung Sigurös zielt). Brynhildr ihrerseits schiebt alle Schuld auf Atli. Die letzte Strophe (27) zeigt, wie sie der Verfasser sieht: Sie stemmt sich gegen eine Säule, ein Ausdruck ihrer physischen Überlegenheit, mehr noch, sie hat Züge eines Ungeheuers, Feuer

37

Die entsprechenden dänischen Wörterbücher belegen die Verwendung im Sinne von "zerspringen" (sterben) nicht. Wenn Kalkar überhaupt keine Belege anführt, so erwähnt Ordbog over det danske sprog (Bd.21 Sp. 498) einen Beleg aus dem 19. Jh. (Grundtvig). Söderwall (Bd.2,1 S. 472 [6]) gibt ein Beispiel fur das Zerspringen des Herzens (das es in DgF auch gibt) sowie von Bergen, Schlangen usw., doch nicht in der Bedeutung von "sterben" wie im Westnordischen. Allerdings muß man auch die Mangelhaftigkeit der Überlieferung bedenken. Ein Ausdruck dichterischer Gestaltung dürfte springa im Sinne von "sterben" auf alle Fälle gewesen sein.

38

Zu 24,7/8 s. S. 175.

Guörünarqviöa in fyrsta

19

brennt aus ihren Augen, sie schnaubt Gift; sie ist die große Unglücksstifterin für Sigurör und das Haus der Gjukungen; ihr Versuch, die Schuld auf Atli abzuwälzen, mißlingt. Der Verfasser hat bewußt ein Gegensatzpaar geschaffen: die große Dulderin Guönin, die beim toten Sigurör sitzt, und das Monstrum Brynhildr, die Verursacherin dieses Leides. Diese letzte Szene steht innerhalb der jüngeren Eddadichtung in einem größeren Zusammenhang, auf den später noch einzugehen sein wird .

Gör.I als isländische Schöpfung Der Aufbau des Liedes ist kunstvoll; Hauptgestalt ist Guönin. Zu Beginn des Liedes bildet das Wettklagen der zwei vornehmen Frauen einen eindrücklichen Rahmen für die stumm dasitzende Guönin. Nachdem sie zum Weinen gebracht wurde, beginnt sie als dritte, im Sinne einer (absoluten) Klimax zu reden. Ihre Strophen sind der Mittelpunkt des Liedes. Durch die Kontrastfigur der Brynhildr, die sich verteidigt, und so allein, ohne ein Echo zu erhalten, in der Zeichnung eines Ungeheuers, das Lied abschließt, hebt sich das Leid der Guönin nur um so klarer und eindringlicher ab. Sprachlich ist das erste Gudrunlied vor allem durch den Wortschatz des Leidens 40 charakterisiert, d.h. Ausdrücke wie hartnr, oftregi, sorg, sorgfullr, grata, grätr, sitjayfir^. In der Verwendung dieser Ausdrücke läßt sich eine feine Abstufung erkennen. Str. 1 beginnt mit der Darstellung der trauernden Guönin (sitjayfir, sorgfullr), Str. 3 werden die wettklagenden Frauen eingeführt, indem, als Ankündigung, von ihrem bittersten Leid gesprochen wird. Die Aussage der ersten ist beschränkt auf die Angabe ihres durch Zahlen verdeutlichten Verlustes {ätta broedra usw.), einzig munar lausasta (4,4) 42 , eine negative Umschreibung ihres Zustandes, ist ihr gegeben. Darauf folgt Str.5 eine weitere Guönin charakterisierende Strophe, mit den Ausdrücken gräta (mit der Negation benutzt), sowie modugr, hardhugadr. Der zweiten der wettklagenden Frauen sind fünf Strophen gegeben; auch sie gibt ihren Verlust in Zahlen an (siau synir usw.); ihre Toten mußte sie selbst begraben. Nach ihrer Gefangennahme verrichtete sie Sklavinnenarbeit bei einer eifersüchtigen bösen Hausherrin, aber

39 40 41 42

S. S. 160. S. auch Vorwort S. VII. Zu hiüfra ne hQndom sla sowie qveirta vgl. Anm. 73 S. 246. Wendungen wie munar lauss, auch 8,8 (engi) munar leiiadi oder vilia lauss (Gör.II 9,3; Sg.24,6; 57,5 usw.) gehören, obschon nicht herkunftsmäßig, so doch in einem weiteren Sinn zum Wortschatz des Leidens. Man mag hier noch hardhugadr anfuhren, das in 5,5 und 11,5 im Sinne von "schmerzversteinert" (verhärtet) gebraucht ist. Doch s. auch S. 129f.

20

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

einem guten Gebieter. Ihr ist als Begriff des Wortschatzes des Leidens harmr (6,4) gegeben; dazu kommt, wie bei der ersten Klagenden, die Freudlosigkeit (8,7/8 svä at mir madr engi munar leitadi). Das bedeutet, daß ihre Klage aus dem zahlenmäßig belegten Verlust an Familienmitgliedern sowie der Darstellung ihrer Sklavinnenarbeit besteht, so wie es für das anhand der Folkevise erschlossene Novellistische Spielmannslied charakteristisch ist. Eigentlicher Gebrauch des Wortschatzes des Leidens ist den Wettklagenden nicht zugeteilt. An die zweite Klagende schließt sich Str. 11 an, eine Wiederholung von Str.5, d.h. erneut die Schilderung des seelischen Zustandes von Guörun (grata usw.). Der Verfasser hat mit Absicht eine solche Verwendung des Wortschatzes des Leidens für Guönin reserviert, sowohl in der objektiven Schilderung wie auch in ihren eigenen Worten, wo 20,8 von särom gräti die Rede ist. Die Worte der Guörun, der Mittelpunkt des Liedes, stehen als Ganzes in bewußtem Gegensatz zu den Aussagen der zwei Wettklagenden. Verwenden diese alltägliche Begriffe wie husfreyja, binda scüa usw., so enthalten die Verse der Guörun nicht nur hochdichterische Vergleiche, sondern 20,7/8 spricht sie auch von sich selbst in der dritten Person. Der Beginn von Str. 22 bringt eine intimere Note, wenn sie den sein Pferd sattelnden Sigurör erwähnt und minn sagt. Auch Brynhildr im Schlußteil des Liedes hat keinen Anteil am Wortschatz des Leidens. Sie verwendet zwar 23,6 bei der Beschuldigung von GullrQnd — sie hat Guörun zum Weinen gebracht — das Wort grätr, mit Bezug auf Guörun. GullrQnd selbst braucht für ihre Anklagen gegen Brynhildr das Wort särr (24,9 sorg sära) in Zusammenhang mit den Königen, denen Brynhildr Unglück gebracht hat. Wie gezeigt wurde, ist GÖr.I ein Lied, dem viele, nicht auf den Verfasser selbst zurückgehende Einflüsse und Motive zugrunde liegen. Die große sitzende Dulderin und die nachher vor dem Toten kniende Guörun ist mit der isländischen geistlichen Literatur und ausländischer (byzantinischer) Mariendarstellung zusammenzubringen. Einen bestimmenden Einfluß hat auch HH II ausgeübt, so in der Darstellung des Toten, dem hymnischen Monolog der Guörun mit dem Totenpreis. HH II ist ebenfalls in Zusammenhang mit dem Motiv der nach dem Tod des geliebten Mannes sterbenden Frau — "Liebestod" — zu nennen, doch hat dieses Motiv im Altnordischen eine lange Tradition, wie auch die Verwendung des damit zusammenhängenden springa, eines Modewortes des 13. Jhs., eine weit zurückreichende Vorgeschichte hat. Das im Lied benutzte "Leichentuchmotiv" ist europäischer Herkunft, ebenso das Wettklagen der Frauen, das über das Novellistische Spielmannslied vermittelt wurde. Genuin einheimisch, d.h. isländisch, ist wieder das Streitmotiv mit Brynhildr, das in einen weiteren Zusammenhang mit der jüngeren eddischen Dichtung gehört.

Guörünarqviöa in fyrsta

21

Trotz der Annahme dieser Einflüsse und Motive ist das Lied ein in sich geschlossenes Ganzes (auch wenn Str.21 bei eingehender Analyse als Bruchstelle bezeichnet werden muß). Die Hauptgestalt der Guörun ist in ihrem Facettenreichtum — leidend, liebend, hymnisch verklärte Sprache — eine eindrückliche Schöpfung. Gerade sie als Heldensagenfigur kann zeigen, welcher Abstand hier zur frühen traditionellen Heldensage besteht, wie das bereits ein kurzer Blick auf die Atlaqviöa mit Guönin der unerbittlichen Rächerin erkennen läßt. Ich sehe damit das Lied als Arbeit eines Isländers an. An eine im Süden entstandene Heroische Elegie als Vorlage, was Mohr 4 3 als eine von drei Entstehungsmöglichkeiten für das Lied angibt, kann ich, wie noch darzulegen sein wird 4 4 , schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht glauben, hier aber nicht, weil, wie gezeigt, eine starke Abhängigkeit von HH II besteht und z.B. Brynhildr als Figur, die sich verteidigen muß, etwas typisch Isländisches ist usw. Als zweite Möglichkeit nennt Mohr: Schöpfung eines Isländers anhand einer novellistischen Elegie über die zwei wettklagenden Frauen und eines alten Erbliedes von Sigurös Tod, wobei sich Mohr hier auf 16,5f. stützt (Gefühlsausbruch verdeutlicht durch die schreienden Gänse). Mit Mohr glaube auch ich, daß das Wettklagen zu Beginn aus einem Novellistischen Spielmannslied stammt. Dagegen leuchtet mir, wie gezeigt, seine auf der Interpretation von 16,5f. beruhende Erschließung eines älteren Heldenliedes nicht ein, auch wenn grundsätzlich damit zu rechnen ist, daß weitere südgermanische, heute verschollene Heldenlieder bestanden haben. Als dritte Möglichkeit gibt Mohr an: bis etwa Str. 16 Vorliegen einer Heroischen Elegie, dann eines älteren Fremdstoffliedes. Zum Postulat einer Heroischen Elegie ist auf das bereits oben Gesagte zu verweisen; gegen die Annahme eines Fremdstoffliedes spricht wieder die sich verteidigende Brynhildr, das Vorliegen einer sich deutlich abgrenzenden Strophe eines doppelseitigen, als isländisch zu betrachtenden Heldenliedes usw. Daß der Dichter von Gör.I z.B. von der Vorstufe von NL und Nör.s., wie man sich diese auch denkt, etwa als Brynhildlied, gehört haben kann, ist möglich, wohl sogar anzunehmen; verschiedene Möglichkeiten sind hier denkbar. Nur muß man dem Dichter von Gör.I mehr Gestaltungskraft zutrauen, als dies z.B. Mohr tut, auch beim Benutzen von Liedern wie HH II.

43 44

Mohr b] S. 175. S. S. 329ff.

Guörunarqviöa Qnnor Guörunarqviöa II, ein Rückblick der Guörun auf ihr Leben, ist ein sehr uneinheitliches Lied; drei Teile lassen sich unterscheiden: Str. 1-12: Jugend, Sigurds Erschlagung, Aufsuchen seiner Reste durch Guörun; Str. 13 verbindet den ersten und zweiten Teil: Guörün begibt sich nach Dänemark; Str. 14-36: Aufenthalt von Guörun in Dänemark, Versöhnung mit der Familie und gleichzeitige Werbung Atlis um Guörun, ihre Annahme, Reise ins Hunnenland; Str.37ff.: Träume Atlis und ihre Deutung durch Guörun.

Teil 1: Str. 1-12 Skaldische Prägung Uneinheitlichkeit charakterisiert bereits den ersten Teil. Er beginnt mit dem Rückblick von Guörun auf ihre glückliche Jugend, mit den Ausstattungsversen und dem Verheiratungsmotiv 1,6/7 gulli reißi,

gullireiföi, gafSigurdi.

Auffallig ist hierbei der wiegende Rhythmus, d.h. die Wiederholung, und zwar in Form eines Chiasmus. Daran schließt sich in Str.2 der — vorzeitige1 — Totenpreis für Sigurör. Str. 3 bringt den Grund für seine Erschlagung, ohne deren Darstellung. Str.4 schildert die Heimkehr der Pferde, ohne Sigurör 2 . In Str.5 geht Guörun weinend zu Grani, dem Pferd Sigurös, um mit ihm zu reden. (Grani weiß, daß sein Herr tot ist.) Str.6 fragt Guönin nach langem Zögern nach dem Verbleib von Sigurör. Str.7 und 8 enthalten HQgnis Bericht über den Totschlag an Sigurör, Str.9 und 10 die Verfluchung HQgnis durch Guönin, sowie die Antwort HQgnis, daß sein Tod ihr nur noch mehr Leid verursachen wird. Str. 11 und 12 bringen das Verschwinden der Guönin und ihre Suche nach den Resten von Sigurör. In den

1 S . S . 73. 2 S. zu Str. 4,5-8 S. 336f.

Guörünarqviöa Qnnur

23

Str.7-11 ist eine starke skaldische Prägung hervorzuheben; diese schafft eine schauerliche Stimmung (man halte die rührselige Str.5 dagegen). So heißt es Str. 7,8

oc gefitin ülfom,

den Wölfen gegeben (gefüttert: Sigurös Leiche). Gefa wird häufig verwendet, um das Füttern von Tieren zu bezeichnen3; skaldische Beispiele führt Jonsson an 4 . In dieser Bedeutung kann gefa auch ohne Akkusativobjekt gebraucht werden (gefa svinom). Typisch skaldisch ist die Verknüpfung eines Ausdrucks für "füttern" mit Wolf und Toten: die Fütterung des Wolfes mit Leichen, z.B. Eg ill Skallagrimsson, Hqfudlausn Sk.B 1 S.32 Str. 12,3/4 baud ulfum hrce EirOcr of see (stef)· Gleicherweise sind Rabe und Adler verwendet. In der Skaldik wird dabei — es handelt sich um Schlachtschilderungen — von hrce, auch von bräö, steik usw. gesprochen, doch geht es um ein — anonymes — Kollektiv; in Gör.II sagt jedoch HQgni der fragenden Guörun, daß Sigurör den Wölfen vorgeworfen sei. Durch diesen direkten Bezug resultiert eine überaus brutale Antwort, die die Grausamkeit der gewöhnlichen skaldischen Formeln weit übertrifft. In der folgenden Strophe wird die skaldisch geprägte Antwort mit weiteren Einzelheiten ausgestaltet: Str. 8

"Littu par Sigurd ά sudrvegal Pä heyrir pu hrafna gialla, Qrno gialla, cezlifegna, varga piöta um veri pinom."

In der Skaldik wird immer wieder die Freude der Leichentiere über die gebotene Atzung erwähnt, so bei Gizuir svaiti, Bruchstück Sk. BIS. 292 Str. 1,2/3 Äleifr of vidr Hum Yggs gQglfegin SkQglar. Das Schreien von Adlern und Raben in der Nähe von Leichen ist typisch skaldisch:

3 Gering II S. 90 zu HH I 34,2. 4 Jonsson Wb. S. 176.

24

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Sigvatr, lausavisa Sk. BIS. 252 Str. 23,5/6

Gjalla hqtt Jyr Miliar hvern dag frekir ernir.

Vorher, Str.23,2, heißt es: (hrces mintiask peir)— Hallar-Steinn, ReksteJja Sk. BIS. 529 Str. 18,7

hirdfell,

hrafnar gullu usw.

Auch das Heulen der Wölfe gehört dazu: BQlverkr Arnorsson, dräpa auf Haraldr hardrädi Sk. BIS. 355 Str. 1,4 hräs; paut vargr ί äsi, nach einem Kampf; vorher wird auch der Rabe erwähnt. Gör.II 8,3ff. hat damit deutlich skaldisches Gepräge. Die in der Antwort von Guörün enthaltene Verfluchung HQgnis weist in dieselbe Richtung: Str.9,5/6

"pitt scyli hiarta

hrafna slita"

(wiederholt Str. 10,7/8). Skaldische Belege mit slita — und brät3 — gibt Gering 5 im Kommentar. Weitere Stellen sind Hättalykill Sk.B I S.491 Str.9a, 7/8 hrätt, brätt, haßi at slita hrafn tafn af pvi jafnati. Kräkumäl Sk.B I S.653 Str. 19,7

haukr sleit hold med ulfi.

Dies ist routinemäßige skaldische Darstellung. In Gör.II 9,5/6 wird jedoch, wie schon in 7,5ff. und 8,3ff., diese Darstellungsweise auf eine bestimmte Person, nun auf HQgni, bezogen 6 , und Guörün sagt ihm diese ihre Verwünschung direkt ins Gesicht. Sie zahlt hier mit derselben Münze, die HQgni vorher für Sigurör benutzt hatte, zurück.

5 6

Gering II S. 129 zu HH II 42,3. Diese Art des direkten Bezugs findet sich ebenfalls in den Kräkumäl 26,7/8, hier als Selbstdarstellung, wenn Ragnarr loöbrok sagt, daß ihn giftige Schlangen zerfleischen.

25

Guörünarqviöa Qnnur

Guöriin macht sich nach dem Gespräch mit HQgni auf, die Reste Sigurös, das von den Wölfen Übriggelassene, zusammenzulesen. 11,3/4

ά vid lesa

varga

leifar

Varga leifar ist als Kenning für Sigurös Leichnam zu betrachten. Nachdem in Str. 8 anhand der Leichentiere — Adler, Rabe, Wolf — eine schauerliche Atmosphäre geschaffen ist, erscheint eine solche Kenning für Leiche völlig angepaßt. Auch wenn sich keine weiteren Belege mit leifar finden, so ist der Bezug doch eindeutig; das zeigt eine Kenning wie tilfs tugga für Leiche deutlich genug: Arnörr Pördarson, Pörfinnsdräpa Sk.B I S.317 Str. 9,1 Ulfs tuggu raud

eggjar.

Jonsson 7 führt drei Beispiele mit tugga, zusammen mit Μunitin (Munins

tugga),

zur Bezeichnung von "Leiche" an: Gisli Sürsson Sk.B. I S.102 Str.31,4; t>0rarinn mähliöingr Sk.B I S.108 Str. 13,4; t>orör Saereksson, Porölfs dräpa Skolmssonar, Sk.B I S.303 Str.4,6. Tugga — etwas, was man kaut oder kauen wird — findet sich offenbar nur in der Skaldik (nicht in der Edda und auch nicht in der Prosa). Hinter diesen Kenningar steht die Vorstellung, daß die Leichentiere die Toten fressen (vgl. oben geßnn

ulfom),

womit die Anwendung von leifar

zur Um-

schreibung von Leiche gegeben ist. Hierbei ist noch hervorzuheben, daß Q

leifar

besonders die Reste von Essen bezeichnen kann . Damit fallt es nicht stark ins Gewicht, daß Jonsson 9 keine weiteren Beispiele mit leifar anführt. Jedenfalls sind diejenigen, die Mohr 1 0 im Hinblick auf einen möglichen Westgermanismus anführt (Reste des Heers, der Sintflut) viel zu weit weg von der Bedeutung, die der Ausdruck in Gör. II hat, als daß sie etwas zu bedeuten hätten. Str. 12 — Guöriin wünscht sich den Tod — bringt nochmals eine Erwähnung der Wölfe: Str. 12,5Jf.

7

ülfar pöttomz ef peir leti mic

Qllo betri, lifi tyna.

Jonsson Wb. S . 5 7 4 .

8 Fritzner II S. 465 4], Baetke Wb. S . 3 7 2 . 9 Jonsson Wb. S. 3 6 6 . 10 Mohr b] S . 154.

26

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Diese Verse erscheinen schwierig, und z.T. wird nach ulfareine Lücke angenom11 1 men, so von Gering , und Kuhn in seiner Ausgabe erwähnt dies. Eines ist jedenfalls klar: Guörün möchte sterben (lifi tynä). Wenn man an das voraufgehende Gespräch zwischen Guörun und HQgni denkt — an den den Wölfen zum Fraß vorgeworfenen Sigurör, das Geschrei der sich über das Futter freuenden Leichenvögel, das Heulen der Wölfe — und weiter, daß HQgnis Herz von den Raben zerfleischt werden soll und noch weiter, daß Guörun die Reste der Wolfsmahlzeit — Sigurös Leichnam — zusammengelesen hat, so ist angesichts dieser grausigen Darstellungsweise ein Wunsch der Guörun, daß Wölfe sie — lebendig — zerfleischen sollen, nicht so abwegig 13 . Die anschließenden Verse 12,9/10

eda brendi mic

sem birkinn vid

machen freilich auch Schwierigkeiten. Mohr 14 denkt bei birkinn an einen Westgermanismus, wobei er auf das von Gering 15 im Wörterbuch unter den Berichtigungen angeführte althochdeutsche birkin hinweist. Gering hatte im Wörterbuch birkenn vorher als "abgerindet" erklärt und erst im Anschluß an ein Schreiben von Bugge, daß Birkenholz ein allgemein verwendetes Brennholz sei, die Bezeichnung "Birkenholz" für birkenn vip angegeben. In einem Artikel von KLNM 16 wird überdies dargelegt, daß sich vor allem die in Nordskandinavien weitverbreitete Birkenart Betula pubescens in Island findet, auch als Wald, nur in geringerem Maß Betula verrucosa. Man weiß überdies, daß es im Mittelalter bezüglich des Waldes in Island noch besser stand als heute. In diesem Artikel wird außerdem darauf hingewiesen, daß es in der Grägäs und der Jonsbok Bestim1

mungen bezüglich dieses Birkenwaldes gibt. Fritzner führt unter birkiraptr eine Stelle aus der Eyrb.s. (174,23 Birkenknüttel auf einem Holzhaufen) an. Derselbe Ausdruck wird in der Hcens.-Por.s. verwendet: 25,13 hann seilisk til birkirapts eins ok kippir brott ι ο or hüsinu. Dies zeigt, daß Birkenholz sogar beim Hausbau gebraucht wurde .

11 Gering II S. 296. 12 S. 226. 13 Guörun würde dann — lebendigerweise — dasselbe Schicksal erleiden wie Sigurör, der als Leiche von den Wölfen zerfleischt wurde. 14 Mohrb] S. 154. 15 Gering Wb. Sp. 1392. 16 KLNM Bd. 11 Sp. 188. 17 Fritzner I S. 139. 18 S. KLNM Bd.7 Sp. 122.

Guörünarqviöa Qnnur

27

Wenn man birkinn als "birken" versteht, ist nicht einzusehen, wieso der Ausdruck ein Westgermanismus sein soll. Für den Isländer war, wie dargelegt, dieser Baum etwas Gewöhnliches. Was die Art der Wortbildung anbelangt, kann man darauf hinweisen, daß es z.B. auch eikinn (eichen) zu eik gibt 1 9 . Daß birkinn Hapax legomenon ist, stellt kein Gegenargument dar. Nun gibt Kuhn im Glossar neben "birken" in Klammern an: "oder entrindet, trocken", mit Verweis λι

auf die Gör.II-Stelle. Jonsson führt nur "entrindet" an. Hier stellt sich allerdings ein sprachwissenschaftliches Problem: Bei der Bedeutung "entrindet" ist wohl an das Verb birkja (entrinden) gedacht. Dieses gehört jedoch zur schwachen Konjugation, eine /««-Bildung als Partizip — obwohl es gelegentlich solche Fälle gibt — wäre dann nicht zu erwarten . In der Stjorn 177,32/33 ist das Verb gebraucht: birkti, ebenso das Partizip (ubirktanj23. Sahlgren 2 4 zieht das Wort zusammen mit weiteren skandinavischen Bildungen zu bQrkr: trocken wie Rinde, womit die Schwierigkeit behoben wäre. Birkinn im Sinne von "trocken wie Rinde" ergäbe dichterisch gesehen das eindrücklichere Bild: rasch aufflammendes (weil trockenes) Holz, das schnell verbrennt (man mag sich in diesem Zusammenhang an Vkv.9 erinnern). Birkinn wäre — auch mit dieser Bedeutung — keine Entleihung. Die Interpretation der Verse 12,5-10 ist mit weiteren Schwierigkeiten verbunden. Ii

Gerings - Einwände sind grammatischer Art; er legt dar, daß die Annahme eines zweiten Subjekts — man: Wenn die Wölfe mich das Leben verlieren ließen und man mich verbrennen würde, so Detter-Heinzel — unstatthaft sei. Der Subjektwechsel ist eine Schwierigkeit; nur muß man bedenken, daß es sich um eine poetische und damit freiere Darstellung handelt. Eda "oder" muß überdies bei der Detter-Heinzelschen Interpretation als "und" gefaßt werden; nach Kuhn 2 7 findet sich jedoch diese Bedeutung nur vereinzelt, bei Fragen. Die Interpretation von Detter-Heinzel ist auch inhaltlich nicht gegeben; sie denken beim Verbrennen an die Bestattung von Guörun. Gewiß kann man an Brynhildr erinnern, die in der

19 S. Alf Torp: Gamalnorsk ordavleiding, neu hg.v. Gösta Holm. In: Scripta minora, Studier utg. av Kungl. Humanist. Vetenskapssamf. i Lund 1973-74 (2), S. 19,44, der diesen Wortbildungstyp bespricht und birkinn und eikinn anfuhrt. 20 Kuhn Wb. S. 29. 21 Jonsson Wb. S. 47. 22 Auf diese Schwierigkeit hatte bereits Bugge an der erwähnten Stelle aufmerksam gemacht. 23 Im Neuisländischen wird birkinn freilich im Sinne von "abgerindet" (für Holz) verwendet, s. Bödvarsson Wb. S. 48. 24 Jöran Sahlgren: Eddica et Scaldica. Fornvästnordiska Studier II. Nordiska filologi Bd.l. Lund 1927/28. S. 2671Ϊ. 25 Gering II S. 296. 26 Detter-Heinzel II S. 495. 27 Kuhn Wb. S. 41.

28

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Skamma mit Sigurör zusammen verbrannt werden will, wie auch an Guörun in Ghv., doch sind die Umstände hierfür in Gör.II nicht gegeben. Daß Menschen sonst verbrannt wurden, brennur, gab es schon in alter Zeit; man braucht nur an das Feuer zu denken, in dem König Siggeirr und seine Hofgesellschaft zugrunde gingen (VQIS.S. Kap.8), doch geht es bei brennur immer um Kollektive, z.B. ganze Familien usw.; von Einzelverbrennungen ist nicht die Rede. Hieran ist also nicht zu denken. Was dennoch klar wird, ist der starke Wunsch der Guörun nach dem Tod, und zwar in passiver Form, als Erleiden; daß sie selbst ins Feuer geht wie Guönin in Akv. oder Signy (VQIS.S. Kap.8), ist der sprachlichen Form nach ausgeschlossen. Guörun denkt hier, in Gör.II, an ein Stück Holz, wie man es im täglichen Leben ins Feuer warf; so möchte sie sterben. Beide Todesarten, hier als zwei Möglichkeiten gegeben, entsprechen im übrigen der oben dargelegten schauerlichen Darstellungsweise dieses Liedteils.

Niöamyrcr Isländisch mutet auch die Szenerie der Verse 12,1/2

Nött potti trier

nidmyrcr vera

an. Die Lesart des Regius mag freilich merkwürdig erscheinen: Die Nacht erschien mir als rabenschwarzes Dunkel (nid bezeichnet den Neumond [eigentlich den abnehmenden Mond]; nid(a)myrcr bedeutet also völlige Finsternis). Jonsson 28 hat deshalb eine Adjektivform nidmyrkr angesetzt. Nidmyrkt, diese 90

Form des Adjektivs, findet sich in den Handschriften Bx und V der Sturl.s. . Kuhn 30 gibt die Adjektivform, die also schwach belegt ist, im Glossar mit Stern an. Sei dem, wie es wolle, auf alle Fälle ist klar,ι 1 daß nidmyrcr (niöamyrcr), das in der Edda Hapax legomenon ist — Jonsson fuhrt auch keine skaldischen Belege an —, als Substantiv ein in der isländischen Prosa stark benutztes Wort ist. Es findet sich z.B. in der Gisl.s.: 97,10 Pat var um dagsetrsskeid ok nidmyrkr sem niest, auch bei Snorri in der IT Heimskringla (II 121,11); weitere Belege, unter beiden Formen, gibt Fritzner .

28 29 30 31 32

Jonsson Wb. S. 427. S. die Anmerkung zu Zeile 15 S. 378 im 1. Band der Ausgabe von Kaalund. Kuhn Wb. S. 152. Jonsson Wb. S. 427. Fritzner II S. 820.

Guörünarqviöa Qnnur

29

Der erste Teil von Gör.II ist heterogen; neben Ausstattungsversen, "weichen" Versen, enthält er stark skaldisch geprägte Strophen von schauerlicher Stimmung, ein Ausdruck wie birkinn vid ist als isländische Prägung zu betrachten. Str. 13 verbindet den ersten mit dem zweiten Teil; Guönin steigt vom Gebirge hinunter: 31,1

For ec af fialli,

bis sie nach Dänemark kommt. Es ist klar, daß der Verfasser keine wirklichen Lokalkenntnisse hatte 3 3 ; Detter-Heinzel 34 verweisen in diesem Zusammenhang auf die rosmofiQll Rinar (Akv.17,5). Dennoch liegt es näher zu denken, daß der Dichter hier von isländischen Verhältnissen ausging. Man braucht in diesem Zusammenhang nur daran zu erinnern, wie oft z.B. von Gebirgswanderungen in Häv. die Rede ist, so 116,5/6

ή fialli eda

firdi

ef pik fara

tidir.

Teil 2: Str. 14-36 Familiarität, Intimität Die Strophen 14-36, der Mittelteil, schildern den Aufenthalt der Guönin bei l>0ra in Dänemark, das Bemühen der Grimhildr um Aussöhnung, die Versöhnungsdelegation der Brüder, die Werbung Atlis, ihre Annahme sowie den Zug zu Atli. Wenn auch mit von außen kommendem Einfluß zu rechnen ist 3 5 , zeigt doch eine eingehende sprachliche Analyse eine starke isländische Eigenständigkeit auch dieses zweiten Teils. Wie bereits in der ersten Strophe findet sich hier ebenfalls das Ausstattungs- und Verheiratungsmotiv: Str. 26,7

gulli gqfgud

oc gefin

Atli,

wie noch in Ghv. 16,1-3 und Od. 15,5/6. Nur die Ausstattung bringen Sg.34,7 und Am.72,5/6, nur die Verheiratung Ghv. 11,5/6. Für Mohr 3 6 ist dies ein Elegienmotiv; die Folkevisebeispiele, die er anführt, beziehen sich jedoch ausschließlich

3 3 G e r i n g II S . 2 9 6 f . ( f i m m d o g r ) . 3 4 D e t t e r - H e i n z e l II S . 4 9 5 . 35 S. S. 67f. 3 6 M o h r a] S . 2 4 7 .

30

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

auf die Rückerinnerung der glücklichen Jugend, wie bei Sg.34,7 und Am.72,5/6, nicht auf die Ausstattung bei der Verheiratung. Man muß in diesem Zusammenhang hervorheben, daß mit diesem Ausstattungs- und Verheiratungsmotiv das Kinderkriegen verbunden ist: Gör. II

ti ' e f p u sono

28,8

27,7

'cett at

feedir",

auca",

ebenso Ghv.14,5, anders (nicht mit der Hochzeit im Zusammenhang) Sg.55,1/2. In der Folkevise kann von Mann und Frau die Rede sein, daß sie Kinder bekommen, z.B. nachdem endlich die Richtigen miteinander vereint sind (DgF 86 L 51,4), oder das Mädchen, das zu guter Letzt doch noch Königin wird (vorher war sie die Geliebte des Königs), gebiert zwei Kinder (DgF 87 A 52,4; 58,4), oder es handelt sich um das Thema der verhinderten Geburt usw. Das Motiv des Gebärens ist anders verwendet als in der Heroischen Elegie. Auch eine Fügung wie med veri gangei37 (mit einem Mann gehen: heiraten) Gör.II

27,2

"Vilc

eigi

ec

med

veri

ganga"

ist hier zu erwähnen. Verr ist noch Ghv.10,3 und Sg.9,2 in der Bedeutung "Mann" (in Beziehung zu einer Frau) verwendet, und zwar bestimmt (Sigurör, Atli, Jönacr). In Gör.I 23,4 und Sg.35,2 ist der Ausdruck in diesem Sinn unbestimmt benützt, in Sg.41,3 generell. In Gör.II ist wie an mehreren Stellen in der Heroischen Elegie sonst verr für "Ehemann" angewendet, so 17,11

eda

ver

veginn.

Grimhildr bezeichnet auf diese Weise — der erschlagene Mann — Sigurör, den alle überragenden Helden. Im Umkreis der Heroischen Elegie hat auch Atli an dieser Familiarität teil: Am.

76,7

vildi

hon

ver

sinorn

vinna

ofrhefndir

(der Racheplan der Guönin). Diese Ausdrucksweise ist dem Ehedrama, das sich zwischen Atli und Guönin abspielt, angepaßt. Familiär drückt sich ebenfalls HQgni Gör.II

8,8

"varga

piöta

um

veri

pinom"

37 Der Ausdruck ganga med ist prosaisch, Beispiele bei Fritzner I S. 550 med 2].

Guörunarqviöa Qnnur

31

aus. Der Wandel, der sich hier erfassen läßt, wird durch die entsprechende Stelle im Brot 7,6

"gnapir ee grar ior

yfir gram daudom"

illustriert. Hier, im Brot, drückt sich HQgni bezüglich Sigurör noch respektvoll aus, in Gör.II wird er lediglich "dein Mann" genannt; diese Vertraulichkeit — Sigurör wird dadurch gewissermaßen als Besitz von Guörun dargestellt, er ist nicht mehr in seiner Heldenhaftigkeit gesehen — hat hier freilich einen zynischen Unterton, da sie mit dem Heulen der Wölfe, dem Tod, zusammengestellt ist. Weitere Stellen mit verr in der Bedeutung von "Ehemann" sind: Gör.II 3,3/4, 34,6; Ghv.4,9; Sg.54,6; Hlr. 1,8. Im alten Heldenlied gibt es die Verwendung von verr TO

für "Ehemann" nicht . Weitere Beispiele finden sich in Ls., Prk., Hrbl., Hdl., Vsp.35,6/7 (sinom ver: bezieht sich auf Sigyn: Loki). Für verr "Mann" findet sich ein Beispiel in Hm. (28,5), weitere in Vm., Grm., Alv., Sd. und Ls. (mehrere). Das Gegenstück zu verr, kona (Frau), ist enthalten Gör.II 17,2

M fiä Grimhildr,

gotnesc kona

Die Familiarität dieses Ausdrucks für Grimhildr kommt erst im Gesamtzusammenhang der Strophe voll zum Ausdruck: 17,6

oc buri heimti.

Burr (Sohn) ist gebraucht, ohne daß überhaupt nur die Namen — Gunnarr und -JA

Hogni — genannt werden ; das dazugesetzte heirnta (holen lassen) — wie zwei Kinder — verstärkt noch den Eindruck der Intimität, ebenso 17,9/10

hverr vildi son

systor bceta.

Daran schließt sich 17,11 das bereits erwähnte ver veginn. Grimhildr ist so im Rahmen ihrer Familie, deren beherrschende, aber auch sorgende Figur sie ist, dargestellt. Daran ändert das dazugesetzte gotnesc, das wohl noch etwas vom Glanz der Heldensage hat, nichts. Es ist hier daran zu erinnern, daß in der Isländersaga kona oft verwendet wird, so wenn es um Freierei geht: Gisl.s. 17,3, doch auch bei der Charakterisierung einer Frau, z.B. Laxd.s.13,2 at konan var enn viröulig oder 86,2 kvenna vcenst usw. Weitere Beispiele aus der Heroischen

38 Hm.7,4 betrachte ich als jung. S. S. 122. 39 In den übrigen Edda-Stellen mit burr ist der Begriff präzisiert, in Gör.II 32,3 und 34,8 rückbezogen.

32

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Elegie und ihrem Umkreis sind: anaphorisch: Od.13,2; Sg.4,5, 29,1, 51,2, 54,3; Am.6,2; Grp.48,6; Anrede: Sg.31,4; unbestimmt: Am.56,3; allgemeine Verwendung: Gör.I 1,8; Gör.II 11,8; Sg.15,4, 32,2, 41,2; Am.73,1. In der Bedeutung "Ehefrau" ist kona wenig gebraucht, so Sg.42,3

oc um häls kono

hendr um lagdi

Gunnarr, der selbst als gramr verdungar bezeichnet wird, legt bittend die Arme um den Hals seiner Frau, um sie vor dem Selbstmord zurückzuhalten, ferner Sg.44,8. In den alten Heldenliedern ist kona nur Vkv.25,4 (kono Nidadar) benutzt 40 . Kona in der Bedeutung "Frau" und "Ehefrau" (wenige Belege) ist verwendet in Häv., Sd., Hrbl., Ls., R\)„ Bdr., Hdl., Gg., Fj. sowie HH I und HHv. Ubersieht man die Verwendung der Verwandtschaftsbezeichnungen (Vater, Mutter usw.) in den alten Liedern, so findet sich Gebrauch ohne Zusatz öfter bei der Anrede, d.h. in direkter Rede, z.B. Akv.16,1. Weitere Beispiele in direkter Rede, doch nicht als Anrede, sind Hm.9,3 vid modur (SQrli will nicht mit der Mutter streiten) 41 , Akv.8,1 brudi (Gunnarr spricht von Guörun, brüdr [Frau] ist poetisch), Vkv.39,6 vid faedur rceda (die Aufforderung, die Nßuör über seinen Knecht an seine Tochter richtet) 42 . Noch ein Beispiel ist Hm. 19,8 mey um tradda (bei der Meldung des Spähers an jQrmunreccr, mey ist vermutlich verhüllend gebraucht). Der einzige Beleg für den Gebrauch einer Verwandtschaftsbezeichnung ohne weitere Bestimmung in der objektiven Darstellung findet sich in Vkv.29,10 ocfodur reiöi43. Ein weiteres Beispiel mit intimerer Gestaltung, neben Str. 17, ist wohl in Gör.II die bis heute nicht aufgeklärte Langzeile 34,7/8. Zur Intimität, Familiarität trägt wie in 17,6 — Verwendung von heirnta im Sinne von "holen lassen" zusammen mit burr, ohne weitere Präzisierung — ebenso der Gebrauch von vilja ohne Zusatz eines Infinitivs in Verbindung mit einem Mann bei 30,8

"nema pü vilir penna",

40 S. hierzu Kuhn Wb. S. I18f. 41 S. auch S. 120ff. 4 2 Vogt (W.H.Vogt: Die Vglundarkviöa als Kunstwerk. ZfdPh 51, 1926, S. 275-298) S. 295 schreibt diese Strophe dem zweiten Dichter ( = spätes Christentum) zu. 43 S. auch S. 236f. Vogt [vgl. Anm.42] S. 295 fuhrt diese Langzeile ebenfalls auf den zweiten Dichter zurück.

Guörünarqviöa Qnnur

33

entsprechend HHv.26,1. Gleichfalls bezeichnend für diesen loseren Stil ist der Gebrauch von eiga (zum Mann haben, heiraten) zusammen mit einem Namen oder Pronomen: 30,5

"hann scaltu eiga",

ebenso 27,4. Weitere Beispiele finden sich typischerweise mehrfach in Sg., Am., Grp. (zweimal), sowie in Hdl., je einmal in HHv., Alv., HH I, HH II, wobei z.T. vilia, z.T. ganga dazu gesetzt ist. Auch hafa ist in Gör.II wie eiga verwendet: 34,4

"ocpö af nidiotn

naudig hafa"

Zwei weitere Beispiele für diese Verwendung finden sich in HHv., je eines in Alv. und in Skm. Von den oben herangezogenen Verben ist gefa (verheiraten), das in der Heroischen Elegie und ihrem Umkreis mehrfach vorkommt (Ghv., Od., Sg. [ein Beleg aus Häv.]) prosaisch 44 ; für faeda (gebären) gibt Fritzner 45 u.a. verschiedene Belege aus der geistlichen Literatur, ebenso für ala (gebären) 46 , weitere aus Rechtstexten. Von den Substantiven gehört verr zur poetischen Sprache 47 , es findet sich ferner in der Grägäs 48 . Burr ist ebenfalls poetisch 49 . Kona, das in der Edda, nicht im alten Heldenlied, häufig benutzt ist, wird, wie dargelegt, auch in der Prosa oft gebraucht (u.a. in Rechtstexten) 50 . Von den übrigen herangezogenen Verben wird heimta, das in Edda und Skaldik 51 nicht stark bezeugt ist, in der Prosa viel verwendet, doch in der Bedeutung "holen lassen" mit Zusatz, z.B. heimta ά tal . Für vilia in der besprochenen Bedeutung gibt Fritzner 53 lediglich zwei Prosabelege, aus RiddarasQgur. Eiga (heiraten) 54 ist in der Prosa häufig. Für hafa dagegen geben die Wörterbücher keine Belege an.

44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Fritzner Fritzner Fritzner Jonsson Fritzner Jonsson Fritzner Jonsson Fritzner Fritzner Fritzner

I S. 567 4). I S. 527f. I S. 26f. Wb. S. 608 III S. 921. Wb. S. 70. II S. 325f. Wb. S. 239 I S. 774. III S. 945. I S. 296f.

34

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Problem der Schuld Neben den Ausdrücken, die im Sinne von Intimität und Familiarität verwendet sind, gibt es eine weitere Gruppe von Ausdrücken, die ebenfalls für den Mittelteil bezeichnend sind: gialda und boeta (Buße zahlen), valda (schuldig sein), SQC (Schuld). So sagt Guörün von Grimhildr: 17,8Jf.

pess at spyria, hverr vildi son systor boeta, eda ver veginn vildi gialda.

Mohr 55 verweist darauf, daß diese Szene wahrscheinlich dem Alteren Epos entstamme, wobei er die Versöhnung nennt. Grimhildr will jedoch, daß Guörün für die Erschlagung SigurÖs Buße gezahlt wird, von Gunnarr und HQgni, wie sich nachher zeigt. Im NL ist im Gegensatz dazu nur von Aussöhnung die Rede (P>iör.s. gibt nichts aus). Von Bußezahlungen wird z.B. in der Isländersaga immer wieder gesprochen, so bei Totschlag. Hier ist also etwas typisch Isländisches ins Lied genommen, etwas, was sich in alten Liedern nicht findet; daß im Heldenlied für einen Totschlag Buße gezahlt wird, ist etwas Neues, Junges. Ein der Gör.IIStelle entsprechender Beleg ist nur noch Am. 72,8

"bana mundo mir broedra

boeta aldregi. "

Die übrigen eddischen Stellen mit bceta sind nicht vergleichbar: In Hrbl.42,1/2 geht es anscheinend um eine Verhöhnung t»0rs, in HHv.24,2 und 27,2 wird als Buße eine Liebesnacht verlangt, und in Ls. 12,3 geht es um die Entschädigung für eine Schmähung. Für gialda findet sich in der Edda nur noch ein, ebenfalls anders als Gör.II 17,12 gerichtetes Beispiel: Hym.38,7: t»0rr erhält als Buße für die Schädigung seines Bocks die Kinder des schuldigen Bauern. Als weiterer wichtiger Zug in der Gör.II-Szene ist hervorzuheben, daß diese Bußezahlung von Grimhildr mit dem Bewußtsein von Schuld verknüpft wird, so 18.3

sacar at boeta.

Die erste Bedeutung von SQC ist "Rechtssache, Streit", so findet es sich z.B. in 21.4 (der Zaubertrank soll dem Vergessen des Streites dienen). In Zusammenhang mit der Bedeutung "Schuld" ergab sich dann auch die Verwendung im Sinne von

55 Mohr b] S. 156.

35

Guörünarqviöa Qnnur

"durch jemandes Schuld, um jemandes willen" (wegen). Aufgrund der Schuldproblematik der Heroischen Elegie 56 ist jedoch wohl eher anzunehmen, daß Sg.37,6

"um brodur SQC"

(die mögliche Wahl der Brynhildr, sich bei der Werbung Gunnars kriegerisch zu widersetzen 57 ) ebenfalls im Sinne von "Schuld" aufzufassen ist, wie auch 62,3 (Ablehnung von Schuld durch Brynhildr beim — vergeblichen — Selbstmordversuch der Guörun). Die abgeschwächte Bedeutung von SQC ist für Sg.51,7 und HH I 38,8 anzunehmen. Ein weiterer Ausdruck für die Bezeichnung von Schuld ist valda: Gdr.II 28,3/4

"pviat ver hqfom

valdit Jyrri. "

Wieder spricht Grimhildr von der Schuld der Gjukungen, in die sie sich einbezieht. Valda zur Bezeichnung von Schuld — bei Totschlag — wird an verschiedenen weiteren Stellen verwendet.: für die eigene: Am.91,3 (auch Fm.25,6); für die anderer: Gör.I 20,5/6, Sg.27,7/8, Am.83,5, Grp.51,8. Sonst wird valda für das Walten höherer Mächte benutzt, in HH II 26,4 (Nornen), in HH II 34,5 (Anklage Ööins durch Dagr, zu seiner eigenen Rechtfertigung), im Sinne von "verursachen" (kein Totschlag) z.B. Ls.47,5 (Trunkenheit hindert am Reden). Valda in der Bedeutung von "schuldig sein" ist also charakteristisch für jung in der Edda, und es ist wie bceta, gialda und SQC prosaisch (Rechtstexte z.B.). Auf das fο

Problem der Schuld wird weiter unten noch zurückzukommen sein .

Sprachliche Charakterisierung des Mittelteils Die angeführten rechtssprachlichen Bezeichnungen, wie auch schon andere Ausdrücke vorher, sind prosaisch, weitere Ausdrücke sind es ebenfalls, so ζ. B. misseri, das sich in Gör.II 14,2 findet, wie auch zweimal in Gör.I (8,6; 9,3), dazu kommt je eine Stelle in Häv. und Grt. Prosaisch ist ferner das in Gör.II 14,5 gebrauchte gaman; es ist noch verwendet in Grp., HH II sowie Häv., Skm., Mc.

56 S. z.B. S. 171 ff. 57 S . S . 153f. Sg.37,1-4

pä var ά h vorfon hugr minn um pat, hvärt ec scylda vega eda val fella. Zum Schwanken von Brynhildr s. S. 220f. —, zur Stelle weiter Heusler in Thüle 1 1912. S. 64. Man denke auch daran, wie Brynhildr z.B. in Gör.I 28,3/4 alle Schuld auf Atli schiebt. 58 S. S. 290ff.

36

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

und Fj. Das in Gör.II 26,4 gebrauchte pyccia gaman (per) ist überdies trivial; Fritzner 59 führt mehrere Belege an. Trivial ist weiter der Gebrauch von it sama: 18.4

oc ip sama HQgni

wie noch in Am. 1,7 und Hdl.27,3. Die Verwendung von ip sama in IjodahättrVersen (Grm., Vm., Häv., Fm., HHv.) als Abschluß der Vollzeile wirkt etwas weniger störend. Prosaisch ist auch spyria60 (Gör.II 17,8), das in der Edda wenig vertreten ist: noch drei Belege in Grp., einer in Am., sowie j e ein Beleg in HH I, Rm., Grt., Hrbl., zwei in Häv. Prosaisch und plump wirkt auch die zweimalige Verwendung von pat er: 15,2 16,5/6

Hqfdo viö ή scriptom pat er scatar leco. Byrdo vid ά borda pat er peir bQrduz,

wobei er, jedenfalls im zweiten Beispiel, mit Gering 61 als "wie" aufzufassen ist, im ersten Beispiel könnte er auch als Akkusativ verstanden werden. Trivial wirkt ebenfalls pess im bereits erwähnten Vers 17,8

pess at spyria,

wobei pess stabtragende Hebung ist, entsprechend Grp.3,1. Die zweimalige Wiederholung von pess (bei fregna) in Skm. 1,4 und 2,4, im Ijödahättr und in direkter Rede, ist da besser angepaßt. Noch ein derartiges Beispiel ist 18.5

hon fretti at pvi,

hverr—,

ebenso in HH I 16,1/3. Die Trivialität des Verses aus Gör.II kommt noch stärker dadurch zum Ausdruck, daß hinterher eine reiche Ausstattung mit mehreren Infinitiven und Objekten folgt. Ein weiteres Charakteristikum des Mittelteils von Gör.II sind Ausdrücke des Elefi-y

gienwortschatzes wie gullboca, script, hannyrd, byrda . Zum Wortschatz des Leidens gehören särla, sut. Verschiedene weitere Ausdrücke sind wie die zuletzt erwähnten ebenfalls mit geistlicher Literatur in Zusammenhang zu bringen, so koma fyrir kne:

59 60 61 62

Fritzner I S. 542. Fritzner III S. 503. Gering Wb. Sp. 870 e]. Zu hiitfra, hQndom slä, qveina s. wie bei Gör.I 1,1-3 Anm.73 S. 246.

G u ö n i n a r q v i ö a Qnnur

24,5/6

Qyömo konungar

37

Jyr kne prennir

(zu Guörün). Die meisten Belege, die Fritzner zu fyrir kne und koma, ganga, auch leida anführt, gehören zur geistlichen Literatur, oder sie stammen aus Texten von Geistlichen, so Sverr.s. 132,8f., Math.s. (Post.sQg.) 817,31 64 , HMS II 320,21 (Fragment einer Thom.s.erkibysk. 65 ) usw., ferner Nj.s. 348,21f. Fritzner selbst verweist dabei, mit Hinweis auf das Grimmsche Wörterbuch, auf lateinisch accidere usw., weiter ad genua admittere. Der Thesaurus 66 führt hierfür viele Beispiele an, so mit ad {ad genua accidere), was an fyrir denken läßt. Daß neben Beispielen mit fallet1 (accidere) auch ganga und koma benutzt sind, spricht nicht gegen lateinischen Einfluß; bei den angeführten Beispielen handelt es sich (auch wenn nicht von Kniefall die Rede ist) darum, daß einer oder mehrere sich einem höher (oder besser) Gestellten nähern und um etwas bitten (z.B. Flosi nach dem Mordbrand um Hilfeleistung). In Gör.II erbitten die Totschläger die Versöhnung der Guörün (oder aber, wenn man an die Freier denkt — Versöhnungs- und Freierzug sind in Gör.II miteinander verquickt —, ist der Ausdruck ein Zeichen der Ehrerbietung) 68 . Das Verb sama (sich passen, ziemen) ist in 27,5

samir eigi mir

benutzt. Sama findet sich in der Edda noch in Hlr. (1,5) und HH I (56,2). Aus der Skaldik führt Jonsson 69 einige frühere Belege an (Eyvindr skäldaspillir, Hrafti Q n u n d a r s o n , I>orhallr veiöimaör, sowie t>0rarinn stuttfeldr). Die Belege "70 Fritzners stammen überwiegend aus der geistlichen Literatur sowie Alex.s., Karlm.s., eine Nj.s.-Stelle. Hier zu berücksichtigen ist ferner der Gebrauch von hirda für die Bildung des verneinten Imperativs: 28,1

"Hirdadu hQldom

heiptir gialda",

63 Fritzner II S. 306. 64 Aus einem Codex, der nach Unger (Post.sQg. S. IX) um 1200 geschrieben ist. 65 Nach Foote (P.G. Foote: On the Fragmentary Text Concerning St Thomas Becket in Stock. Perg. fol. Nr.2. Sagabook Vik.Soc. 15, 1957-1961, S. 403-450) S. 445 ist der Text wohl um 1200 anzusetzen. 66 Thesaurus Bd.VI. Sp. 1879. 67 So Post.sQg. 3,18 Simon feil pä til knjä Jesu ( = Vulg. Luc. 5,8 procidil ad genua Jesu). 68 Zur Verwendung von prennir s. Gering II S. 306; der Gebrauch der Distributivzahl anstelle der Kardinalzahl soll nach K. Gislason jung sein. 69 Jonsson Wb. S. 479. 70 Fritzner III S. 166.

38

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

ebenso in Am.40,5. Ein weiteres Beispiel findet sich in einer lausavisa der Korm. s. (IF 8 S. 298 Str.81,1), noch eines im Hervorlied (EM S. 14 Str. 6,1). Mehrfach ist in diesem Zusammenhang an die lateinische Bildung des verneinten Imperativs mit noli erinnert worden, und Gering 71 verweist auf entsprechende Stellen aus der geistlichen Ubersetzungsliteratur (Norwegisches Homilienbuch, Stjorn). Das Alter der Strophen in der Korm.s. ist wie schon erwähnt umstritten. Einarsson 72 z.B. hält sie für jung. Das HervQrlied ist ohnedies eine junge Schöpfung. Damit liegt es nahe, für diese Imperativbildung an Einfluß aus der geistlichen Literatur zu denken. Auch der Mittelteil von Gör.II weist, obschon in geringerem Maße als der erste Teil, skaldische Prägungen auf: 29,5-8

"stz Sigurdar särla drucco hrcegifr, Hugitui hiartblod saman."

Hrcegifr — Leichenunhold (gifr: weiblicher Unhold) — zur Bezeichnung des Wolfes ist eine Kenning; Gering verweist auf valdyr und tik benja. Das asyndetisch dazugesetzte Huginn ist wohl als Appellativum (und nicht als Oöins Rabe) zu verstehen. Die Kombination von Wolf und Rabe, von der es oben auch schon Beispiele gab, erscheint durchaus plausibel (auch wenn die Zusammenstellung von Kenning und Appellativum merkwürdig ist). Daß der Wolf Blut trinkt, stammt ebenfalls aus der Skaldik: Hallfi-odr, Oläfsdräpa Sk. Β IS. 149 Str. 6,5ff.

vinhrödigr gaf viöa vfsi margra Frisa blQkku brunt at drekka blöd kveldridu stodi.

Wenn in Gör.II vom Herzblut die Rede ist, mag das damit zusammenhängen, daß das Herz das Zentrum des Lebens ist, doch ebenso damit, daß Guörun spricht: Das Herz ist auch der Sitz der Gefühle; die Bezeichnung "Herzblut" erinnert noch einmal an die Tragödie, die Sigurös Tod für Guörun darstellt. Wie schon in Str.9,5/6 ist hier eine skaldische Wendung (drecca hiartblod [Wolf, Rabe]) gebraucht. In gewissem Sinn ist das Bluttrinken auch eine Gegenvorstellung zu 11,4 varga leifar (Reste der Speise der Wölfe). Daß die skaldische Vorstellung durch

71 Gering II S. 307. 72 Einarsson S. 65ff.; KLNM Bd.9 Sp. 143. 73 Gering II S. 308.

Guöninarqviöa Qnnur

39

särla (Leidenswortschatz) ergänzt wird, braucht nicht zu erstaunen; Guönin spricht. Es ist auch nicht einzusehen, wieso man hier mit Mohr 74 bei der Wolfskenning an einen Westgermanismus denken soll. Das in 9,5/6 benutzte hiaita slita wird 31,6 noch einmal verwendet. Skaldisch ist natürlich ebenfalls 31,11

eggleics hvQtud

(Anreger des Schwertspiels). Parallelen hierzu werden von Jonsson75 erwähnt.

Grfmhildr Die hier angeführten sprachlichen Charakteristika lassen eine starke isländische Prägung auch des zweiten Teils von Gör. II erkennen. Bezeichnend für diese tiefgreifende Aneignung des Stoffes ist die Gestaltung der Grfmhildr als beherrschende Figur. Sie ergreift die Initiative zur Aussöhnung der Brüder mit Guörün; sie spricht von der Schuld der Gjukungen (wobei sie sich einschließt) und will, daß Guönin Buße bezahlt wird; sie setzt sich für die Werbung Atlis um Guörün ein, und sie bewirkt deren Annahme durch Guörün. Dies geschieht, nach vorangegangenem Werbe- und damit verquicktem Versöhnungszug, im Rahmen eines Gesprächs zwischen Grfmhildr und Guörün, also zwischen Mutter und Tochter, und dementsprechend ist auch der Ton familiär, vertraulich, so wenn z.B. Guörün den Ausdruck med veri ganga benutzt. Mohr 76 spricht hier von "ausgewalzt, schlappen Antithesen, Wiederholung". Gewiß ist das sprachliche Niveau dieser Unterredung künstlerisch gesehen nicht hoch, doch hat diese familiäre, intime Ausdrucksweise ihren Sinn: Sie zeigt die enge Verbundenheit der beiden Frauen, und mit der Wiederholung, wie z.B. 27,1-4

"Vilc eigi ec ne Brynhildar

med veri ganga broöur eiga"

wird insistiert (ganz abgesehen davon, daß es hier vom Allgemeinen ins Einzelne geht); beide Sprecherinnen wollen beeindrucken und ihren Standpunkt nachdrücklich vertreten. Für ihre Zwecke wendet Grfmhildr zuerst ein praktisches Mittel an: den Vergessenheitstrank77; der aber hält, wie sich später zeigt, nicht an. Die ein-

74 75 76 77

Mohr b] S. 160. Jonsson Wb. S. 303. Mohr b] S. 159. Gör.II 23,8 heißt es von der Leber: pvial hon sacar deyßi.

40

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

fachste Erklärung hierfür ist die Ungeschicklichkeit des Verfassers; immerhin könnte dieses Nichtanhalten der Wirkung (auch wenn dies im Lied nicht zum Ausdruck kommt) das tatsächliche Unvermögen der Guönin, vergessen zu können, klar machen. Grfmhildr beginnt das Gespräch mit ihrem Vergütungsangebot (mit Einschluß des Vatererbes), dazu verweist sie auf Atlis Reichtum, wiederum taucht das Ausstattungsmotiv (gulli gqfgud) auf. Auf die Abwehr der Guönin folgt, nach einer Ermahnung, sich nicht zu rächen, das Gebärmotiv: Bei der Geburt von Söhnen soll Guönin denken, daß nun Sigurör und Sigmundr (weiter-)leben. Der erneuten Ablehnung begegnet Grfmhildr damit, daß Atli der Vornehmste und weitaus Uberlegenste sei und — was beinahe wie eine Drohung klingt — daß Guönin ohne Mann bleiben solle, wenn sie nicht Atli heirate. Auf den letzten Einwand von Guönin verheißt sie ihr ein Gefolge lind den Besitz von VinbjQrg und ValbjQrg. Grimhildr ist als starke Mutterpersönlichkeit gezeichnet: Sie will um jeden Preis ihre Tochter, die Witwe ist, wiederverheiraten. Eine große Rolle spielt dabei — die eigene Ausstattung der Tochter wird ebenfalls erwähnt — die Tatsache, daß der vorgeschlagene Freier in jeder Beziehung überlegen ist. Das geht so weit, daß sich Grimhildr sogar über den in der Folge vorausgesagten Untergang der beiden Söhne hinwegsetzt. Zugleich betreibt sie dynastische Machtpolitik mit der Wahl Atlis. Den schwer insistierenden Mutterwünschen setzt sich Guönin entgegen. Die Werbung Atlis bringt sie in einen doppelten Konflikt: Sie, die Witwe Sigurös, will nicht mehr heiraten, und natürlich nicht Atli: Er ist der Bruder von Brynhildr, die schuld an Sigurös Tod ist. Sie wiederholt ihre Weigerung mit dem skaldisch geprägten Hinweis auf die Leichentiere, die das Herzblut Sigurös tranken. Auf die erneute Insistenz von Grimhildr kündigt sie den Untergang ihrer Brüder bei Atli an, bei HQgni nennt sie wie schon in Str. 11 das Zerfleischen des Herzens; sie selbst wird ihre Brüder rächen. Da auch dieses Argument erfolglos ist, gibt sie, nach einem neuen Schenkungsangebot, zermürbt, schließlich nach. Guönin, die noch immer an Sigurös Tod leidet, ist damit von Grimhildr die Heirat mit Atli aufgezwungen worden (afnidiom naudig hafa sagt Guönin). Dies ist eine weitere Gestaltung der Heiratspolitikerin Grimhildr, die in der Meiri Guönin bereits einmal verheiratet hat: an Sigurör, indem sie ihn durch den Vergessenheitstrank für dieses Heiratsprojekt — das auch der Machtpolitik diente — zugänglich machte. 78 Guönin wird durch diese Heirat in neues Leid gestürzt : durch den Tod der

78 Die These von Glendinning (R.J. Glendinning: Guörünarqviöa Forna. A Reconstruction and Interpretation. In: Edda. A Collection of Essays, hg.v. R.J. Glendinning and R. Bessason. University of Manitoba Press 1985. S. 258-282), daß inGör.IIder Burgundenuntergang die Rache

Gudrünarqviöa Qnnur

41

Brüder; sie ist damit als Ausgelieferte, als Erleidende gezeichnet, nicht als Handelnde. Dies ist eine weitere Darstellung der leidenden Guörün, die auch in Gör.I, im Rahmen einer einzigen Szene, als rein duldend gezeigt wird. Leidend zeichnet sie auch Ghv., doch als Folge ihres eigenen Handelns, der Durchsetzung von Rache. Leidend durch Verleumdung ist sie in Gör.III dargestellt, sie, die keine Hilfe von ihren Brüdern, die erschlagen wurden, erwarten kann, verfällt hier auf den Ausweg, sich einem Gottesurteil zu unterziehen; sein Ausgang und damit ihr weiteres Schicksal hängen also nicht von ihr selbst ab. Daß sich Gudrun der übermächtigen Mutter unterwirft, ist die Antwort des Verfassers von Gör.II auf die auch in der Forschung gestellte Frage 79 , wie sich Guöran nach SigurÖs Tod erneut verheiraten konnte. Mit den Brüdern wird sie durch die verheißene Buße versöhnt. Der Verfasser braucht natürlich die Annahme der Werbung als

von Gudrun für die Erschlagung Sigurds darstelle, ist, entsprechend meinen Darlegungen, unhaltbar. Glendinning geht aus von Str. 31. Nach ihm ist es einleuchtender, die Korruptel von Vers 31,9 — "muncad ec lettia " — im Regius als Verschreibung auf ursprüngliches letia als auf letta (Konjektur von Bugge) zurückzufuhren. Der Sinn des Verses wäre dann: "Ich werde ihn (Atli) nicht abhalten, meine Brüder zu töten." Die darauffolgenden Verse 31,10-12 — "ädr lifshvaian eggleics hvQtud atdri ntemic" — wären als Hauptsatz aufzufassen: "und darauf werde ich "the bold prince' (Atli) umbringen." Zu Glendinnings Übersetzung von 31,9 ist zu bemerken, daß letia kein Objekt bei sich hat; er entnimmt es den voraufgehenden Versen (hann). Im Kontext der ganzen Strophe erweist sich seine Interpretation als unlogisch; 31,1-4 verwahrt sich Gudrun dagegen, daß ihr Atli (seine Sippe, ländir) aufgezwungen werden soll. Hierzu in Gegensatz steht die Annahme Glendinnings, daß durch Atli (durch die Erschlagung der Brüder) die Rache für Sigurdr durchgeführt werden soll. Anders verhält es sich damit im NL; dort weigert sich Kriemhild zwar auch, Etzel zu heiraten, doch wird dann ausgeführt, daß sie seine Werbung schließlich annimmt, weil dadurch die Rächung Siegfrieds möglich wird. Davon wird in Gör.II nichts gesagt. Hier ist ferner daran zu erinnern, daß Gudrun 31,8 von hiarta slita spricht (in bezug auf Hogni), d.h. die Wendung wiederaufnimmt, die sie im ersten Teil fiir die Verfluchung Hognis benutzt hatte, worauf ihr aber Hogni selbst klargemacht hatte, daß seine Erschlagung ihr nur noch mehr Leid bringen werde. 31,8 deutet damit auf die enge Beziehung zwischen Gudrun und den Brüdern. Unlogisch erscheint Glendinnings Interpretation auch anhand der letzten Verse von Str.31: Gudrun will nach der Erschlagung der Brüder — die sie nach Glendinning nicht verhindert — Atli selbst umbringen. Die dazu gegebene Erklärung — die Erschlagung Atlis und die seiner Söhne sei eine Vervollständigung ihrer Rache für Sigurdr — ist nicht stichhaltig. Außerdem wird durch Giendinnings Interpretation die Rolle von Grimhildr sinnlos. Sie, die beherrschende Figur des Mittelteils von Gdr.II, erreicht eine Bußeleistung der Brüder für die Erschlagung Sigurds und damit eine Aussöhnung. Glendinnings Interpretation ist abzulehnen. Sinnvoll ist dagegen Bugges Konjektur letta: "Ich (nach der Erschlagung der Brüder) werde nicht ablassen, bis ich Atli getötet habe." Die Ankündigung der Erschlagung der Brüder ist für Gudrun ein Mittel, das sie - ohne Erfolg — einsetzt, um nicht Atli heiraten zu müssen. — Zwei weitere Interpretationsversuche sind: Jan de Vries: Das zweite Gudrunlied. ZfdPh 77, 1958, S. 176-199; Hans Midderhoff: Zur Verbindung des ersten und zweiten Teils des Nibelungenstoffes in der Lieder-Edda. Z f d A 95, 1966, S. 243-250. S. dazu Glendinning S. 258-261. 79 So de Vries II S. 133.

42

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Voraussetzung für den dritten Teil des Liedes. Der Verklammerung des zweiten Teils mit dem ersten dient u.a. das für HQgni gebrauchte slit a hiarta.

Teil 3 Str.33-44,4 Atlis Traum Im dritten, letzten Teil (Str.37ff.) erzählt Atli Guönin von seinen Angstträumen: Er sah selbst, wie ihn Guönin mit einem Speer durchbohrte; blutbespritzte Zweige und Habichtsherzen sowie das Fleisch junger Hunde wurden ihm als Nahrung vorgesetzt. Guönin soll ihm diese Träume deuten, was sie dann im Sinne der Verharmlosung tut. Dieser letzte Teil ist unvollständig überliefert. Auch die Sprache dieses Teils ist wie die des zweiten und ersten uneinheitlich; so finden sich prosaische Ausdrücke (die z.T. auch skaldisch benutzt sind), deren Verwendung in der Heroischen Elegie für jüngeres Datum spricht, z.B. nyliga (38,1 neulich, eben). Das Wort ist in der Edda nur hier benutzt. Skaldische ftfi Beispiele fehlen. Verschiedene Prosabeispiele sind bei Fritzner angeführt. Weitere Beispiele für den Gebrauch dieses Adverbtyps — Bildung zu einem Adjektiv, das auf -ligr endet — sind Gör.III 2,7 lettliga, 9,7 heilagliga; Od.26,7 hvatliga. Prosaisch ist auch leggja ίgogtiom (38,8). Es findet sich Qnur noch in der | Eddaprosa zu HH II (157,4f. Durchbohrung Helgis). Jonsson spricht von häufiger Anwendung von leggja zusammen mit sverdi (das Schwert richten auf)· Für leggja ί gognom (durchbohren) hat er ein einziges — junges — Beispiel (Haukr Valdisarson, Islendingadräpa Sk.B I S.541 Str.8,5/8). Prosabeispiele gibt Fritzner . Sonst in der Edda überhaupt für "töten" benutzte Ausdrücke sind drepa, vega, hQggva. Leidr (39,8) ist ein Ausdruck, der sich in der Edda nur in Skm. (27,5), Hym. (8,2), HHv. (25,2; 28,9) sowie Häv. (35,4; 40,4; 66,6) findet. Vielfache Belege, z.T. frühere sowie aus dem geistlichen Bereich, führt Jonsson 83 an. Die Prosabelege bei Fritzner 84 , u.a. in Verbindung mit ljufr, stammen aus Sagas sowie der geistlichen Literatur. Im Hinblick auf die Gör.II-Stelle — Guönin spricht von dem ihr verhaßten Atli (die Erschlagung der Brüder ist bereits vorauszusetzen) — mag man darauf verweisen, daß es in den frühen Heldenliedern solche affektive Charakterisierungen nicht gibt; Guönin in Akv.

80 81 82 83 84

Fritzner Jonsson Fritzner Jonsson Fritzner

II S. Wb. II S. Wb. II S.

841. S. 364 443. S. 366 463.

43

Guömnarqviöa Qnnur

(Str.30, nach dem Tod der Brüder) spricht lediglich eine Verwünschung aus, und in Str.36,2 nennt sie Atli sverda deilir. Nyta (42,8 genießen, verzehren) ist edQC disch nur hier benutzt. Die bei Jonsson verzeichneten Belege sind jungen *

Datums (z.B. aus der Islendingadräpa). Fritzner

oi

führt für nyta vor allem

Ä7

Belege aus Gesetzestexten (Borg., Grägäs) an . Auffallig ist der Gebrauch von vt'lsinni (Mühsal, 38,3 QO vilsinnis spä). ΟΛDer Ausdruck findet sich sonst weder in Edda noch Skaldik . Schon Gering führte drei Stellen aus der Barl.s. an. Das Synonym vilsidr (m.) ist in einer Traumstrophe von Gisli (fF 6 S. 107 Str.35,4 = Sk.B I S.103 Str.32,4) gebraucht. Der Ausdruck findet sich ebenso im Stockholmer Homilienbuch (32,21). Da es sich bei der Gisli zugeschriebenen Strophe um eine jüngeren Datums handelt 90 — u.a. ist auch sekr im Sinne von "schuldig" gebraucht, wofür es bei Fritzner 91 viele Belege aus der geistlichen Literatur gibt —, ist vilsinni wohl auch mit dieser in Zusammenhang zu bringen und als jung zu betrachten. Mit dem geistlichen Bereich in Verbindung steht auch 39,7 kecna (Gudrun Bezug aufJonsson den verletzten Leecna aus (heilen) ΛΛ führtAtli). ist inlicna der oc Edda lediglich hiermitgebraucht. nur Belege der QT

geistlichen skaldischen Literatur an. Fritzners Belege stammen aus dem geistlichen oder damit verbundenen Bereich. Was die Substantive Icecnir und keening anbelangt, so gibt es zwei Stellen in Sd. (11,2 und 4,6 keenishendr), eine in Grp. (17,7) sowie eine in Häv. (147,3). Jonsson 94 führt Belege aus der geistlichen Literatur oder damit in Beziehung stehender an. Die überwiegenden Belege bei Fritzner 95 stammen ebenfalls aus geistlichen oder aber von Geistlichen geschaffenen Texten (z.B. Alex.s.), bei Icecning sind auch Stellen aus der Nj.s und Sturl.s. angeführt. Lcecna und die weiteren angeführten Begriffe sind also überwiegend im geistlichen Bereich benutzt. Für licna im Sinne von "helfen, lindern" (Barmherzigkeit widerfahren lassen), das in der Edda nur in Gör. II vertreten ist und für das

85 Jonsson Wb. S. 431. 86 Fritzner II S. 844 3]. 87 Hier ist auch auf bergia (43,8) hinzuweisen, obwohl das Wort in einer verderbten Stelle steht. Bergia (Essen zusichnehmen) findet sich eddisch nur noch in Ls.9,4. Jonsson (Wb. S.44) gibt nur späte Belege an, darunter solche aus dem geistlichen Bereich. Fritzners Belege (I S. 130) sind ebenfalls spät; sie kommen vor allem aus dem geistlichen Bereich, auch Eyrb.s. (141,4); Eg.s. 107,9f. und Eyrb.s.130,7 enthalten bergjask. 88 Zur zweifelhaften Stelle Sk.A I S.182 Str.6,5 vilsiN volv vgl. Jonsson Wb. S. 625. 89 Gering II S. 312. 90 S. auch unten S. 6Iff. 91 Fritzner III S. 200f. 1], 92 Jonsson Wb. S. 387f. 93 Fritzner II S. 590. 94 Jonsson Wb. S. 388. 95 Fritzner II S. 590.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Jonsson 96 lediglich Belege aus geistlicher Dichtung gibt, führt Fritzner 97 viele Belege aus dem geistlichen Bereich an, auch aus Barl.s. (64,34) und Knyt.s. QO

(289,7, im Rahmen einer Wunderheilung) . Zu leekna ist zu bemerken, daß die Tätigkeit des Heilens natürlich auch vor dem Christentum ausgeführt wurde (vgl. entsprechende Zaubersprüche) 99 , daß aber dies gerade im Heldenlied kein 1ΠΠ Thema sein konnte. Daß Guörün in Gör.II von licna und Icecna spricht, dient vordergründig der Beruhigung Atlis. Hintergründig aber, im Hinblick auf das, was dann wirklich geschieht, ist ihre Aussage blutiger Zynismus (sie wird Atli zu Tode heilen). Die hier herangezogenen Ausdrücke sind jung, z.T. stehen sie mit dem geistlichen Bereich in Zusammenhang. Vom Wortschatz des Leidens selbst ist sorgmodr benutzt. Auch dieser dritte Teil weist skaldische Prägungen auf 101 . Svella (41,8 sollin blödi) wird in der Skaldik viel verwendet, ebenso ratin — das Kompositum bQlrann 41,4 ist nur in Gör.II gebraucht —, von dem es in der Edda, auch von Komposita, nicht viele Belege gibt. Brad (41,3) — in der Edda nur noch in HH II 43,6 benutzt — ist ein typischer skaldischer Ausdruck; er bezeichnet das Futter der Leichentiere. Ein Leichentier kann auch haucr (41,2) sein, gialla (42,4, wie schon in Str.8, hier zusammen mit hvelpar) bezeichnet das Schreien der Leichentiere. Hrce (Leiche, auch Leichenstück) ist gleichfalls typisch skaldisch; in der Edda findet es sich nur noch in HH I 44,4 und HH II 25,6 und 33,12 sowie in den Komposita hrcelundr (Sd. 1,7), hrcedreyrugr (Akv. 36,3), dazu vitnishrce (Wolfskadaver) in einer Variante der VQIS.S. (S. 79 Str.26,2) zu Brot 4,2. Auch bei teina ί tuni (40,1/2) ist skaldischer Einfluß anzunehmen; die oft diskutierte Stelle ist mit einem Vers aus einer lausavisa von Gisli Sursson zusammenzubringen 103 . 1 ΛΛ

IF 6 S. 58 Str. 11,1 (Sk. Β IS.97 Str. 8,1)

Teina säk ί tuni

96 Jonsson Wb. S. 377. 97 Fritzner II S. 525. 98 Für liknask (jemandes C-nade erlangen) fuhrt Jonsson (Wb. S. 377) zwei Stellen aus früheren lausavisur (Hallfroör Sk.B I S. 159 Str. 9,3; Pormodr kolbrünarskäld Sk.B I S. 260 Str. 2,7) an; eine Stelle aus der Großen Saga Olafs Tryggvasonar Flat. I 318,1 bei Fritzner II S. 525. 99 De Vries Et.Wb. S. 371 erwähnt, daß leekna u.a. als irisches Lehnwort betrachtet wurde. 100 De Vries Et.Wb. S. 356 verweist auf die späte Bezeugung von likna. 101 Entsprechende Belege bei Jonsson Wb. S. 551 f., 455f., 69, 232, 185, 288f., s. auch oben S. 22ff. 102 In Akv.36,6 wird Rasks Konjektur valbmdir eingesetzt. 103 Auch M o h r b ] S. 163f., mit Verweis auf Kuhn (skaldischer Reim), nimmt Übernahme aus Gislis Strophe an.

Guörünarqviöa Qnnur

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Gisli sieht auf dem Grabhügel von fOrgrimr Schößlinge sprießen. Daß Gör. II hier von Gisli abhängig ist, ergibt sich aus der Art der Verwendung. Das im Sinne von "Schößling" zu fassende teinn bezeichnet bei Gisli ein unbestimmtes Kollektiv; in Gör.II dagegen dient teinn, obwohl ebenfalls unbestimmt benutzt, als Symbol für etwas Präzises, die zwei Söhne Atlis, wie das auch für haucr (41,2) und hvelpr (42,2) gilt. Von der Verwendung her gesehen, erscheint es einleuchtend, daß ein unbestimmt kollektiv gebrauchter Ausdruck für die Bezeichnung von etwas Präzisem übernommen wird, während der umgekehrte Weg unwahrscheinlich ist. Dazu kommt, daß die Traumstrophen von Gör.II in einem weiteren, umfassenderen Zusammenhang mit Gislis Traumstrophen, wie noch zu zeigen sein wird, zu sehen sind 104 . Guörun gibt den Angstträumen Atlis eine verharmlosende Deutung: Wenn er sich von einem Schwert durchbohrt sieht, deutet sie (39) das als Anwenden von eldr (Feuer, Hitze) als glühendem Stahl zur Heilung einer Wunde. In den folgenden Strophen (40-42) ist von ausgerissenen, blutbespritzten Zweigen, von mit Honig vermischten Habichtsherzen und vom Fleisch toter Hunde, das Atli essen soll, die Rede. Entsprechend der von Str.39 gegebenen Deutung muß dann Str.43 als Verharmlosung dieser Träume durch Guörun angesehen werden. Dies setzt voraus, daß man in Vers 43,2 anstelle des überlieferten seeing entweder scefQng (Rask) oder scefang (Bugge, Grundtvig) liest. Dies würde bedeuten, daß von Fischen 105 gesprochen wird, denen man die Köpfe abschlägt, damit man sie als Nahrung im Haushalt verwenden kann 106 . Man muß dann annehmen, daß Guörün für die drei — ihrem Sinn nach übereinstimmenden — Traumbilder (40-42) eine gewissermaßen pauschale Deutung gibt, d.h. ohne Berücksichtigung von Einzelheiten. Eine vergleichbare pauschale, wenn auch nur sich auf drei Langzeilen beziehende Deutung gibt HQgni in Am. 20 für den Angsttraum der Kostbera (19): Sie sieht einen Adler dem Haus entlang fliegen, der alle mit Blut bespritzt; sie deutet die Erscheinung als hamr Atlis. HQgni (20) erklärt das Gesehene jedoch lediglich als Vorzeichen für häusliches Schlachten. Die verharmlosende Deutung der Träume durch Guörun berührt, so ließe sich sagen, nur die Oberfläche dieser Strophen. Der sich unter dieser Oberfläche verbergende Inhalt ist in Wirklichkeit eine präzise Vorausnahme des kommenden Geschehens. In Str.38 wird Atli von Guörun mit dem Schwert durchbohrt; man mag hier an Akv. 41,1/2 denken. Str.38 hebt sich allerdings von den drei der Erschlagung von Atlis Kindern gewidmeten Strophen dadurch stark ab, daß in ihr

104 S. S. 61 ff. 105

Hviringr:

eine Fischart, s. hierzu Gering II S. 3 1 5 .

106 S. hierzu Dronke S. 113; die Interpretation der Strophe bleibt trotzdem schwierig.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Atli direkt genannt wird, während für die Söhne ausschließlich Symbole benutzt werden, Symbole freilich, die auf dem Hintergrund der Sage (z.B. Akv. 36,3/4) völlig eindeutig sind. Diese Symbole: Schößlinge, Habichte, Hunde, sind im Sinne einer Klimax benutzt: 1. Schößling, Vertreter des Pflanzenreichs, 2. Vogel, leichte Tierart, 3. Hund, Säugetier, höhere (gewichtigere) Tierart. Dementsprechend wirkt das erste Bild, die gefallenen Schößlinge, verglichen mit den zwei folgenden, mehr kollektiv und als bewegungslose Masse; die Schößlinge liegen am Boden; dann werden sie auf die Bank getragen. Im zweiten Bild gibt es bereits aktive Bewegung: Die Habichte fliegen. Das dritte Bild ist noch bewegter: Die Hunde lösen sich von der Hand Atlis, und sie schreien. Entsprechend sich steigernd ist die Gestaltung des Essens. Im ersten Bild stellen die ausgerissenen Schößlinge die Mahlzeit dar. Die Verbindung zum folgenden Bild ergibt sich dadurch, daß die Schößlinge blutbespritzt sind; im zweiten Bild ist von den mit Honig vermischten Herzen der Habichte die Rede. Im dritten Bild wird vom — toten (at hrceom ordit) — Fleisch der Hunde gesprochen; hier ist also das Ganze erfaßt, während im vorhergehenden Bild nur ein Körperteil genannt wird. Zur Verwendung von hold (42,5) und hiarta (41,5) mag man noch an Häv. 96,4/5

hold oc hiarta

var mer in horsca mcer

erinnern; Oöinn sagt diese Verse in bezug auf Billings mey; er nennt das Herz als Sitz der Gefühle, hold bezeichnet den Leib; damit ist das Ganze eines Wesens gegeben, und so fühlt sich auch Oöinn vom Mädchen erfaßt. Man sieht daraus, welchen affektiven Wert die beiden Aussagen haben. Durch die sich steigernde Darstellung tritt auch der hintergründige Inhalt immer stärker und klarer hervor. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß in diesen Traumstrophen die Söhne selbst nicht auftreten, sondern daß alles im Symbolischen verbleibt. Ebensowenig wird Guörün genannt; die Gestaltung der Strophen läßt das gar nicht zu: Der Vorgang selbst, der Totschlag, der zu den verwendeten Bildern führt, wird nicht dargestellt; es ist nur von den Ergebnissen die Rede. So ist auch in Str.40 der Vorgang des Ausreißens nicht dargelegt; die Zweige sind zu Beginn der Strophe bereits ausgerissen. Das einzige Tun besteht darin, daß sie auf die Bank gelegt werden. Die zwei folgenden Strophen sind streng parallel gebaut: In der ersten Strophenhälfte lösen sich die betreffenden Tiere von Atli, ohne Erwähnung ihres Todes. In der zweiten Strophenhälfte wird bereits von den Tieren als vorgesetzter Speise gesprochen; das 42,6 dazugestellte at hrceom ordit hat in 41,8 ein Gegenstück (sollin blööi).

Guörunarqviöa Qnnur

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Teina als Schößlinge bezeichnet etwas Grünes, das wachsen sollte 107 ; haucr wird auch als Bezeichnung für wagemutige Männer benutzt; hvelpr ist ein Ausdruck für ein junges Tier, vor allem für einen Hund wie hier. Die für die Söhne Atlis gewählten Bilder sind also sehr ausdrucksvoll; sie deuten auf die Kraft dieser jungen Menschen. Daß für die Welpen gialla, das meist für Vögel benutzt wird, gebraucht ist, mag verwundern; im Hörer mag es doch auch den Gedanken an die Leichenvögel aufkommen lassen. Als gefährdet (brada lausa, ohne Nahrung) und unglücklich (glaums andvana) werden die jungen Tiere von Atli selbst bezeichnet; sie fliegen zu einer Stätte des Bösen. Aus diesen Versen wird die Betroffenheit Atlis klar; das Leid des Vaters spricht sich aber schon vorher aus: 40,3/4: Er wollte die Schößlinge wachsen lassen. Von den Tieren sagt er, daß sie von ihm wegkommen (mer af hendi [41,1, 42,1]). Am stärksten äußert er sein Gefühl durch sorgmöds sefa (41,7). Sein Abscheu über die vorgesetzte Mahlzeit wird durch naudigr (42,7) klar. Atli, der leidende Vater, wird uns in diesen Traumstrophen sehr nahe gebracht, doch ohne Pathos. Es ist ein überraschendes Bild, das hier von Atli gegeben wird. Zwar wird schon in Akv. 37 deutlich, daß der Tyrann Atli auch ein Vater war (er wird nicht mehr seine Söhne zu sich rufen können). Doch ist es in der Atlaqviöa eine Charakterisierung von außen, nicht er selbst, sondern Guönin spricht, und sie äußert sich so, damit sie ihn, nach dem Totschlag, nur um so stärker treffen kann. In Am. ist der Vater in Atli nicht dargestellt. Er selbst redet sogar in Str.85 gegenüber Guörun von barnapinna, die sie ihm zur Speise vorgesetzt hat (was freilich auch sie treffen kann). Obschon aus der ganzen Strophe sein Abscheu sprechen mag, kommt sein Gefühl für die Kinder nicht zum Ausdruck. Es ist also ein neues Atlibild, das uns in den Traumstrophen von Gör. II entgegentritt, vor allem auch deshalb, weil hier Atli selbst seine Betroffenheit ausdrückt. Bei der Darstellung der Traumstrophen mögen noch zwei Dinge besonders auffallen: Atli redet zuerst von seiner (verhüllten) Erschlagung, die der Kinder kommt nachher, obwohl sie ihm als Speise vorgesetzt werden. Das mag einmal dadurch bedingt sein, daß für ihn selbst der eigene Tod die größte Bedeutung hat; zum anderen entspricht es der Art des Traumes, die nicht unbedingt logisch ist; einzelne Bilder können in loser Reihenfolge auftreten. Auffallend ist ferner, daß Atli bei der ihn betreffenden Strophe selbst auftritt, auch wenn die Darstellung

107 Atli redet davon, daß erdiese Zweige wachsen lassen wollte; anstelle des verderbten vildtgac muß dann die Konjektur vildac (ausgg.) übernommen werden. Hier ist ebenfalls daran zu erinnern, daß Schößlinge, Zweige auch zur Darstellung einer Familie dienen, wie es z.B. der Traum der Ragnhildr in der Saga von Hälfdan svarti (Heimskr.I 90,5ff.) zeigt. In IF 26 S.LVII wird hierzu auf ausländische Vorbilder verwiesen (Traum des Mederkönigs Astyagos vor der Geburt des Kyros).

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

bildlich — vordergründig — gedeutet wird, während bei den Kindern die Darlegung im rein Symbolischen verbleibt, abgesehen vom Verzehren der Mahlzeit durch Atli. Diese Art der Darstellung ist vom Dichter bewußt gewählt; bei Atli (Str.38,5ff.) ist sie knapp. Erst die Benutzung von Symbolen bei den Kindern ermöglicht die großartige, sich steigernde Darstellung der Strophen 40-42. So ist auch die Gestaltung des leidenden Vaters möglich, eindrücklich, ohne Sentimentalität. Damit ist überdies eine Konzentrierung des Geschehens auf Söhne und Vater möglich (wobei der Vater durch das Essen ständig präsent ist); bei direkter Darstellung wäre eine Ausschaltung von Guörun nicht möglich gewesen. Im weiteren sind natürlich Symbole für Träume charakteristisch. Schließlich mag auch — rein gefühlsmäßig — eine direkte Darstellung der Erschlagung der Kinder im Mund des Vaters, auch nur im Traum, schwierig erscheinen. Die indirekte Darlegung, durch den Verfasser, wie in Am., erscheint da eher möglich. Man beachte immerhin, daß sie auch in Akv. fehlt. Klar ist, daß diese symbolhafte Darstellung von Gör.II die Kenntnis der Sage bei den Hörem voraussetzt. Große Schwierigkeiten machen die vier noch in Str. 44 überlieferten Verse: Str. 44,1-4

"Lcega ec sidan pmgiarn ί kQr;

— ne ec sofa vildac pat man ec gorva."

Liest man entsprechend der Lesart des Regius prägiarn, so muß dieses Adjektiv auf Atli bezogen werden. Er würde dann wieder sprechen: "Darauf lag ich eigensinnig in meinem Bett und war entschlossen, nicht wieder einzuschlafen" (um nicht von neuem beängstigende Träume zu haben). Diese Deutung leidet sprachlich gesehen darunter, daß lcega (44,1) Konjunktiv ist 108 . Sijmons 109 dachte deshalb an einen weiteren Traum. Alle vorangehenden Träume wurden jedoch mit hugda ec eingeleitet; außerdem ist angesichts des in sich geschlossenen Ganzen, das die drei voraufgehenden Strophen darstellen, kaum einzusehen, was eine weitere Traumstrophe bringen könnte; die Annahme von Sijmons ist nicht einleuchtend. Damit ist ebenfalls klar, daß auch die zuerst erwähnte Deutung — Atli will wach bleiben, um nicht weiteren Träumen ausgesetzt zu sein — nicht sinnvoll ist. Den Umständen besser entsprechend erscheint damit die von HeuslerGenzmer 110 in Thüle gegebene Deutung. Sie haben die Konjektur Grundtvigs — pmgiQrn — übernommen und beziehen das Adjektiv auf Guörun: Guörun würde hier ihren Willen für die kommende Rachetat bekräften. Das Problem des Konjunktivs lcega bleibt allerdings ungelöst. Ob das Lied mit diesen Versen ab-

108 S. Gering II S. 315. 109 Gering II S. 315f. 110 Thüle 1 1912 S. 101.

Guörünarqviöa Qnnur

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Schloß, oder ob eine weitere Gestaltung des Geschehens - Ausführung der Rache — vorauszusetzen ist, d.h. das Problem des Abschlusses des Liedes, dies wird weiter unten behandelt werden 111 .

I l l S. S. 72f.

Die Quellen der Guörunarqviöa Qnnor Das zweite Gudrunlied gibt sich als Monolog, ein Monolog freilich, der ein sehr merkwürdiges Gebilde darstellt: Große Partien sind nicht monologisch, sondern richtige Dialoge, so 7,5-10,8; 25,1-34 (ohne 32); 38-44, d.h. der ganze Schlußteil besteht aus einem Dialog. Dazu kommt, daß der Dialog vor allem im mittleren Teil von in der dritten Person erzählenden Strophen unterbrochen wird: 17,5ff.; 18; 19; 21,5-8; 22,1-3; 22,5-8; 23; 32. Im ersten Teil ist hier 10,1-4 zu nennen, ferner ist Str. 4 eine Schilderung in der dritten Person. Dies alles kann an Stücke eines zweiseitigen Ereignisliedes denken lassen 1 . Auch ist in diesen Strophen z.T. von Dingen die Rede, von denen Guörun gar nichts wissen kann, die Erregung der Grimhildr (Str. 17,5ff.), mit der Guörun damals nicht zusammen ist, oder etwa die Zusammensetzung des Vergessenheitstrankes (21,5-8; 22,1-3; 22,5-8; 23). Es finden sich weitere formale Züge in der Art eines doppelseitigen Ereignisliedes; so setzt Grimhildr durch ihr Eingreifen (17,5ff., 18,5ff.) die Versöhnung in Gang, was in indirekter Rede wiedergegeben ist, wie auch sonst in der Rede kommendes Geschehen vorbereitet wird, so wenn z.B. im Brot zu Beginn (Str. Iff.) der Totschlag an Sigurör diskutiert und anschließend ausgeführt wird. Entsprechendes kann für die Darstellung im ersten Teil gelten: die Verse 3,5-8

sofa peir ne mättod, ne ofsacar daema, ädr peir Sigurd svelta letod

(vielleicht waren es auch mehr) könnten den Totschlag an Sigurör objektiv wiedergegeben haben, während dann im Gespräch HQgni den Totschlag für Guörun dargelegt hätte (Str.7), so wie z.B. im Brot 5,1-2 der Totschlag objektiv, vom Erzähler, dargestellt wird und in Str. 7 dann dies für Guönin von HQgni klargelegt wird (direkte Rede). Noch weitere Züge lassen an ein doppelseitiges Ereignislied denken. Gör.II gibt sich als Monolog, d.h. als Rückschau: Guörun blickt zurück auf ihr Leben (das noch nicht abgeschlossen ist). Tatsächlich ist es aber so, daß das Lied eine vorwärtsschreitende Handlung wiedergibt. So ist z.B. im mittleren Abschnitt deutlich faßbar, daß die Handlung im Moment der Wiedergabe noch gar

1

So schon Svend Grundtvig: Udsigt over den nordiske oldtids heroiske digtning. Kebenhavn 1867. S. 79 f.

Die Quellen der Guöninarqviöa Qnnur

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nicht bestimmt ist: Guönin muß erst, dialogisch, dazu überredet werden, Atli zu heiraten; dies aber ist keine Rückschau, d.h. ein Bericht über abgeschlossene Handlungen, sondern ein Bericht über Handlungen, die erst im Moment der Erwähnung zur Entscheidung gebracht werden, eben in der Art eines doppelseitigen Ereignisliedes. Auch die Vorschau im dritten Teil, die auf das Kommende (Ermordung Atlis) hindeutet, paßt nicht zu einem rückwärts gerichteten Monolog. Ebensowenig ist die Diskussion um den Schmerz der Guönin im ersten Teil — der Tod HQgnis wird sie nur noch mehr belasten (10,5ff.) — in einem zurückschauenden Monolog zu Hause. In Gör. II treten verschiedene Personen, die vor allem reden, argumentieren, aber auch handeln, auf. Damit ergeben sich verschiedene Erzählebenen, -perspektiven, d.h. einmal ist das Geschehen von HQgni, einmal von Grimhildr aus usw. gesehen. Im Monolog als Rückschau jedoch sollte alles auf die sprechende Person konzentriert sein, von ihrem Standpunkt aus sollte das Geschehen betrachtet sein, wie es z.B. im zweiten Teil von Ghv. der Fall ist. Diese von Guönin bestimmte Ebene ist jedoch in Gör.II nur schwach entwickelt.

Str.3-12: Heldensagengeschichtliche und sprachliche Analyse Anhand des Vorgetragenen ist also anzunehmen, daß dem zweiten Gudrunlied Ereignisliederstücke zugrunde liegen, d.h. Stücke doppelseitiger Ereignislieder oder auch eines einzigen solchen. Schon Mohr 2 hat auf dieses Problem hingewiesen. So glaubt er für die Str. 3-12 auf ein altes Fremdstofflied zurückgreifen zu können, ein Lied, das eine Klage der Guönin enthalten hätte. Er spricht von einem sehr altertümlichen Fremdstofflied ; an einer anderen Stelle redet er von einer "mittleren Schicht"4, mit gefühlsweicherer Stimmung. De Vries5 hat den Gedanken einer solchen Vorstufe aufgenommen; keiner der beiden spricht sich freilich darüber aus, wie dieses Lied im einzelnen ausgesehen hätte; Mohr verweist lediglich auf die Nähe der erwähnten Strophen (3-12) zum Brot. Nun zeigt jedoch schon ein kurzer Blick auf das Brot, dessen Grundriß also für das von Mohr postulierte Fremdstofflied vorauszusetzen wäre, daß zwischen den beiden Liedern grundlegende Unterschiede bestehen: In GÖr.II wird der Totschlag an Sigurör ausschließlich dem Neid der Brüder angesichts seiner Überlegenheit zugeschrieben; im Brot dagegen ist das Hauptmotiv für den Totschlag die Verleumdung Sigurös

2 3 4 5

Mohr a] S. 275, Mohr b] S. 151ff. Mohr a] S. 276. Mohr b] S. 206. De Vries II S. 132.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

durch Brynhildr (das Motiv der Macht mag mitspielen). Im Brot ist also bereits für den Totschlag, aber auch im weiteren und damit für das ganze Lied Brynhildr die beherrschende Gestalt; in Gör. II tritt Brynhildr überhaupt nicht auf. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die diesbezügliche allgemeine Konstellation der Heldensage. Die deutschen Quellen — NL und die stark auf deutschen Vorlagen beruhende t»iör.s. — gestalten die Erschlagung Sigurös im Rahmen der Werbungssage", d.h. mit entscheidender Rolle der Brynhildr. Dasselbe Bild bieten die entsprechenden altnordischen Quellen: das schon herangezogene Brot, Gör.I (Str.24, Schuld der Brynhildr), Snorri (Skäldskaparmal). Daß also in einem Fremdstofflied der Totschlag an Sigurör allein auf den Neid der Brüder zurückgeführt worden wäre, erscheint damit nicht vorstellbar. Auch wenn in einigen Arbeiten 6 das Motiv der Macht (bei den Brüdern und bei den Frauen) herausgestellt wurde, so doch immer in einer Personenkonstellation, in der Brynhildr Inbegriffen ist. Nun hat freilich Polak 7 die These vorgelegt, daß es außerhalb der Werbungssage eine Sagenversion gegeben habe, wonach Sigurör dem Neid und der Habgier der Gjukungen zum Opfer gefallen sei, u.a. mit Verweis auf Fm. Daß bei Gunnarr Habgier besteht, zeigt z.B. Str. 16 von Sg., doch im Rahmen der Werbungssage. Gunnarr benutzt das Hortmotiv, um HQgni für die Tat (die Guthormr ausführt) zu gewinnen. Wenn in Gör.I 21,7/8 Guörun sagt, daß Gunnarr die Ringe (der Hort) den Tod bringen werden, ist vorauszusetzen, daß er nach der Erschlagung Sigurös den Hort an sich genommen hat und daran gedacht ist, daß ο

er wie m Akv. den Tod aufgrund dieses seines Hortes finden wird . Im Brot spielt die Macht (Länder und Leute, der Hort wird nicht erwähnt) eine Rolle. Die NL-Stellen (774, 870), die Polak anführt, sind ebenfalls als Motiv innerhalb der Werbungssage zu betrachten. Die Stellen aus der Piör.s. (Bd.2 259,4f., 262,18ff.) erwähnen Sigurös Macht, nicht seinen Hort. Polak selbst erwähnt übrigens später, daß diese Motive innerhalb der Werbungssage betrachtet werden können. Alle Stellen zusammen scheinen ihm aber zugunsten seiner These zu sprechen,

6

7 8

Vgl. z.B. Siegfried Beyschlag: Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod. In: Zur germanisch-deutschen Heldensage, hg.v. Karl Hauck. Wege zur Forschung Bd.14. Darmstadt 1965. S. 195-213. Beyschlag beschränkt sich auf das NL. Leon Polak: Untersuchungen über die Sigfridsagen. Diss. Berlin 1910. S. 51 ff., 131 ff. Man kann sich vorstellen, daß im Altnordischen, das nie (abgesehen von der Piör.s.) die neue Version von der sich rächenden Guörun annahm, später diese Konzeption dennoch einen Ausdruck dadurch fand, daß der Untergang der Burgunden bei Atli als Folge des Eidbruchs Gunnars gedeutet wurde, so im Brot; dennoch ist nicht notwendig, daß man an eine direkte Intervention der Guönin bei Atli denkt, wie Heinrichs (Heinrich Mathias Heinrichs: Uber das Alter und die deutsche Vorlage des Bruchstücks vom sogenannten alten Sigurdlied [Brot af Siguröarqvifto], Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 20, 1983, S. 1-6) S. 3f. das tut.

Die Quellen der Guöninarqviöa Qnnur

53

insbesondere Str.3 von Gör.II sowie Str. 173ff. des Liedes vom Hürnen Seyfrid 9 . Ob man sich zur Stützung einer solchen These auf das Lied vom Hümen Seyfrid beziehen kann, ist doch mehr als fraglich. Zur Gör.II-Stelle ist zu bemerken, daß in diesem Lied die Brüder durch die Erschlagung Sigurös Gudrun treffen wollen, worauf zurückzukommen ist. Außerdem muß mit Nachdruck hervorgehoben werden, daß vom Hort selbst überhaupt nicht gesprochen wird. Die Fm.-Stellen, z.B. Str.9, sind als Warnungen und (falsche) Prophezeiungen innerhalb dieses Geschehens aufzufassen. Allgemein betrachtet ist auch zu sagen, daß Raubmord (Habgier) als Hauptmotiv für Helden wie Gunnarr kaum in Frage kommt. Im Brot wird Gunnarr durch die Lüge der Brynhildr zur Erschlagung Sigurös gezwungen, in Sg. durch ihre Drohung, ihn zu verlassen (womit auch Verlust ihres Besitzes verbunden ist)nisw. Solche Totschläge sind in erster Linie durch andere Motive als Habgier verursacht (auch wenn sie mitspielen kann); nicht vergleichbar ist es, wenn Gunnarr durch die Habgier At Iis zu Fall kommt. Im weiteren ist hier daraufhinzuweisen, daß im alten Heldenlied (abgesehen vom Hunnenschlachtlied) die Handlung um eine Person (oder mehrere zusammenhängende) zentriert ist. Das gilt für Vkv., Hm., Akv. und Brot; die Handlung ist einsträngig. Wenn also in einem Fremdstofflied mit dem Grundriß des Brot Guörun eine Klage gegeben wäre, so würde das bedeuten, daß hier eine Szene im Wald beim toten Sigurör enthalten gewesen wäre, daß aber nachher das Lied zurück zu Brynhildr und ihrer Triumphszene gelenkt hätte. Das erscheint undenkbar, nicht nur wegen der vorauszusetzenden Einsträngigkeit des Liedes, sondern auch deshalb, weil damit die dichterische Ökonomie eines Liedes mit Brot-Grundriß zerstört worden wäre: Brynhildr als Triumphierende und Guörun als Klagende können nicht im selben Lied enthalten gewesen sein. Das zeigt am klarsten die Tatsache, daß im NL, wo Kriemhild als Klagende auftritt, die Rolle der Brynhildr gestrichen ist; sie verschwindet im Anschluß an den Frauenzank spurlos aus dem Epos. Daß es ein solches Fremdstofflied mit einer Klage der Guörun gegeben hätte, dagegen spricht im übrigen die tatsächliche Gestaltung der deutschen Heldensage selbst: Schon in der für die t»iöreks saga und den ersten Teil des NL vorauszusetzenden Vorlage (sei es nun Heuslers Brynhildlied oder eine andere Rekonstruktionsform) ist Waldtod mit Hinwerfen der Leiche ins Bett der Guörun anzunehmen; im NL wird — als Konzession an die höfische Konzeption — die Leiche vor die Kemenate der Kriemhild gestellt. Bei dieser Art der Gestaltung ist natürlich eine Klage der Guörun im Wald unmöglich. Wohl zeigt das Brot hier eine andere Version, indem die Leiche Sigurös im Wald gelassen wird, doch fehlt eben in diesem Lied eine Klage der Guönin. Generell gesehen ist auch eine Klage

9

Polak [vgl. Anm.7] S. 56.

54

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

im Rahmen eines alten Heldenliedes mit seinem springenden Stil kaum denkbar; beschaulichere Stellen wie Vkv. Str.5 z.B. oder Brot Str. 12, 13 sind in die Handlung integriert. Eine Klage wäre jedoch ein statisches, die Handlung nicht weiterführendes Element, wie z.B. HH II Str.36ff. Gegen die Annahme eines solchen Fremdstoffliedes spricht auch die oben dargelegte skaldische Prägung des ersten Teils von Gör.II, so das Auftreten der Leichentiere Rabe, Adler, Wolf usw. Wohl wird im Altenglischen, und zwar nicht nur im Beowulf und im Finnsburglied, eine entsprechende Szenerie benutzt. Daß dies ebenso in der südgermanischen Heldenlieddichtung der Fall gewesen wäre, läßt sich nicht erfassen. Obschon abgesehen vom Hildebrandslied praktisch nichts erhalten ist, müßte sich doch eine solche Szenerie bei der Wiedergabe von Heldenliedern im Altnordischen widerspiegeln, und dies um so mehr, als diese Art von Darstellung im Altnordischen sehr vertraut war. Eine solche Prägung läßt sich jedoch in diesen Liedern (Akv., Brot z.B.) nicht erfassen (von der unsicheren Stelle Hm. 17,7 wird man hier absehen). In diesem Zusammenhang ist nochmals zu betonen, daß in der altnordischen Skaldik und im Altenglischen die Leichentierszenerie für Kollektive (die gefallenen Toten) verwendet wird. Demgegenüber wird, wie gezeigt, in Gör.II die Leichentierszenerie für einen bestimmten — überragenden — Toten, Sigurör, benutzt. Die skaldische Prägung von Gör.II ist in dieser Hinsicht etwas Besonderes, Einzigartiges, das in einem südgermanischen Fremdstofflied nicht vorauszusetzen ist. Sie ist auch innerhalb der Edda etwas Besonderes. Eine skaldische Prägung — durch seine Nähe zum skaldischen Preislied - weist HH I auf. Skaldisch beeinflußt ist ferner HH II 10 . Dazu kommt vereinzelter Gebrauch von Kenningar wie z.B. in der Hymisqviöa. Die dargelegte besondere skaldische Prägung des ersten Teils von Gör. II spricht gegen die Armahme eines Fremdstoffliedes. Auch die von Mohr 11 angeführten sprachlichen Charakteristika können die Existenz des von ihm postulierten Fremdstoffliedes nicht beweisen: 3,1 jyrmuna, das Mohr als Fremdwort auffaßt, läßt sich auf das Brot (3,5) zurückführen. 1 "7 3,5; 3,6 Bezüglich der Verwendung von ne, das nach Kuhn nur in Ijodahättr- und Fremdstoffliedern vorkommt, ist anzunehmen, daß solche Elemente

10 11 12

Vgl. z.B. de Vries I S. 31 lf. Mohr b] S. 150ff. S. S. 331 f.

Die Quellen der Guörunarqviöa Qnnur

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nicht nur in direkter Abhängigkeit, sondern gerade bei der Verwendung von Fremdstoff auch sonst benutzt werden konnten. 4,1

at pingi, s. weiter unten.

4.6 sveitci stoccin, falls dies eine Erbzeile ist (Mohr), kann dasselbe wie bei der Negation ηέ gelten. 4.7 oc of vanid väsi klingt für Mohr westgermanisch, weil hier of deutlich anstelle eines westgermanischen Präfixes stehe, doch findet sich die Verwendung von of beim Partizip auch in genuiner, früher altnordischer Dichtung, z.B. HaustlQng 19,7 (Sk.B I S.18) stala vikr ofstokkin (bespritzt mit Blut), ohne daß hier ein Verb mit verlorenem Präfix vorläge; die germanischen Entsprechungen 11 von stocqva weisen kein solches auf . Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß bei einer Form wie of borinn wie in Vsp.32,6 man nicht mit Sicherheit als Grundlage eine Präfixbildung erwarten kann. Kuhn selbst14 weist daraufhin, daß es z.B. im Gotischen für "gebären" sowohl bairan wie auch ga-bairan gibt, und genau das ist auch der Fall bei vanid; es gibt z.B. im Altenglischen wenian wie auch ge-wenian mit derselben Bedeutung. Damit kann of vanid zu altnordisch venia gestellt werden. Zudem erwähnt Mohr selbst, daß das dazugesetzte vas westnordisch ist; es müßte also für ein anderes Wort der Vorlage eingetreten sein, was wenig glaublich ist. 4.8 und (Konjektur für of) vegondom, Mohr bezieht sich hier auf Kuhn, der bei diesem überkurzen Vers auf das westgermanische Wigand verweist, was aber bedeutungsmäßig Schwierigkeiten verursacht15. 5,3 ürughlyra ist nach Mohr wohl westgermanisch; er führt Ghv.9,6 täruchlyra an, für das es eine altenglische Entsprechung gibt. Er verweist außerdem auf das in beiden Liedern im anschließenden Halbvers verwendete spiall und erwähnt zur betreffenden Gör.II-Stelle — 5,4 iöfrä ec spialla — eine Heliandparallele (1992). Dennoch wäre auch eine westnordische Neubildung von itrughlyri anhand von tärughlyri denkbar; ür- findet sich im Altnordischen (ursvalr z.B.). Was die altsächsische Parallele anbelangt, so ist immerhin zu bemerken, daß spiall (Kunde,

13 14 15

S. de Vries Et.Wb. S. 558. K u h n W b . S. 26. Zu 4,7 und 4,8 s. auch S. 336f.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Nachricht) sich auch in Vsp.1,7 und HHv.31,3 findet. Jonsson 16 bringt ebenfalls einige Beispiele. Das zugehörige Verb (spialla, reden) ist in Häv.82,3 benutzt. Damit können spiall und spialla nicht ohne weiteres als Fremdwörter aufgefaßt werden. Da spiall überdies im Brot 13,1 gebraucht ist, könnte es auch von dort übernommen sein. 5,5 hnipnadi Grani (auch 7,1, Gunnarr), Mohr, mit Verweis auf das Franksche Runenkästchen, betrachtet hnipna als Erbwort. Der Ausdruck kommt sonst nicht vor, doch gibt es, wie Mohr selbst ausführt, das Wort hnipa, wenn auch selten benutzt, dennoch ist das Partizip (Adjektiv): hnipinn, "niedergedrückt, traurig, mißmutig" lebendig. Wichtig ist in unserem Zusammenhang, daß (wie Mohr selbst erwähnt) Brot 7,5 — gnapir — Vorbild gewesen sein könnte. 5,8

ne, -at, das oben zu ne Bemerkte gilt auch für -at.

6,2 lengi hugir deilduz, hier führt Mohr, der vorher noch auf das bereits besprochene 7,1 hnipnadi Gunnarr verweist, freilich ohne eine direkte Abhängigkeit behaupten zu wollen, Verse von Oddr kikinaskäld, erfidräpa auf Magnus gööi, Sk.B I S. 327 Str.2,5ff. an: deildisk hugr, svät heldu huskarlar grams varla, siklings pjöd en siöan sat opt hnipin, vatni. Jonsson 17 übersetzt in seiner Ausgabe: folks sind skiftede (deildisk hugr), dies ist sinngemäß; in Gör.II steht jedoch deilask (s. teilen) im Sinne von "zögern" (man beachte das dazugesetzte lengi)·, vorher heißt es: lengi hvarfadac. Man kann also den Gebrauch der beiden Stellen nicht gleichsetzen. Das in Gör.II 7,1 für Gunnarr benutzte hnipna (den Kopf hängen lassen) kann man nicht unbedingt als Zeichen von Trauer auffassen; diese Bedeutung ist angepaßt für Gör.II 5,5 (Sigurös Pferd) und für die Stelle bei Oddr, wobei nocheinmal zu betonen ist, daß hnipinn westnordisch ist. Mohr erwähnt auch, daß Oddr in Dänemark starb; dennoch können diese Skaldenverse in unserem Zusammenhang nicht für westgermanischen Ursprung der betreffenden Ausdrücke sprechen.

16 Jonsson Wb. S. 530. 17 Jonsson Sk.B I S. 327.

D i e Quellen der Guörünarqviöa Qnnur

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6.4 fölcvordr, der Ausdruck findet sich in der Edda lediglich hier. Jonsson 18 gibt nur wenige Beispiele dafür. Er ist jedoch nicht als westgermanisch aufzufassen. Daß es dort Zusammensetzungen mit -cyning, -frea, -toga usw. gibt, braucht nicht allzu viel zu bedeuten, weil im Altnordischen Bezeichnungen wie z.B. fölkrekr, f0lkstudill,fölkstyri, 7.5

fölkvaldr

usw. vorliegen.

liggr of hQggvinn, s.o.

7.6 jyr handan ver; die Auffassung des Rheins als Meer und die unbestimmte südliche Lokalisation (8,2), dies mag dänisch bestimmt sein; das heißt jedoch noch nicht, daß das auf ein Fremdstofflied zurückzuführen ist. 9,3 vilia laussi; Mohr führt die Bedeutung "Freude, Angenehmes" für vili (weitere Beispiele in Vkv.11,4, Hm.5,5 usw.) auf das Westgermanische zurück. Immerhin findet sich der Ausdruck in Häv.99,3, als Kompositum in Häv.87,3 (vilmceli); zu Häv. 100,6 vilstigr führt Kuhn 19 als mögliche Lesart auch vilstigr an. Ein vilmceli in Häv.87,3 entsprechendes Kompositum, vilmäl, findet sich im Brot (12,4). Dazu ist in der Arinbjarnarkviöa Sk.B I S.38 Str.2,3 vilkvcedr (mit Freude dichtend) benutzt (von Mohr nicht angeführt). Damit liegen, abgesehen von der Häv.-Stelle, drei westnordische Belege für mit v/7- und einem Ausdruck des Sagens gebildete Komposita vor. Die Bedeutung "Freude" scheint dem westnordischen vili, wenn auch nur wenige Belege dafür vorliegen, doch zugehört zu haben 20 . 9.7 vid IQIUI yfir, en pit vitir manna. Mohr führt hierzu von Bugge erwähnte altenglische Parallelen an; diese haben jedoch keinen anschließenden Vergleichssatz bei sich. Diese Parallelen können die verderbte Stelle nicht erklären. Der beabsichtigte, aber heute nicht mehr verständliche Sinn ist wohl der: in weiter entfernteren Ländern, als daß man von dort lebenden Menschen weiß. 11,2 annspilli frä; Mohr führt die westnordischen Beispiele für andspilli, andspiall an (u.a. Skm.11,4; 12,4; Gisli Sursson Sk.B I S.98 Str. 14,2). Westgermanische Belege gibt es nicht. Aufgrund der beschränkten Verbreitung der Ausdrücke möchte Mohr doch auf südgermanischen Ursprung schließen, was nicht überzeugend ist.

18 Jonsson Wb. S. 146. 19 Kuhn Wb. S. 227. 20 S. auch S. 156 Anm. 23 (Sg.56,6, 57,5).

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

11,4

varga leifar, s. oben.

12,10

birkinn, s. oben.

Was die Metrik anbelangt, so muß das bereits zu gewissen Ausdrücken Gesagte wiederholt werden: Ein ausländisches Muster kann wie ein Wort auch ohne direkte ι

Vorlage befolgt sein , dies gilt ebenso für die späten überkurzen Verse {frä Sigurdi).

Entsprechend dem hier Vorgetragenen läßt sich die Vorlage eines Fremdstoffliedes für den ersten Teil von Gör.II nicht wahrscheinlich machen.

Str. 14-36: Heldensagengeschichtliche Analyse Weiter oben wurden verschiedene charakteristische Züge der Sprache von Gör. II herausgearbeitet. Diese Züge, abgesehen vom eigentlichen Elegienwortschatz (sticken usw.), sprechen für eine starke sprachliche Eigenständigkeit, wie sie sich auch aus der Gestaltung des Liedes überhaupt ergibt. Was den zweiten Teil anbelangt, so ist für Mohr 22 für fremden Einfluß vor allem zweierlei beweisend: die Aussöhnung (wobei sich Mohr über isländische Prägung [Wortschatz] im klaren ist) und der Freierzug. Er spricht dabei von einem Novellistischen Rückblicksgedicht, das auch Träger des jüngeren deutschen Sagenimports gewesen sei. Ein solcher Einfluß ist für das Grundgeschehen einleuchtend; untersucht man jedoch die betreffenden Gör.II-Szenen im einzelnen, so ergeben sich große Unterschiede im Hinblick auf die neue deutsche Sagenform. Was die Versöhnung betrifft, so geht sie im NL — in der £»iör.s. fehlt sie — von Hagen aus, und zwar nicht deshalb, weil Hagen eine wirkliche Versöhnung möchte, sondern weil damit der Hort nach Worms kommen könnte. Eine Aussöhnung erfolgt, aber nicht mit Hagen. Wie Kriemhild mit dem Hort allzu freigebig umgeht — sie verteilt Geschenke an Krieger —, wird der Hort auf Betreiben Hagens im Rhein versenkt, Kriemhild also beraubt, was ihr Anlaß zu neuen Klagen gibt. Im zweiten Gudrunlied wird, wie dargelegt, die Aussöhnung von Grimhildr, der Mutter der Guörün, in die Wege geleitet; sie fordert ihre Söhne auf, Guörün für die Erschlagung des Sohnes und Sigurös Buße zu leisten; von Bußeleistung ist im NL nicht die Rede. Beide, Gunnarr und HQgni, sind bereit dazu. Außerdem sagt Grimhildr (25,Iff.), daß sie Guörün das väterliche Erbteil übergeben will; auch davon ist im NL nicht

21 22

S. auch S. 339. M o h r b ] S . 165.

Die Quellen der Guörunarqviöa Qnnur

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die Rede. 25,5ff. wird dann die Bußeleistung für den gefallenen Fürsten (Sigurör) erwähnt. Damit wird in Gör.II vom Hort überhaupt nicht gesprochen, im Unterschied zum NL. In den Augen der Grfmhildr ist ein Motiv für die Annahme des Heiratsantrags von Atli dessen Reichtum (26,5f.). Grfmhildr gesteht auch klar die Schuld der Gjukungen ein, wobei sie sich miteinbezieht. Sie spielt weiter für die Versöhnung eine entscheidende Rolle dadurch, daß sie Guörün den Vergessenheitstrank verabreicht, ein Motiv, das der Verfasser aus der Mein entliehen hat. Auch die beherrschende Stellung der Grfmhildr — Gunnarr und HQgni treten ganz zurück — ist auf dem Hintergrund der Mein zu sehen. Dort bewirkt Grfmhildr, daß Sigurör Guörun heiratet; hier, in Gör.II, ist sie die sich schuldig fühlende Mutter, die das Unrecht, das von der Sippe an der Tochter begangen wurde, gutmachen will. Ihr Frauenideal besteht, wie dargelegt, darin, daß ein Mädchen, prächtig ausgestattet, dem hervorragendsten und vornehmsten Fürsten verheiratet wird. Anders lautet die Argumentation im NL: Die Brüder und Frau Uote reden Kriemhild zu, Etzel zu heiraten, damit sie endlich von ihrem Jammer um Siegfried ablasse und wieder Freude am Leben gewinne. Die Weigerung der Guörun/Kriemhild, sich wieder zu verheiraten, ist dagegen in Gör.II und N L dieselbe: Verharrend in ihrem Schmerz, will sie nichts von einem anderen Mann wissen. Daß Kriemhild Etzel heiratet, ergibt sich durch die sich ihr eröffnende Möglichkeit, Siegfried zu rächen. Bei Guörun dagegen — der Verfasser hält an der alten Sagenform fest — ist dies kein Grund. Guörün sagt, daß sie gezwungen von ihrer Sippe ( a f n i d i o m , 3 4 , 3 , man beachte den Plural, obwohl Gunnarr und HQgni im Lied nicht für die Heirat eintreten) Atli heirate. Dennoch zeigt, wie schon bemerkt, vor allem die so stark hervortretende Mutterfigur der Grfmhildr, was der Verfasser wollte: erklären, wieso die tieftrauemde Guörün Atli doch heiratet (ohne Racheplan). Die Eigenständigkeit von Gör.II erweist auch die von Guönin als Abwehr benutzte Vorausschau (Str.31,5-8: Atli wird Gunnarr und HQgni töten). Solche Vorausschauen (wenn auch nicht als Gegenargument) finden sich in weiteren Liedern aus dem Bereich der Heroischen Elegie, so in Gör.I, Sg. Die Vorausschau in Gör.II dient damit auch als Hinweis auf das Kommende, was auch deshalb wichtig ist, weil die Erschlagung von Gunnarr und HQgni, die im Lied vorausgesetzt werden muß, offenbar ausgefallen ist. Die Werbungsdelegation (Str. 19) wird von Mohr mit dem Brautzug im NL (Vorstufe) zusammengebracht. Str. 18 ist vom Versöhnungswillen Gunnars und HQgnis die Rede, und es wäre zu erwarten, daß in der Folge das Auftreten der Brüder in Dänemark geschildert würde; doch hat offensichtlich der Verfasser beide Motive — Versöhnungsdelegation und Werbungsgesandtschaft — miteinander verquickt, ein Argument für die Annahme einer fremden Quelle. Die Großartigkeit der Wer-

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bungsgesandtschaft unterstreicht die Macht Atlis, ein wichtiger Grund in den Augen der Grfmhildr für die Annahme der Werbung. Schon für 18,7ff.

vigg at sQÖla, vagn at beita, hesti rida, haukifleygia, Qrom at sciota, afyboga

nimmt Mohr fremden Einfluß an. Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang Rp.35,3ff.

lind nam at scelfa, leggia strengi, aim at beygia, Qrvar scepta flein at fleygia, frQccor dyia, hestom rida, hundom verpa, sverdom bregda, sund at fremia,

wo vom jungen Jarl die Rede ist. Die Art der Darstellung ist in der RigsJ>ula und in Gör.II dieselbe, und beide Male wird von Fürsten gesprochen. Inhaltlich weichen die Verse stark voneinander ab, und hier soll auch nicht irgendeine Abhängigkeit angenommen werden. (Das Alter der Rigsjiula ist umstritten, dennoch ist sie wohl eher als jung zu bezeichnen.) Die angeführte Passage mag aber illustrieren, daß es auch sonst im Altnordischen Darstellung vornehmer Tätigkeiten gab. Ein frühes Beispiel hierfür ist Ak\'.37,8-10 manar meita

geira scepta ne mora keyra,

in beiden Liedern, Akv. und RJ)., wird vom Reiten und Schäften von Waffen gesprochen. Mohr 2 3 bezeichnet die in Gör.II erwähnte Falkenjagd (Beizjagd) als nicht westnordisch. In der Olafs s. helga (Heimskr.II 131,17ff.) wird jedoch von der Falkenjagd des Schwedenkönigs Oläfr erzählt. Wenn nun im KLNM 2 4 dies als wohl ausländisch und anachronistisch für jene Zeit abgetan wird, so zeigt die Stelle jedenfalls, daß man zu Beginn des 13. Jhs. im Norden von der Falkenjagd wußte. Bei den auftretenden Fürsten ist Valdarr DQnom (19,1) aus einer in der Λ C

Herv.s. überlieferten Katalogstrophe geholt . Damit ist klar, daß der Verfasser selbständig gehandelt hat. In noch viel höherem Maß ist das bei der Versöhnung

23 24 25

Mohr b ] S . 156. KLNM Bd.7 S. 298. Mohr b] S. 157.

Die Quellen der Guörunarqviöa Qnnur

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der Guörun mit ihrer Sippe faßbar; hier hat der Verfasser völlig frei, in isländischem Sinn, gestaltet. Für isländische Verhältnisse ungewöhnlich ist die positive Darstellung von Atli; sie hängt wohl mit der Gestaltung der Grimhildr zusammen, die Guörun um jeden Preis wiederverheiraten will . Es läßt sich somit sagen, daß das Grundgeschehen des zweiten Teils — Anstoß für Versöhnung und Werbung entsprechend der neuen Sagenform — von außen gekommen sind, daß aber die weitere Ausgestaltung mit der beherrschenden Figur der Grimhildr isländisch ist.

Str. 37-44: Literaturhistorische Einordnung der Traumstrophen Der dritte Teil, die Träume Atlis und ihre Deutung durch Guörun, unterscheidet sich, wie bereits ausgeführt wurde, stark vom ersten und zweiten. In der altnordischen Literatur finden sich viele Traumbeispiele. Edda-Beispiele gibt es dennoch nur wenige; Akv. z.B. enthält keine Träume, erst die Am., die spätere Gestaltung des Burgundenuntergangs, arbeiten mit Träumen. In beiden Liedern, Gör.II und Am., handelt es sich um Traumsequenzen mit metrischer Gestaltung, während in den Sagas Träume vielfach in Prosa gestaltet sind. Eine Saga jedoch enthält mehrere metrisch gestaltete Traumsequenzen: die Gisl.s. Es fragt sich, wie diese metrischen Traumsequenzen in der altnordischen Literaturgeschichte einzuordnen sind. Die in Am., Gör.II und Gisl.s. enthaltenen Stücke haben verschiedene Gemeinsamkeiten: Sie sind alle an eine Person gerichtet; in der Gisl.s. bleibt diese stumm. In verschiedenem Ausmaß und in verschiedener Stellung ist hugdac verwendet. Geistlicher Einfluß, z.B. in der Wortwahl, ist überall nachweisbar27; dennoch bestehen im einzelnen Unterschiede. Von den verschiedenen Traumsequenzen der Gisl.s. ist in unserem ZusammenΛΰ

hang am wichtigsten die Sequenz der Strophen 35-38 . Jede dieser Strophen beginnt mit hugdak (Str. 37 enthält ein Beispiel innerhalb). Hugdak — es handelt sich um drottkvcett — ist Akzentträger, in Str. 37 auch Stabträger. In Str. 35 erzählt Gisli, daß er träumte, daß ihm auf beiden Seiten Blut herabfließe; in Str.36 träumt

26

27 28

Anderfalls müßte man an Einfluß des neueren deutschen Atlibildes denken. Wenn Atli im Traumteil von Gör. II als liebender Vater dargestellt ist, braucht das nicht auf einen solchen Einfluß zurückgeführt zu werden; daß Atli ein Herz für seine Kinder hatte, wird schon in Akv. angedeutet. Für Gör.II s. S. 36ff., für Am. s. S. 201ff. (z.B. andaris), für die Traumsequenz Str.35-38 der Gisl.s. sei auf sekr (35,6) verwiesen. S. hierzu S. 43. Numerierung und Zitate nach IF 6.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

er, daß ihm ein Krieger mit dem Schwert Blut über seine Schultern fließen ließe, in Str. 37 dann, daß ihm Krieger mit dem Schwert beide Hände abhieben; er wird schwer verwundet, und der Kopf ist ihm vom Schwert gespalten. In diesen drei Strophen besteht eine deutliche Steigerung; gleichzeitig wird das Geschehen immer schärfer sichtbar. Zuerst ist nur vom Strömen des Blutes die Rede. In der folgenden Strophe wird der Täter (Krieger) genannt, der Gislis Blut strömen läßt, ebenso sein Werkzeug (Schwert). In der dritten Strophe werden ebenfalls die Täter (Krieger, nun eine Mehrzahl) und ihr Werkzeug (Schwert) genannt, nun aber werden beide Hände abgehauen, eine große Wunde wird gesetzt, und der Kopf spaltet sich; es ist eine Art Endvision. In der letzten Strophe (38) dann verbindet ihm eine weinende Frau die Wunden. Daran schließt sich die Frage, was dies zu bedeuten habe. Doch ist die angeredete Frau (Auör) reine Zuhörerin; sie äußert sich nicht zu den dargelegten Träumen. Hervorzuheben ist, daß es sich hier um Traumdarstellungen ohne Benutzung von Traumsymbolen handelt, d.h. Gisli spricht immer direkt von seinen Verwundungen. Ebenso bringt die vorausgehende Traumsequenz eine solche direkte Darstellung, nämlich eines Kampfes von Gisli. Str. 37 gibt freilich keine dem späteren wirklichen Ende Gislis entsprechende Darstellung. Wenn in der erwähnten Traumsequenz (32-34) Gisli als kraftvoller Kämpfer dasteht, so ist er hier (35-38) reiner Erleidender: Die Hände werden ihm abgehauen, er wird verwundet, der Kopf zerspaltet sich ihm (37); von einer Gegenwehr ist — entsprechend in den Str. 35, 36 — keine Rede. Im Traum wird auf diese — vordergründig gegenständliche — Weise das Ausgeliefertsein des Kämpfers Gisli, die Unmöglichkeit, dem Tod zu entrinnen, "symbolisiert''. Auch die abschließende Str.38 mit der weinenden Frau und der rhetorischen Frage von Gisli zeigt, daß hier ein Endpunkt erreicht ist; es ist die letzte Traumsequenz Gislis, es folgen nur noch zwei lausavisur. Hervorzuheben ist, daß diese Traumsequenz in Str. 37 eine hintergründige großartige bildliche Gestaltung enthält. Für das Abhauen der Hände ist in 37,2

hristendr af mer kvista bädar hendr med vetidi

kvista (abhauen, eigentlich: Zweige abhauen) benutzt. Hier ist daran zu erinnern, daß in der Skaldik der Krieger oft mit einer Baumkenning bezeichnet wird. Diese bildliche Darstellung findet in der zweiten Strophenhälfte, mit Wiederholung von hugdak, eine Weiterführung: 37,4jf.

Etui Jyr nuzkis muntii minn hugdak

Die Quellen der Guörünarqvida Qnnur

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hjalmstofn ofan klofna. Hjalmstofti (Baumstamm des Helmes [der Helm sitzt auf dem Baumstamm]) ist eine Kenning für Kopf. Ahnlich gebildete Kenningar sind z.B. hjalmstallr, hjalmsetr; hjalmstofn ist damit eine "gewöhnliche" Kenning-Bildung, die in anderen Stellen verwendet ist, so in Hym.31,6 (für das Haupt des Riesen); in einer lausavisa von Haraldr haröräöi (Heimskr.III S.188 Str. 156,8; in einigen Handschriften findet sich hjalmstallr [Lesart von Jonsson in Sk.B I S.332 Str. 19,8]). Dennoch erweckt hjalmstofn im Zusammenhang von Str.37 weitere Assoziationen. Stofn bezeichnet zwar einen Stamm, doch ebenso den Stumpf eines gefällten Baumes (in der ersten Strophenhälfte ist von Abzweigen die Rede), dazu kommt der Gebrauch von klofna: sich spalten (zusammenhängend mit kljüfa: spalten); der Stamm (Stumpf) des Helmes spaltet sich — birst — unter den Schwertschneiden. Der Strophe liegt also das Bild eines Baumes zugrunde, der "entzweigt" wird und sich schließlich spaltet, d.h. vernichtet wird. Eindrücklich ist auch 37,7

oss gein hjQrr of hjassa.

Das Schwert gähnt über dem Schädel. Die dichterische Kraft dieser Darstellung, auch die Anlage der Sequenz im Sinne einer Steigerung, lassen sich mit der Traumsequenz von Gör.II vergleichen, trotz bestehender Unterschiede. Beim dritten Beispiel, in Am., handelt es sich eigentlich um zwei Traumsequenzen: Kostbera-HQgni (Str. 15ff.), GlaumvQr-Gunnarr (Str.22ff.). Besonders hervorzuheben ist, daß es, im Unterschied zu den Beispielen in Gör.II und Gisl.s., die Frauen sind, die die Unglücksträume haben und daß die betroffenen Männer die verharmlosende Deutung geben. Die erste Traumsequenz in Am. arbeitet mit Traumsymbolen allgemeiner Art, wie sie etwa auch in Sagaträumen verwendet sind (HeiÖ.vig.s., Nj.s.: hereinbrechender Fluß), d.h. Symbole, die ein Unglück vorausdeuten, doch ohne dieses Unglück näher faßbar zu machen. Die meisten der in der ersten Sequenz benutzten Symbole entstammen einem byzantinischen ΛΛ

Traumbuch . Zuerst wird das brennende Bettzeug HQgnis erwähnt, d.h. Gefahr für ihn, dann folgen mit Bär und Adler, die ins Haus kommen, Unglücksbilder, die auf mehrere oder alle der Dazugehörenden bezogen werden: Str. 17: Der Bär nimmt manche von ihnen ins Maul; Str. 19: Der Adler bespritzt alle mit Blut. Man kann hier von einer Steigerung reden: HQgni-manche-alle, ebenso bei den Traumsymbolen: Bettzeug-Bär-Adler, insofern als der Adler als hamr Atlis

29

Gering II S. 311, s. auch Dronke S. 112ff.

64

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

bezeichnet wird. Für das Gestaltungsvermögen des Verfassers mag man auf Str. 17 (Bär) verweisen. In der zweiten Traumsequenz — GlaumvQr-Gunnarr — ist nicht mehr von Traumsymbolen die Rede, sondern es werden verschiedene konkrete Todesursachen (auch die, die Gunnarr dann zuteil wird) in Zusammenhang mit ihm erwähnt: gehenkt werden, von den Würmern verzehrt werden, vom Schwert durchbohrt werden. Die an die verharmlosende Deutung von Gunnarr anschließende Str.26 — hereinbrechender Fluß — ist wohl, wie VQls.s.93,4f. zeigt, aus Kostberas Träumen hierher geraten. Mit ihrem Traumsymbol paßt sie nicht in die zweite Sequenz; sie stört diese empfindlich und kann nicht ursprünglich dazugehört haben. Sinnvoll ist dagegen der direkte Anschluß von Str.28 an Str.25: Die Todesgöttinnen erscheinen; damit wäre hier eine Steigerung als Abschluß gegeben. Hinsichtlich der Rolle Gunnars als verharmlosender Deuter der Träume kann man sich fragen, welchen Umfang sie hat. Kuhn z.B. macht in seiner Ausgabe mit Berufung auf Bugge anhand seiner Numerierung der Strophen klar, daß er zwei weitere solche Deutungen für wahrscheinlich hält. (Bei Str. 26 erledigt sich allerdings dieses Problem zum vornherein, da, wie gezeigt, diese Strophe ursprünglich nicht hierher gehört.) Was Str.22 angeht, so enthält sie zwar zum Abschluß eine Aufforderung zur Deutung, doch findet sich z.B. in der Gisl.s., die überhaupt keine solche verharmlosende Deutung aufweist, auch eine derartige Aufforderung, und in Gör. II kommt auf die drei Traumstrophen 40-42 nur eine Verharmlosung. Auf alle Fälle wirken die verschiedenen Todesarten ohne das Dazwischentreten Gunnars bei ununterbrochener Folge durch ihre Häufung eindrücklicher. Dronke 30 hat wohl recht, wenn sie nur mit einer einzigen Deutung Gunnars rechnet. Am. weist damit eine erste Traumsequenz auf, die von HQgni ausgeht, dann aber auf die ganze Sippe bezogen wird, mit Verwendung von Traumsymbolen wie reißender Fluß usw. Auf sie folgt die zweite Traumsequenz, die sich direkt auf Gunnarr, die Hauptperson, die als letzte stirbt, bezieht; auf die Darstellung der verschiedenen Todesarten, die Verharmlosung und das Erscheinen der Todesgöttinnen folgt als Abschluß das Eingeständnis Gunnars, daß eine Umkehr unmöglich ist. Auch diese Art der Gestaltung ist eindrucksvoll; sie läßt sich derjenigen in Gör.II und Gisl.s. an die Seite stellen, auch wenn sie im Regius fehlerhaft überliefert ist. Die Traumsequenz in GÖr.II muß mit den Beispielen in Am. und den entsprechenden Schöpfungen in der Gisl.s., vor allem den Str.35-38, zusammen betrachtet werden. Anhand dieser verschiedenen Strophenfolgen läßt sich annehmen, daß es im Altnordischen eine dichterische Form "Traumsequenz" gab, eine Form allerdings, die kaum ein selbständiges Ganzes bildete, sondern im Rahmen

30

Dronke S. 112 Fußnote 1.

Die Quellen d e r G u ö r u n a r q v i ö a Qnnur

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eines größeren Ganzen verwendet wurde, womit sich die — nicht zu lösende — Frage stellt, woher die Traumsequenz von Gör. II stammt. Wenn oben die sehr starke isländische Prägung von Teil 1 und 2 von Gör. II dargelegt wurde (Teil 3 ist ohnehin rein isländisch), so muß man nun weiter fragen, wie man sich etwa das Zustandekommen des Ganzen vorzustellen hat. Gab es vielleicht schon einzelne für sich bestehende isländische Teile oder lag von Anfang an ein Ganzes zugrunde, wobei man sich erinnern muß, daß, wie dargelegt, ein solches (wie auch eventuelle einzelne Schöpfungen) nicht monologisch sein kann, sondern in der dritten Person abgefaßt sein muß.

Str.3-12: Isländische Vorlage Was das erste Stück anbelangt, so wurde gezeigt, daß der gegebene Sagenstoff grundlegend dadurch abgeändert wurde, daß die Figur der Brynhildr eliminiert wurde, eine sagengeschichtliche Konstellation, die zur Ablehnung der Mohrschen Annahme eines Fremdstoffliedes (in Nähe zum Brot) als Grundlage des ersten Teils von Gör. II führte, ebenso wurden die von Mohr zur Stützung seiner These -ι ι

vorgelegten sprachlichen Argumente abgelehnt . Damit ist als Grundlage dieses ersten Teils eine isländische Schöpfung vorauszusetzen, eine isländische Schöpfung, die konsequent auf die Figur der Guörun ausgerichtet war: Das Tatmotiv ist nun der Neid der Brüder, doch nicht dieser Neid an sich, sondern dieser Neid richtet sich gegen Guörun, sie wollen die Brüder mit der Erschlagung Sigurös treffen. Nach der Heimkehr der Brüder erhält Guörun auf ihre Frage nach dem Verbleib Sigurös den Bescheid, daß er erschlagen wurde, und HQgni erklärt ihr auch, wo sich die Leiche befindet. Guörün macht sich darauf zum toten Sigurör auf. Es stellt sich weiter die Frage, ob beim ersten Teil an ein vollständiges doppelseitiges Ereignislied, d.h. eine Partie desselben, oder an ein ursprünglich selbständiges Stück oder eine Zudichtung zu denken ist. Wie aber könnte z.B. ein solches isländisches Heldenlied ausgesehen haben? Hier können zwei Züge des ersten Teils von Gör. II wegleitend sein: das Liegenlassen der Leiche Sigurös im Wald und die Haltung der Brüder; sie ist, repräsentiert durch HQgni, nicht nur, Guörun gegenüber, feindlich, sondern auch brutal. Beides läßt an das Brot denken, nur ist dort die Brutalität noch weniger krass als in Gör.II. Als die gesuchte isländische Vorlage für einen isländischen Verfasser ist damit das Brot selbst, nicht

31

Bei g e w i s s e n A u s d r ü c k e n ist überdies, wie b e m e r k t , auch E n t n a h m e a u s d e m Brot d e n k b a r .

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

aber ein Fremdstofflied zu betrachten, freilich, wie dargelegt, unter der Annahme, daß der betreffende Verfasser gemäß seiner Absicht, sein Lied auf Guörun auszurichten, konsequent die Rolle der Brynhildr strich, aber im übrigen aus dem Brot das benutzte, was ihm die Schaffung seines Liedes erlaubte. Wir werfen dazu einen Blick auf den für das unvollständig überlieferte Brot von Heusler 32 dargelegten Grundriß des Liedes (die uns nicht interessierenden Szenen sind eingeklammert): (Flammenritt, Beilager, Frauenzank, hvQt), Mordrat, Erschlagung Sigurös, Schmerz [Guörun] (und Jubel der Gegnerin). Im weiteren erfolgt der bekannte Ablauf mit Brynhildr, der uns hier ebenfalls nicht interessiert, dazu kommen zu Beginn die Hochzeiten und Bruderschwüre. Bei Konzentrierung eines Liedes auf Guörun könnte man sich vorstellen, daß Sigurös Kommen an den Hof der Gjukungen den Ausgangspunkt des Liedes bildete, daß er um Guörun freite und sie heiratete, daß Blutsbrüderschaft geschlossen wurde. In der Folge hätten die sich unterlegen fühlenden und deshalb Guörun feindlichen Brüder schließlich einen Mordrat abgehalten, Sigurör wäre erschlagen worden . HQgni hätte nach der Heimkehr der Brüder der fragenden Guörun Bescheid gesagt, sie hätte sich zur Leiche Sigurös aufgemacht. Man sieht, bei Heranziehung und entsprechender Abänderung und Ausgestaltung des Brot ist ein doppelseitiges Ereignislied, das ganz auf Guörun konzentriert ist, denkbar, ein kleineres Lied freilich. Für die Erfassung dieses Liedes ist es wichtig, sich klarzumachen, daß es sich nicht um ein Lied mit einer Klageszene wie in der Heroischen Elegie, z.B. in Gör.I, gehandelt hätte: GuÖnin wäre in den Wald gegangen und hätte nach Zusammensuchen der Leichenreste Sigurös ihrer Verzweiflung Ausdruck gegeben, wie das in Str. 12 faßbar ist 34 . Um die Art eines solchen Liedes zu verstehen, muß man sich eine Schöpfung wie Helgis Wiederkehr in HH II vor Augen halten: Dort ist von größter Liebe die Rede, gleichzeitig ist bei der Darstellung Helgis ein krasser Realismus im Spiel. Das Gleiche gilt für das hier vorauszusetzende Lied: Guörun selber sucht die Leichenreste von Sigurör zusammen und setzt sich dann dazu; das läßt sich durchaus mit Signin vergleichen, die den toten, eiskalten und blutbespritzten Helgi empfängt. Man kann hier ebenfalls an den krass realistisch dargestellten toten Sigurör in Gör.I erinnern. Daß ein solches auf Guörun ausgerichtetes Lied möglich

32 33

34

Andreas Heusler: Die Lieder der Lücke im Codex Regius der Edda. In: Kleine Schriften II. Berlin 1969. S. 275. Hier könnte man erwägen, ob die Erschlagung Sigurds in Zusammenhang mit einer [)ing-Fahrt (isländisch, so Gör.II 4,1) stand; die Erschlagung selbst hätte trotzdem in einem Wald erfolgen können (oder die Leiche wäre später dorthin gebracht worden). Wobei daran zu erinnern ist, daß yßr Sigurdi zu den (jungen) überkurzen Versen gehört (s. auch S. 335ff.) und särla ebenfalls erst in jüngeren Liedern auftritt (s. S. 229).

Die Quellen der Guörünarqvifta Qnnur

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ist, ergibt sich, wenn man an die beherrschende Stellung dieser Figur (neben Brynhildr) in der altisländischen Literatur denkt: Vier Eddalieder: Gör.I und III, Ghv. und Gör.II selbst, zeugen davon, wobei Guörün immer die Rolle der Leidenden hat, Lieder, wie sie sich weder im Deutschen noch im Dänischen fassen lassen. Die im deutschen Bereich faßbaren Schöpfungen haben überdies alle einen größeren Umfang (NL, Brynhildlied). Daß ein Stück aus dem postulierten doppelseitigen isländischen Ereignislied als erster Teil von Gör. II verwendet worden wäre, läßt sich annehmen, freilich müßte man wohl, entsprechend dem vorgelegten Grundriß, in Gör. II mit gewissen Modifikationen (Kürzungen) rechnen. Bei Str.3 liegt es nahe anzunehmen, daß sie eine Verkürzung einer größeren Darstellung ist; die Erschlagung Sigurös selbst wäre im Lied wohl dargelegt worden. Die Verse 3,5-8 könnten ihr vorangegangen sein. Nicht gegeben erscheint dagegen die zweite Möglichkeit, daß die Str.3-12 ursprünglich als selbständiges Ganzes vorgelegen hätten. Der Text erweist sich in der vorliegenden Form als allzu komprimiert, auch wäre vor Str.3 ein Eingang erforderlich, womit man mehr oder minder wieder auf das nicht sehr umfangreiche doppelseitige Ereignislied kommt, das oben als Möglichkeit herausgearbeitet wurde. Auch die Annahme, daß Teil I von Gör. II für das Lied besonders zugedichtet wurde, ist nicht einleuchtend: Oben wurde bereits dargelegt, daß dem zweiten Teil von Gör.II die zwei Grundzüge — Versöhnung und Werbung Atlis — der neuen Sagenform von außen zugeflossen sind; die Art der Gestaltung, wie auch der Stil selbst sind aber vom ersten Teil von Gör. II derart verschieden, daß dieser nicht demselben Verfasser wie Teil 2 zugeschrieben werden kann; an zwei Beteiligte wird man aber nicht denken wollen.

Str. 14-36: Isländische Zudichtung anhand eines von außen kommenden Grundgeschehens Die weitere Frage, die sich stellt, ist, ob der zweite Teil als selbständiges isländisches Ganzes denkbar ist; oben wurde bereits gezeigt, daß auch dieser Teil eine so starke isländische Prägung hat, daß er als Ganzes nicht in dänisch/niederdeutscher Version denkbar ist. Mohr 35 spricht wie erwähnt als Vorlage von einem Novellistischen Rückblickslied und zwar mit Rückblickseinsatz (Str. 1), Stickereiszene, Brautleite und Versöhnungsdialog. Diese Zusammenstellung ergibt

35

Mohr b ] S . 165.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

schwierige Probleme. Mohr 36 spricht zwar davon, daß die gemeinsame Quelle von Gör. II und NL den Tod Sigurös enthalten haben müsse, und er erwähnt, daß τη

Guörün sich an Sigurös Tod erinnert . Wie es jedoch mit dem Tod Sigurös selbst in dem von ihm postulierten Rückblickslied ausgesehen hätte, darüber schweigt er sich aus. Die Stickereiszene, die nach ihm heute an der falschen Stelle steht, stand ursprünglich in Zusammenhang mit der Unterredung zwischen Grimhildr und Guörün. Ein Sprung von der glücklichen Ehe (Str. 1) zur Stickereiszene mit der Mutter oder zur Freierdelegation ist jedoch unmöglich. Kenntnis der Erschlagung Sigurös ohne Erwähnung im Lied kann man bei dieser niederen Gattung, die das Novellistische Spielmannslied repräsentiert, ebenfalls nicht erwarten. Man muß sich auch klarmachen, daß der Sigurdstoff allein für ein Rückblickslied ausgereicht hätte (womit sich die Frage des Umfangs stellt). Was weiter bei der Unterredung zwischen Grimhildr und Guörun die Überredung zur Heirat mit Atli anbelangt, so handelt es sich um ein erst noch zu bestimmendes, d.h. noch nicht abgeschlossenes Geschehen, was nicht in ein Rückblickslied paßt. Ob es ausreicht, zur Erklärung für diese Szene auf die chanson de toile "Belle Amelot" zu verweisen, wie das Mohr tut, erscheint fraglich. Wenn Möhrs Rückblickslied mit dem Versöhnungsdialog und der Brautleite schließt, hätte es sich offenbar um ein Lied mit glücklichem Ausgang gehandelt. Auch wenn es bei der chanson de toile und der Folkevise solche mit glücklichem Ausgang gibt — das Rückblickslied ist dennoch primär tragisch —, muß man sich fragen, ob dies bei einer so belasteten Figur, wie das Guörün tatsächlich ist, denkbar ist. Trotz dieser Probleme ist anzunehmen, daß die neue Sagenform, die in Gör. II verarbeitet ist, von außen zugeflossen ist; offen bleibt jedoch, in welcher Form. Unglaubhaft erscheint die Annahme, daß ein Lied mit dem Stoff des zweiten Teils von Gör.II im Isländischen selbständig vorgelegen hätte. Es liegt näher anzunehmen, daß eine spezielle Gestaltung für Gör.II vorliegt. OO

•IQ

Isländisches doppelseitiges Ereignislied als Grundlage des Ganzen Wir hätten somit in Teil 1 eine Schöpfung vor uns, deren separate Existenz unwahrscheinlich ist, ebenso im zweiten Teil; der dritte Teil ist, wie schon dargelegt, vermutlich als Teil eines — rein isländischen — größeren Ganzen zu betrachten,

36 37 38 39

Mohr Mohr Mohr Mohr

a] b] a] a]

S. S. S. S.

280. 158. 233. 242f.

Die Quellen der Guöninarqviöa Qnnur

69

der für Gör. II benutzt wurde. Dies setzt als Grundlage für Gör.II ein zusammenhängendes Ganzes voraus, wobei nocheinmal daran zu erinnern ist, daß alle diese drei Teile mit ihren Gesprächen, Beschreibungen (in dritter Person), vorwärtsschreitender Handlung, Vorausschau von Haus aus nicht als Monolog angelegt waren. Verschiedene zusammenhängende Erzählpartien eines doppelseitigen Ereignisliedes lassen sich erkennen: Str.3,5-8 Erschlagung Sigurds; 4,1 Zurückkommen des Pferdes 40 ; 7,5-10,8 Offenbarung des Totschlags durch HQgni, Lokalisierung des toten Sigurör, Verfluchung Hognis; 17,5-19,12 Eingreifen der Grimhildr, Werbungsdelegation; 25,1-35,4 Überredungsversuch der Grimhildr, Ablehnung der Guörün, neue Vergabungen der Grimhildr an Guörün, Annahme der Werbung durch Guörün, ihr Zug zu Atli; 36,1-3 Ankunft im Hunnenland; 38,1-43,4 Vorausschau im Traum. Bei diesen kleineren und größeren Stücken handelt es sich vor allem um Dialoge; beschreibende, ausmalende Partien in der dritten Person sind: 4,2-8 die zurückkommenden Pferde; 7,1 der den Kopf hängen lassende Gunnarr, ebenso die in der zweiten Hälfte von 19 folgenden Verse über die Ausstattung der Werbungsdelegation (19,8-12); 21,5-23,8 Beschreibung des Vergessenheitstrankes . Es ist auch erkennbar, wie heutige Monologpartien aus einem zugrundeliegenden ursprünglich doppelseitigen Ereignislied umgebaut wurden. So schafft der Vers 7,2 sagdi mer HQgni die unmittelbare Verbindung der Guörun zum Dialog Str.7,5ff. (wobei die nicht daran beteiligte Person Gunnars [7,1] stehen bleibt); bei der Dialogpartie Str.25ff. ist es der Vers 24,7 ädr hon siälfa mic, und beim Dialog Str.38ff. sind es die Verse 37,1/2 vacpi mic Atli, enn ec vera pöttomz. Diese Erzählverse mit einem Subjekt in der dritten Person werden also durch ein Pronomen der ersten Person Singular an die Dialogstrophen gebunden (bei 10,1 besteht keine solche Bindung). Verräterisch ist, daß es z.B. 17,9/10 immer noch heißt: hverr vildi son systor bcela, obwohl 17,3 hvat ec vcera hyggiud gesetzt ist. Auffallend ist ferner, daß die Strophen 3 und 5 in ihren zweiten Hälften objektive Erzählung — in der dritten Person — geben, daß jedoch die voraufgehenden Hälften entweder in der ersten Person gestaltet sind (Str.5) oder daß Personalpronomen und Possessivpronomen der ersten Person (Str.3) benutzt sind. Die Darstellung mit den vielen beschreibenden Versen ist breit; es sind Strophen, wie sie bei objektiv berichtender Darstellungsweise zu Hause sind, nicht jedoch in einem — knapper - angelegten Monolog, wie ihn z.B. Ghv. Str. lOff. darstellt. Es fragt sich, wie ein eventuelles derartiges doppelseitiges Heldenlied hätte aussehen können. Das zweite Gudrunlied hat eine überragende Figur: Guörün, und zwar innerhalb eines längeren Liedes. Vergleichbar ist hier nur ein anderes Lied,

40

Was die Konjektur af anstelle von at voraussetzt.

70

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

das noch umfangreicher ist: Die Skamma mit der beherrschenden Figur der Brynhildr (der Titel Siguröarqviöa in scamma ist unpassend). In beiden Liedern wird eine Art Lebensübersicht gegeben, die — so ist es auch bei Gör. II anzunehmen — mit der Verheiratung beginnt. In Sg. endet sie mit dem Tod der Heldin; in Gör.II führt sie nur bis zum Abschluß eines bestimmten, allerdings weitgefaßten Zeitraums des Lebens von Guönin. Beide Heldinnen haben den geliebten Mann verloren, was in Sg. dadurch kompliziert ist, daß Brynhildr selbst seine Erschlagung veranlaßt, nachher aber nicht mehr weiterzuleben vermag. Beide sind, beschwert von ihren Gefühlen, wandernd in der Nacht dargestellt, beide möchten wegen ihres Verlustes sterben. Bei Guönin bleibt es bei dem Wunsch; sie muß entsprechend der jüngeren Form der Heldensage weiterleben. Beide Lieder weisen viel direkte Rede auf, beide Lieder enthalten Prophezeiungen, Gör. II dazu eine Traumvorausschau. Gemeinsam ist Gör.II und Sg. das Motiv der Tiertrauer: Gdr. II 5,5/6 Sg. 29,7/8

hnipnadi Grani pä, drop ί gras hqßi. oc gullo vid gcess ί tüni.

Weitere Motive stimmen auch in der sprachlichen Formulierung überein, so das Weinen: Gör. II 10,6 Sg. 64,8

grceti at fleiri grceti at fleiri,

das Motiv des Zögerns: Gdr. II 6,1 Sg.37,1

lengi hvarfadac pä var ά hvorfon,

das Hängenlassen des Kopfes: Gdr. II 7,1 Sg. 13,2

Gunnarr hnipnadi oc hnipnadi,

das Sich-Ziemen: Gdr.II 27,5 Sg. 17,3

samir eigi mir samir eigi ocr,

die Freudlosigkeit: Gdr. II 9,3

vilia laussi

Die Quellen der Guörünarqviöa Qnnur

Sg.24,6 Sg.57,5

71

viliaflrd, vadin at vilia.

Weiter ist hinzuweisen auf den Gebrauch von Adverbbildungen wie: Gör. II 17,7 prägiarnliga, 31,3; 38,1 nyliga; Sg.22,6 ramliga; 25,6 grimmliga, ebenso auf den Beginn einer Strophe mit unz: Gör.II 3,1 unz mer Jyrmundo, Sg.3,1 unz peir Brynhildar— und weitere Stellen. Hervorzuheben ist auch die Aufschwellung: Gdr. II 32,3-6 Sg. 13,7-10

er burom sinom oc rtiQgom sinom hvat hänom vceri eda hänom vceri

bQlva vcetti meina storra. vinna seemst vinna bezt.

Ferner kann die chiastische Verswiederholung erwähnt werden: Gdr. II 20,2/3

hnossir velia hnossir velia

Sg. 20,6/7

eida svarna, eida svarna.

Viele der erwähnten Motive, z.B. die Freudlosigkeit, sind für die Heroische Elegie insgesamt charakteristisch; dennoch erweist sich anhand dieser Gemeinsamkeiten die gleichartige Ebene dieser zwei Lieder (auch wenn die Skamma keine Heroische Elegie ist, steht sie in starker Beziehung zu dieser Liedgattung). Die stärkste Gemeinsamkeit besteht jedoch in der ausführlichen Darstellung eines Heldinnenschicksals, eines Themas, das die früheren Lieder nicht kennen, dabei muß unterstrichen werden, daß es sich bei Gör.II nicht um ein "gewöhnliches" Heldenlied handelt, sondern daß es sich hier tatsächlich um Zusammenstellen und Vereinigen von drei an sich ganz verschiedenen Stücken zu einem Ganzen, eben einem doppelseitigen Ereignislied handelt. Man kann bei diesem Lied also nicht von einer ursprünglichen Gesamtkonzeption für die verschiedenen Teile ausgehen. Der Antrieb zur Gestaltung dieses Liedes war der Wille zur umfassenden Darstellung des Schicksals der Guönin. Versucht man sich den Umriß des vorauszusetzenden Liedes vorzustellen, so würde das Lied damit begonnen haben, daß Sigurör an den Hof Giukis kam und Guörun heiratete, es folgten die Erschlagung Sigurös, das Aufsuchen der Leiche durch Guörun, ihre Wanderung nach Dänemark, die Werbung Atlis und die Umstimmung der Guörun, der Zug zu Atli. Bezüglich der Fortsetzung stellen die Verse

72

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

37,2-3 full illz hugar

enn ec vera pottomz at freendr dauda

ein Problem dar. Versteht manpycciaz im Sinne von "sich dünken", so muß man die Verse als Hinweis auf eine voraufgehende, anhand verlorener Strophen erzählte Erschlagung der Brüder von Guörun fassen. Daran hätte sich Str.37 (im Regius unvollständig) geschlossen und weiter die Traumvorausschau. Zieht man die VQIS.S. heran, deren 34. Kapitel sowie der Beginn von Kapitel 35 deutlich eine Paraphrase von Gör.II darstellen, so zeigt sich hier eine Voranstellung des Traumes, d.h. die Ermordung der Brüder (und natürlich auch die Rache) folgen erst im Anschluß an den Traum. Da es logischer erscheint, wenn die Traumvorausschau nach der Ermordung der Brüder folgte, muß man sich fragen, ob nicht der Verfasser der V Q I S . S . , der im weiteren anhand von Akv. und Am. den Untergang der Gjukungen darstellen wollte, hier eine Korrektur vorgenommen hat, durch die Voranstellung des Traumes, weil er nämlich diesen Traum beibehalten wollte. (Traumdarstellungen waren in der späteren Literatur sehr beliebt.) Die Interpretation von Gering 41 , daß pottomz auf eine traumartige Vorausschau auf den Mord an den Brüdern deute, scheint mir nicht einleuchtend. Eine weitere Möglichkeit wäre die Annahme, daß dem Verfasser der VQIS.S. eine Variante von Gör.II vorlag, in der die Traumsequenz vor die Ermordung der Brüder gestellt war. Die Logik spricht dennoch eher für die Reihenfolge: Ermordung der Brüder (in fehlenden Strophen dargestellt), Traumsequenz und — in einem Ereignislied — als Abschluß die Rache der Guörun. Damit stellt sich die Frage, ob eine Darstellung der Rache in der uns im Regius vorliegenden Gör. II gestrichen wurde oder ob hier eher an einen Überlieferungsmangel zu denken ist. Ein Argument, das für eine bewußte Unterdrückung einer Rachedarstellung sprechen könnte, ist die Tatsache, daß im Regius später, nämlich in Akv. und Am., eine Darstellung der Rache folgt. So gesehen hätte es einem Regiusredaktor sinngemäß erscheinen können, eine solche Textpartie wegzulassen; er hätte damit eine gewisse Überschneidung vermieden; die Erschlagung der Brüder muß freilich auf alle Fälle dargestellt sein. Es ist allerdings anzunehmen, daß innerhalb dieses größeren Ganzen, das vorauszusetzen ist, die Rache — und ebenso die Erschlagung der Brüder — nicht sehr ausführlich dargestellt waren. Es kommt ein weiteres, entscheidendes Argument hinzu: Im Regius wird in der zu Gör. II gehörenden Prosa (S.223) gesagt, daß Guörun ihren supponierten Monolog am Hofe Atlis t>i0örecr vortrug. Damit ist klar, daß entsprechend dieser Annahme Atli noch lebend gedacht sein muß. Die Regiusversion von Gör.II mußte deshalb mit der

41

Gering II S. 311.

Die Quellen d e r G u ö r u n a r q v i ö a Qnnur

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Traumvorausschau und Str. 44 als Bekräftigung des Rachewillens der Guörun schließen.

Monologstücke: Charakterisierung des zugrundeliegenden doppelseitigen Ereignisliedes Im Regius liegt, was Gör.II anbelangt, auf jeden Fall eine Bearbeitung vor, denn er suggeriert einen Monolog. Damit stellt sich die Frage, ob sich in dieser Gör.II Monologstücke nachweisen lassen. Str. 1

Meer var ec meyia, mödir mic foeddi, biQrt, ί buri, untia ec vel broedrom; unz mic Giuki gulli reifdi, gulli reifdi, gafSigurdi

— Erziehung des Mädchens (Krone der Jungfrauen [Kuhn] 42 ) im Frauenhaus durch die Mutter, seine Liebe zu den Brüdern, die Ausstattung (mit chiastischer Wiederholung) und die Verheiratung - diese Art der Darstellung ist in einem doppelseitigen Ereignislied mit fortschreitender Handlung von tragischem Geschehen nicht am Platz; sie gehört in den Bereich des Novellistischen Spielmannsliedes. Oben wurden an der von Mohr für den zweiten Teil postulierten Vorstufe — mit Einbezug von Str. 1 als Beginn eines Rückblicksliedes — Zweifel geäußert 43 . Es liegt damit näher, Str. 1 als Gestaltungselement für den Eingang beim Umbau des Liedes zum Monolog zu betrachten. Der Gebrauch einer solchen Strophe setzt nicht unmittelbare Entnahme aus einem Rückblickslied voraus; nachahmende Gestaltung ist ebenfalls denkbar; man mag in diesem Zusammenhang an die chiastische Wiederholung — mit invertierter Wortfolge — im Brot 2,2/3 erinnern. Das für eine solche Gestaltung Erforderliche war jedenfalls vorhanden. Str.2 ist, wie HH II 38 und GÖr.I 18 zeigen, als Totenpreis zu verstehen; in Gör.II steht er jedoch an der falschen Stelle: Er charakterisiert den lebenden Sigurör, bis er erschlagen wird. (Daß die Strophe in einer Rückschau steht, kann dieses Manko nicht wettmachen.) Dazu paßt, daß dieser Preis keine originale Schöpfung ist, sondern daß er aus den wirklichen Totenpreisen von HH II und Gör.I zusammen-

42

K u h n W b . S. 147.

43

S. S. 6 7 f .

74

Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

gestellt ist 44 . Auch er kann nicht als ursprünglich betrachtet werden. Eine weitere Textpartie, die ebenfalls in Gör. II nicht ursprünglich sein kann, ist Str. 11,5-8

gerdiga ec hiüfra ne hQtidom slä, ηέ qveina um sem konor adrar.

Es sind dieselben Verse wie in Gör.I 1,5-8. Im ersten Gudrunlied sitzt Guörun beim aufgebahrten Sigurör: Sie, die Schmerzversteinerte, kann weder — als Zeichen der Trauer — mit den Händen schlagen noch jammern. Die Szene ist in hochmittelalterlichem höfischem Stil gestaltet; Guörun ist umgeben von einem Kreis vornehmer Männer und Frauen. Wie der Halbvers Gör. 11,8

sem konor adrar

zeigt, gehörte das Händeschlagen (und Klagen) zur Äußerung von Trauer bei Frauen; man könnte versucht sein, hier von einer Art Zeremoniell zu reden. Bei Guörun nun wird das Fehlen dieser Trauergebärde und das Nichtäußern von Schmerz hervorgehoben. Bezogen auf die anwesende vornehme Gesellschaft, die zweifellos gewohnt war und erwartete, daß man bei Trauer auf die beschriebene konventionelle Art reagierte, fällt sie damit aus ihrer Rolle (wodurch natürlich die Größe ihres Schmerzes markiert wird). Ihren Sinn erhält also diese Szene durch ihren gesellschaftlichen Hintergrund. Ganz anders verhält es sich bei Gör.II. Hier hat es keinen Sinn zu sagen, daß sie, die allein im Wald ist, nicht auf die konventionelle Art reagieren kann. Das würde auch gar nicht zu der mutigen Frau passen, die Guörün sein muß, wenn sie sich allein aufmacht, um die Reste von Sigurös Leichnam zusammenzusuchen, ebensowenig paßt dazu, daß sie lieber das Opfer der Wölfe werden oder wie ein Stück Holz verbrannt werden möchte. Kurz, die Verse 11,5-8 passen nicht zu der übrigen Anlage dieser Szenerie. Diese Verse stammen aus Gör.I, nur dort sind sie am Platz. In Zusammenhang mit den dort voraufgehenden Versen (Gör.I 1,3/4) ist ebenso die Langzeile Gör.1111,9/10

pä er sat soltin

um Siguröi

geschaffen worden (mit um anstelle von yfir)45. Verräterisch ist im übrigen bei diesen Versen auch, daß sie nun in der Ich-Form stehen, daß es nicht mehr der

44 45

S . S . 88. Auch Mohr hält die Verse 11,5-10 für eine (Überlieferungs-)Doublette von Gör.I 1: Mohr b] S. 154.

Die Quellen der Guörünarqviöa Qnnur

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Dichter ist, der Guörun charakterisiert, sondern daß sie selbst sagt, daß sie nicht trauern konnte wie die anderen. Anhand des Dargelegten gibt es drei Partien in Gör.II, die deutlich vom übrigen Lied abstechen und die als Zusätze zu betrachten sind: Str. 1, Str.2 sowie die Verse 11,5-10. Bei weiteren Versen kann man sich fragen, ob sie ursprünglich sind, so bei 5,5-8 (das trauernde Pferd), hierfür spricht Brot 7,5/6. Bei 6,1-4 (Schwanken der Guörun) mag man auf Sg.37,1/2 (Schwanken der Brynhildr) verweisen, das Lied, das oben bereits in Zusammenhang mit dem vorauszusetzenden doppelseitigen Heldenlied herangezogen wurde. Die Frage der Ursprünglichkeit kann man auch bezüglich der Verwendung von särr und grceti stellen. Bei groeti atfleiri (10,6) spricht Mohr 46 von "elegienhaft", in Gegensatz zu dem von ihm postulierten Fremdstofflied. Mohr übersieht jedoch, daß z.B. 7,4 von särom dauda die Rede ist, eine Strophe, die er dem von ihm postulierten Heldenlied zuschreibt; särr gehört jedoch eindeutig zu dem in der Heroischen Elegie verwendeten Wortschatz des Leidens; es kann sich hier nicht um Möhrs Heldenlied handeln. Näher liegt die Annahme, daß 7,4 und damit auch 10,6 zum ursprünglichen doppelseitigen Ereignislied, das Gör.II einst darstellte, gehören, d.h. daß hier, wie es auch für die Skamma gilt, das isländische Elegienhafte bereits vorhanden war. Im ersten Teil liegt dann eine Mischung von grausiger Brutalität und höchstem Gefühl vor, wie sie z.B. für den Schluß von HH II typisch ist; in Gör.II geht das Gefühlshafte auch in Richtung von Sentimentalität. Grelle Szenen sind beliebt, man denke z.B. daran, daß in der Skamma Guörün im Blut SigurÖs schwimmt. Den Verfasser dieses vorauszusetzenden Liedes müßte man sich als großen Verehrer der Guörun denken, wie es auch dezidierte Anhänger der Brynhildr gegeben haben muß; das zeigt z.B. die Skamma. Hierbei muß hervorgehoben werden, daß dieser Verfasser einer Gör.II ebenfalls ein isländischer Neuerer ist: Er hat die abgeänderte Version des ersten Teils der Nibelungensage, in der — durch Ausschaltung der Rolle der Brynhildr — Guönin konsequent in den Vordergrund tritt, benutzt. Damit konnte er ein Gegenstück zur Skamma schaffen. Er ist es auch, der die zwei Teile der Nibelungensage — Sigurös Tod und den Burgundenuntergang — im Norden erstmals zusammengebracht hat, und zwar in einem längeren Lied, etwa im Umfang der Skamma. Damit läßt sich der Ausdruck forna, der im Regius (S. 201) zu Guörunarqviöa gesetzt ist, auf dieses Lied beziehen 47 : früher, verglichen mit dem im Regius vorliegenden Monolog, d.h. in der Bedeutung von "voraufgehend", aber nicht "alt" im eigentlichen Sinn.

46 47

Mohr b] S. 154. Man vergleiche hierzu bei HH II (S. 153) die Bezeichnung VQlsungaqvida in Joma (allerdings mit Anführung von Strophen).

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Es bleibt die Frage, wieso das vorauszusetzende Ereignislied zu einem Monolog umgestaltet wurde. Hier kann man einmal daraufhinweisen, daß in der Heroischen Elegie kleinere (Gör.I), aber auch größere (Ghv.) Monologpartien enthalten sind; die Umgestaltung ist insofern naheliegend. Man könnte hier wohl von einer modischen Angleichung reden.

Totenpreis in HH II, Gör.I und Gör.II: Ekstase auf dem Hintergrund des Hohenliedes Beide Lieder, Gör.I und Gör.II (hier an der unrichtigen Stelle), enthalten eine den toten Sigurör preisende Strophe (Gör.I 18, Gör.II 2); beide Male ist Guönin die Sprecherin. Diese Preisstrophen müssen mit dem umfangreicheren, Sigrun in den Mund gelegten Totenpreis von HH II (Str.37, 38) zusammengebracht werden; hierauf ist bereits von anderer Seite aufmerksam gemacht worden 1 . Ehe auf diesen Zusammenhang näher eingegangen wird, sollen die verschiedenen Bilder dieser Strophen, mit Einschluß von HH II, behandelt werden.

Die in HH II Str.37 und 38 verwendeten Bilder In HH II wird gesagt, daß der verstorbene Helgi seine Feinde und deren Verwandte so schreckte, wie, besessen von Schreck vor dem Wolf, die Ziegen vom Berg hinunterrennen: Str. 37

"Sva haföi Helgi hrcedda gorva ßändr sina alia oc froendr peira sem fyr ülfi ödar ryntii geitr affialli, geisca fullar."

Dieser Vergleich mag, bezogen auf isländische Verhältnisse, auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen: Wölfe gab es in Island nicht. Wenn Snorri im Hättatal

Sk.B II S. 75 Str. 53,8

falla par til fyllar Jjallvargs joru pollar

von fjallvargr spricht, in Zusammenhang mit Kampf, kann man daraufhinweisen, daß diese Verse Skuli gelten, daß es sich also um Norwegen handelt, wo Wölfe heimisch waren. Doch kann man ebensogut geltend machen, daß der Wolf als Leichentier (-esser) ein stehendes Bild bei den isländischen Skalden ist. Auch wenn

1

Gering II S. 239 und andere.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

es sich da ebenfalls meist um norwegische Verhältnisse (Fürstenpreisgedichte vor allem) handelt, ist der Wolf auf alle Fälle ein viel verwendetes Requisit der isländischen Literatur. Λ

Was die Ziege anbelangt, so haben schon Detter-Heinzel und Gering darauf aufmerksam gemacht, daß die Furchtsamkeit (Feigheit) dieses Tieres im Norden sprichwörtlich war und so z.B. in der Skaldik angeführt wurde. Das mit geitr verbundene fjall ist im Isländischen ein vielbenutzter Begriff, man denke z.B. an Häv. 116,5. Man kann auch daran erinnern, daß in der Guömund.s. [Bisk.SQg.II] 137,23 der Fuchs fjalldyr genannt wird. Es läßt sich also sagen, daß die in Str.37 verwendeten Begriffe zumindest in der isländischen Literatur heimisch waren, bei geitr (sprichwörtlich verwendet) liegt auch ein im Volksempfinden verankerter Begriff vor. Die Verwendung des Vergleichs ist jedoch damit nicht erklärt; hierfür muß etwas weiter ausgeholt werden. Der Gebrauch des Bildes von dem die furchtsamen Schafe (nicht Ziegen) schreckenden Wolf läßt sich in der Literatur weit zurückverfolgen. Homer z.B. gibt in der Ilias 16 352 für einen Angriff das Bild einer Wolfshorde, die sich auf versprengte Schaftrupps stürzt, die mutlosen Tiere werden erwürgt, also keine Flucht. Bei Vergil, Aeneis 9 525ff., wird der Hunger des den Schafpferch umschleichenden Wolfes erwähnt. Gauthier von Chätillon, dessen Werk, die Alexandreis, stark von der Antike geprägt ist und das im Laufe des 13. Jhs. ins Isländische übersetzt wurde, benutzt, so 2 398, ebenfalls das Bild vom hungrigen Wolf; er stürzt sich auf eine Herde. Das Hauptgewicht liegt hier auf dem Schrecken, den der nahende Wolf der Herde (und dem Hirten) einflößt; bereits vorher ist die Rede vom die Schafe jagenden Wolf. In der altfranzösischen Epik 3 findet sich ebenfalls das Bild des in eine Schafherde einbrechenden Wolfes. Auch wenn der Vergleich in HH II 37 nicht genau den aus verschiedenen Werken hier erwähnten Beispielen entspricht, so ist es doch gegeben, ihn mit den traditionsreichen Vergleichen, die sich von der Antike über mittelalterliche lateinische Werke bis zur altfranzösischen Epik erstrecken, zusammenzubringen, dies umsomehr, als das in HH II 37 verwendete zweigliedrige Vergleichsmuster eine Relation ausdrückt — die Überlegenheit Helgis über seine Feinde —, die, im Gegensatz zur folgenden Strophe, in Handlung umgesetzt ist. Es ist eine immer wieder zu beobachtende Tatsache, daß Isländer sich mit dem, was sie von außen aufnahmen, auseinandersetzten und es dann nach ihrem Gutdünken bearbeiteten; das kann auch hier geschehen sein (obschon es denkbar ist, daß sich in der Literatur weitere, noch nähere Vorbilder für HH II 37 finden). Denkbar wäre z.B.

2 3

Detter-Heinzel II S. 38, Gering II S. 126. Werner Ziltener: Chretien und die Aeneis. Diss. Bern 1957. S. 85. Ziltener verweist auf weitere Arbeiten (zur Karlsepik, Stilistik).

Totenpreis in HH II, Gör. I und G5r. II

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— der letzte Teil von HH II und auch die Partie mit den Str. 37 und 38 sind eine späte Schöpfung —, daß ein Isländer mit dem lateinisch geschriebenen Werk von Gauthier von Chätillon — das erst später ins Isländische übersetzt wurde — vertraut war. Daß ein Isländer die Ziege und nicht das in den Vergleichen traditionelle Schaf benutzte, kann sich durch die erwähnte sprichwörtliche Furchtsamkeit der Ziege erklären; die Ziegen hatten im übrigen auch sonst ihren Platz in der altnordischen Literatur; man denke nur an den Mythos. Obschon der in Str. 37 verwendete Vergleich mit den ausländischen Vorbildern in Zusammenhang zu bringen ist, so ist doch die Vorstellung, daß der Herrscher ein Schrecker der Feinde ist, in der Skaldik, in der Fürstendräpa, heimisch; so sagt Hallfraör in seinem Preisgedicht auf Oläfr Tryggvason: Sk.B I S. 152 Str. 12

Hverr vas hrceddr vid Qrvan hugdyggvan son Tryggva madr und solar jadri.

Dasselbe findet sich in der dräpa von Arnorr auf Magnus gööi: Sk.B I S.308 Str.9,6, ebenso 6,7/8, wobei in dieser Strophe von oegishjalmr die Rede ist. Damit läßt sich sagen, daß der in HH II 37 benutzte Vergleich trotz seiner fremden Herkunft und trotz seiner Einmaligkeit im Altnordischen keinen Fremdkörper darstellt. Die folgende Strophe zeigt mit Hilfe von weiteren Vergleichen, wie Helgi die anderen Fürsten überragte: HH II 38

"Svä bar Helgi afhildingom sem itrscapadr ascr afpyrni eda sä dyrkälfr, dQggo slunginn, er 0frif err Qllom dyrom ok horn gloa vid himinn sialfan."

In der ersten Halbstrophe wird gesagt, daß Helgi die Helden überragte wie die schön geschaffene Esche das Dorngebüsch. Esche und Dornstrauch sind größenmäßig stark voneinander verschieden; im Reallexikon für Antike und Christentum wird im Artikel "Domstrauch" 4 an die altorientalische Pflanzenfabel vom Rangstreit der Bäume erinnert, z.B. zwischen Dornstrauch und Granatbaum (altaramäisch). Im AT Könige 2,14,9 wird dem Dornstrauch — in der Vulgata im vierten Buch der Könige (4,14,9) wird Carduus (Distel) benutzt — als Symbol des

4

Klauser Bd.4. S. 190.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Geringeren, Unterlegenen als Gegenbild im Sinne des Überlegenen, Mächtigen die Zeder gegenübergestellt, und zwar zur Charakterisierung zweier Könige. Dasselbe Vergleichsmuster — Ausdruck einer Relation —, nun aber mit Verwendung von lilium zur Bezeichnung des überragenden Teils — es handelt sich um eine Frau, die Freundin —, wird im Hohenlied gebraucht: Vulgata canticum canticorum 2,2 sicut lilium inter spinas, sic arnica mea inter filias. Dieser Vergleich — LilieDornen — wird dann häufig auf Maria bezogen; Salzer S. 168,38f. führt z.B. eine Stelle aus Petrus Damianus (Serm.46 de virg.nat. t.2 p. 114 B) an, in der ausdrücklich auf das Hohelied verwiesen wird. Im Altisländischen findet sich der Vergleich bereits im Stockholmer Homilienbuch: 166,26/27 Svasem lilium rennr upp a mipli pyrna, sva es oc vincona min a mipli qvetina, mit Berufung auf Salomo (Hoheslied). Was das Bild des Dornstrauchs anbelangt, so kann man damit annehmen, daß es aus dem geistlichen Bereich stammt5. Aus Gründen, die weiter unten noch deutlicher faßbar werden, ist dabei in erster Linie an das Hohelied zu denken. Die in der geistlichen Literatur beheimateten Belege fürpyrnir stammen aus dem 13. Jh.; man muß also bei HH II an das lateinische Original, die Vulgata, denken. Der Schöpfer des Vergleichs von HH II 38,3/4 hat dem Dorngebüsch als Baum die Esche gegenübergestellt. Bei dem hier aus dem AT erwähnten Baumvergleich war die Zeder benutzt, in einem weiteren, aus dem Hohenlied, ist der Apfelbaum verwendet: Cant.cant.2,3 Sicut malus inter ligna silvarum, sic dilectus meus inter filios, beides in Island nicht heimische Baumarten. Die in HH II gewählte Esche gibt es heute in Island nicht wild wachsend, und dies war wohl auch früher nicht der Fall 6 . Trotzdem ist dieser Baum im Altnordischen ein zentraler Begriff, durch die Weltesche; damit ist klar, daß durch die Verwendung dieses Baumes Helgi gewaltig erhöht werden sollte. Man kann hier noch weiter, über die aus dem AT herangezogenen Baumvergleiche hinaus, auf den geistlichen Bereich verweisen: Im AT wird, nicht zum Vergleich, sondern als Symbol für den König selbst, im Traum des Nebukadnezar ein gewaltiger Baum verwendet: Daniel 4,8 Magna arbor, et fortis, et proceritas ejus contingens caelum; aspectus illius erat usque ad terminos universae terrae7. Bei der Schaffung des Baumvergleichs in HH II mag unterstützend gewirkt haben, daß im Altnordischen Kenningar zur Bezeich-

5

6 7

Dies auch deshalb, weil es für pyrnir außerhalb dieses Bereiches im Altnordischen wenig Belege gibt. Pyrnir findet sich in Zusammenhang mit der Dornenkrone, aber auch im Gleichnis von der vierfachen Saat (s. z.B. Holtsmark Wb. Sp. 660). KLNM 11 Sp. 186. Ähnliche Träume gibt es auch in konunga sQgur, z.B. in Heimskr.I (IF 26) 90,2ff., die Frau von Hälfdan svarti träumt von einem großen Baum ( = mächtige Nachkommenschaft), ähnlich Heimskr.III (IF 28) 265,Iff. (Traum von Sigurör Jorsalafari).

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Totenpreis in H H II, Gör. I und Gör. II

nung von "Mann, Krieger" häufig mit Baumbenennungen, darunter auch askr, gebildet werden. Das zu ascr gesetzte itrscapadr ist ein Hapax legomenon. Die Q

Verwendung von itr wie auch von itarligr (herrlich, vortrefflich) und seiner Komposita ist auf wenige Eddalieder und auf wenige Belege beschränkt: itr findet sich, neben Gör.I 3,1, mehrfach in Grp., itarligr in Am.93,7 und Grp.4,5; das Kompositum itrborinn tritt, wie itrscapadr, im Helgi-Lieder-Bereich auf (sowie ein Beleg in Am.), itrpveginti ist in Ls. benutzt, dazu kommt das Substantiv itrlaucr in HH I. Im Unterschied zur Edda ist itr in der Skaldik viel gebraucht, z.B. im Haraldskvaeöi Sk.B I S.24 Str. 15,3. Hinsichtlich des Gebrauchs von hildingr (38,2) ergibt sich, wie Gerings Wörterbuch 9 zeigt, ein ähnliches Bild: Dieser Begriff ist, abgesehen von Häv. 153,5, nur in den Helgi-Liedern benutzt; weitere Beispiele finden sich jedoch in der Skaldik. Die zweite Hälfte von Str.38 bringt das Bild vom taubeschlagenen Hirschkalb, das vor allem anderen Rotwild geht. Der Hirschvergleich findet sich auch, worauf noch näher einzugehen sein wird, in Gör.II. Dennoch ist anzunehmen, daß der Hirschvergleich für den Fürsten in HH II das Primäre ist; hier liegt offenbar etwas sehr Altes zugrunde 10 . Bei Saxo Grammaticus ist bereits ein Hirschvergleich für Hrölfr kraki, einen Skjöldung 11 , verwendet, zur Charakterisierung seiner Kampfschnelligkeit: 57,12ff.

Tarn praeceps in bella fuit ut cervus rapidum bißdo pede tendere

cursum.

Das vermutlich Saxos Darstellung zugrundeliegende (dänische) Heldenlied — Bjarkamäl — war in Island bekannt, vielleicht gab es sogar eine isländische Neuschöpfung davon. Außerdem existierte eine heute verlorene, nur noch in einem jüngeren lateinischen Auszug von Arngrimr Jonsson vorliegende SkjQldunga saga. Folglich läßt sich im Isländischen Kenntnis des Hirschvergleichs annehmen, und es liegt nahe, den Vergleich in dem späten Stück von HH II damit in Verbindung zu bringen, auch wenn er nun zur Charakterisierung der Überlegenheit Helgis über

8 9 10

S. auch S. 9. Gering W b . Sp. 435f. Hervorzuheben ist außerdem, daß dieser Hirschvergleich, im Gegensatz zum antiken Gebrauch, positiv ist.

11

Eine Königsfamilie, die eine besondere Beziehung zum Hirsch hatte (s. Sprenger 1986). Hundingsbani selbst — der u.a. mit dem Mythos in Zusammenhang gebracht wurde — ist kein Skjöldung (so unrichtig in dem genannten Aufsatz), doch wurde er im zweiten Buch von mit dem älteren Skjöldung Helgo, dem Vater von Hrölfr kraki, gleichgesetzt (Hundingi emptor).

Helgi zwar Saxo inter-

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

die anderen Fürsten dient und seine hymnische Verklärung als geistlich beeinflußt zu betrachten ist: Wenn zu dyrkälfr dQggo slunginn gesetzt ist, kann man darauf hinweisen, daß z.B. in der Mariendichtung von der taubenetzten Rose die Rede ι ist , auch der Himmel erhält dieses Attribut. Die Verse 38,9/10, die z.B. IΊ Gering als interpoliert betrachtet, besagen, daß das Geweih des Hirsches bis zum Himmel reicht; Paaske 14 erwähnt hier Solarijod Sk.B I S.644 Str.55,6 en toko horn (des Sonnenhirsches) til himens. Man kann in diesem Zusammenhang nocheinmal auf das oben angeführte Traumsymbol — bis zum Himmel reichender Baum — verweisen; die geistliche Literatur scheint tatsächlich eine Vorliebe für solch überdimensionierte Bilder zu haben. Die Verse 38,9/10 sind damit ebenfalls in Zusammenhang mit der geistlichen Literatur zu betrachten. Von großer Bedeutung für die Beurteilung von HH II 37 und 38 ist die Tatsache, daß die alten Heldenlieder keine Vergleiche enthalten, so Akv., Brot, Vkv. (17,5 betrachte ich nicht als Vergleich 15 ) oder aber nur wenige. Die erhaltenen Strophen des Hunnenschlachtliedes weisen auch keine auf; fraglich ist, ob der in der Prosa enthaltene (307,13 16 pvi ncest sä hon glöa undir ioreycnom, sem ά gull eitt liti) zum ursprünglichen Bestand des Liedes gehört. Hm. enthält zwei Kurzvergleiche: 25,4 sem biQm hryti und 30,4 sem ernir ά qvisti. Str.5 — die Einsamkeit der Gudrun —, deren ursprüngliche Zugehörigkeit zum Lied zweifelhaft ist 17 , weist drei Kurzvergleiche auf (vom Vergleich in der umstrittenen Ijddahättr-SiTophe [29,4] sehe ich hier ab). Auf alle Fälle ist klar, daß in HH II ein völlig anderes Vergleichsmuster vorliegt als in Hm. In beiden HH IIStrophen wird Helgi im Verhältnis zu anderen dargestellt: in Str.37 in dem zu seinen Feinden und in Str.38 in dem zu den anderen Fürsten; hierfür dienen in Str.37 der Vergleich Wolf-Ziege, in Str.38 die Vergleiche Baum-Dorngebüsch und Hirsch-Rotwild. Im Schrecker Helgi wird in Str.37 ein einzelnes, wenn vielleicht auch das wichtigste, Beispiel seiner Überlegenheit gegeben, Str.38 enthält die allgemeine Fassung dieser Überlegenheit, wobei eine gewisse Nuancierung darin

12 Salzer S. 186,31 (Mor. 9) roscida ut rosa; S. 184,19 (Erlösung Bartsch 2521) ein rose in douwe; Salzer gibt neben lateinischen Beispielen auch deutsche. Das nicht in einem Vergleich verwendete, auf die Raben Oöins {haucar) bezogene dQgglitr (HH II 43,7, taubenetzt) ist zwar poetisch, doch wohl so zu verstehen, daß sich die Raben über die Morgenröte freuen, weil ihnen der kommende Tag neue Beute bringt. Man erinnere sich z.B., wie vor der Schlacht von Stiklastadir vom Morgengrauen die Rede ist (Heimskr.II [IF 27] 361,9), ebenso in der zitierten Strophe aus den Bjarkamäl (S. 361 Str. 141,1). 13 Gering II S. 127. 14 Paaske (Fredrik Paaske: St. Michael og hans engle. Edda 1, 1914, S. 33-74) S. 60. 15 Sprenger (Ulrike Sprenger: Sä als Pronomen der sinnlichen Wahrnehmung in der altisländischen , Dichtung. PBB 87, 1965, S. 74-92) S. 86f. 16 Zitat aus Kuhns Edda-Ausgabe. 17 S. S. 142.

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Totenpreis in HH II, Gör. I und Gör. II

besteht, daß in Str.37 das Plusquamperfekt gebraucht ist, während die allgemeine — deutlich eine Steigerung bringende — Fassung von Str.38 im Präteritum abgefaßt ist.

Herkunft des verwendeten Vergleichsmusters Woher stammt dieses auffällige Vergleichsmuster von HH II? Hier ist nocheinmal an die bereits oben erwähnten Vergleiche aus dem Hohenlied zu erinnern: 2,2 wie die Lilie unter den Domen, so ist die Freundin unter den Mädchen; 2,4 wie der Apfelbaum unter den Hölzern, so ist der Geliebte unter den Söhnen. In beiden Vergleichen aus dem Hohenlied geht es darum, daß einer die anderen überragt. Wir haben also hier dasselbe Vergleichsmuster vor uns, wie es in HH II vorliegt. Wenn oben gezeigt wurde, daß das Dorngebüsch und die Lilie für die Marienlyrik von großer Bedeutung wurden - wie Beispiele mit Berufung auf das Hohelied deutlich genug zeigen —, so gilt das auch für das zweigliedrige Vergleichsmodell an sich, wie unzählige Beispiele klar machen können (Salzer 186,27f. [Drev.anal.I ft

hym. IV,47,2] Sicut rosa inter spinas, sic tu interfilias usw.) . Die Frage nach der Herkunft des Vergleichsmusters in den Str.37 und 38 von HH II zu stellen, bedeutet in einem gewissen Sinn nach der Entstehungsweise dieser Strophen überhaupt zu fragen. Zwar stellen diese Strophen einen Totenpreis dar, und es ist anzunehmen, daß dieser ältere Wurzeln hat; dennoch ist klar, daß diese zwei Strophen nicht nur einen Totenpreis im gewöhnlichen Sinn darstellen; sie sind auch Liebesdichtung, und zwar so ekstatisch und hymnisch, wie es sonst im Altnordischen nicht zu finden ist. Dazu kommt, daß eine Frau, die Geliebte (und Helgis Frau), spricht. Wie gezeigt, ist das Vergleichsmuster mit einem im Hohenlied verwendeten identisch, dazu kommt die übereinstimmende Verwendung 18

Zweigliedrige, eine Relation — Überlegenheit über andere — ausdrückende Vergleiche gibt es z.B. im NL, d.h. in der mittelhochdeutschen Heldenepik, so 283,1-3: Wie der Mond die Sterne überstrahlt, so übertrifft Kriemhild viele vornehme Frauen. Zu diesem Vergleich besteht allerdings eine schlagende Parallele bei Ovid (Fritz Peter Knapp: Similitas. Bd.1/1. Wien/Stuttgart 1975. S. 207. Anmerkung 65). In unserem Zusammenhang ist auf alle Fälle aus den oben angeführten Gründen das Hohelied als Vorbild anzusehen. Lange nach Abschluß dieses Kapitels bemerkte ich, daß Klaus von See: Germanische Heldensage, Frankfurt 1971, S. 40f. in Zusammenhang mit den Vergleichen der Gudrunlieder auf das Hohelied und weitere — mittelalterliche — geistliche Dichtungen verweist. Er spricht dabei von "literarischen Entleihungen und Querverbindungen". Diese Formulierung zeigt, daß von See die grundlegende Bedeutung der geistlichen Dichtung für die Heroische Elegie verkennt. Er hat auch nicht gesehen, daß HH II hier einzubeziehen ist, ebenso ist ihm die weit zurückreichende Verankerung des Hirschvergleichs im Altnordischen (hier im umfassenden Sinn gebraucht), wie sie durch Saxo (Bjarkamäl, Hrölfr kraki) deutlich wird, entgangen.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

von Dorngebüsch und Baum zum Vergleich. Der Geliebte wird überdies im Hohenlied ebenfalls mit einem Hirsch verglichen, allerdings auf viel einfachere Art als in HH II (2,9 similis est dilectus meus capreae, hinnuloque cervorum, ebenso in 2,17). Das sind wichtige inhaltliche und formale Berührungspunkte. Ebenso wichtig ist jedoch der übereinstimmende ekstatische Ton; es liegt deshalb nahe zu denken, daß sich der Verfasser vom Hohenlied inspirieren ließ. Auch wenn das Hohelied im Mittelalter in erster Linie Gegenstand geistlicher Deutung und Darstellung war, so gibt es dennoch auch Beweise für seine profane Verwendung; so hat z.B. Venantius Fortunatus, Bischof von Poitiers, einen poetischen Brief verfaßt, in dem die Liebe einer Nonne zu Christus gestaltet ist; hier ist das Hohelied benutzt, auch wenn die Heroides des Ovid das Vorbild des Briefes sind 19 . Herde 20 hat die Benutzung des Hohenliedes bis zum 12. Jh. dargelegt; sie führt auch einige Beispiele für profane Verwendung im 12. Jh. an. In unserem Fall handelt es sich dabei nicht darum, einen das Hohelied profan verwendenden Verfasser zu finden, der das Vorbild für HH II abgegeben hätte, sondern man muß sich vorstellen, daß ein Isländer das Hohelied selbständig für die Schöpfung von HH II 37 und 38 verwendete 21 . Das oben Dargelegte zeigt, daß hinter den Vergleichen fremde Vorbilder bezüglich Inhalt und Form stehen. Klar ist auch, daß es sich bei diesen Strophen um späte Schöpfungen handelt.

Totenpreis von Gör.I; geirlaucr, itrlaucr Was den Totenpreis in Gör.I Str. 18 anbelangt, der Guörun in den Mund gelegt ist, so ist oben 22 bereits gezeigt worden, daß die ganze Passage, Str. 18-22, in Anlehnung an HH II gesehen werden muß. Der Totenpreis der Guörun ist allerdings viel einfacher, und er umfaßt nur eine Strophe. Die erste Halbstrophe entspricht dem in HH II Str.38 benutzten Vergleichsmuster: Str. 18,1-4

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Svä var minn Sigurdr hiä sonom Giüca, sem vceri geirlaucr or grasi vaxinn.

Franco Munari: Ovid im Mittelalter. Zürich/Stuttgart 1960. S. 7; Wolfgang Schmid: Ein christlicher Heroidenbrief des sechsten Jahrhunderts. Köln und Opladen 1959. S. 253ff. Rosemarie Herde: Das Hohelied in der lateinischen Literatur des Mittelalters bis zum 12. Jh. M ü n c h e n e r Beiträge zur Mediaevistik- und Renaissance-Forschung. Bd.3. Spoleto 1986. S. 103ff. Z u r Kenntnis des Hohenliedes s. auch oben S. 80; das Hohelied wird auch an anderen Stellen zitiert, z.B. in der Mar.s. 6,9. S. S. 5ff.

Totenpreis in HH II, Gör. I und Gör. II

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Der Vergleich unterscheidet sich insofern von HH II, als das Überragen hier in Gör.I als das Ergebnis des Herauswachsens aus dem Gras gestaltet ist. Entsprechende Beispiele — nicht mit Gras, sondern mit spina — weist die lateinische Marienlyrik auf: Salzer 186,9 (Sedul.carm.pasch. l.II, v.28 [p.46]) velut e spinis mollis rosa surgit acutis; 186,16 (Drev.analect.hym.il,72,6) ut α Stirpe spinea mollis rosa pullulat oder 166,16 (Theodot.Ancyr.or. in Chr.nat. § 11) sicut lilium inter spinas germinans. Eine große Schwierigkeit bereitet noch immer das Substantiv geirlaucr. Daß in der Skaldik Komposita wie blöd-, imun-, särlaukr usw. als Kenningar für "Schwert" benutzt werden, ist bekannt. Bei den Vergleichen in Gör.I (und Gör.II) handelt es sich jedoch eindeutig um eine Pflanze. Lauer kann in allgemeinem Sinn als "Kraut" verwendet sein, wie in Vsp.4,8. In Sd.8,3 bedeutet der Ausdruck offenbar ein Schutzmittel gegen mit "Unheilsstoff" (Kuhn ) vermischten Met. Bei laukr handelt es sich anscheinend um eine geschätzte, viel verwendete Pflanze. "Lauch", ein gemeingermanisches Wort, wurde nach Marzeil 24 ursprünglich für verschiedene Alliumarten, später vorzüglich für Allium Porrum gebraucht. Daß jedoch laukr im Altnordischen keine spezifische Bezeichnung war, geht daraus hervor, daß es z.B. auch den Ausdruck nattlaub g&b (erwähnt in einem Medizinalbuch [Prever 471,9], das nach Gislason aus der zweiten Hälfte des 13. Jhs. stammt), worunter eine Orchideenart (Waldhyazinthe [Plantathera bifolia]) zu verstehen ist. Bezüglich geirlaucr ist bereits 1881 eine Deutung — ohne weitere Begründung — vorgetragen worden, nach der dieser Ausdruck (und itrlaucr in HH 17,8) eine Schwertlilie bezeichne. Man kann in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das Muster des Vergleichs in Gör.I dem entspricht, wie es z.B. im Hohenlied für die Freundin und in der Marienlyrik für Maria benutzt ist. Man kann ferner darauf hinweisen, daß die Lilie, ein häufiges Attribut Marias, u.a. als Zeichen ihrer Macht, auch ein altes Königssymbol ist, und zwar nicht nur der französischen Könige, so wird im KLNM darauf aufmerksam gemacht, daß von Alfred dem Großen (871-901) eine Zepterspitze mit einem Lilienbaum bewahrt ist. Auf einer Münze, die Knut der Große in England prägen ließ, trägt er eine Lilienkrone und ein Lilienzepter. Ebenso trägt Sverrir auf den Münzen eine Lilienkrone, wie denn im erwähnten

23 24 25

26 27

Kuhn Wb. S. 139 (meinblandinn, Beiwort zu miQÖr). Heinrich Marzeil: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Leipzig 1943. B d . l . Sp. 205. Fritzner IV S. 251. Fritzner I S. 826 führt auch einen, soweit ich sehe, bis heute unerklärten hjältnlaukr (Flöam. 24 [ 146,11 ]) an. Weiter wird im Norwegischen Homilienbuch 190,6 graslaucr erwähnt — oc var sü hin auma gran sem graslaucr (die Bezeichnung grttslog usw. existiert heute noch mit der im folgenden angegebenen Bedeutung im skandinavischen Bereich) —, vermutlich in der Bedeutung von "Schnittlauch" (Allium Schoenophrasum). J.G.H.Kinberg: Eddans naturhistoria. Stockholm 1881. S. 30. KLNM 10 Sp. 557ff„ mit Hinweis auf Maria.

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Die einzelnen Elegien und ihr Umkreis

Artikel gesagt wird, daß die Königskronen im Norden Lilien aufwiesen. Damit kann man sich fragen, ob nicht in HH I 7,8 unter itrlaucr eine Lilie oder ein Lilienzepter zu verstehen ist; auch im Vergleich von Gör.I selbst wäre die Interpretation von geirlaucrals Lilie sinnvoll. Hier ist weiter daraufhinzuweisen, daß lilja im Altnordischen ein spätes Lehnwort ist, das dem Altenglischen oder Mittelniederdeutschen entnommen ist . Es gab also im Altnordischen lange keine Bezeichnung für Lilie; so wurde noch im Stockholmer Homilienbuch 166,26 für die Wiedergabe von lilium eben dieser lateinische Begriff gesetzt. Die Belege, die Fritzner 30 für lilja anführt, stammen alle aus der norwegischen Übersetzungsliteratur; einer davon ist der Tristr.s. (1226) entnommen. Wenn dem Vergleich in Gör.I 18,1/2 eine Lilie zugrunde gelegt werden sollte, stellte sich das Problem der Bezeichnung. Auch wenn, bei spätem Ansatz von Gör.I, der Gebrauch von lilja vielleicht möglich gewesen wäre, hätte sich bei diesem Wort das Problem des Stabreims gestellt, wenn man lilja in einem Vergleich, wie er in