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German Pages 336 [338] Year 2007
Hegel und die Geschichte der Philosophie
Dietmar H. Heidemann/Christian Krijnen (Hrsg.)
Hegel und die Geschichte der Philosophie
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn. Einbandabbildung: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gemälde von Jakob Schlesinger, 1831. © akg-images.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2007 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de
ISBN 978-3-534-18560-3 ISBN 978-3-534-26572-5
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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I. Hegels Theorie der Geschichte der Philosophie 3 Hans Friedrich FuIda: Hegels These, dass die Aufeinanderfolge von philosophischen Systemen dieselbe sei wie die von Stufen logischer Gedankenentwicklung..........4 Helmut Schneider: System und Geschichte der Philosophie bei Hegel. Die Rezeption der Identitätsthese im 19. Jahrhundert 15 Sander Griffioen: Hegels philosophische Historiographie 32 11. Hegels Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition Klaus Düsing: Hegel und die klassische griechische Philosophie (PlatonlAristoteles) Markus Gabriel: Hegel und Plotin Detlev Pätzold: Hegels Bild von Descartes Wolfgang Bartuschat: Nur hinein, nicht heraus. Hegel über Spinoza Klaus Erich Kaehler: Hegel und Leibniz Dietmar H. Heidemann: Hegel und der Empirismus. Locke - Berkeley - Hume Kristina Engelhard: Hegel über Kant. Die Einwände gegen den transzendentalen Idealismus Ernst-Dtto Onnasch: Hegel zwischen Fichte und der Tübinger Fichte-Kritik Wolfgang Neuser: Konzeptionen einer Naturphilosophie. Hegel und Schelling Peter Jonkers: F. H. Jacobi, ein "Galimathias" der spekulativen Vemunft? Einige Bemerkungen zu Hegels Jacobi-Deutung in seinen Jenaer Schriften Lu de Vos: Hegel und Jacobi (ab 1807). Jacobi-Kritik in Fortsetzung Jacobischer Motive?
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III.Hegel in der Philosophie des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart Christian Krijnen: Hegel und der Neukantianismus. Eine systemphilosophische Konfrontation Dieter Wandschneider: Die Bedeutung Hegels für eine zeitgemäße Naturphilosophie Heinz Kimmerle: Hegel und die Philosophien der Differenz Paul Cobben: Hat der Hegelsche Subjektbegriff das 20. J!1hrhundert überlebt?
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Personenregister
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Vorwort Überblickt man die gegenwärtige philosophische Diskussionslandschaft, so dürfte es nicht übertrieben sein, wieder einmal von einer Hegel-Renaissance zu sprechen. Das fiir Hegel wichtige Thema der "Geschichte der Philosophie" erfährt dabei jedoch eher geringe Aufmerksamkeit. Gerade Hegels reichhaltigen Darstellungen der verschiedenen philosophiegeschichtlichen Entwicklungslinien von der Antike bis in seine Gegenwart haben unser gegenwärtiges Bewusstsein insbesondere fiir die klassisch gewordene Philosophie aber stark geprägt. Zugleich ist Hegel einer der ganz wenigen Philosophen, die eine eigene Theorie der Geschichte der Philosophie konzipiert haben. Hegel zufolge besteht die "Geschichte der Philosophie" nicht in der bloß historischen Darstellung einer "Galerie der Heroen der denkenden Vernunft". Die "Geschichte der Philosophie" hat rur Hegel vielmehr systematische Bedeutung und ist als die philosophische Darstellung dessen aufzufassen, was sich in ihr zugetragen hat - was sich aber in ihr zugetragen hat, folgt im wesentlichen einem vernünftigen Zusammenhang: "Es geht vernünftig zu." (TWA, Bd. 18, 20, 38). Diese oft gescholtene VernünftigkeitsThese ist nicht Resultat einer prinzipiell naiven, historisch wie theoretisch völlig überzogenen Einstellung gegenüber der "Geschichte der Philosophie", sondern beruht auf kritischer Reflexion über ihren Gegenstand. Gemäß Hegel sieht sich die philosophische Betrachtung der "Geschichte der Philosophie" von vornherein sogar einem schwerwiegenden theoretischen Problem gegenüber: "Denn die Philosophie beabsichtigt das zu erkennen, was unvergänglich, ewig, an und fiir sich ist; ihr Ziel ist die Wahrheit. Die Geschichte aber erzählt solches, was zu einer Zeit gewesen, zu einer anderen aber verschwunden und durch anderes verdrängt worden ist. Gehen wir davon aus, daß die Wahrheit ewig ist, so fällt sie nicht in die Sphäre des Vorübergehenden und hat keine Geschichte. Wenn sie aber eine Geschichte hat, und indem die Geschichte dies ist, uns nur eine Reihe vergangener Gestalten der Erkenntnis darzustellen, so ist in ihr die Wahrheit nicht zu finden; denn die Wahrheit ist nicht ein Vergangenes." (Ebd., 24). Die "Wahrheit ist nicht ein Vergangenes" - diese These zählt ohne Zweifel zu den provokantesten in Hegels Theorie und Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philosophie. Ziel dieses Sammelbandes ist es, sie sowohl in ihrem theoretischen Gehalt als auch anhand der philosophiegeschichtlichen Einzeldarstellungen Hegels sowie von Beiträgen zur späteren Rezeption der Philosophie Hegels zu beleuchten. Entsprechend ist der Band in drei thematische Teile gegliedert: Thema des ersten Teils ist die von Hegel entwickelte Theorie der Geschichte der Philosophie. Dieser erste Teil übernimmt zugleich eine einleitende Funktion für die Gesamtproblematik des Bandes. Die Aufsätze des zweiten Teils erörtern Hegels Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition anhand einzelner Autoren und Positionen, und zwar von der Antike bis zu Hegels philosophischen Zeitgenossen. Im dritten Teil werden im Hinblick auf die Frage nach der aktuellen Bedeutung von Hegels Philosophie Probleme der Hegel-Rezeption im 20. Jahrhundert und in der Gegenwart untersucht.
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Vorwort
Soweit uns bekannt ist, bietet der Band die bei weitem detaillierteste Sammlung neuer Forschungsbeiträge zum Themenkomplex "Hegel und die Geschichte der Philosophie". Anspruch auf Vollständigkeit gerade hinsichtlich der Auseinandersetzung Hegels mit einzelnen Philosophen und philosophischen Strömungen im zweiten Teil erheben wir dabei nicht. Auch der dritte Teil zur Hegel-Rezeption ließe sich sicherlich erheblich erweitern. Auf eine Thematisierung der Hegel-Renaissance in der analytischen Philosophie haben wir verzichtet, weil gerade zu diesem Bereich eine größere Anzahl neuerer Publikationen bereits vorliegt. 1 Der Band dürfte jedoch mehr als nur einen ersten Einblick in den verhandelten Themenkomplex geben, vielmehr verschafft er dem Leser einen größeren Überblick über die Sache und ermöglicht dabei die Vertiefung von Einzelaspekten. Ferner werden die bereits vorliegenden Untersuchungen2 zu "Hegel und die Geschichte der Philosophie" inhaltlich erweitert sowie die Forschung auf den neuesten Stand gebracht. Hintergrund des Bandes bildet eine Arbeitstagung zu "Hegel und die Geschichte der Philosophie", die im Oktober 2003 am Philosophischen Seminar der Universität zu Köln im Rahmen eines von den Herausgebern und Klaus Düsing zustandegebrachten deutsch-niederländischen Kooperationsprojekts stattfand. Im Anschluss an die Tagung haben wir uns aufgrund der Zielsetzung des Bandes entschlossen, die Anzahl der Beiträge erheblich zu erhöhen.
New York/Amsterdam
Dietmar H. Heidemann Christian Krijnen
Siehe u.a. eh. Halbig/M. QuanteIL. Siep (Hrsg.): Hegels Erbe, FrankfurtJM. 2004. Genannt sei insbesondere K. Düsings Abhandlung: Hegel und die Geschichte der Philosophie. Ontologie und Dialektik in Antike und Neuzeit, Dannstadt 1983; des weiteren J. O'Malley/K. W. Algozin/F. G. Weiss (Hrsg.), Hegel and the History ofPhilosophy, Den Haag 1974, D. A. Duquette (Hrsg.), Hegel's History of Philosophy. New Interpretations, New York 2003 sowie das Hegel-Jahrbuch 1997 und 1998. 1
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Erster Teil Hegels Theorie der Geschichte der Philosophie
Hegels These, dass die Aufeinanderfolge von philosophischen Systemen dieselbe sei wie die von Stufen logischer Gedankenentwicklung
Hans Friedrich Fulda
Einleitung Die These, die hier interessiert, wird in Hegels eigenen Schriften, soweit ich sehe, nur einmal expressis verbis vertreten, allerdings an prominenter Stelle: im Einleitungsmanuskript der zweiten Berliner Vorlesungen über Geschichte der Philosophie (24.10.1820).1 Dort ist zunächst vom Hervorgehen verschiedener Stufen für den fortschreitenden Gedanken die Rede und werden zwei Weisen des Hervorgehens voneinander abgehoben: zum einen diejenige, in welcher es auf die reine Idee ankommt und hinsichtlich welcher das Hervorgehen zu verfolgen sowie zu betreiben "die Aufgabe und das Geschäft der logischen Philosophie ist"; zum anderen die Weise, "daß die unterschiedenen Stufen und Entwicklungsmomente in der Zeit, in der Weise des Geschehens, und an diesen besonderen Orten, unter diesem oder jenem Volk, unter diesen politischen Umständen und unter diesen Verwicklungen mit denselben hervortreten - kurz unter dieser empirischen Form" (Vorlesungen, 26 f.). Diese Weise sei "das Schauspiel, welches uns die Geschichte der Philosophie zeigt" wie man sagen mag, wenn man "Geschichte" im Sinn von "Historie" gebraucht bzw. offen lässt, ob die ,,fes gestae" oder die Berichte darüber ein Schauspiel "zeigen". Die entsprechende "Ansicht" von Geschichte (sowie Historie) sei die einzig würdige für eine Wissenschaft der Geschichte der Philosophie. Sie sei "in sich durch den Begriff der Sache die wahre, und dass sie der Wirklichkeit nach ebenso sich zeigt und bewährt", das werde sich beim Studium dieser Geschichte ergeben. Wahres, das zudem wahre Ansicht als Am-Werk-Sein seiner ist, wird in Hegels Begriffssprache "Idee" genannt. Darum beginnt Hegel den Satz, der seine These formuliert, mit diesem Substantiv. Der Satz lautet:
1 Zitate und Stellenangaben zum Text dieser Vorlesungen beziehen sich im folgenden auf die Ausgabe von P. Gamiron und W. Jaeschke 1994.
Stufen logischer Gedankenentwicklung
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"Nach dieser Idee behaupte ich nun, daß die Aufeinanderfolge der Systeme der Philosophie in der Geschichte dieselbe ist als die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee." Erläuternd und präzisierend wird im nächsten Satz hinzugefügt: "Ich behaupte, daß wenn man die Grundbegriffe der in der Geschichte der Philosophie erschienenen Systeme rein dessen entkleidet, was ihre äusserliche Gestaltung, ihre Anwendung auf das Besondere, und dergleichen betrifft, so erhält man die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe. Umgekehrt den logischen Fortgang für sich genommen, so hat man darin nach seinen Hauptmomenten, den Fortgang der geschichtlichen Erscheinungen - aber man muß freilich diese reinen Begriffe in dem zu erkennen wissen, was die geschichtliche Gestalt enthält; ferner unterscheidet sich allerdings auch nach einer Seite die Folge als Zeitfolge der Geschichte von der Folge in der Ordnung der Begriffe; wo diese Seite liegt - dies näher zu zeigen, würde uns aber von unserem Zwecke zu weit abführen." (Vorlesungen, 27). Trotz der im letzten Satz nach dem ersten "aber" gemachten Einschränkungen hat die Rezeptionsgeschichte ziemlich undifferenziert von "Parallelisierung", Behauptung einer ,,Parallelität", "Entsprechung", "Übereinstimmung", ,,Korrelation" und "Kongruenz der Abfolge" geschichtlich-realer Positionen mit der Folge logischer Bestimmungen gesprochen oder gar von "Identität logischer und geschichtlicher Entwicklung". Die dominante Einstellung zur Hegel zugeschriebenen Behauptung geht denn auch seit Ende der 30er Jahre des neunzehnten Jahrhunderts bis heute dahin, diese Behauptung und mit ihr die Hegelische These zu verwerfen. Einzig in einem jüngsten Aufsatz finde ich einen Versuch unternommen, die These unter neukantianischen Voraussetzungen zu verteidigen. 2 Allerdings wird auch darin Hegels Kautelen nicht eigens nachgegangen. Wenn unter solchen rezeptionsgeschichtlichen Umständen die genuine Hegelische These zu diskutieren ist, sollte wohl erst einmal ihr Textumfeld und gedanklicher Hintergrund beachtet werden, bevor man sich in der Beurteilung auf eine der beiden Seiten scWägt oder eine dritte Position einnimmt. Durch eine kritische Sichtung des Umfeldes wird vor allem auf den genauen Aussagegehalt der These einzugehen und von ihm aus auf Fragen hinzufiihren sein, unter denen die These selbst und ihr Hintergrund sowie ihre Intention verhandelt werden müssen.
I. Das Umfeld der einschlägigen Texte 1. Wer sich die Worte des Hegel-Manuskripts näher ansieht, wird bemerken, dass die mit ihnen formulierte und erläuterte Behauptung, die immer pauschal als eine der "Parallelität" von geschichtlich aufeinanderfolgenden Philosophien und logisch auseinander
2 Vgl. Krijnen 2005, 148 ff. In dieser Abhandlung finden sich auch ausführliche Angaben zur bisherigen Literatur über Hegels These.
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Hans Friedrich Fulda
hervorgehenden Begriffsbestimmungen verstanden wird, selbst schon viel weniger sagt, als man Hegel gewöhnlich unterstellt. Die Worte besagen nicht, zwischen allen in der Geschichte aufgetretenen philosophischen Positionen und allen von Hegel in seiner ,Logik' herausgearbeiteten begrifflichen Bestimmungen bestehe eine genaue Entsprechung, Übereinstimmung, Eins-zu-eins-Korrelation oder Abfolgekongruenz - oder gar eine Identität all jener Bestimmungen und der Grundbegriffe zeitgleich oder unmittelbar nacheinander entwickelter Philosophien. Die Rede ist nur von einer identischen Aufeinanderfolge der "Systeme der Philosophie" bzw. ihrer jeweiligen Grundbegriffe und einem X "in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee" - mit Unklarheit hinsichtlich desjenigen, das genau in jener Ableitung angeblich dieselbe Aufeinanderfolge aufweist wie die "Systeme" der Philosophie. Die Worte lassen also nicht nur offen, was es mit gleichzeitigen und gar nicht zum "System" gediehenen Philosophien auf sich hat; sie lassen auch unbestimmt, was den (vermutlich abzählbaren) gleichzeitigen oder zeitlich aufeinanderfolgenden Systemen der Philosophie "in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee" entspricht: ob wirklich von allen diesen Bestimmungen je eine je einem System korrespondiert oder nicht vielmehr nur je eine von einigen dieser Bestimmungen, d.h. von den geordneten Elementen einer Teilmenge aller - urtd unter welcher allgemeinen Bestimmtheit im letzteren Fall diese Teilmenge gegen andere Teilmengen abgegrenzt ist. Behauptet ist in dieser Hinsicht nur, dass es sich um "Begriffsbestimmungen der Idee", aber in deren "logischer Ableitung", also methodischen Bewegung handeln muss, wenn von ihnen Dieselbigkeit ihrer Aufeinanderfolge mit derjenigen von Systemen der Philosophie gelten soll. Der die These erläuternde Nachsatz präzisiert zwar hinsichtlich der philosophischen Systeme, dass es bei ihnen um ihre Grundbegriffe geht und um sie in einer Reinheit und Nacktheit, durch die sie sich in den Systemen, in denen sie auftreten und wie sie darin vorkommen, gerade nicht auszeichnen. Eben deshalb muss man sie - als reine - durch eigene Philosophie in dem, "was die geschichtliche Gestalt enthält", allererst ,,zu erkennen wissen". Hinsichtlich der anderen Seite wird nun gesagt: Dasjenige, was diesen ins Reine gebrachten Grundbegriffen entspricht, seien die verschiedenen Stufen "der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe"; nicht aber erfahren wir, wie sich diese "Stufen" zu den in der ,Logik' verhandelten Begriffsbestimmungen genau verhalten. Diese Begriffsbestimmungen treten ja in der ,Logik' nicht von vorneherein als Bestimmungen der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe oder gar als verschiedene Stufen dieser Bestimmung auf. Und auch in der umgekehrten Betrachtungsrichtung also beginnend mit dem logischen Fortgang fur sich genommen - wird nur gesagt, in diesem Fortgang "nach seinen Hauptmomenten" habe man den Fortgang der geschichtlichen Erscheinungen (und wohl auch seine "Hauptmomente"); nicht aber, dass jede der Gedankenbestimmungen, die in der ,Logik' aufeinanderfolgen, ein solches "Hauptmoment" sei. Weder also bekommt man spezifiziert, welche Stufen der Bestimmung der Idee selbst es zu unterscheiden gilt und in welcher Weise sie gegeneinander verschieden sind; noch erfährt man, was die betreffenden logischen Bestimmungen als Hauptmomente des logischen Fortgangs auszeichnet, oder gar: worin und in welcher Art Unterscheidung sich die eine Folge (als Zeitfolge) von der anderen (in der Ordnung der Begriffe) unterscheidet. Kein Wunder, dass bei so viel offenkundig gezielter Unbestimmtheit dann auf genauere, noch ausstehende, aber - weil nicht zum Zweck einer Einleitung passend - zurückzustellende Auskunft verwiesen wird und dass die ausdrückliche Be-
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hauptung dann fiir diese Auskunft eine Angabe darüber in Aussicht stellt, worin sich unbeschadet identischer Aufeinanderfolge in zwei Folgeordnungen (und Mengen dessen, was in ihnen steht) die geordneten Folgen selbst unterscheiden - über den trivialen Unterschied hinaus, dass es sich im einen Fall um eine Zeitfolge von Philosophien in der Geschichte handelt, im anderen Fall hingegen um eine als nicht-zeitlich zu denkende Folge von Begriffsbestimmungen oder Begriffen. So viel lässt die These offen, die gleichwohl immer wieder pauschale Zurückweisung erfahren hat. Wer überzeugend gegen eine These derart hohen Unbestimmtheitsgrades argumentieren will, sollte nicht unterstellen, sie sei notfalls eben in jenem Sinn zu nehmen, in dem es am leichtesten fällt, sie zu verstehen. Vielmehr sollte er seine Einwände so zuspitzen, dass die Argumente genau zur vorliegenden Unbestimmtheit passen; oder er sollte zuvor erörtern, welche Möglichkeiten größerer Bestimmtheit gleichwohl der These zuzusprechen sind und auf welche von ihnen die Argumente zielen. Ebenso derjenige, der zugunsten der These sprechen will. Um sich zum einen oder anderen instand zu setzen, tut man gut, sich zuvor mit kontextuellen Varianten der These zu befassen, falls es solche gibt. 2. Varianten-Ähnliches und Zusätzliches zur Erläuterung findet sich tatsächlich in den uns erhaltenen Vorlesungsnachschriften. Doch ob darunter auch Präzisierungen der zitierten These sind oder nur mit ihr verwandte, aber andere Thesen, ist nicht auf Anhieb zu sagen. Einige der Abwandlungen sind jedenfalls noch unbestimmter als die These selbst. So heißt es z.B. in einer Nachschrift des (ersten Berliner) Kollegs von 1819, die Folge im System der Philosophie und in der Geschichte müsse identisch sein, aber nur dem Wesen nach. ,,Die Hauptstufen müssen in beiden sein" (Vorlesungen, 115). Ähnlich hoch ist der Unbestimmtheitsgrad, wenn eine Nachschrift des Kollegs von 1823/24 festhält, man könne meinen, dass die Philosophie selbst in der Entwicklung ihrer Stufen eine andere Ordnung haben müsse als die, in welcher die Stufen der Philosophie in der Zeit hervorgingen. Aber "im ganzen" sei "die Ordnung dieselbe" (Vorlesungen, 157). Oder gar, wenn eine Nachschrift des Kollegs von 1825/26 zwei Gestalten der Philosophie in ihrer Entwicklung unterscheidet - die des einfachen Gedankens ohne Beiwesen und diejenige der Geschichte der Philosophie - und dann die letztere mit der ersteren vergleichend sagt: ,,Die Geschichte der Philosophie ist ganz dasselbe und nicht dasselbe" (Vorlesungen, 220). Einige der zusätzlichen Erläuterungen dienen in der Tat einem genaueren Verständnis der These. Zu den beiden Ganzen beispielsweise, auf die einerseits die Hegelische systematische Philosophie selbst (wie auch die ,Logik' als ihre erste und letzte Disziplin) und andererseits die Philosophiegeschichte ausgehen, wird uns laut Nachschrift von 1820 nicht nur - fast wie im Hegelischen Manuskript - gesagt, die Aufeinanderfolge der Systeme der Philosophie in der Geschichte sei dieselbe als die Aufeinanderfolge der logischen Bestimmungen in der Entwicklung der Idee, sondern auch, dass "das eine nur ein Gegenbild vom anderen" sei (Vorlesungen, 27).3 Im Hinblick auf den logischen Status der These sowie deren methodischen Sinn und den Hegelischen Umgang damit werden wir (1823/24) informiert, dass die überwiegende Konzentration aufs Prinzipielle keine in der Sache der Philosophiegeschichte begründete Forderung ist, sondern nur
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Zur Interpretation des Terminus "Gegenbild" vgl. Fulda 1999, 32 f.
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eine der verfügbaren Vorlesungszeit geschuldete Beschränkung, und dass Hegel um solchen Zwangs zur Beschränkung willen den philosophiehistorischen Gegenstand auch nicht "in seiner logischen Strenge fortleiten" will, dass er aber (1825/26) der Überzeugung ist, aus der gemachten Identitätsbehauptung folge lind sei spekulativ beweisbar, dass "die Geschichte der Philosophie dasselbe ist als das System der Philosophie" (Vorlesungen, 220; vgl. 277, 287). Für das, was einerseits spekulativ beweisbare Folge ist, habe andererseits die Geschichte der Philosophie einen empirischen Beweis zu liefern, der zeigen solle, wie in der Geschichte der Philosophie die Entwicklung des Gedankens enthalten ist (Vorlesungen, 220). Vor allem aber wird uns im Kolleg von 1820/21 laut Nachschrift ein Hinweis gegeben, in welcher Richtung wir den Grund dafür zu suchen haben, dass sich "nach einer Seite" die Folge als Zeitfolge der Geschichte von der Folge in der Ordnung der Begriffe unterscheiden muss, und worin demgemäß dieser Unterschied besteht: irgendwie dürfte dieser Grund und der sich aus ihm ergebende Unterschied damit zu tun haben, dass in der Geschichte der Philosophie (als einem Sichwissen des Geistes) das "Moment der Endlichkeit" später erscheint, "als es in der Entwick1ung des Systems hervortreten muß" (Vorlesungen, 27 f.) - nämlich bereits am Nichts in der logischen Bewegung vom reinen Sein zum Werden, während es im Fortgang von Parmenides zu Heraklit unauffällig bleibt. Auf Unterschiede wie diesen deuten auch zwei andere Behauptungen hin, von denen jedoch zu fragen ist, ob sie eigentlich präzisierende Varianten der zitierten These sind, oder nicht eher deren Revision. Die Nachschrift von 1825/26 sagt "in Rücksicht des Widerlegens der einen Philosophie durch die andere" dies Widerlegen sei "das Aufzeigen der Negation, der Beschränkung eines Inhalts". Die Negation oder Schranke aber habe zweierlei Formen. Die eine sei, "daß irgendeiner Philosophie ihre andere gegenübergestellt wird, das Negative ihrer behauptet wird, und daß dann dieses andere Prinzip sich behauptet und das Gegenüberstehende widerlegt," sodass mithin beide Prinzipien einseitig sind. Die zweite Weise hingegen sei "die höhere, daß die einseitigen Prinzipien vereinigt werden, vorhanden sind als nur Momente einer Einheit, nicht mehr als selbständige, sondern herabgesetzt sind zu Momenten, zu den Elementen der Einen Idee, die beide Prinzipien befaßt [...]". (Vorlesungen, 228 ff.). Man beachte "herabgesetzt"! Das Wort gibt einen wichtigen Hinweis auf den Sinn der Rede von Stufen: Diese heben sich als solche erst von Kontinuierlichem ab, wenn die entsprechende "Ordnung der Begriffe" in der ,Logik' oder in der Geschichte generiert ist. Die Einigung entgegengesetzter abstrakter Prinzipien wird dann auch ein "Knoten solcher Besonderheiten" genannt (wie er sich z.B. in der platonischen Philosophie exemplifiziert finde). Charakteristischerweise aber fehlt die Behauptung, dass sich in der Abfolge von Philosophie-Gestalten immer beide Formen von Negation ablösen. Später (1829/30) werden die "Knotenpunkte" umfangsgleich mit den "Hauptmomenten" genommen (Vorlesungen, 323) und wird behauptet, in ihnen müsse "der Fortgang in dem Logischen und in der Geschichte Einer sein". Ähnlich führte schon eine Nachschrift von
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1827/28 (ebenfalls ohne die Behauptung durchgängiger Identität der Aufeinanderfolge in zweierlei Formen von Negation) den Fortgang vom Abstrakten zum Konkreten in der Philosophiegeschichte als einen des Gedankens auf den sich entwickelnden Begriff zurück und behauptete von dessen drei Entwicklungsstufen (des abstrakt Allgemeinen, seiner Besonderung und der Idee oder Vernunft), dass sie sich "auch in der Geschichte der Philosophie selbst wieder zeigen" werden (Vorlesungen, 284). An dem aber, was sich zeigt, scheint die Hauptsache nach den weiteren Ausführungen nicht eine Dreistufigkeit geschichtlicher Fortgänge zu sein, sondern deren innere, den Begriff sich manifestieren lassende Notwendigkeit: dass das Wahre in den Formen des Einen das apxOJ.lEVOV ist (Vorlesungen, 290). Erst hingegen, wenn "die denkende Reflexion mehr entwickelt, verständiger geworden ist", treten die Prinzipien "auch im Gegensatz auf' (ebd.), wie z.B. als das stoische und das epikureische Prinzip. 3. Bekunden diese Äußerungen eine Revision und Ersetzung der These oder deren weitere Präzisierung? Im trüben Licht der Ablehnung, welche die These erfahren hat, muss man annehmen, es handle sich um eine neue These. Die Verdeutlichung des gleich anfangs behaupteten Unterschieds aber, wie auch die der Rede von Stufen in Bestimmung der Idee selbst und insbesondere die von Hauptmomenten als Knotenpunkten all das weist klar auf die Absicht einer Präzisierung hin. In ihr liegt dann aber auch, dass die behauptete Identität der Aufeinanderfolge nicht als eine unabhängig von den Knotenpunkten feststellbare genommen wird, sondern sich vor allem jeweils in ihnen findet. Die Pointe der These scheint gar nicht die einer einzigen, sich gleichsam linear durch die gesamte Philosophiegeschichte ziehenden Aufeinanderfolge logischer Bestimmungen zu sein, sondern die jeweilige Abstufung und Entwicklungsdynamik von System-Grundbegriffen (sowie logischen Bestimmungen der Idee) in Knotenpunkten philosophiegeschichtlicher Entwicklung, die bedeutsame, ihre Vorgeschichte verarbeitende Exempla von Philosophie darstellen und in denen sich schon als Bestimmungen der Idee zu betrachtende logische Formen für vorgängige Prinzipien finden sowie neue, bisher noch nicht zu prinzipieller Bedeutung gekommene Bestimmungen ergeben. Dieser Gehalt der These hat bisher weder in der ihr abgeneigten noch in der ihr zustimmenden Literatur eine nennenswerte Rolle gespielt. Nur die Aufmerksamkeit auf ihn aber lässt erkennen und sinnvoll diskutieren, was Hegel im Rahmen seines Konzepts von Philosophiegeschichte mit seiner These eigentlich will. Was hat es damit auf sich?
2. Zum gedanklichen Hintergrund der These Hegel hätte keine Chance, einem so hypertrophen Anspruch gerecht zu werden wie dem eines empirischen Nachweises, dass sich von allen bisherigen Gestaltungen der Philosophie, die in einer Philosophiehistorie mit gutem Gewissen nicht zu übergehen sind, je ein an jeder von ihnen aufzudeckender Grundbegriff eindeutig und ohne Rest je einer von allen in der "Wissenschaft der Logik" abgehandelten Bestimmungen zuordnen lässt - und das auch noch in genauer Übereinstimmung der historischen und der linearlogischen Aufeinanderfolge. Hegels umfangreiche Ausführungen zur Philosophiegeschichte machen auch keine Anstalten zu einem so aberwitzigen Unternehmen. Das Unternehmen hätte allenfalls bei einer völlig neuen Ausführung der ,Logik' Aussicht gehabt, aber die entsprechende "Logik" hätte durch äußerliche Abstimmung ihres Ver-
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laufs auf den Gang der Philosophiegeschichte den Anspruch eigenständig logischen Begreifens desavouiert. Zugleich hätte das Unternehmen die Absicht ad absurdum geführt, in einer wissenschaftlich betriebenen Historie aufzuweisen, dass deren "durch den Begriff der Sache wahre" Ansicht von Philosophiegeschichte beim Studium des überlieferten Materials "der Wirklichkeit nach ebenso sich zeigt und bewährt". Der gesuchte empirische Beweis wäre von vorneherein ungültig gewesen - ja witzlos, weil zirkulär angelegt. Führt aber nicht die behauptete, in jeweilige Knoten mündende und von ihren Grundbegriffen auch wieder ausgehende logische Dynamik zu einer einzigen Linie, in welcher wenigstens die Aufeinanderfolge der Knoten dem Anspruch nach identisch ist mit einer einzigen, das Ganze der ,Logik' umfassenden Aufeinanderfolge aller "Stuffen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe"? Und bleibt Hegels Philosophiehistorie in allen ihren Ausführungen nicht auch meilenweit hinter diesem Anspruch zurück? Letzteres ist offenkundig. Keineswegs aber ist ausgemacht, dass sie den Anspruch tatsächlich erhebt. Die Ausführungen über Philosophiegeschichte müssen ja trotz der geforderten Wissenschaftlichkeit - ausdrücklich nicht ihren Gegenstand "in seiner logischen Strenge fortleiten"; geschweige denn wird behauptet, dass solches "Fortleiten" eine einzige, wenn auch Knoten aufweisende Linie wie diejenige stufenweiser Bestimmung der Idee in der ,Logik' ergeben würde. Noch weniger wird beim Aufsuchen eines jeden reinen Begriffs, welcher Grundbegriff einer Philosophie-Gestalt ist, verlangt, er müsse genau der logisch nächste aller in ihn eingehenden Prinzipien früherer Gestalten von Philosophie sein; und er sei es allemal, wenn man ihn in der betreffenden geschichtlichen Gestalt zu erkennen weiß. Es wäre sogar unsinnig, das zu verlangen. Denn von welcher Stufe in der Bestimmung der Idee aus sich eine (die Prinzipien einer oder mehrerer früherer Gestalten der Philosophie integrierende) neue Gestalt konkretisiert, kann von zusätzlichen Faktoren abhängen und hängt ja offenkundig auch da schon von solchen ab, wo es nur zu beachten gilt, dass das "Moment der Endlichkeit" notwendigerweise später erscheint, als es in der logischen Entwicklung hervortreten muss. Solchen Sprüngen begegnet man im Fortgang von Knoten zu Knoten des öfteren, wie man darin auch Mehrdeutigkeiten begegnet. Beim Verzicht (oder der subjektiven Unfähigkeit), den historischen Gegenstand in seiner logischen Strenge fortzuleiten, dürfen gewiss auch sie nicht verwundern. Was aber soll dann der mit der These verbundene Wahrheitsanspruch, wenn er so weit übers Erwarten der bisherigen wohl- und übelwollenden Interpretationen hinaus abgeschwächt ist? Das ist nun nicht mehr schwer zu erkennen. Die Folie, von der sich Hegel mit dem eigenen Überlegungshintergrund seiner These abhebt, bilden zwei unter sich eng zusammenhängende Einstellungen zur Philosophiehistorie, von denen die zweite für die Philosophie desaströs ist. Die erste von ihnen besteht in der Ansicht, welche noch zu Hegels Zeit Standardvoraussetzung akademischer Schulphilosophie war, in der Ära hermeneutischer Philosophie aber nicht mehr viele Anhänger hat: dass Geschichte und Philosophie "sehr heterogene Bestimmungen" sind (Vorlesungen, 13), systematische Philosophie und Philosophiehistorie also von Haus aus einander fremde Geschäfte treiben. Die zweite Einstellung hingegen macht den Historismus in Bezug auf die Philosophie und ihre Geschichte aus: die Überzeugung, dass es die systematische Philosophie nicht mit notwendigen, wahren und ewigen Gedanken zu tun hat, sondern ebenso wie die Philosophiehistorie nur mit "Geschehenem, somit Zufälligem, Vergänglichem" -
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mit philosophischen Meinungen, deren Geschichte wie Gegenwart höchstens fiir Gelehrsamkeit und Neugierde von Interesse ist (Vorlesungen, 13 ff.). Der Auffassung schlichter Heterogenität von Philosophie selbst und Philosophiehistorie kann man mit dem Argument entgegentreten, dass die (für Hegel gegenwärtige) Philosophie in ihrer Hegelischen Gestalt doch in Auseinandersetzung mit der ihr jüngst vorhergegangenen, bedeutenden Revolution philosophischer Denkungsart und Kultur entwickelt worden, also aus ihr hervorgegangen sei, dass hinter jener Revolution aber nach vorherrschender Überzeugung der Epoche die Aporien der ganzen vorhergegangenen Geschichte der Metaphysik (einschließlich deren skeptischer Destruktionen) stehen. Die Hegelische Philosophie berichtige nur jene Revolution und mache - als zugeordnete Philosophiehistorie - den ganzen geschichtlichen Gang übersichtlich, der zu ihr selbst und zur Beendigung ihrer Vorgeschichte geführt habe. Um dieses Argument plausibel zu machen wäre ein pauschales Bild von Philosophiegeschichte ausreichend, wie es bereits Kant am Ende seiner Vernunftkritik skizzierte, wenn die Skizze nur noch die nachkantischen Taten denkender Vernunft mitberücksichtigen würde, dank deren diese Geschichte in die fiir Hegel gegenwärtige systematische Philosophie mündet. Aber die mit jener Heterogenitätsvoraussetzung verbundene Auffassung von Philosophiehistorie ist bereits bei vielen ihrer Bekenner dazu angetan, in den Historismus umzukippen: Sie begnügt sich für die Historie der Philosophie damit, von (Leben und) Meinungen großer Philosophen zu berichten und vermischt diese Meinungen zudem oftmals unvorsichtig mit jüngeren, inzwischen aber eingängig gewordenen Gedanken, verwischt also selbst die Grenzen beider Disziplinen. Um sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen braucht sie sich nur noch mit der Überzeugung zu verbinden, dass doch die Philosophie selbst ohnehin zu gar nichts anderem imstande sei als zu bloßen Meinungen, die allemal nur zeitrelativ und vergänglich seien, nicht aber wahre Erkenntnis eines an ihm selbst Wahren verschaffe - von wie kurzer oder langer Dauer der Existenz und Wirkung auch immer. Dieser Bestreitung aller Möglichkeit, zu wirklicher philosophischer Erkenntnis zu gelangen und die Ansprüche solcher Erkenntnis zu rechtfertigen, kann man nicht mehr mit dem skizzierten Argument erfolgreich begegnen. Der Historismus macht ja aus dem für jeweilige Gegenwart konstitutiven Zusammenhang, den eine systematische Philosophie mit der dieser Gegenwart und Philosophie vorhergehenden Geschichte hat, gerade ein Argument zugunsten seiner Verneinung aller Philosophie und ihres Anspruchs, mehr als bloße - vergängliche und von zufalligen Umständen abhängige - Meinung zu sein. Noch viel weniger würde gegen ihn jene hypertrophe Behauptung einer Einheit der Philosophie selbst und ihrer Geschichte verfangen, wie sie Hegel von seinen Kritikern in die Schuhe geschoben worden ist - nicht zuletzt von den Historisten unter ihnen. Fern davon, nur unerweislich zu sein, muss diese Behauptung in Historisten-Augen als ein besonders markantes Beispiel fiir die prinzipielle Haltlosigkeit philosophischer Erkenntnisansprüche gelten. Aber da der Historismus die Philosophie mit den Mitteln historischer Gelehrsamkeit diskreditiert, ist ihm nicht durch systematischphilosophische Verteidigung dieser Ansprüche beizukommen, sondern nur auf seinem eigenen Gebiet: dem der Beschäftigung mit geschichtlichen Gestalten der Philosophie. Von diesen Gestalten, insbesondere aber den bedeutendsten unter ihnen, ist zu zeigen, dass sie keineswegs aus bloßem Meinen und einem hinter ihm stehenden Dickicht von Unsinn, Willkür, Zufall, Wunschdenken hervorgegangen sind, dass sie sich vielmehr
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allemal auch einem Gewinn an wirklicher Einsicht verdanken und das nicht nur in peripheren Zonen oder trivialen Punkten, sondern im innersten Gehalt ihrer Grundbegriffe sowie in für sie selbst wichtigen Aussagen, die von den Grundbegriffen abhängig sind, - und sei die Einsicht auch mit dieser Abhängigkeit, bezüglich jener Herkunft oder in deren begrifflicher Dynamik noch nicht fur heutige Erkenntnisforderungen hinreichend bewusst geworden. Doch sie durch philosophische Philosophiehistorie bewusster zu machen, geschieht nicht einfach durch äußerliche Zuordnung zu Gedankenfolgen der ,Logik'. Es hat zur Voraussetzung, dass durch Nachdenken über historische Gestaltungen von Philosophie an deren einzelnen Produkten allererst feststellbar gemacht und eindeutig identifiziert ist, welche begrifflichen Gehalte sich da in welchen Ordnungen befinden. Erst dann ist zu prüfen, ob ihre Aufeinanderfolge in diesen Ordnungen sich mit einer gewissen Aufeinanderfolge begrifflicher Bestimmungen der ,Logik' identifizieren lässt, wenn man diese Bestimmungen von vorne herein als solche der Idee deutet. Jede Überprüfung, die zum Ergebnis identischer Aufeinanderfolge für einige Bestimmungen und Grundbegriffe kommt, nachdem sie anband der überlieferten Namen fiir diese (und sei's via Übersetzung aus einer Sprache in eine andere) vorgenommen wurde, spricht in dem überprüften Punkt zugunsten wirklicher Erkenntnis - sowohl in einem Stück Philosophiegeschichte als auch in einem ihm entsprechenden der systematischen Philosophie und ihrer ,Logik'; denn auch Gedankenfolgen, die in dieser behauptet oder vollzogen oder schon erwiesen sind, werden dadurch bekräftigt. Erkenntnisgründe in beiden Richtungen zu mobilisieren ist der Sinn der Hegelischen These und ihrer wenigstens in Umrissen versuchten sowie teilweise gelungenen empirischen Bestätigung. Die These ist also vor allem antihistoristisch. Sie soll die historistische Destruktion und Selbstdestruktion der Philosophie aufhalten, die sich soeben - insbesondere an Fakultäten der Berliner Universität - abzeichnet, inzwischen aber sich weltweit ausgebreitet hat. Die Ironie der Geistesgeschichte allerdings wollte es, dass gerade Hegel kurz nach seinem Tod zum Kronzeugen einer Historisierung der Philosophie stilisiert wurde.
3. Zur Beurteilung der These Was ist vom nunmehr geklärten Anspruch der These zu halten? Was spricht im Hinblick auf ihre Absicht für sie, was gegen sie? Wie weit trägt Hegels Versuch ihrer empirischen Bestätigung? Die letzte dieser Fragen könnte freilich nur in ausfiihrlicher Befassung mit den besonderen Teilen der Vorlesungen beantwortet werden, in denen Hegel einzelne Epochen und Gestalten der Philosophiegeschichte behandelt hat. Die Suche nach einer Antwort sollte endlich einmal in Angriff genommen werden, passt aber nicht in den hier verfügbaren Raum und Rahmen. Doch vorab schon darf dazu nun wohl gesagt werden, dass Hegels These, wenn sie nur recht verstanden wird, jedenfalls nicht ohne Chancen ist, sich am Material philosophiegeschichtlicher Überlieferung empirisch bestätigen zu lassen, und andererseits auch das Risiko eingeht, daran - gänzlich oder teilweise - zu scheitern. Die These mag sich aus prinzipiellen Erwägungen ergeben und von solchen Erwägungen aus als Hypothese für empirische Forschung sogar unumgänglich sein. Aber im Hinblick auf die Absicht ihrer empirischen Bestätigung oder Widerlegung macht es keinen Sinn, sie allein mit Hinweis auf solche prinzipiellen Gründe ihrer Geltung gutzuheißen. Insofern ist pauschale Zustimmung zu ihr, selbst wenn sie in
Stufen logischer Gedankenentwicklung
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ihrem genuinen Sinn genommen wird, fehl am Platz. Ebenso wenig aber kann von diesen Gründen gesagt werden, sie würden im Rahmen der systematischen Philosophie Hegels als so stark betrachtet, dass kein Philosophiehistoriker die These guten empirischen Gewissens akzeptieren kann. Wer die These recht versteht, kann sich apriori und aus prinzipiellen Gründen weder auf die Seite ihrer Bekräftigung schlagen noch in die lange Kette derer einklinken, die sie a limine verworfen haben. Er muss sich auf ihre empirische Überprüfung einlassen und ihr wenigstens dafür Kredit geben. Doch wenn dies zugestanden wird, so ist damit bereits in einem entscheidenden Punkt dem Historisten paroli geboten. Denn wer sich auf die Arbeit empirischer Überprüfung einlässt, der stellt auch die Überzeugung des Historisten zur Disposition und räumt ein, dass historische Gestalten der Philosophie - entgegen dieser Überzeugung eine Chance hatten, zu wirklichen Einsichten zu gelangen, und dass sie solche Einsicht enthalten in allen Fällen, an denen sich die These empirisch bewährt. Nur wenn sie sich an keinem Fall bewähren würde, wäre der Historist in seinem Vorurteil bestätigt. Er ist also durch Hegels Konzept von Philosophiehistorie und die These, um die es hier ging, ernstlich herausgefordert und bereits durch einen einzigen Bewährungsfall widerlegt. Als solcher Versuch, der historistischen Bestreitung von Philosophie entgegenzutreten, ist Hegels These in meinen Augen zu betrachten. So verstanden aber ist die Aufstellung der These auch apriori gutzuheißen. Denn die Erfolgschancen des Versuchs sind erheblich. Der Historismus hingegen hat minimale Chancen, sich im Versuch zu behaupten, weil sich bereits bei einer einzigen empirischen Beglaubigung die Waage zwischen Historismus und Philosophie auf die Seite dieser neigt und der Geltungsbereich historistischer Überzeugung mit jeder zusätzlichen Beglaubigung weiter eingeschränkt wird. Wenn der philosophierende Historiker alle Beglaubigungen seiner These zusammennimmt und dazu übergeht, durch hinlängliche Konkretisierung des philosophiehistorischen Gegenstandes diesen "in seiner logischen Strenge fortzuleiten", mag sich am Ende so betriebener historischer Forschung sogar ergeben, dass nicht nur die Philosophie selbst ein "System in der Entwicklung" ist (Vorlesungen, 25), sondern auch die Geschichte der Philosophie, wenngleich genau genommen nicht ein und dasselbe, sondern nur eines, das sich ins System der Philosophie transformieren lässt. Dass die philosophische Philosophiehistorie es auf dies Ergebnis anlegt, wenn sie Wissenschaft sein will, hält Hegel für den ,,Hauptpunkt". Aber dem philosophiehistorischen Empiriker wird nicht zugemutet, der Behauptung solcher Systematizität seines Gegenstandes von Anfang an zuzustimmen. Es wird auch nicht behauptet, dass damit alles Wichtige über Aufgaben der Philosophiehistorie gesagt sei oder die Aufgaben mit Einsicht in ein System der Philosophiegeschichte allesamt gelöst seien. Wohl aber ist mit jedem Schritt der Annäherung an diese Einsicht die traditionelle Auffassung bloßer Heterogenität der Bestimmungen ,Philosophie' und ,Geschichte' noch in viel bedeutsamerer Weise widerlegt als durch das oben skizzierte Argument. Dieses wird nun durch den Nachweis ersetzt, dass sich Homogenität beider nicht nur am (vorläufigen) Ende der (in die Gegenwart mündenden) Philosophiegeschichte ergibt, sondern - mindestens - an zahlreichen weiteren Punkten, die sich über die gesamte Zeit hinweg erstrecken, in der es Philosophie gegeben hat: an all denen nämlich, in welchen sich die These bewährt. Selbst wenn die Suche nach einem System der Philosophiegeschichte empirisch nicht erfolgreich verlaufen sollte, so findet sich die Homogenität doch überall da, wo sich eine - noch die heutige Philosophie belehrende - Kontinuität
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von einstiger und gegenwärtig-systematischer Einsicht ergibt. So bringt uns die Hegelische Weise, Philosophiegeschichte zu studieren, mit der Überprüfung ihrer These nicht nur zu einem konkretisierten Verständnis unserer Geschichtlichkeit. Sie macht uns auch bewusst, wofUr wir den uns Vorausgegangenen Dank schulden. Die Dankbarkeit bekräftigt eine Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten. In den von Hegel kritisierten philosophiehistorischen Attitüden hingegen wird diese Gemeinschaft verraten.
Literaturverzeichnis Fulda, H. F. (1999), Philosophiehistorie als Selbsterkenntnis der Vernunft. Warum und wie wir Philosophiegeschichte studieren sollten, in: W. Carl/L. Daston (Hrsg.), Wahrheit und Geschichte. Göttingen, 17-38. Hegel, G. W. F., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 6. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil I. Einleitung in die Geschichte der Philosophie. Orientalische Philosophie, hrsg. von P. Garniron/W. Jaeschke, Hamburg 1994. Krijnen, Chr. (2005), Hegels Parallelitätsthese von Logik und Geschichte. Kritische Bemerkungen zur Philosophiegeschichtsphilosophie Windelbands und Spickers, in: R. Schwaetzer/Chr. Schweizer (Rrsg.), Geschichte, Entwicklung, Offenbarung. Gideon Spickers Geschichtsphilosophie, Regensburg, 145-162.
System und Geschichte der Philosophie bei Hegel Die Rezeption der Identitätsthese im 19. Jahrhundert
Helmut Schneider "Nach dieser Idee behaupte ich nun, daß die Aufeinanderfolge der Systeme der Philosophie in der Geschichte dieselbe ist, als die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee. Ich behaupte, daß wenn man die Grundbegriffe der in der Geschichte der Philosophie erschienenen Systeme rein dessen entkleidet, was ihre äußerliche Gestaltung, ihre Anwendung auf das Besondere, und dergleichen betrifft: so erhält man die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe. Umgekehrt, den logischen Fortgang fur sich genommen, so hat man darin nach seinen Hauptmomenten den Fortgang der geschichtlichen Erscheinungen; - aber man muß freilich diese reinen Begriffe in dem zu erkennen wissen, was die geschichtliche Gestalt enthält. Ferner unterscheidet sich allerdings auch nach einer Seite die Folge als Zeitfolge der Geschichte von der Folge in der Ordnung der Begriffe; wo diese Seite liegt - dieß näher zu zeigen, würde uns aber von unserem Zwecke zu weit abfuhren."l Mit diesem Kernstück seiner Theorie der Philosophiegeschichte verankerte Hegel die Geschichte der Philosophie in seinem System als wesentlichen, höchsten Punkt der Entwicklung des absoluten Geistes. Die höchste Selbsterfassung des absoluten Geistes erfolgt in der Philosophie in ihrer Geschichte. Hegels eigenes System der Philosophie schließt sich mit der Geschichte der Philosophie zusammen. Die auf der Basis von Hegels System völlig konsequente und stimmige Identität von System und Geschichte fand nach Hegel heftigen Widerspruch und Kritik und nur wenig Zustimmung. Hier wird die Geschichte der Rezeption dieser Theorie Hegels nachgezeichnet. Die Darstellung beschränkt sich auf das Kernstück der Theorie und lässt die Voraussetzungen und mit ihr verbundenen Aspekte weitgehend außer acht. Es geht also nicht um Hegels Theorie der Philosophiegeschichte in ihrem ganzen Umfang. 2
Hegel SW, Bd. 17,59. Die Auseinandersetzung mit Hegels Sicht der Philosophiegeschichte erfolgte weit verstreut an publizistisch oft entlegenen Orten und blieb daher teilweise auch unbekannt. Es gibt bereits einige Bestandsaufnahmen dieser Rezeptionsgeschichte in verschiedener Ausführlichkeit und eingebettet in verschiedene Fragestellungen und Kontexte, wobei keiner der Berichte Vollständigkeit erreicht hat. Zu 1
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Johann Eduard Erdmann3 Erdmann war überzeugter Anhänger Hegels und wird allgemein den Rechtshegelianern zugerechnet. 4 Sein Hauptarbeitsgebiet war die Philosophiegeschichte. Auch als Philosophiehistoriker war er stark von Hegel beeinflusst. 5 Eine kritische Auseinandersetzung mit Hegels Theorie der Philosophiegeschichte erfolgte erst spät. Im Hinblick auf die von Hegel behauptete gleiche Reihenfolge der logischen Kategorien und historischen Systeme sah Erdmann einen Widerspruch zwischen dem Prinzip und der Darstellung der historischen Entwicklung bei Hegel, den er jedoch nicht als sehr gravierend bewertete: ,,Darnach hätten die Ionier gar nicht, die Pythagoräer nach den Atomikern usw. abgehandelt werden müssen. Dies ist ein Widerspruch, indess betrifft er, so oft er auch von den Gegnern vorgeworfen wurde, doch nur eine Kleinigkeit, sie fällt weg mit jener, ohnedies ganz unbegründeten Behauptung."6 Eine Relativierung der Theorie erfolgte rur Erdmann durch Hegel selbst, der ihre Durchführung in der Philosophiegeschichte bald aufgab.? H. Lübbe deutete den Historismus Erdmanns in dessen Abwendung von Hegel als einen Prozess, der sich von einer apriori auf die Geschichte der Philosophie angewandten Logik im Gefolge der Forderungen Kants frei machte, um die Philosophiegeschichte historisch genauer und weniger spekulativ zu verstehen. 8 Die Befreiung von der Identitätsthese bei Erdmann musste jedoch fiir diesen nicht das Gegenteil bedeuten, als ob es in der Geschichte der Philosophie keine Logik gebe. Erdmann habe durch die Wendung vom System zur Geschichte die Identitätsthese korrigiert, indem er eine Philosophie der Philosophiegeschichte aus dem hermeneutischen Durchgang durch diese entwickelte. Diese Deutung Lübbes verzeichnet jedoch Hegels Position durch die apriorische Position Kants. Hegels Philosophiegeschichte ging nicht apriorisch vor, sondern die angebliche Korrektur der Identitätsthese durch Erdmann entsprach im Kern dem Verfahren Hegels, in dessen Logik die Philosophiegeschichte ausgewertet war. 9 Erdmann definierte den Begriff der Konstruktion anders und abweichend vom üblichen Sprachgebrauch nicht als apriorisches Verfahren, sondern als Begreifen. 10
nennen sind hier die Arbeiten von Ehrhardt 1967; Geldsetzer 1968; Schneider 1968; Düsing 1983; Beelmann 2001; Krijnen 2005. 3 Johann Eduard Erdmann, geb. 1805 in Wolmar (Livland), Studium der Theologie, höfte seit 1826 Hegel in Berlin, Promotion in Kiel 1830, 1834 Habilitation rür Philosophie in Berlin, 1836 a. o. Professor und 1839 Ordinarius rur Philosophie in Halle, gest. 1892 in Halle. 4 Zur Biographie und Bibliographie: Lübbe 1962, 322 f. 5 Vgl. dazu die folgenden Darstellungen: Ehrhardt 1967,67 f.; Geldsetzer 1968,86-90. 6 Erdmann 1853, 846. ? Erdmann 1866,614. 8 Erdmann 1964, VII-X. 9 Vgl. die These und den Nachweis bei Schneider 1968. 10 Erdmann 1834, 48.
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earl Ludwig Michelet11 Grundsätzlich bejahte Michelet Hegels Zusammenordnung der logischen Kategorien und philosophischen Systeme: "Wir haben an Hegel zu zeigen, wie die Geschichte der Philosophie sich selbst ins System erhebt, und seine Philosophie also der Gipfel und Schlußstein des Ganzen ist. Zu diesem Behufe haben wir vornehmlich zwei Punkte herauszuheben: erstens wie Hegel aus der Entwicklungsgeschichte der Philosophie hervorgegangen ist, und, namentlich an das Schellingsche Identitäts-System anknüpfend, seinen höheren Standpunkt errungen hat. Zweitens wollen wir besonders an der Logik nachweisen, inwiefern nun in diesem höhern ihm eigentümlichen Standpunkt die ganze Geschichte der Philosophie sich abspiegelt, und aus dem innern Brennpunkte der dialektischen Thätigkeit alle Principien der Philosophie nicht in der Zufälligkeit historischer Entwickelung, sondern mit der Nothwendigkeit des denkenden Begriffs hervorgehen."12 In der Durchführung ging Michelet jedoch eigene Wege, indem er den von Hegel vorgegebenen Rahmen selbständig weiterentwickelte. In einer darstellenden Analyse von Hegels Logik ordnete er jeder Kategorie mehrere philosophische Systeme zu und umgekehrt konnte ein philosophisches System auch mehreren Kategorien zugehören und diese historisch vertreten. 13 Die Entsprechung von logischer Abfolge und historischen Systemen ist bei grundsätzlicher Anerkennung gelockert oder aufgelöst. Michelet orientierte sich an Hegels Aussage, bei den Kategorien der Logik handle es sich um die metaphysischen Definitionen Gottes. Dabei verwies er mit Hegel auf die geminderte Bedeutung der Antithese. "Die zweite Stufe, als die des entwickelten Gegensatzes, wird weniger fähig sein, metaphysische Definitionen Gottes zu liefern, als die erste und dritte."14 Wenn Michelet einer Kategorie mehrere Systeme zuordnete, löste er die historische Abfolge auch dadurch auf, dass die Systeme auf die ganze Geschichte der Philosophie verteilt sind, also auf Antike und Neuzeit. Dadurch insinuiert er, auch wenn er es nicht ausspricht, dass die Entwicklung der Systeme in der Neuzeit eine Wiederholung der antiken Philosophie auf höherem Niveau darstellt. In diese Richtung weist auch seine Einschätzung der Philosophie des Mittelalters als eine Leerstelle der Entwicklung: "Cartesius und nach ihm Spinoza haben die Substanz zur Hauptkategorie ihrer Systeme gemacht. Im logischen Fortschritt folgt das Cartesianische und Spinozistische
11 Carl Ludwig Michelet, geb. 4.12.1801 in Berlin, Nachfahre ausgewanderter französischer Calvinisten, verwandt mit dem Hegelschüler Heinrich Gustav Hotho. Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie seit Wintersemester 1819 an der Universität Berlin, Promotion 1824 bei Hegel mit einer rechtsphilosophischen Arbeit, 1829 außerordentlicher Professor für Philosophie und Philologie, über flinfzigjährige Tätigkeit auf dieser Stelle, ohne Ordinarius zu werden. Vorsitzender der "Philosophischen Gesellschaft" in Berlin, selbständig denkender Hegelianer, gestorben 1893 in Berlin. Autobiographie: Michelet 1884. Monographie über Leben und Werk: Moser 2003. 12 Michelet 1843,246. 13 Michelet 1838, 715-747. 14 Ebd. 721
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Princip unmittelbar auf die Aristotelische Energie. Denn seit Aristoteles und im ganzen Mittelalter war kein neues Princip in der Philosophie aufgestellt, sondern nur die Verarbeitung der bereits gewonnenen unternommen worden. Selbst Giordano Bruno philosophirt noch hauptsächlich mit den Aristotelischen Kategorien". 15 Eine Auseinandersetzung mit Michelets Versuch einer freieren Gestaltung der Theorie Hegels erfolgte bei A. Kym (siehe dort).
Eduard Zeller l6 Seine erste Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte Hegels erfolgte 1843 im Rahmen eines kritischen Literaturberichts über die Geschichte der alten Philosophie. 17 Er verband eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit für Hegel und Anerkennung seiner Leistung auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie mit einer Kritik an der Identität von logischer und historischer Entwicklung. Im dritten Teil dieser Sammelbesprechung werden die spekulativen Philosophiehistoriker behandelt, an erster Stelle Hegel. Hegel habe die wesentliche Zusammengehörigkeit der Philosophien und die Einheit des geschichtlichen Prozesses der Philosophie richtig erkannt. "Diese unschätzbare und unentbehrliche Grundidee hat nun allerdings Hegel nach Einer Seite hin wieder verdorben."ls Zeller meinte damit die umstrittene Identitätsthese. Die Vermischung des Logischen und Historischen ist nicht zulässig, da beide Gebiete ebenso wie die Formen ihrer Entwicklung verschieden sind. Die Logik ist das Reich der abstrakten Begriffe, die geschichtlichen Systeme der Philosophie dagegen waren auf das ganze Gebiet des Seienden gerichtet. Die Identität von Systemen und Geschichte wäre daher auf das ganze System der Philosophie auszudehnen, also auch auf Natur- und Geistesphilosophie. Den gleichen Einwand haben später Schwegler und Acri wiederholt. Der Entwicklungsgang beider Gebiete ist verschieden. Die Logik hat die Formen der Idee rein für sich und nach ihrem immanenten Verhältnis zu betrachten, die Geschichte der Philosophie dagegen hat es gar nicht unmittelbar mit der Idee als solcher, sondern zunächst nur mit der Ausbildung des menschlichen Geistes für die Idee zu tun. Der Fortgang ist deswegen verschieden. Die systematische Philosophie beginnt mit dem an sich Ersten, steigt von den abstraktesten Begriffen zum Konkreten herab. In der Ge-
Ebd. 739 Eduard Zeller, geb. 1814 in Kleinbottwar bei Marbach, Studium der Theologie in Tübingen, 1840 Privatdozent rür Theologie in Tübingen, 1847 Professor der Theologie in Bem, 1849 in Marburg, 1862 Professor der Philosophie in Heidelberg, 1872-1894 in Berlin. Zeller kam aus dem Kreis um den Theologen Ferdinand Christian Baur in Tübingen, der unter dem Einfluss Hegels stand. Die Bindung an Hegel löste sich im Laufe der Zeit und wurde durch eine Wendung zu Kant ersetzt, wodurch er einer der ersten Vertreter des Neukantianismus wurde (Heidelberger Antrittsrede 1862: Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie). Gest. 1908 in Stuttgart. Über Zellers Philosophiegeschichtsschreibung: Geldsetzer 1968,92-95, 106-108; Ehrhardt 1967,69 f.; Scholz 1979,289-311; Krämer 1994,141-152. 17 Zeller 1910, 1-85. 18 Ebd., 52. 15
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schichte der Philosophie dagegen beginnt das Denken mit den konkreten Verhältnissen, in die es hineingestellt ist, und bemächtigt sich von ihnen aus der Idee: "Wenn daher H. glaubt, diese müsse mit der logischen Entwicklung auf allen Hauptstationen im Wesentlichen zusammenfallen, so ist vielmehr zu sagen, sie kann dieß auf keiner; mögen es auch beide letztlich mit demselben Inhalt zu tun haben, so ist doch dieser Inhalt in beiden unter eine verschiedene Form der Betrachtung gestellt, die eine kann daher weder im Ganzen noch im Einzelnen mit der anderen identisch werden, so wenig, als z. B. der Grundriß eines Hauses mit seinem Aufriß. "19 Hegel hat in der Darstellung sein Prinzip nur sehr unvollständig durchgeführt. Bei den Ioniern und Pythagoräern stimmen logische und historische Reihenfolge nicht überein, und die Reihe der Entsprechungen ist mit Sein-Werden-Fürsichsein (Eleaten-HeraklitAtomistik) bereits beendet. Hegels Verdienste um die Philosophiegeschichte werden jedoch immer wieder hervorgehoben. Das abschließende Urteil Zellers lautet: "Mögen daher auch nichtphilosophische Historiker in ihrem Rechte sein, wenn sie gegen die unmittelbare Übertragung des Logischen in die Geschichte protestieren, so war es doch oberflächlich, wenn man damit das Ganze der H.'schen Darstellung oder gar die Forderung einer organischen und begrifflichen Geschichtsbehandlung überhaupt beseitigt zu haben gemeint hat. Nicht in dieser Forderung selbst liegt der Mangel der H. 'schen Behauptung, sondern nur darin, daß Hegel dieselbe nicht weit genug entwickelt und scharf genug bestimmt hat, und läßt sich auch ein übler Einfluß dieses Mangels in den H.'schen Vorlesungen nicht ganz verkennen, so wird er doch durch die bemerkte Inkonsequenz großentheils neutralisiert. "20 In der nun folgenden Besprechung der speziellen Philosophiegeschichte Hegels bringt Zeller keine wesentlichen Einwände, sondern äußerst sich fast nur zustimmend, von kleineren Berichtigungen abgesehen. Bemerkenswert ist das Urteil des Historikers Zeller über die Objektivität und historische Treue der Darstellung Hegels: "Was hier vor Allem Beachtung verdient, ist der tief eindringende Blick und die große Unbefangenheit, mit welcher der Philosoph die geschichtlichen Erscheinungen betrachtet und durch welche er die meisten der Historiker beschämt, und den landläufigen Vorwurf einer willkürlichen Umdeutung des geschichtlich Gegebenen glänzend widerlegt hat. "21 In dem ein Jahr später erschienenen Hauptwerk Zellers 22 ist die hier dargestellte Auseinandersetzung jedoch nicht enthalten. Zeller legt in der Einleitung nur allgemein seine Grundsätze dar. Er will weder eine Geschichtskonstruktion noch eine bloße Sammlung
Ebd. 54 Ebd. 21 Ebd. 60 f. 22 Zeller 1844a. 19
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von Tatsachen geben, sondern eine Synthese von beidem. Er verteidigt sogar Hegel gegen den Vorwurf, die Annahme einer logischen Notwendigkeit im Gang der Geschichte zerstöre die menschliche Freiheit, indem er auf die göttliche Vorsehung hinweist, die ja auch Notwendigkeit mit sich bringe und trotzdem mit der Freiheit vereinbar sei. (Dieses Argument gebraucht später wieder Fiorentino gegenüber Acri.) Erst in den späteren Auflagen des Werkes hat Zeller seine Auseinandersetzung mit Hegel in die Einleitung eingearbeitet, unter Verwendung der gleichen Argumente. Zellers Grundsansatz zeigte sich als Bemühung um eine Vermittlung von philosophischer Auffassung der Geschichte der Philosophie und historischer Genauigkeit. Damit war Hegel auch einverstanden. Der Ton in der Ablehnung der Identitätsthese wurde jedoch bestimmter und schärfer: ,,Dieser Versuch ist daher im Grundsatz wie in der Ausführung verfehlt, und das Berechtigte an ihm ist nur die Überzeugung von der inneren Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung."23 Zellers Argumentation ist einerseits stereotyp an Hegels berurchteter und vermeintlicher "Konstruktion" der Geschichte apriori, dem Leitvorwurf und Leitvorurteil der gesamten Diskussion, orientiert. Andererseits nähert sich die Kritik an Hegel auch wieder völlig inkonsequent und unausgewogen durch eigenes Nachdenken dem Standpunkt Hegels, der in der gegenseitigen Wechselwirkung zwischen Logik und Geschichte jede Konstruktion hinter sich lässt: "Wir scheinen so in den Kreis zu geraten, daß nur der die Geschichte der Philosophie ganz versteht, der die vollendete Philosophie besitzt, und nur der zur wahren Philosophie kommt, den das Verständnis der Geschichte zu ihr hinfuhrt. Dieser Kreis ist auch nie ganz zu durchbrechen: die Geschichte der Philosophie ist die Probe rur die Wahrheit der Systeme, und ein philosophisches System ist die Bedingung rur das Verständnis der Geschichte; [...]".24 Weitere programmatische Äußerungen sind in der Entgegnung Zellers auf eine Rezension der "Philosophie der Griechen" durch Johann Ulrich Wirth enthalten. 25 Zeller verteidigt sein Werk gegen die Angriffe Wirths. Er verlegt die Bedeutung des Systems für die Geschichtsschreibung vom Objektiven in das Subjektive. Er sieht das Ideal in einer Darstellung, die sowohl auf philosophischer Durchdringung als auch vollständiger historischer Forschung beruht. Er betont die Bedeutung eines Systems für den Philosophiehistoriker, und sieht darin keinen Gegensatz zu der gleichfalls nötigen, rein historischen und analytischen Behandlung der Geschichte. Das System ist eine subjektive Bedingung fiir den Historiker, da er sonst die philosophischen Systeme nicht verstehen würde. Er muss selbst Philosoph sein. Das Einzelne in der Geschichtsauffassung dagegen ist nicht mehr Sache des Systems, sondern der historischen Forschung. Über seine Stellung zu Hegel sagt Zeller, dass er wohl eine Vorliebe fur das System Hegels habe, aber nicht sklavisch davon abhängig sei, was sich in seiner Kritik der Philosophiegeschichte Hegels gezeigt habe. In seiner eigenen Philosophiegeschichte sei er oft von
23 Zeller 1963, 13. 24 Ebd. 20. 25 Zeller 1844b, 818-830 (Nachdruck Lenze, Bd. I, 86-99).
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Hegel abgewichen. In einem späten Aufsatz über die Prinzipien der Geschichte der Philosophie werden nur noch die früheren Standpunkte und Argumente wiederholt.26
Marcus Jakob Monrad27 Eine Antwort auf Zellers Kritik an Hegels Philosophiegeschichte (im ersten Aufsatz) gab 1860 der norwegische Philosoph M. J. Monrad in seiner Schrift "De vi logicae rationis in describenda philosophiae historia. Ad Eduardum Zellerum epistola quam scripsit Marcus Jacobus Monrad." (Christiania 1860, 34 Seiten). Eine deutsche Zusammenfassung fmdet sich in der Zeitschrift "Der Gedanke".28 Monrad betont gegenüber Zellers Herausstellung der psychologischen, natürlichen und zufälligen Faktoren für die Entwicklung in der Geschichte der Philosophie die ewige Notwendigkeit der logischen Entwicklung, ohne die von Zeller betonten Faktoren übersehen zu wollen. Monrad machte also gegen Zeller wieder stärker die Sicht Hegels geltend, der auch hinter der naturbedingten Seite der Entwicklung den Geist der Logik am Werk sah. Das Verhältnis von System und Geschichte wird nicht direkt berührt, aber doch in seiner allgemeineren Struktur, dem Verhältnis der realen und idealen Reihe. Diese schon einmal von Erdmann beiläufig erwähnten Kategorien greifen auf Schelling und letztlich auf Spinoza zurück. Schelling fasste die Einheit beider Reihen als Indifferenz im Gegensatz zu Hegel. ,,Die reale und die ideale Reihe sind also nicht gleich giltig, wie die intellectuelle Anschauung will; sondern der Gedanke ist der Maasstab seiner selbst und der Sache, wie die Wahrheit der Maasstab ihrer selbst und des Irrtums."29 Das ist der Standpunkt Spinozas, den Rosenkranz für den Jenaer Hegel in Anspruch nahm bei der Erörterung der Habilitationsthesen Hegels: verum est index sui et falsi. 30 Der unbekannte Autor des Berichts schließt sich jedoch am Schluss mehr Zeller als Monrad und Hegel an, indem er die natürlichen und logischen Faktoren in der Geschichte der Philosophie für gleichberechtigt erklärt.
Albert Schweglef l Die Auseinandersetzung Schweglers mit Hegel findet sich in der Einleitung seiner "Geschichte der Philosophie im Umriß".32 Schwegler lehnt eine Vollendung der Philosophie im Gegensatz zu Hegel völlig ab; denn da die Philosophie die Totalität des Empirischen in der Form eines gegliederten, gedankenmäßigen Systems betrachtet, steht sie mit den
26 Zeller 1888, 1-10 (Nachdruck Leuze, 1,410-418). 27 Marcus Jakob Monrad, geboren 1816 in Nöterö (Norwegen), seit 1851 Professor der Philosophie in Christiania (Norwegen), vertrat als Anhänger Hegels einen mystischen Theismus. 28 "Der Gedanke" 1862, 46-51. 29 Ebd. 50 30 Rosenkranz 1969, 157. 31 Albert Schwegler, geboren 1819 in Michelbach an der Bilz (Württemberg), Studium der Theologie in Tübingen, als Schüler von Ferdinand Christian Baur von Hegel beeinflusst. 1843 Habilitation für Philosophie und klassische Philologie, Mitbegründer und Herausgeber der "Jahrbücher der Gegenwart". 1848 Professor rür Römische Literatur in Tübingen. Gestorben 1857. Monographie: Matzerath 1993. 32 Schwegler 1847.
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empirischen Wissenschaften in Wechselwirkung und ist unter anderem auch durch diese bedingt. Da es aber keine vollendete Empirie gibt, kann es auch keine vollendete Philosophie geben. Die Philosophie existiert nur in der Form verschiedener aufeinander folgender Zeitphilosophien. Schwegler geht einig mit Hegel, wenn er diese einzelnen Zeitphilosophien als philosophischen Ausdruck des Gesamtlebens ihrer Zeit betrachtet, einen geistigen und intellektuellen Zusammenhang und Fortschritt in der Entwicklung dieser Zeitphilosophien annimmt, sie sogar eine organische Bewegung und ein vernünftiges, innerlich gegliedertes System nennt, das er darauf zurückführt, dass der Trieb des Geistes sein Sein immer mehr zum bewussten Sein erheben will. Schwegler übernimmt aber Hegels Anschauungen nicht kritiklos, sondern nur im Prinzip. In der Hauptsache sind es vier Argumente gegen Hegel. Schweglers Auseinandersetzung mit Hegels Identitätsthese orientierte sich wesentlich an der seines befreundeten Tübinger Kollegen E. Zeller, der seine erste Kritik an Hegel in den von Schwegler herausgegebenen "Jahrbüchern der Gegenwart" (1843) vorgetragen hatte: a) Die Behauptung Hegels, dass die Aufeinanderfolge der Systeme in der Geschichte dieselbe sei wie die Folge der Kategorien in der Logik, ist eine Überspannung, welche die Freiheit des menschlichen HandeIns und den Begriff des Zufalls aufzuheben droht. Nach Schwegler ist die Geschichte jedoch ein Ineinander von Freiheit und Notwendigkeit, das zwar im großen und ganzen eine vernünftigen Zusammenhang darstellt, aber im einzelnen ein Spiel unendlicher Zufalligkeiten darstellt. Es handelt sich in der Geschichte ja um freie Individuen, die zwar durch Zeit und Umwelt bestimmt sind, aber nie bis zur Auslöschung ihrer Freiheit. 33 Es darf also in der Geschichte der Philosophie keine apriorische Konstruktion des Historischen geben, sondern die spekulative Idee hebt nur nachträglich aus dem historischen Material den vernünftigen Zusammenhang heraus. 34 b) Schwegler richtet sich gegen Hegels Behauptung, dass bei der Entfaltung der logischen Idee genauso wie in der Geschichte der Philosophie ein Fortgang vom Abstrakten zum Konkreten erfolgt, so dass in der Geschichte der Philosophie die frühesten Systeme die abstraktesten und damit zugleich die ärmsten sind. Nach Schwegler ist es jedoch umgekehrt: Die historische Entwicklung ist eine Entwicklung vom Konkreten zum Abstrakten, vom Anschauen zum Denken. Das System der Philosophie verfahre synthetisch, die Geschichte der Philosophie aber analytisch. So habe z.B. die ionische Philosophie mit materiellen konkreten Dingen zu philosophieren begonnen.
33 Ebd. 13: "Allein diese Ansicht ist weder in ihrem Prinzip zu rechtfertigen noch historisch durchzuführen. In ihrem Prinzip ist sie verfehlt, da die Geschichte ein Ineinander von Freiheit und Notwendigkeit ist, also zwar im ganzen und großen einen vernünftigen Zusammenhang, aber im einzelnen ein Spiel unendlicher Zufälligkeiten darstellt, [...]. In der Geschichte sind es aber zudem Individuen, welche die Initiative haben, freie Subjektivitäten, also ein schlechthin Incommensurables." 34 Ebd. 14: "Es wird also auch in der Geschichte der Philosophie nirgends von einer apriorischen Konstruktion des Historischen die Rede sein dürfen, [...]; nur für die Anordnung und wissenschaftliche Verknüpfung dieses historisch Überlieferten wird die spekulative Idee das Regulativ abgeben dürfen." Der Rückgriff auf Kants "regulative Idee" ist nicht in der strengen Bedeutung wie bei Kant zu verstehen, sondern als Gegensatz zwischen einem allgemeinen Rahmen und einer mechanischen Verwirklichung.
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c) Man kann eine Philosophie nicht auf ein zentrales Prinzip zurückfuhren, weil die meisten Philosophien die Idee nicht als abstrakten Begriff, sondern in ihrer Verwirklichung als Natur und Geist zum Gegenstand haben. 35 Selbst wenn man jedoch jeder Philosophie ein zentrales Prinzip aufzwängt, stimmt die logische Aufeinanderfolge dieser Kategorien nicht mit der chronologischen überein. 36 d) Trotz aller dieser Einwände kommt Schwegler am Schluss seiner Überlegungen doch dazu, das Programm Hegels in modifIZierter und eingeschränkter Form anzuerkennen. Man sollte den Gedankenfortschritt im Großen sehen, ohne ihn streng an eine logische Gesetzmäßigkeit zu binden oder in allen Details finden zu wollen. 37 Der Verweis auf die Zukunft, in der sich das Werk der Vernunft erst völlig offenbart, hätte genauso wie die Einschränkung auf die großen Entwicklungslinien ganz Hegels Intention entsprochen, auch wenn Schwegler glaubte, damit Hegel zu korrigieren. Hegel sah zwar in seiner eigenen Philosophie die letzte und höchste Stufe der Philosophie; aber er hat nie bestritten, dass nach ihm sich andere Philosophien entwickeln werden.
Andreas Ludwig Kym38 Eine kritische Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte Hegels stammt von A. L. Kym, der seine Habilitationsschrift darüber verfasste. 39 Es handelt sich um eine ausgesprochen kritische Abhandlung. Es soll nicht nur oder primär als Selbstzweck das Verhältnis von System und Geschichte bei Hegel kritisch geprüft werden, sondern zugleich damit und primär der Wert der dialektischen Methode, die bereits Trendelenburg geprüft und widerlegt hat und zu deren Rechtfertigung und Bestätigung Hegel und einige Anhänger Hegels auf ihre Bewährung in der Geschichte der Philosophie hinge-
35 Ebd. 15: "Hegel hätte also die Vergleichung des geschichtlichen und des systematischen Entwick1ungsgangs nicht auf die Logik beschränken, sondern auf das ganze System der philosophischen Wissenschaft ausdehnen müssen." 36 Ebd.: "In der That hat auch Hegel eine vollständige Durchflihrung seines Grundgedankens gar nicht versucht, und ihn schon auf der Schwelle der griechischen Philosophie wieder aufgegeben. Sein, Werden, Fürsichsein, die Eleaten, Heraklit, die Atomistik - so weit geht, wie gesagt, Parallelismus, weiter nicht." 37 Ebd. 16: Man wird sich damit begnügen müssen, "wenn auf den Hauptstationen der Geschichte der vernünftige Gedankenfortschritt zutage kommt, wenn der philosophische Historiker, eine Entwicklungsreihe überblickend, wirklich eine philosophische Errungenschaft, die Errungenschaft einer neuen Idee in ihr findet; aber man wird sich hüten müssen, das Postulat einer immanenten Gesetzmäßigkeit und gedankenmässigen Gliederung auch auf Übergangs- und Vermittlungsstufen, auf das Detail anzuwenden. [...]; als das Reich der Freiheit wird die Geschichte erst am Ende der Zeiten als Werk der Vernunft sich völlig offenbaren." 38 Andreas Ludwig Kym, geboren 1822 in Berlingen, Professor der Philosophie in Zürich, Schüler von Trendelenburg, mit organisch-teleologischer Grundauffassung. Kym will Pantheismus und Theismus vermitteln in einem theistischen Monismus und fasst seine Weltanschauung in den Worten zusammen: Spinozas Substanz vertieft und beherrscht durch Platos Ideen. Gestorben 1899. Vgl. zu Kym auch passim: Köhnke 1993. 39 Kym 1849.
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wiesen hatten. 4o Die Arbeit versteht sich daher als eine Fortsetzung der Widerlegung von Hegels Dialektik durch Trendelenburg, nun auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie, das als Feld der Bewährung angegeben wurde, und das Trendelenburg selbst nicht ausführlich behandelt hat. Durch diese Zielsetzung sind daher auch Anlage und Aufbau der Abhandlung bestimmt. Kym geht von der Logik aus (große Logik und Logik der "Enzyklopädie") und nimmt eine Kategorie nach der anderen vor. Zuerst stellt er kurz die jeweilige Kategorie dar und prüft dann, ob die von Hegel angegebenen historischen Systeme den Kategorien wirklich entsprechen und ob die Übergänge möglich sind. 1. Sein - Nichts - Werden entsprechen nach Hegel den Eleaten, dem Buddhismus und Heraklit. Kym bringt folgende Einwände dagegen: a) Da nach Hegel das reine leere Sein völlig voraussetzungslos und der Anfang der Wissenschaft ist, müsste auch das reine leere Sein des Parmenides der Anfang in der Geschichte der Philosophie und völlig voraussetzungslos sein. Beides ist jedoch nicht der Fall. Das reine leere Sein der Logik ist bereits eine Abstraktion vom konkreten Universum, das Sein des Parmenides der Gegensatz zum ionischen Hylozoismus und zu den Pythagoräern und deren Vollendung. b) Der Seinsbegriff des Parmenides ist vom Seinsbegriff Hegels verschieden. Das Sein des Parmenides ist nicht leer und frei von aller Bestimmung wie das Sein Hegels, sondern es ist die Fülle aller Bestimmungen wie die Idee, die bei Hegel am Ende der logischen Entwicklung steht. Dadurch ist natürlich die Identität von System und Geschichte auf den Kopf gestellt. c) Das Werden des Heraklit aus dem Sein der Eleaten und dem Nichts des Buddhismus ist unmöglich. Die Gründe dafür sind: Sein und Nichts sind ruhende Abstraktionen, ihr Unterschied ist unsagbar. Genauso muss es bei den konkreten historischen Gegenbildern sein. Zwei ruhende Faktoren, völlig leer, ohne Unterschied können aber nie Werden und Bewegung hervorbringen. Das Nichts des Buddhismus ist vom Nichts Hegels genau so verschieden wie das Sein des Parmenides vom Sein Hegels. Das Nichts im Buddhismus ist Quelle und Prinzip aller Dinge und voll von positiven Eigenschaften. Kym beruft sich hierbei auf das Buch von Bohlen: "De Buddhaismi origine et aetate defmiendis tentamen." (1827). Heraklit hätte sein Werden aus dem nach Hegel toten leeren Sein der Eleaten nicht ableiten können, wenn nicht der ionische Hylozoismus vorausgegangen wäre. Das Werden Heraklits ist jedoch tatsächlich ein historischer Gegensatz zum Sein der Eleaten. 2. Dasein und Fürsichsein. Das Dasein hat keinen Vertreter in der Geschichte. Es entsteht hier also eine Lücke. Das Fürsichsein wird bei Hegel von den Atomikern Leukipp und Demokrit vertreten, in der Repulsion und Attraktion. Kym macht folgende Einwände: a) Die dialektische Ableitung der Atomistik vom Werden Heraklits ist nicht möglich, Logik und Geschichte widersprechen sich. In der Logik ist die Reihenfolge Werden Dasein - Fürsichsein. In der Geschichte sind aber die Atome bei Leukipp und Demokrit keineswegs Resultate des Werdens, sondern Bedingungen für die statt des Werdens angenommene Mischung und Sonderung der Materie.
40 Ebd. 6: Es werden keine Namen genannt. Ein Beispiel wäre Michelet 1838, 715: "Das System der Wissenschaft und die Geschichte als die Probe desselben".
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b) Zudem ist das Werden der Atomiker, das sich in Mischung und Sonderung vollzieht, in sich unmöglich, und damit auch die Übertragung der Kategorien von Repulsion und Attraktion auf die Atomiker. Denn die Atome der Atomiker wurden von diesen als ana9il aufgefasst, d. h. als frei von jeder Einwirkung. Daher ist auch keine Repulsion oder Attraktion unter den Atomen möglich. Sie gehören auch überhaupt nicht in die Kategorie des FÜfsichseins, da sie unterschiedslos gegeneinander sind und ihnen dadurch das Moment fehlt, das sie zum Fürsichsein konstituieren könnte. Hegel fasst die Atome der Atomiker ideell auf, als ganz dem Gedanken zugehörig. Das ist jedoch falsch, die Atomiker haben ihre Atome durchaus physikalisch und materiell aufgefasst. 3. Quantität. Es ist sehr schwer, diese Kategorie geschichtlich unterzubringen. Denn die in Frage kommenden Prinzipien der Zahl und der Atome sind schon an die Pythagoräer und Atomiker vergeben. 4. Das Maß. Wo das Maß geschichtlich auftritt, ist es immer mit dem Zweck identisch (Plato). Hegel hat daher hier selbst sein System zerrissen und eine Kategorie antizipiert, die erst in der Sphäre des objektiven Begriffs erscheint. Als geschichtlichen Vertreter des Maßes nennt Hegel Anaxagoras mit seiner Nous-Spekulation. Damit ist ebenfalls der Begriff des Zwecks gegeben und das System zerrissen. 5. Das Wesen. Hegel setzt eine Unterkategorie des Wesens, den Schein, mit dem Skeptizismus gleich, und diesen mit dem Idealismus. Kym gibt folgende Kritik: a) Wenn der Skeptizismus dem Schein entspricht, welches System entspricht dann dem Wesen, ohne das der Schein nicht besteht? Wenn Hegel den Skeptizismus und damit indirekt den Schein als Übergang vom Sein ins Wesen bezeichnet, als letzten Rest des Seins, so ist das ein Widerspruch zur Einordnung des Scheins in den Bereich des Wesens. Der Skeptizismus setzt aber immer das Wesen voraus und kann daher nicht den Übergang vom Sein zum Wesen bilden. Die Kategorie des Wesens kann weder mit den Atomikem noch dem Anaxagoras in Verbindung gebracht werden. Es ist unstatthaft, den neueren Idealismus mit dem Skeptizismus gleichzusetzen, da im Idealismus nicht wie im Skeptizismus die Erkenntnismöglichkeit überhaupt aufgehoben wurde. b) Außer dem Schein bleiben die übrigen Kategorien bis zur Wirklichkeit ohne geschichtliche Entsprechung. Die Wirklichkeit entspricht der Substanz Spinozas. Das wird sogar von Kym als die adäquateste Übereinstimmung bisher zugegeben. 41 6. Um so größer werden wieder die Schwierigkeiten im Begriff. Kant und Fichte sind nach Hegel die historischen Vertreter der Subjektivität, des subjektiven Begriffs. Inwiefern, ist nicht einzusehen. Im objektiven Begriff sind Mechanismus und Chemismus wieder ohne Repräsentation. Die Teleologie läuft mit Plato parallel, die Idee mit Aristoteles. Damit sind jedoch alle Kategorien schon erschöpft und es stellt sich die Frage, wie die Philosophien seit Aristoteles zu deuten sind. Beginnt nach Aristoteles wieder die Entwicklung der Idee von neuem?42 Wenn man die Spätantike und mittelalterliche Philosophie nur als Weiterflihrung und Bearbeitung der bis Aristoteles
41 Ebd. 21. 42 Ebd. 23: So "ist die Frage, welche sich uns zunächst aufdrängt, die, weshalb die Idee, welche in ihrer geschichtlichen Auseinanderlegung in Aristoteles ihr letztes Stadium erreicht hat aufs Neue sich entlassen und zwei Jahrtausende im unfruchtbaren und dürren Außereinander der nacharistotelischen und scholastischen Philosophie zubringen und mit Cartesius sich wieder sammelnd, in Hegel wiederum sich vollenden, ihr wahres An- und Fürsichsein erreichen soll!"
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aufgetretenen Systeme betrachtet, beginnt die Entwicklung wieder bei Cartesius. Sein Prinzip, das Ich, fiele in den subjektiven Begriff. Der Vollender des Cartesianismus soll aber Spinoza sein. Da aber Spinoza bereits rur die Substanz in Anspruch genommen wurde, also vor dem subjektiven Begriff, entsteht hier wieder ein Widerspruch zwischen logischer und geschichtlicher Abfolge. Die Monade von Leibniz wird von Hegel als Reflexion in sich im Wesen untergebracht, gehört aber mit mehr Recht in die Teleologie. In Schelling mit seiner Einheit des Subjektiven und Objektiven tritt die Idee wieder hervor. Es fehlt jedoch noch die Notwendigkeit des Fortgangs, die erst Hegel mit seiner absoluten Methode brachte. 7. Nach dieser kritischen Prüfung erhebt sich nun die Frage nach der Leistung der dialektischen Methode und damit nach ihrem Wert. Es hat sich ein dreifacher Mangel gezeigt: a) Nicht alle historischen Systeme konnten in einer Kategorie untergebracht werden, z. B. nicht die Philosophie vor Parmenides, die von Aristoteles bis Raimundus de Sabunde, Baco, Böhme, Bruno, Locke, Newton. b) Nicht alle Kategorien wurden zu Systemen in Beziehung gesetzt. c) Logische Ableitung und geschichtliche Entwicklung sind oft entgegengesetzt, so dass Kym zu dem Ergebnis kommt: ,,Aus dem Vorgeruhrten erhellt daher, daß die Leistung der Absicht nicht im mindesten entspricht und statt einer Bestätigung der absoluten Methode vielmehr deren entschiedenste Widerlegung ist. Hegels Ansicht ,daß nämlich die Systeme kein Produkt des Zufalls sondern vernünftiger Notwendigkeit seien', ist gewiss eine tiefe und bleibende; allein die Ausführung und der Nachweis, von welchen sie sollte getragen sein, sind aller wissenschaftlichen Notwendigkeit bar, die Übergänge der Systeme ineinander sind ebenso erkünstelt, wie die Übergänge der logischen Kategorien unter sich (Vergleiche Trendelenburgs Log. Unters. I. 23-91) und haben in ihrer Anwendung auf die von uns betrachtete concrete Sphäre mehr verwirrt als gelöst. "43 Zum Schluss gibt Kym noch einen Überblick über den Versuch Michelets, zwischen Logik und Geschichte größere Harmonie herzustellen. Dieser Versuch ist nach Meinung Kyms gescheitert.
Francesco Acri44 Die erste italienische Auseinandersetzung mit Hegels Philosophiegeschichte erfolgte in einer kleinen Schrift von F. Acri. 45 Er wiederholte weitgehend die bereits in der deutschen Diskussion vorgebrachten Einwände vor allem gegen die Identitätsthese. Als eine seiner Quellen nennt er Schwegler. Die Systeme in der Geschichte der Philosophie müssten Ebd. 25. Francesco Acri, geboren in Catanzaro 1834, beeinflusst von Rosmini und Gioberti, Fornari und A. Trendelenburg. Seit 1871 Professor rur Geschichte der Philosophie an der Universität Bologna; er vertrat einen christlichen Platonismus und bekämpfte den Hegelianismus der Schule von Neapel (Spaventa). Gestorben 1913 in Bologna. 45 Acri 1872. 43
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nicht nur den Kategorien der Logik, sondern auch der Natur- und Geistesphilosophie Hegels entsprechen. Die Ordnung der Kategorien entspricht zudem nicht der historischen Abfolge, da entweder Kategorien oder Systeme fehlen. Die Zurückfuhrung der Systeme auf eine Kategorie ist teilweise willkürlich. So könnte man z. B. die Eleaten nicht nur auf das Sein, sondern auch auf das Eine oder das Ganze oder die Alleinheit zurückfuhren. Dazu kommt dann noch die Schwierigkeit, dass trotz gleicher Bezeichnung die Bedeutung der Kategorien in Hegels Logik und in den historischen Systemen sehr verschieden ist. So entspricht Hegels Begriff des Seins nicht dem der Eleaten, Hegels Begriff des Werdens nicht dem des Heraklit. Acri hat die in der deutschen Diskussion vorgebrachten Einwände systematisiert und nochmals vertieft.
Francesco Fiorentino46 Die Kritik von Acri fand eine Erwiderung durch F. Fiorentino. 47 Er verwies auf Zeller und Kym als Hintergrund der Kritik Acris. Im Gegensatz zu der fast nur hegelkritischen deutschen Diskussion verteidigte Fiorentino die Identitätsthese erstmals durch eine genauere Lektüre Hegels und einige wohlwollende und kluge Überlegungen. Entgegen der immer behaupteten punktuellen und vollständigen Übereinstimmung von logischer und historischer Entwicklung sagt Hegel ganz klar, dass sich logische und historische Ordnung auch manchmal unterscheiden und die Entsprechung nur "im Ganzen" dieselbe ist. Auch die von Zeller betonte Unterscheidung von logischem Gerippe und zeitbedingten Faktoren, u.a. auch die psychologischen Faktoren der Philosophen, findet sich bei Hegel selbst, wenn er fordert, dass man die Systeme in der Geschichte der Philosophie von allem Äußeren und der Anwendung auf das Besondere reinigen müsse, um den logischen Gehalt zu bekommen. Wenn Hegel nicht mit den Eleaten, sondern mit den Ioniern die Geschichte der Philosophie beginnt und wenn Hegel die punktuelle Entsprechung gesucht hätte, hätte er die Ionier ausgelassen und sofort mit den Eleaten angefangen. Er hat für die Ionier keine Kategorie gesucht. Für ihn ist das Wasser das Thales eine unmittelbare Qualität, die wie der spekulative Anfang vorgestellt ist, und als solcher ist er eingeschlossen in der Kategorie des Seins, von jener ersten Unmittelbarkeit, die sich dem Geist in einer noch ärmeren und abstrakteren Form darbietet als es das Sein für uns ist. Diese Sucht, für jedes System eine Kategorie zu fordern, hat sogar dazu geführt, für die Kategorien der Naturund Geistesphilosophie ein historisches System als Entsprechung zu fordern. Das ist unnötig, da es sich in der Natur- und Geistesphilosophie ja um die gleichen Kategorien wie in der Logik handelt, nur in der Anwendung. Auf den Einwand, dass man dann den Philosophen die Freiheit zum Irrtum absprechen müsste, antwortet er mit einem Hinweis auf die göttliche Vorsehung, bei der doch auch Freiheit und Notwendigkeit verbunden sind und die auch die Philosophien lenkt. Der Geist macht nach Hegels Lehre
46 Francesco Fiorentino, geboren in Sambiase (Catanzaro) 1834, war Professor der Philosophie in Bologna, Neapel, Pisa. Anfangs war Fiorentino von Galluppi und Cousin beeinflusst, worauf er sich aber bald Gioberti zuwandte und dann Spaventa. Durch Spaventa fand er zum Studium von Bruno, Kant und Hegel. Aber auch Hegel und seine italienischen Weiterentwicklungen befriedigten ihn nicht. Er gelangte zuletzt zu einem Neukantianismus von der Art Kuno Fischers. Er starb 1894 in Neapel. 47 Fiorentino 1872, 161-172.
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oft Umwege. Den Einwand, dass man dann den neueren Philosophen mehr Geist zuschreiben müsste als den antiken, beantwortet er mit dem Argument, dass das Mehr an Geist nicht das Verdienst des einzelnen Philosophen ist, sondern das Verdienst der Tradition, die der später geborene Philosoph besitzt. Ein Beispiel kann das verdeutlichen: Ein Schüler beherrscht heute mehr Mathematik und Physik als Archirnedes und Galilei, und trotzdem waren Archimedes und Galilei die größeren Geister. Was nun ist von dauerndem Wert in der Konzeption der Geschichte der Philosophie? Vor allem sind es die Gedanken von der Vernünftigkeit der Entwicklung und der inneren Verbundenheit aller Systeme, die einen lebenden Organismus darstellen, keine tote Galerie von Bildern. Selbst wenn Hegel in der Durchfiihrung einige Irrtümer unterlaufen sind, bleibt die Grundkonzeption wertvoll und sollte festgehalten werden.
Überblick und Ergebnis der Rezeption im 19. Jahrhundert Der Personenlcreis, der sich mit diesem Problem befasste, bestand naturgemäß primär aus Philosophiehistorikern. Erdmann und Michelet waren noch Studenten Hegels. Ein anderer Schwerpunkt der Diskussion bildete sich im Schülerkreis des Theologen Ferdinand Christian Baur in Tübingen mit den Theologen und Altphilologen Zeller und Schwegler, die sich besonders um die Geschichte der antiken Philosophie bemühten. Bei Kym steht im Hintergrund der entschiedene Hegelgegner Trendelenburg. Die ausländischen Teilnehmer reflektierten die deutsche Diskussion kritisch. Deutlich zeigt sich eine zunehmende Rückwendung zu Kant in einem beginnenden Neukantianismus, an dem unsere Autoren auch teilweise beteiligt waren. Er bot kein Umfeld und kein Klima mehr zur Aufnahme streng hegelischer Theorien. Inhaltlich fiihrte die Diskussion der Tendenz nach zu dem Ergebnis, dass man gegen einen philologischen Positivismus und Historismus zwar die Einheit der Philosophiegeschichte und deren philosophische Darstellung beibehalten wollte, aber zugleich das Programm Hegels fiir überzogen und in der Durchführung fiir gescheitert hielt. Die Rettungsversuche durch Modifizierung konnten nicht überzeugen. Insgesamt blieb die Diskussion auf einem ungenügenden Niveau der Hegelinterpretation, die in teilweise isolierten Ansätzen und ohne tieferes Verständnis immer wieder die gleichen Argumente gegen Hegel vorbrachte.
Ausblick auf das 20. Jahrhundert Im 20. Jahrhundert wurde die Diskussion des 19. Jahrhunderts weitgehend wiederholt. Man billigte Hegels Programm zu, dass es einen berechtigten Kern enthält und ein echtes Problem damit gelöst werden soll, aber die Durchfiihrung im historischen Bereich ungenügend blieb und der Anspruch der Theorie nicht eingelöst werden konnte. Dennoch erbrachte die Diskussion dieses weiteren Jahrhunderts ein vertieftes Verständnis der Position Hegels und auch neue Versuche einer Modifizierung seines Programms. Eine Bibliographie der einschlägigen Schriften im 20. Jahrhundert bezeugt die Aktualität des Problems bis in die Gegenwart (siehe unten).
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Hegels philosophische Historiographie
Sander Griffioen
I. Einleitung Die philosophische Historiographie ist fiir Hegel die einzig adäquate Form der Geschichtsschreibung der Philosophie. Die Einleitung in die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie lassen einen darüber nicht im Ungewissen. Diese These wird sich unter Philosophen breiter Zustimmung erfreuen können - jedenfalls wenn man die Stellung berücksichtigt, welche die Geschichte der Philosophie im Curriculum des Studiums der Philosophie hat: die Geschichte ist standardmäßig ein integraler Bestandteil dieses Studiums. Die Philosophie unterscheidet sich diesbezüglich von den Fachwissenschaften. Ausnahmen gibt es in der analytischen Philosophie bei dem, was heute ,formale Logik' heißt. Vor allem in der spezialistischen Betätigung fungiert die Geschichte normalerweise als eine Einleitung in das eigentliche Thema; ihr Existenzrecht behält sie unter diesen Voraussetzungen nur als history ofideas: ein Fach ohne Stringenz und Konsequenzen. 1 Im allgemeinen ist diese unhistorische Form, Philosophie zu betreiben, nicht gängig. In der Regel beschäftigen sich die überwiegende Mehrzahl der in philosophischen Instituten wissenschaftlich Beschäftigten mit historischen Themen bzw. untersuchen Probleme der Gegenwart in historischer Weise. Vor diesem Hintergrund darf es überraschen, dass nur wenige Monographien die Bedeutung, den Ort, die Methode (usw.) der philosophischen Historiographie eigens zum Thema machen. Wenn es stimmt, dass die meisten philosophischen Veröffentlichungen einen historischen Einschlag haben, wie ist es dann möglich, dass fundamentale Arbeiten über diese Historiographie so selten sind, dass man Arbeiten über eine so offensichtliche Frage, warum man sich in philosophicis viel öfter mit der Geschichte auseinandersetzt als in den Fachwissenschaften, mit der Lupe suchen muss? Hegel nun ist derjenige Philosoph, der darüber ausfuhrlich Auskunft gegeben hat. In seiner Einleitung in die ,Geschichte der Philosophie' legt Hegel seine Konzeption dar, während die eigentlichen Vorlesungen diese Konzeption ausfuhren. Laut einer Berechnung von Klaus Düsing hat Hegel sieben Vorlesungszyklen diesem Thema gewidmet, wobei die letzte durch Hegels Tot abgebrochen wurde. 2
etwa Scruton 2004, 14 f. Düsing 1983, 20.
1 Vgl. 2
Hegels philosophische Historiographie
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Das Beeindruckende an Hegels Konzeption ist der strenge Zusammenhang zwischen den Epochen und den darin vorkommenden Philosophien. Uns wird ein großes Panorama einer Entwicklung gezeigt, die sich mit innerer Notwendigkeit von Thales bis Schelling entfaltet, während konventionelle Darstellungen sich gewöhnlich mit der Präsentation eines Kaleidoskops wechselnder Ansichten ohne inneren Zusammenhang zufrieden geben. Man muss feststellen: die Einleitung nimmt nach wie vor eine einsame Spitzenstellung ein - obwohl der Text bloß eine Einleitung bezweckt! Einsam, da es so gut wie keine Versuche gibt, die es Hegel in diesem Punkt gleichtun können. Rührt dies daher, dass man Hegel schlicht gefolgt ist - Hegel locuta, causa finita? Mitnichten! Es lässt sich nicht einmal sagen, dass Hegel Schule gemacht hat. Seine Geschichte der Philosophie wie eindrucksvoll und wichtig als Schlussstück seines Systems sie auch sein mag - ist ohne breiten historischen Einfluss geblieben. 3 Was der intrinsischen Bedeutung der Hegelischen Konzeption freilich keinen Abbruch tut. Denn es bleibt dabei, dass Hegel die Bedeutung der Geschichte rur die Philosophie schlechterdings glänzend systematisch verantwortet hat. Das Fehlende liegt weniger auf der Seite Hegels als vielmehr auf der Seite der akademischen Philosophie, die einer fundamentalen Auseinandersetzung mit diesem Thema ausweicht. Gleichwohl ist anzuerkennen, dass Hegel es einem realiter nicht leicht macht: Was ist von Aussagen zu halten wie die, dass Philosophie nicht mit "Vergangenem zu tun habe" (Vorl. 6, 156, 231, 292; Eini., 71), und dass ihre Historie "zugleich keine Historie ist"?4 Dasselbe gilt fiir Hegels Vergleich der Vergangenheit mit ,Nacht' und ,Tot' (Vorl. 6, 206; Eini., 181, vgl. 187: caput mortuum). War dies kein Wasser auf die Mühlen der Kritiker, denen zufolge Hegel durchgängig die Geschichte dem System opferte? Rudolf Haym war ein solcher Kritiker. Hayms Werk Hegel und seine Zeit (1857) traktiert ständig das Thema "System versus Geschichte", - eine Entgegensetzung, die auch im späteren Neukantianismus populär werden sollte. 5 Im folgenden gehe ich zwei Fragen nach: Was bringt Hegel zu der Behauptung, dass die Geschichte der Philosophie zugleich keine Geschichte ist? Inwiefern wirkt sich dies in Hegels Geschichtsschreibung der modemen Philosophie aus? In einer Schlussbetrachtung soll die vermeintliche Kluft zwischen Geschichte und System einer evaluierenden Betrachtung unterworfen werden.
2. Geschichte und zugleich keine Geschichte Die Thematisierung eines Themas ist erst dann philosophisch, wenn von der Sache selbst her argumentiert wird; wenn die Behandlung des Stoffs also dessen interner Ent-
3 Notabene: Dies ist die Lage hinsichtlich der philosophischen Historiographie im strikten Sinne. im weiteren Sinne gibt es durchaus eine Fortwirkung - etwa dort, wo Karl Marx seine Auffassung der logischen Methode darlegt. Die logische Methode ist "nichts Andres als die historische, nur entkleidet [...] der störenden Zufälligkeiten" (MEW 13,469). 4 Vorl. 6,230; Ein!., 133: "Geschichte die zugleich keine ist". 5 Vgl. dazu Griffioen 1999, 239-245; vgl. auch Krijnen 2005.
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wicklung nachspürt, diese begreift und rekonstruiert, statt externe Gesichtspunkte zu suchen. So in nuce Hegels Methode. Die Strenge, mit der an dieser methodischen Maßgabe festgehalten wird, macht, wie gesagt, das Imposante der Hegelischen Konzeption aus. Brauns Histoire de I'histoire de la philosophie spricht von einer "radikal neuen Position". Während ein früher Vorgänger Hegels wie Heumann (1715) sich zufrieden gab mit der Bedingung, dass der Historiograph sich in der Philosophie auskennen müsse, verlange Hegel nichts weniger, als dass der Historiker von innen her operiere. Dass die Historiographie der Philosophie erfordere, dass deren Betreiber sich in der Philosophie auskennen, Philosophie studiert haben müssen, sei heute weithin anerkannt. Würde sich ein Kulturhistoriker das Thema vornehmen, vom Resultat wäre wenig bis nichts zu erwarten. Dieser Punkt an sich ist freilich schon interessant. Braun meint jedoch mehr: erst mit Hegel werde die innere Entwicklung der Philosophie Thema der philosophischen Geschichtsschreibung. 6 Geschichtsschreibung bedeutet so gesehen die Reproduktion der inneren Entwicklung des Denkens. Eine Geschichtsschreibung, die der Sache selbst äußerlich bleibt, verdient ihren Namen nicht. Hegels Anliegen lässt sich, dem Gedankengang Brauns folgend, am besten wiedergeben mit Hilfe eines doppelten Kontrastes: einerseits bildet Hegels Anliegen einen Kontrast zur skeptischen Herangehensweise, anderseits zu dem, was ich eine narrative Herangehensweise nennen möchte. Typisch für die narrative Auffassung ist, die Person des Denkers ins Zentrum zu rücken und dessen Entwicklungsgang reichlich mit biographischen Daten auszuschmücken. ObwoW der Terminus narrativ in Hegels Zeit noch nicht gängig war, reichen die Wurzel der narrativen Herangehensweise weit zurück. Wenn Hegel in der Einleitung die (ausufernde) Verwendung von biographischem Material in der Geschichtsschreibung kritisiert, wendet er sich gegen eine Praxis, die wir heute als ,narrativ' bezeichnen würden. Was man damals vor allem interessant fand, waren offenbar die intensiven geistigen Kämpfe, die nötig waren, um Klarheit zu erreichen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war der Ausdruck ,,Heroen des Geistes" beliebt als Titel für historische Sammelbände. Obwohl auch Hegel den Ausdruck "Heroen des reinen Gedankens" verwendet,7 ist dessen Sinn ein ganz anderer, was bei Düsing zu wenig berücksichtig wird: dieses Heroische hat nichts zu tun mit einer Dramatisierung des persönlichen Denkens - "Ungewohnheit und lange Fortsetzung des Denkens macht Kopfweh" (Enz., § 410 Anm.), heißt es lakonisch. Das denkende Subjekt ist überhaupt nicht relevant. Vielmehr kommt es auf die Einbettung in und Fortsetzung einer überpersönlichen Denktradition an. Hegel heißt daher auch die beträchtliche Anonymität der modemen, bürgerlichen Gesellschaft willkommen: "wir sehen nicht mehr philosophische Individuen, die Philosophen bilden nicht einen Stand" (Werke 20, 71). Allerdings wird sich zeigen, dass die Geschichte durchaus eine Geschichte der großen Denker ist. Insofern hat Düsing nicht gänzlich unrecht wenn er von den Heroen der Vernunft sagt: "nur solche Heroen treiben
6 "L'originalite de Hegel consiste a sauver toutes les philosophies, non comme des pieces de musee, mais dans les principes memes qui leur ont confere forme et realite [...]. L'historien se situe maintenant a l'interieur meme de la philosophie." (Braun 1973,338-9). 7 Vor/. 6, 144,287; Einl., 11, 92, 124,
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offensichtlich die philosophische Entwicklung weiter";8 aber primär ist jedoch, dass das Heroische objektiv, sachlich zu verstehen ist: als Merkmal eines mühsamen Prozesses, dass Jahrhunderte und Epochen umspannt - das tantae moUs erat, se ipsam cognoscere mentem, womit Hegel seine Vorlesungen beendet (Werke 20, 455). Damit zum skeptischen Gebrauch der Geschichte. Hegel weiß nur zu gut: dass die Philosophie eine Geschichte hat, kann gegen sie sprechen. Zeigt die Geschichte nicht geradezu ein Kaleidoskop ständig wechselnder Standpunkte, sich widersprechender Meinungen? Und kann nicht jede Philosophie ihre Auffassung durch Beispiele aus der Geschichte belegen? Der skeptische Einwand liegt auf der Hand - wie Löwith, der selber eine gewisse Affinität zu diesem Standpunkt hat, es formuliert: "Die Geschichte der Philosophie scheint vorzüglich nur der Beweis der Nichtigkeit dieser Wissenschaft zu sein, denn schon allein die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der vielen Philosophien zeigt die Vergeblichkeit des Versuchs, jemals die eine Erkenntnis der Wahrheit zu erreichen. "9 Hegel würde antworten, dass die Skeptiker die eine gegen die andere Philosophie ausspielen und die Geschichte damit durch sie zu einer Vielheit von verselbständigten Gestalten verkümmert. Dies kann gar nicht anders sein, da der Betrachter nichts anderes sieht als unauflösbare Gegensätze. Und dann liegt die Schlussfolgerung nicht mehr fern, jeder Standpunkt sei zutiefst relativ. Es ist an dieser Stelle, wo Hegel sich des Terminus Dialektik bedient, seine eigene Auffassung zu artikulieren. Was dem skeptischen Betrachter abgeht, ist die Einsicht in den dialektischen Charakter des Widerspruchs zwischen den verschiedenen Philosophien, Einsicht in das, was sich durch den Widerspruch hindurch entwickelt. 10 Der Skeptiker verkennt sowohl die sich immer wieder vollziehende ,Aufhebung' als auch die sich immer wieder vollziehende ,Erhaltung'. ,Aufhebung' meint nicht sosehr das faktische Verschwinden einer Philosophie (was müsste man sich dabei auch vorstellen?) als vielmehr den Verlust an Repräsentativität. Hegels Assumption ist immerhin, dass jede Epoche eine Philosophie bzw. einen Typus von Philosophie hat, durch die sich der Zeitgeist in markanter Weise zum Ausdruck bringt, und dass folglich der Zeitpunkt kommen wird, an dem eine Philosophie ihre Zeit gehabt hat und keinen rechtmäßigen Anspruch auf Geltung mehr erheben kann. Es handelt sich dabei um eine innere Entwicklung; daher scheint sich zwar eine Verdrängung der früheren durch die spätere Philosophie zu ergeben, während die neuere Philosophie doch nur die Wahrheit der älteren an ihr vollzieht, die Verdrängung also nur scheinbar von außen erfolgt, in Wahrheit aber Selbstaufhebung ist. Die Rechtfertigung dieses Vorgangs bleibt in der Einleitung übrigens knapp. Die Vermutung liegt nahe, dass Hegel der Meinung war, er könne es bei einer knappen Angabe belassen, da es sich um eine Ausarbeitung der "Dialektik der Endlichkeit" handelt, deren eigentliche Behandlung in die Logik und die Enzyklopädie gehört.
Düsing 1983, 21. Löwith 1985, 252. 10 Vorl. 6, 154,228,291 f.
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,Erhaltung': Die Dialektik müssen wir uns vorstellen als einen Prozess, in dem die historischen Philosophien sowohl aufgehoben werden hinsichtlich ihres Anspruchs auf Repräsentativität als auch erhalten werden hinsichtlich ihrer Essenz. Hegels Gedanke ist, dass eine spätere Philosophie das Grundprinzip ihrer Vorgängerin inkorporiert und komplementiert. Berücksichtigt man noch Hegels Annahme, dass die historische Reihenfolge, in der die Prinzipien zur Entwicklung kommen, eine tiefere logische Ordnung widerspiegelt (Vorl. 6, 222, Einl., 34), dann ergibt sich das Bild eines Prozesses, in dem jeweilige Philosophien zu Gliedern einer Kette werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die narrative als auch die skeptische Auffassung dadurch widerlegt werden, dass Wahrheit nicht von der Person des Denkers abhängig gemacht und das philosophische System qua individuelle Gestalt ausschließlich mit der inneren Entwicklung des Denkens selbst verbunden wird. Der Prozess der Aufhebung und Erhaltung ist rur Hegel tatsächlich ein Geschehen von Wahrheitsvollzug. Wahrheit hat zwei Seiten: eine negative und eine affirmative,11 die mit ,Urteil' bzw. ,Versöhnung' korrespondieren. Geschichte als Urteil- normalerweise wird diese Auffassung nur mit der Weltgeschichte verbunden: vor allem wegen der berühmten, Schiller entlehnten Aussage über die Weltgeschichte als Weltgericht. Die Geschichte der Philosophie ist jedoch ebenfalls, und sogar in einem strikteren Sinne, Gerichtsausübung. Der Durchbruch einer neuen Epoche widerlegt ipso facto den Anspruch auf Exklusivität dessen, was vorher philosophisch maßgebend war. In dieser Weise vollziehen Perioden und Philosophien an einander eine basale Gerechtigkeit, die zugleich Wahrheitsvollzug ist, da sich zeigt, dass verselbständigte Formen keinen Bestand haben. 12 Es ist diese harte Seite der Wahrheit, an der die narrativen und skeptischen Varianten der Historiographie vorbeigehen: sie klammem sich fest an dem, was verselbständigt und somit endlich ist. Es gibt auch ,Versöhnung'. Aber man mache aus Hegel keinen Anaximandros redivivus, der sich angeblich mit der bekannten Aussage über aufkommende und wieder verschwindende Gestalten zufrieden gab - so büßend fiir die Hybris der Verselbständigung: "Woraus aber die Dinge ihre Entstehung haben, darin findet auch ihr Untergang statt, gemäß ihrer Schuldigkeit. Denn sie leisteten einander Sühne und Buße rur ihre Ungerechtigkeit, gemäß der Verordnung." Bei Hegel hat der Untergang nie das letzte Wort. Das Wahre ist das Ganze, und zum Ganzen gehört auch die Erhaltung: individuelle Gestalten gehen unter, aber ihre (wahren) Werke folgen ihnen nicht: die Grundprinzipien der Philosophien sind die Bausteine rur den Tempel der Wahrheit. Damit ist der Punkt erreicht, festzustellen, was das integrierende Wörtchen ,zugleich' bedeutet in der Aussagen, dass diese Geschichte zugleich keine Geschichte ist ("Geschichte die zugleich keine ist", Einl., 133, 266). Mit Blick auf die ,Aufhebung' ist die
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Vorl. 6, 154 f., 228, 292.
12 Vgl. Vorl. 6, 154: "nur dies ist widerlegt, daß solches Prinzip absolute, letzte Gültigkeit habe"; 124: "Der Mangel ist in der Form, nicht in der Idee. Er ist darin, daß das einseitige Prinzip sich für das ausgab, was die Bestimmtheit des Ganzen sein soll."
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Zeitfolge wichtig; nicht nur ein ,Beiwesen' (Vorl. 6, 221), nicht einfach Schein. ,Aufhebung' meint, dass eine neue Philosophie auftritt, um den Geist einer neuen Zeit zum Ausdruck zu bringen: das Erscheinen in der Zeit ist insofern wesentlich für die Philosophie. ,Erhaltung' meint: umgebildet werden zum Glied einer Kette und nur dergestalt fortbestehen können: ,,nur ein Glied" (Werke 20, 456), und insofern notwendig. 13 Es gibt m.E. für den Betrachter nicht eine Perspektive, die beide Aspekte, Aufhebung und Erhaltung, in einem Bild zu fassen vermag. Ist die geringe Wirksamkeit von Hegels philosophischen Historiographie durch diesen scheinbaren Januskopf verschuldet? Hinzukommt: wenn man die Einleitung aufs ganze betrachtet, dann kommt die Erhaltungsperspektive erheblich mehr zum Einsatz als die andere. Dies ist der Grund, weshalb es nur wenige Stellen gibt, an denen ,Philosophie' und ,Zeit' in einer konstruktiven Weise verbunden werden. Das Erscheinen der Philosophie in der Zeit wird folglich kaum thematisiert.
3. Philosophische Historiographie in der Praxis "Ich behaupte, dass, wenn man die Grundbegriffe der in der Geschichte der Philosophie erschienenen Systeme rein, dessen entkleidet, was ihre äusserliche Gestaltung, ihre Anwendung auf das Besondere und dergleichen betrifft, [behandelt,] so erhält man die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe." (Eini., 34) Dieser programmatische Satz aus der Einleitung fasst die Elemente zusammen, die ich im vorherigen Abschnitt sukzessive eingefiihrt habe. Die Tendenz ist deutlich: es kommt auf die Grundbegriffe an. Um diese freizulegen, muss der Historiograph das Material von allem entkleiden, was person- und zeitgebunden ist. Die Relevanz dieser Entkleidung ist offenbar: gerade jene Seiten einer Philosophie rücken ins Zentrum der narrativen und skeptischen Betrachtung. Wie wir uns die Transzendierung des Zeithorizonts denken müssen, geht aus dem zweiten Teil des Zitats hervor: Hier wird postuliert, dass die historische Ordnung der Grundbegriffe sich deckt mit der logischen Ordnung (vgl. Vorl. 6, 124, 226). Als Momente einer logischen Ordnung sind diese Momente nicht mehr zeitgebunden. 14 Die Frage, die jetzt gestellt werden muss, lautet: Inwiefern entspricht Hegels Historiographie dem oben Zitierten? Ich wende mich dazu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zu, allerdings vorwiegend sofern diese die modeme Zeit betreffen. Wer sich mit dieser Frage an die Vorlesungen wendet, wird zunächst überrascht. Aufs ganze gesehen sind Aufbau und Ausführung viel historischer und die logische Ordnung viel weniger sichtbar als man es aufgrund der Einleitung hätte erwarten können. Erst bei
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Vgl. Vorl. 6, 155: die affinnative Seite ist "die Einsicht, daß sie ein notwendiges Moment der Idee
sei." 14 Auf die Frage, was damit gewonnen ist, wenn umgekehrt die logischen Begriffe in der Zeit erscheinen, werde ich am Schluss dieser Abhandlung eingehen.
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genauerer Betrachtung tritt der Zusammenhang mit der Einleitung hervor. Aber auch dann bleiben Fragen, von denen gewiss nicht die geringste ist, weshalb sowohl in der Einleitung als auch in den Vorlesungen eine Rechtfertigung des Unterschiedes von Prinzip und Ausführung fehlt. Zweifelsohne gilt es zu berücksichtigen, dass es sich auf der ganzen Linie - die Einleitung nicht ausgenommen - um Vorlesungen handelt und nicht um eine vom Verfasser autorisierte Publikation. Trotzdem bildet die Geschichte der Philosophie das Schlussstück des Systems, und es handelt sich also um einen Vortragszyklus, mit dem Hegel sein Prestige verband. Es bleiben also Fragen übrig - was das Thema übrigens nur fesselnder macht. In bezug auf die Haupteinteilung fällt sofort auf, dass Hegel die gängige Einteilung in Antike, Mittelalter und neuere Philosophie einfach übernimmt, obwohl die Philosophie des Mittelalters bei ihm nur als Zwischenphase auftritt. Nicht zu Unrecht meint Jaeschke, Hegels Historiographie sei diesbezüglich als eine Zeitfolge konzipiert und nicht als logische Ordnung. 15 Was die Unterabteilungen der neueren Zeit betrifft, lässt sich dem oben Ausgeführten hinzufiigen, dass auch diese eher die Hand des Historikers als die des Logiker zeigen, und dass die Einteilung nicht auffällig abweicht von dem, was in Handbüchern bis heute usus ist: Descartes, Spinoza, Malebranche, Locke, Hobbes (mit Grotius und einigen anderen) werden zusammengenommen; sodann folgt Kant und am Ende steht eine Rubrik mit Fichte und Schelling als Hauptfiguren. Bei näherer Betrachtung merkt man jedoch sehr den Einfluss einer eigenen Systematik. Die Reihe von Descartes bis Wolff ist auf den Nenner des ,denkenden Verstandes' gebracht; dem schließt sich ein Kapitel mit dem Titel ,Übergangsperiode' an, das mit Berkeley beginnt und mit der Aufklärung endet. 16 Man beachte das Einteilungskriterium: Zwar war Wolff (geb. 1679) nicht viel jünger als Berkeley (geb. 1684), so dass die Ordnung nicht auffällig unhistorisch ist; gleichwohl ist der leitende Gesichtspunkt systematisch: Was Hegel an der Philosophie des 18. Jahrhundert interessiert, ist der Verfall von Sicherheiten des Verstandes und die Vorbereitung einer Philosophie der Vernunft, einsetzend mit Kant. Daher die überwältigend positive Behandlung von einem Denker wie Helvetius, der damals beim gebildeten Publikum den Ruf eines Extremisten und Atheisten hatte. Für Hegel gilt nur, dass die Aufklärer die Denksubjektivität in Stellung gegen eine versteinerte Tradition gebracht haben. 17 Aus der Art des Vorgehens geht also klar die Bedeutung von Hegels Lehre des Verstandes und der Vernunft hervor, wie sie in der Logik entwickelt wurde. Anders gesagt: Unter der Oberfläche von dem, was als historische Behandlung erscheint, wirkt sehr wohl eine logische Ordnung, wenn auch viel weniger evident als man aufgrund Einleitung erwarten durfte. Es ist ebenfalls lohnend, auf die Ordnung innerhalb der Abteilungen zu achten. Zunächst zeigt sich, dass die Bühne einer Periode durch mehrere auftretende Philosophien geteilt werden kann: Locke und Hobbes; Leibniz und Wolff. Und in der Periode nach 15 Jaeschke 2003, 480. Bei den Unterabteilungen werden wir allerdings feststellen, dass es auch Abweichungen von der historischen Ordnung gibt. 16 Werke 20 (nicht in Jaeschkes Edition der Vorlesungen). 17 Nicht weniger auffällig ist es, dass Hegel die ebenfalls in diesem Rahmen behandelte Philosophie von Thomas Reid, in der konstruktive, christliche Prinzipien überwiegen, bloß im Vorbeigehen streift. (Werke 20, 284).
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Kant: es folgen auf Fichte Schlegel, Novalis, Fries, Bouterwek und Krug. 18 Hieraufhatte die Einleitung einen nicht vorbereitet. Wichtig ist auch, dass sodann von einem systematischen, nicht von einem historischen Gesichtspunkt her ein Unterschied gemacht wird nach dem Maß von Repräsentativität. So wird Hobbes nach Locke positioniert,19 da die empiristische Erkenntnistheorie Lockes als Paradigma gilt rur diesen gesamten Abschnitt: Locke, nicht Hobbes, gilt als der wahre Repräsentant des Zeitgeistes. Ebenso ist nach Kant Fichte der wahre Repräsentant, nicht Schlegel, geschweige denn Bouterwek, Krug u.a., die als Ergänzung die Bühne betreten. Was nun die Behandlung der jeweiligen Philosophien betrifft, gibt es erneut einen Unterschied zwischen prima facie Diskrepanz und einem Einfluss, der sich bei näherer Betrachtung zeigt: Von der programmatisch angekündigten Entkleidung, mit der ich diesen Abschnitt eröffnet habe, lässt sich in der Präsentation der Lemmata wenig bis nichts auffinden. 20 Was sofort auffällt, sind vielmehr die biographischen Daten. Der Eindruck, der entsteht, ist der eines konventionellen Aufbaus: bevor die eigentliche Behandlung in Angriff genommen wird, wird die couleur locale skizziert, usw. Viele der Daten entstammen Handbüchern,21 nicht selten mit der Übernahme von deren Fehlern und Ungenauigkeiten. 22 Das Anekdotische fehlt ebenfalls nicht; so hören wir, dass Francis Bacon ein Bußgeld von 40.000 Pfund auferlegt wurde. Nicht selten spielen biographische Daten eine gewisse Rolle in der philosophischen Beurteilung. Aus der Tatsache etwa, dass Wolff sich in Form einer Art von angewandter Philosophie mit militärischer Logistik beschäftigte, gewinnt Hegel ein kräftiges Argument gegen Wolffs Philosophie: "Diese Barbarei des Pedantismus oder dieser Pedantismus der Barbarei, so in seiner ganzen Ausruhrlichkeit und Breitheit dargestellt, hat notwendig sich selbst um allen Credit gebracht."23 Obwohl der Stoff prima facie wenig an Fortwirkung der Einleitung zeigt, gibt es auf einer tieferen Ebene sehr wohl Kontinuität. Dass Lockes politische Philosophie gänzlich außer Betracht bleibt, rührt daher, dass im systematischen Kontext nur dessen Erkenntnislehre relevant ist. Die Bedeutung der jeweiligen Denker zueinander geht nicht nur aus ihrer Rangordnung hervor, sondern sogar noch klarer aus dem Raum, den Hegel rur ihre Behandlung reserviert. Bei letzterem ist unverkennbar die Beurteilung der intrinsischen Bedeutung des Beitrags eines Denkers ausschlaggebend. Dies ist freilich als solches nicht weiter bemerkenswert. Zweifelsohne gilt für alle Geschichtsschreibung, dass
18 Ich halte mich an die Einteilung, wie sie in der Edition der Werke (Band 20) vorliegt. Vgl. die Anmerkung der Herausgeber in: Vor!. 9,260. 19 Vgl. die kritischen Bemerkungen von Fischer 1976, 1128. 20 Notabene: in der Präsentation: unter der Oberfläche ist die Kontinuität indes wesentlich. 21 Hegel stützte sich z.B. hinsichtlich der Philosophie des Mittelalters gänzlich auf die Arbeiten anderer. Vgl. Jaeschke 2003, 487. 22 Fischer 1976, 1115; zu Schelling: "ein Heer von Unrichtigkeiten!" 23 Dies anläßlich Wolffs vierten Lehrsatz (Werke 20, 263. Vgl. Vorl. 9, 139): "Das Anrücken an die Festung muss dem Feinde immer saurer gemachet werden, je näher er derselben kommet. [...] Beweis: Je näher der Feind der Festung kommet, je grösser ist die Gefahr, etc."
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die Bestimmung der Bedeutung eines Denkers niemals eine Sache ist, bei der bloß ausgeübte Einflüsse addiert und erlittene Einflüsse abgezogen werden. Nicht weniger muss die intrinsische Bedeutung einer Konzeption beurteilt werden. Der Punkt ist jedoch, dass Hegels Historiographie dazu neigt, die historische Bedeutung gänzlich aus der intrinsischen, systematischen Bedeutung zu bestimmen. So ergibt sich das Bild einer Geschichte großer Denker, in der die ,kleineren' versuchen, einen Platz zu ergattern. Reinhold, Krug, Bouterwek und Fries etwa werden zusammen typisiert als eine Kleinheit, die sich groß gibt: "es ist äußerste Borniertheit, die großtut".24 "Wir können uns also trösten, wenn von allen diesen Philosophien weiter nicht die Rede sein kann; wir würden lauter Diebstähle zu erzählen haben." (Vorl. 9, 161). Man darf getrost davon ausgehen, dass Hegel selbst von der Arbeit seiner Vorgänger und von älteren Zeitgenossen viel stärker profitiert hat als aus seiner stark stilisierenden Historiographie hervorgeht. Wenn Adriaan Peperzak Historiographen wie Kuno Fischer und Richard Kroner vorwirft, Hegels Philosophie nur mit den großen Vorgängern wie Kant, Fichte und Schelling zu verbinden, dann muß man der Gerechtigkeit wegen sagen, dass Fischer und Kroner damit der Spur des Meisters folgen. Peperzak erkennt dies zwar an, jedoch mit einer Relativierung, die Hegel ausspart und das Problem den Nachfolgern zuschiebt: "In his lectures on the history of philosophy, Hegel himself gives a similar presentation, but he knew that the sequence Kant-Fichte-Schelling-Hegel did not mirror the chronological development ofhis own thought."25 So ist es! Natürlich wusste Hegel, dass seine Geschichtsschreibung von einer VielzaW historischer Zusammenhänge absieht. Der springende Punkt ist jedoch, dass Hegel gute Gründe dafiir hatte, so vorzugehen, wie er vorgegangen ist: sie betreffen die Entkleidung aus dem Zitat am Anfang dieses Abschnitts. Ungeachtet der oben diskutierten Diskrepanzen zwischen der Präsentation der Vorlesungen und dem Programm der Einleitung, scWieße ich diesen Abschnitt mit der These, dass die Einleitung gleichwohl den Schlüssel enthält, um Hegels Historiographie zu verstehen.26
4. Schluss Wenn es stimmt, dass die Zeitfolge der Geschichte der Philosophie nicht das eigentliche Anliegen bildet, warum wiederholt Hegel dann so oft die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie? Weshalb stattdessen keine Vorlesungen über Logik? Weil die Verbindung von Philosophie und Zeit doch bedeutungsvoll ist? Kurz: Was bedeutet es, dass die Philosophie "in der Zeit" erscheint?
24 Werke 20, 387, mit der Hinzufugung des Sprichworts "lls se sont battus les flanes, pour etre de grands hommes". 25 Peperzak 2001, 46 f. 26 Schlussfolgerungen, die nur die Diskrepanz gelten lassen, überzeugen mich daher nicht. Jaeschke (2003, 480) neigt hierzu: "Einer Überprüfung seiner Einlösung im Detail oder auch nur der Bedingungen seiner Einlösbarkeit hält dieser Anspruch auf Übereinstimmung des geschichtlichen ordo mit dem logischen jedoch nicht stand."
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Obwohl es Stellen zuhauf gibt, und zwar vor allem in der Einleitung, die, sofern sie auf sich selbst gestellt werden, uns zu der Auffassung bringen würden, dass die Zeitfolge zutiefst irrelevant ist, ist mit ihnen keinesfalls das letzte Wort gesprochen. Wie wichtig das ,vorher' und ,nachher' ist, indizieren Stellen, in denen Hegel sich gegen das ,Aufwärmen' vergangener Philosophien kehrt. Den Vorwurf des Aufwärmens verwendet Hegel etwa gegen Ralph Cudworth, der sich im England des 17. Jahrhunderts anschickte, Plato mit Hilfe einer Cartesianischen Beweislehre und einer ,strohernen Verstandesmetaphysik' aufzuwärmen (Werke 20, 229). Die Kritik bezieht sich nicht nur auf die Form, die das Aufwärmen bei Cudworth bekommt: überhaupt den Versuch, Anschluss bei Plato oder irgendeiner historischen Figur zu suchen, lehnt Hegel ab; man könne jetzt nicht Platoniker usf. sein (Werke 20, p. 461; Vorl. 6,226,289-293). Es gibt kein Zurück, keine Bedeutung losgelöst von der historischen Mission innerhalb einer Epoche eines fortgehenden Prozesses. Bloch formuliert es plastisch: "Die Uhr der Philosophien, die bei Hegel dieselbe wie die des Weltgeistes ist, schlägt nicht zweimal dieselbe Stunde.,,27 Wie viel auf dem Spiel steht, zeigt sich, sobald man auf die parallele Kritik achtet, die Hegel an Versuchen christlicher Kreise äußert, zur Einfalt der frühen Gemeinden zurückzukehren, zum historischen Jesus, zum heiligen Grab (Kreuzzüge), usf. Hegel zögert nicht, das Bibelwort über die Sünde des Geistes heranzuziehen, fiir die keine Vergebung möglich ist (Einl., 181). In Übereinstimmung damit lassen sich zwei entgegengesetzte Haltungen unterscheiden - ein Kontrast, der vielen Interpreten rätselhaft vorkommt. Beispielsweise die Aufklärung: Wie gesagt, fällt es auf, wie positiv Hegel im allgemeinen die Repräsentanten einer Zeit schätzt, obwohl sie in ihrer Zeit vor allem Gegenstand von Kritik waren. Was Hegel positiv beurteilt, ist das Insistieren auf das ,Selbst-Denken' als notwendiges Moment in der Entwicklung der Denksubjektivität, die sich dann im deutschen Idealismus vollenden würde. Wie anders aber ist seine Haltung hinsichtlich Zeitgenossen, die zur Aufklärung zurückkehren wollen! Hegel prangert sie geradezu an: "Die Aufklärung, diese Eitelkeit des Verstandes, ist die heftigste Gegnerin der Philosophie" (Phi/Rel. IV, 225). Der Rekurs auf die synthetisierende, versöhnende Wirkung der Vernunft bildet so gesehen keinen Widerspruch zum polemischen und oft geringschätzenden Ton, wenn von ,kleineren' Philosophen die Rede ist; immerhin handelt es sich um zwei Aspekte: Philosophien als Momente, als Glieder einer Kette einerseits und als verselbständigte Gestalten anderseits. 28 Die Kritik des ,Aufwärmens' zeigt in exemplarischer Weise die Bedeutung der Zeitfolge samt ihrer unumkehrbaren Aufteilung in ,früher' und ,später', ,Vergangenheit' und ,heute'. Plato, Helvetius, usf.: sie alle sind keine Zeitgenossen mehr. Was in ihrer Philosophie von bleibender Bedeutung ist, ist jetzt Moment der ,letzten Philosophie' (Werke 20, 461), und nur durch diesen Eingang zugänglich. In diesem Sinne können wir nichts
Bloch 1962, 366. Desmond (2003, 170) indes konstatiert einen Widerspruch zwischen dem Versöhnenden und dem Polemischen: "How peaceful are polemical remarks, that is, words of war, against philosophical rivals?" 27
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mehr von Platon u.a. lernen. Es gibt, um mit Bloch zu sprechen, kein unverbrauchtes Potential, kein Erbe, das uns zugute kommen könnte. 29 Und doch lässt sich behaupten, dass Hegel seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie veranstalte, damit die Studierenden etwas lernen konnten. Klaus Düsing betont die einleitende Funktion dieser Vorlesungen überhaupt (also nicht bloß die der Einleitung). Er erinnert an eine Ankündigung des Wintersemesters 1817-1818: "Geschichte der Philosophie [...] zur Einleitung in die Philosophie". 30 War es nicht gerade die Aufeinanderfolge der Philosophien, die es für den Schüler notwendig machte, den Prozess von Aufhebung und Erhaltung selbst nachzuvollziehen? Lag darin nicht die Erwartung eines anderen, intensiveren Lerneffekts als der eines Logik-Kurses? Wollte Hegel sein Auditorium nicht in allen Etappen aufmerksam machen auf das tantae molis erat, se ipsam cognoscere mentem? Die wohlverstandene Geschichte der Philosophie demonstriert (von Hegels Standpunkt aus), dass dieser Versuch nicht vergeblich war. Es ist möglich, die ganze Geschichte der Philosophie als eine Demonstration aufzufassen, ebenso wie auf einer anderen Ebene, aber in vergleichbarer Weise, die Philosophie der christlichen Religion zu demonstrieren hat, dass das Endliche fiir den Menschen kein Hindernis bildet, seine geistige Bestimmung zu erreichen. 31 So demonstriert die philosophische Historiographie, dass die Vielheit historischer Philosophien dem Anspruch auf Wahrheit keinen Abbruch tut, womit Hegel die Pilatus-Frage: Was ist Wahrheit? ein fur allemal für beantwortet hält. Aber erhalten der Schüler und der spätere Betrachter tatsächlich einen Eindruck vom Kampf mit der Wahrheit? Da, wie gesagt, Hegel das Moment der Erhaltung auf Kosten des Sein-in-der-Zeit betont, entsteht retrospektiv nur das Schauspiel von in der Zeit auseinandergelegten logischen Denkbestimmungen, und die Demonstration nimmt den Charakter einer Auffiihrung an: einer show. 32 Hier zeigt sich erneut, dass diese Historiographie, ungeachtet ihrer einsamen Höhe, gerade den Sinn der Zeitfolge der Philosophie nicht zur Geltung bringen kann.
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Bloch 1962, 366. Düsing 1983, 21. 31 Griffioen 2004. 32 Caponigri 1974, 17. 29
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Zweiter Teil Hegels Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition
Hegel und die klassische griechische Philosophie (Platon, AristoteIes)
Klaus Düsing
Einleitung Für die Entwicklung und systematische Ausformung der Philosophie Hegels ist die klassische griechische Philosophie, wie sie Platon und Aristoteles ausbilden, von kaum zu überschätzender, eminenter Bedeutung. Auch wenn erst die Philosophie der Neuzeit das Prinzip der Subjektivität differenzierter ausführt, dessen Entfaltung Hegel nach eigenem Anspruch vollendet, so begründet doch die klassische griechische Philosophie in geradezu paradigmatischer Weise fiir Hegel die reine Ontologie und philosophische Theologie sowie das sie konstituierende theoretische oder spekulative Denken. Zwar behandelt Hegel mit hoher Wertschätzung auch die Platonische und Aristotelische Naturphilosophie oder deren Philosophie des Geistes, insbesondere deren Ethik und Staatslehre; aber die Ontologie und Theologie sowie das in ihr realisierte theoretische oder spekulative Denken erhalten bei Hegel einen Vorrang, da auf ihrem Gebiet das jeweilige grundlegende Prinzip oder Prinzipiengefuge einer epochalen Philosophie wie der Platonischen oder der Aristotelischen aufgestellt wird. Ein solches Prinzip oder Prinzipiengefüge identifIZiert Hegel mit einer Kategorie oder Kategorienfolge seiner spekulativen Logik; ja teilweise lässt er sich zu bestimmten Kategorienfolgen dadurch selbst erst amegen. So gewinnt die klassische griechische Ontologie und Theologie sowie ihr Denken unmittelbare systematische Bedeutung fur Hegel. Er setzt sich des näheren insbesondere mit der Ontologie und Dialektik in Platons Parmenides und Sophistes sowie mit Aristoteles' Ontologie und Theologie in der Kategorien-Schrift und der Metaphysik auseinander. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Konzeptionen zur Ontologie und ihrer Kontexte bei Platon, bei Aristoteles und bei Hegel klarer diagnostizieren und einordnen zu können, seien hier vorweg alternative Ontologie-Grundtypen in systematischer Weise skizziert: Inhaltlich lässt sich eine Substanz- von einer Prozess- oder Ereignisontologie unterscheiden. Hinsichtlich der methodischen Entwicklung kann man eine urteilslogische Ontologie, die die Grundbestimmungen des Seienden als solchen gemäß den Urteilsformen als Weisen, "ist" zu sagen, aufstellt, von einer dialektischen Ontologie abheben, die mit der Dialektik eine eigene Methode des Denkens zur Setzung und Verknüpfung von ontologischen Bestimmungen befolgt. Betrachtet man die Grundfrage, wie sich Bestimmungen des Seienden als solchen im Erkennen präsentieren, so ist eine
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Gegebenheitsontologie oder realistische Ontologie, nach der die Seinsbestimmungen dem Denken als reale vorgegeben sind, von einer Konstitutionsontologie oder idealistischen Ontologie zu unterscheiden, nach der sie rein vernunftimmanent gedacht, ja vom Denken erst konstituiert werden. - Sind diese Grundtypen von Ontologie nur alternativ zu erfüllen, so können die beiden folgenden auch in einer Theorie verbunden werden. Einerseits kann eine universalistische Ontologie aufgestellt werden, in der die ontologischen Bestimmungen von allem Seienden gelten, es mag nun unbelebt, belebt, bewusst, selbstbewusst oder wie auch immer bestimmt sein; andererseits kann eine paradigmatische Ontologie konzipiert werden, in der ontologische Bestimmungen in eminentem Sinne von einem vollendeten, exemplarischen Seienden gelten, von weniger vollkommenem, deflZientem Seienden dagegen nur reduziert. Vor diesem Hintergrund gilt es, zunächst Platons Ontologie und Dialektik im Parmenides und Sophistes zu umreißen, um davon Hegels Deutung, Anknüpfung und produktive, spekulative Anverwandlung abzuheben. Daraufhin ist Aristoteles' Ontologie der Ousia und seine philosophische Theologie in der Kategorien-Schrift und der Metaphysik zu kennzeichnen sowie Hegels Deutung, Umdeutung und spekulative Integration in seine eigene Lehre vom Verhältnis von Ontologie und Theologie hervorzuheben. Hierbei sollen die jeweiligen Grundtypen von Ontologie die orientierende Substruktur bilden.
I. Ontologie und Dialektik bei Platon Thematisch behandelt Platons berühmter Rätseldialog Parmenides Grundprobleme der Ontologie der Ideen sowie der dialektischen Verknüpfung dieser Ideen. Doch ist der Sinn dieses Dialogs, insbesondere des zweiten Teils heftig umstritten. Zu Beginn dieses zweiten Teils, der eine dialektische Übung darstellen soll, wird die Methode charakterisiert. Sie ist nach Platons eigener Bestimmung die Methode Zenons (vgl. 135d nach der Paginierung der Stephanus-Ausgabe), nämlich die Methode der Aufstellung von Widersprüchen, die sich ergeben, wenn man eine bestimmte These vertritt, bei Zenon die These, dass Vieles sei, die durch solche sich ergebenden Paradoxien widerlegt werden soll. Diese Methode wird von Platon nun vierfach differenziert und verbessert. Erstens sollen statt des sinnlichen Vielfältigen reine Ideen und deren Verhältnisse untersucht werden. Zweitens soll zu Zenons Hypothese: "wenn Vieles ist" auch das Gegenteil: "wenn Vieles nicht ist" hinzugefügt und betrachtet werden; und hieraus sollen gleichfalls paradoxe Folgerungen gezogen werden. Damit löst sich dieses Verfahren von der Parmenideischen Metaphysik des Einen ab, nach der ja Vieles nicht ist, ohne dass sich daraus paradoxe Folgerungen ergeben sollen. Drittens werden die Hinsichten solcher Erörterung systematisiert; das Viele soll in bezug auf sich selbst und sein Gegenteil, das Eine, in paradoxer Weise bestimmt werden, und ebenso soll das Eine in bezug auf sich selbst und sein Gegenteil, das Viele, in paradoxer Weise bestimmt werden, und zwar sowohl, wenn Vieles ist, als auch wenn Vieles nicht ist. Wird dies systematisch durchgeführt, so ergeben sich acht Beweisreihen, nicht neun, wie die Neuplatoniker zählen. Viertens fordert Platon eine Ausweitung der Anwendung dieser Methode auf alle grundsätzlichen Gedankenbestimmungen. Diese Verbesserung und Verfeinerung gilt der Zenonischen Paradoxiemethode; wegen dieser Methode bezeichnet schon Aristote-
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les Zenon als den "Erfinder der Dialektik",l worin ihm später Hegel folgt; doch muss man diese Zenonische Dialektik, auch die von Platon verfeinerte, noch von Platons eigener Dialektik oberster ontologischer Gattungen unterscheiden. Der zweite Teil des Parmenides, in dem diese Methode durchgefiihrt wird, ist nun von der Antike bis zur Gegenwart auf ganz verschiedene, ja z.T. konträr entgegengesetzte Weise interpretiert worden. Aus der Fülle der Vorschläge lassen sich m.E. vier grundlegende Interpretationsrichtungen2 eruieren: Die erste Richtung ist die neuplatonische, die vermutlich schon bis in die alte Akademie zurückreicht; sie erblickt in den einander entgegengesetzten Hypothesen und Beweisführungen des Parmenides eine eigene positiv hervorhebbare Metaphysik und speziell Theologie. Ihr konträr entgegengesetzt ist die Auffassung, die ebenfalls bereits in der Antike vertreten wurde, der zweite Teil des Parmenides habe rein negative Bedeutung und enthalte nur antieleatisches, ironisches und parodistisches Spiel. Diese Extreme vermeiden zwei vermittelnde, im wesentlichen neuere Richtungen. So besteht die dritte Interpretationsrichtung darin, einige der Hypothesen und Beweise, speziell die positiven, als Platons eigene Lehre zu betrachten, andere, speziell die negativen, dagegen nicht. Eine vierte Interpretationsrichtung hält daran fest, dass die Hypothesen und Beweise negativ und aporetisch bleiben, sieht darin aber nicht antieleatische Ironie und Parodie, sondern eine durchaus seriöse Absicht, nämlich die notwendige Vorbereitung einer neuen Ontologie der Ideen und ihrer gültigen Verknüpfungen, in der alle jene Paradoxien und sophistischen Fallstricke des zweiten Teils des Parmenides vermieden werden. Diese vierte Richtung ist m.E. am besten mit Platons Wortlaut sowie mit anderen späteren Dialogen, insbesondere dem Sophistes vereinbar. Aus den vielfältigen, teilweise gewundenen Argumentationen der acht Beweisreihen, die jeweils paarweise einander entgegengesetzte Resultate erzielen, seien hier nur einige wenige aus der ersten und der zweiten Beweisreihe hervorgehoben. 3 Parmenides' Seinslehre wird - unparmenideisch - bloß hypothetisch angesetzt: "Wenn eines ist" - und daraus werden entgegengesetzte Konsequenzen gezogen. In der ersten Beweisreihe werden dem in dieser Weise gesetzten seienden Einen alle grundlegenden Prädikate abgesprochen. Es ist nicht Ganzes; denn dann müsste es Teile haben und wäre insofern Vieles. Es hat nicht Anfang, Mitte und Ende; denn dann hätte es wieder Teile. Ihm kommen aber auch die ganz allgemeinen Bestimmungen von Identität oder Verschiedenheit nicht zu; es ist nach Platon a) weder verschieden von sich b) noch identisch mit einem Verschiedenen c) noch verschieden von einem Verschiedenen d) noch identisch mit sich. Die unterschiedlichen Argumentationen Platons hierzu fußen darauf, wie zusammenfassend gesagt sei, dass Identität und Verschiedenheit nicht interne Bedeu-
1 Zitat aus Aristoteles' Jugendschrift Sophistes bei Diogenes Laertius und Sextus Empiricus, s. Frg. 65 bei Rose (1886), in: Aristotelis Fragmenta selecta, 15. Vgl. Hegel, TWA 18,295. Hegel erklärt von dieser Zenonischen Dialektik auch: "In Platons Parmenides (127-128) ist diese Dialektik sehr gut beschrieben." (ebd. 302). 2 Ähnliche Unterscheidungen der Interpretationsrichtungen trifft Berti (1980, bes. 345 ff.). Anstelle zahlreicher Einzelbelege sei erlaubt, auf folgende Darlegungen des Verfassers mit solchen Belegen zu verweisen: Düsing 1980,98 ff.; 1990, 173 ff.; 2001,16 f. 3 Zu den einzelnen Argumenten mag auf die Darlegung des Verfassers mit Berücksichtigung alternativer Deutungen verwiesen werden: Düsing 1980, 101-109; 2001, 18 ff.
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tungsbestandteile des seienden Einen, sondern davon unterschiedene Bestimmungen darstellen; deshalb können sie ihm auch in jenen spezifischen Kombinationen nicht zukommen. Das Ergebnis der ersten Beweisreihe, in der dem seienden Einen alle grundlegenden Prädikate abgesprochen werden, was hier lediglich an einigen gezeigt wurde, besteht darin, dass das seiende Eine alles dies nicht ist und daher gar nicht ist. Dies Ergebnis, nämlich: wenn Eines ist, dann kommen ihm die grundlegenden Bestimmungen nicht zu und dann ist es nicht, ist in Platons Darstellung ohne Zweifel paradox. Es bedeutet eine - gewiss produktive - Uminterpretation, hierin den Gedanken des höchsten Prinzips, des überseienden Einen, zu entdecken. Aber Platon gibt keinen Hinweis auf ein solches Verständnis, obwohl dies, wenn dies Teil seiner "esoterischen" Lehre sein sollte, in dem esoterischen Kreis der Dialogpartner des Parmenides jedenfalls innerhalb dieses Dialogs wohl möglich gewesen wäre. Er identifiziert ferner sein höchstes Prinzip, das Gute an sich, das über die Ousia hinausliegt, nicht mit dem Einen. So bleibt offenbar, hält man sich in strenger Hermeneutik an das von Platon Dargelegte, nur die negative Interpretation der ersten Beweisreihe. Diese Interpretation wird verstärkt durch das Verhältnis der zweiten Beweisreihe zur ersten; alle negativen Aussagen der ersten Beweisreihe werden in affirmative verwandelt, so dass der Gesamtsinn der zweiten Beweisreihe dem Gesamtsinn der ersten widerspricht. So ist das seiende Eine nun Ganzes, hat Teile, hat Anfang, Mitte und Ende, und ihm kommen jene ganz allgemeinen, grundlegenden Bestimmungen in den schon angeführten Kombinationen affirmativ zu; es ist somit a) verschieden von sich, was Platon später im Sophistes ausdrücklich zurückweist, b) identisch mit einem Verschiedenen, c) verschieden von einem Verschiedenen und d) identisch mit sich. Platon versucht, dies mehrfach indirekt zu beweisen. Aber weder sind diese vier Prädikationen insgesamt konsistent miteinander vereinbar, noch sind sie vereinbar mit den entsprechenden Negationen der ersten Reihe. In dieser zweiten Beweisreihe positiv-metaphysisch den Abstieg vom überseienden Einen zu den vielen göttlichen Einheiten oder Henaden zu sehen, dürfte somit zwar ingeniös, an Platons Darlegung gemessen aber durchaus schwierig sein, zumal Platon den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch beachtet und ihn nach einer Vorformulierung in der Politeia (vgl. 436b) im Sophistes zweimal benennt (vgl. 230b, 263d). Dies wird auch für das Verhältnis von Hegels zu Platons Dialektik von entscheidender Bedeutung sein. Ebenso stellt Platon in den folgenden Beweisreihen Widersprüche und Paradoxien auf. Die Schlusszusammenfassung, die noch einmal an die Systematisierung der Zenonischen Methode erinnert, ist daher vollständig aporetisch und paradox, dass nämlich, "ob das Eine nun ist oder nicht ist, es selbst und die Anderen sowohl im Verhältnis zu sich selbst als auch zueinander, alles auf alle Weise ist und auch nicht ist und scheint und auch nicht scheint" (166c). Der Durchgang durch die acht Beweisreihen, wenn Eines ist und wenn Eines nicht ist, endet also gänzlich paradox und negativ. Dennoch hat diese dialektische Übung gemäß der oben genannten vierten Interpretationsrichtung den ernsthaften, positiven Sinn, eine neue Ontologie mit differenzierten "ist"-Aussagen, die die eleatische Eindimensionalität des "ist" übersteigen, und mit differenzierten Verknüpfungen der Ideen oder Gattungen von ontologischer Bedeutung unter Vermeidung der dargelegten Paradoxien und Widersprüche zu ermöglichen.
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Bei Platon selbst wird dieses Pendant einer neuen Ontologie insbesondere im Sophistes 4 eingelöst. Wahrscheinlich sollte die ausfiihrliche Explikation dieser Ontologie der letzte Dialog in der Trilogie Sophistes - Politikos - Philosophos enthalten; aber offensichtlich kam der Philosophos nicht mehr zustande, und so enthält der Sophistes mit der umrisshaften Charakterisierung von fünf obersten Gattungen und ihren dialektischen Verhältnissen in nuce Platons eigene neue Ontologie. Innerhalb des Sophistes ergibt sie sich dadurch, dass zur Bestimmung des Scheins des Sophisten die Möglichkeit des Seins von Nichtseiendem gegen Parmenides' Seinslehre erwiesen werden muss. Dies wird Platon zum Anlass, die reine Bedeutung des Seienden als solchen und derjenigen ontologischen Grundbegriffe darzulegen, die zu dessen Erfassung erforderlich sind. So kritisiert er die vorsokratischen Lehren, auch die Lehre des Parmenides, die den Sinn von Seiendem immer schon mit anderen quantitativen oder qualitativen, z.B. kosmologischen Bestimmungen vermischt haben. Platon begründet somit die erste reine Ontologie, die jeder Kosmologie, Ethik, Staatslehre oder anderen, spezielleren philosophischen Wissenschaften vorausgeht und zugrunde liegt. Als Grundbestimmungen dieser reinen Ontologie erörtert Platon nun im Sophistes ohne Anspruch auf Vollständigkeit, da es sich nur um eine Skizze handelt, fiinf oberste Gattungen, die allgemeinste Ideen darstellen. Bewegung, Ruhe und Seiendes gehen schon aus seiner Auseinandersetzung mit den Ideenfreunden hervor, die offenbar eine Position von Platons früherer Ideenlehre vertreten, nach der Ideen in ihrem Sein beständig und konstant, aber nicht bewegt sind; sie identifIZieren Sein mit Konstanz oder Ruhe. Dagegen erklärt Platon nun, dass es auch in der Ideenwelt Bewegung, nämlich Erkenntnisbewegung geben müsse. So sind Bewegung und Ruhe zwar einander entgegengesetzt; aber beide sind; Seiendes ist etwas Drittes ausser ihnen, das aber mit beiden verbindbar ist, und dem vollendet Seienden, dem Nous (vgl. 248e), muss in verschiedener Hinsicht sowohl Ruhe als auch Bewegung zukommen. Bewegung in der Ideenwelt bedeutet bei Platon freilich nicht wie später bei Hegel, dass die Ideen in solcher Bewegung ihre eigene Bedeutung verändern; diese bleibt vielmehr identisch. Jede dieser allgemeinsten Ideen oder Gattungen ist daher in ihrer eigenen Bedeutung identisch mit sich, aber verschieden von den anderen. Solche Identität mit sich und Verschiedenheit von anderen - nicht von sich selbst, was Platon hier als inkonsistent ablehnt - sind zwei weitere oberste Gattungen oder Ideen. Platon beweist ausführlich in rein begrifflicher Argumentation, dass es sich hierbei um zwei gegenüber Bewegung, Ruhe und Seiendem selbständige Gattungen von eigener genuiner Bedeutung handelt. Doch nun stellt sich die Frage, in welchen Verhältnissen diese obersten Gattungen zueinander stehen und mit welcher Methode diese Verhältnisse bestimmt werden können. Die Methode, bestimmte Verbindungen von Gattungen, aber auch bestimmte Trennungen vorzunehmen, und zwar nach Prinzipien der Verbindung, z.B. der Teilhabe, oder auch der Trennung, z.B. des Widerspruchs, ist nach Platon die Dialektik. Die Dialektik kann hier nicht Dihairesis sein, wie Platon sie u.a. im Politikos charakterisiert. Denn die erörterten Gattungen sind je selbständige, oberste ontologische Bestimmungen; daher ergibt sich keine von ihnen als eine besondere durch dihairetische SpezifIkation einer anderen obers-
4 Hinsichtlich der Detailargumente sei wieder der Hinweis auf die Darlegungen des Verfassers mit der Berücksichtigung zahlreicher weiterer Deutungen gestattet: Düsing 1980, 110-123; 2001, 34-43.
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ten Gattung als einer allgemeineren, oder keine ergibt sich durch Einteilung einer noch höheren Gattung. Sie sind daher auch nicht definierbar, weil dies die Angabe einer solchen noch höheren Gattung erforderte. Sie können in ihrer je eigenen Bedeutung daher nur noetisch, d.h. in einem einfachen Einblick des Geistes erfasst werden - ähnlich wie Aristoteles die noetische Erfassung eines Eidos oder Wasseins schildert (vgl. Metaphysik. Theta. 10). Dies gilt insbesondere von derjenigen obersten Gattung, die der Philosoph in seiner ureigensten Untersuchung als die zentrale betrachtet, nämlich von der Idee des Seienden. Da dieses jedoch, soll es eine vernünftige Wissenschaft davon geben, im Logos ausgesagt werden muss, gilt es notwendigerweise, Verbindungen des noetisch erfassten Seienden mit anderen obersten Gattungen aufzustellen, und dies geschieht durch Dialektik. Der Sophistes zeigt also Platons grundlegende Dialektik an den obersten ontologischen Gattungen auf; sie muss die Paradoxien und Widersprüche vermeiden, die sich in der verfeinerten Zenonischen Dialektik des Parmenides ergaben. Der Gesprächsflihrer im Sophistes, der Fremde aus Elea, stellt an derjenigen obersten Gattung, die fiir die Eleaten als die "Stillsteller" des Seins ein besonderes Problem bildete, an der Bewegung zunächst eleatische Paradoxien auf, um sie sodann aufzulösen und sinnvolle Verknüpfungen der Gattungen vorzuführen. So erörtert er folgende Sätze: 1. ,Bewegung ist nicht Ruhe'; beide sind einander ganz entgegengesetzt. 5 2. ,Bewegung ist das Selbe, mit sich Identische, und sie ist nicht das Selbe, mit sich Identische'. Diese Paradoxie beseitigt der Fremde aus Elea durch den Zusatz: "nicht in der gleichen Weise" (256a); eine Hinsichtenunterscheidung vermeidet also den Widerspruch. ,Bewegung ist das Selbe, mit sich Identische' besagt spezifischer: ,Bewegung hat eine identisch bleibende Bedeutung'. Dies trifft allerdings auf alle Gattungen zu, gilt also nicht spezifisch von der Bewegung. Also ist Identität mit sich ein anderer Begriff als Bewegung; die Bewegung hat nur teil an ihm. Daher lautet die korrespondierende Aussage: ,Bewegung ist nicht das Selbe, mit sich Identische'; dieses ist ein anderes Genos. So wird ,ist' in diesen Aussagen in zweierlei Bedeutung verwendet; in der Aussage: ,Bewegung ist das Selbe, mit sich Identische' bedeutet ,ist' soviel wie: ,hat teil an'; in der Aussage: ,Bewegung ist nicht das Selbe, mit sich Identische' bedeutet ,ist' soviel wie ,ist begrifflich enthalten in' oder ,ist begrifflich deckungsgleich', was negiert wird, weil Identität mit sich ein eigenes Genos gegenüber Bewegung ist. Der Widerspruch wird also vermieden durch zweierlei Hinsichten im Gebrauch des ,ist', wozu der Eleat Parmenides mit seiner Lehre von der Einsinnigkeit des Seins nicht in der Lage war. In ähnlicher Weise wird in den folgenden Aussagen ein Widerspruch aufgestellt und vermieden: 3. ,Bewegung ist, aber sie ist auch nicht'. Dieser Widerspruch wird aufgelöst, wenn ,Bewegung ist' bedeutet: sie ,hat teil am Seienden', und ,Bewegung ist nicht' bedeutet:
5 Diese Entgegensetzung wird von Platon mehrfach betont (250a 8, 252d 6-11, 255e 11 f.). Nur unter ihrer Voraussetzung gelingt der Aufweis der Selbständigkeit der Gattungen der Identität mit sich und der Verschiedenheit gegenüber Bewegung, Ruhe und Seiendem. An einer Stelle scheint Platon diesen Gegensatz auflösen zu wollen (256b 6-7); aber diese Stelle ist, wie Heindorf, Cornford u.a. erklären, offenbar lückenhaft, da die Antwort des Theaetet nicht passt und da ferner diese Stelle den zuvorgenannten Stellen sowie der Argumentation nicht gemäß ist.
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,sie hat Seiendes nicht in ihrer eigenen Bedeutung', d.h. ist ein anderes Genos als dasjenige des Seienden. 4. ,Bewegung ist Verschiedenes, und sie ist nicht Verschiedenes'. Der Widerspruch wird vermieden, wenn: ,ist Verschiedenes' als ,hat teil am Verschiedenen' verstanden wird - und wenn ,ist nicht Verschiedenes' bedeutet, dass das Verschiedene nicht in ihrer eigenen Bedeutung enthalten ist. Vergleichbares lässt sich im Verhältnis aller obersten Gattungen zueinander - außer bei Bewegung und Ruhe - zeigen; entscheidend ist die Hinsichtenunterscheidung durch den Gedanken der Teilhabe, die hier nicht Teilhabe von sinnlichen Dingen an Ideen, sondern der höchsten Gattungen aneinander bedeutet, wodurch diese zugleich unterschiedene bleiben. So entsteht sinnvolle dialektische Ideenverknüpfung rur den Logos des Seienden, wodurch Widersprüche und Paradoxien vermieden werden. Daraufberuht Platons reine, dialektische Ontologie. - Diese Platonische Dialektik versteht Hegel aber trotz emphatischer Aufnahme ganz anders.
2. Hegels spekulative Deutung und Weiterführung von Platons Ontologie und Dialektik Hegel hat sich von seiner Jugend an bis in seine Spätzeit intensiv mit Platons Lehre befasst, und zwar mit nahezu allen Teilen von dessen Philosophie. Platons ontologische Grundbestimmungen erblickte er vor allem im Parmenides und im Sophistes. Den Parmenides lernte er schon früh kennen und befasste sich mit ihm bis in die Spätzeit; den Sophistes lernte er offenbar erst spät kennen; umso bedeutsamer wurde er für eine bestimmte Kategorienentwicklung Hegels. In der Interpretationsliteratur wurde schon im 19. Jahrhundert die exzeptionelle Bedeutung Platons fiir Hegel gesehen, aber von Hegel-Kritikern distanziert betrachtet. Im 20. Jahrhundert haben die Platon-Interpreten, insbesondere diejenigen, die Platons Parmenides negativ deuteten, Hegels Interpretation, die sie im Kern rur positiv hielten, abgelehnt, ohne auf ihre differenzierte Argumentation und ohne auf Hegels eigene Philosophie einzugehen. 6 Ein neues Interpretationsfeld eröffnete dagegen H.-G. Gadamer mit seiner wegweisenden Abhandlung: Hegel und die antike Dialektik (1961).7 Er wies zwar auf Unterschiede, auch Missverständnisse Hegels im Verhältnis zu Platon hin, hob aber Hegels eigenen Ansatz hervor und erklärte, dass Hegel in einem tieferen Sinne im Recht sei, wenn er die Platonische Dialektik spekulativ als Begreifen der Einheit von Gegensätzen betrachte. Dieser Interpretationslinie folgen viele, z.B. G. Duso, R. Wiehl, ebenso Neuere, deutlicher neuplatonisch orientiert z.B. J.N. Findlay, vorsichtiger und differenzierter F. Chiereghin und J.-L. Vieillard-Baron. 8 Andere, auch neuere Interpretationen wie diejenigen von L. Sichirollo, W. Künne, R. Santi oder des hiesigen Verfas-
6 Zu den Einzelheiten mag hier und im folgenden verwiesen werden auf: Düsing 1980, 96 ff.; 1983, 56-68; 2001,29,45, 127 ff. 7 Vgl. Gadamer 1980 (zuerst: 1961), 7-30. 8 Vgl. Duso 1967; 1969; Wiehl1965; Findlay 1974; Chiereghin 1966; Vieillard-Baron 1979.
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sers 9 heben dagegen entschiedener Hegels Umdeutungen der Platonischen Ontologie und Dialektik hervor und unterscheiden bei Anerkennung der Gemeinsamkeiten eindeutiger die Platonische und die HegeIsche Dialektik; hierbei gilt es vor allem in systematischer Hinsicht, sowohl die verschiedenen Profile der Dialektik-Konzeptionen Platons und Hegels als auch die jeweiligen Ontologie-Typen hervorzuheben. Hegels erste selbständige Deutung des Platonischen Parmenides ist in seinem Skeptizismus-Aufsatz von 1802 enthalten (vgl. GW 4, 207 f.). Die Darlegung des zweiten Teils des Parmenides versteht Hegel als Explikation reiner Sätze und Begriffe von je entgegengesetzten endlichen Bestimmungen, wie er sie auch in Kants Antinomien der reinen Vernunft in dessen skeptischer Betrachtung sieht, bei Platon aber reichhaltiger und vollständiger vorfindet; auf Einzelheiten geht Hegel nicht ein. So wird ihm Platons Parmenides zum Exempel eines "echten Skeptizismus" als einer Präfiguration seiner eigenen damaligen Logik, die noch eine systematische Entfaltung endlicher Verstandesbestimmungen ist. Diese erweisen sich in ihrer Entgegengesetztheit als Widersprüche; und in solchen Widersprüchen des Endlichen ist für Hegel schon das Unendliche in negativer Weise gegenwärtig. So interpretiert er den zweiten Teil des Parmenides ganz offensichtlich negativ. Aber er sieht darin spezifisch die "negative Seite der Erkenntnis des Absoluten" (ebd.) und deutet, die Kritik des Philosophiehistorikers Tiedemann ins Positive wendend, mit der Nennung von Marsilio Ficino eine positiv-metaphysische Fortführung wenigstens an. Er selbst sieht freilich eine eigene, andersartige, positive Explikation des Absoluten vor, und zwar damals aufgrund der Synthesis von verständiger Reflexion und intellektueller Anschauung. In der Phänomenologie von 1807 hebt Hegel dann emphatisch die Dialektik in Platons Parmenides als "wohl das größte Kunstwerk der alten Dialektik" (GW 9, 48) hervor. In ähnlicher Weise hatte kurz zuvor F. Schleiermacher den Dialog Parmenides, den er irrtümlich wie Schlegel als Werk des ganz frühen Platon ansah, als "seltenes dialektisches Kunstwerk" bezeichnet (Platons Werke, übers. v. F. Schleiermacher, T. 1, Bd. 2, 98). Hegel hebt hier so affmnativ wie sonst an keiner Stelle seines Werks die neuplatonische metaphysisch-positive Ausführung der Dialektik des zweiten Teils des Parmenides hervor, und zwar, wie Hegel deutet, als rein vernunftimmanente, nicht mystisch ausgerichtete "wahre Enthüllung und den positiven Ausdruck des göttlichen Lebens" (GW 9, 48), was man insbesondere als Hinweis auf Plotin und Proklos verstehen kann. Aber auch in diesem Hinweis auf die paradigmatische Dialektik im Parmenides unterscheidet Hegel die dortigen Beweisgänge von der positiv-metaphysischen Fortführung, wie sie Hegel interpretiert, durch die Neuplatoniker. In den Berliner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie sowie in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik fällt Hegels Urteil über die Dialektik in Platons Parmenides differenzierter aus. Zwar ist sie für ihn immer noch das "berühmteste Meisterstück der Platonischen Dialektik" (TWA 19, 79); einen Unterschied zwischen der Dialektik im Parmenides als verfeinerter Zenonischer Methode und der eigentlich Pla-
9 Vgl. Sichirollo 1966a, 1966b; Künne 1979; Santi 2000, 120 ff., 169 ff.; Düsing 1980, 123-150; 1983, 84-96, auch 68 ff.; 1990, 180-191; 2001, 22-32, 43-52. Vgl. auch Trienes 1989. Durchaus verschiedenartige, teils mehr von Hegel ausgehende, teils sich von ihm distanzierende Interpretationen enthält der Sammelband von Movia 2002.
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tonischen Dialektik von fünf obersten Gattungen im Sophistes benennt er nicht. Ferner vertritt er die Auffassung, der Parmenides enthalte "die reine Ideenlehre Platons" (ebd. 81), vermutlich veranlasst durch den tradierten Titel dieses Dialogs: "Parmenides oder über die Ideen". Platon bereitet dort freilich - nach der obigen Interpretation - eine konsistente Konzeption von Ideen und Ideenverknüpfung erst vor. Hegel akzentuiert gelegentlich, dass Platons Ideen zwar objektiv und allgemein, somit von allgemeinontologischer Bedeutung seien, dass ihnen aber noch das Prinzip der Lebendigkeit und letztlich der Subjektivität abgehe. Dies weist auf seine Deutung von Aristoteles' EidosLehre voraus. Auf die einzelnen Beweisführungen in Platons Parmenides geht Hegel in den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie nicht ein; er bemerkt nur allgemein, hier werde die "Identität" mit dem ,,Anderen" gezeigt, was man auch mit dem Sophistes verbinden kann, ferner der Umschlag des Vielen in das Eine oder die "Einheit des Einen und Vielen" (TWA 19, 80 ff.). Hegel versteht hierbei die Dialektik im Parmenides offensichtlich prinzipiell von seiner eigenen nunmehr entwickelten Konzeption von Dialektik her. So stellt er kritisch fest, dass die Dialektik in Platons Parmenides im wesentlichen negativ bleibt; ein positives Resultat der dargelegten Widersprüche werde dort nicht ausgesprochen (vgl. ebd. 69, 82). Insbesondere in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik nimmt Hegel noch detaillierter und auch noch kritischer zur Dialektik in Platons Parmenides Stellung (vgl. GW 21, 87, auch ebd. 161, 40). Zum einen setze Platon die eleatischen Bestimmungen des Einen und des Seins einfach an, ohne sie herzuleiten, und greife sie in den weiteren Beweisgängen ebenfalls nur auf ohne Fortentwicklung. Zum anderen vergleiche Platon im zweiten Beweisgang nur die verschiedenen Bestimmungen des Seins und des Einen untereinander und gelange dabei zu einer Vervielfältigung dieser Bestimmungen. Dies geschehe - wie schon das bloße Ansetzen von Bestimmungen - wesentlich aufgrund von äußerer Reflexion, aber nicht durch immanente Entwicklung. Schließlich bleibe auf solche Weise die ganze Argumentation negativ; eine Negation der Negation als Affirmation werde nicht erreicht. Hegel interpretiert also den Platonischen Parmenides auch in seiner Spätzeit offensichtlich - entgegen vielfach geäußerter Auffassung in der Literatur lO - negativ; allerdings hat der Parmenides für Hegel eine durchaus philosophischgrundlegende Zielsetzung. Die positive Errullung der negativ bleibenden Dialektik in Platons Parmenides erblickt Hegel (auch in den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie) in der spekulativen, ontologischen und theologischen Deutung und Ergänzung durch die Neuplatoniker, insbesondere durch Proklos. Hierbei legt er - nicht in Proklos' Sinne - eine positive Theologie zugrunde, kritisiert aber, dass diese nur durch ontologische Bestimmungen wie Sein, Nichtsein, Eines, Vieles usf. ausgeführt werden solle; denn bloße Bestimmungen des Seins, des Seienden oder auch des Wesens seien, für sich betrachtet, nicht bedeutungshaltig und komplex genug, um das reine, unendliche, göttliche Denken seiner selbst zu erfassen, 11 das rur ihn zum ersten Mal, wie noch zu zeigen ist, Aristoteles in
Vgl. tendenziell Gadamer 1980,19,20, vgl. deutlicher Duso 1967 und Findlay 1974. Vgl. zu diesem Problem in bestimmten Vorlesungskursen Hegels Dixsaut 2002, 142 f.; erlaubt sei zu diesem grundlegenden Problem bei Hegel auch der Hinweis auf Düsing 2003,678 ff. 10
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der Noesis Noeseos prinzipiell angemessen bestimmte. Vielmehr muss man nach Hegel den weiten Weg von den ontologischen zu den hochkomplexen spekulativtheologischen Bestimmungen eigens systematisch und methodisch durchgehen; dies kann in Hegels Augen nur durch die von ihm konzipierte spekulative Dialektik geschehen. Eine positive Ausruhrung der negativ bleibenden Dialektik des Platonischen Parmenides findet Hegel aber auch bei Platon selbst, insbesondere im Sophistes, den er hinsichtlich der behandelten ontologischen Bestimmungen und hinsichtlich der Methode an den Parmenides annähert. Hegel berücksichtigt den Sophistes erst in seiner Berliner Zeit; Platons Explikation der obersten Gattungen wird ihm in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik sogar zur Präfiguration einer eigenen neuen dialektischen Entwicklung bestimmter Seinskategorien. So eignet sich gerade Platons Dialektik oberster ontologischer Gattungen im Sophistes rur einen exemplarischen Vergleich mit Hegels Dialektik von Seinsbestimmungen. Platons Nachweis im Sophistes, dass Nichtseiendes - gegen Parmenides - sehr wohl, nämlich als Verschiedenes gedacht werden und als Verschiedenes sogar sein kann, deutet Hegel spekulativ als "Identität des Seins und Nichtseins"; und diese gehört fiir ihn zur "höchsten Form" Platonischer Dialektik (TWA 19, 74). Solche Identität Entgegengesetzter gilt nach Hegel auch fiir andere oberste Gattungen, insbesondere fiir das Selbe (tauton) und das Verschiedene (thateron). Hegel begeht dabei ausdrücklich den Widerspruch, den Platon im Verhältnis der obersten Gattungen durch seine Lehre von deren Teilhabe aneinander, ohne dass eine in der anderen enthalten ist, gerade vermied. So ,übersetzt' Hegel eine Sophistes-Stelle (259c-d) in seinem eigenen, aber Platon entgegengesetzten Sinn; er sagt, es sei "zu zeigen, dass das, was das Andere (heteron) ist, dasselbe ist, und was dasselbe ist (tauton on), ein Anderes ist, und zwar in einer und derselben Rücksicht" (TWA 19, 72), während Platon hier (Soph. 259c-d) die Hinsichten ausdrücklich unterscheidet. 12 Dort, wo Platon also durch Hinsichtenunterscheidung und bezüglich des Verhältnisses der obersten Gattungen zueinander durch Teilhabe, wie gezeigt, den Widerspruch vermeidet, sieht Hegel ihn als dialektisch und spekulativ notwendig unter entgegengesetzten Bestimmungen an, die in einer höheren Einheit vereinigt werden. Wenn Hegel also im Sophistes die "Hauptbestimmung der eigentümlichen Dialektik Platons" erblickt (TWA 19, 75), dann meint er damit nicht nur negative, sondern spekulative Dialektik. Hegel deutet aber nicht nur Platons Dialektik von obersten Gattungen im Sophistes um; er nimmt in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik auch zentrale Gattungen in seine eigene Explikation von Seinsbestimmungen auf und integriert sie in seine spezifische Dialektik von Seinskategorien. Dies sind die Platonischen Gattungen des Seienden (on), desselben (tauton) und des Anderen (thateron), die zu seiner Kategorien-
12 Hegel könnte zu seiner Version durch die in der Bipontiner Platon-Ausgabe, die er benutzte, zu findende ,Übersetzung' des Marsilio Ficino angeregt worden sein, der Platons Stelle lateinisch wiedergibt mit: "sive quod alterum est, idem, sive quod idem, alterum, atque id eadem utrumque ratione esse conrincens" (Bipontiner Platon-Ausg. Bd 2,287), wobei Hegel "aus demselben Grunde" verschärft zu: "in einer und derselben Rücksicht", was durch Nachschriften bestätigt wird. Palumbo (2002, 235 ff.) sieht hierin eher eine Interpretation Hegels, die spekulativ berechtigt sei, anders und kritischer äußern sich Movia/Milan (2002, 440 ff.).
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folge: Etwas überhaupt - bestimmtes Etwas und Anderes - Anderes an ihm selbst werden. Dem Etwas im allgemeinen oder Daseienden entspricht dabei das Seiende (on). Diese Grundbestimmung der Ontologie aber kann nach Hegel nicht einfach am Anfang stehen, da sie bereits synthetische Einheit einer Mehrheit von Bestimmungen enthält, die zuvor entwickelt werden müssen; es sind freischwebende Seinsweisen, die vorangehen und sich erst zum Etwas als dem Seienden konkretisieren. Dieses ist also nicht wie bei Platon oberste Gattung, sondern muss hergeleitet werden; auch die folgenden ontologischen Bestimmungen sind daher nicht "oberste", sondern allererst entwickelte Begriffe. Dieses Etwas überhaupt oder das Daseiende muss nun als bestimmte Gedankenbestimmung, als bestimmtes Etwas gedacht werden; diesem kommt Identität mit sich zu, was Platons Gattung des tauton entspricht. Nach dem Satz: ,omnis determinatio est negatio' wird es unterschieden von dem, was es nicht ist, zunächst dem kontradiktorisch entgegengesetzten Nicht-Etwas. Hegel verwandelt aber, was seit Trendelenburg vielfach bezweifelt wurde, durchaus geregelt kontradiktorische in konträre begriffliche Gegensätze, und zwar dadurch, dass das Entgegengesetzte inhaltlich als ebenso der allgemeineren Sphäre zugehörig gedacht wird wie das als bestimmt Gesetzte. So ist das dem bestimmten Etwas entgegengesetzte Nicht-Etwas, das selbst inhaltlich ein Daseiendes ist, das Andere. Damit sind sich das bestimmte Etwas und das Andere entgegengesetzt. Beide aber sind füreinander nur: Andere, was nach Hegel Platons heteron (thateron) entspricht. Abweichend aber von Platon ist für Hegel hiermit Etwas in Anderes "übergegangen"; es bleibt kein bestimmtes Etwas zurück. Dies Andere als solches als das Resultat dieser dialektischen Entwicklung oder dies Andere an ihm selbst bestimmt Hegel ausdrücklich in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik (GW 21, 106) als "to heteron des Plato, der es als eins der Momente der Totalität dem Einen entgegensetzt und dem Andern auf diese Weise eine eigne Natur zuschreibt". Der Gesamtkontext dieser Stelle bezieht sich auf den Sophistes; das "Eine", dem hier das "Andere" entgegengesetzt wird, ist das bestimmte, mit sich identische Etwas als tauton; auch in den Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" projiziert Hegel das ,Eine' des Parmenides auf ,dasselbe' des Sophistes; und ebenso wird im üblichen Sprachgebrauch oft das "Eine" im Sinne eines bestimmten Etwas dem ,,Anderen" entgegengesetzt. Die von Hegel genannten "Momente der Totalität" meinen die obersten Gattungen des Sophistes in ihrem Zusammenhang; und auch die "eigene Natur" des Anderen, des Verschiedenen spielt auf Platons Sophistes an. So nimmt Hegel hier ausdrücklich die Platonische Gattung des Verschiedenen und vorher implizit die Gattungen desselben, mit sich Identischen und des Seienden in seine Entwicklung der Seinsbestimmungen auf. Doch geschieht diese Aufnahme nicht ohne entscheidende Umdeutungen. Das Andere an ihm selbst enthält nach Hegel als höhere Einheit den Widerspruch der vorangehenden Bestimmungen in sich; anders als im Parmenides, der hierin nicht Platons eigene Lehre enthält, erklärt Platon aber im Sophistes, verschieden sei etwas immer nur in bezug auf Anderes, nicht in sich selbst; es ist kein Anderes seiner selbst wie für Hegel. Ferner ist bei Hegel die Beziehung dieser Seinsbestimmungen untereinander nicht wie bei Platon eine den Widerspruch vermeidende Teilhabe, durch die sie miteinander Bestand haben würden, sondern ein "Übergehen" einer Bestimmung in die folgende, logisch entgegengesetzte als Dialektik von Seinskategorien; die ontologischen Bestimmungen werden nicht als ihre Bedeutung wahrende durchgegangen wie bei Platon,
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sondern werden nach Hegel in der Weise seins-dialektisch gedacht, dass eine in sich einfache Bestimmung, ihre Bedeutung verändernd, in die spezifisch andere, folgende übergeht. Sie alle haben zwar ontologische Bedeutung; aber sie sind nicht "oberste" Gattungen, sondern werden hergeleitet. Erst nach einer langen weiteren kategorialen Entwicklung lässt sich einsehen, warum das Etwas - unplatonisch - der "Anfang des Subjekts" sein kann (GW 21, 103); auch diese Seinsbestimmungen, die inhaltlich Platons oberste Gattungen modifizierend aufnehmen, erweisen sich schließlich als Momente des reinen Denkens seiner selbst, das sich auch in der einfachen Bestimmung des Etwas als des Seienden (on) denkt. Hegel vertritt also wie Platon mit der Konzeption reiner ontologischer Gedankenbestimmungen oder Ideen eine idealistische Ontologie. Da für beide die Methode der Entwicklung dieser ontologischen Bestimmungen die Dialektik als Methode des reinen Denkens ist, entwerfen beide in methodischer Hinsicht eine dialektische Ontologie; freilich verstehen Platon und Hegel darunter durchaus Verschiedenes; der wesentliche Unterschied besteht, wie gezeigt, darin, dass Platon im Verhältnis ontologischer Ideen den Widerspruch vermeidet, den Hegel mit spezifisch konträr entgegengesetzten Bestimmungen begeht, die in einer jeweils höheren Einheit aufgehoben und bewahrt sind, nämlich als endliche, entgegengesetzte Bestimmungen im Unendlichen, wie es auf verschiedenen Stufen gedacht wird. Die entscheidende methodische Abänderung gegenüber der Platonischen Dialektik, die Hegel nicht eigens bemerkt zu haben scheint, ist bei ihm also metaphysisch begründet. Schließlich vertritt Platon insbesondere im Sophistes eine universalistische Ontologie; die ontologischen Grundbestimmungen gelten für alles Seiende, wie auch immer es spezifischer bestimmt sein mag. Wenn man Hegels Explikation der reinen Seinsbestimmungen nur für sich betrachtet, so kommt auch ihnen universalistische Bedeutung zu. Erst am Ende der spekulativen Logik erweisen sie sich für Hegel als Momente der sich selbst denkenden Idee oder der absoluten Subjektivität als der Gedankenbestimmung des ausgezeichneten, höchsten Seienden in einer paradigmatischen Ontologie; diese ist somit metaphysisch-theologisch begründet. Das Verhältnis von Ontologie und philosophischer Theologie wird sich in Hegels Aufnahme und Veränderung von Aristoteles' Metaphysik noch konturierter aufhellen. Schon jetzt aber lässt sich absehen, dass die Ontologietypen, die Platon und Hegel teils gleichartig, teils ganz unterschiedlich erfüllen und die dann noch verschiedene andersartige Erfüllungen in Aristoteles' und Hegels Lehren in ihrem Verhältnis zueinander finden werden, die wesentlichen Varianten vorzeichnen, innerhalb deren auch gegenwärtig eine Ontologie ausgebildet werden kann. Denn auch wenn etwa eine kritische Erkenntnistheorie für notwendig erachtet wird, so müssen doch die ontologischen Bestimmungen oder Kategorien, deren Erkenntnisreichweite geprüft werden soll, zunächst eigens aufgestellt und entwickelt werden.
3. Ontologie und philosophische Theologie bei Aristoteles
Hegel sieht Aristoteles, die zweite Gipfelgestalt der antiken Philosophie nach Platon, nicht als Antipoden, sondern als Fortsetzer und Vollender der Philosophie Platons an; ja er behauptet sogar, Aristoteles "übertrifft an spekulativer Tiefe [...] den Platon" (TWA 19, 133). Hegel kommt hierbei das Verdienst zu, das lange gepflegte Fehlurteil im 18.
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Jahrhundert, das sich auch bei Kant oder dem aufklärerischen Philosophiehistoriker Tennemann findet, Aristoteles sei ein, obzwar inkonsequenter, Empirist, ausgeräumt zu haben. Ontologie und philosophische Theologie sowie deren Verhältnis zueinander bedeuten für Aristoteles ebenso wie für Hegel Grundlegungstheorie; diese nennt Aristoteles "erste Philosophie". So sei nun zuerst - wieder unabhängig von Hegels Deutungsvorgaben Aristoteles' Ontologie und Theologie umrissen, um davon Hegels Deutung und dessen eigene Weiterführung oder spekulative Abänderung unterscheiden zu können. Aristoteles definiert die Aufgabe der Ontologie als Teil der "ersten Philosophie" maßgeblich auch für viele weitere Untersuchungen bis in die Gegenwart folgendermaßen: "Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes betrachtet und dasjenige, was ihm von sich her zukommt" (Metaphysik Buch IV, 1003a, 21f). Denn "das Seiende wird in vielerlei Bedeutungen ausgesagt" (1003a, 33), die aber nicht heterogen sind. Erst im 17. Jahrhundert erhält diese Wissenschaft die Bezeichnung: Ontologie. Die grundlegende Bedeutung des Seienden aber, von der die anderen ihm zukommenden abhängen, ist für Aristoteles diejenige der Ousia. Sie legt Aristoteles in seiner Kategorien-Schrift, die zu seinem früheren Ansatz gehört, explizit dar, was in der Geschichte der Philosophie zumeist als die entscheidende Lehre des Aristoteles angesehen wurde; erst in den letzten Jahrzehnten und Jahren unterschied man davon eindeutig Aristoteles' spätere Ousia-Lehre in den Büchern VII und VIII der Metaphysik. 13 Doch bleibt seine Ontologie wesentlich Ousia-Lehre; sie erfüllt den Grundtypus der Substanzontologie. In der Kategorien-Schrift entwickelt Aristoteles 14 offensichtlich in Absetzung von Platon seine Lehre von der ersten und zweiten Ousia. Erste Ousia ist, negativ betrachtet, was nicht in einem anderen ist und nicht von einem anderen ausgesagt wird. Dies bedeutet positiv, sie ist in logisch-sprachlicher Hinsicht Zugrundeliegendes oder erstes Subjekt in Aussagen, in denen es sachlich-inhaltlich nicht wieder als Prädikat auftreten kann. Aristoteles orientiert sich hierbei am kategorischen Urteil; diese Bestimmung der ersten Ousia ist urteilslogisch; die anderen Kategorien dagegen der qualitativen, quantitativen, relativen Bestimmung usf. fungieren als Prädikate eines solchen Zugrundeliegenden. Aristoteles entwirft in ihrem Grundzug also, ohne spezifische Reflexion darauf, eine urteilslogische Ontologie, keine dialektische Ontologie wie Platon; solche urteilslogische Ontologie wurde systematisch als reines Gedankengebäude später von Kant in der strengen Korrespondenz von Urteilsfunktionen und Kategorien ausgeführt. Die andere Charakterisierung der ersten Ousia, nämlich dass sie nicht in einem anderen ist, bedeutet in ontologischer Hinsicht positiv, dass sie selbständig Existierendes ist; dies aber gilt nur vom bestimmten Einzelwesen (tode ti): dieser bestimmte Mensch oder dieser bestimmte Hund. Ousia in zweiter, nachgeordneter Bedeutung ist das Eidos bzw. Genos von etwas. Im Eidos wird semantisch und logisch-sprachlich das wesentliche Wassein, nicht etwa nur
13 Vgl. hierzu sowohl grundlegend als auch detailliert sowie unter sorgfältiger Erörterung der Alternativen in der vielfältigen Literatur Fonfara 2003. 14 Hier wird davon ausgegangen, dass die Kategorien-Schrift echt ist, was seit dem 19. Jahrhundert immer wieder bezweifelt wurde. Vgl. die Übersicht über die Argumente, die rur die Echtheit sprechen, durch Krämer 1973, bes. 122 ff.
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eine zufallige Eigenschaft, eines zugrunde liegenden Subjekts, nämlich einer ersten Ousia oder eines existierenden Einzelwesens ausgesagt; das Genos, die Gattung, ist wiederum eine allgemeinere Bestimmung des Eidos, wenn dieses in einer Aussage als Subjekt fungiert. So ergibt sich z.B. die Aussagenfolge: Sokrates als Einzelwesen ist wesentlich durch Menschsein charakterisiert; Mensch aber ist in allgemeinerer Bestimmung Lebewesen. Hieraus ersieht man, dass die Gattung weiter vom Einzelwesen entfernt ist als das Eidos. Eidos und Genos gelten Aristoteles zwar als Bestimmungen zweiter Ousia; aber ontologisch kommt ihnen - im Gegensatz zu Platonischen Ideen keine eigenständige Existenz zu. Das Eidos: Hund oder das Eidos: Mensch existiert vielmehr nur in bestimmten einzelnen Hunden bzw. in bestimmten einzelnen Menschen, aber nicht an sich selbst. Denn ein Eidos, erst recht ein Genos ist, wie auch Platon erklärt, ein Allgemeines; ein Allgemeines aber bezieht sich nach Aristoteles per se auf Einzelnes und gilt nur von diesem als einem vorausgehenden Selbständigen. So kommt dem Eidos oder dem Genos zwar eine ontologische Bedeutung zu; sie sind keine bloß gedanklichen Merkzeichen; aber sie existieren nur in den Einzelwesen, wobei hier in der Regel eine stillschweigende Voraussetzung, wie die Beispiele zeigen, darin besteht, dass diese Einzelwesen Synhola, aus Stoff und Form (Eidos) zusammengefügte Wesen sind. Diese Ousia-Lehre wird von Aristoteles später in der Metaphysik erheblich abgeändert; die Bedeutung der ersten Ousia wird dort neu bestimmt. Erste Ousia ist für ihn nun das Eidos, das in der Kategorien-Schrift nur zweite Ousia war. Eine Rückkehr zu Platon bedeutet dies aber nicht, da Aristoteles daran festhält, kein Allgemeines könne Ousia als selbständig Existierendes sein. So stellt sich das schwierige, seit neuerern und neuestern vielerörterte Problem ein, wie das Eidos einerseits erste Ousia und damit im Grunde ein wesentlich bestimmtes Einzelwesen und andererseits ein Allgemeines etwa als begrifflicher Gehalt einer Wesensdefinition sein kann, d.h. wie diese durchaus verschiedenen Bestimmungen des Eidos miteinander vereinbar sein können. 15 Der mehrfach vertretenen Auffassung, Aristoteles' Aussagen blieben widersprücWich, kann man offensichtlich durch eine konsistente Lösung begegnen. Diese lässt sich in der folgenden These finden: Das Eidos ist in ontologischer Bedeutung nicht einfach als solches, sondern als das "ti en einai" das wesentliche Sein und Wassein eines Einzelwesens, macht also gerade dessen eigentliches Sein aus. In definitorischer Bedeutung gibt es dagegen innerhalb einer Definition ein wesentliches Allgemeines an, das als Allgemeines nicht Ousia sein kann. Das Eidos ist danach in ontologischer Bedeutung erste Ousia als das ti en einai (vgl. Metaphysik l032b 1 f., auch l037a 33 ff.). Dieser Ausdruck fand im Deutschen abenteuerliche Übersetzungen wie "das, was es heißt, dies zu sein".16 Übersetzungen in andere europäische Sprachen scWießen sich der Übersetzung des Thomas von Aquin mit "essentia" an; deshalb soll es auch hier mit "Essenz" wiedergegeben werden; damit wird jedoch nicht - wie in Thomas' Lehre - Wassein nur im Unterschied zur Existenz gekennzeichnet, sondern zugleich Wassein und Sein des Einzelwesens; denn das ti en
15 Vgl. Fonfara 2003. Vgl. unter den neueren Darstellungen SpeIlman 1995, bes. 40-62 und Rapp 1996. Erlaubt sei auch der Hinweis aufDüsing 1997, bes. 64-76; 2001, bes. 54-66. 16 Vgl. Frede/Patzig 1988, Bd. 1, 19 f., Bd. 2,34 f. (sprachliche Erläuterungen).
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einai oder die Essenz in Aristoteles' Theorie bedeutet erste Ousia eines Einzelwesens. So macht z.B. das Eidos einer Lilie, soll es erste Ousia sein, deren Essenz als Sein und Wassein dieser Lilie aus. Es konstituiert erst die bestimmte Form und Gestalt der Lilie, wodurch sie als diese einzelne geformte existiert. Ohne Eidos als Essenz (ti en einai) gäbe es gar kein geformtes Einzelwesen, sondern bloße Materie, die form- und gestaltlos ist. So formt erst das Gestalt gebende Eidos als Essenz in Aristoteles' Sinne dieses Einzelwesen, das als solches nur in seinem wesentlichen Wassein existiert. Aristoteles ist jedoch nicht der Auffassung, das Eidos als solches sei individuelle Form. Dies lehren erst verschiedene Neuplatoniker; es ruhrt zu Leibniz' Lehre vom vollständigen individuellen Begriff und zu Hegels Theorie der Einzelheit, die als vollendende Begriffsbestimmung zugleich konkrete Allgemeinheit bedeutet. Die Essenz als erste Ousia eines Einzelwesens kann nun noch verschieden von dem Einzelwesen sein, insofern diesem als einem Synholon, einem Ganzen aus Stoff und Form, auch unwesentliche Eigenschaften zukommen wie z.B. der Lilie eine bestimmte Farbtönung. Aber erst das Eidos als Essenz macht sie zu diesem Einzelwesen; das Eidos ist in ihm gegenwärtig (eidos to enon, Metaphysik l037a 29). Diese Auffassung prägt den mittelalterlichen Realismus vor. Das Eidos als Essenz kann aber auch identisch mit dem Einzelwesen sein, wenn dieses keine zufälligen, stoffbedingten Eigenschaften hat wie z.B. Gott. Auch in der veränderten Ousia-Lehre der Metaphysik also bleibt die Grundthese erhalten, dass das selbständig Existierende das wesentlich bestimmte Einzelwesen ist. Von dieser ontologischen ist die defmitorische Bedeutung des Eidos unterschieden. Auch wenn in einer Definition das Eidos den wesensbestimmenden Unterschied angibt, bleibt es ein Allgemeines, und als solches Allgemeine in einer Definition ist es nicht selbst Ousia. Dies ist nur bei Platon der Fall, gegen dessen Lehre sich Aristoteles hiermit nach wie vor wendet. - So also lassen sich die unterschiedlichen Bestimmungen, das Eidos sei ontologisch als ti en einai erste Ousia eines Einzelwesens, in Definitionen aber als Allgemeines keine Ousia, durch Hinsichtenunterscheidung vereinbaren. Aristoteles führt ferner prinzipiell über Platons Lehre durch die Unterscheidung von Möglichkeit (Dynamis) und Wirklichkeit (Energeia) hinaus. Obwohl Aristoteles diesen Unterschied nicht als kategorial betrachtet, gilt er doch :fiir alles Seiende und wird auch in bezug darauf ausgesagt. Alles bewegte Seiende, das eidetisch bestimmt ist, bewegt sich aus einem Zustand, der mit Möglichkeit behaftet ist, hin zu einem Zustand der Wirklichkeit, den es teleologisch erstrebt. Der ungeformten Materie dagegen kommt nach Aristoteles bloße, nicht selbst existente Möglichkeit zu; das Endziel der Vollendung, das vom bewegten Seienden angestrebt wird, ist im diametralen Gegensatz dazu reine, nicht mehr mit Möglichkeit vermischte, stofflose, d.h. geistige Wirklichkeit. So kann Aristoteles' Ontologie als Substanzontologie, als Ontologie der Ousia in ihren beiden Versionen gekennzeichnet werden, die jedoch auch Bewegung und Prozess, nämlich am zugrunde liegenden Einzelseienden zu begreifen vermag. Sie ist methodisch dem Ansatz nach urteilslogische Ontologie, was in der Kategorien-Schrift deutlicher hervortritt als in der Metaphysik, aber auch dort noch gilt. Sie ist realistische oder Gegebenheitsontologie, weil die wesensmäßig Seienden und deren Eide als zu denkende vorgegeben sein müssen, was, wie sich noch zeigen soll, gerade in Aristoteles' Bestimmung des göttlichen Nous hervortritt. Schließlich ist sie universalistische Ontologie, da die kategorialen und allgemeinsten Bestimmungen des Seienden und damit auch die
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grundlegenden Bestimmungen des Verhältnisses von Ousia und ihren Akzidentien für alles Seiende gelten sollen. Doch steht diese Art von Ontologie bei Aristoteles in einem spannungsreichen Verhältnis zu einer paradigmatischen Ontologie, die die Bestimmungen des Seienden von einem höchsten Seienden her konzipiert; dies Problem bewegte die folgende Geschichte der Philosophie bis zu Hege!. Aristoteles selbst stellt die Verbindung von Ontologie und Theologie durch die Lehre von den drei Arten der Ousia (Substanz) in Metaphysik Buch XII her. Er unterscheidet die sinnlich sichtbaren bewegten, vergänglichen Ousiai, wie es die in den Beispielen betrachteten sind, von den sinnlich sichtbaren, bewegten, immerwährenden Ousiai, wie es seiner Auffassung nach die Gestirne sind, und von diesen beiden Ousia-Arten die unsinnlichen, unbewegten, ewigen Ousiai und insbesondere die beherrschende unbewegte Ousia. Sie alle sind in allgemeinem Sinne Ousiai, nämlich selbständig existierende Wesenheiten; ihre entscheidenden Unterschiede untereinander sind Unterschiede des Verhältnisses von Möglichkeit und Wirklichkeit sowie Unterschiede der Vollkommenheit. - Aristoteles führt nun zur Art der unsinnlichen, unbewegten, aber anderes bewegenden Ousia durch eine kosmologische Argumentation, die hier nur genannt sei, da sie für Hegel kaum von Bedeutung ist. Alles Bewegte ist in der Zeit als dem Maß, genauer dem Gezählten an der Bewegung. Die Zeit aber als Jetzt-Zeit vergeht nicht, da jedem Jetzt ein Früher vorausgeht und ein Später nachfolgt; also vergeht auch nicht die kontinuierliche, von ihr gemessene kosmische Bewegung, die Kreisbewegung. Nun bedarf jede Bewegung einer Ursache, die zuletzt selbst unbewegt, unsinnlich und ewig sein muss. Da Bewegung aber nach Aristoteles teleologisch das Erstreben eines vollkommeneren Zustandes bedeutet, der weniger mit Möglichkeit behaftet ist und damit reinere Wirklichkeit und Vollkommenheit mit sich führt, sucht alles Seiende durch seine Bewegung in die Wesensnähe des Vollkommensten zu gelangen, des ersten unbewegt Bewegenden, das selbst rein wirklich und vollkommen ist und jenes Seiende wie ein "Geliebtes" oder Erstrebtes bewegt (Metaphysik, l072b 3). Kosmologisch nimmt AristoteIes als Ursache vieler Gestimbewegungen in Sphären eine Pluralität von ersten unbewegten Bewegem an. Eine erste bewegende Ursache aber wird von ihm als die alles Seiende beherrschende ausgezeichnet; dieser Gedanke, den Aristoteles deutlich benennt, wenn auch nicht weiter ausführt, wird in der späteren Tradition und auch von Hegel entschieden hervorgehoben. Diese erste bewegende, selbst unbewegte, ewige Ursache ist der beherrschende Gott. In seinen inneren Bestimmungen kommt ihm, da er reine Wirklichkeit (Energeia) und Vollkommenheit ist, die mit keinerlei Möglichkeit, daher auch nicht mit Stofflichem oder Sinnlichem vermischt ist, reine Intellektualität zu; er ist der göttliche Nous. Aristoteles erinnert hierbei an Anaxagoras' Nous als beherrschenden Ordnungsgrund des Kosmos; aber Aristoteles bestimmt inhaltlich genauer, was dieser Nous eigentlich denkt. Er ist reines geistiges Leben, das in seiner Denktätigkeit besteht. Soll diese das Vollkommenste sein, so kann sie als ihren noematischen Inhalt nicht weniger Vollkommenes denken; und sie kann als vollkommenste keiner Veränderung unterliegen. Sie denkt also immerwährend das Vollkommenste: sich selbst und ist darin erfüllt in ewiger Seligkeit. Aristoteles' Argumentationsfolge ist hier bedeutsam; das Gedachte muss das Vollkommenste sein, wenn solche höchste Vollkommenheit ebenso der Denktätigkeit zukommen soll. Er geht damit vom Vorrang des Gedachten aus; dies gilt auch von den
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Denkinhalten, die als ewige das göttliche Denken nur aufnimmt (Met., 1072b 22 f.), aber nicht produziert. Diese Argumentation wird Hegel dann umkehren. Das göttliche Denken seiner selbst,' die Noesis Noeseos, bleibt inhaltlich keineswegs leer und formal, wie man u.a. vermutet hat. Aristoteles entwickelt darüber zwar keine detaillierte Theorie, gibt aber an, dass der göttliche Nous eine Reihe von ursprünglich positiven Bestimmungen denkt, wenn er sich selbst denkt, nämlich einfache Ousia, Wirklichkeit als reine Tätigkeit, das Schöne und Vollkommene, das Beste und den Selbstzweck sowie auch ewiges Leben. Dies sind rein intellektuelle Bestimmungen von ontologischer Bedeutung wie Platonische Ideen; sie erhalten ihren ontologischen Sinn nicht etwa durch Inkorporation in zugleich stofflichen Einzelwesen, sondern stellen intellektuelle, wahre, noematische Momente der Noesis Noeseos dar; denn der Nous ist der "Ort der Ideen"; in ihnen denkt der göttliche Nous sich selbst. Diese Lehre wird im Mittelplatonismus und im Neuplatonismus besonders Plotins weiterentwickelt; es ist der Ideenkosmos, den der göttliche Nous ineins und zumal im Denken seiner selbst erfasst. So wird alles Seiende letztlich vom Paradigma des vollkommensten göttlichen Seienden her verstanden. - An diesem göttlichen Nous hat für Aristoteles der menschliche Nous Anteil, sofern er nicht bloß passiver Nous bleibt, der seine Gedanken aus der bloßen Möglichkeit als gegebene hervorholt und durchgeht, sondern zugleich aktiver Nous wird, der in seiner, wenn auch nicht produktiven, Tätigkeit Ideen denkt. In seinem höchsten Vol1zug in der Theoria partizipiert er an jenem göttlichen Ideendenken, das wesentlich Denken seiner selbst bedeutet.
4. Hegels Deutung und Transformation von Aristoteles' Ontologie und philosophischer Theologie Erst gegen Ende der Jenaer Zeit sowie in der Vorrede der Phänomenologie von 1807 befasst Hegel sich näher mit Aristoteles' Metaphysik, fiir die er rühmende Worte findet. Schon hier sind es Aristoteles' Ousia- und Eidos-Lehre sowie dessen ontologisch konzipierte Teleologie, die Hegel rur seine eigene Theorie fruchtbar macht. In den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie spielt er nicht nur auf Aristoteles an, sondern liefert eine spekulative Interpretation und Transformation von dessen Metaphysik. Er entkräftet, wie erwähnt, das frühere Vorurteil, Aristoteles sei ein teilweise inkonsequenter Empirist. Vielmehr verbessert und vervollkommnet er in Hegels Augen die Platonische Ideenlehre. So sei nun untersucht, weshalb Hegel Aristoteles' Erste Philosophie als Ontologie und Theologie so positiv würdigt; die Anlage seiner eigenen Ontologie folgt derjenigen des Aristoteles hinsichtlich der Grundtypen kaum; deutlich nähere Verwandtschaft zu Aristoteles zeigt sich in der spekulativen Theologie. 17 Bereits Hegel unterscheidet Aristoteles' Ousia-Lehre in der Kategorien-Schrift von derjenigen in der Metaphysik; die Unterschiede betrachtet er allerdings nicht von Aristo-
17 Zu Hegels spekulativer Aristoteles-Interpretation sei in Auswahl verwiesen auf: Hartmann 1957; Kern 1971; 1972; Aubenque 1990; Samona 1989; 1995; Verra 1993; Ferrarin 2000. Erlaubt sei auch der Hinweis auf Düsing 1983,97-132; 1997; 2001, 66-75,86-96; 2004, dort auch jeweils Literaturberichte.
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teles' Denkentwicklung her, sondern rein systematisch. Die Lehre von der ersten und zweiten Ousia in der Kategorien-Schrift ordnet er der Logik zu; die erste Ousia steht ihm für die Begriffsbestimmung des Einzelnen, das Eidos für diejenige des Besonderen und das Genos für diejenige des Allgemeinen. Diese verbleiben fiir Hegel als Bestimmungen des endlichen Verstandes im Kontext der traditionellen Logik, die begründet zu haben er durchaus als Verdienst des Aristoteles ansieht. Eine Beziehung auf die OusiaLehre der Metaphysik und auf Aristoteles' dortige Abänderungen nimmt Hegel nicht vor. Der eigentliche Ort der Ousia-Lehre aber ist rur Hegel Aristoteles' Metaphysik. "Ousia" übersetzt er nach damaligem Usus, der lateinischen Übersetzung folgend, mit "Substanz"; das "ti en einai" wird von ihm einmal mit der Formel: "wodurch etwas dieses ist" wiedergegeben (TWA 19, 152). Gegenüber der Allgemeinheit der Platonischen Idee habe Aristoteles das "Prinzip der Individuation" (ebd. 155) hervorgehoben; das eigentliche Seiende sei das Individuum. Dies ist oft gesagt worden. Die spezifische Deutung und Umdeutung Hegels besteht darin, dass solches Individuelle durch die von ihm konzipierte spekulative Begriffsbestimmung der Einzelheit gedacht und erkannt wird, die zugleich konkrete Allgemeinheit bedeutet. Während Hegel im Platon-Teil seiner Vorlesungen über Geschichte der Philosophie die Platonische Idee manchmal noch als das der Tendenz nach "in sich Konkrete" (TWA 19,65) ansieht, ist sie für ihn in der Behandlung der Kritik durch Aristoteles lediglich "abstrakt Allgemeines" und einseitig an sich oder objektiv Bestehendes. Aristoteles erst konzipiert demnach das eigentliche Seiende (Ousia), das in sich durch sein Eidos bestimmt ist, als, wie Hegel zuspitzt, begrifflich zu denkende Einzelheit, die konkrete Allgemeinheit ist, als in sich zugleich Negatives, das sich auf sich bezieht, als Lebendiges und, wie Hegel sodann transformierend deutet, als Subjektivität: "dies Prinzip der Lebendigkeit, [...] der reinen Subjektivität ist Aristoteles eigentümlich" (TWA 19, 153). Es ist speziell das Eidos im Sinne des Seins und Wasseins des Einzelwesens, das dieses Einzelwesen erst formt, gestaltet und konstituiert, somit bei Aristoteles: das Eidos als ti en einai, dem solche "Tätigkeit" und formende Lebendigkeit zukommt, die für Hegel letztlich selbstbezüglich ist. Die Weiterruhrung der Platonischen Ideenlehre besteht also nach Hegels Auffassung in diesem Begreifen des Eidos als eines Lebendigen, zugleich in sich Negativen, als eines in sich konkret-allgemeinen Einzelnen, worin nach Hegels eigener Theorie die Begriffsbestimmung der Subjektivität liegt. Hegel deutet und transformiert damit die pointiert von ihm aufgegriffene ontologische Bedeutung des Eidos, die Aristoteles als ti en einai des Einzelwesens bestimmt; in dem Verhältnis der ontologischen Bedeutung des Eidos zur Allgemeinheitsbedeutung des Eidos in der Definition sieht Hegel dabei kein besonderes Problem, da für ihn dies Allgemeine zugleich in sich konkret ist und nicht anderes, sondern nur sich selbst bestimmt und darin Einzelnes ist. Diese Interpretation und Umprägung der ontologischen Bedeutung des Aristotelischen Eidos findet auf der Basis der beiden ,,Hauptjormen" (TWA 19, 154) der Metaphysik des Aristoteles statt, nämlich von Möglichkeit (Dynamis) und Wirklichkeit (Energeia), die in je verschiedenen Verhältnissen für alles Seiende gelten. Möglichkeit deutet Hegel einerseits als Zustand von etwas Materiellem, das für ihn immer schon in bezug auf ein Eidos steht, und somit als "Anlage"; andererseits betrachtet er das Mögliche als das bloß Ansichseiende und Objektive, wie er es als Seinsart den Platonischen Ideen zuschreibt. Aber bei den Einzelwesen aus Stoff und Form ist die Form oder das Eidos
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das Tätige, Gestaltende und jenes Einzelwesen erst Konstituierende, also das eigentlich Wirkliche in diesem Synholon oder Ganzen; und dieses tätige Formgeben begreift Hegel in seiner Weiterflihrung als Sich-auf-sich-Beziehen der Einzelheit, d.h. als Subjektivität(vgl. TWA 19,154). Diese Konzeption differenziert Hegel in seiner Interpretation der drei grundlegenden Substanzarten des Aristoteles. Die erste Substanzart bestimmt er wie Aristoteles als die sinnlich-sichtbare, bewegte, vergängliche Substanz; die zweite Substanzart stellt dann eine sinnlich sichtbare, bewegte, aber unvergängliche Substanz dar, die bei Hegel inhaltlich schemenhaft bleibt; er scheint nicht an Gestirne, sondern an die Seele zu denken. Die dritte Substanzart bedeutet die unsichtbare, unbewegte, ewige Substanz, deren kosmologische Basis Hegel freilich wenig beachtet. In der aufsteigenden Reihe dieser drei Substanzarten erblickt Hegel eine immer stärker sich durchsetzende Kraft der Wirklichkeit und Tätigkeit, die dem Eidos in ontologischer Bedeutung zukommt. Sie ist sachlich begründet in der Aristotelischen Teleologie. Hegel erkennt durchaus zutreffend, dass diese Teleologie einen konstitutiven Bestandteil von Aristoteles' Ontologie ausmacht. Dies hebt er schon in der Vorrede der Phänomenologie hervor; und auch später rekurriert er affirmativ gegen den Universalität beanspruchenden neuzeitlichen Mechanismus auf Aristoteles' ontologische Teleologie. Dem Einzelwesen als bewegtem kommt innere Entwicklung durch das ihm immanente Eidos als sein Telos zu; so erstrebt es in sich das Wirklichwerden seines Eidos. Das Eidos-Sein vollendet sich in reiner Wirklichkeit und Tätigkeit innerhalb der unsinnlichen, unbewegten, ewigen Ousia, die reiner göttlicher Nous ist. In dieser Weise deutet Hegel das bei Aristoteles nicht endgültig festgelegte, aber doch hinreichend klar umrissene Verhältnis von Ontologie und philosophischer Theologie. Diese Theologie geht dort aus der Lehre von den drei Substanzarten sowie aus der Teleologie hervor; und Hegel spielt schon in der Phänomenologie darauf an, dass die selbst unbewegte, ewige Nous-Substanz vom bewegten Seienden in dessen Übergang von Möglichkeit zu intensiverer Wirklichkeit und Vollkommenheit erstrebt wird "wie ein Geliebtes", nämlich als höchstes Telos. Hegels Identifikation mit dieser Lehre des AristoteIes von der höchsten Ousia, dem göttlichen Nous, kann kaum entschiedener ausgedrückt werden als dadurch, dass er sein in der Enzyklopädie dargestelltes ganzes System abschließt mit dem Aristoteles-Zitat aus der Metaphysik über die göttliche Noesis Noeseos. 18 In ihren inneren Bestimmungen ist die unbewegte, unsinnliche, ewige Substanz also reine Intellektualität, reiner göttlicher Nous. Hegel sieht diesen - wie es zumeist in der Tradition geschieht - sogleich als den einen geistigen Gott an, was über die kosmologischen Zusammenhänge hinausfiihrt; aber auch Aristoteles hebt ja den Einen Nous der alles beherrschenden göttlichen Substanz hervor. Der göttliche Nous als das rein Wirkliche und das Vollkommenste kann nun, wie Aristoteles darlegt, inhaltlich-noematisch nichts weniger Vollkommenes, sondern immerwährend nur sich selbst denken. Aristoteles geht in seiner Argumentation, wie erörtert,
18 Hegel zitiert aus Aristoteles, Metaphysik Buch XII, Kap. 7, 1072b 18-30, in Enzyklopädie, 3. Aufl. 1830, § 577 Ende. Hegel benutzte in seiner früheren Zeit nach eigener Schilderung die AristotelesAusgabe des Erasmus von 1531, später wohl die leichter lesbare Ausgabe des Casaubonus von 1590. VgI. Düsing 2004, 450.
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von der Vortrefflichkeit des Gedachten aus, um die Vollkommenheit des dieses Gedachte Denkenden zu erweisen (vgl. Met. 1072b 22f); denn der Nous nimmt die Denkinhalte nur auf. In seiner in den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie vorgetragenen Übersetzung, die sich freilich vom Text der Ausgabe des Erasmus her nahe legt, 19 sagt Hegel dagegen, dass ,,,jenes' (das Wirken, die Tätigkeit) ,mehr göttlich ist als dasjenige, was die denkende Vernunft (nous) Göttliches zu haben meint' (das noeton)"; und Hegel erläutert: "Nicht das Gedachte ist das Vortrefflichere, sondern die Energie selbst des Denkens" (TWA 19, 163). Das Denken des Denkens oder das göttliche Denken seiner selbst deutet Hegel somit zu einer spontanen intellektuellen Tätigkeit um, die - gemäß seiner eigenen Theorie - ihre Denkinhalte allererst konstituiert, sie also nicht als ewig vorgegebene aufnimmt, sondern hervorbringt. Denn schwerlich könnte sie nach Hegel sich spontan und autonom selbst bestimmen, wenn ihr ihre Denkinhalte als vorliegende je schon vorgegeben wären. Nur in solchem reinen Denken ist nach Hegel "wahrhafte Übereinstimmung des Objektiven und Subjektiven vorhanden; das bin Ich. Aristoteles findet sich also auf dem höchsten Standpunkt" (TWA 19, 165). Das göttliche Denken seiner selbst transformiert Hegel demnach zur sich selbst denkenden unendlichen oder absoluten Subjektivität. Offenbar ist in dieser subjektivitätstheoretischen Deutung auch begründet, dass Hegel dem göttlichen Nous zumindest unter anderem nicht wie Aristoteles reine Wirklichkeit, sondern Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit zuschreibt. In seiner Interpretation von Aristoteles' De anima fasst Hegel den passiven Nous, der das Vermögen hat, jegliche einzelne Idee zu denken, als Nous in bloßer Möglichkeit auf; diese aber gilt ihm als Naturhaftes und Objektives; der aktive Nous dagegen ist der rein wirkende und wirkliche Nous. Dies ist der göttliche Nous, der "von außen" (TWA 19, 216), wie Hegel mit Aristoteles erklärt, auf das menschlich-psychische, endliche Denken einwirkt, aber zugleich immanent in dessen aktuellem Ideen-Denken gegenwärtig ist. Der Nous ist also nach Hegel Einheit von Objektivem einerseits und Tätigem, Subjektivem andererseits in seiner Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit. Vermutlich steht bei dieser Modalbestimmung des göttlichen Nous auch Kants Lehre vom intuitiven Verstand in der Kritik der Urteilskraft (§ 77) im Hintergrund; diesem göttlichen, intuitiven Verstand attestiert Hegel ebenfalls Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit; er sieht darin von Glauben und Wissen (1802) an bis in seine Spätzeit eine Präfiguration seiner eigenen Konzeption von Vernunfterkenntnis. Der intuitive Verstand denkt produktiv synthetische, nämlich konkrete Allgemeinheiten; und er erfasst, wie man z.B. Kants Metaphysik-Vorlesung der siebziger Jahre entnehmen kann, in seinen konkreten Ideen letztlich sich selbst. Bei Kant stehen hierbei nicht näher qualifIZierte neuplatonische Nous-Lehren im Hintergrund. Hegel stellt insbesondere in seinen Vorlesungen über Geschichte der Philosophie heraus, dass gerade Plotin eine derartige Lehre von der göttlichen Noesis Noeseos vertritt, die nach Hegel "ganz aristotelisch" ist (TWA 19,451). Über Aristoteles hinaus und in Fortentwicklung mittelplatonischer Lehren erklärt Plotin, was Hegel aufnimmt, dass der göttliche Nous nicht nur einige herausragende Ideen, sondern die Ideenwelt denkt und in den Ideen sich selbst. Dies transformiert Hegel in seine Theorie der sich selbst denkenden Idee als absoluter Subjektivität; sie denkt im methodischen, nämlich dialekti-
19
Vgl. Gadamer 1980,26; auch Düsing 1983, 127 f.; 2004,449 f.; etwas anders Samona 1995,243 f.
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sehen Durchgang durch die Ideen oder reinen kategorialen Gedankenbestimmungen, die sie in ihrem Denken allererst spontan konstituiert, jeweils Momente ihrer selbst. Die göttliche Noesis Noeseos, wie Aristoteles sie konzipiert und Plotin sie weiterruhrt, aber noch einem überseienden Einen subordiniert, wird von Hegel als höchstes, errulltes Prinzip in die absolute, produktiv ihre eigenen Bestimmungen erzeugende und systematisch-methodisch entwickelnde Subjektivität verwandelt. Diese rein sich denkende Idee und Subjektivität ist fiir Hegel zugleich der philosophisch begriffene christliche Gott vor Erschaffung der Welt. 20
5. Resümee So sind rur Hegel die beiden herausragenden Vertreter der klassischen griechischen Philosophie, nämlich Platon und Aristoteles, hinsichtlich der Ontologie, der philosophischen Theologie und ihres Verhältnisses zueinander, von wegweisender, wenn auch ganz unterschiedlicher Bedeutung. Hegel nimmt in der Ontologie zwar die Ousia- und Eidos-Lehre aus Aristoteles' Metaphysik durchaus positiv auf und integriert sie in seine Theorie der reinen Subjektivität. Aber in den Grundtypen der Ontologie folgt er mehrfach nicht Aristoteles, sondern Platon, der rur ihn auf diesem Gebiet der Protagonist ist, der auch Hegels eigene Ontologie in ihrer Grundausrichtung weitgehend prägt. So bildet Hegel eine idealistische Ontologie und nicht wie Aristoteles eine realistische Gegebenheitsontologie aus. Methodisch folgt Hegel nicht dem Typus einer urteilslogischen Ontologie, wie sie Aristoteles dem Ansatz nach konzipiert und Kant - als reines Gedankengebäude - systematisch ausruhrt; vielmehr entwickelt Hegel wie Platon eine dialektische Ontologie und in ihr eine Dialektik als methodische Entwicklung der ontologischen Gedankenbestimmungen. Die Dialektik der Methexis der grundlegenden Ideen aneinander befolgt allerdings den von Platon erstmals als ontologischen Grundsatz formulierten Satz vom Widerspruch, gegen den Hegels Dialektik bei bestimmten konträren Gegensätzen im Namen der Unendlichkeit auf verschiedenen Stufen verstößt. Ferner ist rur Hegel, aber nicht rur Platon die Dialektik die Methode der Erzeugung der ontologischen Bestimmungen als Momenten der reinen, sich selbst denkenden Subjektivität. Daraus ergibt sich überdies, dass Hegels Ontologie nicht wie die Aristotelische und teilweise auch nicht wie die Platonische eine Substanzontologie ist, selbst wenn diese unter Voraussetzung der Substanz (Ousia) Bewegung zu begreifen vermag; sie ist vielmehr eine dialektische Prozessontologie, in der die ontologischen Gedankenbestimmungen oder Kategorien nur bestimmte noematische ,,Punkte" oder ,,Phasen" der reinen dialektischen Entwicklung darstellen, die zum Sich-Begreifen der Idee als Subjektivität führt. Dies wurde oben an einigen ontologischen Bestimmungen gezeigt. Schließlich folgt Hegel dem von Platon und grundlegend auch von Aristoteles vertretenen Ansatz einer universalistischen Ontologie sowohl in seiner Deutung als auch in seiner eigenen Logik der Seins- und Wesensbestimmungen. Die dort entwickelten reinen Gedankenbestimmungen enthalten ge-
20 Vgl. insbesondere Hegel, Wissenschaft der Logik (GW Bd. 21, 34; Bd. 11,21). Dazu, zu weiteren Äußerungen Hegels dieser Art und zum Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie sei auch der Hinweis erlaubt auf Düsing 2006.
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stuft die zentralen Bedeutungen alles Seienden, teils jeweils für sich und teils in Relationen. Doch legt Hegel besonderen Wert darauf, wie sich erwies, dass die rein ontologischen Bestimmungen, für sich betrachtet, noch nicht theologische Bedeutung haben. Es muss vielmehr ein weiter methodischer Weg der Inhaltsanreicherung zurückgelegt werden, um von den rein ontologischen zu theologischen Gedankenbestimmungen zu gelangen; und diese werden expliziert in einer paradigmatischen Ontologie, in die von der Konzeption eines höchsten, göttlichen Seienden her dann auch die rein ontologischen Bestimmungen integriert werden. Problemhintergrund hierzu ist für Hegel vor allem die bei Aristoteles zukunftsträchtige Frage des Verhältnisses von Ontologie und philosophischer Theologie. Die Lehre von den drei Substanzarten greift Hegel zwar interpretativ auf; sie wird ihm aber nicht zur Anregung rur seine eigene Logik und Metaphysik. Unter Aufnahme neuzeitlicher Theorien konzipiert Hegel vielmehr in eigenständigem methodischen Durchgang kategoriale Bestimmungen, die zum Sich-Denken der Idee und der absoluten Subjektivität als dem philosophischen Begriff rur Gott ruhren. Zu dessen Explikation aber rekurriert Hegel mehrfach und teilweise emphatisch auf Aristoteles' philosophische Theologie. Aristoteles' Lehre von der Noesis Noeseos wird ihm inhaltlich sowohl zum Vorbild für das prozessuale Sich-Begreifen der Idee als reiner Subjektivität als auch zum Vorbild für den philosophisch sich denkenden unendlichen, realen Geist, dessen Sich-Begreifen im Durchgang durch die Geschichte schließlich das Sich-Denken der reinen Idee als absoluter Subjektivität wieder einholt. Hegel deutet hierbei, wie dargelegt, Aristoteles' Theologie subjektivitätstheoretisch entschieden um, nimmt aber durchaus auch berechtigterweise Aristoteles' Noesis-Noeseos-Bestimmungen in einer grundlegend paradigmatischen Ontologie auf. So wird für Hegel in bezug auf seine reine dialektische Ontologie, wenn sie nur für sich betrachtet wird, insbesondere Platons Ontologie und Dialektik zur Präfiguration und Anregung; selbst wenn man eine demgegenüber kritische Erkenntnistheorie für notwendig hält, bleibt der Entwurf einer Ontologie oder Kategorienlehre als eines reinen Gedankensystems, dessen Erkenntnisbedeutung dann zu untersuchen ist, im Oktogon jener Ontologietypen sicherlich erforderlich. Für das Verhältnis von Ontologie und Theologie und für die philosophische Theologie aber wird bei Hegel Aristoteles' philosophische Theologie zum entscheidenden Paradigma. Auch wenn man Hegels Erkenntnisansprüche in seiner absoluten Metaphysik nicht rur erfüllbar hält, so bleiben doch derartige metaphysische Fragen auf einer bescheideneren, nämlich ethischen Basis im Sinnhorizont von Lebensentwürfen und Sterblichkeitserfahrungen durchaus für eine holistisch verstandene, sittliche Praxis bedeutsam.
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Hegel und Plotin
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I. Die Forschung Hegels durchaus weitreichende systematische Affinität zum Neuplatonismus, vor allem zu Plotin und Proklos, haben Werner Beierwaltes, Klaus Düsing und Jens Halfwassen in bahnbrechenden Arbeiten ausführlich herausgearbeitet. 1 Dabei hat sich herausgestellt, dass Hegel deutlich erkannt hat, dass sich in der Tat eine besondere systematische Nähe der neuplatonischen Noologie zu zentralen Motiven und Problemen der neuzeitlichen Subjektivitätstheorie konstatieren lässt. Doch unterscheidet sich die neuplatonische Noologie von Hegels absoluter Geistmetaphysik zuletzt zumindest dadurch, dass sie die All-Einheit der denkenden Selbstbeziehung des Geistes nicht als das Absolute im Sinne einer absoluten Subjektivität denkt. Das Absolute wird vielmehr als das Eine selbst (to hen auto) gedacht, das als der Einheitsgrund der denkenden Selbstbeziehung radikal transzendent ist. Damit ist sogleich der Streitpunkt zwischen Hegel und dem Neuplatonismus markiert. Hegel wendet sich mit seinem absoluten Idealismus im Namen eines Deus revelans nämlich gegen jede Form einer negativen Theologie bzw. Henologie, die mit einem radikal transzendenten Absoluten rechnet, das aufgrund seiner Transzendenz niemals in die denkende Selbstbeziehung eingeholt werden kann. Die Forschung hat gezeigt, dass Hegel sich dieser systematischen Differenz durchaus bewusst ist und sie zum Anlass nimmt, die negative Henologie in drei wesentlichen Punkten einer kritischen Revision bzw. Umdeutung zu unterziehen, wobei er die neuplatonische Identifikation von Noologie und Ontologie übernimmt und gegen die Henologie auszuspielen sucht. Erstens deutet er den Neuplatonismus im wesentlichen als eine Theorie der denkenden Selbstbeziehung, so dass er in Plotins Mystik der Ekstasis eine Erhebung ins reine Denken zu erkennen vermag, womit er die Ekstasis freilich um ihre eigentliche Pointe bringt, die Hegel aus systematischen Gründen nicht anerkennt. Hegel ist mit seiner Umdeutung der Ekstasis zur Selbsterfassung des reinen Denkakts nämlich darum bemüht, Plotin vom rationalistischen Vorurteil zu befreien, eine schwärmerische Erhebung
1 Vgl. Beierwaltes 1972, 144-187; 1980,241-268; Düsing 1983, 132-159; Halfwassen 1999, 2002a, 2002b, 2003. Vgl. Hösle 1984, 667-676; Bickmann 2003. Ein ausführlicher Überblick über die ältere, im allgemeinen unergiebige Literatur zu Hegel und dem Neuplatonismus findet sich bei Düsing 1983, 134-139 sowie bei Halfwassen 1999, 13-26.
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zum Absoluten über die Grenzen der Ratio hinaus nachträglich begreifen zu wollen. Zweitens versucht Hegel zu zeigen, dass das neuplatonische Absolute mit dem Sein im Sinne der als unbestimmt bestimmten Sichselbstgleichheit zusammenfällt, was ihm erlaubt, das neuplatonische Absolute den von ihm selbst ausgewiesenen logischen Standards anzupassen. Drittens attestiert Hegel der neuplatonischen negativen Dialektik eine Instabilität zwischen dialectica ascendens und dialectica descendens, die in seinen Augen zur Folge hat, dass Emanationsmetaphern an die Stelle eines denkenden Nachvollzugs des Konstitutionszusammenhangs der Wirklichkeit im ganzen treten, der Hegel zufolge kohärent nur als Selbstexplikation des Absoluten gedacht werden kann. Die Forschung zu Hegels Auseinandersetzung mit dem Neuplatonismus hat sich zu Recht auf die drei genannten Aspekte konzentriert, die daher im folgenden im Lichte einiger neuer Hinweise durchgegangen werden. Dabei wird hervorgehoben, dass Hegel die neuplatonische Metaphysik als antiskeptische Bewegung begreift, was zugleich deutlich macht, inwiefern Hegel selbst den Skeptizismus durch Metaphysik zu überwinden können glaubt. 2 Im folgenden werden die drei genannten Punkte am Beispiel von Hegels Auseinandersetzung mit Plotin durchgegangen. Daran lässt sich zugleich ablesen, welchen Standpunkt Hegels eigene Theorie des Absoluten grundsätzlich anstrebt und worin bei aller Übereinstimmung in der Noologie seine Kritik der neuplatonischen negativen Henologie besteht, die Plotin paradigmatisch entworfen und durchdacht hat.
2. Hegels Umdeutung der Ekstasis zum reinen Denken Hegels philosophiehistorischer Durchbruch in der Auseinandersetzung mit Plotin besteht darin, das aufklärerische Vorurteil überwunden zu haben, dass es sich bei der neuplatonischen Metaphysik grundsätzlich um "Schwärmerei" handle, die die Grenzen des rational Ausweisbaren willkürlich überschreitet (TWA 19,440 ff.).3 Der sachlich unbegründete Vorwurf der Schwärmerei rührt traditionell vor allem von Plotins Begriff der Ekstasis her. Wie Hegel hervorhebt, bezeichnet dieser vielmehr "ein Heraustreten aus dem Inhalt des sinnlichen Bewußtseins" (TWA 19, 443) als den pyschischen Zustand gefühlsmäßigen Ausser-sich-Seins. Die Ekstasis ist in der Tat kein Indiz eines
2 Hegels Verhältnisbestimmung von Skeptizismus und spekulativer Metaphysik bei Plotin hat bisher wenig Beachtung gefunden. Düsing bemerkt zu Recht, dass der Neuplatonismus in Hegels Deutung die skeptische "Vernichtung der Gültigkeit endlicher Bestimmungen" (Düsing 1983, 133) voraussetzt. Dass die neuplatonische Noologie eine antiskeptische Strategie impliziert, die den Skeptizismus gleichzeitig gegen den Dogmatismus der realistischen Erkenntnistheorien der Stoiker und Epikureer einsetzt, was auch in Hegels Aneignung des Neuplatonismus eine wichtige Rolle spielt, hat Halfwassen mehrfach betont (vgl. Halfwassen 1994, 12-14; 2002, 246-250). Dass Plotins Zurücknahme der Totalität in die denkende Selbstbeziehung eine antiskeptische und antidogmatische Spitze zugleich impliziert, zeigt Wallis (1987). Hösle (1984, 650-664, 667-676) weist in Anlehnung an Hegel nach, dass der neuplatonische Idealismus eine konsequente Reaktion auf die skeptische Aufhebung der dogmatischen (realistischen) Erkenntnistheorie der Stoiker ist. Zu Hegels metaphysischer Reaktion auf den Skeptizismus vgl. neuerdings Heidemann (2007). 3 Hegel wendet sich damit insbesondere gegen die Philosophiehistorie seiner Zeit, die den Neuplatonismus als Schwärmerei brandmarkt. Vgl. dazu: Düsing 1983, 134 ff.; Halfwassen 1999, 15 f., 247-256.
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Irrationalismus, sondern Moment einer konsequenten Metaphysik, die sich als ,,Denken des Einen" (Beierwaltes 1985) versteht. Doch um Plotin vollends vom Verdacht der Schwärmerei zu befreien, eignet sich Hegel den Begriff der Ekstasis dadurch an, dass er ihn auf ein Heraustreten aus dem Inhalt des sinnlichen Bewusstseins reduziert und damit als Erhebung ins reine Denken auffasst, womit die Ekstasis a limine auf das systematische Bedürfnis eines sich selbst denkenden Denkens zugeschnitten wird. Zwar ist die Ekstasis in der Tat die Konsequenz von Plotins Theorie des Absoluten und nicht deren Voraussetzung (vgl. Halfwassen 2004, 49 ff.). Dennoch deutet Hegel sie um, wenn er sie expressis verbis als "reines Denken, das bei sich selbst ist, sich zum Gegenstand hat" (TWA 19, 443), sprich: als noeseos noesis versteht. Entsprechend sieht Hegel die "Grundidee" (TWA 19, 413) des Neuplatonismus im "Denken, das sich selbst denkt" (ebd.). Die damit verbundene massive Umdeutung verfolgt neben dem apologetischen Ziel, Plotin vom Verdacht irrationaler Mystik zu befreien, die systematische Absicht, im Rahmen einer philosophischen Theorie der Philosophiegeschichte den historisch äußerst einflussreichen Neuplatonismus als "hohen Idealismus" (Plotin) (TWA 19, 444) bzw. gar als "Intellektualsystem" (Proklos) (TWA 19, 468) als Kulminationspunkt der antiken Philosophie auszuzeichnen. 4 Hegel nähert den Neuplatonismus so weit an seinen eigenen absoluten Idealismus an, dass er gleichzeitig eine immanente Aufhebung der dialektischen DefIZite des neuplatonischen Begriffs des Absoluten in Anspruch nehmen kann. Indem er zeigt, dass Plotin einen Begriff des Absoluten anstrebt, der sich nur in der denkenden Selbstbeziehung des Geistes entdeckt, vermag er Plotins Projekt mit seinem eigenen kommensurabel zu machen und die negative Henologie zur dialektischen Achillesferse des Neuplatonismus zu erklären. Hegel eignet sich Plotin dabei offenkundig von vornherein von der Noologie her an. Die Anknüpfung an die neuplatonische Noologie bietet sich für Hegel u.a. dadurch an, dass diese in der Tat den spekulativen Gehalt der Aristotelischen Ontotheologie ausgeschöpft hat, der zufolge Gott noeseos noesis ist. Hegel selbst lässt die enzyklopädische Lehre vom absoluten Geist nicht zufällig in einem Aristoteleszitat aus Metaphysik Lambda gipfeln, das er kommentarlos ans Ende der Enzyklopädie stellt, wobei das letzte Wort des ganzen Systems "Gott" (theos) ist. 5 Die Details von Hegels Aneignung der Plotinischen Noologie haben die einschlägigen Arbeiten von Beierwaltes, Düsing und Halfwassen herausgearbeitet. 6 Dabei ist weniger hervorgehoben worden, dass Hegel Plotins Noologie nicht nur philosophisch gegen den Rationalismus der Aufklärung rehabilitiert hat, sondern sie auch als Reaktion auf den Pyrrhonischen Skeptizismus deutet, der dem Neuplatonismus in Hegels systematischer Philosophiegeschichte unmittelbar vorhergeht. Dies hat Hegel zum Anlass genommen, die Ekstasis in seiner Deutung als Erhebung ins reine Denken an einer
4 In der neuplatonischen "Mystik" erkennt Hegel insbesondere bei Proklos die spekulative Philosophie als Theorie der konkreten Totalität, nicht aber den Selbstüberstieg des Denkens auf das Absolute hin, siehe wiederum: TWA 19,467,484. Vgl. Halfwassen 1999, 155. 5 Zu Hegels Auseinandersetzung mit Aristoteles vgl. den Beitrag von K. Düsing in diesem Band. 6 Beierwaltes 1972, 144-153; Düsing 1983, 142-151; Halfwassen 1999,321-385; 2002a; 2002b.
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wichtigen Stelle am Ende der Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität einzubauen und mit einem skeptischen "Zweifel an allem" in Verbindung zu bringen. "Der Skeptizismus, als eine durch alle Formen des Erkennens durchgefiihrte, negative Wissenschaft, würde sich als eine Einleitung darbieten, worin die Nichtigkeit solcher Voraussetzungen dargetan würde. [...] Die Forderung eines solchen vollbrachten Skeptizismus ist dieselbe mit der, dass der Wissenschaft das Zweifeln an allem, d. i. die gänzliche Voraussetzungslosigkeit an allem vorangehen solle. Sie ist eigentlich in dem Entschluss, rein denken zu wollen, durch die Freiheit vollbracht, welche von allem abstrahiert und ihre reine Abstraktion, die Einfachheit des Denkens, erfaßt." (TWA 8,168; Enz. § 78). Mit dem Entschluss, rein denken zu wollen, nachdem von allen Inhalten des sinnlichen Bewusstseins abstrahiert worden ist, spielt Hegel auf Plotins Imperativ an, dass von allem abstrahiert werden müsse (aphele panta), wenn man das Absolute im Heraustreten (ekstasis) aus allen bestimmten Gehalten erfassen wolle. 7 Hegel deutet dies letztlich so, dass die Erfassung aller "reinen Wesenheiten" (TWA 3,37; 5, 17) als Momente einer absoluten Selbstbeziehung nur dadurch eingeleitet werden kann, dass das Denken sich in seiner Selbstbesinnung auf die Suche nach dem Absoluten begibt. Die Totalität darf demnach nicht als extramental Gegebenes, sondern muss selbst als Denken aufgefasst werden. Plotin setzt in der Tat skeptische Argumente ein, um den von Hegel gelobten Begriff der Totalität als noeseos noesis zu motivieren. Hegelliegt also mit seiner Deutung völlig richtig, dass Plotins Metaphysik einerseits als eine Überwindung des Pyrrhonischen Skeptizismus und gleichzeitig als eine selbst skeptische Reaktion auf den dogmatischen Standpunkt der Endlichkeit (Stoizismus, Epikureismus) gelesen werden kann. Denn Plotin reagiert auf die realistische Erkenntnistheorie der Stoiker und Epikureer mit skeptischen Argumenten gegen die kausale Wahrnehmungstheorie und den daraus folgenden mentalen Repräsentationalismus, um auf diese Weise seine eigene Theorie der Immanenz aller reinen Bestimmungen (eide) im reinen Geist, der Nous-Hypostase, zu begründen (Enn. V 5; vgl. Halfwassen 2004, 64-84). Dabei zeigt Plotin genauso wie Hegel, dass in der denkenden Selbstbeziehung die Möglichkeit einer Noologie begründet liegt, die alle reinen Gehalte in die denkende Selbstbeziehung zurücknimmt und damit die Grenze zwischen Geist und Welt aufhebt, womit sich Plotin und Hegel zugleich gegen Sextus Empiricus richten, der die Möglichkeit einer rein denkenden Selbstbeziehung des Geistes bestritten hatte (M VII 284-313; vgl. TWA 2, 236 f.). Plotin geht dabei
7 Zur "Abstraktion von allem" (aphairesis pantön) vgl. Enn. VI 8, 21, 26; V 3, 17, 38; I 6, 8, 24-25 u.ö.; vgl. dazu Halfwassen 1992, 11 ff., 51 ff., 61 ff., 81 ff., 150 ff. Plotin knüpft an eine Platon-Stelle an, wo es ebenfalls heißt, "daß von allem anderen abstrahiert werde" (apo tön allön pantön aphelön, Rep. 534b9). Vgl. Halfwassen 1999, 231. Der Begriff im allgemeinen ist nach Hegel qua Ich die Abstraktion von allem: "Ich aber ist erstlich diese reine, sich auf sich beziehende Einheit, und dies nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahiert und in die Freiheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht." (TWA 6, 252) Plotins Abstraktion von allem wird allerdings als Selbstüberstieg des Denkens auf das Eine selbst hin gedacht, dem Plotin alle Selbstbezüglichkeit abspricht.
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mithilfe skeptischer Argumente über die von Sextus immer wieder in Anspruch genommene dogmatische Grenze zwischen einer extramentalen Welt, die aus kausal mit unseren Sinnesorganen interagierenden Dingen (ta ektos hypokeimena) besteht, und unseren Vorstellungen bzw. Eindrücken dieser Dinge (pathe, phantasmata, typoi) hinaus, gegen die Plotin sich mit einer eigenen Schrift (Enn. V 5) wendet. Damit beginnt die "Welt der Geistigkeit", "die zugleich in ihrer Äußerlichkeit eine innerliche bleibt und folglich eine versöhnte ist." (TWA 19, 413) Die Totalität wird bei Plotin nämlich in die denkende Selbstbeziehung des Geistes hineingenommen (vgl. Enn. V 5, 2, 8 f.), was sich mit dem erklärten Ziel von Hegels eigenem absoluten Idealismus deckt. "Das Resultat ist der Gedanke, der bei sich ist und darin zugleich das Universum umfaßt, es in intelligente Welt verwandelt. Im Begreifen durchdringen sich geistiges und natürliches Universum als ein harmonierendes Universum, das sich in sich flieht, in seinen Seiten das Absolute zur Totalität entwickelt, um eben damit, in ihrer Einheit, im Gedanken sich bewußt zu werden." (TWA 20, 454). Indem Plotin gegen die skeptische Trennung von Denken und Sein den Weg eines "hohen Idealismus" (TWA 19, 445) eingeschlagen habe, versuche er, das Ganze des Seienden dem reinen Denken als ursprünglichen Inhalt anzueignen. Im Rückzug des Denkens auf sich selbst entdeckt sich, dass die Totalität der Geist selbst und keine extramentale Welt ist, die kausal auf unsere Sinne einwirkt. Die vom Skeptizismus in Anspruch genommene, aber letztlich verfehlte "Freiheit des Selbstbewußtseins" (TWA 3, 158-162) fUhrt nach Hegels Deutung bei Plotin zur konsequenten Entdeckung des "absoluten Wesens als Selbstbewußtsein" (TWA 19, 432). Der Neuplatonismus philosophiere damit jenseits der Aporie des Wahrheitskriteriums, die sich nur einstellt, wenn man am subjektiven Erkennen orientiert bleibt und sich so darauf verpflichtet, die Objektivität in subjektiven Vorstellungen fundieren zu müssen, was niemals gelingen kann, wie sowohl Plotin als auch Hegel dem Skeptizismus bereitwillig konzedieren (vgl. TWA 19, 404). Damit wird die höchste Stellung des Gedankens zur Objektivität erreicht, in der das Denken rein mit sich selbst umgeht, um die Objektivität letztlich als Moment des Begriffs zu erkennen und nicht als das schlechthinnige Außerhalb des Denkens vorzustellen. Die in der Ekstasis erreichte "Einfachheit" ist bei Plotin aber gerade nicht die "Einfachheit des Denkens", wie Hegel unterstellt, sondern vielmehr die Vereinigung (henösis) und Vereinfachung (haplösis) des trinitarischen Denkens seiner selbst auf die reine Einheit des Absoluten, das bei Plotin das Eine selbst und nicht die denkende Selbstbeziehung ist. Plotin wendet sich damit explizit gegen Aristoteles' Begriff des Absoluten als noeseös noesis (vgl. Enn. V 4, 2 u.ö.). Die denkende Selbstbeziehung weist nämlich jederzeit die minimale Differenzstruktur des Denkens auf, das sich als es selbst in der Erfassung seiner Inhalte erfasst. Das Zu-denkende (noeton), das Denkende (nous) und der Denkakt (noesis) differieren, so dass sich ihre Identität allererst im Denkakt reflexiv selbst erfassen kann, der ohne diese dreipolige Relation nicht auskommt (Enn. V 3, 5; V 1, 4, 26-33 u.ö.). In dieser Trinität des reinen Denkens, die Proklos als triadische Dialektik ausbuchstabiert, erkennt Hegel seinen eigenen Standpunkt in nuce wieder:
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"Zuletzt, in der neuplatonischen Schule, wird das Absolute also als konkret gewusst, die Idee in ihrer ganz konkreten Bestimmung als Dreieinigkeit, Dreiheit von Dreiheiten, so daß diese immer noch weiter emanieren. Jedes ist aber ein Dreieiniges in sich, so daß die abstrakten Momente dieser Trias selbst auch gefasst sind als Totalität. Als wahr gilt nur ein solches, das sich manifestiert und darin sich als das Eine erhält." (TWA 19,487). Plotin zufolge setzt die Identität der denkenden Selbstbeziehung eine Selbstunterscheidung voraus, die sich in der Selbstbeziehung zurücknimmt (Enn. V 3, 10, 2326; vgl. VI 7, 39, 4-9 u.ö.). Dadurch bleibt die denkende Selbstbeziehung konstitutiv hinter der absoluten Einheit zurück, die sie anstrebt. Der Einheitsgrund, der die Trias zusammenhält, könne nicht vom Denken selbst gestiftet werden, das auf absolute Einheit angewiesen ist, indem es ohne Intention auf diese in der Selbstbeziehung, die immer auch eine Selbstunterscheidung ist, gar nicht zu sich zurückkehren könnte. Das Eine selbst muss der Differenzstruktur der Selbstbeziehung also enthoben sein, so dass es als der absolute Ursprung "das ganz Andere (to pante diaphoron)" (Enn. V 3, 10, 50) des Entsprungenen und damit auch und vor allem des Denkens ist. Das Prinzip des Ganzen kann selbst nicht eines seiner Prinzipiate sein, da diese allererst durch es hervorgebracht werden. ,,Denn der Ursprung von allem ist nicht alles." (Enn. V 2, 1, 1 f.). Plotin riskiert damit die "Paradoxie eines absoluten Ursprungs" (Halfwassen 1992, 98-130), der das "Nichts von allem" (Enn. 111 8, 9, 53) ist und als das Nichts aller Bestimmungen auch nicht denkend erfasst werden kann. Denn alles Denken hat immer einen bestimmten Gehalt, ein Zu-denkendes (noeton), das es von allen anderen Gehalten unterscheidet, die das reine, alle Gehalte umfassende Selbstverhältnis des Geistes in einer ewigen Gesamtschau präsent hat. Die Selbsterfassung des Geistes in der Totalität seiner Gehalte, die zugleich eine Selbsterfassung der Totalität aller Gehalte als Geist ist, bleibt hinter dem Absoluten aufgrund der Struktur der Totalität notwendig zurück. Denn das Absolute denkt Plotin im Wortsinne als das ,,Abgelöste" (apolyton, Enn. VI 8, 20, 6), Unbezogene, das zwar in allem als einheitsstiftendes Prinzip anwesend ist, ohne sich dabei aber in irgendeiner einzelnen Bestimmung fixieren zu lassen. Davon unterscheidet sich Hegels Modell einer absoluten Relationalität, die sich in sich differenziert, was Hegel zufolge allein geeignet ist, dem Begriff einer "affirmativen Unendlichkeit" (TWA 5, 156-173) zu entsprechen, der nicht als die Negation der Endlichkeit dadurch verendlicht wird, dass er in einer das Unendliche bestimmenden Opposition zum Endlichen steht. Auf diese Weise allein lasse sich die Frage, wie "das Unendliche aus sich heraus und zur Endlichkeit komme" (TWA 5, 168 f.) als Scheinproblem überwinden (vgl. Bubner 2004): ,,Die Antwort auf die Frage, wie das Unendliche endlich werde, ist somit diese, daß es nicht ein Unendliches gibt, das vorerst unendlich ist und das nachher erst endlich zu werden, zur Endlichkeit herauszugehen nötig habe, sondern es ist fiir sich selbst schon ebensosehr endlich als unendlich." (TWA 5, 170) Hegel erkennt ausdrücklich an, dass der Neuplatonismus bereits die wichtige Entdeckung gemacht hat, dass "das absolute Wesen nichts Fremdes rur das Selbstbewußtsein ist" (TWA 19,404), so dass es keine "schlechthin scheidende Grenze" (TWA 3, 68)
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zwischen Denken und Sein geben kann, worin Hegel die antike Antizipation seines eigenen absoluten Idealismus sieht. Die Überwindung der Endlichkeit im Neuplatonismus geschieht in der Tat im Namen der Noologie und dient der denkenden Selbstbeziehung der Totalität. Die angestrebte Versöhnung von Form und Inhalt im Prinzip der absoluten Subjektivität, die sich selbst als "konkrete Totalität" (TWA 6, 555; 8, 310 u.ö.) weiss, gelinge damit prinzipiell bereits dem Neuplatonismus, der sich zum Standpunkt des Geistes erhebt (vgl. Halfwassen 1999, 358 ff., 2002b, 267-270). Die Neuplatoniker "sind konkrete Totalität an sich; sie haben die Natur des Geistes." (TWA 19, 488) Die konkrete Totalität an sich ist aber nach Auskunft der Logik das Allgemeine des Begriffs, das "noch nicht für sich ist" (TWA 6, 554), d.h. das Sein, sofern es Moment der Idee ist: "Die Philosophie hatte den Standpunkt erreicht, dass sich das Selbstbewußtsein in seinem Denken als das Absolute wußte; aber sie verwarf nunmehr dessen subjektive, endliche Stellung und Differenz gegen ein (nichtiges) äußeres Objekt, erfaßte in sich selbst den Unterschied und bildete das Wahre als eine intelligible Welt aus." (TWA 19, 404). Plotin bleibt in Hegels Deutung aber hinter seiner noologischen Einsicht in einer zentralen Hinsicht zurück. Plotins Transzensus über das Endliche kulminiert nämlich nicht in der denkenden Selbstbeziehung der Totalität, sondern rechnet vielmehr mit einer radikalen Seins- und Erkenntnistranszendenz des Absoluten. Der Neuplatonismus lässt sich geradezu durch den Primat einer negativen Henologie (bzw. Theologie) vor der Noologie definieren, was mit Hegels These tendenziell inkompatibel ist, dass Plotin Gott in das Selbstbewusstsein einhole (TWA, 19,444).8 Die denkende Selbstbeziehung konstituiert sich nach Plotin allererst dadurch, dass sie auf das Absolute zwar aus ist, dieses aber niemals als solches erfassen kann, ohne dass sich die denkende Selbsterfassung in der Ekstasis selbst im letzten Akt durchstreicht, was Plotin als einen Selbstüberstieg des Denkens verstanden wissen will. Der reine Geist entfaltet sich zwar als das "seiende Eine" (hen on) der zweiten Hypothesis des Platonischen Parmenides (Parm. 142b ff.) in die Totalität aller washaItigen Bestimmungen (eide). Dadurch ist er aber jederzeit Einheit in der Vielheit oder geeinte Vielheit, deren Kohärenz sich wiederum einem Einheitsprinzip verdanke, das als kein Element der Vielheit und auch nicht als deren Ganzheit gedacht werden könne, ohne seinen Prinzipienstatus einzubüssen. 9 Daher unterscheidet Plotin streng zwischen "dem Einen selbst" (to hen auto) und dem seienden Einen (hen on), das er mit dem reinen Geist identifIZiert (vgl. Beierwaltes 1985, 193225). Daraus folgt eine negative Henologie, die Hegel aus systematischen Gründen
8 Plotin identifiziert freilich in Enn. V 3, 3 die Totalität mit dem Geist und diesen mit dem höchsten Gott, Zeus. Da das Absolute bei Plotin kein Gott ist, vertritt er auch keine negative Theologie in jedem Sinne, sondern eine negative Henologie, die durch Proklos' Vermittlung paradigmatisch für die Tradition der negativen Theologie im christlichen Neuplatonismus geworden ist. Die negative Henologie ist allerdings im Aristotelischen Sinne eine Theologik, d.h. eine Prinzipientheorie, die vom absoluten Prinzip handelt. 9 Darur argumentiert besonders deutlich Proklos: EIern. Theol. § 1-5.
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ablehnt, da sie das Unendliche in Opposition zum Endlichen setze und es eo ipso verendliche. Plotin selbst versucht diesen Einwand abzuwehren, indem er dem Einen abspricht, an ihm selbst Prinzip zu sein (Enn. VI 9, 3, 49 ff.). Das Eine kann nur aus der Perspektive seiner Prinzipiate als Prinzip erscheinen und dadurch von ihnen unterschieden werden. Selbst die Bestimmung, Prinzip zu sein, muss in der Ekstasis abgelegt werden. Der Selbstüberstieg des Denkens ist dabei keine geflihlsmäßige Schwärmerei, da er durch die Methode einer negativen Dialektik induziert wird, ohne dass freilich eine argumentative Garantie ausgestellt werden kann, dass der denkende Aufstieg zum Prinzip zur unio mystica fUhrt. Hegel erkennt zwar deutlich, dass Plotin mit einem konstitutiven Transzensus des reinen Denkens rechnet, der auch noch über das Denken hinausgeht, . argumentiert aber auf dieser Basis zugleich gegen die negative Henologie, da diese letztlich hinter ihre eigne Einsicht zurückfalle, dass das Absolute im reinen Denken präsent sein müsse. Hegels partiell berechtigte ,,»Rationalisierung« der plotinischen Ekstase" (Beierwaltes 1972, 146) dient also zugleich seiner Kritik des neuplatonischen Absoluten, da dieses als Undenkbares in einer dialektischen Spannung mit der negativen Dialektik steht, die denkend zum Absoluten fUhrt.
3. Hegels Deutung des neuplatonischen Absoluten als reines Sein Plotin versteht das Absolute expressis verbis als das Eine, das "sogar jenseits des Seins (eti epekeina tes ousias)" (Rep. 505b9) ist, wie er unermüdlich mit Platons Transzendenzformel einschärft. Das Eine ist als das Absolute notwendig über alles Sein hinaus, wobei Sein als Inbegriff der Bestimmtheit gemäß der Platonischen Gleichung von "Sein (on)" und "Bestimmtheit (ti)" gilt (Soph. 237cl0-d4). Nun sind Sein und Geist nach Plotin insofern identisch, als die Totalität aller washaltigen Bestimmungen, d.h. der Inbegriff des Seins, zugleich als Geist gedacht werden muss. Daher ist nach Platons eigener Formel "das vollkommen Seiende das vollkommen Erkennbare." (Rep. 477a3) Das Sein ist als der Inbegriff der Bestimmtheit totale Relationalität in dem Sinne, dass alles im eigentlichen Sinne Seiende, d.h. alle eide, jeweils durch ihre Inklusions- und Exklusionsbeziehungen zueinander und damit durch ihre dialektische Position im Ganzen definiert sind (vgl. Halfwassen 1992, 372-392). Das Absolute kann aber nicht dadurch bestimmt sein, dass es in einer dialektisch nachvollziehbaren Inklusions- oder Exklusionsbeziehung zu seinen Prinzipiaten steht, da es ansonsten Moment der Totalität wäre. Wenn das Absolute aber Moment der Totalität wäre, so wäre es nicht mehr das Absolute, d.h. dasjenige, was nicht in Relation steht. Das bedeutet für Plotin freilich zugleich, dass das Absolute auch nicht in Opposition zur Totalität stehen kann, da es ansonsten als von der Totalität Ausgeschlossenes in diese eingeschlossen wäre. Das absolute Eine kann also nur in den Paradoxien der negativen Henologie umschrieben werden. Daher kann es auch nicht als das Unbestimmte bestimmt werden, wodurch es nämlich, wie Hegel zu Recht bemerkt, verendlicht würde, indem es seine Grenze am Endlichen fände (vgl. TWA 6,192). Hegel wendet gegen die negative Henologie ein, dass sie das Absolute in ihren Negationen nolens volens als unbestimmt, unerkennbar usw. bestimme. Das als Unbestimmtes
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bestimmte Absolute ist aber das reine Sein am Anfang der Wissenschaft der Logik, das sich zuletzt als die Allgemeinheit des Begriffs entpuppt und das als "einfache Einheit" (TWA 6, 571) ebenfalls nicht prädikativ bestimmt werden kann, ohne im Urteil schon in eine Differenzstruktur hineingestellt zu werden, die seine Einheit auflöst. Das Sein ist notwendig immer schon Moment des Sich-Urteilens der Idee, so dass sich die prozessuale Kategorienkritik der Wissenschaft der Logik als die Entfaltung des Seins zur Idee darstellen lässt, die das Sein als Moment des Begriffs, nämlich als seine Allgemeinheit weiss (TWA 6, 403). In Hegels Deutung erfasst Plotin das reine Sein zwar als Moment der denkenden Selbstbeziehung, so dass er ihm nicht einfach attestiert, auf den Anfang der Logik zurückgeworfen zu werden (vgl. Halfwassen 1999, 286). Gleichwohl greift Hegel Plotins Bestimmung des Absoluten als Unbestimmtes und Unerkennbares damit an, dass er darin einen Rückzug des reinen Denkens auf das reine Sein sieht, das jederzeit nur die Unmittelbarkeit des Begriffs sein kann. Hegels Behauptung, dass das Eine das reine Sein ist, das sich als Moment der denkenden Selbstbeziehung erfasst, setzt seine Kritik der eigentlichen Pointe der Plotinischen Ekstasis voraus. Diese besteht nämlich darin, den rational vermittelten Selbstüberstieg des Denkens auf das Absolute hin zum Ausdruck zu bringen. Alles Sprechen vom Absoluten dient dabei jederzeit nur einer semantischen Annäherung im wörtlichen Sinne eines Zeigens (sernainein) des Unsagbaren (Enn. V 5, 6,25). Hegel deutet das Eine nicht einfach dogmatisch zum reinen Sein um, um es seiner eigenen systematischen Position einzuverleiben. Vielmehr versucht er, Plotin eine dialektisch instabile Operation nachzuweisen, der es konstitutiv verwehrt sei, das Absolute als "in sich tätiges Eines" (TWA 19, 446) zu denken. Die negative Dialektik dient in Hegels Deutung nämlich nur dazu, das reine Sein aus der Vielheit des Seienden wiederherzustellen, weshalb er Plotins Begriff des Absoluten auch mit "Parmenides und Zenon" (TWA 19,445) in Verbindung bringt, die in Hegels Deutung ebenfalls die Einheit des Seins dialektisch verfochten haben. Die negative Dialektik ist eine "skeptische Bewegung" (TWA 19,446), die der Heuristik des Absoluten, d.h. der dialectica ascendens, dient. Dabei werden dem Absoluten wie im zweiten Teil des Platonischen Parmenides alle Prädikate überhaupt abgesprochen, "denn sie drücken irgendeine Bestimmtheit aus." (TWA, 19, 446) Damit stellt sich in Hegels Deutung die absolute Einheit der "Substanz" (TWA, 19,447) aus der Vielheit ihrer Erscheinungen her. lo Daraus leitet er die systematische Berechtigung ab, Parmenides, Plotin und Spinoza über den Begriff der una substantia einander anzunähern, so dass er im Kapitel Das Absolute der Wesenslogik spinozistische Substanzmetaphysik und negative Henologie gemeinsam abhandeln kann (Düsing 1983, 144 f.; 1987; Halfwassen 2003). Hegelliegt nun sicher richtig, wenn er betont (TWA 19, 438 f.), dass Plotin vor allem eine Aufstiegsbewegung, eine "henologische Reduktion" (anagöge eis hen, Enn. V 5, 4, 1 u.ö.; vgl. Halfwassen 2004, 40-43), vollzieht, die dem Absoluten alle Bestimmungen abspricht. Die Aufstiegsbewegung ist demnach darauf aus, das Absolute zu erfassen. Der erste Schritt besteht dabei darin, die Grenze zwischen Sein und Denken aufzuheben und das Denken mit der Totalität zu identifizieren. Auf diese Weise wird eine graduelle
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Zu Hegels Deutung des Platonischen Parmenides vgl. K. Düsings Beitrag in diesem Band.
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Transzendenz zwischen der erscheinenden Vielheit und der All-Einheit (hen panta, Enn. 111 6, 6, 23) des Bestimmungsganzen (des Ideenkosmos) entdeckt. Die All-Einheit des Bestimmungsganzen wird aber in einem zweiten Schritt radikaler Transzendenz ihrerseits auf das Absolute hin überstiegen, das als Einheitsgrund der All-Einheit des Geistes in der Totalität nicht aufgehen kann. Das führt in die Paradoxien der negativen Henologie, da das Eine nicht gedacht werden kann, ohne ipso facto schon nicht mehr das Absolute zu sein. Der Versuch, eine absolute Einheit denkend zu erfassen, erzeugt qua Denken Differenz. Die doppelte Transzendenz wird aber nur im Transzensus, d.h. in der denkenden Bewegung des reinen Geistes durchsichtig, der daher nach neuplatonischer Lehre das unmittelbare "Bild des Absoluten" (Enn. V 1, 7, 1) ist. Die Entdeckung des Absoluten und der mit dieser verbundenen Paradoxie des absoluten Ursprungs, der nicht einmal als Ursprung definiert werden kann, ohne damit schon ungebührlich bestimmt zu werden, wird in einer denkenden Bewegung, dem Transzensus, entdeckt, der sich in der Methode der negativen Dialektik niederschlägt. Die Motivation der negativen Henologie ist also eine denkende Bewegung und keineswegs eine schwärmerische Erhebung. Das Resultat der denkenden Bewegung ist aber die Einsicht in die Unerkennbarkeit des Absoluten, das nur deshalb als unerkennbar erkannt wird, weil es der Differenzstruktur des Urteils im Urteil enthoben wird, wodurch es zugleich vom Urteil aus als dessen Jenseits bestimmt wird. Daraus ergibt sich sogleich die Aporie, dass es keinen nachvollziehbaren Übergang vom Absoluten zur Totalität geben kann, indem der Ursprung sich in der denkenden Bewegung als dasjenige herausstellt, was nicht einmal Ursprung sein kann, ohne aufzuhören, das Absolute zu sein. Da die denkende Bewegung als denkende Selbsterfassung des Geistes konzipiert wird, in welcher der Geist sich mit der Totalität identifIZiert, wird diese Bewegung dadurch abgebrochen, dass sich dasjenige, worauf sie ursprünglich aus ist, als paradoxer Ursprung der Totalität herausstellt. Damit wird das Begreifen unmöglich, womit sich eine Kluft zwischen dem Absoluten und der Relationalität einstellt, die nicht begrifflich vermittelt werden kann, so dass Plotin zu seinen berühmten Emanationsmetaphem Zuflucht nehmen muss. Hegel attestiert der radikalen Transzendenz somit die prinzipielle dialektische Instabilität, denkend das Denken überschreiten zu wollen. Der Selbstüberstieg des Denkens wird durch eine Theorie der Selbsterfassung der Totalität motiviert. Dabei wird letztlich ein Absolutes entdeckt, von dem aus kein Übergang in die Totalität möglich ist, die daher in keiner dialectica descendens begriffen werden kann. Die Selbstaufhebung des Denkens könne demnach nichts anderes entdecken als das Abstraktum eines Unerkennbaren und Unbestimmbaren, das am Anfang von Hegels Logik steht und sich in dieser zuletzt als Begriff in der Form der unreflektierten Unmittelbarkeit entpuppt, womit Hegel zufolge alle negative Theologie überwunden sein soll.
4. Hegels Kritik der Emanation Der Übergang der absoluten Einheit zur All-Einheit des Geistes kann Plotin zufolge nicht begrifflich nachvollzogen werden, weil sich in diesem Übergang alle logischontologische Bestimmtheit allererst konstituiert. Der Übergang selber, der ein "Hervor-
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gang (prohodos)" (Enn. IV 8, 5, 33) der Einheit in die Vielheit ist, kann nicht denkend motiviert werden, weil das Denken an die absolute Einheit nur im Modus seiner eigenen Selbstaufhebung heranreicht. Der Hervorgang wird von Plotin bewusst in absoluten Emanationsmetaphern umschrieben, die nicht in Begriffe übersetzbar sind, weil sie die Paradoxie des absoluten Ursprungs illustrieren, der sich im Entsprungenen nicht entäußert. ll Die Emanationsmetaphern dürfen daher auch nicht als Hinweis auf ein Emanationssystem in dem Sinne verstanden werden, dass das Eine selbst im Hervorgang in die Hypostasen von Geist (nous), Seele (psyche) und Natur (physis) eine Modifikation erlitte. Das Eine selbst kann vielmehr in allem Seienden gerade dadurch als Einheitsgrund präsent sein, dass es als solches jederzeit absent ist, so dass alles Seiende sich durch ein ontologisch verstandenes "Streben" (ephesis, Enn. V 3, 11, 12) nach reiner Einheit auszeichnet, die Seiendem aber aufgrund seiner Bestimmtheit notwendig verwehrt bleibt. Das Eine selbst ist jenseits aller Bestimmtheit, d.h. jenseits aller eide, deren logisch-ontologische Bestimmtheit ihnen durch ihre Verknüpfung (symploke) mit dem Bestimmungsganzen zukommt. Das Eine kann demnach selbst kein Eidos sein, da es ansonsten in Relation zu anderem stünde und folglich nicht mehr das Absolute wäre. Die Analyse der Einheitsstrukturen alles Seienden und damit der Nachweis, dass "alles Seiende nur durch das Eine seiend ist" (Enn. VI 9, 1, 1), wird von Plotin dadurch geführt, dass alle Seinsbereiche auf ihre Einheitsstruktur hin untersucht werden, wobei sich alle Einheitsstrukturen wiederum als Moment der Totalität des Geistes herausstellen, der damit die unüberbietbare Einheit in der Vielheit ist. Der neuplatonische "Aufstieg zum Einen" (Halfwassen 1992) wird durch die Theorie des Ganzen im Hinblick auf seine Einheit motiviert. Die denkende Bewegung ist so ein "Zusammennehmen auf Eines hin (syllabein eis hen)" (Tht. 147d9 f., Soph. 234b3 f.), um mit Platon zu sprechen. Ohne die denkende Betrachtung könnte die Ekstasis nicht erreicht werden. Genau diese rationale Seite der negativen Henologie nimmt Hegel zum Anlass, auf eine dialektische Schwäche hinzuweisen, die zum vermeidbaren Gebrauch von Emanationsmetaphern an der Stelle der Form des Begriffs fUhre: Wenn das Denken nämlich der Motor der negativen Dialektik ist und sich in ihrem letzten Akt, der Ekstasis, herausstellt, dass man vom Einen keine Bewegung mehr einleiten kann, da dieses selbst nicht Denken sein kann, verschenkt man die Möglichkeit einer deszendenten Dialektik, die vom Einen aus die Vielheit der Hypostasen ableitet: ,,[D]as Eine schließt sich auf (zusammenhängend mit der Schöpfung und aller Produktion). Dies kann aber aus dem Absoluten nicht gefaßt werden, wenn dies als Abstraktes ein Bestimmtes ist und nicht vielmehr als das in sich tätige Eine gefaßt wird. Dieser Übergang zum Zweiten wird aber von Plotin nicht philosophisch oder dialektisch gemacht, sondern diese Notwendigkeit wird in Vorstellungen und Bildern ausgedrückt." (TWA, 19,447).
11 Emanationsmetaphern finden sich u.a. in Enn. VI, 6, 27-44; III 8, 10, 4-14. Die Emanationsmetapher geht vermutlich auf eine Stelle in Platons Sonnengleichnis (Rep. 508b6 f.) zurück, wo Platon die erkennende Kraft des "sonnenhaften" Auges als eine Art "Ausfluss" (hösper epirrhyton), d.h. als Emanation der Sonne bezeichnet. Vgl. dazu Halfwassen 1999,52.
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In der Tat ist der degenerative Abstieg vom Geist über die Seele bis hin zur Natur bei Plotin nicht durch eine denkende Bewegung nachvollziehbar. Für jede Hypostase wiederholt sich die Unmöglichkeit, den Hervorgang des Einen durch eine denkende Bewegung methodisch nachzuvollziehen. Die denkende Bewegung, die dadurch überhaupt motiviert ist, dass sie der metaphysischen Erkenntnis der Totalität im Hinblick auf ihre Einheitsstrukturen dienen soll, fUhrt letztlich dazu, dass alles Seiende in seinem Konstitutionszusammenhang absteigend nicht nachvollzogen werden kann. Die denkende Bewegung verfehlt damit ihr Ziel, die Totalität zu begreifen, was aber ihr ursprünglicher Antrieb war und die denkende Selbstbeziehung allererst motiviert. Das ist in Hegels Deutung die Folge davon, dass das Absolute als "abstraktes Eines" bestimmt wird, das keine Bestimmungen haben kann und daher nicht über das reine Sein hinausgeht. Der Durchgang durch die reinen Bestimmungen muss Hegel zufolge daher vielmehr als Selbstbestimmung des Allgemeinen denn als unbegreiflicher Überfluss des unerkennbaren Einen gedacht werden, um den Kreis der denkenden Selbstbeziehung zu schließen: "Der Fortgang ist daher nicht eine Art von Überfluss; er wäre dies, wenn das Anfangende in Wahrheit schon das Absolute wäre; das Fortgehen besteht vielmehr darin, daß das Allgemeine sich selbst bestimmt und für sich das Allgemeine, d. i. ebensosehr Einzelnes und Subjekt ist. Nur in seiner Vollendung ist es das Absolute." (TWA 6,554 f.). An die Stelle des abstrakten Einen muss folglich ein "in sich tätiges Eines" treten, das sich in seiner Tätigkeit als denkende Bewegung erfasst, so dass aufsteigende und absteigende Dialektik als Selbstvollzug des Absoluten durchsichtig werden. Es ist die Tätigkeit des Absoluten selbst, sich als Totalität, d.h. als All-Einheit zu bestimmen, indem es immer schon als weltlicher Gehalt auftritt, der durch die Natur über den Geist in der denkenden Bewegung des absoluten Geistes zu sich zurückkehrt. Daher räumt Hegel Proklos einen Vorzug vor Plotin ein, indem er in der Proklischen Dialektik von "Verharren" (mone), ,,Hervorgang" (prohodos) und "Rückkehr zu sich" (epistrophe) das in sich tätige Eine erkennt, das die Negationen der negativen Henologie im Akt einer Negation der Negation in die positive rein denkende Selbsterkenntnis aufhebe. Die "Negation der Negation (hyperapophasis)" meint bei Proklos allerdings vielmehr die Selbstaufhebung des Denkens am Ende seines dialektischen Durchgangs durch die negative Dialektik (Beierwaltes 1965, 361-366, Halfwassen 2003, 43 f.). Hegelliest somit tendenziell seine eigene Methode der bestimmten Negation in Proklos hinein, der allerdings ebenso wie Plotin die negative Henologie der Noologie vorschaltet und daher keineswegs damit rechnet, dass das Eine Geist ist, obwohl er die von Hegel in Anspruch genommene Struktur des Geistes als "konkrete Totalität" tatsächlich in einer triadischen Dialektik expliziert. In Proklos ' Triadik sieht Hegel eine Antizipation der christlichen Trinität, die allerdings eine Überwindung der negativen Theologie bedeute, indem sie das Eine nicht mehr wie Proklos von den Triaden unterscheide: "Die christliche Religion ist die offenbare: Gott ist das Dreieinige, also das Offenbare, nicht die Triaden und das Eine unterschieden; sondern eben das Eine ist das Dreifache selbst, d.h. fiir Anderes seiend, in sich relativ." (TWA 19, 577 f.).
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5. Zusammenfassung Hegels Umdeutung der Ekstasis zum reinen Denken und des absoluten Einen zum reinen Sein verdankt sich nicht einfach einem philosophiehistorischem Irrtum, obwohl Hegel aufgrund seiner systematischen Absicht versucht, die neuplatonische Noologie von der negativen Henologie zu isolieren und letztlich den neuplatonischen Primat der Henologie vor der Noologie umzukehren. Auf diese Weise vermag er den Neuplatonismus als synthetische Vollendung der antiken Philosophie auszuzeichnen, die Hegel durchgängig im Licht der Entdeckung der noeseos noesis untersucht. Das Argument, das Hegel einsetzt, um die Umkehrung von Henologie und Noologie zu motivieren, besteht im Nachweis einer dialektischen Inkonsistenz zwischen dem Aufstieg zum Einen und dem Abstieg vom Einen zum Vielen. Die Inkonsistenz komme dadurch zustande, dass der Aufstieg durch eine denkende Bewegung motiviert wird, die sich im Absoluten nicht wiedererkennt, so dass sich die Aporie des Abstiegs einstellt, der nicht durch eine Selbstbestimmung des Absoluten vollzogen werden kann. Trotz seiner vehementen Kritik der negativen Henologie im besonderen und seiner Kritik der auf deren Basis entwickelten negativen Theologie im allgemeinen erkennt Hegel seinen eigenen absoluten Idealismus in nuce in der neuplatonischen Noologie wieder. Dabei hat er unter anderem entdeckt, dass der Neuplatonismus und insbesondere Plotin die kritische Energie des antiken Skeptizismus einsetzt, um den dogmatischen Standpunkt der Endlichkeit der stoischen und epikureischen Erkenntnistheorie zu überwinden. In diesem Zuge wendet sich Plotin gleichzeitig mit seiner Noologie gegen den Pyrrhonischen Skeptizismus und nimmt die Totalität ins reine Denken zurück. Hegel widerspricht demnach zwar Plotins negativer Henologie, nimmt aber gleichzeitig seine Noologie auf, in der er zu Recht eine Antizipation seines eigenen Standpunkts gesehen hat, die Totalität als triadisch gegliederte noeseos noesis zu konstruieren. Das neuplatonische Vorgehen wirft damit zugleich Licht auf Hegels System, das sich selbst als Intellektualsystem und nicht als Standpunkt der Endlichkeit versteht, so dass Hegels Begriff der denkenden Selbstbeziehung eher mit den "wahrhaft spekulativen Ideen älterer Philosophen über den Begriff des Geistes" (TWA 6, 489) als mit Kants Ich denke verwandt ist, wie Hegel hervorhebt (TWA 6, 488-495). Hegel zufolge gilt es, das Absolute so zu denken, dass es nicht nur mit dem Endlichen kompatibel ist, sondern dass es ohne das Endliche auch nicht das Absolute sein könnte. Denn das Absolute muss qua Begriff "die Einheit seiner selbst und seines Anderen" (TWA 6, 492) sein, so dass es im Übergang jederzeit zu sich zurückkommt. Im Dienste seines eigenen Konzepts des Absoluten als wahrhaft Unendliches argumentiert Hegel daher gegen die negative Henologie, die er immanent aufzuheben sucht. Ob ihm dies im einzelnen gelungen sein mag oder nicht, muss hier dahingestellt bleiben, da die Beantwortung dieser Frage mindestens eine Gesamtinterpretation der Philosophien Hegels und Plotins erfordert. Fest steht aber, dass Hegels immanente Geistmetaphysik gegen jede Form negativer Theologie auftritt, um die Einsicht zu befördern, dass die denkende Selbstbeziehung, die sich in der Philosophie selbst erfasst, am Absoluten keine Grenze hat. Hegels Programm lautet daher: ,,Alles heraus aus dem verschlossenen Gotte" (NAG, 26).
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Hegels Bild von Descartes
Detlev Pötzold
I. Hegels historischer Kontext und der Stand der neueren Forschung 1.1. Das Descartes-Bild Hegels ist in der Hegelforschung bisher vergleichsweise selten untersucht worden. So hat auch Klaus Düsing - mit einigem Recht - in seinem Buch Hegel und die Geschichte der Philosophie (1983) Descartes kein eigenes Kapitel gewidmet, sondern hat, was er in diesem Buch dazu sagen wollte, in sein ausführliches Kapitel zu Hegel und Spinoza integriert. 1 Von den großen Rationalisten der frühen Neuzeit war in der Tat Spinoza derjenige, der fiir Hegel, wie auch fiir andere Philosophen des Deutschen Idealismus, die größte Herausforderung, aber zugleich auch eine sehr ergiebige Quelle der Inspiration fiir das (spekulative) Denken repräsentierte. 2 So sagte Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie über Spinoza respektvoll, er sei "Hauptpunkt der modemen Philosophie: entweder Spinozismus oder keine Philosophie".3 Emphatisch jedoch klingen seine einleitenden Worte zu Descartes: "Hier, können wir sagen, sind wir zu Hause und können wie der Schiffer nach langer Umherfahrt auf der ungestümen See ,Land' rufen".4
Vgl. Düsing 1983, 160-195. Vgl. Pätzold 2002, 114-154. 3 HW 20, 163 f. Ich zitiere im folgenden Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie nach der von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel herausgegebenen Theorie Werkausgabe (HW 18-20), deren Grundlage die von Michelet für Hegels Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten (Berlin 1832-1845) kompilierten Texte sind. Wo es Parallelstellen gibt, gebe ich auch die von Pierre Garniron und Walter Jaeschke auf der Grundlage einzelner Nachschriften herausgegebenen Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte (HV 6-9) an. 4 HW 20, 120; vgl. HV 9, 88. Dass Descartes' Philosophie als ein entscheidender Fortschritt zumal gegenüber der vorangegangenen scholastischen Schulphilosophie anzusehen sei, war in Deutschland spätestens Ende des 18. Jahrhunderts opinio communis. Als ein Beispiel sei die (neben Jakob Brucker, Historia critica philosophiae, 1742-1744) vielgenutzte Geschichte der Philosophie (Geist der spekulativen Philosophie, 1791-1797) von Dietrich Tiedemann genannt, den Hegel jedoch nicht schätzte (vgl. HW 18, 134) und von dessen Werk er nur die ersten drei Bände besaß. Im sechsten Band wird über Descartes gesagt: "noch war es keinem gelungen ein System aufzustellen, welches ausgebreiteten Beyfall sich verschaffte, und die Schulphilosophie verdrängte; noch war es keinem gelungen, der Vernunft in ihren Untersuchungen eine beßre Bahn vorzuzeichnen. Der große Mann, welchem dies Glück 1
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Wie darf man dieses Heimatgeruhl, das Hegel eingedenk der Philosophie Descartes' zu verspüren meinte, verstehen? Eine erste Antwort darauf kann man aus dem historischen Kontext entnehmen. Denn gerade zu Hegels Zeiten kursierte in Frankreich, in England und auch in Deutschland die Redeweise von Descartes als dem "Anfang" oder gar dem "Vater der modemen Philosophie", und weil Hegel selbst solchen Redeweisen nicht fern stand, ist es nicht verwunderlich, dass er sich bei Descartes wie bei einem Vater zu Hause fühlte, auch wenn dieser aus dem Nachbarlande stammte. Hans-Peter Schütt ist in seinem Buch Die Adoption des" Vaters der modernen Philosophie" (1998) dieser Metapher in ihrer verschlungenen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte detektivisch nachgegangen und ist hierbei zu folgenden wichtigen Entdeckungen gekommen, die den fiir uns relevanten Zeitraum vom späten 18. Jahrhundert bis zu Hegel betreffen. 5 Allerdings tauchen, wie Tanja Them später im Anschluss an Schütt herausfand, Redeweisen von Descartes wie die als dem "pere de la nouvelle philosophie" bzw. "pere de la philosophie pensante" in Frankreich schon im frühen 18. Jahrhundert bei dem Abbe Desfontaines (1739) und dem Pere Guenard (1755) auf. 6 Aber wirkungsgeschichtlich relevant war, wie Schütt gezeigt hatte, der Schotte Thomas Reid, der in An Inquiry into the Human Mind (1764) erstmals in Großbritannien Descartes als "the father of the new philosophy"7 bezeichnete, wobei dies durchaus den negativen Unterton mit sich führte als jemand, der fiir seine Kinder zur Verantwortung zu ziehen sei, in casu Descartes' Vaterschaft rur die spätere und Reids Meinung nach irrige Entwicklung der Theorie der Ideen ("Way of Ideas") im englischen Empirismus. 8 In Frankreich tauchte kurz darauf die Redeweise von Descartes als "pere de la philosophie modeme" im Jahre 1765 in der fiir einen durch die Academie fran9aise ausgeschriebenen Wettbewerb eingereichten Lobrede auf Descartes von Louis-Sebastien Mercier auf, die 1777/78 auch ins Deutsche übersetzt wurde. 9 Wirklich populär jedoch wurde die Vaterrolle Descartes' erst im frü-
aufbehalten war, und der die spekulative Philosophie auf einmahl eine beträchtliche Strecke auf ihrem Wege zur Vollkommenheit fortbrachte, war Renatus Deskartes." (Tiedemann, VI, 1797, 646 f.). Doch schon der Kantianer Georg Gustav Fülleborn hatte in seinen Philosophische Vorlesungen (1793) festgestellt: "Des Cartes macht den Anfang der neuern Philosophie: und dies mit Recht" (Fülleborn 1968, 111, 102). Zu den rür die Hegelzeit relevanten Philosophiehistorikern in Deutschland von Brucker bis Schleiermacher vgl. Braun 1990, 131-355. 5 Vgl. insb. Schütt 1998, 49-117. Die glänzende Pionierarbeit von Schütt hat ein Forschungsfeld eröffnet, das unlängst in zwei umfangreichen und nicht weniger gelehrten Dissertationen weiter erschlossen wurde. Die eine befasst sich mit dem noch sehr ambivalenten Descartes-Bild in Frankreich im 18. Jahrhundert (Them 2003), die andere mit der "Wiedergeburt" der Metaphysik Descartes' in Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert (Zijlstra 2005). Alle drei Studien widmen im übrigen in diesem Zusammenhang auch den Einflüssen seitens der englischen Philosophie die nötige Aufmerksamkeit. 6 Vgl. Them 2003,105 Anm. 72; 401 Anm. 218; 336 f. 7 Reid 1970, 225. 8 Vgl. Schütt 1998, 100-111. 9 Vgl. Schütt 1998, 97; ausfUhrlicher Them 2003, 390-403. Zur späteren unrühmlichen Rolle Merciers bei der gescheiterten Aufnahme Descartes' in den Pantheon vgl. Schütt 1998, 98; Them 2003, 426-428 und Zijlstra 2005, 61-64. Interessant im Hinblick auf Hegels Epochenverständnis (s.u. 1.2) ist jedoch, dass der frühe Mercier in seiner Eloge de Descartes aus dem Jahre 1765 schon die starke Behauptung aufstellte, dass mit Descartes 1000 Jahre Barbarei (also der auch rür Hegel relevante Zeitraum grobgeschätzt zwischen Proklos und Descartes selbst) überwunden wurde; vgl. Them 2003,393.
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hen 19. Jahrhundert, und damit auch für die Hegelzeit, durch Victor Cousin. lO Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Cousin nicht nur im Laufe der Jahre zu einem recht einflussreichen Bildungspolitiker avancierte, sondern auch eine neue DescartesAusgabe veranstaltete, in dessen Prospectus (1824; dt. Übersetzung 1827) er ihn als "pere de la philosophie modeme" bezeichnete. ll Aber schon 1815 hatte er, also vor seiner Begegnung mit Hegel im Jahre 1817, in seiner Antrittsvorlesung (Discours prononce Cl !'ouverture du cours de !'histoire de !a philosophie moderne) indirekt diese Metapher verwendet, indem er die modeme Philosophie "fille de Descartes"12 nannte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch eher ein Anhänger von Condillac und Reid war. 13 Was Hegel selbst anbelangt, so verwendet er zwar nicht die Vater-Metapher, die er, wenn er sie vermutlich von Mercier her nicht kannte, sicherlich von Cousin hätte übernehmen können, mit dem er bekanntlich gute Kontakte (seit ihrer ersten Begegnung in Heidelberg) unterhielt. Ebenso war Reids Inquiry für Hegel keine unbekannte Schrift. 14 Statt dessen spricht Hegel, wie es beispielsweise der Kantianer Georg Gustav Fülleborn tat, von Descartes als dem "wahrhaften Anfänger der modemen Philosophie".15 Diese Formulierung ist gewiss nicht ganz unzweideutig, schwingt hierin doch ein despektierlicher Unterton mit, und in der Tat wird Hegel, wie wir noch sehen werden, seine Meinung über die Unzulänglichkeiten des cartesianischen Anfangs in der modemen Philosophie keineswegs unter den Tisch kehren. Es ist dann erst der Hegelschüler Johann Eduard Erdmann, der wenige Jahre später in seinem Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie (1834) beide Metaphern in einem Atemzug nennt und in ihrer Komposition ganz positiv versteht: "ihm [Descartes] gebührt vor allem das Lob, dass er das Denken [...] als die Substanz des Geistes erfasste, und so ehren wir in ihm den Anfänger und Vater der neuern Philosophie".16 1.2. Auf eine weitere zeitgebundene Eigentümlichkeit der HegeIschen Wertschätzung von Descartes als Begründer der modernen Philosophie muss hingewiesen werden, weil sie die Descartes zugeschriebene Rolle aus dem Kontext von Hegels philosophie- und religionsgeschichtlichen Epochenverständnis erklären hilft. Gemeint ist das notorische Vorurteil gegenüber der mittelalterlichen Philosophie, das bei Hegel teils wohl auch gegen einige seiner romantischen Zeitgenossen gerichtet ist, die das Mittelalter gerade
Zu Cousin vgl. Schütt 1998, 87ff. und ausführlicher Zijlstra 2005, 125-157. Vgl. Schütt 1998, 87-89 und Zijlstra 2005, 147. Schütt weist daraufhin, dass die am entscheidenden Punkt kritisch kommentierte deutsche Übersetzung vom Hegelschüler und Freund Cousins Friedrich Wilhelm Carove stammt, der die beiden im Jahre 1817 in Heidelberg miteinander bekannt gemacht hatte. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Hegel durch die Vermittlung von Carove die Formel von Cousin hörte. Zu welchem Zeitpunkt ist allerdings schwer zu sagen. Hegel spricht jedenfalls in seinem Brief an Cousin vom 5. April 1826 auf dessen Descartes-Ausgabe mit Anerkennung eingehend von Descartes als "le point de depart de la philos. moderne". 12 Cousin 1855, 9. 13 Vgl. Zijlstra 2005, 125-130. 14 Vgl. HW 20, 284; HV 9, 145. Zur Bedeutung Reid's in Hegels Zeit vgl. Schütt 1998, 116 f. 15 HW 20,123 (meine Hervorhebung); vgl. HV 9,90: "Anfanger der Philosophie in der neuen Welt". Hegel verwendet zuweilen aber auch die neutralere Wendung "Begründer der neueren Philosophie" (HV 6, 349). Zu Fülleborns Formulierung s.o. Anm. 4. 16 Erdmann 1834, 1.1, 336. 10 11
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einmal wiederentdeckt hatten. Hegel selbst hatte wie andere Anhänger der Klassik die griechische antike Philosophie von den Vorsokratikern über Platon und Aristoteles bis zu Plotin und Proklos immer auf den Sockel gestellt und die mittelalterliche christliche Philosophie als ein unerfreuliches Zwischenspiel betrachtet. 17 Aber dies allein ist noch kein interessanter Punkt, sondern erst die paradox erscheinende Ansicht Hegels, dass erst mit der modemen Philosophie das Christentum recht besehen zur Geltung komme, ist erklärungsbedürftig. Für ihn endet die antike Philosophie mit den Neuplatonikern und dem Christentum der Kirchenväter, und hier werde im Ansatz schon "das, was das Prinzip des Christentums ist, als Wahrheit", nämlich "die Wahrheit der Idee des Geistes als konkreter Geist erkannt". 18 Aber dies gelinge vollständig erst dann, wenn die Philosophie das rur das mittelalterliche Denken typische Verhältnis von Diesseits und Jenseits, bzw. von Philosophie und Theologie einander entgegensetzt und auflöst, indem sie das "von sich ausgehende Denken"19 oder das Selbstbewusstsein zum Ausgangsprinzip macht. Insofern ist die modeme Philosophie für Hegel eine direkte Wiederanknüpfung an die antike Philosophie: "Die Philosophie der neuen Zeit geht von dem Prinzip aus, bis zu welchem die alte gekommen war, dem Standpunkt des wirklichen Selbstbewußtseins, - hat überhaupt den sich gegenwärtigen Geist zum Prinzip".20 Hegel verbindet mit solch einer "Innerlichkeit" des von sich ausgehenden Denkens religionsgeschichtlich jedoch erst die Form des Christentums, die sie im Protestantismus gefunden hat, und er kann somit die Reformation und die modeme Philosophie (des Katholiken!) Descartes' in unmittelbaren Zusammenhang bringen, so dass nun eine direkte Linie vom Ausgang der antiken zum Beginn der modemen Philosophie geknüpft und mit einer Linie vom Beginn des Christentums in der Spätantike zu dessen Verwirklichung im Protestantismus parallelisiert werden kann. "In dieser neuen Periode ist das Prinzip das Denken, das von sich ausgehende Denken, - diese Innerlichkeit, die überhaupt in Rücksicht auf das Christentum aufgezeigt und die das protestantische Prinzip ist".21 Bei dieser waghalsigen Umschiffung (um in Hegels eigenem eingangs zitierten Bilde zu bleiben) des Mittelalters und des Katholizismus geht es ihm aber scheinbar nicht so sehr um seine konfessionelle Vorliebe, sondern letztlich um die Freiheit des Denkens: "Nach diesem Prinzip der Innerlichkeit ist nun das Denken, das Denken für sich, die reinste Spitze des Innersten, diese Innerlichkeit das, was sich rur sich jetzt aufstellt; und dies Prinzip fängt mit Descartes an. Es ist das Denken frei fiir sich, was gelten, was anerkannt werden soll; dies kann es nur durch mein freies Denken in mir, nur dadurch kann es mir bewährt werden. [...] Wir treten damit erst in eigentliche Philosophie seit der neuplatonischen Schule und was damit zusammenhängt; es ist Wiederanfang der Philosophie. [...] Die philosophische Theologie des Mittelalters hatte
17 Zur antiken Philosophie vgl. Düsing 1983, 40-159. Zu einigen Aspekten von Hegels Sichtweise auf das Verhältnis von Antike und Mittelalter vgl. Pätzold 1988. 18 HW 19,495; vgl. HV 9,3. 19 HW 20, 120; vgl. HV 9, 88. 20 HW 20, 63. 21 HW 20, 120; HV 9, 88.
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nicht zum Prinzip das freie, von sich ausgehende Denken; dies ist nun aber das Prinzip."22 1.3. Wie gesagt, die Literatur zu den philosophischen Details von Hegels Sicht auf Descartes, auch die der letzten ca. fünfzig Jahre, ist keineswegs als ergiebig zu bezeichnen. Von den Studien, die Hegels Descartes-Bild vorwiegend in größeren historischen Zusammenhängen besprechen, können exemplarisch die folgenden angeführt werden. Max Wundt handelt in dem allerdings recht kurzen ersten historischen Teil seines Aufsatzes Wandlungen des Descartes-Bildes (1953) Hegel in nur vier Sätzen ab. 23 Moritz Hagmann bespricht zwar in seiner Studie Descartes in der Auffassung durch die Historiker der Philosophie (1955) die historische Stellung Descartes' in Hegels Philosophiegeschichte immerhin auf einigen Seiten. Aber nachdem er zunächst Hegels Konzeption von Philosophiegeschichte im Allgemeinen vorstellt, folgen nur noch knapp zwei Seiten zu seiner Beurteilung Descartes', die fast ausschließlich aus Zitationen bestehen. Sie betreffen die cartesische Methode (jedoch nicht als der methodische Zweifelsprozess), das Verhältnis von Denken und Sein im cogito-Argument und im ontologischen Gottesbeweis. 24 Mehr zu bieten hat die Zeitschrift Les Etudes philosophiques, die 1985 ein ganzes Heft dem Thema Descartes et L 'Allemagne widmete, zu dem Bemard Bourgeois den gewichtigen Beitrag Hegel et Descartes beisteuerte. 25 Er betont, dass Descartes bei Hegel bis weit in die Jenaer Jahre mit Stillschweigen übergangen wird und auch späterhin sein Urteil über ihn ambivalent bleibt. Erst in der Phänomenologie des Geistes finde sich eine indirekte positive Würdigung, wenn dort in Kontrast zu den zwei späteren Varianten der französischen Aufklärungsphilosophie, dem Deismus und dem Materialismus, am "Begriffe der Cartesischen Metaphysik" gelobt wird, dass in ihm die Einheit von Denken und Sein erkannt werde. 26 Bourgeois befasst sich dann hauptsächlich mit der Kritik, die Hegel in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie an Descartes übt: Der vermeintliche Mangel an Systematizität, die empirische, nachgerade naive Methode, etc. 27 Dies steht aber, worauf ich an dieser Stelle schon hinweisen will, scheinbar quer zum ,Leitmotiv' der auch von Bourgeois konstatierten DescartesWürdigung Hegels, wonach dieser die Einheit von Denken und Sein zum (aber noch
22 HW 20, 120f.; HV 9, 88 f. Diese normative Periodisierung der europäischen Philosophiegeschichte findet sich auch schön zusammengefasst in seinen Einleitungen zu den Vorlesungen 1823/24, 1825/26, 1827/28 und 1829/30, vgl. HV 6,203,276,311 und 349 f. (vgl. auch HW 18, 131 f.). 23 Vgl. Wundt 1953,317. Im zweiten Teil seines Aufsatzes befasst er sich mit dem neueren französischen Descartes-Bild und protegiert insbesondere die Interpretation von Etienne Gilson, der ihn in der Nachfolge von Augustinus sah, um sie im dritten Teil mit einer eigenen psychologischen Deutung zu stützen (vgl. Wundt 1953, 319 f., 323 f.). 24 Vgl. Hagmann 1955,108-110. 25 Vgl. Bourgeois 1985,221-235. 26 Vgl. Bourgeois 1985, 222-224. ,Denken' und ,Sein' an sich, oder als Abstrakta genommen, werden von Hegel hier sogar als identisch (als dasselbe) bezeichnet (vgl. GW 9, 313). Hegel spielt bei dieser einzigen kurzen Bemerkung zu Descartes in der Phänomenologie offenbar auf dessen Existenzbeweis im cogito-Argument und seinen ontologischen Gottesbeweis an. 27 Vgl. Bourgeois 1985,225-227.
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nicht, wie ich sagen würde, auf den) Begriff gebracht habe. 28 Bourgeois erklärt dies mit Hegels Kritik an Descartes' Repräsentionalismus (den übrigens auch schon Thomas Reid aufs Kom genommen hatte), demzufolge mit dem begrifflichen Denken nur die subjektive Seite akzentuiert werde und die Einheit von Denken und Sein noch nicht wirklich spekulativ, d.h. gleichermaßen als ein objektiver Prozess der Selbstbestimmung des Begriffs aufgefasst sei. 29 Eher enttäuschend wiederum ist für unser Thema der Überblick, den Genevieve Rodis-Lewis im neuen Ueberweg zur Wirkungsgeschichte Descartes' entfaltet. Sie bietet viel und interessantes Material, gibt aber zu Hegel, anders als etwa zu Kant, Fichte und Schelling, nur wenige Stichworte. 3o Casper Zijlstra behandelt das Verhältnis Hegels zu Descartes in seiner Studie The Rebirth 0/ Descartes (2005) in einem relativ kurzen Kapitel. Er analysiert nicht nur klassische Topoi wie das cogito-Argument und den ontologischen Gottesbeweis, sondern erstmals die Lehre von den eingeborenen Ideen. Er kommt dabei, insbesondere auf der Grundlage entsprechender Bemerkungen Hegels in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, zu dem interessanten Ergebnis, dass dieser, obwohl er den Ausdruck ,angeborene Ideen' für unglücklich hält, der Sache nach Descartes zustimmt, wenn man darunter nur nicht schon ein unmittelbares Wissen in der Form von "immediately ready-made ideas" hält. 31 Darüber hinaus wird Descartes natürlich vielfach in den unzähligen, mehr systematisch orientierten, Studien zu Hegels Philosophie erwähnt. Ich werde in den folgenden Abschnitten meiner eigenen Analyse von Hegels Descartes-Bild sporadisch auf einige davon an geeigneter Stelle verweisen.
2. Hegels Descartes-Bild in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Sicherlich muss man wie in anderen Fällen von Hegels Umgang mit den philosophischen Klassikern auch bei der Analyse seines Descartes-Bildes zunächst seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie als Ausgangspunkt nehmen, da sie gegenüber den wenigen sporadischen Bezugnahmen auf Descartes in seinen zu Lebzeiten veröffentlichten vorwiegend systematischen Werken den Vorzug einer relativen Ausführlichkeit und Geschlossenheit haben. Andererseits ist der Status des erstmals von Michelet aus den fast vollständig verlorengegangenen Vorlesungsmanuskripten und Notizblättern Hegels sowie vielerlei Vorlesungsnachschriften seiner Hörer aus unterschiedlichen Jahrgängen kompilierte und posthum veröffentlichten Textes (1833-1836)
Vgl. Bourgeois 1985,227 f. Vgl. Bourgeois 1985, 231. 30 Vgl. Rodis-Lewis 1993,336; 337; 338. 31 Vgl. Zij1stra 2005, 176-178. Schon Leibniz hatte die Sache im Vorwort und ersten Buch seiner Nouveaux Essais sur I'entendement humain so gesehen. 28
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ziemlich unsicher. 32 Man kann diese unkomfortable Lage etwas dadurch verbessern, indem man zum Vergleich auf die von Jaeschke und Garniron erstellte neue Edition auf der Grundlage von fiinf Vorlesungsnachschriften von Hegels Kolleg aus dem Wintersemester 1825/26 in Berlin und die jeweiligen Einleitungen zu den Kollegien aus verschiedenen Jahren verweist. 33 Darüber hinaus werde ich im nächsten Abschnitt (3.) noch gesondert auf die Descartes-Bezüge in Hegels veröffentlichten Werken eingehen, um ein weiteres Korrektiv zu haben. Beginnen wir mit den gut dokumentierten verschiedenen Einleitungen von Hegels philosophiehistorischen Vorlesungen, in denen Descartes' Philosophie zunächst nur mit wenigen Pinselstrichen angedeutet wird. Es gehe in ihr vor allem um "die Begriffe des Mechanischen", die zwar fiir die Physik, aber schon nicht mehr rur die Erklärung des Organischen in einem weiter gefassten Sinne von Naturphilosophie ausreichend seien. 34 Das Prinzip des Mechanismus, das er mit aller Klarheit zum Ausdruck bringe, besagt in Hegels Terminologie, dass die Relationen zwischen körperlichen Dingen als äußerliche Kausalbeziehungen aufgefasst werden, wobei eine Unterscheidung zwischen Fürsichsein und Für-anderes-sein solcher individueller Gegenstände immer schon vorausgesetzt wird. 35 Dies gilt nicht nur für physische Gegenstände, sondern auch ganz allgemein fiir die Relation zwischen dem Psychischen (genauer der anima intellectiva) und dem Physischen, denn Descartes habe als erster ebenso die "Bestimmtheit des Denkens und Seins"36 ausgesprochen, womit woW seine strikte Unterscheidung zwischen res cogitans (als rein denkender Seele) und res extensa (als Formbestimmtheit physischer Körper) als zwei verschiedene Substanzen gemeint sein dürfte, die am deutlichsten in Descartes' Principia Philosophiae (AT VIII.l, 23, 25), die Hegel in seiner Bibliothek in der Ausgabe von 1656 besaß, ausgeruhrt worden war. In Descartes' Meditationes, insbesondere gegen Ende der zweiten Meditation, überwiegt allerdings der Eindruck, dass die Ausdehnung fiir ihn eher ein abstrakter Begriff des reinen Denkens (d.h. gewonnen aus der inspectio mentis) ist, der zur geometrischen Konzeptualisierung der ausgedehnten Körper dient (AT VII, 30f.). Aber einmal abgesehen von solchen Detailfragen nach dem epistemologischen und gegebenenfalls ontologischen Status des cartesianischen Begriffs der Ausdehnung, bzw. seiner physikalischen Interpretation,37 unterstreicht Hegel hier, durchaus im Sinne Descartes', letztendlich die Superiorität des Denkens. In der modemen Philosophie könne erst bei Descartes, und nicht schon etwa bei Francis Ba-
32 Hans Friedrich Fulda lässt unter anderem auch aus diesen Gründen in seinem neuen exzellenten Hegel-Buch die Vorlesungen und damit auch die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ganz außer Betracht (vgl. Fulda 2003, 266 f.). Walter Jaeschke geht dagegen in seinem neuen gelehrten Hegel-Handbuch relativ ausführlich auch auf die philosophiehistorischen Vorlesungen ein (vgl. Jaeschke 2003, 477-497). 33 Vgl. HV 9 und HV 6. 34 Vgl. HV 6, 54, 156, 233f. (vgl. HW 18,57, 79). 35 Vgl. Stekeler-Weithofer 2005, 196 f., 210. 36 HV 6, 107. Damit gelinge es Descartes jedoch nicht, "die Tiefe des Geistes zu fassen" (HV 6, 156). 37 Vgl. hierzu Pätzold 1995, 84-88.
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con, von "der Selbständigkeit des Denkens" bzw. von "eigentlichem Denken" die Rede sein, und deshalb sei Descartes "der Begründer der neueren Philosophie".38 Nachdem Hegel zunächst kurz auf die Verdienste Descartes' um wichtige Erkenntnisfortschritte in der Mathematik und in einzelnen Naturwissenschaften anspielt, ist die Superiorität des Denkens auch das zentrale Thema im Haupttext seiner Vorlesungen zu Descartes und prävaliert das Leitmotiv von Hegels Descartes-Bild, die Einheit von Denken und Sein: ,,Der Geist seiner [Descartes'] Philosophie ist Wissen, Gedanken, Einheit des Denkens und Seins".39 Diese Einheit ist keine symmetrische Relation, sondern geht vom Denken aus und nicht vom Sein, und deshalb behauptet Hegel in Anknüpfung an Descartes' cogito-Argument: "Im Denken ist so Sein; Sein ist eine arme Bestimmung, ist das Abstraktum von dem Konkretum des Denkens".40 Descartes habe aber noch nicht den Satz der Einheit des Denkens und des Seins seinem ganzen Umfang nach bewiesen, sondern nur punktuell mit dem cogito-Argument exemplifiziert. Hegels Urteil lautet dementsprechend: "Die Einheit des Seins und des Denkens ist dabei [in der Metaphysik des Descartes] das Erste, und das Denken wird dabei genommen als das reine Denken; Descartes hat diesen Satz aber nicht bewiesen. Es sind verschiedene Bestimmungen, Denken und Sein, - und nur ihre Verschiedenheit muß aufgezeigt werden; daß sie identisch sind, diesen Beweis hat Descartes nicht gefiihrt. Es steht einstweilen voran, es ist die interessanteste Idee der neueren Zeit überhaupt; er hat sie zuerst aufgestellt. Das Bewußtsein ist seiner selbst gewiß; ,Ich denke' - damit ist gesetzt das Sein."41 Die Einheit oder gar Identität von Denken und Sein, die Hegel dabei selbst im Sinne hat, ist entgegen den seiner Meinung nach noch defizienten Bestimmungen bei Descartes wohl diejenige, die mittels der Formel von der "Identität der Identität und der Nichtidentität" ausgedrückt werden kann und die Hegel schon in seiner frühen Differenzschrijt Schellings Formel von der "Identität der Identität" entgegengestellt hatte. Hegels Formel, die er als konkrete Identität beschreibt oder abbreviativ oft nur mit dem Ausdruck "das Konkrete" benennt, muss dabei prinzipiell als eine Form der Reflexion-insich (und nicht als äußerliche Reflexion) verstanden werden,42 die nur aus der Selbstbezüglichkeit des reinen Denkens gewonnen werden kann, und es ist genau diese selbstreferentielle Reflexionsstruktur des cogito-Arguments, die Hegel an Descartes goutiert, indem er ihn gegen seine Kritiker Gassendi und Hobbes verteidigt. "Man muß also bloß auf das reine, in diesem Konkreten enthaltene Bewußtsein sehen. [...] Das Denken ist die Beziehung auf sich selbst, ist das Allgemeine, das reine sich Beziehen auf sich selbst, das reine Einssein mit sich".43 Weiterhin sieht Hegel ganz klar, dass Descartes gerade durch den nichts als Voraussetzung anerkennenden methodischen Zweifelsprozess auf die Selbstbezüglichkeit des reinen Denkens und damit auf seine Gewissheit
38 HV 6,51, 138,203 und 349. 39 HW 20, 129. 40 HW 20, 134 (HV 9, 95). 41 HW 20, 136 (HV 9,95). 42 Zu diesen Zusammenhängen vgl. z.B. Düsing 1995, 384f.; Pätzold 2005, 43-49. 43 HW 20, 134 (HV 9, 95).
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(sein Sein als res cogitans) gekommen ist, eine Gewissheit, die selbst dem sich sogar gegen den logischen Verstandesgebrauch und damit alle mathematischen Gewissheiten richtenden stärksten Zweifelsargument, die Hypothese von einem uns ständig in die Irre ruhrenden genius malignus (AT VII, 21f.), widersteht. 44 Und es ist daher ganz konsequent, wenn Hegel das cogito-Argument nicht als einen logischen Schluss, sondern als eine unmittelbare "innere Evidenz im Bewußtsein" deutet .45 Trotz der Feststellung der Superiorität des Denkens ergibt sich die anschließende Frage nach dem zweiten Relatum in der asymmetrischen Relation von Denken und Sein: "was ist das Sein?".46 Und an diesem Punkt zeigt sich rur Hegel, dass Descartes die eigentlich konkrete Einheit beider Relata noch als eine abstrakte behandelt und dementsprechend sich nur der äußerlichen Reflexionsform bedient. "Der Fortgang ist hier, daß ein Interesse entsteht rur weitere Vorstellungen [neben dem "Ich denke"] von der abstrakten Einheit; da geht er [Descartes] nun äußerlich reflektierend zu Werke".47 Dieses Verdikt ist maßgebend fiir Hegels folgende kritische Analyse des cartesianischen Gottesbeweises, der missverständlichen Lehre von den angeborenen Ideen und seiner mechanistischen Konzeptualisierung der körperlichen Natur. Die Funktion des Gottesbeweises bei Descartes sieht Hegel zutreffend als eine Folge des radikalen Zweifelsprozesses, der, obschon er an der Gewissheit der Existenz des denkenden (zweifelnden) Ich nicht zu rütteln vermag, dennoch zunächst den Zweifel am Bestehen einer extramentalen Realität zementiert. Hierin zeigt sich aber auch rur Hegel, einmal abgesehen vom adäquaten cogito-Argument selbst, Descartes' repräsentationalistische Auffassung des Verhältnisses von Denken und Sein, oder, um es in Hegels Terminologie zu sagen, die A."ußerlichkeit seiner Reflexion. Von Wahrheit oder Falschheit der Vorstellungen in mir (ideae, quae sunt in me) ist, wie es zu Beginn der dritten Meditation heißt, im Normalfall (ausgenommen die mathematischen Gegenstände und vergleichbare entia rationis) erst dann die Rede, wenn sie auf extramentale Dinge (res extra me) bezogen werden (AT VII, 37f.). Hegel formuliert es so: "Die Täuschung bei den Vorstellungen hat erst Sinn in Beziehung auf äußerliche Existenz".48 Entgegen dem Repräsentationalismus vertritt Hegel, um die konkrete Einheit von Denken und Sein zu garantieren, eine eher essentialistische Auffassung, derzufolge (wahre) Vorstellungen "objektive Gedanken" sind, wie man am besten aus einer Formulierung seiner späten Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) entnehmen kann, die uns gleichwohl auf die Missverständlichkeit des Ausdrucks aufmerksam macht: ,,Daß Verstand, Vernunft in der Welt ist, sagt dasselbe was der Ausdruck: objectiver Gedanke enthält. Dieser Ausdruck ist aber eben darum unbequem, weil Gedanke zu gewöhnlich nur als dem Geiste, dem Bewußtseyn angehörig, und das Objective ebenso zunächst nur von Ungeistigem gebraucht wird".49 44 Vgl. HW 20,127-135 und sehr viel kürzer in HV 9,92-94. 45 Vgl. HW 20, 131f. (HV 9, 93f.) und das Zitat in HW 20,130, 135. 46 HW 20, 134. 47 HW 20,136 (HV 9, 95f.). 48 HW 20,136 (HV 9,96). 49 GW 20, 67 f.
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Bei Descartes müssen die von Gott angeborenen Ideen diese Rolle von objektiven Gedanken spielen, wie wir gleich noch sehen werden, aber zunächst zurück zum hierfür notwendigen Existenzbeweis Gottes, der nach Hegels Meinung bei Descartes generell und nicht nur punktuell wie im cogito-Argument die Einheit von Denken und Sein garantiert, d.h. das Problem klären soll, "ob das, was im Denken ist, auch die Gegenständlichkeit habe. Diese Einheit liegt nun in Gott oder ist Gott selbst".50 Bei seiner weiteren Darstellung des cartesianischen Gottesbeweises hält sich Hegel vorwiegend an den Text der Principia Philosophiae, benutzt aber wohl auch Spinozas Kommentar hierzu. Dies bringt mit sich, dass er vor allem den über den Begriff der göttlichen Vollkommenheit geführten apriori Beweis in den Vordergrund rückt, der in den Meditationes erst im Verlaufe der dritten Meditation erwähnt und in reiner Form erst in der fünften Meditation durchgeführt wird. Trotzdem finden sich in Hegels Darstellung verstreut auch alle Elemente des aposteriorischen Beweises, der in der dritten Meditation von Descartes zuerst entwickelt wird. Ausgangspunkt dieses zu Descartes' Philosophie, oder was Hegel an ihr schätzt, eher passenden Beweises ist die Gewissheit des denkenden Ich und die in ihr unter anderem anzutreffende Vorstellung von einem höchsten Gott, oder philosophisch gesagt, von einer unendlichen Substanz (AT VII, 40, 45f.). Von hier aus wird kausal auf die möglichen Ursachen dieser Vorstellung geschlossen, wobei unter Zuhilfenahme eines Axioms, das besagt, dass der Realitätsgehalt (realitas formalis sive actualis) einer Ursache mindestens ebensogross wie der ihrer Wirkung (diesenfalls die realitas objectiva in der Vorstellung) sein müsse, auf die notwendige extramentale Existenz Gottes oder einer unendlichen Substanz geschlossen (AT VII, 40, 45 und AT VII!.1, 11 f.). Es ist schwer zu entscheiden, ob Hegel diese aposteriorische Variante des cartesianischen Gottesbeweises wirklich favorisiert, was auch daran liegt, dass er in seiner Darstellung ständig zwischen dieser und der apriorischen Variante hin und her wechselt. Einerseits kritisiert er, dass die Vorstellung Gottes in uns vorausgesetzt werde: "es befriedigt hier nicht, daß die Vorstellung so eingefiihrt wird", und ebenso scheint ihm die Einführung des Kausalitätsaxioms zu missfallen: "Hier geht Descartes in eine Trennung, in ein Verhältnis über, das nicht erkannt ist; es kommt der Begriff der Ursache hinzu".51 Aber wenn somit sowohl der Unter- als auch der Obersatz des Syllogismus kritisiert wird, fällt natürlich der ganze Beweis. Recht hat Hegel natürlich mit der Feststellung, dass Descartes beim Gottesbeweis mehr voraussetzen muss als beim cogito-Argument, aber das ist bei einem Beweis nun mal nicht anders. Andererseits scheint Hegel Descartes' Beweis(e) wiederum zu verteidigen, obwohl die folgende Formulierung nicht ganz eindeutig nur auf den aposteriorischen, sondern teils auch auf den apriorischen Beweis abzielt: "Gott - vorher Möglichkeit, kein Widerspruch - hat gegenständliche Form für das Selbstbewußtsein, ist alle Realität, insofern sie positiv, d.h. eben Sein, Einheit des Denkens und Seins, vollkommenstes Wesen. Sein nimmt er nun in dem ganz positi-
50 HW 20, 137. 51 HW 20,140 (HV 9,96),139.
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ven Sinne und hat nicht den Begriff davon, daß es eben das Negative des Selbstbewußtseins ist".52 Sodann kritisiert Hegel jedoch an diesem göttlichen Seinsbegriff wiederum, dass er nicht den Begriff der Ausdehnung, also der Formbestimmtheit der extramentalen Körperwelt enthalte (wobei er vielleicht an Spinozas Gottesbegriff denkt), bzw. "die Ausdehnung nicht auf wahrhafte Weise zurück in das Denken" geführt werde,53 womit die angestrebte Einheit von Denken und Sein wiederum missglückt. Hegel weist indessen zu Recht darauf hin, dass Descartes nach dem Beweis der Existenz Gottes als dessen wichtigstes Attribut seine Wahrhaftigkeit betonen muss, denn nur so kann die Hypothese des genius malignus ausgeschaltet und damit in erster Linie die Gewissheit mathematischer und logischer Wahrheiten (einschließlich des Kausalitätsaxioms) und, wenngleich wie soeben angedeutet rur Hegel wenig überzeugend, auch das Bestehen einer extramentalen ausgedehnten Körperwelt abgesichert werden. In diesen Kontext gehört die traditionelle Redeweise von den ewigen Wahrheiten, die bei Descartes in Gestalt der Lehre von den angeborenen Ideen auftritt. Als von dem wahrhaftigen Gott angeboren müssen diese Ideen nun selbst wahr sein, was sich schon an ihrer Klarheit und Deutlichkeit zeigt. Obwohl Hegel mit dieser Auffassung sympathisiert, hält er sie doch wegen der auf ein rein natürliches Phänomen (Geburt) anspielenden Metaphorik fiir unglücklich formuliert. 54 Entsprechend seiner eigenen These, dass Verstand und Vernunft in Gestalt objektiver Gedanken in der Welt sind, wobei er nebenbei bemerkt anders als Descartes nicht auf die Existenz Gottes zurückgreifen muss, macht er hier folgenden Vorschlag zur Reformulierung des Problems in geistphilosophischer Terminologie: "Ewige Wahrheiten sind allgemeine, ganz allgemeine Bestimmungen, ganz allgemeiner Zusammenhang; [...] Wir würden sagen, es liege dies in der Natur, im Wesen unseres Geists begründet. Der Geist ist tätig und verhält sich in seiner Tätigkeit auf eine bestimmte Weise; diese hat aber keinen anderen Grund als seine Freiheit. Daß dies aber so sei, dazu gehört mehr, als es nur zu sagen; es müßte abgeleitet werden als notwendiges Produzieren unseres Geistes. Diese ewigen Wahrheiten sind für sich".55 In Hegels eigener Sichtweise tritt die Idee aus dem Bereich des Logischen über in den Bereich der Naturphilosophie als ihr Anderes, und er sieht hier offensichtlich eine gewisse Parallele zu Descartes' Übergang von den ewigen Wahrheiten zu den einzelnen Dingen in der körperlichen Natur, dem Bereich der res extensae. Im allgemeinen werde
52 HW 20,145. 53 HW 20, 146. Vgl. zu Spinoza: Ethica 11, prop. 1 und 2: "Denken ist ein Attribut Gottes, anders formuliert, Gott ist ein denkendes Ding." und "Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, anders formuliert, Gott ist ein ausgedehntes Ding." 54 Vgl. HW 20, 147 (HV 9, 98); vgl. ebenso bei Hegels Besprechung von Lockes Kritik an Descartes' Lehre von den angeborenen Ideen: "Aber die Entwicklung im Bewußtsein ist etwas anderes als das, was an sich Vemunftbestimmung ist; und so ist der Ausdruck angeborene Idee allerdings ganz schief.", HW 20,212 (HV 9,119). 55 HW 20,147; (HV 9, 98).
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über diese Dinge - "das Andere zu diesen ewigen Wahrheiten" - bei Descartes gesagt, dass "die allgemeinen Bestimmungen der Dinge Substanz, Dauer, Ordnung" sind. 56 Im einzelnen fUhrt dies ihn bei den körperlichen Substanzen auf den Begriff der Ausdehnung und sodann näher spezifIZiert auf Materie und Bewegung: "Er verfolgt das Ausgedehnte, kommt auf Materie, Ruhe und Bewegung", und dies sind fiir ihn "die Grundbegriffe der mechanischen Physik".57 Hegel sieht hierin sowoW einen Fortschritt, aber zugleich auch eine Begrenzung. Denn einerseits lobt er an Descartes ausdrücklich dessen Idealismus, d.h. "die denkende Behandlung des Empirischen".58 Die Tatsache, dass Descartes im wesentlichen den Begriff der Ausdehnung verwendet, um die gesamte körperliche Welt zu konzeptualisieren und dabei von allem bloß Sinnlichen abstrahiert (paradigmatisch durchgeführt am Wachsbeispiel in den Meditationes, AT VII, 29ff.), zeige zwar seinen Hang zur "Idealität", führt jedoch nach Hegels Meinung bei Descartes nur zu einer mechanistischen Betrachtungsweise der physischen Natur. 59 Und dies bedeutet einerseits kein Atomismus (Solidität von Elementarteilchen und ihren Eigenschaften) und kein Vakuum, sondern im Prinzip die unendliche Teilbarkeit materieller Körper; aber dann doch andererseits die klassische Kinematik, sei es in Gestalt von Himmelskörpern oder von kleinsten Partikeln, die sich als gleichförmig beschleunigte oder in Ruhe befindlich gemäß dem Trägheitsprinzip verhalten. 6o Hegel ignoriert dabei weitgehend die Details von Descartes' Astronomie und terrestrischer Physik, sowie ebenso seine Physiologie, welche ab dem dritten Teil seiner Principia Philosophiae ausführlich dargelegt werden. Er belässt es bei einem kurzen Hinweis auf die Wirbelund Porentheorie, um sodann ironisch mit einer Bemerkung zu Salpeter und Schießpulver die Sache abzurunden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Hegel dieses Werk doch vor allem durch die Brille von Spinoza gelesen hat, d.h. in der Engführung, die dadurch entstand, weil Spinoza nur die ersten beiden Teile kommentiert hatte. Was Hegel auf der Basis dieser begrenzten Sicht auf den Text der Principia Philosophiae (die er gleichwohl, wie oben schon bemerkt, in seiner Bibliothek besaß) vor allem zu monieren hat, ist von zweierlei Art: Er sieht ein naturwissenschaftliches und ein philosophisch-methodologisches Desideratum. Was den ersten Punkt anbelangt, so ist er der Meinung, die wir schon aus den Einleitungen zu den philosophiehistorischen Vorlesungen kennen, dass eine mechanistische Betrachtung der Natur dem Bereich der organischen Materie, also dem Lebendigen nicht gerecht werden kann. "Es ist aber eine weitere Einsicht, daß dies unbefriedigend ist, - Materie und Bewegung nicht hinreicht, um das Lebendige zu erklären".61 Trotzdem hält er daran fest, womit der zweite Punkt angesprochen ist, dass Descartes in seiner mechanistischen Physik ihre Bestimmungen
56 HW 20, 147; vgl. HV 9, 98, allerdings ohne Qualifizierung als das Andere zu den ewigen Wahrheiten. 57 HW 20,149,151 (HV 9, 100). 58 HW 20,153 (HV 9,101). 59 Vgl. HW 20, 151 (vgl. HV 9, 100). Der Text in HV 9 zur cartesianischen Physik ist sehr viel kürzer. Die Kemaussagen finden sich jedoch auch dort. Wie stark Hegel Descartes' Physik und auch seine Physiologie verkürzend und teils auch missverstehend wiedergibt, zeigt der Kommentar von Garniron und Jaeschke; vgl. HV 9, 300-307. 60 Vgl. HW 20, 151 f. und ganz knapp vgl. HV 9,100. 61 HW 20,152 (HV 9, 100).
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rein aus dem Denken entwickelt habe. Was Hegel dabei jedoch noch fehlt, ist das spekulative Element innerhalb der idealistischen Methode, das er hier nur stichwortartig andeutet: "Das spekulative Erkennen, Ableiten aus dem Begriffe, freie selbständige Entwicklung des Begriffs ist erst durch Fichte eingeflihrt".62 Dass Hegel uns in diesem Kontext nicht mehr Auskunft gibt über seine eigene Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft, bzw. seine Anreicherung des verständigen mit dem spekulativvernünftigen Moment des Erkennens, was in seinen Augen erst die von ihm gewünschte wirklich konkrete Einheit von Denken und Sein ermöglichen kann, sollte uns nicht wundem. Verwunderlich ist allerdings, dass er hier das in seiner Zeit modeme spekulative Erkennen mit dem Namen Fichtes und nicht, was in diesem naturphilosophischen Kontext zu erwarten gewesen wäre, mit dem Namen Schellings verknüpft, denn es war doch vor allem Schelling, der eine spekulative Philosophie der Natur in immer neuen Anläufen ab 1797 entwickelt hatte.
3. Hegels Descartes-Bild in seinen veröffentlichten systematischen Werken Ebenso spärlich wie in der oben schon angesprochenen einzigen kurzen Bemerkung zu Descartes in der Phänomenologie ist von ihm in Hegels Wissenschaft der Logik (18121816) die Rede. Dies ist verblüffend, denn auf andere Philosophen und Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts wie Spinoza, Leibniz und Newton geht Hegel vielfach ein. Nur im zweiten Teil, Die subjective Logik. Die Lehre vom Begr(ff(1816), wird ganz kurz zumindest an Descartes' apriorischen Gottesbeweis erinnert, der allerdings weniger wegen seiner Beweisform, als vielmehr wegen der darin intendierten Einheit von Denken und Sein bzw. der Idee, "daß der Gott das ist, dessen Begr(ff sein Seyn in sich schließt" als "der erhabenste Gedanke Deskartes" geschätzt wird; ein Gedanke, der spätestens jedoch mit Kants "Kritik der reinen Vernunft, und dem Gedanken, daß sich das Daseyn nicht aus dem Begr(ffe herausklauben lasse, unterlegen ist".63 Selbstredend hat Hegel im folgenden auch Kant selbst einiges entgegenzusetzen, was nicht nur dessen Kritik am Gottesbeweis, sondern auch die Interpretation des cartesianischen cogito-Gedankens im Rahmen von Kants Theorie der Subjektivität und ihres grundlegenden Prinzips von der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption betrifft.64 In der zweiten, überarbeiteten Ausgabe des ersten Bandes des ersten Teils, Die objective Logik. Die Lehre vom Sein aus dem Jahre 1832, wird Descartes nochmals erwähnt. Dort, im Kapitel über ,Die Quantität', geht es allerdings um die Interpretation des Diffe-
62 HW 20, 153. Diese Bemerkung zum spekulativen Erkennen mit dem Hinweis auf Fichte fehlt in HV 9. Zu Hegels Kritik am bloß verständigen Erkennen, bzw. der rein analytischen Methode, rür die in der frühmodernen Philosophie wiederum Descartes als ihr Begründer anzusehen ist, vgl. Düsing 1995, 295-299. 63 GW 12, 127. 64 Klaus Düsing hat darauf hingewiesen, dass Hegel in der im Rahmen der Wissenschaft der Logik entwickelten ,Begriffslogik' , in der seine eigene Theorie der Subjektivität kulminiert, im Grunde genommen Descartes gegenüber Kant neu zu legitimieren versucht; vgl. Düsing 1995,239.
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rentialkalküls in der Mathematik, bei der Hegel neben den neueren Theorien auch die Tangentenmethode von Descartes bespricht, wobei er übrigens auf Cousins DescartesAusgabe zurückgreift. 65 In der Enzyklopädie, deren dritte letzte Ausgabe aus dem Jahre 1830 ich im folgenden als Textgrundlage wähle, tauchen die wichtigsten Themen aus Descartes' Metaphysik dann doch etwas ausführlicher auf. Zunächst die Einheit von Denken und Sein, so wie sie bei Descartes zuerst im cogito-Argument expliziert wird. Hegel unterstreicht wiederum, dass es sich hierbei nicht um einen Beweis in syllogistischer Form handelt, wobei er sich zusätzlich auf die Descartes-Dissertation seines Schülers Heinrich Gustav Hotho aus dem Jahre 1826 stützt. 66 Die systematische Stelle dieser recht ausführlichen Bezugnahme auf Descartes steht allerdings im Zusammenhang mit Hegels Kritik an Theorien der "Unmittelbarkeit des Wissens", womit u.a. sein Zeitgenosse Friedrich Heimich Jacobi ins Visier kommt. Im Unterschied zu dessen Unmittelbarkeitsthese, derzufolge alles endliche Denken keine Wahrheit enthalte und man deshalb scWießlich den salto mortale in den abstrakten Glauben an Gott zu vollziehen hat, wird dagegen bemerkenswerterweise Descartes' Ausgangspunkt beim unmittelbaren Wissen (was übrigens sehr überraschend nun auch für die Vorstellung Gottes gelten solle)67 von Hegel recht positiv gewertet: "Die Cartesische Philosophie geht von diesen unbewiesenen und rur unbeweisbar angenommenen Voraussetzungenfort zu weiterer entwickelter Erkenntniß, und hat auf diese Weise den Wissenschaften der neuen Zeit den Ursprung gegeben".68 Descartes' Gottesbeweis(e) wird daher wohl auch nur noch ganz kurz angesprochen und dabei auf den apriorischen Beweis aus dem Begriff der Vollkommenheit reduziert. Er wird mit dem entsprechenden Beweis bei Anselmus und Spinoza in einem Atemzug genannt und als die nur abstrakte Identität von Denken und Sein eingestuft. 69 Was den weiteren Kontext der Lehre von den angeborenen Ideen anbelangt, so betont Hegel hier, dass bei Descartes (diesenfalls in einem Atemzug mit Malebranche, Spinoza und Leibniz genannt) letztlich Gott der einzige Garant ganz allgemein fiir die Gemeinschaft der Seele und des Körpers ist. 70 Dementsprechend hält Hegel die Klarheit und Deutlichkeit von Begriffen, die fiir Descartes ja immerhin das Kennzeichen (wenn auch nicht der Grund) ihrer Wahrheit (AT VII, 35) war und letztlich auf ihren Status als angeborener Ideen (AT VII, 59, 67) verwies, nur noch fiir ein der Psychologie zugehöriges
65 Vgl. GW 21, 259, 287-290. 66 Vgl. GW 20, 105f. Diese Passage fehlt noch in der ersten Auflage der Enzyklopädie aus dem Jahre 1817, die kaum schon durch die erste Begegnung mit Cousin im selben Jahre, geschweige denn durch dessen spätere Descartes-Ausgabe, beeinflusst sein dürfte. Außerdem hatte Hegel zu diesem Zeitpunkt das entsprechende Kapitel ,Vorbegriff mit den drei ,Stellungen des Gedankens zur Objektivität' noch keineswegs und so umfangreich ausgearbeitet, wie in den späteren Auflagen. 67 Vgl. GW 20, 115. Hegel spielt den Gottesbeweis als solchen hier also herunter. 68 GW 20,116. 69 Vgl. GW 20, 202 f.; Im Jahre 1817 klingt die Beurteilung noch positiver (vgl. GW 13, 88). 70 Vgl. GW 20,389; ebenso schon 1817 (vgl. GW 13, 184), ob Hegel dort aber auch auf die berühmt berüchtigte Zirbeldrüse anspielt, scheint mir nicht sicher (vgl. GW 13, 190).
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Merkmal von subjektiven Vorstellungen und nicht schon für ein wesentliches Moment philosophisch-logischer Begriffe. 71 Hegels kurze explizite Erwähnung der Lehre von den angeborenen Ideen steht wiederum im Zusammenhang mit seiner Kritik am Standpunkt des unmittelbaren Wissens. Er nennt keine Namen, aber es geht ganz offensichtlich um Descartes und die nachfolgende Diskussion im 17. Jahrhundert, insbesondere Locke und Leibniz. Es nillt auf, dass nun nicht mehr von ewigen Wahrheiten die Rede ist, sondern es wird vor allem die Frage in den Mittelpunkt gerückt, ob angesichts des auch von Hegel selbst betonten (onto- und phylo-) genetischen Aspekts 72 von sozusagen "angeborenen" Vorstellungen die Kritik der Empiristen an jeder Form des Angeborenseins von solcherart Vorstellungen zutreffe. Hegels Position ist aber weder die der Empiristen, noch die der Anhänger des unmittelbaren Wissens, wie aus seiner Stellungnahme zum kurz angesprochenen Beispiel des logischen Prinzips des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch zu entnehmen ist: "Man machte der Behauptung angeborner Ideen den empirischen Vorwurf, daß alle Menschen diese Ideen haben, z. B. den Satz des Widerspruchs in ihrem Bewußtseyn haben, ihn wissen müßten, als welcher Satz mit andern dergleichen unter die angebornen" Ideen gerechnet wurde. Man kann diesem Einwurf einen Misverstand zuschreiben, in sofern die gemeynten Bestimmungen als angeborne darum nicht auch schon in der Form von Ideen, Vorstellungen von Gewußtem seyn sollen. Aber gegen das unmittelbare Wissen ist dieser Einwurf ganz treffend, denn es behauptet ausdrücklich seine Bestimmungen in sofern als sie im Bewußtseyn seyen".73 Damit steht er Descartes immer noch relativ nahe, obwohl der Sache nach seine Formulierung eher der Position von Leibniz ähnelt, die dieser in seiner Auseinandersetzung mit Lockes Kritik an Descartes' Lehre von den angeborenen Ideen entwickelt hatte. 74 Wir sehen also, dass die großen Themen der cartesianischen Metaphysik in Hegels zu Lebzeiten publizierten systematischen Werken zunächst kaum und sodann frühestens ab 1817 stärker präsent sind. Es ist nicht auszuschließen, dass Cousin ihn im Laufe der Zeit dazu angeregt hat. Dabei verändert sich im Detail Hegels Descartes-Bild durchaus noch. Diese Veränderungen betreffen weniger seine Einschätzung des cogito-Arguments als vielmehr die Beurteilung der Gottesbeweise und der Lehre von den angeborenen Ideen. Auffällig abwesend ist jedoch eine Bezugnahme auf Descartes' Naturphilosophie bzw. Physik, die in seinen Vorlesungen, wenn auch nur begrenzt, doch ein Thema war und die man im zweiten Teil der Enzyklopädie, in Die Philosophie der Natur, doch hätte erwarten dürfen. Die einzige Ausnahme bildet ein kurzer Hinweis auf Descartes' Satz
71 Vgl. GW 20, 181 und ähnlich schon 1817 (vgl. GW 13, 75). Hegel nennt hier allerdings keine Namen und hat sicherlich dabei nicht nur Descartes im Auge. 72 Es ist nämlich "die allgemeine Erfahrung, dass, damit das, was darin enthalten ist, zum Bewußtseyn gebracht werde, wesentlich Erziehung, Entwicklung, (auch zur Platonschen Erinnerung) erforderlich sey" (GW 20, 108). 73 GW 20, 108 f. Vgl. hierzu auch Zijlstra 2005, 177 f. 74 Siehe oben Anm. 31.
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von der Erhaltung der gesamten Bewegungsquantität im Universum (AT VIII. 1, 61 f.), der sich aber nur in der zweiten Ausgabe der Enzyklopädie aus dem Jahre 1827 findet. 75 Insgesamt kann festgestellt werden, dass trotz aller Wertschätzung für den von Hegel als wahrhaften Anfänger oder Begründer bezeichneten "Vater" der modemen Philosophie das von ihm gezeichnete Descartes-Bild ambivalent bleibt. Bei allen Missverständnissen und aller teils ungerechtfertigten Kritik, zum Vatermord versteigt Hegel sich jedoch nicht, was ja selbst als intellektuelle Tat schlecht möglich war, da er vermutlich mit Absicht die Vater-Metapher zu umgehen verstand.
Literaturverzeichnis Bourgeois, B. (1985), Hegel et Descartes, in: Les Etudes philosophiques 2, 221-235. Braun, L. (1990), Geschichte der Philosophiegeschichte, Darmstadt. Cousin, V. (1824-1826), 4 Mit dem Auftreten von Subjektivität, Wahrnehmung und Empfindung wird eine Tendenz der Naturevolution hin zu Kognition und Selbstwahrnehmung sichtbar, die zuletzt im Auftreten des Geistes und der Kultur kulminiert. 65 Dass die Evolution damit abgeschlossen ist, ergibt sich daraus, dass die natürliche Selektion auf der kulturellen Ebene gewissermaßen ,ausgehängt' ist - wer krank ist, unterliegt nicht im Überlebenskampf dem physisch Stärkeren, sondern begibt sich in medizinische Behandlung, erhält Prothesen usf. und kann so überleben. In diesem Sinn muss der Geist als Abschluss und Ziel der natürlichen Evolution begriffen werden. 66 An die Stelle der natürlichen Evolution tritt die kulturelle Evolution, die zudem, da nicht mehr an naturgegebene Fortpflanzungszyklen gebunden, mit unglaublicher Beschleunigung verläuft. Die Entwicklung der Technik ist ein Exempel dafiir - und zugleich für die Fähigkeit des Menschen, sich auch gegen die Natur zu stellen. Obwohl selbst ein Kind der Natur, kann der Mensch diese partiell zerstören, wie in der Gegenwart im Auftreten ökologischer Probleme in aller Deutlichkeit sichtbar geworden ist. Wenn somit der Geist Abschluss und Ziel der natürlichen Evolution bildet und der Geist die· Natur negieren kann, muss sich dann nicht die Frage stellen: Ist das Ziel der natürlichen Evolution die Negation des Natürlichen? Das erscheint paradox. Wichtig ist hier, auch das Positive zu sehen: dass nämlich der Geist in der Lage ist, die Natur zu erkennen. In Gestalt des Geistes hat die Natur gleichsam ein Organ entwickelt, das sich nun auf die Natur zurückwenden und sie erkennen kann: In dieser Weise ist gleichsam die "Natur im Geist realisiert" (Breidbach 2004, 226). Und umgekehrt sind "die toten und bewusstlosen Produkte der Natur [...] nur misslungene Versuche der Natur, sich selbst zu reflektieren" - eine Schellingsche Perspektive (Schelling, Werke 111 341). In der Erkenntnis der Natur fügt der Geist dieser etwas hinzu, das in ihrem eigenen Horizont nicht realisiert ist, eben die Erkenntnis der ihr zugrunde liegenden
Ausführlich hierzu Wandschneider 2005. Burbidge (1996) unternimmt es im abschließenden Kapitel (204 ff.), Natur und Geist in ein Gesamtbild zu integrieren. 66 "Ihr Zweck sind wir" (Hege11980, 3). 64 65
Die Bedeutung Hegels rür eine zeitgemäße Naturphilosophie
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Idealität. Das aber ist nur dadurch ermöglicht, dass der Geist von der Natur zurückzutreten vermag. Nur dadurch gibt es die Möglichkeit objektiver Erkenntnis, die dem Tier noch fehlt, weil es die Umgebung nur nach Maßgabe seiner jeweiligen subjektiven Befindlichkeit erfasst. Also: Die Möglichkeit der Negation von Natürlichkeit ist so eben auch die Möglichkeit, das der Natur zugrunde liegende Ideelle als solches zu offenbaren. Das ideelle Wesen der Natur setzt so gesehen eine Evolution in Gang, die zuletzt eben dieses Ideelle offenbart. Das Ideelle betreibt per Evolution seine eigene Selbstoffenbarung. So müsste wohl letztlich die Antwort auf die Frage nach Richtung und Ziel der Evolution lauten.67 Im Rahmen einer objektiv-idealistischen Auffassung wird in dieser Weise eine metaphysische Deutung der Evolution möglich. Und zugleich ist die jahrhundertelang geächtete Form der Teleologie insofern rehabilitiert, als hier ein Ziel des Naturprozesses sichtbar wird - Teleologie freilich nicht in einem vorwissenschaftlich-Aristotelischen, sondern in einem metaphysischen Sinn, der nicht länger mit der modemen Wissenschaft unvereinbar ist. Die Möglichkeit des Geistes, sich auch gegen die Natur zu stellen, wird heute insbesondere im Auftreten der Ökoproblematik deutlich. 68 Technische Eingriffe können das sensible Gleichgewicht vernetzter Ökosysteme nachhaltig stören, verbunden mit Artenschwund, Versteppung, Minderung der Lebensqualität etc. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass dem wiederum technisch zu begegnen wäre. Einerseits ist das wohl möglich, anderseits liefe das auf eine immer künstlichere Lebenswelt hinaus. Damit stellt sich die ethische Frage der Naturbewahrung: Lässt sich die Legitimität des Interesses an der Bewahrung einer lebendigen, intakten Natur rational begründen um dem Vorwurf "idyllisierender Betonung von Harmonie und Gleichgewicht in der Natur" zu entgehen (Bayertz 1987, 169)? Nun ist die Natur in objektiv-idealistischer Perspektive als eine Manifestation des ihr zugrunde liegenden ideellen Prinzips zu deuten, als ein "Bild der göttlichen Vernunft", wie Hegel einmal formuliert (20.455). In Gestalt einer sich selbst erhaltenden, sich beständig neu gebärenden natura naturans, und nur so, hätte der Mensch gleichsam die unmittelbare Anschauung eines ewig aus sich Existierenden. Er sieht sich so auf ein logisch-ontologisches Grundprinzip verwiesen, das fiir sein Dasein und alles Dasein fundamental ist. In diesem Sinn wäre der Anspruch auf eine ,heile' Natur geradezu als ein Grundrecht des Geistes zu verstehen und zu respektieren. Die Forderung, die Natur als ,heile' Natur heilig zu halten und zu bewahren,69 ist im Rahmen eines objektividealistischen Naturbegriffs also durchaus philosophisch legitimierbar. 70
67 "Die Natur setzt den Geist voraus; er ist ihr Zweck. Das Resultat der Naturphilosophie ist: Versöhnung des Geistes mit der Natur, indem er in ihr die Idee erkennt, was er selbst in der Form des Selbstbewusstseins ist" (Hegel 1980, 145). In diesem Sinn Quante (2002, 119): Der Geist ist "das Ziel, woraufhin die Natur selbst angelegt ist". 68 Deren philosophisch-metaphysischen Hintergrund haben Hösles Arbeiten - im Anschluss an Hegel und teilweise auch Hans Jonas - eindrucksvoll sichtbar gemacht; vgl. Hösle 1991a; Hösle 1991b; an vielen Stellen auch Hösle 1997. 69 Zwar ist die Natur im Ganzen unzerstörbar, aber unsere unmittelbare Natur-Umgebung kann denaturiert und in ihrer Selbsterhaltung paralysiert werden. Sie bedarf daher unserer bewahrenden Fürsor-
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Mir scheint, dass damit zugleich ein Aspekt des Ökologieproblems sichtbar geworden ist, der bisher im Grund nicht angemessen berücksichtigt wurde, und zwar deshalb, weil er gar nicht auf der naturhaften Ebene zu orten ist, sondern im Geistigen. Eben dies, dass das Ökologieproblem wesentlich auch eine geistige Dimension hat, ist m.E. nur auf der Grundlage eines objektiv-idealistischen Naturbegriffs aufweisbar und begründbar. Man könnte versucht sein einzuwenden, dass hier nur ein menschliches Interesse und damit eine anthropozentrische Begründung des Naturerhaltungspostulats geltend gemacht wird. Dazu ist zu sagen, dass Naturbewahrung hier zwar um des Menschen willen gefordert wird, aber: Das, worum es ihm dabei geht, ist ja etwas, das über ihn hinausweist. Was ihm so aufgeht, ist gerade, dass er selbst kein letzter Grund ist. Er sieht sich vielmehr verwiesen auf ein onto-Iogisches Prinzip, das ihm und der Natur gleichermaßen zugrunde liegt und so auch in ethischer Hinsicht Konsequenzen hat: eben im Sinn einer grundsätzlichen Achtung der Natur gegenüber, insofern diese, als ,heile' Natur, ihm gleichnishaft eine Anschauung seines eigenen Wesensgrunds vermittelt.
10. Schluss Abschließend bleibt festzuhalten: Im Gegensatz zur Einseitigkeit des Cartesianischen Naturbegriffs ermöglicht Hegels philosophischer Entwurf eine ganzheitliche Auffassung der Natur. Descartes' Natur war als pure Ausdehnung und damit als striktes Gegenteil des Psychischen konzipiert. In Hegels Deutung geht das Natursein nicht in Außereinander und Materialität auf, sondern enthält - in Form der Naturgesetzlichkeit implizit Idealität und damit die Möglichkeit der Entstehung neuer Naturformen bis hin zur Möglichkeit des Psychischen, das so nicht länger als ein Jenseits des Physischen erscheint. Das Programm einer solchen objektiv-idealistisch inspirierten Naturphilosophie zielt, was hier nur angedeutet werden konnte, auf die Explikation der immanenten ,Logik' des Naturseins ab, also dessen, was - Kantisch formuliert - überhaupt Gegenstand von Erfahrung sein kann. Damit sind aber, wie schon betont, auch die Resultate empirischwissenschaftlicher Forschung grundsätzlich von Interesse. Auch wenn diese kein Kriterium der Richtigkeit der naturphilosophischen Argumentation sind, können sie doch deren Realitätsgehalt und damit Erklärungswert sichtbar machen. 71 Schon Hegel selbst, etwa wenn er die Empfindung aus der Selbst-Selbst-Struktur animalischer Subjektivität erklärt, weist auf empirische Bedingungen der Existenzweise des Tieres hin (Selbstbewegung, unterbrochene Nahrungsaufnahme, Nervensystem etc., vgl. 9, §§ 350 ff.). Die ge, die sie instandsetzt, sich selbst zu erhalten und so auch im Kleinen ein Bild der allumfassenden, ewigen Natur zu sein. Dies lässt sich mit der Fürsorge, die wir unserem Leib angedeihen lassen, vergleichen, den wir ebenfalls erhalten, damit er sich selbst erhalten kann. 70 Demgegenüber bleibt die Auffassung einer sakralen Natur, etwa in der von A. Schweitzer oder auch der von K. M. Meyer-Abich vertretenen Form, ein intuitives Postulat, dessen Unausgewiesenheit und z.T. absurde Konsequenzen zu Recht von Bayertz (1987,171 ff.) kritisiert werden. 71 Wie schon betont (Kap. 2): Wegen der (historischen) Kontingenz empirischer Erkenntnis kann eine naturphilosophische Argumentation sehr wohl richtig sein, ohne dass sich auch schon ein entsprechender empirischer Tatbestand aufweisen lässt.
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hier urgierten systemtheoretischen Überlegungen nehmen im Grund diese Argumentationslinie auf und setzen sie nur konsequent fort. In der Tat ist es auch philosophisch von Interesse zu klären, ob überhaupt, inwieweit und in welcher Weise jene ,Selbst-SelbstStruktur' real möglich und wie daraus die Empfindung erklärbar ist. Die entwickelte Deutung hätte, ohne den realistischen Möglichkeits-Erweis der Emergenz von Psychischem aus Physischem, nach wie vor bloß versichernden Charakter - wie Konjekturen zum Leib-Seele-Problem seit je.72 In diesem pragmatischen Sinn tut es auch idealistischer Argumentation gut, sich empirisch-wissenschaftlichen Hinsichten zu öffnen. Philosophie, und erst recht Naturphilosophie, sollte die empirische Aktualisierung und Bewährung in der Auseinandersetzung mit der Wissenschaft suchen und nicht ängstlich oder arrogant abwehren. Und umgekehrt gilt: Wenn beispielsweise die Empfindung als Emergenzphänomen erklärt wird, stellt sich auch die Frage, wieso aus Physischem Psychisches entstehen kann: Ist Psychisches im Physischem schon ,enthalten' und, wenn ja, in welcher Form? Fragen dieser Art lassen sich, wie dargelegt, nur im Rahmen einer Naturontologie vom Hegeischen Typ beantworten, derzufolge das physischem Sein zugrundeliegende Wesen ideeller Natur, also psychischem Sein wesensmäßig affm ist. Die empirischsystemtheoretische Argumentation fordert somit von sich her eine idealistischontologische Fundierung. Insgesamt: Idealistische Fundierung empirischer Forschung und empirische Aktualisierung idealistischer Argumentation sind als komplementäre Momente naturphilosophischer Erkenntnis zu begreifen, mehr noch: In der wechselseitigen Verschränkung und Erhellung naturwissenschaftlicher und idealistischer Perspektiven liegt die Chance zur Erneuerung einer eigenständigen Naturphilosophie und eines zeitgemäßen Naturbegriffs. Hegels Naturphilosophie erweist sich dabei - unbeschadet mancher, auch zeitbedingter, Missgriffe und FeWdeutungen - im Grundsätzlichen von erstaunlicher Aktualität. Sie zielt auf ein ganzheitliches Naturbild ab in der Konzeption einer wesensmäßigen Einheit der Natur, die eine überzeugende Alternative ebenso zum Cartesianischen Reduktionismus wie auch zum Kantischen Dualismus bietet. Ihr verdanken wir den in meinen Augen durchdachtesten Naturbegriff der Philosophie. Es käme also darauf an, diese in Hegels Entwurf sedimentierte enorme Denkarbeit nutzbar zu machen, um die Herausforderung im Sinn der Doppelstrategie von idealistischer Fundierung empirischer Forschung und empirischer Aktualisierung idealistischer Argumentation philosophisch zu schultern.
72 Ein anderes Beispiel ist der Evolutionsgedanke, den Hegel offenbar auch deshalb ablehnt, "weil er sich einfach nicht ein natürliches Hervorgehen einer Stufe aus der andem vorstellen kann" (Bonsiepen 1986, 169). Die naturwissenschaftlich~technische Phantasie hat sich seither erheblich fortentwickelt, was auch im Horizont philosophischen Denkens nicht folgenlos bleiben kann. Man kann in diesem Zusammenhang auch daran denken, dass noch Kant einen ,Newton des Grashalms' für unmöglich hielt (Kant KU 338, auch 353), der mit der Entschlüsselung der Geninformation inzwischen in der Doppelgestalt eines Francis Crick und James Watson erschienen ist.
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Dieter Wandschneider
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Hegel und die Philosophien der Differenz
Heinz Kimmerle
I. Einleitung
Die Philosophien der Differenz suchen Verschiedenheit anders zu denken, als es in der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie geschehen ist. Nach Hegels Selbsteinschätzung fasst sich diese Geschichte in seinem eigenen Denken zusammen. Inwieweit diese Selbsteinschätzung aus heutiger Sicht (noch) als zutreffend gelten kann, lasse ich hier dahingestellt. Die Differenzdenker gehen zum großen Teil davon aus, dass in und mit der Philosophie Hegels die gesamte Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie zur Diskussion steht. Wenn ich im Plural von Philosophien der Differenz spreche, soll dies anzeigen, dass es nicht um eine in sich einheitliche philosophische Richtung oder Schule geht, sondern um verschiedene Ansätze eines gegenüber der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie und in zugespitzter Form gegenüber der HegeIschen Philosophie anderen Denkens. Das andere Denken expliziert sich dabei als ein Denken der Verschiedenheit des/der Anderen. Der Rückbezug auf Hegel bleibt bei allen Differenzdenkern in vielfältiger Weise relevant. Diese Ansätze eines anderen Denken haben darin ihre Zusammengehörigkeit, dass sie Differenz als eine Art der Verschiedenheit auffassen, die in der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie und ihrer Zusammenfassung durch Hegel nicht vorkommt. Da sich das Differenzdenken nicht gegen "die Modeme" wendet, sondern einem alternativen Paradigma im Blick auf den viel weiter gefassten Zusammenhang der europäisch-westlichen Philosophie von Parmenides und Platon bis zu Hegel und Nietzsche verpflichtet ist, erweist sich schon aus diesem Grund der Ausdruck "postmodernes Denken" als unzutreffend. Aber auch in seinen korrekten historischen Dimensionen handelt es sich nicht um einen Postismus irgendwelcher Art, etwa ein postmetaphysisches Denken, wobei dann Metaphysik den angegebenen historischen Zusammenhang bezeichnen soll, sondern in erster Linie um die Eröffnung neuer Möglichkeiten des Denkens. Es kann deshalb nicht darum gehen, dass Der philosophische Diskurs der Moderne gegen "die Postmoderne" verteidigt wird, wie es Jürgen Habermas (1985) in Zwölf Vorlesungen zu diesem Thema versucht hat. Von einem erweiterten Vernunftbegriff aus wird hier der philosophische Rekurs auf Außervernünftiges abgewiesen. Dieser Versuch greift indessen, wie soeben gezeigt, historisch zu kurz. Und er geht von einander strikt entgegengesetzten Denkweisen aus, die den Maßstab der Vernunft für das philosophische Denken anerkennen oder nicht. Auch dieser Ausgangspunkt ist proble-
Hegel und die Philosophien der Differenz
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matisch. Dass die Frage Moderne oder Postmoderne? sich nicht auf zwei sich ausschließende Konzepte "des Denkens und der Kunst" bezieht, dass vielmehr beide in einander liegen, vielfältig auf einander bezogen sind und zusammen die Signatur des gegenwärtigen Zeitalter ausmachen, wird aus einer Reihe von Beiträgen deutlich, die von Peter Koslowski, Robert Spaemann und Reinhard Löw (1986) herausgegeben worden sind. In dieser Richtung muss man auch die Arbeiten von Wolfgang Welsch (1987; 1995) verstehen, der dieses Zeitalter als Unsere postmoderne Moderne charakterisiert und nach einem neuen, umfassenderen pluralen und "transversalen" Vernunftbegriff sucht. Wenn man auf einem solchen Weg einen Ausgleich vernünftiger und "hybrider" geistiger Vermögen anstrebt, wie es Bruno Latour (1998) in seinem Entwurf einer "symmetrischen Anthropologie" unternimmt, kann man auch formulieren: Wir sind nie modern gewesen, sondern haben seit jeher in der Vernunft auch Anderes, Nichtvernünftiges in Rechnung gestellt. Ich halte jedoch, wie gesagt, die Terminologie, die sich um diese beiden Begriffe (modem und postmodern) dreht, für nicht adäquat und möchte das Differenzdenken von seinen eigenen Ansprüchen aus erfassen und zu Hegel ins Verhältnis setzen. Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass Jean-Fran90is Lyotard, der selbst zu den als "postmodern" apostrophierten Denkern gehört, mehrfach diesen Begriff gebraucht hat. 1 Von einer schematischen Unterscheidung zwischen Modeme und Postmoderne ist er freilich weit entfernt. Er sieht das "postmoderne Wissen" nicht im strikten Gegensatz zum modemen Wissenschaftsverständnis, sondern als dessen Erweiterung und Ergänzung. Walter Reese-Schäfer (1988) betont in seiner Einfiihrung zu Lyotard mit Recht, dass der Typus des Argurnentierens bei diesem eher an einen "aufklärerischen Theoretiker" denken lässt. Das Neue der Philosophien der Differenz lässt sich erfassen, indem das Verhältnis dessen, was hier Differenz heißt, zum Begriff der Identität als radikal gedachter Einheit näher bestimmt wird. So gesehen ist die Kritik des Identitätsdenkens, die von Theodor W. Adorno als Kritik an der dominanten Strömung der europäisch-westlichen Philosophie herausgestellt wird, eine "Annäherung" an das neue Verständnis von Verschiedenheit. Adorno bezieht sich als Alternative zum Identitätsdenken indessen nicht auf Differenz, sondern auf Besonderes oder in einem strikteren Sinn auf Nicht-identisches. Das Nicht-identische ist nach seiner Auffassung nicht begrifflich als das Gegenüber der Identität zu fassen, kommt aber mit anderen Mitteln als denen des Begriffs in der Kunst zum Ausdruck. Als Vorbereitung oder Annäherung des Denkens der Differenz, gerade auch im Verhältnis zu Hegel, ziehe ich neben den Drei Studien zu Hegel seine beiden Bücher Negative Dialektik und Ästhetische Theorie heran. Zur genaueren Entfaltung des Verhältnisses von Identität und Differenz werde ich mich sodann auf Martin Heideggers kleine Schrift mit diesem Titel berufen, die ich als Gründungsdokument der Differenzphilosophien ansehe. Darin wird das Denken der "Differenz als Differenz" kritisch vom Begriff der Differenz bei Hegel und in der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie abgehoben. Dieser Text ist freilich im Zusammenhang der gesamten Unternehmung des Heideggerschen Denkens zu interpretieren.
1 Lyotard
1986; 1987; 1993.
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Heinz Kimmerle
Um die unter sich durchaus differenten Ansätze des Differenzdenkens näher zu erkunden und zu Hegel ins Verhältnis zu setzen, sollen beispielhaft die französischen Philosophen Gilles Deleuze, Jacques Derrida und Luce Irigaray behandelt werden. Ich werde jeweils die Texte, in denen auf Hegel Bezug genommen wird, besonders berücksichtigen. Damit folge ich auszugsweise dem Aufriss meiner Einleitung in die Philosophien der Differenz (2000a). Da es nicht um Vollständigkeit gehen kann und der zur Verfügung stehende Raum hier begrenzt ist, werde ich Franyois Lyotard und Julia Kristeva - anders als in dem genannten Buch, wo sie wohl behandelt werden, und ebenso wie in den Philosophien der Differenz - in diesem Artikel andere französische Differenzdenker wie Michel Foucault, Jean Baudrillard und Emmanuel Levinas oder aus der zweiten Generation Sarah Kofman, Jean-Luc Nancy oder H6lene van Kamp sowie Philosophen aus anderen Ländem, die dieser Denkrichtung verpflichtet sind, nicht in die Darstellung einbeziehen. Von den genannten Positionen aus werde ich schließlich das Verhältnis der HegeIschen Dialektik zum Denken der Differenz grundsätzlich zu klären versuchen. Hierfür greife ich auf meine Arbeit über "Verschiedenheit und Gegensatz" (1981) zurück. 2 Darin wird insbesondere die bei Hegel unterbestimmte Kategorie des Unterschieds genauer ausgearbeitet. Das führt zu einer inneren Strukturierung des semantischen Feldes der Begriffe Differenz und Opposition, die an die Stelle der bei Hegel vorzufindenden Kategorienfolge von Verschiedenheit und Gegensatz treten. Forschungsbeiträge zu den einzelnen genauer zu behandelnden Autoren und ihrem Rückbezug auf Hegel werde ich in den entsprechenden Abschnitten meiner Darstellung heranziehen und zu meiner Auffassung ins Verhältnis setzen. Dabei werde ich Beiträge auswählen, die im Rahmen der Frage nach dem Denken der Differenz ausdrücklich den Rückbezug auf Hegel thematisieren.
2. Adorno: Mit Hegel gegen Hegel denken Dass Adomo Hegel von Marx her liest und dass er ein materialistisches DialektikKonzept vertritt, bildet den Ausgangspunkt für seine aktualisierende Umdeutung der HegeIschen Philosophie. Er will Dialektik konsequenter denken, als es bei Hegel geschehen ist. Dabei wird sie ihres spekulativen Anspruchs, das Ganze der Wirklichkeit in adäquater Weise auszudrücken, weitgehend entkleidet. Dieser Anspruch wird indessen in einem negativen Sinn aufrechterhalten, dass sie der wahre Ausdruck unwahrer Verhältnisse ist, wie diese in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft bestehen. Adomo hält an der These Hegels fest, dass Philosophie ihre Zeit in Gedanken zu erfassen hat. 3 Wenn sie dies leisten will, steht sie für ein Denken, das "komplexer und in sich selbst widersprüchlicher ist als eine sich auf Rationalität begrenzende Philosophie ausdrücken kann".4 Die genannte These ruhrt Hegel in der Tradition der europäisch-
2 Eine gekürzte deutsche Fassung dieses auch auf ungarisch und russisch erschienenen Textes findet sich in: Kimmerle 1986. 3 Vgl. Hegel, Rph 16. 4 Kimmerle 1990. Vgl. auch die folgende Adomo-Darstellung.
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westlichen Philosophie dazu, seine Philosophie als System darzustellen. Auf diese Weise kann sie "der wahre Ausdruck der unwahren Verhältnisse der total vergesellschafteten Gesellschaft" sein. Dazu gehört auch, dass die idealistische Prämisse der HegeIschen Philosophie es dieser ermöglicht, die Totalität der bestehenden Verhältnisse zu erfassen. Denn auf Grund dieser Prämisse sind die bestehenden Verhältnisse unter einem Begriff zusammenzufassen. Das ist der Begriff des Geistes, der das gesamte System trägt. Es ist freilich nicht so, dass Adomo diesem Begriff als solchen, sondem nur in seiner Bedeutung für das System zustimmen will. Der Geist kann diese Funktion für die gesamte Philosophie Hegels bekommen, weil er offensichtlich in allen seinen Aspekten mit realer Erfahrung gesättigt ist. Materialistisch gesprochen ist die Gesamtheit der bürgerlich-kapitalistischen Welt freilich nicht durch einen wie immer zu bestimmenden Geist geprägt, sondem durch eine alles durchdringende spezifische Form der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit. Dem kann Hegel Rechnung tragen, indem er auch den Geist als Arbeit konzipiert. Der Geist entfaltet sich in seiner inneren Struktur und erweist sich Schritt rur Schritt gegen den anderen Anschein als die Struktur aller Bereiche der Welt. So kann Hegel von einer unwahren Prämisse aus die wirklichen Verhältnisse seiner Zeit erfassen. Es handelt sich nach Adomo (1971, 295-325) um einen "objektiven Verblendungszusammenhang" . Mit dem Systemdenken stellt Adomo das identifizierende Denken als solches unter Kritik. Das Besondere findet im Allgemeinen des Systems als Ganzen keinen adäquaten Platz. Das Nicht-identische fällt der identifizierenden Grundbewegung des Systems zum Opfer. Die "Dialektik des Besonderen" sprengt deshalb den HegeIschen Idealismus von innen heraus. Das zeigt sich vor allem beim HegeIschen Begriff des Weltgeistes, der die menschlichen Individuen benutzt, damit sich durch sie hindurch und hinter ihrem Rücken Weltgeschichte vollzieht. Die Konstante in der Geschichte, die alle Prozessualität erst denkbar macht, ist nicht der Plan des Weltgeistes, sondern das Leiden des Beengtseins, die Möglichkeit der Katastrophe (Adorno 1982, 322 f., 342). Bei der Radikalisierung der Dialektik, die das Besondere begreifen kann, gibt es eine fast unüberwindliche Schwierigkeit. Der Begriff als das Medium des identifIZierenden und des Systemdenkens ist selbst das Ergebnis einer Verallgemeinerung empirischer Befunde. Das hat bereits Aristoteles herausgestellt (1949, 11, 19). Insofem ist der Begriff selbst als grundlegend für die gesamte Tradition der europäisch-westlichen Philosophie von der Kritik mit betroffen, dem Besonderen nicht gerecht zu werden. Der Begriff und das Philosophieren mit Hilfe von Begriffen lassen sich indessen nicht so ohne weiteres bei Seite schieben. Für die auf ihre negative Seite begrenzte Dialektik gilt es, "über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen". Es weist auf Derridas Programm der Dekonstruktion der Hauptströmung des europäisch-westlichen Denkens als Systemdenkens voraus, wenn Adomo schreibt: ,,Die Kategorien der Kritik am System sind zugleich die, welche das Besondere begreifen" (1982, 27, 38). Das Besondere findet seinen Ausdruck in der Kunst. Die Philosophie als Ästhetische Theorie kann daran teilnehmen, bleibt aber selbst Philosophie und das heißt negativ. Sie kennt "Antizipationen des Unbeengten", die im Denken jedoch punktuell bleiben, auf quasi zeitlose Augenblicke begrenzt. Versöhnung von Allgemeinen und Besonderem kommt in der begrifflich bleibenden Philosophie nicht zu Stande, sondem allein in der Kunst, die der Kunstbetrieb dem System der "verwalteten Welt" einzuverleiben sucht.
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Die Kunst selbst hält "inmitten des Unversöhnten" an der Versöhnung fest, ist "richtiges Bewusstsein einer Epoche", und "darin reale Möglichkeit von Utopie". Aber ineins damit verweist sie auf die Möglichkeit "der totalen Katastrophe". Die bürgerlichkapitalistische Gesellschaft hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass die Utopie real erscheinen kann. Dabei tragen diese hoch entwickelten Produktivkräfte aber auch ein ebenso großes vernichtendes Potential in sich (Adorno 1973, 55 f.). Wenn es Adorno nicht um das Erfassen des Besonderem gegenüber dem Allgemeinen geht, sondern um den "Vorrang des Besonderen", kann man seine Konzeption im Grunde nicht mehr dialektisch nennen. Er sieht sich darum gezwungen, diesen Vorrang nicht "schlechthin zu installieren". Das Ziel bleibt eine Versöhnung von Allgemeinem und Besonderem. Solange diese dem Denken unerreichbar bleibt, kann vorbereitend eine "Reflexion der Differenz" weiter helfen, die nicht herausgeschnitten werden darf (Adorno 1982, 307, 341). Was hier eine vorläufige Funktion innerhalb des dialektischen Denkens hat, bildet nach dem dekonstruierenden Umgang Derridas mit Hegel den Überschritt von der Dialektik zum Denken der Differenz. Dass auch der Gegensatz eine Form des Differenten sein kann, ist wiederum ein Schritt über Derrida hinaus, der ein Stück weit Adornos Anliegen weiter trägt. Die Negation des Systemdenkens verlangt bei Adorno andere Darstellungsformen. Dabei denkt er an Aphorismen, wie sie im Werk Nietzsches vielfach vorkommen, Fragmente, wie er sie zusammen mit Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung (1945) und auch anderswo vorgelegt hat, Essays im Sinn von Versuchen und Modelle, die zur Erfassung von Konstellationen dienen. Im Dritten Teil der Negativen Dialektik fmden sich drei Modelle dieser Art. So kann eine Dialektik Gestalt gewinnen, "die nicht länger an die Identität "geheftet" ist", sondern in und mit der Negation des identifIZierenden Denkens zugleich schon die "Reflexion der Differenz" vollzieht, die für eine adäquate Erfassung des Nicht-identischen erforderlich ist. Das Denken Adornos, in dem Albrecht Wellmer einen radikalisierten, sich auf die negative Seite beschränkenden und der spekulativen Hegeischen Implikationen weitgehend entkleideten Begriff der Dialektik findet, bildet rur diesen Autor den Ausgangspunkt, um Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne Stellung zu nehmen. Modeme und Postmoderne werden im Sinn von Habermas mit einander konfrontiert, aber auch in wechselseitiger Beziehung zu einander ins Verhältnis gesetzt. Dass die Kunst als solche Ausdruck des Nicht-identischen sein oder werden kann, bestreitet Wellmer. Sie steht wohl "für die Möglichkeit einer Erweiterung von Subjekt-, Kommunikations- und Erfahrungsgrenzen" und bildet damit eine "Instanz des Einspruchs gegen die dominante Rationalitätsform der Modeme". Die Notwendigkeit einer Entgrenzung des modemen Rationalitätsverständnisses bildet rur Wellmer die Grundlage, das Verhältnis von Modeme und Postmoderne als dialektisch zu bestimmen. Dabei kann er insbesondere Lyotards Auffassungen über "das Nicht-Begriffliche, das Trans-Diskursive der Kunst" zustimmen. Auch die Analysen Foucaults zum Gefängniswesen seit 1800 werden positiv zu Adornos (und Horkheimers) Darstellung des "Strafvollzugs in der bürgerlichen Gesellschaft" in deren Dialektik der Aufklärung in Beziehung gebracht. Insgesamt geht es Wellmer bei seiner vorsichtigen und kritischen Aufnahme von Motiven der "Postmoderne", die er von dem stark ideologisch geprägten "Postmodernismus" unterscheidet, um ein "Zusammenspiel pluraler Rationalitäten". Aus der Dialektik von Modeme und Postmoderne geht "ein neuer Typus von "Synthesis" hervor [...] bei dem das Diffuse, Nicht-Integrierte, das Sinnlose und Abgespaltene eingeholt" wird "in den entgrenzten
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Formen der Kunst ebenso wie in den offenen Strukturen eines nicht mehr starren Individuations- und Vergesellschaftungstypus". Er formuliert diese Konsequenz in gut Adornoscher Manier im Konjunktiv, auch wenn er sich freilich bewusst ist, dass er damit "über Adorno hinausgehen" müsste. 5 Aber er dringt meines "Erachtens nicht zu einem radikal neuen Verständnis von Differenz vor, wie es bei Adorno immerhin anklingt.
3. Heidegger: Differenz als Differenz denken In der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie, die Heidegger die Geschichte des abendländischen Denkens oder kurz die Geschichte der Metaphysik nennt, wird nach seiner Darstellung Differenz nicht als Differenz gedacht, sondern als Unterschied von der oder in der Identität. Nun gilt es aber zu bedenken, dass Identität nicht einfachhin gegeben ist, sondern immer erst aus einer "Vermittelung" hervorgeht, die in der Formel des Satzes der Identität: A=A die Einheit von Al und A2 allererst herzustellen hat. Deshalb spricht Heidegger im Blick auf die Geschichte d:es abendländischen Denkens - wie Adorno - von identifizierendem Denken. Was. dabei jeweils identifiziert werden muss, ist nach Heidegger das Seiende als ein Seiendes im Zusammenhang des Seienden im Ganzen, das sich von einem höchsten Seienden aus begründet. Eben diesen Begründungszusammenhang, der für die europäisch-westliche Philosophie von Parmenides und Plato bis zu Hegel kennzeichnend ist, nennt Heidegger Metaphysik. Was dabei vergessen wird, dem identifizierenden Denken entgeht, ist - anders als bei Adorno - nicht das Besondere oder Nicht-identische, sondern die Frage danach, was es heißt, dass das Seiende ist. Denn es geht nicht nur um den Unterschied zwischen Seienden, die sich der einen oder anderen Identität einordnen lassen, sondern um den Unterschied der Seienden vom Sein, das nicht selbst ein Seiendes ist, sondern das Seiende als ein solches überhaupt erst sein lässt. 6 Hegel ist nach Heidegger der erste, der "die Sache seines Denkens sachgemäß zugleich in einem Gespräch mit der voraufgegangenen Geschichte des Denkens" entfaltet. Auf diese Weise ermöglicht er es, die Geschichte dieses :Denkens als einen historischen Zusammenhang zu sehen, der sich in der Systematik seiner eigenen Philosophie wiederholt, aber befreit von der im geschichtlichen Verlauf unvermeidlichen Äußerlichkeit, "rein im Elemente des Denkens". Es ist erforderlich, diesen Anspruch Hegels ernst zu nehmen, wenn wir "ein denkendes Gespräch mit Hegel versuchen". Dass Hegel und mit ihm die Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie das Seiende als Seiendes denken und das Sein vergessen, bedeutet, dass sie die ,,Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden", die Heidegger auch die "ontologische Differenz nennt", nicht denken, sondern vergessen. Die Seinsvergessenheit macht die Geschichte der Metaphysik zu dem, was sie ist, lässt diese gesamte Geschichte - anders als in Hegels These von der Einheit von Geschichte und eigenem System der Philosophie - ein in sich zusammenhängendes Ganzes sein.
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Wellmer 1985,60-63,147 und 164. Heidegger 1957, 9-30: "Der Satz der Identität".
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Die Differenz zwischen dem Sein und den Seienden is also noch von anderer Art als die Unterschiede, die in der Geschichte der Metaphysik gedacht werden können. Sie geht nicht darin auf, ein Unterschied zwischen Seienden zu sein, der diese zur Identität überhaupt oder zu einer Identität ins Verhältnis setzt, sondern steckt je auf verschiedene Weise den "Bezirk" des seinsvergessenden Denkens ab. Bei Hegel geschieht dies, indem er am Anfang seiner Wissenschaft der Logik mit der Erfassung des Seins als "unmittelbarer Unbestimmtheit" dieses zur Grundlage aller Vermittlung und aller Bestimmtheit macht. Er beginnt mit der "Leere des Seins", mit seiner allgemeinsten Allgemeinheit, und bekundet darin seine Seinsvergessenheit. Wenn in der Philosophie des Mittelalters Gott an die Stelle des höchsten Seienden tritt - auch Hegel kann die "absolute Idee" noch mit dem dreieinigen Gott des Christentums identifIZieren -, bekundet sich darin der "onto-theologische Charakter der Metaphysik". Wenn dieser nach Hegel, etwa bei Marx oder Nietzsche, fragwürdig wird, geschieht dies "nicht auf Grund irgendeines Atheismus, sondern aus der Erfahrung eines Denkens, dem sich in der OntoTheo-Logie die noch ungedachte Einheit des Wesens der Metaphysik gezeigt hat" Daraus ergibt sich: "Die Metaphysik denkt das Sein des Seienden sowohl in der ergründenden Einheit des Allgemeinsten, d.h. des überall Gleich-Gültigen, als auch in der begründenden Einheit der Allheit, d.h. des Höchsten über allem".7 Differenz kommt demgegenüber als Differenz in den Blick, wenn Sein und Seiende wechselseitig in ihrer Verschiedenheit gedacht werden. Das Sein und das Seiende werden nicht unabhängig von einander vorgefunden, sondern "je schon aus der Differenz und in ihr". Um dies zu denken, sind traditionelle Begriffe und auch die überkommene philosophische Sprache unzureichend. Heidegger will nun nicht - wie Adorno - "mit dem Begriff über den Begriffhinausgelangen", sondern tastet sich am Leitfaden vergessener oder überdeckter Bedeutungen bestimmter Worte der deutschen Sprache in eine andere Art des philosophischen Sprechens vor. Das wechselseitige Auf-einanderangewiesen-Sein von Sein und Seiendem formuliert er dabei in folgender Weise: "Sein zeigt sich als die entbergende Überkommnis. Seiendes als solches erscheint in der Weise der in der Unverborgenheit sich bergenden Ankunft". In dieser Formulierung klingt das Wahrheitsverständnis an, das Heidegger schon in früheren Texten herausgestellt hat, dass Wahrheit im Sinn der griechischen Aletheia als Sich-entbergen und damit als Unverborgenheit zu denken ist. Sofern sich das Geschehen, das sich so ereignet, als Überkommnis zeigt, ist damit gesagt, dass es nicht von etwas Anderem, Höherem oder Zugrundeliegendem, ableitbar ist. Dieses nicht ableitbare und nicht erklärbare Geschehen der Wahrheit des Seins kommt im Erscheinen des Seienden an, indem dieses sich darin birgt, ihm eine Art Zuflucht bietet, eine Möglichkeit zu sein. "Entbergende Überkommnis" und "sich bergende Ankunft" werden also als Unterschiedene in demselben Geschehen gedacht. Sie "wesen" (im Sinn einer verbal gedachten Wesensbestimmung) als "Unterschiedene aus dem Selben", aus einem Geschehen, das selber "Unter-Schied" heißt. Sein und Seiendes gehören also zusammen im
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Heidegger 1957, 33-49 (Einrugung in Klammem im Zitat von mir, HK).
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und durch den Unter-schied von Überkommnis und Ankunft. Ihre Differenz besteht darin, dass dieser Unter-Schied sowoW im Sich-entbergen als auch im Sich-bergen ausgetragen wird. Oder "die Differenz von Sein und Seiendem" ist dieser "entbergendbergende Austrag beider" (Heidegger 1957, 56 f.). Dieses Denken versteht sich selbst als ein "Schritt zurück" hinter das Denken der europäisch-westlichen Philosophie, wie sie uns in der Dialektik Hegels überkommen ist. Es geht nicht um eine Einheit Entgegengesetzter, sondern "im Lichte" des Hegeischen Denkens vielmehr um den Unter-Schied aus dem Selben eines beide zusammenhaltenden Geschehens. Der "Schritt zurück" in ein Denken vor Hegel und vor der Metaphysik ist damit ein Schritt "aus der Vergessenheit der Differenz". So wird der Schritt zurück "aus der Vergessenheit der Differenz als solcher" zu einem Schritt, der die Geschichte der Metaphysik verständlich macht als "das Geschick der sich entziehenden Verbergung des Austrags". Man muss diese Denkfigur im Zusammenhang mit dem Programm einer "Destruktion" der Metaphysik sehen, das Heidegger schon am Ende von Sein und Zeit (1927) ankündigt und das nicht auf Zerstörung, sondern auf das Freilegen des Grundes gerichtet ist, auf dem im frühen griechischen Denken das Bauwerk der Metaphysik errichtet wird. In der Ausfiihrung dieses Programms ist u.a. das Buch Kant und das Problem der Metaphysik (1929) entstanden. Für Heidegger gibt es lediglich einige wenige Anzeichen, dass Differenz als Austrag der entbergenden Überkommnis und des entbergenden Bergens denkbar wird. Dabei bezieht er sich vor allem an die Rezeption seiner eigenen Schriften, die nur selten von wirklichem Verständnis zeugt. Er geht nicht so weit, diese Anzeichen bereits als einen Schritt nach vom zu bezeichnen. Das gegenwärtige Denken hat mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten der Sprache zu kämpfen. Heidegger rechnet damit, dass "die Herrschaft der Metaphysik sich eher verfestigt und zwar in der Gestalt der modemen Technik und deren unabsehbaren rasenden Entwicklungen". Er will es sogar offen lassen, "ob das Wesen der abendländischen Sprachen in sich nur metaphysisch und darum endgültig durch die Onto-Theo-Logik geprägt ist, oder ob diese Sprachen andere Möglichkeiten des Sagens und d.h. zugleich des sagenden Nichtsagens gewähren". Jedenfalls warnt er davor, die Sprache des jetzt und hier von ihm "versuchten Denkens vorschnell in eine Terminologie umzumünzen und morgen schon vom Austrag zu reden, statt alle Anstrengung dem Durchdenken des Gesagten zu widmen" (Heidegger 1957, 59-67). Was Hegel nach Heideggers Aufweis des Vergessens der Differenz bei Hegel und in der Geschichte der Metaphysik aktuell philosophisch noch bedeuten kann, hat Jacques Taminiaux in seiner Studie "Dialectic and Difference" untersucht. Dieser Autor ist sich bewusst, dass Heidegger die Dialektik wie die gesamte Metaphysik nicht einfach überschreiten oder überwinden kann und will, sondern dass die Verwindung der Seinsvergessenheit und des Vergessens der Differenz das Wesen der Metaphysik tiefer erschließt und jeder Schritt über sie hinaus ein Schritt in sie hinein und hinter sie zurück sein muss. In dieser Einschätzung des Verhältnisses Heideggers zu Hegel und der Geschichte der Metaphysik kommt nach der Darstellung Taminiaux' eine Einmütigkeit zwischen Heidegger und Hegel in Bezug darauf zum Ausdruck, was beide als die Aufgabe der Philosophie ansehen. In seinen Ausfiihrungen zur "geschichtlichen Ansicht philosophischer Systeme" in der Schrift Differenz des Fichtesehen und Schellingschen Systems der Philosophie aus dem Jahr 1801 schreibt Hegel, dass die Philosophie keine
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"Vorgänger und Nachgänger" kennt, sondern im Blick auf die Aufgabe, die sie sich stellt und deren jeweilige Auflösung "zu allen Zeiten dieselbe ist". Damit stimmt Heideggers Aussage in seinem Brief über den Humanismus überein, den er 1946 an Jean Beaufret geschrieben hat, dass "Philosophie nicht fortschreitet", sondern "bleibt wo sie ist, um ständig das Selbe zu denken".8 Taminiaux weist nicht daraufhin, dass die Ausführungen Hegels aus dem Jahr 1801 deutlich abweichen von seiner Konzeption der Geschichte der Philosophie seit 1805. Seitdem gilt die von Heidegger erwähnte Einheit von Geschichte der Philosophie mit dem darin vorkommenden Fortschritt und ihrer von der geschichtlichen Äußerlichkeit befreiten Darstellung in Hegels eigenem System der Philosophie. Wie wir gesehen haben, nimmt Heidegger diese spätere Sichtweise Hegels ernst und setzt seine aktuelle philosophische Arbeit ins Verhältnis sowohl zu Hegel und der Geschichte der Metaphysik seit Parmenides und Platon als auch zur Philosophie vor diesen griechischen Denkern der Antike. Wenn wir die Übereinstimmung und den Unterschied zwischen Heidegger und Hegel so sehen, wird die Rede vom "Schritt zurück" verständlich, auf die sich auch Taminiaux bezieht, wobei dieses Zurück nicht zu einem reinen, in sich unverfälschten Ursprung führt, wie Taminiaux mit Recht ausführt (1985, 84 f.). Freilich auch nicht zu einem Anfang, der im Sinn Hegels das Programm seiner gesamten weiteren Entwicklung bereits in sich enthält. Auch wenn ich Taminiaux zustimme, dass "es nicht in Frage kommt, Hegel hinter uns zu lassen", muss ich doch daraufhinweisen, dass er Heidegger und Hegel näher auf einander zu bewegt, als die Texte erlauben, die er in englischer Übersetzung zitiert. Die Übersetzung von Überkommnis durch "coming-over" ist problematisch genug. Und Austrag mit "conciliation" (Ausgleich) zu übersetzen, was diese(n) in unmittelbare Nähe zu "reconciliation" (Versöhnung) bringt, gleicht das Heideggersche Wort in unzulässiger Weise dem Sprachgebrauch Hegels an (Taminiaux 1985, 87-89). Dass Differenz als ein "Austrag" stattfindet zwischen "entbergender Überkommnis" Seins und "bergender Ankunft" im Seienden, ist nicht als ein Ausgleich zu verstehen, sondern als ein Ausgetragenwerden, wie etwa ein Wettkampf ausgetragen wird. Heidegger selbst spricht davon, dass beide "auseinander-zueinander getragen sind" (1957, 57).
4. Deleuze: Hegeische Geste wider Willen In seinem Buch Nietzsche und die Philosophie nimmt Deleuze, indem er sich der Auffassung Nietzsches anschließt, mehrfach und mit Nachdruck Stellung gegen Hegel, den Hegelianismus und die Dialektik. 9 So eindringlich und sachlich weiterführend die Nietzsche-Deutung in diesem Buch auch ist, die Bezugnahmen auf Hegel und die Dialektik zeugen von einer oberfläcWichen Kenntnisnahme der in Frage kommenden Texte. Die gesamte Philosophie Nietzsches wird als ein ,,Anti-Hegelianismus" interpretiert. Deleuzes Argumentation lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass er das "Ja" Nietzsches zum Leben und zum Genuss von der "dialektischen Verneinung" und der
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Taminiaux 1985, 79-90, siehe 80-83. Deleuze 1976,13-15,170-173,174-178; siehe zum Folgenden 13-15.
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"dialektischen Arbeit" absetzt. Diese Argumentation erweist sich freilich als unhaltbar, wenn man es mit dem letzten Satz von Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse konfrontiert, in dem es heißt, dass es die Bewegung und die Arbeit des Begriffs ist, in denen die "an und rur sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt" (Enz 463, § 577). Darin zeigt sich bereits, dass zwischen Hegel und Nietzsche-Deleuze eine viel größere Verwandtschaft besteht, als der letztere wahrhaben will. Schließlich ruhrt Deleuze den Willen bei Nietzsche, der "seine Differenz bejahen und bekräftigen will", gegen den "dialektischen Widerspruch" ins Feld, der überall nur Gegensätze erkennt. Damit wird auf den entscheidenden Unterschied abgehoben, der zwischen dem dialektischen und dem Differenzdenken besteht. Aber welches Dialektik-Verständnis steckt dahinter, wenn "der Wille, der Dialektik will" als "zu kraftlos" beschrieben wird, "die Differenz zu bejahen"? Bei der Beantwortung dieser Frage kann ich zunächst der Formulierung Deleuzes zustimmen: "Die Dialektik ernährt sich von Gegensätzen, weil sie die andersartig subtilen und tiefliegenden differentiellen Mechanismen nicht kennt: etwa die topologischen Verschiebungen und die typologischen Variationen". Das Verständnis von Dialektik und von Gegensatz, das darin vorausgesetzt ist, geht indessen an der Sache vorbei. Dass die Gegensätze, etwa der Gegensatz zwischen Christentum und Judentum, bei Hegel zu Scheingegensätzen werden, die ,,nicht gestaltend, antreibend, koordinierend zu wirken" in der Lage sind, und dass sich demgemäß "die Dialektik als Ganze ['0'] im Element der Fiktion" bewegt, das heißt ohne Realitätsgehalt ist, kann nur jemand sagen, der die dynamische Funktion des Gegensatzes in Hegels Denken und die bleibende Bedeutung der Gegensätzlichkeit und damit der Dialektik für die Erfassung der Realität ganz und gar verkennt (Deleuze 1976, 171 fo). Es ist Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, die Deleuzes Begriff der "Wiederholung" inspiriert. Dabei ist das Gleiche die Wiederholung, nicht das, was sich wiederholt. Es kehrt gerade nicht als Gleiches wieder. Im Gegenteil: "Die exakteste, die strengste Wiederholung korreliert [. 0'] mit dem Maximum an Differenz". Die minimale Differenz, die auch in der "strengsten Wiederholung" unvermeidlich ist, bildet die Anzeige, ist Korrelat der maximalen Differenz. Unter der Vorherrschaft des Allgemeinen und der Identität werden Wiederholung und Differenz nicht "als solche", nicht "an sich selbst" gedacht. In diesem Gedankengang werden Wiederholung und Differenz zu Recht von Allgemeinheit und Identität abgehoben (Deleuze 1992, 14 f.). Mit dieser Auffassung weiss sich Deleuze in Übereinstimmung mit ,,Heideggers Philosophie der Differenz". Er sieht die "Kehre" in Heideggers Denken darin, dass dieser - ,,jenseits der Metaphysik" gegen "Synthese, Vermittlung oder Versöhnung" und für "ein hartnäckiges Festhalten an der Differenzierung" plädiert (Deleuze 1992, 93 f.). Dabei übersieht Deleuze jedoch, dass Heidegger in seiner Verwindung der Metaphysik an diese zurückgebunden bleibt und dass nach Heideggers Auffassung auch in Synthese, Vermittlung und Versöhnung, das heißt in den Grundbestimmungen des HegeIschen Denkens, auf verborgene Weise Differenz am Werk ist. Die ontologische Differenz ermöglicht auch die Denkweise der Metaphysik, und zwar im negativen Sinn als Seinsvergessenheit. Das zeigt die Nähe
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Heideggers zu Nietzsche, nicht seine grundsätzlich andere Sicht der Geschichte des europäisch-westlichen Denkens, wie Deleuze meint. Für das Verhältnis zu Hegel ist wichtig, dass der Gedanke der "Differenz in der Wiederholung" Deleuze zu einer Auffassung vom Menschen führt, die diesen - wie bei Sigmund Freud - von Trieben oder elementaren Wünschen bestimmt sieht, mit denen er aber nicht - wie bei Sigmund Freud - in familiäre Strukturen eingeschlossen ist. Sehr verkürzt lässt sich Deleuzes Gegenposition zu Freud folgendermaßen wiedergeben: Der Mensch ist eine "Wunschmaschine", die den Strom ständiger Wünsche und ihrer Befriedigung unterbricht, indem sie ihn unter bestimmten gesellschaftlichen, technischen und organischen Bedingungen kodiert, überkodiert und schließlich wieder dekodiert. Nachdem sich die Menschen im Zustand von Wilden den grausamen Codes der Familie unterworfen haben, kommt es in ihrem Zustand als Barbaren zu einer Überkodierung der Grausamkeit durch den staatlichen Terror. Die Bindung an den "Körper der Erde" geht dabei über in die bis ins Physische reichende Prägung durch den "despotischen Körper". Im dritten Stadium kommt es zur Zivilisierung, die Deleuze unmittelbar mit der Dekodierung der Macht des Staates im und durch den Kapitalismus in Verbindung bringt. Indem jedem Einzelnen vorgetäuscht wird, sich durch die Macht des Geldes zur Befriedigung seiner Wünsche verhelfen zu können, sind in Wahrheit der "Körper des Geldkapitals", die von unsichtbarer Hand gelenkten Kapitalströme, beherrschend. In all diesen gesellschaftlichen, geschichtlichen und den Körper betreffenden Veränderungen bleibt es das Ziel, der Wunschmaschine das freie Strömen, das ungebundene Umherziehen zu ermöglichen. Die Schizo-Analyse zeigt, wie sich diese Tendenz im utopisch konzipierten "organlosen", das heißt nicht durch äußere Organe regulierten "vollen Körper" des Schizos verwirklichen lässt. In diesen beiden "Zuständen der Maschine", ihrem Kodiertsein durch "gesellschaftliche, technische oder organische" Bedingungen, und den selbst gewählten Unterbrechungen des freien Strömens liegt die "wirkliche Differenz".lo Das durchgehende Gefälle der Geschichte hin zum "organlosen Körper", das "zugrunde liegende Schema" eines umfassenden "geschichtlichen Rahmens", gibt im anti-hegelianischen Denken Deleuzes HegeIsche Motive zu erkennen. Das hat Slavoj Zizek in seinem Buch Organs without Bodies herausgestellt. Indem er sich Deleuze "von hinten" nähert, dessen Wendung gegen die Psychoanalyse und gegen Hegel gewissermaßen zurücknimmt, entdeckt er, dass "es einen anderen Deleuze gibt, der sehr viel näher bei der Psychoanalyse und bei Hegel steht". Für das letztere verweist ZiZek auf folgendes: Den Begriff des "konkreten Allgemeinen" hat Deleuze "wörtlich von Hegel übernommen". Wenn man Wiederholung im Deleuzeschen Sinn ernst nimmt, ist "das wiederholte Ereignis neu-erschaffen in einem radikalen Sinn", wodurch es in die Nachbarschaft zu dialektischen Prozessen gerät. Die "Wunschmaschinen" sind ganz und gar verschieden von etwas Mechanischem, es sind "Werde-Maschinen" (becomingmachines), die den logischen und den geschichtlichen Prozess voran bringen. Das Nicht-mechanische der Wunschmaschine zeigt sich schließlich darin, dass sich der
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Deleuze 1979, bes. 364 und 368-370.
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Deleuzische "Schizo" ganz und gar mit der "unendlich komplexen Maschine" identifiziert, "die unser Körper ist". 11 Wenn man Hegel anders, angemessener und richtiger liest, als Deleuze es tut, rückt er sehr viel mehr in die Nähe zu Deleuzes eigenem Denken der Differenz. Das zeigt ZiZek in drei Exkursen zu Hege!. Er betont, dass bereits Catherine Malabou (1996) darauf hingewiesen hat, die "absolute Ablehnung" Hegels durch Deleuze richte sich gegen ein erfundenes Bild (a straw man image) und verdecke eine unerwünschte Affinität. Besonders aus dem Schlusskapitel von Hegels Phänomenologie des Geistes lässt sich lernen, dass das "absolute Wissen" nichts anderes ist als der Weg zu ihm hin, was in anderen Worten auch bei Deleuze zu lesen ist. Findet sich bei Hegel selbst nicht Deleuzes "minimale Differenz", die mit der größten in einer Wechselbeziehung steht, wenn fiir Hegel "die Kluft zwischen den Phänomenen und ihrem transzendenten Grund ein sekundärer Effekt der absolut immanenten Kluft der/in den Phänomene/n selbst ist"? Umgekehrt lässt sich der Gedanke des Anti-Hegelianers Deleuze, das "Wiedereinschreiben dessen, was einem Feld äußerlich ist, in dieses Feld selbst", wie ZiZek mit Recht bemerkt, als "wahrhaft HegeIsche Geste" erweisen. 12
5. Hegel nach Derrida? Anders als Deleuze und auch anders als Foucault oder Levinas hat sich Derrida nicht nur pauschal auf Hegel bezogen, sondern sich mehrfach gründlich und sachkundig mit dessen gesamtem Werk befasst. Er tut dies im Zuge seiner dekonstruktiven Arbeit an der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie, mit der er bei Heideggers Programm einer Destruktion der Geschichte der Metaphysik anschließt. Seine Dekonstruktionen des HegeIschen Denkens sollen nicht nur zeigen, was brüchig, inkonsistent und in sich widersprüchlich ist in diesem Denken, sondern auch, "was heute, rur uns, jetzt von einem Hegel bleibt".13 Derridas Hegel-Deutung ist so einschneidend, dass eine Hegel-Lektüre nach Derrida nicht daran vorbeigehen kann. Insofern ist der Titel des Sammelbandes Hegel After Derrida (Barnett (Hrsg.) 1998) berechtigt, der sowohl zeigen soll, wie Hegel gemäß der Deutung Derridas zu lesen ist, als auch, dass Hegel nach dieser Deutungsarbeit ein anderer ist. Freilich bleibt es auch möglich, Hegel zu lesen als einen von Derridas Dekonstruktionen nicht betroffenen und einen dadurch nicht widerlegten oder in ein anderes Licht gerückten Autor. Mit dem programmatischen Wort Differance, das nur im Schriftbild, nicht in der mündlichen Aussprache von Difference abweicht, will Derrida die radikal konzipierte Differenz ausdrücken, die so in der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie nicht gedacht worden ist und nicht gedacht werden konnte. Die Differance ist das SichHervorbringen von Differenzen, zwischen denen erst im nachhinein auch Identitäten entstehen können. Sie "ist der nicht-volle, nicht-einfache "Ursprung", der strukturierte und differenzierende Ursprung der Differenzen. Folglich kommt ihr der Name "Ur-
Zizek 2004, XI-XII, 15-16. Zizek 2004, 45-74, siehe bes. 49, 58, 60, 66. 13 Derrida 1974, 7 (linke Spalte). 11
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sprung" nicht mehr zu". Es ist nicht ganz leicht zu verstehen, was Derrida damit meint, dass die Differance "älter" ist als die "ontologische Differenz", die Heidegger als eine Differenz "vor" aller Identität zu denken sucht. 14 Wie ich in einem früheren Artikel gezeigt habe, kommt Habermas auf Grund dieser Feststellung zu der falschen These, dass beide, Heidegger und Derrida "Ursprungsdenker" sind und dass Derrida den Ursprung noch "eine Etage tiefer legen" will als Heidegger. 15 Dabei geht es beiden Denkern gerade darum, den Gedanken eines Ursprungs, eines höchsten oder tiefsten, allen anderen zugrunde liegenden Seienden abzuweisen. Stattdessen suchen sie von so etwas wie einem Geschehen auszugehen, das in sich vielfältig ist. Wie wir gesehen haben, wird das Verhältnis von Sein und Seienden ausgetragen als sich entbergende Überkommnis und bergende Ankunft. Was Derrida an Heideggers Ansatz kritisiert, ist demgegenüber, dass dabei noch immer die Frage nach dem "Sinn von Sein" vorausgesetzt wird. Sein weitergehender Gedanke ist der, dass es bei der Differance um ein "Spiel der Spur" handelt, das "keinen Sinn hat" und niemandem "angehört", also auch nicht irgendwo oder irgendwie ankommen kann. Im Kontext seiner Bemühung, die europäisch-westliche Philosophie als "phonozentrisch" zu erweisen, untersucht Derrida neben Platons kritischer oder jedenfalls sehr ambivalenter Einschätzung der Schrift und Rousseaus deutlicher Bevorzugung des gesprochenen Wortes die Entstehung der Sprache im menschlichen Bewusstsein bei Hegel. 16 Dabei zeigt sich, dass für Hegel die gesprochene Sprache näher bei der Wahrheit des absoluten Geistes steht als die Schrift, weil sie weniger an ein materielles Substrat gebunden ist als diese. In dem Buch Glas dekonstruiert Derrida Hegels Philosophie der Liebe und der Familie. Alle einschlägigen Texte Hegels werden genau analysiert. Es wird ein Gefälle von Inkonsistenzen und Brüchen aufgewiesen, das ein Hinwegarbeiten der Natur im Geist und durch den Geist erkennen lässt, das schließlich vor dem Übergang ins "absolute Wissen" der Phänomenologie des Geistes und das "reine Denken" der Wissenschaft der Logik auf die "Tilgung der Zeit" als den letzten "Rest" der Natur im Geist hinausläuft. Derrida will damit für Hegel "die Totenglocke läuten" (das ist die Bedeutung des Wortes glas) und zugleich ein "Grabmal" für ihn errichten, das ihn als bleibender Ort der Gedenkens die Erinnerung an ihn lebendig erhält. 17 Andreas Arndt verteidigt - wie auf seine Weise Wellmer - in kritischer Aufnahme der Konzeption Adornos "das Negativ-Vernünftige der Dialektik", wobei Adorno seiner Auffassung nach noch zu sehr eine Gegen-Dialektik zur HegeIschen entwirft. Arndt möchte demgegenüber im direkten Rückbezug auf Marx die "Bestimmtheit der Vermittlungen im Endlichen" für die vernünftige Reflexion "als unhintergehbar" erweisen: 8 Vor dem Hintergrund dieses Bestrebens fmdet er bei den Differenzphilosophen, besonders bei Heidegger und Derrida, die Wiederaufnahme von "Formularen" romantischen Philosophierens, in die eine Begrenzung rationaler Reflexion auf Grund anderer ver-
14 Derrida 1988a, 31-56, siehe bes. 40 und 51-52, auch zum Folgenden. In der deutschen Übersetzung fehlen im Zitat nach "nicht-einfache Ursprung" die Wörter "der strukturierte und differenzierende Ursprung". 15 Habermas 1985, 191-218, siehe bes. 213; vgl. Kimmerle 1988. 16 Derrida 1975,244-282; 1988b; 1995. 17 Derrida 1974, linke Spalten, siehe bes. 7-8 (auch rechte Spalten). 18 Amdt 1994, siehe bes. 269 ff.
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meintlieh außerhalb der Vernunft liegender geistiger Kräfte eingeschrieben wird. Das fUhrt in seiner Darstellung zur Kritik an "Beliebigkeiten", die sich scheinbar dem begrifflichen Erfassen entziehen. So kommt es in der Vernunftkritik der Differenzphilosophien seiner Darstellung nach zu Scheinbegriffen, die er vor allem in Heideggers Konzeption der "Differenz als Differenz" und Derridas "Differance" zu finden meint. Beide nehmen freilich fiir ihre "Holzwege", die kein angebbares Ziel haben, und die Grenzgänge im Grenzgebiet des rationalen Erkennens eine eigene Strenge des Denkens an, die dem rationalen Argumentieren in nichts nachsteht. Auch die Praxis des Spiels und des Spielerischen, die sich von geplant verlaufenden Argumentationen unterscheidet, ist nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Sie hat ihre eigene Regelhaftigkeit und ihren eigenen Ernst. Lyotard kommt auch bei Arndt - wie wir es oben bei Wellmer bemerkt haben - relativ besser davon, weil er mit dem Terminus "Differend" (Widerstreit) eine "Radikalisierung der Differenz" anstrebt, die Beliebiges und Indifferenz ausschließen soll. Aber auch bei ihm findet Arndt einen "Rückfall in das Formular" romantischen Denkens. Das kann nur als Nachteil betrachtet werden, wenn Vernunft und Außervernünftiges als dialektische Gegensätze gelten. Eine eher umgekehrte Denkbewegung fUhrt Gerhard Gramm (1981) aus, wenn er Spuren der "Dimension des Anders-Seins in der Philosophie Hegels" aufsucht und in ihren Konsequenzen erörtert. Er befindet sich damit in der Nachbarschaft zu dem Ansatz der Brüder Hartmut und Gemot Böhme (1983), die Das Andere der Vernunft in Kants kritischer Grundlegung der Vemunftphilosophie aufzeigen. Auch Hegel hat schon in seinen Frühen Schriften und ausfUhrlieh, wie Gramm zeigt, in der Phänomenologie des Geistes und der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften das Andere der Vernunft in der Vernunft selbst thematisiert. Dabei hat er eine "beziehungsvielfaltige Dialektik von Vernunft und Wahnsinn" ausgearbeitet, so dass man davon sprechen kann, dass Der Wahnsinn in der Vernunft beheimatet ist, wo er freilich - wie andere naturhafte Momente in der Vernunft und überhaupt alle nur vorläufig gültigen Stufen des zu sich kommenden absoluten Geistes - eine zu überwindende Stufe darstellt. Gamm zieht von hier aus Linien zu Schelling, Nietzsehe, Adomo, Heidegger und Ernst Bloch, sowie zu Georges Bataille und Foucault und auch zu Deleuze und Derrida.
6. Irigaray: Differenz, nicht Gegensatz der Geschlechter Derridas Untersuchung der Philosophie der Liebe und der Familie bei Hegel hat bereits erkennen lassen, dass das Verhältnis der Geschlechter durch das dialektische Denken nur sehr inadäquat erfasst werden kann. Irigaray fugt dem nicht-dialektischen Verständnis von Differenz eine wichtige Dimension hinzu, indem sie das Verhältnis der Geschlechter als Differenz und nicht als Gegensatz zu denken sucht. Ähnlich wie Deleuze wendet sie sich gegen die Psychoanalyse Freuds und die Dialektik Hegels. Es ist indessen nicht nur der Familialismus Freuds, den sie unbefriedigend fmdet. Vor allem kritisiert sie, dass die Rolle der Frau und ihre sexuelle Bestimmtheit bei Freud ganz von der Seite des Mannes aus gedacht werden (Irigaray 1974, Teil I). Ihre Wendung gegen Hegel und damit gegen die hauptsächliche Strömung der Geschichte der europäischwestlichen Philosophie ist sehr viel genauer und inhaltlich adäquater, als wir dies bei
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Deleuze gesehen haben. Ihre Arbeit ist in dieser Hinsicht eher derjenigen Derridas verwandt, da sie Hegel nicht nur kritisiert und "destruiert", sondern auch konstruktive Seiten, Bleibendes in seiner Philosophie entdeckt. Vor allem ist wichtig, dass nach ihrem Verständnis das Verhältnis der Geschlechter nur im Durchgang durch und in der Absetzung von Hegel neu und anders bestimmt werden kann. Irigaray sieht die Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie von Platon bis Hegel als ideologische Untermauerung des Patriarchats. Ein anderes Denken gegenüber dieser Geschichte, das der Differenz gerecht wird, verlangt auch eine andere Sicht des Verhältnisses von Mann und Frau, die das eigene, besondere Sein der Frau überhaupt erst deutlich werden lässt und die das Verständnis von Differenz weitergehend und radikaler ausarbeitet, als es bei Deleuze, Derrida und anderen Differenzphilosophen geschehen ist. Die Frau ist nicht der Gegensatz des Mannes, wie es beispielhaft bei Hegel in seiner Philosophie der Ehe und Familie dargestellt wird. Sie kann nicht dem Mann, der das Eine ist, als dessen Gegensatz, der das Andere ist, im Sinne von A = nonA gegenübergestellt werden. Denn sie ist überhaupt nicht Eins, sondern in sich vielfältig. Das ist schon im Körperlichen feststellbar. Dem Penis des Mannes entspricht nicht im verkleinerten Maßstab die Klitoris der Frau, wie es bei Freud zu lesen ist. ,,Dieses Geschlecht, das (von dem) nicht eins ist" (ce sexe qui n 'en est pas un), stellt sich körperlich in den beiden Schamlippen dar, die sich berühren und in dieser Berührung "unaufhörlich küssen". 19 Die körperlichen Gegebenheiten haben aber bei Irigaray immer auch eine symbolische Bedeutung. Die Lippen, die sich berühren, sind auch die Lippen, "die sich sprechen". Das ,,(als) Frau Sprechen" (par/er femme) ist im Prinzip fiir alle Bereiche des Lebens zu konkretisieren. Für die philosophische Sprache bedeutet dies, dass es nicht um einen neuen Begriff der Frau geht. Denn das begriffliche Sprechen gehört selber der Metaphysik und damit dem patriarchalischen Denken an, das heißt der "Phallokratie" (Irigaray 1977b, 13). Bis in den Wortgebrauch und die Syntax treibt sie das ,,(als) Frau Sprechen" voran. Und nicht nur die Sprache, auch das Recht, die Religion, die gesamte Kultur sind von ihrer Konzeption des Frau-Seins aus umzugestalten. So ist für das Erbrecht die weibliche Linie ebenso wichtig wie die männliche, und der ausschließlich als Vater gedachte Gott ist durch Gott als Mutter, durch die Wiederbelebung des Glaubens an Göttinnen zu ergänzen usw. Mit Hegel versteht Irigaray "die Weiblichkeit" als den "inneren Feind" des traditionellen europäisch-westlichen Gemeinwesens und sieht "die ewige Ironie" dieses Gemeinwesens darin, dass es "unterdrückt, was ihm zugleich wesentlich ist" (Hege I, PhG 340). Nach der Meinung Irigarays versagt jedoch die Dialektik Hegels an dieser Stelle, da sie keinen Weg zur Aufhebung dieser Unterdrückung des Weiblichen angeben kann. Dazu wäre es erforderlich, sie zu einer doppelten und sogar dreifachen Dialektik zu erweitern: einer männlichen, einer weiblichen und einer zwischen beiden. Das hat dann Folgen fur den Subjektbegriff: nicht nur "er" und "sie" sind nach Geschlechtern zu unterscheiden, sondern auch "ich" und "du". So entsteht ein vielfältiges Geflecht persönlicher Verhältnisse. Die "kulturellen Beziehungen zwischen den Geschlechtern", die Hegel nur im Kontext der patriarchalisch bestimmten Familie und der Genealogie vom
19
lrigaray 1977a, 21-33; siehe bes. 24.
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Vater auf den Sohn denken kann, sind von hier aus näher zu entfalten. An anderer Stelle ist Hegel indessen wieder zuzustimmen, wo er sagt, dass Mitleid nicht in die Politik gehört. "Mitleid" verdeckt nach der Auffassung Irigarays nur das hierarchische Verhältnis des "patriarchalischen Wohlverhaltens".20 Im Blick auf die reichhaltige Literatur zu Irigaray ist besonders erwähnenswert, dass sich darin auch Beispiele einer Zusammenarbeit dieser Autorin mit anderen Frauen finden, bei denen das ,,(als) Frau Sprechen" praktiziert wird und aus denen "Elemente geschlechtsspezifischer Kommunikation" (elements de communication sexuee) hervorgehen (Irigaray 1990). ludith Butler (2000) geht direkt auf das Verhältnis Irigarays zu Hegel ein, das sie an Hegels Antigone-Interpretation in der Phänomenologie des Geistes festmacht. Kreon stellt das Gesetz des Staates über das der Familie, indem er bei Strafe des Todes verbietet, den Bruder zu begraben, der im Kampf für das familiäre Gesetz gestorben ist. Antigone begräbt ihren Bruder und bleibt so dem Gesetz der Familie treu. Ihr Anspruch bedingt ihren Tod und die bleibende untergeordnete Rolle der Frau und der Familie gegenüber der staatlichen Ordnung. Diese Auffassung Hegels ist für Irigarays Denken von großer Wichtigkeit und führt zu der soeben angegebenen Einstellung gegenüber der HegeIschen Dialektik. Das Gesetz der Familie, dem Antigone treu bleibt, gehört aber nach Irigaray zur Ordnung der Natur, des Lebens und des Körpers, die in der Geist-Philosophie Hegels mit ihrem onto-theologischen Anspruch schließlich verschwinden. Deshalb kann sie 2004 in einem Vortrag auf dem Internationalen Hegel-Kongress in Toulouse sagen: "Nach Hegel, und in allgemeinerem Sinn nach unserer Tradition, würde es nötig sein, das Leben, den lebendigen Atem zu töten [...] um das Absolute des Geistes, Gottes zu erreichen [... ]. Ich müsste die Materie meines Körpers vernichten (aneantir), mein Körper-Objekt, und sieles nicht umformen in Atem und Energie, um das Absolute zu erreichen".21
7. Von den Begriffen Verschiedenheit und Gegensatz zu den Wortfeldern Differenz und Opposition Die Reflexionsbestimmung "Unterschied" - wir sagten es schon - ist in Hegels Wissenschaft der Logik unterbestimmt. Zu ihr gehören ,,1. Der absolute Unterschied", der die Negativität der ersten Reflexionsbestimmung, das heißt der "Identität", ist, ,,2. Die Verschiedenheit", die nur als "gleichgültige Verschiedenheit" begriffen wird, und ,,3. Der Gegensatz", der sich fortbestimmt zum "Widerspruch" als der alles beherrschenden Kategorie der HegeIschen Dialektik. Die entscheidende Schwierigkeit dieser Kategorienfolge liegt darin, dass sie insgesamt "in ihre Wahrheit übergehen", die im "Satz des Widerspruchs" zum Ausdruck kommt: "Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend."22
20 Irigaray 2004, 3, 9 f., 221, 228. 21 Der Text des Vortrags erscheint im Hege/-Jahrbuch 2006. 22 Hegel, WdL, Bd. 2, 23-62, siehe bes. 58.
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Gegen den damit ausgesprochenen Universalitätsanspruch der Dialektik hat sich zuerst Karl Marx mit der These gewendet, dass die Dialektik "nur richtig ist, wenn sie ihre Grenzen kennt" (1953, 945). Die Dialektik in ihrem begrenzten Recht für ein Denken zu erweisen, das dem Sein (durchaus im Heideggerschen Sinn) adäquat ist, heißt aber auch, nicht-dialektische Wiesen des Denkens erkunden. Dazu ist der Beitrag der Differenzphilosophen unerlässlich. Die Dialektik erhält dann ihren Ort in einem erweiterten Kontext der HegeIschen Begriffe Verschiedenheit und Gegensatz. 23 Zur "Differenz" gehören die "gleichgültige" und als "nicht-gleichgültige" Formen: "interessierte, tolerierte und gleichwertige" oder ,,respektierte" Verschiedenheit. Dem entsprechen bei der "Opposition" der "antagonistische" und als "nicht-antagonistische" Formen: der "spannungsgeladene, freundschaftliche und liebevolle" Gegensatz. Zur respektierten Verschiedenheit ist in der Debatte um die interkulturelle Philosophie Wichtiges gesagt worden. 24 Und fiir den liebevollen Gegensatz verweise ich hier erneut - wie im Aufsatz von 1981 - beispielhaft auf die Bestimmung von Kommunikation als "liebenden Kampf' bei Karl Jaspers. 25 Ergänzend zu dem erwähnten Aufsatz über die unzureichende Differenzierung der Reflexionsbestimmungen "Verschiedenheit und Gegensatz" bei Hegel habe ich 2000 einen Aufsatz zur Unterbestimmung der Kategorie des "Anderen" in der Seinslogik Hegels veröffentlicht. In dem Aufsatz "Das Etwas und (s)ein Anderes" zeige ich, insbesondere durch einen Vergleich der beiden Auflagen dieses Teils seiner Wissenschaft der Logik (1812 und 1831), wie Hegel im Zuge seiner Denkarbeit "das Andere (des Anderen) zum Verschwinden bringt". Ähnlich sieht Derrida in seinen Analysen, warum zur Freundschaft auch Feindschaft gehört, das Verhältnis von Differenzdenken und Dialektik. Er sucht anzugeben, worin das Differenzdenken weiter geht als die Dialektik. "Gastfreundschaft" enthält mit seinen Worten eine "nicht-dialektisierbare Spannung" gebetenen und ungebetenen Gästen gegenüber. Eben diese Spannung fmdet er auch zwischen den Begriffen im Allgemeinen, die dann freilich nicht mehr "Begriffe" im herkömmlichen Verständnis sind, die "be-greifen" wollen mit der dazu erforderlichen "Gewalt des Nehmens". Das fUhrt ihn zu dem Gedanken, dass "der Andere" nicht länger als ,,sein Anderer" - im Sinn der Dialektik von Etwas und Anderes bei Hegel - zu denken ist. Die Gastfreundschaft der Begriffe ist "auszudehnen auf einen Anderen, der nicht länger ist, der niemals war "sein Anderer" der Dialektik". 26
23 Diesen Kontext habe ich im oben erwähnten - vollständig nur in niederländischer Sprache erschienenen - Aufsatz "Yerschil en tegenstelling" als die in sich zusammenhängenden semantischen Felder des Denkens von Differenz und Opposition näher ausgearbeitet. Dabei möchte ich im Unterschied zu den hier behandelten und den sonstigen Differenzdenkern das begrenzte Recht der Dialektik ausdrücklich zur Geltung bringen (Kimmerle 1981, bes. 534-537). 24 Ygl. Z.B. Sennett 2003. 25 Jaspers 1948, 351-352 und 502-505. 26 Derrida 2002, 358-420, siehe bes. 362-363.
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Hat Hegels Subjektbegriff das 20. Jahrhundert überlebt?
Paul Cobben
I. Einleitung
Wenn Hegel im Vorwort der Phänomenologie de Geistes das philosophische Programm formuliert, das "die Substanz als Subjekt" denken will, lässt sich dieses Unternehmen primär als eine Kritik an Spinoza verstehen. In seiner Ethica fUhrt Spinoza seinen Substanzbegriff mit einer Definition ein: Gott ist die absolute Substanz und demzufolge die Grundlage aller Wirklichkeit. Eine Substanz, die von der Definition eines Philosophen abhängig ist, widerspricht sich nach Hegel jedoch als absolute Substanz. Eine absolute, göttliche Substanz lässt sich deshalb nur adäquat als "absoluter Geist" ausdrücken, d.h. als eine Substanz, die sich als Substanz verwirklicht. Ein als absoluter Geist verstandenes Subjekt scheint nicht mit einer anderen Bedeutung des Subjektbegriffs überein zu stimmen, nämlich mit der philosophischen Tradition, in der das menschliche Individuum als Subjekt gedeutet wird. Exemplarisch fUr diese Tradition ist das Cartesianische Denken, in dem das menschliche Individuum als geschaffene Substanz, als res cogitans gefasst wird. In der Phänomenologie des Geistes werden beide Subjektbegriffe (des absoluten göttlichen und des endlichen menschlichen Subjekts) jedoch miteinander vermittelt. Das Selbstbewusstsein, das im zweiten Kapitel der Phänomenologie des Geistes thematisiert wird, lässt sich als ein Durchdenken des Cartesianischen cogito lesen. Wie das cogito ist das Selbstbewusstsein ein absolutes Bei-sich-Sein. Anders als das cogito wird das Selbstbewusstsein jedoch als ein Resultat verstanden: das Selbstbewusstsein kann sein autonomes Selbstbild nur festhalten, weil es die Natur als eine fremde und unwesentliche Wirklichkeit außer sich gestellt hat. Deshalb ist das Selbstbewusstsein von dieser Natur abhängig und es drängt sich die Frage auf, wie das Selbstbewusstsein seine Autonomie im Verhältnis zu dieser fremden Wirklichkeit behaupten kann. Hegels Antwort lautet, dass das Selbstbewusstsein sich nur im Verhältnis zu einem anderen Selbstbewusstsein verstehen lässt. Mit dem Verhältnis von Selbst zu Selbst, so fährt Hegel fort, ist schon der Begriff des Geistes gegeben. 1 Das weitere Programm der Phänomenologie des Geistes überprüft, wie sich die konkrete Wirklichkeit dieses Geistbegriffs denken lässt. Dies führt zur Entwicklung des
1
"Hiemit ist schon der Begriff des Geistes rur uns vorhanden." (Hegel, GW 9, 109).
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absoluten Geistes. In der Entwicklung des Geistes zeigt sich deshalb, wie Hegel das individuelle menschliche Subjekt als Moment des absoluten Geistes versteht. Der erste Schritt, um das Verhältnis zwischen Selbstbewusstseinen als ein wirkliches Verhältnis zu denken, hat das berühmte Herr-Knecht-Verhältnis zum Resultat. Alle Momente des wirklichen Geistes sind in diesem Verhältnis in nuce schon enthalten. Das Problem, ob der Hegeische Subjektbegriff das 20. Jahrhundert überlebt hat, lässt sich deshalb umformulieren als die Frage, ob die Kritik an Hegels Subjektbegriff allen Momenten gerecht wird, die wesentlich zum Herr-Knecht-Verhältnis gehören. Weil das Selbstbewusstsein in der Phänomenologie des Geistes (und insbesondere auch das Herr/Knecht-Verhältnis) die dialektische Aufhebung derjenigen Bewusstseinsformen ist, die auf der Ebene des Bewusstseins erörtert werden, hat es den Empirismus, der diese Bewusstseinsformen kennzeichnet, kritisch überwunden und damit auch die philosophischen Positionen im zwanzigsten Jahrhundert, die diesen Empirismus weiter entwickelt haben, d.h. die analytischen Philosophien, die sich auf Grundprinzipien stützen, die z.B. von Locke, Berkeley, Hume und Kant (der Kritik der reinen Vernunft) repräsentiert werden. Als Kritik am Cartesianischen Rationalismus hat die Phänomenologie des Geistes zugleich diejenigen Positionen des zwanzigsten Jahrhunderts kritisch aufgehoben, die auf dem Cartesianismus aufbauen, wie zum Beispiel die Phänomenologie von Husserl und die auf das "mind-body"-Problem zugeschnittene Wissenschaftsphilosophie. Ich meine deshalb, dass sich die Auseinandersetzung zwischen Hegel und der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts auf diejenigen Strömungen beschränken lässt, die sich vom Dualismus befreit haben, nämlich dem Dualismus zwischen Empirismus und Rationalismus, theoretischer und praktischer Vernunft, Immanentismus und Transzendentalismus. In diesem Aufsatz werde ich überprüfen, ob die Kritik, die einerseits Differenzdenker wie Heidegger, Derrida und Levinas, und die andererseits nachmetaphysische Wahrheitsdenker wie Adomo, Habermas und (vielleicht auch) Sartre an Hegel geübt haben, standhält.
2. Das als Herr-Knecht-Verhältnis konzipierte Subjekt Wie das cogito bei Descartes ist das Selbstbewusstsein ein theoretisches Bei-sich-Sein: es hat die Gewissheit, selbst das absolute Wesen der Wirklichkeit zu sein; es hat sich zum Gegenstand und weiß, dass es dabei unmittelbar bei sich geblieben ist. Das Selbstbewusstsein ist "konkrete Allgemeinheit": ein Unterschied, der sich unmittelbar als Unterschied aufgehoben hat. Anders als das cogito wird das Selbstbewusstsein von Hegel jedoch zugleich als Resultat verstanden. Das Selbstbewusstsein lässt sich nur als ein Bei-sich-Sein denken, weil es sich von der Natur als dem Anderen unterschieden hat. Das Selbstbewusstsein ist ein Selbst, das die Natur als ein anderes Selbst außer sich gestellt hat: das äußere Selbst der Natur ist das Leben, zu dem das Selbstbewusstsein sich als zu einer unwesentlichen Wirklichkeit verhält. Anders als das cogito hat das Selbstbewusstsein immer schon einen Körper; aber es kann seine Gewissheit, selbst das Wesen der Wirklichkeit zu sein, nur aufrechterhalten, wenn die äußere Natur kein eigenes Wesen hat.
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Die Erkenntnis, dass das Sein des Selbstbewusstseins sich nur als ein körperliches Sein verstehen lässt, fUhrt jedoch zu einem Widerspruch. Denn die (theoretische) Gewissheit des Selbstbewusstseins, dass das fremde Leben unwesentlich ist, kann es praktisch nicht aufrechterhalten. Das körperliche Selbstbewusstsein ist selbst ein lebendiger Organismus, der wesentlich von der äußeren Natur abhängig ist: der lebendige Organismus kann sich nur reproduzieren, wenn er seine Bedürfnisse in einem praktischen Verhältnis zur Natur befriedigt. Das Sein des Selbstbewusstseins setzt deshalb sowohl die Selbständigkeit als auch die Unselbstständigkeit der äußeren Natur voraus. Dieser Widerspruch lässt sich nicht in dem Versuch aufheben, die Selbständigkeit der Natur auf der praktischen Ebene zu vernichten: nämlich wenn der Körper sich als das Wesen des fremden Lebens setzt, indem es tötet, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Denn mit der Rückkehr der Bedürfnisse wird die Abhängigkeit von der Natur erneut erscheinen. Diese Abhängigkeit könnte nur verschwinden, wenn der Körper stirbt. Aber mit dem Körper wird auch das Sein des Selbstbewusstseins vernichtet. Das bringt Hegel zur notwendigen Schlussfolgerung, dass das Sein des Selbstbewusstseins sich nicht im Verhältnis zur unmittelbar vorgefundenen (lebendigen) Natur verstehen lässt. Nichtsdestoweniger meint Hegel, dass das Problem sich lösen lässt: Seine zentrale These lautet, dass das Sein des Selbstbewusstseins nur im Verhältnis zu einem anderen Selbstbewusstsein möglich ist. Das andere Selbstbewusstsein ist ein lebendiges Selbst, wie das unmittelbar vorgefundene Leben. Das erste Selbstbewusstsein hat daher die Möglichkeit, sich explizit vom anderen Selbstbewusstsein zu unterscheiden und sich als theoretisches Bei-sich-Sein zu verstehen. Diese Negation des anderen Selbstbewusstseins braucht dieses Mal jedoch nicht die Vernichtung des anderen Wesens zu bedeuten. In einem reinen, symmetrischen Verhältnis zwischen den beiden Selbstbewusstseinen kann das erste Selbstbewusstsein sich im anderen wiedererkennen, d.h. es verhält sich im anderen Wesen zu sich. Mit anderen Worten: Im symmetrischen Verhältnis zwischen Selbstbewusstseinen hat die subjektive Gewissheit des Selbstbewusstseins, selbst das absolute Wesen der Wirklichkeit zu sein, objektive Wirklichkeit. Denn das andere Wesen, d.h. die Wirklichkeit, ist in diesem Verhältnis nichts anderes als das eigene Wesen des Selbstbewusstseins. Die Schwierigkeit dieser Lösung ist jedoch, dass eine reine, symmetrische Beziehung zwischen Selbstbewusstseinen sich nicht als eine wirkliche Beziehung denken lässt. In einer wirklichen Beziehung wird die reine Symmetrie durchbrochen, weil jedes Selbstbewusstsein einen eigenen Körper hat. Dies lässt sich folgendermaßen erläutern: Das erste Selbstbewusstsein verhält sich nur theoretisch zum anderen. Deshalb lässt sich fragen, was die Objektivität seiner Wiedererkennung des anderen Selbstbewusstseins als Selbstbewusstsein ist. Wie ist das erste Selbstbewusstein imstande, wirklich zu wissen, dass das andere ein Selbstbewusstsein ist? Warum könnte eine solche Auffassung nicht reine Projektion sein? Das andere Selbstbewusstein ist nur Selbstbewusstsein, wenn auch dieses das fremde Leben negiert. Das fremde Leben, das durch das andere Selbstbewusstsein negiert wird, ist jedoch der Köper des ersten Selbstbewusstseins, nicht sein eigener Körper. Ob das andere Selbstbewusstsein den Körper des ersten negiert, kann das erste Selbstbewusstsein jedoch nicht wissen, insofern diese Negation eine reine, theoretische Negation bleibt. Nur wenn diese Negation sich auch praktisch vollzieht, kann sich herausstellen, ob die eingebildete Negation auch objektive Wahrheit besitzt.
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Wenn der Versuch gemacht wird, die symmetrische Beziehung zwischen zwei Selbstbewusstseinen als eine wirkliche zu denken, dann kann dieser Versuch nicht bei einem theoretischen Verhältnis stehen bleiben. Die gegenseitige Anerkennung hat nur Wirklichkeit, wenn die gegenseitige Negation auch praktisch vollzogen wird, d.h. wenn die beiden Selbstbewusstseine einander praktisch in einem Streit auf Leben und Tod bekämpfen. Damit stellt sich jedoch heraus, dass die symmetrische Beziehung zwischen Selbstbewusstseinen sich nicht unmittelbar als eine wirkliche Beziehung denken lässt. Denn sobald das eine Selbstbewusstsein praktisch bewiesen hat, ein Selbstbewusstsein zu sein, hat es das andere Selbstbewusstsein getötet und die Beziehung zwischen den beiden Selbstbewusstseinen ist zugrunde gegangen. An diesem Punkt in der Entwicklung der Phänomenologie des Geistes führt Hegel das Herr-Knecht-Verhältnis als einen weiteren Versuch ein, das Verhältnis zwischen Selbstbewusstseinen ohne Widerspruch denken zu können. Dieser Übergang ist jedoch nicht unmittelbar einsehbar. Die Beziehung zwischen Herrn und Knecht ist wesentlich asymmetrisch. Der Herr wird gekennzeichnet als das Selbstbewusstein, das frei ist, weil er das Leben negiert hat; der Knecht dagegen wird als das unfreie, in das Leben versunkene Selbstbewusstsein gefasst. Wie kommt Hegel dazu, jetzt ein asymmetrisches Verhältnis zu thematisieren, obwohl das anfängliche Problem gerade der Versuch war, die Wirklichkeit eines symmetrischen Verhältnisses zu denken? Die Wiedererkennung des eigenen Selbstbewusstseins im anderen Selbstbewusstsein ist nur objektiv (wirklich), wenn das Selbstbewusstsein nicht nur objektiv das Wesen des eigenen Lebens ist, sondern auch des anderen Lebens. Das anerkannte Selbstbewusstsein muss ein allgemeines Selbstbewusstsein sein, das objektiv als das Wesen beider Leiber erscheint. Unter bestimmten Voraussetzungen können diese Bedingungen auf institutionelle Ebene erfüllt werden. Beide Leiber sind objektiv aufeinander bezogen, weil sie derselben lebenden Gattung angehören. Wenn die Selbstbewusstseine deshalb einseitig als Gattungssubjekt betrachtet werden, sind sie Moment im Prozess der Selbstreproduktion der Gattung. Wenn die Gattungssubjekte zugleich selbstbewusste Wesen sind (d.h. Selbstbewusstseine), kann diese Reproduktion eine institutionelle Form annehmen: als ein arbeitsteiliger, gesellschaftlicher Organismus. Der gesellschaftliche Organismus ist daher ein Arbeitssystem im Dienste der Reproduktion der Gattung. Als institutionelle Ordnung ist das Arbeitssystem Ausdruck eines allgemeinen Selbstbewusstseins (die Gesetze die dem Arbeitssystem unterliegen). Dieses allgemeine Selbstbewusstsein ist das objektive Wesen des gesellschaftlichen Organismus. Jetzt lässt sich der Übergang ins Herr-Knecht-Verhältnis verstehen. Der Herr ist das körperliche Selbstbewusstsein, das für die Mitglieder des Arbeitssystems das allgemeine Selbstbewusstsein repräsentiert, der Knecht dagegen ist ein Selbstbewusstsein, das Mitglied des Arbeitssystems ist. Der Herr ist das freie Selbstbewusstsein, weil er das Wesen des Arbeitssystems ist; der Knecht is das unfreie, ans Leben gebundene Selbstbewusstsein, weil er an seine Rolle im gesellschaftlichen Organismus gebunden ist. Damit lässt sich auch der Übergang vom symmetrischen zum asymmetrischen Verhältnis verstehen: Die vielen Knechte im Arbeitssystem verhalten sich noch immer symmetrisch zueinander, nämlich insofern alle irgendeine Rolle im Arbeitssystem erfüllen und alle im Herrn das Wesen des Arbeitssystems sehen. Die Asymmetrie entsteht, weil alle auf gleiche Weise ihr freies Wesen im Selbstbewusstsein des Herrn symbolisiert wissen.
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Die vorhergehende Entwicklung zeigt, dass das Sein des Selbstbewusstseins sich möglicherweise als ein in Begriffen des Herr-Knecht-Verhältnisses verstandener gesellschaftlicher Organismus denken lässt. Aber es ist jedoch noch zu prüfen, ob das Selbstbewusstsein tatsächlich imstande ist, die Rolle des Herrn und die Rolle des Knechts zu übernehmen. Am wenigsten problematisch ist die Rolle des Herrn, denn im Rahmen des gesellschaftlichen Organismus wird die subjektive Gewissheit des Selbstbewusstseins (des Herrn), nämlich das absolute Wesen des anderen Lebens zu sein, durch die Arbeit des Knechts praktisch verwirklicht. Und diese Verwirklichung lässt sich nicht zerstören durch sein unmittelbares Verhältnis zur Natur. Zwar hat jedes wirkliche Selbstbewusstsein als körperliches Selbstbewusstsein ein unmittelbares Verhältnis zur Natur, sodass seiner subjektiven Gewissheit unvermeidbar widersprochen wird (es wird am Ende sterben), aber als institutionelles Selbstbewusstsein ist die Rolle des Herrn nicht an ein bestimmtes Individuum gebunden: Das Individuum stirbt, aber die allgemeine institutionelle Rolle lebt weiter. Das Verständnis, wie das Selbstbewusstein die Rolle des Knechts spielen kann, ist jedoch schwieriger. Warum würde sich ein Selbstbewusstsein, das sich subjektiv frei weiss, in den Dienst eines Herrn stellen? Wie könnte ein Selbstbewusstsein, das sozusagen subjektiv sein eigener Herr ist, überhaupt dazu kommen, einem anderen Herrn zu dienen? Wir wissen schon, dass das Sein des Selbstbewusstseins sich im unmittelbaren Verhältnis zur Natur nicht widerspruchsfrei denken lässt. Das Selbstbewusstsein kann die Abhängigkeit vom fremden Leben nicht überwinden. Diese Abhängigkeit erscheint letztlich als die Abhängigkeit vom eigenen Körper: das Selbstbewusstsein stirbt und weist deshalb nach, nicht das absolute Wesen zu sein. Mit anderen Worten: das Selbstbewusstsein ist nicht der Herr seines Leibes; sein Leib hat vielmehr einen anderen Herrn, nämlich den Tod. Dieser absolute Herr erfahrt das Selbstbewusstsein in der Todesangst. Hegels Deutung der Todesangst erläutert, weshalb das Sein des Selbstbewusstseins immer schon im Rahmen eines gesellschaftlichen Organismus situiert ist. Der Lebensprozess der wirklichen Selbstbewusstseine lässt sich als das Erstreben der Selbsterhaltung verstehen, als ein Spiel der Kräfte zwischen Lebewesen, in dem die Individuen und die Gattung sich praktisch reproduzieren. Für das Selbstbewusstsein selbst ist das andere Leben ein unwesentliches Sein. Es verhält sich zum anderen Leben, weil es als bedürftig auf dieses bezogen ist; und es beweist sich als das Wesen des fremden Lebens, weil es dieses tötet und seine Bedürfnisse befriedigt. In diesem Verhältnis hat das Selbstbewusstsein keine Erkenntnis seines eigenen Körpers. Der Körper ist sozusagen das unbekannte Medium zwischen ihm und dem fremden Leben: einerseits ist seine bedürftige Bezogenheit auf das fremde Leben durch den Köper vermittelt; andererseits ist der Körper ein unbekanntes Instrument, durch welches das Selbstbewusstsein töten kann. Der eigene Körper hat sogar keine positive Bedeutung im Gattungsverhältnis. Zwar kann die Bedürfnisbefriedigung dieses Mal in der Nachwelt ein positives Resultat haben, aber dieses Resultat hat eine eigene Existenz als selbstständiges Lebewesen. Dieses Lebewesen ist für das Selbstbewusstsein wiederum ein fremdes Leben, sodass das Gattungsverhältnis fiir dieses nicht thematisiert wird. Das Selbstbewusstsein kann seinen eigenen Leib erst zum Gegenstand machen, wenn dieser einer absoluten äußeren Macht unterworfen wird, d.h. wenn der absolute Herr, der Tod, es erfordert. (,,[E]s hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfun-
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den"; Hegel, GW 9, 114). In der Todesangst erfährt das Selbstbewusstsein, dass sein Leib kein unwesentliches Medium, sondern ein selbstständiges Wesen ist. In seiner Todesangst ist das Selbstbewusstsein das "in sich zurückgedrängte Bewusstsein" (ebd., 114), d.h. die gegenständliche Welt erscheint nicht länger als eine unwesentliche Welt, sondern als eine unbesiegbare Macht. Sein Organismus ist nicht länger imstande, in der normalen Ausübung seiner Lebensfunktionen die äußere Natur zu überwinden, sondern wird als eine in sich zurückgedrängte Kraft auf sich zurückgeworfen: in seiner Todesangst ist das Selbstbewusstsein "innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich erzittert, und alles fixe hat in ihm gebebt." (Ebd., 114). In der Todesangst wird das Selbstbewusstsein sozusagen losgerissen von den festen Bestimmungen, die dem Lebensprozess seines Körpers angehören. In der Todesangst wird das Leben als solches erfahren: das Leben als ein reines Beisich-Sein, das alle Lebensfunktionen in einer unbestimmten Einheit zurückgenommen hat. Mit anderen Worten: In der Todesangst erfährt das Selbstbewusstsein, dass sein Wesen als reines Bei-sich-Sein zugleich ein wirkliches Wesen ist, nämlich das Wesen von sich selbst als lebendiges (körperliches) Selbstbewusstein (oder: in der Todesangst erfährt das Selbstbewusstsein, dass Leben als reine Gattung): ,,Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute flüssigwerden alles Bestehens ist aber das einfache Wesen des Selbstbewußtseyns, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein" (ebd., 114). Es stellt sich damit heraus, dass das Wesen des Selbstbewusstseins sich nicht einseitig als ein inneres, subjektives Wesen denken lässt. Das Sein des Selbstbewusstseins setzt immer schon eine Wirklichkeit voraus, die das reine Bei-sich-Sein als ihr objektives Wesen hat, d.h. eine Wirklichkeit, in der es sich als Knecht zum Herrn verhält: Im HerrKnecht-Verhältnis ist die Erfahrung, die das Selbstbewusstsein in Todesangst über sein Wesen gemacht hat, institutionell objektiviert. Im Herrn hat die absolute Macht des Todes ihr institutionelles Dasein; im gesellschaftlichen Organismus des Arbeitssystems hat die Erfahrung des Lebens als solches ihr institutionelles Dasein. Der individuelle Körper ist sozusagen ,gestorben' (aufgehoben) im gesellschaftlichen Organismus: Als Knecht hat das Selbstbewusstsein sich von seinen Bindungen an sein individuelles Leben losgerissen und hat die Freiheit, gemäß der reinen Einheit des Arbeitssystems zu handeln, es arbeitet im Dienst des Herrn. Der gesellschaftliche Organismus hat die Sterblichkeit des einzelnen Organismus überwunden.
3. Heidegger Obwohl Heidegger in seinen Vorlesungen über die Phänomenologie des Geistes leider nicht zu einer Erörterung des Herr-Knecht-Verhältnisses kommt, spricht er sich über das Selbstbewusstsein im Allgemeinen prononciert genug aus, um eine Auseinandersetzung fruchtbar zu machen. Im Selbstbewusstseinskapitel gilt es Hegel, laut Heidegger, "das Sein des Selbst, das Selbstsein zum absolventen Verständnis zu bringen." (Heidegger 1988, 196). Dabei handle es sich "um die Auseinanderlegung eines neuen Seinsbegriffes" (ebd., 203). Und, so fährt Heidegger fort: "Die Auseinanderlegung des neuen bzw. eigentlichen absoluten Seinsbegriff ist nichts anderes als die Verdeutlichung des ,Resultates', das sich aus der Dialektik des Bewußtseins ergeben hat." (Ebd., 205). Dieses Resultat wird von Heidegger als Leben identifIZiert (ebd., 206). In zwei Schritten
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erläutert Heidegger, dass ein solches Resultat mit der von ihm in Sein und Zeit entwickelten Position wesentlich unvereinbar ist. Erstens setzt Hegels Begriff des Lebens einen inneren Zusammenhang zwischen Zeit und Raum voraus ("Das wahre Wesen des Seins, die Unendlichkeit, ist das Wesen der Zeit, das die Gestalt des Raumes hat"; ebd., 210) und zweitens lässt sich dieser Zusammenhang zu Hegels ganzer Philosophie extrapolieren: "Es muß mit aller Schärfe betont werden: Zeit und Raum sind rur Hegel von Anfang an - und bleiben es in seiner ganzen Philosophie - primär Probleme der Naturphilosophie; [...] Nicht ist umgekehrt primär die Zeitproblematik aus der der Geschichte und gar des Geistes entfaltet; aus dem einfachen Grund nicht, weil das der HegeIschen Grundabsicht so zuwiderläuft, wie ihr überhaupt nur etwas zuwiderlaufen kann." (Ebd., 208). Seine Schlussfolgerung formuliert Heidegger in zwei zusammenfassenden Thesen: ,,Hegel - das Sein (Unendlichkeit) ist auch das Wesen der Zeit. Wir - die Zeit ist das ursprüngliche Wesen des Seins." (Ebd., 211). Die oben stehende Lektüre des Herr/Knecht-Verhältnisses möge deutlich gemacht haben, dass Heideggers Identifikation vom Sein des Selbstbewusstseins mit dem Sein des Lebens völlig in die Irre fiihrt. Das Sein des Selbstbewusstseins setzt, ganz im Widerspruch zu Heideggers Deutung, die Todesangst voraus, d.h. die Trennung des Selbstbewusstseins von der Gebundenheit an seinen eigenen Körper. Obwohl gerade diese Trennung für Hegel den Auftakt zur Einsicht bildet, dass das Sein des Selbstbewusstseins sich nur im Rahmen eines gesellschaftlichen Organismus denken lässt, hat dies doch nicht die Bedeutung, dass die Zeit des körperlichen Organismus und die Zeit des gesellschaftlichen Organismus sich nicht wesentlich unterscheiden. Während Hegel die Zeit des natürlichen Organismus, worauf Heidegger mit Recht hinweist, in ihrem unlösbaren Zusammenhang mit dem Raum versteht, muss die geschichtliche Zeit des gesellschaftlichen Organismus ganz anders gedeutet werden. Der als Herr-KnechtVerhältnis gedachte gesellschaftliche Organismus ist die Einheit des reinen, überzeitlichen Selbstbewusstseins des Herrn einerseits und andererseits des Arbeitssystems, das ein raum-zeitliches Dasein hat. Die ganze Entwicklung der Phänomenologie des Geistes ist der Versuch, die adäquate Form dieser Einheit zu finden. Dieser Versuch führt zum Begriff des absoluten Geistes, der noch immer durch eine Differenz zwischen der zeitlichen, endlichen Wirklichkeit und dem überzeitlichen Begriff gekennzeichnet wird und nicht als eine "Sichselbstgleichheit im Anderssein" (ebd., 209) gefasst werden kann. Hegel spricht vielmehr vom Geist, der "in seinem Anderssein als solchem bei sich ist" (Hegel, GW 9, 422) und bringt damit vielleicht eine größere Verwandtschaft mit der "ontologischen Differenz" zum Ausdruck als Heidegger einzugestehen wünscht. 2
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Diesen Gedankengang habe ich in Cobben 1999 ausgearbeitet.
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4. Derrida Derridas Hegel-Interpretation in Glas 3 dreht sich eigentlich um einen Passus der Phänomenologie des Geistes: "Der Bruder aber ist der Schwester das ruhige gleiche Wesen überhaupt, ihre Anerkennung in ihm rein und unvermischt mit natürlicher Beziehung; die Gleichgültigkeit der Einzelnheit und die sittliche Zufälligkeit derselben ist daher in diesem Verhältnisse nicht vorhanden; sondern das Moment des anerkennenden und anerkannten einzelnen Selbst darf hier sein Recht behaupten, weil es mit dem Gleichgewichte des Blutes und begierdeloser Beziehung verknüpft ist. Der Verlust des Bruders ist daher der Schwester unersetzlich, und ihre Pflicht gegen ihn die höchste".4 Nach Derrida ist dieser Passus ein Fremdkörper in Hegels philosophischem System: "Einzigartiges Beispiel im System: eine Anerkennung, die nicht natürlich ist und trotzdem keinen Kampf durchläuft, keine Verletzung, keine Vergewaltigung: absolute Einmaligkeit, dennoch universell und ohne natürliche Einzelheit, ohne Unmittelbarkeit".5 Es ist nicht zu verstehen, weshalb die Unersetzlichkeit des Bruders philosophische Relevanz hat: "Der Bruder ist also unersetzlich [...]. Aber der Bruder ist nur unersetzlich in einer ganz bestimmten empirischen Lage, bestimmt durch den faktischen Tod von Antigones Eltern. Könnte man sagen, dass Hegel eine empirische Lage in einem besonderen Text der Geschichte der Tragödien beschrieben, in eine strukturelle und paradigmatische umgewandelt hat? Und das um einer obskuren Ursache - oder einer Schwester willen? "6 Im weiteren Verlauf seines Buches fiihrt Derrida aus, dass diese "obskure Ursache" in der Tat als Schwester verstanden werden muss, nämlich als Hegels Schwester Christiana. Die Erörterung des Herr-Knecht-Verhältnisses hat schon gezeigt, dass, im Gegensatz zu Derridas These, Anerkennung in Hegels System keineswegs notwendig mit Kampf verbunden ist. Das Sein des Selbstbewusstseins lässt sich gerade nicht als ein Kampf, sondern als der immer schon vorausgesetzte Frieden der Anerkennung verstehen. In Antigones Staat kehrt diese Anerkennung in einer bestimmten Form zurück, nämlich als die Anerkennung der Bürger, die immer schon dem menschlichen Gesetz (dem Gesetz Derrida 1974. Hegel, GW 9, 248. 5 "Exemple unique dans le systeme: une reeonnaissanee qui n'est pas naturelle et qui pourtant ne passe aueun eonflit, aueune lesion, aueun viol: unieite absolue, universelle pourtant et sans singularite naturelle, sans immediatete" (Derrida 1974, 170 ; Dt. vom Yerf.). 6 "Le frere est done irrempla9ab1e [...]. Mais le frere n'est irrempla9ab1e que dans une situation empirique tres determinee, determinee par la mort faetuelle des parents d'Antigone. Dira-t-on que Hegel a transforme en legalite strueturelle et paradigmatique une situation empirique deerite dans un texte partieulier de l'histoire des tragedies? Et eela pour les besoins d'une eause - ou d'une sreur - obseure?" (Ebd., 186). 3
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des Staates) gehorchen. Neben dem menschlichen Gesetz kommt in der Polis jedoch auch das göttliche Gesetz zur Geltung, in dem das Recht des einzelnen Individuums gegenüber der Gemeinschaft thematisiert wird. Damit wird ein Moment expliziert, das im Herr-Knecht-Verhältnis noch ganz implizit bleibt. Weil der gesellschaftliche Organismus nur Existenz hat, insofern der Knecht sich unterworfen hat, fällt das Sein seines Selbstbewusstseins nicht mit seiner Rolle im Arbeitssystem zusammen. Der Knecht ist wesentlich frei und hat sein eigenes, besonderes Recht als einzelnes Individuum. Vom Gesichtspunkt des Staates her hat nicht das Individuum, sondern nur der Bürger Rechte. Die Individuen sind Mitglieder der Familien, die von den Bürgern repräsentiert werden. Die Familienmitglieder sind sozusagen die Knechte, die im Dienst ihres Herrn (des Bürgers) arbeiten. Als diese "Knechte" sind die Familienmitglieder an ihre Rolle gebunden und nicht imstande, ihr Recht als einzelnes Individuum zur Geltung zu bringen. Unter den Bedingungen der Polis können die Familienmitglieder sich nur mit ihrem Tode von ihrer Rolle emanzipieren. Das Recht der einzelnen Individuen lässt sich daher nicht von ihnen selbst, sondern nur von den anderen Familienmitgliedern ausüben: das göttliche Gesetz betrifft den Schatten des Toten, der von den lebenden Familienmitgliedern geehrt und an den erinnert wird. Derrida hat deshalb insofern Recht, dass eine freie Anerkennung als einzelnes Individuum zwischen lebenden Familienmitgliedern in der Polis nicht möglich ist. Dazu ist ein Kampf (oder ein Wettbewerb) zwischen Familien nötig, die die Individuen in den Stand versetzt, sich von ihrer Gebundenheit an die Tradition zu emanzipieren. Die genannte Unmöglichkeit betrifft auch das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester. Deshalb schreibt Hegel: "Das Weibliche hat daher als Schwester die höchste Ahndung des sittlichen Wesens" (Hegel, GW 9, 247). Ihr Verhältnis nähert sich einer freien Anerkennung zwischen Individuen noch am meisten an, weil das Blut "in ihnen in seine Ruhe und Gleichgewicht gekommen ist." (Ebd., 247). Die Unersetzlichkeit des Bruders bezieht sich nicht auf die empirische Unmöglichkeit, einen neuen Bruder zu bekommen, sondern auf den absoluten Wert, den er als freies Individuum hat.
5. Adorno Nach Adorno hat "Hegel [...] gelehrt, daß die Bedeutungen der Begriffe [...] ,bewegt' werden sollen." (Adorno 1971, 67). Damit überantwortet sich die Philosophie der "unvermeidlichen Differenz des Begriffs von dem, was er ausdrücken soll." (Ebd., 68). Mit dieser Bewegung wünscht Hegel "die Kantische Trennung von Form und Inhalt" zu beseitigen [...]" (ebd., 56); ,,[ ] seine Polemik gegen Kants Lehre von der Unerkennbarkeit des Dinges an sich [ ] ist eines der tiefsten [...] Motive seiner Philosophie." (Ebd., 62). Hegels Dialektik ist die Bewegung, in der Form und Inhalt aufeinander bezogen werden: "Der Nerv der Dialektik als Methode ist die bestimmte Negation. Sie basiert auf der Erfahrung der Ohnmacht von Kritik, solange sie im Allgemeinen sich hält, etwa den kritisierten Gegenstand erledigt, indem sie ihn von oben her einem Begriff als dessen bloßen Repräsentanten subsumiert." (Ebd., 76).
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Für die dialektische Erfahrung "gibt es [...] nichts, was nicht ,vermittelt' wäre [...]" (ebd., 56). Alles, was unmittelbar zu sein scheint, erfährt sie als durch Negation bestimmt. Adornos Kritik an Hegel ist, dass dieser nichtsdestoweniger meint, dass "Sache und Begriff am Ende eins seien" (ebd., 67), nämlich wenn der Begriff (auf der Ebene des absoluten Geistes) seinen Gegenstand als die Totalität der Vermittlungen fasst, als "die metaphysische Konzeption des versöhnten Ganzen als des Inbegriffs aller Widersprüche [...]" (ebd., 74). In diesem Ganzen hat sich, nach Adorno, fiir Hegel das Ding an sich als gesellschaftliche Totalität enthüllt. Diese "logisch-metaphysische Theorie von der Totalität" (ebd., 75) macht Hegels Philosophie "apologetisch" (ebd., 81). Sie verneint das "Prinzip der Herrschaft": "Nur durch ihre Spaltung in die einander entgegengesetzten Interessen der VerfUgenden und der Produzierenden hindurch hat die Gesellschaft sich am Leben erhalten, sich erweitert reproduziert, ihre Kräfte entfaltet." (Ebd., 75). Wirklichkeit und Vernunft lassen sich nicht identifIZieren (ebd., 81). Um Adornos Deutung des HegeIschen Erfahrungsbegriffs zu prüfen, ist es einleuchtend, den Übergang des Selbstbewusstseins ins Herr-Knecht-Verhältnis in Begriffen der als bestimmte Negation gedachten Erfahrung zurückzunehmen. Der ,Begriff des Selbstbewusstseins ist die subjektive Gewissheit, das absolute Wesen der Wirklichkeit zu sein. Das Andere (die Natur) ist daher unwesentlich. Dieser ,Begriff ist seinem ,Gegenstand' jedoch nicht gemäß, denn das Selbstbewusstsein ist körperlich und deshalb sterblich: der Gewissheit des Selbstbewusstseins wird durch die absolute Macht des Todes widersprochen. Dies führt zur ScWussfolgerung, dass sich das Sein des Selbstbewusstseins nicht in unmittelbarem Verhältnis zur Natur denken lässt. Die bestimmte Negation dieser Seinsbestimmung des Selbstbewusstseins (die Todesangst) gibt jedoch zugleich die Hinweise, wie die Negation sich aufheben und das Sein des Selbstbewusstseins sich doch noch denken lässt, nämlich in einem Verhältnis zur Natur, in dem das Selbstbewusstsein nicht nur subjektiv (innerlich) das absolute Wesen ist, sondern auch objektiv. Das Sein des Selbstbewusstseins lässt sich nur im Verhältnis zum Herrn denken. Denn der Herr ist das reine, allgemeine Selbstbewusstsein, das objektiv, vermittelt durch die Arbeit der Knechte, das absolute Wesen der Natur ist. Die "Supposition von Erfahrung als eine Weise des Seins" (ebd., 53), Adornos Kritik an Heideggers Hegel-Deutung, zeigt sich gar nicht mit Hegel unvereinbar. Das HerrKnecht-Verhältnis expliziert, wie das Sein des Selbstbewusstseins sich nur als "Geist" denken lässt, nämlich als das allgemeine reine Selbstbewusstsein (der Herr), das von allen (den Knechten) als absolutes Wesen anerkannt wird. Erst auf der Ebene des absoluten Geistes lässt sich der Geist jedoch als eine adäquate Einheit denken. Aber diese adäquate Einheit, in der sozusagen Begriff und Gegenstand in Einheit gedacht werden, hat nichts mit einer versöhnten, gesellschaftlichen Totalität zu tun, die die unversöhnte Wirklichkeit einer Klassengesellschaft verhüllt. Auf der Ebene des absoluten Geistes lässt sich überhaupt erst denken, wie sinnvoll (ohne Widersprüche) über Wirklichkeit (also auch über die Wirklichkeit einer Klassengesellschaft) gesprochen werden kann, weil dem Sein des Selbstbewusstseins nicht
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länger vom Sein eines Gegenstandes widersprochen wird. Erst auf der Ebene des absoluten Geistes lässt sich der Gegenstand als solcher denken. Adorno hat Unrecht, wenn er behauptet, dass mit dem absoluten Geist "keine Differenzbestimmung überlebt" (ebd., 66). Es ist vielmehr Adorno selbst, der mit seiner Identifikation von absolutem Geist mit einer versöhnten gesellschaftlichen Totalität die wesentlichen Hegeischen Differenzen vernachlässigt: die Differenz zwischen absolutem und objektivem Geist sowie die Differenz zwischen dem objektiven Geist und einer konkreten, historischen Gesellschaft. Auf der Ebene des absoluten Geistes lässt sich gerade erst formulieren, dass ein endlicher, wirklicher Gegenstand keine absolute Einheit hat und deswegen notwendig mit Differenzen verbunden ist. Endliche Gegenstände, wie historische Gesellschaften, können ihre Einheit nach Hegel nur anstreben, niemals völlig erreichen.
6. Habermas Habermas fUhrt Hegel als einen Philosophen ein, der seine Kritik an Kants subjektivem Idealismus mit einer Kritik der Modeme verbindet: denn beide werden durch "das Prinzip der Subjektivität" getragen (Habermas 1985, 33). Dieses Prinzip verweist auf eine "Struktur der Selbstbeziehung", d.h. auf eine "Beziehung eines sich zum Objekt machenden Subjekts." (Ebd., 39). Diese "Entzweiung" (ebd., 32) zwischen Subjekt und Objekt entlarvt "das Prinzip der Subjektivität als eines der Herrschaft." Der zum Objekt gemachte Mensch wird "unterdrückt - oder er muss Natur zu einem Objekt machen und unterdrücken." (Ebd., 39). Um die Herrschaft dieser Entzweiung zu überwinden, versucht Hegel, "die Vernunft als versöhnende Macht" (ebd., 33) zu denken. Dabei unterscheidet Habermas zwei Stadien in Hegels Philosophieren: einerseits das Stadium der frühen Schriften (an der Polis und dem Urchristentum orientiert), in dem Hegel "mit der versöhnenden Kraft einer Vernunft [operiert], die sich nicht bruchlos aus Subjektivität herleiten lässt" (ebd., 39), andererseits das (sich auf die Modeme richtende) Stadium, in dem Hegel "hinter die Intuitionen seiner Jugendzeit zurück[fällt]: er denkt die Überwindung der Subjektivität innerhalb der Grenzen der Subjektphilosophie." (Ebd., 33). Das erste Stadium erläutert Habermas an Hegels "Modell der als Schicksal erfahrenen Strafe." (Ebd., 40). Ein Verbrecher, der das sittliche Leben zerstört, "erfährt die Macht des durch seine Tat entfremdeten Lebens als feindliches Schicksa1." (Ebd., 40). Die Versöhnung mit diesem Schicksal ist möglich, insofern der Verbrecher die feindliche Macht wiedererkennt als die sittliche Totalität und versteht, dass das feindliche Schicksal eigentlich sein eigenes Wesen ist, das sich gegen ihn kehrt, weil er selbst sich von ihm abgespalten hat. Diese "Dynamik des Schicksals" lässt sich nicht "aus dem Prinzip der Subjektivität herleiten." (Ebd., 41). Sie resultiert vielmehr aus einem Prinzip der Intersubjektivität: "aus der Störung der Symmetriebedingungen und der reziproken Anerkennungsverhältnisse eines intersubjektiv konstituierten Lebenszusammenhangs [...]" (ebd., 41). Im zweiten Stadium wird die versöhnende Macht als das Absolute gedacht, als das konkret Allgemeine, das alle Entzweiungen als Momente in sich umfasst:
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"An die Stelle der abstrakten Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem setzt Hegel deshalb die absolute Selbstbeziehung eines aus seiner Substanz zum Selbstbewußtsein gelangenden Subjekts, das die Einheit wie die Differenz des Endlichen und des Unendlichen in sich trägt." (Ebd., 46). Die Denkfigur eines als "unendliche Subjektivität" gedachten Absoluten, kehrt sich auf der Ebene der Sittlichkeit gegen die Subjektivität der einzelnen Individuen: ,,[...] aus dieser Logik [ergibt sich] der Vorrang der höherstufigen Subjektivität des Staates vor der subjektiven Freiheit des Einzelnen." (Ebd., 53). Das oben erörterte Selbstbewusstsein der Phänomenologie lässt sich als eine Konkretisierung des "Prinzips der Subjektivität" wiedererkennen. Es unterdrückt die zum Objekt gemachte Natur, wenn es seine Bedürfnisse befriedigt, oder es wird selbst, in Todesangst, durch die zum Objekt gemachte Natur unterdrückt. Aber der Versuch, diese Entzweiung zwischen Subjekt und Objekt zu überwinden, entspricht hier keineswegs den beiden Alternativen, die Habermas präsentiert, d.h. einer Überwindung mit dem Prinzip der Subjektivität oder der Intersubjektivität. Es stellt sich vielmehr heraus, dass die vermeintlichen Alternativen in Wirklichkeit zwei Seiten einer und derselben Lösung sind. Die mit dem Prinzip der Subjektivität verbundene Trennung ist rur Hegel keine Entzweiung der Wirklichkeit (der Modeme), sondern die begriffliche Entzweiung einer falsch verstandenen Wirklichkeit: das Sein des Selbstbewusstseins lässt sich nicht als ein Subjekt denken, das von seinem Objekt entzweit ist. Das Sein des Selbstbewusstseins lässt sich nur als Geist verstehen, d.h. gemäß dem Prinzip der Intersubjektivität. Die unmittelbare Realisierung des Geistverhältnisses, das Herr-Knecht-Verhältnis, wird in der Phänomenologie erst zum "wahren" Geist der Polis und am Ende zur unendlichen Subjektivität des absoluten Geistes entwickelt. Die unendliche Subjektivität ist keine Alternative rur das Prinzip der Intersubjektivität, sondern vielmehr dessen adäquater Begriff. Die Modernität wird nicht im Gegensatz zur Polis verstanden, sondern vielmehr als die nähere Explizierung ihres Freiheitsbegriffs.
7. Sartre Nach Sartre ist es Hegels geniale Eingebung, dass "er mich in meinem Sein vom Anderen abhängen lässt. Ich bin, sagt er, ein Sein rur sich, das nur durch einen Anderen rur sich ist."7 Die Kehrseite dieser Überwindung des Solipsismus ist jedoch die Gleichsetzung von Sein mit Erkenntnis (Sartre 1943, 285): ,,[...] Erkenntnis [ist] noch immer Maß des Seins und Hegel bildet sich sogar nicht ein, dass es ein Sein für den Anderen geben kann, das sich am Ende nicht auf ein Objekt-Sein reduzieren lässt. ,,8 Dieser "absolute Idealismus" (ebd., 284) hat zwei "Verfehlungen" (ebd., 285) zur Folge: einerseits einen epistemologischen und andererseits einen ontologischen Optimismus.
"de me faire dependre de I' autre en mon eIre" (Same 1943,282 ; D1. vom Verf.). "C' est encore la connaissance qui est ici mesure de l'etre et HegeI ne con90it meme pas qu'etre-pourautrui qui ne soit pas finalement reductible a un ,etre-objet'" (ebd., 283). 7
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Hegels epistemologischer Optimismus lässt sich jedoch keineswegs, wie Sartre meint, am Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes belegen. Das Unvermögen des Selbstbewusstseins, seine subjektive Gewissheit (das absolute Wesen zu sein) im unmittelbaren Verhältnis zur Natur aufrechtzuerhalten, bringt gerade die Widerlegung des epistemologischen Optimismus zum Ausdruck. Hegels These, dass das Sein des Selbstbewusstseins das Herr-Knecht-Verhältnis voraussetzt, besagt, dass das Selbstbewusstsein seine Wahrheit nur in einem allgemeinen, institutionellen Selbstbewusstsein (dem Herrn) hat. Das Sein des Herrn zeigt sich praktisch in der Arbeit des Knechts (bzw. der Knechte). Denn in dieser Arbeit stellt sich objektiv (praktisch) heraus, dass das Handeln des Knechts nicht durch die Natur bestimmt, sondern wesentlich frei ist: in dieser Arbeit zeigt sich der Knecht imstande, sich irgendeiner gesellschaftlichen Ordnung zu unterwerfen. Sartre hat Recht, wenn er behauptet, dass das Bewusstsein, bevor es anerkannt wird, "immer schon da war".9 "Das Bewusstsein ist ein konkretes Sein sui generis, nicht ein abstraktes, unerklärbares Gleichheitsverhältnis".IO Aber das konkrete Individuum, das Sartre hier vor Augen hat, ist in der Phänomenologie des Geistes erst thematisch, wenn das Herr-Knecht-Verhältnis sich auf der Ebene der Moralität zu einem Verhältnis zwischen moralischen Subjekten entwickelt hat. Das allgemeine Selbstbewusstsein, das vom Herrn repräsentiert wird, ist keine Allgemeinheit, die als die Intersubjektivität selbstständiger Individuen gedeutet werden kann. Thematisch sind die Bedingungen, unter denen das Sein des Selbstbewusstseins sich überhaupt denken lässt. Diese Bedingungen müssen deshalb immer schon erfiillt sein in einem Gespräch zwischen wirklichen Individuen. Für ein solches Gespräch können in der Tat Sartres Qualifizierungen akzeptiert werden: "der Andere ist nicht fiir sich, wie er mir erscheint, ich erscheine nicht mir, wie ich rür den Anderen bin".l1 Hier verlieren die Subjekte nicht die Innerlichkeit des cogito. Die Allgemeinheit des Selbstbewusstseins des Herrn bringt nur diejenige Allgemeinheit zum Ausdruck, die mit der Zugehörigkeit einer geteilten Gesellschaftsordnung gegeben ist, ungeachtet des spezifischen traditionellen Inhalts dieser Ordnung oder ungeachtet des spezifischen Gewissensinhalts der Individuen dieser Ordnung. Ein ontologischer Optimist ist Hegel nach Sartre, weil er die vielen Selbstbewusstseine als Momente einer Totalität versteht: "Denn die Selbstbewusstseine sind Momente des Ganzen, Momente die an sich unselbstständig sind, und das Ganze ist der Mittler zwischen den Bewusstseinen."12 Sartres Einwand lautet: "ich kann mich nicht im Ganzen niederlassen, um mich und die anderen zu betrachten."13 Diese Betrachtungsweise meint, die Innerlichkeit der anderen
"la conscience etait lil avant d' etre connue" (ebd., 284). "En un mot la conscience est un etre concret et sui generis, non une relation abstraite et injustifiable d'identite" (ebd., 284). 11 "autrui n'est pas pour soi comme il m' apparaH, je ne m' apparats pas comme je suis pour autrui" (ebd., 287). 12 "Car les consciences sont des moments du tout qui sont, par eux-memes, ,unselbständig', et le tout est mediateur entre les consciences." (Ebd., 288). 9
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cogito überwinden zu können, aber begründet seine Möglichkeitsbedingungen nicht: "faktisch hat [Hegel] sein eigenes Bewusstsein vergessen."14 Aber auch diese Kritik an Hegel kann ihre Argumente schwerlich der Phänomenologie des Geistes entlehnen: Nicht nur, weil gerade der ganze methodologische Aufbau des Werkes sich daraufrichtet, den inneren Zusammenhang der betrachteten Bewusstseinsformen mit dem (d.h. Hegels) philosophischen Bewusstsein zu entwickeln, sondern vor allem, weil es vielmehr Sartre selber ist, der "sein eigenes Bewusstsein vergisst". Wenn Sartre eine Vielheit von Selbstbewusstseinen mit jeweils ihrer eigenen Innerlichkeit voraussetzt, entspricht seine Betrachtungsweise eigentlich einer Position, die sich im Ganzen niedergelassen hat. Zwar nicht in einer Position des Ganzen, in der die vielen Selbstbewusstseine zu unselbstständigen Momenten einer Totalität gemacht werden, sondern in einer Position, in der die vielen Selbstbewusstseine als solche, d.h. in ihrer eigenen Endlichkeit verstanden werden. Es ist diese Position, die Hegel, im Gegensatz zu Sartre, versucht zu begründen und es ist diese Totalität, die Hegel vor Augen hat, nicht der Begriff der Totalität, den Sartre Hegel zuschreibt.
8. Levinas Obwohl Levinas sich in den Abschnitten 5 und 6 der Sektion 11 D von Totalite et Infini 15 nicht explizit mit Hegels Herr-Knecht-Verhältnis auseinandersetzt, erörtert er hier eine Problematik, die sich mit diesem Verhältnis vergleichen lässt. Im Mittelpunkt steht eine Beziehung zur Natur, die als Arbeit verstanden wird. Genau wie HegelIegt Levinas dar, dass Arbeit sich nicht als ein unmittelbares Verhältnis zur Natur denken lässt, sondern vielmehr durch eine Beziehung zu einem Anderen vermittelt ist, nämlich durch einen "Herrn". Levinas entwickelt seinen Begriff der Arbeit aus der zeitlosen "Souveränität des Genusses"16 heraus. Der Akt des Genießens, der durch das als Körper verstandene Leben vollzogen wird, ist wesentlich zweideutig: der "Umschlag vom Körper-als-Herrn in Körper-als-Knecht"l? ist immer möglich. Das Genießen ist ein "getrenntes Existieren, das seine Unabhängigkeit in der glücklichen Abhängigkeit vom Bedürfnis bekräftigt",18 es ist ein ,,Bei-sich-Sein in etwas Anderem als sich selbst". 19 Das unmittelbare Verhalten des Genießens ist der Ausgangspunkt fur die Entwicklung eines in sich reflektierten Verhältnisses:
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"Je puis [...] pas m'etablir en ce Tout pour me contempler et contempler autrui." (Ebd., 289).
14 "En fait, il a oublie sa propre conscience." (Ebd., 289). 15
Levinas 1974.
16 "La souverainete dejouissance" (Levinas 1974, 138; Dt. vom Verf.). 17
"inversion du corps-maHre en corps-esclave" (ebd., 138).
18 "existence separee qui affirme son independance dans l'heureuse dependance du besoin." (Ebd., 139). 19 "Etre chez soi en autre chose que soi" (ebd., 139).
Hat Hegels Subjektbegriff das 20. Jahrhundert überlebt?
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,,Als ob sich in der Vibration des getrennten Existierens wesentlich ein Knotenpunkt entwickelt, wo eine Begegnung zwischen einer Bewegung von Verinnerlichung und einer Bewegung von Arbeit und Erwerbung stattfindet".20 In dieser Bewegung von Verinnerlichung bringt der Körper sich als Bewusstsein zum Ausdruck: nicht als ein Bewusstsein, das sich außerhalb oder oberhalb der Natur "befindet", sondern als ein Bewusstsein, das in der Wohnung seinen Ort hat. Der Körper, der sich eine Wohnung errungen hat, hat damit "die Unsicherheit des Lebens"21 überwunden. Weil er in seiner Wohnung "zu Hause ist"22, hat er zugleich ein Bewusstsein der äußeren Natur. Dieses Bewusstsein hat einerseits das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit, "die Ahnung des Todes"23 zur Folge, aber es ist zugleich mit "dem fortwährenden Aufschub des Todes"24 verbunden. Weil das unmittelbare Verhältnis zur Natur mit dem Bewusstsein überwunden ist, eröffnet sich die Möglichkeit, die Natur zu bearbeiten: ,,Arbeiten meint: die Verfallsfrist verlängern".25 Der Doppelsinn, den Levinas dem Genießen beimisst, lässt sich in einer bestimmten Form im Bewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes wiederfinden. Als Begierde kann das Selbstbewusstsein nur existieren, insofern sein Körper Herr der äußeren Natur ist. Aber der Körper ist sterblich und am Ende deshalb Knecht des Todes. Das Sein des Selbstbewusstseins setzt also ein reflektiertes Verhältnis zur Natur voraus: ein Verhältnis der Arbeit. Hegels Verständnis dieses Arbeitsverhältnisses zeigt große Verwandtschaft mit Levinas' Sicht. Auch Hegels "Knecht" ist in "eine Wohnung eingekehrt", nämlich in den Institutionen eines Arbeitssystems. Und auch Hegel verbindet diese Einkehr mit einer Ahnung des Todes (nämlich der Todesangst), die in der Arbeit zugleich die Form eines Aufschubs des Todes bekommt. "Arbeit ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden" (Hegel, GW 9, 115): in der Arbeit wird der Kampf des Naturzustandes, der Kampf auf Leben und Tod, ,aufgehalten'. Für Hegel hat es offenbar keinen Sinn, die Arbeit des Knechts außerhalb seiner Relation zum Herrn zu betrachten. Aber auch Levinas betont, dass die Einkehr in die Wohnung "die Beziehung zu einem Anderen, zum Unendlichen".26 voraussetzt. Und auch Levinas bezeichnet den Anderen als den Herrn. 27 Es fragt sich dabei, ob beide Denker denselben Begriff des Herrn vor Augen haben. Levinas nennt die Beziehung zum Anderen "die Transzendenz",28 sie bewirkt "einen Riss im Gewölbe der Totalität",29 sie ist
20 "Comme si, dans la vibration de I'exister separe, se produisait essentiellement un noeud Oll se rencontrent un mouvement d'interiorisation et un mouvement de travail et d'acquisition" (ebd., 137). 21 "l'insecurite de la vie" (ebd., 139). 22 "est chez elle" (ebd., 139). 23 "La conscience de la mort" (ebd., 139). 24 "la conscience de l'ajoumement perpetuel de la mort" (ebd., 139). 25 "Travailler, c'est retarder sa decheance." (ebd., 140) . 26 "la relation avec l'Autrui, avec l'infini" (ebd., 141). 27 "maHre", "maitrise" (ebd., 146). 28 "la transcendance" (ebd., 148). 29 "creve le plafond de la totalite" (ebd., 146).
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Paul Cobben
"fundamental friedlich"30 und "ohne irgendeine Grenze oder Negativität" vollzieht sie sich "in der Sprache".31 Für einen tiefgehenden Vergleich mit Hegels Begriff des Herrn fehlt hier der Raum; aber oben haben wir zumindest gesehen, dass auch Hegels "Herr" sich mit "Transzendenz" (Überwindung der Naturverhältnisse), "einem Riss im Gewölbe der Totalität" (in der Todesangst sind alle Bindungen mit dem faktischen Leben losgerissen worden), "Frieden" (Aufhebung des Kampfes auf Leben und Tod), ,,Aufhebung der Grenze oder der Negativität" (nämlich in der Positivität der Anerkennung) verbinden lässt. Bei aller möglichen Verwandtschaft zwischen Hegel und Levinas ist klar, dass ein wesentlicher Unterschied bestehen bleibt: Für Levinas ist der Andere ein konkretes Individuum, zu dem ich mich in einer wesentlich asymmetrischen Beziehung befinde. Für Hegel dagegen sind die konkreten Individuen auf der Ebene des Herr-KnechtVerhältnisses systematisch noch nicht thematisch; und wenn sie thematisch sind (auf der Ebene der Moralität), verhalten sie sich symmetrisch zueinander. Aber gerade dieser Unterschied könnte Hegel zu einem wertvollen Gesprächspartner für Levinas machen: die asymmetrische Beziehung zum Anderen bleibt problematisch genug.
9. Schlussfolgerung Ich habe Hegels Subjekt-Begriff am Herr-Knecht-Verhältnis erläutert und mit sechs Denkern konfrontiert, die zu den bedeutendsten Köpfen des zwanzigsten Jahrhunderts gerechnet werden können. Jeder Denker hatte seinen zentralen Einwand gegen Hegel: Heidegger kritisiert Hegels Zeitbegriff, der sich primär im Rahmen der Naturphilosophie aufhalten würde; Derrida meint, dass Hegel ein situiertes Verhältnis zwischen Bruder und Schwester verabsolutiert; Adorno sieht bei Hegel am Ende alle Differenzen aufgehoben; Habermas vermisst ein Paradigma der Intersubjektivität; Sartre bemerkt eine Identifikation zwischen Sein und Erkennen; und Levinas zählt Hegel zu den Philosophen, die keine wirkliche Transzendenz denken. Keiner dieser Einwände lässt sich in der Auseinandersetzung mit dem Herr-Knecht-Verhältnis ohne weiteres bestätigen; Hegels Subjektbegriff ist bei weitem nicht tot.
Literaturverzeichnis Adomo, T. (1971), Erfahrungsgehalt, in: Drei Studien zu Hegel, Frankfurt/M. Cobben, P. (1999), Das endliche Selbst. Identität (und Differenz) zwischen Hegels "Phänomenologie des Geistes" und Heideggers "Sein und Zeit", Würzburg. Derrida,1. (1974), Glas, Paris. Habermas, 1. (1985), Der philosophische Diskurs der Modeme, Frankfurt/M. Hegel, G.W.F., Gesammelte Werke, Hamburg 1968 ff. (= GW). Heidegger, M. (1988), Hegels Phänomenologie des Geistes, in: Gesamtausgabe, Bd. 32, Frankfurt/M. Levinas, E. (1974), Totalite et Infini, 1974. Sartre, 1.-P. (1943), L'Etre et le neant. Essai d'ontologie phenomenologique, Paris.
30 "foneierement paeifique" (ebd., 146). 31 "sans frontiere ou sans negativite aueune elle se produit dans le langage." (ebd., 147).
Personenregister
Acri, F. 18,20,26 f. Adorno, Tb.W. 291 ff, 302 f, 310, 317 ff, 324 Algozin, K.W. 2 Allison, H.E. 162 Ameriks, K. 164 Anaxagoras 25, 61 Anselmus 97 f., 164 Archimedes 28 Aristoteles 18,25 f., 46 ff., 58 f., 74,79 ff,87, 131, 142,283,293 Arndt, A. 302 Arnow, L. 103 Ashby, W.R. 280 Aubenque, P. 62 Augustinus 88 Bacon, F. 26,39, 91,131,137 f. Barrow, 1.D. 268 Bartuschat, W. 105, 107, 110, 139 Bataille, G. 303, Bauch, B. 248 f., 250 f., 254 ff., Baudrillard, J. 292 Baum, M. 157,204 Baumanns, P. 176 Baur, Ch. 18,21,28 Bayertz, K. 283 f. Beaufret, 1. 298 Beelmann, A. 16 Beierwaltes, W. 70, 72, 76 f., 81, 103 Bensch, H.-G. 219 Berkeley, G. 38 f., 131 ff., 271, 310 Berry, ChrJ. 134 Berti, E. 48 Bichat,1.F. 197 Bickmann, C. 70 Bird, G. 154 Bloch, E. 41 f., 241, 303 Blumenbach, 1.F. 197 Bohlen 24
Böhme, G. 303 Böhme, H. 303 Böhme, 1. 26, 105 Bondeli, M. 151 f., 181, 268 Bonsiepen, W. 277, 285 Bormann, M. 264 Bourgeois, B. 88 f. Bouterwek, F. 39 f., 51 Bowman, B. 134 Brachtendorf 179 Braßel, B. 264 Braun, L. 34, 85 Breazeale, D. 171, 176 Brecht, M. 174 Breidbach, O. 277, 282 Bronger, P. 263 Brown, J. 197 Brocker, J. 84 f. Brüggen, M. 204 Bruno, G. 17, 26 f., 105 Bubner, R. 75 Buhle,1.G. 143 Bulis 214 Burbidge,1.W. 282 Butler, 1. 305 Caponigri, A.R. 42 Carove, W. 86 Casaubonus 64 Cassirer, E. 262 Chiereghin, F. 52, 102, 277 Cobben, P. 397 Cohen, H. 255 f. Cohn, 1. 248 f., 251 f, 254 f., 257 Condillac, E. de 86 Cornford, F.M. 51 Cousin, V. 27, 86 f., 97 f., 125 Cramer, K. 102, 105 Crick, J. 285 Cudworth, R. 41
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Personenregister
Darwin, Ch. 278 Deleuze, G. 292, 298 ff., 303 f. Demokrit 24 Derrida, J. 292,294, 301 ff., 306, 310, 316, 324 Descartes, R. 17, 25 f, 38, 41, 84 ff., 104, 106 f, 114, 117, 129, 132, 141 f, 164,168, 220,261,263,284 f, 309 f Desfontaines 85 Desmond, W. 41 Diez, I. 174, 181 Diogenes Laertius 48 Dixsaut, M. 54 Drees, M. 277 Drilo, K. 219 Duquette, D.A. 2, 133 Düsing, K. 2, 16, 32, 34 f., 42, 48 ff., 53 f, 59,62, 64, 65 f., 70 fI, 78, 84, 87, 91, 96, 102,150 f., 153, 158, 160, 167, 191,211 f., 222 Duso, G. 52, 54 Ebbinghaus, J. 241 Edel, G. 255 f Ehrhardt, W.E. 16, 18 Einstein, A. 266, 345 Engelhard, K. 159, 162, 167 Engelhardt, D. v. 263 Erasmus 64 Erdmann, J.E. 16 f, 21, 28, 86 Euler, L. 250 Falke, G.-H. 219 Falkenburg, B. 266, 273, 275 Ferguson, A. 134 Ferrarin, A. 62 Ferrini, C. 267 Fevrier, N. 274 Fichte, J.G. 25, 38 f., 40, 89, 96, 121 f., 152, 155f., 159, 161, 171 ff., 176, 184, 193ff., 203,205,207,210,216,261,271 Ficino, M. 53, 55 Findlay, F.N. 52, 54,280 Fiorentino, F. 20, 27 Fischer, K. 27,39 ff., 241
Flach, W. 241 f., 244 Flatt, J.F. 172 f, 176 f, 180 ff. Fonfara, D. 58 f. Fomari 26 Foucault, M. 292,294,301,303 Franz, M. 177 Frede, M. 59 Freud, S. 300, 303 f. Fries, J.F. 39 f., 51,221 Frigo, G.F. 279 Fujita, W. 204 Fulda, H.-F. 7, 90, 110, 138,241 Fülleborn, G. 85 f., 110 Gadamer, H.-G. 52, 54, 65, 241,265 Galilei, G. 28 Gallupi 27 Garve, Chr. 181 Gassendi, P. 91 Gawoll, H.-J. 204, 219 ff., Geldsetzer, L. 16, 18 Gilson, E. 88 Gioberti 26 f. Giovanni, G. di 231 Glockner, H. 240, Göschel, C.F. 228 Gramm, G. 303 Greene, B. 272 Griffoen, S. 33, 42 Grimmlinger, F. 266 Grotius, H. 38 Guenard 85 Gueroult, M. 102, 167 Guyer, P. 160 Habermas, 1. 290, 294, 302, 310, 319 f., 324 Hagmann, M. 88 Halbig, Chr. 2, 220, 263 Halfwassen, 1. 70 ff., 98 ff. Haller, C.C. 197 Hampshire, S. 107 Harris, E.E. 103,277, 280 Hartmann, K. 244 Hartmann, N. 62
Personenregister Hartnack, J. 154 Haym,R.33 Heidegger, M. 291,295 ff., 306, 310, 314 f,318,324 Heidemann, D.H. 2, 71, 134 ff., 147,267 Heindorf 51 Helvetius, C.A. 38,41 Henkelmann, A. 197 Henrich, D. 172,174,179,181,188,191, 222, Heraklit 8, 19,23 f., 34 Heumann 34 Hobbes, Tb. 38 f., 91, 107, 143 Höhn, G. 204,219 Höhne, H. 131, 133, 188 Hölderlin, F. 159,179 f. Holzhey, H. 241 Homann, K. 231,233 Honigsheim, P. 241 Horkheimer, M. 294 Horstmann, R.-P. 219 Hösle, V. 70 f., 103, 263 ff., 272 f., 277 f, 283 Hotho, G. 17,97 Hufeland, G. 172 Hume, D. 114,131 ff, 183 ff, 154, 156, 261,310 Husserl, E. 272, 310 Ihmig, K.-N. 274 Illetterati, L. 275, 277 Illies, C. 278 Irigaray, L. 292, 303 ff., Jacobi, F.H. 97, 102, 111, 135, 155, 162 f, 173,203 ff, 216, 218 fI, Jaeschke, W. 38 ff., 90, 95, 102, 191f., 204,216,218,220,222, Jamme, Chr. 204 Janich, P. 272 Jaspers, K. 306 Jonas, H. 283 Jonkers, P. 204,219,220 ff., 228 Kaehler, K.E. 118,122,139, 177 Kahlefeld, S. 230
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Kalenberg, T. 265, 277 Kamp, H. van 292 Kant, I. 11, 16, 18, 22, 25, 27 f, 38 f, 40, 53,58,65, 82, 89, 96, 102, 114, 120, 131 f., 172, 135 f., 143, 146 f., 150 ff., 172 f., 175, 179, 180, 182 ff., 203, 205, 207, 209 f., 216, 218, 221, 223 ff., 229,233,240 ff., 261,268,272 f., 285, 310, 317, 319 Kern, W. 62 Kimmerle, H. 292, 302, 306 Kirschner, O. 203 Kluit, P.M. 275 Klüpfel, F.A. 173 Kobayashi, A. 220 Koch, A.F. 179,220 Kofman, S. 292 Köhnke, K.-C. 23 Koslowski, P. 291 Krämer, H. 18 Krämer, H~1. 58 Krijnen, Ch. 2,5, 16,33,240 ff. Kristeva, J. 292 Kroner, R. 40,240 f, 244 Krug, W.T. 39 f., 51, 133 Künne, W. 52 f. Kym, A. 18, 23 ff. Latour, B. 291 Leibniz, G.W. 25,38,60,89,96,97 f., 106, 114, 116 ff., 139,268,272 f., 275 Lembeck, K.-H. 241,255, Leukipp 24 Leutwein, Chr.P.F. 172 Levinas, E. 292, 301, 310, 322 ff. Levy, H. 241 f. Llewelyn, 1. 167 Locke, 1. 26, 38 ff, 94, 98, 106, 114, 131 ff., 138 ff., 143 f., 154,310 Löw, R. 291 Löwith, K. 35 f. Lübbe, H. 16 f. Lucas, H.-C. 104 Lukacs, G. 133 f., 241 Lullus, R. 105 Luther 105
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Personenregister
Lyotard,1.-F. 291 f., 294, 303 Macherey, P. 103, 105 f. Magendie 197 Malabou, C. 301 Malebranche, N. 38, 97, 117 Marck, S. 241 f., 244 Marx, K. 33, 292, 296, 302, 306, Marx, W. 244, 255 f Matheron, A. 108 Matzerath, J. 21 Mbuyi, M. 182 f. Meist, K.R. 220 Mense, A. 263 Mercier, L.-S. 85 f Meyer-Abbich, K.M. 284 Michelet, C.L. 17 f., 24, 28, 35 Milan, R. 71 Monrad, MJ. 21 f. Moretto, A. 272 Morfino, V. 103 Moser, M. 17 Movia, G. 53, 55 Müller, S. 261 Nancy, 1.-L. 292 Natorp, P. 242, 252, 255, Neuser, W. 192,199,201,262 f., 273 Newton,!. 26,96,132,266,273,275,285 Niethammer, F. 179 Nietzsche, F. 294, 296, 298 f., 303, Novalis 39 Nuzzo, A. 102, 135, 139, 160 O'Malley, 1. 2 Palumbo, L. 55 Parmenides 8, 24 f, 26, 48 ff, 55, 66, 70, 78,295,298 Patzig, G. 59 Pätzold, D. 84, 87, 90 f, 103,241, 303 Paulus, H.E.G. 142 Peperzak, A. 40 Petry, MJ. 262 f. Pfaff,1.W.A. 179 Pitt, A. 266
Platon 8, 23 ff., 41 f., 46 ff., 73, 74 f., 76 f., 80,87,98,142,269,295,298,302,304 Plotin 53, 62, 65 f., 70 ff., 87 Pöggeler, O. 203 Popper, K. 270 f, Priest, S. 162 Proklos 53 f., 70, 72, 74, 76, 81, 85, 87 Quante, M. 2, 263, 266 Rapp, Chr. 59 Rapp, G.Chr. 172 ff., 227 Reese-Schäfer, W. 291 Rehberg, A.W. 181 Reichenbach, H. 272 Reid, Tb. 49, 85 ff., 89 Reinhold, K.L. 40, 152, 155, 161, 172 ff., 180 Rickert, H. 240,243 ff., 247, 249 ff., 257 Ried, Tb. 38 Riedl, R. 279 Rodis-Lewis, G. 89 Rosenkranz, K. 21, 133, 139, 151 Rosmini 26 Rousseau,1.1. 302 Rudolphi, M. 192 Rühle, V. 204,219 Sabunde, R. de 26 Samona, L. 62, 65 Sandkaulen, B. 203,219,231 Santi, R. 52 f. Sartre,1.-P. 310, 320 ff., 324 Schelling, F.W.1. 21,25,33,38,40 f, 89, 96, 142, 153, 174, 176, 179, 181 f., 191 ff., 205,212,222,225,262,282,303 Schiller, F. 46 Schlegel, F. 39, 53, 108 Schleiermacher, F. 53, 85 Schmidt, T.M. 173 Schmied-Kowarzik, W. 191,273 Schneider, H. 16 f., 138 Schnepf, R. 102 Schnurrer, Chr.Fr. 172 Scholz, G. 18 Scholz, H. 262
Personenregister
Schulz, E.G. 181 Schulze, G.E. 136 Schütt, H.-P. 84 ff. Schwegler, A. 18, 21 ff., 28 Schweitzer, A. 284 Scruton, R. 32 Sennett, R. 306 Sextus Empiricus 48, 73 Sichirollo. L. 52 f. Siep, L. 2, 134, 143, 263 Smith, A. 134 Smith,1.E. 154 Sokrates 59 Spaemann, R. 291 Spaventa 26 f. Speight, A. 219 Spellman, L. 59 Spertias 214 Spinoza,B.de 17,21,23,25,38,78,84,93 fI,97, 101 fI, 117,129,138,141 f., 164, 206 ff., 212, 216, 222, 236, 309 Stäbler, E. 143 Stekeler-Weithofer, P. 90,266 Stern, R. 162 Stewart, 1. 134 Stolzenberg, 1. 241 f. Storr, G.C. 172, 175, 177, 179 f, 182 f, 187 Süßkind, F.G. 172, 175, 177 ff.
Verra, V. 62 Vieillard-Baron, 1.-L. 52 Vieweg, K. 134 Volkmann-Schluck, K.-H. 264 Vos, L. de 204, 206, 220
Taminiaux, 1. 297 f. Tenneman, W.G. 58 Thales 27, 33 Tiedemann, D. 84 f. Thern, T. 84 f. Theunissen, M. 244 Thomas von Aquin 59 Tiedemann, D. 53, 108 Tilliette, X. 244 Tippler, F.J. 268 Tracey, D. de A.L.C. 197 Trendelenburg, A. 23 f., 28, 56 Trienes, R. 53 Tuschling, B. 120
Yorikawa, 1. 204 Yovel 103
Vaysse, J.M. 103
329
Wagner, H. 242, 305 Wahnser, R. 265 Wallis, R.T. 71 Wandschneider, D. 260 ff., 266 ff., 272 ff., 280 ff. Waszek, N. 134 Watson, 1. 285 Weiss, F.G. 2 Weizsäcker, C.F. v. 267 Wellmer, A. 292, 295, 302 Welsch, W. 291 Westphal, K. 134, 147, 220 WetzeI, M. 271 Wiehl, R. 52,241 Wildfeuer, A.G. 171 Windelband, W. 240, 242, 262 Windisch-Graetz 233 Wirth, U. 20 Wolff, Ch. 38 ff., 102, 114 Wolff, M. 167,281 Wundt,M. 88 Xerxes 214
Zeidler, K.-W. 303 Zeller, E. 18 ff., 22, 27 f. Zenon 47 ff., 63, 65, 78 Zijlstra, C. 85 f., 89, 98 Zizek, S. 300 f.
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