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German Pages 366 [368] Year 1991
Thomas Sören Hoffmann Die absolute Form
w DE
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Die absolute Form Modalität, Individualität und das Prinzip der Philosophie nach Kant und Hegel von
Thomas Sören Hoffmann
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1991
Als Dissertation mit Genehmigung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
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Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Hoffmann, Thomas Sören: Die absolute Form : Modalität, Individualität und das Prinzip der Philosophie nach Kant und Hegel / von Thomas Sören Hoffmann. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-11-012875-6
© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, D-1000 Berlin 30 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61
Vorwort Die vorliegende Untersuchung handelt von der Form der Philosophie. Im Ausgang vor allem von den Themen Modalität und Individualität bei Kant und Hegel soll die nähere Bestimmtheit der philosophischen Idee und Methode kriteriell erfaßt werden. Darin liegt zunächst, daß die Absicht nicht auf einen bloß historischen Vergleich geht. Gemeint ist aber auch nicht, daß die beiden Denker unter ihnen äußere Fragehinsichten gebracht werden sollen. Es soll vielmehr versucht werden, beide zu Themen, die die ihren sind, das Ihre in möglichster Prägnanz so sagen zu lassen, daß von diesen Themen her dann zugleich die jeweilige Formbestimmtheit des Philosophierens erkennbar wird. Die Frage nach einer in der Sache bestimmbaren Beziehung der beiden Denker, aber dann auch die Frage der Sache selbst können erst in bezug auf diese Bestimmtheit eigentlich beantwortet werden. Die Verbindung der Problemkreise von Modalität und Individualität in außerdem methodologischer Absicht mag vielleicht nicht unmittelbar plausibel scheinen. Ich möchte deshalb den wichtigsten Aspekt des — freilich erst in der Durchführung zu rechtfertigenden — Methodenbegriffs, wie er hier zugrundeliegt, vorab benennen. Die Methode muß philosophisch statt als Regulierung der Sprache auf größtmögliche Allgemeingültigkeit hin umgekehrt als Bewegung aus den äußeren Allgemeinheiten in die Individualität, d. h. den eigentlichen Ort des Erkennens hinein verstanden werden; sie muß sich dabei als der Weg zu einem des Selbstbewußtseins der Wahrheit durchgängig fähigen individuellen Sprechen erweisen. Der „modale" Aspekt betrifft sodann die Bestimmung der tätigen Formierungsweisen des Objektiven, in denen die Rücknahme des allgemein und objektiv bestimmt Scheinenden in das sich individualisierende Sprechen vermittelt ist — eine Rücknahme, die ebenso das individualisierende Aussprechen des Objektiven ist. Die Arbeit hat im Sommer 1990 der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn als Dissertation vorgelegen. Sie entstand bei Herrn Professor Dr. Josef S i m o n , dem ich außer für verschiedenste motivliche Anregungen auch für die gewährte
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Vorwort
Freiheit bei der Anfertigung der Untersuchung einen besonderen Dank aussprechen möchte. Herr Professor Dr. Gerhart S c h m i d t , der Zweitgutachter, hat der Arbeit gleichfalls von Anfang an wohlwollende Anteilnahme und Unterstützung bezeigt, wofür ich herzlich danke. Die Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen und dann die Studienstiftung des deutschen Volkes haben die Anfertigung der Studie durch ein Promotionsstipendium unterstützt; der Förderfonds Wissenschaft der VG WORT in München gewährte einen großzügigen Druckkostenzuschuß. Den drei Institutionen gilt mein aufrichtiger Dank. Bonn-Geislar, im Frühjahr 1991
Thomas Sören Hoffmann
Inhalt Vorwort
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Einleitung 1. 2. 3. 4. 5.
Die Philosophie und ihr Thema Form als Verhältnis: Präliminarien Zur Form des Schlusses Äußere Reflexion Bewußtheit und Erscheinung
1 8 13 21 27
Erstes Kapitel Kant und Hegel 1. Kritik und System 2. Von Kant zu Hegel? 3. Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Sprache
42 54 77
Zweites Kapitel Absolute Individualität 1. Individualisierung des Erkennens a) Die absolute Inversion b) Das unendliche Urteil c) Das Erkennen als Prozeß und Definition 2. Unterwegs zum Prädikat a) Die Realität der Wahrnehmung b) Die Kategorien und der Kontext der Erfahrung c) Das transzendentale Ideal 3. Hegels Kategorie des Absoluten a) Das Absolute in der Logik b) Die Auslegung des Absoluten c) Das absolute Attribut d) Der Modus des Absoluten
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Vili
Inhalt
Drittes Kapitel Kants Modalbegriffe 1. Logische versus ontologische Modalität a) Zu Kants Begriff des Logischen b) Kant und die Geschichte der Modallogik 2. Die Differenzierung der logischen Modalität a) Die logische Möglichkeit b) Die logische Wirklichkeit (Wahrheit) c) Die logische Notwendigkeit d) Logische Modalität und Einheit des Denkens überhaupt 3. Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt a) Der Status der Modalgrundsätze b) Das Postulat der Möglichkeit c) Das Postulat der Wirklichkeit d) Das Postulat der Notwendigkeit 4. Absolute Modalität
211 214
...
227 232 235 238 242 249 258 264 273
Viertes Kapitel Hegels Logos der Wirklichkeit 1. 2. 3. 4. 5.
Wirklichkeit und sprechende Sprache Zufälligkeit und ihre formelle Auslegung Relative Notwendigkeit oder inhaltliche Wirklichkeit Absolute Notwendigkeit Absolutes Verhältnis a) Substantialität b) Kausalität c) Wechselwirkung 6. Die Wissenschaft der absoluten Form
278 286 296 307
Literaturverzeichnis
340
Personenregister
349
Sachregister
352
322 328 335 338
Einleitung 1. Die Philosophie
und ihr Thema 5ià y à p τ η ν α λ λ ή λ ω ν τ ω ν ειδών συμπλοκή ν ό λόγος γ έ γ ο ν ε ν ήμΐν. Platon, Soph. 259 e ό λόγος σάρξ έγένετο. Εν. Joh. 1, 14
Was Philosophie sei mit Bestimmtheit zu wissen, ist selbst philosophische Wissenschaft. Es ist das Wissen der sich selbst expliziten Idee der Philosophie, das Sich-Wissen des Wissens in einem Außereinander seines Anfangs und seines Endes, aus welcher Differenz die Bestimmtheit des Wissens, aber nicht eines Wissens „über etwas" folgt. Das Wissen der Philosophie um sich selbst gibt nicht einem bloß passiv Gewußten eine Bestimmtheit, sondern ist nichts als Tätigkeit der Idee, die sich als ihren Inhalt schafft und durchdringt, die Momente des Anfangs und Endes trennt und wieder zusammenfaßt und nur in bewegtem immanentem Gegensatz der Form dieser bestimmte, aus ihr selbst heraus sich zeigende Inhalt ist. Man muß daher, um wissen und sagen zu können, was Philosophie sei, nicht bestimmte Inhalte zu benennen, sondern überhaupt sich auf Inhalt in anderer Form zu beziehen in der Lage sein, als es im nichtphilosophischen Wissen geläufig und gefordert ist. Als nicht einfach Besonderes, sondern als ein Sich-Besondern verlangt die Philosophie eine durchgängige Individualisierung ihrer Form und Sprache, mit der die Meinung, daß etwas rein Passives, Positives und entsprechend immer nur Aufzunehmendes jenseits des Sprechens sei und bleibe, nicht bestehen kann. Während dergleichen äußere und abstrakte Seiende in demselben Maße, als sie der absoluten Besonderung durch die Form des Wissens widerstehen zu können scheinen, das Verhältnis zu ihnen entsprachlichen, ist es die Aufgabe der Philosophie, gegen das scheinbar nur Unmittelbare und Allgemeine gerade die sprachlich-vermittelnde Macht und das absolute Sich-Verhalten ihrer Idee oder Form zur
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Einleitung
Geltung zu bringen — einer Form, die ihre Stärke darin hat, Differenzen als Selbstvermittlungen darstellen zu können und so aus aller Sprache auf die sprechende Tätigkeit zurückzukommen. Einzelwissenschaften werden gewöhnlich bestimmt, indem man ihr bestimmtes Thema angibt. Der Inhalt der philosophischen Sprachform kann demgegenüber kein von ihr selbst verschiedenes Thema sein. Themen von Wissenschaften sind von diesen als formalen Vermittlungen verschiedenes Äußeres, „bezeichnen" eine „äußere Realität", die, eben weil sie äußerlich ist, beliebig viele Themen für beliebig viele Wissenschaften, die ein äußeres Thema haben, bereithält — für Wissenschaften, die, weil sie ein äußeres Thema haben, zugleich selbst sich äußerlich sind, zufallige Fortschritte machen und immer nur gegenwärtiger Forschungsstand sind, welcher binnen kurzer Frist nur noch von historischem Interesse, d. h. in die Äußerlichkeit der Zeit zurückgesunken ist. Die Philosophie macht keinen Anspruch, in diesem Sinne überhaupt ein Thema zu haben. Was man allenfalls als ihre Gegenstände angeben könnte: die Themen der alten Metaphysik etwa, die Lehre vom Begriff, vom Urteil und überhaupt von den Formen der Wahrheit sowie diese selbst, alles dieses zeigt schon an ihm selbst, daß es jedenfalls nicht nur keine „äußere Realität", sondern auch (wie zumindest die nicht-dogmatische Philosophie weiß) gar nicht erst positivierbar ist. Diese „Themen" hat die Philosophie nur, indem sie sich ganz in ihnen hat, indem sie die Differenz der Thematisierung selbst als Sich-Be^iehen der Negativität, indem sie das thematisch Bestimmbare als im absolut-individuellen Bestimmen verhalten erkennt. Die Philosophie einigt durch ihre Form die Thematisierung und deren Differenz mit sich selbst. Mit der Verfaßtheit der philosophischen Sprachform, in der sich das Ganze oder die Idee der Philosophie explizit wird, hängt es zusammen, daß es in der Philosophie die Hast und Unruhe der Einzelwissenschaft, aber auch das weltanschauliche Ungestüm nicht geben kann. Beides kommt je aus einem äußeren Drang, die Sache zu zwingen, sie nämlich zu „etwas" zu zwingen, das sie sein soll, um etwas anderem zu genügen. Die Philosophie ist dagegen dem gegenüber, was sie wahrhaft als Sache erkennt, rein geduldig, und sofern subjektive Affekte geeignet sein können, Formmerkmale des Begriffs zu bezeichnen, kann als auszeichnendes Merkmal der philosophischen Sprachform in der Tat die „Geduld des Begriffs" angegeben werden 1 . Die Philosophie, die so nicht durch eine äußere (ζ. B. 1
Cf. G. Lebrun, La patience du concept, Paris 1972, der diesen Aspekt mit Grund von
Die Philosophie und ihr Thema
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technische oder ideologische) Absicht auf „etwas" oder „etwas anderes" schon beim ersten Hinblick von der eigenen Sachlichkeit dessen, was sie in den Blick nimmt, abgelenkt ist, grenzt entsprechend auch nicht von vorneherein bestimmtes Sprechen einfachhin aus, legt nichts schlechthin auf seine Positivität fest, sondern versucht, seine immanente Beziehung auf die Form der Sinn- und Bestimmtheitskonstitution und deren negative Momente überhaupt zu erkennen, um allenfalls von dieser Form her statt äußerlich Kritik zu üben. In der Tradition hat das Wissen um die eigentümliche Form der philosophischen Thematisierung sich in verschiedenen Zusammenhängen so dargestellt, daß dem bestimmten Zum-Gegenstand-Haben ein absolut Schließendes der philosophischen Form zugeordnet werden können mußte. Nach Piaton lehrt erst das μέγιστον μάθημα der Idee des Guten die Dinge in ihrer wahren Bestimmtheit erkennen; bei Augustinus ist es die Form der göttlichen Subjektivität, die, selbst kein „ D i n g " , alles bestimmte Erkennen erleuchtet und immanent schließt. „ N o u s voyons toutes choses en Dieu", sagt noch Malebranche, der damit die Bedeutung der dritten Cartesianischen Substanz auffaßt, als die andere Subjektivität der bestimmten Subjektivität das Schließende der subjektiven Vorstellungen zu sein. Wenn indes noch Schelling meint, „alles" lasse „sich nur darstellen im Absoluten" 2 , so ist dabei allerdings die Frage, wie sich dieser Rekurs auf das schließende Absolute nach der inzwischen stattgehabten Kantischen Kritik wohl selbst verstehen kann. Denn das Resultat der Kritik ist in Beziehung auf ein ohne weitere Umstände in Anspruch zu nehmendes Absolutes offenbar rein negativ und besagt, daß man das Absolute jedenfalls in keinem Urteil mit Anspruch auf transzendentale Realität aussagen und es entsprechend, da das Urteil im Vollzug die Form des objektiven Ponierens ist, auch nichts objektiv zu Setzendes sein kann. Allerdings weist die Kritik 3 so erst nur darauf hin, daß das Urteil nicht die Form der sprachlichen Vermittlung des Absoluten sein kann, während andere Formen zunächst offenbleiben könnten. Wir haben nach Kant „das Unbedingte,
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Hegel her entwickelt. Die verständigen Vorstellungen von „Referenz", „ B e d e u t u n g " oder auch der Gedanke einer „information dite philosophique" (14) werden in diesem Zusammenhang zurückgewiesen. Cf. SW IV, 315. Z u m ursprünglich ästhetischen Begriff der Kritik und zu seinem Zusammenhang mit dem Urteilsproblem gegenüber dem Individuellen cf. A. Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und L o g i k des 18. Jahrhunderts, Darmstadt 1981 (Nachdr.), bes. 96 ff.
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Einleitung
welches die Vernunft in den Dingen an sich selbst notwendig und mit allem Recht ... als vollendet verlangt" 4 , in der Idee. Kants Begriff der Idee ist, in Kürze gesagt, derjenige eines Verhältnisses von Erfahrungsurteilen zur Totalität der einen Erfahrung. Logisch ist ein Verhältnis verschiedener Urteile zur Einheit als Schluß dargestellt. Den Unterschied der Urteilsund der Schlußform betreffend bemerken wir zunächst nur, daß das Urteil als die Form, in der über etwas auf Grund von etwas anderem gesprochen wird, seine Wahrheit und Erfüllung gerade darin hat, daß es sich von sich heraus in Anderes überhaupt — das Thema, über welches als durch das Urteil objektives auch wieder anders (in anderen Urteilen) gesprochen werden kann, und in den Grund, das innere Andere des Urteils — abstößt, während der Schluß in seiner Wahrheit bei sich selbst bleibt — er schließt das weitere Sprechen ab und aus und ist so das wirkliche Verstehen der Sache, die damit gedacht und seiend und kein einfaches Äußeres mehr ist. Der Schluß kommt nicht erst zur Reflexion der Andersheit, sondern hat sie schon in seinen mehreren Prämissen ausgedrückt und als einfache Negation der Verhältnishaftigkeit auch überwunden; es zeigt sich, daß die Andersheit für den Vollzug der Schlußform nicht etwa die Instanz eines unterschieden bleibenden äußeren Inhalts, auch nicht die Instanz der anders bestimmten Form, sondern notwendiges Formmoment seiner verhaltenden Tätigkeit selbst ist 5 . Der Kantische Schluß der Idee beansprucht allerdings keineswegs, daß das Absolute in ihm abschließend ausgesprochen sei. Es bleibt bei ihm, wie man weiß, bei einem Bruch zwischen Sollen und Sein der Idee, zwischen dem Schluß als nur-idealer Konstruktion des Absoluten und dem ausstehenden Beweis der realisierten Idee. Die Idee ist bei Kant wesentlich geurteilt. Das stellt sich so dar, daß Erfahrungsurteile, welche die Idee in sich verhält, einerseits kein bloßes (äußeres) Anderes der Idee sind, sondern an dieser überhaupt ihre allgemeine Form haben, insofern sie nämlich nicht isolierte, unbezogene Ausdrücke, sondern schon Momente des Kontextes der Erfahrung und gleichsam jeweils Ableitungen der Idee der Erfahrung für eine bestimmte Stelle in ihr sind; daß andererseits aber dieser Kontext selbst der Bestimmtheit der Beziehung in ihm nach immer noch erst zu realisieren aufgegeben und insofern die Erfahrung immer 4 5
KdrV Β X X . Das Festhalten der isolierten Bestimmtheiten der Prämissen gegen den Schluß würde dagegen nur einer äußeren Reflexion (dem nicht-schließenden Denken schlechthin) angehören, die den Schluß entsprechend auch nicht als Definition seines Inhalts begreifen und sich selbst allen bestimmten Inhalt nur gegeben sein lassen kann.
Die Philosophie und ihr Thema
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noch erst zu machende bleibt. Die ursprüngliche Kontextualität der Erfahrungsurteile und das unmittelbare Dasein der Idee an ihnen wird sich in den Modalitäten Kants zeigen, an denen auch die Schlußförmigkeit aufgewiesen werden kann; sie schließen den Erfahrungsgegenstand dadurch gegen seine objektive einfache Fortbestimmung ab, daß sie ihn in „subjektiv-synthetischer" Funktion auf den Horizont oder Kontext des bestimmenden Verstandes zurückbeugen. Was immer wir bestimmt wissen, wissen wir nach Kant in der Form des „empirischen Denkens überhaupt", einer Form, die selbst nicht möglicher Gegenstand, sondern nur Bedingung alles gegenständlichen Wissens sein kann, als bedingend aber auch am einzelnen Gewußten als dessen Bezogensein auf den ideellen Inbegriff markiert ist. In der Verschränkung der geurteilten Idee ist somit einerseits überhaupt ausgesprochen, daß wir nichts ideenlos verstehen und das einzelne Urteil an sich selbst schon über sich hinaus ist (nämlich nichr nur beim Gegenstand, sondern auch bei der Form der Gegenständlichkeit und des objektiven Urteilens überhaupt, d. h. schon bei potentiellem anderem Urteilen); andererseits „existiert" die Idee an den faktisch vermittelten Erfahrungsgegenständen sich äußerlich, so daß sie nur in einer gesollten und als unendlich vorgestellten Vermittlung sich wieder aus dieser Äußerlichkeit resümieren könnte und absolute Einheit des Inneren und des Äußeren wäre. Kant weiß grundsätzlich darum, daß der Begriff des Absoluten, in dem diese beiden, wenn man so will „Cartesianischen Pole" des Inneren und des Äußeren aufgehoben und schlechthin vermittelt sind, „ohne großen Nachteil aller transzendentalen Beurteilung nicht entbehrt werden kann" 6 . Dennoch behandelt die transzendentale Dialektik diesen Begriff als antinomisch und als einen Schein, in dem sozusagen das Wesen des erscheinenden Endlichen nur als unendliche Einheit widerscheint, ohne wirklich zu sein. Zwischen Idealität und Realität der geurteilten Idee gibt es keinen schließenden Schluß, und die Philosophie kommt darauf hinaus, diese unmittelbare Differenz als solche auszusprechen und zu affirmieren 7 . 6 7
K d r V Β 380f./A 324. Wir werden uns damit zu befassen haben, inwieweit die KdrV im ganzen als zwischen den Extremen der transzendentalen Apperzeption (reale Unmittelbarkeit der Idee) und des transzendentalen Ideals (ideale Vermitteltheit der Idee) aufgespannte Vermittlung zu begreifen ist. — Schleiermachers Dialektik, die übrigens in weit größerem Maße als Kants Transzendentalphilosophie „Reflexionsphilosophie" im Sinne Schellings und Hegels genannt zu werden verdient, kann in gewisser Weise als die ausgeführte Urteilung der Idee bei gleichzeitigem Verzicht auf die spezifisch Kantische Vermittlungsform angesehen werden. Schleiermacher unterscheidet die vorausgesetzte unmittelbare Totalität (des „Gefühls") als „terminus a quo" des Wissens von der unendlich aufgegebenen vollständigen
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Einleitung
Immerhin könnte eine nähere Betrachtung zwischen der vorausgesetzten Idee, insofern sie nur die Möglichkeit der Erfahrung darstellte und als solche in der transzendental-philosophischen Reflexion explizit würde, und der aufgegebenen Idee des aufgehobenen Unterschieds von Potentialität und Aktualität der Erfahrung, die dialektisch die abschließende Notwendigkeit einer rein selbstvermittelten Erfahrung ausspricht, noch das aktuale Machen der Erfahrung isolieren, das weder vorausgesetztes Daß noch zu setzendes Was, sondern Setzen und dieses als wirkliche Mitte der Empirie wäre. Man könnte dann auch unter Kantischen Prämissen die Idee als gan%e zumindest als Moment ihrer seihst aufweisen und in diesem Totalitätsmoment zugleich die Einheit des philosophischen Themas erinnert sehen 8 . So könnte etwa von einigen Überlegungen Kants im Opus postumum aus für die Affektion gezeigt werden, daß sie sicher nicht ein einfaches Unmittelbares, eine „harte Realität", sondern ein in sich vermitteltes Ganzes, das in nuce schon den Schluß der ganzen Erfahrung enthält, meinen muß. Wir begnügen uns hier mit dem Hinweis, daß die Kantische Philosophie an verschiedenen Stellen auf das eigentlich Mediatisierende, auf die absolute Vermittlung gezeigt hat, ohne sie jedoch als solche vollständig ins Thema erheben zu können. Dies letztere zu tun, hätten indes Schelling und Hegel als eigentliche Aufgabe der Philosophie angesehen. Ihr Anspruch, wie er sich in den gemeinsamen Jenaer Jahren artikulierte, bedeutete nichts Geringeres als den Versuch, bei Beibehaltung des Kritischen der Kritik und ohne Rückfall
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Vermittlung der Welt im Wissen als „terminus ad quem". Beide Ideen sollen transzendent sein, und zwar merkwürdigerweise sowohl dem Denken als auch dem „wirklichen Sein". Die unmittelbare Idee oder die Idee Gottes soll zwar für sich „absolute Einheit", gleichwohl aber auch einerseits „transzendenter Grund" von Denken und Sein, welche sie begleitet, andererseits als Grund nie wirklich zu denken sein. Die absolute Einheit wird demnach vorgestellt als zugleich außerhalb von Denken und Sein gelegen und als dem Denken unmittelbar; ferner als in sich undifferenzierte Einheit, die dennoch kontingentes, d. h. mannigfaltiges Denken begleiten können soll. Die formellen Widersprüche der Konzeption sind eklatant. Cf. Friedrich Schleiermachers Dialektik, ed. R. Odebrecht, Darmstadt 1976 (Nachdr.), bes. 306 f. Cf. zur Ausführung einer solchen Auffassung den Versuch G. Wohlfarts, Zum Problem der transzendentalen Affinität in der Philosophie Kants, in: Akten des 5. Int. KantKongresses, Bonn 1981, 313 — 322, wo für den Gedanken der wirklichen Idealität der Erfahrung die zu unterstellende Zweckmäßigkeit des Feldes der erscheinenden Gegenstände herangezogen wird (bes. 315 f., 317). — Für uns wird Kants Terminus für das zweckmäßige Feld der Erscheinungen, der des „Kontexts der Erfahrung", der idealen Vermittlungstotalität alles einzelnen Objektiven,wobei diese Zweckmäßigkeit materialiter nicht angebbar ist, sondern nur als Form des subjektiven Bestimmungshorizonts in den Blick kommt, noch seine Rolle spielen. Cf. unten S. 154ff.!
Die Philosophie und ihr Thema
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in — mit Kant zu reden — „dogmatisches Gewäsche" 9 — den Durchbruch durch ein bloßes Zeigen auf die wirkliche Ganzheit der Idee zu erreichen und dabei der Philosophie eine ursprüngliche Konstitution von Bestimmtheit in der Rückkehr aus der sich schließenden Idee wiederzugeben statt die Konstitution realer Bestimmtheit grundsätzlich an die totalitätslosen Einzelwissenschaften abzutreten. „Die Philosophie hat nämlich als die Wissenschaft der Wahrheit das unendliche Erkennen oder das Erkennen des Absoluten zum Gegenstande" — so konnte etwa Hegel programmatisch formulieren 1 0 . Freilich wird man den Aufschluß über das innere Recht einer Wiederaufrichtung des philosophischen Themas bzw. der philosophischen Form der Thematisierung nach Kant nicht schon im Programm, sondern in seiner Durchführung finden können müssen. Was diese betrifft, so findet sich ihr Anspruch in einem Ausdruck zusammengefaßt, den Schelling und Hegel in spezifischer Bedeutung in Gebrauch bringen und der, wie sich aus dem Erfolg zeigt, in der Tat dazu angetan war, emblematisch für die Überwindung der Kantischen — und zunächst auch Fichteschen — bestimmten Aposiopese des Absoluten zu stehen. Dieser Ausdruck heißt: „die absolute Form" 1 1 .
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Cf. Prolegomena AA IV, 366. Zitiert nach K. Rosenkranz G. W. F. Hegels Leben, Darmstadt 1977 (Nachdr.), 190. Das „Kritische Journal" wird von Schelling und Hegel mit der Willensbekundung zum „Durchbruch zur reinen Formlosigkeit, oder, was dasselbe ist, zur höchsten Form" eröffnet (SW III, 515/2, 175). Schelling nennt im selben Jahr 1802 noch „die absolute Formlosigkeit ... die höchste, die absolute Form"; so in der „Philosophie der Kunst" (SW III, 485), die für seine Verwendung des Terminus „absolute Form" überhaupt wichtig ist (cf. III, 410. 418. 427. 495 f. 498). Bei Fichte begegnet der Ausdruck „absolute Form" in der „Darstellung der Wissenschaftslehre" (1801), §§ 8 f. ( W W II, 18. 19 f.; zuerst in dieser Ausgabe publiziert!), dort jedoch nur respective auf das „absolute Wissen" (im Fichteschen Verstände), zumal als das „eigentliche innere Wesen des Wissens" und im Unterschied zu seiner „absoluten Materie" (ibd.); der Sache nach wichtig und grundsätzlich auf die (z. B.) schlußlogische Interpretation der absoluten Form beziehbar ist allerdings Fichtes Bestimmung, daß „das sich Durchdringen, ganz davon abgesehen, was sich durchdringe, die absolute Form des Wissens"sei (19), denn das Schließende des Schlusses kann unmittelbar genommen in der Tat als eine solche Permeation und ττερ ι χ ώ ρ η σ ί ζ bezeichnet werden. Der Unterschied zwischen Fichtes und Schellings wie Hegels Sprachgebrauch ist indes in Kürze gesagt der, daß die Letzteren den Begriff „absolute Form" grundsätzlich auch absolut verwenden. Er begegnet in den Journalaufsätzen mehr oder weniger regelmäßig; besonders aufschlußreich ist sein Gebrauch in Hegels Naturrechtsaufsatz (cf. etwa 2, 436; 437; 464 im Zusammenhang mit dem kategorischen Imperativ; 481 für die „sittliche Totalität" von Völkern; 502 für die Intelligenz). Was Schellings spätere Verwendung des Terminus betrifft, so wäre etwa auf die nachgelassenen Stuttgarter Privatvorlesungen von 1810 zu verweisen, w o an einer nicht unwichtigen Stelle der Entwicklung als die wesentliche, aber gesetzte Identität A = A, die die materiell-quantitativen Differenzen der als Subjekt-Objekt-Gegensatz ausgespro-
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Einleitung
2. Form als Verhältnis:
Präliminarien
Die Form ist nach einem zusammenfassenden logischen Ausdruck Hegels „das vollendete Ganze der Reflexion"12. Die Negativität des Denkens konzentriert sich als Form als in sich reflektierte Totalität in ein Inneres, das sich zugleich als einfaches Inneres oder Nur-Denken als aufgehoben am Äußeren oder Nicht-Denken weiß. Daß die Reflexion um ihr Aufgehobensein am Äußeren weiß, macht gerade ihre Totalität aus, in welcher sie aber zugleich nur dieses Verhalten-zu-Anderem ist und so ihre Momentaneisierung im Verhältnis erreicht. Das Andere des Verhältnisses der Form kann unter verschiedenen Titeln erscheinen bzw. je nach der Differenziertheit des Verhältnisses von verschiedenem Begriff sein. Uberhaupt als Unterschied (χωρισμός) der Form ist es Wesen. Als das Andere der Form qua totalisierter Reflexion oder negativer Einheit der Intensionalität ist es Extension, die Ausdehnung oder das Sich-Äußerlichsein im Sinne einer positiven Einheit: Materie13. Schon Kant hatte die nicht unwichtige Bemerkung gemacht, daß man „in jedem Urteil ... die gegebenen Begriffe", d. h. das außereinander seiende Viele an ihm als solches, „logische Materie (zum Urteile), das Verhältnis derselben (vermittelst der
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chenen Identität (Α = B) in sich auflöst und in das absolute oder ansichseiende Wesen (A) zurückführt, die absolute Form erscheint (SW IV, 318). Aus der Gedoppeltheit der Differenz der absolut-formalen Identität gewinnt Schelling dann Idealität (Α = Β nach A angesehen) und Realität (dasselbe nach Β angesehen) und baut aus beiden die Potenzenlehre auf. Es zeigt sich, daß auf diesem Weg die absolute Form nur eine passive Mitte ist und keinesfalls das, was sie bei Hegel wurde: das „Gefäß" der absoluten Negativität. — Wir weisen für unseren systematischen Zusammenhang, wie er sich ergeben wird, noch darauf hin, daß Hölderlin in den „Anmerkungen zur Antigonae" bei der in der Tragödie gefundenen „vaterländische(n) Umkehr" eine „Umkehr aller Vorstellungsarten und Formen" versteht, wobei es „darauf ankommt, daß jedes, als von unendlicher Umkehr ergriffen, und erschüttert, in unendlicher Form sich fühlt" (Insel-Ausgabe, Frankfurt/M. 1969, Bd. II, 789; cf. auch für den Zusammenhang von „unendlicher Umkehr" und Individualität den Homburger Aufsatz „Das Werden im Vergehen", ed. cit. II. bes. 642). WdL II, 68. Die Beziehung von Negativität und Positivität in der Explikation des Relationspaares Form/Anderes derselben verweist einerseits auf die unmittelbare Herkunft der Form als Bestimmung des Grundes aus dem Widerspruch und damit, wie zumal der Jenaer Hegel erinnert hätte, aus der Unendlichkeit, in welcher von Negativem und Positivem erkannt ist, daß sie „ihre Wahrheit nur in ihrer Beziehung aufeinander" (WdL II, 56) haben; andererseits ist zu bemerken, daß diese Wahrheit wesenslogisch nur erst in der Reflexion erreicht ist und so der Unterschied von Denken und Sein noch ist, sich entsprechend auch in den Seinskategorien von Einem und Vielem darstellend. Die Negativität der Einheit und Positivität der Vielheit (ausdrücklich auch als „Ausdehnung") wird — vielleicht schärfer als in den korrespondierenden Partien der WdL (I, 154 ff.) — in der Jenaer Logik von 1804/5 herausgearbeitet (cf. GW VII, 7 ff.).
F o r m als Verhältnis: Präliminarien
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Kopula) die Form des Urteils nennen" 1 4 könne. Am als Materie bestimmten Anderen des Form-Verhältnisses tritt die Andersheit als solche hervor. Materie ist dann isoliert genommen die daseiende Unbestimmtheit, anschaulich gewendet: das Räumliche im Sinne des realen bzw. realisierbaren Raumes, insofern es der Bestimmung entgegengesetzt ist und es im Bestimmtwerden auch bleibt; die Materie ist das Immer-Anders des bestimmten Sprechens, das selbst nicht bestimmt spricht, sondern „untätig" bleibt. Indes ist ihr Untätigsein nach Hegel an sich „absolute Negativität" 1 5 , also Beziehung auf die entgegengesetzte Tätigkeit als selbst eine Tätigkeit. Insofern spricht die Materie. Sie spricht im Verhältnis der Form und ist dann, ζ. B. im Kantischen Ausdruck, „unbegrenzte Realität" als „Materie aller Möglichkeit", der gegenüber die Form „Einschränkung derselben ... (Negation)" 1 6 ist. Das heißt nicht, daß Materie „etwas" wäre, das auch außerhalb aller Beziehung auf es „identisch" bestünde und nur eben unbegrenzt formierbar sei, sondern es heißt, daß sie die Totalität der Möglichkeit oder das Möglichsein des vollständigen Verhältnisses ist, dessen anderes Moment oder Wirklich!«» die Form wäre. Der Mangel der Unterscheidung von Form und Materie ist nun aber gerade der, daß keiner der beiden bestimmten und relativen Begriffe, in die sich das ganze Verhältnis zerlegt, das Selbstbewußtsein eben des ganzen Verhältnisses auszudrücken vermögend ist und so das Verhältnis selbst, durch das sie ihre Bestimmtheit haben, ein ausgeschlossenes Drittes bleibt 17 . Das Ganze — in diesem Zusammenhang nach Hegel der Grund — bleibt unausgesprochen; das unmittelbare Denken in der Unterscheidung von Form und Materie erreicht entsprechend nicht die Form des philosophischen Thematisierens, in welchem die Begriffe, die es selbst nur benutzen kann, zum Sprechen erhoben, d. h. Momente der absoluten Form wären. In der absoluten Form könnten die relativen Momente nicht nur begrifflos aneinander sein bzw. gedacht werden. Das bedeutet ganz allgemein, daß die absolute Form sich nur auf ein selbstbestimmtes Anderes, das ihr Anderes und jedenfalls nicht ihre unmittelbare Aufhebung ist, 14 15 16 17
K d r V Β 3 2 2 / A 2 6 6 (Hervorhebung v. V f . ) . Cf. W d L II, 73. K d r V Β 3 2 2 / A 2 6 6 ; cf. Β 601 ff./A 573 ff. sowie unten S. 1 6 4 f f . ! Die Grenze des Wesens ist immer, daß der Wesensunterschied seiend gedacht ist und sein soll·, in dem Sein des Unterschieds ist die logische Endlichkeit der Wesensdifferenz gleichsam vorstellungsmäßig deponiert. Das unmittelbare Sein des Unterschieds als solches ist bekanntlich der Schein. Wie der christologische Doketismus, so erreicht das Wesen mit seiner Unmittelbarkeit nur einen Schein-Leib des unendlichen Verhältnisses oder der absoluten F o r m .
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Einleitung
beziehen wird. Schon insofern ist dieses Andere des Formverhältnisses nicht mehr einfach Materie, sondern bestimmtes Anderes der Form oder Inhalt. Der Inhalt überhaupt ist das aus der Materialität zur Bestimmtheit gewordene Andere der Form, Anderes, welches die Form schon an ihm hat und insofern, wenn man so will, Etwas und Anderes (abstrakt also Vielheit und Verhältnis derselben in sich) ist. In diesem Sinne pflegt ζ. B. das, was die gängigen „Materialismen" als Materie angeben, gerade nicht die sich andere Andersheit, sondern bestimmtes Anderes des Denkens, unmittelbare Identität vieler Bestimmungen bzw. der Bestimmtheit überhaupt, d. h. Inhalt zu sein, der indes als solchermaßen Bestimmtes die Beziehung auf die Form nicht verleugnen kann: „der Form gehört überhaupt alles Bestimmte an" 18 . Die relative Form des Inhalts erscheint als solche noch als fürsichseiende Reflexion, als nur die Vermittlung, während das Und, das die Vielheit des Inhalts gleichsam zusammenhält, ihr als Unmittelbarkeit der wesentlichen Beziehung entgegensteht 19 . Das Und ist die als Substrat gleichgültige Identität der relativ-formalen Vermittlung. Ein Denken, das in dieser endlichen Form gefangen bleibt und sich nach ihr selbst versteht, hat entsprechend den Inhalt nicht zu seinem Inhalt, sondern ihn abstrakt und in Erwartung eines Grundes der Beziehung auf ihn nur außer sich; es bekundet vor seiner Unmittelbarkeit, den „Fakten", allen Respekt und wird deskriptiv, protokollierend oder auch ideierend. Aber diese Dienerschaft des Denkens vollzieht sich zugleich sozusagen nicht reinen Herzens; denn wie es die Sprache, die es benutzt, nicht spricht, sondern ihr äußerlich ist, so hat es auch Zwecke, die jenseits der Sprache vorgestellt sind — wiederum „harte" Tatsachen, ansichseiende Wahrheiten, selbstlose Formalität ζ. B. der theoretischen Konsistenz oder auch sich
WdL II, 68. " Das „Und" des Unterschieds wird von Hegel an zwei systematisch wichtigen Stellen der Jenaer Logik von 1804/5 thematisiert, und zwar zunächst innerhalb der Logik der Qualität als Grenze der eben durch diese bestehenden Sein und Nichts (cf. GW VII, 5 ff.), dann in der Verhältnislogik, in welcher über „das absolute Und" (GW VII, 32) das Sein der einfachen Beziehung sich zur Unendlichkeit des Verhältnisses totalisiert (cf. GW VII, 36 f). — Es ist nicht abwegig zu fragen, inwiefern das seinslogische Thema der Grenze als der Konstitution seiender Bestimmtheit schon das logisch spätere „Tun der Reflexion", das Setzen der Bestimmtheit, und so überhaupt das Wesen antizipiert-, denn wenn Grenze oder auch etwa das Fürsichsein ein Bestehen schaffen, können sie dennoch nicht einfach im selben Sinne Bestehende sein. Cf. dazu L. Lugarini, Logica e movimento riflessivo, in: ders., Prospettive hegeliane, Rom 1986, 121 — 144, bes. 127 ff. Der substrathaft bestehende Inhalt hat sein Bestehen so gleichfalls an einem Anderen, das er nicht selbst ausdrückt; er ist, wie es die Phänomenologie gelegentlich zum Ausdruck bringt, die „Entzweiung" der Form (cf. ζ. B. PhG 222). 18
Form als Verhältnis: Präliminarien
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überhaupt äußere („materielle") Interessen. Die Gewalt, die in diesen endlichen und, sofern sich die Endlichkeit befestigt, wohl auch „wissenschaftlich" genannten Formen der Sprache geschieht, ist durch die Herausarbeitung der absoluten Form logisch erkennbar und grundsätzlich keines geistphilosophischen Begriffs von Sprache fähig. Hegel hat schon in der Jenaer Geistphilosophie die Sprache von der Vorstellung befreit, sie sei Mittel zu ihr Fremdem und sie vielmehr als Gespräch „zweier freier Selbst" 2 0 erkannt; nicht durch Selbstentäußerung kommt das Sprechen bei der Sache an, sondern der „λόγος" ist, wie Hegel sagt, „Sache und Sage"n — „Der Mensch spricht zu dem Dinge als dem seinigen, und dies ist das Sein des Gegenstandes" 2 2 . Was so die Sprache selbst schon ist, hat die sich begreifen wollende philosophische Sprachform für sich zu erreichen 23 . In der absoluten Form tritt der Inhalt aus der Unmittelbarkeit seiner Vermitteltheit heraus und ist vielmehr explizit das Verhaltene des SichVerhaltens der Form. Am Und des Inhalts hat das Wesen kein Sein mehr, sondern was an ihm ist, ist nur Mitte des Verhältnisses. Die absolute Form erzeugt ihren Inhalt — nicht, wie gleich zu bemerken ist, im Sinne eines schlecht-subjektiven Machens, Ausdenkens oder Genialseins, sondern so, daß sie das Beziehen seiner Beziehung, das absolute Begreifen des Inhalts, insofern er der „durch sie selbst gesetzte und daher auch ihr angemessene Inhalt" 2 4 , sie aber „schon für sich selbst die Wahrheit"25, „der sich selbst und alles als Begriff wissende Begriff' 2 6 ist. Die absolute Form erreicht absolut ein Sein, das aus dem Sprechen kommt, statt bloß „das Sein" zu besprechen. Im Gang der Hegeischen Logik, die sich selbst als „die Wissenschaft der absoluten Form"21 versteht, wird überhaupt das Sein aus der extremen Entäußerung (Abstraktheit) seiner in der Passivität des Anfangs zum
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G W V I I I , 189; cf. P h G 458! G W V I I I , 190. Ibd. — Um in diesem Vorblick auf die Aspektvielfalt des Problems der absoluten Form noch auf eine weitere Hinsicht hinzuweisen, so sei daran erinnert, daß das sprachliche Verhältnis von Ich, Sein und Selbst, sofern es eine (praktische) Bewußtheit darstellt, das „Urteil des Besitzes" ist und so zur Begründung der Rechtssphäre gehört (cf. Enz. § 489; G W V I I I , 215 ff.; Rechtsphilosophie bes. § 57).
23
Das ließe sich mit Lebrun (a. a. O. 292 f.) zusammenfassen: „le discours du sens même, la manifestation du concept même se substituent au code qui utilise des concepts supposes doués d'un sens fixe. Etre hégélien, c'est poser que la recusation de ce code n'est nullement le sacrifice du sens, mais, bien au contraire, la condition de sa libre circulation".
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WdL II, 231. Ibd. WdL II, 501. WdL II, 231; cf. I, 31 u. Ö.
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Einleitung
„Inneren" der Tätigkeit der philosophischen Form fortbestimmt. Daß das Sein dadurch am Ende der Logik „Tätigkeit" ist, heißt keineswegs, daß es nunmehr ein gemachtes oder gewolltes Sein geworden sei, wie der abstrakte Idealismus der verschiedensten Bewußtseinsphilosophien sich dies wohl vorstellt; es wird keineswegs bewußte „Praxis", die ohnehin besser ττοίησις hieße; denn im Gegenteil ist in der absoluten Form auch die wesentliche Gestalt der Bewußtheit aufgehoben, d. h. zum Moment herabgesetzt, dem es nunmehr wesentlich ist, auf sein anderes Moment nicht unmittelbar (in direkter Intention), sondern nur über das negative Ganze der Formbeziehung selbst bezogen zu sein. Die ganze logische Bedeutung dieser These von der Momentaneisierung der Bewußtheit — und das schließt die Herstellung ihrer Totalität ein, die Kantisch (außer in der Lehre vom Schönen) für unerreichbar gilt — kann erst in der Folge ihre genauere Entwicklung finden. Hier sei nur erst gegen das Mißverständnis des Seins qua Tun als bewußtes Machen durch Tätigkeit erinnert, daß es im letzteren Sinne nur zu einer vermittelten Passivität und schlechten „Objektivität" kommen kann, wobei weder die Tätigkeit noch ihr Resultat eigentlich Freie sind28. Die Logik indes, die an ihrem Ende sagt: „die absolute Idee allein ist Sein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit"29, hat in der Selbstbewegung der absoluten Form ein Sich-Verhalten erreicht, das sich selbst als Sprache tätig sein lassen kann, weil es darin noch die Bewußtheit und deren logisches Prinzip aufgehoben weiß. Dieses Wissen, das wir hier wiederum nur antizipieren, ist das „absolute Wissen", und das Sprechen, als welches das absolute Wissen 28
I m D i e n s t e des Versuchs, das resultierende Sein bei H e g e l als b l o ß p r a k t i s c h vermitteltes zu verstehen, k o n n t e auch der R e f l e x i o n s b e g r i f f der „ G e s c h i c h t e " stehen. H e g e l s Philos o p h i e k o n n t e nur zu o f t s o v e r s t a n d e n w e r d e n , als rede sie einer E n t s e l b s t u n g d e s B e g r i f f l i c h e n d u r c h die historische A b b i l d u n g seiner in die N a t u r f o r m der Zeit (welche als a b s t r a k t e s t e B e s t i m m u n g der natürlichen Äußerlichkeit neben d e m R a u m wie dieser ü b e r h a u p t „ s e l b s t l o s " ist; cf. G W V I I I , 186) u n d d a m i t implizite der S e l b s t l o s i g k e i t der B e z i e h u n g a u f es das Wort. E i n e r T h e s e wie d e r j e n i g e n 0 . D. Brauers, D i a l e k t i k der Zeit, S t u t t g a r t 1982, 148: „ D i e P h i l o s o p h i e ist für H e g e l eine T h e o r i e d e s Seienden s u b specie t e m p o r i s " — ein Satz, an d e m auch s o n s t m a n c h e s sehr f r a g w ü r d i g ist, außer d e m v o r a u s g e s e t z t e n endlichen T h e o r i e b e g r i f f a u c h die A n g a b e d e s G e g e n s t a n d e s der Philos o p h i e mit „ d e m S e i e n d e n " ! — ist jedenfalls s c h a r f zu w i d e r s p r e c h e n . H e g e l s P h i l o s o p h i e beweist g a n z i m G e g e n t e i l d e n Begriff als „ d i e M a c h t der Z e i t " ( E n z . § 258 A n m . ) . D a s gilt auch g e g e n den im Vergleich zu B r a u e r a n s p r u c h s v o l l e r e n Versuch v o n H. Marcuse, H e g e l s O n t o l o g i e und die G r u n d l e g u n g einer T h e o r i e der Geschichtlichkeit, F r a n k f u r t / M . 1975 3 (1932 1 ), f ü r H e g e l s „ N e u b e g r ü n d u n g " der „ O n t o l o g i e " u n d deren a n g e b l i c h e Ü b e r f ü h r u n g ins Praktische den (unhegelischen) R e f l e x i o n s b e g r i f f der „ B e w e g t h e i t " , der nur eine endliche D a r s t e l l u n g d e s W i d e r s p r u c h s sein k a n n , zu benutzen.
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W d L II, 484.
Z u r F o r m d e s Schlusses
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sich weiß, ist das „ursprüngliche Wort"io, das Wortsein der bei sich anfangenden absoluten Form — das eine und im doppelten Sinne verhaltenste Wort unter den vielen Wörtern: das Wort, das sich zu allem rein verhält, und das, weil ebenso alles in ihm verhalten ist, an nichts nur äußerlich anstößt und daher keinen Lärm macht.
3. Zur Form des Schlusses In der einleitenden Erläuterung des Problems und des Anspruchs der absoluten Form spielt die schon in den Blick genommene Form des Schlusses insofern eine ausgezeichnete Rolle, als in ihr das Sein eines Inhalts logisch als Resultieren ausgedrückt ist. Daß Kant die Idee — den Begriff, welcher Erfahrungsurteile in ein einziges Verhältnis faßt — der Form nach als Syllogismus begreift, besagt, daß das Sein der einen Erfahrung als vermittelter Totalität aus einem formellen Verhältnis des uns erfahrungsgemäß schon Gegebenen entspringen soll, welches formelle Verhalten zugleich dem erkennenden Subjekt die Gewißheit mitteile, in seinem Erkenntnisvollzug bei der „Wirklichkeit" des Resultats angekommen zu sein. Der schließende Schluß führt die Äußeren — das „Subjekt" und das „Objekt" — in die Einheit einer schlechthin gewissen Wirklichkeit, einer Gewißheit, die das Sein weiß, und eines Seins, das gewiß ist. Die Subjektivität des Schließens vergißt sich in die Sache, oder sie stellt sich selbst als eine objektive Tätigkeit dar 3 1 . Die Gewißheit ist bekanntlich in der Philosophie der Neuzeit ein eigenes Problem neben, ja vor dem der Wahrheit geworden. Man könnte sie definieren als die subjektive Antizipation der Totalität der Erkenntnis, 30 31
W d L II, 485. I m G r o b e n ist d a m i t d a n n auch der U n t e r s c h i e d z u bezeichnen, der zwischen den B e s t i m m u n g e n der „ o b j e k t i v e n L o g i k " u n d der s u b j e k t i v e n „ L o g i k der O b j e k t i v i t ä t " bei H e g e l zu beachten ist. I m Sein wie i m Wesen ist die erstere ein defizientes S p r e c h e n , d a s sich an ein w a h r e s P a s s i v e s (Sein) o d e r ein w a h r e s N e g i e r e n , d a s als solches seinerseits ist (Wesen), entäußert hat, w ä h r e n d in der O b j e k t i v i t ä t s c h o n das S e l b s t b e w u ß t s e i n d e s Wahrseins a u f Seiten d e s S p r e c h e n s selbst v o r a u s g e s e t z t ist. N u r a u s d i e s e m Selbstbewußtsein kann die Einheit bzw. Totalität der O b j e k t i v i t ä t ü b e r h a u p t resultieren; sie k o m m t a u s der s u b j e k t i v e n T ä t i g k e i t des S c h l u s s e s , die nicht mehr an isolierten o b j e k t i v e n B e s t i m m u n g e n über sich h i n a u s g e t r i e b e n wird. R. Bubners M e i n u n g , daß a u s der S u b jektivität d o c h kein Sein h e r v o r g e h e n k ö n n e (cf. ders., Z u r Sache der D i a l e k t i k , S t u t t g a r t 1980, 7 0 — 1 2 3 , bes. 108 ff.), wird s c h o n d e m schlußlogischen Z u s a m m e n h a n g des O b j e k t i v i t ä t s p r o b l e m s nicht gerecht u n d k o m m t ü b e r h a u p t einer E n t w i r k l i c h u n g der S u b jektivität gleich.
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Einleitung
welche objektiv noch nicht vermittelt zu sein braucht (was dabei übrigens „subjektiv" logisch, d. h. ohne Rekurs auf gewöhnlich viel zu bestimmte Vorstellungen heißt, kann fürs erste dahingestellt bleiben). Die neuzeitliche Einsicht weist damit mittelbar darauf hin, daß es „Wahrheit" in totalitätsloser Isolation, daß es sie ohne Horizont, d. h. ohne einen in sich gebeugten Zusammenhang und Abschluß der als wahr behaupteten Bestimmungen schlechterdings nicht geben kann. Wahrheit bedarf des Für-Seins überhaupt; es gibt entsprechend kein materiales, kontextloses Kriterium der Wahrheit als solcher. Die formalen Kriterien, zumal die der Konsistenz oder der Kompossibilität, betreffen gerade die Form des Zusammenhangs oder des Für, deren Unmittelbarkeit das Wissen der Gewißheit ist, und rücken das objektiv Gewußte in die Hinsicht seiner Kontextualitat. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Kantischen Modalbegriffe die Funktionen der Kontextualisierung des Gewußten im Vollzug der Horizontform sein werden. Die schlußlogische Komponente ist dabei, die Identität von Denken und Sein und entsprechend das Ineinander von Gewißheit und Wahrheit, von subjektiver Horizontbeziehung, die als solche nicht objektiv werden kann, und der Beziehung der Objektivität, die im Horizont und vermittelst seiner den jeweiligen Inhalt als zureichend bestimmt und (Kantisch) als „transzendental wahr" setzt, als für alles Machen der Erfahrung unbedingt notwendig zu erweisen. Es versteht sich, daß so nicht etwa das Wahrheitsproblem psychologisch enggeführt wird, sondern daß die Kritik der dogmatisch aufgefaßten, an sich bestehenden Wahrheit im Rahmen eines nicht-empirischen Formproblems entsteht — eines Problems, das auf den philosophischen Begriff der Individualität als schließender Einheit alles Bestimmens führt, von der aus empirische und als solche schon nicht-individualisierte Begriffe vom Subjekt (wie z. B. der der Psychologie) der Kritik unterliegen. Dem Problem der Subjektivität und Gewißheit der Wahrheit hat in einer subjektivistisch-schlußlogischen Gestalt vor der Transzendentalphilosophie, aber nicht ohne eine gewisse sachliche Nähe zu ihren Motiven, Crusius Ausdruck gegeben 32 . Nach ihm ist es der „allerhöchste Grund unserer Schlüsse, ... daß dasjenige, was wir nicht anders als wahr denken können, wahr sei, und was wir schlechterdings gar nicht, oder nicht anders
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Cf. Kants Bezugnahme auf Crusius in vorkritischer Zeit in der Preisschrift von 1763 (bes. AA II, 293 ff.).
Zur Form des Schlusses
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als falsch denken können, falsch sei" 3 3 . Wir „fühlen" 3 4 eine Nötigung der Form, zum Inhalt zu kommen, und wir erzeugen im Schluß den Inhalt, indem wir uns zugleich auf uns selbst beziehen. Daß Wahrheit und Falschheit nur der Subjektivität und ihrem Denken zugeschrieben wird und nicht als zugleich absolut die Wahrheit und Falschheit der Sache gewußt werden kann, daß der Ausdruck der ursprünglichen Angemessenheit der Sache zum Denken noch fehlt, ist eine Art „protagoreische" Schranke des Ansatzes Crusius'. Aber man hört in Kants oberstem Grundsatz der synthetischen Urteile, der die transzendentalphilosophisch formulierte freie Angemessenheit des Wissens in Erfahrungsurteilen und der gewußten Erfahrung gegen Hume zum systematisch vermittelten Ausdruck bringt, auch noch etwas von jenem „allerhöchsten Grund unserer Schlüsse" bei Crusius heraus. Sofern wir „sagen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori" 3 5 , reklamieren wir für uns eine Sprachform, in der die Prämissen der Gewißheit identisch die der Wahrheit sind und in der Konklusion („darum") die Objektivität darstellen. Das schließende Zugleich des Denkens und des Seins dieser Form, die „Durchdringung" oder μεταβολή beider ineinander, steht, was zu beachten ist, bei Kant sozusagen in der Klammer des Bedingungsbegriffs, so daß der ganze Schluß der Form nicht absolut, sondern durch die hypothetische Form gebrochen schließt. Es erhält sich dabei der unmittelbare Gegensatz von Erfahren („Innerem") einerseits und Gegenstandssphäre überhaupt („Äußerem") andererseits als Voraussetzung der Vermittlung beider, die entsprechend auch explizit nicht Schluß, sondern Erfahrungsurteil ist. In einem Erfahrungsurteil sind Subjekt und Prädikat nicht nur faktisch verbunden wie in einem Wahrnehmungsurteil, sondern ist — und dies ist 33
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Chr. A. Crusius, Weg zur Gewißheit und Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis, Leipzig 1747 (Nachdr. Hildesheim 1965), VII, §256 (hier ohne die originalen Hervorhebungen). Kant sieht in dieser Regel allenfalls „ein Geständnis, aber nicht ein(en) Beweisgrund" von der Wahrheit einer Erkenntnis (AA II, 295). Erst im Begriff der „transzendentalen Wahrheit" wird er selbst Gewißheits- und Wahrheitsform zureichend vermittelt darstellen. Cf. Crusius a.a.O. §§251 ff. KdrV Β 197/A 158. Die angeführte Stelle ist genau genommen nicht das „oberste Principium aller synthetischen Urteile", sondern dessen schlußlogisch ausformulierte Konsequenz, die das Grundsatzkapitel als solche beschließt. Man kann unsere Stelle als Axiom, das Principium als erfahrungslogischen Erkenntnisgrund zu diesem ansehen; cf. die vergleichbare Formulierung in De mundi sensibilis §26 (AA II, 413), die „axioma subrepticium" heißt.
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Einleitung
die Reflexion der absoluten Schlußform in ihm — das Subjekt in das Prädikat reflektiert und drückt sich so in diesem ausib. Subjekt und Prädikat, die in einem echten synthetischen Urteil Andere gegeneinander sind, sind dabei nur insofern dieser Reflexion fähig, als sie in einen Horizont und Kontext fallen, bzw. diese Reflexion ist selbst der Vollzug ihrer Kontextualität. Der Grund der Einheit von Subjekt und Prädikat, der transzendentalphilosophisch als kategoriale Form oder Einheitsfunktion einen je bestimmten Ausdruck finden kann, steht zugleich für das ImmerschönVerhalten-Sein jeder möglichen bestimmten Erfahrung in der letzten Allgemeinheit des erfahrenden Bestimmens als forma formans 37 . Der bestimmte (objektive) Hinausgang aus dem Subjekt ins Prädikat ist an ihm selbst schon als Rückverweis auf den vorgängigen, apriorischen Abschluß der Erfahrung in der Totalität dessen, was wir bereits die unmittelbare Idee genannt haben, welche wiederum für die absolute Einheit des Bestimmens steht, zu nehmen 3 8 . Da Erfahrungsurteile unausdrücklich dennoch die objektive Bestimmtheit der Erfahrung mit ihrer subjektiven, abschließenden Form zusammenschließen, können sie überhaupt Enthymeme heißen, deren subjektive Prämisse, der Kontext selbst, allerdings nie ausdrücklich, d. h. objektiv bestimmt werden kann. Aber ohne den Kontext würden wir nach Kant in der Tat keine Erfahrung machen. Er ist es etwa, der uns sagt, wann es mit der objektiven Bestimmung von etwas genug ist; denn etwas in indefinitum bestimmt wäre das Nichts der Erfahrung, die sich in Kontextlosigkeit verlöre. Kant vermag von daher zumal gegen Hume zu
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Grammatischer Index des reflexiven Verhältnisses im Erfahrungsurteil ist die aktive Verbalform des Prädikats (cf. Prolegomena §20 Anm. 1). Zum Doppelsinn des Erfahrungsbegriffs als einerseits bestimmte, einzelne Erfahrung („in intentione recta") und andererseits tätig bestimmende eine Erfahrung („in intentione obliqua") cf. E. Heìntel, Das Problem der Konkretisierung der Transzendentalität, in: ders., Gesammelte Abhandlungen Bd. II, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988, 7—30, bes. 8 ff. — Zumal in Kants Opus postumum finden sich zahlreiche Äußerungen, welche die Einheit der Erfahrung (sie als zu realisierende Idee) betonen und die für Kants „Erfahrungsdynamismus" auch der ersten kritischen Zeit von großer Bedeutung sind (cf. nur AA XXI, 99; XXII, 97 f. 471 u. ö.); ferner ist für die Wendung „Machen der Erfahrung" auf das Spätwerk zu verweisen (cf. etwa AA XXII, 103.320.444 u. ö.). — Über die Bestimmung der Einheit der Erfahrung als „Idee" im Opus postumum, in welcher noch die Existenz umfaßt und gleichsam „ableitbar" ist, cf. V. Mathieu, Kants Opus postumum, Frankfurt/M. 1989, 2 0 9 - 2 1 1 . A. Kulenkampfj., Antinomie und Dialektik, Stuttgart 1970, nennt es die „Aufgabe der K. d. r. V", die „latenteQ Totalitätsbeziehung aller Einzelerkenntnisse" zu legitimieren (64 Anm.). Die „leitende Frage" der „philosophische(n) Reflexion" ist ihmzufolge diejenige „nach der Einheit des Erfahrungszusammenhangs", wie sie sich in der „alles Erfahrungswissen begleitende(n) Gemßheit" bekundet (9).
Zur Form des Schlusses
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argumentieren: Wenn wir A und Β im Machen der Erfahrung — z.B. — als in einem Kausalitätsverhältnis stehend wirklich verstanden haben, so daß die Objektivierung von A und Β zu Ursache und Wirkung entsprechend kein wirkliches ihre Relation betreffendes Verstehensproblem übriggelassen hat, dann ist im selben Moment die immer nur hypothetische Reflexion des sogenannten Induktionsproblems, daß A und Β zu anderer Zeit oder an anderem Ort oder auch von einer anderen positiven Sprache anders als gerade in diesem Sinne verstanden werden konnten, eine gegenüber der Wirklichkeit des objektiven Verstehens ganz leere Erwägung — denn wir könnten im Ernst nicht wissen, als was wir denn A und Β in solch einem Fall verstehen würden, als Funktionen welcher dann konstitutiven Beziehungen sie so gesetzt wären und worin wir ihre Erklärung dann als abgeschlossen betrachteten. Eine Sonne etwa, von der man eines Tages grundsätzlich annähme, daß sie mitunter Steine nicht erwärmt, wäre auch nur dem Namen nach noch das, was wir jetzt wirklich unter „Sonne" verstehen — es wären nicht nur Raum und Zeit (oder Sprache oder Kultur), sondern es wäre der ganze Begriffsinhalt von seinem Zentrum her verändert worden. Wenn Hume gegen per definitionem kontextualisierte (und dabei ihren Kontext wesentlich nicht positiv aussprechende!) Erfahrungsurteile von nicht gemachter anderer und daher selbst kontextloser und nur erdachter Erfahrung aus polemisieren zu können glaubt, ist er insofern kein Empiriker, sondern pocht nur gegenüber dem Konkreten — wie aller Skeptizismus tut — auf die unbestimmte Möglichkeit der Andersheit. Daß es dabei durchaus dogmatisch ist zu glauben, die Begriffe A und Β könnten dieselben sein, wenn sich ζ. B. die Relationsbestimmungen zwischen ihnen ändern, sieht Hume in keiner Weise. Er übersieht dogmatisch, daß das Machen der Erfahrung die einzige gültige Definition der empirischen Begriffe ist. Und in aller Notwendigkeit, im Machen der Erfahrung so zu verstehen, wie man eben wirklich versteht, gibt es im Ernst kein Induktionsproblem. Erfahrung ist nach Kant allgemein „Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen" 39 . Die vorausgesetzte Totalität in allem Machen der Erfahrung, die gegebene Seite der geurteilten Idee, ist die Unmittelbarkeit der Verknüpfung, die ursprüngliche Einheit der Apperzeption, welche das Urverhältnis der verhaltenden bestimmten Verknüpfungen der Wahrnehmung zur Erfahrung ausmacht. Die Wahrnehmungen selbst, die mindestens zwei oder überhaupt viele sein müssen, machen die demgegenüber 39
KdrV Β 161.
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Einleitung
äußere Bedingung der Objektivität oder die Bedingung der Äußerlichkeit des innerlich zur Einheit verhaltenen Objekts aus; denn ohne konstitutiven Bezug auf Vielheit („Sinnlichkeit") überhaupt könnte das Objekt nicht in den Gegensatz zum verknüpfenden Wissen treten. In den Wahrnehmungen, auf die sich die Erfahrung bezieht, ist somit die Vielheit ausdrücklich in die Prämissen der Objektivität aufgenommen, wie denn auch Prämissen im Schluß notwendig viele sind und überdies für sich genommen und kontextlos auch vielfach zu verstehende Sätze darstellen. Es gibt darum entsprechend auf der Wahrnehmungsebene keinerlei Gewähr dafür, daß verschiedene Subjekte über „dasselbe" reden. Die Vielheit der Prämissen im Schluß hat indes wesentlich auch die logische Funktion, dem Resultat des Schlusses, in das er sich reflektiert, überhaupt Bestimmtheit
mitzuteilen.
Der Schluß geht nicht einfach in ein Sein über, sondern in einen seienden erfüllten Inhalt 4 0 . Die Frage kann nun allerdings sein, welche der potentiell unendlich vielen Bestimmtheiten, die die äußeren Wahrnehmungen bereithalten und an deren Vielheit und Äußerlichkeit Hume auf seine Weise erinnert hatte, so in das Erfahrungsurteil eingehen, daß daraus die objektive Bestimmtheit des Gegenstandes resultiert. Die Bedingung dafür aber ist: daß sich die Wahrnehmungen widersprechen 4 1 . Das Erfahrungsurteil „Die Sonne erwärmt den Stein" enthält unter seinen Wahrnehmungsprämissen die Antinomie·,
der Stein ist kalt/der Stein ist warm. Der Stein ist
dabei derselbe, sofern ein Drittes der Beziehung (die Tätigkeit der Sonne) ebenfalls identisch oder als sich kontinuierend gesetzt werden kann, und beide wiederum sind so identisch auf die antinomische Verfassung des Prädikats hin (als tätige und als passive Identität von Ursache und Wirkung). Das Prädikat enthält eine vollständige Disjunktion (warm/kalt) und, im Falle des Erfahrungs-,
nicht so des Wahrnehmungsurteils, deren
Einheit,
die gemeinsame Sphäre, die als „bewegte Gattung", als Horizont der
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41
E r geht mithin in „ein Sein, das ebensosehr identisch und dei Begriff ist, der aus und in seinem Anderssein sich hergestellt hat" (WdL II, 352). Cf. G W V I I , 94 f.; Enz. § 1 8 0 , aber natürlich auch die Erste Analytik des Aristoteles. Mit einigen Vorbehalten wäre in diesem Zusammenhang auf die Untersuchung von M . W o l f f , Der Begriff des Widerspruchs, Königstein/Ts. 1981 hinzuweisen. Für den „reflexionslogischen" (etwa von der Realopposition zu unterscheidenden) Gegensatz bemerkt Wolff, daß ein Gegenstand seine Bestimmtheit im Verhältnis seiner Prädikate findet, welche Bestimmtheit Wolff dann — etwas unglücklich — „reflexionslogisches Substrat" (46) nennt. E s käme zuletzt darauf an, die Bestimmtheit überhaupt statt als Substrat als vollständige Relationierung der Sache zu zeigen, was Wolff für den Begriff der Realopposition bei Kant denn auch tut (cf. 67).
Zur Form des Schlusses
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Reflexion-in-sich die subjektive Totalität darstellt42. Die Grundeinsicht Kants, daß die Identität des (grammatischen) Subjekts in entgegengesetzten Prädikaten und die für den Begriff der Bewegung des Subjekts durch seine Prädikate vorauszusetzende Identität des (urteilenden) Subjekts absolut dieselbe Subjektivität sind, ist zugleich die Einsicht in eine objektiv-verknüpfende Bewegung, die der konkreten, eigenen Bestimmtheit fähig ist. So werden die verschiedenen Wahrnehmungen, die in den Gegensatz treten, totalitätserzeugend, da sie nämlich die allgemeine passive Identität (das „Substrat") des Objekts, an welcher alle das Objekt betreffenden Wahrnehmungen sein müssen, hervortreten lassen. Das Erfahrungsurteil ist also einerseits subjektiv — und es ist, wie man von Hegel her sagen muß, wenn es subjektiv ist, nicht nur für ein Subjekt oder einen subjektiven Vollzug, sondern es ist an ihm selbst oder absolut subjektiv, selbst das in sich Zurückgebogene und Zweckmäßige — und es ist andererseits die Vermittlung der Bestimmtheit als objektive Beziehung auf Anderes, das es nicht selbst ist — es ist in seiner Subjektivität an ihm selbst ebenso objektiv. Ein flaches Verständnis war es immer, das sich in der Auseinandersetzung mit Kant darüber wunderte, wie denn etwas „bloß" Subjektives wie ein Urteil zugleich objektiv und noch gar gegenstandskonstitutiv sein können sollte43. Faßt man den Anstoß, den das Vorstellen auf diese Weise an Kant
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Hegel hat in der Jenaer Logik von 1804/5 den Schluß aus dem sich im hypothetischen Urteil vollendenden Subjekt und dem sich entsprechend im disjunktiven Urteil vollendenden Prädikat hervorgehen lassen. Ohne an dieser Stelle auf den schwierigen Text im einzelnen eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, daß in Hegels Sicht somit die Subjektivität als das hypothetisch-notwendige Verbinden der Objektivität als der formalnotwendigen Disjunktion der Bestimmtheit komplementär gegenübersteht, bis sich im Schluß beide absolut-notwendig vereinigen und das Problem lösen, das der „bestimmte Begriff offengelassen hatte: die Vereinigung von Reflexion-in-sich (Subjektivität) und Bestimmtheit (Objektivität) (cf. GW VII, 79. 91 ff.). Die Parallele zu Kant bestünde darin, daß sich nach dieser frühen Urteilslehre Hegels das Subjekt als objektiv erweist, indem es sich different als ein Unmittelbares setzt, das zugleich die Vermittlung eines Anderen ist, und sich das Prädikat als subjektiv erweist, indem es sich in der Disjunktion seiner eigenen Bestimmtheit auf sich selbst bezieht bzw. in sich reflektiert ist. — Hegel hat in den späteren Logiken diesen Versuch fallenlassen, und dies wohl schon deshalb, weil er das hypothetische Urteil nicht mehr unter dem (kategorischen) Subjekt-PrädikatSchema versteht (cf. WdL II, 296), ferner aber auch darum, weil sich nach der späteren „stärkeren" Begriffslehre das Problem grundsätzlich anders stellt (ob die Jenaer Logik schon den charakteristisch Hegeischen Begriff des Begriffs enthält, kann man mit Fug bezweifeln; cf. F. Ungler, Das Wesen in der Jenaer Zeit Hegels, in: Hegel-Studien Beiheft 20, Bonn 1980, 1 5 7 - 1 8 0 , dort z.B. 175).
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Solche Schwierigkeiten mit dem Verständnis versucht etwa M. Hossenfelder, Kants Konstitutionstheorie und die transzendentale Deduktion, Berlin/New York 1978 zu äußern. So meint er etwa, „konstitutiver Prinzipien wäre nur ein intuitiver Verstand fähig" (87),
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Einleitung
nimmt, logisch auf, so besteht er darin, daß die Form der Vermittlung, die für die Vorstellung nur an der Sache sein kann, die Wurzel der objektiven Bestimmtheit der Sache oder ihres Inhalts enthalten soll, ja daß die Form selbst in eine gültig bestimmte Conclusio führen soll, in der das Verstehen mit Notwendigkeit nicht nur bei sich selbst und nur relative Form bleibt, sondern ein durch es selbst bestimmtes Anderes als einen anschaulichen Inhalt gewinnt. Zumal daß sich das wirkliche Verstehen selbst besondert und so schließend die Sache, sie freilassend, gewinnt, ist für die Vorstellung, die nur hier die einfache Form und dort den einfachen Inhalt festhalten will, das Unverständliche. Aber es ist nur eine äußere Reflexion, die auf diese Weise eine formelle und eine inhaltliche Reflexionin-sich unterscheiden will, dabei allerdings auch den Unterschied zwischen beiden zum unaufhebbaren Widerspruch (zum einzigen, das sich wirklich selbst vermittelt und erhält!) machen muß. Daß es dem Subjekt nicht gelingen soll, über die Vielheit von Wahrnehmungen, Merkmalen, Standpunkten oder kurz Prämissen hinauszugelangen, stellt sich dann so dar, daß alle Bestimmungen, welche das Subjekt im Intendieren der Sache ausspricht, zu allgemein bleiben, um die Sache auszusagen44. Es ist dabei die von der Vorstellung zum Mittel degradierte Sprache selbst, die in der Selbsterhaltung der unmittelbaren Differenz erweist, daß sie nicht Mittel ist. Das intendierende Subjekt und seine relative Form der Vermittlung erscheinen jetzt als überhaupt zu allgemein für die Welt. Indes ist das Subjekt, das von der Sprache und vom Begriff die Vorstellung hat, diese seien nur schlecht-allgemeine, d. h. den Sachen äußerliche Handhaben wiederum äußerlicher Zwecke, selbst nur schlecht-allgemeine Subjektivität. Eine solche leere Subjektivität stellt eben weil sie nur auf ihre Weise allgemein ist nichts als unter ihr enthalten dar. Sie ist die nicht individualisierte Bewußtheit, die nicht erkennt, bloße Intelligenz, die als Subjekt im wahren Verstände in der Tat schon ganz (oder noch) tot ist. Demgegen-
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wie er zugleich die begrifflich-diskursive Bestimmung nur als „eine Analysis" gegebener synthetischer Einheit (!) verstehen zu müssen meint (cf. 106); der B e g r i f f ist „Vehikel", die Einheit des Mannigfaltigen grundsätzlich zu „suchen" (cf. 109, 114 ff.). Man wird, setzt man auf diese Weise die Einheit, ja Einheiten in der Empirie schon voraus, immer Schwierigkeiten haben zu sehen, wo das Kantische Problem liegt, und man kann als Propylon zu demselben vor der Hand immer nur die Antinomie empfehlen. D a ß im übrigen dieser etwas ungenierte Realismus am E n d e mit einem Skeptizismus (dem ewigen Bastard der Reflexion und des Dogmatismus) als seinem E r b e n aufwartet, ist für die Philosophie jedenfalls kein überraschender Anblick. In der P h G ist es die Stufe des Bewußtseins, die an ihrer abstrakten Allgemeinheit scheitert; cf. unsere Darstellung unten S. 88 ff.!
Äußere Reflexion
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über ist die absolute Form als Form der absoluten Besonderung zu erkennen, als Form des wirklichen Sprechens, die sich aus ihren an sich anderen Prämissen erschließt und damit der Sache gerecht wird, die sie sein läßt, was sie ist. Ohne den Gang durch die absolute Besonderung und reine Vereinzelung des wahrhaft Allgemeinen ist weder dieser logische Denk-und-Sach-Verhalt noch das Selbstbewußtsein seiner zu erlangen. Hegel kann eben darum vom Individuum sagen, daß „es die absolute Form" ist 45 .
4. Äußere
Reflexion
Die philosophische Form muß sich als „absolut" erweisen, indem sie die vollständige Kontextualisierung alles einzelnen in ihr Bestimmten in dessen Beziehung auf das nicht positivierbare individuelle Genug der Bestimmung herstellt. Totalität und Vollständigkeit kann dabei nicht heißen, daß der „vollständige Überblick" über alles Positive und dessen gesetzte vollständige Deduktion gefordert wäre. Schon Kants Kritik des Totalitätsbegriffs will nicht einfach sagen, daß das empirische Subjekt nicht alles Positive und nicht alles positiv wissen kann, sondern sie steht im Zusammenhang des weit weniger trivialen Nachweises, daß das Subjekt um zu erkennen dies auch nicht muß. Philosophisch ergibt sich die in der Erkenntnis zu fordernde Totalität der Bestimmten vielmehr nur in der Beziehung ihres Schlusses, der zugleich erst die eigentliche Definition ihrer Bestimmtheit ist und sie zu Funktionen der Individualität, die somit an ihnen als einzelnen je indiziert ist, bestimmt. Im Kantischen Zusammenhang wird dies, wie angedeutet, den Gedanken der Modalität ausmachen. Wer den kritischen „Modalindex" an einem objektiv Bestimmten übersieht oder auch nicht wahrhaben will, um die Bestimmten in ihrer Isoliertheit festhalten zu können, wird in eine schlecht-unendliche Aufzählung endlicher Bestimmungen getrieben, die diese gerade um ihre mögliche Objektivität bringt. Er wird etwa dahin gelangen, die „Wirklichkeit" als Indifferenz gegen alle Bestimmtheit statt als Concretissimum zu verstehen oder ihre Bestimmung nicht als Schluß individuellen Verstehens, sondern als beliebigen und gegen andere indifferenten Bestimmungsversuch auffassen. Ein solches Sprechen gehört bereits dem logischen Status der von Hegel so betitelten äußeren Reflexion an, dessen die absolute Form zwar 45
PhG 25.
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Einleitung
grundsätzlich ohne weiteres mächtig ist, der sich aber in Befolgung seiner Tendenz auf reine Totalitätslosigkeit von sich aus der absoluten Form entgegenzusetzen versucht. Die „Totalitätslosigkeit" ist Tendern^ der äußeren Reflexion, weil sie in der Tat nicht vollständig durchgeführt werden kann, ohne daß die Reflexion selbst als Bewegung des Sprechens, ohne daß auch schon ihre einfache Entgegensetzung von Subjekt und Äußerem, an der sie sich auf ihre Weise orientiert, in die Indifferenz des bloßen Seins zurücksänke. Die äußere Reflexion hat zunächst den scheinbaren Vorzug, daß sie sich unmittelbar an gegebene Inhalte als Substrate, an empirische Differenzen und Merkmale, dann aber auch an allgemeine „Bedingungen" statt an die Sache usf. hält und damit ihr Bestimmtheitsproblem schon „unmittelbar" gelöst zu haben meinen kann. Die absolute Form ist ihr gegenüber nicht ein Herzeigen von Bestimmtheiten, in der Unmittelbarkeit gerade nicht zu „sehen", denn sie ist nur das rückläufige Setzen der Bestimmtheit aus dem Vorlaufen in ihre individuelle Einheit der notwendigen Abschlußbeziehung; sie ist nur Negation des positiven Bestandes, und dies nicht als Sollen, sondern als seine Wirklichkeit. Der Unterschied der beiden Sprachformen, der seinerseits nur philosophisch einsehbar ist, da alle äußere Reflexion zu keinem Begriff ihrer selbst und darum auch nicht zum Begriff dieses Unterschieds durchdringen kann — sie ist vielmehr das selbstlose Sprechen schlechthin — , dieser Unterschied also kann vor allem mit Hilfe des Begriffs der Bestimmtheit näher betrachtet werden. Von der Daseinslogik aus gedacht ist Bestimmtheit die Mitte des „Schlusses" des Etwas, dessen Extreme das, was das Etwas seiner „Bestimmung" nach an sich ist, sowie das, was es seiner „Beschaffenheit" nach ist, d. h. was es für anderes ist oder an ihm hat, sind 46 . Diese Mitte aber ist insofern gebrochen, als sie keine einfache und einsinnige Identität des zunächst Unterschiedenen, sondern ein wechselseitiges Übergehen, ein Werden in beide Richtungen darstellt und insofern zweideutig bleibt 4 7 . Philosophisch gesehen liegt in der Zweideutigkeit der Bestimmtheit, die auf entscheidend „radikalere" Weise als die sich gerade darauf gerne kaprizierende äußere 46
47
Cf. W d L I, 110 ff.; 111 heißt das Verhältnis ausdrücklich „ S c h l u ß " . ] . von der Meukn hat seine T h e s e von der durchgängigen und wesentlichen Gebrochenheit der Mitte bei Hegel sowie von der damit zusammenhängenden „tetradischen" G r u n d f o r m der dialektischen Verhältnisse (was freilich nur eine Frage ihrer Vorstellung sein kann) auch am Verhältnis von Bestimmung und Beschaffenheit sehr plausibel durchführen können; cf. ders., Hegel. Die gebrochene Mitte, H a m b u r g 1958, 15 ff. Z u r Wendung „gebrochene M i t t e " bei Hegel cf. E n z . § 2 0 8 A n m . ; ferner Rosenkranz a . a . O . 158. — Für unseren Zusammenhang verdanken wir wichtige Anregungen der Abhandlung von Th. Penolidis, Bestimmtheit und Reflexion, Manuskript 1989.
Äußere Reflexion
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Reflexion das „Recht" der Andersheit wahrt, die Möglichkeit einer Angemessenheit und Übereinstimmung der beiden Seiten, die Möglichkeit von Wahrheit, die aber — zumal wenn sie auf diesem logischen Niveau angesetzt wird — nicht etwa als Abbildung einer „res" im Vermögen eines „intellectus" zu denken ist, sondern die die nicht intendierbare freie Einheit im aus der individuellen Notwendigkeit gesprochenen Wort meinen muß 48 . Die äußere Reflexion zeigt aber, was sie ist, schon daran, daß sie die Zweideutigkeit der Bestimmtheit in zwei (oder viele) Eindeutigkeiten aufzulösen bemüht ist und jedenfalls so die Äußerlichkeit der Bestimmung und der Beschaffenheit oder der Reflexion-in-sich und der Reflexion-inanderes zu fixieren versucht. Nach Hegel muß das heißen, daß sie selbst verdoppelt ist, nämlich in ein Voraussetzen der einen Seite der Bestimmtheit und in ein bestimmendes Sichbeziehen auf das so Vorausgesetzte — nicht etwa das Voraussetzen, dessen sich die äußere Reflexion im „zweiten"
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Die Zweideutigkeit als solche festgehalten findet ihren Ausdruck im unendlichen Urteil, mit dem wir uns ausführlicher befassen werden (cf. unten S. 115 f f ) ; es läßt seiner positiven Seite nach „die bestimmte Bestimmtheit" oder das Einzelne als solches hervortreten (WdL II, 285); die Jenaer Logik betont daher auch die Korrespondenz mit dem singulären Urteil (cf. GW VII, 89). Da es aber ebenso das Allgemeine als solches setzt (die Sphäre des Prädikats, die negiert wird), hebt es die einfache Urteilsdifferenz und deren Vermittlung in einem Sein in einen gedoppelten Gegensatz auf, dessen beide wegen ihrer Identität sich abstoßenden und wegen ihrer Abstoßung identischen Seiten das Nichts des Seins der Kopula als zugleich das der Reflexion und ihres Gegenstoßes erweisen, wie zugleich die Vernichtung der Reflexion in den Seiten die Herstellung des Seins an ihnen ist. — Wie man übrigens die Antinomie der Bestimmtheit, über welche der Schluß schließt (cf. oben S. 17 ff.), als Zweideutigkeit bezeichnen kann, so ist auch die Zweideutigkeit der Form des unendlichen Urteils als vollständige Disjunktion von Subjekt und Prädikat die antinomische (oder genauer noch widersprüchliche) Unmittelbarkeit ihrer Vermittlung in ihr Allgemeines oder den Begriff. In der WdL benutzt Hegel die Figur der solchermaßen „unvermittelten Identität"' (WdL II, 153) an einigen logisch wichtigen Stellen, die zumal in das reine Ansich der Vermittlung führen, so beim Übergang aus der Disjunktion der Erscheinung ins Absolute. Die Bedeutung des unendlichen Urteils ist keinesfalls, wie H. Schmitt Hegel als Denker der Individualität, Meisenheim 1957, 90 ff. dartun wollte, auf den Jenaer Hegel einzuschränken (der überdies noch nicht über den vollbestimmten Begriff des unendlichen Urteils verfügte; cf. unten S. 124 f. Anm. 55), während sich der spätere „Schlußlogiker" Hegel für das Prinzip der Vermittlung entschieden hätte. Das unendliche Urteil ist durchaus auch eine Vermittlung, und in jedem Schluß läßt sich die in ihm als aufgehoben (nicht explizite) enthaltene vermittelnde Reflexion durch eine Reduktion des Schlusses auf ein unendliches Urteil darstellen; so enthält der bekannte Beweis von der Sterblichkeit des Caius in seinen Prämissen die Antinomie des Einzelnen und des Allgemeinen (Caius ist nicht alle Menschen) als ein unendliches Urteil des Daseins; eine Antinomie, die sich erst durch die Reflexion des Einzelnen als im Allgemeinen enthalten auflöst — durch eine Reflexion, die in der Conclusio nicht ausgesprochen, aber doch vorausgesetzt ist. Jeder Schluß springt vom Sein ins Wesen, um zum Begriff oder zu sich zu kommen. Die Wahrheit und Einheit dieses Sprunges aber ist das Individuelle.
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Einleitung
Akt vielmehr schon entäußert hat; was vergessen ist, ist überhaupt das Band der Beziehung49. Die äußere Reflexion ist so das Schaffen einer als ungeschaffen gedachten Voraussetzung, die als in sich reflektiert, als etwas anderes denn dre „etwas" sagende Beziehung auf sie vorgestellt ist50. Diese Beziehung auf das nur anderweitig Vorausgesetzte ist das Intendieren der „Sache" im gewöhnlichen Sinn. Es geht auf von ihm selbst Verschiedenes und soll nur identisch mit ihm werden; die Wahrheit ist aufgegeben und besteht nur in dem Bewußtsein eines Jenseits, das sich als zu erreichendes Ziel immer aufs neue erzeugt. Die Verschiedenheit somit nicht nur der Sache, sondern auch der Wahrheit der Beziehung auf sie von der Reflexion selbst ist zugleich nur die Verschiedenheit der Reflexion von ihr selbst, insofern sie nämlich, des eigenen Setzens der Voraussetzung vergessend, nur die eine Seite der Bestimmtheit ergreift — Gottes Linke, wie Lessings Bescheidenheit sich ausdrückte — und dabei gemeint ist, der anderen Seite, die doch nicht oder wenigstens nicht „ohne Rest" erkennbar sei, nichts anzutun. Das Perennieren des intendierenden Verhaltens und so das Bestehenbleiben der in allem als seiend vorgestellten Differenz unbestimmbarer Verschiedenheit zwischen verstehender Reflexion und fürsichseiender
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50
Cf. für den Zusammenhang WdL II, 17 — 20. — Die „äußerliche" Reflexion fallt zugleich nur „in uns" (cf. ζ. Β. 17, 225), sie ist nicht die Sprache (das Aussprechen) des Anderen, sondern der Versuch, einer solchen Sprache nicht zu bedürfen. An der äußeren Reflexion, die sich selbst äußerlich, d. h. immer auch sich entäußernde bzw. entäußerte Reflexion ist, kann man das „subjektive" (negative) Moment mit den reflexiven und adverbialen (sich äußerliche, äußerliche, sich entäußernde Reflexion), das „objektive" (positive) Moment dagegen eher mit den adjektivischen und passiv-partizipialen Ausdrücken (äußere, entäußerte Reflexion) darzustellen versuchen. Hegels Sprachgebrauch ist aber wohl nicht ganz streng. Cf. die etwas anderslautenden Differenzierungen bei B. Liebrucks, Sprache und Bewußtsein Bd. 6/2, Frankfurt/M./Bern 1974, 325, 122 und 150. — Für die Systematik der äußeren Reflexion und ihre Entwicklung bei Hegel wäre aus der Differenzschrift etwa der Abschnitt „Verhältnis der Spekulation zum gesunden Menschenverstand" (2, 30 — 35) heranzuziehen. In dieser Schrift ferner „isolierte Reflexion" (2, 26); cf. die Wastebook-Notiz über die „schlechte Reflexion", wo diese „die Furcht, sich in die Sache zu vertiefen" (2, 554) heißt. Die durchgeführte Systematik der äußeren Reflexion begegnet dann aber erst in der WdL, wenn auch der Ausdruck schon früher belegbar ist (cf. 4, 198). — Zum Thema cf. W. Jaeschke, Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion, in: Hegel-Studien 13 (1978), 85 — 117. Ob es freilich genügt, die „schlechte Reflexion" mit Jaeschke als „vorwissenschaftlich" zu qualifizieren (cf.102), kann auch insofern als fraglich erscheinen, als noch in der Wissenschaft, die die WdL vom Absoluten gibt, die äußere Reflexion nicht einfach ausscheidet, sondern einen logisch angebbaren Sinn hat (sie wäre gerade die „positive" Wissenschaft des Absoluten). Jaeschke konzentriert sich indes auf die Rolle der absoluten Reflexion für die Darstellung des absoluten Wesens.
Äußere Reflexion
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Sache, welches die äußere Reflexion selbst erzeugt, erbringt ihr den (allerdings zweideutigen) Vorteil, sich nur unter eindeutigen Bestimmtheiten — nur unter Namen, die sie selbst der Sache und mit Bewußtsein ihres Tuns beilegt, zu bewegen. Diese äußerlich gesetzten Namen sind in demselben Maße, als sie nicht wahrheitsfahig sind, auch keine Begriffe, sondern Etiketten für anderes als sie selbst. So ist überhaupt die Wurzel des nominalistischen Begriffs des Begriffs in der Stellung der äußeren Reflexion zur Zweideutigkeit der wahrhaften Bestimmtheit gelegen. Immerhin ist schon das Kontinuum dieser Namen, ist die Möglichkeit, sie syntaktisch zusammenzufassen und im Gesamt etwas „sagen" zu lassen, ist die Verknüpfung, wie Kant sagt, nicht mehr rein nominalistisch verstehbar. Der Diskurs der äußeren Reflexion, der auf seine Weise „richtig" sein will, auch wenn er bereits Zweifel an der Abbildbarkeit der Sachen in den Namen gefaßt hat, lebt zum einen von den syntaktischen Funktionen, die selbst nichts abbilden und in denen sich auf eine bestimmte Weise noch die Sprache des Nominalismus auf sich selbst bezieht 51 , zum andern aber davon, daß die Namen ehe sie in den Diskurs eingehen denn doch überhaupt „etwas" heißen, ja schließlich davon, daß das Verstehen von „etwas" durch Namen und in syntaktisch regulierten Kontexten immer schon verstanden ist — denn was es heißt, daß Namen und Sachen oder Namen untereinander ein Verhältnis haben, aus welchem zudem aller „Sinn" des Benennens erst hervorgeht, kann nicht mit Namen erläutert werden. Aber die äußere Reflexion thematisiert dieses vorgängige Verstehen des Sprechens in Wörtern nicht im und als Verhältnis zu ihren eigenen „konstruktiven" Bemühungen um Eindeutigkeit, oder sie tut es doch so, daß sie das Verstehen oder begriffliche Verhältnis nun seinerseits isoliert und es direkt (ζ. B. unter dem Titel einer „metasprachlichen" Differenz) anspricht 52 . 51
Cf. wiederum unten bes. S. 90 ff. Ein nachdrückliches Beispiel kann der „Holismus" der Wissenschaftstheorie bieten: wenn nach Duhem und Neueren Theorien nur „insgesamt" vor der „Sinneswahrnehmung" oder Faktenunmittelbarkeit stehen, so kann es gerade für diese als wesentlich erkannte (allerdings positiv genommene) Kontextualität der Theorie nicht noch ein „Modell" geben, das sich im selben Sinne wie die anderen Theorieelemente oder Formeln auf die vorausgesetzte „Struktur" bezöge, so wenig diese funktionale Totalität zu irgendetwas in der „Struktur" isomorph zu sein hat.
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Zur Kritik der Hierarchisierung von „Sprachebenen", die je im gleichen Sinne intendierbar wären, unter Hinweis auf das nur als Selbstvermittlung garnie Wissen (das dann allererst eine ζ. B. Meta-Ebene als solche verstehen kann) sowie bei gleichzeitiger Kritik der damit zusammenhängenden „semantischen" Wahrheitstheorie cf. noch einmal A . Kulenkampjj a. a. O. 45 ff. Den Gegenentwurf des dialektischen Wissens entwickelt Kulenkampff vom τρίτος-άυθρωττος-Schema aus (72 ff.). Eine ergänzende Parallele dazu und
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Einleitung
Aber das perennierende Intendieren kennt „im Grunde" das Vernünftige, und dieses spricht sich gerade in seinem Drang zur Totalität der Totalitätslosigkeit, zur „restlosen" Auseinanderreißung von „Sache und Sage" aus 53 . Für eine nominalistisch konzipierte Wissenschaft kann es weder in ihren Begriffen noch in ihrer Sache einen Grund zur „Forschung", d. h. zu einer Bewegung der Beziehung von Begriffen und ihren „Referenten" geben — man könnte sich sehr wohl wie die alten Orientalen mit der Anlage von Onomastika begnügen und diese auswendig lernen, wenn es denn in der Wissenschaft nur darum ginge, sich in nominalen Kenntnissen sowie solche Kenntnisse zu „bilden". Das Selbstbewußtsein der neueren Einzelwissenschaften besteht jedoch schon darin, sich als tätiges Beliehen von Namen (auf Sachen und untereinander) zu erweisen, im Erweis also der Fähigkeit zur Konfirmation erreichter Beziehungen über sich selbst hinaus. Der Orientierung dieser Kontinuation, die ihrem Selbstverständnis nach nicht ein beliebiges Anderssagen, sondern in aller Regel doch ein „Fortschritt" sein soll, dienen Vorstellungen von Endpunkten der Vermittlung: in synthetischer Richtung etwa die Vorstellung des erreichten Uberblicks, wie ihn der Laplacesche Dämon hätte oder eine „Weltformel" böte, in analytischer Richtung die Vorstellung definitiv erreichbarer Fakten und Wahrnehmungen oder wenigstens unumstößlicher Protokolle. Daß beide Endpunkte nicht mehr als regulative Extrapolationen aus dem Vollzug des nominalistischen Diskurses heraus sind, ist für die erste Hinsicht vielleicht auch der Vorstellung plausibel oder wenigstens verständlicher als für die zweite. Immerhin scheint ein Diskurs analytisch für die Darstellung der spekulativen Sprachform nicht minder wichtig sind die Ausführungen von U. Richli, F o r m und Inhalt in G . W. F. Hegels „Wissenschaft der L o g i k " , Wien/München 1982, 139 ff. 53
Schon in der Logik-und Metaphysik-Vorlesung von 1801/2 ist, der Nachschrift Troxlers zufolge, von einem „Streben der Vernunft" die Rede, welches sich in der „ R e f l e x i o n " ausdrückt, sofern nämlich diese „mit jedem Bestimmtem zwei E n t g e g e n g e s e t z t e " setzt und „sie dann wieder zu synthesieren" sucht, im Grunde also der konkreszierenden B e w e g u n g der Disjunktion vertraut; die Reflexion wird indes wie die Kantische Vernunft antinomisch, weil „sie die Nichtigkeit ihrer Gegensätze und Synthesen nicht anerkennt" und die vernünftige Totalität (der Metaphysik) nicht aufzustellen vermag (cf. Κ. Düsing (ed.), Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik ( 1 8 0 1 - 1 8 0 2 ) , K ö l n 1988, 70). Die Nichtigkeit des Reflexionsgegensatzes ist seine Endlichkeit, durch welche sich die Entgegengesetzten gerade nicht wirklich durchdringen können. — In der Differenzschrift ist von einer „geheime(n) Wirksamkeit der Vernunft" und „Leitung zur Totalität der Notwendigkeit"die Rede; die Vernunft „verführt" den Verstand sogar dazu, „eine objektive Totalität zu produzieren", womit er dann antinomisch wird (2, 26). Analoges ließe sich in verschiedenen Zusammenhängen nachweisen, ζ. B . für den Totalitätsdrang als M o m e n t des Mechanismus in der WdL.
Bewußtheit und Erscheinung
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an ein Ende gelangt zu sein, wenn er sprachlich nicht mehr fortgesetzt werden kann und stattdessen in eine Deixis resultiert, in welcher sich nunmehr sprachliche Reflexion-in-anderes und Reflexion-in-sich der Sache doch zu berühren scheinen. Aber zum einen ist es immer arbiträr, an welcher Stelle eine sprachliche Vermittlung durch eine Deixis abgebrochen wird, und es ist dabei niemals im vorhinein klar, ob die deiktische Vermittlung gelingt — d. h. ob sie als Sprache genommen wird, die etwas sagt, oder nicht. Zum anderen fallt die Deixis auch insofern nicht aus aller Sprache, als man in einem Zusammenhang, in dem das Zeigen als Abschluß dieses Zusammenhangs akzeptiert wird, ohne daß eine weitere Analyse erforderlich scheint, schon verstanden haben muß, was „Zeigen" überhaupt meint. Auf das komplexe Verhältnis „Zeigen" kann jedenfalls nicht wiederum äußerlich gezeigt werden, während umgekehrt das Zeigen im Vollzug an das schon Verstandenhaben von „Zeigen" appelliert. Ich, der Zeigen schon versteht, kommt insofern in jeder Deixis vor und ist in sie vermittelt. Eine Deixis appelliert an Ich, der schon weiß, was es heißt, ζ. B. den zeigenden Finger, das gezeigte Etwas und die Situation der Frage, in welcher so gezeigt wird, auseinanderzuhalten und dennoch als ein Ganzes der Unterschiedenen zu nehmen. Ich, der das kann, erweist sich zugleich als das logisch ältere Verhältnis denn alle bestimmten Verhältnisse des Zeigens. Die Deixis aber ist so kein einfaches Ende einer Analyse. Sie wurzelt vielmehr in einem Klarsein — einer δήλωσις, von der Hegel, wie wir sehen wollen, sagen wird, daß sie das ursprüngliche Ansich, das Absolute ist.
5. Bewußtheit
und
Erscheinung
Die äußere Reflexion ist, was festzuhalten ist, nicht ein beliebiger „Konkurrent" der absoluten Form, sondern ihr (wenn man so will) Abfall von dieser betrifft nicht untergeordnete Formmomente, sondern bezieht sich auf die Mitte der absoluten Form und damit, wie wir sehen werden, auf das „Prinzip" der Individualität. Im Abfall von der Mitte stellt sie sich als äußere Unmittelbarkeit, als unvermitteltes Sein des Wissens und — in realphilosophischer Hinsicht — als natürliches Wissen, als Hausverstand oder unmittelbares Bewußtsein dar. Es ist mit die schwerste Wissenschaft, die die Philosophie zu erreichen hat, wenn sie von der äußeren Reflexion als solcher, ihrer Logik und Bestimmtheit nach, einen gediegenen Begriff aufstellen will.
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Einleitung
Das Bewußtsein, wie es als natürlicher Geist da ist, ist die geistige Darstellung des intendierenden, auf „etwas" gerichteten, sich als diese Richtung und als verschieden vom Etwas wissenden Verhaltens, die geistige Darstellung also des logischen Verhältnisses der äußeren Reflexion. Es ist dies, insofern es als Bewußtsein isoliert wird, wie es die geistphilosophische Betrachtung wohl tun muß. Am Geist als aufgehobener Natur lassen sich immer Hinsichten herausstellen, die das Logische nicht ohne weiteres betreffen. Realphilosophie meint bei Hegel gleichwohl das Unternehmen der absoluten Form selbst, sich „jenseits" ihrer logischen Selbstbetrachtung eine Extension zu geben, in welcher sie sich als aus ihr entgegengesetzten (objektiven) Begriffen entgegenkommt und erkennt — aus Begriffen wohlgemerkt im vollen Sinne, die sich bereits als eigene Sphäre und „Leib" realisiert haben. Realphilosophie in diesem Verstände ist nicht etwa eine Beschäftigung mit vorausgesetzten Nomenklaturen der Einzelwissenschaften in philosophischer Hinsicht, sondern sie ist, mit Hegel zu reden, die ,,Ern>eiterun¿' des Logischen, das sich selbst „ein System der Totalität" und insofern einfache und unmittelbare absolute Form geworden ist, Erweiterung nämlich durch bestimmte Beziehung auf das dieser resultierenden Einfachheit der Totalität gegenüber differente, äußere und als Äußerlichkeit sich Erhaltende — durch Beziehung also auf ein „Moment des Inhalts", welcher „im Ganzen" der neuen, realphilosophischen Beziehung „als die erste Prämisse angesehen werden" kann 54 . Das Äußere der absoluten Form im Sinne eines gleichwohl philosophisch darstellbaren Inhalts sind nicht die einzelwissenschaftlich bestimmten Gegenstände geschweige denn das überhaupt unmittelbar Gegebene als sol54
Die Untersuchung von L. B. Punte!, Darstellung, Methode und Struktur, Hegel-Studien Beiheft 10, Bonn 1973, hat das Verdienst, sich der Problematik des meist nicht wirklich durchdachten Verhältnisses von Logik und Realphilosophie auf gründliche Weise zugewandt zu haben. Für Puntel ist die hier zitierte Stelle WdL II, 502 von zentraler Bedeutung; er zieht sie zur Konstruktion einer logisch-phänomenologisch-,noologischen' Elementarstruktur heran, welche sich als „Gegenläufigkeit" von (theoretisch) begründendem und (praktisch) fortbestimmendem Rück- bzw. Fortgang (cf. auch WdL II, 503) zumal auch in Entsprechung zur Doppelung in theoretische und praktische Idee darstellen soll (cf. 242 ff., 215 ff.). Abgesehen von dem fragwürdigen Anspruch einer elementaren „Struktur" in der Philosophie, muß man sich auch hüten, die beiden zuletzt genannten Bewegungen, die Puntel selbst „komplementär" nennt (217), abstrakt zu scheiden, was geschieht, sobald „die theoretische Dimension" zu umstandslos „Bewußtsein", „die praktische Dimension" entsprechend „Selbstbewußtsein" heißt und so Logisches zu einfach an realphilosophische Örter gewiesen wird (cf. ζ. Β. 244). Das Wissen der absoluten Form etwa ist in jedem Fall selbstbewußt, aber darum noch nicht ohne weiteres praktisch in einfachem Gegensatz gegen das Theoretische, wie es auch nie praktisch im Sinne nur bewußten Wollens (Absicht auf endliche Zwecke) ist.
Bewußtheit und Erscheinung
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ches, sondern es ist das differente Bestehen des Anderen der absoluten Idee: zunächst in unendlich vielen endlich differenten Differenzen, d. h. als Unmittelbarkeit des Bestehens der absolut äußeren Differenz (Natur), sodann aber als reine Resumtion des Selbsts aus der vollendeten NichtBeziehung, die sich als Selbstvermittlung aus der absoluten Äußerlichkeit der Idee erhält (Geist) 55 . Die absolute Form bewährt in ihrer Ausgestaltung einer systematischen Realphilosophie aufs höchste ihren Methodensatz, daß sie in der Selbstbestimmung ihres Inhalts „an der Notwendigkeit des Begriffs" fortgeht und so in der Form der Individualität bleibt, wobei aber „jede neue Stufe des Außersichgehens ... auch ein In-sich-gehen, und die größere Ausdehnung ebensosehr höhere Intensität"56 ist. Die absolute Form schafft sich im Angesicht des Äußeren die Möglichkeit des eigenen Sprechens — was aber nicht heißt, daß sie nur „über" das Äußere spricht wie eine Einzelwissenschaft, sondern daß sie es ¿^spricht und herstellt als das, was es ist. Der Vorzug, den eine realphilosophische Darstellung der äußeren Reflexion am Bewußtsein vor einer logischen haben kann, besteht darin, daß sie etwas in den Blick bekommt, was die äußere Reflexion selbst nicht erblickt, nämlich ihre eigene wesentliche Unmittelbarkeit oder ihren Scheincharakter. Um diesen weiß zwar auch die Logik als Wissenschaft der absoluten Form, aber die Realphilosophie schaut ihn zusätzlich auch an — weshalb übrigens einer Phänomenologie des Bewußtseins nicht nur Beliebtheit bei den Interpreten, sondern auch von der Sache her eine in die begriffliche Wissenschaft einführende Funktion entstehen kann 37 . Die äußere Reflexion bezieht sich, wie wir sagten, auf ein Vorausgesetztes und " Für Hegels Naturbegriff und seine systematische Beziehung zumal auf den Geistbegriff ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung die Einleitung in die Jenaer Naturphilosophie von 1804/5 (GW VII, 179 — 192). Das gilt trotz der Differenzen zu den späteren, z. B. enzyklopädischen Entwürfen. — Darin, daß sich die Natur selbst als Widerspruch setzt, geht sie — gleichsam in ihrem unendlichen Urteil! — über sich selbst hinaus; cf. dazu etwa V. Mathieu, Filosofia della natura e dialettica, in: V. Verra (ed.), Hegel interprete di Kant, Neapel 1981, 9 1 - 1 2 2 , bes. 97. 56 WdL II, 502. 37 Im übrigen dürfte die Frage nach der „Einleitungswissenschaft" zum System der Philosophie durchaus marginal sein; sie könnte auch von Hegel zeitweilig überschätzt worden sein. Die Vorstellung einer Situation, in der sich die Philosophie der Unphilosophie verständlich zu machen habe, ist rein fiktiv — Gleiches wird auch hier durch Gleiches erkannt, und es kann in diesem Fall sogar gesagt werden, daß es bei einer Einleitung in die Philosophie gerade darum geht, das an ihm selbst Ungleiche vom an ihm selbst Gleichen zu scheiden. Das aber ist keine Frage der didaktisch geschickten Bewerkstelligung, sondern die systematische Vermittlung selbst. Oder auch: die Philosophie wendet sich als individualisierte Form indirekt immer an Individuelles, und dies ist die Einleitung.
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zugleich auf ihr eigenes Sich-Beziehen auf dieses, welche sie beide (da sie nur endlich-antinomisch bezogen sind) noch einmal von sich als dem subjektiven Verstand unterscheidet. Darin, daß sie ihre voraussetzende und ihre beziehende Tätigkeit (die genau genommen jede sowohl eine Reflexion-in-sich als Reflexion-in-anderes, aber nur endlich bezogen, sind) voneinander unterscheidet und als sich äußerlich annimmt, hat sie die Totalität der Vermittlung vergessen. In der Bewußtseinslehre aber wird das so Vergessene angeschaut — im Sein der Sprache z. B. — und so der logische Weg, wenn man so will, durch eine Unmittelbarkeit abgekürzt. Das ist etwa im Hinblick auf das Kantische Ich nicht ohne Bedeutung, bei welchem, von Hegel her gesehen, logische und geistphilosophische Aspekte durcheinandergehen. Dieses Ich bekommt sich ausdrücklich nur als Erscheinung zu Gesicht, während ihm sein Dasein und so seine Totalität wie bei aller Reflexion gleichsam im „toten Winkel" liegen. Kant selbst hat die Aporetik, die sich mit seinem zuletzt aus einem spekulativen Bedürfnis eingeführten „Ich denke" verbindet, sofern es unmittelbar einen empirischen Verstand bedeuten soll, bemerkt und, ζ. B. im Paralogismuskapitel, gerade in realphilosophischer Hinsicht zu bearbeiten versucht. Für Kants gelegentlichen Rekurs auf die Vermögenspsychologie gilt Entsprechendes, und die Interpretation tut in jedem Fall gut daran, wenn sie darauf achtet, wo vielleicht begrifflich Erläuterungsbedürftiges nur mit Anschaulichem geklärt werden soll. Aber auch in diesen Fällen zeigt das Anschauliche immer etwas auf, das eine Grenze des gegebenen Begriffs bedeutet. Das Bewußtsein ist nach Hegel der „erscheinende Geist" 58 . Der Geist ist mit dieser Wendung in doppelter Weise auf Erscheinung bezogen: einerseits so, daß er selbst erscheint, d. h. für anderes, was natürlich auch heißt: für sich anderes oder natürlich ist; andererseits so, daß ihm das Andere logisch Erscheinung ist. Das Andere seinerseits ist als Erscheinung für anderes und verliert sich im Für-anderes-Sein, andererseits ist es im Für-anderes-Sein für sich, oder es erhält sich rein als Das-Andere-derErscheinung-Sein. Kant hatte in einer gewissen Schlichtheit an der Erscheinung das Phänomenale und das Noumenale unterschieden. Aber zumal wenn diese Differenz festgehalten werden soll, erzeugt sie die zweite
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Cf. dazu außer Enz. §§ 413 ff. auch WdL, Vorrede 1812,1, 7; ferner § 2 aus einem Fragment zur Geistlehre der Nürnberger Zeit: „Der bewußte Geist, bestimmter gedacht, ist erscheinend" (4, 291). In der Solger-Rezension spricht Hegel vom „Dualismus unseres Bewußtseins, unserer Erscheinung" (12, 241).
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Differenz, die sich quantitativ etwa als die Vielheit der Phänomene gegen die Einheit des Wesens ausdrücken läßt oder welche als die Differenz zu einem Dritten, das die erste Differenz allererst bezieht und fixiert, gedacht werden muß. Insofern ist es denn auch noch recht geläufig zu sagen, daß sich der Begriff der Erscheinung als dreigegliederte Relation eines Ansich (1), das als Phänomen (2) Anderem (3) erscheint, darstellt59. Eine Dogmatik der Erscheinung und ihrer Differenzen würde beginnen, wenn man — etwa im Sinne dessen, was als abstrakt-metaphysischer „Piatonismus" bezeichnet wird — alle Glieder der Relation als im selben Sinne seiend verstehen wollte. Es war gerade Kant, der die Möglichkeit eines solchen Dogmatismus von Grund auf beseitigt hat, zumindest sofern er in der Lage war, eine Prin^ipiierung der ganzen Relation in der zweiten Differenz durchzuführen. Ihmzufolge ist das „Wesen" oder „Ding an sich selbst" für den aktualen Vollzug der Erkenntnis der Erscheinung nur aus der Beziehung des Verstandes auf das erscheinende Mannigfaltige extrapoliert60 — unabhängig einmal von der Frage, was Kant sonst und in anderer Rücksicht „metaphysisch" von der „Existenz" eines „mundus intelligibilis" gehalten haben mag 61 . Diese Fundierung der Erscheinungsrelation ist dabei nur 39
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Wir werden unten versuchen, aus den Gliedern der logisch aufzufassenden Reihe „Inneres (1) als (2) Äußeres (3)" die Kantische Kategorientafel abzuleiten (cf. S. 155 ff.). Man kann in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, wie bereits Maimón das uns interessierende Verhältnis bestimmt hat. Er nennt die „Noumena" „Differenziale der Objekte" und die „daraus entspringenden Objekte selbst ... die Phänomena"; cf. S. Maimón, Versuch über die Transzendentalphilosophie, Darmstadt 1963 (Nachdr.), 32. Es geht ihm dabei darum, die „reinen Begriffe" als „Verhältnisbegriffe" zu denken (37). In der Erfahrung haben wir es sozusagen mit aus diesen Differenzialen immer schon integrierten Gegenständen zu tun, an denen das Noumenale als Prinzip zur Erklärung der Entstehung der Objekte (cf. 32) nur ideell und selbst nicht anschaulich, aber im abstrakten Sinne von „ B e g r i f f ' auch nicht begreiflich ist (cf. 43 Anm.); es ist vielmehr inkommensurabel zu Begriff und Anschauung und dennoch nicht etwa „unvernünftig". Im Differenzial des Objekts ist daher die äußere Reflexion als endlicher Fortgang an Bestimmtheiten im perennierenden Intendieren und das „fließende Objekt" des Verstandes (cf. 33) in die Totalität aufgehoben. Maimón spricht damit auf seine Weise die Forderung aus, es bei der einfachen Antinomie der Erscheinung nicht zu belassen. H. Wagner, Kants affirmative Metaphysik von Dingen an sich, in: G. MicbelijC. Santinello (edd.), Kant a due secoli dalla „Critica", Brescia 1984, 181 — 191, hat ein solches unabhängiges, nämlich das praktische Interesse Kants am Intelligiblen behaupten wollen, um damit dann gegen eine theoretische Auffassung des Noumenalen zu polemisieren, die es nur als beliebige Hinsicht auf den Erfahrungsgegenstand bestimmt. Wenn auch diese Polemik der Sache nach im Recht ist, dürfte es in die andere Richtung überschießend sein, die Dinge an sich stattdessen als eine „Art von Gegenständen" (182) zu verstehen. Das Noumenale ist viel eher — etwa mit Maimón — als Verhältnis von Gegenständlichkeit zu fassen, in welches alles Gegebene zu verhalten aufgegeben ist.
Einleitung
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möglich, wenn die Beziehung des Verstandes auf Erscheinungen die totale Weltbeziehung ist und es daneben nicht noch anderes (theoretisches) Wissen gibt. Bei Kant stehen für diese zu fordernde Totalität einerseits die Lehre von der Idealität der Anschauungsformen, über die alles Äußere vermittelt ist, und andererseits der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile ein, demzufolge der Verstand das Bedingende aller seiner Gegenstände — sozusagen ihre tätige durchgängige Verinnerlichung ist. Das Ding als notwendig unter der Verstandesform stehend und durch diese Subsumtion sich anderes ist nur Erscheinung, nämlich als einerseits positiv und eindeutig konstituiertes und als andererseits in sich reflektiertes totales Ding, als negative Einheit, die im Jenseits des Verstandes bleibt und allenfalls durch Vernunft erschließbar sein soll. Der Verstand sieht die positive oder passive Nur-Erscheinung als bestimmt an, indem er innerhalb ihrer Vielheit von der einen zur anderen Bestimmtheit fortgeht. Der Fortgang wiederum erfolgt in der Form des synthetischen Urteils, also in einer Verhältnisweise, deren Bestimmtheit ganz im Verstand, nämlich in seinen eigenen Kategorien liegt, und deren Grund und Möglichkeit er somit an sich selbst hat. Allgemein ist dieser Grund der Horizont des subjektiven Verstandes, seine nicht direkt intendierbare Totalität. Der Verstand kann darum von einer Erscheinung zur anderen fortgehen, weil er als Fortgehen bei sich selbst bleibt und nur das Aufspannen seines Selbsts als der allgemeinen Kontextualität der verschiedenen Erscheinungen ist. In der Kantischen Idee ist dieser dem Bewußtsein unmittelbare Grund des Fortgehens durch die regulative Forderung des Fortgangs selbst zu vermitteln aufgegeben; er soll aus dem unmittelbaren Gegensatz der Erscheinung, sofern dieser in der Antinomie bewußt wird, als möglicherweise bewußter ergriffen werden. Hegel hat dem Aspekt des Fortgangs von einer Erscheinung zur anderen seinerseits Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist ihmzufolge geradezu das Wesen der Erscheinung, sich in anderes Erscheinendes beständig zu vermitteln und so zur Welt zu werden 62 . Als diese Tendenz der Vermittlung ist sie nicht nur Unmittelbarkeit (Sein), auch nicht nur Unmittelbarkeit des Wesensunterschieds (Schein), sondern zu einer Unmittelbarkeit der Negativität selbst erhoben, welche sich an ihr als ihr Totalitätsmoment zeigt. Der einfache Ausdruck ihrer Totalität ist das „Gesetz der Erscheinung", wie es etwa von Kant in den Grundsätzen ausgesprochen wird, die das bleibende Setzen eindeutiger, positiver Bestimmtheit in den Wechsel 62
Cf. nur Enz. § 132.
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des unmittelbar Erscheinenden sind 63 . Allerdings erreicht der Kantische Grundsatz, eben weil er nur eindeutige Bestimmtheit vermitteln kann und will, die Konkretheit des zu Bestimmenden nicht; er erreicht weder die „besonderen Gesetze" der Natur 6 4 noch gar die bestimmte Unmittelbarkeit der Erscheinung, welche insofern gerade endlich und totalitätslos bleibt. Das unmittelbar Erscheinende bleibt „immer anders" und nur empirischer Begriff, bleibt Gegenstand der äußeren Reflexion, während schon das Denken des Gesetzes mehr ist als dies und bereits als bestimmend gelten muß. Das Gesetz bestimmt die Erscheinung aus einem ihr (als unmittelbarer) fremden, ihr zugleich aber (als Erscheinung) nicht fremden Grund, nämlich aus der Form des sich in sich reflektierenden Verstandes selbst oder aus diesem als allgemeiner Kontextualität. Und aus dem Selbst des Bewußtseins vom Bestimmten — Kantisch: aus der transzendentalen Apperzeption — ist die Form der Totalität in der Tat zu vermitteln, wie denn nach Kant alle meine Vorstellungen vom „Ich denke" begleitet werden können müssen; und gleichfalls aus dem Selbst wird sich die Bewußtheit gewiß, etwas und nicht nichts zu sagen, wenn sie die Erscheinung bestimmt. Die äußere Reflexion alleine kann diese Gewißheit niemals geben — wie sie denn ihr Selbst auch an Anderem zu haben pflegt: an bestimmten Vorstellungskomplexen der Einzelwissenschaft, an Mehrheiten und öffentlichen Meinungen oder auch nur an entäußerndem Sinnlichem. Schon die transzendentale Reflexion hat dagegen eine Ruhe und Gewißheit ihrer selbst erreicht, wie sie nur die Beziehung auf das negative Formprinzip der Individualität mitteilen kann. Sie hat es erreicht, indem sie sich aus der Erscheinung bzw. der positiven Bestimmtheit sich abgestoßen hat, so daß sie sich zugleich als Prinzip des Verstehens und des Verstandenen weiß 6 5 . Der Kantische Verstand kommt — Hume zum Trotz — dahin, 63
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Der Doppelbegriff der Erscheinung steht bei Hegel genau in der Mitte der Wesenslogik der WdL (und zwar als mittlerer Abschnitt des Wesens und als mittleres Kapitel dieses Abschnitts); so bildet er auch die Mitte der WdL im ganzen. — Zum „Gesetz der Erscheinung" cf. vor allem WdL II, 124 ff. und Enz. § 133. Cf. KdrV Β 165; Β 197f./A 158 f.; KdU Einl. IV; Erste Einleitung IV (bes. AA X X , 210). Man kann für den transzendentalphilosophischen Abstoß zum Selbst schon den Hegelschen Begriff des „absoluten Gegenstoßes" (cf. WdL II, 16. 63 u. ö.) in Anspruch nehmen, der, wenn man so will, die ursprüngliche „Lichtung" des Bewußtseins, die diesem gleichwohl unmittelbar verborgen ist, bestimmt; in ihm hat das bewußte Verstehen, d. h. die aus dem bewußten Negieren des bloß Ontischen kommende Bewegung der Tilgung desselben in das Nichts der Bewußtheit selbst als „ B e w e g u n g von Nichts Nichts und dadurch ^u sich selbst zurück" (WdL II, 13) seine „gebrochene" Mitte; aus ihm spannt sich alles Verhältnis und so das Verständliche auf. Die äußere Reflexion weiß nicht mehr oder
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Inhalte zu setzen, die er als seine Prinzipiate und daher als zureichend bestimmt weiß. Sofern diese Inhalte aber nur einsinnig Bestimmte, nur Positivitäten sind, bleibt der Verstand auch nur das Sollen der absoluten Form, ihr reflexives Bild, wiewohl dennoch Selbstbewegung66, Auffassen des Inhalts als eines Verhältnisses — ist er, wenn auch dies alles nur im Medium der Bewußtheit, Wissen der Totalität am Inhalt. Kantisch mit Dingen und Verstand, mit Äußerem, Innerem und dem Als, mit Natur und Freiheit, mit Logik, Moral und Religion umgehen, heißt die absolute Form in einem in einer bestimmten Brechung modifizierenden Spiegel der Reflexion anschauen. Es ist ein Sprechen, das zu-
noch nicht, daß die Doppelung der Bestimmtheit als ganze in ein Verhältnis zu setzen ist, in welchem sie sich als dasselbe wie der ureigene „Gegenstoß" der Reflexion erweist. Das Problem, um das es dabei im weiteren Rahmen geht, lautet: das Zu-sich-Kommen der Reflexion ist so zu bestimmen, daß dabei ipso facto die Bestimmtheit zu sich kommt und als Sein des Selbsts verstehbar wird. Es ist ein großes Verdienst D. Henrichs, diesem Problem der „Selbstbeziehung und Bestimmtheitsbeziehung" näher nachgegangen zu sein, dabei als logisches Instrumentarium in der Hauptsache den Negationsbegriff (einschließlich des seinslogischen der Andersheit) herangezogen und damit das Verhältnis von Wesen und Schein erläutert zu haben (cf. ders., Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung, in: Hegel-Studien Beiheft 18, Bonn 1978, 2 0 3 - 3 2 4 ; loc. cit. 232). Zur Lösung des gestellten Problems ist in der Tat, wie Henrich ausführt, ein Verhältnis logisch darzustellen, in welchem das Wesen mit dem Sein zugleich identisch und ihm entgegengesetzt ist (cf. 234), d. h. der Gegensatz, der das Wesen selbst ist, hat sich dahin zu entwickeln, daß er den Gegensatz dieses Gegensatzes und seines Andern (des unterschiedslosen Seins) noch begreift (wir werden in entsprechender Hinsicht das unendliche Urteil untersuchen). Henrichs negationslogische Entwicklung läßt in der Anlage erkennen, wie aus der einfach negierenden Bewegung (der Bewußtheit) die „absolute Andersheit" (265) hervorkommen muß: dies tritt gerade dann ein, wenn die Negation selbstbezüglich (realphilosophisch veranschaulicht: wenn das Bewußtsein Selbstbewußtsein) wird, d. h. dann auch, wenn in dieser Bewegung der Reflexion das Sein nicht mehr unmittelbar negiert (intendiert) wird. Die Andersheit, die hervortritt, ist eine, die sich „erhält" (cf. 271). Wird aber so im Ernst das Sich-Erhalten des Anderen gewußt, so ist darin das Andere auf seine Weise bereits die subjektiv gewordene Substanz und nicht mehr nur ein Schein (Reflex) des Wesens; es ist, wie seinerseits das Negieren und eodem actu mit diesem, unendlich auf sich bezogen, welche absolute Vermittlung der Begriff darzustellen hat. — Wichtig ist übrigens noch Henrichs Bemerkung, daß die Selbstbeziehung erst im Grund (d. h. sofern sie sich als den eigenen Grund ihres negierenden Tuns, und zwar auch des äußeren, weiß) der Bestimmtheit nicht mehr untergeordnet ist (cf. 273). Im Begründen ist eingesehen, daß das unmittelbare Aufstellen von Bestimmtheiten nicht „wahrheitsfähig" sein kann, sondern dies erst wird, indem die subjektive Vermittlung das unmittelbare Bestimmen bestimmt. Auch diesen logischen Sachverhalt nehmen wir hier für Kant in Anspruch. 66
„Die Bewegung (sc. der Reflexion im „Hinausgehen über das Unmittelbare") wendet sich als Fortgehen unmittelbar in ihr selbst um und ist so nur Selbstbewegung" (WdL II, 16). Der Begriff der „Umwendung", „Umkehr", der „Inversion" oder μεταβολή, die im absoluten Sinne immer auch die Reflexion und also eine μετάνοια einschließt, wird für unsere Bestimmung des Individuellen wichtig werden.
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gleich die Sprache auf den Bewußtseinsgegensatz auf bestimmte Weise festlegen möchte, wenn auch diese Festlegung nicht prinzipienlos erfolgt. Hegels Einwand wird darum lauten, daß die Bewußtheit selbst nur die eine Seite der vollständigen Disjunktion des Selbsts und nur Moment an diesem sein kann; sie ist nur positive und gesollte Einheit der SelbstBestimmtheit und keineswegs schon Wirklichkeit des Selbsts und Selbstbestimmung. Wenn auch die Kantisch reflektierte absolute Form schon sich aus der Erscheinung zu sich abstößt, so kann erst der Hegeische Begriff die ganze Sphäre der Erscheinung mitsamt ihrer nur-reflexiven Selbstbeziehung negieren und die Form einer nur wesentlichen und endlichen Relationalität der Bestimmtheit und des Selbsts verlassen. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, daß Hegels Kantkritik gerne bei Kants, wie Hegel sagt, „Erzählen" von vielen Kategorien einsetzt, deren nur unmittelbarer Unterschied als bestehend hingenommen wird 6 7 . Sein Bestehen hat der Unterschied gerade darin, daß er im „toten Winkel" der Bewußtheit liegt, die sich als selbst der Gegensatz der Reflexion nicht zu „der" (gegensatzlosen) „Kategorie" zu erheben vermag, welche die Phänomenologie der Vernunft vindiziert 6 8 . Als Logik ist die Wissenschaft der absoluten Form wesentlich Wissenschaft von den Unterschieden der Kategorien, aber von diesen Unterschieden als konstitutiven Beziehungen und Selbstvermittlungen ihrer, und setzt darum „die Befreiung von dem Gegensatze des Bewußtseins" 6 9 , innerhalb dessen es bei der Vielheit bleiben muß, voraus. Im Begriff im Hegeischen Sinne ist die Vielheit der Bewußtheit ein durch die ganze Form in Gleichheit mit der Gegensatzlosigkeit vermitteltes Moment, ist sie dadurch als Bewußtheit auch selbst bestimmt, d. h. in einen höheren Gegensatz getreten, der sie und die Erscheinung wie auf der anderen Seite die ansichseiende Bestimmtheit als aufgehoben setzt. Das Andere der Bewußtheit ist dann nicht mehr, was sie selbst als dieses nahm, ihr „intentionales Korrelat", ihr „Gegenstand", sondern von der äußeren Absicht freies Anderes, das vielmehr die positiven Vorstellungen von ihm 67
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Zu Hegels Kantkritik in diesem Punkt cf. 20, 392 f.; 345 f.; WdL I, 46; II, 253 f.; 445; Enz. § 42 u. ö. — In der Anm. der zuletzt genannten Stelle spricht Hegel der „Fichteschen Philosophie ... das tiefe Verdienst" zu, „daran erinnert zu haben, daß die Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen, daß sie wesentlich abzuleiten seien"; cf. 20, 401: Fichte unternimmt ,,de(n) erste(n) vernünftige(n) Versuch in der Welt, die Kategorien abzuleiten". — Der Zusammenhang wird systematisch und entwicklungsgeschichtlich dargestellt von L. Lugarini, La „confutazione" della filosofia critica, in: ders. a. a. O., 77 — 120, bes. 104 ff. Cf. PhG 178 ff. WdL I, 32.
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durch sich selbst tilgt; es ist freies Anderes, aber nicht etwa als nun mit Bewußtheit als frei bestimmtes, auch nicht nur als abstrakt als unbestimmt frei gesetztes Anderes, das nur verhältnislos, Totes wäre, sondern als im Begriff Verhaltenes, in der Beziehung frei Gewordenes und die Freiheit des ganzen Verhältnisses Bewährendes. Die Befreiung von aller Vorstellung geschieht durch den spekulativen Begriff und zu ihm; sie ist Befreiung in eine „Proportion" der Bewußtheit zu der ihr durchaus „dunklen" oder „blinden" Tätigkeit ihres Anderen, einer als Proportion wahrheitsfähigen Form der Beziehung, die indes als ganze vollständig inkommensurabel zu allem fixen Inhalt und zu nur identischer Bedeutung ist. Entsprechend wird sie nicht in endlichem Wissen, sondern nur im sich auf sich verstehenden, im absoluten Wissen gewußt 7 0 . Um die systematische Relevanz der Bewußtseinsproblematik für das philosophische Formproblem noch bestimmter einschätzen zu können, wollen wir noch einen Blick auf die Bewußtseinsfrage werfen, wie sie sich nach Kant vor allem von Reinhold und Fichte her ergeben hatte. Reinhold hatte den zum Teil noch bei Kant vermögenspsychologisch festgelegten Begriff der Vorstellung philosophisch strenger zu behandeln versucht, indem er ihn als durch das Verhältnis des Bewußtseins definierbar ansah 71 . Als „einfache(r), dem Bewußtsein selbst zum Grunde liegende(r) Begriff' 7 2 entzieht sich nach Reinhold die Vorstellung zwar unmittelbar der Definition; da aber zugleich das Bewußtsein das höchste philosophisch darstellbare Verhältnis ausmacht, als welches es im „Satz des Bewußtseins" auch ausgesprochen ist, ist die Definition der Vorstellung qua Bewußtseinsmoment oder als im Bewußtsein vermittelter „die höchste aller möglichen Definitionen" 7 3 . „Der ursprüngliche, zusammengesetzte, erklärbare Begriff (sc. der Vorstellung) ... erfolgt aus dem Bewußtsein, und wird durch die Tatsachen, die dasselbe 'ausmachen, nämlich das Unterscheiden der an sich unerklärbaren Vorstellung von, — und das Beliehen derselben auf Objekt und Subjekt, und durch den Sat'.ζ, der diese Tatsachen ausdrückt, be70
Für den Ausdruck „Proportion" cf. zunächst das entsprechende Kapitel der Jenaer Logik von 1804/5 (cf. G W V I I , 105—125), das die spätere Ideenlehre vorbereitet; in gewissem Sinne als Proportionen werden sich aber auch die Kantischen Modalitäten, deren Aussprechen seinen Grund im absoluten Wissen hat, erweisen.
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Kant hatte allerdings keine dogmatische Wissenschaft der Vorstellung betrieben, sondern eine Wissenschaft des Vorstellens eröffnet; cf. den im „Streit der Fakultäten" abgedruckten Brief K . A. Wilmans' ( A A V I I , 69). K. L. Reinhold, Über das Fundament des philosophischen Wissens, ed. W. H. Schräder, Hamburg 1978, 79. A. a. O. 78.
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stimmt" 74 . Die Überführung der Lehre von der Vorstellung in eine Bewußtseinslehre stellt sich logisch dar als eine Relationierung des Unmittelbaren der Vorstellung innerhalb eines Verhältnisses, dessen Momente ein Unterscheiden, ein Beziehen und der Ausdruck dieses Ganzen sind. Wenn Reinhold das so in sich differenzierte Bewußtsein als sein „Fundament", ja „als Gattung, und in seinen Arten das Einzige und vollständige Fundament der Elementarphilosophie, sowohl der allgemeinen, als der besonderen"75 bezeichnet, erhellt für einen Augenblick die Möglichkeit, in dem auf bestimmte Weise gestellten Thema Bewußtsein das philosophische Problem zentriert zu sehen. Die Grenze aber des Reinholdschen Ansatzes ist bereits durch Fichtes Zugriff auf das Problem erwiesen worden. Es ist nach Fichte nicht mehr möglich, die Bestimmungen des Bewußtseins nur in einem Satz zu aggregieren, zumal wenn die Bezogenen des tätigen (vorstellenden) Verhältnisses, nämlich die unmittelbare Vorstellung sowie Subjekt und Objekt, rein passive Extreme bleiben sollen. Fichte selbst geht sofort vom Bewußtseinsverhältnis als ganzem, als sich differenzierender Totalität und so als reiner daseiender Vermittlung aus. Wenn dann nach der „Grundlage alles Bewußtseins" gefragt wird, muß dies in der Immanen% der Vermittlung bleiben oder selbst auf ein Bewußtsein führen, das jedoch zugleich als das empirische, zu begründende Bewußtsein fundierend gewußt wird 76 . Fichte wird von der Doppelung, die das Bewußtsein an ihm selbst hat, indem es überhaupt intendierend auf „etwas" geht, zu einer zweiten Doppelung, aber jetzt dieses ersten Bewußtseins selbst, getrieben. Das Bewußtsein unterscheidet sich so als empirisches (als die Unmittelbarkeit des Gegensatzes) von sich als reinem, sich unmittelbarem Bewußtsein (als Unmittelbarkeit der Gegensatzlosigkeit im Sinne der „intellektuellen Anschauung") selbst77. Der zweite Unterschied des Bewußt74
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A. a. O. 79. Der „Satz des Bewußtseins" lautet bekanntlich: „daß die Vorstellung im Bewußtsein durch das Subjekt v o m Objekt und Subjekt unterschieden und auf beide bezogen werde" (78; im Original kursiviert). A. a. O. 80, 107. Nach § 1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" geht es um die „Tathandlung ..., die unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewußtseins nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewußtsein zum Grunde liegt, und allein es möglich macht" (WW I, 91). Die „Tathandlung" ist das Sich-Verhalten des ersten Verhältnisses, zu bestimmen etwa als Selbstbegründung oder Selbstbestimmung (cf. WW I, 98); in den zu gewinnenden „Synthesen" versucht sie, sich Gestalt zu geben und Äußerlichkeit zu gewinnen. „Alles mögliche Bewußtsein, als Objektives eines Subjekts, setzt ein unmittelbares Bewußtsein, in welchem Subjektives und Objektives schlechthin eins seien, v o r a u s " (Neue Darstellung WW I, 528.
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seins ist der zwischen seinem Sein und seiner Reflexion-in-sich. Fichte bestimmt nun auch die Aufgabe der Philosophie von dieser Doppelung des Bewußtseins aus, die sich nämlich als „zwei sehr verschiedene Reihen des geistigen Handelns" oder als „eine doppelte Reihe, des Seins und des Zusehens, des Reellen, und des Idealen" 78 explizieren läßt; die Aufgabe der Philosophie ist nämlich das — wie Fichte betont nur frei zu ergreifende 79 — Zusehen, die „Beobachtung" der unmittelbaren Handlungen des Ich, um so die Formen, d. h. die in sich reflektierten Verhältnisweisen zu Anderem, in den Blick zu bekommen, in denen das empirische Bewußtsein sich (theoretisch oder praktisch) mit sich auszugleichen und zu vereinigen sucht. Daß das empirische Bewußtsein überhaupt die Tendenz auf den Ausgleich mit sich — für es: seiner mit dem Objekt — hat und dazu (theoretisch) Kategorien gebraucht, ist bereits die Anzeige des höheren Bewußtseins, das sich im empirischen Bewußtsein in sich reflektiert. Freilich bleibt es zunächst Anzeige und ist noch nicht freies, philosophisches Wissen 80 . Von Hegel her gesehen zeigt die Formulierung des Bewußtseinsproblems durch (den frühen) Fichte vor allem die Einsicht in die logische Natur des Gegensatzes, welchem nämlich die Selbstverdoppelung eigentümlich ist. Es läßt sich, wie sich auch uns schon ergeben hat, keine antinomische Beziehung denken, ohne daß dabei nicht auch eine Beziehung auf diese Beziehung gedacht werden müßte, die der ersten Beziehung ihrerseits antinomisch entgegengesetzt (nämlich identifizierend statt trennend) wäre. Wollte man Hegels „Phänomenologie des Geistes" mit einem Satz zusammenfassen, so könnte man sagen, in ihr werde gezeigt, daß die Natur des Bewußtseins die des sich verdoppelnden und aus der Verdoppelung sich absolut aufhebenden Gegensatzes ist. Die Tat der „Phänomenologie" war im Grunde der Schlußstrich unter alle Bewußtseinsphilosophie mit
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Cf. Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, W W I, 454, sowie Neue Darstellung (Erste Einleitung), W W I, 436. Cf. Neue Darstellung (Erste Einleitung), W W I, 429. Der Zusammenhang führt auf das (von Hegel her: bei Fichte defizient gefaßte) Selbstbewußtseinsproblem. Das Selbstbewußtsein wird an der bereits zitierten Stelle W W I, 528 „unmittelbar" genannt. Die Wissenschaftslehre erkennt es qua reines Ich als die objektive Welt des empirischen Bewußtseins bedingend im Sinne von bestimmend (cf. Zweite Einleitung W W I, 476 f.). Da die Bestimmung der beiden Seiten des Bewußtseins durcheinander aber nicht nur in einer Richtung erfolgen kann, so daß etwas das empirische Bewußtsein nur „Materie" der Formierung durch das Selbstbewußtsein wäre, ist umgekehrt auch, wie Hegel sagt, das empirische Bewußtsein Bedingung des Selbstbewußtseins (cf. 2, 65).
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Einschluß der Fichteschen. Hegel hat an Fichte immer anerkannt, daß er „das Wissen des Wissens erst zum Bewußtsein gebracht" und sich darin über das gewöhnliche Bewußtsein erhoben habe 81 . Aber man könnte pointieren: das Wissen des Wissens wurde auch nur zum Bewußtsein gebracht; die Erhebung, deren Form das „künstliche Bewußtsein" ist, iteriert nur die Form der Andersheit der Bewußtseinsbeziehung, so daß „das Anderssein als unbedingt, an sich genommen" wird, statt „in das absolute Selbstbewußtsein" zurückgekehrt zu sein 82 . Die Fichteschen Deduktionen bzw. Synthesen bleiben „nur eine Abwechslung des Selbstbewußtseins und des Bewußtseins eines Anderen und das unendliche Fortgehen dieses Abwechseins" 8 3 . Die Beziehung auf das Empirische, über die man sich gerade erheben sollte, wird insofern beständig restituiert; das Empirische ist nicht selbst im verdoppelten Gegensatz — der Form, in deren je und je höherer Komplexion es vermittelt und verhalten sein soll — aufgehoben, oder es geht, mit einem Ausdruck der Differenzschrift, nicht ins „System" der Vermittlung ein, sondern bleibt dessen äußere „Bedingung" 8 4 . Das Fichtesche Wissen des Wissens in der Form des Bewußtseins ist notwendig ein Intendieren des Intendierens. Darin ist es auf seine Weise frei, muß es sich doch so nur überhaupt im Bereich der Reflexion bewegen, der sich von dem anderen Bereich des Seins des Bewußtseins unterschieden und ihm äußerlich weiß — so äußerlich, daß es diesen in der Form des Sollens meint darstellen zu können. Andererseits ist es aber gerade um dieser Äußerlichkeit willen ein bloß endliches und kein absolutes Wissen. Das absolute oder im Hegeischen Sinne auch begriffliche Wissen ist keineswegs einfach in jeder Hinsicht „unbedingt" — auch die Prämissen des Schlusses sind in gewisser Hinsicht Bedingungen seines Schließens —, aber es ist ein Wissen, das die Bedingung als seine weiß, indem es weiß, und sie eben darum nicht unmittelbar ins Thema erhebt. Fichte hätte demgegenüber im Verzicht auf Thematisierung einen Verzicht auf Subjektivität und Freiheit gesehen. Für ihn wie für fast alles Denken nach ihm galt es als ausgemacht, daß die Sphären der freien Subjektivität und der Bewußtheit deckungsgleich seien. Einer solchen Situation kann natürlich 81 82 83 84
20, 393. Ibd.; 20, 398. 20, 399. Cf. 2, 61, w o der Mangel bei Fichte ferner schon damit benannt wird, daß die den beiden ersten Grundsätzen entsprechenden Tätigkeiten nicht „absolut entgegengesetzte Tätigkeiten im System" sind.
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nicht durch eine abermalige direkte „Bewußtmachung" oder durch sie „bewußt" intendierende Kritik abgeholfen werden (wie man tatsächlich meinen konnte, bestimmten Aporien, die aus ihr folgen mußten, mit solcherart Kritiken im Namen des „Unbewußten", des „Leibes", der „Schrift" usf. steuern zu können!), denn das hieße nichts anderes, als nur die kritisierte Form in anderen positiven Füllungen zu reproduzieren. Wenn indes die Philosophie von Wissensmomenten spricht, die wesentlich nicht verständig intendierbar sind, dann heißt das weder, daß diese Undurchsichtigkeit für das Bewußtsein künstlich zu erleuchten, noch daß sie gar ebenso artifiziell zu verbreiten sei. Es ist vielmehr überhaupt das „Bedürfnis der Philosophie", sich auf das Andere des Bewußtseins begrifflich zu verstehen, welches Verstehen auch die einzige Antwort auf eine Situation bis zur Pervertierung forcierter Bewußtheit sein kann 8 5 . Wenn es so in der Differenzschrift heißt, daß „die Spekulation ... in ihrer höchsten Synthese des Bewußten und Bewußtlosen auch die Vernichtung des Bewußtseins selbst" fordere 8 6 , so ist dabei nur an das philosophische Problem der Darstellung der absoluten Form und nicht etwa an irgendeine begrifflose „Mystik" oder dergleichen zu denken. Ein abschließender Blick auf die ersten Jenaer Fragmente zur Geistphilosophie mag das verdeutlichen. Mit der Aufgabe, „die absolute Realität des Bewußtseins" 8 7 darzustellen, ist bereits hier nicht gemeint, eine positive Bestimmtheit, sondern das Sich-Bestimmen des Bewußtseins, seine eigene Realisierung zu begreifen. Das Bewußtsein gibt sich seine Bestimmtheit aber nicht nur als Reflexionsgestalt wie bei Fichte, denn die Bestimmtheit bliebe so nur bewußt und wäre nicht Bestimmtheit des „absoluten Bewußtseins" 8 8 oder nicht seine absolute Realität. Dafür muß sich vielmehr der ganze gedoppelte Gegensatz des Bewußtseins in ein Sein aufheben, in welchem seine Vermittlung Mitte ist. Dieses Sein der Mitte ist das Werk. In seinem Werk ist das Bewußtsein überhaupt Mitte, aber als zugleich das Beziehen des Gegensatzes seiner Realität (Reflexion) wie auch „selbst ein
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Philosophisch geht der Bedeutung der bleibenden Undurchsichtigkeit und objektiven Unbestimmbarkeit des Individuellen im Rahmen besonders des Wahrheitsproblems J . Simon, Wahrheit als Freiheit, Berlin/New York 1978 nach; auch „der Kern des Hegeischen Wahrheitsbegriffs" besteht nach Simon darin, daß „solch ein negatives W i s s e n " von der „Undurchsichtigkeit" „zugleich positive Bedeutung h a t " (222). 2, 35. — Cf. dazu Hölderlin, Anmerkungen zur Antigonae, ed. cit. I I , 785: „ E s ist ein großer Behelf der geheimarbeitenden Seele, daß sie auf dem höchsten Bewußtsein dem Bewußtsein ausweicht." G W V I , 274 (Fragment 18 des „Systems der spekulativen Philosophie" 1803/4). Ibd.
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Entgegengesetztes" 8 9 , d. h. eine selbst durch die ihm andere Mitte bestimmte Vermittlung (Sein). Die absolute Bestimmung des Bewußtseins führt auf den Schluß des Selbsts von in sich reflektierter Bewußtheit und sich anderem Sein oder, was hier dasselbe heißt, von sich anderer Bewußtheit und in sich reflektiertem Sein. Die bekannte Trias von Mitten in den Jeaner Entwürfen lautet: Sprache, Werkzeug, Gut 9 0 . In allen ist das Bewußtsein nicht mehr nur Erscheinung, sondern in einem wahrhaften Verhältnis zugleich „bewußtlos" da. Aber so ist auch das Wissen da, um das es der Philosophie zu tun ist, das Sich-Verstehen im eigenen Dasein als Anderes seiner selbst, das Wissen davon, daß „Ich" in seinem Anderen „da ist" 9 1 und wie sich sein Weg dahin versteht. Dieses Wissen 9 2 ist, wie bereits angedeutet, zu jedem gegenständlichen und überhaupt bewußten Wissen vollständig inkommensurabel, und es ist entsprechend selbst kein möglicher Gegenstand einer endlichen Beziehung auf es. Nur von Kunst und Religion kann man sagen, daß sie dieses Wissen in der Form allgemeiner gegenständlicher Beziehung haben. Die Philosophie hat es nicht, sondern sie ist es. In dieser Untersuchung wird es darum gehen, die Bestimmungen der absoluten Form nach Kant und nach Hegel, die Individualität als diese Form selbst und die Begriffe der Wirklichkeit, der Möglichkeit und der Notwendigkeit als eigene Modifikationen ihrer, d. h. als Begriffe, in denen die absolute Form inkommensurabel sich-verhaltend da ist, darzustellen. Die Modalitäten sollen sich als Begriffe zeigen, die aus objektiven Bestimmungen erst ein wirkliches Wissen machen, indem sie sie in das individuelle Bedeuten überführen und an ihnen die philosophische Form herstellen. Zwischen Kant und Hegel besteht in diesem Punkt eine grundsätzliche Einigkeit, die weder durch den schon angesprochenen logischen Statusunterschied zwischen ihnen noch auch durch die im einzelnen noch herauszustellenden Differenzen in der Exposition dieser Begriffe in Frage gestellt wird. Und wenn es gelänge, beide je aus ihrem Prinzip heraus philosophisch sprechen zu lassen, so wäre schon dies eine Übereinkunft in der Form, die die individuell-absolute Macht des Sprechens ist. 89 90 91 92
G W V I , 275. G W V I , 277. Cf. P h G 3 6 2 f. Schon von der „Vernunft der Sprache" her leuchtet ein, daß jemand, der mit etwas umzugehen, sich zu helfen „ w e i ß " usf., mehr als nur bewußtes Wissen hat; er versteht sich vielmehr noch auf dieses, während er sonst noch vieles bewußt wissen kann, auf das er sich zugleich nicht versteht. Man denke ferner an Piatons τέχνη-Wissen sowie an Demokrits Wort: ττολυνοίην, où ττολυμσθίην άσκέειν χ ρ ή . (Frg. 65).
Erstes Kapitel Kant und Hegel 1. Kritik und System „Beyond unity towards totality" — im Sinne einer solchen Bewegung hat man oft und mit verschiedener Einschätzung der Absicht, aber erst recht des Erfolges verstanden, was sich philosophisch zwischen Kant und Hegel ereignete. Rotenstreich, der die Formel verwendet, meint damit vor allem das Verlassen einer nicht streng komprehensiven Allgemeinheit, des Kantischen nur „begleitenden" Ich-denke als Einheitsprinzip, und den Gewinn der Allgemeinheitsform des Hegeischen Geistbegriffs, die, wie in jüngerer Zeit vor allem Henrich entwickelt hat, gerade insofern sie eine sich differenzierende Form der Selbstbeziehxing darstellt, auch den absoluten Begriff des Anderen enthält, das demgegenüber in aller nur-reflexiven Selbstbeziehung schlechthin Außeres bleibt 1 . Wenn aber so „sub specie spiritus" Kants Einheit und die außer ihr bleibende Vielheit als Momente einer sie einigenden Allheit angesehen werden können, dann ist durch den logischen Fortschritt, den der Geistbegriff mit sich bringt, auch klar, daß ein Fehlen der Totalität ein Mangel der Form, nicht ein Desiderat weiteren Inhalts ist. Man kann der Totalitätsfrage im Grunde aber auch schon seit Kant selbst nicht mehr einfach mit Pauschalauskünften wie der, daß es wohl immer an irgendeinem Inhalt gebrechen werde, wenn die Allheit erreicht werden soll, ausweichen. Die Kantische transzendentale Apperzeption ist nicht schlechthin ein beliebiges Subsumtionsallgemeines, welchem natür1
Cf. Ν. Rotenstreich, Legislation and Exposition. Critical Analysis of Differences between the Philosophy of Kant and Hegel, Hegel-Studien Beiheft 24, Bonn 1984, 37 ff. An Rotenstreichs Ausführungen zum Geistbegriff wird man im einzelnen Ungenügen empfinden (Geist als „animating principle", 44, mitsamt der historischen „Herleitung" etwa). Für den Kern des Gedankens kann man aber dennoch etwa auf D. Henrich, Absoluter Geist und Logik des Endlichen, in: Hegel in Jena, Hegel-Studien Beiheft 20, Bonn 1980, 103 — 118 verweisen.
Kritik u n d System
43
lieh alles, was unter es fallt, zufällig und äußerlich bleibt. Es kann der Logik der Sache nach immer anderes und immer mehr unter es fallen, ohne daß doch je die „Totalität" dieser Fälle erreicht wäre. Die Allgemeinheit schon des Kantischen Ich-denke ist vielmehr synthetisch, wenn auch in diesem Falle mit einer formalen Einschränkung, die uns ausführlicher beschäftigen wird. Ein wahrhaftes Allgemeines etwa im Sinne des Hegeischen Begriffs stellt — im Umriß gesagt — sich als Totalität her, indem es sich in zwei Arten oder Momente besondert, die als eine vollständige Disjunktion die garnie Bestimmtheit des Allgemeinen, das wiederum nur ihre Beziehung ist, in ihrem Gegensatz darstellen. Am etwas simplifizierenden Beispiel des Subjekts, das sich in „Subjekt" und „Objekt" besondert, durchgeführt zeigt sich, daß das Subjekt als allgemeines Verhältnis nicht ein Drittes zu diesem Unterschied, sondern nur er selbst als Beziehung der Unterschiedenen ist, wie die besonderen Momente nur durch ihr Verhaltensein im Allgemeinen sind, was sie sind. Zwar ist etwa das „Objekt" gerade so vom „Subjekt" unterschieden, daß es gewissermaßen „viele Objekte" (die Besonderheit als Vielheit) meint, welche Vielheit für den Begriff des Objekts entsprechend nicht nur quantitativ-äußerlich, sondern logisch konstitutiv ist; dennoch wird dadurch nicht die Form der Totalität des ganzen Verhältnisses aufgehoben, denn dieses ergreift sozusagen jedes der durchaus unbestimmt vielen Objekte noch an dieser Vielheit als seiner Beziehung auf das Subjekt und reflektiert es als Objektives, d. h. als besonderes Moment an der Allgemeinheit des Subjekts. In diesem Sinne ist die Totalität nicht äußerlich behauptet oder gesollt, sondern sie wird durch den wahrhaft allgemeinen Begriff genetisch definiert und selbst dargestellt. Kant und Hegel stimmen ganz darin überein, daß Wissenschaft „jederzeit eine Idee ... von der Form eines Ganzen der Erkenntnis" voraussetze, welches Ganze „vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthält, jedem Teil seine Stelle und Verhältnis zu den übrigen a priori zu bestimmen" 2 . So setzt etwa die transzendentale Analytik die „Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori" voraus, und „Vollständigkeit" ihrer Begriffe als eines nicht „bloß durch Versuche zu Stande gebrachten Aggregats" ist — man höre — „nur durch ihren Zusammenhang in einem System möglich" — in einem System, welches nur wieder der Verstand selbst als zu besonderndes Allgemeines ist: denn er ist „eine vor sich beständige, sich selbst gnugsame, und durch keine 2
KdrV Β 673/A 645.
44
Kant und Hegel
äußerlich hinzukommende Zusätze zu vermehrende E i n h e i t " 3 . D e r Verstand selbst ist seine unmittelbare Idee, und was in ihn fällt, muß der F o r m nach systematische Entwicklung dieser Idee, d. h. genetisch definierbar sein. D e r Begriff des „Systems" meint als Totalitätsform weder bei Kant noch erst recht bei Hegel irgendeinen positiven Bestand,
sondern ein
bestimmtes, allerdings absolut-formales Bewegungsmoment, das explizit dargestellt in der Methodenlehre ist. Die Methode „im spekulativen Gebrauche der reinen Vernunft" kann auf dem kritischen Standpunkt keine „dogmatische",
aber „immer systematisch
sein" 4 . „Das systematische Fort-
schreiten im Philosophieren" besteht nach Hegel „eigentlich in nichts als darin, zu wissen, was man selbst schon gesagt h a t " 5 . Systematisch philosophieren heißt dabei aber: sich auf die Absen^ notwendig
verstehen; mit dem, was
nicht im Bewußtsein ist, umzugehen wissen; sich im Verhältnis
halten zum Gewesenen und Anderen der unmittelbaren Beziehung — zu dem, „was man gesagt hat",
ohne es jetzt wieder sagen zu müssen, ohne
genötigt zu sein, alles auf einmal oder jedenfalls möglichst viel zu
intendieren
und „präsent" zu haben. Systematisches Philosophieren ist sich der
Idee
gewiß und in dieser des Einbegriffenseins des Ausgeschlossenen. Kant hat dieses systematische Wissen als Kritik
entfaltet. Diese ist nicht etwa ein
besonders raffinierter Skeptizismus, sondern eine systematische Antwort auf den Skeptizismus. Das skeptische Argument pflegt mit Regelmäßigkeit darin zu bestehen, daß überhaupt auf den Unterschied
zwischen Absentem
und Präsentem, Unbewußtem und Gewußtem, (unmittelbarer) Bedingung und Sache selbst, Äußerem und Innerem usf. hingewiesen wird. Sofern dieser Unterschied ist,
hat der Skeptizismus recht, ihn als „Schein" zu
bezeichnen. Nur ist damit oft genug noch nichts gesagt: die Philosophie hat entsprechend regelmäßig immer darauf hingewiesen, daß man solche seienden Unterschiede, wo sie mit Recht behauptet werden und ein Vermittlungsganzes zu treffen scheinen,
nicht als einfache, „lineare" Gegensätze,
sondern im Sinne einer philosophisch gerade darzustellenden „Komple3
4 5
KdrV Β 89 f./A 64 f. Cf. auch Β 860f./A 832 f.: System heißt „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee", als zweckmäßig „gegliedertes" Ganzes, das „zwar innerlich (per intus susceptionem), aber nicht äußerlich (per appositionem) wachsen" kann — „wie ein tierischer Körper", wie Kant hinzusetzt. „In der Idee" ist nach Kant ein Gegenstand nicht intendiert, um ihn objektiv isoliert zu bestimmen, sondern er ist in das Ganze der Bestimmung gehalten, als ob er durchgängig als immanentes Moment des Wissens vermittelt wäre. KdrV Β 765/A 737. 4, 434 f.
Kritik und System
45
mentarität" zu nehmen hat. Der versteckte dogmatische Zug des Skeptizismus zeigt sich gerade daran, daß er implizite die Forderung, daß ζ. B. das Absente doch „eigentlich" präsent zu sein habe, allererst aufstellt und so seinerseits in bewußter Einstellung auf es gerichtet ist, es als Absentes gerade nicht ernstnehmend. So hat Hume das Problem der Induktion in einem unmittelbaren Gegensatz von Allgemeinheit und Einzelheit an der Gesetzesform sehen wollen, in einem Gegensatz, den Kant als transzendentale Differenz neubestimmt, so daß er nicht mehr nur ein existierender Unterschied qua Vermittlungslosigkeit, sondern ein Unterschied der Vermittlung der Bestimmtheit ist: ein Unterschied zwar der Gesetzesform und der unzähligen wie immer ungezählten „Fälle" dieser Form in ihrer Anwendung, aber in Beziehung auf die Einheit aller Anwendung. Der Unterschied hat seine eigene Bestimmtheit erst in Beziehung auf diese Einheit, die er nur in die Vielheit vermittelt. Er wird überhaupt als Mitte verstanden — aber Unterschiede als Mitten ansehen, heißt wiederum systematisch philosophieren. Die kritische Philosophie wendet einen bestimmten Schein des Skeptizismus in das überhaupt Vermittelbare, speziell: in Erscheinung um. Vieles er-scheint nur aus der Einheit. Die kritische Philosophie stellt an diesem speziellen Fall die systematische Einheit dar, die sie überhaupt fordert. Dennoch unterscheidet Kant Kritik und System. Nach ihm ist „Philosophie" als „das System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe ... von einer Kritik der reinen Vernunft" 6 durchaus zu trennen. Die Kritik ist „zwar eine philosophische Untersuchung der Möglichkeit einer dergleichen (sc. systematisch verfaßten Vernunft-) Erkenntnis", gehört „aber nicht als Teil zu einem solchen System", sondern „entwirft und prüfet" allererst „sogar die Idee desselben" 7 . Damit hat sich Kant zuletzt den Hegeischen Spott zugezogen, man solle nach ihm vor dem Erkennen erst das Erkennen erkennen. In der Tat gibt es bei Kant eine merkwürdige Teilung der philosophischen Sprachform in zwei Hälften oder Sphären, die offenbar nicht noch als Disjunkte einer höheren, sich in sich entgegensetzenden und darum systematischen Einheit genommen werden sollen. Die Teilung schlägt sich sogar in einer zeitlichen Differenz zwischen einem „jetzt" oder „zuerst" und einem „sodann" oder „dermaleinst" nieder 8 . Dieser Unter6 7 8
KdU Erste Einleitung I, AA X X , 195. Cf. KdrV Β 25/A 11. KdU Erste Einleitung I, AA X X , 195. Cf. nur KdrV Β 25 f./A 11 ff.: „Kritik" ist „Propädeutik zum System der reinen Vernunft", „eine Vorbereitung, ... allenfalls dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft" darzustellen. — Schon Fichte ist der Meinung, „daß Kant ein solches
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Kant und Hegel
schied innerhalb der philosophischen Sprachform hängt indes innigst zusammen mit einem Unterschied, den die Kritik in anderer Hinsicht bestehen läßt, nämlich der Differenz zwischen der allgemeinen Reflexionin-sich des Verstandes, seiner Selbstvermittlung durch die kategorialen Formen mit, wie die transzendentale Deduktion zeigt, noch der Form der Wahrnehmung, und dem dieser Vermittlung äußerlich gegebenen Inhalt der Wahrnehmung, der Mannigfaltigkeit in nicht nur anschaulich-quantitativer, sondern gerade qualitativer Hinsicht, deren Vermittlung einzig die Erfahrung selbst sein kann. Der Grund aller synthetischer Urteile a posteriori muß nach Kant Affektion der Sinne sein. Nur unter einem „Als-ob" der Reflexion haben wir entsprechend ein „System der Erfahrung", d. h. eine Zusammenstimmung der besonderen Gesetze der Natur zu einem zweckmäßigen Ganzen, dessen allgemeine Form zugleich die Grundsätze des Verstandes bestimmen. Die These über den Zusammenhang zwischen der Gebrochenheit der philosophischen Sprachform in die Gegenwart einer Kritik und die bloße Zukunft eines Systems einerseits und der Differenz zwischen der sich vermittelnden Form und dem dieser Vermittlung immer äußerlichen unmittelbaren Gegebenen ist dabei wie folgt explizit zu machen: Weil die Kritik das Intendieren des Erkennens ist, sich damit seiner in gewisser Hinsicht entäußert oder es als sich äußerliches — als „etwas", das auf etwas anderes geht — darstellt, eben darum muß sie auch die systematische Gestalt des Erkennens, d. h. die Gestalt, von der Kant selbst sagt, daß sie nur „per intus susceptionem", durch Verinnerlichung des Äußeren sich entwickle, von sich distanzieren und als Jenseits aussprechen. Die Stellung der Kritik zur Erkenntnis macht, daß wir nach Auskunft der Kritik nur Erscheinungen erkennen, d. h. nicht eigentlich erkennen, sondern selbst bestimmten Schein erzeugen; und diese Stellung macht es auch — daß das System nicht erscheint. Man muß nun aber nicht dabei stehen bleiben, bei Kant die Darstellung der Philosophie in der Form der Vernunft, die, wie bereits gesagt, nicht unmittelbar auf Gegenstände, sondern auf deren Zusammenhang (ihren
System keineswegs aufgestellt", gleichwohl aber ,gedacht" habe; „daß alles, was er wirklich vorträgt, Bruchstücke und Resultate dieses Systems sind, und daß seine Behauptungen nur unter dieser Voraussetzung Sinn und Zusammenhang haben" (Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, W W I, 478). Es ist eine sehr lohnende Aufgabe, das „Opus postumum" Kants im Hinblick auf dieses ausständige System zu lesen, und dies auch, wenn man zu dem Schluß kommen müßte, daß es sich dabei um eine Reflexionsgestalt des Systems handelte. — Cf. übrigens AA X I I , 370 f. Kants Reaktion auf Fichtes „Anmaßung" (371).
Kritik und System
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„Schluß", ihre Kontextualität) geht, zu vermissen, sondern kann sich auf die unter der genannten Einschränkung dennoch anzutreffende Systematizität der Kritik selbst konzentrieren. Im Mittelpunkt des Interesses an Kant stehen nicht ohne Grund immer wieder die Lehrstücke, in denen sich die Kantische Version eines wahrhaften Allgemeinen, damit zugleich auch der sich systematisch darstellende Begriff aussprechen. Das betrifft vor allem die Exposition des Einheitsprin^ips als des Allgemeinen jeder verstehenden Beziehung überhaupt bis hinab zur Beziehung auf Wahrnehmung (transzendentale Deduktion der Kategorien) sowie diejenige des prinzipiellen Unterschieds zwischen Verstandesform und sinnlichem Inhalt als Besonderung der identischen Beziehung des inneren Sinns (Schematismus), also, wenn man so will, die Analytik des Allgemeinen der Erfahrung (ihrer Möglichkeit) und diejenige ihrer Spezifikation (ihrer Wirklichkeit) 9 . Im ersten Fall macht Kant das Moment der Systematizität, um das es hier geht, unter dem Titel einer „Spontaneität, den inneren Sinn durch das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen der synthetischen Einheit der Apperzeption gemäß (zu) bestimmen" 1 0 namhaft, d. h. durch Behauptung einer aktiven Kontinuation des Verstandes selbst in die spezifische Anschauung nach „unseren" Formen der Sinnlichkeit hinein; die Totalität des Verstandes in seinen differenten Formen ist so wesentlich zu fassen als selbsttätige Bewegung einer Ausbreitung nicht nur in die Extension (§§ 20 f. der Deduktion), sondern auch in das Spezifische hinein 11 . Im Fall des Schematismus wird die Beziehung des bestimmten „Bildes" eines Gegenstands auf seinen Begriff an der Zeit als Totalitätsform anschaulich, insofern nämlich die Zeit „die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung aller Vorstellungen" enthält 12 , so in ihrem Fließen den Unterschied, aber als in ihrer Einheit gehalten, Es ist nicht unwichtig, die beiden Systemteile, die Kant als „Analytik der Begriffe" und „Analytik der Grundsätze" unterscheidet, auch gehörig zu trennen und ζ. B. nicht das Anliegen des Schematismuskapitels mit dem der transzendentalen Deduktion zu vermengen, wozu leider oft die Lehre von der „synthesis speciosa" in der Deduktion Β Anlaß gegeben hat. Die Deduktion hat in ihrem Mittelstück ein Sich-Differenzieren der Identität, der Schematismus als ganzer ein Sich-Identifizieren der (vorausgesetzten) Differenz zu zeigen. 10 K d r V Β 150. " Zur Gliederung der Deduktion unter besonderem Hinweis auf die Individualisierung, d. h. zugleich Aneignung der Anschauung durch die Tätigkeitsform der „synthesis speciosa" cf. J. Simon, „Anschauung überhaupt" und „unsere Anschauung". Zum Beweisgang in Kants Deduktion der Naturkategorien, in: Perspektiven transzendentaler Reflexion (FS G. Funke), Bonn 1989, 1 3 5 - 1 5 6 . 5
12
K d r V Β 177/A 138; Hervorhebg. ν. Verf.
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Kant und Hegel
kontinuiert. In beiden Fällen ist die Systematizität bzw. Totalität durch ihr aktives (Deduktion) oder passives (Schema) Werden aus dem je Vorausgesetzten charakterisiert. Sie ist in diesem Werden, das Kant als innere Handlung bzw. als „allgemeine(s) Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen" 13 (von Hegel her gedacht) mehr realphilosophisch anschaut als logisch begreift, und sie ist in diesem Werden, wollte man es auf einen einfachen Begriff bringen, als immanente Unendlichkeit. Diese aber ist ein „Merkmal" des philosophischen Begriffs, der aus der Kritik nicht überhaupt ausgeschlossen, sondern nur in der Reflexion gespalten ist. Die Kritik stellt so das Unendliche als unmittelbares Sein z. B. der Verstandesspontaneität dar, die auf nicht kommensurable Weise ein Verhältnis zwischen Verstandesform und unserer Anschauung stiftet; sie stellt es aber auch als das Gegenteil eines Seins, nämlich als Sollen der Vermittlung in der Idee auf, welches zweite Unendliche sehr wohl kommensurabel zum Positiven, ja zu allem Positiven ist 14 . Die erste Unendlichkeit wird von der Kritik nur als in Beziehung auf gegenständliches Bewußtsein stehend, keineswegs aber selbst als bewußt oder intentional behauptet; dagegen wird die unendliche Reihe von Positivem in der Vermittlung der Idee gerade bewußt vollzogen und ist der Wissenschaft zur Bewußtmachung aufgegeben. Wenn wir jetzt sagen können, daß Systematizität nicht den formellen Charakter eines Produktes, sondern das Aktual-Unendliche eines sich produzierenden Verhältnisses (Begriffs) ausdrückt, dann haben wir damit auch die Kantische Apriorizität synthetischer Formen als unmittelbare Systematizität dieser Formen verstanden. Vom „Apriori" gilt beides: daß es weder „etwas" ist, das linear auf andere Etwas bezogen werden könnte — es ist der Bestimmtheit des Etwas gegenüber vielmehr unendlich; noch 13 14
KdrV Β 179f./A 140. Auf der Ebene des Dargestellten (Positiven) kann der kritischen Einsicht nach das Unendliche nur als gesolltes und insofern in der Potentialität auftreten. Das (mathematisch) Unendliche führt Kant schon in „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis" § 1, Anm. 2 (AA II, 388) als einen Verhältnisbegrifj., nämlich der Einheit (als des Grundmaßes) zur Vielheit ein. Wenn das menschliche Messen, das immer nur sukzessive Anwendung eines Maßes ist und, „absolvendo hunc progressum tempore finito", immer nur zu einem bestimmten Begriff (in der Mathematik: zu einer bestimmten Zahl) gelangt, keine Darstellung des infinitum actu erbringt, so heißt dies nach Kant doch nicht zugleich, daß darum dessen Begriff überhaupt sinnlos sei; es ist vielmehr der (qualitativ-quantitative) Begriff einer „multitudo omni numero maior", der nicht überhaupt uneinsehbar, sondern nur respective auf das sukzessiv-serielle Verfahren des diskursiven „intellectus humanus" unvollziehbar ist, während ein anderer (intuitiver) Verstand ihn durchaus haben könnte.
Kritik und System
49
daß es notwendig eine bestimmte Realisierung seiner synthetischen Form (Kantisch: Erfahrung) geben müsse. Die Kritik behauptet nicht, daß ein rein intendierendes (ζ. B. einzelwissenschaftliches) Verhalten auf ein „Apriori" stoßen und mit diesem unter seinen übrigen Gegenständen etwas anfangen könne. Apriorizität stellt sich aber schon für die Logik als Systematizität dar, wenn sie für „die Einteilung aus dem Prinzip der Synthesis a priori" eine besondere Form, nämlich die „Trichotomie" angeben muß 15 . Der logischen Methodenlehre fällt dieser Sachverhalt auf, weil einerseits eine rein (formal-) logische Einteilung immer dichotomiscb ausfällt 16 , eine objektive Einteilung, die entweder auf reine Anschauung oder auf Empirie bezogen ist, sich aber überhaupt polytomisch und nicht notwendig in drei Gliedern darstellt 17 . Genau besehen handelt es sich bei der Trichotomie synthetischer Einheit um eine Polytomie, deren erste beide Glieder eine Dichotomie ausmachen. Denn die Kantische Erläuterung der Trichotomie führt „1) den Begriff, als die Bedingung, 2) das Bedingte und 3) die Ableitung des letztern aus dem erstem" 1 8 auf; „Bedingung" und „Beding15 16
17
18
Jäsche-Logik § 113; cf. die Parallelstelle KdU Β LVII Anm. „Denn alle wahre Disjunktion kann nur bimembris sein und die logische Disjunktion ist auch bimembris" (Jäsche-Logik § 77). „Polytomie kann in der Logik nicht gelehrt werden; denn dazu gehört Erkenntnis des Gegenstandes" (Jäsche-Logik § 113 Anm. 2). Ibd. An der Parallelstelle (cf. Anm. 15) heißen die Glieder: „1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt", wobei „ B e g r i f f in der dritten Position als „Inbegriff', „Zusammenfassung" zu nehmen ist. — Für die Form der Trichotomie kann man natürlich noch auf die bekannten Ausführungen im § 11 der KdrV (B) hinweisen, in denen auch davon die Rede ist, „daß die dritte Kategorie" eines jeden der vier dreigliedrigen Titel „allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt", dennoch aber kein „bloß abgeleiteter" Verstandesbegriff ist, da nämlich „die Verbindung der ersten und zweiten, um den dritten Begriff hervorzubringen, ... einen besonderen Actus des Verstandes" erfordert ( B l l O f . ) . In einer Nachlaßreflexion, die sich gleichfalls mit der Trichotomie bei Kategorien befaßt, wird sie damit begründet, daß „zwei derselben (sc. Kategorien) die Einheit des Bewußtseins an zween Oppositis zeigen, die dritte aber beiderseits Bewußtsein wieder verbindet. Mehr Arten der Einheit des Bewußtseins lassen sich nicht denken. Denn es sei a ein Bewußtsein, welches ein Mannigfaltiges verknüpft, b ein anderes, welches auf entgegengesetzte Art verknüpft: so ist c die Verknüpfung von a und b" (R 5854). Übrigens hat J. Simon, Kategorien der Freiheit und der Natur, in: Koch, D./ Bort, K. (edd.), Kategorie und Kategorialität (FS K. Hartmann), Würzburg 1990, 107 — 130 gerade im Hinblick auf das Bewußtsein und die nach den Kantischen Modi des Fürwahrhaltens zu unterscheidenden Zustände der „Affektion" seiner „Überzeugung" eine Systematik der Naturkategorien gegeben. Es ergibt sich, daß „jede einzelne Kategorie sich als Kombination aus Modalitäten ihres Titels und ihrer Position unter diesem Titel verstehen läßt" (117). Ζ. B. führt die widerspruchsfreie und insofern mögliche Aufnahme eines Bestimmten in den Kontext eines (unmittelbar unbegründeten) Meinens auf die Kategorie der Einheit, da das Meinen dieses Bestimmte so schon analytisch in
Kant und Hegel
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t e s " bilden aber eine v o l l s t ä n d i g e D i s j u n k t i o n , d. h. eine dichotomische E i n t e i l u n g (wenn die D i f f e r e n 2 v o n A u n d Β durch ein B e d i n g u n g s v e r hältnis zu beschreiben ist, dann k ö n n e n A u n d Β in derselben Hinsicht jeweils n u r e n t w e d e r B e d i n g u n g o d e r Bedingtes sein). D a s dritte G l i e d , die „ A b l e i t u n g " des Verhältnisses selbst, macht dann nur n o c h aus den fixierten
O p p o s i t i o n s g l i e d e r n der D i c h o t o m i e ein System,
lich nur darin
das aber eigent-
besteht, daß das B e d i n g t e als B e d i n g t e s jener B e d i n g u n g , als
„ i h r " und nicht irgendein B e d i n g t e s dargestellt w i r d , d. h. indem es als ihr
o p p o n i e r t v o l l z o g e n w i r d . I n der F o r m der synthetischen E i n h e i t a
p r i o r i , w i e sie sich f ü r K a n t darstellt, liegt das U n e n d l i c h e oder das System im Ü b e r g a n g in die „ C o n c l u s i o " , die n u r m e h r die ganze Synthesis als die E i n h e i t der D i f f e r e n z ihrer „ P r ä m i s s e n " ausspricht 1 9 . D i e A n e i g n u n g des B e d i n g t e n durch die B e d i n g u n g kann dabei auch als ihre Realisierung ( F o r t b e s t i m m u n g ) und I n d i v i d u a l i s i e r u n g angesehen w e r d e n . S o ist es im G a n g der transzendentalen D e d u k t i o n , auf den w i r bereits kurz h i n g e w i e sen haben, die I n d i v i d u a l i s i e r u n g des Verstandes, der selbst nur die ideale
19
sich enthalten weiß; dagegen führt die in diesem Kontext selbst (also subjektiv) begründete Ausschließung des Bestimmten aus der Form der Einheit unter dem Eindruck einer Affektion auf die Bestimmung der Vielheit; Allheit ergibt sich schließlich, sofern der zu dem Ausgeschlossenen gebildete „Gegenbegriff' als aus der Form der Einheit abgeleitetes Bestimmtes und so als über den ganzen Kontext vermittelter Inhalt gelten muß (118 f.). Eine solche Gestalt der Kategoriensystematik kann schon deshalb als formal-konstruktiven Versuchen des „Vollständigkeitsbeweises" gegenüber überlegen und Kant angemessener gelten, da Kant niemals im Hegeischen Sinne Kategorien an ihnen selbst betrachtet, sondern ihre Vielzahl nur in Beziehung auf Anschauliches (hier: die Zustände des Fürwahrhaltens) bestimmt. Am Rande sei darauf hingewiesen, daß das Unendlichkeits- bzw. Kontinuationsproblem, wie es uns hier in der Logik der Formen synthetischer Einheit begegnet, seine Entsprechung am Problem des Infinitesimalen bzw. der Stetigkeit beim mathematischen Funktionsbegriff hat. Man könnte leicht die Bezüge für den Begriff der Ableitung etwa oder, was den Kantischen Begriff der Idee betrifft, für deren serielle Darstellungsform zur Infinitesimalrechnung herausstellen. Schon E. Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Darmstadt 19805, hat eindrücklich die systematische Verfaßtheit mathematischer Begriffe, z. B. desjenigen der Zahl nach Dedekind (49 ff.) oder auch schon nach Leibniz (56) herausgestellt und darin das Nicht-Nominalistische dieser Begriffe identifiziert (56 f.). Von der synthetischen Geometrie aus kann er das Gattungsallgemeine mathematischer Begriffe als „konkrete ( ) Totalität" fassen, näher als „einen Bedingungszusammenhang, dem alles Einzelne eingeordnet ist, nicht als ein losgelöstes Ganzes von Merkmalen, die in ihm gleichmäßig wiederkehren" (107). Maimón hat als erster die formale Identität zwischen Kantischem Allgemeinbegriff und mathematischem Funktionsbegriff bemerkt; er hat ferner das Funktionsallgemeine, nicht ohne ausdrückliche Bezugnahme auf Leibniz, als formale Substanz verstanden und diese gegen die Kantische (die hypothetische) Form gewendet. Cf. auch R. Kroner, Von Kant bis Hegel, Tübingen 19773, I, 356 ff.; für die mathematische Seite des Unendlichkeitsbegriffs bei Kant cf. Gr. Büchel, Philosophie und Geometrie, Kant-Studien Beiheft 121, Berlin/New York 1987, 200 ff.
Kritik und System
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Bedingung alles Machens von Erfahrung ist, wenn er sich auf ein Bedingtes (bestimmte sinnliche Anschauung) als auf sein Bedingtes bezieht, was er nur durch eine spontane, d. h. in Hinsicht sowohl auf den allgemeinen Verstand als auch auf die Mannigfaltigkeit unendliche Umkehrung der Opponierten in eine (reale, weil immanent bestimmte) Einheit vermag. Als Verstand sind wir nach Kant die „Ableitung" der Objektivität als der unsrigen aus der bloßen objektiven Differenz. Die „Unsrigkeit" selbst ist das Unendliche und Inkommensurable, das sich als systematisches Beziehen des einsinnig Kommensurablen entwickelt und darin, daß es nicht bei diesem anfängt, sondern nur bei sich selbst, seine Apriorizität hat20. 20
Wir beabsichtigen in diesem Rahmen nicht, detailliert in die sehr extensiv betriebene Diskussion der transzendentalen Deduktion einzugreifen und beschränken uns auf einige Hinweise, die mehr oder weniger im Zusammenhang mit der uns interessierenden Form synthetischer Einheit bei Kant stehen. Daß die Diskussion um das Herzstück der transzendentalen Analytik oft nicht zu allzu großer Klarheit in der Sache gelangt, hat, wie wir behaupten möchten, schon mit der fundamentalen Amphibolie der Deduktion selbst zu tun, den Beweis eines transzendentallogischen Sachverhalts vermittelst nur realphilosophisch zu thematisierender Gegenstände („unsere Anschauung", Einbildungskraft, Wahrnehmung usw.) zu erbringen, ihn gleichsam aus diesen herauszuklauben, womit letztlich freilich nur anschauliche Evidenz beansprucht werden kann. Diese Schwierigkeit kann man, in Anlehnung an K. W. Zeidler, Die transzendentale Geschichte des Ich. Deduktion und Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie XVIII, 1986, 95 — 125 so formulieren, daß die „Vernunft der Erfahrung" mit Versatzstücken aus einer „Erfahrung der Vernunft" nachgewiesen werden soll. Selbstverständlich ist diese Zweideutigkeit der Deduktion (auch noch der Fassung B, auf die wir uns hauptsächlich beziehen) nicht gänzlich unbemerkt geblieben; sie hat sich vielmehr vor allem in Versuchen niedergeschlagen, sie durch interpretative Unterscheidungen aufzufangen, welche ihrerseits aber in der Regel wenig glücklich waren. So hat man einen „Gültigkeits-" von einem „Umfangsbeweis" im Hinblick auf die Anwendung der Kategorien zu trennen versucht; eine solche Differenzierung liegt schon dem aporetischen Aufsatz von D. Henrich, Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion, in: G. Prauss (ed.), Kant, Köln 1973, 90 — 104 zugrunde, der von einer „nur partiale(n) Fähigkeit des Verstandes, Einheit in den sinnlichen Vorstellungen herzustellen" (95) ausgeht. Ferner hat man die syllogistische Form gegen einen sogenannten „juristischen" Aufweis von Rechtmäßigkeit auszuspielen versucht, so als ob in einem solchen Aufweis nicht unter anderem auch geschlossen werden müßte (cf. zur Kritik R. StuhlmannLaeisNeue Monographien zur Argumentationsstruktur von Kants Kritik der reinen Vernunft, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 15. 1, 1990, 39 — 49, bes. 42 f.). Es käme indes darauf an, sich soweit als irgend möglich auf die Logik der Figuren synthetischer Einheit zu beziehen, wozu der von Kant selbst gegebene „Kurze B e g r i f f ' seiner Deduktion ( B 1 6 8 f . ) sogar eine Anleitung bietet ( Β . Thöles Dreigliederung des Deduktionsgangs etwa im Anschluß an diese Stelle ist grundsätzlich zuzustimmen, cf. ders., Die Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion in der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft", in: Akten des 5. Int. Kant-Kongresses, Bonn 1981, 302 — 312, bes. 302). Diese Form wäre aber dann darzustellen als nicht nur äußerliche Verbindung der Form der Wahrheit („Gültigkeit" und „Bedeutung" der Kategorien) und der Form der Gewißheit („Gebrauch" derselben in aller objektiven Beziehung). Henrich
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Kant und Hegel
Wenn Kant die Form synthetischer Einheit nach der Logik des Bedingungsverhältnisses exponiert, dann ist dies in weiterer Hinsicht eine gewisse Engführung dieser Form. Es ist, formell gesprochen, die Einschränkung der Form synthetischer Einheit auf den hypothetischen Syllogismus. Daß dieser Kant das entscheidende Mittel wurde, sich philosophisch zu artikulieren, liegt so deutlich auf der Hand, daß es kaum ausdrücklicher Hinweise auf die hypothetische Form, unter der die Vernunft gerade in der Antinomie die Totalität erfragt, auf die Formulierung des obersten Grundsatzes, auf die besondere Bedeutung der Kausalitätskategorie bzw. der zweiten Analogie der Erfahrung für die inhaltliche Realisierung der Erfahrung in ihrem Kontext oder auf die allbekannte Leitfrage nach den „Bedingungen der Möglichkeit" synthetischer Erkenntnis a priori bedarf. Die hypothetische Form nimmt in der Kantischen Philosophie einen dem entwickelten Negationsbegriff bei Hegel vergleichbaren systematischen Rang ein, und eigentlich philosophisch darzustellen wäre die Differenz des Kantischen und Hegeischen Denkens in letzter Instanz nur im Hinblick auf diese beiden systematischen Grundformen. An Bedingungsverhältnissen ist Kant nun etwa im Hinblick auf die diesen immanente Irreversibilität interessiert; denn so wird es möglich, lineare Oppositionen, wie sie etwa der Skeptizismus herbeibringt, als in Wahrheit komplementäre darzustellen, in denen die beiden Seiten eben nicht beliebig aufeinander Bezogene sind. „Irreversibilität" oder Gerichtetheit des Übergangs besagt dabei eine Asymmetrie zugunsten des in der Position der Bedingung und damit auch des als Allgemeines Vorausgesetzten und zuungunsten des gegebenen Besonderen, des oder der Bedingten. Unterschieden sind so eine voraushat diese Aufgabe in Angriff genommen, wenn er zwischen den (bewußten) ,„Ich-denke'Fällen" und der selbstbewußten Gewißheit a priori so differenziert, daß zugleich die letztere als „wirklicher Vollzug" von Bewußtsein im Sinne eines „Inbegriffs) überhaupt möglicher ,Ich-denke'-Fälle" (d. h. als systematische Form!) auf eine Weise gedacht werden können muß, daß jener Inbegriff „von jedem dieser Fälle aus die Bezugnahme auf alle anderen Fälle möglich" macht, „und zwar sowohl auf das System als Ganzes, dessen Gehalt nicht als Inhalt eines einzigen ,Ich-denke'-Gedankens definiert sein kann, wie auch auf jeden einzelnen anderen Fall" (cf. ders., Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion, in: H. Oberer/G. Seel, Kant, Würzburg 1988, 39 — 70, loc. cit. 59, 63; cf. ferner ders., Identität und Objektivität, Heidelberg 1976, bes. 65 ff.). Was man eigentlich zu zeigen hat, ist, in unserer Sprache, dies, daß die Kategorie absolute Form ist, Ganzes, dem aller bewußte Inhalt zu genügen hat, wie er seiner Totalität nach nur genetisch aus der Form selbst definiert sein kann, und ineins damit Ganzes, das selbst nur absolut gewußt werden kann. Zu diesem Anliegen bietet einen nicht unwichtigen Beitrag H. Röttges, Dialektik als Grund der Kritik, Königstein/Ts. 1981, sofern er die inkommensurable Einheit von Bedeutung und Gebrauch der Kategorien (allerdings nicht nur im Zusammenhang der Deduktion) herausstellt.
Kritik und System
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gesetzte negative Einheit der Vermittlung und eine positive Mannigfaltigkeit des Unmittelbaren, drittens aber auch die Beziehung der Ableitung, des negativen Setzens des Positiven als bedingt. Im Verhältnis der Bedingung gilt das Setzen nicht auch umgekehrt, so daß sich die Bewegung der Ableitung in ihrer Unmittelbarkeit als teleologische Form verstehen läßt, also als eine Form, die zugleich die (logische) Subjektivität ausdrückt 21 . Daß die Subjektivität des Bedingungsverhältnisses eine unmittelbare ist, entspricht wiederum genau dem Reflexionsstatus der Kantischen Philosophie, in der die Reflexion ihr Dasein als solches nur im „toten Winkel" ihres Blicks hat. Kant bezieht, wie gesagt, seine kritische Kraft daraus, daß er eine Form gefunden hat, in der er Differenzen auf subjektive Einheit beziehen und so aus dem Und der unmittelbaren (ζ. B. skeptischen) Differenz ein Als der transzendentalen Differenz machen kann. Aber bei Kant ist dieses Als nur ein Dasein in absoluter Position: „ d a ß ich bin" ist alles, dessen ich mir „in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption (,) bewußt" 2 2 bin; dagegen ist alles bestimmte Bewußtsein von meinem Dasein schon durch die Form des unmittelbaren Als gebrochen, und ich habe „demnach keine Erkenntnis von mir, wie ich bin, sondern bloß, wie ich mir selbst erscheine"23. Ich ist daseiende Vermittlung von allem (darin liegt die Systematizität der synthetischen Form) mit Ausnahme dieses seines Daseins als vermittelnden Als'. Ich spricht daher Kantisch alles aus mit Ausnahme seiner selbst. Ich als Als ist nicht Ich, sondern erscheint nur so. Von Hegel her ist Ich nicht Als, sondern Sprache und als solche immer schon ausgesprochen. Die formelle Systematizität, die die Kritik an ihrer eigenen Form synthetischer Einheit, der hypothetischen, darstellt, kann dann aber nicht mehr nur formelle sein, nicht nur Prinzip zum nicht erscheinenden System, sondern muß zugleich materiale werden und selbst
21
D a ß die der Kausalitätskategorie entsprechende Urteilsform die hypothetische ist, widerspricht dem hier betonten teleologischen M o m e n t nicht; denn jeder Gedanke objektiver Kausalität impliziert, wie man von Hegel aus leicht zeigen kann, einen Begriff (äußerer) Teleologie. Will man in einer Kausalrelation Ursache und Wirkung objektiv unterscheiden, dann kann nicht in derselben Hinsicht die Ursache auch Wirkung sein und umgekehrt die W i r k u n g auch Ursache. Das aber heißt, daß ihr Verhältnis unumkehrbar und die Beziehung in ihm teleologisch gerichtet ist. Die Distinktheit der Kausalität besteht nur darin, daß sie die Zweckmäßigkeit nicht in die O b j e k t e , sondern in die Relation ihres Bestimmens (bei Kant z. B . in den K o n t e x t der Erfahrung) legt.
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K d r V Β 157. K d r V Β 158. Man kann die „ E r s c h e i n u n g " das objektiv ausgefaltete subjektive nennen.
Ώ
Als
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Kant und Hegel
das ganze System. Man kann, immer von Hegel her, sagen, daß Ich als Sprechen der Sprache absolutes System ist. Das gilt aber zunächst nur für das Sprechen, nicht für das Gesprochene. Dieses ist zwar — im Unterschied zu Kant — der Wahrheit fähig, aber es ist noch nicht notwendig wahr, d. h. positives System. Vielmehr behält die Kritik auch nach Hegel den Sinn, die absolute Form und ihr Unendliches von endlichen, nicht-synthetischen Formen zu unterscheiden. Kritik richtet sich vom wohlverstandenen System her niemals gegen dieses als sich genetisch definierende Totalität, wohl aber gegen positive Totalitäten als gegen Instanzen der Sprachlosigkeit wie überhaupt gegen jeden Versuch, das absolute Wissen, das als Sprache da ist, zu einem Gegenstand des Bewußtseins herunterzubringen. So verstanden fordern sich Kritik und System gegenseitig und sind dieselbe Bewegung der Sache und des Denkens.
2. Von Kant
Hegel?
Von einer nur philosophiehistorischen Betrachtung unterscheidet sich die philosophische — wenigstens ihrem Anspruch nach — dadurch, daß sie Gedanken denkt statt sie nur anzuschauen. Sie möchte damit keineswegs leugnen, daß die anschauliche Darstellung eines Gedankens eine Seite seiner eigenen Realisierung ausmachen kann; nur muß ihrzufolge diese Realisierung als Selbstrealisierung des Gedankens aufgefaßt werden können, d. h. es muß einsichtig gemacht werden können, inwiefern sich eine gedankliche Bestimmtheit zu einer bestimmten Anschauung nicht nur akzidentell verhält, sondern sich zu ihr gleichsam definiert, statt daß sie bloß äußerlich an ihrer Anschaulichkeit ergriffen und z. B. auf ihre Zeitlichkeit reduziert wird. Im Falle einer Gegenüberstellung von Kant und Hegel findet dieser generelle Sachverhalt noch die besondere Zuspitzung, daß das Denken des ersteren sich selbst von der Anschauung unterscheidet, während dasjenige des letzteren diesen Unterschied vielmehr nicht als fundamental gelten läßt, sondern ihn systematisch relativiert und sich eben als Selbstdefinition des Begriffs zur Anschaulichkeit verstehen kann. Die Konsequenz daraus ist, daß die Philosophiehistorie als solche bei Hegel nicht allzu viel oder auch gar nichts von der Sache seines Denkens, bei Kant hingegen wenn auch ebenfalls nicht viel, so doch immerhin etwas — die Kantische Sache ist ohnehin das bestimmte Etwas — zu sehen bekommt. Die Vorstellung, daß Kant — wenn auch nur irgendwie — bei
Von Kant zu Hegel?
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der oder einer Sache sei, Hegel aber an einem anderen Orte, hält sich entsprechend hartnäckig. Den „Übergang" von Kant zu Hegel kann man sich historisch-„exoterisch" immerhin durch die zwei Umstände mit einigem Recht anschaulich zu machen versuchen, daß sich Hegel selbst zu Kant geäußert und mehr noch dadurch, wie er es getan hat. In dieser Hinsicht ist bereits die Kantdarstellung in der Journalabhandlung „Glauben und Wissen" von 1802 wichtig und auch viel besprochen worden. Sie ist dabei nahezu die Kronzeugin für die Behauptung geworden, daß Hegel mit seinen Vorgängern etwas „mache", was diese so nicht „gewollt" hätten. Hegels Grundüberzeugung in hermeneuticis lautet indes gerade dahin, daß im Denken, sofern allen Ernstes von ihm und nicht von der äußeren Reflexion die Rede ist, niemand etwas „machen" und „wollen" kann außer dem Denken selbst. Freilich entbindet diese philosophische Überzeugung niemanden von äußeren Pflichten wie z. B. der zur philologischen Korrektheit; sie entbindet aber z. B. die Philologie von dem Schein der Verpflichtung, daß sie mit ihren Mitteln die Wahrheit eines Textes erst herzustellen habe. Man hat sich ungefähr seit Hegels Zeit daran gewöhnt, die Wahrheit geistiger Gestalten als „machbar" im Sinne der z. B. philologischen Textherstellung anzusehen. Das Projektionsverfahren der historischen Reflexion, einen Text, wie man sich ausdrücken konnte, „aus seiner Zeit heraus" — was aber besser hieße: nur in sie, die Naturform, hinein — zu „verstehen", das Verfahren also, den vorgefundenen Text als eine „Zeit" zu verdoppeln, diese Verdoppelung in seine Zeit (nicht unsere) sodann als „Wahrheit" des Texts zu nehmen, obwohl er doch nur in das abstrakte Medium der Andersheit überhaupt gesetzt worden ist, dieses Abbildungsverfahren von etwas in nichts gehört so erkennbar der äußeren Reflexion und dem Machen des Bewußtseins an, daß es dann nicht wunder nimmt zu sehen, wie relativ leichtes Spiel die philosophische Kritik des „Historismus" haben konnte. Sie fand statt, indem die „Sprache", das „Wort" als „Mitte" unserer „Zugehörigkeit" zu allen Gestalten des Sinnes und darin auch die absolute Form mehr oder weniger ausdrücklich restituiert wurde 24 . Bei Hegel sind 24
Ein Passus aus H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 19754, worauf wir uns naheliegenderweise beziehen, faßt geradezu die Merkmale der absoluten Form zusammen. Wir meinen den Abschnitt „Die Mitte der Sprache und ihre spekulative Struktur" (432 ff.) und daraus die Sätze über das Wort·. „Ein jedes Wort bricht wie aus einer Mitte hervor und hat Bezug auf ein Ganzes, durch das es allein Wort ist. ... Ein jedes Wort läßt daher auch, als das Geschehen seines Augenblicks, das Ungesagte mit da sein, auf das es sich antwortend und winkend bezieht. Die Okkasionalität der menschlichen Rede" ist so
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Kant und Hegel
diese Zusammenhänge sehr unpathetisch im Begriff schon der Geschichte der Philosophie gewußt. Diese ist nicht irgendein Gegenstand, der auf seine totale Positivierung oder positive Totalisierung durch den je gerade nachgeborenen Verstand wartete, sondern „die Geschichte von dem Sichselbst-Finden des Gedankens"; und weiter ist es „bei dem Gedanken ... der Fall, daß er sich nur findet, indem er sich hervorbringt, ja, daß er nur existiert und wirklich ist, indem er sich findet"25. Diese Verschränkung von Wirklichkeit des Denkens und seiner Erzeugung auch im Sinne der Rückkehr zu sich aus einem zunächst nur abstrakt Anderen, der Begriff also dieser Wirklichkeit als einer nicht positiven, sondern tätigen im Sinne der Aristotelischen ενέργεια, spricht eigentlich die „Hermeneutik der absoluten Form" aus, d. h. die Form des Daseins eines bestimmten Inhalts als des Moments einer absoluten Vermittlung oder Mitte, die der Gedanke ist, aber die ebenso wir sind, sofern wir denken. Von dieser Form aus gibt es einen Begriff noch der Hermeneutik der Positivität und Reflexion, was umgekehrt nicht gilt noch gelten kann. Denn der „Beobachter" in historischer Einstellung wird wie alles Lebendige so auch die Gestalten der absoluten Form in ihrer philosophischen Selbstdarstellung notwendig totsehen, und das schon darum, weil die Reflexion-in-sich, die er wie alle äußere Reflexion seinem „Objekt" zugesteht, nicht zugleich die Reflexionin-sich der Beobachtung sein soll, sondern dieser gegenüber als anschaulich abgeschlossen zu gelten hat 26 . gesehen „der logische Ausdruck der lebendigen Virtualität des Redens ... Alles menschliche Sprechen ist in der Weise endlich, daß eine Unendlichkeit des auszufaltenden und auszulegenden Sinnes in ihm angelegt ist" (434). Gegen den philosophischen Umgang mit der Differenz von Zufälligkeit und Notwendigkeit, Endlichkeit und Unendlichkeit usw. bei Gadamer sticht das historische Verfahren etwa eines Dilthey umso krasser ab, ζ. B. wenn bei ihm statt der als Mitte aufgefaßten Differenz der lineare Gegensatz von intendierendem „Beobachter" (von „Weltanschauungstypen" usw.) und positiver Totalität des Lebens begegnet. Wir machen uns nach Dilthey die (objektive) „Bedeutung" eines (zumal individuellen) „Lebens", d. h. für ihn „das Verhältnis von Teilen des Lebens zum Ganzen, das im Wesen des Lebens gegründet ist" (Gesammelte Schriften VII, 233), dadurch bewußt, daß wir dieses Leben nun gerade von seinem Ende aus, d. h. als totes ansehen: „Erst im letzten Augenblick eines Lebens kann der Uberschlag über seine Bedeutung gemacht werden, und so kann derselbe nur eigentlich momentan am Ende des Lebens auftreten oder in einem, der dies Leben nacherlebt" (a. a. Ο. VII, 237). Dilthey macht so die höchst dogmatische Voraussetzung, daß „Bedeutung" grundsätzlich etwas für sich Intendierbares sei, während in Gadamers kritischem Begriff eines Unterschieds von Virtualität und Aktualität des Bedeutens keine Voraussetzung einer solchermaßen isolierbaren „Bedeutung" mehr gemacht wird. Cf. auch unten Anm. 26! 25
26
18, 23 Anm. 10 (nach Michelets Wiedergabe der Berliner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie). Der Versuch, in auf Anschaulichkeit reduzierte Gestalten des Geistes auf dem Wege der
Von Kant zu Hegel?
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In „Glauben und Wissen" findet sich der logische Grund dafür, daß Kant seinen Begriff des Denkens in Opposition zur Anschauung bestimmt und eben darum auch für ein unmittelbares Verstehen einen relativ anschaulichen Begriff des Denkens hat und selbst anschaulich denkt, in der recht kategorisch wirkenden Feststellung zusammengefaßt, Kant habe sich „schlechthin für die Erscheinung entschlossen" und dabei „das Vernünftige, eine anschauende Spontaneität zu denken, verachtet"27. Dieses Letztere wäre Kant nach Hegel durchaus nicht zu tun genötigt gewesen, hätte er nur bedacht, daß seine besonders im Rahmen der transzendentalen Deduktion (B) sowie der „Kritik der Urteilskraft" ausgesprochene und für notwendig zu haben erkannte Idee eines intuitiven Verstandes28 „durchaus nichts anderes als dieselbe Idee der transzendentalen Einbildungskraft" sei, „denn sie ist anschauende Tätigkeit, und zugleich ist ihre innere Einheit gar keine andere als die Einheit des Verstandes selbst, die Kategorie in die Ausdehnung versenkt, die erst Verstand und Kategorie wird, insofern
äußeren Reflexion einzudringen, wird in Schleiermachers Hermeneutik als eine „Aufgabe der psychologischen Auslegung" angegeben. Diese ist „im allgemeinen die, jeden gegebenen (!) Gedankencomplexus (!) als Lebensmoment eines bestimmten Menschen aufzufassen" (ders., Hermeneutik und Kritik, ed. M. Frank, Frankfurt 1977, 178), eine Formulierung, die als für das Divinieren und Einfühlen des 19. Jahrhunderts einigermaßen programmatisch gelten darf. Dem Reflexionsschema von Ganzem und Teil folgend, werden zwar einzelne „Äußerungen" freigelassen, aber das „dahinter" stehende Ganze wird direkt intendiert, um aus ihm mittelbar doch die Äußerung ableiten zu können. Der Andere, der etwas oder auch sich aussprechen wollte, wird in dieser Reflexionsfigur einzufangen versucht, und das Was, der geistige Gehalt seiner Sache, verschwindet in das, was der „Beobachter" schon immer von sich aus zu verstehen und vor allem als verständlich zu setzen in der Lage war. „In jedem Verstehenwollen eines anderen", sagt Schleiermacher, liegt „schon die Voraussetzung, daß die Differenz (sc. der Beobachtungsrelation) auflösbar ist" (ibd.). Wenn Dilthey später das Bewegungslose des Schleiermacherschen Reflexionsapparates kritisiert, indem er auf die „Geschichtlichkeit" aller Lebensformen mit Einschluß der des Beobachters verweist (cf. etwa Briefwechsel zwischen W. Dilthey und dem Grafen P. Yorck von Wartenburg 1 8 7 7 - 1 8 9 7 , Halle/S. 1923, 427), dann ist damit zwar auf eine gewisse Weise von der „Zugehörigkeit", von der Gadamer spricht, die Rede, diese aber zugleich endgültig ins ganz Unbestimmte verlegt, so wie immer ein zusätzlicher Spiegel, den sich die Reflexion aufstellt, nicht zu größerer Klarheit, sondern höchstens zu größerer Blendung (auch anderer) beiträgt. 27 28
2,326. Cf. bei Kant zumal KdrV Β 135, 138 f, 145 (an welcher letzten Stelle Kant für einen „göttlichen" Verstand das, was wir hier die Definition der Anschaulichkeit durch den Begriff selbst genannt haben, ausspricht: er meint „einen Verstand ..., der nicht gegebene Gegenstände sich vorstellete, sondern durch dessen Vorstellung die Gegenstände zugleich gegeben, oder hervorgebracht würden" — was formal die Idee der absoluten Form ist); ferner KdU § § 7 6 f., KdpV A A V , 137.
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Kant und Hegel
sie sich von der Ausdehnung absondert" 29 . Danach wäre Kants „Entschluß", bei der Erscheinung stehen zu bleiben, identisch mit dem Entschluß, den anschauenden Verstand als die in sich vollendete Vermittlung vom bloß unmittelbaren Prinzip der Vermittlung in jeder Verstandestätigkeit (der Spontaneität) zu unterscheiden und so die Vermittlung actu als nicht notwendig vollendet oder auch nur vollendbar darzustellen. Der für Kant antinomische Gedanke einer vollendeten Vermittlung wird durch diese Trennung der Extreme, die wir oben als „Urteilung der Idee" bezeichnet haben, vermieden, indem zwischen die Extreme, die wir etwas antizipierend das vollendete Subjekt (transzendentale Apperzeption; Sein der Idee) und das vollendete Prädikat (transzendentales Ideal als „Idee in individuo"; Sollen der Idee) nennen wollen, das zeitlich differente Setzen des Ist in Erfahrungsurteilen eingeschoben wird. Hegel setzt in seiner Kantdarstellung auch mit Hinweis auf die Urteilsform ein. In Kants Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori findet sich ihmzufolge „die wahrhafte Vernunftidee ausgedrückt" 30 . Denn die Frage geht, wie wir sagen können, genau auf den Widerspruch, den Kants Urteilung der Idee durch zeitliche Differenzierung zu vermeiden sucht und insofern gerade auf die gan^e Idee. Die Widersprüchlichkeit läßt sich nach Hegel so ausdrücken, „daß in dem synthetischen Urteil Subjekt und Prädikat, jenes das Besondere, dieses das Allgemeine, jenes in der Form des Seins, dies in der Form des Denkens, — dieses Ungleichartige zugleich a priori, d. h. absolut identisch ist" 31 . Was Hegel so an der Form des synthetischen Urteils a priori ins Auge faßt, ist die Form der absoluten, weil den Widerspruch in sich tragenden und sich entsprechend unendlich darstellenden, nämlich alle endlichen Bestimmungsversuche abstoßenden Synthesis, deren Name in den Jenaer Schriften vorzugsweise „absoluter Begriff
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2, 325. Cf. zu dieser Hegeischen Gleichsetzung von transzendentaler Einbildungskraft und intuitivem Verstand V. Verra, Immaginazione trascendentale e intelletto intuitivo, in: ders. (ed.), Hegel interprete di Kant, Neapel 1981, 67 — 89. Verra verdeutlicht den Hegeischen Synthesisbegriff u. a. durch Hinweis auf dessen „organische" Form (cf. 75) und in der Abgrenzung gegen die Vermögenspsychologie (cf. 73, 83). Im übrigen ist die Abhandlung mehr konstatierend gehalten und stellt die Frage nach dem philosophischen Sinn der Hegeischen Behandlung Kants nicht eigentlich ins Zentrum, während die (ganz obsolete) Rubrizierungsfragestellung, ob Hegels Kantbild vielleicht „romantisch" etc. sei, mit Recht offengelassen wird (87). Cf. zum Thema ferner die ähnlich gelagerte Publikation von K. Düsing, Ästhetische Einbildungskraft und intuitiver Verstand, in: Hegel-Studien 21 (1986), 8 7 - 1 2 8 .
2, 304. Cf. WdL II, 227. " Ibd. 30
Von Kant zu Hegel?
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lautet 32 . Das Prinzip der synthetischen Form greift nach Hegel ferner vom „Prinzip der figürlichen Synthesis" aus auch auf die „vorher nur als Rezeptivität" charakterisierte „Sinnlichkeit" über, so daß „Raum und Zeit selbst als synthetische Einheiten" aus „absolute(r) synthetische(r) Tätig32
Wir beschränken uns auf einige inhaltlich aussagekräftige Belege: in der Jenaer Logik und Metaphysik von 1804/5 gehört der „absolute Begriff" eigentlich dem Metaphysikteil an; er heißt GW VII, 134 „das Gegenteil der Bestimmtheit und der aufgehobenen Bestimmtheit"; GW VII, 158 für „Ich als Gattung" im Sinne der „Unendlichkeit" der sich auf sich beziehenden Negation; cf. GW VII, 173. Im Naturrechtsaufsatz heißt er u. a. „das Prinzip der Entgegensetzung und die Entgegensetzung selbst" (2, 469), ferner „das unvermittelte Gegenteil seiner selbst" (2, 502); in der PhG heißt er weiterhin „die Kategorie; er ist dies, daß das Wissen und der Gegenstand des Wissens dasselbe ist" (389); seine „Negativität" ist es, „die alles gegenständliche, dem Bewußtsein gegenüber sein sollende Wesen vertilgt und es zu einem Sein des Bewußtseins macht" (378). Die Synthesis ist so bei Hegel die Aufhebung der Bewußtheit aus ihrer eigenen Form heraus, nicht nur in ihre Bedingung (Kant) und auch nicht in ihre bedingte Beziehung auf das Unbedingte (Fichte) oder ihre unmittelbar-unbedingte Unterscheidung vom Unbedingten (Schelling). Der Ausdruck „absoluter Begriff' begegnet selbstverständlich auch in der WdL und den späteren Vorlesungen, in welchen Zusammenhängen er allerdings nicht mehr wie in der Jenaer Logik dem (nur) „bestimmten Begriff' entgegentreten kann. — Man hat nun die gerade angesprochene Beziehung, die Hegel zwischen der Form des synthetischen Urteils und der Synthesis der Apperzeption sieht, als ungerechtfertigt hinstellen und ihm entsprechend zum Vorwurf machen wollen. Wir werden die Kritik, die K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, Hegel-Studien Beiheft 15, Bonn 19842, 110 f. übt, etwas näher beleuchten, da dabei außer auf unser Thema auch auf die Grenzen des philologisch-archivarischen Umgangs mit Philosophie einiges Licht fallen kann; denn es wird in der Folge davon abgesehen werden, auf bloß historisch gemeinte Konstatierungen von „Verschiedenheiten", die in der Hauptsache in der Systemlosigkeit des historischen Verstandes selbst bestehen, um ihrer selbst willen schon einzugehen. Man muß vorwegschicken, daß Düsing in unserem, immerhin kein Bagatellproblem betreffenden Zusammenhang, von sich aus keinen Versuch unternimmt, die Hegeische Kantrezeption auf ihre innere Homogeneität oder auf ihren Gedanken hin darzustellen, den sie doch wohl auch dann noch haben könnte, wenn sie in Beziehung auf Kant selbst eine, wie Düsing behauptet, „Vermischung" von ganz Disparatem sein sollte (die Auskunft, die des öfteren wiederkehrt, Hegel steure in Richtung auf des „Aristoteles' Ontologie" (111), können wir nicht schon für einen Beweis werten, daß das Produktive und in sich Stimmige des Hegeischen Gedankens erfaßt sei). Es wird vielmehr ganz dabei Stehengeblieben zu behaupten, daß Hegel — und nicht nur er allein, denn der Irrtum, mit dem Reinhold angefangen (110 Anm. 118) und dem viele Neukantianer (111) noch erlegen waren, erweist sich als recht kollektiv, was aber nicht Anlaß wird, hier mehr als zu konstatieren —, daß also Hegel etwas Verschiedenes von Kant behaupte, indem er bei diesem Verschiedenes nicht gehörig differenziere. Auf die Erläuterung dafür, daß die synthetische Einheit in Urteilen a priori „etwas ganz anderes" (110) sei als die synthetische Einheit der Apperzeption, darf man besonders in der Erinnerung an Henrichs Untersuchung „Identität und Objektivität" gespannt sein, die Düsing seinerseits immerhin im Literaturverzeichnis hat (362). Man findet nun ausgeführt, synthetische Urteile a priori seien solche, die Begriffe in Beziehung „auf Anschauungen a priori" verknüpfen, womit ihr diakritisches Moment gegen analytische Urteile angegeben ist; dagegen sei die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption qua Synthesis die
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Kant und Hegel
keit"33 begriffen werden. Damit wird die nach der transzendentalen Ästhetik nur quantitativ bestimmte „Mannigfaltigkeit" der Anschauung gleichfalls als qualitative Unendlichkeit denkbar, und die nur vorausgesetzte Äußerlichkeit und Andersheit, die die Bedingung eines Begriffs vom Urteil ist, demzufolge es sich als eine Beziehung auf ihm (räumlich wie zeitlich) Äußeres und äußerlich Bleibendes, als Beziehung auf anschauliche Gegenstände und ebenso anschauliches anderes Urteilen realisiert, ist so „Verbindung von Vorstellungen zur Einheit der Apperzeption" (110). Diising sagt nun, daß „alle Urteile überhaupt ..., ob sie nun analytisch oder synthetisch sind" (ibd.), unter dem Einheitsprinzip der Apperzeption stehen; das ist zweifelsohne richtig, nur ist es kein Argument im Zusammenhang des Nachweises, daß die Synthesis der Apperzeption „etwas ganz anderes" als die in synthetischen Urteilen sei, denn die, wenn man so will, um den „Bereich" der analytischen Urteile vermehrte „Extension" der ursprünglich-synthetischen gegenüber der synthetischen Urteilseinheit besagt nur, daß jene auch auf diesen Bereich, nicht aber, daß sie nicht auf den in Frage stehenden der synthetischen Urteile a priori bezogen sei — ganz abgesehen davon, daß Kant selbst betont, daß in Beziehung auf Verbindung überhaupt der Unterschied von Synthesis und Analysis nur ein scheinbarer sei, „denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen" (KdrV Β 130). Es geht gerade um die Beziehung oder Nichtbeziehung der beiden Synthesisweisen, die Düsing als nicht vorhanden, Hegel aber als eine der Identität behauptet. Düsings Argument kann ferner nicht sein, daß synthetische Urteile eine Verbindung in Beziehung auf Anschauung seien (was eine Tautologie ist; denn wenn die verbundenen Begriffe sich äußerlich, mannigfaltige sind, worum es im synthetischen Urteil ja geht, dann sind sie eben darin für einander anschaulich — oder man nenne ein anderes Kriterium der Äußerlichkeit); denn darin ist die Beziehung der Begriffe nicht begründet, sondern allererst zu begründen aufgegeben; ferner sind, was auch Düsing nicht bestreiten dürfte, unter den Vorstellungen, die ursprünglich-synthetisch zur Einheit der Apperzepzion verbunden werden, natürlich auch Anschauungen einbegriffen. Düsings Argument reduziert sich dann auf den einfachen Sachverhalt, daß die Urteilssynthesis die bewußte der Objektivität, die Synthesis der Apperzeption hingegen die selbstbewußte der Identität ist. Es wird dann allerdings schwer halten, die so unterschiedenen Glieder als „etwas ganz anderes" gegeneinander zu behaupten. Denn der § 16 steht bekanntlich nicht als irgendein beliebiges Lehrstück, verschieden von anderen Stücken, in der KdrV, sondern weil nach Kants Problembewußtsein die objektive (Urteils-) Synthesis einen „Grund der Einheit" (B 131) fordert, da die in ihr enthaltene Vorstellung der „Verbindung ... nicht durch Objekte gegeben werden kann" (B 130), da nämlich diese bereits Verbundene sind. Dieser allgemeine Grund (oder, Kantisch der Grund in hypothetischer Form gedacht), diese allgemeine Bedingung der Objektivität selbst ist die apperzeptive Synthesis. Ein Grund ist in Beziehung auf das Begründete zwar ein Anderes, aber ein Anderes, das das Begründete allererst set^t und darin mit ihm identisch ist. Der Grund ist sogar nur diese setzende Beziehung selbst, und erst die auf ihn gerichtete Intention macht ihn zu „etwas", allerdings auch sie noch nicht zu „etwas ganz anderem" als das Begründete, denn dies, das bloß Verschiedene, wird er erst, wenn er als kein Grund begriffen oder als Grund nicht begriffen wird. Die Synthesis in Urteilen ist eine mannigfaltige (anschauliche), aber sie ist nach Kant je der Index der Synthesis, die sie zu ihrer Bedingung hat, und sie ist als diese indizierte Beziehung schon ihr eigenes Allgemeines, identifizierende Tätigkeit, die Hegel allen Grund hat, als (unendliche) Identität zu verstehen. 33
2, 305.
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schon von den eigenen Prämissen alles Urteilens, eben von der Möglichkeit zu Urteilen selbst her, unterlaufen. Kants Urteilung der Idee läßt sich in diesem Zusammenhang darstellen als ein Festhalten der fixen Form des Urteils gegen das, was als Bedingung alles Urteilens schon erkannt war; Hegel sagt in diesem Sinne, „das Apriorische dieses (sc. synthetischen) Urteils, die absolute Identität als Mittelbegriff stellt sich aber im Urteil nicht, sondern im Schluß dar" 3 4 . Die differente Form des Urteils wird gegen die Unendlichkeit der Spontaneität, also gerade gegen die Verbindung von Subjekt und Prädikat festgehalten. Diese Verbindung ist gegenüber den bestimmten Begriffsinhalten des Subjekts- und Prädikatsbegriffs rein inkommensurabel; aber die Inkommensurabilität der Möglichkeit aller Verbindung zeigt sich am resultierenden und für sich genommenen Erfahrungsurteil nicht als solche des Bestimmens actu gegen die Bestimmten, sondern ist aus der transzendentalen in die einfache Differenz zwischen unmittelbarer Verbindung und vermittelten Bestimmtheiten, zum Daß der leeren Kopula oder des Seins zusammengesunken, oder sie zeigt sich nurmehr als die Möglichkeit, daß diese Verbindung des Ist mit diesen Bestimmten des Subjekts und des Prädikats auch nicht verbunden sein könnte. „ D a s Urteil selbst ist nur die überwiegende Erscheinung der Differenz" 3 5 . Es muß also darum zu tun sein, dem Sein der Kopula selbst Bestimmtheit mitzuteilen, in der seine Beziehung auf die von ihm Differenten ausgesprochen wäre. Das aber vermag nur der Schluß oder die Idee. Wäre vermittelst dieser das Sein als in Beziehung auf Subjekt und Prädikat bestimmt gedacht, so müßte es als die Aufhebung ihrer ihm äußeren (anschaulichen) Bestimmtheiten gedacht werden, d. h. als ihre Negation in sich, durch die alleine es erfülltes Sein wäre. Aber das heißt nichts anderes, als daß das Sein nicht einfache und zuletzt auch nicht transzendentale Differenz bleiben kann, sondern Widerspruch werden muß. Als dieser ist es zunächst die verdoppelte Differenz des Urteils: zugleich die Beziehung von Subjekt und Prädikat, die es unmittelbar darstellt, und das, was es in Hinsicht auf ihre Bestimmtheit, gleichsam nicht nur als „Existenz", sondern als „Essenz" der Beziehung ist, nämlich ihre Nicht-
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2, 307. Cf. die Ausführungen von J. Simon, Sprache und Raum, Berlin 1969, 110 f., die den Hegeischen Fortgang von der F o r m des Urteils bzw. dem Moment der apriorischen Kopula zur Idee zugleich mit Hinblick auf die „nur logische F o r m " des Raumes als des „Andersseins der Vernunft" (111) entwickeln. Die nur „kopulative Synthesis" im Urteil „fixiert" nach Simon „die nur so Bezogenen als Getrennte" und ist so „ F o r m des Auseinander" (ibd.). 2, 307.
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Kant und Hegel
Vermittlung. So ist (im Anschluß an Hegel) das ganze Kantische Problem der Idee schon in der Urteilskopula loziert. Aber das Sein als Widerspruch ist ferner nicht nur diese doppelte Differenz, die man noch als subkonträre Antinomie verstehen kann, sondern es ist der Gedanke, daß die NichtVermittlung der Bestimmtheit von Subjekt und Prädikat in ihrer Verbindung unmittelbar diese Verbindung ausschließt und umgekehrt die Verbindung ihrem Begriffe nach diese Nicht-Vermittlung ausschließt, dennoch aber in der Form des Urteils die beiden sich ausschließenden Verhältnisse zugleich gedacht werden müssen und sich in der Beziehung auf diese Form gerade einschließen. Mit anderen Worten: wenn ein vollbegriffliches Urteil gedacht ist und nicht etwa nur ein Satz 36 oder eine Juxtaposition von Namen, dann ist darin gedacht, daß a) das Subjekt das Prädikat ist, wie es unmittelbar versichert wird, und also auch ein Grund anzutreffen sein wird, daß dem so ist; b) daß aber zugleich das Subjekt nicht das Prädikat ist, wie schon die Urteils\form voraussetzt, dieses durch jenes eigentlich nur negiert (besondert) und darin ideell gesetzt wird — daß die berühmte Rose rot ist, heißt dann, daß das Rote nicht selbst ein Sein ist,
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Für die Unterscheidung von Urteil und Satz folgen wir dem Hegeischen, nicht dem Kantischen Sprachgebrauch. Nach Kant ist „ein assertorisches Urteil ein Sat%" und steht somit unter dem Prinzip vom zureichenden Grunde (Uber eine Entdeckung AAVIII, 193f. Anm.; cf. Jäsche-Logik § 30 Anm. 3; R 3111); Kant wendet sich damit gegen „die Logiker", die „einen Satz durch ein mit Worten ausgedrücktes Urteil definieren" (ibd.). Nach Hegel unterscheidet sich ein Urteil vom „bloße(n) Satz" dadurch, „daß das Prädikat" sich in ihm „zum Subjekt nach dem Verhältnis von Begriffsbestimmungen, also als ein Allgemeines zu einem Besondern oder Einzelnen" verhält (WdL II, 267; cf. Enz. § 167 Anm.). Der Inhalt eines Satzes, der demgegenüber bloß Einzelnes auf Einzelnes bezieht, ist diese Beziehung selbst, während „das Urteil ... den Inhalt in das Prädikat verlegt als eine allgemeine Bestimmtheit, die für sich, und von ihrer Beziehung, der einfachen Copula, unterschieden ist" (WdL II, 24 f.). Hegel spricht gleichwohl gelegentlich davon, daß „in eigentlich so genannten Sätzen Subjekt und Prädikat in Wahrheit ungleich, weil eins Einzelnes, das andere Allgemeines" sei, und „so ist ihre Beziehung das Wesentliche, der Grund, worin sie eins sind" (20, 189). Dabei sind Sätze im Sinne etwa der Propositionen Spinozas (um den es im Zusammenhang geht) gemeint, an denen Hegel bemängelt, daß „die Bewegung des Erkennens, als Beweis, ... außer dem Satze, der die Wahrheit sein soll", fällt (ibd.). Der spekulative Sat% erbringt demgegenüber diesen Beweis der Wahrheit an sich selbst. Er ist nicht Urteil, welches nämlich der unmittelbare Widerspruch zur Spekulation und deren endliche Prämisse bleibt (cf. WdL II, 495), sondern Satz, nämlich die als Ganzes und wahrhafte Einheit der unterschiedenen Subjekt und Prädikat entwickelte Beziehung. — Der Vergleichspunkt zu Kant ist, daß auch er beim Satz die Beziehung selbst als eigentlichen Inhalt herausstellt, so in seinem Beispiel eines „bedingten Satzes", bei dem es einzig um die Konsequenz im Sinne der logischen Implikation, nicht um die Inhalte des Antecedens bzw. Consequens zu tun ist (cf. a. a. O. AAVIII, 193f. Anm.). Die Hegeische Bedingung, daß im Urteil an Subjekts- und Prädikatsposition entgegengesetzte Begriffsbestimmungen ausgesprochen sein müssen, kennt Kant jedoch nicht.
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sondern sein Wesen an etwas Anderem hat; es ist in dieser Hinsicht gewußt, daß die Bildung des Abstraktums „das Rote" nur der Reflexion entstammt; c) daß der mit dem Sein der Kopula mitgesetzte Grund des Urteils beide zuvor genannten Hinsichten enthalten muß, und dies so, daß das Subjekt, insofern es das Setzen des Prädikats (als positiv) ist, gerade dessen Negieren oder Aufheben ist, und zugleich das Prädikat, insofern es ein als bestimmt gesetztes, d. h. als Voraussetzen eines bestimmenden Subjekts ist, ebenso nicht diese Bestimmtheit durch das Subjekt, sondern die Negation genau dieser Voraussetzung, ihre Idealisierung und Herabsetzung zu einem Fall der eigenen Allgemeinheit ist; am Beispiel also: durch den Urteilsgrund ist die Rose so auf das Prädikat „rot" bezogen, daß sie, sofern sie durch „rot" bestimmt wird, selbst das Bestimmen dessen ist, was „rot" an ihr heißen kann (nämlich nur: „so-rot-wie-ÄJi'-Rose"), also auch nicht durch „rot" bestimmt wird; und durch den Grund ist zugleich das Prädikat „rot" so als seiend an der Rose gesetzt, daß es dieses Sein selbst reflektiert, indem es es mit seinem Oppositum (im allgemeinsten Fall: „nicht-rot") zusammenschließt, ohne welchen Zusammenschluß überhaupt keine Bestimmung, mithin auch kein Urteil stattgefunden hätte. Die Rose ist nur, was sie ist, indem sie nicht nur Sein, sondern bestimmt ist, indem sie also durch die Bestimmtheit reflektiert und in dieser Reflexion aufgehoben ist. Das „Sein" und das „Nichts" der Rose sind in dem doppelten Sinne identisch, daß einerseits ein bloßes Sein der Rose das Nichts der Rose ist, andererseits das bestimmte Sein der Rose ein Anderssein des Seins selbst und darum das Nichts seiner Unmittelbarkeit ist. Das Sein der Kopula drückt in einem wahrhaften Urteil die unmittelbare Einheit dieser zwei Nichts aus, die wir das Nichts der Unvermitteltheit und das Nichts der Vermittlung nennen können 3 7 . Es ist deren unmittelbarer Widerspruch. 37
Das „Nichts der Unvermitteltheit" ist die unmittelbare Negation der Unmittelbarkeit, das „Nichts der Vermittlung" die über die Reflexion vermittelte. Das Urteil „Die Rose ist rot" ließe sich dieser Differenz der Nichts gemäß in die (seinslogische) Aussage „Die Rose wird etwas Rotes" (das „heraklitische" Moment am Urteil) sowie in die (wesenslogische) Aussage „Die Rose ist im Roten aufgehoben" (das „platonische" Moment am Urteil) aufteilen. Gegenüber diesen beiden abstrakten Aussagen stellt die Identifikation der beiden Nichts im vollbegrifflichen Urteil als Sein das Subjekt, und zwar dieses als Substanz wieder her, was man als Freilegung des άτομου eTSos und insofern als „aristotelisches" Moment am Urteil verstehen könnte. Das Wichtige ist nur zu sehen, daß die Bewegung vom Prädikat ins Subjekt zurück, wie sie das zweite Moment ausdrückt und wie sie ζ. B. als μέθεξις veranschaulicht werden kann, im dritten Moment als mit der ersten, der Bewegung über das Subjekt hinaus zum Prädikat, identisch begriffen wird und daß die erreichte Substantialität nichts anderes ist als diese Identität der beiden Negationen, als das Sich-in-sich-Umkehren des Negativen, das Hegel auch ausdrücklich
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Bezogen auf die Problematik von transzendentaler Einbildungskraft und intuitivem Verstand läßt sich dann sagen: das Aushalten des in jedem wahrhaften Urteil gesetzten Widerspruchs kann man die inkommensurable Kraft der Einbildung der Verstandesidentität in ein für sich antinomisches „Wendungspunkt der Bewegung des Begriffs" nennen kann (WdL II, 496; cf. PhG 140 für das Selbstbewußtsein als „Wendungspunkt" des Bewußtseins, was für die realphilosophische Seite unserer Interpretation der absoluten Form nicht unwichtig ist). Das bedeutet einerseits, daß die Urteilsform, die einen bestehenden Unterschied von Subjekt und Prädikat behauptet, im Urteilen selbst untergeht; es kann z. B. keine einfache Voraussetzung eines bestehenden Subjekts gemacht werden, da dieses bereits auf der „heraklitischen" Stufe untergegangen ist. Andererseits heißt dies, daß alles neu zu gewinnende Sein und Bestehen, alle „Autonomie" des Subjekts, aus der doppelten Negation zu gewinnen ist. Es ist legitim, mit D. Henrich, Hegels Grundoperation, in: Der Idealismus und seine Gegenwart (FS W. Marx), Hamburg 1976, 208 — 230, die Negation selbst, die Hegel, wie Henrich zu Recht sagt, ohne jede Korrelation zu sehen gelehrt hat, „autonom" (214) zu nennen. Strenger noch wäre Hegel gemäß zu begreifen, daß überhaupt nur die Negation eine autonome Kategorie genannt werden kann und entsprechend jede Form von Autonomie eine Entfaltung von Negativität ist. Henrich hat in dem genannten Aufsatz weiterhin dargelegt, daß die Autonomie der Negation erfordert, beide Seiten der negativen Beziehung als doppelte Negation zu denken, da sie sonst tatsächlich nur entgegensetzende Reflexion und nicht reine i'e/tebeziehung sein könnte, d. h. immer von einer ersten Unmittelbarkeit abhängig bliebe (220 ff.). Das Andere der Beziehung überwindet so bei Hegel in sich bereits die einfache Andersheit oder erste Unmittelbarkeit und ist frei oder zu sich entlassen (cf. WdL I, 104 ff.; II, 496). Das einfache Negieren (die Reflexion) setzt diese Überwindung als bereits geschehen (als Wesen) voraus; ebenso erreicht aber auch das Negieren der Reflexion das, was das Andere nur voraussetzt, indem sie die vorausgesetzte Sich-Andersheit in die absolute Einheit aufhebt, als welche sie sich herstellt. Beide Bewegungen haben ihr wahrhaftes „Gleichgewicht" im Begriff (cf. Henrich a. a. O. 224). Die Argumente, mit denen Henrich an anderer Stelle die selbstbezügliche Negation der Andersheit von einer nicht selbstbezüglichen doppelten Negation unterscheiden will, indem am (endlichen) Fürsichsein (des Seins) dieses letztere Verhältnis demonstriert wird, während im Resultat des Systems, wo das Fürsichsein nicht mehr (einfach) ausschließend, sondern unendlich geworden ist, das Eins des Fürsichseins gedacht werden soll als „nur in der Identifikation seiner selbst mit seinem Andern in Wahrheit für sich sein" könnend, bringen in der Tat keine echte Erweiterung des Arguments. Denn das angegebene Resultat ist ohnehin wieder nur die absolute Negativität selbst, deren Begriff schon vorlag, nur jetzt eben in der Sprache des (verunendlichten) Seins ausgesprochen, d. h. unter Abstreifung des Scheins, die absolute Negativität sei nur Reflexion (Widerspruch); das endliche Fürsichsein aber ist nur die Darstellung des absolut-negativen Verhältnisses in der Äußerlichkeit des Seins, d. h. als drei getrennte negative Momente: das Eins, das (einfach) Andere, die Ausschließung, die überdies eine Beziehung (viertes Moment, das gleichsam das „Innere" der Ausschlußbeziehung ist) sind. Das Fürsichsein (des Seins) stellt gewissermaßen das Ausschließen seiend als stchanders dar, während das des Resultats es als das Selbst ausgesprochen hat (cf. Henrich, Formen der Negation in Hegels Logik, in: R. P. Horstmann, Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt/M. 1978, 2 1 3 - 2 2 9 , loc. cit. 224). Daß Henrich reflexive und seiende Darstellung der formell exakt beschriebenen absoluten Negativität nicht spekulativ identifizieren kann, steht seinem Zugang zu Hegel leider bisweilen im Wege und führt dazu, daß er bei Hegel die Einheit der Darstellung und des material Dargestellten nicht wirklich
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Verhältnis kommensurabler Bestimmtheiten nennen, durch welche Identität die Antinomie nicht auseinandertreibt und gleichsam räumlich wird, sondern ein System der Beziehung darstellt, das logisch betrachtet nicht diskursive Verstandeseinheit (als zeitliche Rekapitulation des Außereinander), sondern nur intuitive (der A u f h e b u n g noch der Äußerlichkeitsweise der Zeit in den „Augenblick" 3 8 ) sein kann. Die Kraft der Einbildung — „ K r a f t " dabei nicht verstanden als eine okkulte Qualität „jenseits" aller Einsehbarkeit, sondern nur als das unentwickelte Insichsein des systematischen Verhältnisses aller Verständlichkeit selbst —, ist auch im Kantischen Zusammenhang als die (reale) Möglichkeit aller E r f a h r u n g zu verstehen; sie ist totale Form, aber im Sinne der sich genetisch definierenden Totalität und nicht etwa als positive Formtotalität, welche nur eine reflexive Extrapolation aus der tätigen Form heraus sein kann 3 9 . Betrachtet man hingegen die Einbildungskraft nicht logisch, sondern anschaulich, wie dies Kant selbst bis hin zu anthropologischen Ausführungen getan hat 4 0 , dann bleibt sie entsprechend zugleich ihren ebenfalls anschaubaren Produkten wie auch der Vorstellung eines intuitiven Verstandes, der seinen Produkten nicht entgegengesetzt ist, entgegengesetzt und äußerlich. Ihre Produkte fallen so in die Form der Äußerlichkeit, die als totale Anschauung wesentlich Zeit ist; sie sind zeitlich und nehmen den der Idee äußerlichen Gang alles Zeitlichen, etwas unbestimmt Anderes zu werden. N u r im Falle des Produktes der ästhetischen Einbildungskraft hat Kant es vermocht, in ihm
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finden, sondern n u r in das schlechte Sollen einer „ K o n s t r u k t i o n des mono-logischen Prozesses" usf. verlegen kann (cf. Henrich, Die F o r t n a t i o n s b e d i n g u n g e n der Dialektik, in: Revue internationale de philosophie, N o . 139/140 (1982) 1 3 9 - 1 6 2 , bes. 159 ff.). O d e r anders gesagt: es wäre zu wünschen, daß Henrich für den Begriff täte, was er f ü r die Reflexion bereits getan hat. Cf. K d U Β 99: „Die Z u s a m m e n f a s s u n g der Vielheit in die Einheit, nicht des Gedankens, sondern der A n s c h a u u n g , mithin des Sukzessiv-aufgefaßten in einen Augenblick, ist ein ... Regressus, der die Z e i t b e d i n g u n g im Progressus der Einbildungskraft wieder aufhebt, u n d das Zugleichsein anschaulich macht". — Cf. K d r V A 99! J. Simon, E i n b i l d u n g s k r a f t und wirkliche Zeit, in: H. BuschejG. HeffernanjD. Lohmar (edd.), Bewußtsein und Zeitlichkeit. Ein Problemschnitt durch die Philosophie der Neuzeit, W ü r z b u r g 1990, 147 — 158, spricht d a v o n , daß es „in der Vorstellung der Zeit selbst" liege, die „Grenzvorstellung eines allumfassenden D i n g e s " zu bilden, das „sogar die Z e i t " „ u m f a ß t e " (147). Einem solchen „ D i n g " entspräche aber das Vermögen des (abstrakt-) intuitiven Verstandes, w ä h r e n d es „ u n s e r " intuitiver Verstand wäre, durch den „die D i n g e ... ihre Z u e i g n u n g zu einem Weltbild" „erhalten", wobei „das Durchscheinen dieser Z u e i g n u n g ihre Ästhetik" ausmachte (157).
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Cf. A n t h r o p o l o g i e in pragmatischer Hinsicht §§ 28 ff. O b man gerade hier „über den (sc. bei Kant) gelegten G r u n d der Metaphysik A u f s c h l u ß " erwarten kann, wie Heidegger meint, möchten wie bezweifeln (cf. ders., Kant und das Problem der Metaphysik, F r a n k f u r t / M . 1973 4 , 123).
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einen „Gegenstand" zu denken, auf den man sich schlechterdings nicht äußerlich beziehen kann, weil man ihn in einer solchen Beziehung gar nicht mehr hätte. Die Kantische Weise, sich die „Innerlichkeit" der Beziehung auf Gegenstände, die in dieser Beziehung „schön" und „erhaben" heißen, vorzustellen, ist diejenige einer Komplexion des urteilenden Verhaltens selbst, ein sich auf sich selbst Beziehen der Bewußtheit, die den Gegenstand ohne Begriff und der Form nach zweckmäßig in sein Eigenes und gerade nicht in die Zeit entläßt. In der ästhetischen Sphäre wird es sonach denkbar, daß auch eine angeschaute Einbildungskraft nicht nur ein Vermögen, endliches Anschauliches zu produzieren ist, sondern die Kraft, Endliches zu idealisieren, indem es in ein unendliches, wie Kant sich ausdrückt: „Spiel" tritt, dessen Anfang und Ende jedenfalls nicht das einfache intendierende Verhalten, sondern die Idee als Tätigkeit des Selbsts ist. Hegel findet entsprechend in der ästhetischen, aber auch in der teleologischen Urteilskraft, die dazu übergeht, die Naturform im ganzen als zweckmäßig für das Erkennen zu reflektieren, „allenthalben die Idee der Vernunft auf eine mehr oder weniger formale Weise ausgesprochen" 41 . Es ist nämlich jetzt gedacht, daß der unmittelbare Widerspruch der Urteilskopula nicht durch eine besondere „Kraft", die immer auch noch Gewalt sein könnte, nur gehalten werden muß, sondern daß er dahin gelangt, sich selbst zu tragen, indem er in der Idee mit dem Anderen zusammengeschlossen ist. Das Tun der Einbildungskraft bleibt sozusagen nicht unbeantwortet; was ihm aber ent-spricht, ist das inkommensurabel-gemäße, freigelassene Andere, das nicht nur in eine stumme Anschauung resümiert ist, in welche es seine der Bestimmung nur äußere, wenngleich durch diese erst erzeugte Reflexion-in-sich verschlösse, sondern das Andere, dem vor allem die Sprache und ein Sprechen zugestanden ist, damit aber die Kraft, sich einen Leib auszubilden 42 , sich Raum zu schaffen und so Gestalt zu 41 42
2,322. Immerhin spricht K a n t selbst davon, daß „bildende K u n s t zur Gebärdung in einer Sprache (der Analogie nach) gezählt werden k ö n n e " , da „der Geist des K ü n s t l e r s " in seinen „Gestalten von dem, was und wie er gedacht hat, einen körperlichen Ausdruck gibt, und die Sache selbst gleichsam mimisch sprechen m a c h t " ( K d U Β 2 1 0 f.). — Bei Hegel wird zumal durch die schon angesprochene L o g i k des „Anderen an ihm selbst" die Selbständigkeit des Natürlichen und so auch des natürlichen Moments des Leibes gedacht, der so nicht etwa nur (gesetzter) „ A u s d r u c k " ist (cf. W d L I, 105). Man darf die an dieser Stelle von Hegel benutzte Wendung, „die N a t u r " sei „an ihr selbst nur das ..., was sie gegen den Geist i s t " nicht dahin mißverstehen, als sei sie so nicht „Anderes an ihr selbst", was sie vielmehr nur „für sich g e n o m m e n " sei — ein Irrtum, der M. Theunisseti, Sein und Schein, Frankfurt/M. 1980, 2 6 4 (cf. den Zusammenhang 2 6 1 — 2 6 7 ) nicht nur unterläuft, sondern von einigen Grundvoraussetzungen seines Zugangs zu Hegel her
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sein und nicht nur Konstrukt, eigene Sphäre und nicht nur abstrakt als äußerlich Gesetztes. Nach Kant ist der ästhetische „Gemütszustand", wie ihn sich die Kritik der Urteilskraft vorstellt, ein „zum Erkenntnis überhaupt schickliche(s) subjektive(s) Verhältnis" und eine „proportionierte Stimmung" 4 3 ; die „Proportion" muß sich sogar „allgemein mitteilen lassen", wenn dies auch nicht vermittelst einer objektiven Vorstellung, sondern „nicht anders als durch das Gefühl ... bestimmt" geschehen kann 4 4 . Die Schickung zur Erkenntnis enthält damit auch nach Kant ein Moment nicht isoliert intendierbarer Gänze und Totalität, von der wir aber gleichwohl in allem Wissen schon wissen und die als Idee noch einmal die objektiv Bestimmten verhält. Das Wissen um die ideelle Angemessenheit des Ist im ästhetischen oder auch teleologischen Urteil meint dabei, wie sich versteht, nicht die Kenntnis eines „ontologisch" vorauszusetzenden und zu erfüllenden Maßes, wodurch vielmehr das ganze Verhältnis wieder durchaus kommensurabel würde; es meint ein Sich-Verstehen auf das im eigenen Sprechen nicht ausgesagte Ansprechende, das zugleich als die Wahrheit des eigenen Sprechens gewußt wird, das wesentlich Widersprechende, das dennoch die Möglichkeit des eigenen freien Spruches ist 45 . Was Kant in diesem Zusammenhang aus einer immer auch anschaulichvorstellenden Betrachtung der Einbildungskraft gewinnt, macht die Hegelsche Philosophie sich anheischig, seinem ganzen Begriff nach logisch, d. h. an der Form des Sprechens in Urteilen selbst darzustellen. Daß die Einbildungskraft auch Gegenstand der Philosophie des subjektiven Geistes ist (dort nicht zufallig der Mittelbegriff in der psychologischen Lehre vom unterlaufen mußte, was U. Richli, Michael Theunissens Destruktion der Einheit von Darstellung und Kritik in Hegels „Wissenschaft der Logik", in: Archiv für Geschichte der Philosophie 63 (1981), 61—79, bes. 74 ff. sehr klar gezeigt hat. Richli argumentiert mit der für den spekulativen Diskurs grundlegenden Figur von Relation und Relat als Einheit, die auch in unserem Zusammenhang das „Gegen" von Natur und Geist als differente Beziehung und jedenfalls nicht in linearer Opposition zum „für sich" stehend verständlich macht. Im Hegeischen Sinne ist so die Natur gerade nur gegen den Geist wahrhaft Anderes ihrer selbst. — Für das spekulative Argument von der Einheit von Relation und Relat cf. U. Richli, Form und Inhalt in G. W. F. Hegels „Wissenschaft der Logik", Wien/München 1982, 75 ff. 43 44 45
K d U Β 29, 31. K d U Β 65, 66. Humboldt sagt von der „Poesie" als einer „Kunst durch Sprache", sie begehe den mit dieser Definition (nämlich im Hinblick auf die Verständlichkeit der Sprache) gesetzten „Widerspruch" statt ihn zu „lösen", um darin das Widersprechende zu „vereinigen": „Überall ..., w o im Menschen widersprechende Eigenschaften zu etwas Neuem verknüpft werden, da ist er gewiß, in seiner höchsten Natur zu erscheinen" (Über Goethes Hermann und Dorothea X I X , Werke ed. A. Flitner/Kl. Giel, Darmstadt 1986 4 , II, 173).
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theoretischen Geist), braucht uns in unserem Zusammenhang insofern nicht zu beschäftigen, als der dabei vorausgesetzte Begriff des Geistes als der Potenz oder Realität oder Vollendung des für abstrakt Äußeres inkommensurablen unendlichen Verhältnisses anschaulich getrennter Bestimmtheiten in sich gegenüber Kant allererst zu gewinnen ist. Dies ist aber nur dann zu erreichen, wenn die elementaren Formen des Verhältnisses, z. B. des Verhältnisses von Subjekt und Prädikat im Urteil, als selbst unendlich und darin durchlässig für das Geistige nachgewiesen werden; denn nur so kann verhindert werden, daß nicht doch die Urteilsform ein unwiderlegbarer Einwand gegen den Inhalt und das Urteilen selbst bleibt, in welchem Falle man sich tatsächlich wie Kant auf die (theoretische) Urteilung der Idee bzw. ein (ästhetisch-teleologisches) „Als-ob" zurückziehen müßte. Wir halten uns aber auch deshalb noch einmal an die Form des Urteils, in deren transzendentaler Erörterung schon bei Kant die Einbildungskraft zuletzt nicht um ihrer selbst willen, sondern ihrer synthetischen Funktion halber thematisiert wird, weil wir uns damit dem unendlichen, ideellen Moment des Urteilens nähern können, dessen Ausdruck am einzelnen Urteil sich in seiner modalen Bestimmung indiziert zeigen soll. Kant hat in einem wichtigen Zusatz der zweiten Auflage der KdrV die Kategorien als „Begriffe von einem Gegenstande überhaupt" (d. h. nur in Beziehung auf die gegenständliche Differenz selbst und nicht schon auf „unsere" Anschauungen), „dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird" 46 erklärt. Die Kategorien greifen demnach in die objektive Differenz, die, weil eine Form der Äußerlichkeit, überhaupt angeschaut ist, so ein, daß die Differenz nicht mehr nur Verschiedenheit, sondern bestimmte, überhaupt bezogene Differenz ist. Eine bestimmte Differenz ist notwendig ein Gegensatz, da nur in diesem das eine Glied an ihm selbst zeigt, daß es nicht das andere ist, durch das es gleichwohl bestimmt ist, wie auch es selbst es bestimmt. Daß diese Interpretation in Kants Sinne ist, zeigt unmittelbar die folgende Unterscheidung zwischen der logischen und der kategorial bestimmten (transzendentalen) Urteilsform. In einem logischen Urteil bleibt „es unbestimmt, welchem von beiden Begriffen die Funktion des Subjekts, und welchem die des Prädikats man geben wolle" 47 , was Kant an dem kategorischen Urteil „Alle Körper sind teilbar" nachweist, in dem in logischer Hinsicht nur ein „Alle S sind P" ausgesagt ist und die „Einsetzungen" für 46 47
KdrV Β 128. KdrV Β 128 f. (das erste „welchem" konjiziert aus „welcher" nach AA III, 106).
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S und Ρ vollständig offenbleiben, so daß sich aus dem ersten Urteil mit einer conversio per accidens auch schließen läßt: „Einiges Teilbare ist ein Körper". Die Begriffsintensionen sind so in logischer Hinsicht keine integrierenden Bestandteile der Funktionseinheit des Urteils, sondern so wie von dieser auch voneinander verschieden. Das ändert sich erst in transzendentaler Verwendung des Urteils, d. h. sobald es unter einer kategorialen Funktion steht, die zwar für sich genommen ein rein syntaktisches Moment ist, aber doch Moment des einen, relativ-absoluten Syntagmas der Erfahrung, das die Definition aller Begriffsinhalte darstellt 48 . So wird in Kants Beispiel „durch die Kategorie der Substanz ..., wenn ich den Begriff eines Körpers darunter bringe, ... bestimmt: daß seine empirische Anschauung in der Erfahrung immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse" 4 9 . Es zeigt sich so der wichtige Umstand, daß das Erfahrungsurteil ineins damit, daß es mit der Setzung einander ihrer Funktion im Urteil nach ausschließender inhaltlicher Subjekts- und Prädikatsbegriffe 5 0 transzendentale Realität gewinnt, auch totales Urteil im Sinne der systematischen Form ist, oder daß die transzendentale Realität des Urteils nichts anderes ist als das Aussprechen des ganzen Erfahrungszusammenhangs (freilich nur potentia oder in intentione obliqua) als des die Urteilsbestimmtheit generierenden Moments. In der realen Bestimmung von „ K ö r p e r " durch Substantialität ist implizite über alle Erfahrungsurteile etwas geurteilt, nämlich daß im Kontext derselben Erfahrung — und Erfahrung ist bei Kant wesentlich eine — der (empirische) Begriff des Körpers nie anders denn als Substanz behandelt werden kann, auch wenn das Moment der Substantialität nicht in jedem Erfahrungsurteil, ζ. B. dem kausalen „Die Sonne erwärmt diesen K ö r p e r " explizit gemacht werden muß, insofern man jedenfalls nicht den akzidentellen Zustand der Erwärmung schon als Thematisierung der Form der Substantialität als solcher verstehen muß. Die empirischen Begriffe des Körpers und der
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Erst Hegels entwickelte Urteilslehre in der W d L wird die Intensionalität der Urteilstermini schon durch ihre Behandlung als Begriffsmomente und nicht erst durch ihnen äußere Aussagenzusammenhänge gewinnen. K d r V Β 129. Der Genauigkeit wegen wäre daran zu erinnern, daß Kant ausdrücklich das (kategorische) Subjekt-Prädikat-Schema nicht für die F o r m des Urteils überhaupt hält; er weist vielmehr darauf hin, daß in hypothetischen und disjunktiven Urteilen nicht Begriffe, sondern bereits Urteile zu einem Verhältnis verbunden sind (cf. K d r V Β 140 f.). F ü r unsere Zwecke können wir aber dennoch die beiden jeweiligen Urteilsglieder als Subjekts- bzw. Prädikatsfunktionen unterscheiden, wie dies übrigens auch Hegel in der Jenaer L o g i k von 1804/5 getan hat (cf. aber W d L I I , 278!).
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Teilbarkeit sind damit überhaupt in einem Verhältnis verhalten, das man ihnen unmittelbar nicht „ansehen", sondern das die Einbildungskraft — mit Fichte zu reden — „hinsehen" muß 51 , das aber auch nicht nur äußerlich zu ihnen „per appositionem" hinzukommt, sondern das sie erst ihrem „Inneren", nämlich ihrem begrifflichen Gehalt nach bestimmt und so „per intus susceptionem" 52 der Tätigkeit des Bestimmens selbst zueignet. In realen Urteilen macht die determinierte Hinsicht des Unterschieds von Subjekts- und Prädikatsbegriff zugleich die Anschaulichkeit des Urteilsgegenstandes aus; denn dieser Unterschied ist nicht selbst ein Begriffsinhalt, sondern das unmittelbare Verhältnis der Urteilstermini und mit deren Inhalt gleichzeitig. Sofern Begriffsinhalte (logisch) isolierbar sind und abgetrennt vom anschaulichen Verhältnis (z. B. in analytischen Urteilen) betrachtet werden können, kann es zu der Vorstellung kommen, es handle sich bei ihnen um an sich bzw. für sich bestehende Bedeutungen, die ein „Reservoir" von Begriffen ausmachten, das neben den Anschauungen, die wir unmittelbar haben, zu dem Zwecke bestände, daß wir gelegentlich in bewußten Akten zusähen, welche Begriffe zu welchen Anschauungen am besten paßten. Das ist aber offenbar nicht Kants Meinung und schon mit dem Gedanken einer objektiv-konstitutiven kategorialen Synthesisfunktion nicht zu vereinbaren. Wir haben vielmehr schon die empirischen Begriffe nicht ohne Anschauungen, und das in der doppelten Hinsicht, daß sie einerseits immer schon auf von ihnen unterschiedene (bestimmte) Anschauung bezogen sind, wie daß sie andererseits selbst etwas Anschauliches (z. B. Einteilbares) sind. Wir haben empirische Begriffe nicht ohne ihre Definition durch das Machen der Erfahrung, in dessen Aktualität Anschauung und Begriff gerade nicht Getrennte sind 53 . Wir haben an empirischen Begriffen so nicht nur logische Formeln, sondern immer schon Gegenstände. Die Koinzidenz von hingesehenem Unterschied von Subjekts- und Prädikatsbestimmung und so des formalen Gegensatzes am Gegenstand, 51
52 53
Cf. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, W W I, 230: Das „Setzen des Angeschauten geschieht durch die Einbildungskraft, und ist selbst ein Anschauen (ein //«'»schauen (in aktiver Bedeutung) eines unbestimmten Etwas)". Cf. die oben S. 44 Anm. 3 zitierte Stelle K d r V Β 860Í./A 832 f.! Die Kategorie, die in dieser Hinsicht „Definiens" empirischer Begriffe heißen kann, muß dabei so verstanden werden, daß sie unabhängig von ihrem Gebrauch in Definitionen empirischer Begriffe durch Erfahrung „für sich" keine Bedeutung hat; cf. H. Röttges, Dialektik als Grund der Kritik, Königstein/Ts. 1981, ζ. B. 23. Die „Objektivität des Begriffs" besteht nach Röttges überhaupt darin, „immer schon angewandt zu sein" (18). - Cf. auch KdrV Β 298/A 239.
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d. h. seiner Verständlichkeit mit dem anschaulichen Faktum seiner Gegebenheit — die transzendentalphilosophische Formulierung der These von der Identität des Denkens und des Seins — ist nun aber zunächst nur eine endliche Synthesis, weil die Subjekts- und Prädikatsbestimmungen, die die Definition des empirischen Begriffs ausmachen, an ihnen selbst nur logische sind und erst durch das Hinsehen der Einbildungskraft, also durch ihre „Verfremdung" zur Anschaulichkeit Realität erhalten. Kants Interesse geht aber auch nicht auf die in ihrer Endlichkeit „statischen" empirischen Begriffe als solche, sondern auf ihre Bewegung im Zusammenhang der Erfahrung, d. h. auf die Realisierung der gesollten Idee durch sie. Die empirischen Begriffe müssen unter diesem Gesichtspunkt schlechthin bestimmbar sein und die Kontinuation des Bestimmens über alles je Erreichte hinaus vermitteln. Fortbestimmbar im Sinne realer Erfahrung aber sind sie nicht durch einfache Addition weiterer Prädikate, wie man sie in analytischen oder auch in Wahrnehmungsurteilen gewinnen könnte. Von dem neuen Prädikat fordert der Fortschritt der Erfahrung mehr, als daß es mit dem Subjektsbegriff nur identisch wie ein analytisches Prädikat oder nur unbestimmt different von ihm sei wie ein Wahrnehmungsprädikat; er fordert vielmehr eine neuerliche Entgegensetzung von Subjekt und Prädikat, die wiederum nur in der Einbildungskraft gehalten sein kann. Die Voraussetzung für die Verunendlichung der Bestimmung durch immer neuen Gegensatz spricht das regulative Prinzip der vierten Antinomie aus, wenn ihmzufolge „alles in der Sinnenwelt" seiner Existenz nach nur „empirischbedingt ( )" ist und „es überall in ihr in Ansehung keiner Eigenschaft eine unbedingte Notwendigkeit" geben kann 54 , so daß kein empirischer Begriff als solcher bei seiner endlichen Bestimmtheit festgehalten werden und, wie es die äußere Reflexion fordern müßte, als eindeutig gelten kann. Er ist vielmehr immer schon auf seinen Gegensatz bezogen. Nach dem Prinzip der vierten Antinomie ist z. B. nichts schlechthin Bedingung, sondern es ist zugleich als Bedingtes anzusehen; ein Regreß der Bedingtheit kehrt dann etwa an Hand der zweiten Analogie der Erfahrung eine gegebene Ursache, die als solche schon empirisch definiert ist, zu einer Wirkung um und behauptet zugleich, daß es derselbe Erfahrungsgegenstand sei, der in der einen Hinsicht Ursache und in der anderen Wirkung sei. Wenn die Wahrnehmung zu der gegebenen Ursache weitere Merkmale z. B. primärer oder sekundärer Qualitäten herbeibringt, so' ist das noch kein Fortschritt der Erfahrung, solange daraus kein Gegensatz 54
KdrV Β 589/A 561.
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Kant und Hegel
zum Bekannten entsteht. Das Subjekt des Erfahrungsurteils ist ein realer Gegenstand, sofern es die Hinsicht entgegengesetzter Hinsichten „aushält", und es ist ebenso nur bestimmbar, insofern es die Einheit dieser es realisierenden, gegensätzlichen Hinsichten zu sein vermag. Der in transzendentalen Urteilen zu treffende bestimmte Unterschied von Subjekts- und Prädikatsfunktion führt aber so gesehen auf eine ganze Reihe weiterer Disjunktionen, die von ihm aus ihren logischen Sinn in der Philosophie Kants offenbaren. Ist das Subjekt dasjenige, was einerseits schon selbst anschaulich (empirischer Begriff) und andererseits noch der vollständigen Umkehrung der Hinsicht der Einbildungskraft fähig sein muß, ist es das Vieldeutige (Mannigfaltige), das dennoch gegebene Einheit ist, so fordert der erfahrungslogische Begriff eines solchen Subjekts im Kantischen Zusammenhang ein „Vermögen" der Anschauung. Ist umgekehrt das Prädikat dasjenige, was diesen Subjektsbegriff auf eindeutige, verständliche Weise (nämlich als „Positives" im Hinblick auf einen zu erstellenden Gegensatz zum „negativen" Subjekt) bestimmen soll, so fordert der erfahrungslogische Begriff eines solchen Prädikats, das für sich der Form nach widerspruchsfrei zu sein hat, ein „Vermögen" des B e g r i f f s . Als vermögenspsychologische „Lehrstücke" stellen Anschauung und Begriff gleichsam handgreiflich-massiv vor, was logisch zum Begriff des Urteilens unter der Voraussetzung einer geurteilten Idee erfordert wird. Kant selbst läßt aus diesen „exoterischen" Inhalten seines Denkens aber einen weiteren Gegensatz folgen. Die „Ausübung" unseres „Erkenntnisvermögen(s)" gibt darum, weil sie die „zwei ganz heterogene(n) Stücke, Verstand für Begriffe, und sinnliche Anschauung für Objekte, die ihnen korrespondieren", verlangt, den „Grund" dazu ab, „Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge zu unterscheiden" 55 . Diese Unterscheidung ist für den „menschlichen Verstand", mithin für das Verstehen in Erfahrungsurteilen und so überhaupt unter der Form des Urteils, nach Kant „unumgänglich notwendig"; „wäre nämlich unser Verstand anschauend, so hätte er keine Gegenstände als das Wirkliche" 56 — er wäre nicht Reflexion, die „etwas immer noch in Gedanken haben" kann, „ob es gleich nicht ist", oder sich „etwas als gegeben ... vorstellen" kann, „ob wir gleich noch keinen Begriff davon haben" 57 . Die Reflexion „unseres" Verstandes hält logisch Begriffe bereit, ohne darum mit ihnen schon etwas in Erfahrungsurteilen zu erkennen. Dadurch aber ist
55 56 57
KdU § 76, Β 340. Ibd. Ibd.
Von Kant zu Hegel?
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„unser" Verstand subjektiv, auf sich zurückbezogen, ohne zu einem Erfahrungsgegenstand über sich hinauszugehen. „Die Sätze also: daß Dinge möglich sein können, ohne wirklich zu sein, daß also aus der bloßen Möglichkeit auf die Wirklichkeit gar nicht geschlossen werden könne, gelten ganz richtig für die menschliche Vernunft, ohne darum zu beweisen, daß dieser Unterschied in den Dingen selbst liege" 5 8 . Der Verstand bleibt vielmehr gerade mit diesem Unterschied bei sich; er ist nach Kant seine spezifische Differenz gegen den intuitiven Intellekt, der nichts denkt, ohne es auch als existierend zu erkennen, dessen „Reflexion" damit auch unmittelbar der Schluß auf die „Position" ist und der so den von der Vernunft geforderten „Urgrund", „an welchem Möglichkeit und Wirklichkeit gar nicht mehr unterschieden werden" können 5 9 , ausspricht. In diesem Verstand findet die Differenz zwischen Urteilsform und Urteilen actu nicht mehr statt; die Kopula ist nicht mehr zeitlich stigmatisiert, so daß die Äußerlichkeit nicht mehr in das Urteilsverhältnis einbrechen und es zerbrechen kann, sondern die Möglichkeit der Zeit selbst ist dadurch getilgt, daß am Urteil kein ihm äußeres Moment, und das heißt vor allem: keine abstrakte Reflexion, keine bloß logisch mögliche Vorstellung und ebenso keine unvermittelte, beziehungslose Anschauung mehr auftritt. Worauf es uns jetzt ankommt, ist dies: der für den Begriff des sachhaltigen Erfahrungsurteils unabdingbare Funktionsunterschied von Subjekts- und Prädikatsbegriff führt in der Kantischen Lehre von der Erfahrung auf materiale Differenzen wie die von Möglichkeit und Wirklichkeit oder Begriff und Anschauung, die aber selbst wieder nur das ausdrücken, daß „unser" Verstand eben ein differenter Verstand ist und wir different erkennen, wovon wir in der Vernunftidee noch einen Begriff haben. Von Kant wird, in Kürze gesagt, der Urteilsunterschied als der absolute Ort „unserer" Subjektivität begriffen 60 . A. a. Ο. Β 340 f. A. a. Ο. Β 341. Das transzendentale Ideal heißt in der KdrV parallel gleichfalls „Urgrund" (Β 615/A 587) oder auch „Urwesen" (Β 606/A 578 u. ö.), „Urbild" (Β 606/A 578) bzw. „Urbegriff" (B 601/A 573). Cf. auch „Fortschritte der Metaphysik" AA X X , 301. ''" Wichtig sind einige Überlegungen Maimons zum Unterschied von „endlichem" und „unendlichem" Verstand, auf die er im Zusammenhang mit der Formulierung seines „Satzes der Bestimmbarkeit" zu sprechen kommt. Maimón bezieht die endliche bzw. unendliche „Qualität" des Verstandes ähnlich wie Kant auf die Modalbestimmungen der beiden Termini im Urteil, wenn es heißt: „Bei einem unendlichen Verstände ist Subjekt, was bloß als möglich gedacht wird, und Prädikat, was daraus notwendig folgt ... Bei einem endlichen Verstände hingegen ist Subjekt, nicht: das was an sich gedacht, sondern was bloß an sich gegeben wird, und Prädikat, was nur in Beziehung auf dasselbe, als Objekt, gedacht wird. Bei dem ersten sind die Begriffe Urteile von der Möglichkeit der 58 59
74
Kant und Hegel
Hegel versucht demgegenüber schon in den Jenaer Schriften, diesen absoluten Ort der Subjektivität als logischen Ort zu verstehen. Das bedeutet zunächst, daß behauptete „absolute Orte" des menschlichen Verstehens mit logischen Mitteln kritisierbar werden und ihnen so die angemaßte Unmittelbarkeit genommen wird, wie es vor allem die „Phänomenologie des Geistes" durchgeführt hat; in dieser wird so etwa gedacht, daß es nicht einen „an und für sich" differenten Verstand geben kann, ohne daß die Differenz, in der er sich für sich erhalten soll, auch zugleich die für ihn konstitutive Beziehung wäre, bis im absoluten Wissen überhaupt nur noch das reine Beziehen gewußt wird, das die Extreme der vormals nur passiv Bezogenen, z. B. das „Ansich" der Sache, das der Kantische intuitive Verstand erkennt, in sich absorbiert hat. Es bedeutet weiter, daß die Hegeische Philosophie ihrerseits darauf verzichtet, dem menschlichen Denken einen bestimmten Ort zuzuweisen — daß sie es sich in diesem Sinne leisten kann, keinen bestimmten Begriff vom „menschlichen" Denken und auch nicht vom „Menschen" zu haben61. Der bei Kant angegebene absolute Ort der Subjektivität steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der „Restriktionsthese" der Erkenntniskritik, wie alle bestimmten Begriffe vom Menschen Verendlichungen seiner sind. So wird bei Kant das in Beziehung auf alle bestimmten Begriffe unendliche Verhältnis der Einbildungskraft oder des ursprünglichen Bestimmens dadurch, daß es unter der Bedingung der Urteilsform als des absoluten Ortes des Denkens stehen
61
Dinge, und die Urteile, Schlußsätze von der Notwendigkeit der Dinge, aus dem vorigen hergeleitet; bei dem letzteren sind Begriffe auch Urteile von der Möglichkeit der Dinge, die aber in einer einseitigen Synthesis sind" (S. Maimón, Versuch über die Transzendentalphilosophie, Darmstadt 1963 (Nachdr.), 87 Anm.). Der unendliche Verstand urteilt analytisch, der endliche durch Synthesis eines Gedachten zu einem Gegebenen; bei dem ersten folgt aus der bloßen Möglichkeit des Bestimmens die Notwendigkeit der Bestimmung, bei dem letzteren folgt aus dem Faktum seines Bestimmens (cf. 61), daß er ein Wirkliches als bestimmbar von einem Möglichen als Bestimmung notwendig unterscheidet. Die Asymmetrie in der Synthesis, die bei Kant in der Irreversibilität der Relation von Bedingung und Bedingtem in der Form synthetischer Einheit ausgesprochen ist, wird von Maimons Satz der Bestimmbarkeit auf Subjekt und Prädikat im synthetischen Urteil bezogen: das Subjekt ist nur dadurch Subjekt oder Bestimmbares im Urteil, daß es auch unabhängig vom Urteilsverhältnis gedacht werden kann (also „Substanz" ist), während das Prädikat nur in diesem Verhältnis bestimmt ist (cf. 84 f. u. ö.). — Zu den auffälligen Berührungen zwischen Maimón und Hegel cf. W. Bonsiepen, Salomon Maimons Kantrezeption — Ausgangspunkt für Hegels Kant-Kritik?, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 7.3 (1982), 37 — 44, wo das Vergleichsmaterial zusammengetragen ist. Cf. zu diesem Aspekt H. Heintel, Der Begriff des Menschen und der „spekulative Satz", in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988, Bd. I, 284—310, bes. 303 ff.
Von Kant zu Hegel?
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soll, zur bedingten, gebrochenen Unendlichkeit, der gegenüber der bedingende Ort gleichsam immer noch unendlicher ist als sie selbst es zu sein vermag. Die Einbildungskraft bestimmt daher nur immer neue Synthesen, ohne die vorausgesetzte, unmittelbare Differenz, die das Synthetisieren erst erforderlich macht, dadurch als aufgehoben darstellen zu können. Das Mittel, den bestimmten Ort des Kantischen Verstandes logisch auszumachen, ist für Hegel schon in „Glauben und Wissen" die „Spinozische Einheit", deren wahrhaftes Verständnis Kant nach Hegel nicht erreicht hat 62 . Hegel hat spätestens in der letzten Frankfurter Zeit erkannt, daß die Substanz Spinozas ein logisches Mittel sein kann, alle Endlichkeit und so auch die behaupteten Schranken und Bedingungen des Erkennens an ihrer endlichen Seite zu ergreifen, zu negieren und vielmehr in eine wahrhafte Negativität aufzuheben 63 . Wenn es der Kantische Gedanke der Subjektivität ist, daß sich diese in der vorausgesetzten Differenz ihrer eigenen Endlichkeit und zugleich nur als Differenz — nämlich als Differenz des Bewußtseins 64 , der Modalitäten oder überhaupt als Differenz von sich in der Äußerlichkeit der Objektivität — erhält, dann ist der Hegeische Begriff der Subjektivität, sofern sie mit der Form absoluter Substantialität zusammenfallt und so alle ihre Voraussetzungen und Determinationen tilgt, derjenige des absoluten Differierens selbst und die Erkenntnis ihrer nicht als „Etwas", z. B. als eines bestimmten Verstandes, sondern als des darin, daß es alle Bestimmtheit tilgt, rein Unbestimmten; sie ist „das absolute Nichts", das nach Hegel als „das Erste der Philosophie ... zu
62 63
64
Cf. 2, 327; zu Spinoza auch 345 ff. Hegels Spinozakenntnis, vermittelt über Jacobi und Lessing, datiert bekanntlich schon in die Tübinger Zeit zurück (cf. Κ. Rosenkranz Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Darmstadt 1977 (Nachdr.), 40). In Frankfurt gelangt Hegel dazu, die synthetisch zu verstehende Totalität als Macht der Versöhnung gegenüber der Entzweiung der Reflexion zu verstehen und sie darum philosophisch wenigstens zu fordern, auch wenn sie selbst zunächst noch in die Religion verlegt wird (wie noch im „Systemfragment" von 1800); über die Bedeutung Spinozas dabei und überhaupt für Hegels Entwicklung cf. F. Chiereghin, Dialettica dell'assoluto e ontologia della soggettività, Trient 1980, 30 ff. sowie ders., L'influenza dello spinozismo nella formazione della filosofia hegeliana, Padua 1961; ferner die gediegene Abhandlung von L. Lugarini, Spinoza nella formazione della dialettica hegeliana, in: ders., Prospettive hegeliane, Rom 1986, 55 — 76, die Hegels Spinozarezeption schon im Blick auf die absolute Negativität darstellt und daher auch als Jenaer Kernproblem die Herstellung der eigentümlichen Positivität der Bestimmtheit ansprechen kann (cf. 64). — Einen knappen historischen Abriß der Spinozarezeption Hegels, Schellings und ihrer Zeitgenossen gibt W. Bonsiepen, Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels, Hegel-Studien Beiheft 16, Bonn 1977, 4 4 - 5 2 . Daß Kant „bloß ... von einem bewußten ... Verstände" ausgeht, wird von Hegel 2, 340 ausdrücklich moniert.
76
Kant und Hegel
e r k e n n e n " ist 6 5 , u n d d a r u m — w e n n auch zunächst n u r n e g a t i v — frei. D a s V e r s t ä n d n i s v o n Dialektik,
das bis z u r L o g i k v o n 1 8 0 4 / 0 5 bei Hegel
v o r w a l t e t , ist dies, D i f f e r e n z e n v o n der e i n f a c h e n B e z i e h u n g an ü b e r das V e r h ä l t n i s bis z u m V e r h ä l t n i s v o n V e r h ä l t n i s s e n in d e r P r o p o r t i o n je in ein D i f f e r i e r e n i h n e n selbst g e g e n ü b e r zu ü b e r f ü h r e n u n d so die E l e n k t i k i h r e r E n d l i c h k e i t , d. h. auch: ihrer n u r p a s s i v e n A n s c h a u l i c h k e i t , zu entw i c k e l n . D a ß in diesem D i a l e k t i k v e r s t ä n d n i s S p i n o z a s u n e n d l i c h e stanz, w e n n g l e i c h f ü r sich n o c h T h e m a der „ M e t a p h y s i k " , zu
Subeinem
l o g i s c h e n „ O p e r a t o r " b z w . zu einem M i t t e l d e r R e d u k t i o n aller f ü r sich b e s t e h e n d e n B e s t i m m t h e i t g e w o r d e n i s t 6 6 , zeigt s c h o n das ganz u n e r h ö r t e Resultat des ersten Teils der J e n a e r L o g i k , d e m z u f o l g e die „Realität d e r e i n f a c h e n B e z i e h u n g " , also jeder „ u n b e f a n g e n e n " , d i r e k t e n oder quantitativen
Bestimmung
von
qualitativen
„ E t w a s " , n i c h t w e n i g e r als
„die
65
2, 410. — Die Subjektivität ist das abschließende Thema der Jenaer Metaphysik von 1804/5, was zunächst heißt, daß sie das Inkommensurabelste ist. Eine entscheidende Zwischenstufe auf dem Weg von der „ersten" Substantialität in der Logik zum „höchsten Wesen" der Metaphysik und dann zur Subjektivität selbst ist die urteilslogische Behandlung der Substanz als Subjekt, die auf Kants Kriterium für reale Urteile und Maimons Satz der Bestimmbarkeit zurückverweist (cf. GW VII, 80). Auch der später in der WdL entwickelte und unten darzustellende logische Weg von der Substanz zum Subjekt besteht weiterhin allgemein darin, die schon absolut verstandene Differentι (der Substanz) noch auf den Schein davon absolut Differenter (ζ. B. Substance») differentiierend zu beziehen und in dieser Beziehung die Subjektivität als Selbst der Substanz, als „Begriff der negativen Einheit des Selbst" (WdL I, 250) zu erkennen. Der Gedanke, der diese vollständige (systematische) Differentiierung allein aus der Macht des Selbsts weiß, ist der B e g r i f f , dessen Wissen nicht ohne weiteres ein nur bewußtes ist. Man braucht darum Düsings Frage, warum die aus der Substanz gewonnene Subjektivität „denn ein denkendes Verhältnis und nicht nur wesentlich existierendes Selbstverhältnis sein soll" nicht zu stellen (cf. ders., Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, Hegel-Studien Beiheft 15, Bonn 1976, 231); der Hegeische Begriff des Begriffs ist gerade das Konzept einer Einheit der (bei Düsing nur vorausgesetzten) Differenz von „nur existierend" und „nur denkend" (bewußt). Der Grundmangel bei Düsing ist indes sein Begriff der Subjektivität selbst, den er zuletzt so versteht, als könne man eine „Struktur" der „Subjektivität" aufweisen, die — übrigens ohne Antinomie und Dialektik — bloß „aus einfacheren Konstitutionselementen aufgebaut", d. h. aggregiert sei und gleichwohl „in der Synthesis" (d. h. dem Aggregat) „dieser Elemente zuletzt selbstbezüglich wird", weil sie nämlich (reflektierend!) die „Gleichheit von im methodischen Aufbau verschiedenen, aufeinander bezogenen Relationsgefügen" erkennt (a. a. O. 345 f.) (während nach Hegel eine Reflexion, noch ehe sie „etwas" erkannt haben kann, „an sich" schon selbstbezüglich sein muß).
66
Man hat den Unendlichkeitsbegriff besonders der Jenaer Logik daher auch eine „Metakategorie aller Kategorien der .einfachen Beziehung' " und dies im Sinne des „eigentlich dialektische(n) Begriff(s)" genannt; cf. M. Baum, Zu Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel, in: Hegel in Jena, Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 119 — 138, loc. cit. 135, 136; cf. A. Moretto, Hegel e la „matematica dell'infinitio", Trient 1984, 163 f. sowie der Sache nach K. Düsing (a. a. O. Anm. 65), 150 f.
Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Sprache
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Unendlichkeit" 67 ist; der Schein, daß man sich in einfacher Beziehung auf „Etwas" bestimmend verhalten könnte, ist durch den Nachweis destruiert worden, daß jede einfache Beziehung, wenn sie denn etwas sagt, viele Beziehungen — thematische und unthematische zugleich, wenn man so will — ist, daß ferner die so in den Blick gebrachte Beziehung zwischen Einfachheit und Vielheit der Beziehung als unendliche Beziehung nicht wiederum nur einfach zu thematisieren versucht werden kann, sondern erst im Begriff des Verhältnisses ausgesprochen ist, welches als unmittelbare negative Einheit des unendlichen „Und" genommen Verhältnis der Substantialität ist 68 . Hegel hat an Spinoza somit die allgemeine Form gewonnen, sich auf jedes einfach Bezogene, auf jedes so nur unmittelbar (seiend) Bestimmte und zumal auf jede bewußt hervorgekehrte Endlichkeit negativ zu beziehen und es dialektisch verschwinden zu machen. Unsere Ausführungen zu den „Modalbegriffen" Hegels und besonders zum absoluten Verhältnis werden zu zeigen haben, daß es sich dabei nicht um ein sophistisches Kunststück, sondern um die am Detail bewährbare Realisierung der absoluten Form handelt, die, als unaufgebbarer höchster Anspruch der Philosophie sich selbst gegenüber, das unendliche Recht hat, in jeder Exposition eines philosophischen Gedankens auch den Gedanken sich finden zu lassen und die positive Schlacke an ihr so weit zu differentiieren, bis auch sie flüssig ist und seinem Leben angehört.
3. Bewußtsein,
Selbstbewußtsein,
Sprache
Im voranstehenden Abschnitt war es darum zu tun, der philosophischen Sprachform als einem unendlichen Sich-Beziehen es „hermeneutisch" zu „gestatten", sich auch auf etwaige Hemmungen ihrer Tätigkeit an endlichen Formen nicht nur begrifflos, sondern gerade begreifend zu beziehen. Dies ist immer dann keine Lizenz zu Gewalttätigkeit, wenn es als Realisierung der auch in aller endlichen Form enthaltenen Potenz von Beziehung durchgeführt werden muß, weil nur eine solche Durchführung als philosophisch anerkannt werden kann. Hegel hat im Blick auf die für Kant zentrale transzendentale Lehre von der Form des Urteils vor allem am Moment der Einbildungskraft auf eine solche Potenz verwiesen und an sie explizit angeknüpft, womit er übrigens nicht allein stand, sondern 67 68
Cf. G W VII, 36. Cf. G W VII, 38 f.
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Kant und Hegel
vor allem im frühen Fichte einen wichtigen Vorläufer hatte 69 . Das Gewicht aber gerade dieser Potenz, in der „an sich" die endliche Form des Urteils transzendiert ist, kann erst dann ganz ermessen werden, wenn ersichtlich geworden ist, in welchem Verhältnis die Form des Urteils zu der allgemeinen Wurzel und dem Grund des Erkennens, nach Kant also zur transzendentalen Apperzeption steht, in der alles objektiv Verhaltene in sich gegangen ist. Der „oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile" bzw. das aus ihm folgende Identitätsaxiom in Beziehung auf die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung ist nach unseren bisherigen Ausführungen an jedem „sachhaltigen" und nicht bloß logischen Urteil so dargestellt, daß das Urteil, indem es eine materiale Differenz zwischen Subjekts- und Prädikatsfunktion behauptet, damit zugleich auf ein Anschauliches, dem Urteilen Äußeres geht, auf das es in objektiver Abzweckung des Urteilens auch gerade ankommt. Das Urteil bewegt sich über sich hinaus zum Gegenstand, d. h. zu „etwas", auf das sich auch anderes Urteilen beziehen kann; es bewegt sich nach dem Grundsatzkapitel damit zugleich nur in seine eigene Form hinein, insofern diese die Form und der Grund aller Gegenständlichkeit ist, wie zugleich jeder mögliche materiale, d. h. explizit gemachte Grund der Form nach wieder ein Urteil ist. Im einzelnen synthetischen Urteil ist die Einheit der ansichseienden Erfahrung, auf die sich der oberste Grundsatz bezieht, gesetzte Identität von Urteils- qua Erfahrungsform und objektiv-bestimmter Äußerlichkeit des Gegenstands. Das faktische synthetische Urteil ist somit ansich in seiner Form begründet und zugleich Beziehung auf einen gesetzten Inhalt; und es ist durch diesen Unterschied von nur unmittelbarer oder ansichseiender Reflexion-in-sich und vermittelter Reflexion-in-anderes Form des Gegenstandsbewußtseins. Der oberste Grundsatz begründet Erfahrungsgegenstände als wesentlich bewußte Gegenstände. Ihre formale Notwendigkeit begründet er damit, daß sie aus der sich auf sich selbst beziehenden Form der Bewußtheit — aus dem unmittelbaren Bewußtsein, das Form der Vermittlung wird — in ihre objektive Erfahrungsrealität hervorgehen. Erfahrungsgegenstände sind nichts anderes als Realisierungen des Bewußtseins oder des Erfahrungssubjekts als der for69
Cf. besonders „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre", W W I, 215. 216 f. 218. Die Einbildungskraft „schwebt" nach Fichte „zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte" (I, 216) und „vereinigt" so „Widersprechendes" (1,218); sie ist so „schaffende() Einbildungskraft" (1,284), die nur durch sie selbst aufgefaßt wird (cf. ¡bd.).
Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Sprache
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malen Bedingung des Erfahrungsinbegriffs in einer konkreten (mit Anschauung „zusammengewachsenen") Bestimmtheit 70 . Dieser Sachverhalt läßt sich in die einfache Regel zusammenfassen, daß in einem jeden Erfahrungsurteil die Kopula nicht ein einfaches „ist" ausdrückt wie in einem Wahrnehmungsurteil, sondern vielmehr ein „ist als". Das Zugleich von „ist" und „als" wiederum ist Kants eigentümliche Modalisierung des Seins, wie sie zumal in den Postulaten des empirischen Denkens überhaupt zur Geltung gebracht wird. Nun beanspruchen weder das Identitätsaxiom noch auch der oberste Grundsatz, von einem vorgängigen „Uberblick" über das Denken und seine Gegenstände auszugehen, von dem aus sie eine „Gleichheit" oder „Übereinstimmung" der beiden Seiten feststellen könnten. Eine solche „view from nowhere" könnte offenbar nur einen dogmatischen Anspruch bedeuten. Insgleichen soll mit diesen Formulierungen aber auch nicht nur eine probeweise vorgetragene Hypothese genannt sein, bei der man noch nicht recht wüßte, ob, wie oder gar warum sie sich bewähren wird oder nicht. Der Anspruch Kants ist dagegen, bei der Differenz der beiden Seiten nicht nur als bei einer vorgefundenen, sondern insofern anzusetzen, als wir sie selber unmittelbar machen und sind („als" und „ist"). Die Differenz, die „es gibt" und in der es alles Differente „gibt", ist nach Kant eine selbst bedingte Form, in deren von ihr differente Bedingung die transzendentale Frage noch hineinfragen kann. Der kritische Weg ist nicht der, inhaltliche — sei es apodiktische, sei es hypothetische — Auskünfte über die Differenz von, wenn man so will, „Subjekt" und „Objekt" zu erteilen, sondern diese Differenz allererst — nach dem oben eingeführten Ausdruck — genetisch durch Prinzipiierung71 zu definieren. Die prinzipiierenden Elemente sind nach Kant: „die formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben" 72 (Apperzeption). Diese drei sind die Momente der ansichseienden Erfahrung, was aber heißt, daß sie die Möglichkeit sind, inhaltliche Erfahrung zu machen oder zu setzen-, in diese Elemente fächert sich nach Kant die 7
" Eine gleichzeitige Realisierung des Erfahrungsobjekts in diesem Verhältnis ist in der Kantischen F o r m nicht denkbar, was der allgemeine Grund für Kants Kritik am theoretischen G o t t e s b e g r i f f ist. — Erst Hegels P h G wird die Einseitigkeit des obersten Grundsatzes aufheben, insofern nach ihr auch die Bedingungen der Möglichkeit des Gegenstands der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung dieses Gegenstands sind.
71
Das tut nach Kant jeder Vernunftschluß, cf. K d r V B 3 5 6 f . / A 300. „Schlechthin Prinzipien" sind „synthetische Erkenntnisse aus B e g r i f f e n " ( B 3 5 7 f . / A 301).
72
K d r V Β 197/Á 158.
80
Kant und Hegel
unmittelbare Idee logisch auf, um aus ihrer Totalität einen möglichen (d. h. überhaupt unter der Bedingung dieser Elemente und ihrer Einheit stehenden), wirklichen (d. h. bei Kant eine unmittelbare Wahrnehmung als bedingt durch die Elemente und ihre Einheit verstehenden) oder notwendigen (d. h. aus der Einheit von Bedingung und Bedingtem folgenden) Inhalt ihrer selbst hervorzubringen. Es ist nun aber nicht zu übersehen, daß, so sehr die Inhalte der Erfahrung bewußte Gegenstände und durch ihre Setzung der äußeren Reflexion ausgesetzte Erscheinungen73 sind, doch die Bedingung dieses Setzens, das Ansich der einen Erfahrung oder die Einheitsbeziehung des Bewußtseins selbst, nicht gleichfalls ein bewußter Inhalt oder gar Gegenstand der Erfahrung neben anderen sein kann. Wieder ist daran zu erinnern, daß Kant die Logik des Bedingungsverhältnisses in seiner asymmetrischkomplementären Differenz aufbietet, um der skeptischen Tendenz zu unbestimmter Gleichordnung bloß Verschiedener einen Riegel vorzuschieben, welcher Tendenz Hume folgte, wenn er neben anderen empirischen Inhalten auch „psychische" Entitäten wie „impressions" oder „ideas" (ζ. Β. der Kausalität) aufzählen konnte, die neben jenen Inhalten so gleichgültig bestehen sollten wie wiederum die Seele selbst als „a bundle of perceptions in a perpetual flux and movement" 74 neben diesen Entitäten. In Kants hypothetischer Form ist vielmehr zu sagen, daß alle reale Bewußtheit ein Abkünftiges (Bedingtes) des reinen Bewußtseins als seiner Bedingung ist, aber dieses letztere nicht auf der Ebene der Bedingten auftreten kann. Aber die Logik des Bedingungsverhältnisses stellt nicht nur eine asymmetrische Differenz, sondern ebenso eine reflexive Identität der Unterschiedenen her: das Bedingte ist nicht nur ein Anderes als die Bedingung, sondern ebenso deren vermitteltes Dasein und sie selbst an ihrem Anderen. Etwas zugespitzt kann man sagen, daß die Logik des Bedingungsverhältnisses Kant, wenn er sich denn ihrer in philosophischer Absicht bedienen wollte, auf die reflexive Form führen mußte, und daß aus dem Bewußtsein, wenn es unter dieser Form behandelt werden sollte, für ihn eine wenigstens der Reichweite dieser Form gemäße Gestalt des Selbstbewußtseins hervortreten mußte. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, wenn in den — aufs Ganze gesehen nicht sehr zahlreichen — Formulierungen, in denen bei Kant der Terminus „Selbstbewußtsein" erscheint, die Herkunft aus der
73
74
Logisch bestimmt sind Kantische Erfahrungsgegenstände Urteile (die nur positive Synthesis zweier antinomischer Sphären). D. Hume, Treatise on human nature, ed. T. H. Green/T. H. Grose, London 1898, I, 534.
Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Sprache
81
Logik der hypothetischen Form nicht verleugnet wird, so wenn es heißt: „das Selbstbewußtsein (ist) überhaupt die Vorstellung desjenigen, was die Bedingung aller Einheit, und doch selbst unbedingt ist" 7 5 . Mit dem Hinweis auf die Unbedingtheit des Selbsts kommt sogar das Bedingungsverhältnis als ganzes in den Blick. Es ist in der „obersten" Bedingung seinerseits aufgehoben. In isolierter Betrachtung ist das unbedingte Moment alles Bewußtseins eine für das bewußte Wissen absolut gewisse und einfache „Vorstellung", nämlich die „des I c h " 7 6 . Descartes hatte in solcher isolierenden Betrachtung das Ich kategorisch und in der Konsequenz dieser Form als Substan% ausgesprochen. Was dabei als Vermittlungsproblem bestehen blieb, war das Verhältnis der gewissen Substanz zur Vielheit der Substanzen, der Einfachheit zur Ausdehnung oder der Negativität zur Positivität. Allerdings hat Descartes versucht, Formen dieses Verhältnisses anzugeben, die ihrerseits gewiß, einfach und gleichsam „ichhaft" sind. Diese Formen sind die „coniunctiones necessariae", die ein absolutes „Können" und darin Freisein des Verstandes in Beziehung auf positive Inhalte darstellen 77 . Den in notwendigen Verbindungen darstellbaren Inhalten wird die Gewißheit aus der freien Form von Ich so mitgeteilt, wie sich, ganz analog, in der Cartesianischen Physik die Bewegung durch Mitteilung des Impulses frei ausbreitet. Descartes kann also überhaupt denken, daß Ich in der Ausdehnung ist. Aber die Ausdehnung, die Ich sich so gibt, ist nur die seiner eigenen Akzidentalität, während die Ausdehnung schlechthin andere Substanz und damit nicht eingeholte Voraussetzung noch des Sich-akzidentellWerdens von Ich bleibt. Das Erkennen von Ich kommt daher nach Descartes auch nicht notwendig beim Äußeren an, jedenfalls solange nicht, als nicht die Einheit der beiden Substanzen in Gott — dem Selbst der Substanz — bewiesen ist 7 8 . 75 76 77
78
K d r V A 401. Cf. K d r V Β 68. Cf. die ausführliche Darstellung bei J. Simon, Wahrheit als Freiheit, Berlin/New York 1978, 121 ff. Wahrheit wird bei Descartes nach Simon zu „einem absoluten K ö n n e n " (125; cf. 128), und dies so, daß sich das Denken als Negieren bewährt (133); es ist die Negation aller positiven „Zeichen" in „einen einzigen Bedeutungszusammenhang, in dem sie ihren wohlbestimmten Ort einnehmen" (139). Die Negation kann darum überhaupt „das methodische Erzeugungsprinzip schlechthin" genannt werden (127). In Ausführung der herangezogenen Analogie zur Bewegungslehre Descartes' könnte man sagen, daß, so wie der Cartesianische Begriff einer ausschließlich positiven Bewegungsgröße Bewegung ohne Rücksicht auf die „Selbständigkeit" des Anderen in der Impulsmitteilung zu erklären versuchte, damit aber die Impulserhaltung nicht darzustellen vermochte, so auch die „Erhaltung" von Ich gefährdet wäre, wenn nicht auf den Gottesbegriff Bezug genommen werden könnte. In der Cartesianischen Physik fehlt aber (im Unterschied zur Aristotelischen) der Gottesbegriff.
82
Kant und Hegel
Kant hat in seiner Form der Fragestellung das Selbst nicht mehr außerhalb von Ich suchen müssen. Der Unterschied zu Descartes, gegen den er sich zumal im Paralogismuskapitel der KdrV ausdrücklich abgrenzen kann, besteht zunächst darin, daß Ich bei Kant nicht unmittelbar als das Denken, sondern als „die Bedingung, unter der ich überhaupt denke" 79 , verstanden ist. Der Unbedingtheit der „obersten" Bedingung nach ist damit nach Kant zwar auch unmittelbar das Dasein von Ich ausgesagt, wenn auch, wie die Kritik der rationalen Psychologie zeigt, ohne alle weitere („essentielle") Bestimmung. Aber es ist in der hypothetischen Form in transzendentaler Hinsicht doch auch ausgesagt, daß einerseits das so bestimmte Ich der Vielheit nicht abstrakt entgegensteht, sondern sie durch den einfachen Unterschied von Bedingung und Bedingtem bereits an sich selbst enthält — eine Vielheit, die sich dann auf der Seite des Differenten (des Bedingten) unendlich vervielfältigen kann, ohne damit aufzuhören, nur „Fälle" der Bedingung darzustellen; daß darin aber das Selbstbewußtsein „wesentliche" Identität ist, die sich in der Vielheit erhält und ebenso in ihr erst zu sich kommt; daß ferner Ich die Formen der Einigung der Vielheit in sich enthalten oder ihr, wie Kant sagt, „Vehikel" 80 sein muß 81 . Dieser letzte Aspekt heißt aber zu Ende gedacht, daß Ich nicht neben seinen Begriffen, Anschauungen und Gegenständen steht, sie auch nicht nur benutzt oder sich auf sie bezieht, sondern daß es nichts anderes ist als das Verhältnis ihres Gebrauchs und ihrer gegenständlichen Beziehung selbst. Ich ist der Übergang aus der Bedingung der Erfahrung (ihrem Ansich), als die es selbst vorgestellt ist, in das viele Bedingte oder die formale wie materiale Bestimmtheit; es ist dies so, wie die Subjektsfunktion in der hypothetischen Form „Wenn A, dann B" zugleich Bedingung und das Setzen der Prädikatsfunktion ist 82 . 79 80
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KdrV Β 404/A 346. Cf. KdrV Β 399/A 341; Β 406/A 348. Als solche reine Vermittlung der Begriffe ist Ich nicht selbst (Kantischer) Begriff, wie KdrV Β 404/A 436 und Prol. § 46 (AA IV, 334) ausdrücklich gesagt wird; der Verstand erkennt entsprechend nicht Ich, sondern durch Ich (cf. KdrV A 402). Auf den zuletzt genannten Aspekt hat wiederholt D. Henrich hingewiesen, wenn er das Kantische Selbstbewußtsein als Wissen von den Regeln der „Übergänge" zwischen den (bewußten) „,Ich denke'-Fällen" bestimmt hat; cf. ders., Identität und Objektivität, Heidelberg 1976, ζ. B. 93 ff.; ders., Kant und Hegel, in: ders., Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982, 171—208, bes. 176 ff. — Die Kategorie ist bestimmte Form des Übergehens des Bewußtseins zu sich selbst, das Selbst also die Bestimmung noch der kategorialen Bestimmtheiten. Grob skizzierend könnte man sagen: Descartes hat Ich kategorisch, als nur unmittelbares Verhältnis und also seiend begriffen; Kant gab ihm mit der hypothetischen Form die
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In dieser Bestimmung gedacht ist Ich wahrhafter Allgemeinbegriff, der immer selbst seine Beziehung auf das Besondere enthält. Der hypothetischen Form gemäß sind dann aber auch die Besonderen — bei Kant die bewußten Gegenstände — nicht selbst wahrhafte Allgemeine, sondern schlechthin Besondere, d. h. allenfalls als abstrakte Allgemeine darstellbar. Bewußte Gegenstände haben notwendig keine Beziehung auf sich selbst oder kein „Inneres". Der Preis dafür, daß Gegenstände vielmehr Innere von Ich sind, daß sie absolut in den einen, nur durch sich selbst definierten Horizont des subjektiven Erkennens fallen, ist der, daß sie keine eigenen Horizonte haben oder vielmehr sind, sondern gerade beliebig Einteilbare, Umbestimmbare, zeitlich gesetzte Momente eines ihnen äußeren Inneren. Sie sind Reflexe, nicht selbst Reflexion, Gesetzte, aber ohne sich selbst Gesetz zu sein, Erkannte, aber nicht Anerkennbare. Wie Descartes sein eigenes Zweifeln, so hat Kant sehr wohl den Skeptizismus empiristischer Provenienz in die Schranken gewiesen. Er hat dies wie jener aus einem philosophischen Prinzip getan, und zwar aus einem Prinzip, das ihn sogar auf eine reflexive Gestalt von Selbstbewußtsein geführt hat. Aber es war mit diesem Prinzip nur aus der bewußten Welt (der Erscheinung) auf ihre selbstbewußte Bedingung zurückgegangen und damit gezeigt, daß wir unsere bewußten Gegenstände, sofern wir selbst diese Bedingung sind, auch wirklich erkennen — jedenfalls soweit Erfahrungserkenntnis von Erscheinungen Erkenntnis heißen kann — und nicht nur dem Schein oder der Wahrscheinlichkeit verfallen sind. Umgekehrt konnte aber der Schritt in eine selbstbewußte Welt — die Welt der Sprache, wie sich zeigen soll — mit Hilfe der Kantischen Form nicht getan werden. Ich, das nur setzende Form der Gegenstände ist, spricht in dem, was es setzt, nicht, geschweige denn, daß es sich ausspräche. Es ist in der hypothetischen Form Subjektsfunktion und überhaupt Subjektivität, keineswegs aber auch schon Individuum, dessen Merkmal es wäre, sein Anderes (das „Prädikat") nicht nur als Gesetztes, sondern als Freigelassenes und wesentlich Freies sich gegenüber zu haben. Der Mangel läßt sich in doppelter Hinsicht an der hypothetischen Form aufzeigen: erstens muß diese Form irreversibel sein, da sie nur so ihre spezifische Reflexivität erreicht. Kant schließt die Umkehrung „Wenn Β (der Gegenstand), dann A (das Erkennen)" als Dogmatismus
Reflexion und das Selbst als seine eigene Vermittlung; Fichte versuchte Ich in der disjunktiven Form zu begreifen, also das Prädikat ohne Rest als Beziehung auf das Subjekt zu denken. Hegel hat an allen Relationsformen endliche Momente aufgewiesen. Für ihn ist Ich absolute Negativität.
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konsequent aus. Aus dieser Ausschließung im Interesse der Darstellung der hypothetischen Form entsteht erst die Urteilung der Idee; denn die Idee denkt auch das Prädikat als vollendet, d. h. als in-sich-vermittelt, und meldet diesen Anspruch gegenüber der Selbstrealisierung des Subjekts in der ästhetischen wie teleologischen Urteilskraft, im Gedanken der Vollendung der Erfahrung, wie ihn das „Opus postumum" faßt, und vor allem auch im Begriff des transzendentalen Ideals nachdrücklich an. Als Inhalte müssen alle diese Ansprüche als dogmatisch gelten, wenn die transzendentale Form und ihre Gewißheit aufrechterhalten werden soll. — Zweitens setzt die Form bei einer unmittelbaren Voraussetzung an. „Wenn A, dann B" heißt nicht ohne weiteres „Daß A". Wir haben bereits gesehen, daß Kant die oberste Bedingung zugleich als unbedingt versteht. A tritt insofern auch aus der Form heraus und ist schlechthin, in „absoluter Position". Der Cartesianische kategorische Begriff von Ich ist sozusagen die zweite, unmittelbare Prämisse, ohne die aus der hypothetischen Form kein modus ponens wird, wenn auch aus ihr selbst nicht mehr unmittelbar geschlossen wird. Für das Unternehmen Kants, die bewußte Welt wohl zu fundieren, bedeutet dies noch keine Schwierigkeit, da Kant mit der hypothetischen Form nur von Β auf A zurückgehen bzw. überhaupt ihr Verhältnis aufstellen will und nicht aus einem problematischen A erst auf Β schließen muß. Kants Problem ist nicht, das Erkennen erst zu erschließen, sondern das Bewußtsein, das wir von unserem Erkennen schon haben, an den Formen und Gegenständen der Erkenntnis gleichsam durchzuführen, sie also ihrer Unmittelbarkeit zu entkleiden und vielmehr als vermittelte darzustellen 83 . Zur Schwierigkeit wird die Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins oder des reflexiven Moments gegenüber der Form der Vermittlung erst dann, wenn es darauf ankommt, eine Vermittlung der Subjektivität mit ihrer Vermittlungsform selbst zu denken. Das prominenteste Beispiel, in dem Kant selbst dieses Problem anspricht, ist die dritte Vernunftantinomie. Kants Lösung, die zusammengefaßt dahin lautet, daß die theoretische Form der Vermittlung nichts über die Beschaffenheit des Unbedingten oder Unmittelbaren, das sie selbst voraussetzt, auszusagen imstande ist, daß also in praktischer Hinsicht Freiheit sehr wohl, wenn auch, wie sich nicht vermeiden läßt, nur in kategorischer (!) Form, sein mag, besagt nur, 83
Insofern ist auch Kants vielkritisierter Verweis auf das „Faktum" wissenschaftlicher Erkenntnis gegen seine empirische Erklärung KdrV Β 127 f. keineswegs anstößig. Erkenntnis ist nicht aus Nicht-Erkenntnis ableitbar (erkennbar), wie Locke und Hume zuletzt glauben müssen. Die Kritik „erfindet" auch keine neuen Erkenntnisse, sondern sie setzt Erkennen zu sich ins Verhältnis.
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daß zwar die praktische Vermittlung, deren Resultat kein Gegenstand, sondern eine bestimmte Handlung ist, bei sich selbst bleiben mag, zugleich aber kein bewußter Gegenstand und auch die vergegenständlichte Handlung nicht als Gestalten der Freiheit oder als selbsthafte Realisierungen der Subjektivität angesehen werden können 84 . Das heißt aber, daß in theoretischer Vermittlung sich die Subjektivität nicht vermittelt. Sie bleibt vielmehr für sich selbst das Unmittelbare, das sie schon vor aller Vermittlung war. Sie wird sich in ihrem Sprechen nur äußerlich, ohne sich zugleich zu erfüllen. Hätte sie für sich einen Inhalt, so könnte man auch sagen, daß sie sich in ihrem Sprechen entleerte. In praktischer Hinsicht mag sie allenfalls einen Inhalt haben, den sie sich nach Kant in „Maximen" bewußt macht; entsprechend kann man sagen, daß sie sich praktisch individualisiert und nicht bloß leere Allgemeinheit bleibt. Aber das ausgeschlossene Prädikat ist auch so für die theoretische Erkenntnis nicht wiederzugewinnen. Es bleibt das „Ansich" der Dinge der bewußten Welt, das der Unmittelbarkeit des Ansichs (der Möglichkeit) der Erfahrung im Selbstbewußtsein korrespondiert. An diesem Punkt berühren sich die beiden Mängel der hypothetischen Form: sie realisiert das Prädikat nicht, um die Subjektivität als Form der Vermittlung denken zu können, aber sie vermittelt die Subjektivität nicht mit sich selbst, indem sie das Prädikat ausschließt, an dem sie sich erst erfüllt hätte 85 . Allgemeiner: die vernünftige Realisierung 84
Gewissermaßen einen Sonderstatus nehmen nach Kant religiöse Vorstellungen ein, die, nach einem „Schematismus der Analogie" erzeugt (Religion A A V I , 65), zwar keinen Erkenntnisanspruch erheben, aber doch praktische Vernunftideen sinnlich faßbar machen. An den Inhalten des „Kirchenglaubens" haben wir Beispiele und ein „Leitband()", dessen nur „die Keckheit der Kraftgenies" „jetzt schon entwachsen zu sein" wähnt (Streit der Fakultäten A A V I I , 65; cf. auch Vornehmer Ton A A V I I I , 401 Anm.); das Beispiel ist „eine ästhetische Vorstellungsart" (Vornehmer Ton AA VIII, 405), und zwar — im Falle der Religion — der Vernunftidee als des in uns selbst liegenden „Urbilds" (cf. Religion AA VI, 63 ff. u. ö.). Am Beispiel begreifen wir sinnlich das Urbild und die Totalität der Vernunft; es setzt so das Subjekt sich in ein neues und reineres Verhältnis. Zuletzt stellen die religiösen Beispiele die praktische Sphäre sinnlich als schon realisiert und abgeschlossen vor, antizipieren also die Vermittlung mit sich selbst „als ob" sie schon geleistet wäre, um uns die ideelle Form der Praxis überhaupt plausibel zu machen: „höchstens in einer symbolischen Vorstellung (ist) das Praktische allein für uns verständlich" (Religion A A V I , 171).
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Innerkantisch wird sich das Problem nur so lösen lassen, daß man die „Systemteile", nämlich vor allem die theoretische und die praktische Vernunft, in eine beide Seiten bestimmende Beziehung zu setzen versucht. Nach Kant selbst ist das gleichsam „absolute" Prädikat, nämlich die „Idee in individuo" oder Gott, ein praktisch durchaus realisierbarer Gedanke und (als Postulat) von „uns seihst machen" (Vornehmer Ton AA VIII, 401 Anm.; cf. Streit der Fakultäten A A V I I , 36). Die Verbindung der Systemteile und damit zugleich eine Herstellung der Beziehung von wirklichem Individuum und seinen theore-
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des Subjekts und seines Erkennens, die Kant gegen den Skeptizismus festhält und denkbar macht, ist nicht schon die Realisierung der Vernunft selbst, die nichts anderes ist als die sich selbst setzende Einheit von Subjekt und Prädikat, und das Sprechen des Subjekts geschieht unter Ausschluß des vernünftig-sprachlichen Verhältnisses, demzufolge das Vernehmen der Sprache immer konstitutives Moment des Sprechens selbst und gerade des selbstbewußten Sprechens ist. Erst als dieses vernünftig-sprachliche Verhältnis wäre das Subjekt, wie schon der Einwand Hamanns gegen Kant lautet, individualisiert'01'. Man muß freilich beachten, was ein „Einwand" in der Philosophie überhaupt heißen kann. Er kann nicht meinen, daß man einem Denken das Recht bestreitet, so zu denken, wie es denkt; er wird im Gegenteil wünschen, daß es so konsequent wie aus seinen Voraussetzungen irgend möglich denkt, und er wird sich in dieser Hinsicht im Falle Kants, dem man in Beziehung auf seine Konsequenz kaum etwas nachsagen kann, befriedigter sehen als in vielen anderen Fällen. Der Einwand wird sich andererseits nicht damit begnügen zu versichern, daß man auch „anders" denken könne, denn gegenüber einem bestimmten und in sich selbst konkreten Denken heißt die unbestimmte Andersheit als einfache Negation zunächst nichts anderes, als daß man auch nicht denken könne. Es wird vielmehr darum zu tun sein, im Einwand ein bestimmendes Verhältnis zum Vorliegenden zu artikulieren, welches Verhältnis zugleich dieses Vorliegende als auch den Einwand seiner Bestimmtheit nach erst herstellt. Der Gedanke findet sich, wie Hegel sagte, in Beziehung auf den Gedanken. Aber dieses Sich-Finden ist die Vernunft selbst. Ein Einwand ist die Umwendung eines Vernommenen und Gefundenen, aber so, daß dieses damit nicht aus der Vernunft herausfällt, sondern durch sie in sich umgewendet wird. Alles Vernünftige ist das der absoluten Umwendung Fähige. Der fixierende Verstand wird daraus machen, das Vorgefundene solle verdreht oder pervertiert werden, wobei er voraussetzt, daß es bleibende Maßstäbe geben könne, an denen die Verdrehung ablesbar werde. Aber
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tischen Inhalten versucht — besonders im Ausgang von der Methodenlehre der KdrV — vor allem J. Simon. Ein Begriff, der diese Vermittlung tragen kann, ist bei Simon zumal der des pragmatischen Glaubens, dessen theoretisch-determinierende Funktion mit Bezug auf den (Kantischen) Begriff des subjektiven Horizonts erläutert wird; cf. ζ. Β. J. Simon, Kants pragmatische Ethikbegründung, in: Archivio di filosofia 55 (1987), 183 — 204. — Wir werden in unserer Darstellung von Kants Modalbegriffen unsererseits auf Aspekte des Individuellen stoßen. Cf. dazu J. Simon, Einleitung zu ders. (ed.), J. G. Hamann, Schriften zur Sprache, Frankfurt/M. 1967, 7 - 8 0 , bes. 66 ff.
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das Vernünftige hat keinen ihm äußerlichen Maßstab und Parameter, sondern ist (sit venia verbo!) die absolute Drehung und Bewegung. Die Vernunft weiß auch, daß in jedem Verstehen actu die Umwendung, die eigentlich das ganze Problem der Individualität ist, schon stattfindet, daß das Verstehen als Beziehung auf „Etwas" (mit dem Jenaer Hegel zu reden) schon Unendlichkeit (Freiheit von endlichen Maßstäben) und Widerspruch (Freiheit zum Sprechen) ist, und dies deshalb, weil, wie die spekulative Logik zu zeigen hat, schlechthin alles in der vernünftigen Freiheit verwurzelt und selbst Umwendung ist. Die Passagen, in denen Hegel das Kantische Verhältnis von Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Sprache am ausführlichsten kritisiert hat, sind die ersten Abschnitte der „Phänomenologie des Geistes". In ihnen findet sich zwar so gut wie keine direkte Bezugnahme auf Kant, aber sie bieten dennoch das Rüstzeug, die Kantische Sachlage bestimmt in den Blick zu bekommen, weil sie schon aus dem grundsätzlichen Einwand, d. h. einem Verhältnis zu Kant herkommen, das die „Umwendung" der durch es erst hergestellten Bestimmtheit des Kantischen Denkens in die Bestimmtheit des eigenen Denkens im Vollzug herstellt 87 . Man könnte eine gewisse Unangemessenheit einer phänomenologischen Antwort auf Kants Kritik darin sehen, daß die erstere als eine explizit realphilosophische Gestalt des Sprechens Voraussetzungen machen kann und muß, die für eine Transzendentalphilosophie so nicht umstandslos gelten können. Allgemein haben wir darauf bereits geantwortet, daß eine anschaulich-realphilosophische Einstellung, indem sie sich auf Totalitäten bezieht, auch das in den Blick bekommt, was in der rein logischen oder erfahrungslogischen Betrachtung der totalen Gestalt zwar notwendig vorausgesetzt, aber nicht unbedingt vermittelt sein muß 88 . Die Phänomenologie macht in der Tat die Voraussetzung der Individualität, mithin desjenigen, was der Einwand — unter dieser Voraussetzung natürlicherweise — bei Kant nicht hergestellt fand 89 . Dennoch ist ein solches Voraussetzen, das aufs Ganze gesehen 87
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