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German Pages 512 [513] Year 2010
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DEUTSCHSPRACHIGE EXILLITERATUR SEIT 1933
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DEUTSCHSPRACHIGE EXILLITERATUR SEIT 1933 BAND 3
USA HERAUSGEGEBEN VON JOHN M. SPALEK, KONRAD FEILCHENFELDT UND SANDRA H. HAWRYLCHAK SUPPLEMENT 1
De Gruyter Saur
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ISBN 978-3-11-024056-6 e-ISBN 978-3-11-024057-3 Library of Congress Control Number: 77455937 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.d-nb.de. © 2010 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / New York Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com
INHALT Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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AUTOREN Franz Blei. Von Ulrich E. Bach (Texas State Univ., San Marcos) . . . . . . . . . . Robert Breuer. Von Katrin Graf (Mainz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Granach. Von Günter Agde (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Hauptmann. Von Paula Hanssen (Webster Univ., St. Louis, MO). Edgar Hilsenrath. Von Susanne Alge (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Kersten. Von Daniel H. Magilow (Univ. of Tennessee, Knoxville) . . . . Raymond Klibansky. Von Regina Weber (Stuttgart) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn. Von Johann Holzner (Univ. Innsbruck) und Christine Riccabona (Univ. Innsbruck) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Lorant. Von Thomas Willimowski (London) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang F. Michael. Von Hans-Bernhard Moeller (The Univ. of Texas, Austin) und Glenn Ehrstine (The Univ. of Iowa, Iowa City) . . . . . . . . . . Franz Molnár. Von Ágnes Széchenyi (Akademie der Wissenschaften, Budapest) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Oeste de Bopp. Von Peter Pabisch (Univ. of New Mexico, Albuquerque) mit Peter Bopp (Lamy, NM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Gunther Plaut. Von James M. Skidmore (Univ. of Waterloo, Ontario, Canada) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Raphael. Von Wulf Köpke (Boston) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Wilhelm Rosenhaupt. Von Armin Wishard (Colorado College, Colorado Springs, CO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagobert D. Runes. Von Ulrich E. Bach (Texas State Univ., San Marcos) . . Egon Schwarz. Von Helga Schreckenberger (Univ. of Vermont, Burlington) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Seidlin. Von Peter Boerner (Univ. of Indiana, Bloomington) . . . . . . . . Gertrude Urzidil. Von Jörg Thunecke (Köln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 14 29 40 53 77 93 125 138 168 180 208 232 249 265 278 295 307 316
DER INTERNATIONALE KONTEXT DES EXILS Zuflucht in den Tropen — Das deutschsprachige Exil in Brasilien. Von Marlen Eckl (Hofheim-Wallau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Budapest—Berlin—New York: Kettenmigration von Ungarn in die Vereinigten Staaten, 1919-1945. Von Tibor Frank (Univ. Budapest) . . .
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THEMATISCHE AUFSÄTZE Nachrichten aus der Zwischenwelt. Die Austro American Tribune, eine österreichische Exilzeitschrift, erschienen in New York. Von Gaby Falböck (Univ. Wien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der European Film Fund (EFF) — Gründung und Geschichte. Von Martin Sauter (Birmingham, England) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419 449
vi Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
INHALT 481 497
VORWORT Der vorliegende Band ist ein erster Supplementband, der das im Jahre 2004 abgeschlossene Nachschlagewerk zur Deutschsprachigen Exilliteratur seit l933: Kalifornien – New York – USA um eine Sammlung neuer Beiträge ergänzt. Er enthält 23 Aufsätze, die teils unter der methodischen Vorgabe der bisher erschienenen Einzelstudien biographische Würdigungen sowohl herausragender, als auch zu Unrecht vergessener, neu entdeckter Persönlichkeiten des amerikanischen Exils darbieten, teils aber ebenso Themen und Fragestellungen erörtern, die über die Betrachtung individueller Einzelschicksale des deutschsprachigen USA-Exils hinaus vor allem sozial- und kommunikationsgeschichtliche Zusammenhänge erschließen. Dabei profitiert auch der vorliegende Supplementband erneut von der Auffindung und Bearbeitung bisher unbekannten Nachlassmaterials aus dem Privatbesitz der Nachkommen einzelner Exilautoren, und es bestätigt die vorliegende Aufsatzsammlung abermals einen Literaturbegriff, demzufolge die Bezeichnung »deutschsprachige Exilliteratur« weiter gefasst und unter Einschluss sowohl von Schriftstellern im engeren Sinn, als auch von Publizisten, Germanisten, Verlegern und Vertreter der deutschsprachigen Kultur im weitesten Sinn verstanden werden soll. Das Gleiche gilt in der vorliegenden Aufsatzsammlung auch für das ungebrochene komparatistische Interesse an Exilliteratur, dem wie in den bisherigen Einzelstudien Beiträge zur ungarischen Emigration und Exilliteratur in den USA gewidmet sind. Neu ist jedoch die geographische Ausweitung über die USA hinaus unter Einschluss Südamerikas mit einem Beitrag zum deutschsprachigen Exil in Brasilien. Was die biographischen Studien dieses Bandes angeht, so handeln etwa sechs Aufsätze von Schriftstellern im engeren Sinne, nämlich von: Franz Blei, Elisabeth Hauptmann, der langjährigen Mitarbeiterin von Bertolt Brecht, Edgar Hilsenrath, der aus den USA nach Berlin übersiedelte, Kurt Kersten, Gertrude Urzidil, und dem ungarischen Dramatiker Franz Molnár. Im weiteren Sinn Schriftsteller oder Publizisten sind: Robert Breuer, Erik von Kuehnelt-Leddihn, der in Ungarn geborene Stefan Lorant, Gunther Plaut, Alexander Granach, dessen Begabung als Schauspieler seinen Ruf als Schriftsteller übersteigt, Max Raphael und Hans Rosenhaupt; der letztere war viele Jahre Präsident der Woodrow Wilson-Stiftung und somit im höheren Bildungswesen in den USA tätig. Germanisten oder Literaturwissenschaftler und als solche auch Autoren sind: Raymond Klibansky, Wolfgang Michael, Marianne Oeste de Bopp, die auch als Übersetzerin deutscher Literatur ins Spanische tätig war, Egon Schwarz und Oskar Seidlin. Dabei ist darauf zu achten, dass Marianne Oeste de Bopp sich vor allem deswegen einen Namen machte, weil sie im Exil die Germanistik an der University of Mexico aufgebaut hat. Aus dem weiteren Umfeld der deutschsprachigen Exilliteratur in den USA kommt einerseits auch der Aufsatz über den aus Czernowitz stammenden Verleger Dagobert Runes, der die bisherige Liste der Exilverleger aus der Studienreihe fortschreibt, und andererseits ein Sammelaufsatz, verfasst von Marlen Eckl, über neun Einzelschicksale von Autoren und Intellektuellen in Brasilien. Zwei Gründe rechtfertigen unseren Entschluss, einen Aufsatz dieser Art in den USA-Band aufzunehmen: unter den neun Autoren sind drei Exilanten, die ihre Exilzeit sowohl in Brasilien als auch in den USA verbrachten: Stefan Zweig, Ulrich Becher und Paul Frischauer. Dazu kommt, wie die Verfasserin ausführt, Heinrich Eduard Jakob mit seinem Roman Estrangeiro. Einwanderer in Brasilien (1951), der das Land Brasilien für seine Generation mitentdeckte. Von den neun Autoren, denen die Verfasserin je einige Seiten widmet,
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wurden allerdings zwei in unserer Reihe schon im Band New York behandelt: Ulrich Becher und Stefan Zweig (II, S. 51-67, 1057-1098). Otto Maria Carpeaux, der Einzige, der brasilianischer Bürger wurde, wurde einer der wichtigsten brasilianischen Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts. Schon in dem zuletzt veröffentlichten Teilband (III, 5) begannen die Herausgeber die nicht nur aus dem deutschsprachigen Gebiet ausgewanderten Exilautoren zu behandeln, sondern auch solche aus Spanien, Frankreich und Italien. In diesem Band rückt als weiteres Ursprungsland in die USA emigrierter Autoren Ungarn ins Blickfeld, einerseits in einem Aufsatz von Tibor Frank mit einem umfassenden Überblick über die Auswanderungswellen aus Ungarn und andererseits in einer Spezialstudie über den weltberühmten ungarischen Dramatiker Franz Molnar von Agnes Szechenyi. In diesen Zusammenhang gehört auch Stefan Lorant, dessen Karriere in Ungarn begann, sich in Deutschland fortsetzte, und in England und den USA, nach nochmaligem Sprachwechsel, einen Höhepunkt erlebte, mit seinen reich illustrierten Büchern über amerikanische Präsidenten, insbesondere Lincoln, die Stadt Pittsburgh und mit einem Buch über die deutsche Geschichte von Bismarck bis Hitler. Ferner möchten die Herausgeber zwei weitere Aufsätze hervorheben: den einen über den European Film Fund und den anderen über die Exilzeitschrift »AustroAmerican Tribune«. Das Thema des European Film Fund wurde schon ganz am Anfang der Studienreihe im Kalifornien-Band behandelt (I, 1, S. 135-146), verdiente aber nach über zwanzig Jahren eine nochmalige Untersuchung, weil sie ausführlicher, als dies im früheren Beitrag der Fall sein konnte, zwei bisher übergangen gebliebene Frauen in ihrer Schlüsselrolle behandelt, nämlich Charlotte Dieterle, Ehefrau des bekannten Filmproduzenten William Dieterle, und Lisl Frank, der Tochter von Fritzi Massary und Ehefrau (in erster Ehe) von Bruno Frank. Diese beiden Frauen leisteten, wie Martin Sauter ausführt, die Hauptarbeit bei der Beschaffung und Verteilung der für viele Schriftsteller in Hollywood lebenswichtigen finanziellen Hilfe. Der Aufsatz von Gaby Falböck bringt eine gründliche Darstellung der »Austro-American Tribune«, ihrer Entwicklung zwischen 1936 und l948 und ihrer politischen Orientierung, und geht auf die Personen ein, die daran beteiligt waren. Über sechs Personen bringt die Autorin detailierte Angaben zu ihrer Biographie und politischen Einstellung und Tätigkeit, Informationen, die hier erstmals zusammengestellt werden können. Von den sechs Exilanten, insbesondere Wilhelm Gründorfer, sind fünf kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Österreich zurückgekehrt, um Schwierigkeiten mit dem House Committee on Unamerican Activities zu vermeiden. Die Verfasser der einzelnen Aufsätze haben Personen und Instituten, die ihnen mit Auskünften und Materialien ausgeholfen haben, bereits ihren Dank in den Anmerkungen der jeweiligen Beiträge ausgesprochen. An dieser Stelle möchten die Herausgeber noch denjenigen Instituten und Personen danken, die das Unternehmen als Ganzes auf verschiedene Weise gefördert haben: Das Deutsche Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, insbesondere Frau Dr. Brita Eckert und Frau Dr. Sylvia Asmus, die uns immer wieder mit Informationen und Materialien versorgten; das M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives der State University of New York in Albany, insbesondere der Direktor, Herr Brian Keough, und Frau Mary Osielski; das Leo Baeck Institute in New York, insbesondere Herr Dr. Frank Mecklenburg. Außerdem sind die Herausgeber den folgenden Personen zu Dank verpflichtet: Frau Regeen Najar, der Tochter von Dagobert Runes, die uns den Teilnachlass ihres Vaters zur Benutzung überließ; das Gleiche gilt für Herrn Peter Bopp, dem Sohn von Marianne Oeste de Bopp; Herrn Tiff Barton, den Neffen
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der Witwe von Wolfgang Michael, der den Nachlass von Wolfgang Michael vorbildlich betreute und der Deutschen Nationalbibliothek übergab und der die Autoren des Aufsatzes über Wolfgang Michael mit Materialien und Auskünften versorgte; die Herausgeber danken gleichfalls Frau Lilo Breuer, der Witwe von Robert Breuer. Für die Übersetzung von drei Aufsätzen (zwei aus dem Ungarischen und einen aus dem Englischen) danken die Herausgeber Herrn Michael Hutterer, Budapest. Ferner danken sie Frau Nina Blockhaus, Köln, für die sorgfältige Durchführung der Schlusskorrekturen.
ABKÜRZUNGEN AAT Anm. Aufbau (NY) Bd./Bde. Bl. CA d.i. dass. Diss. DLA ebd. ERC f./ff. GAWA geb. Hg./hg. ill. LBI N.F. Nr. NY NYT o.D. o.J. o.O. Ps. s. S./SS. s.a. s.o. s.u. Sp. tr. u.a. u.d.T. Übers./übers. Univ. Verf. vgl. zit. zit. n.
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Austro American Tribune (NY) Anmerkung Aufbau/Reconstruction (NY) Band / Bände Blatt California das ist dasselbe Dissertation Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar ebenda Emergency Rescue Committee folgende German-American Writers Association geborene Herausgeber/herausgegeben illustriert Leo Baeck Institute (NY) Neue Folge Nummer New York New York Times ohne Datum ohne Jahre ohne Ort Pseudonym siehe Seite/Seiten siehe auch siehe oben siehe unten Spalte translated/translator unter anderem/und andere unter dem Titel Übersetzter/übersetzt Universität/university Verfasser/Verfasserin vergleiche zitiert zitiert nach
AUTOREN
»DAS IST DOCH EINE GLATTE QUITTUNG ÜBER DIE VÖLLIGE IRRELEVANZ DIESES MEINES LEBENS UND TUNS«: FRANZ BLEIS EINSAMES EXIL ULRICH E. BACH Der österreichische Schriftsteller und spätere Emigrant Franz Blei galt in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts als ein herausragender Kulturvermittler Europas.1 In der Nachkriegszeit war er so gut wie vergessen, und wurde lediglich als »writer’s writer, ein Geheimtipp« gehandelt.2 Vergessen ist bekanntlich für alle Kunst die »überleben will, ein schäbiges, gefürchtetes Wort«.3 Obwohl sich die Europäische Verlagsanstalt mittlerweile seines Oeuvres annahm, und es zu seinen Lebzeiten nicht an bedeutenden Fürsprechern fehlte, wird der Literat Blei auch heute noch verkannt.4 Sein Freund und Kollege Albert Paris Gütersloh beschreibt Bleis Paradox treffend, wenn er behauptet: »Unerforschlich bleibt, wie die komplexen Naturen es anstellen, berühmt zu sein und unbekannt zu bleiben.«5 Als Sohn eines wohlhabenden Schusters 1871 in Wien geboren, verkehrte Blei bereits als Jugendlicher im Zirkel um Viktor Adler und arbeitete an sozialistischen Zeitschriften mit.6 Wie so viele Bürgersöhne seiner Generation, rebellierte Blei gegen die Gründerzeitmentalität seiner Eltern und glaubte eine neue Heimat im Sozialismus gefunden zu haben.7 Im Frühjahr 1890 immatrikulierte Blei sich an der Universität Zürich — studierte zeitweise auch in Genf und Bern — und wurde 1895 für seine Dissertation über die Dialoge des italienischen Ökonomen und Philosophen Abbé Galiani (1728-1787) zum Doktor der Nationalökonomie promoviert. Mit Hilfe einer betrachtlichen Erbschaft konnte sich Blei nach dem Studium ganz dem Reisen und Schreiben widmen, und noch im gleichen Jahr erschien eine Studie über den damals bekannten Dichter Karl Henckell.8 Zwei Jahre später wurde er Mitarbeiter der literarischen Zeitschrift Pan, und 1899 holte ihn Julius Bierbaum, der Herausgeber der Insel, von Philadelphia, wo sich Blei für zwei Jahre aufgehalten hatte, nach Europa zurück.9 Bekannt wurde er vor allem als Redakteur und Herausgeber verschiedener Zeitschriften mit den Themenschwerpunkten Literatur, Ästhetik und Erotik. Den erotischen Journalen Der Amethyst (1906) und Die Opale (1907) folgte der literarische Hyperion (1908-1910),10 der bibliophile Zwiebelfisch (1909), der anonym publizierende Der Lose Vogel (1912-1913) sowie die katholisch beeinflusste Zeitschrift Summa (1917-1918).11 Nach dem Krieg gab er mit Gütersloh Die Rettung (1918-1920) heraus und schließlich editierte er den Berliner Roland (1925).12 Als herausragender Publizist seiner Zeit förderte Blei junge, noch unbekannte Schriftsteller wie Robert Walser, Franz Kafka und Robert Musil, und übersetzte wichtige Autoren der europäischen Moderne wie Charles Baudelaire, André Gide und Oscar Wilde erstmals ins Deutsche.13 Bereits 1911 erschien eine sechsbändige Werkausgabe seiner Schriften im Münchner Georg Müller Verlag. Zwei Jahre nach Kriegsende erschien Das große Bestiarium der deutschen Literatur (1920). Das Bestiarium, welches zuletzt 1995 neu aufgelegt wurde, karikiert die moderne Literaturszene als exotischen Tierpark. Die formal anspruchvolle Autobiographie Erzählung eines Lebens (1930) und die brillante und zugleich zeitkritische Biographie Talleyrand oder der Zynismus (1932) wurden noch in Deutschland veröffentlicht,14 während Bleis letzte Buchpublikation, Zeitgenössische Bildnisse (1940), bereits im Exilverlag Allert de Lange in Amsterdam erschien. Bereits 1932 verließ Blei Deutschland und wohnte — anfänglich wohl aus
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finanziellen Erwägungen — bei seiner Tochter auf Mallorca. Doch die Beschaulichkeit der Baleareninsel endete mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs, und so sah sich Blei gezwungen trotz fortgeschrittenen Alters eine leidvolle Odyssee aufzunehmen, die ihn über Wien, Norditalien, Südfrankreich, Portugal schließlich — im Juni 1941 — nach New York führte. Lediglich ein Jahr später verstarb der 71-jährige Schriftsteller vereinsamt in Westbury auf Long Island. Im Folgenden beschreibt dieser Essay Bleis Interesse an erotischer Literatur und Kunst, bespricht dann seine Rolle als Herausgeber der Zeitschriften Amethyst, Opale & Hyperion und schildert schließlich seine entbehrungsreichen Erfahrungen im Exil. * Bekanntlich war die Entdeckung der Erotik in der deutschen Literatur am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von ästhetischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Dem sexuell gehemmten Bürgertum, das alle Sexualität in die Privatsphäre zurückdrängen wollte, wurde durch enttabuisierende Strömungen wie Psychoanalyse, Vitalismus oder der Freikörperkultur-Bewegung der Kampf angesagt. So distanzierten sich Schriftsteller wie Frank Wedekind, Arthur Schnitzler oder Carl Einstein zunehmend von der sozialen Gesellschaftskritik des Naturalismus und wandten sich der individuellen Intimsphäre zu. Dies bedeutete jedoch keine apolitische Verinnerlichung der Intellektuellen, sondern war vielmehr eine Weiterführung des Kampfes mit freizügigen Mitteln gegen die moralische Heuchelei der reaktionären Bourgeoisie des Kaiserreichs. In seiner Monographie über Die Geschichte der Erotischen Kunst (1908) plädiert der Sozialhistoriker und Sammler Eduard Fuchs für eine neue erotische Lesart der Kunst: Was ist der Hauptinhalt der Kunst? Was erfüllt und belebt sie? In was besteht ihr Feuer? Welches Element ist es, das derart in der Kunst wirkt, dass nicht nur die Zeitgenossen davon elektrisiert und fortgerissen, sondern dass es seiner Form, in die es gebannt ist, ein wahrhaft ewiges Leben zu verleihen vermag? [...] Unsere Antwort lautet: Dieser Hauptinhalt der Kunst, dieses Feuer, dieses Element, mit einem Wort, dieses Wesen der Kunst ist die Sinnlichkeit. Und zwar Sinnlichkeit in potenziertester Form. Kunst ist Form gewordene, sichtbare gewordene Sinnlichkeit, und sie ist zugleich die höchste und edelste Form der Sinnlichkeit. [...] All dies zusammen begründet die innere Notwendigkeit der künstlerischen Behandlung des Erotischen.15
Wenn Fuchs Leidenschaft und Sinnlichkeit als die treibende Kraft des Kunstschaffens betont, war für Blei die künstlerisch formale Behandlung des Erotischen von größter Bedeutung. Doch wie Fuchs in seiner illustrierten Sittengeschichte,16 opponierte Blei in seinen Veröffentlichungen gegen die bürgerliche Doppelmoral, die nach allem Schlüpfrigen giert, solange es in Andeutungen verhüllt bleibt. Sein Anliegen war es, die kaschierte Exotik in unverhüllte Erotik zu verwandeln, ohne dabei geist- und geschmacklose Pornographie zu propagieren. Bleis erotische Programmatik spiegelt sich in mehr als 25 diesen Themenkreis betreffenden Publikationen.17 Blei zufolge, konnte Pornographie erst nach dem Untergang der Religion im Abendland aufkommen. Es gibt [...] nur innerhalb des europäischen Kulturkreises und auch hier erst von einem bestimmten Zeitpunkt ab das, was man Pornographie oder obszöne Literatur nennt. Die Antike, der Orient und das Mittelalter kennen weder den Begriff noch die
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Gattung der Kunstsurrogate sexuell aufreizenden Charakters. Der Begriff des Obszönen, des sexuell Schamlosen ist diesen Kulturkreisen fremd, wie allen religiös bestimmten Kulturen.18
In religiös, holistischen Gemeinschaften gab es weder moralische Hemmungen noch eine pornographische Reduzierung auf fetischistische Details. Erst das bürgerlichkapitalistische Zeitalter mit der Teilung von öffentlicher und privater Moral erweckte Neugier bei gleichzeitiger Repression nach allem Sexuellen. Blei zufolge befriedigt Pornographie das nervöse Bedürfnis nach Sensation und ist darin den Zeitungen und Schundromanen ähnlich. Dass die pornographischen Charaktere eher an eine »absurde Konstruktion mit einer an das Perpetuum mobile erinnernden sexuellen Mechanik«19 als an Menschen aus Fleisch und Blut erinnern, ist letztlich sekundär. Entscheidend ist jedoch, dass diese Art von stil- und formloser Unterhaltungspornographie die große erotische Literatur früherer Zeiten auf ihr Niveau herunterzieht. Deshalb versuchte Blei in exklusiven Zeitschriften wie Der Amethyst (1906) und Die Opale (1907) »gegen das grob Stoffliche der Pornographie das Formierte der Erotik zu stellen«.20 Beide Subskriptionspublikationen enthielten anspruchsvolle, bisweilen anstößige Literatur von Robert Walser,21 Carl Einstein22 oder Paul Verlaine.23 Jeder Ausgabe wurden einige wenige erotische Illustrationen und Originalgraphiken, u.a. von Audrey Beardsley, Franz von Bayros und Félicien Rops, beigefügt. Dabei popularisierte Blei das galante Ideal des Rokoko, und in den Illustrationen wird offensichtlich der Tradition des 18. Jahrhundert gehuldigt.24 Mit anderen Worten Blei versuchte stets, die talentiertesten Schriftsteller und Buchkünstler Europas in seinen Zeitschriften zusammen zu bringen. Trotz aller stilvollen Ästhetik kam es 1908 zu einem Prozess gegen Blei und seinen Verleger Hans von Weber wegen »Vergehens wider die Sittlichkeit« vor dem Münchner Schwurgericht. Obwohl beide letztlich freigesprochen wurden, begann Blei sich während des Verfahrens Gedanken zu machen, »über die Ursachen und Anlässe seines nun ein Vergehen genannten Unternehmens«.25 Dass auch heute noch an den Publikationen Amethyst und Opale Anstoß genommen werden kann, zeigt die kürzlich erschienene Kafka-Studie des britischen Literaturwissenschaftlers James Hawes. Der Autor, der sich vornahm den KafkaMythos zu entzaubern, vergleicht groteskerweise Bleis Opale mit dem Hochglanzmagazin Penthouse, um Kafkas Subskription von Bleis Opale als »topshelf pornography« zu verurteilen.26 Nach diesen beiden erotischen Zeitschriftenprojekten brachte Blei mit der finanziellen Unterstützung seines Freundes Carl Sternheim den belletristisch-künstlerischen Hyperion (1908-1910) auf den Markt. Die Zeitschrift, die lediglich sechs Mal jährlich erschien, enthielt in jeder Nummer einen Bildteil mit einem Dutzend meist französischer Originalgraphiken, darunter von bekannten Künstlern wie Gauguin, Manet, Rodin und Toulouse-Lautrec. Neben Beiträgen von Hugo von Hofmannsthal, Rainer M. Rilke und anderen modernen Schriftstellern verschafft der Hyperion im ersten Heft dem bis dato unbekannten Franz Kafka zu seinem Debüt. (Betrachtung, I, Nr. 1 [1908], S. 91-94) Die buchgestalterische Ausstattung nahm Maß an den höchsten bibliophilen Ansprüchen der Zeit. Die handgesetzte Typographie, das von Walter Tiemann entworfene großformatige Verlagssignet sowie das erlesene Papier und die von den Wiener Werkstätten hergestellten Buchdecken waren alle William Morris’ »Arts & Crafts«-Bewegung verpflichtet. Die sorgfältig reproduzierten Originalkunstwerke sollten den Abonnenten eine »vertiefte ästhetische Betrachtung«27 ermöglichen. Bleis Übertragungen aus dem Französischen und Englischen waren von zentraler
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Bedeutung für die kosmopolitische Ausrichtung der Zeitschrift und setzte sich dadurch vom chauvinistisch-repressiven Kunstpatriotismus des Wilhelminischen Reiches ab. Als Herausgeber strebte Blei eine religiöse Utopie an, die in seinen Übersetzungen von G.K. Chesterton und Paul Claudel am besten zum Ausdruck kommt. So wie Chesterton und Claudel forderte Blei eine spirituelle Erneuerung der katholischen Kirche, »der einzigen Institution, die angesichts der zunehmenden sittlichen Verwahrlosung moralische Würde und politische Handlungsfähigkeit zugleich garantieren konnte«.28 Dieses spirituelle Programm, gepaart mit einer elitären Buchgestaltung, verdeutlicht den diskreten Protest gegen die »zunehmende Industrialisierung des Kulturbetriebes«29 des Hyperions am eindringlichsten. Insofern verliert sich die Zeitschrift keinesfalls in dekorative Ästhetik und »elitäre Hermeneutik«30, sondern übt durch ihren »schöpferischen Stilkonservatismus«31 Kritik an den herrschenden Missständen der Zeit. * Aber man kommt an Blei nicht heran, wenn man sein Werk Stück um Stück prüft; schon deshalb nicht, weil es alles in allem eines der umfangreichsten heutigen Lebenswerke ist, und sein Autor trotzdem nach seinem Charakter zu den Zurückhaltenden, den Konzentrierten, den Feinden der schriftstellerischen Wichtigtuerei gehört, die sich in Bänden auswälzt.32
Die Passage ist Musils »Nachruf zu Lebzeiten« entnommen, den er anlässlich Bleis 60. Geburtstags verfasste. Musil zufolge reichte Bleis dichterische Leistung über die Summe seiner Teile hinaus und deshalb lässt sich sein Werk nicht allein an den fiktiven Texten messen. Denn Blei wurde erst wirklich produktiv in der Begegnung mit Literatur.33 So schrieb Blei nicht nur ohne Unterlass Buchbesprechungen, Biographien und Bühnenstücke, sondern arbeitete als Lektor und Ratgeber für einflussreiche literarische Verlage seiner Zeit (u.a. Georg Müller, Hans von Weber, Insel und Julius Zeitler). Darüber hinaus engagierte er sich auf der Bühne und im jungen Medium Film als Schauspieler. Seine bekannteste Filmrolle war der protestantische Prediger John Knox in Friedrich Fehérs Verfilmung von Maria Stuart (1927), in dem auch sein Wiener Kollege Anton Kuh mitwirkte. Doch bei aller professionellen Progressivität verleugnete Blei seine Abscheu gegenüber der modernen Massengesellschaft nicht und trauerte der österreichischen Barockzeit, die ihm Tradition und Einheit versprach, nach. Claudio Magris beschreibt Bleis Zivilisationskritik folgendermaßen: In der modernen Gesellschaft wird die Gemeinschaft Masse, Publikum, eine Menge von Abnehmern des künstlerischen Produkts; die Verdinglichung, die alles zur Ware degradiert, bedeutet Auflösung der Sinneinheit in eine austauschbare und bezugslose Vielfalt. [...] Der moderne Künstler empfängt die Form nicht, sondern er muss sie schaffen und versuchen, mit ihr jene Lebenseinheit zu begründen, die ihm einst gegeben war und den Stil hervorbrachte. Die Form der Tradition erwächst aus der Geselligkeit, d.h. aus der Kultur des Umgangs und der Beziehungen mit den anderen.34
Bleis Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, deren soziale Ordnung auf Bräuche und Religion beruht, und die durch Tradition und einen überlieferten Moralkodex reguliert wird, erinnert an die von Ferdinand Tönnies zelebrierte »Gemeinschaft«.35 Für Blei hatte Sprache ihre wahrheits- und ordnungsgebende Kraft eingebüßt, und Namen bezeichneten nur noch Phänomene und nicht mehr die Dinge an sich. Somit
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wurde er sich bewusst, dass Dichtung weder die weltlichen Dinge fassen kann, noch die Kraft hat, ihnen Form und Sinn zu verleihen. Seine Reaktion und einziges Bollwerk wurde der Stil, der keinem Wertekosmos, sondern den Akrobatenstücken über der Leere entsprang.36 Diese Flucht in die Ästhetik der Form blieb nicht ohne Kritik, und neben Karl Kraus37 drohte Kurt Hiller bereits 1916 Franz Blei mit nichts weniger als einem Lynchmord: Elegantes Polyhistorenwesen, untermischt mit preziöser Erotik (die »philosophisch« tut), Dandygeschwätz, Bibliophilie und Raffiniertenkoketterie — auch im sehr Hirnlichen —, die hochmütige Analysis und die spitz-lyreske Emphase, TheaterMassenmystik, Ballettmetaphysik, das Ernstnehmen von Décor, Kostüm, Gestus, Mittelalter, Shakespearepossen, Pritzelpuppen, Solotänzern, Tenören, der affige Musikkult, Holzschnitt- und Antiquitätenpflege, der Inhalt dessen, was man mit der Vorstellung »Hofmannsthal« verknüpft, sämtliche Gewebe »niveau«haften Zartsinns und jene jüngste Frechheit, auf eine mondäne Art »katholisch« zu sein — all dies darf sich nicht mehr spreizen. Fährt uns nochmal einer mit der Puderquaste ins Gesicht, so wird er gelyncht!38
Hillers literarischer Rufmord lässt unschwer erkennen, dass nicht alle Schriftstellerkollegen Blei so wohl gesonnen waren wie Musil. Bleis unverhohlener Snobismus gepaart mit seiner mondänen Religiosität waren scheinbar nicht nur der Bourgeoisie Wiens und Münchens suspekt. Doch Hillers beißende Kritik von 1916 hatte einen zeitbedingten Hintergrund: Blei war zwei Jahre zuvor, wie so viele Künstler, der allgemeinen Kriegsbegeisterung verfallen. Er sehnte sich nach Einheit und bürgerlicher Geborgenheit und erhoffte sich, durch Patriotismus seine gesellschaftliche Abseitsstellung zu überwinden. So verkündet er vitalistisch in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Der Lose Vogel, dass die »letzten Fragen im Leben der Völker keine Vernunft [löst] — die Unvernunft, die heilige, hat sich das Mittel des Krieges zur Lösung geschaffen«.39 Doch unter dem Eindruck des anhaltenden Krieges veröffentlichte der Autor zwei Jahre später seine Menschliche Betrachtungen zur Politik (1916). In dieser Essaysammlung fordert er die Abschaffung des Verteidigungskrieges und spricht sich gegen die Rechtfertigung des Krieges aus. So verwundert es kaum, dass Blei nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges abermals im Kommunismus und Katholizismus die Rettung von der entfremdeten spätbürgerlichen Massengesellschaft suchte.40 Diese Zusammenfügung gegensätzlicher Ideologien unterstrich seinen Wunsch nach Ordnung und stimmte — bis zu einem gewissen Grad — mit der Staatsphilosophie seines damaligen Freundes Carl Schmitt überein.41 Bei Schmitt führte diese Sehnsucht nach Ordnung freilich zu vordemokratischen Institutionen, und die einhergehende politische Regression der Massen artikulierte sich »als Aufstand gegen die Moderne und damit als ›konservative Revolution‹ der verschiedensten Schattierungen«.42 Blei ließ sich letztlich nicht von Carl Schmitts antiliberalem Gedankengut vereinnahmen,43 obwohl sein Wunsch nach Einheit von Form und Lebenssinn im Gegensatz zur realpolitischen Leere stand, die die Auflösung der Habsburger Monarchie mit sich gebracht hatte. Die zwanziger Jahre, in denen Blei vorzugsweise in Berlin wohnte, brachten ihm nicht nur seine größten schriftstellerischen Erfolge, sondern können als Ouvertüren seines Abstiegs gesehen werden. Nicht zuletzt wegen der hohen Herstellungskosten waren Bleis exklusive bibliophile Zeitschriften während der Weimarer Republik weniger gefragt, und so hoffte der Vielschreiber Blei, sich selbst durch Vielschreiberei zu übertreffen:
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FRANZ BLEI Betrachtet man die Fülle der übrigen Veröffentlichungen, so ermüden die ewigen Wiederholungen, ermüdet das jetzt manchmal auch Zähflüssige seines Stils. Die Vielzahl der Themen entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Vielfalt der Variationen, der erweiterten und veränderten Neuauflagen.44
Mit dieser Art schriftstellerischer Massenproduktion versuchte Blei vergeblich seinen durch Krieg, Inflation und neue Trends bedrohten, aufwendigen Lebenswandel zu retten. Nachdem seine beträchtliche Erbschaft endgültig zerronnen war, häuften sich seine existentiellen Klagen. So schreibt er resignierten Tones am 6. Juli 1926 an Carl Schmitt: »dass ich mit 54 Jahren und nach einigem Tun, wie die Leut sagen, nicht zu essen habe. Das ist doch eine glatte Quittung über die völlige Irrelevanz dieses meines Lebens und Tuns«.45 Das seine Irrelevanz und Armut verglichen mit dem allgemeinen Lebensstandard dieser Epoche, eher subjektiver Natur war, hat Helga Mitterbauer plakativ herausgearbeitet.46 Folgerichtig spiegelt der Briefwechsel mit Carl Schmitt (1917-1933) — mehr als alles andere — Bleis zunehmende Außenseiterrolle in politisch polarisierten Zeiten wider. * Obgleich Blei nicht jüdischen Glaubens war, noch seine Bücher im engeren Sinne politisch waren, wurden seine Publikationen nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel unverzüglich vom deutschen Büchermarkt ausgeschlossen. Doch laut Musil hatte sich Blei bereits 1932 »in ungeheuerer Weisheit von allen Geschäften zurückgezogen«.47 Der Schriftsteller bezog sich auf Bleis vorgezogenes Exil bei seiner Tochter Sibylle auf Mallorca. Lange wurden die Ballearen als Exilort übersehen, was unter anderem an dem Umstand liegt, dass der mediterrane Zufluchtsort bereits 1936 wegen des Spanischen Bürgerkrieges geräumt werden musste.48 Allerdings befand sich zu dieser Zeit bereits eine illustre Gesellschaft von deutschsprachigen Schriftstellern, u.a. Harry Graf Kessler, Klaus Mann, Karl Otten und Albert V. Thelen, auf der Insel. Die erste Zeit im Inselgarten Mallorca beschrieb Blei noch in geradezu paradiesischen Tönen. Und wenn man seiner Utopie Glauben schenken will, weiß er nur noch: […] dass Juli ist, nicht der wie vielte und nicht welcher Tag der Woche, auch die Uhr liegt längst unaufgezogen, man trägt die landesüblichen Leinenschuhe mit Bastsohle, einmal den Overall, dann das Badetrikot, weder Strümpfe noch Hemd noch Hut, isst vielerlei vorzügliche Fische und starkschaliges Getier, das man mit dem Hammer öffnen muss, um zu dem zu kommen, weswegen mans gekocht hat, trinkt einen Wein dazu, der entweder gelb oder braun oder schwer und leider etwas reich an Alkohol ist, dann gibt’s sehr gutes Gemüse, Aprikosen, Feigen, Mandeln.49
Doch bereits wenig später, in dem auf Mallorca spielenden Romanfragment Das Trojanische Pferd, sieht Blei das soziale Leben der dort ansässigen Emigranten in einem anderen Licht: Die moralischen Anschauungen der Fremdenkolonie von Cala Ratjada waren nicht engherzig. Man ließ da jeden nach seiner eigenen Façon leben und selig sein. Es gab keine sozialen Dehors, auf die man Rücksicht zu nehmen gezwungen war. Von einer Rente, die nicht zu steigern war, von einer Pension, die fixiert war, ein für allemal, oder von der gönnerischen Hand eines Bekannten im Ausland oder der Heimat,
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wenn es der einfiel, einem Brief eine Geldnote beizulegen. […] In der atomisierten kleinen Welt dieses fremden Strandgutes war dieses sittliche Konvenü nicht mehr vorhanden, weil nicht mehr nötig, und Reste davon kamen nur ganz selten wie ein Aufstoßen zur Manifestierung, bildeten keinerlei öffentliche Meinung, die Herrschaft über einen Outsider suchte.50
Anstelle der ersehnten Gemeinschaft löst sich die kleine Welt der Emigranten in seine Einzelbestandteile ohne bindende Verhaltensnormen auf. In diesem großen, allerdings unvollendeten Roman51 schildert Blei jenes mallorquinische Milieu einer Gruppe exilierter Außenseiter die vergeblich versuchen, sich in die vorhandene Inselgemeinschaft zu integrieren. Die Traumatik des Exils wird anhand einzelner Emigrantenschicksale verdeutlicht. So erzählt Blei vom Kommunisten Seewald, der an Schuldvorwürfen leidet, weil er bei seiner Flucht aus dem Dachauer Konzentrationslager einen Wachmann erschossen hatte. Oder er schildert das Schicksal eines gestrandeten jüdischen Geschäftsmanns, der immer ein leeres Gefühl im Magen bekommt, wenn er sich seines existentiellen Abgrundes im Exil bewusst wird. Wie wichtig dieser Roman für Blei war, kommt in einem Brief an Prinz Hubertus zu Löwenstein vom 20. Juni 1939 zum Ausdruck: Das Trojanische Pferd ist im übrigen noch unvollendet. Es hat mit den vorhandenen 170 Maschinenseiten ein großes Vorderteil, aber das Hinterteil mit etwa 100 Seiten fehlt ihm noch. Ich bin dabei es herzustellen. Unter sehr schwierigen phynanciellen [sic] Verhältnissen, die ich nicht zu detaillieren brauche, um Sie zu rühren, lieber Prinz. Wäre eine Unterstützung durch die Ligue möglich, würden meinen bescheidenen Bedürfnissen 20 $ drei Monate lang genügen, um mich intensiv arbeitslustig zu machen.52
Noch im gleichen Jahr bewarb er sich mit jenem Romanfragment — unter dem Pseudonym Albrecht Pillersdorf — an dem Literaturwettbewerb der American Guild for German Cultural Freedom in New York. Den Preis gewann der Text allerdings nicht, wenngleich der Roman amerikanischen Verlagen zur Publikation vorgeschlagen wurde. Symptomatisch für Bleis Außenseiterposition auf dem deutschsprachigen Exilliteraturmarkt ist das ablehnende Urteil des einflussreichen amerikanischen Literaturagenten Barthold Fles: »Einige Unterhaltungen [dieses Romans] sind von mildem Interesse, die meisten allerdings sinnlos, und das Buch, welches versucht eine sardonische Skizze des dekadenten Lebens der Bourgeoisie zu zeichnen, scheitert voll und ganz.«53 Im Jahre 1936 kehrte Blei notgedrungen und mittellos nach Wien zurück. Zwar traf er im geliebten Cafe Herrenhof auf alte Bekannte wie Musil, Gütersloh und Hermann Broch, die dort ebenso die Windstille vor dem Sturm genossen. Er schrieb die »Marginalien zur Literatur« für die Zeitschrift Das Silberboot und versuchte — aller Wahrscheinlichkeit nach vergeblich — eine Freigabe seiner 1932 bei Ernst Rowohlt erschienen Talleyrand Biographie für den deutschen Buchmarkt zu erreichen. Doch wie bereits auf Mallorca, konnte sich Blei auch in Wien nicht wirklich etablieren und er blieb auf die finanzielle Unterstützung seiner Tochter angewiesen. Im folgenden Jahr zog er in die Toskana, um dort in Abgeschiedenheit an einem Papst-Roman zu arbeiten. In einem Brief an den Prinzen (12. März 1938) gibt er eine Zusammenfassung des geplanten Buches: Bis zum Augenblick seiner Papstwahl ist das Buch sozusagen historisch, von der Wahl ab ist es utopisch. Sie fällt in den Moment des Zusammenbruchs der Diktatu-
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FRANZ BLEI ren. Er ist von da ab drei Jahre Papst, entwickelt alle Machtmittel der Kirche, stirbt eines geheimnisvollen Todes während eines Konzils. »Sinn des Ganzen: der heutigen Kirche an einem fingierten Papst die Machtmittel der Kirche wie einen Spiegel vorzuhalten. Das große Werk des Papsts wird übrigens von den Pfarrern sabotiert, die im Grossteil mehr Bauern und Kleinbürger sind als Kleriker.«54
Aber wie bereits der Exilroman Das Trojanische Pferd blieb auch diese Vision einer klerikalen Revolution unveröffentlicht. Seit März 1938 erhielt Blei von der American Guild for German Cultural Freedom eine bescheidene Unterstützung von 30 Dollar monatlich. Diese Leibrente verhinderte allerdings nicht, dass seine Schulden stiegen und seine Bleibe in der Nähe von Fiesole ihm gekündigt wurde. Glücklicherweise war das Schriftstellerehepaar Rudolf Borchardt, die ebenfalls in Norditalien ihr Exil fristeten, bereit ihn aufzunehmen. Doch angesichts der widrigen Lebensumstände entwickelte sich der fast 70-jährige, mittellose Blei bald zur Belastung für die Borchardts, und sie wussten sich nicht anders zu helfen, als ihm die Weiterreise nach Cagnes-sur-mer zu finanzieren.55 Im Frühjahr 1939 traf Blei in Südfrankreich ein. Zuerst schien sich seine Lebenssituation an der Cote d’Azur schon allein deshalb zu verbessern, weil seine ständigen finanziellen Sorgen durch die Verlagsvorschüsse für seine biographischen Skizzen Zeitgenössische Bildnisse, die 1940 im Exilverlag Allert de Lange erschienen, zeitweilig aufgehoben wurden. Aus nachträglich publizierten Briefen, die er an seine enge Freundin Maria Börner und seine Tochter Sibylle schrieb, geht allerdings hervor, dass sich in Cagnes-sur-mer wenig Essentielles gebessert hatte. Im Gegenteil, neben physischer Erschöpfung, fühlte sich Blei zugleich ein- und ausgeschlossen und bisweilen von Todesängsten gepeinigt. So schreibt er am 29. Juni 1940 an seine Tochter: Es ist daher immer mit der Möglichkeit zu rechnen, dass ich auf der deutschen Liste stehe. Wenn man gleich nach Ablieferung erschossen würde, wärs mir egal, es ist ein Tod wie jeder andere. Aber das ist nicht die gewohnte Praxis der Brüder. Sondern monatelanges Martern. Und davor graut mir.56
Doch schließlich gewann Blei den Wettlauf zwischen Erhalt eines amerikanischen Visums und der Bekanntmachung der auszuliefernden Exilanten durch die französischen Behörden an das Deutsche Reich und traf erschöpft und abgemagert am 15. Mai 1941 bei seiner Tochter in Lissabon ein.57 Da Blei die obligatorische ärztliche Untersuchung erfolgreich absolvieren musste, um in die USA einwandern zu dürfen, päppelte ihn seine Tochter in den verbleibenden Wochen vor der Überfahrt auf. Mit lediglich 40 Dollar in der Tasche geht er am 23. Juni in New York von Bord. In einem Brief an seine Freundin — und bekannte Wiener Schauspielerin — Gina Kaus (15. September 1941) schreibt er erleichtert: »Liebe Gina, ich bin vor fünf Wochen hier in der US angekommen — nach drei Wochen Erholung bei der Billy in Lisabon nach miserablen letzten Monaten in Frankreich.«58 Und wenig später (3. Oktober) teilt er ihr seine neue Adresse mit: Hastings Hall W 600 120 St. NYC. Bis zum ersten Jänner habe ich umsonst in diesem dormitory der Columbia Universität zwei gut möbilisierte Zimmer. Ich habe nur für meine Mahlzeiten zu sorgen. Ganz nette Burschen, diese amerikan. Studenten, naiv wie Kinder.59
Wie lange Blei diese Unbeschwertheit des amerikanischen Exiles aufrechterhalten konnte, lässt sich schwer ermitteln, doch bereits Anfang 1942 verlässt er Manhattan
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und zieht nach Port Washington auf Long Island um. Dort bemühte er sich um eine Bibliotheksanstellung, nicht zuletzt um die spärlichen Tantiemen seiner journalistischen Tätigkeit für den New Yorker Aufbau und die chilenischen Deutschen Blätter aufzubessern.60 Aus dem vereinzelt erhaltenen Briefwechsel geht hervor, dass Blei weiterhin auf die Spenden seiner Freunde und Bekannten anwiesen blieb, und sich sein Gesundheitszustand in dieser Zeit rapide verschlechterte. So erbat Hermann Broch noch am 12. Juni erfolglos von der Guggenheim Stiftung 100 Dollar für seine medizinische Versorgung.61 Aber bereits einen Monat später, am 10. Juli 1942, verstarb der 71-jährige Schriftsteller vereinsamt in Westbury auf Long Island.
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Siehe Helga Mitterbauer: Die Netzwerke des Franz Blei: Kulturvermittlung im frühen 20. Jahrhundert (Tübingen: Francke 2003). Dietrich Hardt (Hg.): Franz Blei: Mittler der Literaturen (Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1997), Einband Rückseite. Peter Härtling: Vergessene Bücher: Hinweise und Beispiele (Stuttgart: Goverts 1966), S. 7. So findet der Literat Franz Blei weder Erwähnung in der von Gotthard Wunberg herausgegebenen Anthologie Die Wiener Moderne: Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910 (Stuttgart: Reclam 1981), noch in dem von Walter Schmitz herausgegebenen Pandant Die Münchner Moderne: Die Literarische Szene in der »Kunststadt« um die Jahrhundertwende (Stuttgart: Reclam 1990), oder in Ingo R. Stoehrs Standardwerk German Literature of the Twentieth Century: From Aestheticism to Postmodernism (Rochester, NY: Camden House 2001). Siehe Dirk Heisserer: »Berühmt und unbekannt — Franz Blei zum 50. Todestag«, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 78 (29. Okt. 1992), S. A389-393, hier A389. Siehe Karl H. Salzmann: »Blei, Franz«. In Neue Deutsche Biographie (Berlin: Duncker & Humblot 1955), II, S. 297. Siehe Gregor Eisenhauer: Der Literat: Franz Blei — Ein biographischer Essay (Tübingen: Niemeyer 1993), S. 10. Siehe Franz Blei: Karl Henckell: Ein moderner Dichter (Zürich: Verlags-Magazin 1895). Siehe Kurt Ifkovitz: » ›Guten Tag Herr Dichter der Tapetenfabrik‹ — Franz Blei und Die Insel«. In Hardt: Franz Blei (wie Anm. 2), S. 172-187. Siehe Hildegard Nabbe: »Zwischen Fin-de-siècle und Expressionismus: Die Zeitschrift Hyperion (1908-1910) als ein Dokument elitärer Tendenzen«, Seminar, Nr. 12 (1986), S. 126-143. Siehe Burkhard Dücker: » ›Es lebe der Kommunismus und die katholische Kirche‹. Intellektuelle Selbstverständigung als gesellschaftliches Orientierungsangebot. Zu Franz Bleis Zeitschriften Summa und Die Rettung«. In Hardt: Franz Blei (wie Anm. 2), S. 47-65. Darüber hinaus arbeitete und publizierte Blei bei Der Neuen Rundschau, Aktion, Querschnitt, Berliner Tageblatt, Prager Presse, Magdeburgischen Zeitung, Weißen Blättern, Die Dame, Literarische Welt, Das Tagebuch, Neuen Revue, Das Silberboot. Weiter zu nennen wären: Max Brod, Carl Sternheim, Max Herrmann-Neisse, Hermann Broch und Carl Einstein. Unter anderem übersetzte Blei aus dem Französischen und Englischen: Félicien Rops, Paul Claudel und Emile Zola, Aubrey Beardsley, G.K. Chesterton, Walt Whitman, Nathaniel Hawthorne und H.L. Mencken. »Die Talleyrand-Biographie war ein politisches Votum, ein Votum gegen die Mystifizierung des Politischen, gegen die romantische Vergötzung des Staates, gegen Führerkult und ›Berserker-Deutschtum‹, ein Votum für die Demokratie als praktizierter Interessenausgleich.« Eisenhauser, Der Literat (wie Anm. 7), S. 129. Zitiert nach Karl Riha: »Zur Entdeckung des Erotischen um die Jahrhundertwende — am Beispiel von Eduard Fuchs und Franz Blei«. In Annäherungsversuche: Zur Geschichte und
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FRANZ BLEI Ästhetik des Erotischen in der Literatur. Hg. Horst Albert Glaser (Bern: Paul Haupt 1993), S. 301-319, hier S. 305. Siehe Ulrich Bach: »Eduard Fuchs between Elite and Mass Culture«. In Publishing Culture and the Reading Nation: German Book History in the Long Nineteenth Century. Hg. Lynne Tatlock (Rochester NY: Camden House, forthcoming). Siehe Mitterbauer: Netzwerke (wie Anm. 1), S. 119. Franz Blei: »Über Pornographie«. In Franz Blei: Schriften in Auswahl. Hg. Albert Paris Gütersloh (München: Biederstein 1960), S. 534-548, hier S. 537f. Ebd., S. 541. Franz Blei: Das Kuriositätenkabinett der Literatur (Hannover: Steegemann 1924), S. 137. Franz Blei nimmt neo-romantische Gedichte von Robert Walser wie »Enttäuschung«, Opale, Erster Teil, 1907, S. 9 auf: »Ich habe so lange gewartet auf süsse / Töne und Grüsse, nur einen Klang. / Nun ist mir bang. Nicht Töne und Klingen, / nur Nebel dringen im Überschwang. / Was Heimlich sang in dunkler Lauer: / Versüsse mir, Trauer, jetzt schweren Gang.« Blei rezensiert dort auch, zusammen mit Robert Musils »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« und Walsers erstem Roman Die Geschwister Tanner. Ebd., Dritter Teil, 1907, S. 169-175, werden die ersten vier Kapitel von Carl Einsteins »absoluter Prosa« dem expressionistischen Roman Bebuquin abgedruckt. Dass bisweilen die Erotik süffisant werden konnte, zeigt sich an Verlains Gedichtsübertragung »Steig über mich«: »Steig über mich, so wie ein Weib, / das ich von unten möchte ficken! / So! Gut so! Wenn ich meinen Dicken / nun bohre sanft in deinen Leib.« Ebd., Erster Teil, 1907, S. 133. Siehe Mitterbauer (wie Anm. 1), S. 120f. Franz Blei: Erzählung eines Lebens (Leipzig: List 1930), S. 430f. Siehe James Hawes: Why you should read Kafka before you waste your life (NY: St. Martin’s 2008), S. 61. Nabbe, »Hyperion« (wie Anm. 10), S. 142. Eisenhauer: Der Literat (wie Anm. 7), S. 62 Ebd. Jost Hermand: »The Commercialization of Avant-Garde Movements at the turn of the Century«, New German Critique, Nr. 29 (Spring/Summer 1983), S. 71-83, hier S. 76. Hans Schwerte: »Deutsche Literatur im Wilhelminischen Zeitalter«. In Deutsche Literatur der Jahrhundertwende. Hg. Victor Zmegac (Königstein: Anton Heim 1981), S. 12. Robert Musil, »Franz Blei — 60 Jahre (17. Januar 1931)«. In Franz Blei: Der Montblanc sei Höher als der Stille Ozean. Essays. Hg. Rolf-Peter Baacke (Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1994), S. 213-219, hier S. 213. Siehe Anne Gabrisch: »Nachwort«. In Franz Blei: Porträts. Hg. Anne Gabrisch (Wien: Böhlau 1987), S. 535-577, hier S. 546. Claudio Magris: »Franz Blei und die Oberfläche des Lebens«. In Literatur aus Österreich: Österreichische Literatur — Ein Bonner Symposium. Hg. Karl Konrad Polheim (Bonn: Bouvier 1981), S. 128-144, hier S. 131. Siehe Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen (Leipzig: Fues 1887). Siehe Magris, »Franz Blei« (wie Anm. 34), S. 141. In Die Fakel, XXIV, Nr. 601-607 (1922), S. 85 schreibt Karl Kraus mit spitzer Ironie über seinen publizistischen Konkurrenten: »Zum Lever der Pompadour ihr von der einen Seite die Beicht abzunehmen, von der andern die neuesten Mots aus dem Café Herrenhof zu erzählen, dazu ein deutscher Romantiker vom Ende des 18. Jahrhunderts zu sein, womöglich die beiden Schlegel auf einmal vorzustellen, philosophierend und lorgnettierend, mit Puderquaste und Weihwedel, fromm und aufgeklärt, Skeptiker und Enthusiast, sentimentalisch und verrucht, burlesk wie Gozzi und stürmisch wie Lenz – das soll einer dem Franz Blei nachmachen.« Zitiert nach Birgit Nübel: Robert Musil: Essayismus als Poetologie der Moderne (Berlin: Walter de Gruyter 2006), S. 286-287.
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Franz Blei: »Kleine Anmerkungen. Der Krieg mit England«, Der Lose Vogel, Nr. 3 (1912), S. 113-14, hier 113. »Es lebe der Kommunismus und die katholische Kirche« ist bezeichnenderweise die Formel der von Franz Blei und Paris Gütersloh herausgegebenen Zeitschrift Die Rettung: Blätter zur Erkenntnis der Zeit, siehe »Vorspann«, Nr. 1 (1918). Die beiden Intellektuellen waren durch einen regen Briefwechsel zwischen 1917 und 1933 verbunden. Siehe Franz Blei: Briefe an Carl Schmitt 1917-1933. Hg. Angela Reinthal (Heidelberg: Manutius 1995). Angela Reinthal: » ›Zwei Gottlose Klerikale‹: Franz Blei und Carl Schmitt«. In Hardt: Franz Blei (wie Anm. 2), S. 66-81, hier S. 77. Spätestens seit Bleis freiwilligem Exil auf Mallorca 1932, entwickelten sich ihre Lebensanschauungen auseinander. In Bleis Carl-Schmitt-Porträt, abgedruckt in Bleis Zeitgenössischen Bildnissen (Amsterdam: Allert de Lange 1940), S. 21-40, distanziert sich Blei von Schmitt, obgleich er »nach wie vor gratia und amicitia bewahre, nur mit der reverentia ginge es nicht mehr so ganz«, S. 21. Gabrisch: Franz Blei: Porträts (wie Anm. 33), S. 563-64. Blei: Briefe an Carl Schmitt 1917-1933 (wie Anm. 41), S. 70. Helga Mitterbauer: »Rastloser Ruhestand: Zur Emigration von Franz Blei«, Ziehharmonika, XIV, Nr. 3 (Nov. 1997), S. 22-29, hier S. 23. Zitiert nach Murray G. Hall, »Der unbekannte Tausendsassa: Franz Blei und der Etikettenschwindel 1918«, Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, III, Nr. 15 (1983), S. 129-140, hier S. 129. Siehe zu diesem Thema Reinhard Andress: »Der Inselgarten« — das Exil deutschsprachiger Schriftsteller auf Mallorca, 1931-1936 (Amsterdam-Atlanta: Rodopi 2001). Blei: Briefe an Carl Schmitt 1917-1933 (wie Anm. 41), S. 80. Franz Blei: Schriften in Auswahl (wie Anm. 18), S. 436. Ein 110-seitiges Typoskript ist im Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Akte Franz Blei, verwahrt. Der umfangreichere Teil des Romans, den Blei in seinen Brief mehrfach erwähnt, gilt als verschollen. Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Akte Franz Blei. Ebd., Report #18, Exile Prize Contest 1939, Barthold Fles: »Some of the conversation is mildly interesting, most of it pointless, and the book as a whole, intending to give a sardonic picture of the decadent life of Bourgeois Society, completely fails to come off.« Ebd. »Brandbriefe von beiden Borchardts. Sie können Blei nicht länger behalten, zahlen ihm die Reise, damit er geht.« Brief Annette Kolbs in »Franz Blei: Briefe aus Cagnes«, Der Aquädukt 1963 (München: C.H. Beck 1963), S. 162-175, hier S. 162. Ebd., S. 173. Für eine ausführlichere Darstellung Bleis Flucht von der Cote d’Azur nach New York, siehe Mitterbauer: »Rastloser Ruhestand« (wie Anm. 46), S. 26-27. Exilarchiv der Deutschen Bibliothek, Akte Franz Blei. Ebd. Siehe Mitterbauer: »Rastloser Ruhestand« (wie Anm. 46), S. 27 Brief Hermann Brochs an die Guggenheim Stiftung, zitiert nach Eisenhauer, Der Literat (wie Anm. 7), S. 136. »It is tragic that this distinguished man, seventy yrs of age, is actually poverty stricken, ailing, with no roots in this country yet and with no possibility of earning a living. [...] All we need to take care of Dr. Blei’s support and medical care is $100.00 a month for a period of one year.«
ROBERT BREUER KATRIN GRAF »Man ist zu Hause in der Fremde.«1 — Diese Interview-Aussage des Musikkritikers, Publizisten und Kulturjournalisten Robert Breuer hat einen doppelten Sinn. Breuer trifft diese Aussage in dem Zusammenhang, da er über das seltsame Gefühl berichtet, als er zum ersten Mal seit 1938, dem Beginn seines Exils, wieder in seiner Heimatstadt Wien weilt, aber eben nicht zu Hause, sondern im Hotel. Also in Wien ein Fremder zu Hause und in New York ein Zuhause in der Fremde? In bemerkenswerter Weise bringt diese Doppeldeutigkeit sowohl die Treue, Liebe und Sehnsucht Breuers zu seinem österreichischen Vaterland, insbesondere zu Wien, als auch das Vermögen, sich mit dem Exil arrangiert zu haben, zum Ausdruck. Beides, Heimatliebe und Exil, bilden die Klammer für ein schier unermüdliches Schreiben — ein Schreiben als Lebensbewältigung.2
I Robert Breuer wurde am 3. Oktober 1909 in Wien als einziges Kind seiner Eltern geboren. Der Vater, Alexander Breuer (1877-1931), ein großer Musikliebhaber, ließ sich von der Sopranistin Amalie Materna (1844-1918) zum Tenor ausbilden und hatte einige Rollen bühnenfertig parat.3 Da aber die Opernlaufbahn die Ehe mit Olga Zuckerbäcker (1885-1965) verhindert hätte, so entschloss er sich, das Schneiderhandwerk zu erlernen. Der Vater war für Robert Breuer die entscheidende Figur zur Ausprägung kulturellen Interesses. Im Hause Breuer wurden Musik und Literatur hoch geschätzt und selbstverständlich praktiziert.4 Am 16. September 1915 kam Robert Breuer in die Volksschule in Wien, 1. Bezirk. Seine Schulzeit beendete er am Bundes-Realgymnasium im 8. Gemeindebezirk mit dem Abschluss- und Reifezeugnis vom 13. Juni 1929. Ein bemerkenswerter Schulhausaufsatz über das neue Johann-Strauß-Denkmal in Wien, zu dessen Enthüllung im Jahre 1921 Robert Breuer anwesend war, ließ den damaligen Lehrer dem Vater sagen: »Ihr Sohn ist der geborene Journalist.«5 Er sollte mit dieser Aussage Recht behalten. Breuer jedenfalls behielt diese Episode zeit seines Lebens im Gedächtnis. Seine Matura-Arbeit schrieb er dann zu dem Thema »Elektra in der Bearbeitung von Sophokles und Hofmannsthal-Strauss«. Sie wurde mit »sehr gut« bewertet.6 Später im amerikanischen Exil, als Breuer für Marta Ley’s Radio-Station WHOM arbeitete7, leitet Marta Ley eine Sendung anlässlich des Todes von Johann Strauß am 8. September 1949 folgendermaßen ein: »Ich freue mich sehr, den Schriftsteller Robert Breuer in unserem Studio begrüßen zu können, der in seinen Wiener Jahren Zeuge der musikalischen Stellung und Bedeutung Richard Strauss’ war; er hat eine Abhandlung über ›Elektra‹ verfasst, die den Beifall Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss’ gefunden hat.«8 Diese Abhandlung über »Elektra« muss in der Tat so hervorragend sein, dass sie noch 1993 in den Richard Strauss-Blättern abgedruckt wird: Der bekannte Musikkritiker und Schriftsteller (geb. 1909), Mitglied der IRSG von der ersten Stunde an, der in New York City lebt, hat uns seine im Jahre 1928 in Wien
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verfasste Maturaarbeit über die Oper »Elektra« gesandt. Da diese Schülerarbeit blendend geschrieben ist und viel allgemein Gültiges enthält, auch weil sie gut die Werksicht der späten Zwanzigerjahre zeigt, bringen wir sie etwas gekürzt zum Abdruck.9
Die Liebe zum Theater, insbesondere zur Oper, entwickelte sich bei Robert Breuer von klein an hauptsächlich durch das musische Elternhaus. Als Jugendlicher habe Breuer sich um 12.00 Uhr mit Butterbroten an der Theaterkasse angestellt, um dann abends ins Theater zu gehen. In Hochzeiten sei er bis zu fünf Mal in der Woche im Theater gewesen.10 So konnte sich Breuer ein Repertoire der Theaterkunst aneignen, deren ausgezeichnete Kenntnisse sich in allen seinen theater- und musikkritischen Artikeln widerspiegeln. Der Vater erkannte die journalistische Begabung seines erst 17jährigen Sohnes und fädelte einen Kontakt zum Brünner Tagesboten ein, für den sich dann eine langjährige und rege Schreibtätigkeit entwickelte: Mein Vater hat damals einen Minister Stransky gekannt, der hat mich nach Brünn empfohlen. Ich habe dorthin geschrieben, obwohl ich eigentlich nicht dafür war, über meinen Kopf hinweg protegiert zu werden. Doch die schrieben mir zurück, schon mit Rücksicht auf die Empfehlung des Herrn Ministers seien sie bereit, und so weiter. Daraus wurden dann Lokalberichterstattungen und Sportberichte, und wenn der Theaterredakteur auf Urlaub war, habe ich auch über Theater referiert. Hunderte Artikel sind damals erschienen.11
Nach der Schulzeit begann Robert Breuer ein Jura-Studium an der Wiener Universität. Als der Vater 1931 starb, konnte Breuer aus existentiellen Gründen nicht mehr weiterstudieren. Der Tod des Vaters bedeutete einen tiefen Einschnitt im Leben Breuers. So ist das erste Gedicht Robert Breuers in seinem 1935 im Selbstverlag veröffentlichten Gedichtbändchen Gedichte vom Leben, Lieben und Lachen … eine Wehklag: Deiner denkend … Deiner denkend, der du mir entschwunden, Vater! Verlassen mich – und nun allein! Dein Grab Vor meinen tränenschweren Augen, der Hügel, drauf die Blumen meiner Liebe blüh’n, der Stein, der deinen Namen kalt der Nachwelt kündet – und unten in der Erde tiefem Schoß das Modern deines vielgeliebten Hauptes, das Schlafen deiner guten treuen Augen, das Ruh’n der Hände, die in Arbeit werkten – – deiner denkend, Vater, deiner Lieb’ und Güt’ und Nachsicht – und nicht wissend, wo die Grenzen liegen zwischen Wachen nur und Träumen …
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ROBERT BREUER Wo hört die Liebe auf? Und: wie kann man sie messen? Dies alles ist so dunkel-schwer, und du genießt den Frieden; ich noch lebe.12
Und noch 1984 erwähnt Breuer auf die Frage, wer denn für ihn eine Leitfigur war, als ersten und wichtigsten seinen Vater.13 Eine weitere wichtige Persönlichkeit im Leben Breuers war Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi (1894-1972). Breuer war begeisterter Anhänger der Paneuropäischen Jugend. Er erhielt hier im Besonderen seine freiheitliche und europäische Prägung. Im New Yorker Exil dann lernten sich Breuer und CoudenhoveKalergi persönlich bei einem Interview kennen.14 Breuer berichtet darüber im Aufbau in dem Artikel »Die Aussichten einer europäischen Föderation«.15 Breuer jedenfalls gelang es bereits Anfang der dreißiger Jahre die Neue Freie Presse in Wien mit der Idee zu einer Jugendbeilage zu überzeugen. Dies ebnete den journalistischen Werdegang. Das erste Interview führte er mit dem Jungschauspieler Ernst Haeusserman (1916-1984). Bei einer spontanen Wiederbegegnung beider während der Salzburger Festspiele 1978 soll Haeusserman den unter dem Titel »Von der Schulbank ins Burgtheater« veröffentlichten Artikel lückenlos aus dem Gedächtnis rezitiert haben.16 Breuer schrieb für die Neue Freie Presse bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im März 1938 — dem sogenannten Anschluss.17
II »Wo findet der Mensch Ruhe?« (Nacht, 86) — Wie für so viele war auch für Robert Breuer der Weg ins Exil eine richtige Odyssee. Nach den Eskapaden und dem Spießrutenlauf der ersten Tage und Wochen des »Anschlusses« stellte sich auch für die Breuers als Juden die ernsthafte Frage, wohin man denn auswandern sollte. (Nacht, 48) Die andere der beiden möglichen Alternativen, diesem Wahnsinn zu entrinnen, wäre der Selbstmord gewesen — so gab es doch auch in Wien eine wahre Selbstmordepidemie. (Nacht, 55)18 Es war wohl das journalistische Gespür, dass für Breuer nur das westliche Ausland in Frage kam, obwohl Ausreisewellen in alle Richtungen, also auch in die Tschechoslowakei, nach Ungarn, Jugoslawien und Italien gingen.19 Da gab es einen englischen Vetter, der, da er sich in Amerika aufhielt, ein Affidavit besorgen konnte. Da gab es eine Bekannte, Dolmetscherin in Wien, die den Honorarkonsul in Birmingham kannte und über diesen Kontakt dann fand sich das Quäkerehepaar Randle und Joan Smith, das bereit war, für Robert Breuer zu bürgen. Da brauchte man ein englisches Permit und eine Quotennummer für die Einreise in Amerika. Der Ausreisestempel — »die sogenannte ›Unbedenklichkeit‹ « (Nacht, 66), die Steuerbestätigung etc. wurden im Massenansturm auf den Ämtern erkämpft. Es war schwierig nach England zu gelangen, und je mehr Zeit verstrich, umso problematischer wurde das Leben in Wien. Da zwischen Deutschland und Dänemark kein Visumzwang bestand, beschloss Breuer nach Kopenhagen zu seinem Freund Poul B. zu reisen, um dort auf die Genehmigung zur Einreise nach England zu warten. Am 23. Juni 1938 flog Robert Breuer nach Berlin, wo er in die Maschine nach Kopenhagen umsteigen musste. Folgendes Ereignis bei der Passkontrolle hielt Breuer in seinem Erlebnisbericht fest:
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Mein Gepäck wurde kaum untersucht. Als ich zur Paßkontrolle kam, entwickelte sich folgender Dialog: »Dieser Flug ist umsonst!« — »Wieso?« — »Sie kommen doch aus Wien?« — »Jawohl.« — »Dann brauchen Sie erst gar nicht nach Kopenhagen fliegen.« — »Warum nicht?« — »Sie sind doch Emigrant?« — »Ja. Ich beabsichtige in Dänemark auf mein englisches Visum zu warten.« — »Mich wundert, daß Sie heute der einzige Wiener sind. Es kommen täglich zwei bis drei, aber sie sind am nächsten Tag wieder hier. Man läßt sie nicht nach Dänemark.« — »Aber wieso denn? Ich war zweimal auf dem Konsulat, und außerdem erwartet mich ein Freund auf dem Flugfeld.« — »Ach, diese läppischen Behörden in Wien, die geben ja bloß falsche Auskünfte!« — »Was geschah denn mit den Leuten, die nicht nach Dänemark gelassen wurden?« — »Die konnten anstandslos nach Wien zurückfahren.« — »Dann will ich den Flug doch probieren!« — »Viel Glück!« (Nacht, 81f.)
In Kopenhagen gelandet wurde Robert Breuer nach kurzer herzlicher Begrüßung seines Freundes bei der Passkontrolle festgehalten. »[…] wir brauchen keine siebzigtausend Juden aus Wien hier!« (Nacht, 83) hieß es. Da half kein Diskutieren, kein Bitten, kein Geld, keine Träne — Robert Breuer brachte man ins Gefängnis, wo er die Nacht vor dem Rückflug verbringen musste. Bei der Abfertigung in Kopenhagen drückte man den Stempel »AFIST« (Nacht, 88) in seinen Pass, wodurch die Angst vor dem, was nun geschehen würde, enorm stieg. Wieder in Berlin angekommen, brauchte Breuer Geld für die Rückfahrt nach Wien. Zur Ausreise durften ja nur 10 Reichsmark mitgenommen werden und die waren schon fast gänzlich ausgegeben. Nun war es trotz Anschluss nicht so einfach möglich, Geld telegraphisch anzuweisen. Zudem stieß Breuer auf deutschen Beamtengehorsam, dass nämlich die Post nicht einfach so Geld von einer Bank übernehmen kann. Nach stundenlangem hin und her wurden die 60 Reichsmark ausgezahlt und Breuer konnte mit dem Zug nach Wien zurückfahren. In Wien hatte Breuer keine Scheu, sich beim dänischen Konsulat zu beschweren. Er hatte aber keinen Erfolg, man verwies ihn an das Außenministerium in Kopenhagen. Er schrieb und ließ auch das Justizministerium und die Königliche Kanzlei nicht aus. Zur Antwort erhielt er, »daß ›Personen jüdischer Abstammung die Einreise nach Dänemark untersagt‹ war« (Nacht, 91). Im eigenen Leid kann es manchmal eine Hilfe sein, das Andere ein viel größeres Leid erfahren. An den Wänden im Kopenhagener Gefängnis hatte Breuer folgenden Spruch gefunden, der sich ihm besonders einprägte: »Seit eineinhalb Jahren durch alle europäischen Gefängnisse geschleift — durch Hitler!« (Nacht, 86) Es war besser, wieder in Wien zu sein und gegebenenfalls da zu sterben, als in die Fänge der Polizeistationen zu geraten. Dennoch blieb die Frage: Wo findet der Mensch Ruhe?
III »Wann — und wo — würde ich wieder ein neues, eigenes Heim aufbauen können…?« (Nacht, 106) — Im August 1938 gelang es Olga Breuer nach London zu emigrieren. Wann und ob überhaupt Robert Breuer seiner Mutter würde nachfolgen können, war ungewiss. (Nacht, 105) Nun musste die Wohnung in Wien am Graben 12 aufgelöst werden und die Möbelstücke wurden entäußert. Dieser Zustand in der leeren Wohnung, allein, rührte Breuer noch Jahrzehnte später zu Tränen.20 »Das Heim war verloren. Eine Welt — Kindheit, Jugend — untergegangen.« (Nacht, 106)
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Es begannen Jahre schwerer Trennung und schweren Heimwehs. Erst 1945 kam Breuer mit seiner Mutter in New York wieder zusammen. Bis dahin zeugen Briefe und Gedichte von seiner Herzensnot. So zum Beispiel ein Brief vom Cousin Fritz Ropschitz an Robert Breuer: »Dein sehnlichster Wunsch ist bestimmt Deine l. Mama auch bei Dir zu haben und ich hoffe zum l. Gott daß die Trennung nicht mehr all zu lange dauern wird. Wir haben schwere Zeiten vor uns doch einmal werden wir uns wieder treffen und die Welt wird schöner sein als sie war. Keep smiling, we can take it.«21 Und selbst ein knappes Jahr nach seiner Hochzeit mit der Kölnerin Lieselotte Fröhlich22 in New York hörte das Sehnen Breuers nach seiner österreichischen Familie nicht auf. Tante Sophie schreibt ihm am 26. Februar 1942: Was Dich selbst anbelangt, war ich mit dem Inhalt Deines Briefes nicht so zufrieden wie sonst. Ich dachte Du hast jetzt das Schwerste überwunden und fängst Dich an langsam heimisch zu fühlen. Wir leiden ja alle an der gleichen Krankheit, der Eine mehr, der Andere weniger, je nach dem wie man veranlagt ist. Wären wir Alle zusammen, wie wir es gewohnt waren, ginge alles leichter. Trotzdem musst Du tapfer bleiben und es wird sich schon eine gute Lösung finden und wenn England gewinnt, was wir ja alle hoffen, wird die Welt wieder ein anderes Gesicht haben. Dass es für Dich und Deine Mutter schon gut wäre wenn Ihr beisammen wäret, dass kann ich Dir nach fühlen, aber auch da heißt es Geduld haben. Kurt sucht Erkundigungen ein zu ziehen in welcher Weise man ihre Abreise erreichen kann und schreibe ich heute an Deine l. Mutter, da Kurt verschiedenes von ihr wissen will, um sich darnach zu richten und weiteres tun zu können. Jedenfalls sei versichert, dass alles geschieht was gemacht werden kann und hoffentlich wird es auch den gewünschten Erfolg haben. Kurt wird Dir dann nächstens schreiben, was er machen konnte. Sonst leben wir ruhig, nur möchten wir schon die schwere Zeit hinter uns haben.23
In dem Gedicht »Ein Lied«, vermutlich in den ersten Exiljahren entstanden, drückt Robert Breuer seine Wien-Sehnsucht im Besonderen aus. Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden sind insbesondere geprägt durch die einzigartige Wiener Musikkultur, getragen »von Bergen zu Tälern«: Ein Lied Garten der Kindheit, du bist jetzt ferne, vorüber sind Spiel und Musik und Gesang, - - Am nächtlichen Himmel unzählige Sterne erzählen von dir im ewigen Klang. Haus meiner Jugend, verlassen mit Schmerzen, verschlossen die Tür und versperrt auch das Tor, - - In einsamen Stunden tönen im Herzen Heimatklänge den uralten Chor. Stadt früher Liebe, versunken im Dunkel, sang jeder Weg, jeder Baum mir sein Lied, - - Träumend weisen der Augen Gefunkel zurück mir den Weg, den die Seele nur zieht. Und von Bergen zu Tälern hallt uns’re Weise, mögen darüber auch Jahre verzieh’n, - - -
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19 Alt ist der Ton, und schüchtern, und leise, Heimatgesang, nach Hause, nach Wien.24
Und noch ein Weiteres transportiert das Gedicht: den großen Schmerz über das Exil, das Hinfortgerissensein von »Heimatklänge[n]« und »Heimatgesang«. Als Robert Breuer zum ersten Mal wieder seit seinem Weggang ins Exil anlässlich der Wiedereröffnung der im März 1945 durch Bomben zerstörten Wiener Staatsoper am 5. November 1955 in Wien weilte, ereignete sich folgende Episode: Nach der Aufführung des »Fidelio« ging Breuer wie selbstverständlich in den Graben und »suchte in der Manteltasche den Schlüssel zum Haus Nr. 12« (Nacht, 127).25 So sehr waren Kindheit und Jugend und das Zuhause am Graben 12 eingeprägt. Seitdem reiste Robert Breuer immer wieder zu Berichterstattungen nach Wien. 1960 schickt er eine Karte mit der Abbildung vom Graben an seine Mutter. Diese antwortet ihm am 9. Juli 1960: »Deine Karte vom Graben hat mich Tränen gekostet.«26 Anfang September 1938 nun war Robert Breuer glücklicher Besitzer sowohl des englischen Permits als auch des amerikanischen Affidavits. Nach der Beschaffung des belgischen Durchreisevisums konnte er am 9. September 1938 den 10.35 UhrSchnellzug besteigen und mit diesem wiederum Wien verlassen. In Aachen war nochmals ein großer Schrecken auszustehen: Alle Juden mussten den Zug verlassen und sich einer Visitation unterziehen. Am nächsten Morgen erst durften sie ihre Reise fortsetzen. Robert Breuer traf am späten Abend des 10. September in London ein: (Nacht, 109-115) »Österreich liegt hinter mir. Eine frohe Kindheit. Eine sonnige Jugend. Ungezählte Freuden, aber auch viel Leid und Kummer habe ich dort erlebt. Dennoch: es war mir die Heimat, die liebgewonnene Erde.« (Nacht, 115)
IV Das englische Exil nun war geprägt durch die herzliche Aufnahme Breuers durch das Ehepaar Randle und Joan Smith und durch die Hilfsbereitschaft der Jüdischen Gemeinde Birmingham und der breiten Öffentlichkeit. Existentiell konnte sich Breuer durch ein Taschengeld der Society of Friends und durch gelegentliche Honorare für Beiträge in Schweizer Tageszeitungen über Wasser halten. (Nacht, 118) Hier nahm Breuer wesentliche journalistische Beziehungen hauptsächlich mit Schweizer Tageszeitungen auf (insbesondere den Baseler Nachrichten), die für das journalistische Schaffen zeit seines Lebens von hoher Bedeutung blieben.27 Breuer betätigte sich auch aktiv an der Rettung zahlreicher österreichischer Juden. So knüpfte er Kontakte, warb um Aufnahme als Küchenhilfe, Stubenmädchen, Butler, Chauffeur etc. und konnte somit vielen Flüchtlingen »den Weg nach Birmingham und in die Freiheit ebnen« (Nacht, 118). In London suchte er Stefan Zweig auf,28 gab ihm seinen Erlebnisbericht mit der Bitte, ihn zu lesen und vielleicht zur Veröffentlichung zu verhelfen. Zweig konnte ihm offenbar nicht helfen, aber sein Urteil schrieb er in einem Brief an Breuer am 5. Dezember 1938 fest: »Denn dieses Buch hat seine stärkste Kraft doch darin, dass es nicht dichterisch erfinderisch ist, sondern durch seine unbedingte Wahrheit ergreift.« (Nacht, 9) Es ist der Lauf der Geschichte, dass Nacht über Wien erst fünfzig Jahre nach dem »Anschluss« in Wien veröffentlicht wurde. Durch befristete Aufnahmen in verschiedenen Gastfamilien wechselten die Aufenthalte im Exil häufig. In einem solchen Zusammenhang bekam Breuer den Aufenthalt in einem Gartenhäuschen angeboten, »mit der Auflage, gegebenenfalls des
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Nachts Herumtreiber und Landstreicher durch Imitieren von Hundegebell zu verscheuchen« (Nacht, 118). Glücklicherweise musste er das Angebot nicht annehmen. Diese Episode hinterließ jedoch bei Breuer einen derartigen Eindruck, dass er sie in einem lyrisch-sarkastischen Essay »Als ich ein Hund in England war« am 25. Mai 1941 verarbeitete. Im Folgenden nun die Anfangszeilen dieses bislang unveröffentlichten Essays: ALS ICH EIN HUND IN ENGLAND WAR, zweibeinig, die Zeit in meiner Hütte mit dem Lesen John Galsworthys, dem Lernen englischer Vokabeln und der Abdichtung aller Fensterluken im Sinne der behördlichen Blackout-Stimmungen mir vertrieb, stets eingedenk freilich, jederzeit, wenn ungefragter Besuch sich meiner am nordwestlichen Ende von Mrs. Hudderfields Besitztum gelegenen Hütte näherte, Hunde-echte Bell-Töne, Signal und Warnung zugleich, aus meiner Verschalung zum Verscheuchen der Feldfrüchte und Beeren stehlenwollenden Einschleicher laut werden zu lassen - - hatte ich damals, elend-vereinsamter, zum Hundedasein erniedrigter Menschheitsflüchtling, die Hand, die mir Brot und Wasser reichte, Gegendienst für meine Leistung, sie, die schlankfingrige und was sie sonst besass, zu schützen bestimmt, geküsst, verflucht, gesegnet, gehasst, gepriesen, verdammt?29
Es wird deutlich, wie erniedrigend es gewesen sein muss, nach all den Exilstrapazen als Menschheitsflüchtling allein die Vorstellung, einen Hund gespielt zu haben, aushalten zu müssen. Viel schlimmer erging es jedoch zur selben Zeit den Häftlingen in den deutschen Konzentrationslagern. Robert Breuer las in New York das 1946 erschienene erschütternde Buch Zeit ohne Gnade über die Erlebnisse des früheren Chefredakteurs des Wiener Tag Dr. Rudolf Kalmar im KZ Dachau und rezensierte es in der Neuen Volkszeitung.30 Kalmar bedankte sich daraufhin bei Breuer: Ihre Besprechung meines Buches in der »Neuen Volkszeitung« hat mich unverdientermassen ausgezeichnet. Lassen Sie mich Ihnen sehr herzlich nicht nur für die schönen Worte, sondern auch für das tiefe Verständnis der inneren Zusammenhänge danken, die nur in wenigen (europäischen) Besprechungen so klar dargestellt wurden. Ihre Kritik gehört mit zu den Schönsten, was über »Zeit ohne Gnade« geschrieben wurde.31
Breuer hebt das Wirkmächtige dieses Buches, das Menschenbekenntnis Kalmars, das er sich trotz aller erlebten Unmenschlichkeit bewahrt, im Besonderen hervor: Die letzten Zeilen seines Buches, das in deutschamerikanischen Buchhandlungen erhältlich ist, bezwingen in ihrer Form und Tiefe. Sie geben das Eindrucksvollste wieder, das einer ausdrücken kann, der durch Pest und Hölle geschritten ist: »Als ich letzthin an einer gesprengten Hausruine vorüberging, arbeiteten gefangene SS-Leute in dem feuchten, schneetriefenden Schutt. Ich sah ihnen zu. Lange Zeit. Einer von der anderen Seite des Zaunes. Ich kenne die Arbeit im Ziegelschutt. Die SS-Leute taten mir leid.«32
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Das englische Exil endete im März 1940 mit Erhalt der Quotennummer zur Einreise in die USA. Von Liverpool ging es weiter mit der Britannic nach New York.
V Auf der Überfahrt nach New York schrieb Robert Breuer zusammen mit Georg Mardler die Schiffsrevue Von Christopher bis Adolf. Im unveröffentlichten Original kann man nachlesen: »Das Stueck wurde geschrieben, geprobt und inszeniert ausschliesslich von Passagieren der ›Britannic‹ und im Rahmen eines Schiffskonzerts aufgeführt.«33 Die Revue spiegelt die Stimmung der an Bord befindlichen Flüchtlinge wider und ist gerade auch deshalb ein besonderes Zeitdokument. Aufgeführt wurde sie am 29. März 1940. Moische Rosengezwitzscher, Marlene Dietrich, die Liselotte aus Berlin, die Marianne aus Wien und die Elsbeth aus der Pfalz möchten in Amerika einreisen. Sie werden auf Ellis Island vom Immigration Officer kontrolliert. Man hat so seine Fragen in der Erwartung auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ob man seine Meinung frei sagen kann und ob die Regisseure auch küssen. Columbus steht Rede und Antwort. Als Rosengezwitscher einreisen will, sagt der Immigration Officer: Sie brauchen sich hier nicht sorgen Zu uns kommt der Hitler weder heute noch morgen.
Und dann kommt »der Hitler« doch und will sich nach dem inzwischen (im Stück von 1940!) verlorenen Krieg nun hier einschleichen: Ich hab verloren den Krieg und die Orden Und bin wieder ganz klein geworden. Deutschland ist uebrig geblieben kaum Drum brauch ich ein neuen Lebensraum. Zurueck nach Europa trau ich mich nie Schon wegen der juedischen Plutokratie. Ich moecht, o lassen Sie sich erweichen Bescheiden die Freiheitsstatue anstreichen Und versprech Ihnen bei Gottes Walten, Ich hab noch nie ein Versprechen gehalten, Dass ich die Juden will lass in Ruh Machen Sie mir nicht die Tuere zu!
Der Immigration Officer lässt Columbus das Urteil sprechen. Und in Columbus’ Urteil manifestiert sich die Hoffnung auf ein Ende des Durch-die-Welt-Gejagdseins: Ich zoegre nicht mein Urteil zu sprechen Um mich im Namen der Menschheit zu raechen, Die Landung die wird Dir verwehrt Und auch der Weg zurueck versperrt, Damit den Laendern dieser Erde Endlich Ruh und Frieden werde. Ich habe darum arrangiert Dass in ein Schifflein Du wirst gefuehrt, Das ohne Hafen und ohne Ziel
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ROBERT BREUER Dich nie zum Festland bringen will. Und wie der Hollaender der fliegende Sollst Du als Hitler der luegende Umherziehen auf den sieben Meeren, Ohne dass wir von Dir eine Oper hoeren. (Hitler ab). Dies Land, so jung und frisch und neu Bleibt immer seiner Freiheit treu. Was allen Menschen hoechste Wuerde Das geben wir denen, die die Buerde Von Unverstand, Verfolgung tragen, Und ohne nach Details zu fragen Sind alle Menschen hier die Gleichen, Dies soll als Vorsatz niemals weichen. Drum fand mit Freuden ich das Land Das als AMERIKA bekannt. Und rufe dreimal aus HURRA…34
Am Schluss singen alle die amerikanische Nationalhymne. Man kann förmlich die Stimmung spüren, die an Bord geherrscht haben muss — der Freiheit entgegen mit der Sorge um die Freiheit. Aber auch die Sorge um das eigene Leben war ganz real. So teilte Breuer seiner Mutter von Bord des Schiffes in einem Brief den Schiffsnamen Britannic mit den Zeilen mit: »[…] auf das Du weißt, welches mein Los ist, falls er torpediert werden sollte, was ja die englischen Zeitungen nach einiger Zeit berichten müßten.« (Nacht, 121) Das Schiff wurde nicht torpediert und lief am 29. April 1940 im New Yorker Hafen ein. Da es Wochenende war, durfte das Schiff nicht docken und die Passagiere mussten auf dem Schiff bis Montag warten. Und hier ereignete sich etwas, was Robert Breuer tief erschütterte und sich ihm fest einprägte: »Und wir, die wir den Fahrgästen dieser Schifflein begeistert zuwinkten, waren betroffen, unsere Grüße nicht erwidert zu bekommen; ungeduldig und bestürzt auch darüber daß kein Zubringerschiff Zeitungen an Bord der ›Britannic‹ brachte, um ihre Passagiere über die letzten Kriegsereignisse zu informieren.« (Nacht, 123)35 Natürlich befand man sich im Krieg und die tausenden Flüchtlinge belasteten das Land. Dennoch blieb der Eindruck, dass Amerika einen nicht gerade mit offenen Armen empfing. Am Pier wurde Breuer von der Frau seines bereits verstorbenen Onkels Samuel Breuer erwartet. Bei ihr in der Bronx fand er die erste Unterkunft. (Nacht, 123)
VI Das Verlorene ist die Musik Wiens. Sie ist an jenem Tag untergegangen, da diese schönste Stadt aufgehört hat, zu bestehen. Was die Welt verloren hat: viel, unermesslich viel. Was der verloren hat, der blutenden Herzens den Heimatstrassen für immer Lebewohl sagen musste: Ewiges. […] Aber so weich in die Landschaft gebettet, so willig eingefügt in ein unvergleichliches Panorama, so wohlig hingestreckt von den zarten Alpenausläufern bis zu den Auen der Donau, so zart und so stark zugleich in seinem unerreichten Zauber: das war Wien. Und jeder Weg war historischer Boden, geweihte Stätte; […] Beethoven, Schubert, Johann Strauss, Anton Bruckner, sie gingen mit einem spazieren […] Aber das ist verloren. […] Und wenn die blaue Donau aus einem amerikanischen Lautsprecher dringt – sie ist es nicht, nein, sie ist es nicht.36
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Das äußerliche Leben in Amerika gestaltet sich für Breuer glücklicherweise relativ normal. Schnell findet er Arbeit in einer Radiofabrik, die ihn existentiell unabhängig macht. (Nacht, 123f.) Am 5. April 1941 heiratete Breuer die 1939 über Holland nach New York emigrierte Kölnerin Lieselotte Fröhlich. (S. 124)37 1944 kam der Sohn Richard zur Welt und 1958 der Sohn Lanny. (S. 129)38 Diesem Glück stand die innere Sehnsucht, seinen eigentlichen Beruf, Journalist, wieder ausüben zu können, gegenüber. Und es beginnt eine Zeit unermüdlichen Schreibens. Tagsüber die existentiell notwendige Arbeit in der Fabrik und nachts das Klappern der Schreibmaschine für unzählige Artikel und Beiträge über Musik, Literatur und allgemein zur Kulturpolitik sowie Briefe, um Kontakte zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Er schreibt, um nur einige Besonderheiten innerhalb seines gesamten Schaffens hervorzuheben, eine bemerkenswerte Rezension zu Thomas Manns Doktor Faustus39, rezensiert noch in den achtziger Jahren im Aufbau einige Bücher Thomas Bernhards40, schreibt einen sehr beachteten Artikel über Hermann Broch in englischer Sprache41 und verhilft mit seinen Besprechungen Johannes Mario Simmel zum Durchbruch42. John M. Spalek fragte Robert Breuer 1984 in einem Interview, ob er sich denn auch hätte vorstellen können, aus dem Exil nach Wien zurückzukehren.43 Breuer antwortete, er habe es immer gewollt, es habe sich sogar 1955 die Möglichkeit dazu geboten, aber um des Sohnes Richard willen, hätten die Breuers davon Abstand genommen.44 Doch auch Freunde raten dringend ab, heimzukehren. So findet sich im Breuer-Nachlass ein Brief von Marcel Prawy (1911-2003)45 vom 2. Juli 1958: »Was Deine Andeutungen betrifft, dass Du für ständig hierher zurückkommen willst, so kann ich sie lediglich als einen kleinen Wahnsinnsanfall bezeichnen. Ich hoffe, dass Du das nicht ernst meinst! Es wäre das Falscheste, was Du tun könntest, glaube mir.«46 Sehnsucht und Verlangen nach Europa bleiben. Immer wieder bemüht sich Breuer um eine Anstellung. Das geht besonders aus einem Brief von Rudolf Goldschmit, damaliger Redakteur der Süddeutschen Zeitung, an Breuer vom 12. Oktober 1970 hervor: […] Ihren Brief habe ich mit Sympathie und Interesse gelesen. Auch war ich darauf ja schon durch ein Gespräch mit Simmel vorbereitet. Natürlich habe ich Verständnis für Ihre Situation und für Ihren Wunsch, wieder nach Europa zurückzukehren. Umso mehr bedaure ich, Ihnen sagen zu müssen, daß ich nicht wüßte, wie ich Sie in unserer Feuilleton-Redaktion »unterbringen« sollte. Die Zahl dessen, was man Planstellen nennt, ist begrenzt, und die Zahl der freien Mitarbeiter ohnehin so groß, daß das, was für den einzelnen dabei bleibt, kaum ausreicht. Ich denke, es ist fairer, Ihnen reinen Wein einzuschenken, als Illusionen zu nähren. Ich bitte Sie dafür um Verständnis und, ebenfalls, um Sympathie.47
Im Interview mit Spalek spricht Breuer dann von seinem Ideal. Das »wäre ein halbes Jahr hüben und ein halbes Jahr drüben gewesen«48. Obwohl Breuer spätestens seit 1955 jährlich Europa zur Berichterstattung diverser Musikfestspiele bereiste, blieb er doch ein Fremder zu Hause. Seine journalistischen Entfaltungsmöglichkeiten jedoch ergaben sich gerade durch sein New Yorker Exil. Das wichtigste Organ wird für ihn der New Yorker Aufbau. Bereits 1941 erschien dort Breuers erster Beitrag. Zwanzig Jahre später wird er Musikredakteur und 1966 Redaktionsmitglied. (Nacht, 127) Im April 1981 erhält Breuer von der Chefredaktion und dem Aufbau-Komitee einen offiziellen Brief folgenden Inhalts: »Auf der Sitzung des ›Aufbau‹-Komitees vom 10. April ist der Vorschlag, Sie zum Associate Editor zu ernennen, einstimmig ange-
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nommen worden. Wir freuen uns, dass wir uns auf diese Weise für Ihre langjährige, selbstlose Einsatzbereitschaft im Interesse des ›Aufbau‹ erkenntlich zeigen können.«49 Stolz kann Breuer auf sein Werk zurückblicken und er berichtet 1984, dass es von 1962 bis dato nur eine einzige Nummer gab, in der er mit keinem Artikel vertreten war. Damals beerdigte er nämlich seine Mutter.50 Im Jahre 1952 übertrug Willi Schuh (1900-1986)51 die Tätigkeit als New Yorker Musikkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung an Robert Breuer. Die Kontakte zu den Baseler Nachrichten begannen bereits im englischen Exil und wurden seit New York ausgiebig genutzt. »Die Schweiz wurde von mir bombardiert«, sagt Breuer und berichtet gerne die Anekdote, dass der Feuilletonleiter, als er ihn zum ersten Mal in Basel begrüßen konnte, gesagt haben soll: »Wir haben immer geglaubt, Sie sind eine ganze Firma. Sie haben das alles alleine gemacht?«52 Unermüdlich schreibt Breuer, wobei sein Spezialgebiet in der zeitgenössischen klassischen Musik liegt. Dazu bedurfte es einer sensiblen Aufmerksamkeit. So besuchte Breuer 1971 ein Seminar bei Walter Felsenstein (1901-1975)53 an der State University of New York. Dazu erscheint am 21. Mai 1971 sein Artikel »Ein Tag mit Walter Felsenstein« im Aufbau. Hierin zitiert Breuer Felsenstein ausgiebig. Auf die Frage nach dessen Inszenierungstätigkeit hin habe Felsenstein geantwortet: »Sie fragten, wieviele Opernwerke ich inszeniert habe: es dürften an die 200 gewesen sein und wir haben auch zeitgenössische Musikdramen herausgebracht, solche von Janacek, Britten und letzthin den ›Letzten Schuß‹ des wirklich hochbegabten Siegfried Matthus.«54 Vermutlich wurde Breuer durch Felsenstein auf den damals in der DDR lebenden Komponisten Siegfried Matthus (*1934)55 aufmerksam. Matthus erinnert sich, dass er bei seinem ersten New-York-Besuch — Matthus war noch nicht in Amerika bekannt — mit dem berühmten Kurt Masur (*1927) in einer Hotelhalle saß. Breuer kam auf beide zu, Masur habe sich erhoben, aber Breuer wollte nicht ihn, sondern Siegfried Matthus sprechen.56 Breuer schreibt im Aufbau über Matthus und dieser bedankt sich herzlich: Ganz herzlichen Dank für die zweimalige Übersendung Ihres Artikels über meine Arbeit und über mich. Ich habe mich sehr über Ihre anerkennenden Worte zu meiner Windsbraut gefreut. Es ist mir auch eine große Ehre mit einem Artikel über mich in Ihrer Zeitschrift zu erscheinen. Über unser Nachmittagsgespräch habe ich noch viel nachgedacht. Es waren interessante und mich sehr berührende Themen. Ich hatte Ihnen versprochen, hier bei uns über das Interesse nach einer Kritik von Ihnen über das Konzert nachzufragen. Die Nachrichtenagentur der DDR in den USA hat aber so ausführlich darüber berichtet, ich fand zwei verschiedene Berichte, die von vielen Zeitungen abgedruckt waren bei meiner Ankunft vor, daß der Wunsch nach einer erneuten Information nicht mehr besteht. Diese schnelle Berichterstattung hat mich natürlich gefreut. Es betrübt mich aber, dies Ihnen jetzt mitzuteilen. Lieber Herr Breuer, ich wünsche Ihnen Gesundheit, Glück und Erfolg in Ihrer Arbeit. Da ein JUDITH Gastspiel der Komischen Oper in Amerika geplant ist, besteht auch die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit Ihnen.57
Robert Breuer und Siegfried Matthus blieben freundschaftlich verbunden. Nicht nur viele hunderte Konzertkritiken zeugen von der hohen Kenntnis moderner und zeitgenössischer Klassik. Breuer überzeugte auch durch vorzügliche Besprechungen diverser Musikbücher, so zum Beispiel der Herausgabe der SchoenbergBriefe beim Verlag B. Schotts Söhne in Mainz. Der Verlag bedankte sich bei ihm:
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[…] wir hatten bereits über Frau Schoenberg von Ihrer vorzüglichen Besprechung der Schoenberg-Briefe in SATURDAY REVIEW gehört. Diese Anerkennung können wir nach eigener Kenntnisnahme Ihrer Arbeit nur noch einmal bestätigen. Interessant war es für uns von Ihnen Ihren weiteren Arbeitsbereich zu erfahren, der eine engere Zusammenarbeit mit dem Verlag durchaus wünschenswert erscheinen lässt.58
Und so erscheinen in Melos, der Zeitschrift für Zeitgenössische Musik vom Schott Musik-Verlag, Artikel zu dem Komponisten Lukas Foss (*1922), zu dem Dirigenten, Komponisten und Pianisten Dimitri Mitropoulos (1896-1960) und über die Avantgarde in den USA.59 Breuers unermüdliches Schreiben ist es schließlich auch, das ihn an der kulturellen Brücke zwischen Europa und Amerika mitbauen lässt. Bereits 1967 erhält er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und 1972 das Verdienstkreuz I. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschlands. (Nacht, 129) Das Zuhause in der Fremde sollte dies möglich machen.
VI Wir wollen den Haß und die Verwilderung, denen wir schutz- und hilflos ausgesetzt gewesen waren, zu vergessen trachten über den neuen Morgen — und wollen, wenn wir » W i e n « sagen, an die alten und schöneren Tage denken, umstrahlt vom jungen Zauber des Grüns im Frühling, bekränzt vom goldenen Hauch des Herbstes. Wir wollen die ewige Wiener Musik beschwingter Walzerklänge spüren — und nicht das hämmernde Trommeln der Marschkolonnen — wir wollen Menschen tanzen und nicht in uniformiertem Paradeschritt dahinmarschieren sehen — wir wollen das Band der Donau und die Spitze des Stephansturmes erblicken — nicht durch die Hakenkreuzfahne verunziert — wir wollen dem a l t e n W i e n die Treue bewahren, auch in der neuen Heimat — und hoffen, seine Wiedergeburt zu einer Stadt des Friedens und des Frohsinns miterleben zu dürfen! (Nacht, 116)
Am 24. Juni 1996 verstarb Robert Breuer im Alter von 86 Jahren in New York. Sein Herz schlug immer für ein demokratisches Österreich. Er, der sich selbst einmal darüber hinaus als »akklimatisierten Europäer«60 bezeichnete, bezeugte seine Treue und Liebe zu Europa von Amerika aus in zahlreichen Zeitungskritiken, Artikeln und Essays. Es ist ein Vermächtnis kulturellen Schaffens. Für Breuer war Schreiben ein Ausdruck von Freiheit in seinem Zuhause in der Fremde. Und so ist er zum kulturellen Brückenbauer zwischen Amerika und Europa geworden.
Anmerkungen 1 2
Matthias Karmasin, Michael Nitsche: »Robert Breuer. Man ist zu Hause in der Fremde«. In Schreiben im Widerstand. Österreichische Publizisten 1933-1945. Hg. Manfred Bobrowsky (Wien: Picus 1993), S. 177-191, hier S. 188. Ein Teilnachlass Robert Breuers mit Briefen, Lebensdokumenten, Tonbandaufzeichnungen, Originalen fiktiver Werke, diversen Zeitungsartikeln von ihm selbst befindet sich im Deutschen Exil-Archiv 1933-1945 in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a.M. [nachfolgend zitiert als NL Breuer]. Korrespondenzstücke Robert Breuers an Otto Basil befinden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek im Österreichischen Literaturarchiv im Bestand Otto Basil. Bücher und Schallplatten befinden sich noch in Privatbesitz von Lieselotte Breuer, der Witwe Robert Breuers.
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ROBERT BREUER Sie war 1876 die erste Brünnhilde und 1882 die erste Kundry bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Robert Breuer war auf diese Beziehung des Vaters besonders stolz. Dies fand mehrfach Erwähnung. Siehe Interview John M. Spalek mit Robert Breuer am 28. März 1984. Dieses fast dreistündige Interview, dessen Aufzeichnung sich im Frankfurter Exil-Archiv befindet, ist als »oral history« eine hervorragende Ergänzung zu den vielen schriftlichen Nachlass-Stücken [nachfolgend zitiert: NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview]. Siehe dazu auch Robert Breuer: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938 (Wien: Löcker 1988), S. 47: »In unserer Wohnung befand sich ein Klavier, das meine Mutter mit den Ersparnissen aus ihrer Mädchenzeit gekauft und in ihre Ehe mitgebracht hatte. Auf ihm hatte sie gespielt und meinen Vater, einen Schüler Amalie Maternas, zu Liedern von Schubert und Hugo Wolf begleitet.« Karmasin/Nitsche, »Robert Breuer«, S. 178. Siehe auch NL Breuer, Breuer/SpalekInterview. Hier erinnerte sich Breuer, dass der Lehrer zu ihm selbst sagte: »Du hast ein Reportertalent.« Siehe NL Breuer: Im Archiv befinden sich die Kopien der Schulzeugnisse. Die Originale sind in Privatbesitz bei Lieselotte Breuer. Später sogar als »Fliegender Reporter«. Siehe Brief von Marta Ley an Robert Breuer, undatiert, vermutlich von 1955, als Breuer das erste Mal wieder in Europa weilte (NL Breuer): »Ich habe eine sehr nette Einfuehrung gesprochen, Sie als Roving Reporter bezeichnet, ein andermal als ›Whom’s Fliegender Reporter‹ und ich glaube schon, dass alles Eindruck machte.« Siehe NL Breuer, Radioansprache aus Anlass des Todes von Johann Strauß, 6 Seiten, maschinenschriftlich, hier S. 1. Richard Strauss-Blätter (Wien), N.F., Nr. 29 (1993), S. 22. Die IRSG ist die Internationale Richard Strauss-Gesellschaft und besteht in Wien seit 1970, nachdem sich die IRSG in Berlin aufgelöst hatte. Sie ist Herausgeber der Richard Strauss-Blätter. Robert Breuer war von Beginn an, also seit 1970, bis zu seinem Tod 1996 Mitglied. Im Zuge der MaturaArbeit korrespondierte Breuer mit Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Leider sind die Briefe verschollen. NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Karmasin/Nitsche, »Robert Breuer«, S. 180. Siehe auch NL Breuer, Breuer/SpalekInterview. Robert Breuer: Gedichte vom Leben, Lieben und Lachen … (Wien: Selbstverlag 1935), S. 3. Siehe NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Ebd. Siehe auch: Breuer, Nacht über Wien, S. 20. Fortan im Text als Nacht mit Seitenzahl zitiert. Siehe Robert Breuer: »Die Aussichten einer europäischen Föderation«, Aufbau (NY), 24. Nov. 1944, S. 3. Siehe Karmasin/Nitsche, »Robert Breuer«, S. 178. — Die Altersangaben Breuers stimmen hier nicht. Ernst Haeusserman war Jahrgang 1916, Robert Breuer war Jahrgang 1909. Siehe auch Robert Breuer: »Abschied von Ernst Haeusserman«, Aufbau (NY), 22. Juni 1984, S. 4. Siehe ebd. – Siehe auch NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Siehe auch Karmasin/Nitsche, »Robert Breuer«, S. 183. Ebd. Siehe auch NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Siehe NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Siehe NL Breuer, Brief von Fritz Ropschitz an Robert Breuer (vermutlich 1941). Lieselotte Fröhlich wurde in Köln geboren und emigrierte 1939 nach New York. Dort lebt sie noch heute. Siehe NL Breuer, Brief von Tante Sophie vom 26. Feb. 1942 an Robert Breuer. NL Breuer. Das Gedicht wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Siehe auch Karmasin/Nitsche, »Robert Breuer«, S. 189. NL Breuer. Siehe NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview.
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Ebd. NL Breuer. Robert Breuer: »Das neue Buch. Rudolf Kalmar: ›Zeit ohne Gnade‹ (Schönbrunn-Verlag, Wien)«, Neue Volkszeitung, Nr. 8, 21. Feb. 1948, S. 8. NL Breuer, Brief von Rudolf Kalmar vom 16. März 1948 an Robert Breuer. Breuer, »Das neue Buch«, S. 8. NL Breuer. Ebd. Siehe auch NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. NL Breuer, »Wanderer auf dieser Welt«. Manuskript, New York 1940. Breuer schreibt hier, er hätte im Juni 1941 geheiratet. Nach Aussagen von Lieselotte Breuer war es der 5. April 1941. Lanny ist benannt nach der Romanfigur Lanny Budd von Upton Sinclair. – Siehe hierzu NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. – Upton Sinclair wird 1942 der Pulitzer-Preis für seinen Anti-Nazi Roman Dragon's Teeth (Teil der sogenannten elf Bände umfassenden »Lanny-Budd-Serie«) verliehen. Breuer demonstrierte hiermit seine literarisch-politische Denkweise und seinen Kosmopolitismus. Seinen ersten Sohn hatte der passionierte Richard-Strauss-Verehrer nach dem Komponisten benannt. Neue Volkszeitung, Nr. 8, 24. Jan. 1948, S. 7f. Aufbau (NY), 28. Mai 1982, S. 9 (zu Ein Kind); Aufbau (NY), 29. Apr. 1983, S. 9 (zu Beton und Wittgensteins Neffe); Aufbau (NY), 18. Jan. 1985, S. 9 (zu Holzfällen); Aufbau (NY), 8. März 1985, S. 8 (zu Der Theatermacher); Aufbau (NY), 11. Okt. 1985, S. 11 (zu Alte Meister); Aufbau (NY), 21. Nov. 1986, S. 11 (zu Auslöschung). Robert Breuer: »Hermann Broch – Poet and Philosopher«, The American-German Review, XXIII, Nr. 3 (1957), S. 12-14. Siehe NL Breuer, Brief von Wolfgang Kraus (Paul Zsolnay Verlag) vom 24. Feb. 1954 an Robert Breuer: »Es drängt mich, Ihnen für die so überaus verständnisvolle und auf das Wesentliche gerichtete Besprechung des bei uns erschienenen Buches ›Ich gestehe Alles‹ von Johannes Mario Simmel aus aufrichtigem Herzen zu danken. […] Leider findet man sehr wenige verständnisvolle Rezensenten, wie Sie einer sind. Den meisten fehlte der Blick für den doppelten Boden des Romans von Simmel, und so wurde das Buch fast ausnahmslos missverstanden. Ich danke Ihnen nochmals herzlichst […].« – Zahlreiche Briefe von Simmel an Breuer zeigen die Dankbarkeit Simmels für Breuers Arbeit. Simmel erwähnte am 31. Okt. 2007 gegenüber der Verfasserin, dass Breuer wesentlich zu Simmels Erfolg beigetragen habe. Er habe ihn bereits rezensiert, als andere ihn noch gar nicht zur Kenntnis nahmen. Siehe NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Siehe Breuer, Nacht über Wien, S. 128: »Alte Bekannte und neue Freunde bestürmten mich mit der Frage, ob ich nun wieder in Wien leben möchte. Es wirkte wie eine kalte Dusche auf mich, daß sie meine Gegenfrage, wie das wohl anzustellen wäre, nicht zu beantworten vermochten.« Marcel Prawy, Jurist und Dramaturg, amerikanisches Exil, wurde 1955 Dramaturg und Produktionsleiter an der Volksoper Wien. Prawy lehrte an amerikanischen Universitäten und brachte das Musical nach Europa. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof. NL Breuer, Brief von Marcel Prawy vom 2. Juli 1958 an Robert Breuer. NL Breuer, Brief von Rudolf Goldschmit vom 12. Okt. 1970 an Robert Breuer. NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. NL Breuer, Brief von Lawrence S. Leshnik und Werner A. Stein vom 10. Apr. 1981 an Robert Breuer. Siehe NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Willi Schuh, Musikwissenschaftler und Richard-Strauss-Biograph, war von 1944 bis 1965 Musikredakteur der Neuen Zürcher Zeitung.
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ROBERT BREUER NL Breuer, Breuer/Spalek-Interview. Siehe auch Breuer, Nacht über Wien, S. 126: »[…] vermutete ein Redakteur der Baseler Nachrichten, ich beschäftige einen größeren Stab von Mitarbeitern, könne ja all diese Berichte nicht allein verfaßt haben.« Walter Felsenstein, Wiener, Regisseur, Gründer und Intendant der Komischen Oper Berlin. Robert Breuer: »Ein Tag mit Walter Felsenstein«. In Robert Breuer: New Yorker MusikKaleidoskop 1962-1990. Hg. Philipp Olbeter u. Joerg Iwer (Trier: Kunst 1994), S. 74-76, hier S. 76. Siegfried Matthus kam durch Walter Felsenstein 1964 an die Komische Oper Berlin, wo er bis heute als Dramaturg und Komponist wirkt. So in einem Gespräch am 1. April 2008 mit der Verfasserin. NL Breuer, Brief von Siegfried Matthus vom 5. März 1987 an Robert Breuer. NL Breuer, Brief von A. Volk vom 23. Feb. 1960 an Robert Breuer. Robert Breuer: »Lukas Foss improvisiert«, Melos, XXVIII, Nr. 1 (1961), S. 8f. – ders.: »Mitropoulos – Mystiker und Moralist«, Melos, XXVIII, Nr. 4 (1961), S. 113-115. – ders.: »Die Avantgarde in den Vereinigten Staaten«, XXX, Nr. 3 (1963), S. 77-79. Sigrid Schneider: »Deutschsprachige Journalisten und Publizisten im New Yorker Exil«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Hg. John M. Spalek u. Joseph Strelka. Bd. II, Teil 2: New York (Bern: Francke 1989), S. 1257-1299, hier S. 1269.
OFT GLÜCK GEHABT: DER SCHAUSPIELER ALEXANDER GRANACH IM EXIL GÜNTER AGDE Alexander Granach (1893-1945) war im Deutschland der zwanziger Jahre ein bekannter, viel beschäftigter Schauspieler, ein Star des Theaters und des Films, links, erfolgreich, wohlhabend, begehrt, ein Jude. Als das NS-Regime an die Macht kam, wusste Granach, was ihn erwarten würde. Bis zum Mai 1933 spielte er noch den Mephisto in Goethes Faust am Deutschen Schauspielhaus Berlin. Bei Einführung des NS-Gesetzes über die »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« hatte Granach einen gültigen Vertrag, der ihm nun sofort gekündigt wurde.1 Er hatte Glück, denn er wurde ausbezahlt, verließ das Land und ging ins Exil, das bis zu seinem Tod 1945 dauern sollte. Mit tatkräftiger Hilfe seiner Freundin Lotte Lieven-Stiefel, einer Schauspielerin Schweizer Nationalität, transferierte er sein Geld in die Schweiz. Lotte verwaltete für ihn das Depot, das ihm zur Verfügung stand, wenn er es brauchte. Granach war sich über den Charakter des »Dritten Reiches« schon früh im Klaren, und bis zur eigenen Emigration hatte er auch genügend Gelegenheit zu studieren, wie die neue Macht sich etablierte und mit Andersdenkenden umging. Er beobachtete aufmerksam die Schicksale seiner Kollegen und Freunde. Er fühlte sich bedroht: als Jude und als bekennender Linker, beides zusammen als öffentliche Person. Seine Exilstationen waren Polen, die Sowjetunion und die Schweiz, mit zwischenzeitlichen Abstechern nach Wien und Prag, alles Orte, von denen aus er schnell hätte wieder nach Deutschland kommen können, und ab 1938 die USA. Von allen seinen Exilstationen aus suchte er nach neuen Engagements und Theaterprojekten. Erwin Piscator bildete dabei seine größte Zukunftshoffnung, da dieser — ebenfalls in mehreren Ländern im Exil — stets hochfliegende Pläne mit Theatergründungen betrieb und auf Granach zählte. Granachs Exilgepäck war seine Kunst als Schauspieler, sein Handwerk die deutsche Sprache, auch dies ein Grund, solange wie möglich »in der Nähe« zu bleiben. Das Exil verengte Granachs Repertoire radikal: nahezu alle Theaterrollen, die er in Deutschland gespielt hatte, musste er beiseite legen. Nur wenige seiner klassischen Rollen konnte er bewahren und repetieren: Jago, Mephisto, Faust, Macbeth. Diese Rollen freilich konnte er sofort und ohne Vorbereitung abrufen. Im Exil konnte er sich nur wenige neue Rollen fürs Theater erarbeiten und auch die nur für kurze Zeit: Mamlock von Friedrich Wolf in Polen, Mimi in einem Stück von Julius Hay in Kiew. In den USA hat er keine nennenswerten deutschen Theaterrollen mehr gespielt. Eine Ausnahme bildete die Rolle des Stauffacher in Schillers Wilhelm Tell in einer exquisiten, jedoch seltsam abgehobenen Inszenierung (1939), die ausschließlich von deutschen Emigranten ausgerichtet worden war und ein ehrenvoller, aber denkwürdiger Misserfolg beim Publikum wurde. Und in seinem Todesjahr 1945 spielte er die kleine Rolle des Fischers Tomasino in A Bell for Adano von Paul Osborn am New Yorker Cort Theatre: sein Erfolg war von der sozialen Genauigkeit und der plebejischen Grundfärbung geprägt, die Granach allemal eigen waren. Nur wenige deutsche Spielfilme, in denen Granach vor 1933 gespielt hatte, waren in den Exilländern bekannt. Als in den USA mit großem Erfolg der sowjetische Spielfilm Poslednij Tabor (Das letzte Zigeunerlager, 1935) gezeigt wurde, in dem Granach die Hauptrolle spielte, waren viele Zuschauer überrascht, Granachs Schauspielerbegabung in einem Film zu sehen, der außerhalb Hollywoods produziert worden war.
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Die Nähe zu Deutschland bezeichnete für Granach freilich auch eine latente persönliche Gefährdung im Falle einer Okkupation des Exillandes. In der Sowjetunion verschärfte sich seine Gefährdung durch den Stalinschen Terror. Erst in den USA fühlte er sich — auch infolge der geographischen Entfernung — persönlich wirklich sicher. Anfangs schlug er sich im Exil mit Jiddisch durch, versetzt mit Polnisch-Ukrainischem. Mit dieser Mischung, die er noch von Zuhause aus beherrschte und nun variieren musste, konnte er sich im Alltag so sicher verständigen, dass er auch Vertragsverhandlungen selbst führen konnte. Damit kam er auch in der Sowjetunion (1935-1937) durch. Für seine Rollen freilich musste er die Landessprachen beherrschen. Das fiel ihm in den osteuropäischen Ländern leichter, zumal er sprachbegabt war. Das Auswendiglernen von Rollen kam seinem Naturell entgegen, weil er sie vor allem phonetisch, über Selbst-Laut-Lesen, lernte. Zugleich gebrauchte er einen bewährten Schauspieler-Trick: er schrieb sich die Texte seiner neuen Rollen aus den Textbüchern heraus und eignete sie sich so an. Da setzte sich auch sein Ehrgeiz fort, perfekt zu sein. Nur als er in die USA, in die letzte Station seines Exils kam, quälte er sich lange mit dem Englischen herum. Aber er hatte begriffen — und der Regisseur William Dieterle hatte es ihm existentiell vor Augen geführt —, dass er nur mit passablem Englisch Chancen auf dem amerikanischen Film-Arbeitsmarkt hätte. Also büffelte er energisch und zäh. Er wechselte — wohl auch aus psychologischen Gründen — mehrfach den privaten, selbstbezahlten Sprachlehrer. Schließlich beherrschte er das Englische, wenngleich sein deutscher bzw. slawischer Akzent nicht vollends verschwand.
H erkunft Der jüdische Bäckersohn Alexander Granach hatte schon einmal einen ihm tief vertrauten Platz verlassen, sein Heimatdorf Werbowitz in Galizien, allerdings freiwillig und bestärkt von den besten Zukunftsaussichten. Seine Übersiedlung ins wilhelminische Berlin bedeutete keine Emigration, sondern war der bewusste Aufbruch eines jungen Mannes, der von seiner außergewöhnlichen Begabung überzeugt war, aus einer zivilisatorischen Enge — und auch geographischen Abgeschiedenheit — eines entlegenen Dorfs in eine Großstadt, in die Metropole eines zentraleuropäischen Landes. Dieser Wechsel hat ihn zeitlebens als Erinnerung an einen tiefgehenden Schnitt begleitet, da er ihn als endgültigen Abschied von der Heimat, von der Familie, von »seinen« Juden verinnerlichte. Der junge Künstler suchte — und fand dann — den Anschluss an die künstlerische Moderne, die er brauchte. Dafür machte er Umwege: geographisch über Oberitalien und Österreich als Soldat während des Ersten Weltkriegs und dann über die Slums im Berliner Scheunenviertel, beruflich als gelernter Bäcker, Sargtischler und Gelegenheitsarbeiter. Seine Herkunft als Bäcker hat ihn später sogar stolz gemacht, indem er sich mit dem seinerzeit berühmten sowjetischen Schriftsteller Maxim Gorki verglich, der auch Bäcker gewesen war. Granachs Eintritt in die Zivilisation war eine spektakuläre Aktion: er hat sich beide krumme (Bäcker-)Beine von Chirurgen brechen und gerade richten lassen. Geradegewachsene Beine waren in den zwanziger Jahren Voraussetzung fürs Theater insofern, als die Beintrikots, die seinerzeit noch auf der Bühne üblich waren, die Form der Körperteile besonders betonten. Das Engagement an Max Reinhardts Deutsches Theater in Berlin 1912 wurde für ihn zum Ritterschlag.
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Der Schauspieler Granach hat stets gerne bekannt, dass die Lektüre des Romans »Der Pojatz« von Karl Emil Franzos (1904) für ihn eine Art Erweckungserlebnis bildete: er wollte stets dem dort entworfenen, kraftvollen Bild des Gauklers, des Verstellers, des Komödianten nacheifern. Alle seine Rolleninterpretationen waren ebenso daran zu messen wie seine (seltenen) Meinungen über Kollegen, wie z.B. seine enthusiastische Sympathie für Chaplins Hitler-Parodie in The Great Dictator (Der große Diktator, 1940). Dabei anerkannte er, dass Chaplins Komik von anderer Art war als seine.2 Granach hat sich in seinem schauspielerischen Profil wenig verändert, auch im Exil nicht. Von Beginn seiner Theaterarbeit an spielte er mit wildem, draufgängerischem Körpereinsatz bis zum Exhibitionismus, stark gestisch und ausufernd, wie es seinem persönlichen Naturell entsprach. Seine kräftige, weittragende Stimme stärkte die erhebliche Explosivität seines Bühnentemperaments. Er spielte auch gern mit der Maske und ließ da keine Verwandlungsmöglichkeit aus. Berühmt wurde seine LeninMaske in Piscators Inszenierung von Ehm Welks Gewitter über Gottland (1927). Granach ließ sich auch gern in solchen Masken porträtieren. In seiner Bühnensprache war, trotz der Schulung etwa durch die Shakespeare-Übersetzungen von Schlegel/ Tieck, die er spielte, der slawische Akzent nicht zu überhören. Das rollende R und die abfallenden Sprechbögen in der Stimmführung hat er sich nie vollends abgewöhnen können. Dabei geriet er oft in Konflikt mit den Regisseuren, die auf Einhaltung aller Arrangements, Tonlagen und Stimmungen bestanden, die auf den Proben erarbeitet worden waren, aber auch mit Kollegen, mit denen zusammen er auf der Bühne spielte. Da wurde mancher — auch lautstarke — Streit überliefert. Die starken darstellerischen Eindrücke, die er vermittelte, und die unbedingte Glaubwürdigkeit der Rolleninterpretation erzielten bei seinem Publikum nachhaltige Resonanz. Zudem traf das Ekstatische, beinahe Exhibitionistische seiner Interpretationen einen Zeitnerv des modernen Theaters der zwanziger Jahre. Der kurze, gedrungene Mann, muskulös und sportlich, der sich nie doubeln ließ, steigerte durch seinen körperlichen Einsatz die Qualität seiner Rollengestaltungen. Er zielte immer auf den vollbesetzten Zuschauerraum, den er mühelos mit seiner Stimme und seiner Präsenz ausfüllte. Dabei spürte er immerzu den Reaktionen der Zuschauer nach und nahm sie auf. Diese Rückkopplung blieb ihm wichtig. Als er später nur noch im Film spielen konnte und das lebendige Echo ausblieb, suchte er eifrig alle Rezensionen nach Reaktionen auf seine Darstellung ab. Die Verführung zu Disziplinlosigkeit und Bühnenanarchie wurde ihm selbst bewusst, sodass er Hilfe bei Selbsterfahrungstherapien suchte und Kurse bei der seinerzeit in Berlin bekannten Privatschule von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby belegte. Gindler und Jacoby schulten in speziellen Übungen individuelles Muskeltraining und Atemtechnik, die sie mit Verhaltensweisen im Alltag in Verbindung brachten.3 Granach hat lebenslang den beiden eine fast zärtliche Anhänglichkeit und Dankbarkeit bewahrt. Er setzte sich lange für Heinrich Jacoby ein, als dieser ins Exil gehen musste (Gindler blieb in Berlin). Granach wusste aus eigenem Erleben in Jacobys Kursen, dass »dem Meister«, wie er ihn nannte, nur Arbeit helfen konnte. Alle ExilArbeitsvermittlungsversuche Granachs für Jacoby scheiterten. Er war ein guter, schneller Lerner und besaß ein fabelhaftes Gedächtnis. Mit seinem geselligen und kontaktfreudigen, epikureischen Temperament fand er viele Freunde und schnellen Anschluss auch an private Zirkel.
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Granach hat infolge seiner Filmarbeit, als er den substantiellen Schritt vom Stummfilm zum Tonfilm absolvierte, in einem längeren Wandlungs- und Erkenntnisprozess seine darstellerischen Mittel überprüfen müssen. Zum nachhaltigen Kulminationspunkt dieses Übergangs wurden Probeaufnahmen, die Gustav von Wangenheim mit Granach in Moskau drehte, als er seinen Film Borzy (Kämpfer, 1936) vorbereitete und Granach in einer Hauptrolle besetzen wollte. Wangenheim bewies ihm anhand der Probeaufnahmen, dass er seine Gestik überspitzt und zudem grimassiert hatte wie für einen großen Theatersaal. In den Großaufnahmen des Films wirkte dies peinlich und vollkommen unangebracht. Doch Granach beharrte auf seiner Auffassung, worauf Wangenheim androhte, die Rolle — und damit den ganzen Film — zur Disposition zu stellen oder völlig auf Granach zu verzichten. Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen beiden führten zu einem heiklen Patt, und Granach musste sich mit einer erheblich kleineren Rolle abfinden. Diese für einen Schauspieler von Granachs Mentalität grundlegende Erfahrung beim Wechsel in ein anderes Medium, die er zudem unter den existentiellen Umständen des Exils realisierte, bewirkte, dass sich Granach dann dauerhaft disziplinierte. Er schnitt sein darstellerisches Instrumentarium auf die neuen Bedingungen zurecht und konsolidierte es. Alle seine Filmrollen, die er nach jenem Probeaufnahme-Trauma spielte — und das sind auch alle seine Rollen in amerikanischen Filmen — bewiesen, wie ihm das gelungen ist. Diese Änderungen modulierten seine Mittel, nicht jedoch seine schauspielerische Substanz. Er blieb Granach. Das Unberechenbar-Exaltierte, Unkontrollierte war zurückgestuft auf die Bedingungen von Film und damit auch auf die Harmonisierung mit den Schauspieler-Kollegen. Nur dadurch gelang es ihm dann auch, den stilistischen Anschluss an das in Hollywood tradierte Instrumentarium von Filmschauspielern zu erreichen und — bis auf wenige Ausnahmen — der Neigung der Hollywooder Filmindustrie zu entgehen, Rollen bzw. –klischees von Nazis oder Offizieren der nazistischen Wehrmacht mit deutschen emigrierten Schauspielern zu besetzen. Er spielte immer »erstes Fach«: er beanspruchte und spielte Hauptrollen, und wollte auch als erstes Fach bezahlt werden und wurde es auch. Auf den Tourneen in Polen wurde er prozentual an den Abendeinnahmen beteiligt. Erst später musste er seine Ansprüche zurückstufen.
»Mütterchen Russland«: zwischen H offnung und Enttäuschung Seinen Exilbeginn in Polen betrachtete Granach als unumgängliche Zwischenstation, die er nicht wartend und untätig verbringen wollte. Entschlossen und schnell traf er die Verabredung mit Friedrich Wolf, die Titelrolle in dessen Theaterstück Professor Mamlock in jiddischer Sprache in Polen zu spielen. Bald nahm er den Shylock in Shakespeares Kaufmann von Venedig dazu, sehr genau wissend, dass dem jüdisch-polnischen Publikum die ideelle Verbindung zwischen dem Anliegen des ShakespeareStücks und der höchst aktuellen Antisemitismus-Anklage des Wolfschen Textes nicht entgehen würde. Beide Rollen prägten seine Exilkunst. So reiste er mit einem kleinen, in Polen zusammengestellten Ensemble auf Tourneen durchs Land, spielte en suite und gastierte auch in Anrainerländern. Sein Lebenszentrum bildete Warschau, die Stadt wurde auch von anderen Emigranten als Durchgangsstation und Nachrichtenund Verhandlungsknotenpunkt genutzt, sodass Granach hier seine Verbindungen zu
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anderen Arbeitsmöglichkeiten spielen lassen konnte. Die schnellste und aussichtsreichste schien in Moskau zu liegen. In Moskau versuchten die exilierten deutschen Regisseure Erwin Piscator und Gustav von Wangenheim mit Hilfe der Exil-KPD, ein deutschsprachiges Theater aufzubauen. Beide vertraten verschiedene ästhetische Konzepte, die auf ihr Wirken in Deutschland zurückgingen. Piscator favorisierte ein politisch engagiertes Berufstheater auf hohem Niveau, Wangenheim setzte auf die Beteiligung von Agit-PropKräften. In seinem Moskauer Exil (1935-1937) schwankte Granach zwischen beiden Projekten. Er hatte mit beiden Regisseuren in Berlin diverse Arbeitserfahrungen und Kontroversen gehabt, und an beide knüpfte er nun große Zukunftshoffnungen für sich selbst. Er wollte spielen und zwar hauptsächlich große Rollen. Aber der intelligente Mann hatte schon früh erkannt, dass das seinerzeit modernste Massenmedium, der Film, seiner Kunst ein anderes, gleichfalls öffentlichkeitswirksames Forum — auch für den eigenen Ruhm — bieten konnte. Schon in Deutschland vor 1933 hatte er erfolgreich in insgesamt 24 Spielfilmen mitgewirkt. Zu seinen bekanntesten zählten Nosferatu (1921, Regie F. W. Murnau), Die letzte Kompagnie (1930, Regie: Kurt Bernhardt) und Kameradschaft (1931, Regie G. W. Pabst), allesamt mediale Meilensteine des deutschen Kinos der zwanziger Jahre. Granachs mediale Disponibilität wirkte auch späterhin produktiv auf seine Überlebensstrategie im Exil zurück. Und schon früh hatte er innovative und avantgardistische Ansätze im Film geschätzt. So war er zum engagierten Anhänger der sogenannten Russenfilme geworden, als diese in Berlin in den Kinos liefen. So erkannte er die Bedeutung des jungen holländischen Dokumentarfilmers Joris Ivens. Als dieser ihm nun im Einvernehmen mit Wangenheim die Mitwirkung an einem Film in Moskau anbot, entschied sich Granach schnell zu einem Vertragsabschluss, zumal sich ein Scheitern der Moskauer Theaterpläne abzeichnete. Zur gleichen Zeit entwickelte Erwin Piscator das Projekt eines Kunstkombinats in Engels, der Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik, mit drei »Säulen«: Schauspieltheater, Theaterschule und Filmproduktion.4 Die Aussichten, zusätzlich zum Theater beim Film arbeiten zu können — in Moskau bei Meshrabpom-Film, in Engels am zu errichtenden Studio —, reizten auch Granach. Er machte hochfliegende Pläne: er wollte ein Szenarium für einen Film über Erich Mühsam schreiben und einen eigenen Stoff »Die Wand« als Spielfilm inszenieren. Als Piscator zum Jahresende 1935 einen »Film der Wahrheit« über das Leben in der Wolgadeutschen Republik vorbereitete, der ein »Gegenfilm« zu dem NS-Film Friesennot (1935, Regie Peter Hagen) werden sollte, beteiligte sich auch Granach an der propagandistischen Werbekampagne, Piscator signalisierte ihm eine tragende Rolle.5 Der beginnende Große Terror machte alle diese Pläne zunichte. Seine großen Exilrollen Mamlock und Shylock konnte er in der Sowjetunion nicht spielen. Granach gelang — wieder hatte er Glück — ein Aufschub. Er spielte in dem Film Poslednij Tabor (Das letzte Zigeunerlager, 1935, Regie Evgenij Schnejder, Mojsej Gol’dblat) die Hauptrolle, den herrischen Anführer und Patriarchen eines Zigeunerstamms, den die Sowjetmacht in der Ukraine sesshaft machen wollte. Hier konnte er noch einmal alle Register seines darstellerischen Könnens ziehen, eingeschlossen einen Rückfall in seine überwunden geglaubte Ekstatik-Phase. Granach wusste nicht und erfuhr es auch nie, dass Stalin im Kreis seiner Politgetreuen genau dies rügte und dafür sogar den Branchenslogan vom Outrieren benutzte.6 Während der Dreharbeiten und der außergewöhnlich langen Endfertigung arbeitete Granach am Kiewer Jüdischen Theater, spielte in dem Stück Mimi, das Julius Hay
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für Kiew geschrieben hatte, und machte auch hier hochfliegende Pläne: er unterrichtete junge Theatereleven, suchte nach neuen Rollen, machte sich gar Auspizien als Theaterleiter. Im November 1937 wurde er vom NKWD verhaftet. Ihm drohte das Schicksal vieler, die durch den Stalinschen Terror vernichtet wurden. Nur durch einen geradezu märchenhaften Zufall kam er frei. Wieder hatte er Glück gehabt. Fortan war sein Verhältnis zur Sowjetunion mehr als gebrochen. Er bewahrte sich eine romantische Neigung zu »Mütterchen Russland«, wie er die Sowjetunion nun nannte, vergaß jedoch nie die Liquidierung der Utopien, auch seiner eigenen. Er verließ sofort das Land und flog nach Zürich, zu Lotte, und reiste kurz darauf weiter nach New York. Granach gelang als einziger deutschen Künstler, aus dem sowjetischen ins amerikanische Exil zu wechseln.
Ein Schauspieler als Autor im Exil Schon vor seiner Emigration hatte Granach gelegentlich in Zeitungen publiziert: kurze Meinungsäußerungen und Statements zu tagesaktuellen Fragen oder muntere Antworten in Interviews. Dies behielt er bei, da er gern schrieb. Auch im Exil hat er sich publizistisch geäußert, meist zu seinen Rollen oder zu aktuellen Problemen, jedoch immer nur dann, wenn er gebeten wurde und wenn ihm das Anliegen behagte. Geld verdienen konnte er damit nicht, aber diese Art Verlautbarung gehörte zu seinem Selbstverständnis als öffentliche Person. Er erwies sich schnell als sicher in der Wortwahl und gewandt im Ausdruck. Im Exil wurden ihm seine Briefe an Lotte zu einer hohen Schule der deutschen Sprache. Von 1933 an bis zu seinem Tod 1945 schrieb er zahllose Briefe an seine langjährige Vertraute Lotte Lieven-Stiefel in der Schweiz.7 Ihr vertraute er vorbehaltlos, und so waren seine Texte an sie von grenzenloser Offenheit und Klarheit. Der spontane, auch launenhafte Granach schrieb, was ihm gerade im Kopfe herumging. Das intime Vertrauensverhältnis zu Lotte ließ zu, dass er ohne Rücksichtnahmen oder Filter gerade heraus sprach: Seine Reflexionen waren Gedanken beim Verfertigen des Schriftlichen. Lotte bremste ihn nicht, auch beeinflusste und zensierte sie ihn nicht. So fabulierte er auch Alltags- und Naturbeobachtungen und Episoden, meist kurz und nach der Länge eines Briefes bemessen. Daraus erwuchs allmählich über die Jahre hinein Drang, sich weiter zu fassen und über drängende Aktualitäten hinauszugehen. Damit an die Öffentlichkeit zu gehen, kam ihm lange nicht in den Sinn.
»Bin ich ein Jude? Bleibe ich ein Jude?« In den Briefen an Lotte sinnierte Granach fortwährend vor allem über sein Judentum. Da wurde Lotte zum Glücksfall: auch über große Entfernungen hinweg und zu den verschiedensten Gelegenheiten redete er zu ihr hin über sich und reflektierte sein Jüdischsein. Er stellte es infrage und befragte es. Nur Lotte sicherte ihm die nötige Diskretion und den unumgänglichen Takt. Im Schreiben an sie verwirklichte sich ein intimer Versuch, sein eigenes Selbst zu finden. Er praktizierte sein Judentum nicht. Aber von Hause aus brachte er das gesamte Wissen um Jüdisches mit, kannte alle Bräuche, Rituale, den Sagen- und Mythenschatz, den Talmud, beherrschte den jüdischen Witz, kannte und erzählte selbst gern viele
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jüdische Witze. Angesichts des wachsenden Antisemitismus der Nazis, den er durch Zeitungen und Berichte wahrnahm, hielt es Granach für völlig unangebracht, öffentlich über sein Judentum und seine Skepsis ihm gegenüber zu sprechen, ebenso wenig, wie er öffentlich-publizistisch die Position der Sowjetunion infragestellte. Diese andauernde, auch quälende und konfliktreiche Identitätssuche im Spannungsfeld zwischen Abstoßung und dem unscharfen Wunsch »nach neuen Ufern« markierte sich auch stilistisch und in seiner Handschrift.8 Die Konfrontationen mit jüdischen Kollegen und Bekannten in Polen und die Auseinandersetzung mit seinen polnischen Theaterimpressarios trugen das ihre dazu bei. Während seines Sowjetunionaufenthaltes spürte er davon nichts. Granach reflektierte immer am ideellen Beispiel der Rollen, die er spielte. Seine Theatervorstellungen waren immer ausverkauft. Nach dem letzten Vorhang und dem Applaus seiner Zuschauer klang das Erlebnis in ihm nach: die Begegnung seiner jüdischen Helden Shylock oder Mamlock mit dem Publikum. Die große Resonanz auf diese Rollen in seiner Gestaltung beeindruckte ihn nachhaltig. Dies waren immerhin Rollen, die »jüdischer« nicht sein konnten: Shylock in Shakespeares Der Kaufmann von Venedig. Mit 27 Jahren hatte er ihn zum ersten Mal in München gespielt, und dann immer wieder, und im Exil en suite. Sie war auch seine Vorsprechrolle gewesen. Den Mamlock in Friedrich Wolfs Stück empfand er immer wie ein Kontrastprogramm zu Shylock, dessen philosophische Dimensionen ihn stärker beschäftigten. In Amerika hat er den Shylock nicht gespielt, ohnehin wurde Der Kaufmann von Venedig dort nicht inszeniert. Auch andere jüdische Rollen spielte er dort nicht, wenn man von kleinen Tingeleien in Nummer-Programmen der jüdischen Rand-Diaspora absieht. Die andere große Rolle jüdischen Charakters in der deutschen Dramatik, Lessings Nathan, hat er seltsamerweise nie gespielt. Sowie er Lotte schrieb, so dachte er auch. Und ein weiteres Indiz für das Drängende seines Anliegens: bei keiner anderen Rolle sonst fabulierte Granach — wieder nur intern in Briefen an Lotte — eine Fortsetzung nach Stückschluss. Er führte nicht Shakespeares Stückfabel weiter, sondern nur die Figur des Shylock, dem er ein Märchen zuschrieb und freundliches Familienglück und Arbeit ausmalte. In diese naive Utopie packte er die eigenen Sehnsüchte und Zweifel hinein. Diesen neuen Schluss hat er selbst nie realisiert, nur geträumt und als kleine, ernstzunehmende Prosaskizze aufgeschrieben.9 Granachs Auseinandersetzungen, sein Sich-Quälen mit dem Jüdischsein führte für ihn zu keinem unmittelbaren, greifbaren Ergebnis: er beließ es bei seinem Status so wie bisher, er sympathisierte mit dem Judentum, verteidigte es, wenn es ihm nötig erschien, trug dessen kulturelle und historische Werte weiter. Aber er praktizierte das Judentum nicht und hielt keine Rituale ein. Und seine kleinen Boshaftigkeiten gegenüber jüdischen Händlern und Tourneeorganisatoren pflegte er mit Humor weiter. Jegliche Bigotterie blieb ihm fremd. Dort, wo er materiell auf die jüdischen Gemeinden angewiesen war, fügte er sich aus gesundem Opportunismus zum Überleben ein. In den vierziger Jahren radikalisierten ihn die Nachrichten vom Massenmord an den Juden durch die Nazis. Entschlossen aktivierte er sein Judentum und bekannte sich öffentlich dazu: Kurz vor seinem Tod schrieb er in einem Text an Thomas Mann: »Ich bin Jude, und mein Herz ist voller Scham und Empörung über das Schicksal meines Volkes.«10 In den USA hat Granach keine Filmrollen gespielt, die ihn zur Auseinandersetzung mit seinem Glauben herausgefordert hätten. Ihm wurden auch keine solchen Rollen angeboten.
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In Sicherheit und Freiheit Granachs USA-Exil begann mit einem mühseligen und schwierigen Anlauf in New York. Diverse Plänkeleien und Flirts mit Amateur-Spieltrupps der dortigen jüdischen Diaspora begleiteten die komplizierte Arbeitssuche. Granach musste sich eine neue Existenz aufbauen und brauchte Einnahmen. So schlug er sich durch, nahm auch kurze Aufgaben an und musste tingeln. Gleichzeitig suchte er eifrig Verbindungen nach Hollywood, denn er hatte begriffen, dass er von Theaterarbeit allein nicht leben konnte, sondern auf Filmangebote angewiesen war. Durch Vermittlung seines alten Bekannten aus Berlin, des naturalisierten, arrivierten Regisseurs William (Wilhelm) Dieterle, gelangte Granach nach Hollywood. Dort nahm er Paul Kohner zu seinem Agenten. Kohner, ein viriler und wendiger Branchenexperte deutsch-böhmischer Herkunft, hatte 1938 eine schnell und gut funktionierende Vermittlungs-Agentur aufgebaut und zählte emigrierte Kollegen Granachs aus der Berliner Zeit zu seiner Klientel: so u.a. die Schauspieler Albert Bassermann, Erwin Kalser, Leo Reuss, Fritz Kortner, den Regisseur Max Ophüls. Kohner verschaffte Granach Filmrollen und regelte dann die Einzelheiten der Filmengagements für ihn: mit wöchentlicher Gagenzahlung, wovon im Durchschnitt 10% an Kohner als dessen Honorar gingen, jedoch auch komplizierte Einzelfragen, die in umfangreichen Verträgen zwischen dem Agenten, dem Schauspieler und dem produzierenden Studio festgelegt wurden. Über seine früheren Pläne, selbst Filmskripte zu schreiben oder gar Filmregie zu führen, für die er sich noch in Moskau so engagiert hatte, hat Granach mit Kohner nicht verhandelt, er hatte sie wohl endgültig als aussichtslos verabschiedet. Streitigkeiten zwischen Granach und seinem Agenten wurden nicht bekannt. So spielte er nun Filmrollen, die vor allem seinem Typ entsprachen und die er mit seinem durch Disziplinierung seiner Mittel gewonnenen Profil ausgestalten konnte. Weitere Rollen folgten, so dass er weitgehend kontinuierlich engagiert war. In den knapp sieben Jahren in den USA hat Granach 15 Rollen im Film gespielt. Freilich blieb ihm die ständige Unwägbarkeit, ob ihm denn sein Agent irgendwann die nächste Rolle — und wenn ja: welche — verschaffen konnte. Da er sonst nirgends einen festen Vertrag hatte, musste Granach mit dieser latenten Existenzunsicherheit leben. Auf diese gewiss strapazierende Weise gewöhnte sich Granach an ein Leben zwischen Hollywooder Studiosystem, freischaffendem Status und Emigrantenexistenz. Wirklich ernstzunehmende Theaterarbeit konnte er nicht realisieren. Damit entfielen auch die Tourneen mit kräftezehrendem, wenngleich erfolgreichem en-suiteSpielen. Sein europäisches Theaterrepertoire gehörte endgültig zur Erinnerung. Der frühere Star ordnete sich ein und unter. Er war nun ein Darsteller unter vielen anderen, zudem Ausländer und sprachlich eingegrenzt. Nie hat er geäußert, dass er das Zusammenspiel im Ensemble mit deutschen Kollegen vermisste. Granach hat in Hollywood kein Rollenangebot abgelehnt. Da er die Filmrollen spielen musste, die ihm angeboten wurden und nicht die, die er sich aussuchen wollte, blieb ein durchgängiges darstellerisches Konzept seiner Hollywood-Rollen nicht auszumachen. Jedoch hat er in einigen bemerkenswerten Filmen mit prononciert antifaschistischem Gehalt profilierte Rollen gespielt: Hangmen also die (Henker sterben auch, 1943, Regie Fritz Lang), For Whom The Bell Tolls (Wem die Stunde schlägt, 1944, Regie Sam Wood), The Seventh Cross (Das siebte Kreuz, 1944, Regie Fred Zinnemann). Deutlich war zu bemerken, dass durch Granachs Mitwirkung das antifaschistische Potential der Filme gesteigert wurde. In For Whom The Bell Tolls (Wem die Stunde schlägt) wurde
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zudem seine kurze Rolle des Paco, eines spanischen Bauern in den Bergen, zur markanten Charakterskizze, weil Granach — unterstützt von seiner Maske — den sozialen Gestus dieser Figur genau traf, ein Charakteristikum seiner besten Rollengestaltungen. Sein Entree im Hollywood-Film hatte mit einem glänzenden Einfall begonnen — und war wieder ein Glücksfall. Er spielte die stumme Rolle des Kommissars Kopalski in Ninotschka (1939, Regie Ernst Lubitsch), die sofort überall auffiel. Da er keinerlei Text hatte, musste und konnte sich Alexander Granach ganz aufs Gestische verlegen und sich auf seine Mimik und seine Körpersprache konzentrieren. Das verstand er als Herausforderung, die seinen darstellerischen Ehrgeiz anspornte und die sein Regisseur sichtbar nutzte. Granachs Spiellust und seine neue Disziplin gingen eine ästhetisch anspruchsvolle und zugleich unterhaltsame Synthese ein, die dem Film zugute kam und von den Zuschauern angenommen wurde. Deutlichen Anteil daran hatte der dramaturgische Einfall der Autoren und des Regisseurs, die drei Agenten, die die titelgebende Frau umschwirren, weitgehend zu typisieren — und Granach bekam den auffälligsten und komischsten Typus, den Kleinen, Dicken, Virilen. So fiel er auf als darstellerische und mimische Besonderheit. Dieses Startkapital wirkte dann weiter. Wie in Moskau schloss er sich der Emigrantenkolonie an, soweit seine persönlichen Konditionen es hergaben, er blieb gesellig und unterhaltsam. Da die in Moskau zentralisierten politischen Konstellationen weggefallen waren, konnte er sich nun nach seinem Geschmack und seiner Intention seine Partner und Zirkel frei aussuchen. Er beteiligte sich mit Soloauftritten an Matineen, Wohlfahrts- und Benefizveranstaltungen. Sein Einsatz und seine Auftritte wurden bemerkt und anerkannt, mehr aber auch nicht. Er schloss sich keiner Vereinigung oder Exilorganisation an, auch nicht der jüdischen Gemeinde. Und er musste in möblierten Wohnungen seinen Lebenshaushalt selbst regeln.
Das Buch des Komödianten Die landesweite Ausgangssperre, die die US-Behörden nach Kriegseintritt der USA über alle Emigranten verhängten, erbrachte für Granach einen bemerkenswerten Einschnitt in sein Leben. Er durfte nach 20.00 Uhr abends seine Wohnung nicht mehr verlassen. Granach, der sein Leben lang gerade an Abenden besonders produktiv gewesen war, wurde gezwungen, diese unfreiwillige Zäsur für sich zu nutzen. Und er begann, nun ernsthaft und mit Ausdauer und Konzentration zu betreiben, was er schon vordem, da aber eher spontan und spielerisch, gemacht hatte: er schrieb. Zunächst allerlei Episoden und Anekdoten aus seinem Leben in seiner ostgalizischen Heimat. Die starke Erinnerung an die Heimat bildete für ihn jetzt auch eine innere Besinnung auf wirkliche Werte in Zeiten des Krieges. Ohne Zweifel wurde er auch dadurch bestärkt, dass er seine Mutter in New York wusste, die mit anderen Familienmitgliedern hatte emigrieren können. Parallel dazu versickerte die Beziehung zu Lotte: allzu lange hatten sie sich nicht mehr persönlich getroffen, allzu sehr hatten sich ihre Lebenskreise voneinander entfernt. Granach schrieb kleine Geschichten und kurze Texte, erinnerte sich vor allem an die Mitbewohner seines Heimatdorfes und an die Freunde und Bekannten seiner mühseligen Jugend. Er fabulierte sich entlang seinen frühen biographischen Statio-
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nen, im Wesentlichen chronologisch und mit bemerkenswertem Gedächtnis für Details des Alltagslebens und der Landschaften. Stets blieb er gegenüber den Leuten, die er beschrieb, gerecht und voller Takt. Er mied Schnurren aus seinem beruflichen Leben, Theateranekdoten und Schauspielerwitze. In diesen kurzen Prosastücken erwies sich, wie sein gewachsenes reiches Wissen um Theater und Leben, um Religion und fremde Länder in seinem Erzählstrom zusammenfloss und wie seine Gabe, sich schriftlich auszudrücken, anwuchs. Und immer sah er auf die komischen, lächerlichen, satirischen Akzente in seinen Geschichten. Er bemerkte bald, dass diese Geschichten ein Publikum finden konnten. Also nutzte er die ungünstigen Umstände des abendlichen Ausgehverbots, um seine Texte seinen Freunden vorzulesen und damit seinen Stil, seine Pointen und Formulierungen zu testen. Natürlich ließ er sich diese Gelegenheiten nicht entgehen, sie als Schauspieler »wie früher« zu gestalten, also mehr zu spielen als vorzulesen. Allenthalben hatte er damit großen Erfolg.11 Die Freunde rieten ihm, die Geschichten zusammenzufassen und zu veröffentlichen. Und wieder hatte er Glück: Er fand einen Verlag, der seine Geschichten ineinander band und zu einem durchgehenden Ablauf formte. Sein Buch hieß Da geht ein Mensch. Er konnte noch die Korrekturfahnen lesen und freute sich auf das baldige Erscheinen, das er dann doch nicht mehr erlebte. Das Buch wurde ein Welterfolg und — trotz mancherlei Rechts- und Fassungsfragen — immer wieder nachgedruckt, bis heute. Mit dem Leseerfolg kehrte der Ruhm zu Granach zurück und ist ihm erhalten geblieben. Man könnte Granachs Karriere auch als Kette abgebrochener Entwürfe lesen. Treffender ist sicher, sein Leben und sein Werk, seine Filme und sein Buch und seine Briefe als wahrheitsvolle Zeugnisse eines besonderen, bemerkenswerten Künstlerschicksals im 20. Jahrhundert — mit einem langen Stück schwierigen Exils — ins kulturelle Gedächtnis Deutschlands einzustellen.
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Der General-Intendant der Preußischen Staatstheater an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 6. Juli 1933, Bundesarchiv Berlin, ehemaliges BDC, Reichskulturkammer, H 0052. Alexander Granach: »Ein Clown rechnet ab mit der Welt«. In Albert Klein u. Raya Kruk: Alexander Granach: Fast verwehte Spuren (Berlin: Hentrich 1994), S. 199 ff. Im Archiv der Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung Berlin hat sich ein undatierter Tonträger erhalten, auf dem Granach mit einigen Rezitationen zu hören ist, die er deutlich nach den Anleitungen von Heinrich Jacoby und Elsa Gindler gestaltet hat. Vgl. Hermann Haarmann, Lothar Schirmer, Dagmar Walach: Das »Engels«-Projekt. Ein antifaschistisches Theater deutscher Emigranten in der UdSSR (1936-1941) (Worms 1975), allerdings ohne die »Säule« Filmproduktion zu berücksichtigen. Vgl. Günter Agde: »Sonderfall reziproker Bilder. Das Projekt eines wolgadeutschen Spielfilms 1935/36«. In West-östliche Spiegelungen Neue Folge. Russen und Deutsche im 20. Jahrhundert. Hg. Karl Eimermacher, Dagmar Herrmann u. Astrid Volpert, Bd. 2 (München: Wilhelm Fink Verlag 2005). Vgl. Günter Agde: »Der Komödiant und ›Mütterchen‹ Russland. Fundstücke zu Alexander Granachs Aufenthalt in der Sowjetunion 1935-1937«, Filmexil, Nr. 12 (2000), S. 38. Alexander Granach: Du mein liebes Stück Heimat: Briefe an Lotte Lieven aus dem Exil. Hg. Angelika Wittlich u. Hilde Recher (Augsburg: Ölbaumverlag 2008).
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Die Originale der Briefe werden im Granach-Nachlass der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin aufbewahrt. Der lange nicht beachtete Text befindet sich im Nachlass Granachs in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin. Er wurde erstmals im Anhang einer Neuauflage von Granachs Autobiographie Da geht ein Mensch (Augsburg: Ölbaum Verlag 2003), S. 355 abgedruckt. Alexander Granach: »Dank an Thomas Mann«. In Albert Klein u. Raya Kruk: Alexander Granach: Fast verwehte Spuren (wie Anm. 2), S. 202 ff. Vgl. etwa Theodor Adorno: Briefe an die Eltern 1939 – 1951. Hg. Christoph Gödde u. Henri Lonitz (Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2003), Bd. 5: Briefe vom 12. Feb. 1943 und 23. Apr. 1944.
ELISABETH HAUPTMANN — SCHRIFTSTELLERIN UND MITARBEITERIN BRECHTS IM EXIL1 PAULA HANSSEN »Auf dich wurden Lasten gelegt, die man Nur auf die sichersten Schultern legt« Millionen entkamen den Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren in Europa. Die Intellektuellen unter ihnen wurden von den Kulturhistorikern und Germanisten oft gefeiert, besonders die berühmten Künstler, Schriftsteller wie Thomas Mann und Bertolt Brecht, Regisseure wie Fritz Lang, Komponisten wie Arnold Schoenberg. Doch Frauen im Exil standen noch oft bis in die neunziger Jahre nicht im Blickfeld der Forschung, obwohl sie eher als männliche Emigranten die Sprache der angenommenen Heimat lernten und sich deswegen besser in dem sozialen Umfeld der Emigration zurechtfanden. Elisabeth Hauptmann war eine davon, bis 1933 Schriftstellerin in Berlin, und die engste, sehr vertraute Mitarbeiterin von Bertolt Brecht. Sie arbeitete an praktisch allen Werken Brechts nach 1924 mit, als Lektorin, als Übersetzerin von anderen Werken, die für Brecht interessant waren, und als Diskussionspartnerin. Brechts größter Erfolg, mit Hauptmann und dem Komponisten Kurt Weill geschrieben, basierte auf ihrer Übersetzung einer englischen Parodie der Oper aus dem 18. Jahrhundert, John Gays Beggar’s Opera, die 1928 als Die Dreigroschenoper in Berlin aufgeführt wurde. In dieser Arbeit geht es um Hauptmann als Schriftstellerin und Mitarbeiterin Brechts in Berlin, die im Exil während des Zweiten Weltkriegs zehn Jahre lang weit entfernt von Brecht in Amerika wohnte, nach dem Krieg in New York und Kalifornien wieder mit ihm zusammen arbeitete und dann, nach der Heimkehr wieder eine vertraute Kollegin im Berliner Ensemble wurde. In ihren Briefen hat man einen faszinierenden Einblick in die Exilzeit von Hauptmann: die Verhältnisse von Kunst und Konsum, ihre Begeisterung am Anfang, dann die Unsicherheit und Versuche, wegzukommen, auch Enttäuschung über die fehlenden Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Nach den bewegten Jahren im Exil war sie Mitarbeiterin am Berliner Ensemble im Theater am Schiffbauerdamm, wo sie bis zum Lebensende arbeitete. Elisabeth Flora Charlotte Hauptmann wurde am 20 Juli 1897 in Peckelsheim in Nordrhein-Westfalen geboren, als Tochter des wohlhabenden Arztes und Hofrats Dr. Clemens Hauptmann und seiner deutsch-amerikanischen Frau. Die Kinder hatten eine traditionelle Erziehung zu Hause, lasen viel, lernten Klavier und führten selber Theaterstücke auf.2 Sie waren von Anfang an mit Englisch vertraut, weil die Mutter in New York gewohnt hatte. Für Hauptmann kam ein Studium aus der Sicht der Familie nicht in Frage, also absolvierte sie eine Lehrerinnenausbildung in Droyssig bei Zeitz. Von 1918 bis 1922 arbeitete sie als Privat-Lehrerin in der östlichen »Grenzmark«.3 Diese Zeit in Ostpreußen sensibilisierte sie für die Machtverhältnisse in konservativen Kreisen, wie z.B. die Junkergesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Aus dem Jahr 1920 stammt eine Ballade über die überwiegend militärische Präsenz in der dortigen Bevölkerung, »Das Vergnügen«. Es geht darum, diese traditionelle und geschlossene Gesellschaft zu durchschauen, mit dem ironischen Beispiel von einem Ball ohne Vergnügen, sogar als Bedrohung für die jungen Mädchen dort, umgeben von Offizieren:
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»O mach ein Ende dieser Qual! ... / An einem Tisch gegenüber der Tür / drei kleine Mädchen, zehn Offizier!«4 Nach Berlin kam sie 1922, wo sie als Sekretärin arbeitete; 1924 lernte sie Brecht bei einer Freundin kennen. Stark erkältet, sagte sie wenig, aber schrieb das auf, was er sagte. Bald danach ließ er sie bei seinem Verlag Kiepenhauer als Lektorin für seine eigenen Werke einstellen. Dabei lernte sie die Verlagsarbeit kennen und ermutigte Brecht, die dem Verlag schon versprochene Gedichtsammlung abzuschließen. Sie lernte auch andere Schriftsteller und Intellektuelle kennen, und die Arbeit mit Brecht inspirierte sie, sich weiter zu entwickeln und Kurzgeschichten und Gedichte zu schreiben. Daher handelte es sich manchmal um Texte, die in Brechts Werke übernommen und darin eingearbeitet wurden. In der Zusammenstellung der Gedichtsammlung Hauspostille erschienen zwei ihrer eigenen Dichtungen auf Englisch, »O Moon of Alabama« und »Benares Song«.5 Diese wurden später auch in einem gemeinsamen Projekt mit Kurt Weill verwertet, in der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. In Mann ist Mann hat sie so viel beigetragen, dass Brecht zum Originalmanuskript folgende Widmung schrieb: Das sind die hauptmanuskripte des lustspiels Mann = Mann oder Galy Gay, nebst dem viele jahre vorher geschriebenen Urgalgeianfang. Ich schenke es am ende des jahres 1925 beß hauptmann, die dieses ganze jahr ohne lohn mit mir gearbeitet hat. Es ist ein schwieriges stück gewesen und sogar das zusammenstellen des manuskripts aus zwanzig pfund papier war schwerarbeit; ich benötigte dazu zwei tage, ½ flasche kognac, 4 flaschen selters, 8-10 zigarren und alle geduld – und es war das einzige, was ich allein gemacht habe. Brecht6
Noch unklar ist die Finanzierung von Hauptmanns Arbeit, weil sie später im Interview eines Dokumentarfilms von 1972 sagte, dass sie doch von Kiepenheuer zu der Zeit bezahlt wurde und dass das von Brecht »scherzhaft formuliert« worden sei.7 Zu der Finanzierung ihrer Arbeit sagte sie den Filmemachern: Und sonst, hatte ich gesagt, da will ich nichts haben, alles was ich sonst brauche, verdiene ich mir selber. Und die Zeit habe ich mir genommen, da habe ich viel übersetzt, weil das ging schneller als selber schreiben ... Das hörte freilich auf, diese goldene Zeit. 1926 löste sich der Vertrag mit Brecht und Kiepenheuer auf, und ich konnte mehr übersetzen, musste mehr übersetzen und so irgendwelche Arbeiten machen.8
Hauptmann war praktisch täglich bei Brecht, um Stücke zu besprechen, Ideen auszutauschen oder eigene Forschung über Amerika vorzulegen. Sie kannte seinen Stil, seine Theorien fürs Theater, und seinen Humor, sodass wenn ihr eine Aufführung in London von John Gays Parodie der Oper The Beggars’ Opera auffiel, sie sie übersetzte und Brecht vorlegte. Damit gab sie den Impuls für ihren gemeinsamen größten Erfolg, Die Dreigroschenoper von 1928. Kurt Weills Frau, die Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya, schrieb darüber, wie faszinierend Brecht die Parodie fand: Diese Dirnen, Zuhälter und Bettler aus dem London des 18. Jahrhunderts, die ihm da bei Gay begegnet waren, machten ihm Spaß: Warum sollte er sie nicht seine, die Sprache Brechts, sprechen lassen? er fand Vergnügen an dieser Idee und begann ganz nebenbei, gewissermaßen zur Erholung, hie und da an einer Szene herumzuprobieren, ließ stehen, was ihm passte, strich rücksichtslos, was ihm nicht passte, und
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ELISABETH HAUPTMANN schrieb neue Szenen dazu, ... Jedenfalls hat Elisabeth Hauptmann in jenem Winter 1927-28 einen unheimlichen Spürsinn bewiesen, indem sie Brecht auf die Bettleroper hinwies.9
Es war aber nicht nur das Theaterstück, das sie interessierte. Die Kurzgeschichte als Form erarbeitete sie sich mit Brecht, und schrieb gerne und oft Kurzgeschichten mit den Themen, die sie mit Brecht aufgriff. In einem Notizbuch von 1926 schrieb sie am 29. April: »Gespräch über die Wichtigkeit guter Geschichten- und Stückanfänge. Ich bin entzückt von dem Anfang der Kurzgeschichte von B[recht], ›Zuviel Glück ist kein Glück‹. Der erste Satz lautet: ›Wir saßen in Korbstühlen auf Havanna und vergaßen die Welt.‹ Das finde ich herrlich, und das kann ich mir auch merken.«10 Eine von Hauptmanns Geschichten, »Bessie So-und-so«, über eine Heilsarmee-Werberin, erschien 1928 in der Zeitschrift Uhu. Das Bild von der unscheinbaren, aber emanzipierten Frau der Weimarer Republik entsprach Hauptmanns eigener sozialer Position. Doch war Hauptmann im Berufs- und Alltagsleben eher zurückgezogen und blieb gerne im Hintergrund. Sie schrieb z.B. ihr Musical von der Geschichte einer Heilsarmeewerberin Happy End, das sie 1929 mit Unterstützung Brechts und Weills verfasste, unter dem Pseudonym »Dorothy Lane«.11 Nach 1929 war Hauptmann eine der wenigen noch im Kollektiv, dazu mit weniger Kontakt zu Brecht. Nachdem Brecht die Schauspielerin Helene Weigel geheiratet hatte, mit der er zwei Kinder hatte, richtete sich Hauptmann auf eine Beschränkung ihrer Beziehung zu Brecht als einer Arbeitsbeziehung ein. Brecht reagierte mit einem Gedicht, in der Hoffnung, sie weiter im Kollektiv zu behalten und sie auch zu ermutigen. Sie bekam dafür diesen Teil eines Gedichts aus dem Lesebuch für Städtebewohner mit dem Titel »Behauptung« zugeeignet: Auf dich wurden Lasten gelegt, die man Nur auf die sichersten Schultern legt. Du wurdest übersehen wie das Nächstliegende. Von Dir wurde erwartet Die besondere Einsicht. So essen am letzten die, denen das Werk am nächsten steht: die Köche.12
Wie alle andersdenkenden, linken Intellektuellen kam auch Hauptmann ins Visier der Naziregierung, zumal sie Schriftstellerin und mit Brecht befreundet war, und Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands. Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933, verließen viele Intellektuelle und Deutsche jüdischer Abstammung Deutschland. Brecht und seine Familie fuhren über Prag nach Wien zu seinen Schwiegereltern, um den absehbaren Verhaftungen in den Reihen der kommunistisch-sozialistischen Opposition zu entkommen. Von dort fuhren sie weiter nach Frankreich und dann nach Dänemark, wo Weigel einen Haushalt einrichtete. Hauptmann blieb zunächst in Berlin, wo sie Manuskripte und Teile von Brechts Haushalt rettete und ihm nach Dänemark nachschickte. An Walter Benjamin in Frankreich schrieb sie von der Einsamkeit: Wenn Sie mich sehen würden, würden Sie mich fast bemitleiden, ich sehe aus, wie immer wenn der Winter zu Ende geht, den ich nur schlecht ertrage, elend, blass, ramponiert, ... Die Jugend vergeht schnell und langsam beginnt man über alles nachzudenken, man beginnt seine Enttäuschungen zu vergessen und richtet sich in der
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Einsamkeit des Alters so gut es geht ein und so wirtschaftlich wie möglich ... Flossie13
In Berlin zu bleiben bedeutete auch, sich selbst in große Gefahr zu bringen, und sie musste mehrere Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen, bis sie ihre und Brechts Werke in Sicherheit zu bringen vermochte. Die Erwartungen Brechts an die Mitarbeiter beschrieb Werner Mittenzwei, langjähriger dramaturgischer Assistent am Berliner Ensemble: »Es [das Werk] zu sichern, für die weitere Arbeit verfügbar zu halten, selbst wenn dabei das Leben riskiert werden musste, glaubte Brecht verlangen zu können. Er verstand das als eine Art Parteiauftrag.«14 Hauptmann plante, Deutschland und am besten Europa zu verlassen; bei Brecht im Exil wollte sie nicht bleiben, und ihre Mutter war schon 1930 gestorben. Sie hatte nur noch Kontakt zu der Schwester, die mit ihrem amerikanischen Mann nach Amerika gezogen war. Walter Benjamin schlug vor, auf Ibiza zu leben, doch plante sie, zu ihrer Schwester nach St. Louis (Missouri, USA) zu ziehen. Dass manche Manuskripte Brechts fehlten, trotz Hauptmanns Bemühungen, hatte Brecht sehr verärgert, was Hauptmann natürlich enttäuschte und deprimierte. Hier schrieb sie darüber an Walter Benjamin, warum sie sich entschieden hatte, doch nach Amerika zu gehen, auch in der Hoffnung, dass es nur für kurze Zeit sei und dass sie sich nach ein paar Monaten treffen könnten: Jetzt ist es aber so: meine Schwester hatte mich eingeladen und anlaesslich der Weltausstellung in Chikago gibt es relativ billige Fahrmoeglichkeiten, zu der sie mich ja ausserdem einlaedt […] Ich hatte mich zur Annahme dieser Einladung allerdings in einer Zeit entschlossen, als ich ziemlich verzweifelt war und auch das Verhalten von einigen Leuten, fuer die ich den Kopf hinhalten musste, sehr deprimiert hatte […] auf jeden Fall braucht es ja nicht laenger als vier Monate zu sein. Sie werden auch nicht, wenn der Winter kommt, dort unten bleiben, nehme ich an, und so fuer Oktober/November wuerde ich mehr als gern was mit Ihnen [auf Ibiza] verabreden ...15
Im September 1933 war sie noch in Berlin, zog aus der Wohnung aus und in eine Pension, um weiter die Materialien in Sicherheit bringen zu dürfen und Hausdurchsuchungen zu entgehen. Doch im November durchsuchte die Gestapo ihr Zimmer, nahm sie kurz fest und verhörte sie. »Anklageschrift: ich hätte Brechts Wagen zu illegalen Fahrten benutzt, um Personen und Material wegzubringen; ich hätte Brecht und andere Genossen in Dänemark besucht und ihnen Material gebracht, ich wolle wieder mit Material über die Grenze usw.«16 Sie nahm die Gelegenheit wahr, nach der Freilassung aus dem Gefängnis, Deutschland zu verlassen, und daher war es ihr nicht mehr möglich, alles in Sicherheit zu bringen vor der Abfahrt nach Paris. Bei ihrer Ankunft in Paris erfuhr sie dann von deutschen Flüchtlingen, die nach ihr dort ankamen, dass sie selber erneut verhaftet worden wäre, wenn sie nicht sofort gegangen wäre. Unter den vielen deutschen Emigranten in Paris waren auch Walter Benjamin, Lion Feuchtwanger, und die junge Brecht-Mitarbeiterin Margarete Steffin. Steffin war seit 1932 in Berlin oft bei Brecht, weil sie sehr gut Maschineschreiben konnte, andere Sprachen beherrschte und gerne über Literatur und Brechts Theatertheorie diskutiere. In Paris organisierte sie ein Büro für deutschsprachige Autoren im Exil, der DAD, Deutscher-Autoren-Dienst. Hauptmann wurde als enge Mitarbeiterin praktisch durch Steffin ersetzt; dazu kam noch die Enttäuschung Hauptmanns über die Haltung Brechts wegen der Materialien, die sie nicht retten konnte. Dieser Brief stellt ihre Vorstellung von einem Neuanfang im Exil dar:
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ELISABETH HAUPTMANN Lassen Sie uns diese Art von Beziehung gänzlich abbrechen, Brecht. Sie sind anscheinend glücklich. Auch ich, das glauben Sie mir, werde bei gänzlicher Trennung von Ihnen eine große selbstverständliche und sehr zärtliche Beziehung zu einem Menschen auch in der Arbeit, was ich mir wünsche, finden! Unsere Beziehung war etwas karg und unzärtlich und ungeschickt, aber es war die größte Arbeitsfreundschaft, die Sie je haben werden und die ich je haben werde […] Ihre Bess Hauptmann.17
Doch wird er wohl versucht haben, sich mit ihr zu versöhnen, denn er sorgte dafür, dass sie bei ihrer Ankunft auf dem Schiff Lafayette am 28. Januar 193418 in New York, müde und krank, bei einigen seiner Verwandten wohnen durfte.19 In St. Louis kam sie mit der Bahn im Februar 1934 an, eine Stadt mit 900 000 Einwohnern, etwas mehr als 15% davon Deutschamerikaner und eher traditionell bürgerlich. Für Hauptmann war es schwer, eine geeignete Rolle in der Gesellschaft zu finden, zumal die Verlage sie nicht kannten, und sie noch keine Arbeitsgenehmigung hatte. In dieser Exilzeit schrieb Hauptmann viele Briefe, die, wie kleine Reportagen, diese bewegten Zeiten darstellten und in denen man beobachten kann, wie es ihr und anderen Exilanten erging. Sie waren auch eine Art Therapie und Selbstermutigung in unsicheren Zeiten. In den Briefen an Brecht und an Walter Benjamin beschrieb sie nicht ohne Ironie die neue Heimat, die nie richtig Heimat geworden war. Im Februar 1934 schrieb sie über positive Erfahrungen, die sie doch kritisch sah: Ich weiss, dass die Freundlichkeit und Behilflichkeit, die man in den ersten 14 Tagen erfährt, nicht vorhalten werden, dann will man was sehen, was man ja keinem verübeln kann, aber ich finde, dass man überhaupt freundlicher und netter hier ist, ich denke, dass hängt mit den grösseren physischen Reserven zusammen […]. Man muss dazu gesundheitlich sehr auf der Höhe sein, denn die Wege sind weit und zu jedem Weg müssen sie noch neben dem waagerechten die senkrechten hinauf in die Büros nehmen.20
In St. Louis setzte sie auch fort, was sie in Berlin gemacht hatte: Forschungen über die kapitalistische Wirtschaft. Das System der Förderung für die Künste durch die Industrie fand sie faszinierend, und sie schrieb an Brecht am 26. Februar 1934: die Industrie finanziert die Kunst und die Künstler — die große Sonnabendnachmittagsaufführungen der Metropolitan Oper (die ein wahnsinniges Geld kosten) z.B. werden von den »Lucky Strike«-Zigarettenfabriken gesponsert — […] es interessiert mich kolossal und nie hat mich die große Nähe von Kunst und Geschäft so wenig gestört.21
Für Brecht beschrieb sie das Leben in den Staaten, sie fragte nach ihren eigenen Materialien, sie versprach Kontakte zu Verlagen, zu berühmten Schriftstellern und ging auf ihre eigene Suche nach Arbeit ein. In den Briefen an Benjamin reflektierte sie die Gedanken, Gefühle und deren Hintergründe oft mit Metaphern oder lyrischen Passagen. In New York suchte sie Arbeit, wie sie an Benjamin am 8. Mai 1934 schrieb: […] erneuter Versuch, irgendein Loch (nicht im Zaun, sondern in den dicken Steinmauern) zu finden, durch das ich durchschlüpfen kann. Die Mauern sind aber meistens so gut instand und verzementiert, dass gar kein Spaeltchen zu entdecken ist. Allenthalben raet man mir, mich irgendwo hinzusetzen und einen Roman zu schreiben,
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dass ich waehrend des Schreibens schliesslich auch wo schlafen und essen muss, das interessiert (sicher mit Recht) niemanden.22
In St. Louis ging es ihr in der schwülen Hitze nicht gut. Es kam der Sommer: »eine reine Dschungelschwuele, man trinkt die beruehmten Eisgetraenke, sitzt hinter Drahtnetzen, die Windfaecher gehen und der Schweiss bricht nur so durch […]«.23 Es war nicht nur die Hitze, die sie störte, sondern auch ein Gefühl der Verantwortung, was sie sehr bedrückte. Daher zog sie sich im Juni 1934 zurück, wie sie an Benjamin schrieb: »Ich sehe keine Menschen mehr, habe alle Sachen, die man mir angehaengt hatte, einfach liegen gelassen und es macht auch viel aus […] solange man sich verantwortlich fuehlt, [ist man] krank. Und so lange Sie krank sind, fuehlen Sie sich immer zu allen moeglichen Sachen verpflichtet.«24 Sie war auch verzweifelt, dass sie keine Materialien von Brecht bekam, wie in diesem Brief: »Jetzt fange ich auch an zu verzweifeln, da ich so vieles vermisse. Hat sich bei Ihnen das ›Polly-Bild‹ und die ›Ballade von der Billigung der Welt‹ eingefunden? Ich muss sagen, ich bin ganz verstört, als ich jetzt merke, dass ich so viel nicht bei mir habe [...].«25 Hauptmann erlitt eine Depression und eine Phase der Unsicherheit, während deren sie von den schon etablierten Familien eingeschüchtert wurde. Bis September 1934 hatte sie immer noch keine von ihren Arbeitsmaterialien von Brecht, hatte Probleme mit dem Visum und schrieb an Benjamin von ihrem Frust: Heute Emigrant in USA zu sein ist kein Spass, man will ihn nicht, noch weniger als in Europa, weil man hier ja viel brutaler nach Arbeitsmoeglichkeiten her ist und die Kinder aus reichen Haeusern auch noch mit ihren Cars und sehr gut gepflegt und angezogen auf dem Arbeitsmarkt herumkutschieren.26
Obwohl viele seiner Briefe nicht erhalten sind, in ihren Antworten kann man erkennen, dass er die Mitarbeit von Hauptmann sehr schätzte. Z.B. schickte er ihr das Stück, das er mit ihr in Berlin angefangen hatte und mit Steffin weiter bearbeitet hatte Die Rundköpfe und die Spitzköpfe mit der Bitte, das Stück zu kommentieren. Hauptmann schrieb am 14. Mai 1934 mit Kommentar, doch auch etwas verzweifelt und in der (vergeblichen) Hoffnung auf Tantiemen für ihre Arbeit an dem Stück in Berlin: »Kurz und gut, wenn ich dann auch im weiteren Verlauf unwichtig war bis auf einen Grundeinfall im Treatment ... so moechte ich gern beteiligt sein mit dem Dreigroschensatz.«27 Sie konnte nicht wissen, dass es auch in Dänemark, wo Brecht wohnte, sehr unwahrscheinlich war, dass das Stück aufgeführt wurde, und bot sogar an, in den Staaten als Agentin zu arbeiten: »Um das Stueck anzubieten, ich meine der Agency, muss die deutsche Fassung noch mal ganz abgeschrieben werden...Vielleicht ist es auch notwendig, das Stueck vorher uebersetzen zu lassen.«28 In ihrer Situation, abhängig von der Familie, scheint es ihr eingeleuchtet zu haben, dass sie im Schreibprozess viel beigetragen hatte. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, waren es vier schreckliche Monate, in denen ich darum kaempfte, die Anfangskeime des Stueckes zu sichern, indem ich mit zu [dem Volksbühne-Regisseur Ludwig] Berger rannte, aufschrieb, heulte, wieder davon anfing, wieder was aufschrieb, wieder darin herumstocherte.29
Diese Erinnerungen später in St. Louis kamen ihr wie ein Traum vor. Sie drückte sich in einem Brief an Benjamin mit Hilfe von Metaphern aus, wobei es zu einer lyrischen Abrechnung mit der Zeit als Brecht-Mitarbeiterin in Berlin kam:
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ELISABETH HAUPTMANN Mein Gott, jetzt liegen schon Monate und fast Jahre zwischen jetzt und der Zeit, da ich Sie alle zuletzt sah […] manchmal, wenn ich gezwungen bin, […] den Namen Brecht zu erwaehnen, ist es mir, als waere es ein Schwindel, dass ich mal jahrelang bis 18 Stunden taeglich mit ihm zusammen war, und mir entsinken die Worte, weil ich die Leute nicht beschwindeln moechte.30
Endlich kam das Visum mit Arbeitserlaubnis. Die Federal Emergency Relief Administration (FERA) der Roosevelt-Regierung bekämpfte die Arbeitslosigkeit, auch mit Stellen für Flüchtlinge im Bildungssystem. Als Lehrerin für Deutsch an verschiedenen Schulen und auch an einem College, mietete sie ein eigenes Zimmer. Mit den Studenten hatte sie eine Art Arbeitsgruppe, die sich mit von ihr ausgewählter Literatur beschäftigte: »Fuer mich ist das Unterrichten am College noch immer hochinteressant. Ich habe einen ganzen Stab, der mit mir durch dick und dünn geht.«31 Doch waren diese Jobs mit niedrigem Gehalt und Auflagen verbunden, die ihr das Leben auch 1935 nicht leicht machten: Ich verdiene — da es eine sogenannte FERA-Stellung ist, im Rahmen der Arbeitslosenbekämpfung — $45 im Monat. Davon gehen todsicher $5 Fahrgeld ab. Dabei darf ich keine an den Beinen gestopften Strümpfe tragen und mein Haar muss gepflegt sein. Ich darf nicht müde aussehen und muss nett angezogen sein. Der Grammatikunterricht muss interessant gemacht werden, wie eine Theatervorstellung.32
Schon im Herbst 1935 wurde das College zugemacht und renoviert. Doch war sie nicht, wie erwartet, auf der Straße ohne Beschäftigung. Eine Einladung nach New York City in einem Telegramm erhielt sie von Brecht, der auf einem Schiff nach New York war, wo er und Hanns Eisler die Aufführung von seinem Stück Die Mutter begleiten sollten. Wie in Berlin ist Hauptmann eingesprungen und half, wo sie konnte, findet eine Wohnung dort und assistiert bei den Proben für Brecht und Hanns Eisler, deren Englisch begrenzt war. Sie kannte die neue Welt »Amerika«, die sie in ihren Gedichten für die Sammlung Hauspostille 1925 und für die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny beschrieb. Nach kurzer Zeit wurde die Situation sehr schwierig; als Brecht und Eisler mit der Übersetzung des Stücks und der Regie nicht einverstanden waren und sich einzumischen versuchten, wurden sie aus dem Theater verwiesen. Hauptmann versuchte zu vermitteln, ohne Erfolg, sie mussten draussen bleiben — mit dem Resultat, dass sie Zeit hatten, in New York an anderen Projekten zu arbeiten, wie in einem Artikel »A needed inquiry regarding the struggle against barbarism« von Hauptmann mit der Schreibmaschine geschrieben und auch verbessert.33 In New York blieben sie noch ein paar Wochen, dann kehrte Brecht nach Dänemark zurück, während Elisabeth Hauptmann nach St. Louis zurückging. In diesem Auszug aus seinem letzten Brief an sie vom Februar 1936, schien sich wieder eine Intimität zu entwickeln und eine Anerkennung ihrer Arbeit: »Liebe Beß, ich fahre also. Und hoffe, Du kommst bald nach. Es war sehr gut, dass Du mich in USA geführt hast — wie es immer vorgesehen war. Ich danke Dir sehr, liebe Beß. Und ich werde nichts vergessen.«34 Er schrieb auch ein Gedicht auf der Überfahrt, »Die nicht zu vergessende Nacht«, das scheint eine Nacht mit seiner vertrauten Mitarbeiterin zu beschreiben: »... und weich genug / War dein Arm, Mädchen, in der / Nicht zu vergessenden Nacht.«35 Das Versprechen konnte er nicht einhalten und Hauptmann fuhr nicht nach Europa. Sie unterrichtete und arbeitete weiter und schrieb wieder. Sie schrieb zum Bei-
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spiel für die Arbeiter-Jugend-Zeitung in Prag und für eine Radiosendung Labor against Nazism. Ihr Artikel über den Werdegang von Erika Mann, Thomas Manns Tochter im Exil, erschien in California Arts and Architecture vom Dezember 1940; »Erika Mann: Valiant Woman!«36 1940 war sie kurz in Los Angeles und traf sich mit einer antifaschistischen Studentengruppe an der University of California, wo sie kurz wohnte.37 Sie organisierte auch noch das Haus und Mithelfer, die alles für Brecht, seine Familie und seine dänische Mitarbeiterin Ruth Berlau taten, z.B. die Feuchtwangers und den Regisseur Wilhelm Dieterle. Im Arbeitsjournal von Brecht steht: »21.7.41 Wir kommen in San Pedro, dem Hafen von Los Angeles, an ... Elisabeth Hauptmann hat durch eine Freundin ein flat für uns mieten lassen. Sie selber hat einen Job in New York.«38 Obwohl sie wusste, dass Brecht und Familie nach Kalifornien unterwegs waren, nahm sie die Gelegenheit wahr, nach New York zu ziehen. Dort lernte sie den Exilanten Horst Baerensprung kennen, den früheren sozialdemokratischen Polizeipräsidenten von Magdeburg, der eine Zeitlang in China gelebt hatte und der für das Office of War Information arbeitete.39 Bei Baerensprung fand Hauptmann eine Art Geborgenheit und teilte sein Interesse für Asien. Für die CBS-Kurzwelle schrieb sie mit ihm wöchentliche Sendungen für Deutschland. Sie verfasste auch Baerensprungs Memoiren und die erste Version eines Dramas über seinen Großvater Dahlmann, einen von den sieben Professoren an der Universität in Göttingen, die 1837 die Monarchie kritisiert hatten. Über dieses Arbeitsverhältnis schrieb sie 1954 der Tochter von Baerensprung, der Hauptmann sehr gerne seine Ideen erzählte, doch das Schreiben hätte ihm nicht gelegen: [...] ich stellte ihm ganz bewußt geplante Fragen, mußte unendlich viel Bücher dazu nachlesen, und konsultierte auch noch andere Freunde, die in China gewesen waren. […] Die Memoiren sind also, was man so nennt, mein geistiges Eigentum. […] Auch war dein guter Vater begeistert von dem Plan, jede Woche übers Radio sprechen zu können. […] Aber wieder war er nicht zu bewegen, auch nur eine Zeile selber zu schreiben oder zu diktieren.40
Trotz der Beziehung zu Baerensprung und der Arbeit mit ihm, wurde Hauptmann durch gemeinsame Interessen doch wieder Teil des Brecht-Kreises. Der Krieg in Europa ging langsam aber sicher zu Ende, sodass führende Deutsche im Exil ein Komitee für eine demokratische Regierung in Deutschland, das Council for a Democratic Germany bildeten. Die Gruppe kam zuerst unter Beteiligung von Thomas Mann 1943, der sich später davon distanzierte, zusammen und wurde dann von dem Theologen Paul Tillich weiter geführt, mit Brecht, Baerensprung und anderen linken deutschen Intellektuellen. Hauptmann diente als ehrenamtliche Sekretärin. Sie war auch Brechts Kontaktperson für Brechts Kollegin Ruth Berlau, als diese 1945 in eine Klinik eingewiesen werden musste. Berlau hatte ihre Stelle beim Office of War Information verloren, als ihre Vorgesetzten feststellten, dass sie Mitglied der Kommunistischen Partei Dänemarks war. Sie verfiel in eine tiefe Depression, was zur Behandlung in einer Klinik führte. Nach einem Besuch schrieb Hauptmann an Brecht in Kalifornien am 9. Januar 1945, dass sie Berlau Kleider bringen wolle.41 »Wenn es gelänge, Ruth durch Behandlung etwas selbständiger zu machen, waere viel gewonnen ... sie will auf der einen Seite sich von Ihnen emanzipieren, aber auf der anderen Seite mit ungeheurer Wucht bei Ihnen bleiben.«42 Unabhängig von der Arbeit mit Brecht wurde sie im Exil also nicht, aber sie engagierte sich in vielen Kreisen.
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Nach dem Krieg hatte sie in New York die Möglichkeit, wieder direkt für ihn zu arbeiten und seine Werke erneut zu beeinflussen. Zusammen mit Eric Bentley arbeitete sie an der Herausgabe der Gesammelten Werke auf Englisch. Bentley erzählt in seinen Memoiren, dass Hauptmann sogar eigene Passagen in die Übersetzung schrieb, sehr zu seinen Bedauern, die von Brecht sofort akzeptiert wurden, ohne, dass er sie anschaute. »Ja, ja, lass das«, habe Brecht ohne zu lesen Bentley bei einer Anfrage zu den Änderungen gesagt.43 Bentley kannte auch Hauptmanns Einfluss durch die Bekanntschaft mit Hermann Budzislawski, dem deutschen Assistenten der populären Journalistin Dorothy Thompson. Hauptmann telefonierte mit Budzislawski und sagte ihm, was er Thompson erzählen sollte, um ihre Zeitungsartikel zu beeinflussen, was oft gelungen war. Mit dem Ende des Krieges kam auch das Ende des Komitees, und der engen Beziehung zu Horst Baerensprung. Er kehrte 1946 wieder nach Deutschland und zu seiner Familie zurück. Hauptmann nahm die Gelegenheit wahr, weiter im BrechtKreis zu schreiben und zog nach Kalifornien. Zunächst blieb sie bei dem Schauspieler und Brecht-Freund Peter Lorre und seiner Frau auf seiner Ranch. Brecht schrieb 1946 über Hauptmanns Arbeit: »Ich bin sehr froh, daß sie sich, zum ersten Mal wieder, doch meiner Arbeiten annimmt, sie ist unersetzlich.«44 In dieser Zeit schrieben sie auch eine Filmstory: Der Mantel, ein Film von Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann nach der Novelle von Gogol (1947).45 Sie arbeitete auch mit dem deutschen Komponisten Paul Dessau, der für Brecht komponierte, z.B. die Musik für den Kaukasischen Kreidekreis. Die Beziehung wurde wichtiger für beide, die zusammenzogen und dann heirateten, im Februar 1948, auf Peter Lorres Ranch. An Brecht schrieb sie über die Neuigkeiten und Reisepläne, und sie machte noch Recherchen und Vorschläge in der Erwartung, dass die Arbeit weiter läuft: Ich habe Dessau geheiratet und zwar ganz ploetzlich aber auch nicht unueberlegt. […] Das, was vom Verkauf [unseres Hauses] uebrigbleibt, soll zur Reise verwendet werden [...]. Ich habe allerhand Ausschnitte fuer Sie gesammelt, die ich separat schicke. Vor 14 Tagen schickte ich Ihnen eine unreine Fassung von »Hansel und Gretel«; ich habe jetzt auch eine reine. Aber im Grunde moechte ich von dem ganzen Humperdinck weg und ein Black Market Kinderstueck machen; Olga schrieb mir einfach fantastische Einzelheiten ueber die Methoden und die Ausdehnung solcher Operationen, die von Jugendlichen durchgefuehrt wurden.
Bis dann war Brecht schon unterwegs nach Europa. Am 30. Oktober 1947 hatte Brecht vor dem McCarthy-Ausschuss, dem House Committee on Unamerican Activities, über seine mögliche Verbindung zur Kommunistischen Partei sprechen müssen.46 Die Angst und Unsicherheit durch dieses Verhör war für Brecht und seine Mitarbeiter der Grund, sich auf ihre Rückkehr nach Deutschland vorzubereiten. Brecht floh unmittelbar nach seinen Aussagen November 1947 in die Schweiz, und Weigel kam später nach. November 1947 schrieb Hauptmann Brecht über ihre Versuche, die Reise nach Berlin zu finanzieren: Es ist schwer etwas zu schreiben, wenn man in zwei so verschiedenen Welten sitzt. Ich z.B. habe nichts Hoeheres im Kopfe als meine Sachen hier zum Aufbruch zu organisieren. Aber das ist nach wie vor schwer. Ich hatte meinen Claim vor dem labor board […] 1000 Dollar sind ja nur mein Claim bis 1. April, auch sind sie schon voellig mit Arztrechnung, Steuer, loan so beladen, dass ich keinen Cent fuer eine Reise davon uebrig behalte, geschweige denn fuer einen Wintermantel. Ich bin auch eigentlich muede jetzt. Sie wissen ja, wie anstrengend es in diesem Lande ist, das Geld
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fuer Miete und Essen und trinken allein herbeizuschaffen. Fuer einen einzelnen Menschen ohne backing, und das bin ich, wird es fast unmoeglich.
Hauptmann arbeitete weiter, das Geld zusammenzutreiben und einen Vertrag, der anscheinend nicht bezahlt wurde doch bezahlt zu bekommen. Probleme mit den Zähnen und andere physische Beschwerden, für die sie zum Arzt musste, verbrauchten das Reisegeld. Im Januar 1948 schreibt sie an Brecht über ihren Frust mit der Situation in Kalifornien: Zu versuchen, nicht ungeduldig zu werden, ist schwer. Zu versuchen, wenn man aelter geworden ist, ganz allein, d.h. ohne jede Beziehung, ohne ein paar einflussreiche Freunde durchzukommen, ist schwer. […] Es gibt fuer eine Frau ja nur 3 Loesungen: Entweder macht sie sich erotisch unentbehrlich. Oder sie macht sich arbeitsmaessig unentbehrlich. Oder sie blackmailed, wo das eine oder das andere nicht ausreicht. Dann gibt es das ganz andere, das klassifiziert dann die Frau nicht nur als Frau: sie macht sich ganz unabhängig und schafft sich ihre eigene einflussreiche Plattform.47
Die eigene »einflussreiche Plattform«, wenn es sie in Kalifornien gab, war anscheinend nicht genug, um die Reise-Schwierigkeiten zu überwinden. Die seit Kriegsende wiedergewonnenen Tantiemen waren viel weniger, als sie erwartet hatte; doch ging es ihr physisch etwas besser.48 Brecht war wieder in Europa, in der Schweiz, und konnte 1948 sein Werk Antigone aufführen, mit Weigel in der Hauptrolle, das erste Mal seit Jahren auf der Bühne. Von dort gingen Brecht und Weigel weiter nach Berlin. Brecht hatte schon September 1948 nach Kalifornien geschrieben, dass Hauptmann so bald wie möglich kommen sollte und die Arbeit wieder aufnehmen: Dessau ist eingetroffen und zugleich steht in der Zeitung, dass es fuer Amerikaner keine besonderen militaerischen permits mehr braucht, in die amerikanische Zone zu kommen (das gilt freilich nicht fuer Berlin). Ich selber habe jetzt endlich Schweizer Reisepapiere und betreibe die Berliner Reise mit groesster Beschleunigung. Sie sollten so schnell wie moeglich abreisen. Dessau spricht von Ihrer Zahnbehandlung, die sie zurueckhaelt; natuerlich muessen Sie Schmerzen stoppen lassen, … haben Sie Suhrkamp geschrieben? Aber wahrscheinlich komm ich ja jetzt vor Ihnen nach Berlin. Ich rechne sehr damit, dass wir irgendein Arrangement treffen koennen und wieder zu Arbeit gelangen.49
Doch war die Reise für Hauptmann nach Berlin viel länger als erwartet. Sie fuhr dann erst im Oktober von Amerika nach dem durch das Vier-Mächte-Abkommen geteilten Deutschland mit amerikanischem Pass, und ging zu Baerensprungs in Braunschweig. Hauptmann musste sich in Braunschweig von der Reise zuerst erholen, und dann erwies sich ihr Weg in die »Sowjetzone« nach Ost-Berlin als kompliziert. Nach Berlin musste sie direkt bestellt werden, sodass Brecht und Erich Engel, der Regisseur, ein Telegramm geschickt und sie angefordert haben. Dann fuhren die Züge nach Berlin nicht mehr von Braunschweig aus, und einige Freunde fuhren sie fast bis der Grenzstadt Helmstedt. Sie kam schließlich mit einem Auto nach Berlin, das nach dem Osten fuhr und das zufälligerweise von der ostdeutschen DEFA FilmGesellschaft war.50 In zwei Kurzgeschichten schrieb sie viel später über diese Zeit, die Verzögerung durch Erschöpfung und die Enttäuschungen in Berlin: Eine wahre
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Geschichte51 und Gedanken am Sonntagmorgen52 beziehen sich auf den Aufenthalt in Braunschweig. Sie kam dann erst im Februar 1949 im zerstörten Berlin an. Es waren schwere Zeiten für alle; das einzige, was sie nach der Ankunft im Gästehaus von der DEFA bekommen konnte, war eine Hafersuppe. Brecht hatte schon ein Theater und Ensemble, und war dann mit anderen Mitarbeitern beschäftigt, und Dessau war inzwischen mit einer anderen Frau liiert, Antje Ruge, Schauspielerin am Deutschen Theater. Überwältigt von der Einsamkeit und den Schwierigkeiten bei so einem neuen Anfang, versuchte Hauptmann Selbstmord zu begehen.53 Brecht schrieb und schlug ihr vor, die eigenen Ängste durch Arbeit zu überwinden: […] es ist alles nur eine frage der zeit, und etwas zeit musst Du mir geben. bis sich alles besser eingelaufen hat, musst Du Dich vor allen dingen um die Versuche kümmern und den kontakt zu suhrkamp halten. der vertrag sieht ein kleines entgelt für beides vor, aber es kann mit den jahren sehr viel mehr werden [...].54
1951 ließ sie sich von Paul Dessau scheiden. Sie hatte wieder Arbeit mit Brechts Verlagsangelegenheiten und in einem Brief an Baerensprung beteuerte sie, sich trotz der Arbeit mit Brecht als unabhängige Schriftstellerin zu unterhalten: Auch bin ich nicht Dramaturgin. Und Brecht unterstehe ich auch nicht. Solche Angaben führen zu Missverständnissen. Ich arbeite als freie Schriftstellerin und ich »unterstehe« nur den laufenden Arbeiten, zu denen allerdings die Herausgabe von Brechts Versuchen gehört, aber mein Vertrag ist mit dem Verlag, nicht mit Brecht.55
Mit dieser Arbeit kam sie immer noch finanziell zu kurz, 1953 schrieb sie schließlich an Brecht über ihren Frust: »Leider werde ich von niemandem ausgehalten, bekomme keine Alimente, wurde nicht prämiert, ausgezeichnet, überhaupt nicht gelobt, was auf die Dauer schwer zu ertragen ist, denn ich bin auch nur ein Mensch.«56 1954 bekam sie einen Vertrag als Dramaturgin am Berliner Ensemble, arbeitete mit den jungen Regisseuren und Schauspielern, und an Brecht-Stücken mit, z.B. an Pauken und Trompeten, eine Bearbeitung eines Stücks von Farquhar. Am Berliner Ensemble und mit Helene Weigel und Ruth Berlau im Brecht-Archiv arbeitete sie bis zu ihrem Tod am 20. April 1973 in Berlin.
Zusammenfassung Briefe von Hauptmann bieten uns die Möglichkeit, die Vielfalt der Erfahrungen einer Schriftstellerin im Exil zu verstehen und ihre Interessen im Hinblick auf Kultur und Politik. Durch die Freunde wie Walter Benjamin und die gemeinsamen Interessen am Theater und am Kommunismus sowie durch die Zusammenarbeit mit Brecht blieb sie einem festen Kreis verbunden. In den Briefen gibt sie »Einsichten in die deutschsprachige Exillandschaft, in das Netz von Kommunikation und Beziehungen zwischen den Emigranten«.57 Die Texte vervollständigen das Bild der Frauen und der Zeit in der Emigration. Exil war eine berufliche Zäsur, da sie statt Zeit und Energie für das Schreiben, viel Energie für das einfache Überleben verbrauchte. Nach der Begeisterung des Neuanfangs in Amerika mussten die Umstellungen, die das Exil bedeutete, die Unsicherheit und die Enttäuschungen bewältigt werden. Dazu kamen dann die Strapazen des Neuanfangs, praktisch alleine, in einem armen, zerstörten und
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geteilten Deutschland, was sie langsam bewältigte. Die Reportagen, die Hauptmann mit den Briefen erstellte, bringen neue Einsichten sowohl in die Exil- als auch in die Brecht-Forschung.
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
Bertolt Brecht: Gesammelte Werke VIII (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1967), S. 292. Sabine Kebir: Ich fragte nicht nach meinem Anteil (Berlin: Aufbau-Verlag 1997), S. 19. Ebd., S. 21. Bertolt-Brecht-Archiv, Stiftung Akademie der Künste, Berlin, Mappe 352/19. Weiter als BBA mit Mappe und Datum zitiert. Paula Hanssen: Elisabeth Hauptmann: Brecht’s Silent Collaborator (Bern: Lang 1995), S. 21. Elisabeth-Hauptmann-Archiv, Stiftung Akademie der Künste, Berlin; Manuskript Mann ist Mann, ohne Mappenummer. Weiter als EHA mit Mappe und Datum zitiert. Sabine Kebir (wie Anm. 2), S. 29. Ebd., S. 30. Astrid Horst: Prima inter pares: Elisabeth Hauptmann, Die Mitarbeiterin Bertolt Brechts (Würzburg: Königshausen und Neumann 1992), S. 12. Sabine Kebir (Anm. 2), S. 52. Ebd., S. 116. Bertolt Brecht: Gesammelte Werke VIII (wie Anm. 1), S. 292. EHA, Mappe 11/15-20: Brief an Benjamin, 26. Apr. 1933. Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987), I, S. 465. EHA, Mappe 11/15-20: 18. Mai 1933. EHA, Mappe 155. BBA, Mappe 480/133-34: o. O., o. D. Ebd., Mappe 400/107. Ebd., Mappe 480/107-111: Brief an Brecht, 16. Jan. 1934. EHA, Mappe 34-35: Brief an Brecht, 17. Feb. 1934. BBA, Mappe 480/101-2: Brief an Brecht, 26. Feb. 1934. EHA, Mappe 89: Brief an Benjamin, 8. Mai 1934. Ebd., Mappe 21: Brief an Benjamin, Juni 1934. Ebd. BBA, Mappe 480/104: Brief an Brecht, Mai 1934. BBA: Brief an Brecht, Sept. 1934. Ebd., Mappe 480/94: Brief an Brecht, 14. Mai 1934. Ebd. Ebd. Hiltrud Haentzschel: Brechts Frauen (Reinbek: Rowohlt, 2002), S. 179. Brief Hauptmanns an Benjamin, März 1935, im Theodor-Adorno-Archiv, Frankfurt a.M. BBA: Brief an Brecht, Mai 1935. EHA: Brief an Brecht, Herbst 1935. BBA: Mappe 340/46, Herbst 1935. Hiltrud Haentzschel (wie Anm. 30), S. 180. Ebd., S. 181. Ebd. BBA, Mappe 205/02. Bertolt Brecht: Große Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bde. (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989), XXVII, S. 9. BBA, Mappe 146. Ebd., Mappe 462: Brief an Baerensprungs Tochter, 1954. BBA, Mappe 211/23: Brief an Brecht, 9. Jan. 1945.
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Sabine Kebir (wie Anm. 2), S. 194 (aus einem Hauptmann-Brief). Eric Bentley: The Brecht Memoir. 2. Aufl. (Evanston: Northwestern Univ. Press 1989), S. 11. Bertolt Brecht: Briefe. 2 Bde. Hg. G. Glaeser (Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981), I, S. 524. EHA, Mappe 41. Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln. 2 Bde. (Berlin: Aufbau-Verlag 1988 [1986]), II, S. 200. BBA, Cohen-Sammlung: Brief an Brecht, Jan. 1948. Sabine Kebir (Anm. 2), S. 195 (Brief von Hauptmann). BBA, Briefe in der Cohen-Sammlung. Sabine Kebir (Anm. 2), S. 198. Elisabeth Hauptmann: Julia ohne Romeo (Berlin: Aufbau 1977), S. 61. Ebd., S. 226. Ebd., S. 277. Sabine Kebir (wie Anm. 2), S. 201 (Brief Brechts an Hauptmann). Ebd., S. 203 (Brief Hauptmann an Baerensprung). Ebd., S. 206 (Brief Hauptmann an Brecht). Sabine Gross: »Rezension von Briefe an berühmte Männer«. In Maarten van Dijk (Hg.): Brecht Jahrbuch: New essays on Brecht – Neue Versuche über Brecht (Madison: Univ. of Wisconsin Press 2001), S. 338-340.
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EDGAR HILSENRATH SUSANNE ALGE Er provoziert und bricht Tabus mit der Miene des unschuldigen Knaben. [...] Er polarisiert, weckt Emotionen und regt zum Nachdenken an, indem er den Leser in eine heilsame Ambivalenz stürzt: Er evoziert ein Lachen, das in der Kehle stecken bleibt, und gleichzeitig berstend hervorbrechen will.1
Was Cornelia Staudacher über Edgar Hilsenrath anlässlich des Erscheinens seines Romans Der Nazi und der Friseur im Rahmen der Gesamtausgabe seines Werks im Dittrich Verlag sagt, gilt tatsächlich für das gesamte Schreiben dieses Autors. Hilsenrath, so fährt Staudacher fort, »verbindet Grausamkeit und Zärtlichkeit, abstrusen Witz und blutigen Ernst, Liebe und Hass, Horror und Lebensfreude [...]«. Die Editionsgeschichte dieses Romans, wie überhaupt der wechselhafte Veröffentlichungsweg, den die dem Erstling (1964 bei Kindler) folgenden nahmen, ist symptomatisch für den Umgang mit der deutschsprachigen Exilliteratur, sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Dass Hilsenrath 1989 für den Roman Das Märchen vom letzten Gedanken, den er neben dem Erstling Nacht für seinen besten hält, den Alfred-Döblin-Preis erhielt, ist ebenso symptomatisch. Denn in den achtziger Jahren begann das allmähliche Interesse an Exilliteratur, ihre Vertreter und Vertreterinnen mussten nicht mehr abgewehrt und abgewertet werden, weil sie die Erinnerung an die Schuld-Vergangenheit verkörperten. Das galt selbst für einen von keiner Richtung einzugemeindenden Nonkonformisten wie Hilsenrath. Dass er für sein Gesamtwerk 2004 den Lion-Feuchtwanger-Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste erhielt, erfüllte ihn mit Staunen wie mit Stolz gleichermaßen.
Märchen als Genre zum Widerlegen von »Greuelmärchen« Und so sagte ich, der sich Meddah nennt, zu meinem Schatten: »Bald, nachdem der Weltkrieg zu Ende war — also kurz darauf — bereitete man schon einen neuen Krieg vor. Denn die Historiker wollten dem Großen Krieg, den sie nur Weltkrieg nannten, eine Nummer geben, damit er in der Schublade aller Kriege nicht verlorenginge. Aber um den Großen Krieg, der ein nummernloser Weltkrieg war, den Ersten nennen zu können, mußte es einen Zweiten geben. Und das war gar nicht schwierig. Man brauchte ihn nicht mal zu erfinden. Denn wie die meisten Erfindungen war auch er längst erfunden, und es brauchte nur einen Vorwand und einen Auslöser [...]«.2
So, unter dem Gesichtspunkt der Historie richtig, aber doch haarscharf an der Satire liegend, ist Edgar Hilsenraths Gesamtwerk. Vor allem aber ist, wie in der Menschheitsgeschichte, alles mit allem zusammenhängend, und die Anlässe für sogenannte große Ereignisse sind fast immer banaler als ihre Folgen, die blutigen Gemetzel, die die Historiker im Anschluss daran säuberlich katalogisieren. Die Erzähler der Geschichten, wie Meddah einer ist, müssen sich jedoch anderer Mittel bedienen: »Und so erzähle ich meinem Schatten ein Märchen, weil ich die letzte Wahrheit, die ich suche, nicht kenne.« (Märchen, S. 490) Edgar Hilsenrath, — der sagt: »Ich wollte immer Schriftsteller werden. Ich wäre auch so einer geworden, ohne das Kriegserlebnis. Nur hätte ich wahrscheinlich
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andere Sachen geschrieben.«3 — erzählt keine Märchen, im Gegenteil, er erzählt vom Völkermord, vom Ghetto, von Flucht und Exil. Doch wie Meddah, der Erzähler im Roman Das Märchen vom letzten Gedanken, sucht Edgar Hilsenrath nach den Mythen, Sagen, Schnurren der Völker, gibt seinen Protagonisten auch ein Leben jenseits ihres Daseins als Verfolgte. So sind seine Bücher — mit Ausnahme des Erstlings Nacht — melancholisch, heiter, skurril, sogar zum Lachen komisch, wenngleich sie die finsteren Zeiten und ihre grausamen Seiten nicht ausblenden. Aus den Werken lassen sich alle Lebensstationen des Autors, die eng mit dem Verlauf der Historie des 20. Jahrhunderts verbunden sind, ablesen, und natürlich ist das Oeuvre, wie auch seine Rezeptionsgeschichte, von der Erfahrung des Exils geprägt. Die Wirklichkeit ist der Stoff, der sich in Kunstwerke verwandelt, ähnlich dem letzten Gedanken, »der da sitzt im letzten Angstschrei« und sich verwandeln wird in ein Flüstern aller toten Armenier. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn: Andere Flüsterstimmen könnten zu flüstern anfangen, auch die, die es nie gewagt haben, laut zu flüstern. Es würde ein großes Geflüster werden, wenn alle, die Opfer waren auf dieser Welt, sich plötzlich mit ihren geflüsterten Klagen melden. Die ganze Welt würde in ihrem Geflüster ersticken. (Märchen, S. 506)
Aufstören, gegen das Vergessen anschreiben — das ist der eine Impuls des Hilsenrathschen Schreibens, aufzeigen, dass der Mensch des Menschen Freund sein kann — der andere. In einem Interview sagt der Autor: »In meinen Büchern sind die Menschen im Kern gut. Ob ich daran glaube, ist unwesentlich. Es ist so. Der Mensch ist nicht böse, sondern er wird böse gemacht, aber er kann auch gut sein.« (Texte und Zeichen) Der Weg ins Exil begann 1938 als Reise an einen vertrauten Ort: Edgar Hilsenraths Mutter, Anni Hilsenrath, flüchtete mit ihren beiden Söhnen, Edgar und Manfred, zu ihren Eltern nach Sereth in der Bukowina, wo ihr Vater als Viehhändler lebte und wo sie und ihr Mann mit den Kindern bisher den Urlaub verbracht hatten.4 Das jüdische Schtetl gehörte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zu Rumänien und hieß jetzt Siret, doch das Leben in dem kleinen Ort glich noch dem im Vielvölkerländchen der Habsburger Zeit. Deutsch, Jiddisch oder ein Mischmasch aus beiden waren nach wie vor die vorherrschenden Sprachen. Man flanierte auf der Promenade, ging zu den Sitzungen der Zionisten und feierte fast jede Woche eine jüdische Hochzeit. Es gab echte Wiener Kaffeehäuser, gab Cremeschnitten und Sachertorte und auf dem Wochenmarkt boten die ukrainischen und rumänischen Bauern aus den umliegenden Dörfern ihre Waren feil. Am Sonntag kamen sie »in sauberen Trachten, holten die Dienstmädchen ab und zogen wieder zur Hutweide, um ihre eigenen Volkstänze zu tanzen. Oft guckten wir Juden ihnen zu, manchmal tanzten wir mit. Juden, Ukrainer, Rumänen und die anderen Volksgruppen lebten friedlich zusammen.«5 In Edgar Hilsenraths Erinnerung werden diese Jahre ein Leben lang als die schönsten, ungetrübtesten gelten.6 Kein Wunder. 1926 wurde er in Leipzig geboren, wo die Großeltern väterlicherseits sich aus Kolomea in Galizien kommend 1895 niedergelassen hatten.7 Sein Vater David betrieb dort ein Kürschnergeschäft, zog aber bald nach der Geburt seines Sohnes Edgar nach Halle, wo er ein gut gehendes Möbelgeschäft übernahm. Doch die Geborgenheit in der angesehenen, wohlhabenden, gutbürgerlichen Familie wurde bald überschattet vom Erstarken der Nationalsozialisten. Als einziges jüdisches Kind in seiner Klasse war Edgar Hilsenrath den Schikanen der Lehrer wie der Mitschüler ausgesetzt, die Existenz der Familie war durch die
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Boykottmaßnahmen der Nazis bedroht. Aus Sicherheitsgründen sollte die Mutter mit den Kindern in Sereth abwarten, bis der Vater die Firma aufgelöst hatte. Dann, so der Plan, würden sie sich alle in Paris treffen, »in einem schönen Hotel wohnen, spazierengehen, Paris angucken, dann die Einwanderungsvisen abholen... und nach Amerika abdampfen«. (Ruben Jablonski, S. 15) Die Wirklichkeit sah anders aus. Kurz nach der Pogromnacht wurde der Vater enteignet. Seine Eltern wollten in Leipzig bleiben und siedelten ins jüdische Altersheim über, von wo aus sie später mit allen Bewohnern nach Theresienstadt deportiert und ermordet wurden. Er selbst konnte 1939 Hals über Kopf nach Frankreich flüchten, seine Familie sah jedoch keine Möglichkeit, zu ihm zu gelangen, und als der Krieg ausbrach, wurde jede Verbindung abgeschnitten. Zwar überlebte David Hilsenrath unter falscher Identität, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis alle sich durch eine Suchmeldung des Internationalen Roten Kreuzes wiederfanden. In Siret änderte sich, auch als es ab 1940 in Folge des Hitler-Stalin-Pakts als Grenzstädtchen zum russisch besetzten Teil der Bukowina gehörte, nicht viel. Erst als dieser im Juni 1941 von den deutschen Truppen zusammen mit ihren rumänischen Verbündeten zurückerobert wurde, begann auch hier die systematische Verfolgung der Juden. Zwei Tage vor Kriegsausbruch, am 20. Juni 1941, wurden die Grenzen evakuiert und wir wurden alle ins Innere des Landes geschickt, und zwar nach Craiova. Dort blieben wir zweieinhalb Monate und dann kam der Auftrag, dass wir zurückfahren. Wir kamen nicht bis Sereth, sondern in die Nachbarstadt Radautz. Dort waren wir auch ungefähr zweieinhalb Monate, dann kam plötzlich der Befehl der Deportation. Es hingen überall in der Stadt Plakate, dass alle Juden um sechs Uhr früh am Bahnhof sein mussten zwecks Abtransport in den Osten. Wer zurückbleibt, wird erschossen. Wir wurden in Viehwaggons eingepfercht und fuhren dann zwei Tage lang durch Bessarabien bis an den Dnjestr. [...] Auf der anderen Seite vom Fluss war die Ruinenstadt Moghilev-Podolsk. Dort wurden wir im Ghetto einquartiert. Es gab kaum Häuser, die Stadt war vom Krieg zerstört. Wir hatten aber Glück, ein Bekannter von uns war befreundet mit einem rumänischen Offizier, der hat uns ein Papier verschafft, dass wir ein Haus requirieren konnten und das uns vor allem schützte vor weiteren Deportationen. Wir fanden eine alte russische Schule, zogen dort ein, ungefähr fünfzig Leute in drei Zimmern. Ein paar beherzte Leute unter uns fingen einen kleinen Schwarzhandel an. Es war zwar unter Todesstrafe verboten, Schmuck mitzunehmen, wir hatten aber Schmuck mitgenommen und den sammelten wir und ein paar von uns verließen in der Nacht das Ghetto, was eigentlich bei Todesstrafe verboten war, und gingen in die Dörfer und tauschten Lebensmittel ein. Ein Teil der Lebensmittel war für uns, mit dem Rest fingen wir einen kleinen Handel an. Und so haben wir über zwei Jahre lang überlebt.8
Was Edgar Hilsenrath hier in wenigen Sätzen zusammenfasst, war »eine Art Vorhölle«, wie der Protagonist in Bronskys Geständnis 9 sagt. Die Zustände im Ghetto: ein Martyrium. Am Anfang gab es keinen Strom, kein Wasser, in den Straßen lagen Erfrorene und Verhungerte, Typhus und Cholera brachen aus, jede Nacht fanden Razzien statt und wer »ausgehoben« wurde, wurde zum Bug deportiert und dort von der SS erschossen. Im März 1944 marschierten die Russen ein, die Überlebenden, darunter auch Edgar Hilsenrath, seine Mutter, sein Bruder, sein Großvater, ein Onkel und eine Tante
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waren befreit. Der Begriff »Befreiung« ist allerdings euphemistisch, denn bald begannen erneut Razzien, da die Russen Arbeitskräfte brauchten, zum Beispiel für ihre Kohlegruben am Donbass. Auch Hilsenrath, der bereits auf abenteuerlichen Wegen bis Czernowitz gelangt war, wurde verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Die Geschichte, wie er der Zwangsarbeit entkam, klingt wie aus einem Roman: Dort lernte ich einen Mann kennen. Es stellte sich heraus, dass er gleich hieß wie mein Vater und dass er ein Verwandter war. Der sagte, er könnte meine Papiere fälschen und mich jünger machen. Ich war Jahrgang 26, er machte aus der sechs eine acht, dann ging er zum Kommandanten und sagte: »Du, der Junge ist erst sechzehn Jahre, den müsst ihr laufen lassen.« Und dann haben sie mich laufen lassen und ich ging zurück nach Sereth. (Interview, 18. März 2005)
Auch die übrigen Familienmitglieder waren mittlerweile zurückgekehrt, aber: »Sereth war eine tote Stadt.« Fast alle Juden, und mit ihnen das gesellschaftliche Leben, waren verschwunden. Rosenzweigs Kaffeehaus war geschlossen, auf den Straßen hörte man kaum noch deutsch, die Flaneure auf der Promenade fehlten. Rebecca, deren schöne Brüste die Jungen beim Baden am Sereth bewundert hatten, war im Ghetto Berschad verhungert und »der Rebbe tauchte nicht mehr auf, und auch nicht sein Enkel, der mein Freund war«. (Ruben Jablonski, S. 98) Ende September 1944 schlug sich Hilsenrath nach Bukarest durch, setzte sich mit der zionistischen Organisation Hanoar-Hazioni, deren Gruppe in Sereth er mit vierzehn geleitet hatte, in Verbindung und die verschaffte ihm einen Eisenbahnplatz nach Israel. In Bulgarien wurde die Gruppe junger Zionisten aus dem Zug geholt und in der Stadt Stara Zagora in einer leeren Schule interniert. Erst nach der persönlichen Intervention Ben Gurions durften sie zwei Monate später weiterfahren. Bald nach der Ankunft in Israel, begann Edgar Hilsenrath zu schreiben. Anstatt im Kibbuz die Schule zu besuchen, setzt er sich am Nachmittag, nach der Feldarbeit in die Bibliothek und versucht sich an Kurzgeschichten. In seinem autobiographischen Roman erzählt der Protagonist einer Lehrerin von seinen schriftstellerischen Plänen: »Tausende werden ihre Geschichten schreiben«, sagte meine Lehrerin, »und es wird nur wenig Wertvolles darunter geben.« »Ich will keinen Augenzeugenbericht schreiben«, sagte ich, »sondern einen Roman.« »Über das Ghetto kann man keinen Roman schreiben«, sagte sie. »Doch, das kann man«, sagte ich. (Ruben Jablonski, S. 153)
Die Arbeit an dieser Aufgabe wird Hilsenrath noch Jahre beschäftigen und er wird ihr alle anderen Pläne und Aktivitäten unterordnen. Vom ersten Kibbuz Quar Rupin, im Herzen des Galil, kommt er über den Kibbuz Tel Yitzhak, über Haifa, das Dorf Pardess Channah, den Kibbuz Beth Eschel und Nethania nach Tel Aviv. Er bringt sich mit verschiedenen Jobs durch, als Tellerwäscher, Landwirtschaftsgehilfe, Kistenschlepper, Tagelöhner am Bau, als Bahrenträger im Krankenhaus, immer darauf bedacht, möglichst viel Zeit zum Schreiben zu haben. Er schickt einen Brief an Max Brod, der ihm sehr freundlich antwortet und ihm rät, Wertvolles, den Grünen Heinrich von Gottfried Keller zum Beispiel und Goethes Wahlverwandtschaften, zu lesen und sich wieder bei ihm zu melden. Er lernt Jakov Lind kennen, der in Ruben Jablonski den Namen Joseph Lindberg bekommt und der ebenfalls Schriftsteller werden will. Nächtelang sitzen sie im Café und unterhalten sich
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über Literatur. Für die politischen Vorgänge in Palästina interessiert er sich nicht, denn: »Ich war auf verlorenem Posten. Ich fühlte mich schon damals als deutscher Schriftsteller, obwohl ich erst achtzehn Jahre alt war. Ich wollte schreiben und konnte nur Deutsch und keiner wollte mit mir Deutsch sprechen.«10 Dazu kam noch eine Enttäuschung, die sein Verleger Helmut Braun so formuliert: »Er empfand sich als Jude, hatte aber das Gefühl sich unter Israelis zu befinden.« (Telefonat, 26. Aug. 2005) Dass Hilsenrath in Israel nicht richtig Fuß fassen konnte, hat neben seiner Stellung als Außenseiter noch einen Grund: kurz nach seiner Ankunft hatte das Rote Kreuz David Hilsenrath, den Vater, ausfindig gemacht. Er hatte unter falschem Namen in Villeneuve, später in Lyon überlebt. Die Mutter und der Bruder waren, nachdem sie das erfahren hatten, illegal über die rumänische, ungarische, österreichische und deutsche Grenze zu ihm gestoßen. Die drei schrieben glückliche Briefe und wünschten sich, dass möglichst bald die ganze Familie vereint wäre. Edgar Hilsenrath beschloss, sowie er einen Reisepass bekäme, zu ihnen zu fahren. Im November 1947 war es soweit: auf einem griechischen Frachtdampfer gelangte er nach Marseille und nach fast zehn Jahren sah er seinen Vater wieder. Die Freude über das gemeinsame Leben war groß, aber: Als ich meinem Vater erzählte, daß ich einen Roman schreibe, begann er zu toben. »Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte er. »Schriftstellerei ist ein Hungerberuf. Die Kunst wird dich um den Verstand bringen. Ich habe in Leipzig viele Künstler gekannt.« (Ruben Jablonski, S. 305)
Tatsächlich arbeitete Hilsenrath während der Zeit in Frankreich — von Dezember 1947 bis März 1951 — als Kürschner, doch das Schreiben schlug er sich dennoch nicht aus dem Kopf. Am Wochenende ging ich ins Bistro und machte Schreibübungen. Aus dem Ghettoroman wurde nichts, und so fing ich einen Roman über einen Wahnsinnigen an, der aus einer Pariser Nervenheilanstalt geflüchtet war. Auch dieser Roman mißlang, und so fing ich wieder einen neuen an. Diesmal handelte es sich um einen Kibbuz während eines arabischen Überfalls. Als auch das mißlang, gab ich das Schreiben vorläufig auf. (Ruben Jablonski, S. 306f.)
Der Entstehungsweg des Erstlings Nacht Nicht die Kunst brachte Edgar Hilsenrath um den Verstand, im Gegenteil, erst als er mit dem Schreiben aufhörte, verfiel er in tiefe Depressionen. Der Knoten löste sich durch die Lektüre von Erich Maria Remarques Arc de Triomphe. Ich las das Buch und war begeistert wie nie zuvor von einem Roman. Hier war jemand, der wirklich schreiben konnte. Alles stimmte, die Handlung, die genau eingefangene Atmosphäre, die Dialoge und die erzählerische Spannung. Ich war wie berauscht. Plötzlich hatte ich wieder Lust, selbst zu schreiben und dabei dachte ich an meinen Ghettoroman, den ich angefangen hatte. Am Abend ging ich in ein Bistro. Die Schreiblust überkam mich, und ich bat den Kellner um Papier und Bleistift und ein Glas Rotwein. Ich dachte an Remarque und seinen Arc de Triomphe, und dabei überlief mich ein heißer Schauer. Remarques Held hieß Ravic. Ich beschloss, auch meinen Helden Ravic zu nennen.11
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Wie in Liebe deinen Nächsten, Die Nacht von Lissabon und Schatten im Paradies ist das Elend des Emigrantendaseins Thema dieses 1945 in New York entstandenen Romans von Erich Maria Remarque. Ein wichtiger Handlungsstrang in Arc de Triomphe ist der Mord, den Ravic an seinem ehemaligen Peiniger, dem Gestapo-Mann Haake begeht. Ravic hat im Gegensatz zu seinen Freunden und seiner Geliebten Verhaftung und Verhör überlebt, auch aus dem Konzentrationslager ist ihm die Flucht gelungen. In Paris trifft er Haake wieder. Der glaubt, in Ravic aufgrund einer Narbe an der Stirn den ehemaligen Korpsstudenten und ergo einen Gesinnungsgenossen zu erkennen. Was er jedoch für eine Mensurnarbe hält, ist Folge der Folterungen. Durch diese absurde Täuschung erhält Ravic die Gelegenheit zur Rache: er erschlägt Haake. Dieser Akt wird minutiös beschrieben, eher sachlich wie eine Gebrauchsanweisung als spannend wie ein Kriminalroman. Auch die rasch wechselnden Gefühle, die Ravic durchlebt, von der Satisfaktion für die Qualen der Geliebten kurz nach der Tat bis zur absoluten Gleichgültigkeit ein paar Stunden später — »[...] es ist so weit weg jetzt, als läse ich es in der Zeitung«. — werden bis ins Detail mit großer Genauigkeit geschildert, und aus dieser kühlen Präzision strömt weit mehr Emphase als aus sich leidenschaftlich gerierendem Pathos. Die vordergründige Teilnahmslosigkeit, die prägnanten Formulierungen, die Lebendigkeit der Dialoge — darin, um nur die wichtigsten Parallelen zu nennen, wird sich das Vorbild Remarque im Hilsenrathschen Werk niederschlagen. Remarques Lob über das Werk eines Musikkritikers, es sei »ohne treudeutschen Schweißgeruch und professionale Kathederpathetik, profund und gleichzeitig schwebend«12 komponiert, ließe sich auf alle Bücher Hilsenraths übertragen und das machte ihn dem deutschen Feuilleton, das bis heute eine von Humor und Sinnlichkeit weitgehend freie Zone vertritt, suspekt. Selbst in der Missachtung oder zumindest Geringschätzung durch Kritiker und Germanisten treffen sich Hilsenrath und sein Vorbild.13 Doch das ist weit vorausgegriffen. Mit der Lektüre von Remarques Arc de Triomphe hatte sich erst einmal die Schreibhemmung gelöst. Ich schrieb wie besessen in jenem Bistro und schaffte in zwei Stunden dreißig Seiten. [...] Allerdings verdrängte ich Remarque nach dem zweiten Kapitel und schrieb den Rest des Buchs ohne irgendwelche Vorbilder. Es wurde dann doch noch etwas ganz Eigenes. Trotzdem muss ich sagen, dass ich es Remarque zu verdanken habe, dass ich Schriftsteller geworden bin. (Homepage)
Als Schriftsteller in New York Durch diese Erfahrung im Herbst des Jahres 1949 war Edgar Hilsenrath sicher, dass er sein Buch über das Ghetto fertig schreiben würde. Er verschob die Arbeit daran bis auf die Zeit, in der er sich nicht mehr »von den kritischen Augen des Vaters« bedrängt fühlen würde und betrieb seine Einwanderung in die USA. Der Plan ging auf die Emigrationsbemühungen der Familie vor dem Krieg zurück und tatsächlich war es 1951 soweit: im März folgte Hilsenrath seinem Bruder, der seit einem Jahr in New York wohnte, und zwei Jahre später kamen die Eltern nach. In Interviews und Notizen zum Lebenslauf schildert der Autor die Zeit in New York, wo er mit kurzer Unterbrechung bis 1975 lebte, knapp und distanziert. Er kann in der Anonymität der Riesenstadt gut arbeiten, genießt die Öffnungszeiten der Cafeterien und schätzt es, beim Schreiben die ganze Nacht Kaffee, Milch und Zigaretten
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zu bekommen, stellt aber diesen Vorteilen den alles bestimmenden Materialismus entgegen, während ihn weder Geld noch eine bürgerliche Karriere interessiert hätten. Der Entstehungsprozess eines Ghettoromans und die einsamen, ärmlichen Lebensbedingungen eines Autors machen eines der Hauptthemen in Bronskys Geständnis aus. Am Protagonisten Bronsky, einem in Deutschland geborenen Überlebenden des Holocaust, werden die Illusionen der Einwanderer über die Verheißungen des Eldorados USA persifliert, die für Bronsky, einen deutschen Schriftsteller jüdischer Abstammung, ein fremdes Land sind, »das ich nicht begreife und das mich nicht begreift«. (Bronsky, S. 296) Auch wenn es in der biographischen Selbstauskunft heißt: »Entscheidend war, daß mir Amerika nicht gefallen hat. Das ist einfach kein Land für mich.« (Gespräch mit Kraft, S. 18), scheint Hilsenrath im Lauf der Jahre freundschaftliche Kontakte zu einigen ebenfalls in New York lebenden deutschsprachigen Schriftstellern und zum dortigen Goethe-Institut entwickelt zu haben14 und wurde 1958 amerikanischer Staatsbürger, nachdem er ein Jahr zuvor einen Einbürgerungsantrag gestellt hatte. Doch: »Splendid isolation« nennt Hilsenrath die Situation, die er sich in New York schuf und die er für absolut notwendig hielt, um »beobachten und klar denken« zu können.15 Nacht erzählt vom Leben und Sterben in einem Ghetto, das im Roman den Namen Prokow trägt, aber die realen Zustände in Moghilev-Podolsk schildert.16 Erzählerische Entwicklung hin zu einem Höhepunkt oder zu einer plötzlichen Wendung gibt es kaum, die Katastrophe ist längst da, bevor das Geschehen einsetzt. Hunger, Krankheit, Elend, Tod sind am Anfang des Romans so allgegenwärtig wie an seinem Ende und sie sind auch die wirklichen Akteure unter den Bewohnern des Ghettos, die zum großen Teil keine Namen tragen, sondern mit Typisierungen wie »der Eitrige, die Bucklige, die Dicke, der Friseur« bezeichnet werden. Im Mittelpunkt der Handlung stehen Ranek und seine Schwägerin Debora, die Perspektive des Romans ist weithin die von Ranek, an dem der Wechsel von einem durchschnittlich moralischen, grundsätzlich mitmenschlichen Mann seiner Zeit zu einem verhungernden und verzweifelten Wolf dargestellt wird, einen Vorgang, den Hans Otto Horch »die fürchterliche situationsbedingte Umwandlung von Opfern zu Tätern« nennt.17 Die verelendeten Menschen, die Unterkunft und Teilhabe am Schwarzmarkt, also eine Chance aufs Überleben haben, können die Ansprüche meist nur mit purer Gewalt durchsetzen und vor allem aufrecht erhalten, denn in Prokow gibt es keine Lebensmittelkarten, keine Baracken und keine offizielle Verwaltung. Neben ein paar rumänischen und ukrainischen Treibern besorgt hauptsächlich jüdische Polizei die Razzien, und wer keine Bleibe hat, ist ihrem Zugriff und somit der sicheren Ermordung ausgeliefert. Ein Ghettobewohner kommentiert dieses Verfahren, die Opfer zu zwingen, zum Peiniger der Mit-Opfer zu werden, etwas, das Primo Levi einmal als besonders schmerzhafte Entwürdigung bezeichnet hat: »Wer hätte wohl damals gedacht, daß wir einmal ’ne jüdische Polizei in Prokow kriegen würden? [...] Und doch«, fuhr Sigi redselig fort, »ist es nicht mal so verrückt. [...] Die Rumänen haben viel von den Deutschen gelernt. Sie wissen, daß die Gründung der jüdischen Polizei den Razzien, wie man so sagt, ’nen Schein von Legalität gibt. Verstehst du doch, was? Wenn Juden Jagd auf Juden machen, dann muß es schon richtig sein.« (Nacht, S. 80)
Von dieser Erniedrigung, vor allem den Auswirkungen dieser Erniedrigung handelt Nacht. Doch in all den Kämpfen um das schiere Überleben zeigt Hilsenrath auch
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immer wieder den Kampf »um den Rest einer Menschlichkeit, die sich diesem Überlebenskampf immer wieder in den Weg stellt«. In der Existenz Raneks wird ihre dramatische Verknüpfung als der elementare Konflikt im Versuch des Überlebens ausgetragen. So unzweideutig die Anforderungen einer vor Zeiten angeeigneten Moralität — als Kennung des Menschlichen — im Ringen ums Überleben als Hemmnis wirken, so nachhaltig wird — und bleibt — Ranek von der längst ins Unbewußte abgedrängten Ahnung bestimmt, daß nur das verzweifelte Festhalten an dem, was ihn auch in der Vernichtung sich selbst noch als Menschen erkennen läßt, sein Überleben rechtfertigen und aushalten lassen wird.18
Doch stärker als jeder moralische Imperativ beeinflusst die uneingestandene Liebe zu Debora, der Witwe seines Bruders, Raneks Verhalten. Diese lässt ihn immer wieder auf die weiche, menschliche Stimme in sich hören, die sein Handeln unter anderen Lebensumständen ganz selbstverständlich geleitet hätte. Debora, die äußerlich Zarte und Schwache, schöpft aus einer inneren Quelle genügend Kraft, um inmitten der unerträglichen, erniedrigenden Zustände in Prokow Mitleidsfähigkeit, Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht aufgeben zu müssen. Verdankt sie ihre Stärke Gott, an den sie glaubt, obwohl Er all dies zulässt? Ranek vermutet es, manche halten sie für eine Heilige, andere für verrückt. Insgesamt zeigen die weiblichen Figuren, auch wenn sie sich den Gesetzen dieser schaurigen Welt nicht ganz entziehen können, größere Bereitschaft und Fähigkeit zu einem gewissen Miteinander und kleinen Akten gegenseitiger Hilfe. Doch die Lichtgestalt unter ihnen ist — ihrem Namen gemäß — Debora19, aus der am Ende eine Hoffnung auf Zukunft entspringt, indem sie sich eines (fremden) Kindes annimmt und zur Garantin der Unausrottbarkeit ihres Volkes wird. Trotzdem lassen mehr als einmal die Bedingungen im Ghetto keine Wahl. Die sachlich-deskriptive Erzählweise unterstreicht die Brutalität, die Herabwürdigung der Menschen auf eine Ebene des Existierens, wo Leben Verdammnis bedeutet und der Anspruch, altruistische Konventionen aufrecht zu erhalten, einem selbstgewählten Todesurteil gleichkommt. »Kritisiert wird das System, das sie alle zu Opfern ihrer Schwäche macht«, schreibt Dagmar C.G. Lorenz, und weiter: »Nacht klagt die Regisseure des Massenmordes an, die, ohne in Erscheinung zu treten, anderen die Lebensgrundlage entziehen. Insofern repräsentiert Hilsenraths rumänisches Ghetto auch die Elendsviertel der Dritten Welt und eröffnet Dimensionen des Grauens ganz ohne Prügel- und Folterszenen.«20 Dass der Leser seine Anklage nicht auf einen einzelnen Vertreter des Bösen verschieben kann, lässt ihn mit der »monotonen Folge von Schreckensbildern« allein und zerstört die »in den Köpfen zumal der deutschen Leser virulenten Vorstellungsklischees über das Leben und Sterben in den Ghettos des Holocaust«.21 So schreibt Dietrich Dopheide, der die Darstellungsweise in Edgar Hilsenraths Romanen untersucht und schlüssig in Zusammenhang mit der offenen oder kaschierten Ablehnung gebracht hat, auf die der Autor stieß und stößt. Doch nicht nur Stil und Erzählstrategie erregten Anstoß, was beim Roman Nacht zu einer speziellen Kontroverse führte, war die Verletzung der ideologischen Vorschrift, die Darstellung von Juden allein auf das Positive zu reduzieren, sie nur in der Rolle moralisch integrer Figuren zu zeigen.22 Noch bevor der Roman in Druck ging, kam es im Kindler Verlag, der das Werk auf Grund einer Empfehlung von Henry Marx, des Feuilletonredakteurs bei der New Yorker Staatszeitung und Herold angenommen hatte, zu einem internen Streit, ob man
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ein Werk, das dieses Verdikt ignorierte, dem deutschen Publikum zumuten durfte, oder ob man damit nicht »Beifall von der falschen Seite« provozierte. Das hieß: ob es nicht Wasser auf die Mühlen der Antisemiten wäre, wenn in einem Roman — noch dazu von einem Juden — die Menschen — noch dazu Juden — nicht lieber verhungerten als ihre höflichen Umgangsformen aufzugeben.23 Diese Denkweise muss wohl nicht weiter diskutiert werden. Im Kindler Verlag setzte sie sich jedoch durch. Der Verlag erfüllte zwar seinen Vertrag gegenüber Hilsenrath, stellte jedoch nur eine Auflage von 1250 Exemplaren her, wovon höchstens 700 den Buchhandel erreichten.24 Als die zum Teil begeisterten Urteile der Literaturkritiker zu lesen waren, gab es das Buch schon nicht mehr zu kaufen. Doch es gab, zumal unter den externen Gutachtern, die vom Kindler-Verlag im internen Streit bemüht wurden, auch andere Stimmen. Stellvertretend sei hier das Urteil Dieter Lattmanns angeführt, der meinte, es sei doch mittlerweile alles gesagt, was zu dem, was vor zwanzig Jahren geschehen sei, gesagt werden müsse, und so sei es überhaupt nicht nötig, weiter an dem Thema dran zu bleiben, so erzählte mir Helmut Braun. (Telefonat, 26. Aug. 2005) Diese Stellungnahme ähnelt frappant Volkes Stimme, die 1964 anlässlich einer Umfrage zum Auschwitz-Prozess meinte, man solle doch endlich aufhören, in der Vergangenheit herumzustochern. Mit dem Verkauf der Lizenzen legte der Kindler Verlag allerdings den Grundstock für Hilsenraths Erfolg im ausländischen Literaturbetrieb. 1966 erschien Nacht unter dem Titel Night bei Doubleday in den USA mit einer Startauflage von 7500 Exemplaren und in Holland bei De Boeckerij. Ein Jahr später veröffentlichte der renommierte Londoner Verlag W.H. Allen eine Ausgabe von Hilsenraths Erstling für das Commonwealth.
Positive Reaktionen auf dem ausländischen Buchmarkt Im Gegensatz zu Deutschland, wo seine Rezeption faktisch verhindert wurde, stieß Hilsenrath im anglo-amerikanischen Raum auf ein positives Echo. Doubleday wollte ein zweites Buch mit ihm machen. Der Autor schlug den Stoff von Der Nazi & der Friseur vor: Der Cheflektor sagte: »Ja. Das kaufen wir.« Ich sollte ein Exposé schreiben. Da habe ich ein Exposé geschrieben, aber ich konnte nur Deutsch schreiben, also habe ich es übersetzen lassen und habe es Doubleday geschickt. Irrtümlicherweise haben sie geglaubt, dass ich das Buch Englisch schreiben werde, haben mir 5000 Dollar Vorauszahlung gegeben und erwarteten ein englisches Manuskript. Ich bin dann nach München gefahren und habe dort Der Nazi & der Friseur geschrieben. Als ich das Doubleday einschickte, waren sie entsetzt, weil das in deutscher Sprache war. Aber sie haben es übersetzen lassen und haben es dann gedruckt. (Interview, 18. März 2005)
Das Werk beruht auf der Konstellation eines im schlesischen Städtchen Wieshalle gemeinsam aufwachsenden Freundespaars, einem christlichen und einem jüdischen Jungen. Max Schulz, der aussieht wie die Karikatur eines Juden aus dem Stürmer, ist der Sohn der »arischen« Dirne Minna und lebt mit ihr beim prügelnden und vergewaltigenden Stiefvater Max Slavitzki, dem Besitzer eines schäbigen Friseurladens. Sein Freund Itzig Finkelstein kommt aus einem gutbürgerlichen, gläubigen jüdischen Elternhaus und ist von »reinrassig« germanischem Aussehen. Sein Vater betreibt den
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Frisiersalon »Der Herr von Welt«. Max Schulz darf im Hause Finkelstein an allem teilhaben und kann von allem profitieren: dem freundlichen Umgangston, Itzigs guten Schulleistungen, dem handwerklichen Können von Meister Finkelstein, sogar den Kenntnissen jüdischer Tradition und Religion. Als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, wird diese gemeinsame Vergangenheit zum Anlass der Ermordung der Familie bzw. zu ihrer Begründung: »Judenfreunde werden an die Front geschickt.« Doch nach der Niederlage der Deutschen kommt dem inzwischen zum Massenmörder gewordenen Max Schulz das frühere Wissen zustatten: er lässt sich beschneiden, eine KZ-Nummer eintätowieren und schlüpft in die Rolle seines Freundes Itzig. Schließlich wandert er nach Israel aus und wird dort zu einem angesehenen Friseur. 1971 erschien der Roman unter dem Titel The Nazi and the Barber und wurde innerhalb von vier Jahren auch in Italien, Frankreich und England publiziert. In den USA erschien eine Taschenbuchausgabe. Im Ausland erreichte das Werk bis 1976 eine Auflage von über einer Million und errang höchstes Lob. In Frankreich erntete der Autor den Grand Prix de l’Humour Noir, ein Kritiker des Jerusalem Post Magazine meinte — »Max Schulz remains not only a memorable comic creation, but also a most convincing portrait of Dr. Hannah Arendt’s ›banal‹ Nazi [...]« —, der Kansas Star verglich ihn mit »Rabelais at his best«. Währenddessen sammelte sein Autor in Deutschland Absagen dafür. Man bemäkelte dies und das oder las das Manuskript erst gar nicht. Trotz dieser Ablehnung und entgegen des Rats seiner Familie entschloss sich Hilsenrath 1975 zur Rückkehr nach Deutschland. Er folgte der Empfehlung Alfred Starkmanns, dem Chef der deutschen Abteilung bei BBC London, und entschied sich, nicht nach München zu gehen, wo er 1968 während der Niederschrift eines Großteils von Der Nazi & der Friseur gelebt hatte, sondern nach Berlin. (Ich bin nicht Ranek, S. 184) Die Anregung Starkmanns erwies sich als hilfreich. Der junge Verleger Helmut Braun wagte in seinem kleinen Verlag die Publikation, weil er nach der ersten Lektüre restlos von dem Werk überzeugt war. Mit viel Energie leistete er so erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit, dass alle wichtigen Printmedien dem Nazi eine ausführliche Besprechung widmeten und der Erstauflage von 10 000 Exemplaren bald eine zweite und eine dritte in gleicher Höhe folgten. Braun kommentiert: Wenn wir sehen, welches positive Echo der unveränderte, nicht neu lektorierte Roman nach seiner Veröffentlichung bei den Lesern, in der Buchkritik und der Literaturwissenschaft fand, lässt sich begründet vermuten, dass auch die individuell begründeten Absagen nur kaschierten, was in der deutschen Verlagsszene einhellige Meinung und in manchen Ablehnungen auch offen formuliert worden war: So kann und darf man über das Thema Holocaust nicht publizieren!25
Friedrich Torberg geht in seiner Rezension von eben dieser Prämisse aus und stellt auch gleich klar, dass er »zur großen Zahl der von jener Zeit Betroffenen gehöre und — wie Hilsenrath selbst — zur wesentlich geringeren Zahl der Überlebenden« und dass man ihm deshalb in Bezug auf Geschichten und »Nazi und Juden«-Themen eine gewisse Empfindlichkeit zugestehen müsse. Wenn er in der publizistischen Resonanz von »Schelmenroman« lese, so zucke er zusammen: »Das kann nicht gut gehen.« Er fährt dann fort: »Es fängt auch gar nicht gut an. Das Mißtrauen, mit dem ich an die Lektüre des Buchs heranging, erhielt immer neue Nahrung.« Schritt für Schritt, in Torbergscher Prononciertheit, entkräftet er dann aber alle weiteren, »einem grotesken Talmi-Philosemitismus« entsprungenen Vorbehalte und kommt zu dem Schluss:
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Das ist es, was Hilsenraths Roman dartut, das ist die aus amoralischen Voraussetzungen zutage tretende Moral. Die Entlarvung der klischierten Vorurteile, an denen unser Dasein krankt, erfolgt gewissermaßen nebenher und bedeutend schlüssiger, witziger, schauerlicher als in der mißglückten Andorra-Parabel des ideologisch blockierten Max Frisch. Wie sich in diesem Buch denn überhaupt aus Witz und Schauer eine Schlüssigkeit ergibt, die in der mir bekannten Literatur von vergleichbarer Thematik kein Gegenstück hat.26
Wie Torberg spricht Heinrich Böll von seinen persönlichen Leseerlebnissen — »Ich gestehe, daß ich die Ekelschwellen in den ersten Kapiteln nur mühsam überwunden habe;« — und gerät über eine Inhaltsangabe, die nicht einen eindeutig decodierbaren Satz enthält, zu einem weiteren Geständnis: [...] ich habe kein fix und fertiges Urteil über dieses Buch, frage mich nicht, ob’s »gelungen« ist, sondern auch, ob es überhaupt »gelingen« konnte, dieses heikle waghalsige Unternehmen und denke, daß es angesichts der Waghalsigkeit nicht so ganz mißlungen ist, spricht für den Autor, seine Sprache, die wild wuchert und doch oft genug trifft, eine düstere und auch eine stille Poesie entfaltet.27
Zwar bezeichnet Helmut Braun die Rezension als »herausragend« und erzählt, dass ZEIT-Redakteur Rolf Michaelis versprochen habe, für dieses Buch etwas ganz Besonders zu tun und dass er mit dieser Böll-Besprechung Wort gehalten habe,28 doch kann sich dieses Urteil wohl nur darauf beziehen, dass er für den Artikel den Träger des Büchnerpreises (1967) und des Literaturnobelpreises (1972) gewonnen hatte und nicht auf den Erkenntniswert, der in dessen Beitrag steckte. Kritisch fällt auch Jens Birkmeyers Einschätzung der frühen Reaktionen auf das Werk aus: »Hilsenraths tiefschwarze Groteske über die Maskerade eines deutschen Massenmörders war fraglos unvereinbar mit dem philosemitischen mainstream jener Tage und damit politically incorrect.«29 Der philosemitische und also politisch korrekte »mainstream«, von dem Birkmeyer spricht, sollte weit über jene Tage anhalten. Noch 1993 konnte Gert Sautermeister auf einem Symposium zum Thema »Beiträge Jüdischer Autoren zur Deutschen Literatur seit 1945« feststellen, der Roman sei bei seinem Erscheinen »mit einem respektvollen Erschauern, das die Literaturkritiker von genaueren Erklärungen zu dispensieren schien« aufgenommen worden, wobei sein »kunstgewerblich-modischer Einschlag« vollkommen übersehen worden sei. Tenor von Sautermeisters Ausführungen ist dann das bekannte: So geht das nicht! Er konzediert Hilsenrath, dem »modernen Problem der Ich-Identität Tribut« zu zollen — was der Roman mitnichten tut! — und damit im Roman einen interessanten Grundriss zu entwerfen, wirft ihm aber vor, diesen Grundriss auf der Ebene »eines kleinen Schauerromans mit einem Schuss Pornographie« zu inszenieren und politisches Verhalten und Handeln des Max Schulz ohne »nuancierte psychologische Durchdringung« darzustellen. All das sei einer »effizienten Marktstrategie« geschuldet.30 Mit professioneller Gründlichkeit weist Sautermeister nach, dass Hilsenrath an der (spezifisch deutschen) Gattung des Entwicklungsromans, dem Bildungsroman, gescheitert sei, vom Schelmenroman wiederum entferne ihn »der Ernst, mit dem der Held seine neue jüdische Identität sucht«. Seine ironieresistente Lektüre bewahrt Sautermeister vor der Idee, dass es sich um eine Parodie der von ihm geschätzten Romanform handeln könnte.
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Sander Gilman hingegen, der auch die besondere Kondition des Autors als Jude untersucht, hat das Werk bereits 1988 als »Roman des schwarzen Humors«31 charakterisiert, in der Tat ein Genre, in dem die deutsche Literatur auf keine große Tradition verweisen kann. Hilsenrath selbst sagt zu diesem Thema: In meinen Büchern werden so ziemlich alle Tabus gebrochen, insbesondere jene, die allgemein bei Juden und Deutschen als heilige Kuh gelten. Die meisten können mit schwarzem Humor nicht umgehen. Hier wurde in den sechziger Jahren die Labordichtung hochgelobt. Ich mache das totale Gegenteil und schreibe ja ganz einfach, aber jeder Satz hat etwas hinter sich. [...] Ich klage nicht direkt an. Alles wird in beißenden Hohn gepackt. [...] Ich habe die Philosemiten erschreckt, ich bin Außenseiter, sowohl bei den Deutschen als auch bei den Juden.32
Einen wichtigen Aspekt für dieses Außenseitertum und das Unverständnis, auf das Hilsenrath mit seinen Werken in Deutschland stieß, spricht Astrid Klocke an: The influence of Hilsenrath’s long stay in New York City between 1951 and 1975 on this novel (i.e. Der Nazi & der Friseur) was rarely considered. One critic even dismissed it as a »Lebensloch« in Hilsenrath’s biography. German literary paradigms have so far been the only frame of reference for Hilsenrath’s two novels about the Holocaust. The influence of the American socio-cultural context on his black humorous narrative style has been neglected.33
Der sozio-kulturelle Kontext bezog sich vor allem auf die Rezeptionsseite. Die amerikanische Literaturkritik entwickelte in den sechziger und siebziger Jahren eine differenzierte Definition von »schwarzem Humor«, die auch eine Abgrenzung zur Satire und der ihr inhärenten didaktischen Absicht beinhalte. (Klocke, S. 131) Dieser quasi amoralischen, sich nicht hinter Betroffenheitsformeln und Beschwörungen des Neuanfangs verschanzenden Sicht musste sich die deutsche Literatur, die Literaturkritik und die literarische Öffentlichkeit verschließen, da ihre Übereinkunft ja gerade darin bestand, man sei betroffen und man habe sich geändert. Die Autoren, die sich in der Gruppe 47 etablierten und die deutsche Literaturszene dominierten, stellten die Uhr auf Stunde Null — »Absage an das Gestern, an alle Traditionen, an die Zeit der Weimarer Republik. Und Nein zu den Vätern, zu deren Idealen und Ideen, Fahnen und Formeln, zu deren Literatur.«34 Sie schoben mit diesem Anspruch — geflissentlich oder absichtlich — nicht nur die Hitlerbarden, sondern auch alle von den Nazis ermordeten oder ins Exil gejagten Dichter und Schriftsteller ins Abseits und schufen sich damit eine einmalig konkurrenzlose Ausgangssituation im literarischen Geschehen der Bundesrepublik. Trotz des behaupteten Kahlschlags stellte die Gruppe 47 im Gegensatz zu Vertretern des »black humour«, wie Klocke sie beschreibt, zwischen sich und den deutschen Lesern sehr wohl ein Bündnis her: man traf sich im Leiden — an Hunger, Kälte, Not, an den Trümmern und im Empfinden, den Krieg verloren zu haben. Statt einer Auseinandersetzung mit der Ermordung von Millionen Juden erging man sich in der Abwehr der Kollektivschuldthese. Unter der Gefolgschaft von H.W. Richter wurde die Shoah tabuisiert und wo die jüdischen Mitglieder dieses Verdikt missachteten, wurden sie aus der Gruppe hinausgeekelt.35 Trotzdem konnte die Gruppe den Anspruch auf moralische Unbescholtenheit bis weit in die neunziger Jahre aufrechterhalten.
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Die meisten seiner maßgeblichen Vertreter brachten nicht den Mut auf, sich der eigenen Sozialisation, sowie deren Prämissen und Auswirkungen, zu stellen, sich mit der Vergangenheit als Teil der eigenen Geschichte auseinander zu setzen und darüber ohne Illusionen, ohne Verdrängungen, ohne Ausflüchte Rechenschaft abzulegen. Darin war das Wesen des Neoantisemitismus begründet, denn sowohl die Millionen jüdischer Ermordeter als auch die wenigen Überlebenden personifizierten die Mahnung: eine Stunde Null gibt es nicht. Hilsenrath führt das in seinem Roman Der Nazi & der Friseur vor, indem er alle wunden Punkte der deutschen Nachkriegsgeschichte, vom Schweigen über die Verbrechen wie die eigene Verwicklung darin, sowie dem Funktionieren der alten NaziNetzwerke über das Weiterbestehen der antisemitischen Vorurteile bis zur wundersamen Entlastung des kollektiven Gewissens, aufgreift. Besonders entlarvend wirkt dabei das Erzählen aus der Täterperspektive, verstärkt dadurch, dass der Protagonist den Leser immer wieder Zustimmung erheischend anspricht. Das ist Humor vom schwärzesten, doch Hilsenrath lehnt Astrid Klockes Schlussfolgerung ab, Der Nazi & der Friseur seien von seinen Exilerfahrungen in New York und damit vom Einfluss amerikanischer »black humor literature« geprägt.36 Ohne Ähnlichkeit zu bestimmten black humor-Werken zu konstruieren, darf man aber wahrscheinlich doch der These zustimmen, dass Hilsenraths Erfolg im angloamerikanischen Raum mit einer seit Jonathan Swift lebendigen Tradition dieses Genres zu tun hat. Über das Fehlen einer solchen und über das politisch-kulturelle Klima in Deutschland machte sich der Autor bestimmt keine Illusionen, als er knapp vierzig Jahre nach seiner Flucht zurückkehrte. Doch ihm ging es auch nicht um Land und Leute, sondern einzig um — Die Sprache, die ich liebe, [...] die Sprache Martin Bubers und Sigmund Freuds, Stefan Zweigs, Alfred Döblins und vieler anderer, die mir Vorbilder waren, aber vor allem die Sprache, die ich als Kleinkind gestottert hatte, in dieser Sprache wurden mir Wiegenlieder gesungen, meine Eltern haben sie gesprochen und meine Großeltern (die allerdings ein wenig jüdisch verfärbt) und keiner sagte »good night« zu mir — wenn ich als Kind zu Bett gebracht wurde — sondern »gute Nacht«.37
Zurück in der Bundesrepublik Der erste Roman Gib acht, Genosse Mandelbaum, später unter dem Titel Moskauer Orgasmus wieder erschienen, den Hilsenrath hier publizierte, behandelt ein frei erfundenes Sujet.38 Der Autor sagt in einem Interview mit Andreas Mytze39 über sein Werk: Moskauer Orgasmus ist eine Satire auf den Kommunismus. Es ist die Geschichte einer amerikanischen Kapitalistin, die alle materiellen Werte hat, aber dennoch unbefriedigt ist. Eines Tages fährt sie nach Moskau und hat dort ihren ersten Orgasmus mit einem russischen Dissidenten, der ihr also das verschafft, was ihr immer gefehlt hat. Das ist natürlich nur ein Aufhänger, in Wirklichkeit geht es hier um eine rein politische Sache. Kommunismus und Kapitalismus werden lächerlich gemacht und das Ganze ist als erotische Story getarnt.
In Slapstick-Manier — auch dies kein Genre mit Tradition in der deutschen Literatur — wird Sergejs Entführung aus der Sowjetunion geschildert, die Nino Pepperoni,
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pensionierter New Yorker Mafia-Boss, für seine geliebte Tochter bewerkstelligt. An sich sind ihm in heiklen Angelegenheiten gerne seine Freunde im Capitol behilflich. Im Weißen Haus sitzt überdies Nixi, dessen Wahl sich Pepperoni Millionen hat kosten lassen, doch der schlaue Henry rät dem Präsidenten, die Finger vom Fall Mandelbaum zu lassen, da es sich bei Mandelbaum um einen Dissidenten, zionistisch angehauchten Juden und, vor allem, um einen früheren Mitarbeiter der sowjetischen Rüstungsindustrie handle. Deshalb, so argumentiert er, seien die diplomatischen Folgen, zu unwägbar. So wird der Österreicher Karl Schnitzel, der meist berüchtigte Schmuggler der Welt, engagiert. Gegen Bares aus Mister Pepperonis Spesenkassa findet dieser in allen Ecken der Sowjetunion Helfer für das Unternehmen, doch als nur noch die Grenze zwischen Ungarn und Österreich zu überwinden ist, kommt Mandelbaum auf die Idee, dass der Genosse Breschnew sich an den noch in der UdSSR lebenden Geschwistern rächen könnte und weigert sich, den letzten Schritt in die freie Welt zu tun. Geknickt kehrt Karl Schnitzel in die USA zurück. Da fällt Archibald Seymor Sliwowitz, dem juridischen Berater Pepperonis, der begabte Luftpirat Abdul Mohammed Kebab ein. Mit dessen Hilfe landet am 2. August die gesamte Familie des Dissidenten Mandelbaum an Bord des Jumbo-Jets Iljuschin 62 statt in Jerewan in Tel Aviv. Die internationalen Verwicklungen, die folgen, sind eine Kleinigkeit im Vergleich zur Tragödie, die das neu vereinte junge Paar erlebt: kaum ist Sergej in den Gefilden des Kapitalismus angekommen, versagt seine legendäre Manneskraft. Der Pate beschließt, die Spesenkassa zugunsten eines Psychiaters zu öffnen. Wieder ist das deutsche Feuilleton not amused. »Mandelbaums Story und der Friseur-Roman sind in der gleichen Manier von rohen und grausigen Sex-Phantasien durchzogen.«, schreibt Christa Rotzoll, die auch Der Nazi & der Friseur in der FAZ als misslungen verrissen hatte.40 »Der Bursche mit dem längsten Schwanz in Moskau« (O-Ton Rotzoll) scheint sie und andere Rezensenten so sehr zu beschäftigen, dass sie darüber ganz übersehen, welches Potential zur Persiflage die Konstellation des Kalten Kriegs bot. Abgesehen davon lag der Watergate-Skandal nicht so lange zurück, dass nicht zumindest die Verquickung der Figuren Nixi und Pepperoni als Kommentar zum Zustandekommen gewisser politischer Machenschaften gelesen hätte werden können. Allein die hektischen Verhandlungen, die die zweite Flugzeug-Entführung im Roman hinter den Kulissen in Israel, Italien und den USA auslöst, bergen Stoff für eine brisante Enthüllungsgeschichte über geheime und illegale Machenschaften. An Bord der Alitalia-Maschine befinden sich sämtliche Führer der amerikanischen Mafia. Die Forderung der Luftpiraten lautet: 300 in Israel inhaftierte arabische Terroristen freizulassen und nach Syrien zu bringen. Doch die Vertreterin des Jüdischen Staates, hinter der unschwer Golda Meir zu erkennen ist, weigert sich. Der US-Präsident soll den nötigen Druck auf sie ausüben, damit sie diesem Anspruch nachkommt. Dessen Außenminister, »der schlaue Henry«, erkennt, dass das eine wunderbare Gelegenheit wäre, die gesamte amerikanische Mafia loszuwerden. So behauptet »Richie-Boy«, auf »die jüdische Großmutter« keinen Einfluss zu haben. Der italienische Ministerpräsident durchschaut diese Motivation und findet es unfair, dass die Amerikaner sich ihrer Mafia so bequem entledigen und er die sizilianische behalten soll, also gibt er dem Polizeipräsidenten den Befehl, den Jet zu stürmen — »Nimm deine besten Leute! Befrei die Mafia! Und schick sie nach Amerika zurück!« (Genosse Mandelbaum, S. 267)
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Doch neben »dem Gruselsex, den der Satiriker Edgar Hilsenrath anbietet« fällt Rotzoll nur ein Aspekt ein, der — für sie — die politische Dimension im Genossen Mandelbaum betrifft: »Auch der mißliebige Sowjetbürger Mandelbaum ist Jude.« Wenige Zeilen weiter heißt es zu dem Thema: Der frühere Roman, Groteske und Satire, wie der neue, handelt von der Ausrottung der Juden unter Hitler, wobei Hilsenrath, ein deutsches Judenkind [sic!] vom Jahrgang 1926, zweifellos persönliche Erfahrungen mitabgeladen hat. Mandelbaum, der Mann aus Moskau mit dem Elternpaar in Tel Aviv, gehört in einen anderen Problemkreis, eine andere Epoche. Sind die tosende Brutalität, der ungebremste Haß deshalb nun weniger zu ertragen — was bedeuten kann: auch weniger witzig — als zuvor? Ich glaube: ja. Obwohl Hilsenrath Hilsenrath bleibt: Ein Buch ist ein Buch. Die Vorgeschichte des Verfassers zählt nur, wenn wir sie im Buch auch wahrnehmen, als Stoff oder als Antrieb.
»Die tosende Brutalität, der ungebremste Hass«: interessant ist nicht nur Frau Rotzolls gleichlautende Motivationsdiagnose zu zwei vollkommen unterschiedlichen Büchern, ungleich aussagekräftiger sind ihre Überlegungen zur Epochen-Datierung. Wo ein Buch aus der Feder eines Juden die Ausrottung der Juden unter Hitler betrifft, müssen obszöne Scherze ertragen werden, aber für alle Weltgeschichte vor Hitler und nach Hitler gilt wohl: ein anständiges deutsches Buch ist ein anständiges deutsches Buch, in dem von Juden keine persönlichen Erfahrungen »mitabgeladen« werden. Auch bei Erscheinen von Hilsenraths nächstem Roman Bronskys Geständnis reagiert die Kritik eher verhalten, aber nur wenige Rezensenten drücken ihre antisemitischen Ressentiments so unverhohlen aus wie Armin Ayren: Auch »Der Nazi und der Friseur« (1977) war ein schockierendes Buch. Aber war dieser Schock nicht sehr genau kalkuliert? Welcher Rezensent kritisiert schon gern einen Roman, der so viel an noch immer Unbewältigtem aufrührt? [...] Schon dieser zweite Roman zeigte deutlicher als der erste eine Schwäche, die seitdem noch offenkundiger geworden ist: einen allzu forschen, plakativen, oft nur noch aus klischeehaften Wiederholungen bestehenden Stil, der keine Nuancen kennt und quasi den Leser für dumm verkauft.41
Hendrik Bebber hingegen urteilt: »Seine Vulgarismen und Obszönitäten machen einen bei der Lektüre kein einziges Mal betreten. Sie sind so selbstverständlich wie bei dem Amerikaner Charles Bukowski, nicht als literarischer Schock gedacht, sondern als Mittel zur Beschreibung der Wahrheit.«42 Edgar Hilsenrath schreibt dazu im Vorwort: »Auch die angeblich anstößigen Szenen gehören zu diesem Buch, weil sie zu meinem Leben gehören, sie sind Bestandteil des Milieus, das hier geschildert wird, Bestandteil all der Frustration, Bestandteil der Einsamkeit, der Verzweiflung und der Isolation, die ich gekannt habe.« (Bronskys Geständnis, S. 5) Allerdings distanziert sich Hilsenrath später von diesem Vorwort als vom Verlag erzwungen. (Braun, Ich bin nicht Ranek, S. 221f.) Das reale Leben des Autors Edgar Hilsenrath hatte in der Tat wenig mit dem seines Protagonisten Bronsky gemein, wenngleich auch jener einen Roman aus dem Ghetto zum Gegenstand hat. Einer der Besucher des Emigrantencafés, in dem Bronsky sich zum Schreiben aufhält, befragt ihn über sein Werk:
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EDGAR HILSENRATH »Sind Sie der Held des Buches?« »Das könnte so sein. Ich schreibe jedoch in der dritten Person, obwohl das Buch autobiographisch ist.« »Verstehe«, sagte Grünspan. »In der dritten Person. Der Held ist also ein Mann.« »Selbstverständlich. Der Held ist ein Mann.« »Was für ein Mann?« »Ein einsamer Mann.« »Ein Wichser?« »Wie meinen Sie das?« »Ein einsamer Mann ist immer ein Wichser«, sagte Grünspan. »Mein Buch hat aber nichts mit Wichsen zu tun. Es ist ein ernstes Buch.« »Das macht nichts«, sagte Grünspan. »Wenn er ein einsamer Mann ist, dann ist er ein Wichser.« (Bronskys Geständnis, S. 69)
Grünspan schlägt Bronsky vor, diese Tatsache zum Titel seines Buches zu machen. Schnell spricht sich im Café herum, dass sein Werk »Der Wichser« heißen wird und einer der Besucher, der Germanist Rosenberg, kommentiert: »Ein hintergründiger Titel. Die Kritiker werden sich den Kopf zerbrechen.« (Bronskys Geständnis, S. 81) Wahrscheinlich steckt dahinter eine gehörige Portion Spott des Autors, der von der deutschen Literaturkritik bereits auf die Rolle des Bösewichts abonniert ist und sich darin ganz gut gefällt — »So kann ich es mir erlauben, meine Späßchen zu machen.«43 Daneben gilt der satirische Blick dem Funktionieren der Geschlechterbeziehung, dem Zusammenhang zwischen sexueller Lust und ökonomischer Potenz, denn auch sie sind, wie alle Waren auf dem großen Marktplatz USA, einem fixen Tauschwert unterworfen. Bronsky notiert in seinem Tagebuch zum Thema »Liebe und Geld«, was sich Mädchen, die »kein Callgirl sind oder sowas ähnliches« über ihn denken: Wer ist Jakob Bronsky? [...] Weiß Jakob Bronsky, daß nur der Erfolg etwas gilt und sonst nichts? Ist er ein Kerl, der sich rücksichtslos durchsetzt und doch an den lieben Gott glaubt? [...] Wird er jemals ein neues Auto besitzen, teure Anzüge, ein eigenes Haus oder eine Wohnung auf der modischen Eastside? Wird sein Einkommen 150 Dollar monatlich übersteigen, damit man sagen kann: Der ist mindestens 150 Dollar wöchentlich wert! Muß ich seinen Schwanz erdulden? Lohnt es sich? (Bronskys Geständnis, S. 103)
Bronsky, der versucht, sich mit 50 Dollar von irgendeinem Job möglichst lange über Wasser zu halten, um an seinem Roman über den Überlebenskampf im Ghetto weiterzuarbeiten, muss alle diese Fragen mit Nein beantworten. In einer Untersuchung zur »Ästhetik des Geschlechtsverkehrs« schreibt Heribert Hoven: Was wie die Apotheose schlechten Geschmacks wirkt, ist tatsächlich eine radikale ästhetische Entscheidung. Wo Hilsenrath sexuelle Vorgänge anspricht, tut er dies unverblümt und direkt, wobei er sich oft des Slangs bedient. Zweideutigkeiten, wie sie vor allem dem erotischen Witz zugrunde liegen, sind seine Sache nicht. [...] So opponiert die Eindeutigkeit gegen jene verquere Sexualmoral, die sich auch nach dem Ende des Nationalsozialismus noch nicht überlebt hat und die nach wie vor das Denken in Europa und Amerika bestimmt.44
Für Hilsenraths Protagonisten steckt mehr hinter dem Thema als die Entlarvung der verlogenen herrschenden Moral: Die wiedergewonnene Potenz, derer sich Bronsky dauernd versichern muss, ist auf immer an die Impotenz gekoppelt, die für den
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Überlebenden des Ghettos im Kontext des Ghettos den drohenden Tod signalisiert hat. Seine Aggression gilt der Tatsache, in einer rein auf wirtschaftlichen Werten basierenden Gesellschaft wieder nichts werden zu können als ein auf der untersten sozialen Stufe Überlebender, also auf der Stufe der »Abfallfresser« zu stehen, womit der Bogen zu den Hungernden, den Todgeweihten im Erstlingsroman Nacht geschlagen wäre. Der Alltag armer unbekannter Emigranten, von denen im Gegensatz zu Bronsky die meisten resigniert haben und ihre Zeit hingegeben an ihre (geschönten) Erinnerungen verbringen, ist nur ein Strang in dem vielschichtig verknüpften Roman, dessen Anfang Prolog oder »Fuck America« übertitelt ist und mit einem Brief von Bronskys Vater an den amerikanischen Generalkonsul nach den Ausschreitungen am 9. November 1938 beginnt. Hilsenrath schreibt dazu im schon erwähnten Vorwort: Die Korrespondenz zwischen dem kleinen Juden Nathan Bronsky und dem amerikanischen Generalkonsul ist reine Parodie, aber sie stützt sich auf eine ähnliche Korrespondenz zwischen meinem Vater und dem amerikanischen Generalkonsul in den Jahren 1938 und 1939, die ich noch heute in meinen Akten habe, und auch auf Dokumente und historische Fakten, die jederzeit nachweisbar sind. Bestimmte Zitate aus Dokumenten des amerikanischen Generalkonsulats, die an einer Stelle des Buches in einem Dialog erwähnt werden, sind authentisch und wortwörtlich übernommen. (Bronskys Geständnis, S. 5f.)
Dreh- und Angelpunkt der Korrespondenz ist das Quotensystem, das die Einwanderungsgenehmigung nach bürokratischen Regeln und nicht nach Dringlichkeit vergibt. Für viele europäische Juden bedeutete dieses System den sicheren Tod. Nathan Bronsky und seine Familie überleben Genozid und Weltkrieg, aber als sie dreizehn Jahre nach ihrem verzweifelten Ansuchen um Aufnahme legal einreisen dürfen, löst der Anblick der Freiheitsstatue in Nathan kein Glücksgefühl aus, im Gegenteil, er denkt »an den Brief des Generalkonsuls [...]. Er dachte auch an die vielen Hunderttausend, die, wie er selbst, in ihrer Not an Amerikas Pforte angeklopft hatten, dem großen Land der Freiheit, das sie nicht wollte ... damals.« Bei diesen Erinnerungen an »die faule Ausrede mit dem Quotensystem« fallen ihm die beiden einzigen Worte Englisch ein, die er beherrscht, und laut und deutlich sagt er: »Fuck America!« (Bronskys Geständnis, S. 23ff.) Diese Worte beschließen den Prolog, das Motiv des Briefwechsels wird gegen Ende des Romans in Jakob Bronskys phantasiertem Kontakt mit der Psychologin Mary Stone wieder aufgenommen. An dieser Figur wird auch die Theorie des positiven Denkens und ihre aus US-amerikanischem Patriotismus geprägte Variante zum Gegenstand ironischer Übertreibung, denn einmal wöchentlich mahnt sie in ihrer Fernsehsendung: Hadern Sie nicht mit Ihrem Schicksal. Seien Sie froh und getrost. Wenn es mal nicht klappt, dann denken Sie doch an all die armen Menschen, die nicht das Glück haben — so wie Sie — in diesem schönen Land zu leben. Gott liebt Amerika, denn Amerika ist sein Acker, ein heiliger Acker, der den Erfolgreichen mit seiner ganzen Liebe belohnt. Wenn Sie erfolglos sind, dann klagen Sie nicht Gottes Acker an, sondern sich selbst. [...] Hier hat jeder eine Chance. [...] Denn so steht es geschrieben: Wer da sucht, der findet. (Bronskys Geständnis, S. 231)
Die Verheißungen entsprechen den naiven Vorstellungen von »God’s own country«, aber genau wie Vater Nathan Bronsky vom amerikanischen Generalkonsulat
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erhält auch sein Sohn Jakob von Mary Stone zuerst abschlägigen Bescheid, als er sich mit der Bitte um Hilfe an sie wendet. Hilsenrath treibt allerdings die Satire auf die Spitze: dem Sohn, dessen vergebliche Suche nach einer Liebesbeziehung einen großen Teil der frustrierenden Erfahrungen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ausmacht, gelingt es — zumindest in seinen Tagträumen vor dem TV-Apparat —, die Psychologin mit dem Versprechen sexueller Erfüllung zu ködern. Ihr Orgasmus wird zum Wendepunkt und Zeitsprung: vom Amerika der fünfziger Jahre geht es zurück nach Halle an der Saale kurz vor Bronskys Geburt. Die Tonlage des Erzählens, das sich mehr und mehr auf Monologe Bronskys beschränkt, verändert sich, die ironisch-witzige, bissige, bisweilen zornige Satire schwenkt ins Groteske, ja Absurde, dazwischen ins Realistisch-Tragische. Bronsky thematisiert das Verfahren, als er gefragt wird, was er schreibt: »Ich arbeite an einem Roman.« »Ein Roman?« »Ein Roman.« »Eine Phantasiegeschichte, nehme ich an?« »Nein. Es handelt sich um eine Art Tatsachenroman, obwohl man die Tatsachen zuweilen verfremden muß, um sie besser zu begreifen.« (Bronskys Geständnis, S. 57)
Edgar Hilsenrath sagt: »Das Buch ist teilweise bitterernst.« Für ihn gehört zu diesen Stellen das Bekenntnis Bronskys über seine Impotenz, die mit den traumatischen Erlebnissen im Ghetto und dem Gefühl, insgesamt erledigt zu sein, einhergeht und anhält, bis er das erste Kapitel seines Ghettobuchs beendet hat. Genauso gilt das für die beklemmende Vision, identisch zu sein mit dem vierzehnjährigen polnischen Jungen, der seiner gelähmten Mutter in die Gaskammer folgt. Und schließlich für den Appell Bronskys an die jungen Deutschen, sie sollten sein Buch gegen Gewalt und Unmenschlichkeit lesen. Dieser ist bereits eingebettet in die — wiederum imaginierte — Rückkehr nach Deutschland, ein Schritt, der nicht schon mit der Niederschrift des ersten Kapitels seines Ghettoromans möglich ist, sondern erst nachdem er Mary Stone seine Überlebensgeschichte anvertraut hat. Mittels der Erzählung hat er sich befreit, denn: »Mary Stone«, sagte ich. »Ich habe noch andere Probleme, Probleme, die handfester sind und die mit meiner Urangst nichts zu tun haben.« »Was sind das für Probleme?« »Die handfesten Probleme eines unbekannten und mittellosen Schriftstellers, vor allem aber, eines deutschen Schriftstellers jüdischer Abstammung in einem fremden Land, das ich nicht begreife und das mich nicht begreift.« »Amerika ist ein gelobtes Land!« »Amerika ist ein Alptraum.« »Vielleicht für Leute wie Jakob Bronsky?« »So ist es Mary Stone.« (Bronskys Geständnis, S. 296)
Dennoch schafft Bronsky seine Selbstbefreiung gerade mittels der Figur, die den Inbegriff amerikanischer Wertvorstellungen verkörpert. Auch wenn es in der Selbstauskunft heißt: »Ich bin zu lange drüben geblieben.« —, sind die Schilderungen Bronskys vom Empfang, den er sich in Deutschland erwartet, natürlich die reine Persiflage der realen Bedingungen, auf die er stieß, auf die Remigranten meistens stießen und die nicht wenige dazu brachten, wieder in das Land zu fahren, das ihnen Exil geboten hatte, diesmal aber endgültig.
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Entschluss zur Rückkehr Hilsenraths Abschied von den USA nimmt die Satire Telefongespräch (Zibulsky oder Antennen im Bauch, S. 157)45 aufs Korn. Die Kunstfigur Zibulsky ruft darin vom Flughafen in New York den Präsidenten der Vereinigten Staaten an. Der ist auch gleich am Apparat und sehr geschmeichelt, denn er hält Zibulsky für einen Neueinwanderer. Nachdem sie sich ein paarmal des gegenseitigen Vergnügens über das Telefonat versichert haben, erkundigt sich der Präsident: »Sind Sie gerade bei uns angekommen?« — »Nein, Herr Präsident«, antwortet Zibulsky, »ich haue gerade wieder ab.« Edgar Hilsenrath reist danach nur noch in die USA, um seinen Bruder, der mit seiner Familie in Saratoga in Kalifornien lebte, zu besuchen und um für jenes Buch zu recherchieren, das »den blutroten Faden seines Erzählens von Nacht über den Welterfolg Der Nazi & der Friseur bildet«46, für seinen Roman über den ersten staatlich organisierten Völkermord des 20. Jahrhunderts, Das Märchen vom letzten Gedanken. Darin thematisiert er als erster deutschsprachiger Autor seit Franz Werfel (Die vierzig Tage des Musa Dagh, 1933) das Massaker der nationalistischen türkischen Regierung an der armenischen Bevölkerung im Jahre 1915. Mit diesem Thema beschäftigte er sich seit 1970, vertiefte immer wieder sein Wissen darüber, reiste 1987 in die Türkei, wo er ein paar Ruinen fand, aber weder schriftliche Dokumente noch Zeitzeugen. In Berlin gab es reichlich Literatur, doch als Fundgrube für ethnologisches Material empfahl ihm eine Armenierin die Public Library in San Francisco. Nach seiner Rückkehr verwarf er beim Sichten dieser Dokumente die ursprünglich beabsichtigte stilistische Anlehnung an seinen Erstlingsroman Nacht. Er fasste den Entschluss, seine Geschichte — eingedenk der vielen beeindruckenden armenischen Märchen, die er während seiner Studien in San Francisco gelesen hatte — in der Form eines orientalischen Märchens zu berichten.47 Als begnadetem Erzähler gelingt es ihm, die ausufernde Form der Darstellung mit historischer Faktentreue zu verbinden. Mit dieser »dokumentarischen Phantastik«48 setzt er sich über alle starren Grenzen von Historikern und Kritikern hinweg, die auf der säuberlichen Trennung von geschichtlichem Inhalt, Kunst und Ethos bestehen.49 Das wird bei etlichen Verlagen zur Ablehnung des Manuskripts führen, denn war es im einen Fall der harte Realismus, im anderen die Satire, so war es nun eben das Märchen, weshalb es hieß: So geht das nicht! Der Piper Verlag jedoch greift zu, fast gleichzeitig wird Hilsenrath für das Romanmanuskript der von Günter Grass gestiftete Alfred-Döblin-Preis zugesprochen, die erste Auszeichnung, die der Autor in Deutschland erhält. »Dieser erste Literaturpreis wurde zum Dammbruch«, schreibt Helmut Braun. (Ich bin nicht Ranek, S. 236) Es folgten 1992 der Heinz-Galinski-Preis, 1994 der HansErich-Nossack-Preis, 1996 der Jacob-Wassermann-Preis, 1999 der Hans-Sahl-Preis und 2004 der Lion-Feuchtwanger-Preis. Das Märchen vom letzten Gedanken überzeugte nicht nur die Preisrichter, auch die deutsche Literaturkritik erging sich erstmals in beinahe einhelliger Begeisterung. KarlHeinz Götze, dessen Rezension von fundierter Kenntnis des Hilsenrathschen Gesamtwerks zeugt, schreibt als Fazit: Sicher, was im Bereich der Literatur schnell Erfolg hat, hat selten Wirkung. Das ist schlecht für gute Autoren, aber gut für gute Literatur. Aber nach 25 Jahren (Nacht erschien zuerst 1964) wäre es an der Zeit zu sagen, was ist: Edgar Hilsenrath gehört zu den wenigen bedeutenden deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. (»1001 Nacht der langen Messer«)
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Doch die durchgehend positive Aufnahme in Deutschland und die erfreuliche Resonanz im Ausland — unter anderem in England, Frankreich, Italien, Griechenland und den Niederlanden — verblassen fast neben dem Ruhm, den der Autor in Armenien erntete. Der Roman erscheint dort zur Fortsetzung in drei Broschüren, da dem kleinen Verlag die Finanzmittel fehlten, um den 500 Seiten starken Text in einem Buch zu publizieren. Umgehend nach seiner Veröffentlichung wurde Hilsenrath zum Ehrenmitglied im armenischen Schriftstellerverband berufen und 2006, aus Anlass seines 80. Geburtstages, wurde er mit dem Armenischen Staatspreis für Literatur und der Ehrendoktorwürde der Universität Jerewan ausgezeichnet. Hilsenrath sagt: »Die Armenier konnten anfangs gar nicht glauben, dass ich kein Armenier bin. So genau habe ich ihre Sitten und ihre Geschichte geschrieben.«50 Er hält Das Märchen vom letzten Gedanken für sein bestes Werk, und tatsächlich sind die Poesie, der menschliche, mitfühlende, warme Ton, die schillernde und doch klare Sprache, mit denen er das Thema bewältigt, ohne Details der kalkulierten Brutalität auszulassen, in der deutschen Literatur einzigartig. Dasselbe gelingt ihm in seinem nächsten Buch Jossel Wassermanns Heimkehr51, auch wenn es weniger monumental, doch um nichts weniger epochal ausfällt. Diesmal wird die historische Entwicklung des Schtetls Pohodna (auf Deutsch: Dorf der Behaglichkeit, aber auch: Schinderdorf) mittels der jüdischen Traditionen, Bräuche und Maisses (Schnurren) erzählt, und zwar während seine Bewohner bereits zum Abtransport in einem Viehwaggon eingepfercht sind. In diesem Festhalten an Witz und Ironie gelinge den Opfern noch am Rande der Katastrophe ein Sieg über ihre Peiniger, der »von einem anti-totalitären Impetus im Sinne Walter Benjamins« geprägt sei.52 In einem Dialog mit dem Wind bestätigt der Rebbe, der »seinem Volk (in den Waggon) vorangegangen« war, diese Sicht: »Die Gojim sind dumm. Sie plündern jetzt unsere Häuser. Und sie graben in unseren Gärten. Und sie glauben, daß wir alles zurückgelassen haben, was wir besaßen. Und sie lachen sich ins Fäustchen. Dabei wissen sie nicht, daß wir das Beste mitgenommen haben.« »Was ist das Beste?«, fragte der Wind. Und der Rebbe sagte: »Unsere Geschichte.«
Dann überlegt der Rebbe, wie die Geschichte weiterhin vor dem Zugriff der Gojim zu schützen sei: Wir dürfen sie auf keinen Fall mit uns herumschleppen. Denn wenn uns die Gojim in den Ofen stecken — man hat ja Gerüchte gehört —, dann könnte unsere Geschichte mit uns verbrennen. Am besten, wir verstecken sie auf dem Dach des Zuges. Dort ist sie uns nahe und doch so weit weg, daß die Gojim sie nicht finden. Nein. Kein Goi ist so klug und wird die Geschichte der Juden aus Pohodna und das Erinnern an sie auf dem Dach eines Güterzuges vermuten. (Jossel Wassermann, S. 21)
Erst wenn die Erinnerung ausgemerzt wäre, wären auch ein Volk — ob das armenische oder das jüdische — und seine Geschichte endgültig tot: »Wer etwas aufbewahrt, der glaubt nicht an den Untergang, und er ist nicht verzweifelt. Denn für wen sollte er es aufbewahren, wenn es keine Fortsetzung gäbe?« (Jossel Wassermann, S. 319)
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Mit diesem Buch widmet sich Edgar Hilsenrath ganz und gar seiner inneren Heimat, der Bukowina.53 Es ist aber kein nostalgischer Rückblick auf »die versunkene Welt«, im Gegenteil, es ist eine unsentimentale, anschauliche und detailreiche Vergegenwärtigung des Lebens von Onkel Jossel, durchsetzt mit Erinnerungen an dessen Ahnen und damit an eine fast zweihundertjährige Kulturtradition. Onkel Jossel war bereits 1939 ein friedliches Lebensende beschieden, und so führen seine weitschweifigen Erzählungen anlässlich der Niederschrift seines Testaments weit weg von dem Abstellgleis in Pohodna. Seine Schtetl-Geschichten, die oft reichlich kühn das Verhältnis zwischen den »großen« historischen Ereignissen und scheinbar unwichtigen individuellen Erlebnissen auf den Kopf stellen, lassen beinahe auf die Menschen in den Viehwaggons vergessen. Aber nur beinahe. Und dann ward der siebente Tag. An jenem Morgen des siebenten Tages, als die Sonne über dem Sägewerk aufging, putzten die Krähen auf den Schneefeldern erregt ihre Flügel, hüpften freudig umher, balgten sich und umflogen krächzend den Zug, denn die Sonne versprach einen freundlichen Tag. Als der Zug endlich abfuhr, sich quietschend und ruckend in Bewegung setzte, machten die Krähen kehrt. [...] Und so schickte der Wind seinen Blick und seine Stimme dem Judenzug nach, der schon weit fort war. Und der Blick sah, daß die Geschichte der Juden aus Pohodna nach wie vor auf dem Dach des Zuges hockte, dort, wo der Rebbe sie versteckt hatte, ihre Geschichte, die bis Abraham zurückreichte und noch weiter. Und zwischen ihr und den vielen Stimmen war alles verborgen, was der Rebbe aufbewahren wollte, die Eigenarten der Juden und ihre Fehler und ihre Schwächen und ihr jüdisches Herz und ihre Weisheit, aber auch ihr Glaube und alles, was den Juden heilig war. (Jossel Wassermann, S. 318f.)
Nach diesen beiden großen Würfen, die Hilsenrath als Erzähler von Weltrang ausweisen, wendet der Autor sich nach ausgedehnten Lesereisen und einer längeren Pause durch mehrere Schlaganfälle dem Werk Die Abenteuer des Ruben Jablonski zu, das den Untertitel Ein autobiographischer Roman trägt. Mit welcher Gültigkeit Klappentexte und Untertitel einseitig den Verlagen anzulasten sind, ist Meinungssache. Fakt ist, dass Die Abenteuer des Ruben Jablonski und Bronskys Geständnis wie groß oder gering ihr autobiographischer Wahrheitsgehalt sein mag, entlang der Lebenslinien des Autors erzählt sind. Das gilt auch für das zuletzt publizierte Werk Berlin ... Endstation.54 Der Protagonist Joseph Leschinsky, genannt Lesche, kehrt nach 36 Jahren in den USA nach Deutschland zurück, denn: »Ich bin deutscher Schriftsteller und brauche die deutsche Sprache. Ich muß sie hören, immer und überall.« (Berlin ... Endstation, S. 9) Über die jüdische Gemeinde findet er eine Unterkunft, und bald ergeben sich die ersten Kontakte zur Berliner Schriftstellerszene, zum Berliner Rundfunk und zu einem kleinen Verlag, der es wagt, Lesches Roman »Der Jude und der SS-Mann« zu publizieren. Lesches wachsende Anerkennung, die Arbeit an einem Roman über den Völkermord an den Armeniern, etliche Liebschaften und schließlich Lesches Ermordung durch Neonazis bilden, verkürzt gesagt, den Inhalt dieses Werks. Ulrich Karger beschreibt seine Schwächen und Stärken sehr treffend: Plastisch anschauliche Szenen und aberwitzige Dialoge über Gegenwart und Vergangenheit stehen neben sachkundlichen, zuweilen sehr plakativen Abschweifungen, solitär eingeschobene, für die Zeitung gefertigte Artikel neben einigen sehr anrühren-
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EDGAR HILSENRATH den und anderen sehr behauptet wirkenden »Frauengeschichten«, hinreißend auf den Punkt Gebrachtes neben doch recht hölzernen Absätzen. Es fehlt die Ligatur, die Kapitel bleiben oft selbstreferentielle, auf die Vorgängerromane bezugnehmende Versatzstücke, die jeweils schon für sich eine Endstation bilden ohne ineinander überzugreifen, ohne eine sie wirklich verbindende Sprache zu finden. Kaum von einem Abschnitt gefangen, wird man wieder hinauskatapultiert, muss überlesen, sich wieder einlesen, um sich vom nächsten Abschnitt dann endlich wieder eingefangen zu sehen.55
Trotz seiner Einwände am letzten Roman hält Karger Hilsenrath für »einen der wichtigsten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts« und urteilt in Bezug auf seine Werke zur Shoa: »Ihre Kraft und der in ihnen formulierte Wagemut kann sich durchaus mit der Nobelpreis gekrönten ›Blechtrommel‹ messen, übertrifft sie womöglich gar.« Im 2008 zuletzt herausgegebenen Band der Werkausgabe Sie trommelten mit den Fäusten den Takt sind Erzählungen, Satiren, auch einige Rezensionen, offene Briefe, kurze Prosabeiträge also, versammelt. Da die Zusammenstellung auf eine chronologische Ordnung verzichtet, ergibt sich ein wunderbares Hilsenrath-Lesebuch. Mit der Verwirklichung der Idee einer Werkausgabe, die dem Herausgeber Helmut Braun und dem Verleger Volker Dittrich zu verdanken ist, bekam Hilsenraths Oeuvre die gebührende Achtung (Ich bin nicht Ranek, S. 266ff.) und bestätigt nachdrücklich den dem Autor zustehenden Platz im Kanon der deutschsprachigen Literatur.
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Cornelia Staudacher, Die Zeit, 9. Dez. 2004. Edgar Hilsenrath: Das Märchen vom letzten Gedanken (München/Zürich: Piper 1989), S. 486. »Texte und Zeichen«, NDR, 11. Sept. 1998 (Kassette vom Autor). Welch große Bedeutung die Bukowina, aber auch Transnistrien für E.H., wie auch für sein Werk hatte, stellt Klaus Werner in einer umfassenden Untersuchung zu den literarischen Vertretern dieses Landstrichs dar. Vgl. Klaus Werner: »Die literarische und dokumentarische Reflexion des transnistrischen Holocaust«. In Hans Henning Jahn, Jens Stüben (Hg.): Jüdische Autoren Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert (Frankfurt a.M./NY: Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Sonderdruck 2000), S. 385-428. Edgar Hilsenrath: Die Abenteuer des Ruben Jablonski. Ein autobiographischer Roman (München: Piper 1997), S. 39. Es gibt fast kein Interview, in dem Edgar Hilsenrath darauf nicht hinweist. Vgl. dazu besonders auch die beiden Rundfunksendungen »Das verschwundene Schtetl« (SFB, 12. März 1989) und »Warum so umständlich« (SFB, 11. März 1984). Helmut Braun: Ich bin nicht Ranek. Annäherung an Edgar Hilsenrath (Berlin: Dittrich 2006), S. 17. Interview mit der Verfasserin, 18. März 2005. Edgar Hilsenrath: Bronskys Geständnis (München/Wien: Langen Müller 1980), S. 286. Edgar Hilsenrath: »Ich habe über den jüdischen Holocaust geschrieben, weil ich dabei war. Gespräch mit Thomas Kraft und Peter Stenberg«. In Thomas Kraft (Hg.): Edgar Hilsenrath. Das Unerzählbare erzählen (München/Zürich: Piper 1996), S. 219. Edgar Hilsenrath Homepage: Lesen Sie mal den »Arc de Triomphe«. www.2.hsfulda.de/hilsenrath Vgl. Nachwort zu Erich Maria Remarque: Schatten im Paradies (Stuttgart: Deutscher Bücherbund [o.J.]), S. 470. Zu diesem Aspekt und zur verweigerten Kanonisierung vgl. Bernd Wagner: »Angst vor der Wirklichkeit«, Die Zeit, Nr. 33, 11. Aug. 2005.
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Vgl: Braun: Ich bin nicht Ranek (wie Anm. 7), S. 132ff. Bernd Wagner: »Die langsame Heimkehr des Edgar Hilsenrath«. Deutschland Radio, 1. Sept. 1995. Edgar Hilsenrath: »Schuldig, weil ich überlebte. Gespräch mit Martin Doerry und Volker Hage«, Spiegel, Nr. 15 (2005). Hans Otto Horch: »Grauen und Groteske. Zu Edgar Hilsenraths Romanen«. In Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde. Acta-Band zum Symposium »Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945« (Universität Osnabrück 2.-5.6.1991). Hg. Jens Stüben u. Winfried Woesler (Darmstadt: Häusser 1994), S. 218. Stephan Braese: Die andere Erinnerung. Jüdische Autoren in der westdeutschen Nachkriegsliteratur (Berlin/Wien: Philo 2001), S. 185. Debora ist die Amme der Rebekka, die Prophetin, die den Barak zum siegreichen Kampf gegen den kanaan. König Sisera aufrief, und die Ahnfrau des Tobit und Tobias. Dagmar C.G. Lorenz: Verfolgung bis zum Massenmord. Holocaust-Diskurse in deutscher Sprache aus der Sicht der Verfolgten (NY u.a.: Peter Lang 1992), S. 179f. Dietrich Dopheide: Das Groteske und der Schwarze Humor in den Romanen Edgar Hilsenraths (Berlin: Weißensee 2000), S. 230. Vgl. zu diesem Thema Marika Kreutz: »Täter und Opfer. Das Bild des Juden in den Romanen ›Nacht‹ und ›Der Nazi & der Friseur‹ «. In Thomas Kraft (Hg.) (vgl. Anm. 10), S. 127-135; Jan Strümpel: »Im Sog der Erinnerungsliteratur«. In Text und Kritik (144) Literatur und Holocaust (München: edition text + kritik 1999), S. 14. Interessant ist, dass Fritz J. Raddatz bei der Zweitauflage in ein ähnliches Horn stößt, seine Argumente allerdings ästhetisch zu verbrämen sucht. Vgl. Fritz J. Raddatz: »Breitwandbuch. Edgar Hilsenraths Roman ›Nacht‹ «, Die Zeit, 29. Sept. 1978. Gleichzeitig stand der Roman aber an der Spitze der vom Südwestfunk Baden-Baden durch eine Umfrage bei Literaturkritikern erstellten Bestenliste von 1978. Zu diesem Streit und der Erstausgabe von Nacht in der Bundesrepublik vgl. Ursula Hien: »Schreiben gegen den Philosemitismus. Edgar Hilsenrath und die Rezeption von ›Nacht‹ in Westdeutschland«. In Stephan Braese u.a. (Hg.): Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust (Frankfurt a.M./NY: Campus 1998), S. 229-244; Susann Möller: »Zur Rezeption: Philosemiten und andere — die Verlagsstationen Edgar Hilsenraths«. In Kraft: Edgar Hilsenrath (wie Anm. 10), S. 103-116. Edgar Hilsenrath: Der Nazi & der Friseur (Berlin/Köln: Dittrich 2004), S. 472 (= Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg). Friedrich Torberg: »Ein Freispruch, der keiner ist«, Die Welt, 12. Okt. 1977. Heinrich Böll: »Hans im Glück im Blut. Umgekippte Märchenfiguren: obszön und grotesk. Edgar Hilsenraths Roman Der Nazi und der Friseur«, Die Zeit, 9. Dez. 1977. Helmut Braun: »Entstehungs- und Publikationsgeschichte des Romans ›Der Nazi & der Friseur‹ «. In Verliebt in die deutsche Sprache. Die Odyssee des Edgar Hilsenrath (Berlin/Köln: Dittrich 2005 = Begleitbuch zur Ausstellung des Archivs der Akademie der Künste, Berlin). Jens Birkmeyer: »Die Infamie der Schuld. Vom Briefroman zur Tätergroteske: Edgar Hilsenraths ›Der Nazi & der Friseur‹ «. In Verliebt in die deutsche Sprache, ebd., S. 51f. Gert Sautermeister: »Aufgeklärte Modernität — Postmodernes Entertainment. Edgar Hilsenraths ›Der Nazi & der Friseur‹ «. In Wir tragen den Zettelkasten (vgl. Anm. 17), S. 227242. Sander L. Gilman: »Hilsenrath und Grass Redivivus. Gekürzte Fassung von ›Jüdische Literaten und deutsche Literatur‹. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden am Beispiel von Jurek Becker und Edgar Hilsenrath«. In Kraft: Edgar Hilsenrath (wie Anm. 10), S. 119-126. Gespräch mit Thomas Feibel, Frankfurter Rundschau, 15. Sept. 1990. Astrid Klocke: »Edgar Hilsenrath’s Novel Der Nazi und der Friseur«. In Viktoria Hertling/Wulf Koepke/Jörg Thunecke (Hg.): Hitler im Visier. Literarische Satiren und Karikaturen als Waffe gegen den Nationalsozialismus (Wuppertal: Arco 2005), S. 129f.
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Peter Mertz: Und das wurde nicht ihr Staat. Erfahrungen emigrierter Schriftsteller mit Westdeutschland (München: C.H. Beck 1985), S. 132. Vgl. Klaus Briegleb: Mißachtung und Tabu. Eine Streitschrift zur Frage: »Wie antisemitisch war die Gruppe 47?« (Berlin/Wien: Philo 2003). In einem Gespräch (8. Juli 2005) mit mir sagte Hilsenrath: »Die meisten Namen [die Klocke anführt, S.A.] kenne ich gar nicht.« Edgar Hilsenrath: »Magenbeschwerden und Fremdsprachen«. Zit. nach: Flyer zur Ausstellung »Verliebt in die deutsche Sprache«. Akademie der Künste 20. November 2005 bis 15. Januar 2006. Edgar Hilsenrath: Gib acht, Genosse Mandelbaum (München/Wien: Langen Müller 1979). Hilsenrath hatte für dieses Werk den Titel »Moskauer Orgasmus«, unter dem es später wiederveröffentlicht wurde, vorgesehen. Ohne Angabe zu Zeit und Ort, EHA, Akademie der Künste. Das Edgar-HilsenrathArchiv umfasst umfangreiches Material, das der Autor der Akademie der Künste im Jahr 2004 übergeben hat und das seit 2006 für Recherche und Forschung zur Verfügung steht. Christa Rotzoll: »Sexhelden und Spitzengauner«, FAZ, 23. Nov. 1979. Armin Ayren: »Von nun an ging’s bergab«, FAZ, 18. Nov. 1980. Hendrik Bebber: »Furz vor der Freiheitsstatue«, Nürnberger Nachrichten, 22./23. Nov. 1980. Edgar Hilsenrath: »Ich habe die Philosemiten erschreckt, ich bin Außenseiter. Interview mit Thomas Feibel«, Frankfurter Rundschau, 15. Sept. 1990. Heribert Hoven: »Die Ästhetik des Geschlechtsverkehrs oder: Anmerkungen zum Thema: Sexualität im Werk Edgar Hilsenraths«. In Kraft: Edgar Hilsenrath (wie Anm. 10), S. 199. Edgar Hilsenrath: Zibulsky oder Antenne im Bauch (München: Piper 1994). Karl-Heinz Götze: »1001 Nacht der langen Messer«, Frankfurter Rundschau, 19. Aug. 1989. Eine detaillierte Darstellung zu Recherche, Entstehung und Publikationsgeschichte des Romans findet sich im Nachwort von Helmut Braun: Märchen (wie Anm. 2), S. 635ff. Alexander von Bormann: »Dokumentarische Phantastik. Hilsenraths Märchenroman vom armenischen Holocaust«, Neue Zürcher Zeitung, 30. Nov. 1989. Zur besonderen Konstellation, verfeindete religiöse, ethnische, soziale Gruppen mit Stilmitteln aus Legende, Märchen oder Phantastik darzustellen vgl. Bettina Heyl: »Hilsenraths Zauberformeln. Narration und Geschichte in ›Das Märchen vom letzten Gedanken‹ «. In Kraft: Edgar Hilsenrath (Anm. 10), S. 150-162. Edgar Hilsenrath: »Ich hatte immer schöne Freundinnen«, Der Tagesspiegel, 29. Okt. 2006. Edgar Hilsenrath: Jossel Wassermanns Heimkehr (München: Piper 1993). Karin Bauer: »Erzählen im Augenblick höchster Gefahr. Zu Benjamins Begriff der Geschichte in Edgar Hilsenraths ›Jossel Wassermanns Heimkehr‹ «, German Quarterly, IV (1998), S. 343-352. Vgl. zu diesem Thema Thomas Kraft: »Hilsenraths Heimkehr. Die Bukowina als literarisches Motiv in den Romanen Edgar Hilsenraths«. In Kraft: Edgar Hilsenrath (Anm. 10), S. 202-217. Edgar Hilsenrath: Berlin ... Endstation (Berlin: Dittrich 2006 = Gesammelte Werke, Band 10). home.arcor.de/karger/buechernachlese-archiv
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KURT KERSTEN DANIEL H. MAGILOW Wenn Kurt Kersten seine Zeitungsartikel wie so häufig zwischen 1934 und 1939 mit dem Namen »Georg Forster«, oder »G.F.« unterschrieb, konnte er sich der Ironie noch nicht bewusst sein, die in der Wahl dieses Pseudonyms lag. Er wählte diesen Namen wegen Forsters radikaler jakobinischer Politik und seiner Führungsrolle in der Mainzer Republik in 1793.1 Die antitotalitären Implikationen von Kerstens Pseudonym waren naheliegend und gleichzeitig passend zu dem Autor von Zeitungsartikeln wie »4 Jahre — sie machten uns nicht stumm« (1937) oder »Die Freiheit. Ein altdeutsches Ideal. Gegen die Nazi-Verfälschung der Geschichte« (1938). Jedoch wusste Kersten während seines Prager und später Pariser Exils noch nicht, wie sein Leben noch in einem ganz anderen Aspekt dem Forsters gleichen würde. Noch vor der Französischen Revolution wurde Forster durch seine Reiseerzählung A Voyage round the World (1777) berühmt.2 Darin berichtet er von seiner Teilnahme an der zweiten Expedition des britischen Forschers James Cook und insbesondere von dessen Zeit auf Tahiti. Genau wie Forster würde auch Kersten mehrere Jahre auf einer tropischen Insel in einer fremden Umgebung verbringen. Zwischen 1940 und 1946 lebte er auf der karibischen Insel Martinique, ohne in die Vereinigten Staaten emigrieren oder nach Deutschland zurückkehren zu können. Während Forster zuerst ein Weltumsegler und später dann ein Radikaler war, verhielt es sich bei Kersten gerade umgekehrt. Kurt Nikolaus Kersten wurde am 19. April 1891 als ältestes Kind eines protestantischen Grundbesitzers in Wehlheiden bei Kassel geboren.3 In einer viel später entstandenen Essayreihe mit dem Titel »Kassel um die Jahrhundertwende. Jugenderinnerungen« ergeht er sich in nostalgisch gefärbten Erinnerungen an die fruchtbare humanistische Erziehung seiner Jugendzeit. Herr Henckel, »ein seltener Direktor mit würdigem Kaiser-Friedrich-Bart«, legte besonderen Wert auf die griechischen und römischen Klassiker. Es ist Mode geworden an der humanistischen Bildung herumzunörgeln und sie für lebensfremd und unpraktisch zu erklären, aber ich selber bin überzeugt, dass wir im Gymnasium damals eine glänzende, vielseitige Schulbildung erhalten haben und wenigstens in ein großes Gebiet eingeführt worden sind, das man als abgeschlossen ansehen kann.4
Nach dem Gymnasium studierte Kersten an den Universitäten München und Berlin bei Franz Muncker, Erich Schmidt, Richard M. Meyer, Eduard Meyer und Karl Theodor von Heigel Geschichte und Germanistik. Der zweiundzwanzigjährige Kersten promovierte im Jahre 1914 in München magna cum laude mit Voltaires Henriade in der deutschen Kritik vor Lessing, einer Dissertation über Voltaires Einfluss auf das deutsche Geistesleben im 18. Jahrhundert.5 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begann Kersten seine Tätigkeit als Publizist in München. Bei Ausbruch des Krieges hatte er einige kürzere Artikel in wichtigen Zeitungen wie der Frankfurter Zeitung und dem Berliner Tageblatt veröffentlicht. Kersten wurde auch Mitarbeiter der vom späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss herausgegebenen Zeitschrift März.6 Wichtiger für seine Entwicklung zum Schriftsteller war jedoch sein Kontakt mit dem Theaterkritiker Alfred Kerr und der
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Literatur- und Kunstzeitschrift Pan. Viele Jahre später beschrieb Kersten Kerrs profunden Einfluss auf seine Entscheidung, das Schreiben zum Beruf zu machen in folgender Notiz: »Ich komme vom Lande Niederhessen, wo ich hätte Kohl bauen sollen wie meine Vorfahren, die seit Jahrhunderten auf dem gleichen Fleck saßen. Leider hatte ich das Unglück, von Alfred Kerr entdeckt zu werden, der mir zuredete zu schreiben. Ich gehörte in den Tageskampf — wahrhaftig, das hat er gesagt.«7 Kerr war von den Anfängen an Mitarbeiter und zwischen 1912 und 1915 Herausgeber von Pan gewesen. Pan zählte zu ihren Hausautoren und -künstlern wichtige deutsche und österreichische Avantgardisten und Schriftsteller: darunter Frank Wedekind, Heinrich Mann, Gerhart Hauptmann, Franz Marc, Max Beckmann, Robert Musil und andere. In Pan erschienen 1913 Kerstens Kurzgeschichte »Der Geträumte« und der Monolog »Worte eines Dienstmädchens«.8 Kersten veröffentlichte auch in Pan eine Rezension einer Inszenierung der Oper Carmen. Durch Kerr und Pan lernte Kersten wichtige Intellektuelle und Schriftsteller kennen. Er wurde auch mit mehreren Personen bekannt, die seine Mentoren wurden, darunter Theodor Heuss, Paul Schlenther und Franz Pfempfert. Er beschrieb ihren Einfluss auf ihn folgendermaßen: Heuss »gehörte zu meinen Brötchengebern«. Schlenther »brachte mir einiges bei, z.B. wie man Verrisse schreibt«. Franz Pfemfert »brachte mir bei, unbarmherzig zu sein, was mir gar nicht liegt«.9 Durch den KerrKreis lernte Kersten außerdem Kurt Pinthus kennen, jenen Herausgeber des höchstumstrittenen expressionistischen Gedichtbandes Menschheitsdämmerung. Die beiden wurden Freunde fürs Leben.10 Der Ausbruch des Krieges im August 1914 unterbrach Kerstens journalistische Entwicklung. Kurz nach der Veröffentlichung seiner Doktorarbeit wurde er eingezogen. Kersten diente als Leutnant und erhielt sogar mehrere Auszeichnungen, darunter das Eiserne Kreuz Erster Klasse wegen »Tapferkeit vor dem Feinde«. Nach dem Krieg, als er entschiedener Pazifist wurde, boten diese Medaillen ein hervorragendes Ziel für Belustigungen durch seine Freunde und Kollegen. In einer Ehrung, die zum siebzigsten Geburtstag Kerstens in der deutschsprachigen Exilzeitung Aufbau erschien, weist Manfred George auf die ironische Tatsache hin, dass der entschiedene Pazifist sich an der Front so auszeichnete.11 Es ist offensichtlich, dass der Krieg einen Wendepunkt im Leben des jungen Journalisten darstellte, wie das bei so vielen dieser Generation der Fall war. Kersten verbrachte die vierzehn Jahre, die auf den Waffenstillstand und den Versailler Vertrag folgten, in Berlin. Sein Interesse wandte sich in dieser Zeit der Publizistik und Biographien von wichtigen historischen Gestalten zu. In Berlin verdiente sich Kersten seinen Unterhalt mit zahlreichen journalistischen und biographischen Arbeiten im kulturellen und politischen Umkreis der Weimarer Republik. Während dieser produktiven Zeit vertiefte er auch sein Interesse für radikale kommunistische Politik, wohl weil er den Krieg und die darauffolgenden traumatischen Revolutionen in Deutschland und Russland am eigenen Leibe erfahren hatte. Kersten schrieb regelmäßig Feuilletons und Rezensionen für Publikationen der Mitte und der Linken, darunter Das Tagebuch, die Arbeiter Illustrierte Zeitung, Die Weltbühne, Sowjet und Das Neue Russland. Die Artikel, die er in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre für Das Tagebuch schrieb, behandeln die politischen Themen, denen er sich in diesen Jahren am häufigsten widmete: »Babels Ostjuden«, »Dostojewskis Frau«, »Die ›Beichte‹ Michael Bakunins«, »A.S. Suworin«, »Eine Revolutionärin der Liebe (Luise Aston)« und »Lenin und Potemkin«.12 Solche Artikel waren Ausgangspunkt für Kerstens spätere Bücher über Könige, Zaren und Revolutionäre. Während der frühen Jahre der Weimarer Republik ver-
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fasste Kersten kurze Studien über kommunistische Revolutionäre, darunter auch eine der ersten Leninmonographien Deutschlands (1920), sowie Der Moskauer Prozess gegen die Sozialrevolutionäre 1922 (1925).13 Kersten machte auch von seinen Fremdsprachenkenntnissen (besonders des Russischen und Französischen) und seinem politischen Wissen Gebrauch, indem er Germinie Lacerteux der Brüder Goncourt übersetzte.14 Kersten übersetzte gleichzeitig mehrere Bücher von Evgeniy Alesandrovich Adamov über den Untergang des Ottomanischen Kaiserreichs ins Deutsche, außerdem die Briefe der Anna Dostojewski. Jedoch bleiben Kerstens wichtigste Arbeiten aus den Jahren vor seinem Exil seine Biographien und von ihm herausgegebenen Briefbände, Tagebücher und Textmontagen, nämlich seine zwei Fridericus Rex Bücher (1922 und 1925) sowie Michael Bakunins Beichte aus der Peter-Pauls-Festung an Zar Nikolaus I (1925), Bismarck und seine Zeit (1930), 1848: die deutsche Revolution (1933) und Peter der Große. Vom Wesen und von den Ursachen historischer Größe (1935).15 Bücher wie diese, insbesondere die Biographien, fanden im Bildungsbürgertum der zwanziger Jahre ein begeistertes Publikum. In Buchhandlungen mussten Kerstens linksorientierte Werke jedoch mit den politisch gemäßigteren Werken von Emil Ludwig und anderen Biographen konkurrieren.16 Eines von Kerstens ersten Büchern, Fridericus und sein Volk, bietet einen Blick in seine marxistisch-materialistische Methodik. Der Band bildet aus Briefen, Zeitungsausschnitten, offiziellen Verfügungen, wirtschaftlichen Statistiken und anderen zeitgenössischen Dokumenten eine Textmontage von Friedrichs Zeit. Vor solchem Hintergrund erscheint Friedrich der Große weniger als deutscher Nationalheld und mehr als Absolutist, dessen Herrschaft als »ein ununterbrochene[r] Rücktritt« zu verstehen sei. Fredericus und sein Volk betonte auch die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Absolutismus und Kapitalismus. In Kerstens Worten: Gerade die innere Regierung Friedrichs mit ihren merkantilistischen Tendenzen, ihrer infamen Ausbeutung der Bauern und Handwerker erscheint uns so grauenhaft, daß wir wohl einen Vergleich zwischen den Methoden des Kapitalismus und Absolutismus zulassen können. […] Und wenn wir an jeder Straßenecke heute sein Bildnis sehen müssen, wollen wir uns immer sagen: dies ist der Mann, unter dem die Not der Bauern und Handwerker aufs höchste stieg, dies ist der Mann, der seine Soldaten und Polizisten, seine Junker und Pfaffen mit allen Mitteln von Gewalt und Tücke auf die Werktätigen losließ.17
Fredericus bildete ein interdisziplinäres, wenngleich eindimensionales Bild von dem preußischen König und seinem Verhältnis zu seinem Volk. Diese Methodik formte auch die Basis von Kerstens anderen Biographien. Trotzdem tadelten ihn Kritiker dieser methodologischen Einstellung. 1930 z.B. veröffentlichte Kersten sein heftig kritisiertes Buch Bismarck und seine Zeit. Während Emil Ludwigs Bismarck. Geschichte eines Kämpfers (1926) überwiegend positiv rezipiert wurde, protestierten die meisten Rezensenten gegen den tendenziösen Charakter von Kerstens Bismarck-Biographie. Kersten vertrat die marxistische These, dass Bismarck nicht als politischer Pragmatist und Opportunist, sondern als Vertreter des Junkerund Bürgertums zu verstehen sei. In Der Bücherwelt beschrieb Albert Lauscher Bismarck und seine Zeit als »ein unerfreuliches Buch« und ein »Tendenzwerk«, was »eine Karikatur« von Bismarck darstelle.18 Ähnliche Beurteilungen findet man in der Bücherwarte. Zeitschrift für sozialistische Buchkritik: »Vor allem müßten die allgemeinen ökonomischen Darlegungen mehr organisch mit Bismarcks Leben und Wirken verbun-
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den werden.« Zwanzig Jahre später gestand sogar Kersten selber, dass er »frech und schlottrig« über Bismarck geschrieben habe.19 Kerstens einflussreichste Arbeit aus der Weimarer Zeit war jedoch keine Biographie, sondern seine Edition Michael Bakunins Beichte aus der Peter-Pauls Festung an Zar Nikolaus I (1926). Der radikale Schriftsteller, Agitator und Anarchist Bakunin wurde 1848 nach dem gescheiterten Aufstand in Dresden verhaftet und den russischen Behörden überliefert. Während Bakunin aufgrund seiner revolutionären Aktivitäten im Gefängnis saß, schickte ihm der Zar einen Brief, in dem er ihn aufforderte, seine (politischen) Sünden zu beichten — genauso wie man einem Beichtvater gestehen würde, was Bakunin auch in aller Ausführlichkeit tat. Das Manuskript, das schon 1921 auf Russisch erschien, beschämte über lange Zeit die Anhänger Bakunins. Manche fragten sich, ob der Text zu rechtfertigen und überhaupt authentisch sein könne.20 Nach der Veröffentlichung von Kerstens Edition wurden diese Verschwörungstheoretiker jedoch zum Schweigen gebracht. Im Literarischen Handweiser lobte Josef Leo Seifert das Buch: »Durch diese Veröffentlichung wird endgültig der Nimbus zerstört, der bisher den romantischen Revolutionär umgeben hat.«21 Kerstens Übersetzung von Bakunins Beichten bleibt ein wichtiger Beitrag zur Bakuninforschung und wurde 1973 und 1988 neu aufgelegt. Trotzdem stehen Kerstens biographische Werke deutlich in einem klaren Gegensatz zu seiner politischen Tätigkeit in den zwanziger Jahren. In den Jahren unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Weimarer Republik und der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war Kersten aktives Mitglied des von Johannes R. Becher 1928 gegründeten Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS). 1929 trug er einige Artikel zu dessen Organ, der Zeitschrift Die Linkskurve, bei. Sein erster und wichtigster Artikel »Der Jahrtausendputsch der Literatur-Nihilisten«, erschien in derselben Ausgabe wie »Unsere Front«, Bechers einflussreichem Essay über die Ziele der proletarisch-revolutionären Literatur. Genau wie »Unsere Front« ist auch »Der Jahrtausendputsch« eine programmatische Darstellung nicht nur der Zeitschrift, sondern auch der Notwendigkeit, Literatur zu einem gemeinschaftlichen Projekt zu machen. Revolutionäre Schriftsteller, so argumentierte er, müssten zugunsten der proletarisch-revolutionären Literatur gemeinsame Sache machen. Ihre Zusammenarbeit im Kollektiv in allen Aspekten der Zeitschrift — nicht nur des Schreibens — sei entscheidend für den Erfolg, die Literatur zu einer aktiven Waffe im Klassenkampf und einem Mittel zum Aufbau einer wahrhaft proletarischen Kultur zu machen. Arbeit im Kollektiv verhindere, dass eine Zeitschrift schlichtweg zum Sprachrohr des Herausgebers würde, wie das oft mit den unbedeutenden expressionistischen Zeitschriften passierte, von denen nur ein paar kleine Ausgaben erschienen, bevor sie einschliefen. Kersten schrieb: Die »Linkskurve« ist kein zufälliges Produkt, ist auch nicht die Schöpfung eines einzelnen, der an die Illusion der Isolierung glaubt, die entweder zum Nihilismus oder zur Anbetung der Konjunktur führt. Da ist eine große Zahl von politisch klaren und bewußten Leuten, die in engster Verbindung mit einer revolutionären Partei stehen, die ihr individuelles Schicksal eng verbunden fühlen mit dem Schicksal der Klasse, der sie angehören, sie rechnen nicht mit Jahrtausendputschen, sondern mit dem Angriffen der herrschenden Klasse des heutigen Tages.22
Viel später, im Jahre 1938, veröffentlichte Kersten einen kurzen Essay über die Avantgarde der Vorkriegszeit mit dem Titel »Strömungen der expressionistischen Periode«. In diesem Artikel, der 1938 in Das Wort erschien, deutet Kersten an, dass er
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sein jugendliches Liebäugeln mit dem Expressionismus hinter sich gelassen habe. Dieser Text vertritt eine jener zahlreichen Stimmen der Expressionismusdebatte, die von deren beiden Protagonisten, Georg Lukács und Ernst Bloch, in den Schatten gestellt wurden. Obwohl der Expressionismus darin als eine reaktionäre, typisch faschistische Bewegung oder als revolutionärer Stil eingestuft wird, deutet der Text an, warum sich sein Autor unter expressionistischem Einfluss politisch nach links orientierte. Seine »Unreife und Unklarheit« verleihe dem Expressionismus das Potential, schrieb Kersten, sich in »eine starke revolutionäre Massenbewegung« zu verwandeln. Und doch war seine endgültige Einschätzung des Expressionismus wahrscheinlich aufgrund seiner Kenntnis der Expressionisten- und Naturalistenkreise weniger enthusiastisch. Er interpretierte den großstädtischen Charakter und das Eintreten für das Proletariat in den expressionistischen Werken Georg Heyms und Johannes R. Bechers als den Protest einer jüngeren Generation gegen den »bürokratischen Klassen- und Kastenstaat Wilhelm II.« mit seiner »imperialistischen Expansions- und Kriegspolitik, die Menschen zum Objekt mach[e], entwürdig[e], ihm jedes Recht der Selbstbestimmung [nehme]«.23 Der Expressionismus war »eine Periode, in der man ›den Menschen‹ auf Pfaden suchte, auf denen er zu finden, aber nicht zu befreien war. Für den, der diese Periode ganz bis zum Ende ging, gibt es kein Zurück, keine Rückkehr, keinen Rückfall mehr. Wer steckenblieb, wie Benn und übrigens auch manche außerhalb des Dritten Reiches, ging und geht verloren.«24 Am Ende der zwanziger Jahre, einer Periode, in der er Feuilletons und Beiträge für die Frankfurter Zeitung und das Berliner Börsen-Courier schrieb, ist Kersten auch zum Protagonisten in einer öffentlichen Debatte über die Rolle des Filmkritikers geworden. 1930 protestierte er gemeinsam mit Herbert Ihering, Erich Krafft, Fritz Olimsky, Heinz Pol und anderen Redakteuren und Kritikern gegen eine Zensuraktion der deutschen Filmindustrie. Wichtige Filmproduzenten wollten nicht, dass Provinzzeitungen Filmrezensionen aus Berliner Zeitungen einfach nachdruckten; laut der Industrie sei die Einstellung der Kritiker, besonders die der Berliner Kritiker, zu kritisch gewesen, was die deutsche Filmindustrie beschädige, und laut der Industrie wären Provinzzeitungen nicht so kritisch. Die Berliner Filmkritiker protestierten gegen diese implizite Zensurtaktik und schlugen der deutschen Industrie vor, bessere Filme zu machen. Sie schrieben, dass die Tatsache, dass ein Film am Rheinufer oder in Heidelberg inszeniert werde, nicht ausreichend sei, einen Film immun gegen den Einwand von Mangel an Vaterlandsliebe zu machen.25 Solche Kritik an Nationalismus und Banalisierung, sowohl Kerstens Arbeiten über Bakunin und Lenin als auch sein gleichzeitiges Engagement für den BPRS, machten ihn nach 1933 zu einer persona non grata. Am 10. Mai 1933 wurden seine Bücher zusammen mit den Reiseerzählungen und Romanen seiner Freunde Alfred Kerr und Oskar Maria Graf verbrannt. Als ihm klar wurde, dass er in Deutschland nicht bleiben konnte, flüchtete Kersten im Sommer 1933 nach Zürich und kurz darauf nach Prag. Dort blieb er bis 1938 und floh erst kurz vor der Besetzung Prags durch die Deutschen nach Paris. Am 14. April 1937 verlor Kersten seine deutsche Staatsbürgerschaft, eine Tatsache, die im Reichsanzeiger öffentlich bekannt gemacht wurde.26 Während seines europäischen Exils schrieb Kersten für Exilzeitschriften wie Der deutsche Schriftsteller (Paris), Internationale Literatur (Moskau), die Jüdische Revue (Munkacevo [Ungarn]), das Pariser Tageblatt und die Pariser Tageszeitung. Oft besprach er Bücher deutscher Exilautoren, nicht nur seiner Freunde Graf und Kerr, sondern auch bekannterer Schriftsteller wie Thomas Mann und Alfred Döblin. Neben Rezensionen, Leitartikeln, kurzen historischen Essays und Beiträgen zur Expressionismusdebatte,
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kritisierte Kersten offen nationalsozialistische Führungskräfte wie Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg, Joachim von Ribbentrop, Hjalmar Schacht und natürlich Adolf Hitler. Während seines europäischen Exils schrieb Kersten weitere Biographien. Wie die Titel dieser Bücher erkennen lassen, lenkte der Siegeszug des Faschismus quer durch den europäischen Kontinent Kerstens Interesse von Lenin und Bakunin zu Autokraten hin und zur Frage der Macht. In seiner erst 1935 im Querido Verlag Amsterdam veröffentlichten Biographie Peter der Große. Vom Wesen und von den Ursachen historischer Größe unterstrich er die wichtige Rolle individuellen Eingreifens in den Lauf der Geschichte.27 Kerstens Peter der Große, den er 1951 im Gegensatz zu Bismarck und seine Zeit ein »sehr ernst[es]« Buch nannte, konzentrierte sich jedoch auch auf die geschichtliche, politische, religiöse und wirtschaftliche Lage Russlands vor und während der Herrschaft des Zaren. Die Biographie wurde auch ins Französische und Serbokroatische übersetzt.28 Die kritische Rezeption ähnelt der von Bismarck und seine Zeit. Einerseits tadelten Kritiker den manchmal tendenziösen Ton und das Fehlen einer Bibliographie und Fußnoten. Andererseits lobten sie den interdisziplinären Charakter und die Zugänglichkeit des Buches. Ein polnischer Rezensent bemerkte, dass Kerstens Buch sich von anderen Peter-Biographien distanzierte, indem es sich weniger für die rätselhafte Persönlichkeit des Zaren und mehr für die strukturellen und wirtschaftlichen Bedingungen seiner Herrschaft interessiere.29 1938 erschien ein Band, in dem Kersten offensichtlich auf seine eigene Not als Exilant anspielte. Unter Freiheitsfahnen. Deutsche Freiwillige in der Geschichte betrifft das Engagement von Deutschen und insbesondere das Schicksal Georg Forsters als Teilnehmer in Befreiungskriegen jenseits der Grenzen des deutschen Sprachraums.30Aus einem ähnlichen Impuls gab Kersten den Deutsche[n] Freiheitskalender heraus, während er von Paris aus seinen verbalen Kampf gegen die Nationalsozialisten weiterfocht.31 In den führenden Exilzeitschriften erschienen mehrere Dutzend Beiträge unter dem Pseudonym »Georg Forster« und damit jenes für Kerstens Selbstverständnis als Exilant massgeblichen Schriftstellers, der 1794 im Pariser Exil gestorben ist.32 Kersten teilte Forsters Schicksal nicht, auch wenn er nur knapp aus Paris mit dem Leben davonkam. Eine neue Periode seines Exils begann im September 1939 und kulminierte in seiner Flucht aus Europa im Juni 1940. Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs internierten die Franzosen Kersten, seine Frau Martha, seinen Freund Lucien Friedländer (der unter dem Pseudonym Robert Breuer als Journalist tätig war) und mit ihnen zahlreiche andere politisch engagierte Ausländer und Gegner des Nationalsozialismus, hauptsächlich Deutsche.33 Kersten und Friedländer kamen ins Lager Basses bei Bordeaux, während seine Frau in ein Frauenlager abtransportiert wurde. Freunde und Kollegen, die schon in Amerika in Sicherheit waren, erfuhren von Kerstens Schicksal und taten alles, was in ihrer Macht stand, um zu helfen. Eine wichtige Rolle spielte Alice David, Martha Kerstens Tochter und Kerstens Stieftochter, die von New York aus zwischen ihm und dem amerikanisch-deutschen Exilkommittee zu vermitteln suchte. In einem Brief an Alice David beschrieb Erika Mann die Anstrengungen ihres Vaters und ihre eigenen, leider vergeblichen Versuche zu helfen. »Wir haben für Ihren Stiefvater getan was wir irgend konnten«, schrieb Erika Mann, — mein Vater hat zweimal an den Amerikanischen Konsul in Casablanca telegraphiert, ihm zunächst mitgeteilt, daß er Kurt Kersten kenne, etc., daß dieser ein hochbegabter und politisch einwandfreier Schriftsteller sei und ist dann so weit
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gegangen, persönlich dafür zu bürgen, daß Kersten niemals ein »public charge of this country« [Sozialfall] werden würde.34
Trotz alledem erschwerten Kerstens Verbindungen zu linksgerichteten Zeitungen und dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) die Situation enorm. »Sie dürfen aber nicht verkennen«, fügte Mann hinzu, »daß die Tatsache seiner regelmäßigen Mitarbeiterschaft an der kommunistischen ›Volkszeitung‹ es uns erschweren muß, ihn freizubekommen«.35 Alice Davids Unterstellung, dass die deutschen Exilanten die Not ihres Stiefvaters zu leicht nähmen, beantwortete Mann kurz angebunden in einem Brief vom 30. November 1939: »Glauben Sie mir, daß ich nichts an Kurt Kerstens Schicksal ›leicht nehme‹ und daß ich alles tun möchte, es ihm zu erleichtern. Nur sehe ich im Augenblick keine Möglichkeit, behilflich zu sein.«36 Schon im Juni 1940 hatte sich die Situation in Frankreich derart verschlechtert, dass die Kapitulation nur noch eine Frage der Zeit war. Kurz vor dem deutschen Vormarsch auf Paris erhielt Kersten Nachricht von Oskar Maria Graf, dass Martha Kersten in Sicherheit sei. Sie war aus dem Internierungslager geflohen und hielt sich solange auf dem Land versteckt, bis sie sicher in die Vereinigten Staaten abreisen konnte. Kurz vor der Besetzung von Paris durch die Nationalsozialisten sagte ein junger Offizier zu Lucien Friedländer, er müsse ebenfalls aus Frankreich fliehen. Politische Flüchtlinge aus Deutschland, erklärte der Offizier, würden von den Nationalsozialisten ausfindig gemacht und einer besonders unbarmherzigen Behandlung ausgesetzt. In »Deutsche auf der Flucht von Deutschen«, einer Feuilletonserie, die im Juli 1950 in der Stuttgarter Zeitung veröffentlicht wurde, erinnerte sich Kersten an die entsetzlichen Einzelheiten seiner und Friedländers gemeinsamer Flucht aus Europa bis zur ihrer Ankunft auf Martinique.37 Friedländer gab die Warnung des Soldaten an seinen Freund weiter, aber selbst ohne diese geheime Information war es mehr als deutlich geworden, dass sie sich in einer äußerst gefährlichen Situation befanden. Trotz der Bemühungen der Franzosen, keine Informationen an die Lagerinsassen durchdringen zu lassen, verrieten die Flüchtlingsströme gegen Süden und das Kreisen deutscher Kampfflugzeuge am Himmel, dass der junge Offizier recht gehabt hatte. Am 19. Juni 1940 flüchteten Kersten und Friedländer aus dem Lager. Sie hatten keine Ausweispapiere und nur wenig Gepäck. Sie reisten in einem überfüllten Zug nach Biarritz, von wo aus sie per Schiff gemeinsam mit etwa fünfhundert Flüchtlingen verschiedenster Nationalitäten Casablanca erreichten. Die beiden Flüchtlinge waren nur wenige Stunden vor der offiziellen Kapitulation Frankreichs am 22. Juni entkommen. Kurz danach durchsuchte die Gestapo seine ehemalige Pariser Wohnung. Sie plünderten seine große Bibliothek und beschlagnahmten seine Manuskripte.38 Casablanca war zu dieser Zeit noch immer französisches Kolonialgebiet und bot — zumindest vorübergehend — etwas Sicherheit. In den Wochen, die auf die Kapitulation und die Konsolidierung folgten, machte sich die Vichy-Regierung daran, ihre Verwaltungshoheit in den afrikanischen Kolonien auszubauen. Kersten und Friedländer warteten voller Nervosität auf das Telegramm der amerikanischen Regierung, das dem Konsulat in Casablanca die Genehmigung erteilen sollte, ihnen Visa auszustellen. Unterdessen schickte Thomas Mann ein Telegramm nach Marokko, in dem er für die zwei Exilanten bürgte. Als sich jedoch der faschistische Zugriff auf Nordafrika verhärtete, wurde ihnen klar, dass sie nicht länger warten könnten. Sie machten sich auf die Suche nach einem Schiff, dass sie in die Freiheit befördern könnte. Glücklicherweise traf Friedländer einen Schiffskapitän, der im französischen Widerstand aktiv
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war. Er willigte ein, die beiden in einen Truppentransport nach Martinique einzuschleusen. Dort würden Kersten und Friedländer einigermaßen sicher auf ihre Einreisevisa in die Vereinigten Staaten warten können.39 Zu diesem Zeitpunkt begann Kerstens Leben dem Georg Forsters auf überraschende Weise zu gleichen. Forster hatte, bevor er zum Revolutionär wurde, drei Jahre zu See verbracht, als er auf der Endeavour und der Adventure den Globus umsegelte. Und jetzt umsegelte Kersten, der aufgrund seiner revolutionären Aktivitäten ins Exil gegangen war, die Welt in einem Schiff, das Marsillia hieß. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass das Schiff gerade Marsillia hieß, war dies doch der altertümliche Name genau der Stadt, nach der die Revolutionshymne La Marseillaise benannt wurde, über die Kersten wiederum im Jahre 1938 geschrieben hatte.40 War Forster ein Reisender, der zum Revolutionär wurde, verwandelte sich sein Biograph von einem Revolutionär in einen Reisenden. Kerstens Reise unterschied sich von der von Forster jedoch darin, dass sie doppelt so lange dauerte. Die Wochen auf Martinique wurden zu Monaten, die Monate zu Jahren. Am Ende waren es sechs Jahre, die Kersten auf den westindischen Inseln verbringen musste. Friedländer überlebte den Stress, die Armut und Unterernährung nicht. Er verstarb 1943 auf der karibischen Insel, wo er auch beerdigt ist. 1954 gedachte Kersten seines Freundes anhand einer Rezension über eine Auswahl von Friedländers Zeitungsartikeln. »[…][Als] ihn das böse Geschick auf diese westindische Insel verschlug«, schrieb er: […] ist er der dort herrschenden Hungersnot erlegen. Mächtig in allem, war Breuer [Friedländer] auch ein riesiger Esser — und vielleicht grade dadurch wehrlos gegen diesen tückischen Angriff auf seine Natur. Es ist ein sehr trauriger Gedanke, daß dieser eminent Lebendige, dieser ungeheuer Tätige so tatlos ausgeliefert hingehen mußte.41
Drei weitere Jahre musste Kersten auf sein Visum zu warten. Bis zu seiner Ankunft 1946 blieb er mit seiner Frau und anderen Freunden, die schon glücklich die USA erreicht hatten, in Kontakt. Weil er sich in der westlichen Hemisphäre und deshalb — im Gegensatz zu den in Europa verbliebenen Flüchtlingen — nicht in unmittelbarer Gefahr befand, wurde seiner Einreise in die Vereinigte Staaten von den amerikanischen Behörden keine hohe Priorität gegeben. So war er in einem bürokratischen Netz gefangen, zwar in Sicherheit vor dem Krieg in Europa, aber in der Falle der Armut in einer unterentwickelten französischen Kolonie auf den westindischen Inseln. Die sechs Jahre auf Martinique wurden zu einem entscheidenden Punkt im Leben und Wirken Kerstens. Später fasste er seine Erfahrungen in »Kurt Kersten über Kurt Kersten anlässlich seines 60. Geburtstages« zusammen, ein Artikel, der 1951 im Aufbau veröffentlicht wurde: […] ich werde den armen Schwarzen, besonders den Bauersfrauen, stets dankbar sein, weil sie mich in der Hungersnot nicht im Stich gelassen haben. Jahrelang war meine einzige deutsche Lektüre der »Aufbau«, außer drei Goethebänden, die ich einem versoffenen Unteroffizier schwäbischen Ursprungs stahl.42
Wie sich seinen Worten entnehmen lässt, lebte er in völliger Verarmung, mit kaum dem nötigsten an Kleidern. Er ernährte sich von wenig mehr als Weißbrot, Rum, Bananen und Orangen, und diese Unterernährung — er entbehrte Fleisch,
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Milch, Butter und Proteinen — zehrte ihn auf.43 Während des Krieges standen mehrere Exilanten in den USA weiter für ihn ein. Im Aufbau erschienen regelmäßig Briefe und Artikel, in denen auf die Dringlichkeit der Lage auf Martinique hingewiesen wurde. Ein Leserbrief vom 9. April 1943 erinnerte die Leser an die Armut, denen die Flüchtlinge infolge der Schiffsblockade der französischen Kolonien in der Karibik ausgesetzt waren: »An Fertigwaren ist nichts vorhanden, nicht einmal Schuhsenkel, Garn, Seife […].« Und was noch schlimmer war für einen Schriftsteller wie Kersten, »Es gibt auch kein Papier, keine Bleistifte oder Schreibhefte, geschweige denn Bücher.«44 Seine Freunde in den Vereinigten Staaten setzten alles in Bewegung, um Kersten ein Visum zu verschaffen, wenngleich ohne Erfolg. Wiederholte Fürsprache und Bürgschaften Thomas und Erika Manns, Lion Feuchtwangers, Oskar Maria Grafs, Alfred Döblins, Kurt Wolffs, Julius Deutschs, Fritz von Unruhs und anderer wichtiger deutscher Exilanten blieben ergebnislos. In einem Brief an Martha Kersten aus dem Mai 1942 berichtet Erika Mann von dem Misserfolg ihres Vaters, ein Visum zu sichern. I am afraid there is actually nothing I can do at this moment. These things have to go their routine way, and no letter my father might write to the State Department would do Mr. Kersten any good. In fact, it has been our experience that any such extraordinary step serves to annoy the authorities rather than to awaken their leniency.45
Angesichts der Machtlosigkeit in dieser Situation blieben Kerstens Freuden nichts übrig als ihren gestrandeten Kollegen mit häufigen Briefen zu trösten. Sie beschrieben ihre Erfahrungen in Amerika in der Hoffnung, dass Kersten sich ihnen bald anschließen könnte. Die Manns, Graf und andere taten was immer in ihrer Macht stand, seine Emigration in die USA zu ermöglichen, mussten aber bald feststellten, dass ihre Versuche zwecklos waren. Graf schrieb ihm resignierend: »Wenn ich Dir jetzt sagen würde, so käme mir das wie eine dumme Phrase vor — aber was hilft in solchen Situationen anderes, als die Hoffnung nicht zu verlieren?«46 Graf informierte Kersten regelmäßig über ihre gemeinsamen Freunde und das intellektuelle Leben. So berichtete er ihm Anfang 1943 von der Gründung der Tribüne, einer Arbeitsgemeinschaft freier antifaschistischer Schriftsteller. Graf informierte ihn auch über die Erfolge ihrer gemeinsamen Freunde, wie z.B. Stefan Heyms Hostages (1942) und Anna Seghers Das siebte Kreuz (1942), beides Bücher von denen sich riesige Auflagen verkauften.47 Jedoch bekunden Grafs Briefe an Kersten auf Martinique auch problematische Beziehungen zwischen den politischen Exilanten und den Vereinigten Staaten. Hervorgehoben wird in erster Linie die zeitweilig misstrauische Haltung gegenüber den Exilanten, besonders wenn sie politisch links orientiert waren. Graf schreibt: »Beinahe wäre ich in Princeton Deutschlehrer geworden, leider klappte da was nicht, offenbar weil ich nach Angaben und Ansicht irgendwelcher Herrschaften so ein ganz wilder ›Kommunist‹ bin.«48 Graf ermutigte Kersten außerdem ein wenig Papier aufzutreiben und ein Tagebuch über seine »Gefangenschaft auf Martinique«49 zu führen. Die Briefe aus dem Exil mit den genauen Schilderungen der unbarmherzigen Lebensbedingungen des Insellebens und der Not der Kolonialbevölkerung faszinierten Graf. Glücklicherweise fand Kersten Papier und setzte Grafs Vorschlag in die Tat um. Diese Tagebuchnotizen und Erinnerungen sollten sich nach dem Krieg als wertvolles Material für sein weiteres Schaffen erweisen.
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Als der Zweite Weltkrieg endlich zu Ende war, bewilligte die amerikanische Regierung Kersten ein Visum. Gänzlich ausgelaugt und unterernährt verließ der moderne Georg Forster 1946 seine »jahreszeitlose Insel« und erreichte New York, um das letzte Kapitel seiner »Reise um die Welt‹ in Angriff zu nehmen. Wie seine Stieftochter Alice David berichtet, hatte Kersten »Angst vor der Großstadt New York, den Menschen, dem Lärm«.50 Trotz allem gewöhnte er sich an sein neues Leben in einem neuen Land, sicher auch dadurch ermutigt, dass seine Familie den Krieg überlebt hatte, seine Frau und Stieftochter in New York, und seine Mutter und Schwester in Kassel. Im Jahre 1953 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft.51 Während der nächsten achtzehn Jahre veröffentlichte Kersten zahllose Zeitungsberichte, Essays, Leitartikel, und Miniaturen. Viele davon dokumentieren seine einzigartigen Erfahrungen als Deutscher in der Karibik. Tagebucheintragungen und Erinnerungen boten ihm ausreichend Material für eine Vielzahl an kurzen Texten über die westindische Kultur und Politik. Diese Nachkriegswerke dokumentieren ein breites Spektrum der westindischen Geschichte und Kultur. Die detaillierten Beschreibungen und spannenden Erzählungen wie »Das Leprahaus«, »Die letzten Karaiben«, »Gift — die westindische Mordwaffe«, »Das Mädchen von Curaçao«, »Die Letzten von Cayenne«, »Im Schatten des Mangobaumes«, »Die Dacostas von Westindien«, »Schwarzer Mann am Wege«, »Unter fremden Sternen«, »Fern der Heimat« usw. geben Aufschluss darüber, wie tiefgehend sich Kersten auf das Inselleben einließ. Obwohl er die Reichhaltigkeit der karibischen Kultur und Geschichte pries, ließ er sich nicht davon abhalten, das hohe Ausmaß von Ignoranz und Aberglauben zu kritisieren, das auf Martinique fortbestand. So untersucht er beispielsweise in »Angst vor dem Zorn der Zombies« die animistischen Elemente der einheimischen Religion und insbesondere deren Glauben an die Untoten und das Fortbestehen eines solchen Glaubens bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.52 Mit der Leidenschaft eines Abenteuerromans beschreibt ein anderer Essay »Die Legende von St. Pierre« den Ausbruch des Monte Pelé am 8. Mai 1902, den Tod von 30.000 Bewohnern des Handelshafens und das dramatische Überleben eines Gefängnisinsassen, der in seiner Zelle gefangen war.53 Und doch sind diese Artikel keine nostalgischen Skizzen des Insellebens. Sie üben Kritik an den dauernden Effekten des europäischen Kolonialismus und besonders daran, dass rassistische und ethnische Vorurteile einfach importiert wurden. Ein besonders interessanter Text mit dem Titel »Black Antisemitism« der, wie der Autor im Manuskript der englischsprachigen Ausgabe notiert, »was imported like a piece of merchandise to be duplicated and imitated«.54 Der Artikel beginnt mit dem Dialog zwischen Kersten und einer Einheimischen, die die üblichen Ansichten der Westindier über die Juden wiedergibt: »The Jews alone are responsible for the high prices and the scarcity of every commodity,« said the young colored woman to me. She owned a small and pretty house on the seashore on the West-Indian island of Martinique and had no worries about earning her daily bread. »Do you know any Jews personally?« »No, I have never seen a Jew. They tell me that there are some in the town (Fort de France) but I don’t know them.« I smiled. The young woman made all her purchases in the shop of a Jewish emigrant and continually praised the quality of the goods as well as the courtesy of the salesman.55
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»Black Antisemitism« bezeichnet Bigotterie als eines der wichtigsten europäischen Importgüter in die Neue Welt. Denn obwohl das Heiratsverhalten der ethnisch vielfältigen Mischkultur mit sich brachte, dass »kein Jude als solcher erkennbar sei«, kritisierte Kersten die Katholische Kirche dahingehend, dass sie die Abstraktion des Begriffs »Jude« als eine Quelle der moralischen Korruption und wirtschaftlichen Misere in der Karibik propagiere. »Schwarzer Antisemitismus« endet mit der Beobachtung, dass der Zweite Weltkrieg und der Völkermord der Nationalsozialisten die Vorurteile auf der Insel nur verfestigt hätten. Die europäische Katastrophe bestätigte den Pessimismus der Westindier gegenüber ihrer Kolonialherrschaft, denn von den Weißen waren sie solche Ungerechtigkeit ja schon gewöhnt. Die Erfahrung der Bigotterie auf Martinique sensibilisierte Kersten gegenüber der Not schwarzer Amerikaner, die noch in den fünfziger Jahren gezwungen waren, separate Schulen zu besuchen, im hinteren Teil der Busse Platz zu nehmen und sogar Gebäude durch separate Eingänge zu betreten hatten. Mehrere seiner Texte befassten sich mit der Gewalt, welche die Bürgerrechtsbewegung begleitete. So berichtet er in »Der Lynchmord von Poplarville« von dem rassistischen Mord an Mack Charles Parker, einem dreiundzwanzigjährigen Schwarzen aus der Gegend um Mississippi, der angeklagt war, eine weiße Frau vergewaltigt zu haben. Ein weiterer Essay »Antisemitismus und Negerhass« vergleicht die demagogischen Taktiken prominenter Mitglieder des Ku Klux Klan mit der Rhetorik des Nationalsozialismus, ein Vergleich, mit dem Kersten sich im Amerika der fünfziger Jahre sicher nicht beliebt machte. Er schreibt, dass die amerikanischen Befürworter der Rassentrennung genau wie die Nationalsozialisten die Ängste des Kleinbürgertums ausnutzten: »Wir erinnern uns, dass die Nazibewegung sich ursprünglich aus gleichen Kreisen rekrutierte, und dieser junge Kasper [ein Klan Mitglied], der seinen teuflischen Spaß daran hat, Menschen aufzuhetzen und ihnen Lügen zu erzählen, ist im Grunde derselbe Typ, wie es Goebbels und Hitler zu Beginn gewesen sind.«56 Politisches Engagement für die schwarzen Amerikaner manifestierte Kersten auch in Artikeln über die Kultur der Schwarzen. Er rezensierte Bücher und kulturelle Veranstaltungen für die schwarze Minderheit, darunter eine Ausstellung über haitianische Kunst, ein Musical in einem kleinen Broadway Theater »Simply Heavenly«, das an Langston Hughes’ Roman über die Harlem Renaissance Simple Takes a Wife angelehnt war, sowie die Romane Richard Wrights, des Autors von Native Son (dt. »Sohn dieses Landes«) und Black Boy (dt. »Black Boy: Bericht einer Kindheit und Jugend«).57 Vor dem angespannten Hintergrund der Rassentrennung in den USA und der Tatsache, dass die meisten von Kerstens Lesern wahrscheinlich nicht mit seinen Themen vertraut waren, kann man seine Anerkennung afro-amerikanischer Kultur als eine subtile Form des politischen Aktivismus lesen.58 Solche Artikel und Rezensionen, sowie die Tatsache, dass Kersten viele seiner stark politisch gefärbten Texte ins Englische übersetzte, legen nahe, dass sein dreizehnjähriges Exil in Europa und der Karibik seine linken Überzeugungen nur bestärkt hatte. Neben dem Überarbeiten und Wiederveröffentlichen mehrerer seiner früheren Bücher, vor allem der Forster-Biographie, war er aktives Mitglied von PEN und gehörte dem Vorstand des Schutzverbandes deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland an. Neben Werken über seine Martinique-Erfahrungen besprach Kersten in seinem Journalismus mannigfaltige politische und kulturelle Themen. Er schrieb Artikel und Feuilletons für westdeutsche, französische, argentinische und schweizerische Zeitungen, unter ihnen den New York Staatsanzeiger, die Stuttgarter Zeitung, Rhein-Neckar Zeitung, Kasseler Post, Frankfurter Rundschau, die Tat, Nationalzeitung Basel, Das Argentini-
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sche Tageblatt und Die Literatur. Jedoch erschienen die meisten von Kerstens Texten in der deutschsprachigen New Yorker Exilzeitung Aufbau, für die er freier Mitarbeiter wurde. Zwischen 1946 und seinem Tod im Jahr 1962 veröffentlichte der Aufbau jede Menge von Kerstens Leitartikeln, Buch-, Film-, und Theaterrezensionen, Essays, Nachrufen und anderen Kurztexten. Diese Texte befassen sich mit einer großen Auswahl von Themen, aber im Mittelpunkt seiner Aufsätze steht damals die Frage, wie man von deutscher Seite versuchte, sich mit der näheren Vergangenheit auseinanderzusetzen. Oft protestierte Kersten gegen die Tendenz der Besetzungsmächte und ihrer Tribunale, ehemalige Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher freizusprechen, freizulassen, oder nur symbolisch zu bestrafen. 1948 berichtete er zum Beispiel über den Prozess von Margarete Heydrich, der »Witwe des Bluthundes Reinhard Heydrich« und selbst eine Kriegsverbrecherin. Nachdem tschechoslowakische Partisanen das tödliche Attentat auf ihren Mann, den Reichsprotektor von Böhmen und Mähren verübten, spielte Margarete Heydrich eine wichtige Rolle in der Entscheidung, alle männlichen Einwohner der tschechischen Dörfer Lidice und Ležáky als Racheakt hinzurichten. Nach ihrem Prozess schrieb Kersten: […] die Heydrich war nicht anwesend. […] sie hält sich in der britischen Zone Deutschlands auf. Anscheinend freut sie sich der Freiheit, denn man hat nie etwas von einer Festnahme durch irgendwelche Behörden gehört, auch nicht von einem eingeleiteten Verfahren.59
Kersten schrieb weiter über solche Beispiele von Amnestie und jegliche Ungerechtigkeit, in welcher Form auch immer diese auftraten. Später in demselben Jahr schrieb er einen Artikel mit der Überschrift »Stauffenbergs Mörder ›nicht belastet‹.« 1949 kritisierte er, wie leicht sich neun ehemalige deutsche Minister, Beamte und Wirtschaftsführer der Verantwortung entziehen konnten: »Es war tief deprimierend, dies Schauspiel zu beobachten, das aufgeführt wurde, um abzulenken und aus Uebeltätern Unschuldslämmer zu machen.«60 Er fügte hinzu: »[…]die Toten können nicht mehr reden, und die Lebenden vergessen schnell.« Während Kersten versuchte, Aufmerksamkeit auf NS-Verbrechen zu lenken, berichtete er auch über die Wiederkehr von nationalsozialistischen und faschistischen Tendenzen in der damals neuen Bundesrepublik. Durch die fünfziger Jahre schrieb Kersten Artikel über »Hitler-Kandidaten für den Bundestag« (1953), das »Aufleben neonazistischer Strömungen« (1956) usw. In einer vierteiligen Rezension von Hjalmar Schachts 1948 veröffentlichten Memoiren Abrechnung mit Hitler bezweifelte Kersten Schachts Behauptung, er sei entnazifiziert: »Man liest Sätze, die auch von Goebbels oder Streicher, der in Nürnberg ganz in der Nähe Schachts sass, stammen könnten.«61 Kerstens Artikel behandelten auch andere kontroversen Figuren der NS- und Nachkriegszeit aus diversen politischen Hintergründen u.a. Martin Niemöller, Wilhelm Furtwängler, Adolf Eichmann, Kurt Schumacher und Konrad Adenauer. Dennoch waren Nationalsozialisten nicht die einzigen Ziele von Kerstens scharfer politischer Kritik. Neben seinem Interesse an den Folgen der NS-Herrschaft berichtete er auch über die antikommunistischen Säuberungsaktionen Joseph McCarthys in den Vereinigten Staaten und den Aufstieg des Stalinismus hinter dem Eisernen Vorhang. Kersten nannte den Arbeiteraufstand in der DDR im Juni 1953 einen Protest gegen »ein immer unerträglicher werdendes Polizeiregime«.62 Ein Jahr früher wurden mehrere tschechoslowakische Schriftsteller wegen »Trotzkismus, Kosmopolitismus und Zionismus« verhaftet. Kersten ließ die Wahrheit hinter den erdichteten
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Anklagen erkennen: »Ein ›Trotzkist‹ ist jeder, der am Stalinismus leiseste Kritik übt; ein ›Kosmopolit‹ jeder, der behauptet, es gäbe auch im Westen lesenswerte Bücher und sehenswerte Kunst; ein ›Zionist‹ wer die Existenz des Staates Israel anerkennt.«63 Diese Verhaftungen betrafen Kersten persönlich. Während seines eigenen Aufenthalts in Prag Mitte der dreißiger Jahre hatte er viele dieser Schriftsteller persönlich kennengelernt. Sie gehörten dem Kreis um Egon Erwin Kisch an und verbrachten die Kriegsjahre in Mexiko-Stadt. Kerstens Werke für Aufbau behandelten aber mehr als nur die wichtigsten politischen Ereignisse der Nachkriegsjahre. Er schrieb auch mehrere Rezensionen, Ehrungen und Nachrufe über Schriftsteller, Schauspieler, Intellektuelle und Politiker. Manche waren weltbekannte Figuren wie Albert Camus, Ernest Hemingway, Boris Pasternak, Erwin Piscator, Erich Maria Remarque und Erich von Stroheim. Jedoch ehrte Kersten auch Personen, die hauptsächlich nur in deutschsprachigen Kreisen bekannt waren, beispielsweise die jüdische Feministin Nadja Strasser, den Schriftsteller Albrecht Schaeffer, den Dichter Albert Ehrenstein oder den SPD-Politiker Carlo Schmid. Andere Ehrungen betreffen sogar Exilanten oder gesellschaftliche Aktivitäten in New York, an denen Exilschriftsteller teilnahmen, wie die »Sigmund Freud-Feier« 1956 anlässlich des 100. Geburtstags des Begründers der Psychoanalyse. An dem Tag seines 70. Geburtstages im April 1961 wurde Kersten selbst in Aufbau geehrt. Aufbau widmete Kersten eine Seite von Geburtstagsgrüßen von Kerstens Freunden und Kollegen, unter ihnen Kurt Pinthus, Fritz von Unruh und Theodor Heuss. Chefredaktor Manfred George lobte Kerstens Arbeit für den Aufbau und seinen Einfluss auf die Exilzeitung: »Du hast dem ›Aufbau‹ doppelt zurückgegeben, was er Dir gegeben hat«, schrieb George weiter: Du hast viele Fragen unserer Einstellungen zu den Problemen dieser Jahrzehnte gemeinsam mit uns gelöst und vielfach die Haltung des »Aufbau« mit zu formen geholfen. Immer war Deine Entscheidung eine weise und gemässigte, war die eines Mannes, der in den furchtbaren Stürmen der Zeit gereift und niemals einseitig oder bitter geworden war. Dein Hang zum Leben führte Dich auch für uns in Kinos und Theater und die Leser lasen immer Deine klugen Kritiken ebenso gern wie Deine politischen Artikel — und sie werden sie hoffentlich noch lange, lange weiterlesen.64
George hatte natürlich nicht wissen können, dass dieser letzte Wunsch unerfüllt bleiben würde. Nur dreizehn Monate später am 18. Mai 1962 starb Kersten in New York im Alter von 71 Jahren. Er hatte neunundzwanzig Jahre lang im Exil gelebt. Er war ungefähr ein Jahr lang krank gewesen, hatte aber bis zwei Tage vor seinem Tod weitergearbeitet. Vor seinem Tod spendete Kersten seine Briefe und Manuskripte dem Leo Baeck-Institute in New York. Die Mehrheit seiner Schriften befindet sich dort, obwohl kleinere Manuskript- und Korrespondenzsammlungen im Bundesarchiv in Berlin und im Russischen Staatlichen Militärachiv in Moskau zu finden sind. Das Deutsche Exilarchiv in Frankfurt und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar besitzen auch Briefe an und von Kersten. Verschiedene amerikanische Universitäten, darunter die University of New Hampshire, die State University of New York in Albany, und die University of Southern California haben auch einzelne Briefe. Insgesamt wurden bisher nur zwei Briefe an Hermann Kesten und vier von Hans Siemsen veröffentlicht.65 Kerstens Asche wurde nach Deutschland zurückgesendet, so dass sie gemäß seinem Wunsch in der Nähe der Gräber seiner Eltern ruhen möge. In einer Lobrede beschrieb Alice David ihren Stiefvater folgendermaßen:
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KURT KERSTEN Mit Dr. Kersten hat die Welt einen extrem guten und treuen Mensch verloren, ein verständnisvolles Wesen mit einer feinsinnigen, charmanten Persönlichkeit, der freundlich und höflich gegenüber jedermann war. Er war von tiefer Weisheit, verfügte über ein außergewöhnliches Wissen und eine derartige geistige Beweglichkeit, daß er Antworten geben konnte wie eine lebendige Enzyklopädie.66
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»4 Jahre — sie machten uns nicht stumm«, DVZ, II, Nr. 5 (31. Jan. 1937), S. 5; »Die Freiheit. Ein altdeutsches Ideal. Gegen die Nazi-Verfälschung der Geschichte«, DVZ, III, Nr. 28 (10. Juli. 1938), S. 5. Die erste deutsche Edition war Georg Forster: Reise um die Welt (Berlin: Haude und Spener 1778, 1780). »Record of Dr. phil. Kurt Kersten« von Alice D. David, Leo Baeck Institute (NY), KK Nachlass Teil I, Aufsatz 2. K.K.: »Kassel um die die Jahrhundertwende. Jugenderinnerungen. 10 Aufsätze«, LBI, KK Nachlass Teil 3, Aufsatz 3. K.K.: Voltaires Henriade in der deutschen Kritik vor Lessing (Berlin: Mayer & Miller 1914). K.K.: »Lebenslauf«, LBI, KK Nachlass Teil I, Aufsatz 1. K.K.: »Kurt Kersten über Kurt Kersten anlässlich seines 60. Geburtstages«, Aufbau (NY), 18. Mai 1951, S. 11. K.K.: »Der Geträumte«, Pan, III, Nr. 22 (28. Feb. 1913), S. 525-529; ders.: »Worte eines Dienstmädchens«, Pan, III, Nr. 31 (23. Dez. 1913), S. 730-732; vgl. Donatella Germanese: Pan (1910-1915). Schriftsteller im Kontext einer Zeitschrift (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2000), S. 230. K.K.: »Kurt Kersten über Kurt Kersten anlässlich seines 60. Geburtstages«, ebd. Ebd. Manfred George: »Kurt Kersten — ein Symposium. Zum 70. Geburtstag am 19. April«, Aufbau (NY), 21. Apr. 1961, S. 5-6. K.K.: »Babels Ostjuden«, Das Tagebuch, VII, Nr. 7, Nr. 18 (1. Mai 1926), S. 612; »Dostojewskis Frau«, Das Tagebuch, VI, Nr. 15 (11. Apr. 1926), S. 535; K.K.: »Die ›Beichte‹ Michael Bakunins«, Das Tagebuch, VI, Nr. 4 (24. Jan. 1925), S. 120; K.K.: »A.S. Suworin«, Das Tagebuch, V, Nr. 33 (16. Aug. 1924), S. 1141; K.K.: »Eine Revolutionärin der Liebe (Luise Aston)«, Das Tagebuch, IV, Nr. 37 (15. Sept. 1923), S. 1303; K.K.: »Lenin und Potemkin«, Das Tagebuch, VII, Nr. 23 (5. Juni 1926), S. 812. K.K.: W.I. Lenin, sein Leben und Werk (Berlin: A. Seehof 1920); K.K.: Der Moskauer Prozess gegen die Sozialrevolutionäre. 1922: Revolution und Konterrevolution (Berlin: Die Schmiede 1925). Edmond und Jules Goncourt: Dienstmädchen Germinie Lacerteux. Deutsch v. K.K. (Berlin: Laubsche Verlagsbuchhandlung 1928); Mikhail Aleksandrovich Bakunin: Michael Bakunins Beichte aus der Peter-Paulsfestung an Zar Nikolaus I; gefunden im Geheimschrank des Chefs der III. Abteilung der Kanzlei der früheren Zaren zu Leningrad. Übers. u. hg. von K.K. mit einem Vorwort von W. Polonski (Berlin: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte 1926). K.K.: Fridericus Rex und die Krise des Absolutismus (Berlin: E. Laub 1922); ders.: Fridericus und sein Volk. Dokumenten aus dem alten Preußen (Berlin: Malik-Verlag 1925); ders.: 1848: die deutsche Revolution (Berlin: Gustav Kiepenhauer 1933); ders.: Peter der Große. Vom Wesen und von den Ursachen historischer Größe (Amsterdam: Querido 1935). Sebastian Ullrich: »Im Dienste der Republik von Weimar: Emil Ludwig als Historiker und Publizist«, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 49/2 (2001), S. 119-140. K.K.: Fridericus und sein Volk, ebd., S. 8. Albert Lauscher: »Kurt Kersten, Bismarck und seine Zeit« [Rez.], Bücherwelt, XXVII (1930), S. 296; Bücherwarte. Zs. f. sozialist. Buchkritik. Organ d. Zentralstelle f. d. Arbeiterbüchereiwesen (1930), S. 68.
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K.K.: »Kurt Kersten über Kurt Kersten anlässlich seines 60. Geburtstages«. ebd. Arthur P. Mendel: Michael Bakunin: Roots of Apocalypse (NY: Praeger, 1981), S. 245. »Kersten, Kurt: Michael Bakunins Beichte aus der Peter-Pauls Festung an Zar Nikolaus I« [Rez.], Literarischer Handweiser, Nr. 9 (1926/27), S. 672-673. K.K.: »Der Jahrtausendputsch der Literaturnihilisten«, Die Linkskurve, Nr. 1 (Aug. 1929), S. 19-22. K.K.: »Strömungen der expressionistischen Periode«, Das Wort, III (1938), S. 78. Ebd., S. 81. »Berlin Critics United«, NYT, 30. Nov. 1930, S. X6. »Record of Dr. phil. Kurt Kersten«, LBI, KK Nachlass Teil I. K.K.: Peter der Große. Vom Wesen und von den Ursachen historischer Größe. (Amsterdam: Querido 1935); später unter dem Titel Peter der Große. Von der Fragwürdigkeit historischer Größe. Neuaufl. (Nürnberg: Nest Verlag 1951). K.K.: »Lebenslauf«. LBI, KK Nachlass Teil I, Aufsatz 1. »Kersten, Kurt: Peter der Große« [Rez.], Kwartalnik Historyczny (Lwów), Jg. 50, Bd. 3 (1936), S. 568. K.K.: Unter Freiheitsfahnen. Deutsche Freiwillige in der Geschichte (Strasbourg: S. Brant 1938). K.K.: Deutsche Freiheitskalender (Paris: S. Brant 1939). Eine Auswahlbibliographie von Kerstens Schriften findet man in: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Band IV:. Bibliographien USA. Hg. John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt u. Sandra H. Hawrylchak (Bern u. München: K. G. Saur 1994), S. 873-896. Siehe K.K.: »Deutsche auf Flucht vor Deutschen«, Stuttgarter Zeitung, 8. Juli, 11.-15. Juli, 18. Juli 1950. Erika Mann an Alice David, 20. Nov. 1940, LBI, KK Nachlass Teil II. Erika Mann an Alice David, 30. Nov. 1939, LBI, KK Nachlass Teil II. Ebd. Siehe »Deutsche auf Flucht vor Deutschen«, Stuttgarter Zeitung, 8. Juli 1950, S. 5. »Record of Dr. phil Kurt Kersten« von Alice D. David, ebd. K.K.: »Deutsche auf der Flucht vor Deutschen«, Stuttgarter Zeitung, 15. Juli 1950, S. 7; 18. Juli 1950, S. 7. K.K.: »Die ›Marseillaise‹ «, Deutsche Volks-Zeitung (Prag/Paris/Basel), III, Nr. 8, 20. Feb. 1938, S. 5. K.K.: »Dem Gedächtnis Robert Breuers«, New Yorker Staatsanzeiger, 14. Apr. 1954. K.K.: »Kurt Kersten über Kurt Kersten anlässlich seines 60. Geburtstages«, ebd. »Record of Dr. phil Kurt Kersten«, ebd. K.K.: »Letters to the Editor«, Aufbau (NY), 9. Apr. 1943, S. 22. Erika Mann an Martha Kersten, 13. Mai 1942, LBI, KK Nachlass, Teil 2. Oskar Maria Graf an Kurt Kersten, 11. Apr. 1940, LBI, KK Nachlass Teil 2. Oskar Maria Graf an Kurt Kersten, 17. Jan. 1943, LBI, KK Nachlass Teil 2. Oskar Maria Graf an Kurt Kersten, 24. Nov. 1943, LBI, KK Nachlass Teil 2. Ebd. »Record of Dr. phil Kurt Kersten«, ebd. Ebd. K.K.: »Angst vor dem Zorn der Zombis«, Neue Zeitung, 20. Jan. 1953. K.K.: »Die Legende von St. Pierre. Eine historische Erzählung«, Süddeutsche Zeitung, 20. Dez. 1954. K.K.: »Black Antisemitism«. Manuscript, LBI, KK Nachlass Teil 3. Ebd. K.K.: »Antisemitismus und Negerhass«, Aufbau (NY), 2. Aug. 1957. K.K.: »Leben und Leid Richard Wrights«, Aufbau (NY), 9. Dez. 1960, S. 27-28, 32. S.a. Langston Hughes: Simple Takes a Wife (NY: Simon & Schuster 1953); Richard Wright: Black Boy (NY/London: Harper & Bros. 1945), dt. Black Boy. Bericht einer Kindheit und Jugend (Köln: Kiepenheuer u. Witsch 1978); Richard Wright: Native Son (NY/London: Harper & Bros. 1940), dt. Sohn dieses Landes (Zürich: Humanitas Verlag 1941).
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Siehe z.B. »Negro Musical — ›Simply Heavenly‹ im 85th Street Playhouse«, Aufbau (NY), 24. Mai 1955. K.K.: »Ein zweiter Fall Koch. Frau Heydrich in Freiheit«, Aufbau (NY), 29. Okt. 1948, S. 1, 4. K.K.: »Nachwort zum Weizsäcker-Prozess. Übeltäter posierten als Unschuldslämmer«, Aufbau (NY), 22. Apr. 1949, S. 4. K.K.: »Schacht entlarvt sich selbst. Seine ›Abrechnung mit Hitler‹ — ein antisemitisches Pamphlet«, Aufbau (NY), 5. Nov 1948, S. 5; fort. 12. Nov. 1948, S. 32; 19. Nov. 1948, S. 14; 26. Nov. 1948, S. 11. K.K.: »Deutscher Aufruhr«, Aufbau (NY), 26. Juni 1953, S. 1-2. K.K.: »Egon Erwin Kischs Freunde als ›Trotzkisten‹ verhaftet«, Aufbau (NY), 9. Mai 1952, S. 3. Manfred George: »Kurt Kersten — ein Symposium. Zum 70. Geburtstag am 19. April«, Aufbau (NY), 21. Apr. 1961, S. 5-6. Kurt Kersten Collection, LBI: Finding Aid. »Record of Dr. phil Kurt Kersten«, ebd.
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RAYMOND KLIBANSKY (1905-2005) REGINA WEBER Wenn man sich heute in der Universitätsstadt Heidelberg auf die Spuren der im Dritten Reich vertriebenen Gelehrten begibt, stößt man wiederholt auf den deutschjüdischen Philosophen Raymond Klibansky (1905-2005), dessen Name im Foyer der Alten Universität auf der Tafel des Senats der Universität Heidelberg mit den Namen der vertriebenen Dozenten steht und an dessen Schicksal — wie auch das seines Doktorvaters Ernst Hoffmann — ein in der Kirche St. Peter ausgelegtes Gedenkbuch der Universitätsgemeinde erinnert. Nicht zuletzt aber birgt das Universitätsarchiv Heidelberg seine Personalakte, die Klibanskys Beziehungen zu seiner Alma Mater vor und nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentiert. Eine erste Verbindung des 1933 nach England, 1948 nach Kanada emigrierten Raymond Klibansky zur Universität Heidelberg nach 1945 ergab sich in den fünfziger Jahren durch das Wiedergutmachungsverfahren (Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts), das sein Vetter Joseph Klibansky, Rechtsanwalt in Frankfurt a.M., für ihn durchführte. (Antrag vom 31. Jan. 1950; Wiedergutmachungsbescheid vom 8. Jan. 1958).1 Hieraus folgten auch die ersten Kontakte zur Heidelberger Philosophengeneration der Nachkriegszeit, insbesondere zu Hans-Georg Gadamer. 1965 wählte ihn die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der eine Art Mittlerrolle zwischen der Universität und ihren vertriebenen Dozenten zukam, als korrespondierendes Mitglied der Philosophisch-historischen Klasse hinzu. Allerdings stellte sich die Universität Heidelberg erst in den achtziger Jahren der Aufarbeitung ihrer Geschichte im Dritten Reich.2 Und damit rückte auch der emigrierte Philosoph R. Klibansky wieder vermehrt ins Licht der Öffentlichkeit. Seit 1984 wurde er als Emeritus im Vorlesungsverzeichnis der Ruperto Carola geführt, und 1986, anlässlich der 600 Jahrfeier der Universität, vom Rektor auf Vorschlag der Philosophisch-Historischen Fakultät zu ihrem Ehrensenator ernannt. Am 26. Sept. 1989, zum 60. Jahrestag seiner Promotion (26. Sept. 1929), wurde Klibansky eine »Erneuerte Urkunde« als Doctor Philosophiae der Universität Heidelberg zugestellt.3 Die Heidelberger Historikerin Dorothee Mußgnug, deren Untersuchung über die vertriebenen Heidelberger Dozenten 1988 erschien, hat für ihr Buch zwei Interviews mit Klibansky geführt (4. Sept. 1986; 11. Aug. 1988).4 Damit wurde er zum gefragten Zeitzeugen der dreißiger Jahre der Universität Heidelberg und hielt im November 1988, zum 50. Jahrestag der ›Reichskristallnacht‹ als einziger noch lebender Wissenschaftler der im Dritten Reich vertriebenen Dozenten eine Gedenkrede an der Universität.5 1989 kommentierte er dies in einem Interview, veröffentlicht in der französischen philosophischen Zeitschrift Préfaces: Au début, je n’ai pas voulu participer à cette commémoration, mais le recteur est venu me voir à Montréal et m’a dit: »Il faut parler, vous êtes le seul professeur survivant de cette époque.« En 1938, j’avais déjà quitté Heidelberg, mais en effet je suis le seul survivant, pour ainsi dire, du corps professoral de cette université. J’ai accepté de parler du rôle, non pas de la philosophie allemande, mais des philosophes allemands. Je crois, que ce sont les philosophes qui sont les coupables, parce que, eux, ils savaient, ils devaient savoir.6
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Den Verrat der Intellektuellen, — la trahison des clercs7—, das Versagen der geistigen Elite, wie er es zu Beginn der Nazidiktatur an der Universität Heidelberg hautnah miterlebte, bringt Klibansky in seiner Rolle als Zeitzeuge auch in den neunziger Jahren immer wieder zur Sprache. Insbesondere mit Heidegger, dessen Auftritte an der Universität Heidelberg sich ihm einprägten, geht er dabei streng ins Gericht.8 Einem größeren Publikum in Deutschland wurde Klibansky aber vor allem durch zwei späte Veröffentlichungen bekannt: durch die 1990 erschienene, gemeinsam mit Erwin Panofsky und Fritz Saxl verfasste (bereits 1964 erstmals auf Englisch publizierte!) ideengeschichtliche Studie Saturn und Melancholie9, — dem Chef d’oeuvre der modernen Melancholieforschung schlechthin —, und durch die 1998 zuerst in Frankreich publizierte Autobiographie Le philosophe et la mémoire du siècle, die 2001 dann auch in deutscher Übersetzung vorlag. (Erinnerung an ein Jahrhundert. Gespräche mit Georges Leroux10). Insbesondere das Melancholie-Buch mit seiner komplizierten Editionsgeschichte11 — es geht auf eine Studie Panofskys und Saxls von 1923 zu Dürers berühmtem Kupferstich Melencholia I (1514) zurück und wurde in Kooperation mit Klibansky zu einer Geschichte der Melancholie von der Antike bis zur Renaissance erweitert — begründete Klibanskys späten Ruhm als Ideenhistoriker. So ehrte Jean Clair, Direktor des Musée Picasso, Paris, im Katalog zur Ausstellung »Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst« (2005) Klibansky mit folgender Widmung: »Zu Ehren von Raymond Klibansky (1905-2005), dem großen Gelehrten und Erforscher der Geschichte der Melancholie«.12 In Deutschland war es insbesondere der Philosophiehistoriker Kurt Flasch, der Klibansky und sein philosophisches Lebenswerk in den deutschen Medien vorstellte, sei es in Buchbesprechungen, Geburtstagsartikeln oder 2005 im Nachruf.13 Ja, Flasch bezeichnete Klibansky, den er erstmals 1964 auf einem Cusanus-Kongress in Kues, anlässlich des 500. Todestags von Nikolaus von Kues, erlebte, als seinen Lehrer, sein Vorbild philosophischen Fragens und Forschens. Flasch hielt auch die Laudatio, als Klibansky 1993 der Lessingpreis der Stadt Hamburg verliehen wurde. »Ich halte diese Festrede«, so wandte er sich an Klibansky, »weil ich Sie seit den fünfziger Jahren, als ich Sie persönlich noch nicht kannte, mit guten Gründen zu meinem Lehrer wählte. Bei meinem Versuch, die internationale Situation der Ideen- und Wissenschaftshistorie zu überblicken, fand ich Sie und nur noch Eugenio Garin in Florenz, als maßstabsetzende Forscher.«14 In den Gesprächen mit Georges Leroux (Erinnerung an ein Jahrhundert) hat Klibansky seinen geistigen und wissenschaftlichen Werdegang als Philosoph wie auch seine vielfältigen internationalen Aktivitäten nach 1945 eindrucksvoll selbst geschildert. Als er am 5. August 2005 kurz vor seinem hundertsten Geburtstag in Montreal, wo er von 1948 bis 1975 eine Professur für Philosophie an der McGill-University innehatte, starb, übergab seine Witwe, die aus Belgien stammende Rechtshistorikerin Ethel Groffier, den Nachlass an das Deutsche Literaturarchiv Marbach. Aus dieser archivalisch noch weitgehend unerschlossenen Quelle möchte ich bei der Darstellung seines Exilschicksals schöpfen, wobei der Schwerpunkt auf den in Deutschland verbrachten Lebensjahren (1914-1933) und auf der Fortführung der noch in Deutschland begonnenen wissenschaftlichen Projekte im englischen Exil (den unter den Auspizien der Heidelberger Akademie der Wissenschaften begonnenen Cusanus- und Meister Eckhart-Ausgaben) liegen soll. Ein Exkurs wird abschließend den Streit um die Meister Eckhart-Ausgabe in den Jahren 1932 bis 1936 darstellen. Allerdings war Klibansky, der die Internationalisierung der Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein anderer vorangetrieben hat, nach der Emigra-
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tion nach Kanada 1948 auch weiterhin in Europa präsent, wenn auch mehr in England, wo er zum Umkreis des Warburg Institutes, London, gehörte (1946 bis 1947 war er Director of Studies am W.I.), und in Frankreich, wo er am 1953 neu gegründeten Institut International de Philosophie in Paris eine führende Rolle einnahm, ja, von 1966 bis 1969 als dessen Präsident amtierte. Auf Klibanskys Initiative gingen Neuerungen des erstmals schon 1937 anlässlich des Internationalen Descartes-Kongresses in Paris gegründeten Instituts zurück wie die inhaltliche Umstrukturierung der Bibliographie (Neuerscheinungen wurden jeweils in Kurzreferaten vorgestellt) und die Gründung von Zentren für philosophische Bibliographie in mehr als fünfzig Ländern. Auch übernahm Klibansky die Leitung der Publikationsreihen des Instituts, die die zeitgenössische Philosophie im internationalen Kontext in Überblicksdarstellungen nach Ländern und Schulen erfassten.15 Zudem organisierte das Institut jedes Jahr einen philosophischen Weltkongress in einem anderen Land. So verbindet sich mit Klibansky nicht zuletzt das Bild eines Wissenschaftsorganisators und Editors, wie es der Ernst-Cassirer-Biograph Thomas Meyer in seinem Urteil über den Wissenschaftler zum Ausdruck bringt: Anders als Cassirer hat Klibansky niemals systematisch gearbeitet, sondern seine Verdienste durch Editionen und mit der »Internationalisierung« der Philosophie erworben. Zusammen mit Ernst Hoffmann gab Klibansky ab 1927 die »Opera omnia« des Nikolaus von Kues heraus und war bis zu seiner Emigration 1933 auch für die kritische Ausgabe der Werke von Meister Eckart zuständig. Bis 1937 arbeitete er von London aus zusammen mit Hoffmann an der Cusanus-Ausgabe.16
Während Klibanskys Aktivitäten der Nachkriegszeit, seine Rolle am Institut International de Philosophie in Paris, bereits an anderer Stelle gewürdigt wurden17, soll dieser Essay den deutschjüdischen Philosophiehistoriker vorstellen und den ideengeschichtlichen Kontext verdeutlichen, der sich für Klibansky mit den großen Editionsprojekten, insbesondere mit seinen Cusanus-Forschungen, verband: Sein Anliegen, die großen Traditionslinien aufzuzeigen, die von Plato über Meister Eckhart und Cusanus bis hin zu Lessing und Hegel führen und somit den deutschen Humanitätsgedanken nährten; sein Streben, die »Geschichte des deutschen Humanismusgedankens« (Brief an E. Hoffmann, 5. Feb. 1934; DLA)18 gegenüber den faschistischen und nationalsozialistischen Mächten seiner Zeit zum Leuchten zu bringen; und nicht zuletzt sein lebenslanges Engagement für Toleranz gegenüber der Vielfalt religiöser Bekenntnisse und Weltanschauungen. Damit steht er, wie Thomas Meyer schon 2001 in einer Rezension der Klibansky-Autobiographie urteilte, »in einer Reihe großer jüdischer Gelehrter, die viele Generationen zurückreicht und die dasselbe im Blick hatten: die Rettung des Humanum in der Philosophie«.19 Kurt Flasch stellte neuerdings in einer Reflexion über Kontinuität und Tradition das Streben nach Kontinuitätsnachweisen in der Philosophie in Frage, das »insbesondere in der Historiographie nichtnazistischer Gelehrter, gerade auch der großen Emigranten Klibansky und Kristeller« festzustellen sei. »Ihre Fixierung auf europäische Grundbestände des Denkens und des Dichtens hat bleibende historische Einsichten erbracht. Aber wir sollten, scheint mir, unter deren Berücksichtigung, zu neuer Historisierung übergehen. Dazu gehört, Geschichte eher als Bruch und Ereignis zu sehen, als in Konfliktkontinuitäten von langer Dauer.«20 Mit der von Flasch vorgenommenen Platzierung des Philosophen Klibansky im Kontext seiner Zeit verblasst sein Bild im Dämmer der Vergangenheit, wird er selbst zur »historischen« Größe.
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Raymond Klibansky und das Nachleben der Antike (The survival of the classics) Raymond Klibansky wurde am 14. Oktober 1905 in Paris als Sohn deutschjüdischer Eltern geboren. Sein Vater Hermann Klibansky war als Händler im Weinexport tätig und nannte aus Liebe zu Frankreich seinen Sohn Raymond. Die Familie väterlicherseits stammte aus Kaunas in Litauen und ließ sich, nach der Familienlegende, auf den berühmten Gaon von Wilna zurückführen, — einen im 18. Jahrhundert lebenden, strengen Ausleger des Gesetzes (und damit Gegner der Chassidim mit ihrem Anspruch auf eine besondere Beziehung zu Gott).21 Doch schon die Großeltern Klibanskys, Elias Meyer Klibansky und seine Frau Bertha, wanderten zwischen 1860 und 1870 nach Deutschland aus und ließen sich, in der Folge mit einer zahlreichen Kinderschar (fünf Söhnen und zwei Töchtern), in Frankfurt am Main nieder. Frankfurt hatte durch das Wirken des Rabbiners Samson Raphael Hirsch den Ruf einer überragenden Lehrstätte, was die Klibanskys offenbar anzog. (Zur Familiengeschichte schreibt Dieter Corbach: »Die Klibanskys kamen aus einer Familie von Rabbinern, die über viele Jahre mit der Talmud-Hochschule von Slobotka verbunden waren, so dass besondere Lehrstätten für diese Menschen immer anziehend wirkten.«22) Als Raymond Klibansky mit seinen Eltern 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs aus Frankreich fliehen musste, kehrte die Familie in das großväterliche Haus nach Frankfurt zurück. Raymonds frühe Kinderjahre in Paris waren von großbürgerlichem Wohlstand geprägt. Er besuchte eine Privatschule und wuchs zweisprachig auf, umgeben von französischen Dienstmädchen, deutscher Gouvernante, französischer Kundschaft seines Vaters — und einer geliebten schwarzen Katze ›Mephisto‹, mit der er Französisch sprach. Während sein Vater im Ersten Weltkrieg als Französischdolmetscher bei der Armee in einem Kriegsgefangenenlager für die Zensurbehörde arbeitete — gemeinsam mit seinem Freund, dem bekannten Kunstkritiker Wilhelm Uhde —, besuchte Raymond, um zunächst seine Deutschkenntnisse zu vervollkommnen, in Frankfurt das Israelitische Knabenpensionat Im Trutz Nr. 47, das der Bruder seines Vaters, Pinkus Klibansky, 1895 gegründet hatte und leitete. Anschließend ging er auf das Frankfurter humanistische Goethe-Gymnasium, wo er vor allem in den klassischen Sprachen, in Geschichte und deutscher Literatur, eine hervorragende Basis für seine spätere wissenschaftliche Laufbahn erwarb. Er erinnert sich, dass er viele jüdische Mitschüler hatte, er aber der einzige war, der samstags nicht schrieb (also die Sabbat-Gesetze streng befolgte).23 Die streng orthodoxe Erziehung, die er in seiner Kindheit erfuhr, erschien ihm selbst, rückblickend, nicht rigoros, vor allem von Seiten der Mutter nicht, — eher als eine von jüdischen Festen bestimmte »Lebensform«, die die Familie verband. Mit den beiden Söhnen von Pinkus Klibansky — Dr. Erich Klibansky, Leiter des ersten jüdischen Gymnasiums im Rheinland, der mit seiner Familie im Holocaust ermordet wurde, und Joseph Klibansky, der Rechtsanwalt wurde und im Exil in Frankreich die Naziherrschaft überlebte — blieb Raymond Klibansky auch später verbunden. Seinen Vetter Erich Klibansky traf er im Mai 1939, also nach der Pogromnacht vom 11. November 1938, im englischen Exil wieder, wohin dieser einen Kindertransport begleitete. Die im Schuljahr 1938/39 auf 450 Kinder angewachsene »Jawne zu Köln« versuchte Erich nach Cambridge in England zu verlegen. Raymond Klibanskys Versuch, seinen Vetter zur baldigen Emigration zu überreden, war vergeblich, denn Erich wollte Köln nicht verlassen, bevor er alle Kinder in Sicherheit wusste.24 Es gelang ihm,
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etwa ein Viertel der Schülerschaft in vier Transporten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach England zu bringen. (Das Jewish Refugees Committee hatte von Dezember 1938 bis Kriegsbeginn etwa 10 000 jüdische Kinder durch die Kindertransporte retten können.) Erich Klibansky selbst aber wurde mit seiner Familie und den noch in Köln verbliebenen Kindern im Juli 1942 nach Minsk deportiert und umgebracht. Erichs Bruder Joseph Klibansky konnte bald nach der Rückkehr aus dem Exil wieder seine Rechtsanwaltspraxis in Frankfurt übernehmen25 und betrieb von dort aus die Rehabilitation seines Bruders26, sowie nach 1950 die Wiedergutmachungsansprüche seines Vetters Raymond Klibansky.27 Vom Frankfurter Goethe-Gymnasium wechselte Raymond Klibansky 1920 mit fünfzehn Jahren auf die Odenwaldschule, die von dem evangelischen Theologen und Reformpädagogen Paul Geheeb 1910 bei Heppenheim an der Bergstraße gegründet worden war. Geheeb, der bereits zuvor mit Gustav Wyneken das Reformschulprojekt von Wickersdorf (die freie Schulgemeinde Wickersdorf) betrieben hatte, war verheiratet mit Edith Cassirer, einer Cousine des Philosophen Ernst Cassirer, für deren großbürgerliche jüdische Familie in Berlin die Ehe mit einem protestantischen Theologen zunächst ein Schock war, deren Vater Max Cassirer aber (zeitweise Bürgermeister von Berlin-Charlottenburg) schließlich die Schulgründung finanziell ermöglichte. Die Odenwaldschule wurde für Raymond Klibansky zur pädagogischen Provinz schlechthin, der er eine humanistische Erziehung nach klassischem deutschem Bildungsideal verdankte. Plato, Herder, Goethe und Schiller, Lessing und Humboldt waren die Hausgötter (nach ihnen waren auch die Häuser der Zöglinge benannt); nicht mehr Lesungen aus dem Alten Testament, sondern Zitate aus antiken Texten oder Goetheverse leiteten die Mahlzeiten ein.28 Besonders bemerkenswert erschien Klibansky im Rückblick, dass diese Erziehungsmethode »zugleich die Gemeinschaft und die Individualität hervorhob«.29 Das Pindar’sche ›Werde, der du bist‹, die möglichst umfassende Entfaltung der individuellen Anlagen, verband sich hier mit demokratisch geprägten Gemeinschaftsstrukturen. Dass die Odenwaldschule auch eine Schule der Assimilation war, in der es keinen Raum mehr gab für die Praxis des gesetzestreuen Judentums, sollte etwa dem Philosophen Ernst Cassirer erst im Exil bewusst werden.30 Raymond Klibansky schloss hier Freundschaften fürs Leben. Sowohl die engen Kontakte als Student in Heidelberg mit Marianne Weber, der Witwe Max Webers, deren Neffen die Odenwaldschule besucht hatten, wie auch mit der Familie Ernst Cassirers in Hamburg wurzeln hier. Den Unterricht in Deutscher Literatur hielt Eva Cassirer, eine weitere Cousine des Hamburger Philosophen.31 Auch Klaus Mann und die Tochter Frank Wedekinds gehörten zu seinen Schulkameraden. Klibanskys bester Freund aber war der aus einer Hamburger jüdischen Familie stammende, hochbegabte doch psychisch labile Walter Solmitz, um dessen Werdegang und Wohlergehen er sich viele Jahre freundschaftlich kümmerte. Da in der Odenwaldschule die alten Sprachen den neuen nachgeordnet waren, Raymond Klibansky jedoch vom Frankfurter Goethe-Gymnasium sehr gute Sprachkenntnisse in Latein und Griechisch mitbrachte, übersetzten er und Walter Solmitz ohne Anleitung durch einen Lehrer regelmäßig Homer- und Platontexte. Später sollte Solmitz in einem Brief aus dem amerikanischen Exil in scherzendem Ton an sein mit Klibanskys Hilfe bestandenes Abitur erinnern: Im Oktober 1958 schrieb er dem Freund, dass sich am 13. September »zum ›nachgerade‹ fünfunddreißigsten Male der Tag jährte, an dem Du mein Abitur bestanden hast«, und setzte hinzu: »Ceterum censeo: Wann sehen wir uns mal wieder?«, eine Frage, mit der er fast jeden Brief an Klibansky beendete. (2. Okt. 1958; DLA) Beide gehörten Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre zum Hamburger Kreis der
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Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K.B.W.) und blieben auch im Exil dem nach London emigrierten Warburg Institute verbunden. Solmitz allerdings gelang es nicht, seine Promotion in Hamburg bei Ernst Cassirer, der ihn hoch schätzte, zum Abschluss zu bringen. Dennoch konnte er in den USA erfolgreich als Universitätsprofessor Philosophie lehren, bis er 1962 seinen Depressionen erlag und sich das Leben nahm.32 Als Klibansky 1922 mit siebzehn Jahren, nach der Reifeprüfung (als Externer) am humanistischen Gymnasium, nach Heidelberg kam, begann er mit dem Studium der klassischen Sprachen, der Philosophie (bei Heinrich Rickert, der in Heidelberg das Erbe des Neukantianismus vertrat, und Karl Jaspers), und der Archäologie. Er wollte, wie er in den Gesprächen mit Georges Leroux erklärte, den Menschen begreifen (»das Problem des Menschen […], was der Mensch sei«)33 und dabei mit dem klassischen Zeitalter der Antike beginnen. Nicht nur das Studium der alten Sprachen und Texte, sondern auch das Kunstverständnis, die Kunstzeugnisse jener Zeit, erschienen ihm dafür wichtig. Der bekannte Archäologe Ludwig Curtius nahm den Jungen von der »Paradiesschule«34, wie Curtius die Odenwaldschule zu nennen pflegte, in sein Seminar auf, das auch von solchen Koryphäen wie Karl Jaspers besucht wurde. Klibansky profilierte sich sogleich mit einem Referat über das Kunstverständnis des antiken Reiseschriftstellers Pausanias. »Es ging um die diffizile Interpretation eines griechischen Textes von Pausanias über die Kunstwerke, die er während seiner Reisen gesehen hatte.«35 Nicht nur Curtius und Jaspers luden den jungen Klibansky in ihre Häuser ein, dem es auch sonst an Einladungen in Heidelberger Professorenfamilien nicht mangelte.36 Jaspers empfahl ihn im Rahmen eines Förderprogramms für ein Studiensemester an die Universität Kiel, wo er im Sommer 1924 den Soziologen Ferdinand Tönnies hörte und ihm assistieren durfte. Nach Fortsetzung seines Studiums in Heidelberg ging er zum Sommersemester 1926 nach Hamburg, wohin ihn Ernst Cassirer einlud. (»Ich wohnte und arbeitete in seinem Haus und spielte mit ihm Schach.«37) Das Semester an der Universität Hamburg bot die entscheidende Weichenstellung für Klibanksys weitere wissenschaftliche Orientierung. Über Cassirer lernte er auch Aby Warburg persönlich kennen, der, nach der Rückkehr aus der berühmten Klinik des Psychiaters Professor Ludwig Binswanger in Kreuzlingen (1924), die von ihm gegründete Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg noch bis zu seinem Tod 1929 leitete. Aby Warburg hatte enge Beziehungen zu der erst 1919 gegründeten Hamburger Universität und den dort lehrenden Professoren, insbesondere zu Ernst Cassirer und dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky. Der junge Klibansky stieß hier auf einen Kreis deutschjüdischer Gelehrter, zu denen auch Warburgs engere Mitarbeiter Fritz Saxl und Gertrud Bing gehörten. Zur jüngeren Generation der Schüler zählte, neben Solmitz und Klibansky, auch Lotte Labowsky, Philosophiestudentin aus wohlhabendem jüdischen Hamburger Elternhaus, mit der Klibansky seit dem gemeinsamen Studium in Heidelberg eine enge Freundschaft verband, die bis zu Labowskys Tod 1991 in Oxford andauerte. Aby Warburg holte Klibansky als Volontär in die berühmte K.B.W., wo er für die Ordnungsbereiche Alte Sprachen, Philosophie und Enzyklopädie zuständig war. Im Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek werden Klibanskys Aktivitäten ab 1926 vielfach vermerkt. Klibansky rät zu Bücherkäufen, etwa der Dichtungen Stefan Georges, oder beschafft Materialien zu unterschiedlichen Forschungsprojekten der Bibliothek. So auch zu dem bereits erwähnten, von Panofsky und Saxl schon 1923 gemeinsam herausgegebenen Melancholie-Buch Dürers Melencholia I 38, das nun unter Mitwir-
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kung Klibanskys um Untersuchungen zur Ideengeschichte der Melancholie von der Antike bis zur Renaissance erweitert werden sollte.39 Warburg und Cassirer waren einander seit Warburgs Rückkehr nach Hamburg 1924 freundschaftlich verbunden und fanden auch zu gemeinsamen Forschungsinteressen. Mit seinem 1926 verfassten, Aby Warburg zum 60. Geburtstag gewidmeten Buch Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance (1927)40, das sich der Philosophie des Kardinals und Renaissance-Gelehrten Nikolaus von Kues (1401-1464) widmete, der an der Wende zur Moderne entscheidende Anstöße in den Wissenschaften gab, antwortete Cassirer gleichsam auf Aby Warburgs kultur- und kunsthistorische Forschungen zum Nachleben der Antike in der italienischen Renaissance. Auch Klibansky hatte während des Hamburger Studiensemesters an der Entstehung von Cassirers Buch Individuum und Kosmos teilgenommen und sogar einen Beitrag dazu geliefert: Seine erste Publikation, die Edition eines lateinischen Textes von Carolus Bovillus41, findet sich, neben der Übersetzung eines Cusanus-Textes von Cassirers Sohn Heinrich Cassirer, im Anhang des Buches. Fast lässt sich bei Individuum und Kosmos von einem Gemeinschaftswerk der Warburgianer sprechen, wie auch eine Tagebuchnotiz Fritz Saxls vom 4. März 1927 verrät: »Mit Prof. Cassirer, Heinz Cassirer, Dr. Ritter, Klibansky und Frl. Bing die Vorrede zur Cusanus- und BovillusEdition fertiggestellt und die Anlage der Indizes dafür besprochen.«42 Wenig später notierte Saxl: »Von Klibansky erhielt ich einen musterhaften Index zu Bovillus und zwar außer Namens-Index einen so ausgearbeiteten Begriffs-Index, wie er für einen Autor des 16. Jh. kaum noch existieren dürfte.« (14. Juni 1927)43 Auch Ernst Cassirer dankte dem zweiundzwanzigjährigen Klibansky für seinen Beitrag mit einem anerkennenden Brief: Ich muss Ihnen bei dieser Gelegenheit doch einmal aussprechen, wie dankbar ich Ihnen für die ganz außerordentliche Sorgfalt bin, die Sie an das Buch gewandt haben. Für Sie bedeutet ja diese ganze Arbeit, rein inhaltlich genommen, nicht mehr als ein erster Ansatz und Auftakt. Mir selbst aber werden Sie erlauben, sie noch in einem anderen »symbolischen« Sinn zu nehmen und sie aus diesem Sinne heraus als ein Versprechen und als ein schönes Wahrzeichen und Vorzeichen für Ihre künftige wissenschaftliche Gesamtleistung zu begrüßen. (16. Juli 1927; DLA)
Dabei war es insbesondere Aby Warburg, der sich vom wissenschaftlichen Nachwuchs eine Weiterführung der von ihm initiierten kulturwissenschaftlichen Richtung erhoffte, die, im Zeichen eines säkularen Judentums, nicht zuletzt auf die Tradition der Aufklärung setzte. Als Ernst Cassirer 1928 einen Ruf an die Universität Frankfurt a.M. erhielt, sah Aby Warburg geradezu sein Lebenswerk bedroht und versuchte alles, um Cassirer in Hamburg zu halten, bis hin zur Vermittlung des Hamburger Rektorats an den Freund. Cassirer, der erst 1919, mit 45 Jahren, in Deutschland eine Professur an der Universität Hamburg erhalten hatte, wurde 1929 erster jüdischer Rektor einer deutschen Universität. »Der Beweis«, schrieb Warburg zur Zeit dieser Krise am 30. Mai 1928 ins Tagebuch, »dass er und die K.B.W. zusammen funktionieren müssen, läge in einer Gestalt wie Solmitz; er, als Vertreter der nächsten Generation, würde die Fackel deutsch-jüdischer Geistigkeit weitertragen und [sie; R.W.] würde eben durch die idealische Sendung von Cassirer und der K.B.W. in lebendigem Atem gehalten«.44 Einem solchem Sendungsbewusstsein entspricht es, dass Warburg an anderer Stelle des Tagebuchs Solmitz auch als »Jünger« bezeichnet.45 Solmitz seinerseits, der beim Tod Ernst Cassirers im April 1945 in New York die Totenrede für die Schüler hielt, sah in der Verbindung Warburg — Cassirer »a unique kind of a perso-
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nal constellation and cooperation which will never be forgotten by those who worked there at that time.«46 Dass aber den »Warburgschen Ideen« ein Nachleben beschieden sein sollte — die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist gewiss nicht ohne sie zu denken —, hatte auch schon Walter Solmitz erkannt: Das Institute muß als ›Pflanzstätte‹ verstanden werden — und die Samen sind schon weit geflogen — und es liegt ja irgendwie in der Logik der Sache, daß man nun schon beinah eine »Wanderkarte« der Warburgschen Ideen machen könnte (mit all ihren dämonisierten und voralexandrinierten Verkleidungen und Entstellungen). (1. Juni 1959; Solmitz an G. Bing)47
Das Hamburger Studiensemester 1926 sollte Klibanskys weitere philosophiegeschichtliche Forschungsrichtung bestimmen, die zunächst den Spuren von Cassirers Cusanus-Forschungen folgte. Zurückgekehrt nach Heidelberg wurde er von dem mit Cassirer befreundeten, in Heidelberg lehrenden Philosophen Ernst Hoffmann sogleich in das Projekt einer Cusanus-Edition unter den Auspizien der Heidelberger Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter einbezogen. Ernst Hoffmann (1874-1952) und Ernst Cassirer galten gemeinsam als die Initiatoren der neueren Cusanus-Forschung. Das hebt auch noch ein Nachruf 1952 auf den Heidelberger Philosophen hervor: Hoffmann habe sein Interesse »dem Schmelzpunkt der Vereinigung der antiken und der christlichen Philosophie« zugewandt. »Diesen erblickte er in dem durch ihn und seinen Freund Ernst Cassirer in seiner vollen Bedeutung erst erschlossenen und dann von ihm gehobenen Schatz der Philosophie des Nikolaus von Kues.«48 Hoffmann und Cassirer kannten sich aus gemeinsamen Jahren in Berlin, wo Hoffmann um 1919/20, damals noch Oberlehrer in Berlin, die Cusanus-Vorlesungen des Privatdozenten Ernst Cassirer hörte.49 Seit 1922 lehrte Hoffmann als Professor der Philosophie an der Universität Heidelberg, wurde 1927 zum Ordinarius ernannt und übernahm im selben Jahr die Leitung der CusanusCommission der Heidelberger Akademie; seit 1927 war auch das Erscheinen der Cusanus-Ausgabe im Verlag Felix Meiner, Leipzig, unter dem Patronat der Akademie gesichert. Schon vom November 1927 findet sich ein hervorragendes Zeugnis Ernst Hoffmanns für den Studenten Raymond Klibansky: Herr R. Klibansky ist mir seit 4 Jahren als ein hochbegabter, gleichmäßig fleißiger Student persönlich bekannt. Er ist neuerlich bereits mit einer wissenschaftlichen Publikation hervorgetreten, die Prof. Cassirer — Hamburg für wert gehalten hat, in extenso in sein neues Buch über Renaissance-Philosophie aufzunehmen. Klibansky berechtigt zu den allerbesten Hoffnungen. Seinen Charakter halte ich für tadellos.50
Für Ernst Hoffmann wurde Klibansky als Mitarbeiter an der historisch-kritischen Ausgabe der lateinischen Schriften des Cusanus bald unentbehrlich. Klibanskys Recherchen im Rahmen der Cusanus-Edition erforderten nicht zuletzt häufige Bibliotheksreisen, nicht nur in das Cusanusstift in Bernkastel-Kues, wo sich ein Teil der Bibliothek des Kardinals befand, sondern auch nach Rom in die Biblioteca Vaticana und zu weiteren Klosterbibliotheken im In- und Ausland. Für Klibansky verbanden sich seine Cusanus-Forschungen mit dem schon als Student gefassten Ziel, das deutsche Denken zu begreifen51, die große Denkbewegung nachzuvollziehen, die vom Neuplatonismus zu Hegel führte; und Cusanus und Meister Eckhart waren die Quellen der hegelianischen Strömung innerhalb der deutschen Philosophie. Damit blieb
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Klibansky in philosophiegeschichtlichem Kontext dem Programm der Bibliothek Warburg verbunden —: der Erforschung des Nachlebens der Antike speziell in der Renaissance, wo auch die Gedankenwelt des Nikolaus von Kues zu verorten war. Noch im Juni 1935 beruft er sich in der Korrespondenz mit Ernst Hoffmann auf seine »These der strengen Kontinuität des lateinischen Platonismus bis zu Cusanus«, (28. Juni 1935; DLA) eine These, die mit der Betonung des kontinuierlichen Stromes der platonischen Überlieferung nicht zuletzt dem Denken in historischen Zäsuren (Antike – Mittelalter – Neuzeit) entgegengesetzt ist. Die Kenntnis von Platons Schriften in Übersetzung und Kommentierung war nötig, um die europäische Metaphysik in ihrer Entwicklung zu verstehen. Schon Ende der zwanziger Jahre trat Klibansky mit Aufsehen erregenden philosophiegeschichtlichen Studien an die Öffentlichkeit. 1929 publizierte er in der Schriftenreihe der Heidelberger Akademie Ein Proklos-Fund und seine Bedeutung52, eine Studie, die ihm auch als Dissertation diente, mit der er 1929 bei Ernst Hoffmann promoviert wurde. Dass die Promotion angesichts der bereits erworbenen wissenschaftlichen Verdienste Klibanskys nur noch eine Formsache war, bringt F. Saxl in seinem Gruß aus Hamburg zum Ausdruck: »Sehr herzlichen Glückwunsch zu dem Unsinn von Prüfung!«, schreibt er. »Alle Leute, inklusive Cassirer, finden hier den Proklos ausgezeichnet und erstaunlich reif.« (31. Mai 1929; DLA) Proklos, im 5. Jahrhundert n. Chr. der führende Kopf der griechisch-platonischen Schule in Byzanz, hatte einen berühmten Kommentar zu Platos Dialog Parmenides geschrieben, der — insbesondere mit seiner Konzeption der Seele — nachweislich die mittelalterliche Denktradition geprägt hatte. Auch in den Predigten des Cusanus fanden sich Reminiszenzen an seine Proklos-Lektüre. Schon 1927 hatte Klibansky unter den Papieren des Nikolaus von Kues eine lateinische Übersetzung des Proklos-Kommentars aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, mit handschriftlichen Notizen des Kardinals, die sich von den überlieferten griechischen Textfassungen unterschied —: insbesondere der Schluss war abweichend und umfangreicher. Damit hatte Klibansky das fehlende Stück des Parmenides-Kommentars des Proklos gefunden, was noch Kurt Flasch als ein wissenschaftliches Ereignis ersten Ranges auf dem Gebiet der neuplatonischen Forschung würdigte: »Dieser Fund gibt uns ein Bindeglied in die Hand, das die spätantike Philosophie mit Cusanus und mit der Dialektik Hegels verbindet.«53 1928/29 erschienen auch die ersten Cusanus-Texte54, herausgegeben von Klibansky und Hoffmann, in den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, und mit Abschluss der Promotion wurde Klibansky als ordentliches Mitglied in die Cusanus-Commission gewählt. »Ich habe die Freude«, schreibt Hoffmann am 2. Januar 1930 an Klibansky, Sie zu benachrichtigen, dass wir Sie als Mitglied der Cusanus-Commission kooptiert haben, um unserer Anerkennung für Ihre hervorragenden Verdienste um das Cusanus-Unternehmen auch äußerlich Ausdruck zu geben. Ich darf hinzufügen, dass der Beschluss einstimmig und ohne Debatte gefasst ist. (DLA)55
Auch Klibanskys Habilitationsschrift über die bis dahin wenig erforschte Schule von Chartres — »Bernhard und Thierry von Chartres«56 — wird von Hoffmann in seinem Gutachten vom November 1931 mit großem Lob bedacht und als Korrektiv bisheriger Kenntnisse über das Mittelalter gewertet:
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RAYMOND KLIBANSKY Mit der Kulturgeschichte des Mittelalters ebenso vertraut wie mit seiner philosophischen Problemgeschichte, als Finder wichtiger Handschriften ebenso glücklich wie für das Aufspüren gedanklicher Zusammenhänge begabt, als Editor und Interpret gleichermaßen geschult und sicher im Sattel, gibt er uns das Bild derjenigen Stätte, an der — wie wir nun durch ihn wissen — die maßgebende Umschmelzung des antiken, durch Augustin, Boethius, und Ps. Dionysus vermittelten Gedankengutes stattgefunden hat, jener Umschmelzung, die später dem Cusanus seine Waffen lieferte, als er das enzyklopädische Weltbild der Summen einzureißen und ein neues Gefüge des Universums auszudenken unternahm. […] Unsere Vorstellungen von dem Maße der Kenntnis griechischer Philosopheme im XII. und XIII. Jahrhundert werden gründlichst korrigiert. Lehrstücke, die […] als Schöpfungen der Renaissance betrachtet werden, finden ihre urkundliche Zurückführung auf die Schule von Chartres und auf deren historische Fortwirkung; die Platonische Idee erscheint in Ursprünglichkeit und Reinheit zu einer Zeit, wo niemand von uns es vermutet hätte. So beurteile ich Klibanskys Arbeit als eine philosophiegeschichtliche Leistung ersten Ranges, würdig jedes Gelehrten, auch eines Meisters im Fache.57
Hoffmanns Urteil über Klibanskys Habilitationsschrift über die Schule von Chartres wurde auch von dem französischen Philosophen Etienne Gilson geteilt, der das unveröffentlichte Manuskript gelesen hatte. (»Ich wage zu sagen, dass die Veröffentlichung zutiefst die Vorstellung verändern wird, die man sich gemeinhin von diesem Zeitraum macht.«)58 Am 9. Juli 1932 erhielt Klibansky die Venia Legendi und lehrte nun auch als Privatdozent an der Heidelberger Universität. Seine öffentliche Antrittsvorlesung hielt er über das Thema »Der philosophische Charakter der Historie«, — ein Beitrag, den er erst 1936 in der Festschrift für Ernst Cassirer Philosophy and History auf Englisch publizierte.59 Schon am 4. Dezember 1931 hatte Klibansky im Hause Marianne Webers seine Privatdozentur60 gefeiert, zusammen mit dem Indologen Heinrich Zimmer (verheiratet mit Christiane Zimmer geb. Hofmannsthal) und Golo Mann.61 Sein bester Freund jedoch Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre in Heidelberg, Friedrich Gundolf, war schon im Juli 1931 gestorben. (»Gundolf war mein bester Freund. Seinen Tod empfand ich als Tragödie. Er bezeichnete das Ende meiner Heidelberger Zeit. Ich war 27 Jahre alt und hatte das Gefühl, dass eine Epoche zu Ende geht. Zu Recht.«62) Klibansky hatte den 25 Jahre älteren, berühmten Heidelberger Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf (geb. 1880) erst 1928 näher kennengelernt, nach dessen Zerwürfnis mit Stefan George, und, wie er berichtet, sahen sie einander zwischen 1929 und 1931 fast täglich; mit Vorliebe durchforsteten sie gemeinsam die Heidelberger Antiquariate. Auch verbrachte Klibansky den Sommerurlaub 1930 zusammen mit dem Ehepaar Gundolf in der Schweiz. In Friedrich Gundolf und seinen Werken begegnete Klibansky nicht zuletzt jene »Empfänglichkeit für Geschichte«63, die auch seine eigenen Forschungen motivierte. In Cäsar. Geschichte seines Ruhms (1924; zurückgehend auf Gundolfs Dissertation von 1903: Cäsar in der deutschen Literatur) hatte Gundolf Julius Cäsars literarisches und ikonographisches Nachleben in Europa seit der Antike dargestellt, ähnlich wie Klibansky im Kontext der Forschungen der K.B.W. die Ideengeschichte der Melancholie seit der Antike zu erforschen suchte. Die umfangreiche Cäsar-Sammlung Gundolfs, die gleichsam exemplarisch einen Gegenstand des »Nachlebens der Antike« erschloss, überließ Elisabeth Gundolf geb. Salomon später leihweise dem Warburg Institute London.64
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Klibanskys Privatdozentur an der Universität Heidelberg währte kaum ein Jahr (9. Juli 1932 – 18. Aug. 1933), als er infolge des nationalsozialistischen Gesetzes zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 aus dem deutschen Staatsdienst entlassen wurde. Er weilte gerade zu Cusanus-Forschungen in Rom, als ihn der berüchtigte Fragebogen erreichte, den er unausgefüllt zurücksandte, zusammen mit einem handschriftlichen Brief, in dem er sich über die angebliche Wissenschaftlichkeit der Ermittlung der rassischen Abstammung mokierte und sich zugleich selbstbewusst zu seiner jüdischen Identität bekannte: Mit den Forderungen wissenschaftlichen Denkens, dem Ausdruck zu geben ich als Dozent der Universität Heidelberg verpflichtet bin, scheint es mir nicht vereinbar, die Frage nach der Abstammung auf Grund der Kenntnis der Konfession von nur zwei Generationen klären zu wollen. Ich muß deshalb auf die Feststellung Wert legen, dass meine sämtlichen Vorfahren väterlicherseits und mütterlicherseits, so weit sie sich zurückverfolgen lassen, die jüdische Religion bekannten.65
Die Entlassung betraf zunächst nur Klibanskys Lehrauftrag an der Universität, während seine Aktivitäten an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften — die Arbeit an der Cusanus-Edition, zu der 1932 noch die Leitung der Meister EckhartEdition hinzugekommen war — noch nicht mit betroffen waren, da die Akademie institutionell von der Universität getrennt und unabhängig war.66 Klibansky erklärte sich gegenüber der Akademie mit dem Status eines freien Mitarbeiters einverstanden. (»Auf die mir […] ausgesprochene Versicherung, dass die Akademie auf meine weitere Arbeit für sie Wert lege und mir die Wahl eines beliebigen Wohnsitzes im Inland oder Ausland freistelle, erlaube ich mir, mitzuteilen, dass ich mich damit einverstanden erkläre, als freier Mitarbeiter zu den gleichen Bedingungen wie bisher die Geschäfte der Cusanus-Commission weiter zu führen.«67) Ernst Hoffmann, der sich sehr bemühte, Klibansky als seinen Hauptmitarbeiter an der Cusanus-Edition zu halten, sollte jedoch selbst in die Schusslinie der nationalsozialistischen Behörden geraten. Klibansky allerdings hatte schon sehr früh, gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die Lage in Deutschland illusionslos gesehen. Insbesondere der Anschlag auf die jüdischen Geschäfte am 1. April 1933, der auch seine eigene Familie bedrohte68, hatte ihm die Augen geöffnet und seine Entscheidung, Deutschland so bald wie möglich zu verlassen, schon zu diesem Zeitpunkt bestimmt. Ernst Hoffmann, der wegen einer jüdischen Großmutter selbst als »Nichtarier« galt, fühlte durchaus mit Klibansky und hatte dies auch in einem Brief an seinen Kollegen, den Präsidenten der Heidelberger Akademie Friedrich Panzer, zum Ausdruck gebracht. (»Ob wir einem feinfühligen Mann wie Klibansky noch zumuten können, im Dienst eines Staates zu arbeiten, der seine Glaubensgenossen unter das Niveau von Heloten herabdrückt«69, so äußerte sich Hoffmann im Brief an Panzer vom 31. März 1933.) Jener Brief aber wurde im Zuge der Ermittlungen bei einer Hausdurchsuchung bei Panzer gefunden und brachte Hoffmann im September 1933 ein gerichtliches Verfahren ein. »Diesen Satz konnte und kann ich nicht zurücknehmen«, berichtete er darüber wenig später seinem Schweizer Schwager Emil Zürcher. »Er ist m.E. sachlich begründet durch den Boykott des 1. April.«70 Auch Ernst Hoffmann wurde 1935 zwangsemeritiert, nicht zuletzt, weil er »lange Zeit mit einem polnischen Juden zusammengearbeitet«71 habe, konnte jedoch unter dem Dach der Heidelberger Akademie die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland überdauern. Klibansky brachte nach dem Anschlag auf die jüdischen Geschäfte am 1. April 1933 zuerst seine Mutter und Schwester in Sicherheit, indem er ihnen zur Ausreise
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nach Italien verhalf, wo sich der Vater geschäftlich aufhielt. Anschließend suchte er die Mitarbeiter der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in Hamburg von der Notwendigkeit einer baldigen Emigration zu überzeugen, — mit Erfolg, wie sich Fritz Saxl in seinem Bericht über »Die Geschichte der Bibliothek Aby Warburgs (1886-1944)«72 erinnert: Ein unvergessliches Erlebnis war damals der Besuch eines jungen aktiven Freundes des Instituts, Dr. R. Klibansky. Voller Entsetzen über das, was er sich an der Universität Heidelberg abspielen sah, deren Lehrkörper er angehörte, war ihm der Gedanke gekommen, ein Forschungszentrum außerhalb von Deutschland aufzubauen, in das die alte deutsche humanistische Tradition hinübergerettet werden sollte. Wir beschlossen, gemeinsam zu handeln. Die Institutsmitglieder — ohne Rücksicht auf ihre Rasse — und die Familie Warburg vereinbarten die Emigration.
Mit der finanziellen Unterstützung des amerikanischen Zweigs der WarburgFamilie konnte die gesamte Warburg-Bibliothek (etwa 60 000 Bücher) schon im Dezember 1933 auf zwei Schiffen nach England gebracht werden — wobei, wiederum durch Vermittlung Klibanskys, auch Friedrich Gundolfs Bibliothek mitgeführt wurde73 —, und wandelte sich dort mitsamt des größten Teils der Hamburger Belegschaft zum renommierten Warburg Institute, das 1943 der Universität London eingegliedert wurde. Für den wieder nach Heidelberg zurückgekehrten Klibansky aber begann zum Sommer 1933 das Spießrutenlaufen an der Universität. Am 8. Juni 1933 wendet sich das Ministerium in Karlsruhe an den Senat der Universität Heidelberg, mit der Bitte um Auskunft über Raymond Klibansky, der offenbar trotz der Beurlaubung »über den Umweg eines Stipendiums«74 weiter beschäftigt werde, wobei man sich auf eine Eingabe der Heidelberger Studentenschaft vom 2. Juni 1933 bezieht. Darin heißt es: »Die Studentenschaft Heidelberg sieht (in der Weiterbeschäftigung Klibanskys; R.W.) eine Sabotage der Regierungsmaßnahme zum Schutze des deutschen Beamtentums und bittet das hohe Ministerium, geziemend einzugreifen.«75 Ernst Hoffmann, zur Rede gestellt, widerspricht in einem Brief (o.D.) an den Heidelberger Rektor diesem Vorwurf —: Klibanskys Arbeitszimmer, das sog. »Cusanuszimmer« der Heidelberger Akademie, »welches der dort liegenden Handschriften wegen von Dr. Klibansky betreten werden muß«, liege im Lesehallengebäude, außerhalb der dortigen UniversitätsSeminarien. Hoffmann verweist auch auf ein beigefügtes Schreiben seines Heidelberger Kollegen, des Juristen Dr. Heinrich Mitteis, vom 16. Mai 1933, das die Probleme der Weiterbeschäftigung Klibanskys an der Heidelberger Akademie — und damit auch die Klibansky zugemuteten, demütigenden Begleitumstände — zur Sprache bringt: Die Tätigkeit des Herrn Dr. K. spielt sich in einem Raume des Seminariengebäudes (Augustinergasse 15) ab, der von den für die Studenten bestimmten Räumen des Philosophischen Seminars streng getrennt und gesondert zugänglich ist. Seine Tätigkeit bringt ihn auch nicht in Berührung mit Studenten, da keine studentischen Hilfskräfte beschäftigt werden, die er anzuleiten hätte. […] Herr K. ist außer Herrn Hoffmann der einzige Mitarbeiter des Unternehmens.
Auch Mitteis betont, dass ohne Klibansky die Cusanus-Ausgabe auf Jahre in Frage gestellt sein würde und »dass ein Handschriftenkenner vom Range Klibanskys kaum zu finden sein dürfte.« (16. Mai 1933)76
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Klibansky berichtet in den Gesprächen mit Georges Leroux, man habe ihm nach seiner Rückkehr aus Rom im Frühsommer 1933 — also nach seiner Rücksendung des unausgefüllten Fragebogens und seines herausfordernden Briefes an den Heidelberger Senat — den Zugang zu seinem Arbeitszimmer verwehrt, ja, er sei damals ins Visier der Nazischergen geraten: Unter dem Vorwand, Fotoaufnahmen aller Privatdozenten der Heidelberger Universität zu machen, habe ihn ein junger Mann fotografiert, der dann allerdings spurlos verschwunden sei.77 Dass Klibansky tatsächlich bedroht, möglicherweise auch steckbrieflich in Heidelberg gesucht wurde, bestätigt ein Brief Ernst Hoffmanns, den Klibansky Anfang August 1933 in Hamburg erhielt, kurz vor seiner Ausreise nach England. »Ich wollte Ihnen nur sagen«, schrieb Hoffmann, »dass Sie das Opfer eines hundsgemeinen Schurkenstreichs geworden sind, indem Sie einem Jüngling erlaubt haben, Sie zu photographieren. Die Sache ist leider so ernst, dass ich Sie bitten muß, in näherer Zeit nicht nach Heidelberg zu kommen, da hier Ihre persönliche Sicherheit gefährdet ist.« (5. Aug. 1933; DLA) Im selben Brief lässt Hoffmann Klibansky wissen, dass die entscheidenden Gelder für das Cusanus-Unternehmen weiter zur Verfügung stehen. (»Sie können also jetzt ruhig arbeiten, für ein Jahr sind wir gesichert.«), — er jedoch, wenn man ihn nach Klibansky fragen sollte, erklären würde, »Sie seien auf Reisen und arbeiten auf auswärtigen Bibliotheken.« Eine Bescheinigung Hoffmanns vom Juli 1933 wies Klibansky auch weiterhin als wissenschaftlichen Mitarbeiter der Heidelberger Akademie aus. (Hiermit bescheinige ich Herrn Dr. Raymond Klibansky, Mitglied der CusanusCommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, dass er nach England und Holland (London, Oxford, Cambridge, Leiden, etc.) reist, um dort im Auftrag der Akademie wissenschaftliche Arbeiten zu vollenden, die für die Cusanus-Edition der Akademie bestimmt sind. (10. Juli 1933; DLA)
Kurz nach dem 12. Juli 1933, dem zweiten Todestag Gundolfs, den er noch in Heidelberg begehen wollte, hatte Klibansky die Universitätsstadt am Neckar verlassen, und zwar unter Zurücklassung seines gesamten wissenschaftlichen Apparats an seinem Arbeitsplatz, den er laut Dekret der Badischen Regierung nicht mehr aufsuchen durfte. Er erzählte später gern, auf welch abenteuerliche Weise er seine Ausreise aus Deutschland bewerkstelligte. Klibansky forderte bei der Deutschen Botschaft in Paris einen Diplomatenpass an, wegen der Bücher, die er bei seinen Bibliotheksrecherchen im Ausland mit sich führen müsse, und er erhielt diesen auch.78 »An der holländischen Grenze tat ich sehr von oben herab. Als die Nazis den Vermerk ›Diplomatisches Gepäck‹ sahen, fragten sie mich, ob alles in Ordnung sei. Unbehindert passierte ich die Grenze, mit einigen meiner seltenen Bücher, darunter Gundolfs Geschenke.«79 Fortan war das Cusanus-Zimmer verwaist, wie der im Sommer 1933 noch in Heidelberg weilende Heinrich Zimmer in einem Gruß an Klibansky nach England bestätigt: »Gestern führte mich mein Weg ins Seminarienhaus und ich stieg noch einmal die Treppe hinauf zum Cusanus-Zimmer, aber es klang hohl und leer, war wie ein hortus conclusus, ein fons sigillatus.« (o.D.; DLA) Auch in Hamburg war den an der Universität lehrenden jüdischen Mitarbeitern der K.B.W. aufgrund des nationalsozialistischen Berufsbeamtentumsgesetzes gekündigt worden.80 Fritz Saxl, Edgar Wind und Gertrud Bing gingen, wie auch Klibansky, mit der K.B.W. ins englische Exil, während Panofsky 1934 in die USA (Princeton) emigrierte, und Ernst Cassirer, nach Stationen in England und Schweden, seine letz-
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ten Lebensjahre — er starb 1945 in New York — im amerikanischen Exil verbrachte. In Hamburg blieben zunächst noch einige jüngere Mitarbeiter zurück, darunter Walter Solmitz und Lotte Labowsky, die sich der Arbeit an einer umfangreichen, kritischen Bibliographie widmeten: der Kulturwissenschaftlichen Bibliographie zum Nachleben der Antike (A bibliography on the survival of the classics)81, für die auch Klibansky zahlreiche Beiträge verfasste. Als 1934 der erste Band erschien — bereits in London redigiert, doch, wie seit 1931 geplant, in Leipzig bei Teubner verlegt und gedruckt82 —, löste die Publikation bei der nationalsozialistischen Presse eine Hetzkampagne auf die noch in Deutschland verbliebenen »Warburgianer« aus. Unter der Überschrift »Juden und Emigranten machen deutsche Wissenschaft« attackierte Martin Rasch im Völkischen Beobachter vom 5. Januar 1935 in einer der Warburg-Bibliographie gewidmeten Rezension (»deren Ignoranz ihrer Unverschämtheit entsprach«; Fritz Saxl83), die trotz des Erlasses der Nürnberger Gesetze immer noch funktionierende wissenschaftliche Zusammenarbeit. Zu den namentlich angegriffenen »Nichtariern« gehörten, neben Walter Solmitz und Lotte Labowsky, auch die Anfang 1935 noch in Deutschland weilenden jüdischen Autoren Elsbeth Jaffé, Hans Liebeschütz, Paul Ruben und Richard Salomon.84 Noch im März 1937, zwei Jahre später, klagte der am Hamburger Kunsthistorischen Seminar tätige Privatdozent Werner Burmeister, ein bekennender Nationalsozialist, darüber, dass »das Seminar größtenteils aus Juden, Halbjuden oder solchen, die in dem jüdisch gerichteten Fahrwasser der Hamburger geistigen Kreise leben, wie es in Vollkommenheit durch ihr geistiges Zentrum, die Bibliothek Warburg« dargestellt werde, bestehe.85 Walter Solmitz, der erst im Dezember 1938, nach achtwöchiger Internierung im Konzentrationslager Dachau, mithilfe eines von Saxl und Bing vermittelten Durchgangsvisums nach England emigrieren konnte (er konnte in England bleiben, bis die mit seiner USA-Quotennummer verbundene Wartefrist abgelaufen war), arbeitete außerdem seit 1934 gemeinsam mit Klibansky an einer Ernst Cassirer-Bibliographie für die von Klibansky geplante Festschrift zum 60. Geburtstag des Philosophen.86 Gertrud Bing, die in einem Brief an Edith Geheeb, Solmitz’ »Schutzmutter« von der Odenwaldschule, über Solmitz’ mangelnde Lebenstüchtigkeit klagt, sah sich anscheinend von Klibansky, »der zwar die Freundschaft und Bewunderung für ihn teilt«, wenig unterstützt. Auch Raymond beschränke sich darauf, »in der idealen, gedanklichen Welt, in der sie sich beide meisterhaft bewegen, mit ihm zu verkehren«. (25. Nov. 1936)87 Doch auch Klibansky leistete seinen Beitrag zur Rettung des Freundes aus dem KZ Dachau: Er lud ihn an das Oriel College in Oxford ein, wobei er, wie Joist Grolle berichtet, »das Einladungsschreiben aus taktischen Gründen auf ein Datum vordatierte, das vor der ›Reichskristallnacht‹ « (dem Datum von Solmitz’ Verhaftung; R.W.) lag.88 Solmitz allerdings konnte mit seiner Frau Elly Solmitz-Reis schon Ende Mai 1940 weiter in die USA ziehen. Die unter den erschwerten Bedingungen des Exils von Klibansky herausgegebene Festschrift für Cassirer (Philosophy and history. Essays. Presented to Ernst Cassirer89) sollte ein Dokument der Solidarität mit dem aus Deutschland vertriebenen Philosophen sein. Klibansky warb um Beiträger aus ganz Europa und konnte in der erst 1936, zwei Jahre nach Cassirers 60. Geburtstag erschienenen Publikation viele illustre Namen vereinen. (Das Buch enthält Beiträge von Johan Huizinga, Leiden; Etienne Gilson, Paris; Giovanni Gentile, Rom; Erwin Panofsky, Princeton, u.a.) In einem Brief an Ortega Y Gasset bringt Klibansky sein Anliegen, die Festschrift als ein Dokument der wissenschaftlichen Emigration aus dem Dritten Reich zu konzipieren, zum Ausdruck: »Der Charakter der Festschrift ist ein wissenschaftlicher, ohne irgend-
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eine politische oder sonstige Tendenz (eine solche wäre dem Wesen des zu Feiernden völlig entgegengesetzt)«, schreibt er. Doch werde […] die Festgabe durch die Tatsache, dass sich hervorragende Gelehrte der verschiedensten Länder und philosophischen Richtungen an ihr beteiligten, über die Ehrung hinaus als Zeichen der Sympathie für einen von der Stätte seiner Wirksamkeit vertriebenen Gelehrten wirken, vielleicht auch — lediglich durch die Tatsache ihres Vorhandenseins — als Manifestation der Verbundenheit europäischer und amerikanischer Denker gegenüber vernunftlosen Gewalten, die heute an vielen Stellen der Welt durch übermächtigen Eingriff in das Leben geistiger Menschen den stetigen Gang freier wissenschaftlicher Forschung zu hindern suchen. (18. Juni 1934, London; DLA)
Im Jahr 1934 war Klibansky zunächst als Honorary Lecturer am King’s College, University of London, im Fachbereich Philosophie tätig. Dort erwarb er den Grad eines Magister Artium und war dann von 1936 bis 1948 Lecturer am Oriel College in Oxford. Das Angebot einer Assistentenstelle beim Philosophischen Fachbereich der Universität Glasgow 1934 lehnte er ab, da er als aktives Mitglied des Warburg Institutes im Londoner Umfeld bleiben wollte.90 (Durch Vermittlung Klibanskys erhielt Heinrich Cassirer die Glasgower Assistentenstelle.91) Auch seine Mutter und Schwester holte er nach London, nachdem sein Vater schon 1935 gestorben war, und übernahm die Versorgung der Familie. (»I take upon myself the responsibility of maintaining permanently my mother and sister.«92) Finanzielle Unterstützung erhielt er in London von der bei der Royal Society untergebrachten Society for the Protection of Science and Learning (anfangs: Academic Assistance Council).93 In seinen Kursen und Seminaren am Warburg Institute blieb Klibansky dem Thema der platonischen Tradition, des mittelalterlichen Platonismus, treu. So findet sich im Programmanzeiger des Warburg Institutes vom Frühjahr 1936 (Lectures, courses, classes [DLA]) eine Vorlesung »Readings in Mediaeval Philosophy« des Dr. R. Klibansky, King’s College, London, und im November desselben Jahres erwähnt Gertrud Bing in ihren Ausführungen über das laufende Programm des Warburg Institutes auch eine Veranstaltung Klibanskys über »Platonismus des 12. Jahrhunderts« (»Religion and Science in the Twelfth Century«).94 Seine Vorlesungen über mittelalterliche Philosophie wurden offenbar auch an den englischen Colleges geschätzt, wie er den belgischen Benediktiner Dom H. Bascour nicht ohne Stolz wissen lässt: »La philosophie médiévale ne figure pas dans le cours de philosophie des universités anglaises; les professeurs du Collège […] m’informent que les étudiants ont maintenant demandé d’inclure la pensée du moyen age dans leur plan d’étude. Ce résultat m’a fait plaisir.« (20. März 1937; DLA) Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs konnte Klibansky von London aus, in enger Verbindung mit dem Warburg Institute, mit mehr oder weniger Erfolg seine editorischen und philosophiegeschichtlichen Projekte fortsetzen. Die Meister Eckhart-Ausgabe, auf die ich noch näher eingehen möchte, musste 1936, mit dem Erscheinen des dritten Faszikels beim Felix Meiner Verlag in Leipzig, abgebrochen werden. Von der Cusanus-Ausgabe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften waren 1932 die ersten beiden Bände, herausgegeben von Hoffmann und Klibansky, ebenfalls bei Felix Meiner erschienen. Doch erst 1959, nach dem Zweiten Weltkrieg, als Klibansky schon ein Jahrzehnt in Montreal, Kanada, lebte und lehrte, wurde die von Klibansky edierte Cusanusschrift De pace fidei (schon 1956 vom Warburg Institute, London, veröffentlicht) auch von der Cusanus-Commission der Heidelberger
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Akademie der Wissenshaften als Band VII der Cusanus-Ausgabe übernommen.95 Die Arbeit an dieser für Klibansky zentralen Schrift des Cusanus reicht jedoch auch bis in die dreißiger Jahre des englischen Exils zurück, wie seine Korrespondenzen mit Ernst Hoffmann, Heidelberg, zeigen. Die Schrift über den Religionsfrieden De pace fidei wurde vom Kardinal Nikolaus von Kues 1453 unter dem Eindruck des Falls von Konstantinopel verfasst, als die obersten Gremien der römischen Kurie, zu der Cusanus gehörte, über militärische Gegenzüge nachsannen. Cusanus imaginiert in De pace fidei ein Religionsgespräch von Vertretern verschiedener Glaubensrichtungen und kommt zum Ergebnis, dass die Vielfalt der religiösen Riten nicht unterdrückt, sondern toleriert werden sollte, ja, dass deren Wertschätzung Frömmigkeit und Frieden mehre. Im Warburg-Prospekt der Cusanusschrift von 1956 zitiert Klibansky den Kardinal: »To seek exact conformity in all things is to endanger the peace; and to strive for perpetual peace is for Nicholas one of the principal tasks of the Church and the aim of political action.«96 Zur Maxime des Cusanus aber bekannte sich Klibansky auch schon 1936 im Vorwort zur Cassirer-Festschrift Philosophy and history —: »The maxim proclaimed by Nicholas of Cusa in his struggle against the fanatical imposition of uniformity: Una veritas in variis signis varie resplendet.«97 Noch Kurt Flasch betont in seiner Nikolaus von Kues-Studie von 1998 Klibanskys Verdienste um die Erforschung der Cusanusschrift De pace fidei: »Ihre Stellung in der Vorgeschichte der Toleranzidee und ihre Nachwirkung ist insbesondere durch Raymond Klibansky erforscht und dargestellt worden.«98 Schon 1934 hatte Klibansky die Verbindung zum deutschen Aufklärer G. E. Lessing entdeckt, der in seinem dramatischen Gedicht Nathan der Weise (1779) eben diese Weisheit des Cusanus — eine Wahrheit in vielerlei religiösen Riten — kund tut, in direkter Anknüpfung an Nikolaus von Kues. (»It is proved, that its rediscovery in the 18th century was due to the most vigorous exponent of the idea of toleration and mutual understanding, Gotthold Ephraim Lessing.«99). Lessing, dem im Verlauf des Streits mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze jede weitere theologische Publizistik verboten worden war — er wich dann mit Nathan dem Weisen in die Dichtung aus —, hatte, wie Klibansky zeigen konnte, eine Übersetzung der Cusanusschrift De pace fidei angeregt, deren Erscheinen nur durch seinen Tod verhindert wurde. Am 5. Februar 1934 schreibt Klibansky — mit dem Vermerk »Abends« — sehr bewegt aus London an Ernst Hoffmann: Seit gestern habe ich die Dokumente, die die — ideengeschichtlich ja klar zu Tage liegende — Verbindung Lessings und seines Kreises mit Cusanus im Einzelnen philologisch exakt beweisen. Es zeigt sich z.B., dass Nathan und De pace fidei nicht nur so zusammen hängen wie Anfang und Ende einer ununterbrochenen geistigen Filiation, nicht nur wie zwei Werke, die durch das Medium eines Dritten (Bodin) in Verbindung stehen: ganz unvermittelt ist das eine Werk Pate des anderen. — Lessing als Anreger einer Cusanus-Übersetzung, — dies Faktum hat etwas derart Beglückendes und Bestätigendes, dass ich kaum begreife, wie diese Zusammenhänge mir jetzt erst deutlich geworden sind. Ich werde eine kurze Note darüber schreiben und Ihnen zuschicken. (Zur Geschichte des deutschen Humanitätsgedankens). (5. Feb. 1934, DLA)
Auch Hoffmanns Reaktion auf die »herrlichen Lessingiana« klingt nicht weniger hoch gestimmt:
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Ich beglückwünsche Sie von ganzem Herzen zu dieser wunderbaren Entdeckung. Nichts könnte für unsere Auffassung von deutscher Geistesgeschichte und deutscher Mission wichtiger sein als das Auffinden dieses bisher in der Kette noch fehlenden Gliedes. […] Nicht wahr, Sie werden diese Sache in die Cassirer-Festschrift geben? Kein anderer Beitrag könnte ja so gut passen. (26. Feb. 1934; DLA)
Ein solcher Beitrag erschien zwar nicht in der Cassirer-Festschrift, doch diente Klibansky auch nach 1945 zur Zeit des Kalten Krieges der Verbreitung des Toleranzgedankens mit Publikationen wie John Lockes Brief über Toleranz, der, in viele Sprachen übersetzt, 1957 auch als zweisprachiger Text (englisch-deutsch) im Verlag Felix Meiner, nunmehr Hamburg, erschien. Publiziert in der von Klibansky initiierten Schriftenreihe »La philosophie et la communauté mondiale« unter der Schirmherrschaft des Institut International de Philosophie, Paris, sollten diese von ihm aufgefundenen Texte […] die Arbeiten bedeutender Autoren über Recht und Freiheit, Frieden und Toleranz aus dem Lande ihres Ursprungs in solche Länder tragen, in denen ihre Theorien weniger wirksam sind. Sie wollen Einsichten vermitteln, um Fanatismus, Tyrannei und Unduldsamkeit zu bekämpfen, Vorurteile ausräumen und […] der Verständigung einen festen Grund schaffen.100
Im englischen Exil hatte Klibansky die englischen Aufklärer David Hume und John Locke kennengelernt. Das Studium ihrer Texte ermöglichte ihm, wie er in den Gesprächen mit Georges Leroux erklärt, ein tieferes Eindringen in die bis dahin wenig vertraute englische Sprache. Generell trat die europäische Dimension der abendländischen Geistesgeschichte im Exil stärker in den Vordergrund, was auch an dem 1936 begonnenen großen Editionsprojekt des Corpus Platonicum Medii Aevi — einer Reihe von Kommentaren und Übersetzungen platonischer Schriften aus arabischen, jüdischen und christlichen Quellen — sichtbar wird. Das Projekt startete unter den Auspizien des Warburg Institute, London, mit finanzieller Unterstützung der British Academy, und die erste Publikation konnte noch 1940, kurz vor Kriegsausbruch, erscheinen. Ende 1936 setzte Fritz Saxl Panofsky in Princeton davon in Kenntnis: »Mit Klibansky haben wir ein Corpus des lat. und arab. Plato zusammengebracht, das die hiesige Akademie herausgeben wird. Ich rechne auf 3-5 Jahre Arbeitszeit. Die Mitarbeiter und Mittel sind nun Gott sei Dank beisammen. Es war Mühe genug.«101 Klibansky, der als General Editor fungierte, mit Charlotte Labowsky als seiner Assistentin102, kommentierte seine Arbeitsprojekte im englischen Exil in einem Brief vom Mai 1937: »In den vergangenen Jahren haben die Kämpfe um Eckhart und Cusanus mir viel Zeit geraubt. Dazu kamen die Vorlesungen und Vorträge und die Vorbereitung meines ›Corpus Platonicum‹, das jetzt auch von der ›Union Académique Internationale‹ akzeptiert worden ist.«103 In seiner 1939 veröffentlichten Programmschrift zum Corpus Platonicum Medii Aevi —: The continuity of the Platonic Tradition during the Middle Ages104 — arbeitete er mit Blick auf Cusanus die Kontinuität der platonischen Tradition heraus. »Ich bemühe mich«, schrieb er am 26. Januar 1938 an Cassirer, »hier u.a. zu zeigen, dass in der platonischen Literatur des Mittelalters — vor allem in den von mir aufgefundenen Timaios-Kommentaren und in den Schriften Thierrys von Chartres — sich die Ansätze finden, die zum modernen Begriff der Naturwissenschaft führen«. (DLA) Ernst Kantorowicz rezensierte diese Schrift 1941 für die Philosophical Review, wie er Gertrud Bing in London wissen ließ —:
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RAYMOND KLIBANSKY I recommended it to be read by every teacher at American Universities who deals with mediaeval »Cultural History« (and they all do) in order to prevent students from memorizing the most atrocious errors. I really consider it the best guide through mediaeval Platonism and I myself was fascinated by the innumerable sideglances and aspects, important and new, of an old and practically unknown compound of problems.105
Bereits 1936 hatte er in einem kleinen aber Aufsehen erregenden Beitrag »Standing on the shoulders of giants«106 in der Zeitschrift Isis die Rolle der Schule von Chartres im 12. und 13. Jahrhundert im Kontext der platonischen Tradition neu gewertet —: Schon Bernhard von Chartres, der führende Kopf der Schule von Chartres, habe die antiken Autoren eingehend studiert und auf diesem geistigen Fundament aufgebaut, wie der auf ihn — und nicht, wie oftmals behauptet wurde, auf den jüngeren Newton — zurückgehende Aphorismus »Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen« deutlich mache.107 »Nach einer Latenzzeit von zweihundert Jahren«, so erklärt Klibansky in den Gesprächen mit Georges Leroux, mache sich der Einfluss der Meister von Chartres erneut in den Lehren des Nikolaus von Kues an der Wende zur Neuzeit geltend. »Dieses geistige Band zwischen dem Philosophen der Renaissance, den seine Zeitgenossen il grande platonista nannten, und den Platonikern des 12. Jahrhunderts ist ein eindrucksvoller Beleg für die Kontinuität der platonischen Tradition.«108 Es scheint, dass es Klibansky bei seiner Deutung des abendländischen Platonismus nicht zuletzt um die eigene geistige Beheimatung geht, in der er auch sein Judentum aufgehoben sieht. »Es dürfte vor allem dem lateinischen Timaios und seinem Kommentar zu verdanken sein«, resümiert er die Entwicklung, »dass der Wunsch nach einer rationaleren Erklärung des Universums sich in den Versuchen niederschlug, die platonischen und mosaischen Erzählungen aufeinander abzustimmen, die biblische Genesis mit den Kategorien griechischer Wissenschaft und mit Begriffen zu interpretieren, die seither zum festen Bestand des abendländischen Denkens gehören.«109 Georges Leroux, der als Student Klibanskys Vortrag an der McGill-University in Montreal über den Text des Timaios über die menschliche Natur und die Bedeutung der Vernunft hörte (jenen »berühmten Text, in dem das Band, das den Menschen mit der Gottheit verbindet, sehr eindrucksvoll und bilderreich beschrieben wird«110), fragt den Philosophiehistoriker am Ende seines langen Lebens, ob das von Platon gezeichnete Menschenbild noch immer Gültigkeit für ihn habe, — »ob wir uns nach Auschwitz noch in diesem ›überirdischen Geschöpf‹ wieder erkennen können.«111 Klibanskys Antwort darauf lautet: Gewiß würde Auschwitz für Platon eines dokumentieren: nämlich dass die negative Seite die Oberhand gewonnen hat. Dies aber macht es nur umso wichtiger und notwendiger, daran zu erinnern, dass der Mensch nicht auf das zu reduzieren ist, was das nationalsozialistische Regime aus ihm gemacht hat. An diesem allerniedrigsten Punkt der Entwicklung der Menschheit war der göttliche Funke gänzlich verborgen, dennoch gab es eine kleine Minderheit — Platon würde sagen, es hat sie immer gegeben —, in der der Funke nicht erloschen, die sich seiner bewusst war, die gelitten hat. Die Mehrheit ist für Platon niemals ein Argument gegen seine Philosophie. Im Gegenteil, gerade an ihr zeigt sich Platon zufolge die Notwendigkeit, sich des göttlichen Ursprungs und dessen zu erinnern, was den Menschen über die alltäglichen Bedürfnisse, die alltäglichen Leidenschaften, über den Willen erhebt, andere zu beherrschen und geringzuachten. Nur dieser Glaube, würde Platon sagen, ermöglicht das Überleben der Menschheit als einer Kraft für das Gute.112
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Der Streit um die Meister Eckhart-Ausgabe Nach seiner Habilitation im Sommer 1932 und der Aufnahme als Mitglied in die Cusanus-Commission der Heidelberger Akademie war die Übertragung der Leitung der geplanten Gesamtausgabe der Schriften Meister Eckharts unter der Schirmherrschaft der Heidelberger Akademie im Dezember 1932 (Beschlussfassung am 1. März 1933) der Höhepunkt der wissenschaftlichen Laufbahn Klibanskys innerhalb der deutschen Universitätslandschaft, bevor er bereits im Sommer 1933 ins englische Exil ging. Schon am 3. März 1933 sandte Ernst Hoffmann als Stellvertretender Sekretär der Heidelberger Akademie und Leiter der Cusanus-Commission eine Reihe Briefe an die in Frage kommenden, künftigen Mitarbeiter des neuen Editionsprojekts, mit deutlichem Hinweis auf die Rolle Klibanskys als Projektleiter und Ansprechpartner bereits in der Planungsphase. »Ich werde ihm auch künftighin gern als der ältere und erfahrenere Kollege beratend zur Seite stehen, aber seine Befugnisse werden selbstständig sein und ich werde lediglich in den Akademiesitzungen selbst seine organisatorische und eigene wissenschaftliche Arbeit an Meister Eckhart vertreten«, schrieb Hoffmann dem katholischen Bonner Theologen Bernhard Geyer und lud ihn zur Mitarbeit ein. »Namens der Akademie darf ich Ihnen aussprechen, dass wir es mit besonderer Freude begrüßen werden, wenn Sie, hoch geehrter Herr Kollege, und der Kreis der Bonner Eckhartforscher an diesem neuen Unternehmen unserer Akademie nach Klibanskys Plan mitarbeiten werden.« (3. März 1933; DLA) Neben den Bonner Wissenschaftlern Bernhard Geyer und Joseph Quint, der 1932 mit einer Edition der deutschen Predigten Meister Eckharts113 hervorgetreten war, gehörte auch der renommierte katholische Theologe und Philosoph Joseph Koch aus Breslau zum Kreis der deutschen Wissenschaftler, die schon in der Planungsphase kontaktiert wurden; Koch sollte die Leitung der Edition der lateinischen Schriften übertragen werden. Schon zu Beginn des Unternehmens aber gab es Kommunikationsprobleme mit den Berliner Eckhart-Forschern, dem protestantischen Theologen Erich Seeberg und seinem Schüler, dem Privatdozenten Konrad Weiss, die sich bereits im Winter 1932/33 gegen Klibanskys Plan einer Gesamtausgabe der Schriften Meister Eckharts nach dem Vorbild der Cusanus-Ausgabe der Heidelberger Akademie wandten und diesen zu blockieren suchten. »Das einzig erstrebenswerte Ziel ist eine würdige Gesamtausgabe der Werke Meister Eckharts, der lateinischen und der deutschen«, so hatte Klibansky am 23. Dezember 1932 an Seeberg geschrieben, der jedoch Klibanskys Plan einer Gesamtedition — »Ihren Plan, der vielleicht der Plan der Heidelberger Akademie sein wird« (12. Jan. 1933; DLA) — in weite Ferne zu rücken suchte und stattdessen eine Voredition, eine »vorläufige«, »provisorische« Ausgabe von EckhartSchriften befürwortete. Dennoch schrieb Ernst Hoffmann am 3. März 1933 auch an Erich Seeberg und lud ihn nachdrücklich zur Mitarbeit am »Eckhart-Unternehmen« ein, nicht ohne nochmals zu betonen, dass »auf meinen Vorschlag Klibansky als verantwortlicher Redaktor fungieren und auch die Korrespondenz selbstständig führen wird«. (3. März. 1933) Ende März 1933 kam jedoch die abschlägige Antwort aus Berlin: Man wolle nach wie vor nicht »auf eine Voredition verzichten«, womit aus Sicht der Berliner Eckhart-Forscher das »Ziel der Gesamtedition noch sehr weit hinausgeschoben« sei. (30. März 1933, K. Weiß an R.K.; DLA) Zustimmung erfuhr der neue Editionsplan unter den Auspizien der Heidelberger Akademie von dem Münchner Theologen und Philosophen Martin Grabmann, der in einer sehr positiven Rezension der 1932 erschienenen ersten beiden Publikationen
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der Cusanus-Ausgabe den Wunsch äußerte, »dass die nämliche Akademie auch bald eine Gesamtausgabe der lateinischen Werke Meister Eckharts […] in der gleichen Form veranstalten möge«.114 Grabmann lobte insbesondere den Quellenapparat, der die kritische Edition der Cusanus-Schriften ergänzte. Er hob die »intime Kenntnis« hervor, die sich Klibansky von der Handschriftensammlung des Cusanus erworben habe, sowie seine »Verwertung der zahlreichen Randbemerkungen aus der Hand des Kardinals«. Die »reiche Erwähnung und Verwertung früherer Autoren für die Stellung des Cusanus zur mittelalterlichen Scholastik, Mystik (Meister Eckhart) und Naturwissenschaften« sei als »eine wirklich ganz hervorragende wissenschaftliche Tat zu bezeichnen«. Insbesondere Klibanskys »Nachweis seiner (Cusanus’; R.W.) Abhängigkeit von der neuplatonisch gerichteten, zugleich humanistisch und naturwissenschaftlich interessierten Schule von Chartres des 12. Jh.s« sei beachtenswert. Der Meister Eckhart-Editionsplan der Heidelberger Akademie war kaum unter Dach und Fach, als das Unternehmen bereits im April 1933 — mit dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 und der Entlassung Klibanskys als Privatdozent der Heidelberger Universität — wieder aufgegeben werden musste. »Um der Akademie alle etwaigen (aus dem Arierparagraphen erwachsenen) Schwierigkeiten zu ersparen, habe ich ihr das mir übertragene Amt des verantwortlichen Redaktors der Ausgabe zurückgegeben«, berichtete Klibansky Felix Meiner. Daraufhin hat die Akademie es mir — wie allen anderen Forschern, mit denen sie in Verbindung getreten war — freigestellt, die zum Druck vorbereiteten Eckhart-Texte anderwärts erscheinen zu lassen. Damit war die Verwirklichung des Gedankens der Gesamtausgabe wiederum auf unbestimmt lange Zeit hinausgeschoben. (1. Juli 1933; DLA)
In dieser trüben Situation eröffnete sich dem im April 1933 zu CusanusRecherchen in der Biblioteca Vaticana in Rom weilenden Klibansky eine neue Möglichkeit: Er lernte den französischen Dominikaner und Gelehrten Gabriel Théry kennen, Leiter des Historischen Instituts Sta. Sabina in Rom, der ebenfalls im Bereich der Meister Eckhart-Forschung tätig war und sich gern an einer Gesamtausgabe der lateinischen Schriften Eckharts beteiligen wollte. Dank seiner einflussreichen Stellung als Präsident des römischen Instituts konnte Théry Klibansky eine gemeinsame Fortführung des in Heidelberg begonnenen Editionsprojekts nunmehr unter den Auspizien des Dominikanerordens anbieten. Dabei sollten die deutschen Eckhart-Forscher als Mitarbeiter und Felix Meiner als deutscher Verleger der Ausgabe erneut gewonnen werden und Klibansky selbst sollte mit Théry die Leitung übernehmen. »Zu meiner nicht geringen, freudigen Überraschung bot mir P. Théry die ehrenamtliche Leitung der Serie an«, ließ Klibansky Felix Meiner wissen. Ich habe ihn gefragt, ob er denn gar keine Bedenken habe, an einer von seinem Institut herausgegebenen Serie einen Nicht-Katholiken an leitender Stelle mitarbeiten zu lassen. Er gab zur Antwort, dass es ihm und seinem Orden in der Wissenschaft nicht darauf ankomme, ob ein Forscher »catholique ou israélite, protestant ou francmaçon sei«. (1. Juli 1933; DLA)
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Die unterschiedliche Konfessionszugehörigkeit stand der freundschaftlichen Beziehung und guten Zusammenarbeit zwischen Théry und Klibansky nicht im Wege, wie auch Thérys Briefe an den »cher ami« im Nachlass Klibanskys zeigen. Kaum hatte Klibansky in seinem Schreiben vom 1. Juli 1933 Felix Meiner den neuen Editionsplan erläutert und ihn erneut als Verleger der »römischen« Ausgabe gewonnen, da schaltete sich Erich Seeberg, unterstützt durch die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, von Berlin aus in die mit den Breslauer und Bonner Wissenschaftlern wieder aufgenommenen Verhandlungen Klibanskys ein. Joseph Koch, der bereits »sehr erfreut«115 zugestimmt hatte, und Joseph Quint wurden nach Berlin bestellt, wo am 14. Juli 1933 unter Leitung Seebergs und der Notgemeinschaft eine »deutsche« Eckhart-Commission gegründet wurde, die nun auch eine Gesamtausgabe seiner Werke in Zusammenarbeit mit den deutschen Eckhart-Forschern plante und damit das »römische« Eckhart-Unternehmen zu torpedieren suchte. Dies geschah nunmehr auf der Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie. Längst schon war Meister Eckhart von den Nationalsozialisten als »deutscher Mystiker«, als Begründer der nationalsozialistischen Weltanschauung vereinnahmt worden. Der Parteiideologe Alfred Rosenberg hatte fast ein Drittel seines 1930 erstmals erschienenen Buches Der Mythus des 20. Jahrhunderts Meister Eckhart gewidmet, den er als »Schöpfer einer neuen Religion, unserer Religion«116, der »antirömischen Religion«117 feierte. »Eckeharts Seelenlehre« aber richte sich allein »an die Träger des gleichen oder verwandten Blutes […], nicht an seelisch Fremde und blutsmäßig Feindliche«.118 Klibansky, der sich Ende Juli 1933 bereits in Hamburg auf dem Absprung ins englische Exil befand und dort auf Nachricht von Joseph Koch wartete, den er um Aufklärung der Lage gebeten hatte, erhielt am 2. August 1933 ein mysteriöses Telegramm: »Unmöglich. Quint kann Auskunft geben. Koch.« (Original der Depesche vom 2. Aug. 1933 im Nachlass.) Bald darauf erreichte ihn, wie er später Felix Meiner berichten sollte, ein seltsamer Brief, […] in dem mir angeboten wurde (am 9. September), man wolle mir alle Papiere, Photos, Abschriften etc. zu einer Ausgabe der lateinischen Übersetzung des »Dux neutrorum« des Maimonides geben, wenn ich von der Eckhart-Ausgabe zurücktrete! Außerdem ließ man durchblicken, dass das Eingehen auf diesen Tausch mir bei einflussreicher Stelle günstig angerechnet werden würde. Sollte ich aber nicht auf diesen Tausch eingehen, so müsse ich einsehen, dass es keinen Zweck habe, die Ausgabe von Sta. Sabina fortzusetzen; denn sie sei von Anfang an dazu verurteilt, Torso zu bleiben; insofern nämlich als die in Berlin neu aufgefundene Handschrift119 uns verschlossen bleiben werde. (15. Feb. 1935; DLA)
Seinen Bericht ergänzte Klibansky mit dem Kommentar: »Dass ein solcher wissenschaftlicher Kuhhandel, wie er mir zugemutet wurde, nicht in Frage kam, versteht sich von selbst.« (15. Feb. 1935)120 Dem Juden Maimonides und nicht dem Deutschen Meister Eckhart sollte Klibansky sich demnach widmen. Fast um jeden Preis also suchte Erich Seeberg die Realisierung einer »römischen« Eckhart-Ausgabe zu verhindern. Unter der Diktatur des Nationalsozialismus konnte er zwar die deutschen Eckhart-Forscher auf das »deutsche« Eckhart-Unternehmen verpflichten, doch der Leipziger Verleger Felix Meiner hielt an den mit Klibansky und Théry getroffenen Vereinbarungen fest. Ja, Meiner sah in dem neu zusammengestellten Mitarbeiterkreis, der belgische und französische Gelehrte des Dominikanerordens einbezog, eine Chance, seinem Verlag
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auch im Ausland eine breitere Basis zu verschaffen. Die vielfach lateinischen philosophischen Schriften, die er verlegte, wiesen ohnehin über die nationale Gebundenheit an den deutschen Sprachraum hinaus. Eben diese internationale Einbettung ermöglichte es auch Klibansky, noch im englischen Exil gemeinsam mit Ernst Hoffmann und Felix Meiner an der Cusanus- wie der Meister Eckhart-Ausgabe weiterzuarbeiten. Erst 1936, nach Erlass der Nürnberger Gesetze, sahen sie sich zur Aufgabe des Unternehmens gezwungen. Nachdem die Machenschaften hinter den Kulissen die Fortsetzung des »römischen« Eckhart-Unternehmens nicht verhindern konnten, setzte Seeberg seinen rassistischen Feldzug mithilfe einer mehr oder weniger gleichgeschalteten deutschen Presse fort. In einer Ankündigung der »Deutschen Gesamtausgabe der Werke Meister Eckharts« in der Deutschen Literaturzeitung (19. Nov. 1933) findet auch der »andere Plan« Erwähnung. Der Vorzug der deutschen Ausgabe jedoch werde darin bestehen, »dass sie neben den lateinischen die deutschen Schriften Eckharts bringt, auf denen vor allem des Meisters Bedeutung als religiöser Führer beruht«. — »Wir werden also nicht darauf angewiesen sein«, heißt es abschließend, »das deutsche Geisteserbe Meister Eckharts aus den Händen von Fremden wieder entgegennehmen zu müssen, sondern deutsche Gelehrte werden es uns in einer deutschen Ausgabe schenken.«121 Doch noch gab es auch andere Stimmen, denen eine wissenschaftlich unseriöse Eckhart-Forschung Angriffsflächen bot. Meister Eckhart ließ sich eben nicht auf den schlichten, deutschen Dominikanermönch aus Sachsen reduzieren, er war auch der lateinischsprachige Gelehrte, der die großen arabischen und jüdischen Philosophen zitierte und zweimal (1302 und 1311) den Lehrstuhl des Hl. Thomas an der Universität von Paris innehatte. So schreibt Hans Barth in der Neuen Zürcher Zeitung (8. Apr. 1934) in Erwartung der Sta. Sabina-Edition: »Die geplante Ausgabe der lateinischen Schriften Eckharts wird hoffentlich dazu beitragen, alle jene Legenden über die nordisch-arische Frömmigkeit dieses Mystikers allmählich zu zerstören.« — Ironisch greift er bald danach nochmals die »deutschen Glaubensbewegung« an: Die Vertreter der deutschen Glaubensbewegung belegen Meister Eckhart für sich mit Beschlag. Sie stellen sein gesamtes Schaffen in einen ausgesprochenen Gegensatz zu den scholastischen Traditionen der mittelalterlichen Philosophie und Theologie. Eckhart wird zum Empörer gegen den römischen Katholizismus und das »orientalische« Christentum. In ihm bricht zum ersten Mal auf deutschem Boden das nordisch-germanische, lang unterdrückte, kosmische Lebens- und Gottesgefühl durch, um sich in einer artgemäßen, pantheistischen, gottseligen Mystik zu formen. Eckhart ist — um es ganz unpathetisch zu sagen — der erste deutsche Vertreter der Deutschen Glaubensbewegung.122
Als im Juli 1934 die erste Publikation der »römischen« Meister Eckhart-Ausgabe erschien (die von Klibansky herausgegebene lateinische Vaterunser-Predigt Meister Eckharts123), folgten positive Besprechungen im In- und Ausland.124 »Die Ausgabe erscheint bei Felix Meiner«, schreibt etwa Hugo Rahner in der Zeitschrift für katholische Theologie.125 Das bedeutet Gewähr für mustergültige Arbeit. Es ist bekannt, dass in nächster Zeit auch eine Eckehartausgabe der deutschen Notgemeinschaft erscheinen soll; so ist die römische Ausgabe von Santa Sabina ganz gegen ihren Willen zur Konkurrenz geworden. Jedenfalls hat sie nicht nur den zeitlichen Vorsprung, sondern wird vor allem durch wissenschaftliche Güte ihren Platz voll behaupten.
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In der Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur126 würdigt Karl Brethauer insbesondere die den Textteil ergänzenden Apparate —: Neben den textkritischen Varianten verweisen die ›Fontes‹ (Eckharts Quellen) und die ›Testimonia‹ (EckhartZitate in späteren Texten) auf den Standort Eckharts innerhalb der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Der Rezensent spricht von einem »gut geglückten und viel versprechenden Auftakt« des Unternehmens. Während die nationalsozialistische »Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums« erneut die Vorzüge der noch nicht erschienenen deutschen EckhartAusgabe preist — ein »deutsch-lateinischer Index« werde der »wichtigsten Aufgabe der Eckhart-Deutung« dienen, während die »unter Leitung des römischen Dominikaner-Instituts meist von französischen Gelehrten bearbeitete Ausgabe der lateinischen Werke« diese »Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Auslegung« nicht erfülle127 —, äußerte sich auch Seeberg selbst in einer Rezension des ersten Faszikels zur »römischen« Eckhart-Edition.128 Neben der Relativierung der Bedeutung der lateinischen Schriften zweifelt er auch den Wert der begleitenden Apparate an und mokiert sich in herablassendem Ton über die »Menge von Verweisen«, das »Prunken mit Gelehrsamkeit«, die »Methode des Luxus«, nicht ohne auf die kommende deutsche EckhartEdition hinzuweisen, »in der die deutschen Forscher, Protestanten und Katholiken, zusammengeschlossen sind«. Allerdings mag er sich, angesichts der wissenschaftlichen Reputation Klibanskys und des Felix Meiner-Verlags, doch auch keine Blöße geben und urteilt abschließend: »Im Ganzen stehe ich nicht an, die Arbeit Klibanskys als wohlgelungen zu bezeichnen.« 129 Zu Beginn des Jahres 1935 aber kulminiert der Streit um die beiden EckhartAusgaben mit dem Erscheinen des W. Kohlhammer-Verlagsprospektes (»Eckhart von Hochheim«)130, in dem Seeberg die Publikation einer zweiten Eckhart-Ausgabe folgendermaßen kommentiert: Wenn wir hier mit einer Gesamtausgabe an die Öffentlichkeit treten, die ebenfalls die lateinischen Schriften umfasst, so bedarf das eines Wortes der Rechtfertigung. Die Ausgabe der lateinischen Schriften Meister Eckharts ist von den französischen Dominikanern in Verbindung mit Klibansky unternommen worden, wobei man von den deutschen Vorbereitungen für eine Eckhart-Ausgabe wusste […]. Die deutsche Wissenschaft kann sich von der von ihr vorbereiteten Ausgabe nicht dadurch abhalten lassen, dass durch das Erscheinen jenes ersten Faszikels, der den hundertundzwanzigsten Teil des Ganzen darstellt, die fertige Tatsache der Priorität geschaffen werden soll.
Insbesondere die Behauptung, Théry und Klibansky hätten sich durch das frühere Erscheinen ihrer Ausgabe die Priorität gleichsam erschlichen, löste vielfach Empörung aus. So schreibt Klibansky Mitte Februar aus London an Ernst Hoffmann: Ich weiß nicht, ob Ihnen inzwischen der Seeberg’sche Prospekt zu Gesicht gekommen ist. Seit dem Tag des Erscheinens dieses Prospekts erhalte ich nahezu täglich Anfragen von allen Seiten, was sich gegen die in ihm enthaltenen Verleumdungen tun lasse. Besondere Empörung herrscht darüber, dass Herr S. seine Verleumdungen von der Autorität der Notgemeinschaft decken lässt. Von englischer und amerikanischer Seite kamen Zuschriften, wie sich diese Praxis mit dem neuerdings oft bekundeten Willen zu internationaler Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet vereinen lässt. (19. Feb. 1935; DLA)
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So schrieb Samuel Kurland, Boston, in einer Rezension zur »römischen« Eckhart-Ausgabe: It has been brought to my attention that the publishing house of Kohlhammer in Stuttgart has recently made known its intention of publishing a complete edition of Eckard’s works under the auspices of the Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. In the prospectus unjust reflections are cust upon the edition launched by Klibansky and its claim to priority is challenged. The matter is carried to the extent of charging the editors, Klibansky and Théry, with attempting to establish »die fertige Tatsache der Priorität« by the hasty publication of a small portion of Eckard’s works. That the present edition of the Super oratione dominica is not an inferior, inadequate piece of work hastily prepared and published with the ulterior motive of clinching the entire edition is evident from the mere description of the thorough method employed by the editor. The second and third apparatuses especially show a thoroughness of workmanship and integrity of purpose which render the edition as a whole worthy of emulation. Furthermore, neither Klibansky nor Théry is a newcomer in the field of mediaeval Latin texts.131
Auch der Verlag Felix Meiner publizierte ein Faltblatt — Zehn Punkte zur EckhartAusgabe (Leipzig, »im März 1935« [DLA]) —, in dem die Editionsgeschichte der »römischen« Ausgabe nochmals rekapituliert wurde: Die unter den Auspizien von Santa Sabina in Rom, dem Historischen Institut des Dominikanerordens, von P. Gabriel Théry und Dr. Raymond Klibansky veröffentlichte Ausgabe der lateinischen Schriften des großen deutschen Dominikaners ist ein Unternehmen, zu dem sich bekannte Gelehrte der verschiedensten Länder und Bekenntnisse zusammenschlossen. Ihm liegt der Plan zugrunde, den Klibansky im Jahre 1932 der Heidelberger Akademie vorgelegt hatte und mit dessen Durchführung er von dieser betraut worden war. Nach deren Verzicht wurde der Plan im Frühling 1933 von S. Sabina übernommen.
F. Meiner lässt es sich zudem nicht nehmen, unter den »zahlreichen, sehr günstigen Urteilen der Fachwelt im In- und Ausland« auch Erich Seebergs Äußerung zu zitieren: »Im Ganzen stehe ich nicht an, die Arbeit Kl.s als wohlgelungen zu bezeichnen.«132 Weitere Auseinandersetzungen spielten sich hinter den Kulissen ab, wie die Korrespondenzen im Nachlass Klibanskys zeigen. Der Verleger Felix Meiner wandte sich mit einem Beschwerdebrief an den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Richard Suchenwirth133 und forderte ihn auf, die Notgemeinschaft zur »Zurückziehung dieses Prospektes veranlassen zu wollen«, da die Feststellungen zur Vorgeschichte der beiden Ausgaben »durchaus unzutreffend« seien. (8. Jan. 1935; DLA) Als Zeugen dafür, dass der Plan der Eckhart-Gesamtausgabe allein auf Klibansky zurückgeht, kann er Seeberg persönlich nennen und dies mit dem bereits zitierten Brief Seebergs an Klibansky vom 12. Januar 1933 belegen (»Ihr Plan, der vielleicht der Plan der Heidelberger Akademie werden wird«), der zudem Seebergs damaliges Beharren auf einer »provisorischen« Ausgabe dokumentiert. Meiner erreichte zumindest, dass der Kohlhammer-Prospekt in der vorliegenden Form nicht weiter verbreitet werden durfte, wenn auch keine öffentliche »Erklärung« von Seiten der Notgemeinschaft erfolgte, — eine Forderung, die Klibansky in der Korrespondenz mit Felix Meiner vertreten hatte. (»Es muß Zurücknahme des Prospekts erfolgen und Erklärung, dass die in Betracht kommenden Behauptungen un-
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richtig sind. Ohne die Zurücknahme der Verletzung Ihrer, P. Thérys und meiner Ehre ist nicht die geringste Einigung möglich.«134) In einem Brief vom Frühjahr 1936 an den französischen Historiker Michel Lhéritier berichtete Meiner später, dass sich die Notgemeinschaft schließlich bereit erklärt habe, »auf Grund des Zuredens der Herren Professor Suchenwirth und Professor Holzmann […], diesen Prospekt nicht mehr zu verbreiten. Ein offizieller Widerruf der in der Tat etwas ungewöhnlichen Äußerungen hätte als Schwächebekenntnis der deutschen Amtsstellen gegenüber den Angriffen der Emigranten aufgefasst werden können.« (19. Feb. 1936; DLA) — »Wir mussten uns leider entschließen«, so schrieb auch E. Seeberg in den Nationalsozialistischen Monatsheften, »diesen Prospekt zu mildern, und auf eine Art von Vertrag einzugehen, wonach beide Ausgaben nebeneinander hergehen sollten, ohne gegenseitige Angriffe«.135 Letzte Appelle, doch noch zu einer gemeinsamen Eckhart-Ausgabe zu kommen, gingen ins Leere. In der Frankfurter Zeitung (3. Feb. 1935) bezeichnete Hermann Herrigel diese Situation als »bedauerlich«. Unter der Überschrift »Meister Eckhart. Zwei Ausgaben« schrieb er: Man hätte erwarten müssen, dass die beiden Kommissionen zu einer Zusammenarbeit gekommen wären, nicht nur, um zu vermeiden, dass eine unendliche Kleinarbeit doppelt geleistet werden muß, sondern vor allem, um die Ergebnisse ihrer Forschung in den Dienst einer gemeinsamen Aufgabe zu stellen. So aber wird das Ergebnis praktisch das sein, dass die eine der beiden Ausgaben entweder mehr oder minder umsonst gemacht ist oder dass der Eckhartforscher künftig beide Ausgaben nebeneinander benutzen muß. So oder so wird es sich rächen, dass man nicht zu einer Einigung und einer Zusammenarbeit kommen konnte. Sollte sie nicht auch jetzt noch möglich sein?
Doch nicht zuletzt nach Erlass der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 erhöhte sich der Druck auf den Verleger Felix Meiner. Im Februar 1936, im bereits zitierten Brief an Michel Lhéritier, zieht er — nach Erscheinen des dritten und letzten Heftes seiner Eckhart-Ausgabe136 und der fast gleichzeitig erfolgten ersten Lieferung der Kohlhammerschen Ausgabe137 — abschließend Bilanz: Ihm sei […] wiederholt von maßgebenden Stellen erklärt worden, dass das Verbleiben Dr. Klibanskys an der Spitze einer in Deutschland erscheinenden Ausgabe Meister Eckharts für den neuen deutschen Staat untragbar sei und dass Gefahr bestehe, dass die rassischen Leidenschaften sich gegen diese Kombination eines so typisch deutschen Geistes wie Meister Eckhart mit einem Herausgeber jüdischer Abkunft empören würden.
Der wahre Grund aber für die Ablehnung Klibanskys — so Meiner — sei, »dass man ihm als Nichtarier die Fähigkeit abstreitet, bei seiner Herausgabe die Fäden aufzuzeigen, die Eckhart als Ahnherrn nationalsozialistischen Denkens erweisen«. (19. Feb. 1936; DLA) Ein letzter Versuch Meiners, die »römische« Eckhart-Ausgabe ohne Klibansky weiterzuführen, scheiterte am entschlossenen Widerstand P. Thérys, der — die Notlage Meiners offenbar verkennend — in einem Brief an den Verleger vom Februar 1936 die nationalsozialistische Rechtsbeugung, die Juden betreffend, bloßstellte und vehement attackierte: La personne de mon Co-Directeur est inacceptable au nouvel Etat, parce qu’israélite! C’est vraiment désespérer d’un travail sérieux, objectif et en dehors de toutes les
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Meiner aber, der sich 1936 vom nationalsozialistischen Regime auch persönlich bedroht sah139, bemühte sich um einen akzeptablen Ausstieg aus dem Meister Eckhart-Unternehmen. An Klibansky schrieb er, ihm sei mitgeteilt worden, »dass der emigrierte Herausgeber nach wie vor als untragbar angesehen werden müsse«. Man ersuchte ihn, »mit der gebotenen Vorsicht Verhandlungen in dem Sinne aufzunehmen, dass eine Abgabe der gesamten Ausgabe an einen neutralen Verleger des Auslandes erfolgt«. Er habe inzwischen ein Verkaufsangebot an den Schweizer Wissenschaftsverlag Paul Haupt gerichtet. (21. Feb. 1936; DLA)
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Siehe Personalakte Raymond Klibansky (UAH). Die Universität Heidelberg »fing erst Ende der Achtziger an, auch dieses Gebiet aufzuarbeiten, als es nicht mehr gefährlich werden konnte«. Michael Buselmeier, in Erlebte Geschichte erzählt 1994-1997. Michael Buselmeier im Gespräch mit Raymond Klibansky u.a. Hg. von der Stadt Heidelberg (Heidelberg: Wunderhorn 2000), S. 8-29, hier S. 28. Das Dokument befindet sich in dem im Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) verwahrten Nachlass R. Klibanskys. Dorothee Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten. Zur Geschichte der Ruprecht-KarlsUniversität nach 1933 (Heidelberg: Carl-Winter-Universitätsverlag 1988). R. Klibansky: »Zur fünfzigsten Wiederkehr der Pogromnacht«, Trumah. Zeitschrift der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg, Nr. 3 (1992), S. 1-13. »Raymond Klibansky, philosophe et historien. Entretien avec Yves Hersant et Alain de Libera«, Préfaces (1989), S. 132-142, hier S. 141. Der französische Philosoph Julien Benda prägte bereits 1927 das Schlagwort vom »Verrat der Intellektuellen« und richtete sich damit gegen diejenigen Strömungen, die die bürgerliche Demokratie von der rechten Seite her bekämpften. Vgl. u.a. R. Klibansky: »L’université allemande dans les années trente. Notes autobiographiques«, Philosophiques, XVIII (1991), S. 139-157. Klibansky äußert sich hier kritisch zu Heideggers Reden 1929 und 1933 in Heidelberg. (Ebd., S. 151f.) R. Klibansky, Erwin Panofsky und Fritz Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und Kunst (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990). R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert. Gespräche mit Georges Leroux. Aus d. Frz. v. Petra Willim (Frankfurt a.M.: Insel 2001). 1964 erschien die erste englischsprachige Ausgabe, die selbst bereits eine Übersetzung der ursprünglich deutschen Fassung des Buches darstellte, die 1939 noch zum Druck nach Deutschland gegeben wurde. »Im Sommer 1939 ging die letzte Fahnenkorrektur an die Druckerei in Glückstadt bei Hamburg zurück; 1945 […] kam die Nachricht, dass der Stehsatz während des Krieges zerstört worden war.« (R. Klibansky, E. Panofsky, F. Saxl: Saturn und Melancholie (wie Anm. 9), S. 31 [»Vorwort zur englischen Ausgabe. Montreal und Princeton 1963-64«]). Die Ausstellung fand in den Galeries nationales du Grand Palais, Paris (10. Nov. 2005 – 16. Jan. 2006) und anschließend in der Neuen Nationalgalerie, Berlin (17. Feb. – 7. Mai
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RAYMOND KLIBANSKY R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 29. 1991 äußerte Klibansky in einem Interview: »Als ich mit siebzehn Jahren nach Heidelberg kam, war es mein Ziel zu wissen: Was ist der Mensch?« (»Interview mit Raymond Klibansky (Oxford/Montreal), geführt von Nikolaus Halmer (Wien)«, Mesotes. Zeitschrift für philos. Ost-West-Dialog (Wien), Nr. 4 (1991), S. 71-75, hier S. 71. Am 11. Okt. 1927 schreibt L. Curtius an R. Klibansky: »Bestellen Sie schöne Grüße an Ihren Freund aus der Paradiesschule und an Herrn Collegen Cassirer.« (DLA) R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 31. Im Nachlass befinden sich etliche Kärtchen mit Einladungen, u.a. von den Ehefrauen der Professoren Otto Regenbogen und Ernst Hoffmann, von Selma Täubler, Heinrich Zimmer, Karl Jaspers usw. ( DLA) R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 43. Erwin Panofsky, Fritz Saxl: Dürers Melencholia I. Eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung. Studien der Bibliothek Warburg (Leipzig: B.G. Teubner 1923). Am 4. Jan. 1928 wird von G. Bing im Tagebuch vermerkt: »Klibansky schickt eine Menge Material zur ›Melencolia‹, das ich […] an Panofsky weitergeben werde.« In Aby Warburg: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Mit Eintragungen von Gertrud Bing und Fritz Saxl. Hg. Karen Michels u. Charlotte Schoell-Glass (Berlin: Akademie 2001), S. 190. (Aby Warburg: Gesammelte Schriften, Bd. VII.) Ernst Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance (Leipzig: Teubner 1927). Carolus Bovillus: Liber de Sapiente. Hg. R. Klibansky. In Ernst Cassirer: Individuum und Kosmos, ebd., S. 299-412. Aby Warburg: Tagebuch (wie Anm. 39), S. 63. Ebd., S. 102. Ebd., S. 263. Ebd., S. 460; Eintrag v. 21. Mai 1929. Joist Grolle: Bericht von einem schwierigen Leben (wie Anm. 32), S. 55. Ebd., S. 69. Kurt Rossmann: »Ernst Hoffmann zum Gedächtnis«, Heidelberger Tageblatt, 1. Feb. 1952. Nach Thea Hoffmann: »Wie die Cusanus-Ausgabe begann«, Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft, Nr. 5 (1965), S. 164-165. Zeugnis für Raymond Klibansky von Ernst Hoffmann, Heidelberg, 14. Nov. 1927. (DLA) R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 75. (»Ich wollte das deutsche Denken begreifen.«) R. Klibansky: Ein Proklos-Fund und seine Bedeutung (Heidelberg: C. Winter 1929). Heid. Akad. der Wiss., Phil.-histor. Klasse 1928-1929. — Die Publikation der Heidelberger Akademie ist nicht als Diss. ausgewiesen, auch fand sich keine »Doktorarbeit« oder Promotionsurkunde im Nachlass. Lediglich in einem Curriculum Vitae, das einem Bewerbungsschreiben Klibanskys vom 13. Juni 1940 an die University of Durham beigefügt ist, erklärt er: »In 1929 I obtained at Heidelberg the degree of Doctor of Philosophy summa cum laude with a thesis on the philosophy of the Neoplatonist Proclos.« (DLA) Kurt Flasch: »Der Hüter des Erbes. Zum 90. Geburtstag von Raymond Klibansky«, FAZ, 14. Okt. 1995. Cusanus-Texte I; Predigten, Dies Sanctificatus. Hg. R. Klibansky. Heid. Akad. d. Wiss., Phil.histor. Klasse 1928-1929 (Heidelberg: Winter 1929). Am 25. Aug. 1976 bot H.-G. Gadamer Klibansky den Wiedereintritt in die CusanusCommission der Heidelberger Akademie an, deren Vorsitzender er war. Er bat Klibansky, lediglich seine Zustimmung zu geben; eine Wiederwahl als Commissionsmitglied sei nicht nötig. (DLA) Klibanskys Habil.-Schrift wurde 1931 nicht veröffentlicht. Vgl. R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 100. (Klibansky erklärt, er habe die Arbeit »aufgrund der Ereignisse niemals veröffentlicht«.) Gutachten E. Hoffmanns vom 16. Nov. 1931. (Personalakte Klibanskys; UAH.)
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Etienne Gilson in einem Empfehlungsschreiben für Klibansky, zit. nach: R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 100. R. Klibansky: »The philosophical character of history«. Tr. D. R. Cousin, Univ. of Glasgow. In Philosophy and history. Essays. Presented to Ernst Cassirer. Ed. R. Klibansky and H. J. Paton (Oxford: Clarendon 1936; reprint: Gloucester, MA: Peter Smith 1975), S. 323-337. Schreiben des Engeren Senats der Univ. Heidelberg vom 3. Dez. 1931, betr. Habilitation des Dr. R. Klibansky für das Fach Philosophie; zustimmend: acht Unterschriften, darunter Ernst Hoffmann. (Pers.akte R. Klibansky; UAH) Golo Mann (Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland. [Frankfurt a.M.: Fischer 1986], S. 359) schreibt: »4. Dezember. Gestern Abend bei Marianne Weber — Klibanskys Privatdozentur wurde gefeiert, mit Heinrich Zimmer.« R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 64. Ebd., S. 61. Zur Geschichte der Cäsar-Sammlung Gundolfs siehe Michael Thimann: »Es gibt viele Buchseiten diesseits des Rubikons. Wiederentdeckung der verschollenen Bibliothek: Vor den Nazis gerettet, vor der Zerstreuung bewahrt — die Cäsar-Sammlung Friedrich Gundolfs in der Duke University of Durham«, Süddeutsche Zeitung, 11./12. Aug. 2001. Der Abstammungsfragebogen wie auch der Brief Klibanskys vom 29. Apr. 1933 befinden sich in seiner Personalakte. (UAH) Vgl. Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten (wie Anm. 4), S. 277. (»Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften war und ist institutionell von der Universität völlig getrennt, doch durch ihre Mitglieder vielfach mit ihr verschränkt.«) Brief R. Klibanskys an den Stellvertretenden Sekretär der Philos.-histor. Klasse der Heidelb. Akad. d. Wiss., Ernst Hoffmann, vom 24. Mai 1933. (DLA) Die Angehörigen Klibanskys hätten anlässlich des Geschäftsboykotts »derart Schlimmes erlebt«, so sagte E. Hoffmann bei seiner Vernehmung am 14. Sept. 1933 aus. Vgl. Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten (wie Anm. 4), S. 68. Brief von E. Hoffmann an Emil Zürcher, 8. Nov. 1933. (DLA) — Vgl. auch D. Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, ebd., S. 67. Ebd., Ernst Hoffmann an Emil Zürcher, 8. Nov. 1933. (DLA) Brief des Reichsministers für wiss. Erziehung und Volksbildung, Berlin, an den Kultusminister in Karlsruhe, v. 18. März 1941. Betr.: Ehemaliger Prof. Ernst Hoffmann, Heidelberg. (Pers.akte Ernst Hoffmann; UAH) — »Der polnische Jude, mit dem Prof. Hoffmann zusammengearbeitet hat, war der nichtarische Privatdozent Dr. Klibansky, der im Jahre 1933 nach England emigrierte«, lautete die Antwort des Rektors der Univ. Heidelberg an das Ministerium in Karlsruhe (24. Apr. 1941). (Pers.akte Ernst Hoffmann; UAH) Fritz Saxl: »Die Geschichte der Bibliothek Aby Warburgs (1986-1944)«. In Aby M. Warburg: Ausgewählte Schriften und Würdigungen. Hg. Dieter Wuttke (Baden-Baden: Valentin Körner 1979), S. 335-346, hier S. 345. Siehe Michael Thimann: »Es gibt viele Buchseiten diesseits des Rubikons«, Süddeutsche Zeitung, 11./12. Aug. 2001. Klibansky bezog kein Gehalt als Privatdozent, lediglich ein Forschungsstipendium, das halb vom Cusanusfonds, halb von der Notgemeinschaft der Dt. Wiss. getragen wurde. (s. Pers.akte R. Klibansky; UAH) Eingabe der Heidelberger Studentenschaft vom 2. Juni 1933. (Pers.akte R. Klibansky; UAH) Die zitierte Korrespondenz mit dem Karlsruher Ministerium befindet sich in der Personalakte R. Klibanskys. (UAH) Vgl. R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 95f. R. Klibansky an die Dt. Botschaft, Paris, 21. Juni 1933: »Um alle etwaigen Zollschwierigkeiten zu vermeiden, wäre ich Ihnen zu größtem Dank verpflichtet, wenn Sie es ermöglichen könnten, dass dieser wissenschaftliche Apparat als diplomatisches Kuriergut erklärt würde.« (DLA) R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 102.
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RAYMOND KLIBANSKY R. Klibansky an E. Hoffmann, 3. Aug. 1933: »Hier ist (bis auf Herrn Dr. Meier) allen Angestellten gekündigt.« (DLA) Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike. 1. Band: Erscheinungen des Jahres 1931. In Gemeinschaft mit Fachgenossen bearbeitet von Hans Meier, Richard Newald, Edgar Wind. Hg. v. der Bibliothek Warburg (London: Cassell & Company, LTD 1934). (Text der deutschen Auflage mit einer englischen Einleitung [Edgar Wind]). – A bibliography on the survival of the classics. Vol. I: The publications of 1931. Vol. II: The publications of 1932-1933. Ed. the Warburg Institute (London: The Warburg Institute 1934, 1938). F. Saxl schreibt zur Idee des Bibliographie-Projekts: »1931 fand sich eine Gruppe von etwa vierzig Mitarbeitern bereit, jährlich eine kritische Bibliographie zum Nachleben der Antike zusammenzustellen.« In: F. Saxl: »Die Geschichte der Bibliothek Aby Warburgs in Hamburg (1886-1944)«. In Aby Warburg: Ausgewählte Schriften (wie Anm. 72), S. 344. Ebd., S. 345. Vgl. hierzu auch Grolle: Bericht von einem schwierigen Leben (wie Anm. 32), S. 29. Brief von F. Burmeister an den SS-Sturmbannführer vom 24. März 1937. In Heinrich Dilly: Chronik des Hamburger Kunsthistorischen Seminar (ungedr.); zit. nach Karen Michels: »Erwin Panofsky und das Kunsthistorische Seminar«. In Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990. Wiss. Beiträge der Univ. Hamburg zur Ausst. »Vierhundert Jahre Juden in Hamburg«. Hg. Arno Herzig (Hamburg: Dölling & Galitz 1991), S. 383-392, hier S. 388. R. Klibansky, W. Solmitz: »Bibliography of Ernst Cassirers Writings«. In R. Klibansky, H. J. Paton (Hg.): Philosophy and History. Essays. Presented to Ernst Cassirer (wie Anm. 59), S. 338353. Hierzu Grolle: Bericht von einem schwierigen Leben (wie Anm. 32), S. 34. Ebd., S. 41. R. Klibansky, H. J. Paton (Hg.): Philosophy and history (wie Anm. 59). Am 5. März 1934 gratuliert E. Hoffmann Klibansky zum »Ruf nach Glasgow«. (DLA) R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 52. Brief Klibanskys vom 1. Juli 1936 an The Under-Secretary of State, Home Office, White Hall, SW.I. (DLA) Siehe Interview mit D. Mußgnug v. 11. Aug. 1988. In Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten (wie Anm. 4), S. 175. G. Bing an M. A. Warburg, 27. Nov. 1936. In Erwin Panofsky: Korrespondenz. Bd. I: 19101936. Hg. Dieter Wuttke (Wiesbaden: Harrassowitz 2001), S. 945. Nicolaus de Cusa: De pace fidei. Hg. Raymond Klibansky u. H. Bascour (London: The Warburg Institute 1956; Nachdruck: Hamburg: Felix Meiner 1959). Zit. nach dem Prospekt des Warburg Institutes, London (Nicolai de Cusa: De Pace Fidei, June 1956). (DLA) R. Klibansky (Hg.): Philosophy and history (wie Anm. 59), S. VII. (»Preface« v. R. Klibansky) Kurt Flasch: Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung. Vorlesungen zur Einführung in seine Philosophie (Frankfurt a.M.: Klostermann 1998), S. 374. R. Klibansky im Text des Warburg-Prospekts (Nicolai de Cusa: De Pace Fidei, June 1956). (DLA) Vorwort R. Klibanskys (Président de la Commission des Textes, Institut international de Philosophie Paris) zu John Locke: Ein Brief über Toleranz, Englisch-deutsch. Übersetzt, eingel. u. mit Anm. erläutert v. Julius Ebbinghaus (Hamburg: Felix Meiner 1957). F. Saxl an E. Panofsky, 20. Nov. 1936. In Erwin Panofsky: Korrespondenz. Bd. I: 1910-1936 (wie Anm. 94), S. 943. Empfehlungsschreiben Klibanskys für Lotte Labowsky: »To whom it may concern: Dr. Lotte Labowsky, Lady Carlisle Research Fellow of Somerville College, Oxford, is Assistant to the Corpus Platonicum Medii Aevi, which is being edited under the auspices of the British Academy.« (o.D.; DLA) Klibansky an Pagel (Vorname unbekannt), 31. Mai 1937. (DLA) R. Klibansky: The continuity of the Platonic Tradition during the Middle Ages (London: The Warburg Institute 1939). Zit. von G. Bing, im Brief G. Bings an R. Klibansky, 17. Apr. 1941. (DLA)
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106 R. Klibansky: »Standing on the shoulders of giants«, Isis. Quarterly of the International Academy of the History of Science, Nr. 26 (1936), S. 147-149. 107 Vgl. auch Robert Merton: Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983; Erstveröffentlichung 1965). Zu Klibansky, S. 163f. 108 R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert (wie Anm. 10), S. 183. 109 Ebd., S. 182. 110 Ebd., S. 185. 111 Ebd., S. 186. 112 Ebd., S. 186f. 113 Joseph Quint: Die Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckeharts. Textkritisch untersucht (Bonn: Hanstein 1932). 114 Martin Grabmann [Rez.]: Nicolai de Cusa: Opera omnia (iussu et auctoritate Academiae Litterarum Heidelbergensis edita), Vol. I: De docta ignorantia. Ed. E. Hoffmann et R. Klibansky (Leipzig: Meiner 1932); Vol. II: Apologia Doctae Ignorantia. Ed. R. Klibansky (Leipzig: Meiner 1932), Deutsche Literaturzeitung, 9. Apr. 1933. S. 685-692, hier S. 691. 115 R. Klibansky an F. Meiner, 15. Feb. 1935: »Herr Koch nimmt sehr erfreut die Mitleitung an; er begrüßt den Plan von Sta. Sabina lebhaft.« (DLA) 116 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit (München: Hoheneichen 1932 [3. Aufl.]), S. 246. 117 Ebd., S. 259. 118 Ebd., S. 264. 119 Es handelte sich bei der erwähnten Handschrift um einen Kommentar Meister Eckharts zum Johannesevangelium, den der Leiter der Berliner Staatsbibliothek Karl Christ kurz zuvor dort aufgefunden hatte. In einem Brief vom 18. Okt. 1933 an Gabriel Théry lehnt Christ es ab, die Eckhart-Handschrift zugänglich zu machen. (DLA) 120 Vgl. hierzu auch Klibanskys späteren Bericht von 1991. (R. Klibansky: »L’université allemande dans les années trente. Notes autobiographiques« [wie Anm. 8], S. 155.) 121 »Die deutsche Gesamtausgabe der Werke Meister Eckharts« [Rubrik: ›Notizen‹], Deutsche Literaturzeitung, Nr. 47, 19. Nov. 1933, Sp. 2252-2254. 122 Hans Barth: »Vom Streit um Meister Eckhart«, NZZ, 14. Aug. 1934. 123 Magistri Eckardi Opera Latina (auspiciis Instituti Sanctae Sabinae edita), Fasc. I, Super oratione dominica. Ed. R. Klibansky (Leipzig: Meiner 1934). 124 Rezensionen zu Fasc. I (Magistri Eckardi Opera Latina) erschienen u.a. in Isis, XXIV (1935), S. 134-136. (v. Samuel Kurland, Boston); The Times Literary Supplement, Dez. 1934. 125 Hugo Rahner: »Die Gottesgeburt. Die Lehre der Kirchenväter von der Geburt Christi im Herzen des Gläubigen«, Zeitschrift für katholische Theologie, LIX (1935), S. 333-349, hier S. 333. 126 Karl Brethauer: Rez. zu Fasc. I (Magistri Eckardi Opera Latina), Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Nr. 4 (1934), S. 185-189, hier S. 188. 127 Der Artikel der »Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums« wird zitiert in der Zeitschrift für deutsche Bildung, X, Nr. 12 (1934), S. 640. 128 Erich Seeberg: Rez. zu Fasc. I (Magistri Eckardi Opera Latina), Deutsche Literaturzeitung, V, Nr. 38, 23. Sept. 1934, Sp. 1777-1782. 129 Ebd., S. 1780. 130 Der Verlagsprospekt mit der Ankündigung der deutschen Meister Eckhart-Ausgabe beim W. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, u.d.T. »Eckhart von Hochheim« (Jan. 1935) befindet sich im Nachlass Klibanskys. (DLA) 131 Samuel Kurland: Rez. des Fasc. I (Magistri Eckardi Opera Latina), Isis, XXIV (1935), S. 134136, hier S. 136. 132 Vgl. Erich Seeberg: Rez. des Fasc. I (Magistri Eckardi Opera Latina), Deutsche Literaturzeitung, 23. Sept. 1934. 133 Richard Suchenwirth, geb. 8. Okt. 1896 in Wien, war 1935/1936 Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer. 134 Brief von R. Klibansky an F. Meiner, 7. Feb. 1935. (DLA)
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135 E. Seeberg: »Die verlorene Handschrift. Zur Geschichte der Meister Eckhart-Ausgabe«, Nationalsozialistische Monatshefte, VIII, Nr. 86 (Mai 1937), S. 386-397, hier S. 394. 136 Magistri Eckardi Opera Latina, Fasc. XII, Quaestiones Parisienses. Ed. Antonius Dondaine o.p., Commentariolum de Eckardi Magisterio, adiunxit Raymundus Klibansky (Leipzig: Meiner 1936). 137 M. Eckhart. Die dt. u. lat. Werke. Hg. im Auftrage der dt. Forschungsgemeinschaft [v. J. Quint, J. Koch, K. Weiss u.a.] (Stuttgart: W. Kohlhammer 1936ff.). 138 Brief G. Thérys an F. Meiner, Asnières, le 2 février 1936. (DLA) 139 In einem Interview 1989 erklärte Klibansky: »Notre éditeur allemand, M. Meiner, a été très courageux, mais on l’a menacé du camp de concentration s’il continuait. Dès lors, notre édition était vouée à l’échec.« In »Raymond Klibansky, philosophe et historien. Entretien avec Yves Hersant et Alain de Libera«, Préfaces. Les idées et les sciences dans la bibliographie de la France, Nr. 13 (Mai/Juin), S. 132-142, hier S. 140.
ERIK MARIA RITTER VON KUEHNELT-LEDDIHN (Ps.: Francis Stuart Campbell, Chester F. O’Leary, Tomislav Vitezovic, Jan de Groot)
JOHANN HOLZNER und CHRISTINE RICCABONA Erik von Kuehnelt-Leddihn ist am 31. Juli 1909 in Tobelbad in der Steiermark geboren. Seine Großväter waren hohe österreichische Ministerialbeamte, sein Vater war ein Radium- und Röntgenforscher, der nebenbei auch Romane schrieb, sein Taufpate der Schriftsteller und Maler Fritz von Herzmanovsky-Orlando; die ganze Familie »schwarzgelb bis in die Knochen«.1 Er verbrachte seine Kindheit zumeist in Baden bei Wien, wo sich auch die Kaiser-Familie gerne aufhielt, besuchte in Wien das Theresianum, lernte früh Ungarisch, auch Japanisch, und begann mit 16 Jahren für Zeitungen zu schreiben. Um »im geographischen Herzen des Doppelstaates, wo die Traditionen der alten Donaumonarchie lebendiger waren« zu studieren, ging er nach Budapest, im Auftrag einer ungarischen Tageszeitung reiste er 1930/1931 durch die UdSSR, seine Studien schloss er als Doktor der Staats- und Verwaltungswissenschaften, mit einer Dissertation über Englands innere Krise erfolgreich ab. Sein erstes Buch, der Roman Die Anderen, erschien 1932, im Amalthea-Verlag (Zürich-Leipzig-Wien), ein Jahr später sollte schon das nächste Buch folgen: Jesuiten, Spießer, Bolschewiken, ein erster Bestseller. 1933 kehrte der Autor nach Österreich zurück, er hielt sich, abgesehen von Reisen nach England, vorwiegend in Tirol, in Nauders und im Ötztal auf. Aber Kuehnelt-Leddihn war von frühester Jugend an ein (Welt-)Reisender, getrieben von der Neugier, die Welt, wie er später einmal sagte, »durchschauen zu können [...]. Man muß die Stätten aufsuchen, wo die Welt Geschichte macht«.2 Er scheute sich dabei übrigens nie, auch Krisenherde und Kriegsschauplätze, wie Spanien (während des Bürgerkrieges, 1937) oder Vietnam (in den sechziger Jahren), aufzusuchen. Noch bevor er 1935 nach England und 1937 weiter nach Amerika auswanderte (in seinem Fall ist dieses Wort noch angebracht), veröffentlichte er also, wie erwähnt, seine ersten Romane. Er habe das Ende der alten Monarchie nie überwunden, erinnert sich der Autor später an diese Phase der Zwischenkriegszeit, in der, nach seinem Verständnis, jedenfalls in Österreich, jedermann die Vergangenheit »verleugnete und anspie«.3 So nimmt es denn auch nicht wunder, dass es das zentrale Anliegen seiner ersten Romane ist, auf das Schicksal der Balkanvölker und besonders auf jenes Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg hinzuweisen, wie schon in dem Roman Die Anderen, der 1932 unter dem Pseudonym Tomislav Vitezovic erschienen ist. Der Verlag stellte dem Roman ein eigenes Vorwort voran, in dem die Publikation des Buches begründet wurde; der Amalthea-Verlag sah darin »ein wertvolles, literarisch-zeitgeschichtliches Dokument gegen die Friedensverträge« — insbesondere die »Friedensdiktate von Trianon und Neuilly«, deren folgenschwere Fehler sich der Autor als Gegenstand seines Romans gewählt habe. Das Buch ist zweifellos eine wertvolle, ja notwendige Ergänzung zur Erkenntnis des heutigen Europäertums. Die Gegenseite — die bei uns wiederholt zu Worte kam (Lončarević: »Jugoslaviens Entstehung«, Graf Batthyány: »Für Ungarn gegen Hohenzollern«) – wird und muß zu diesem anklagenden Buch Stellung nehmen. Die Zustände in Osteuropa müssen geklärt und ein modus vivendi gefunden werden — im Interesse der Balkanvölker, Europas und des Weltfriedens.4
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ERIK MARIA RITTER VON KUEHNELT-LEDDIHN
Im Zentrum des Romans, seiner vier Kapitel, steht die Geschichte Makedoniens. Das erste Kapitel, »Leiden und hungern«, führt als Hauptfigur einen jungen Amerikaner ein, Michael Ujváry, den Sohn eines aus Ungarn stammenden Auswanderers, der »mitten in das Aufglühen des Weltbrandes« als Kriegsfreiwilliger nach Europa, nach Ungarn und auf den Balkan kommt, um seiner alten Heimat, der Heimat seines slawischen Großvaters als Soldat zu dienen, und der so mitten in die Kriegsmühlen des Ersten Weltkrieges gerät. Er erlebt sämtliche Nachtseiten des Krieges, Verhöre, Folter, Gefängnis, Todesnähe, Hungerstreik. In seinen Fieberphantasien und Fieberträumen kommen ihm Sequenzen aus seinem früheren Leben, Erinnerungsbilder ins Bewusstsein, aber mehr und mehr auch Angstphantasien, die seine Weltanschauung, seine Wahrnehmung der Welt spiegeln: [E]r sah das ganze Weltgetriebe vor sich, das goldgierig kluge Genießervolk im Westen, wie es die einzelnen Völker des Sonnenaufganges teilte und gegeneinander aufhetzte. […] Die Klarheit seiner Vision und die ruhige Regelmäßigkeit ihrer Erscheinungen ließen ihn im Unterbewußtsein vermuten, dass er dem Tode schon nahe sei. (A 68)
Im Laufe der vielen (ihm) unfassbaren Geschehnisse und Erlebnisse findet er zum katholischen Glauben. Eine zentrale Bezugsfigur für Michael Ujváry ist sein ungarischer Onkel, an dem die Auswirkungen des verlorenen Weltkriegs exemplarisch vorgeführt werden. Ihn hat der Krieg zerrüttet, er ist ein Trinker geworden und er hat alles verloren, bevor er starb. Nach dem Krieg irrt Michael im zerfallenden Osten Europas umher, haltlos und heimatlos, »von Krautfurt bis Üllö und Türkisch-Valentin bis Karlbrunn« (A 77f.), er findet Zuflucht einzig im Glauben und ein Obdach einzig in den Kirchen. 1933 erscheint bereits Kuehnelt-Leddihns »katholischer Bestseller«, das Buch Jesuiten, Spießer, Bolschewiken, im Verlag Anton Pustet, ein Buch, das besonders in Frankreich ein Erfolg werden sollte. — Der Verlag kündigt gleichzeitig die Publikation von Übersetzungen in England, Amerika, in Ungarn und Finnland an. In der Kölnischen 1 Volkszeitung, die im Klappentext zitiert wird, heißt es über den Autor: Es ist ihm der Roman nur eine Fülle von Anlässen, um etwas Tieferes zu sagen. Vielleicht hat man dieses Tiefere schon weitestgehend bezeichnet, wenn man sagt, daß dies ein Karl-Sonnenschein-Roman5 ist. Es spricht darin ein Katholizismus, der es kühn aufnimmt mit den Gegnern der ganzen Welt. Es wird nicht kapituliert, weder vor Technik noch vor Tanz. ... Wir haben hier einen Roman über den Bolschewismus, der die Antithese Rom und Moskau vom Seelischen her erfüllt... ein Buch [...], das [...] von einem herrlichen Glauben an die katholische Kirche beseelt ist.
Nicht nur in diesem Buch, in allen seinen literarisierten Werken geht es KuehneltLeddihn weniger um den Eigenwert des Literarischen, um einen poetischen Mehrwert, viel mehr dient ihm der jeweilige Plot zur Erläuterung seiner politisch-weltanschaulichen Ideen, die er ins Leben einzelner Figuren und in deren Geschicke mehr oder weniger geschickt hineinwebt. Seine Romane sind merklich von hartnäckigem Missionseifer getragen, was ihrer ästhetischen Dimension naturgemäß nicht sonderlich zuträglich ist; sie unterscheiden sich im Kern auch wenig von seinen stärker weltanschaulich-philosophisch geprägten Schriften. 1935 folgte die Veröffentlichung des Romans Über dem Osten Nacht, wieder im Salzburger Verlag von Anton Pustet; der Roman ist ebenfalls der »Schicksalsgemeinschaft Ungarns und der deutschen Länder« gewidmet. Noch im selben Jahr zog
Johann Holzner / Christine Riccabona
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Kuehnelt-Leddihn über Finnland und Skandinavien nach England, wo er als Schoolmaster im Jesuiten-College Beaumont in Old Windsor bei London unterrichtete. Von 1937 bis 1947 lebte Kuehnelt-Leddihn vorwiegend in den USA. 1937 lehrte er Geopolitik an der Georgetown Universität der Jesuiten in Washington, an der ältesten katholischen Universität in den USA, in der Folge unterrichtete er an anderen katholischen Universitäten und Colleges. Unter anderem wurde er Leiter der Abteilung Geschichte und Soziologie am Jesuiten College Saint Peter’s in Jersey City; 1942 unterrichtete er Japanisch an der Fordham Universität (New York City’s Jesuit University); seit 1943 war er Lehrer am Chestnut Hill College in Philadelphia. Während dieser Zeit bereiste er alle Staaten der USA, er trieb in Alaska Studien im Auftrag der Amerikanischen Geographischen Gesellschaft und unternahm ethnologische Forschungsreisen zu den Navajo-Indianern. — Nach dem Krieg, noch in New York wohnhaft, gehörte er gleichwohl 1946 auch dem Südtirol-Komitee an, und er veröffentlichte mehrere Artikel über die Südtirolfrage in geographischen und historischen Zeitschriften Amerikas. Schon in den ersten Amerikajahren hat er die europäischen Entwicklungen mit dem größten Unbehagen registriert, wie seine Erinnerungen bezeugen; er ist (vorübergehend) 1937, auch noch 1938 und 1939 in den Sommermonaten nach Österreich zurückgekehrt. — Er führte jedoch seine schriftstellerischen Aktivitäten (bald auch in englischer Sprache) vor allem in den USA weiter, und er bemühte sich, anders als die überwiegende Mehrheit der Exilierten, sich auf dem Feld des amerikanischen Konservativismus zu etablieren. Seinem Roman Moscow 1979 sollte in diesem Zusammenhang ein besonders hoher Stellenwert zukommen. Moscow 1979 wirkt in mancher Hinsicht wie ein Gegenstück zu Stefan Zweigs Brasilien-Buch,6 dessen deutsche Erstausgabe 1941 bei Bermann-Fischer in Stockholm erschienen ist. Brasilien ist zwar als Sachbuch angelegt und gibt sich über weite Strecken wie ein nüchterner Bericht. In seinem Subtext aber vermittelt es (nicht anders als später Moscow 1979) in erster Linie eine Utopie; der Untertitel deutet dies auch an: »Ein Land der Zukunft«. Es ist mehr als ein Bescheidenheitstopos, wenn Zweig in der Einleitung zu diesem Buch freimütig einräumt, er dürfe nicht behaupten, Brasilien zu kennen. (B 10) Der Autor, der 1936, als Gast der brasilianischen Regierung, zum ersten Mal das Land besucht hatte und, gründlicher vorbereitet, erst 1940 ausgedehnte Reisen durch Südamerika unternahm, um gleich anschließend daranzugehen, das Buch zu schreiben,7 war aus eigener Anschauung tatsächlich mit vielen Facetten und namentlich Problemen des Landes kaum vertraut. So konzentrierte er denn auch seine ganze Aufmerksamkeit auf ein, auf sein Zentralproblem: wie in der Welt »ein friedliches Zusammenleben der Menschen trotz aller disparaten Rassen, Klassen, Farben, Religionen und Überzeugungen zu erreichen« sei. (B 12) In Brasilien, fand er, war das Problem bereits gelöst. »Hier war«, notierte er für seine Erinnerungen, […] die Vergangenheit sorgsamer bewahrt als in Europa selbst, hier war noch nicht die Verrohung, die der erste Weltkrieg mit sich gebracht, in die Sitten, in den Geist der Nation eingedrungen [...]. Hier war nicht durch absurde Theorien von Blut und Stamm und Herkunft der Mensch abgeteilt vom Menschen, hier konnte man [...] noch friedlich leben [...]. Hier konnte, was Europa an Zivilisation geschaffen, in neuen und anderen Formen sich großartig fortsetzen und entwickeln.
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Zweig war geblendet, blind aber war er nicht. »Ich hatte«, fügte er deshalb abschließend hinzu, »das Auge beglückt durch die tausendfältige Schönheit dieser neuen Natur, einen Blick in die Zukunft getan«.8 Er hatte auch an die Vergangenheit zurückgedacht, an die von ihm verklärte Welt der Donaumonarchie. Er schrieb über Brasilien, aber — Raoul Auernheimer hat das schon 1943 in einer Besprechung festgehalten — »he returned again and again to Austria in spirit.«9 Was ihm offensichtlich fehlte, war die Fähigkeit, mit Argusaugen die Gegenwart zu betrachten. Jedenfalls in Brasilien. Die krasse »Überbetonung des Guten und Schönen«10 lässt tatsächlich Zweigs Bemühungen, über die Geschichte, die Wirtschaft, die Kultur, die Landschaften und die Gesellschaft Brasiliens umfassend zu informieren, insgesamt in einem zweifelhaften Licht erscheinen.11 Andererseits wird dadurch der Eindruck bestätigt und immer mehr verstärkt, der Autor hätte gar nicht das wirkliche Brasilien gemeint, sondern ein ausgedachtes. Er hätte ein Gegenmodell entwerfen wollen zu jener Welt, vor der er geflüchtet ist, zur »wahnwitzigen Überreiztheit Europas« (B 15) mitten im Zweiten Weltkrieg. In dem Roman Moscow 1979, der ebenfalls noch in den vierziger Jahren erschienen ist, allerdings nach dem Untergang der NS-Diktatur, tritt das Gute und Schöne ganz in den Hintergrund, während die Schatten- und Nachtseiten einer ausgedachten Welt ausgemalt werden, die Schatten- und Nachtseiten auch einer ausgedachten Metropole, die alles andere ist als pittoresk, nämlich, mit einem Wort, wahnwitzig. Erik von Kuehnelt-Leddihn entwirft in diesem, wie er selbst später resümiert, »leicht utopischen Roman«12 eine düstere Staats- und Gesellschaftsfiktion, die keine Alternative zur »Überreiztheit Europas«, vielmehr deren Höhe- und Schlusspunkt markiert. Der Roman ist noch auf deutsch geschrieben, zunächst aber in der englischen Übersetzung (die Christiane von Kuehnelt-Leddihn angefertigt hat) veröffentlicht worden; und zwar 1946.13 In rascher Folge erscheinen Übertragungen ins Spanische und Portugiesische, ehe 1949 im Thomas-Verlag in Zürich die erste deutsche Ausgabe herauskommt, jetzt unter dem Titel Moskau 1997.14 Anfang der fünfziger Jahre folgt schließlich noch eine französische Ausgabe, mit einem Vorwort von Gabriel Marcel (Les larmes de Dieu. Paris 1952). — Nach diesem doch einigermaßen fulminanten Start wird es um das Buch indessen bald ruhig. Der Roman kann mit Orwells Anti-Utopie15 1984 nicht konkurrieren, wird von der Literaturkritik und Literaturwissenschaft weit hinter diese zurückgestuft und schließlich fast ganz vergessen.16 Vergessen? Verkannt? Joseph P. Strelka ist anderer Meinung. Man habe Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn planmäßig unterdrückt und seinen Namen auszulöschen versucht, behauptet er in seiner Monographie über Des Odysseus Nachfahren: Österreichische Exilliteratur seit 1938,17 und fügt erläuternd hinzu, Kuehnelt-Leddihn, der in seinem Roman Moskau 1997 das »Musterbeispiel eines jeglichen modernen, antireligiösen und materialistischen Totalitarismus« anschaulich dargestellt und in seiner kühnen Vorausschau auf den Zusammenbruch der Sowjetunion »sich nur um acht Jahre geirrt« habe,18 sei allein deshalb nicht in die erste Reihe der österreichischen Literatur aufgestiegen, weil »die Kommunisten und ihre mehr oder weniger bewußten Helfershelfer und Nachbeter, welche Exilliteratur behandeln, ihn totschweigen, während neutrale oder gar konservative Forscher Exilliteratur kaum behandeln«.19 Totgeschwiegen? Strelkas Befund ist zu korrigieren. Der Name Kuehnelt-Leddihn scheint sowohl in der Bio-Bibliographie zur deutschen Exilliteratur von Wilhelm Sternfeld und Eva Tiedemann wie auch unter den Bibliographien der Reihe Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933 und im Lexikon der öster-
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reichischen Exilliteratur von Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser20 selbstverständlich auf. Er ist allerdings keineswegs nur, ja sogar eher selten im Zusammenhang der Exilliteratur präsent; er bezeichnet viel mehr, jedenfalls namentlich in Österreich, »schon so etwas wie eine Institution«, eine Institution »gegen den Zeitgeist« (Peter Kampits).21 Kuehnelt-Leddihn hat sich nämlich seit seiner Rückkehr nach Österreich, gleich nach dem Krieg, als streitbarer Privatgelehrter von allen großen, staatstragenden Parteiungen gleichermaßen distanziert, er hat in zahllosen Abhandlungen alles aufs Korn genommen, was er zum Erbe der Französischen Revolution gerechnet hat, und er hat sich im übrigen, nach dem Zeugnis seiner Tochter Isabel KuehneltLeddihn, selbst nie als Exilautor verstanden. Er hat sich nicht nur gegen den Kapitalismus und gegen den Nationalsozialismus und gegen den Kommunismus gewandt, er ist auch nie müde geworden, stolz zu betonen: »Selbstverständlich bin ich kein Demokrat«.22 Das einzige politische Modell, das ihn zeitlebens fasziniert hat und das wieder und wieder durchschimmert, wo immer er eine Utopie, einen (im Sinne von Lars Gustafsson) »außerhalb der historischen Erfahrung liegenden Gesellschaftszustand«23 zu entwerfen versucht, ist die Welt der Donaumonarchie, an deren Re-Konstruktion er sich ebenso festklammert wie vor ihm Stefan Zweig. 1947 kehrte Kuehnelt-Leddihn nach Österreich zurück, nach Tirol, er ließ sich im Mittelgebirge nieder, in der Nähe der Landeshauptstadt, jeder kannte ihn, er war »der Löwe von Lans«. Und er wurde nicht planmäßig unterdrückt, sondern in alle Welt zu Vortragsreisen eingeladen; er kannte auch die entlegensten Winkel der Erde, beherrschte acht Sprachen fließend, elf weitere einigermaßen, er schrieb neben seinen Romanen auch Sachbücher, politische, philosophische, vorzugsweise theologische, und er publizierte in Zeitungen und Zeitschriften in aller Welt, nach eigener Zählung rund zwei- bis dreitausend Artikel.24 Er schrieb für renommierte Blätter, aber er unterließ es auch keineswegs, in prononciert rechtsextremen Organen zu publizieren. Sein Motto lautete: »Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer werden«,25 er hatte es von Sören Kierkegaard übernommen. Der Haupthandlungsstrang des Romans Moskau 1997, um endlich auf diesen zurück zu kommen, umspannt einen Zeitraum von zwei Jahren und schließt mit dem Untergang der Sowjetunion »fünf vor zwölf«, drei Jahre vor der Jahrtausendwende. Was in diesen zwei Jahren sich zuträgt, namentlich in Eurasien und in der Hauptstadt des kommunistischen Weltreiches, in Moskau, wird vergleichsweise breit ausgemalt, was in den fünfzig Jahren zuvor, seit dem Zweiten Weltkrieg passiert ist, wird hingegen in kurzen Rückblenden im Zeitraffer-Stil nacherzählt: Die Welt hat bereits fünf Weltkriege überstanden. Weite Landstriche Zentraleuropas, vor allem in Deutschland und Polen, sind verwüstet, vergiftet, kaum mehr besiedelt, Paris ist ein einziges Trümmerfeld, Wien dagegen eine 5-Millionen-Metropole, Island der letzte Zufluchtsort des neonazistischen Rassenwahns. Drei Supermächte regieren die Welt und ringen um die Vorherrschaft. Amerika, in den Fängen einer Kirche, die längst nicht mehr auf dem Boden der Bibel steht und auch nicht wahrhaben will, dass Freiheit und Gleichheit Gegensätze sind, ein Land der »fetten Priester«, der »spionierenden Jesuiten«, der »prüden, intrigierenden katholischen Vereinshyänen«, der »scheinheiligen Kongregationspräfekten« und der »schauerlichen Kurienkardinäle um den philippinischen Papst in San Francisco«, (M 23) Amerika also ist das Zentrum der pazifischen Mächte. England, Mittelpunkt des »Vereinigten liberal-kommunistischen Königreichs«, (vgl. M 88) hat unterdessen »den Kommunismus eingeführt«, aber zugleich das »Wertvolle des alten Regimes«,26 »das königliche
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Haus, die Klassen, die Public-Schools« (M 95) in ein prekäres politisches Arrangement integriert. Russland schließlich, der Hort des Bolschewismus, beherrscht und belügt und betrügt den Rest der Welt. An dieser Stelle ist, um Missverständnissen vorzubeugen, unbedingt einzuflechten, dass Kuehnelt-Leddihn die Verfestigung längst konventionalisierter nationaler Stereotypen nach Kräften unterläuft und jeder einschlägigen Deutung seines Romans in einer imagologischen Perspektive einen mächtigen Riegel vorschiebt. Nicht die Russen also stellt sein Roman an den Pranger, sondern diejenigen, die sich im Kreml verschanzt halten und die Bevölkerung des Landes fesseln und knebeln.27 Als gelte es, das zu unterstreichen und die Diktatur als Fremdherrschaft zu charakterisieren, setzt Kuehnelt-Leddihn an die Spitze der politischen Hierarchie in Moskau zwei Figuren, die aus Mitteleuropa kommen: Novák, der Präsident, stammt aus Tschechien, Godlewski, der Herr der Archive, aus Polen. Der Held des Romans aber, Uljan Kraßnosnamjew, ist ein gebürtiger Amerikaner, der aus freien Stücken seine Heimat verlassen und in der UdSSR Zuflucht gesucht hat. Er hat zu dem Zeitpunkt, an dem die Romanhandlung einsetzt, im Jahr 1996, schon eine bemerkenswerte Karriere hinter sich, ist Generaldirektor der Gipsfigurenfabrik von Kirow, gilt als der erfolgreichste Produzent der UdSSR (M 25) und tritt immer wieder als Berater des Präsidenten in Moskau in Erscheinung. Russland, von allem Anfang an für Uljan eine Gegenwelt zur unerträglich-spießbürgerlichen Welt in Amerika, ein Land der Zukunft, »das Land der Verheißung«, (M 11) hat ihn gleichwohl furchtbar enttäuscht. Denn er hat am eigenen Leib erlebt, wie wenig unter kommunistischem Vorzeichen der freie Wille, wie wenig das Individuum gilt, wie wenig die menschlichen Beziehungen gelten; seine Geliebte wird, weil man sie nicht mit ihm in Verbindung bringt, im Staatsentbindungshaus wie ein Versuchstier behandelt und umgebracht, ihr Kind, sein Sohn wächst, den allgemein gültigen Vorschriften des Uniformismus entsprechend, unter staatlicher Obhut auf. Uljan, einer der mächtigsten Männer in der UdSSR, ist ein einsamer Mensch geworden, wo immer die Mitarbeiter seiner Fabrik über ihn reden, nennen sie ihn das »Ungeheuer«. (M 47) — Der Misanthrop, der auf seinen Privilegien insistiert, verliert indessen das immer schon Ausgedachte nicht aus den Augen. Er löst sich, wie er das schon in Amerika praktiziert hat, ein weiteres Mal aus den Verstrickungen der ihn bedrohenden realen Welt, er sucht eine Alternative zu den etablierten Systemen des Kollektivismus. »Er lief«, so berichtet der auktoriale Erzähler, »geradewegs in eine furchtbare Finsternis hinein […]. Moskau brüllte, lachte und tobte in Heiterkeit […], nur Uljan Karlowitsch jagte über die Straßen, in seinem Herzen Kälte, Tod und das verzweifelte Verlangen nach der Tröstung des Kreuzes«. (M 29) Kurz, Uljan führt bald ein Doppelleben, er wird Priester, einige Jahre später Erzbischof, und während er auf der einen Seite auf der Stufenleiter der Kreml-Hierarchie höher und höher klettert, entwickelt er auf der anderen Seite als Oberhaupt der im Verborgenen agierenden Christen Eurasiens Richtlinien für ein soziales Modell, das alle Torheiten und Unvollkommenheiten der kommunistischen wie der westlichen Welt auszulöschen im Stande wäre (jedenfalls aus seiner und aus des Erzählers Sicht): ein pluralistisches Modell, das sich im übrigen weitgehend mit jenem deckt, welches Stefan Zweig in Bahia, in »Brasiliens Rom« schon präformiert gefunden hat. Mit der Darstellung dieses Doppellebens gewinnt Kuehnelt-Leddihn die Möglichkeit, ein totalitäres System, das mit ständig steigender Geschwindigkeit seinem Kollaps entgegen steuert, von innen wie von außen zu beleuchten. Uljan steht mitten drin, als Täter und Opfer, und doch draußen, weil er sich freikämpft und am Ende
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auch tatsächlich frei zu halten vermag von allen Einflüsterungen der Machthaber, ob sie nun aus San Francisco oder aus Moskau ihn bedrängen. Aus dieser Konstellation der Perspektiven resultiert allerdings, das ist kaum zu übersehen, auch das für das Genre nicht untypische Fiasko der Utopie: Der Roman folgt, statt ästhetischen Gesetzen, den Schienen der Tendenzen, die sein Autor von vorneherein herauszuarbeiten beabsichtigt, er demonstriert, was Kuehnelt-Leddihn auch sonst in seinen politischen und theologischen Schriften mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit wieder und wieder aufs Tapet bringt. Er zeigt, wie die allgemeine Verzerrung in den Domänen »rechts« und »links« aufzulösen wäre, jedenfalls nach der Auffassung eines Autors, der nie seine Überzeugung verhehlt hat, dass Kommunismus und Nationalsozialismus »sehr viele Züge gemeinsam« hätten und beide »zur extremen Linken gehören«.28 Wenn Kuehnelt-Leddihn in einer autobiographischen Skizze, die er 1989 veröffentlicht hat, en passant festhält, er habe schon in seinem Roman Moskau 1997 den »Nationalsozialismus als echte Bewegung der radikalen Linken« gebrandmarkt,29 so verweist er damit unter einem gemeinsamen Blickwinkel auf den Kern- und Schwachpunkt dieses Romans. Er ersetzt die historische Dimension durch eine typologische, und rutscht mit diesem Verfahren in ein Schwarz-Weiß, das alle Grauschattierungen tilgt, um Kommunismus und Nationalsozialismus als Zwillinge, als Repräsentanten des Materialismus und Gegenspieler der Spiritualität eines reinen Christentums herauszumeißeln. Kuehnelt-Leddihn hat sich politisch immer rechts eingeordnet. Aber er hat dabei »rechts« und »links« im Sinne der Tradition kulturkonservativer Positionen definiert; in einem Aufsatz über die Frage »Katholischer Glaube — rechts oder links?«30 (1972) z.B. mit den folgenden Schlagworten: Links: »Ratio« Materialismus Immanenz (Anthropozentrik) Determinismus Nämlichkeit (Uniformismus) Gleichheit Quantität Mensch als Ziffer Kolossalismus Nackte Macht (Furcht und Angst) Individualismus Kollektivismus Zentralismus Klassen Planung und Utopismus Fraternität (Big Brother) Massenheere (»Soldaten«) Nationalismus und Internationalismus Sozialismus (Staatskapitalismus) Horizontalismus Unfreiheit (in moralischer Ungebundenheit)
Rechts: »Geist« Spiritualität Transzendenz (Theozentrik) Freier Wille Verschiedenheit (Pluralismus) Privilegien (Sonderrechte) Qualität Mensch als einmaliges Wesen Detaillismus Autorität (Treue, Respekt, Liebe) Familismus Personalismus Föderalismus Stände Organisches Wachstum Patriarchalismus (Vaterbild) Berufsheere (»Krieger«) Patriotismus Freie Wirtschaft Vertikalismus Freiheit (in moralischer Gebundenheit)
Nicht alles, was in dieser Gegenüberstellung schlagwortartig aufgereiht wird, ist im Roman Moskau 1997 schon vorweggenommen. Doch das dichotomische Modell
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ist bereits dort deutlich erkennbar, weil es Spiel und Gegenspiel, weil es die Protagonisten und die Antagonisten gleichsam dirigiert. In der großen Konfrontation zwischen Godlewski und Uljan wird dies sogar überdeutlich. Während dieser, der Held, sich endlich offen zur Theozentrik bekennt, geht jener, der Teufel, der Motor aller Anthropozentrik, in der selbstgewählten Finsternis unter: »Ja, auch der Böse lebte in einer Nacht, aber in einer anderen Nacht als Uljan; gerade deswegen, weil er, in einem fürchterlichen Irrtum befangen, den nackten Geist über alles stellte und die selbstgewollte Ohnmacht Gottes für eine sinnlose Dummheit hielt, war um ihn eine Nacht, die nicht enden wollte.« (M 258) Der Erzähler lässt nie einen Zweifel darüber aufkommen, welcher Figur, welcher Position seine Sympathien gehören. Sie gehören der christlichen Geisteselite, deren Überlegenheit allen anderen Kulturformen gegenüber in seiner Optik ganz außer Streit steht; in diesem Punkt rückt Kuehnelt-Leddihn von den Vorstellungen Stefan Zweigs unmissverständlich ab. »Das Volk« kommt denn auch, wenn überhaupt, in seinem Roman nur als amorphe Masse in den Blick, als gleichgültig über den Asphalt trottende (M 40) oder als »johlende, singende und heulende« Menge, (M 219) ein Spielball in den Händen des Nationalismus und des Internationalismus. So bleibt es, weil das Volk nicht zu durchschauen vermag, was die da oben mit ihm vorhaben und anstellen, den Führern des Geistes überlassen, den rechten Weg zu weisen. Führern vom Schlage Uljans. Dieser reißt, ehe er selber im Räderwerk der kommunistischen Vernichtungsmaschinerie zu Tode kommt, Zug um Zug alle Kulissen nieder, die von den Machthabern in Moskau aufgebaut worden sind, um zu verdecken, was sie im Zeichen des Utopismus planen. Alle Welt vertraut ihren Versprechungen, vertraut darauf, dass sie das Paradies auf Erden errichten, konzentriert in einer Wunderstadt namens Leninsk. Nur Uljan ist argwöhnisch, will sich selber ein Bild machen und bricht auf, »die Wunderstadt des Teufels, das Herzstück der Sowjetunion« (M 158) auszuforschen. Aber dort, wo Leninsk sich erheben sollte, ist am Ende tatsächlich kein Ort. Kein Ort, nirgends. — Dem Reich des Teufels, in dem alle Energie des Bösen sich bündelt, um das menschliche Leben auszulöschen, setzt Kuehnelt-Leddihn unmittelbar nach dem sogenannten Zusammenbruch, nach dem Untergang des Dritten Reiches mit Uljan eine Lichtgestalt entgegen, die dieses Reich zwar durchquert hat, aber dennoch zu Gott zurückfindet. Eine Lichtgestalt, die den Menschen in der ersten Phase der Nachkriegszeit ein Sinnangebot unterbreiten soll. Nichts ist ihm wichtiger als dieses, alles andere ist im Vergleich dazu für den Autor belanglos; von daher erklärt sich die konventionelle Erzählstrategie, die ebenfalls wenig eigenwillige Sprache, eine Sprache, in der Adjektivhäufungen und immer neue Vergleiche ein ebenso angestrengtes wie vergebliches Ringen um Poetizität verraten, von daher ist schließlich auch noch nachzuvollziehen, dass Kuehnelt-Leddihn das Zeitgerüst seines Romans offensichtlich keiner Revision unterzogen hat: Die Jahreszahlen, die hie und da auftauchen, können keine Ordnung, nur Verwirrung stiften.31 Es ist das Hauptanliegen dieses Romans, sich einzureihen in den Strom der Literatur der katholischen Erneuerungsbewegung, der in der französischen Literaturlandschaft schon seit der Jahrhundertwende ununterbrochen anschwillt und in der deutschsprachigen Welt im Jahr 1945 neu einsetzt. Claudel, Mauriac, Bernanos und andere Wortführer dieser Erneuerungsbewegung werden im Roman sogar ausdrücklich zitiert.32 Solange diese Autoren auch im deutschsprachigen Raum rezipiert, ja mit offenen Armen aufgenommen werden und darüber hinaus Schriftsteller wie Werner Bergengruen, Reinhold Schneider oder Stefan Andres, die ihre Literatur nicht zuletzt
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als religiöse Wegweisung verstehen, auf dem Markt mächtig präsent bleiben, kann denn auch Kuehnelt-Leddihn fast ohne weiteres reüssieren. Jedenfalls in der Nachkriegszeit. Weil der Roman Moskau 1997 sich jedoch ganz und gar auf diese Zeit bezieht und der Aufgabe widmet, Vorschläge zu formulieren für eine Neuorientierung, ist ihm schon von allem Anfang an voraus bestimmt, dass er von der Literaturkritik und von der Literaturwissenschaft am Ende der Nachkriegsperiode in diese zurückgesetzt wird: Moskau 1997, konzipiert als utopischer Roman, ist längst schon ein Roman aus der Welt von Gestern. Der 1952 in englischer Sprache und in einem englischen Verlag erschienene Romans Black Banners kam zwei Jahre später in einem amerikanischen Verlag heraus, seine französische Übersetzung ebenfalls 1954, eine spanische Übertragung 1960. Erst nach einigem Zögern, wie der Autor in einem Vorwort schreibt, ließ er schließlich auch die deutsche Ausgabe in Druck gehen. — Es ist dies nämlich ein Roman, der die Geschehnisse in einem bayrischen Dorf in der Zeit des Nationalsozialismus festhält, aber bereits in den Jahren 1941-1943 entstanden ist, und zwar weit weg von dem dargestellten Geschehen, an verschiedenen Orten Amerikas (unter anderem auf jener Navaho-Missionsstation, auf welcher der Autor den Helden der Gottlosen sterben lässt, sowie auch in Alaska und in New York). 1947 kehrte Kuehnelt-Leddihn also nach Österreich, nach Lans zurück. Hier lebte er von nun an als Schriftsteller, Privatgelehrter und Maler, namentlich dem Stil des phantastischen Realismus verbunden. Von hier aus unternahm er ständig Forschungs- und Vortragsreisen in die ganze Welt, vor allem auch nach Südamerika. Im Zusammenhang mit diesen seinen Besuchen in Südamerika entstanden mehrere Abhandlungen, die sich mit der gesellschaftspolitischen und kulturellen Situation der lateinamerikanischen Länder und insbesondere der lateinamerikanischen Kirchen auseinandersetzen, wie Glaube und Kirche in Lateinamerika (1962) und Lateinamerika. Geschichte eines Scheiterns (1967). Viele seiner Bücher sind auch ins Spanische übersetzt. 1953 publiziert er eines seiner bedeutendsten politischen Bücher: Freiheit oder Gleichheit. — In der Folge ging Kuehnelt-Leddihn in zahlreichen Abhandlungen und Sachbüchern namentlich moraltheologischen Fragestellungen nach, in Zwischen Ghetto und Katakombe. Von christlicher Existenz heute (1960), in seinen Bänden in der Reihe Zeitnahes Christentum (1967, 1968), zuletzt vor allem in Kirche und Moderne (1993), Kirche contra Zeitgeist (1997), Weltweite Kirche (2000). Mehrfach hat Kuehnelt-Leddihn darauf hingewiesen, dass die kulturelle Krise der westlichen Welt für ihn »zutiefst im Religiösen«33 zu sehen wäre. Für den Katholiken, den »verantwortungsbewußten Christen« Kuehnelt-Leddihn bilden theologische Axiome den einzig tragfähigen Überbau seines Weltbilds, einen Überbau, dem Philosophie, Wirtschaft, Politik in jedem Fall unterzuordnen sind. Jede soziale Gemeinschaft, jeder Staat, der auf religiöse Werte nicht mehr Rücksicht nimmt, muss nach seiner Auffassung in Chaos, in einem gesellschaftlichen Einheitsbrei versinken, wie auch das individuelle Leben misslingen muss, wenn die ethisch-religiöse Grundausrichtung fehlt. Sein letzter Roman, Die Gottlosen (1962) — Kuehnelt-Leddihn publizierte später ausschließlich theologische und historische Abhandlungen, die mit seiner Vortragstätigkeit und mit seinen politischen Aktivitäten zusammenhingen und mehr und mehr seine Grundhaltung zum Ausdruck brachten — sein letzter Roman also präsentiert das zerrüttete Lebensbild eines »Gottlosen« in einer gottlosen Welt: ein Lebensbild, aus dem die wenigen, die auf dem rechten Weg sind, um so stärker hervorleuchten, je mehr die Hauptfigur bedauernswert, ihr Tun und Lassen trostlos erscheint. Dieser Roman erschien 1962 im Verlag »Das BerglandBuch«.
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Er beschreibt in einer strikt eingehaltenen personalen Erzählweise die Irrwege des Frigyes Vàgò aus Ungarn alias Frank West, der am Ende in einem mittelamerikanischen Indianerreservat auf der Suche nach einer begehrten Silbermine ums Leben kommt. Es ist die Geschichte eines Antihelden, eines existentiell Unbehausten, eines — aus religiöser Perspektive — »verlorenen Sohnes«, der es bis zu seinem Tod willentlich und ungewollt gleichermaßen versäumt, zum »Vater heim zu kehren«. Vom Ende her betrachtet ist der Roman eine Klage gegen das verfehlte Leben, dem jegliche moralischen und religiösen Wurzeln abhanden gekommen sind. — Zur Handlung: Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelingt es Frigyes Vàgò während eines Ferienaufenthaltes in der Schweiz durch eine halbherzig und opportunistisch eingefädelte Heirat mit einer amerikanischen Urlauberin, nach Amerika auszuwandern. Unter dem Namen Frederick A. Wagner versucht er dort eine Karriere als Hochschullehrer. Der Snobismus seiner Umgebung, der Kampf um gesellschaftliches Ansehen, vor allem aber die eigene Doppelmoral höhlen sein Leben mehr und mehr aus. Nachdem er dem amerikanisch-kleinbürgerlichen Leben nichts mehr abgewinnen und auch seinen Kollegen nur mehr Argwohn und Verachtung entgegenbringen kann, verlässt er seine Frau, er wechselt erneut seinen Namen, um sich als Frank West auf die Suche nach Dor, einer früheren Bekanntschaft, zu machen. In ihr wähnt er die Frau seines Lebens, auf sie projiziert er all seine Sehnsucht nach Liebe, nach Redlichkeit und Rechtschaffenheit. Er findet sie als verheiratete Frau und Mutter und verstrickt sich in eine unglückliche Liebe zu ihr, bevor er erneut flüchtet. Dor ist eine der Lichtgestalten des Romans: anständig, charakterfest, milde, mütterlich, verzeihend — und für ihn unerreichbar. Frank flüchtet in die Großstadt Chicago, wo er sich ein weiteres Mal in eines seiner vielen halbherzigen Verhältnisse stürzt — in eine fragwürdige Idylle, die zusammenbricht, als die junge Frau das gemeinsame Kind abtreibt und eine lesbische Beziehung eingeht. Wo immer Frank West sich aufhält, ist er konfrontiert mit materialistischem Ehrgeiz, moralischer Verwahrlosung und großstädtischer Tristesse. In Chicago kommt es jedoch auch zu einer bedeutsamen Begegnung mit einem alten, ebenfalls aus Ungarn stammenden Professor der Ethnologie, der ihn unter anderem in ein grundsätzliches Gespräch über Lebens- und Glaubensfragen verstrickt. Auf Franks Frage, was denn wohl wäre, wenn er seine Glaubensgewissheit nicht hätte, antwortet ihm der Professor: »[…] dann würde ich sofort überschnappen [...]. Aus dem einfachen Grund, weil ich dann als logisch denkender Mensch in einem irrsinnigen und sinnlosen Weltall leben müßte. Ein Dasein ohne Gott? Ich würde ohne Aufschub dort landen, wo ich nicht hinwill. [...] In der dreifachen Endstation der Gottlosen: Mord, Selbstmord und Wahnsinn.«34 (G 302)
Die Nachwirkungen dieses Gesprächs stürzen Frank in eine Sinnkrise, er flieht erneut. Seine letzte Reise führt ihn schließlich nach Mexiko. Frank ist mit der fremden Kultur der Indianer konfrontiert, der er sich indessen leicht nähern könnte, hat er doch ehemals die Sprache der Tinnah-Indianer studiert, auch könnte er sich für die Probleme der Bevölkerung interessieren. Er jedoch zeigt sich weit mehr von den dubiosen Geschäften und dem dekadent-luxuriösen Leben der dort ansässigen HispanoAmerikaner beeindruckt. Er setzt ein letztes Mal auf die völlig falschen Werte, er glaubt, mit viel Geld Dor gewinnen zu können, und er bricht auf, den Standort einer Silbermine auszuforschen — ein Millionengeschäft, bei dem er schließlich umkommt.
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An die alte abendländische Kultur anknüpfend, versucht der Franziskanerpater einer Missionsstation vergeblich, an sein besseres Ich zu rühren, indem er ihm ein Zitat von Walther von der Vogelweide vor Augen hält: »Swer guotes wibes minne hat / Der schamt sich ieder missetat«. (G 404) — Frank West ist die negative Hauptfigur des Romans, ein Verlierer, der, selbst skeptisch und nihilistisch, die Welt als eine Welt der »Gottlosen« wahrnimmt. Während seine alte Heimat Europa im Zweiten Weltkrieg untergeht, lässt er sich von den Oberflächlichkeiten des amerikanischen Lebens aufreiben, stößt er sich an der Hohlheit der Phrasen und an der grenzenlosen Dummheit der Menschen. »Der Untergang Ungarns wäre das Ende seiner Erinnerungen, dann würde er nichts anderes sein als ein dreckiger, mittelloser Neuamerikaner mit einer Staatsbürgerschaft auf Widerruf [...], nichts als ein Ex-Professor mit zerbrochener Ehe, ein herumvagabundierender Gelegenheitsarbeiter.« (G 317) Vor allem aber, und das ist es, was der Roman verdeutlichen will: Frank bewegt sich — wenn auch voll Selbsthass — völlig angepasst in dieser Welt, ohne jede Reue und ohne jede Einsicht. Der Roman endet mit den Worten: »Einige Jahre später dachte keiner mehr an ihn — [...]. Doch Der, an Dem er in seinem Erdenwallen — bewußt oder unbewußt — vorbeigelebt hatte, vergaß seiner nie. Nie in aller Ewigkeit. Nie in Seiner Barmherzigkeit«. (G 448) In den letzten Jahren seines Lebens widmete sich Kuehnelt-Leddihn vor allem der Entwicklung von Manifesten (The Portland Declaration, 1982), von Attacken gegen die Welt der »Gottlosen« — offenbar ohne darüber zu verzweifeln, dass sich von seinen Positionen aus ziemlich mühelos Weichen stellen ließen sowohl zur Ideologie der Reagan-Administration wie auch zu Internet-Auftritten diverser rechtsextremer Gruppierungen. Wenige Wochen vor seinem 90. Geburtstag verfasste er noch einen Artikel zum Tod von Ernst Jünger,35 den er zeitlebens als den größten Schriftsteller Deutschlands betrachtet hatte. — Kurz darauf, am 26. Mai 1999, ist Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn in seiner Wahlheimat, in Lans verstorben. Kuehnelt-Leddihns Nachlass wird von seiner Familie aufbewahrt und verwaltet. Sein Werk ist nach wie vor Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen (zwischen den denkbar unterschiedlichsten Parteiungen) im Internet; zur Einschätzung der politischen Position des Autors vgl. die Einträge (Stand: Juni 2009) unter: http://www.kuehnelt-leddihn.at; http://de.wikipedia.org/wiki/Erik_von_Kuehnelt-Leddihn; http://www.h-ref.de/organisationen/nsdap/kuehnelt-leddihn-sozialisten.php; http://www.monarchieliga.de/text/kuehnelt-leddihn-erik-von/0bibliographie.htm Eine erste Fassung dieses Beitrags erschien unter dem Titel Der Löwe von Lans. Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn in: Kulturraum Tirol. Literatur – Sprache – Medien, hg. von Sieglinde Klettenhammer. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft; Germanistische Reihe 75 (Innsbruck: innsbruck university press 2009), S. 121-135.
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Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Aus dem Leben eines Taugeviels«, Rheinischer Merkur/ Christ und Welt, 4. Aug. 1989. Vgl. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Bekenntnisse eines Wahltirolers«, das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift (Innsbruck), XX, Nr. 40 (Herbst 1986), S. 3937-3941; Alfred Strobel: »Erik Kuehnelt-Leddihn – 60 Jahre alt«, Tiroler Tageszeitung, Nr. 174, 1969; sowie das Gespräch mit Erik Kuehnelt-Leddihn in Tiroler Nachrichten, Nr. 224, 1968 (aus dem hier eben zitiert worden ist). Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Aus dem Leben eines Taugeviels« (wie Anm. 1). »Vorwort«. In Tomislav Vitezovic: Die Anderen. Roman (Zürich-Leipzig-Wien: AmaltheaVerlag 1932), S. 7. — Im fortlaufenden Text abgekürzt zitiert: A mit nachfolgender Seitenangabe. Carl Sonnenschein (1876-1929) galt als Großstadtapostel, er war Studentenseelsorger und Leiter der Katholischen Volkshochschule in Berlin. Stefan Zweig: Brasilien. Ein Land der Zukunft. Suhrkamp Taschenbuch 984 (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1984, S. 261. — Im Folgenden wird diese Ausgabe abgekürzt zitiert: B mit Seitenzahl. Vgl. Donald A. Prater: »Stefan Zweig und die Neue Welt«. In Stefan Zweig 1881/1981. Aufsätze und Dokumente. Hg. Heinz Lunzer und Gerhard Renner. Zirkular, Sondernummer 2 (Wien: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur 1981), S. 137-163. Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (Frankfurt a. M.: Fischer 1949), S. 440. Zit. nach Volker Henze: Jüdischer Kulturpessimismus und das Bild des Alten Österreich im Werk Stefan Zweigs und Joseph Roths. Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, LXXXII, Nr. 3 (Heidelberg: Carl Winter 1988), S. 341. Brunhild E. Blum: Stefan Zweigs Briefe an seinen brasilianischen Verleger Abrahao Koogan von 1932 bis 1942. Vollständiger Abdruck mit Anmerkungen und einem Exkurs über das Brasilienbild des Autors. Diplomarbeit (Innsbruck: Institut für Germanistik 1988), S. 121. Vgl. Volker Henze, ebd., S. 340, der schlicht »Hirngespinste« konstatiert. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Aus dem Leben eines Taugeviel« (wie Anm. 1). Vgl. die von Hertha Wil zusammengestellte Erik von Kuehnelt-Leddihn-Bibliographie in Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Band 4: Bibliographien. Hg. John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt u. Sandra H. Hawrylchak (Bern u. München: K.G. Saur Verlag 1994), Teil 2, S. 1008-1018. Erik von Kuehnelt-Leddihn: Moskau 1997 (Zürich: Thomas-Verlag 1949). Diese Ausgabe wird im Folgenden abgekürzt: M mit nachfolgender Seitenangabe. Zur Klärung der Begriffe »Utopie« und »Anti-Utopie« vgl. Wolfgang Biesterfeld: Die literarische Utopie. 2. Aufl. (Stuttgart: Metzler 1982). In der Ausstellung »Zukunftsbilder. Utopische Visionen in Literatur und Film« der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Jänner-Juni 2001) ist das Buch präsentiert worden. Vgl. den Katalog der 239. Wechselausstellung. Hg. Walter Obermaier (Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek 2001). Joseph P. Strelka: Des Odysseus Nachfahren. Österreichische Exilliteratur seit 1938 (Tübingen: Francke 1999). Ebd., S. 250. Ebd., S. 249. Vgl. Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1933 – 1945. Mit einem Vorwort von Hanns W. Eppelsheimer. Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt (Heidelberg: Schneider 1962), S. 187; ferner Hertha Wil (s. Anm. 13) und Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur (Wien: Deuticke 2000), S. 414. Peter Kampits: »Wider den ›Zeitgeist‹ «, Die Furche (Wien), 7. Dez. 1983. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Aus dem Leben eines Taugeviels« (wie Anm. 1). Zit. nach Wolfgang Biesterfeld (wie Anm. 15), S. 10.
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Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Curriculum Vitae and Lecture Topics«. — Schreiben an John M. Spalek, Albany, NY, vom 12. März 1993. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Vom alten zum neuen Spießer«, Die Presse (Wien), 20./21. Sept. 1986. Die Wertung, hier einer satirisch gezeichneten Figur in den Mund gelegt, spiegelt demnach nicht die Auffassung des Erzählers wider. Erik von Kuehnelt-Leddihn hat sich zeitlebens mit der zeitgenössischen russischen Literatur beschäftigt und er hat u.a. vor allem Paustowskij, Nekrassow, Pasternak sowie Solshenitsyn geschätzt. Vgl. seine Besprechung des Buches Jugend zweier Welten von Jean Marabini: Hochland, LVI, Nr. 6 (1964), S. 562-565. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Katholischer Glaube — rechts oder links?«, Criticón, XIV (1972), S. 265-269; Zit. S. 265. Um die geläufige Rechts-Links-Topographie seiner Zeitgenossen hat sich Erik von Kuehnelt-Leddihn nie gekümmert. Vgl. Anm. 1. Vgl. Anm. 28, S. 266. 1979 (recte: 1959?) lernt Uljan seine Frau Barrikadka kennen, 1963 wird er Priester, 1974 Erzbischof, 1980 stirbt Barrikadka, 1981 wird sein/ihr Sohn geboren. Zentrale Handlungsebene: 1996-1997. Vgl. das dem Roman vorangestellte Motto-Blatt sowie M 141. Vgl. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Der Tod von Ernst Jünger — Alle Wege führen nach Rom«. Vgl. dazu http://www.monarchieliga.de/text/kuehnelt-leddihn-erik-von/todernst-juenger.htm (Stand Juni 2009). Erik von Kuehnelt-Leddihn: Die Gottlosen. Roman (Salzburg-Stuttgart: Das Bergland Buch 1962). Im fortlaufenden Text abgekürzt zitiert als G mit Seitenzahl. Erik von Kuehnelt-Leddihn: »Der Tod von Ernst Jünger — Alle Wege führen nach Rom« (wie Anm. 33).
STEFAN LORANT THOMAS WILLIMOWSKI Nur wenige aus Deutschland vertriebene Intellektuelle haben im Exil eine so erstaunliche Karriere gemacht wie Stefan Lorant. Einzigartig ist sie allemal. Sein verschlungener Lebensweg führte den gebürtigen Ungarn nacheinander in die Tschechoslowakei, nach Österreich und schließlich nach Deutschland. Der Verbannung 1933 folgten ein Aufenthalt in seinem Geburtsland, dann das Exil in Großbritannien und den USA. In allen Ländern vermochte Lorant berufliche Erfolge zu feiern — als Kinomusiker, Filmkameramann, Blattmacher und Buchautor: So gilt er als einer der Väter der modernen Fotoreportage, die um 1929 in Deutschland entstand. Sein außerordentliches Bestseller-Gefängnistagebuch I Was Hitler’s Prisoner, geschrieben 1933 in Schutzhaft in München, gehört zu den ersten Büchern aus Deutschland, die den Briten 1935 den wahren Charakter des NS-Regimes vor Augen hielten. Die von Lorant in seinem Gastland kreierten Periodika Picture Post und Lilliput, eine Illustrierte und ein Taschenmagazin, wurden unter seiner redaktionellen Verantwortung die erfolgreichsten Blätter auf der britischen Insel. Und in den USA avancierte das naturalisierte Allround-Talent mit zahlreichen Bildbänden zur Geschichte des Landes zum anerkannten Historiker. Die vielen biografischen Brüche waren in Lorants Kindertagen in Budapest noch nicht absehbar. Doch schon früh musste er erfahren, dass Lebenslinien abrupt abreißen und sich überraschend neue Herausforderungen ergeben können. Das mag eine Erklärung sein für die Zähigkeit und Zuversicht, mit der sich Lorant später nach Niederschlägen immer wieder aufrappelte und seine Karriere vehement weiter vorantrieb. Es begann mit dem »weißen Terror« in Ungarn, etwa ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Damals, im November 1919, verbreitete das ultrarechte Horthy-Regime Angst und Schrecken, und viele Intellektuelle sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. So auch Lorant, der gerade das Abitur gemacht hatte.1 Nicht nur die Gewaltherrschaft machte eine Flucht sinnvoll. Es gab auch keine beruflichen Perspektiven für den am 22. Februar 1901 in Budapest geborenen István Reich, wie sein Geburtsname lautete. Vater Izrael, Leiter eines Fotoateliers, war 1917 nach der Kriegsheimkehr gestorben; Mutter Irén musste seither allein für István und dessen jüngere Brüder Imre und György sorgen. Gerne hätte der Abiturient, der von seinen assimilierten jüdischen Eltern christlich erzogen worden war und als Jugendlicher aufgrund des starken Antisemitismus seinen Nachnamen in Lóránt geändert hatte2, studiert. Doch dafür fehlte das Geld. Nach dem verlorenen Krieg und dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn herrschte Mangel an allem.
Aufenthalt in der Tschechoslowakei Lorant wusste genau, wo er sein Glück machen wollte: in Berlin3. Zwar sprach er kein Deutsch, doch er konnte fotografieren und Geige spielen. Beides geht ohne Kenntnisse der fremden Sprache. Folglich hatte der 18-Jährige einen Fotoapparat und eine Geige im Gepäck, als er Mitte November 1919 seine Geburtsstadt verließ. Ein Dampfschiff brachte ihn die Donau hinauf nach Pressburg in der Tschechoslowakei, von dort aus ging es auf dem Landweg weiter Richtung deutsche Grenze. Doch in
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Nordböhmen war erstmal Schluss mit der Reise: Weil er keinen Passierschein besaß, durfte Lorant nicht nach Deutschland einreisen. Der junge Mann quartierte sich in Bodenbach, einer nur wenige Kilometer südlich der Grenze gelegenen Gemeinde an der Elbe, bei Verwandten ein. Hier wartete er auf den Passierschein. Da die Erteilung viele Wochen, ja sogar Monate dauern konnte, musste er Geld verdienen. Seine Jobsuche führte ihn in die Redaktionsräume einer Zeitung, wo er in Stellenanzeigen blätterte. Ein Mann in der Redaktion macht ihn darauf aufmerksam, dass ein Kino in Tetschen, einer Kleinstadt auf der anderen Seite der Elbe, gerade einen Geiger suchte. Lorant spielte vor und wurde engagiert. Jeden Tag begleitete er jetzt in einem kleinen Orchester Stummfilme. Insgesamt vier Monate saß Lorant in Bodenbach fest. Neben dem Geigenspiel nutzte er die Zeit, um autodidaktisch Deutsch zu lernen.
Aufenthalt in Österreich Als der Passierschein nach Deutschland vorlag, konnte Lorant Mitte März 1920 endlich nach Berlin weiterreisen. Doch in der Stadt seiner Träume erlebte er eine böse Überraschung: Der Kapp-Putsch — der von Wolfgang Kapp und General Walther Freiherr von Lüttwitz initiierte, rechtsradikale Umsturzversuch gegen die deutsche Reichsregierung — erschütterte gerade die Hauptstadt und die junge Weimarer Republik.4 Für einen Ausländer alles andere als ein sicherer Aufenthaltsort. Von den Vorkommnissen irritiert, reiste Lorant zwei Tage nach seinem Eintreffen wieder ab.5 Sein Ziel war jetzt Wien. Wieder suchte und fand er hier schnell einen Job, diesmal im Filmgeschäft: Der ebenfalls aus Ungarn kommende Regisseur Peter Paul Felner ließ Lorant die Standfotos für zwei Filme machen. Schon während seiner Zeit als Geiger im Kino hatte Lorant nach eigenen Angaben erfasst, wie die Filme gemacht werden. Jetzt verfolgte er am Set die Entstehung jeder Einstellung, ließ sich von den Kameraleuten alles erklären und hatte bald nur noch ein Ziel: selbst am Kurbelkasten stehen. Er musste nicht lange warten. Im Sommer 1920 begann die Helios-Filmfabrik mit den Dreharbeiten zu dem Film Ein Künstlerleben – Wolfgang Amadeus Mozarts Leben, Lieben und Leiden. Inszeniert von Regisseur Otto Kreisler, sollte das historische Filmdrama im Dezember 1931 im Rahmen der Mozartwoche in Salzburg uraufgeführt werden. Bei dieser Produktion durfte Lorant als zweiter Kameramann fungieren. Nun war die Rolle des zweiten Kameramanns keine herausragende; er war im Allgemeinen absolut vom ersten Kameramann abhängig. »Was er macht, ist nicht sein Werk, sondern eine Kopie des ersten Negativs.«6 Aber immerhin, der erst wenige Monate zuvor in Wien eingetroffene Lorant hatte den Sprung ins Filmgeschäft geschafft. Und das Glück blieb ihm treu: Weil der erste Kameramann beim Dreh einer sehr aufwändig inszenierten Szene versehentlich das moderne Schriftzeichen eines Hotels aufnahm, wurde er gefeuert. Lorant war als zweiter Kameramann aufmerksamer und machte alle Aufnahmen ohne Schriftzeichen. Prompt wurde er während der laufenden Produktion zum ersten Kameramann des Mozart-Films befördert. Die Helios-Filmfabrik war mit Lorant so zufrieden, dass sie ihn für weitere Produktionen verpflichtete: Das Judenmädel, Die tolle Miss oder Los vom Mann und Der tote Hochzeitsgast (Don Ramiro) heißen die Streifen. Diese Filme entstanden in dichter Folge im Jahr 1921. Bei der Verfilmung des von ihm selbst verfassten Skripts Die Narren-
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kappe der Liebe durfte Lorant im selben Jahr sogar Regie führen. Doch an den Kinokassen erwies sich das Werk des 20-Jährigen als Flop. Auf eigene Faust und mit eigener Kamera drehte er im September 1921 in der Tschechoslowakei noch den Dokumentarfilm Zionistenkongreß in Karlsbad. Danach, im März 1922, kehrte er Wien den Rücken. Ohnehin zeigten sich aufgrund des tragischen politischen Wandels Österreichs vom Groß- zum Kleinstaat, der in der Filmproduktion Einbußen materieller Grundlagen mit sich brachte, erste Abwanderungstendenzen Filmschaffender.
Aufenthalt in Deutschland Lorant reiste nach Berlin, dem ursprünglichen Ziel bei seiner Flucht aus Ungarn. Ganz zufällig war der Zeitpunkt seiner Übersiedlung nicht. Der Regisseur Felner, der ihm 1920 in Wien den ersten Job als Standfotograf verschafft hatte, bot Lorant an, bei seinem Film Der Graf von Essex als zweiter Kameramann zu fungieren.7 Auf der Karriereleiter war das ein Rückschritt, aber Lorant war endlich in Berlin! Hier stand das Filmgeschäft noch immer in voller Blüte. Das Historiendrama Der Graf von Essex, das im September 1922 Premiere hatte, wurde ein großer Erfolg. Und wie 1920/1921 in Wien, wurde Lorant nun als Kameramann für eine Produktion nach der anderen verpflichtet, darunter für die Unterhaltungsfilme Der Kampf ums Ich und Die Pagode, jeweils mit Olga Tschechowa in der Hauptrolle, und Paganini mit Conrad Veidt. Doch abermals war ihm die Arbeit als Kameramann nicht genug. Er wollte Regie führen — auch wenn sein erster Versuch 1921 in Wien ein Fiasko war. Weil ihm keine Filmproduktionsgesellschaft in Berlin eine Regiearbeit anvertraute, gründete der Operateur 1923 kurzerhand seine eigene Gesellschaft: Lorant-Film. Sitz war seine Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin, und der erste Film hieß Seine Majestät, das Kind, ein heiteres »Spiel von Liebe und von Lausejungs«. Auch wenn es sich nur um einen Kurzfilm handelte, dürfte der Kostendruck immens gewesen sein. Aber das kam Lorants selbstbewusster Neigung entgegen, am liebsten alles selbst zu machen. Dieser Charakterzug wurde kennzeichnend für sein ganzes berufliches Leben. Waren die Voraussetzungen für eine Alleinarbeit nicht gegeben — und ein Film kann kaum von nur einer Person hergestellt werden —, so wollte Lorant mindestens die gesamte Entscheidungsgewalt in seinen Händen haben. Vorgehensweisen mit Dritten abstimmen, gar Kompromisse eingehen — das war nicht seine Sache. Konsequent verfasste der 22-Jährige allein das Skript für den Märchenfilm, bediente die Kamera und führte Regie. Der Streifen wurde im Dezember 1923 uraufgeführt — und fiel durch. Der feste Glaube an das eigene Talent wurde also auch bei der zweiten Regiearbeit nicht bestätigt, und die Produktionsgesellschaft Lorant-Film war am Ende. »The reaction of the critics was, ›That young director can’t direct,‹ […] So I put away my camera«, erklärte Lorant Jahrzehnte später in seltener Offenheit.8 Überhaupt behauptete er gern, das Filmgeschäft hätte ihm keinen Spaß gemacht. Doch die Existenz von mehreren Exposés und Drehbüchern, die er auch noch einige Jahre lang nach dem Debakel verfasste, deutet darauf hin, dass er durchaus massives Interesse hatte, in der Branche zu bleiben. Aber nur ein einziges Mal gelang ihm der Verkauf einer Idee zu einem Film. Es lag aber wohl nicht nur am Misserfolg von Seine Majestät, das Kind, dass Lorant nach seiner Beteiligung an acht Filmen in Berlin keine Regieaufträge bekam: Im November 1923 hatte die Regierung Gustav Stresemann mit der Einführung der Rentenmark und mit einem rigorosen Sparkurs der öffentli-
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chen Haushalte der Hyperinflation ein Ende gesetzt. Die deutsche Währung stabilisierte sich wieder. Für die deutsche Filmindustrie hatte dies negative Folgen. »Mit der Stabilisierung der Mark ging der Auslandsabsatz erheblich zurück, und es setzte eine Überflutung des deutschen Filmmarktes mit ausländischen, vor allem amerikanischen Filmen ein.«9 Die Finanziers deutscher Filme wurden also vorsichtiger bei der Wahl der Projekte. Mittlerweile war Lorant lange genug im deutschen Sprachraum, um Deutsch lesen und schreiben zu können. So begann er Mitte 1923, also noch während der Arbeit an dem Märchenfilm, Artikel für Zeitungen zu verfassen.10 Beiträge von ihm erschienen gelegentlich in der Neuen Berliner Zeitung und im Montag Morgen, vor allem aber in der BZ am Mittag und in der Berliner Morgenpost. Die Themen fand er stets im Showgeschäft. Er berichtete beispielsweise über die Entstehung von Filmmusik, über die Requisiten des Filmstars Charlie Chaplin und über die längst vergessenen Rollen, mit denen inzwischen berühmte Filmstars einst ins Geschäft eingestiegen waren. Als Nicht-Muttersprachler war Lorant kein Stilist, doch seine Artikel bestachen durch Authentizität. Hier schrieb jemand, der etwas vom Geschäft versteht und weiß, was hinter den Kulissen geschieht. Dass er immer wieder auch geschickt die Namen populärer Schauspieler einbrachte, von denen er ja den einen oder anderen persönlich kannte, ließ die Informationen für viele Leser sicher besonders interessant erscheinen. F.W. Koebner, Herausgeber des Magazins, las einige der Artikel Lorants.11 Als er ihm im Herbst 1925 zufällig beim Einkaufen begegnete, fragte Koebner, ob Lorant Texte aus dem Ungarischen ins Deutsche übersetzen könnte, damit sie im Magazin gedruckt werden könnten. Lorant sagte zu. Später nahm er seine Zusage zurück mit der Begründung, sein Deutsch sei nicht gut genug. Aber er könne eigene Artikel für das Magazin verfassen. Koebner war nicht besonders angetan, doch Lorant insistierte und durfte schließlich einen Probebeitrag verfassen. Sein Bericht thematisierte die Geschichte der Kinematografie. Koebner war offenbar zufrieden, druckte den Artikel ab, und Lorant durfte weitere Storys liefern. Taschenmagazine wie Das Magazin waren zu dieser Zeit, Mitte der zwanziger Jahre, auf dem deutschen Pressemarkt groß im Kommen. Sie erschienen in der Regel monatlich in einem deutlich kleineren Format als die Illustrierten, hatten dafür aber einen erheblich größeren Seitenumfang. Das Magazin wurde als eines der ersten seiner Art im September 1924 von F.W. Koebner, Hubert Miketta und Robert Siodmak gegründet.12 Doch Siodmak, der den produzierenden Verlag etablierte, ging in Konkurs, als er trotz des guten Erfolges des Blattes die mit den ersten Ausgaben angehäuften Schulden nicht begleichen konnte. So war der später als Regisseur zu Weltruhm gekommene Jungverleger aus dem Geschäft. Das Magazin wurde fortan von einem anderen Verlag produziert, wobei Koebner weiterhin als Herausgeber und Miketta als Chefredakteur fungierte. Tatsächlich konnte sich das Magazin dauerhaft gegen Konkurrenzprodukte wie Uhu und Scherl’s Magazin behaupten. Ihnen allen gemeinsam war die inhaltliche Ausrichtung. Da fanden sich Artikel über Mode, Zeitgeist, Verkehr, Technik, Literatur, Exotik, Erotik, Theater und Film neben Kurzgeschichten, Witzen und Rätseln. Vor allem aber bedienten die bunten Blätter das immer größer werdende Bedürfnis nach Bildern. Nachdem Lorant mehrere Artikel — zum Teil mit von ihm selbst aufgenommenen Fotos — geliefert hatte, machte Koebner ihn zum Redaktionsassistenten.13 Zum ersten Mal in seinem Leben saß der Ungar in einer Redaktion, wo er lernte, Bilder zu schneiden und Seiten zu layouten. Es war der Beginn einer atemberaubenden Karriere, die Lorant letztlich an die Spitze der zweitgrößten Illustrierten der Republik führen sollte.
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Die Stationen seien hier nur knapp skizziert: 1926 übertrug Koebner dem Assistenten Lorant die Redaktion14: Lorant vergab Aufträge an Autoren und Fotografen, redigierte die Artikel und layoutete jede einzelne Ausgabe. Unter seiner Verantwortung erfuhr das Blatt binnen weniger Monate eine enorme Auflagensteigerung, wie Lorant später behauptete. Belegt ist dies nicht, aber es ist möglich. Allerdings kann diese Auflagensteigerung auch auf den allgemeinen Trend zurückzuführen sein, wonach praktisch alle Bilderblätter in diesen Jahren Auflagensteigerungen verzeichneten. Gegen Ende des Jahres 1926 trat die Presseabteilung der Universum Film AG (Ufa) an Lorant heran. Er sollte das Programmheft für den Monumentalfilm Metropolis erstellen, eine Sondernummer des regulär wöchentlich erscheinenden Ufa-Magazins. Der Film des Regisseurs Fritz Lang erlebte im Januar 1927 in Berlin seine Premiere, und bei diesem Termin wurde auch erstmals das von Lorant meisterhaft gestaltete Heft verkauft, das von der ersten bis zur letzten Seite der aufwändigen Produktion huldigt und die Superlative der Herstellung in den Vordergrund rückt, als wäre dies bereits eine kulturelle Leistung.15 Bekanntlich erwies sich Metropolis für die Ufa als finanzielles Fiasko. Für Lorant aber war der Film, genauer gesagt: das Programmheft ein weiteres Sprungbrett, denn die Verantwortlichen waren mit seiner Leistung so zufrieden, dass sie ihn umgehend zum Schriftleiter des Ufa-Magazins machten. In diesem im August 1926 gegründeten Blatt wurden Woche für Woche in Text und Bild Filme vorgestellt, die in den Lichtspielhäusern des Unternehmens aufgeführt wurden, darunter natürlich nicht zuletzt Ufa-Produktionen. Es vergingen nur wenige Wochen, da erhielt Lorant ein weiteres Angebot: Die Tageszeitung Berliner Börsen-Courier engagierte ihn parallel zu seinem Ufa-Engagement im März 1927 als Schriftleiter ihrer illustrierten Sonntagsbeilage Bilder-Courier. Viele Tageszeitungen verfügten über eine solche Beilage, konnten den Lesern hier doch endlich qualitativ gute Fotos dargebracht werden. »An sich war die Bilderbeilage des ›Börsenkuriers‹ [sic] für die deutsche Presse gänzlich unwichtig. Aber Stefan Lorant machte daraus auf die erstaunlichste Weise eine Publikumsattraktion ersten Ranges«, so der Journalist und Zeitzeuge Pem.16 Mit Übernahme der Schriftleitung des BilderCouriers stellte Lorant seine Arbeit beim Magazin ein. Im Jahr darauf wurde in München Knorr & Hirth auf Lorant aufmerksam. Der Verlag produzierte wöchentlich die Münchner Illustrierte Presse (MIP) und hatte Probleme, in Norddeutschland und in der Reichshauptstadt gegen die etablierte und auflagenstärkere Berliner Illustrirte Zeitung (BIZ) zu bestehen. Von der Ausweitung der Berichterstattung aus der Hauptstadt versprachen sich die Verantwortlichen eine stärkere Nachfrage ihrer Zeitschrift. Und Lorant sollte dies als Berlin-Redakteur übernehmen.17 Der Mann, der an allem Neuen interessiert war und sich gerne Herausforderungen stellte, musste nicht lange überlegen: Seine Schriftleiter-Position beim BilderCourier gab er auf, dem Job beim Ufa-Magazin ging er aus unklaren Gründen ohnehin bereits seit Juli 1927 nicht mehr nach. Ab August 1928 fungierte Lorant als BerlinRedakteur für die zweitgrößte Illustrierte in Deutschland. Jetzt war der ungarische Einwanderer endgültig in der Medienbranche etabliert. Zum beruflichen Erfolg gesellte sich privates Glück: Im Dezember 1929 heiratete Lorant die russische Tänzerin Njura Norskaja. Fanny Fainleib, wie sie bürgerlich hieß, kam aus einer jüdischen Fabrikantenfamilie, die vor der Revolution in Russland geflohen war. 1930 wurde der gemeinsame Sohn Andi geboren. Auch wenn Lorant jetzt für eine in Süddeutschland beheimatete Illustrierte arbeitete, blieb er doch Teil des Berliner Journalistenklüngels. Das wurde spätestens deut-
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lich, als ihm der Verein Berliner Presse die Gestaltung des Almanachs zum Presseball im Januar 1930 übertrug. Diese Almanache, von denen jeder Gast ein Exemplar erhielt, waren ein fester Bestandteil des traditionsreichen Festes. In der Regel handelte es sich um rasch produzierte Wegwerfprodukte, deren einziger Anspruch darin bestand, die Ballgäste für die Dauer eines Abends mit ein paar Anekdoten zu unterhalten. Lorant dagegen legte einen Almanach vor, wie ihn der Presseball noch nicht gesehen hatte18: Auf nicht weniger als 120 Seiten präsentierte er unter dem Titel So sehen wir aus streng alphabetisch geordnet Porträtfotos und -zeichnungen der Berliner Presse-Elite, darunter die Kritiker Alfred Kerr (Berliner Tageblatt) und Herbert Ihering (Berliner Börsen-Courier) und die Chefredakteure Theodor Wolff (Berliner Tageblatt), Georg Bernhard (Vossische Zeitung) und Otto Robolsky (Berliner Morgenpost), deren Köpfe jeweils auf die eigenen Zeitungsseiten montiert wurden. Auch die heiteren und besinnlichen Texte, die Lorant zwischen den Fotos unterbrachte, wurden präsentiert wie Artikel in Zeitungen, so dass sie in ihrer Aufmachung direkt Bezug nahmen auf den Initiator des Balls: die Presse. Der Almanach gelangte natürlich nicht in den freien Handel. Dort war Lorant seit Ende 1928 mit einem anderen Werk präsent: dem Buch Wir vom Film.19 Der Untertitel »Das Leben, Lieben, Leiden der Filmstars« verrät bereits, dass es einmal mehr um populäre Schauspieler ging. Er nahm sich der Biografien von 49 bekannten Leinwandlieblingen an, darunter Elisabeth Bergner, Werner Krauß, Lil Dagover, Emil Jannings und Paul Morgan. Und wohl weil Hollywoods Filme und deren Hauptdarsteller auf das deutsche Publikum eine besondere Faszination ausübten, porträtierte Lorant auch ein paar Stars aus den Vereinigten Staaten von Amerika, wie etwa Charlie Chaplin, Greta Garbo, Buster Keaton und Gloria Swanson. Der Autor widmete jedem Künstler zwischen einer und sieben Seiten, wobei die Darstellung fast nie in der Zweiten, sondern in der Ersten Person Singular erfolgte. Diese Art der Aufbereitung der sehr stark differierenden Lebensläufe und Karrieren vermittelte dem Leser nicht nur ein Höchstmaß an Authentizität — bestätigt durch den faksimilierten Abdruck der jeweiligen Unterschrift unter dem Text —, sondern ermöglichte es Lorant darüber hinaus, unterschiedliche journalistische Darstellungsformen zu nutzen und damit für Abwechslung und Kurzweil zu sorgen: Interviews, Tagebuchauszüge, ein »Verhör«, ein Steckbrief, ein Telegramm, ein tabellarischer Lebenslauf, eine Beichte sowie Berichte, Reportagen und ein Gedicht. Eine bestechend originelle und bunte Mischung auf rund 130 Seiten. Trotz seines beruflichen Erfolges war Lorant offenbar nicht wunschlos glücklich. Ein ehrgeiziger Mensch wie er konnte sich mit der Stellung als Berlin-Redakteur der MIP nicht dauerhaft zufrieden geben. Er wollte Chefredakteur werden. Und das gelang ihm 1929 zumindest insofern, als er dreimal den abwesenden Chefredakteur Paul Feinhals in München vertreten durfte.20 Als Feinhals allerdings 1930 die Zeitschrift verließ, überging die Verlagsleitung den ambitionierten Berliner Mitarbeiter und übertrug die Position dem Layouter Hugo Huber. Erst einige Monate nachdem im März 1932 wiederum Huber ausschied, bekam der inzwischen mit Ehefrau und Sohn dauerhaft nach München übergesiedelte Lorant den von ihm so begehrten Posten des Chefredakteurs. Mit seiner 1928 aufgenommenen Arbeit an der unpolitischen MIP schrieb Lorant Pressegeschichte, war er als Berlin-Redakteur doch maßgeblich an der Entstehung der modernen Fotoreportage um 1929 beteiligt: Gemeinsam mit anderen Blattmachern begann er, der gestellte Fotos grundsätzlich ablehnte, bestimmte Fotoreportagen außergewöhnlich anzuordnen, ja zu komponieren. Herausragende Lieferanten solcher
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Fotostrecken waren für die MIP bzw. das Konkurrenzblatt BIZ Erich Salomon, Tim N. Gidal, Walter Bosshard, André Kertész, Felix H. Man, Wolfgang Weber, Kurt Hübschmann und Harald Lechenperg. Bei beiden Illustrierten war die Entwicklung des neuen Layouts ein langsamer Prozess, der sich zunächst nur in einzelnen Beiträgen manifestierte und dabei nicht an einer bestimmten Person, in diesem Falle also Lorant, festgemacht werden kann. Tatsächlich lässt sich Lorants diesbezügliches Talent nur oder vor allem an einigen wenigen herausragenden Fotoreportagen erkennen. Dies mag der Grund dafür sein, dass Lorants Verdienste um die moderne Fotoreportage — wie auch die Verdienste der Verantwortlichen bei der BIZ, also in erster Linie Chefredakteur Kurt Korff — in Fachbüchern zum Thema oft nur unscharf erklärt oder schlicht falsch definiert werden. »Lorant kam als erster auf die Idee, Reportagen machen zu lassen, die eine Geschichte in einer Folge von Bildern erzählten«, konstatierte zum Beispiel die große Fotografin Gisèle Freund in ihrem zum Standardwerk avancierten Buch Photographie und Gesellschaft.21 Diese für Lorant schmeichelhafte Feststellung der langjährigen Mitarbeiterin des Magazins Life ist nicht korrekt. Reportagen in Bildern gab es schon viele Jahre vor Lorants Einstieg in den Illustrierten-Journalismus. Neu war vielmehr die Anordnung, unterschiedliche Größe und Aufmachung der in Serie aufgenommenen Fotos und die dadurch plastisch werdende Atmosphäre der Szenerie sowie im besten Fall Seele und Gefühl des Fotografen. Eine der berühmtesten Fotoreportagen aus dieser Frühzeit trägt den Titel »Mussolini« und erschien im März 1931 in der MIP.22 Die Fotos zeigen den italienischen Diktator Benito Mussolini bei verschiedenen Tätigkeiten an einem einzigen Tag. Aufgenommen hat sie Felix H. Man, dessen Ziel es war, »das wahre Gesicht« des faschistischen Diktators zu zeigen, wie er Jahrzehnte später in einem ausführlichen Bericht über seine Arbeit erklärte.23 Man fotografierte den Duce in Zivil beim Reiten, bei einem Strandausflug und in seinem extrem großen Arbeitszimmer im Palazzo Venezia in Rom beim Studium von Presse und Akten und beim Empfang Untergebener. Lorant veröffentlichte die Fotos in der MIP auf vier Seiten und ordnete sie wie einen kleinen Film an. Es ist alles andere als eine kritische Auseinandersetzung mit Mussolini oder dem Faschismus. Kein Wort über die Unterdrückung von Gegnern im Lande und die Abschaffung der Pressefreiheit, keine Kritik an dem zur Schau gestellten Pomp, kein Hinweis auf die Möglichkeit, dass auch Deutschland bald ein faschistischer Staat sein könnte. Stattdessen wird Mussolini als fleißiger, belesener, sympathischer, fürsorglicher und im Prinzip den einfachen Dingen des Lebens zugetaner Führer präsentiert, der das Volk liebt, von allen Menschen verehrt wird und der vollkommen zu Recht an der Spitze Italiens steht. Das ist die kaum versteckte Botschaft der Bildgeschichte. Nicht zu Unrecht bezeichnete der Fotograf Tim N. Gidal diese Story 1972 als »profaschistisch«.24 Dass eine solch glorifizierende Darstellung Mussolinis geeignet war und ist, den Faschismus zu verharmlosen, wäre ihm natürlich nie in den Sinn gekommen. Schließlich waren die Fotos nicht im Auftrag des Duce entstanden, der Fotograf hatte sein Motiv nicht posieren lassen, die Aufnahmen also nicht inszeniert, und Mussolini hatte auch keinen Einfluss auf die Darstellung im Blatt. Die Parallelen zu dem einige Jahre später entstandenen Reichsparteitagsfilm Triumph des Willens (1935) von Leni Riefenstahl sind offenkundig. Lorant war nach eigenen Angaben vor dem Machtantritt Hitlers ein unpolitischer Mensch.25 Sein Interesse galt ganz allein seiner Karriere. Er mag den Zerfall der Weimarer Republik registriert haben, doch der beunruhigte ihn nicht. Als die Natio-
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nalsozialisten im März 1933 auch in Bayern die Macht an sich rissen, ahnte der Journalist nicht, in welcher Gefahr er schwebte. Am 13. März erschien der mit Lorant befreundete Syndikus des Verlages Knorr & Hirth in seinem Büro und warnte: »Ich habe gehört, dass auch Sie in Gefahr sind. Es wäre besser, wenn Sie einige Tage ins Ausland fahren würden.«26 Doch Lorant nahm die Warnung nicht ernst. Am Tag darauf wurde er von der Politischen Polizei abgeholt und in Schutzhaft genommen. Jetzt war er schlagartig politisiert. Völlig entrechtet und von den Ereignissen tief erschüttert, führte Lorant im Gefängnis heimlich ein Tagebuch.27 Systematisch und detailliert dokumentierte er auf Rückseiten von Briefen, auf Papierschnipseln und Toilettenpapier seine Hafterlebnisse. Er wurde Zeuge von Folter und Erniedrigung, blieb selbst aber körperlich unversehrt. Nach und nach wurden Lorant und seine Kollegen gewahr, warum sie eingesperrt worden waren: Zwei ihnen unterstellte Mitarbeiter hatten sie denunziert, weil sie selbst Karriere im Verlag Knorr & Hirth machen wollten. Da konnte es Lorant nichts nützen, dass die von ihm redaktionell verantwortete MIP eine unpolitische Zeitschrift war. Und auch mit seiner jüdischen Abstammung hatte die Inschutzhaftnahme nichts zu tun. Gegen Lorant wurde nie Anklage erhoben. Er wurde noch nicht einmal ordnungsgemäß verhört. Dafür beraubte man ihn all seiner Habe: Das Auto wurde beschlagnahmt, das Bankkonto gesperrt und die Bezüge gestrichen. Für einige Wochen wurde auch Njura eingesperrt. Von ihr war Lorant zwar inzwischen geschieden, doch lebten sie weiterhin zusammen. Nachdem sie wieder auf freiem Fuß war, besuchte sie ihn im Gefängnis und schmuggelte die heimlich gemachten Notizen hinaus. Lorant selbst kam erst sechseinhalb Monate nach seiner Inhaftierung frei; und weil die Wärter vergaßen, ihn bei der Freilassung zu durchsuchen, gelangte mit ihm auch der Rest seiner Aufzeichnungen nach draußen. Lorants Freilassung erfolgte aufgrund einer Intervention der ungarischen Regierung. Bedingung der deutschen Regierung war, dass Lorant umgehend das Land verlassen würde. Er reiste mit dem Zug nach Ungarn. Seine Mutter, die aus Budapest angereist war, begleitete ihn.
Aufenthalt in Ungarn Seine Freilassung hatte Lorant in erster Linie dem ungarischen Parlamentsabgeordneten Miklós Lázár, seines Zeichens ebenfalls Journalist, zu verdanken.28 Aufgrund der offenbar wiederholten Intervention des liberalen Politikers forderte die ungarische Regierung letztlich erfolgreich die Entlassung Lorants aus dem deutschen Gefängnis. Ganz ungewöhnlich ist dieser Einsatz einer fremden Regierung für einen Schutzhäftling ihrer Nationalität im NS-Staat nicht. Ausländer gehörten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zu einer der frühen Schutzhaftgruppen. »Es häuften sich jedoch in sehr wenigen Monaten die Beschwerden gegen ihre Internierung«, stellte Detlev Scheffler in seiner Untersuchung Schutzhaft im Nationalsozialismus fest.29 »Diplomatische Verwicklungen wurden befürchtet.« Vom 30. August 1933 an galt, dass die jeweilige Behörde, die die Schutzhaft für einen ausländischen Bürger anordnete, generell die Zustimmung des Innenministeriums einholen musste. Bei der Freilassung Lorants mochte es sich um einen »diplomatischen Schritt« handeln. Ob Lorant in Ungarn wirklich frei war, darf in Frage gestellt werden; und das nicht nur, weil sein Geburtsland keine demokratische Regierung hatte. Ein Brief des Staatsministeriums des Innern an die bayerische Staatskanzlei vom 9. Oktober 1933
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lässt Raum für Spekulationen über eine (weiterhin bestehende) mögliche Gefährdung Lorants: Der in dieser Angelegenheit [d.i. polizeiliche Ermittlungen in der Strafsache Freiherr von Aretin und Genossen/Anm. d. Verf.] in Schutzhaft gewesene Schriftleiter Stefan L o r a n t, ungarischer Staatsbürger, wurde im Benehmen mit dem Ungarischen Generalkonsulat in München am 25.9.1933 bereits aus der Schutzhaft entlassen und dem genannten Generalkonsulat zwecks Verschiebung nach Ungarn überstellt. Das Ungarische Generalkonsulat hat im Benehmen mit der Ungarischen Regierung die Verpflichtung übernommen, die weitere Tätigkeit Lorants in Ungarn geeignet zu überwachen.30
Lorant hatte nicht nur den Gefängnisaufenthalt überstanden, die Notizen gerettet und Deutschland mindestens physisch unbeschadet verlassen — ihm war das Glück auch weiterhin gewogen: Keine 24 Stunden nach Ankunft in seiner Geburtsstadt bekam er nach eigener Darstellung am 27. September 1934 bereits wieder einen Job. Er sollte die wöchentliche Illustriertenbeilage der Tageszeitung Pesti Napló, zu deutsch: »Pester Journal« übernehmen.31 Mit einem solchen Supplement war Lorant bestens vertraut, hatte er doch bereits 1927/28 den Bilder-Courier, die Sonntagsbeilage des Berliner Börsen-Couriers, verantwortet. Die Beilage des Pesti Napló hatte inhaltlich eine identisch bunte Ausrichtung: Film, Theater, Mode, Sport, Architektur, Erotik, Exotik, Technik, Katastrophen und ein wenig Politik. Nach seiner Arbeit an der Beilage der Pesti Napló schrieb Lorant zu Hause — »ein gemietetes Zimmer auf dem Rosenhügel auf der anderen Seite der Donau« — mit Hilfe seiner Aufzeichnungen das Gefängnistagebuch.32 So günstig der Umstand auch erscheinen mag, dass Lorant in sein Geburtsland zurückkehren konnte, also nicht wie so viele andere durch das NS-Regime Bedrohte in die Fremde gehen musste — vor dem Hintergrund seiner schon viele Jahre zurückliegenden, vollständigen Akkulturation in Deutschland muss diese erzwungene Rückkehr nach Ungarn als ein Gang ins Exil bezeichnet werden. Lorant war ein aus Deutschland Verbannter, ein Repatriant, der sich nicht aus freiem Willen in Ungarn aufhielt. Seinem Weggang ging ein tatsächlicher, nicht etwa nur antizipierter Verlust der Existenzgrundlage voraus. Das schließt nicht aus, dass der 32-Jährige — tief erschüttert von den sechseinhalbmonatigen Schutzhaft-Erlebnissen und dazu ohne berufliche Perspektive — nach seiner Freilassung Deutschland auch ohne weiteren äußeren Druck umgehend verlassen hätte. Und Ungarn hätte da sicher als ein Fluchtpunkt nahe gelegen. Auf jeden Fall begriff Lorant das Land seiner Väter als sicheren Aufenthaltsort, der ihm Schutz vor weiterer Verfolgung bietet: »The train was travelling through a free country«, beschrieb er seine Erleichterung und Freude, nachdem der Zug, in dem er wenige Stunden nach seiner Entlassung in Begleitung seiner Mutter saß, die deutsch-österreichische Grenze passierte und nach Ungarn rollte.33 Die erzwungene Ausreise aus Deutschland und die Übersiedlung nach Ungarn hinterließen bei Lorant keine Spuren von Orientierungslosigkeit oder Depression. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Lorants Übersiedlung ist zwar, wie beschrieben, durchaus als Gang ins Exil zu bezeichnen. Doch aus folgenden Gründen ist seine Situation in Budapest alles andere als typisch für einen Vertriebenen: Erstens kehrte Lorant zurück in eine ihm noch sehr vertraute Lebenswelt. (Seine Mutter Irene wohnte sogar noch immer in derselben Wohnung, in der Lorant aufgewachsen war.34) Zweitens hatte er hier kein Sprachproblem zu bewältigen, denn er befand sich im
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Land seiner Muttersprache. Drittens war eine etwaige soziale Isolation ausgeschlossen, weil Lorant weiterhin (und sogar in größerem Umfang) seine Familie um sich hatte: nicht nur Ehefrau und Sohn, sondern auch Mutter, Brüder und weitere Verwandte. Viertens musste sich Lorant als ungarischer Staatsbürger nicht mit aufenthaltsrechtlichen Fragen befassen, möglicherweise in permanenter Angst, ausgewiesen zu werden. Sein Name würde nicht auf einer der berüchtigten deutschen Ausbürgerungslisten auftauchen. Während andere geflohene Gegner des NS-Regimes ausgebürgert wurden und in der Folge als Staatenlose noch mehr als ohnehin notwendig auf das Wohlwollen der Behörden ihrer Gastländer angewiesen waren, blieb Lorant von solchen Widrigkeiten verschont. Als Inhaber eines ungarischen Passes konnte er sich unbegrenzt in Ungarn aufhalten und aus- und einreisen, wie es ihm beliebte. Und weil er selbstverständlich ohne gesonderte Genehmigung in Ungarn arbeiten durfte, konnte Lorant fünftens unmittelbar nach seiner Ankunft einen Job bei einem Zeitungsverlag annehmen. Die sofortige Aufnahme einer ihm sehr vertrauten, journalistischen Arbeit, die sich zudem ganz dem Hier und Heute zu widmen hatte, war für Lorant natürlich ein großes Glück und vermutlich auch moralisch von einiger Bedeutung. Der berufliche und damit auch der gesellschaftliche Status blieben also gewahrt.
Erste Exilstation: Großbritannien Von Ungarn aus bot Lorant sein Tagebuchskript nicht etwa einem der bereits früh gegründeten Exilverlage an, die deutschsprachige Skripte von Emigranten publizierten, wie etwa den Verlagen Querido (Amsterdam), Allert de Lange (Amsterdam), Europäischer Merkur (Paris) und Éditions du Carrefour (Paris/Basel). Er wandte sich vielmehr an Verlage in Großbritannien. Die Wahl gerade dieses Landes hatte einen handfesten Grund: Das Buch sollte Lorant bei der dauerhaften Übersiedlung auf die britische Insel helfen. Er hatte Großbritannien erstmals 1931 besucht und war begeistert. Noch im Gefängnis, als klar wurde, dass er nicht wieder auf seinen Posten bei der MIP würde zurückkehren können, fasste er den Entschluss, nach seiner Freilassung — wann immer die erfolgen würde — in London ein neues Leben zu beginnen.35 Im April 1934 traf Lorant mit Njura in der Metropole an der Themse ein.36 Über einen Agenten kam es zu einem Vertragsabschluss mit der Hutchinson Publishing Group, die das Gefängnistagebuch offenbar noch im selben Jahr in englischer Übersetzung publizieren wollte.37 Neben diesem Erfolg, der auch mit einem Vorschuss auf die Tantiemen verbunden war, gelang Lorant bald ein weiterer Coup: Aufgrund einer Verquickung glücklicher Umstände bekam er Kontakt zum Verlagshaus Odhams Press.38 Das hatte gerade große Schwierigkeiten mit seinem auflagenschwachen Wochenblatt Clarion. Lorant, der so gut wie kein Wort Englisch sprach, wartete mit ein paar Verbesserungsvorschlägen auf, woraufhin ihm der Verlag anbot, den Clarion zu überarbeiten. Was Lorant dann über einen Zeitraum von zwei Wochen entwarf, war alles andere als eine verbesserte Version des dümpelnden Blattes. Mit dem ihm eigenen unerschütterlichen Selbstbewusstsein und einer Portion unbekümmerter Dreistigkeit gestaltete Lorant eine Wochenillustrierte. Und die war sowohl inhaltlich als auch vom Layout her beinahe ein Plagiat der von ihm in Deutschland zuletzt redaktionell verantworteten MIP. Als solche hatte der Dummy mit dem Clarion fast gar nichts gemein. Konsequenterweise wurde auch der Name Clarion getilgt: Lorant nannte den Dummy wenig fantasievoll, aber treffend Weekly Illustrated.
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Einige tausend Exemplare wurden den potenziellen Anzeigenkunden zugestellt, um die Akzeptanz zu testen — ein auch heute noch übliches Verfahren, wenn neue Periodika, die wesentlich durch Werbung finanziert werden sollen, für die Veröffentlichung vorbereitet werden. Die Resonanz war positiv. Der nach dem Clarion-Fiasko offenbar völlig verunsicherte Verlag entschied sich für die Produktion der Weekly Illustrated und übertrug Lorant am 11. Juni die redaktionelle Verantwortung. Zu diesem Zeitpunkt war der Ungar gerade einmal sieben Wochen im britischen Exil — und stand bereits wieder an der Spitze einer Wochenillustrierten. Die erste Ausgabe erschien am 7. Juli 1934. Vor dem Hintergrund des atemberaubenden Tempos, das Lorant vorlegte, blieb für Gedanken an aufenthalts- und arbeitsrechtliche Fragen kaum Zeit. Großbritannien war in jenen Jahren mit seiner restriktiven Einwanderungspolitik alles andere als ein Land, das Immigrationswillige mit offenen Armen empfing. Das nach dem gewonnenen Ersten Weltkrieg 1919 in Kraft getretene Gesetz zur Ausländerbeschränkung (»Aliens Restriction Act«) und der seit 1920 geltende Fremdenerlass (»Aliens Order«) setzten der Aufnahme von Ausländern enge Grenzen.39 Auf eine Einwanderungserlaubnis hoffen konnte nur, wer mindestens einer von vier Kategorien zuzurechnen war: Transitemigranten, die sich zur Weiterwanderung innerhalb von zwei Jahren verpflichteten; über 60-Jährige; Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren, die sich auf ihre Weiterreise vorbereiteten; und Menschen zwischen 16 und 35 Jahren, die sich in Großbritannien ausbilden bzw. umschulen lassen wollten, um später in überseeischen Ländern aufgenommen zu werden.40 Den Einwanderern war grundsätzlich jede Art von Erwerbstätigkeit in England untersagt; darüber hinaus hatten sie einen langwierigen Behördenweg mit wiederholten Kontrollen und Rückweisungsmöglichkeiten zu durchlaufen, an dessen Beginn die Übernahme der Unterhaltsgarantie durch einen einheimischen »Sponsor« und die Anerkennung als »desirable immigrant« von Seiten der zuständigen britischen Konsularvertretung nachzuweisen waren.41
Lorant, der sich mit einem Besuchervisum im Land aufhielt, war zwar ungarischer Staatsbürger, aber den britischen Einwanderungsgesetzen war er natürlich genauso unterworfen wie all jene, die in dieser Zeit aus Deutschland und Österreich kommend zeitlich begrenzt oder dauerhaft ihren Wohnsitz auf der britischen Insel nehmen wollten. Zu seinem Glück erfüllte Lorant eine entscheidende Voraussetzung, die im Home Office, dem Innenministerium, für seine Aufnahme und die Erteilung einer Arbeitserlaubnis sprach: Odhams Press gab an, dass sein Know-how im Verlag gebraucht würde.42 Das bedeutete, niemand anderes hätte seinen Job machen können, mithin war er unentbehrlich; Lorant, der einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhielt, nahm also keinem Briten die Arbeit weg und bestritt seinen Unterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit. Außerdem, so Odhams weiter, wäre die neue Zeitschrift Weekly Illustrated hauptsächlich von Lorant initiiert worden, wodurch indirekt zum Ausdruck kam, dass der Aufnahmekandidat in Großbritannien, wo seit der Depression (1929 bis 1932) hohe Arbeitslosigkeit herrschte43, Arbeitsplätze schuf. Als »desirable immigrant« erhielt er ohne Probleme eine auf zunächst ein Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis.44 Auf die Ähnlichkeit der Weekly Illustrated mit der MIP wurde bereits hingewiesen. Diese lässt sich nicht nur am Layout, sondern auch an den behandelten Themen in den regulär 28 Seiten umfassenden Ausgaben festmachen: Film, Theater, Adel, Exotik, Erotik, Mode, Technik, Wissenschaft, Sport und ein wenig Politik. Im ersten Heft
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findet sich auf einer Panoramaseite eine von Lorant bei den Tennismeisterschaften in Wimbledon fotografierte und exzellent gestaltete Bilderstory.45 Natürlich, auch andere Illustrierte in Großbritannien brachten in jenen Tagen Fotos oder Fotoserien von dem berühmten Turnier. Doch sie konzentrierten sich wie üblich auf die Spieler, insbesondere die Favoriten bzw. Gewinner. Nicht so Lorant. Er platzierte im Zentrum einer Panoramaseite in einem Kreis recht klein mehrere der Tennisspielerinnen und spieler, um ringsherum flächendeckend eine Vielzahl von Fotos einzelner Besucher bzw. Besuchergruppen zu zeigen. Diesen Zuschauern des Spiels legte er jeweils passend zum Gesichtsausdruck oder zu einer Geste einen Ausspruch in den Mund. Weil, so will es scheinen, auf so engem Raum jeder Typ von Zuschauer exemplarisch abgebildet ist — der Aufgeregte, der Desinteressierte, der Verärgerte, der Erfreute etc. —, entsteht der Eindruck, hier sei das gesamte Publikum zu sehen. Und weil der Betrachter genau wie die Turnierzuschauer ein Normalbürger ist, blickt er, wenn man so will, in einen Spiegel. Genau das versucht die Überschrift zu verdeutlichen: »Wimbledon. A Mirror of the World’s Greatest Tennis Tournament«. Das Tennisspiel selbst ist wie die gesamte Meisterschaft in dieser genialen Montage ohne Bedeutung. Lorant setzte in der Weekly Illustrated eine ganze Reihe von Ideen um, die er bereits mit Erfolg in der MIP realisiert hatte. So findet sich hier beispielsweise unter dem Titel »London by Night« eine Adaption der MIP-Bildgeschichte »Zwischen Mitternacht und Morgengrauen am Kurfürstendamm« von 1929, in der dann auch die gleichen oder ähnliche Motive zu sehen sind46: Die Theater schließen, in einem noch geöffneten Restaurant klingt der Tag aus, ein Obdachloser verbringt die Nacht im Freien usw. Auch die Mussolini-Story bereitete Lorant, nachdem er sie sowohl in der MIP als auch in der Pesti Napló abgedruckt hatte, nochmals auf.47 Nun endlich durften auch die Briten den italienischen »Duce« so kennenlernen, wie sie ihn bisher nicht gekannt hatten. Politische Themen — auch dies eine Fortsetzung der MIP-Tradition — wurden in der Weekly Illustrated nur in Ausnahmefällen aufgegriffen und dann ausschließlich nach der Existenz ungewöhnlicher bzw. exklusiver Fotos ausgerichtet und aufbereitet. Die Arbeitsbedingungen bei Odhams waren für Lorant offenbar nicht gerade luxuriös, wie er sich später erinnert: I was doing virtually everything on the paper. I had no staff, not even a secretary. […] The only assistance I had was from a twenty-nine-year-old journalist, Tom Hopkinson, whom I inherited from Clarion. He helped with the writing of captions and text blocks.48
Was wie eine Klage klingt, war in Wirklichkeit ganz im Sinne Lorants: Wie schon beim Magazin Mitte der zwanziger Jahre und später beim Ufa-Magazin und BilderCourier war Lorant von Anfang bis Ende des Produktionsprozesses gerne der Alleinentscheider, der Mann, bei dem alle Fäden zusammenliefen, der die volle Kontrolle und das letzte Wort hatte. Und das mit großem Erfolg: Weekly Illustrated kam mit ihrem Konzept der aus Deutschland importierten modernen Fotoreportagen bei den Briten gut an. Glaubt man den Inseraten, mit denen Odhams Press die werbetreibende Wirtschaft für die Illustrierte zu interessieren versuchte, stieg die Auflage binnen drei Monaten auf über 200.000 Exemplare.49 Im November, also nur vier Monate nach Markteinführung, übersprang die wöchentliche Auflage der Weekly Illustrated 250.000 Exemplare.50 Nach dem vorausgegangenen Debakel mit dem Clarion war dies für Odhams Press sicher eine wohltuende Entwicklung. (Die Weekly Illustrated wurde
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zum Vorläufer des US-Magazins Life, das 1936 von Henry Luce auf den Markt gebracht wurde.) Auch Lorant dürfte angesichts des Erfolges eine Befriedigung empfunden haben. Dennoch nahm er schon bald Abschied von der Zeitschrift. Die letzte von ihm betreute Ausgabe trägt die Nummer 22 und erschien am 1. Dezember 1934. Aussichten auf einen anderen Job hatte er nach eigenen Angaben nicht.51 Er wollte lieber als freier Buchautor und Journalist arbeiten, begründete er Odhams Press den Ausstieg. Tatsächlich aber gab es zwischen Lorant und der Verlagsleitung wohl Meinungsverschiedenheiten darüber, wie eine Illustrierte zu leiten sei. Davon wussten jedenfalls später Mitarbeiter wie Tom Hopkinson zu berichten.52 Lorants Arbeitsweise war eben eine sehr eigenwillige, bisweilen diktatorische. Dass Lorant in Großbritannien so konsequent die moderne Fotoreportage nutzen und weiterentwickeln konnte, war nicht zuletzt zwei deutschen Fotografen zu verdanken: Felix H. Man und Kurt Hübschmann, der sich später den Namen Kurt Hutton gab, hatten ihrer Heimat den Rücken gekehrt und wurden von Lorant in London permanent mit Aufträgen versorgt. Auch mit einer Reihe anderer Exilanten, die Deutschland bzw. Österreich inzwischen verlassen hatten, stand der Journalist in Kontakt.53 Darunter die Schriftsteller Robert Neumann, Leonhard Frank und Ernst Toller, der Regisseur und Schauspieler Fritz Kortner, der Schauspieler Peter Lorre und der Pianist und Komponist Mischa Spoliansky. Im April 1935, mehr als anderthalb Jahre nach Lorants Freilassung und mehr als ein Jahr nach Fertigstellung des Skripts, kam endlich das Gefängnistagebuch in die britischen Buchläden.54 Es trägt den reißerischen Titel I Was Hitler’s Prisoner, womit suggeriert wurde, Lorant sei ein »persönlicher Gefangener« des Reichskanzlers gewesen. Verlegt wurde es von Victor Gollancz, nachdem sich Lorant und die Hutchinson Publishing Group, die das Buch ursprünglich hatte publizieren wollen, wegen einer in Lorants Augen schlechten Übersetzung des Skripts trennten.55 Später veröffentlichte der 1936 maßgeblich von Gollancz initiierte Left Book Club noch weitere Bücher aus der Feder von Emigranten, wie zum Beispiel Hitler the Pawn (1936) von Rudolf Olden, Spanish Testament (1937) von Arthur Koestler und Moskow 1937 (1937) von Lion Feuchtwanger. So behob der Club in bescheidenem Umfang den Mangel an Publikationsmöglichkeiten geflohener Schriftsteller, gab es in Großbritannien in den Vorkriegsjahren doch — abgesehen vom juristischen Sitz des Malik-Verlages in London — keine selbstständigen Exilverlage. Lorants Tagebuch erfuhr in der britischen Presse schon unmittelbar nach Veröffentlichung große Aufmerksamkeit. Kaum eine der großen Publikumszeitungen, gleich welcher politischen Couleur, ließ das Buch unerwähnt. Die erste Besprechung stammt aus der Feder keines geringeren als Wickham Steed, einer Institution unter den politischen Journalisten Großbritanniens. Und weil sich der altehrwürdige Mitteleuropa-Kenner im Observer rundum beeindruckt zeigte, wurde es zugleich die wichtigste Kritik, die Lorant erhielt: So potent is it that a reader feels — or, at least, I feel — that he, too, has been Hitler’s captive, living as the author’s cell-comrade, sharing his bewilderment, his hopes, his fury, his sufferings, and his despair. If it were solely a work of art it would be notable art. It is more, for it is plain truth, undisfigured in the telling. I think it will live longer than Hitler’s Germany.56
Steed erkannte, dass Lorants Schilderungen zwar sehr persönlich waren, aber weit über dessen individuelles Schicksal hinauswiesen und sehr viel über den inneren
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Zustand Deutschlands aussagten. Diese Rezension gab den Ton vor für alle weiteren Kritiken. Das Lob Steeds für die klare Sprache und die unverstellte Wiedergabe der Tatsachen, die den Leser das Leiden des Autors so gut nachvollziehen ließen, hoben auch eine Reihe anderer Rezensenten hervor. Zugleich offenbart Steeds Besprechung genau wie die seiner Kollegen ein Problem, das symptomatisch ist für alle Rezensionen des Buches: Lorants Blick ist im Tagebuch ausschließlich nach innen gerichtet. Der Autor glaubt nicht nur nicht daran, dass sich der Kampf der Nationalsozialisten gegen die Juden richtet, sondern er weiß auch nichts zu berichten über Hitlers außenpolitischen Kurs. Die Gewinnung von Lebensraum und Kolonien für das deutsche Volk ist bereits in Mein Kampf ein zentrales Thema. Lorant hatte das Buch nicht gelesen und sich wohl auch anderweitig nicht informiert.57 Und so bleiben diese Ziele, die immerhin einen Krieg wahrscheinlich machen, von Lorant unerwähnt. Folglich musste sein Buch nicht unbedingt Unruhe bei den britischen Lesern auslösen. Das einzige Postulat findet sich im Vorwort und bezieht sich entsprechend dem Buchinhalt auf die Mitgefangenen: »Thousands of innocent people, even to-day, are in ›protective custody‹ on political grounds. DO NOT FORGET THEM! DO NOT FORGET THEM!«58 Es geht also um innerstaatliche Angelegenheiten. Hitler wird von Lorant als ein Diktator beschrieben, der politische Gegner innerhalb der Reichsgrenzen gefährlich werden kann. Dass der »Führer« auch eine Gefahr für ganze Staaten ist, wird nicht thematisiert. Obwohl Lorants Buch mit großer Verspätung erst im April 1935 auf den Markt kam, gehörte es zu den ersten Publikationen, die authentisch über die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland informierten. Lediglich drei andere Bücher, die sich mit I Was Hitler’s Prisoner vergleichen lassen, weil ihre Autoren ebenfalls über ihre Gefangenschaft in NS-Deutschland berichten, gaben zu dieser Zeit ähnlich detailliert Einblick in das Unterdrückungssystem: Da ist zum einen der bedrückende Bericht über das Konzentrationslager Dachau aus der Feder des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Hans Beimler, der bereits 1933 unter dem Titel Four Weeks In The Hands of Hitler’s Hell-Hounds in Großbritannien erschien.59 Der politische Leiter der KPD Südbayerns war im April 1933 in München von der SS aufgegriffen und zunächst in das Polizeigefängnis in der Ettstraße gebracht worden. Er befand sich also zeitgleich mit Lorant im selben Gefängnis. Nach zwei Wochen, in denen Beimler auch gefoltert wurde, erfolgte die Überführung in das Lager. Hier musste er noch schrecklichere Misshandlungen erdulden. Vom Tode bedroht, glückte ihm unter abenteuerlichen Umständen im Mai die Flucht. Er verließ Deutschland. In seinem nur rund 50 Seiten starken Buch, eher eine Broschüre, zeichnet der Politiker detailliert seine Hafterlebnisse nach, berichtet sowohl von den eigenen Folterungen als auch von Misshandlungen und Tötungen Dritter. Der ganze Bericht ist stark politisch gefärbt, weil sich Beimler bei seinen Schilderungen vor allem auf kommunistische Opfer konzentriert und den Antifaschismus undifferenziert verherrlicht. Das macht seine konkreten Angaben nicht unglaubwürdig, gibt dem Buch jedoch stellenweise den Charakter einer Kampfschrift. Auch der Schauspieler Wolfgang Langhoff wusste von fürchterlichen Misshandlungen und erbarmungsloser Erniedrigung durch die Schergen in den Lagern Börgermoor und Lichtenburg zu berichten. Er legte 1935 im Spiegel-Verlag in Zürich sein Buch Die Moorsoldaten vor, das in viele Sprachen übersetzt wurde. In Großbritannien erschien das Buch im selben Jahr unter dem Titel Rubber Truncheon.60 Das KPDMitglied war nach dem Brand des Reichstagsgebäudes — wie Lorant ohne Angabe von Gründen — in Düsseldorf verhaftet und 13 Monate lang in Gefängnissen und
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zwei Lagern festgehalten worden. 1934 emigrierte Langhoff nach seiner Entlassung in die Schweiz. Mit großer Exaktheit gibt er sowohl seine eigenen als auch die Gedanken und Gefühle von Mitgefangenen wieder, berichtet chronologisch und systematisch von der schweren Arbeit, von einigen Begegnungen, Erlebnissen und von Dingen, die ihm zugetragen werden. Er tut dies augenscheinlich unvoreingenommen und, soweit das möglich ist, nüchtern und objektiv. Einige Wochen nach Lorants Gefängnistagebuch kommt in Großbritannien noch unter dem Pseudonym Karl Billinger das von Paul Wilhelm Massing verfasste Buch All Quiet in Germany auf den Markt, übrigens ebenfalls im Gollancz-Verlag.61 Massings Buch war zuvor unter dem Titel Schutzhäftling 880 im Exilverlag Éditions du Carrefour in Frankreich auf den Markt gekommen. Innerhalb von nur vier Monaten nach Veröffentlichung, also bis August 1935, druckte der Gollancz-Verlag vier Hardcover-Auflagen von I Was Hitler’s Prisoner.62 Im März 1936 folgte mit der fünften Auflage die erste »cheap edition« des Bestsellers. Drei Jahre später, im Januar 1939, veröffentlichte der Taschenbuchverlag Penguin Books Hitler’s Prisoner als Paperback. Hier erlebte das Buch bis 1944 elf Auflagen. Die Zahl der sowohl von Gollancz als auch von Penguin verkauften Exemplare dürfte sich auf etwa 400.000 summieren.63 Trotz ebenfalls sehr guter Rezensionen erwies sich die Veröffentlichung des Buches in den USA im Jahre 1935 als wenig erfolgreich. Eine geplante Lesereise musste mangels Nachfrage abgesagt werden. Etwa zum selben Zeitpunkt, als Hitler’s Prisoner in Großbritannien auf den Markt kam, begann Lorant mit der Arbeit an einem weiteren Buch. Der Gollancz-Verlag wollte seine fiktionalisierte Autobiographie mit dem Titel Between Two Wars noch im selben Jahr auf den Markt bringen und damit an den Verkaufserfolg von Hitler’s Prisoner anknüpfen.64 Doch weil Lorant das Skript auch nach mehreren Jahren nicht abschloss, blieb es unveröffentlicht. Auch journalistisch lief es zunächst nicht gut: Seit seinem Ausstieg bei der von ihm kreierten Weekly Illustrated Ende 1934 schlug sich Lorant neben der Arbeit an dem Buch Between Two Wars eher schlecht als recht als freier Journalist durch. 1937 gründete der inzwischen weitgehend mittellose Ungar gemeinsam mit seiner Freundin Alison Hooper — von Ex-Ehefrau Njura lebte er mittlerweile getrennt — einen kleinen Verlag.65 Hoopers Ehemann Ian lieh seiner Frau 2.000 Pfund, so dass die beiden Verlagsgründer ein neues, abermals von Lorant kreiertes und als Chefredakteur verantwortetes Periodikum herausbringen konnten: das Taschenmagazin Lilliput.66 Das monatlich erscheinende, literarische Magazin, in dessen Impressum Alison Hooper mit dem Namen Alison Blair als »Assistant Editor« auftaucht, hat für gewöhnlich einen Umfang von über 120 Seiten. Bereits die erste Nummer vom Juli 1937 enthält all das, wofür Lilliput bald so geliebt wurde67: zehn Artikel, selten länger als jeweils drei Seiten, zehn Kurzgeschichten, zehn Cartoons und farbige Bildtafeln sowie 40 seitenfüllende Schwarz-Weiß-Fotographien (Kinder, Tiere, Kuriositäten, dezente Frauenakte etc.). Darunter findet sich auch die Juxtaposition, die Nebeneinander- bzw. Gegenüberstellungen von jeweils zwei ganz unterschiedlichen Fotos, deren einzige Gemeinsamkeit in einer auffälligen Ähnlichkeit eines einzeln betrachtet eher unauffälligen Details liegt. Sie wurden zu dem Markenzeichen Lilliputs. Unvergessen ist beispielsweise das Bilderpaar, das den britischen Premierminister Neville Chamberlain neben einem Lama zeigt. Beide fletschen auf ähnlich groteske Weise die Zähne. Zeit seines Lebens behauptete Lorant, die Juxtapositionen erfunden zu haben68; tatsächlich aber importierte er sie aus Deutschland: Bereits ab Mitte der zwanziger Jahre fanden sich in der 1921 von dem Galeristen Alfred Flechtheim in Düssel-
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dorf gegründeten Monatsschrift Der Querschnitt zunächst gelegentlich, später regelmäßig kurios anmutende Nebeneinanderstellungen unterschiedlicher Fotos, die in ihrer Gemeinsamkeit einen neuen Sinn ergeben. Als Textlieferanten konnte Lorant einige namhafte Autoren gewinnen, darunter Exilanten aus Deutschland, Österreich und Ungarn, wie zum Beispiel Lion Feuchtwanger, Arthur Koestler, Stefan Zweig, Ernst Toller, Roda Roda, Berthold Viertel, Ruth Feiner und Kurt Juhn. Lilliput stabilisierte seine monatliche Auflage bald bei 75.000 Exemplaren.69 Wenige Monate später, im Mai 1938, verkaufte Lorant den Verlag für eine immense Summe an den finanzkräftigen Jungverleger Edward Hulton. Die beiden einigten sich darauf, dass Lorant Chefredakteur von Lilliput bleiben würde, parallel aber eine neue Wochenillustrierte konzipieren und leiten sollte. Das war die Geburtsstunde der Picture Post. Die erste Ausgabe lag Ende September, auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise, am Kiosk. In einem Werbetext hieß es dazu: It is a paper for intelligent people — for people who are not interested in photographs of kittens in milk-jugs or press-agent pictures of film stars — people who don’t really care whether the wedding took place at the Savoy Chapel or whether the smiling couple left the Registrar’s Office by a side door. PICTURE POST’s cameramen cover the world. Its editors skim the cream of the world’s pictures. If you have not seen PICTURE POST you don’t know what a news-picture paper can be like.70
Gleich die erste Nummer bot all das, was die Illustrierte in ganz Großbritannien berühmt machen sollte71: Berichte über Menschen in ganz gewöhnlichen Berufen und über Arbeitslosigkeit finden sich neben Fotostrecken über Schauspieler, Sportler, Politiker, Tiere etc. Eine extrem abwechslungsreiche Kombination unterschiedlichster Themen, stets mit unverkennbarem Human Touch als Spiegel für die Massen. Mit ihrer klaren sozialen, humanistischen Ausrichtung grenzte die Picture Post keine gesellschaftliche Gruppe oder Klasse aus und war damit automatisch für einen großen Teil potenzieller Käufer und Leser attraktiv. Die Zeitschrift zeigte alle Aspekte des Lebens — und zwar so, dass sich jeder daran erfreuen konnte oder zumindest nicht mit der bedrückenden Erkenntnis des Ausgeschlossenseins konfrontiert wurde. Die Picture Post wurde ein großer Verkaufserfolg. Von der ersten DezemberAusgabe 1938 — es handelte sich um das zehnte Heft — wurden bereits 1.000.000 Exemplare gedruckt und ausgeliefert72, von der ersten Februar-Ausgabe des Jahres 1939 sogar 1.350.000 Exemplare.73 Damit war die Zeitschrift nur vier Monate nach Erscheinen der ersten Ausgabe die Illustrierte mit der höchsten Auflage in ganz Großbritannien. Und die Druckauflage stieg weiter. Die Zahl der verkauften Hefte pendelte sich in der Folgezeit bei etwa 1.300.000 pro Woche ein. Der Verlag ging offiziell davon aus, dass jedes verkaufte Exemplar von fünf Menschen gelesen wurde — in Familien, Frisiersalons, gastronomischen Einrichtungen etc. — und somit 6.500.000 Personen erreicht würden. Lorant wurde auf diese Weise binnen kurzer Zeit ein wohlhabender Mann: Als Chefredakteur zweier Periodika, Lilliput und Picture Post, erhielt der Ungar von Hulton Press jährlich 2.000 Pfund; darüber hinaus hatte er sich eine Beteiligung an den sich an der Auflage orientierenden Verkaufserlösen der Picture Post garantieren lassen.74 Neben der Illustrierten erwies sich auch Lilliput zunehmend als Verkaufsschlager: Die Monat für Monat verkaufte Auflage stieg auf über 270.000 Stück pro Ausgabe an.75 Dies ist eine vom unabhängigen Audit Bureau of Circulation ermittelte und damit zuverlässige Zahl. Lilliput war damit von allen monatlich in Großbritannien erscheinenden Magazinen das auflagenstärkste.
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Lorant befand sich auf dem Höhepunkt seines beruflichen Erfolges in Großbritannien. Wie 1927 in Berlin für den Bilder-Courier und das Ufa-Magazin fungierte er in London als Doppel-Chefredakteur. Und wie damals konnte sich der Bonvivant nun endlich einen Pkw leisten und erstmals seine Anzüge in der berühmten Saville Row schneidern lassen.76 Doch die zu leistende Arbeit war immens: Er hatte kaum noch ein Privatleben. Von Montag bis Freitag arbeitete Lorant an der Picture Post, an den Wochenenden an Lilliput. Dabei ist zu bedenken, dass in seinem Fall der Begriff Chefredakteur die Aufgaben des Layouters, Produktionsredakteurs und Chefkorrektors einschließt. Dass Lorant mit seinem Buch I Was Hitler’s Prisoner das NS-Regime in Großbritannien in ein äußerst ungünstiges Licht rückte, wurde bereits oben thematisiert. Von Anbeginn nutzte er auch seine beiden Periodika, gegen Hitler und dessen Anhänger zu polemisieren und zu agitieren. Sowohl in der Picture Post als auch in Lilliput fanden sich regelmäßig Berichte über das Leben unterm Hakenkreuz. Reglementierung, Terror, Unterdrückung — die Methoden der Machthaber wurden schonungslos offen gelegt und angeprangert. Folglich konnte Lorant, der den Schrecken ja am eigenen Leibe erfahren hatte, die Appeasementpolitik der britischen Regierung, namentlich des Premierministers Chamberlain, nicht gutheißen. Man dürfe Hitler nicht entgegenkommen, meinte Lorant.77 Letztlich würde es in jedem Fall zu einem Krieg kommen. Im Oktober 1938 kommentierte der Exilant das Münchner Abkommen, das die von Hitler geforderte Abtretung der Sudetengebiete regelte, mit einer von John Heartfield angefertigten Fotomontage.78 Sie zeigt zwei fliegende Elefanten (mit Flügeln). Weder das Abkommen noch irgendein Beteiligter werden namentlich genannt. In der Bildunterschrift heißt es lediglich vieldeutig: »The elephants are happy. They are flying about in the sky. The elephants are happy because they got peace. For how long have the elephants got peace? Ah, that alas! no one can say.«79 Die Montage entlarvte die Strategie des britischen Premierministers als reines Wunschdenken: Den beiden Elefanten, hier Symbole für die Staaten Großbritannien und Frankreich, sind vor Glück und Übermut ob des erhaltenen Friedens Flügel gewachsen. Die Dickhäuter schweben gen Himmel. Doch es muss sich um einen Traum handeln, denn gemäß den Naturgesetzen können Elefanten nicht fliegen. Ihr Flug wird enden, sobald sich der Glaube an den Frieden als Illusion erweist. Die Folge ist der Absturz auf den Boden der Tatsachen. Angesichts der großen Fallhöhe wird der Aufschlag hart sein, vielleicht sogar das Leben kosten, also die Existenz Großbritanniens und Frankreichs. Zusammenfassend lassen sich drei inhaltliche Schwerpunkte der politischen Berichterstattung in Picture Post und Lilliput unterscheiden: Erstens das diktatorische Regime und seine unmenschlichen Taten, zweitens das Schicksal der aus Deutschland geflohenen Menschen und drittens — als Abgrenzung zur Terrorherrschaft in Deutschland — das demokratische Großbritannien und sein in Lorants Augen lange Zeit viel zu nachsichtiger Umgang mit der deutschen Führung. Natürlich ist es kein Zufall, dass Lorant Winston Churchill, dem konservativen Abgeordneten im Unterhaus, der wie kaum ein zweiter gegen Chamberlains Appeasementkurs wetterte, ein Forum in seiner Illustrierten gab. Churchill schrieb Artikel für die Picture Post und durfte sich in einem ausführlichen Interview zur britischen Außenpolitik äußern.80 Mit Lorant war der NS-Regierung ein publizistisch mächtiger Gegner erwachsen. Im Juli 1939 forderte er die Leser seiner Zeitschrift auf, einen in der Picture Post sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache abgedruckten Text auszureißen und an Verwandte, Bekannte oder Freunde in Deutschland zu senden.81 Bei dem nicht
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namentlich gezeichneten Artikel handelt es sich um eine Art Friedensbotschaft. Unter der Überschrift »Wir wollen den Frieden! England will Deutschland nicht Einkreisen« wird die friedliche Haltung der Briten dargelegt und bestritten, dass Großbritannien die Absicht habe, Deutschland einzukreisen und zu zerstören. Auf diese »Friedensbotschaft« reagierte der Völkische Beobachter auf der Titelseite mit einem Schmähartikel: »Jüdische Emigranten aus Deutschland als Wortführer des britischen Volkes.«82 Bereits im Lead wird nicht nur sehr verzerrt die Aktion der Picture Post erläutert, sondern auch »der aus Deutschland hinausgeworfene j ü d i s c h e E m i g r a n t S t ef a n L o r a n t« als mutmaßlicher Urheber benannt. Der Artikel unterstellt, dass das Foreign Office die Zeitschrift »in den Dienst seiner Einkreisungshetze« stellt und dass deren höchstes Ziel »die Trennung des deutschen Volkes von seiner Führung« sei. Und im letzten Drittel geht es dann — durchsetzt mit den üblichen Verbalinjurien, die der deutsche Propagandaapparat zur Verunglimpfung intellektueller Exilanten zu benutzen pflegte — ausschließlich um Lorant: Wer ist nun dieser Herr Stefan Lorant? Der Name kommt uns bekannt vor. Kein Wunder, denn bis 1933 sind wir immer wieder auf ihn gestoßen, wenn in der verjudeten Presse System-Deutschlands eine über das Normale hinausgehende Schweinerei gestartet wurde. Herr Lorant war ein besonders begabter Vertreter der salonbolschewistischen Intellektuellen-Clique der Novemberpresse. Als Hauptschriftleiter einer der größten illustrierten Zeitschriften Deutschlands verfügte er mit seinen geistes- und blutsverwandten Kollegen aus der Prager Journalistenschule über einen unheilvollen Einfluß im damaligen deutschen Journalismus. Es war e i n e geistige Front, die von den Tucholskys, Alfred Kerrs, Georg Bernhards in Berlin bis zu den Lorants und Tschuppicks [sic] in München reichte. Den vereinigten Anstrengungen dieser jüdischen Literatenfront ist es bekanntlich gelungen, ihren eigenen Novemberstaat im Laufe eines Jahrzehnts fertigzumachen. Der weisen englischen Staatsführung kann man also nur gratulieren zu der Akquisition, die sie mit unserer fortgejagten Emigrantenintelligenz gemacht hat. […] Das alles ist der englischen Weisheit letzter Schluß: Ihre Einkreisungspropaganda ist schon auf den — Lorant gekommen! Weiter so83!
Wenn Lorant in diesem ungezeichneten Artikel zu jener »geistigen Front« gezählt wird, die Journalisten wie Tucholsky, Kerr, Bernhard und Tschuppik in der Weimarer Republik angeblich gebildet haben, kann das nur als abenteuerlich bezeichnet werden. Sicherlich hatte er im deutschen Illustriertengeschäft eine herausragende Rolle gespielt, nicht jedoch in politischer Hinsicht. Während Lorant seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus erst bei seiner Inhaftierung im März 1933 »entdeckte«, zuvor also journalistisch nicht einmal entfernt als Widersacher in Erscheinung getreten war, hatten sich Tucholsky, Kerr, Bernhard, Tschuppik und andere schon lange vor dem 30. Januar 1933 auf unterschiedlichste Weise deutlich gegen Hitler und dessen Anhänger positioniert. Erst im Exil kämpfte auch Lorant — mit anderen Mitteln als seine Kollegen, nämlich vor allem mit Bildern — journalistisch gegen die nun in der Regierungsverantwortung stehenden Nationalsozialisten. Sobald er rechtlich dazu in der Lage war, stellte Lorant im Juli 1939 einen Antrag auf Einbürgerung.84 Großbritannien sollte sein dauerhafter Aufenthaltsort bleiben. Inzwischen war er ein überaus patriotisch gesinnter Bürger. Als im September 1939 der Krieg ausbrach, berichtete die Picture Post mit Zuversicht über die Mobilmachung
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und zugleich mit Abscheu über deutsche Gräueltaten in den besetzten Gebieten. So stärkte die Illustrierte die Kampfmoral. An Lorants Loyalität gegenüber dem britischen Staat konnte angesichts seines Buches I Was Hitler’s Prisoner, seiner anti-nationalsozialistischen Artikel in verschiedenen britischen Zeitungen und seiner Arbeit als Chefredakteur der eindeutig gegen die deutsche Regierung eingestellten Periodika Lilliput und Picture Post nicht gezweifelt werden. Doch als Ausländer war auch er von den Beschränkungen betroffen, die die Regierung den Immigranten nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auferlegte. Anfang Juni 1940 wurde sein Fahrrad konfisziert, und auch seinen Pkw durfte er nicht mehr benutzen.85 Bald darauf wurden die »Aliens Protected Areas« erweitert.86 Darin wohnende oder arbeitende Ausländer wurden aufgefordert, die Schutzgebiete umgehend zu verlassen. Lorant, der inzwischen nördlich von London auf dem Land wohnte, durfte dort nicht länger bleiben.87 Am 26. Juni zog er um in ein Hotel im Londoner Zentrum.88 Von hier aus konnte er die Redaktionsräume zu Fuß erreichen und leichter die nächtliche Ausgangssperre beachten. »One day a week I had to line up with other ›enemy aliens‹ in the Basement of the Bow Street police station [in Covent Garden, London/Anm. d. Verf.] and be given a stamp in my little grey book«, erläuterte Lorant eine weitere Auflage, die er einzuhalten hatte.89 Interessanterweise bezeichnete sich Lorant im obigen Zitat als »feindlicher Ausländer«. Er gebrauchte diesen Terminus offenbar um klarzumachen, dass er sich von der Regierung seines Gastlandes behandelt fühlte wie ein Feind. In der Tat fürchtete Lorant, »that Hungary might become involved in the war, thus making him an ›enemy‹ alien«, berichtete später sein Mitarbeiter Hopkinson.90 Die Furcht war begründet: Zwar beteiligte sich Ungarn 1939 nicht am deutschen Feldzug gegen Polen, doch vor dem Hintergrund der offiziell freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland schien ein Eintritt in den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich bzw. Großbritannien realistisch. (Im November 1940 trat Ungarn dem zwei Monate zuvor geschlossenen Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan bei, beteiligte sich ab Juni 1941 am deutschen Angriff auf die UdSSR und befand sich ab Dezember 1941 auch mit Großbritannien und den USA im Kriegszustand.91) Am Tag vor Lorants Umzug in ein Londoner Hotel, dem 25. Juni, setzte das erste Stadium der Verhaftungswelle »feindlicher Ausländer« ein.92 Allein bis Anfang Juli wurden in Großbritannien beinahe 27.000 Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich interniert, darunter Freunde Lorants, wie Rudolf Olden und Robert Neumann. In Frankreich erging es den Exilanten nicht besser. Mit der Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 stieg die Gefahr einer Okkupation der britischen Insel durch Deutschland. Tatsächlich plante die NS-Regierung unter der Bezeichnung »Seelöwe« die Invasion. Im Sommer 1940 kämpfte Lorant mehr denn je um seine bereits 1939 beantragte Einbürgerung; und er versuchte, eine Lockerung der Restriktionen zu erreichen. Dabei nutzte er selbstbewusst seine Kontakte zur Regierung.93 Doch selbst Churchill, dessen politische Ansichten Lorant stets unterstützt und dem er in der Picture Post mehrfach Raum zur Verbreitung seiner Standpunkte gegeben und der Lorant in mehreren persönlichen Gesprächen zweifellos als loyalen Immigranten kennen gelernt hatte, konnte oder wollte sich nicht für den Journalisten verwenden. Lorant war bitter enttäuscht. Am 20. Juli 1940 verließ er gemeinsam mit Njura und dem in britischen Schulen weitgehend anglisierten, fast zehnjährigen Sohn Andi Großbritannien.94 Die Drei gingen an jenem Tag in Liverpool an Bord der S.S. Britannic. Das Schiff sollte sie über den Atlantik nach New York City bringen. In
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einem Abschiedsbrief an Hopkinson, seinem Untergebenen bei der Picture Post, kommen Lorants ambivalente Gefühle und die Dramatik der Situation zum Ausdruck: I don’t want to go. I was never in doubt about this. I want to stay in this country. I have chosen England as my home — as my fatherland, when I was over thirty — so I knew what I wanted. I love this country with all its faults — with all its weakness — because I somehow feel it is my country. But what can I do — but go? I have done everything — what I asked was nothing else but a piece of paper which says, »You are one of us, you belong to us, and if we are attacked you have the right to defend your country.« Is it so much to ask for this — for all I have done? [...] I am not going for good. I am hoping that this strange naturalization business gets through when I am away. As soon as I have word that they grant it — I will fly back and go on with our work as though nothing had happened.95
Der jetzt 39-Jährige konnte nicht wissen, dass seine Abreise ein Abschied für immer sein würde. Nach 1919 aus Ungarn und nach 1933 aus Deutschland ist dies sein dritter endgültiger Weggang aus einem Land, das ihm Heimat und Lebensbasis war. Rückblickend erscheint es ausgesprochen merkwürdig, dass Lorant, der alles andere als einer der vielen so genannten namenlosen Emigranten war, nicht wenigstens eine Lockerung der Ausländer-Restriktionen gewährt wurde. Immerhin weist Michael Seyfert in seiner Untersuchung der deutschen Exilliteratur in britischer Internierung nach, dass sogar »feindliche Ausländer«, »die in der Kriegswirtschaft oder in der Propaganda wichtige Funktionen hatten, und einige wenige, die durch Vermittlung einflussreicher Persönlichkeiten der Verhaftung entgingen«, von der Internierung ausgenommen waren.96 Beispielsweise erfuhr der deutsche Journalist Carl Brinitzer, damals in der deutschsprachigen Abteilung der BBC beschäftigt, Lockerungen der Restriktionen und wurde nicht interniert.97 Grund sei ein Antrag seines Arbeitgebers auf Zurückstellung gewesen. Und Lorant war ja nicht einmal ein »feindlicher Ausländer«! Eine mögliche Erklärung dafür, dass Lorants Bemühungen um eine Lockerung der Auflagen ins Leere liefen, könnte in seinem Verhalten gegenüber der Regierung Chamberlain liegen. Als Chefredakteur von Lilliput und später der Picture Post hatte er von Juli 1937 bis Mai 1940 immer wieder Chamberlain und dessen bis März 1939 verfolgte Appeasementpolitik angegriffen und bisweilen sogar verhöhnt. Gewiss, der Premierminister hieß seit Mai 1940 nicht mehr Chamberlain, sondern Churchill. Aber einige Minister und die Administration, die Chamberlains Politik der Beschwichtigung möglicherweise für richtig gehalten und gerne unterstützt hatten, wurden natürlich nicht ausgewechselt. Es ist nicht auszuschließen, dass hier offene Rechnungen mit dem selbstbewussten Ungarn beglichen werden sollten, indem ihm nicht einmal kleinste Ausnahmen von den Restriktionen gestattet wurden.
Zweite Exilstation: USA Am 29. Juli 1940 kam Lorant gemeinsam mit Njura und Sohn Andi in New York City an.98 Dass er nicht mehr nach Großbritannien zurückkehren würde, wurde ihm erst nach einigen Wochen klar. »I came to America because I had just so many years at my
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disposal, and I wanted to write books and leave a mark. I came to America because I wanted a different life«, wird er rückblickend erklären.99 Demnach hatte er nicht vor, seine in Großbritannien sehr erfolgreiche Tätigkeit im Zeitschriften- und Magazinjournalismus in seinem neuen Gastland, den USA, wieder aufzunehmen. Viel lieber wollte er Bücher schreiben. Immerhin zwei hatte er bereits verfasst: Wir vom Film (1928) und I Was Hitler’s Prisoner (1935). Ein drittes stand in Großbritannien gerade vor der Veröffentlichung: Chamberlain and the Beautiful Llama (1940), eine Sammlung der von Lorant zusammengestellten Juxtapositionen aus dem Taschenmagazin Lilliput. Während der Übersiedlung nach Großbritannien 1934 überraschenderweise die Weiterführung des gewohnten Lebens als Redaktionsleiter gefolgt war, verband sich die Immigration in die USA mit einem radikalen, selbst gewählten Bruch in der beruflichen Laufbahn. Kaum in der Neuen Welt angekommen, stürzte sich Lorant bereits in ein erstes Projekt: Er wandte sich an diverse Buchverlage, um deren Interesse an einem Bildband über die Geschichte der Fotografie zu ergründen. History of One Hundred Years in Photographs sollte er heißen.100 Doch die Verlage, denen der Ausländer Lorant vermutlich weitgehend unbekannt war, lehnten ab und begründeten dies mit den voraussichtlich sehr hohen Produktionskosten und unsicheren Absatzchancen. Lorant war enttäuscht, doch nicht entmutigt. Vor allem eines hatte er nicht: finanzielle Nöte. Dank seiner hohen Einnahmen als Chefredakteur von Picture Post und Lilliput war er als wohlhabender Mann in die USA gekommen. Sein Bankkonto wies zu dieser Zeit ein beträchtliches Barvermögen aus.101 In der Stadt Scarsdale im Staat New York, 35 Kilometer nördlich von New York City, nahm sich Lorant eine Wohnung, in der er alleine mit seinem schulpflichtigen Sohn lebte.102 Lorant wandte sich einer wichtigen Figur der US-Geschichte zu, die ihn seit Jahren fasziniert hatte: Abraham Lincoln. Sein Interesse an dem 16. Präsident der USA wurde nach eigenen Angaben 1933 während seiner Schutzhaftzeit in München geweckt, als er eine deutsche Übersetzung von Lincolns Reden las und davon sehr berührt war.103 Lorant begann, sämtliche verfügbaren Fotografien Lincolns sowie Bilder seiner Wohn- und Wirkungsstätten und faksimilierte Dokumente zusammenzutragen. Aus diesem Material und unter Verwendung der zahlreich vorliegenden LincolnBiografien fertigte er 1941 das Buch Lincoln — His Life in Photographs.104 Einige der Lincoln-Fotos waren bis dato unveröffentlicht, andere fanden sich zwar in verschiedenen Publikationen, doch noch nie wurden alle Bilder zusammen in einem Buch präsentiert. Und schon gar nicht war jemand auf die Idee gekommen, mit Hilfe der Fotos und der faksimilierten Dokumente chronologisch Lincolns Leben zu erzählen. Lorant rückte also die Abbildungen in den Vordergrund, die Textpassagen dienen hauptsächlich zur Erläuterung der Bilder und sind beinahe Nebensache — genauso wie es bei der modernen Fotoreportage in den von Lorant verantworteten Zeitschriften MIP, Weekly Illustrated und Picture Post der Fall war. Das hatte es in den USA so bisher nicht gegeben. Seine spezielle Art, einen Bildband zu kreieren, beschrieb Lorant viele Jahre später so: In the conception and execution of the pictorial layout I followed a preconceived pattern. It is my opinion that a book in which illustrations play a dominant role has to be composed something like a symphony, with motives and melodies carrying forward and developing the theme.105
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Die Rezensenten äußerten sich ausnahmslos begeistert über Lincoln — His Life in Photographs. Besonders verblüffte einige Kritiker, dass es ausgerechnet ein Ausländer war, der dieses Buch vorlegte: »As remarkable as the volume itself is the fact that it took a Hungarian-born refugee from Hitler’s Germany, a picture-magazine editor named Stefan Lorant, to produce this most American of books«, stellte etwa das Magazin Life fest.106 Vielleicht konnte aber auch nur ein Außenstehender wie Lorant ein Buch wie dieses kreieren — ein Mann, der von Neugierde und Entdeckerdrang getrieben war, nicht von dem Wunsch, ein Vorurteil, eine ihm von Kindesbeinen an immer wieder vermittelte Geschichte in einem Buch ein weiteres Mal einfach zu bestätigen. Lorants Blick auf die USA und ihre Historie war unverstellt und unvoreingenommen. Nicht nur die Rezensionen waren sehr gut, auch die Resonanz bei den Käufern war rundum positiv. Das Buch wurde zum Bestseller und verkaufte sich laut Lorant zehntausendfach, im Laufe der Jahre über 250.000mal.107 In den USA avancierte Lorant sozusagen über Nacht zum anerkannten Lincoln-Experten. Die Suche nach weiteren, bisher unbekannten Fotos des wohl bekanntesten aller US-Präsidenten sollte für ihn in den kommenden Jahren zur Obsession werden, Lincoln selbst zu seinem großen Vorbild. Nach Lincoln — His Life in Photographs legte Lorant 1952 und 1954 weitere Bücher über den von ihm rückhaltlos verehrten Politiker vor. Bald nach seiner Ankunft in den USA hatte Lorant ein Einwanderungsvisum beantragt108. Das US-Konsulat in Montreal, Kanada, stellte es ihm im Juni 1941 im Rahmen der ungarischen Quote aus, und Lorant reiste wieder in die USA ein. Noch im selben Jahr stellte er einen Antrag auf Einbürgerung. Der Erfolg des LincolnBuches bestätigte Lorant in seinem Wunsch, künftig nur noch als Autor zu arbeiten. 1941 erwarb er im Bezirk Bennington im Neu-England-Staat Vermont ein Grundstück, auf dem er ein Haus bauen und endlich sesshaft werden wollte.109 Zeitlebens ein Anhänger des »funktionellen« Bauens, das alle konstruktiven Möglichkeiten einbezieht und ganz an den Bedürfnissen des Menschen ausgerichtet ist, wandte sich Lorant an den Architekten Walter Gropius. Der einstige Gründer des Bauhauses in Weimar, das 1933 von den Nationalsozialisten geschlossen worden war, war 1934 aus Deutschland ausgewandert und wie Lorant nach Großbritannien gegangen. Später wurde er auf den Lehrstuhl für Architektur an die Harvard University berufen, wo er seine Prinzipien von Zweckmäßigkeit, Licht, Luft, Sonne und Wohnruhe nun einer ganzen amerikanischen Architektengeneration vermittelte. Gropius nahm den Auftrag Lorants gerne an.110 Doch letztlich kam es nicht zum Bau des Hauses. Stattdessen ließ sich Lorant 1943 nahe der Kleinstadt Lenox in Massachusetts, ebenfalls ein Neu-England-Staat, nieder.111 Die nur wenige tausend Einwohner große Stadt liegt exakt auf dem halben Weg zwischen New York City und Boston. 1946 mietete Lorant in Lenox ein altes Farmhaus auf einem etwa 109.000 Quadratmeter großen Areal.112 Begeistert von der ruhigen Lage, erwarb er Haus und Grundstück im Jahr darauf. Sehr treffend nannte er sein neues Heim, das er in den kommenden Jahren nach seinen Bedürfnissen umbauen ließ, »Farview«. Dieser Ort sollte zu seinem lang ersehnten Refugium werden. Hier wurde der 46-Jährige endlich sesshaft. Sein Glück war perfekt, als er einige Monate nach dem Grundbesitzerwerb, im Juni 1948, naturalisiert wurde.113 Wie zuvor schon in Großbritannien suchte Lorant keinen permanenten Kontakt zu anderen aus Deutschland gekommenen Immigranten. Doch es gab ein paar Freundschaften, die er pflegte, zum Beispiel mit der Schauspielerin und Sängerin
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Marlene Dietrich, dem Maler und Dichter Oskar Kokoschka, dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger und dem Schauspieler Conrad Veidt. Im Abstand von zumeist mehreren Jahren legte Lorant nun in renommierten Verlagen großformatige Bildbände zur Geschichte der USA vor, von denen jeder ein Bestseller wurde und ihm den Ruf eines anerkannten Historikers einbrachte. 1946 kam Lorants Buch The New World auf den Markt. Wie der Titel in Kombination mit dem Untertitel »The First Pictures of America« bereits verrät, befasst es sich mit den ersten großen Ansiedlungsversuchen von Franzosen und Briten in der Neuen Welt, die im 16. Jahrhundert erfolgten.114 Das Buch dokumentiert mit zahlreichen Stichen und Aquarellen, wie die ersten weißen, an der Ostküste gelandeten Immigranten Nordamerika für sich entdeckten und wahrnahmen. 1950 folgte, fünf Jahre nach dem Tod von US-Präsident Roosevelt, FDR — A Pictorial Biography.115 Auf 160 Seiten dokumentiert Lorant in rund 300 Schwarz-WeißFotos und Dokumenten das private und öffentliche Leben des demokratischen Politikers, wobei er Kapitel für Kapitel holzschnittartig entscheidende Abschnitte hervorhebt. In allen Kapiteln dominieren natürlich die jeweils mit erläuternden Unterschriften versehenen Fotos, Redemanuskripte und Briefe etc.; die hinzugefügten Fließtexte geben knapp das Geschehen wieder. Wie schon im Falle Lincolns trug Lorant diese Informationen aus den zahlreich vorliegenden Biografien und Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über Roosevelt zusammen. Neue Fakten bot das Buch bei Erscheinen also nicht, aber eben viele neue visuelle Eindrücke des einstigen Präsidenten. 1951 kam nach siebenjähriger Arbeit The Presidency auf den Markt.116 Lorant widmet sich darin sämtlichen Männern, die die Vereinigten Staaten bisher führten — von George Washington, dem ersten Präsidenten, bis zu Harry S. Truman, dem derzeitigen Amtsinhaber. Die Besonderheit des Buches liegt in der Benennung und Abbildung der jeweiligen Vize-Präsidenten sowie der Gegenkandidaten und deren VizePräsidentenkandidaten, denen sich die bisher 33 US-Präsidenten in den Wahlkämpfen von 1789 bis 1948 stellen mussten. Die weitaus meisten von ihnen sind längst in Vergessenheit geraten, doch indem Lorant die bisweilen knappen Abstimmungsergebnisse wiedergibt, macht er deutlich, dass die Geschichte durchaus einen anderen Verlauf hätte nehmen können. Das 775 Seiten starke Monumentalwerk — ein Meilenstein in Lorants Œuvre — enthält rund 1.500 Fotografien, Stiche, Zeichnungen, Gemälde, faksimilierte Briefe, Notizzettel, Redemanuskripte, Zeitungsausschnitte, Tabellen etc. Der Autor produzierte nach weiteren Präsidentenwahlen erweiterte Auflagen des Buches. 1957 heiratete Lorant zum zweiten Mal. Die neue Frau an seiner Seite hieß Louise Lowenstein Ottinger, Witwe von Lawrence Ottinger, Gründer und ehemaliger Präsident der US Plywood Company. Sie wurde zu den zehn reichsten Frauen der USA gezählt. Nach den oben erwähnten Bildbänden über das Leben und Werk Lincolns und Franklin D. Roosevelts setzte Lorant diese biographische »Reihe« 1959 mit einem Buch über einen weiteren US-Präsidenten fort: The Life and Times of Theodore Roosevelt.117 Der ältere Cousin Franklin D. Roosevelts gilt als eine der schillerndsten, facettenreichsten Persönlichkeiten, die je das Präsidentenamt bekleideten. Die großformatige Monografie mit einem Umfang von 640 Seiten enthält rund 750 Fotos, Karikaturen, Zeichnungen und faksimilierte Dokumente — viele bis dato unveröffentlicht bzw. erstmals in einem Buch vereint. Das Werk gibt die Entwicklung einer ganzen Ära wieder, vor deren Hintergrund sich das Leben Roosevelts entfaltet. Das Panora-
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ma reicht entsprechend seiner Lebensspanne von den 1850er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg. Aufgrund seiner Bücher war Lorant 1959 längst als Historiker etabliert. In jenem Jahr erhielt er seine erste Ehrendoktorwürde, der in den kommenden Jahrzehnten weitere folgten. Dennoch machte der 58-Jährige jetzt einen alten Traum wahr und schrieb sich an der Harvard University ein, um Amerikanische Geschichte zu studieren. Was auf den ersten Blick wie reine Koketterie erscheint, hat offenbar einen ernsten Hintergrund: Lorant never went to college, and regretted it. »My father was killed at the end of the First World War, and I didn’t want my mother to support me, so I went to work after I finished high school. Still, I always had a yearning to go to college. I had a feeling that somehow I had missed something.«118
Die Professoren konnten kaum fassen, dass der Mann, dessen Bücher sie zum Teil in ihren Vorlesungen und Seminaren benutzten, jetzt ihr Student sein wollte. Die Fakultät erließ Lorant das Grundstudium, so dass er sofort das Hauptstudium aufnehmen konnte. Insgesamt zwei Jahre verbrachte der Autor in Harvard, wobei er nicht etwa auf dem Campus wohnte, sondern zwei Mal pro Woche zu den Lehrveranstaltungen aus dem etwa 220 Kilometer entfernten Lenox anreiste. Stolz schloss er 1961 das Studium mit dem Magister Artium ab. An der Universität lernte er die Studentin Laurie Robertson kennen und lieben. Die Ehe mit Louise war bereits wieder zerbrochen. Laurie wurde Lorants dritte Ehefrau. Sie bekamen zwei Söhne. 1964 kam nach zehnjähriger Arbeit der Bildband Pittsburgh — The Story of an American City auf den Markt, ein 520 Seiten umfassendes Buch über die Geschichte und Gegenwart der in Pennsylvania gelegenen Stadt.119 Renommierte Historiker beleuchten in Lorants Auftrag die verschiedenen Epochen der Stadtentwicklung. Lorant selbst, der die von der Stahlproduktion geprägte Stadt im Rahmen seiner Recherchen und zahlreicher Interviews schätzen lernt, steuerte zwei Kapitel und eine Reihe selbst aufgenommener Fotos bei und kümmerte sich ansonsten vor allem um die aufwändige und zeitraubende Suche und Sichtung historischer Zeichnungen, Karten, Fotos, Zeitungen und Briefe in einer Vielzahl von Archiven und Museen sowie bei Privatleuten. Zu der getroffenen Auswahl aus altem Material gesellen sich zahlreiche aktuelle Aufnahmen des Fotoessayisten W. Eugene Smith, berühmt wegen seiner in Life veröffentlichten Bildgeschichten, den Lorant mit der Ablichtung bestimmter Gebäude, Straßen und Plätze beauftragt hatte.120 Das Buch enthält schließlich über tausend Abbildungen. 1974 kam noch Sieg Heil! An Illustrated History from Bismarck to Hitler in die Laden.121 Zum ersten Mal seit 40 Jahren befasste sich der Workaholic in einem Buch wieder mit Deutschland. Zuletzt hatte er dies in I Was Hitler’s Prisoner (1935) getan, dessen Skript er 1934 abgeschlossen hatte. Lorant beleuchtet die Zeit zwischen 1862, als König Wilhelm I. den preußischen Gesandten in Paris, Otto von Bismarck, zum preußischen Ministerpräsidenten ernennt, und 1945, dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Viele der Ereignisse ab 1920, die Lorant in seinem Buch behandelt, hatte er als Zeit- und Augenzeuge persönlich miterlebt, etwa den Kapp-Putsch, die Inflation und das wenigstens zeitweilig wilde Leben im Berlin der zwanziger Jahre. Auch spätere Ereignisse, mit denen sich Lorant im Exil in Großbritannien beruflich auseinandersetzte, wie zum Beispiel die Appeasementpolitik des britischen Premierministers Chamberlain, werden in Sieg Heil! behandelt. Der rund 350 Seiten starke Bildband
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enthält mehr als 700 Fotos inklusive einiger faksimilierter Schriftstücke. Dutzende der Abbildungen stammen aus Lorants privater Sammlung. Einige hatte er Jahrzehnte zuvor in von ihm redaktionell verantworteten Periodika abgedruckt. Lorants publizistische Erfolge in Deutschland lagen zu dieser Zeit bereits so viele Jahrzehnte zurück, dass sein Name hier selbst in Fachkreisen kaum noch bekannt war. Er hatte seine einstige Wahlheimat 1958, genau 25 Jahre nachdem ihn die Nationalsozialisten des Landes verwiesen hatten, erstmals wieder besucht. Die Frage nach einer dauerhaften Rückkehr stellte sich dabei nicht122. Mitte der achtziger Jahre wurde unverhofft der List-Verlag in München auf Lorants in Deutschland unbekanntes Buch I Was Hitler’s Prisoner aufmerksam und brachte es 1985 auf den Markt. Der Ausgabe mit dem Titel Ich war Hitlers Gefangener lag das Originalskript von 1934 zu Grunde, das Lorant all die Jahrzehnte über aufbewahrt hatte. Die Folge der Publikation war eine späte Anerkennung der Leistungen des mittlerweile 84 Jahre alten Autors. 1935 hatte der Rezensent Wickham Steed dem Buch prophezeit, »it will live longer than Hitler’s Germany«. Mit der Veröffentlichung des Buches im Land der Täter schien sich die Prophezeiung erfüllt zu haben. Wieder waren die Kritiker des Lobes voll. Die Aufmerksamkeit, die Lorant nun in Deutschland erfuhr, führte zur Wiederveröffentlichung seines Buches Wir vom Film von 1928. Der Reprint kam 1986 auf den Markt und wurde von der Presse ebenfalls positiv aufgenommen. Lorant war stolz auf seinen Erfolg. Doch der wurde von einer privaten Tragödie überschattet: 1984 kam sein jüngster Sohn Mark im Alter von 19 Jahren bei einem Autounfall in Lenox ums Leben. Der zutiefst erschütterte Vater ließ ihn im eigenen Garten beisetzen. Von dem Schock erholte sich Lorant nie mehr. Der einsam und zurückgezogen lebende Autor — die dritte Ehe ging Ende der siebziger Jahre in die Brüche — brach seine Arbeit an einer voluminösen Autobiografie ab. Mehrere Jahre hatte er dafür Material gesammelt, in erster Linie Zeitungs- und Zeitschriftenartikel über ihn und seine Bücher, aber auch von ihm verfasste Beiträge, unter anderem für das Magazin Life. Teile davon fasste er nun in Form gebundener Fotokopien unter den Titeln My Years in England (etwa 1991) und The Life of Stefan Lorant (drei Bände; etwa 1994) zusammen. Eine reguläre Veröffentlichung erfolgte natürlich nicht, aber es war ein letzter Versuch sicherzustellen, dass sein Werk nach seinem Tod nicht in Vergessenheit geraten und er — von wem auch immer — im rechten Licht dargestellt würde. Denn Lorant legte großen Wert auf die Betonung seiner Leistungen. Mit einer konservierten Erinnerung blickte er lustvoll auf sein erfülltes Leben zurück. Kritische Nachfragen der ihn gelegentlich interviewenden Journalisten und Historiker waren dabei nicht erwünscht. Noch im hohen Alter befasste sich Lorant täglich mehrere Stunden mit Neuauflagen seiner Bildbände: Zuletzt arbeitete er an einer erneuten Aktualisierung seines Pittsburgh-Buches. Fertigstellen konnte er es nicht mehr. Am 14. November 1997 starb Lorant 96-jährig in der Mayo-Klinik in Rochester. Seine letzte Ruhestätte fand er neben seinem Sohn Mark im Garten seines Hauses »Farview« in Lenox.
Anmerkungen 1 2
Die Rekonstruktion von Lorants Biographie erfolgt u.a. auf der Basis mehrerer Interviews, die der Verfasser vom 16. bis 18. Mai 1997 in Lenox, Massachusetts, USA, mit Lorant führte. Im Folgenden zitiert als Interview Lorant, 1997. Vgl. Florence Rosner: »Pittsburgh’s storyteller has a tale to tell«, The Jewish Chronicle of Pittsburgh (PA), 3. März 1989, S. 12. Lorant hatte Zeit seines Lebens Probleme mit der Zuge-
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hörigkeit zum Judentum. Nicht nur verschwieg er, dass sein Geburtsname Reich war, sondern behauptete auch, sein Vater sei katholisch gewesen, lediglich seine Mutter jüdisch. Lorant selbst übte keinen Glauben aus. Vgl. auch Amtliches Register der Stadt Budapest, Eintragungen zu Reich, István, 26. Februar 1901 (Meldung der Geburt) und 29. August 1917 (Änderung des Nachnamens in Lóránt). Zum Folg. vgl. Stefan Lorant: »Rückblick 1986«. In ders.: Wir vom Film. Das Leben, Lieben, Leiden der Filmstars (Berlin: Theater- und Film-Verlagsgesellschaft Böhm & Co., 1928), reprographischer Nachdruck der Originalausgabe (München: Lianne Kolf, 1986), S. VII-XIV, hier S. VII. Vgl. Interview Lorant, 1997. Zum Folg. vgl. Stefan Lorant: »Rückblick 1986« (Anm. 3), S. VIIf. A. von Barsy: »Der ›zweite‹ Operateur«, Die Kinotechnik, Nr. 15 (1925), S. 368. Zit. n. Cinema Quadrat e.V. Mannheim (Hg.): Gleißende Schatten. Kamerapioniere der zwanziger Jahre (Berlin: Henschel 1994), S. 38. Vgl. Stefan Lorant, »Rückblick 1986«, ebd., S. IX. Eric Lax: »Lorant’s Vision«, American Photographer (Juni 1984), S. 60-67, hier S. 62. Peter Bächlin: Der Film als Ware (Basel: Burg, 1945), S. 45. Ein Verzeichnis fast aller Schriften und Filme Lorants sowie vieler der über ihn und seine Bücher erschienenen Presseberichte findet sich bei John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt u. Sandra H. Hawrylchak (Hg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 4: Bibliographien. Schriftsteller, Publizisten und Literaturwissenschaftler in den USA, Teil 2: H-M (Bern/München: K.G. Saur 1994), S. 1127-1142. Vgl. Bruce Dobler: »An Afternoon with Stefan Lorant«, Pittsburgh Magazine (Feb. 1989), S. 27-30, 33-35, hier S. 29. Robert Siodmak: Zwischen Berlin und Hollywood. Erinnerungen eines großen Filmregisseurs (München: Herbig 1980), S. 35. Zum Folg. vgl. Stefan Lorant: »Rückblick 1986« (Anm. 3), S. XIf. Zum Folg. vgl. Eric Lax: »Lorant's Vision« (wie Anm. 8), S. 63. Presseabteilung der Ufa: Metropolis. Ufa-Magazin Sondernummer. Schriftleitung Stefan Lorant, o. D. [Jan. 1927]. Pem [d.i. Paul Marcus]: »Sie begannen in Berlin«, Schweizer Illustrierte Zeitung. 23. Jan. 1954, S. 15 u. 32, hier S. 15. Vgl. Tim N. Gidal: Chronisten des Lebens. Die moderne Fotoreportage (Berlin: Editon q 1993), S. 33 u. 35f. Festausschuss des Vereins Berliner Presse (Hg.): So sehen wir aus (Almanach zum Berliner Presseball 1930). Redaktion Stefan Lorant (Berlin: o. Verl. 1930). Stefan Lorant: Wir vom Film. Das Leben, Lieben, Leiden der Filmstars (Berlin: Theater- und Film-Verlagsgesellschaft Böhm & Co. 1928). Zum Folg. vgl. Impressen der Münchner Illustrierten Presse (MIP) der Jahre 1929 bis 1932. Gisèle Freund: Photographie und Gesellschaft (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1979), S. 130f. O. Verf.: »Mussolini«, MIP, VIII, Nr. 9, 1. März 1931, S. 260-263. Zum Folg. vgl. Felix H. Man: Photographien aus 70 Jahren (München: Schirmer-Mosel 1983), S. 64f. Tim N. Gidal: Chronisten des Lebens (wie Anm. 17), S. 90. Vgl. Interview Lorant, 1997. Stefan Lorant: Ich war Hitlers Gefangener. Ein Tagebuch 1933 (München: List 1985), S. 24. Vgl. Stefan Lorant: I Was Hitler’s Prisoner. Leaves From A Prison Diary (London: Gollancz 1935). Vgl. Lorants Widmung in I Was Hitler’s Prisoner, ebd., o.S. [S. 5]. Der vollständige Widmungstext lautet: »I dedicate this book in gratitude to the Hungarian journalists and to Mr. Miklós Lázár, parliamentary deputy and editor, without whose repeated and energetic intervention I should still, perhaps, be Hitler’s prisoner to-day.«
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STEFAN LORANT Zum Folg. vgl. Detlev Scheffler: Schutzhaft im Nationalsozialismus (1933-1945). Die Bürokratie des Reichssicherheitshauptamtes und die Verfolgung des politischen Gegners. Diss. FU Berlin, 1998, S. 108. Brief des Staatsministeriums des Innern an die Staatskanzlei des Freistaates Bayern vom 9. Okt. 1933, archiviert in Bayerisches Hauptstaatsarchiv, StK 7591. Gesperrte Hervorhebung im Original. Stefan Lorant: »Nachwort« (1985). In ders.: Ich war Hitlers Gefangener (wie Anm. 26), S. 225228, hier S. 225. Ebd., S. 226. Stefan Lorant: I Was Hitler’s Prisoner (wie Anm. 27), S. 317. Stefan Lorant, »Einige Worte über mich selbst ...«. In ders.: Sieg Heil! Eine deutsche Bildgeschichte von Bismarck zu Hitler (Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 1979), S. 6. Vgl. Stefan Lorant: I Was Hitler’s Prisoner (wie Anm. 27), S. 253. Zum Folg. vgl. Stefan Lorant: My Years In England (1934-1940). Unveröffentl. Materialsammlung, o. D. [ca. 1991], S. 7 (»April 17 To speed up things […]«), archiviert in Getty Research Institute, LA, USA, Stefan Lorant-Collection, Series IX: Miscellany, Box 2. Vgl. Stefan Lorant: »Chronology 1934«. In ders.: The Life of Stefan Lorant, Vol. III, Articles written by Stefan Lorant. Unveröffentl. Materialsammlung, o. D. [ca. 1994], S. [1]-14, hier S. 3f., im Besitz weniger Bibliotheken, darunter Bayerische Staatsbibliothek, München. Zum Folg. vgl. ebd., S. 4-9. Vgl. Waltraud Strickhausen: »Großbritannien«. In Claus-Dieter Krohn u.a. (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945 (Darmstadt: Primus 1998), S. 251-270, hier S. 251. Vgl. Werner Röder: Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien 1940-1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. 2., verbesserte Aufl. (BonnBad Godesberg: Neue Gesellschaft 1973), S. 21. Ebd., Hervorhebungen im Original. Zum Folg vgl. Stefan Lorant: »Chronology 1934« (wie Anm. 37), S. 10. Im Jahre 1934, als Odhams Press um eine Arbeitserlaubnis für Lorant nachsucht, liegt die Arbeitslosenquote offiziell bei durchschnittlich 16,6 Prozent. Vgl. Peter Dewey: War and Progress. Britain 1914-1945 (London/NY: Longman 1997), S. 253 u. 255. Vgl. Interview Lorant, 1997. O. Verf.: »Wimbledon. A Mirror of the World’s Greatest Tennis Tournament«, Weekly Illustrated, I, Nr. 1, 7. Juli 1934, S. 14f. O. Verf.: »London by Night«, Weekly Illustrated, I, Nr. 3, 21. Juli 1934, S. 14f. O. Verf.: »Mussolini. What is he planning?«, Weekly Illustrated, I, Nr. 5, 4. Aug. 1934, S. 14f. Stefan Lorant: My years in England (wie Anm. 36), S. 22 (»Because of LIFE, which began [...]«). »Got it! … and over Two Hundred Thousand Women« (Inserat für Weekly Illustrated), World's Press News, XII, Nr. 294, 18. Okt. 1934, S. [1]. »Odhams score again! Weekly Illustrated exceeds 250,000« (Inserat für gleichnamige Illustrierte), World's Press News, XII, Nr. 298, 15. Nov. 1934, S. [1]. Zum Folg. vgl. Interview Lorant, 1997. Vgl. Tom Hopkinson: Of this our Time. A journalist’s Story, 1905-50 (London u.a.: Hutchinson 1982), S. 148f. S.a. Felix H. Man: Photographien aus 70 Jahren., ebd., S. 129. Zum Folg. vgl. Interview Lorant, 1997. Stefan Lorant: I Was Hitler’s Prisoner (wie Anm. 27). Vgl. Stefan Lorant: »Chronology 1934« (wie Anm. 37), S. 11f. Wickham Steed: »Hitler’s Germany. A Truthful Tale« (Rez. des Buches I Was Hitler’s Prisoner), The Observer, 28. Apr. 1935. S. 9. Vgl. Interview Lorant, 1997. Stefan Lorant: I Was Hitler's Prisoner (wie Anm. 27), S. 8 (Hervorhebung im Original). Hans Beimler: Four Weeks In The Hands Of Hitler’s Hell-Hounds. The Nazi Murder Camp of Dachau (London: Modern Books 1933).
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Wolfgang Langhoff: Rubber Truncheon. Being an account of thirteen months spent in a concentration camp (London: Constable 1935). Karl Billinger [d.i. Paul Wilhelm Massing]: All Quiet in Germany (London: Gollancz 1935). Vgl. Angaben der bisher gedruckten Auflagen in Stefan Lorant: I Was Hitler’s Prisoner. Leaves From A Prison Diary (Harmondsworth: Penguin Books 1939), S. [iv]. Vgl. Abrechnung von Penguin Books Ltd. für Stefan Lorant über die verkauften Exemplare des Buches I Was Hitler’s Prisoner im Zeitraum März 1939 bis Dez. 1941 vom 25. März 1942. In Stefan Lorant: The Life of Stefan Lorant, Vol. I, Chronology, Awards, Films, Articles, Books, Reviews. Unveröffentl. Materialsammlung, o.D. [ca. 1994], o.S. (im Abschnitt »I Was Hitler’s Prisoner, 1935«), im Besitz weniger Bibliotheken, darunter Bayerische Staatsbibliothek, München. Vgl. Brief vom Gollancz-Verlag an Stefan Lorant, 3. Apr. 1935, archiviert in Orion Publishing Group, London, Victor-Gollancz-Archiv, Between Two Wars. Alan C. Thomas: »Lilliput«. In Alvin Sullivan (Hg.): British Literary Magazines. The Modern Age, 1914-1984 (NY u.a.: Greenwood Press 1986), S. 229-231, hier S. 229. Vgl. Stefan Lorant: My Years in England (wie Anm. 36), S. 75 (»Expenses and Income for a Lilliput Issue«). Lilliput, I, Nr. 1 (Juli 1934). Stefan Lorant: Chamberlain and the Beautiful Llama. And 101 more juxtapositions (London: Hulton Press 1940), S. 8f. Vgl. Stefan Lorant: My Years in England (Anm. 36), S. 75 (»Expenses and Income for a Lilliput Issue«). »Lilliput’s Big Brother doing well!«, (Werbetext für Picture Post), Lilliput, III, Nr. 5 (Nov. 1938), S. XIIf., hier S. XIII (Hervorhebung im Original). Picture Post, I, Nr. 1, 1. Okt. 1938. Vgl. »An Explanation to our Readers«, Picture Post, I, Nr. 10, 3. Dez. 1938, S. 4. Vgl. »We are printing this week 1,350,000 Copies of PICTURE POST«, Picture Post, II, Nr. 5, 4. Feb. 1939, S. 2. Vgl. Stefan Lorant: My Years in England (Anm. 36), S. 81 (»above and any other […]«). Zum Folg. vgl. Edward Hulton: »The Story of one year«, ebd. Vgl. Interview Lorant, 1997. Ebd. O. Verf.: »The happy Elephants«, Picture Post, I, Nr. 3, 15. Okt. 1938, S. 9. Ebd. Winston Churchill: »What Britain’s Policy should be« (Interview von Stefan Lorant), Picture Post, II, Nr. 10, 11. März 1939, S. 28f. O. Verf.: »Wir wollen den Frieden! England will Deutschland nicht Einkreisen«, Picture Post, IV, Nr. 3, 22. Juli 1939, S. 31-34. O. Verf.: »Jüdische Emigranten aus Deutschland als Wortführer des britischen Volkes. Die englische Regierung läßt sich die Einkreisungspropaganda von fortgejagten jüdischen Literaten Systemdeutschlands machen«, Völkischer Beobachter (Norddeutsche Ausgabe), 23. Juli 1939, S. [1] (Hervorhebungen im Original). Ebd. (Hervorhebung im Original). Vgl. Stefan Lorant: The Life of Stefan Lorant, Vol. III (wie Anm. 37), o.S. (»Why I Left England [...]«, im Abschnitt »1940«). Vgl. Stefan Lorant: My Years in England (wie Anm. 36), S. 114f. (»shut up in all small [...]«). Vgl. Kurt R. Grossmann: Emigration, ebd., S. 219. Vgl. Brief der Polizei Edgware an Stefan Lorant vom 22. Juni 1940. Zit. n. Stefan Lorant: My Years In England (wie Anm. 36), S. 123 (»June 22 Note from the [...]«). Ebd., S. 128 (»ume looks like an extraordinarily [...]«). Brief von Stefan Lorant an David Wheeler (The Listener, London) vom 22. Okt. 1977. Zit. nach Stefan Lorant: My Years In England (wie Anm. 36), S. 162 (»Television Program on the [...]«). O. Verf.: »Tom Hopkinson Appointed ›Picture Post‹ Editor«, World’s Press News, 26. Sept. 1940, S. 2.
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STEFAN LORANT Vgl. Jörg K. Hoensch: Ungarn-Handbuch. Geschichte, Politik, Wirtschaft (Hannover: Fackelträger 1991), S. 86f. Vgl. Michael Seyfert: Im Niemandsland: deutscher Exilliteratur in britischer Internierung : ein unbekanntes Kapitel der Kulturgeschichte des Zweiten Weltkriegs (Berlin, Das Arsenal 1984), S. 30. Vgl. Schriftverkehr zwischen Stefan Lorant, Innenministerium, Informationsminis-terium und Büro des Premierministers im Juni und Juli 1940 zum Fall Lorant, archiviert in Public Record Office, London, Nr. 114616. Vgl. Stefan Lorant: My Years In England (wie Anm. 36), S. 134 (»July 19 Telegram from [...]«). Brief von Stefan Lorant an Tom Hopkinson, vermutlich Juli 1940, zit. n. Tom Hopkinson: Of this our Time. A journalist’s Story, 1905-50 (London u.a.: Hutchinson 1982), S. 171f. (Hervorhebung im Original). Michael Seyfert: Im Niemandsland (wie Anm. 92), S. 30. Vgl. Carl Brinitzer: Hier spricht London. Von einem, der dabei war (Hamburg: Hoffmann & Campe 1969), S. 68f. Vgl. Stefan Lorant: The Life of Stefan Lorant, Vol. III (wie Anm. 37), o.S. (»1940-5…«). Vgl. Eric Lax: »Lorant’s Vision« (wie Anm. 8), S. 67. Vgl. Brief von Alfred A. Knopf (Buchverlag) an Stefan Lorant vom 21. Aug. 1940, archiviert in Getty Research Institute, Stefan Lorant-Collection, Series VIII. Correspondence, Group 1, Box 24, Folder 47, Knopf, Alfred A. Vgl. Brief der Anwaltskanzlei Battle, Levy, Fowler, Neaman an die Federal Reserve Bank of New York von Sept. 1941 (Eidesstattliche Versicherung Stefan Lorants über sein derzeitiges Vermögen), archiviert in Getty Research Institute, Stefan Lorant-Collection, Series VIII. Correspondence, Group 1, Box 24, Folder 4, Battle, Levy, Fowler, Neaman. Vgl. Interview Lorant, 1997. Vgl. Stefan Lorant: »Acknowledgments«. In ders.: Lincoln. A Picture Story of His Life (NY: Harper & Brothers 1952), S. [7]. Stefan Lorant: Lincoln. His Life in Photographs (NY: Duell, Sloan & Pearce 1941). Stefan Lorant: »Foreword«. In ders.: The Glorious Burden. The American Presidency (NY u.a.: Harper & Row 1968), S. 9-11, hier S. 9. O. Verf.: »Lincoln in Wartime«, Life, 5. Jan. 1942, S. 50-55, hier S. 50. Vgl. Roger Berthoud: »Encounter with Stefan Lorant«, The Illustrated London News (März 1984), S. 24f., hier S. 25. Vgl. Brief von Stefan Lorant an die Chase Manhattan Bank vom 28. Dez. 1941, archiviert in Getty Research Institute, Stefan Lorant-Collection, Series VIII. Correspondence, Group 1, Box 24, Folder 10, Chase Manhattan Bank. Vgl. Brief von Burton Immen (Immobilienmakler) an Stefan Lorant vom 30. Okt. 1941, archiviert in Getty Research Institute, Stefan Lorant-Collection, Series VIII. Correspondence, Group 1, Box 24, Folder 44, I.-Misc. Vgl. Brief von Walter Gropius an Stefan Lorant vom 4. Feb. 1942, archiviert in Getty Research Institute, Stefan Lorant-Collection, Series VIII. Correspondence, Group 1, Box 24, Folder 35, Gropius, Walter. Vgl. Larry Rumley: »Pioneer in photojournalism«, The Seattle Times, 2. Juni 1974, S. 12. O. Verf.: »Lorant House Rebuilt Inside and Out«, The Berkshire Evening Eagle, 18. Sept. 1954, S. 8. Vgl. Brief von Stefan Lorant an Njura Lorant vom 10. Juni 1948, archiviert in Getty Research Institute, Stefan Lorant-Collection, Series VIII. Correspondence, Group 1, Box 24, Folder 57, Lorant, Niura. Stefan Lorant: The New World. The First Pictures of America. Made by John White and Jacques Le Moyne and engraved by Theodore De Bry. With Contemporary Narratives of the Huguenot Settlement in Florida 1562-1565 and the Virginia Colony 1585-1590 (NY: Duell, Sloan & Pearce 1946). Stefan Lorant: FDR. A Pictorial Biography (NY: Simon and Schuster 1950). Stefan Lorant: »Acknowledgments«. In ders.: The Presidency. A Pictorial History of Presidential Elections. From Washington to Truman (NY: The Macmillan Company 1951), o.S. Stefan Lorant: The Life and Times of Theodore Roosevelt (NY: Doubleday 1959).
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118 Steven H. Armstrong: »Lorant, Stefan: ›We can’t say anything after that‹ «, Harvard Magazine (Apr. 1974), S. 48. 119 Stefan Lorant: Pittsburgh. The Story of an American City. With Contributions by Henry Steele Commager et al (NY: Doubleday 1964). 120 Stefan Lorant: »How I found – and bound – Pittsburgh«, The Pittsburgh Press, 1. Apr. 1984, S. 18 u. 20f., hier S. 20. 121 Stefan Lorant: Sieg Heil! An Illustrated History of Germany from Bismarck to Hitler (NY: W.W. Norton 1974). 122 Vgl. Interview Lorant, 1997.
WOLFGANG F. MICHAEL HANS-BERNHARD MOELLER und GLENN EHRSTINE
H erkunft und Ausbildung Unter denen, die das Dritte Reich vertrieb, war Wolfgang F. Michael nachweislich einer der Exilanten, die sich in einem langen Leben sowohl an die Kultur des Gastlandes anpassten als auch ihre Eigenheit und — als das wieder möglich wurde — den Kontakt mit der ehemaligen Heimatkultur bewahrten und an ihrem selbstgeschaffenen Platz im Asylland einen nennenswerten Unterschied machten. Er wurde am 23. Februar 1909 als Wolfgang Friedrich Michel Eberhard Michael in eine assimilierte evangelische Professorenfamilie in Freiburg im Breisgau geboren. Die Michaels bildeten traditionell eine Hamburg-Altonaer jüdische Gelehrten- und Kaufmannssippe, die ihre akademischen Wurzeln bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen konnte. Bald nach Anbruch des 19. Jahrhunderts wuchs sie, im Zuge der Napoleonischen Emanzipation der deutschen Juden, auch in Bankierskreise hinein. Gegen die Mitte des Jahrhunderts verband sie sich dieser Sphäre zudem familiär mit dem weit verzweigten angesehenen Finanziersgeschlecht der Warburgs, denn Wolfgang F. Michaels Großvater, der gleichnamige Arzt, ehelichte 1847 Sara Warburg. Die kinderreiche Nachkommenschaft bewegte sich weiter im kaufmännischen und in dem akademischen Milieu, das ihr Erstgeborener Isaac, als Arzt, und ihr Jüngster, Wolf Wolfgang, als Geschichtsprofessor, vertraten. Dank seiner Forschungen zu Englands Geschichte und Kunstgeschichte wurde Wolfgang F. Michaels Vater, der einen Lehrstuhl für westeuropäische Geschichte an der Universität Freiburg innehatte, 1934 von der Universität Edinburg ehrenhalber mit dem LL.D.-Grad ausgezeichnet. Somit ergab sich, zusätzlich zu der breiteren Vernetzung mit der Sippe der Warburgs, die inzwischen in Großbritannien in bedeutende Finanzierspositionen eingerückt waren, auch eine Brücke zu der akademischen Sphäre Englands, die Wolfgang F. Michael zeit seines mehr als ein Jahr andauernden englischen Exils zustatten kommen sollte. Kinderstube des jungen Wolfgang war freilich Freiburg im Breisgau, wohin die Familie seit dem dortigen Amtsantritt seines Vaters von Hamburg-Altona aus umgesiedelt war. Mit Freiburg und seiner Universität blieb Wolfgang F. Michael lebenslänglich verbunden, was sich nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Folge regelmäßiger sommerlicher Besuchsund Forschungsaufenthalte niederschlug. In Freiburg vollzog sich der Großteil von Michaels schulischer und akademischer Ausbildung. Nach dem Erwerb des Abiturs im Jahre 1929 am humanistischen Bertold-Gymnasium schrieb er sich im Sommersemester desselben Jahres an der heimischen Universität ein. Neben deutscher und englischer Philologie belegte er im ersten Studienjahr auch Vorlesungen in Geschichte, darunter auch eine Lehrveranstaltung seines Vaters. Mit den Unterbrechungen je eines Semesters in Berlin, Marburg und München kehrte er bis Anfang 1933 jeweils nach Freiburg zurück. Vom Sommersemester 1933 an verfolgte er allerdings sein Doktorat in München, wo er den Doktortitel bereits 1934 erwarb. Seine Promotion unter Hans Heinrich Borcherdt am Münchner Institut für Theatergeschichte bedeutete thematisch eine Wende zu einem Fach, das ihn sein Leben lang beschäftigen sollte, wenngleich er sich ihm oft nur in der Wissenschaft und Freizeit widmen konnte. Er schrieb seine Dissertation über Die
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Anfänge des Theaters zu Freiburg im Breisgau und hatte die Befriedigung, sie im selben Jahr veröffentlichen zu können.1
Der Weg ins Exil und in die Germanistik Nach diesem Erfolg in Theatertheorie und -geschichte stürzte er sich noch 1934 in die praktische Schauspieler-Ausbildung, die ihn nach Berlin führte. Angesichts der nazistischen Ariergesetze von 1935 war ihm aber die Bühnenlaufbahn in Deutschland trotz des staatlichen Abschlusses der »Reichstheaterkammer« und des Leistungsnachweises vom April 1936 versperrt. Noch im selben Jahr begab er sich ins englische Exil. Sprachlich war er dank des Gebrauchs des Englischen im Elternhaus2 und im Studium besser auf das Gastland vorbereitet als manch anderer Mitflüchtling. Ein Vertrag aus dem Nachlass bezeugt, dass Michael sich ab März 1937 im britischen Exil als Mitglied der deutschen Theatergruppe »Die Wanderbühne« schauspielerisch zu betätigen suchte.3 Schon ein im Mai desselben Jahres empfangener Brief eines englischen Verfassers musste ihm freilich die kulturellen Konsequenzen der angespannten politischen Lage Europas vor Augen führen und die auch im Vorkriegsengland nicht seltene öffentliche Auffassung vermitteln, dass »theatre producing classical German plays is [...] German propaganda«.4 Michaels Hauptberuf und Existenzsicherung bildete folglich fortan im Exil das Amt des Lehrers, in England im Sekundärschulwesen, in den Vereinigten Staaten an Hochschulen. 1937 unterrichtete er ein Jahr lang teilzeitbeschäftigt an der englischen privaten Mill Hill School, wobei ihm dieses »au pair«-artige Arrangement gleichzeitig erlaubte, sich mit der englischen Sprache und dem englischen Bildungswesen noch vertrauter zu machen.5 Im Dezember 1937 heiratete er Hadassah Posey, eine Amerikanerin, die er auf einer Urlaubsreise in der Schweiz kennengelernt hatte. Mehrere Empfehlungsbriefe vom Spätherbst dieses Jahres legen nahe, dass er zu dieser Zeit beabsichtigte, die USA zur zweiten Station seines Exils zu machen.6 Er erreichte die Vereinigten Staaten im Januar 1938 mit einem Besuchervisum, das er noch im September zu einem mit ständigem Wohnsitz aufzubessern vermochte; 1944 erwarb er schließlich die amerikanische Staatsangehörigkeit.7 Inzwischen hatte er seine Laufbahn als Deutschprofessor amerikanischer Colleges begonnen, allerdings bescheidener als Leidensgefährten seiner Generation wie Oskar Seidlin und Victor Lange. Er bekleidete zunächst 1938-39 eine temporäre Vertretungsstelle am La Salle College, North Philadelphia, wobei er gleichzeitig die Aufgabe übernahm, mit Studenten von den Bryn Mawr und Haverford Colleges ein deutsches Drama einzustudieren.8 Zum Herbstsemester 1939 erlangte er eine feste Anstellung als Assistenzprofessor der Germanistik am Chestnut Hill College, ebenfalls Philadelphia.9 Im Frühjahr 1944 scheint er sich, wie mehrere Empfehlungsschreiben von akademischen Gutachtern aus dem Raume Philadelphia, aber auch von der Johns Hopkins Universität, Baltimore, nahelegen, um eine anderweitige Berufung bemüht zu haben. Aber auch für ihn gilt, was Wulf Köpke in Sachen »Germanistik im Exil« konstatiert, dass sich die Aufstiegsaussichten dank der zunehmenden Einschreibungen im Fach erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhten.10 Zugängliche Quellen lassen Michaels Anstellung am Chestnut Hill College weiter laufen11; nur wird von zusätzlichen außerakademischen Tätigkeiten berichtet, und zwar einmal als Übersetzer von erbeuteten Unterlagen der deutschen Raketentechnik und zum anderen als Tutor von Agenten für die amerikanische Spionageabwehr.12
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Mit dem Herbstsemester 1946 endete Michaels Lehrtätigkeit an kleineren Colleges, die für zahlreiche Exilgermanisten in den Vereinigten Staaten die Regel blieb,13 und begann seine Hochschullehrerzeit in Austin, Texas, die fast ein halbes Jahrhundert währte und praktisch erst mit seinem Tod am 9. Juli 1994 endete. Im lokalen Universitätsrahmen entfaltete er sich zu einer buchstäblichen Institution. Eine immense, bis ins hohe Alter unermüdliche Energie erlaubte ihm, sich neben einem fruchtbaren Gelehrtendasein und dem Vorlesungsbetrieb noch praktisch vollzeitig für seine Studenten einzusetzen. Er fungierte als langjähriger »Undergraduate Advisor«, Berater der Studienjahrgänge bis zum Bachelor-Grad; er betrieb den »Eulenspiegelverein«, den Club für die Deutschstudenten; er pflegte an Wochentagen Zentrum des mittäglichen Stammtisches zu sein, der den amerikanischen Studenten Praxis im Gebrauch der deutschen Sprache verstattete; er versammelte jeden Mittwochabend Studenten, die Deutsch sprechen wollten, zu der zweistündigen »Deutschübenden Gesellschaft«; er war ständig um 16 Uhr im Konferenzzimmer des Deutschen Seminars zum Tee anzutreffen. Er wirkte jahrzehntelang als tragende Figur bei der Texas Association of German Students, die fast landesweit bis in die 1990er Deutschstudenten und bald auch Ober- und Mittelschulschüler jährlich zu Aufführungen und anderen sprachnahen Wettbewerben anzog. Er übernahm bald das vierteljährlich erscheinende Blatt dieser Vereinigung — nach ihrem Akronym TAGS genannt — trug selbst schreibend dazu bei und bewegte Studenten und Kollegen zur Mitarbeit. Was ihn dabei auszeichnete, war das unglaubliche Durchhaltevermögen, diese Einrichtungen und Gepflogenheiten jahraus, jahrein, ja oft jahrzehntelang aufrecht zu erhalten; die Initiativen zu ihnen waren nicht selten von anderen ausgegangen.14 Schließlich inszenierte er nicht allein vier Jahrzehnte lang deutschsprachiges Studententheater in Texas, wo er die deutschen Bühnenstücke in Campus-Auditorien und zeitweilig ins texasdeutsche Umland brachte,15 sondern gab auch selbst seine Schauspielerkunst zum Besten. In Bühnenklassikern, die im Abstand von Jahren oder Jahrzehnten wiederholt aufgeführten wurden, trat er in Kleists Der zerbrochene Krug als Richter und Lessings Minna von Barnhelm als Riccaut auf (z.B. 1973 und 1986), corrigeant la fortune, das Schicksal, das ihm im Exil den Lieblingsberuf, das Schauspielerdasein, versagt hatte. Als Sekundärmagnet in diesem wahrhaftigen Kraftfeld der deutschen Sprache und Kultur agierte seine zweite Frau, Marian Pendergrass, die er 1952, nach der Scheidung seiner ersten Ehe im Vorjahr, geheiratet hatte. Diese studierte Journalistin und Lektorin der Journalistik entwickelte sich bald zur unersetzlichen Mitarbeiterin bei all diesen mannigfaltigen Betätigungen und seinen Forschungen, wobei Michaels Theaterinszenierungen ohne ihren Einfallsreichtum bei Bühnenbild und Kostümen kaum mehr vorstellbar gewesen wären. Diese ungemein ausgreifende Wirksamkeit zugunsten der Studenten und der deutschen Sprache und Kultur zeigt, wie Flüchtlinge des Dritten Reiches deutsche Kultur in Asylländer hineintrugen, und nicht nur in Exilzentren wie New York und Los Angeles sondern auch in einst abgelegenere Regionen. Wenn Michael im Unterschied zu manchem anderen exilierten Germanisten keine autobiographischen Schriften hinterließ, so eben wegen seiner ununterbrochen rastlosen Rührigkeit als Betreuer, Macher und Theatermacher. Nicht zuletzt auf Grund dieser Rollen gelangte er zu besonderen Würdigungen seines Lebenswerks, und zwar wurde er ausgezeichnet von der Bundesrepublik 1972 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse und 1973 mit der Goethe-Medaille sowie 1988-89 von der Universität Texas mit ihrem Pro Bene MeritisPreis.
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An diesen Würdigungen hatten indessen auch Michaels Forschungen und Schriften Anteil, die in der Bibliographie seiner Festschrift German Studies in Honor of Wolfgang F. Michael aus dem Jahre 1992, festgehalten sind.16 Nur skizzenhaft kann seinem Wirken als Forscher und akademischer Schriftsteller in diesem bemessenen Rahmen Gerechtigkeit widerfahren.
Der Theaterhistoriker Wie für seinen Lebensweg bildete Freiburg im Breisgau auch den Ausgangspunkt für Michaels langjährige Beschäftigung mit dem Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Seine Studie über Die Anfänge des Theaters zu Freiburg im Breisgau ist noch immer die einzige wissenschaftliche Monografie, die der bedeutenden Fronleichnamsspieltradition dieser Stadt im 16. Jahrhundert gewidmet ist. Die Arbeit bildete den Auftakt zu einer regen publizistischen Tätigkeit, die auf Michaels Fachgebiet bis zu seinem Tod fünf weitere Bücher umfasste: Die geistlichen Prozessionsspiele in Deutschland17; Frühformen der deutschen Bühne18; Das deutsche Drama des Mittelalters19; Das deutsche Drama der Reformationszeit20; und Ein Forschungsbericht: Das deutsche Drama der Reformationszeit21. Wie aus dieser Liste hervorgeht, wurde in den 1970er und 80er Jahren das konfessionale Schauspiel des 16. Jahrhunderts zu Michaels eigentlichem Forschungsgebiet. Wie andere hat er hier den Bedarf an zugänglichem Quellenmaterial erkannt und durch die Herausgabe repräsentativer Primärtexte Abhilfe geschaffen.22 Insgesamt zeichnete er als Herausgeber oder Mit-Herausgeber für acht Spieleditionen verantwortlich.23 Nicht zuletzt zeugen über vierzig Aufsätze in namhaften germanistischen Zeitschriften wie Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Zeitschrift für deutsche Philologie und Daphnis von Michaels unermüdlicher Arbeit um die Erfassung des frühen deutschen Theaters.24 Durch mühsame Archivarbeit schenkte er den Werken etlicher vernachlässigter Dramatiker auf beiden Seiten der Glaubesspaltung neue Aufmerksamkeit. Michaels Ausbildung als Schauspieler und seine praktische Erfahrung als Regisseur prägten stets seinen Umgang mit Spieltexten. Auch ältere Schauspiele begutachtete er mit Blick auf eine Aufführung für ein zeitgenössisches Publikum, d.h., ihn beschäftigten in der Regel Fragen der Charakterdarstellung, der szenischen Realisierung, sowie der inneren Struktur eines Stücks. Seine Forschungsinteressen galten dementsprechend der Stoff-, Form- und Bühnengeschichte des deutschen Theaters. Zwar konnte dies bei seinen Veröffentlichungen gelegentlich zu einem »Mangel an historischer Reflexion«25 führen: Abgesehen von größeren geschichtlichen Entwicklungen, etwa bei offenkundigen lutherischen Elementen im Schauspiel der Reformationszeit, blieb der spezifische sozial- bzw. lokalhistorische Kontext eines Spiels bei seinen Interpretationen meist zweitrangig. Auf der anderen Seite gelangen ihm aber auch Einblicke in historische Aufführungspraktiken, die Spielforschern mit rein textbezogenen Fragestellungen verborgen blieben. Beim Osterspiel von Muri etwa, das lange Zeit als erstes rein deutschsprachiges geistliches Spiel des Mittelalters galt, hat Michael erkannt, dass in dem überlieferten Spieltext nur deswegen keine lateinischen Gesänge auftauchen, weil sie den Darstellern geläufig waren und sich somit für die als Soufflierrolle angelegte Handschrift erübrigten.26 Mit anderen Worten: der rein deutsche Text täuscht; wie bei anderen Osterspielen dieser Zeit gehörte Latein selbstverständlich zur Aufführung, aber die
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Darsteller kannten ihren lateinischen Text auswendig und mussten also nur an die deutschen Textpartien erinnert werden. Auch bei der Sprache dieses Spiels, die einen besonders »höfischen« Einfluss aufweisen sollte, kam Michaels Erfahrung mit einem lebendigen Theater zur Geltung: da das Spiel in zeitlicher Nähe zu der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts entstanden sei, habe es natürlich eine ähnliche Sprache wie diese Werke.27 Insgesamt prägen drei Hauptzüge Michaels Forschung zum voraufklärerischen deutschen Schauspiel. Zunächst einmal ist der feste Glaube an einen darwinistischen Entwicklungsgang der Geschichte ersichtlich, der sich in allen Bereichen seiner Forschung bemerkbar macht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine solche Sichtweise gewiss keine Seltenheit, aber Michael hielt auch in den 1970er und 80er Jahren daran fest, als theatergeschichtliche Studien wie Helmut de Boors Textgeschichte der lateinischen Osterfeiern die Unhaltbarkeit des Darwinismus für die Entwicklung des geistlichen Spiels nachweisen konnten.28 Diese Kritik richtete sich vor allem gegen die einflussreichen Forschungen Karl Youngs, der 1933 in seinem Drama of the Medieval Church für eine lineare Entwicklung des geistlichen Spiels plädiert hatte, bei der immer komplexere Formen einfachere Vorstufen abgelöst hätten.29 Obwohl de Boor und andere zeigen konnten, dass schlichte Spielformen auch noch spät auftauchten, blieb Michael zeit seines Lebens Anhänger von Youngs Entwicklungsmodell: Noch 1988 kritisierte er »anti-evolutionistische Forscher« und bemängelte, dass die Theatergeschichtsschreibung von einem entwicklungsgeschichtlichen Ansatz abgekommen sei.30 Michael interessierte sich auch stets dafür, wo gespielt wurde, d.h., zur Erforschung des frühen deutschen Theaters gehörte für ihn selbstverständlich die Rekonstruktion von Spielflächen und Bühnenbauten. Hier steht er in bewusster Nachfolge von namhaften deutschen Theaterwissenschaftlern wie Max Herrmann und Julius Petersen,31 wie vor allem in seinem dritten Buch, Frühformen der deutschen Bühne, zum Ausdruck kommt. Wie Herrmann und Petersen bemühte sich Michael hier um eine möglichst präzise Nachzeichnung des Spielgeschehens: welche Bühnenbauten gab es, wo haben die Schauspieler gestanden, wie haben sie sich bewegt? In 31 Abbildungen bot Michael in diesem Buch rekonstruierte Bühnenpläne für die bedeutendsten Aufführungstraditionen im deutschen Sprachraum, etwa das Luzerner Osterspiel oder die Fastnachtsspiele des Hans Sachs. Der für das geistliche Spiel typischen Simultanbühne, bei der alle Darsteller und Örtlichkeiten eines Spiels gleichzeitig vor den Augen der Zuschauer präsent waren, stellte Michael neu geprägte Begriffe wie »die ortlose Bühne« für die Stubenspiele der Nürnberger Fastnachtstradition an die Seite; hier stellte der Spielraum »nicht irgendeine bestimmte Lokalität vor, wie doch selbst der primitivste Spielraum der liturgischen Feier. Vielmehr blieb die Wirtsstube auch innerhalb der einfachen Handlung Wirtsstube«.32 Darüber hinaus untersuchte Michael die Terenzbühne des Humanistendramas — auch »Badezellenbühne« genannt, wegen der in der Rückwand der Bühne nebeneinander stehenden, durch Vorhänge zugedeckten Innenräume, die wie Umkleidekabinen wirken — obwohl er ihre Verwendung durch frühe deutsche Humanisten wie etwa Jakob Locher ablehnte.33 Auch hier ist Michaels Analyse entwicklungsgeschichtlich angelegt: er ortete den entscheidenden Schritt zur späteren Guckkastenbühne bei der sogenannten sukzessiven Verwandlungsbühne, die seiner Überzeugung nach zum ersten Mal bei dem Henno von Johannes Reuchlin in Erscheinung trat, der erfolgreichsten neulateinischen Komödie der deutschen Renaissance, die 1497 im Haus des Wormser Bischofs Johann von Dalberg in Heidelberg aufgeführt wurde.34 Auch wenn Bühnenbauten an sich für die histori-
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sche Theaterforschung inzwischen von weniger Interesse sind, gerät der Aufführungsraum als Bedeutungsträger sowie das Bühnengeschehen als performative Handlung zunehmend in den Blick. In gewisser Weise kann man also Michaels Rekonstruktionen des Bühnengeschehens als Vorarbeiten für die Analyse der Bewegungsregie beim Alsfelder Passionsspiel sehen, wie sie jüngst von Klaus Vogelsang nahegelegt wurde.35 Michaels Liebe für das Laientheater bildete den dritten Schwerpunkt seines Schaffens. Nicht nur widmete er sich voller Hingabe alljährlichen Studentenaufführungen, wobei er in langen Proben seinen Schauspielern neben ihrer Rolle manchmal auch die korrekte Aussprache beibringen musste, sondern der Spieltrieb war für ihn eine Ureigenschaft des Menschen, die er auch bei der Gesellschaft des Mittelalters voraussetzte. Das mittelalterliche Theater war für Michael also Volkstheater. Zwar erkannte er, dass die Leitung von religiösen Spielen bis ins Spätmittelalter Geistlichen vorbehalten war, aber dennoch betrachtete er als treibende Kraft für solche Spiele die unteren Bevölkerungsschichten, die ihre Bedürfnisse an Belehrung und Unterhaltung durch Spiel zu erfüllen suchten. Da, wo religiöse Dramen eine gewisse Gottesfurcht missen lassen, etwa beim derben Humor der sogenannten Salbenkrämerszene, sah er den Einfluss von fahrenden Spielleuten, die ein Repertoire an komischen Sketchen von Ort zu Ort mit sich führten und sie auf diese Weise in viele regionale Aufführungstraditionen einführten.36 Diese sogenannte Vagantenthese ist allerdings in der Wissenschaft auf Skepsis gestoßen, wie Michael selbst einräumte,37 und statt allgemein vom »Volk« zu sprechen, unterscheidet man in der Spielforschung inzwischen genau nach Bevölkerungsschichten und Interessengruppen, die am Zustandekommen einer Aufführung im Mittelalter teilhatten und sich an einigen Orten zu Spielbruderschaften zusammenschlossen.38
Lessing als Prüfstein Im Laufe seiner vierzigjährigen Regiearbeit brachte Michael die Werke etlicher deutschsprachiger Dramatiker zur Aufführung, u.a. Schiller, Brecht, Nestroy, Borchert, Hauptmann, Sachs und Goethe. Von allen Größen der deutschen Theatergeschichte blieb jedoch Gotthold Ephraim Lessing Michaels Liebling. Neben einer Produktion von Emilia Galotti 1965 gelangte viermal Minna von Barnhelm unter Michaels Regie auf die Bühne: 1948, 1964, 1973 und schließlich 1986 als Abschiedsinszenierung, da Michael hiernach die Leitung der studentischen Schauspiele am germanistischen Institut niederlegte. Diese Aufführungen waren nicht nur ein Anlass, sein schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen — wie oben erwähnt übernahm Michael zweimal die Rolle des Riccaut bei Minna — sondern sie erregten auch sein Fachinteresse. Es scheint kein Zufall zu sein, dass zwei Aufsätze Michaels zu Lessing jeweils kurz nach einer erfolgten Aufführung in Texas erschienen: »Tellheim eine Lustspielfigur« (1965) und »Lessing und Molière« (1975).39 Ein dritter, längerer Aufsatz, »Zu Lessings dramatischem Werdegang«, erschien 1992, also sechs Jahre nach Michaels letzter Minna-Produktion.40 Er nahm z.T. die Hauptthesen der zwei früheren Arbeiten auf und stellte somit eine gewisse Kulmination von Michaels Überlegungen zu Lessing dar. In diesen Untersuchungen ging es Michael vor allem um Lessings Leistung als Dramatiker, insbesondere bei den Stücken Minna von Barnhelm, Emilia Galotti und Nathan der Weise, die für ihn den Beginn des modernen deutschen Theaters markierten.41
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Durch ihre wiederholte Einstudierung entwickelte Michael offenbar eine hohe Wertschätzung für die »bis in jede Einzelheit gehende Verlebendigung der Charaktere« (1002), die diese späteren Dramen des deutschen Aufklärers kennzeichnet. Von dieser Charakterbehandlung aus begutachtete Michael Lessings Theorie des Dramatischen, wie sie in der Hamburgischen Dramaturgie und den Literaturbriefen zum Ausdruck kam. Der Grundsatz von Lessings Theaterverständnis sei das Mitleiden gewesen; indem er dieses Prinzip in den Mittelpunkt der Zuschauerreaktion gerückt habe, habe es sein Verhältnis zu Aristoteles, Shakespeare und den klassischen französischen Dramatikern bestimmt. Von dieser Perspektive aus erklärte Michael, warum Lessing bei aller Ablehnung von Corneille dennoch ein Anhänger Molières bleiben konnte: Die Helden des Klassikers Corneille aus den höheren Ständen waren nicht imstande, das Mitgefühl eines bürgerlichen Publikums zu erwecken, was aber bei den liebevoll gezeichneten komischen Charakteren seines Zeitgenossen Molière sehr wohl möglich war. Gerade Lessings Ausführungen zu Molières Le Misanthrope machte Michael für seine Interpretation von Tellheim, der Hauptfigur von Minna von Barnhelm, fruchtbar. Wie der Misanthrop sei auch Tellheim tugendhaft; dass man über ihn lachen darf, heiße nicht, dass man ihn verlacht. Mit anderen Worten: Auch Tellheim ist Gegenstand des Mitleidens, allerdings eines humorvollen. In allen drei Lessing-Aufsätzen lehnt Michael energisch eine tragische Interpretation dieser Figur ab, die er so oft auf die Bühne brachte: So machte man aus Minna von Barnhelm ein Drama mit tragischen Untertönen. Ein edelmütiger preußischer Major durfte nicht zur komischen Figur werden, man durfte ihn nicht verlachen. Dann wäre Tellheim also genau das, was der Aristoteles-Schüler Lessing immer als undramatisch scharf ablehnte: ein fehlerloser Charakter. (1007)
Der Anhänger Thomas Manns War Thomas Mann in der Öffentlichkeit des Asyllandes Amerika in den 40er Jahren zum politischen Repräsentanen seiner Mitvertriebenen aufgestiegen, zum heimlichen »Kaiser aller deutschen Emigranten« (Ludwig Marcuse), so war es kein Wunder, dass der Exilant Michael sich von der Person und dem Werk des Romanciers besonders angezogen fühlte. Schon der Frühdreißiger Michael wandte sich dem Werk Manns zu, und noch in seinen hohen Siebzigern verfasste er ein Büchlein über seinen Lieblingsautor unter den Modernen. Michael begann 1945 mit einer essayistischen Besprechung von »Thomas Manns Joseph der Ernährer«, in der er den Romancier unter dem Zeichen einer Ironie der »Lebensfreundlichkeit« weg von Schopenhauers und Nietzsches Pessimismus und hin zu Goethe rückte.42 Er bemerkte, dass Mann hier und überhaupt in seiner späten Prosa wie bei Lotte in Weimar, »Die vertauschten Köpfe« und »Das Gesetz« zur Gattung der historischen Erzählung neigte, moderne Anschauungen mit der Tradition der Genesis und ägyptischer Stoffe verschnitt, Kunst nicht mehr von Politik schied und das Prinzip Menschlichkeit hoch stellte. Einen Thomas Mann, der sich hin zum gesellschaftlichen Fortschritt orientierte, erblickte Michael nicht, denn »wichtiger als Politisches ist die ethische Welt« (35). Noch im selben Jahr 1945 veröffentlichte er einen Aufsatz »Über die Jugenddichtung Thomas Manns«.43 Er benutzte eine Handvoll von Gedichten der 1890er und die Novelle »Gefallen«, um diese Frühphase im Werk Manns als eine an Heine und Storm orientierte Zeit empfindsamer lyrischer Produktion aus unmittelbarer Emotion zu bestimmen. Dieses
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Jugendlich-Emotionale hätten Nietzsche- und Schopenhauer-Tradition dann verdrängt und für stilistisch und geistig Ausgereifteres gesorgt. Michaels Aufsatz war inspiriert von Tonio Kröger, zu dem er häufig Parallelen aufzeigte. Ein Jahrfünft später behandelte Michael »Thomas Mann auf dem Wege zu Freud«,44 wobei es ihm um die Frage ging, wie und wann der Romanautor die fundamentalen Ideen des Begründers der Psychoanalyse rezipiert hatte. Zudem untersuchte er, wie sich Manns Einstellung zu Freud von einer eher ambivalenten zu einer positiven Haltung entwickelt hatte. Der Gelehrte suchte den Widerspruch von zwei Aussagen Manns zu erklären. Denn 1925 hatte der Schriftsteller in einem Interview geäußert, sein Tod in Venedig wäre ohne den großen Wiener Seelenerforscher undenkbar gewesen. 1929 hingegen wollte er Freud nicht gelesen haben. Michael kam zu dem Schluss, der Romanautor habe im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts Freuds Grundgedanken dem Zeitgeist entlehnt, nicht ohne kritische Vorbehalte, die sich noch im Zauberberg niedergeschlagen hätten. Von 1925–1929 müsse er aber Freud gründlich durchgearbeitet haben, denn fortan bewerte er ihn erzpositiv und die Josephs-Romane sowie die Spätprosa seien generell psychologisch komplexer. Um die Jahrhundertmitte muss der Gelehrte regelmäßig dem Romanautor seine Arbeiten übermittelt haben, denn Mann bestätigte Michael den Erhalt des JosephsAufsatzes und dankte für den Freud-Essay.45 Die zeitweilige Gegenseitigkeit der brieflichen Beziehung tritt besonders in der Korrespondenz aus dem Jahre 1949 über Michaels Studie Die geistlichen Prozessionsspiele in Deutschland hervor, als der Romanschriftsteller am 4. Oktober 1949 in sein Tagebuch notierte: »schrieb an Dr. Michael, Austin, über seine Schrift ›Fronleichnamsspiele‹«, wobei er sich »nach Mariae Empfängnis am 8. Dezember und nach dem Introitus der Messe« erkundigte.46 Hier wandte sich der Erzähler, der an Der Erwählte (1951) arbeitete, um Rat an den MittelalterFachmann. Michaels nächste Thomas Mann-Studie, der Artikel »Stoff und Idee im Tod in Venedig«, erschien erst 1959, nach dem Tod des Romanautors.47 Der Forscher gab darin einen Abriss bereits von anderer Seite vorgelegter Quellen für die Novelle und konnte mit seinem eigenen Fund die ausgesprochene Intertextualität der venezianischen Novelle erneut bestätigen. Thomas Mann hatte die orgiastische Traumszene, nach der Aschenbach aller Disziplin und Mäßigung entsagt, Erwin Rohdes Psyche entlehnt. Rohde stand Nietzsche nahe, und Michael leitete von dieser Quelle über zu der geistigen Orientierung sowohl der Novelle wie Thomas Manns, die er in der Polarität von Gefühlsüberborden und künstlerischer Disziplin, Dionysischem und Apollinischem erblickte. In diesem Sinne interpretierte er die Novelle als »eine tiefernste Selbstparodie« des Schriftstellers (13). Bildete Nietzsche für Michael bei seinem Erforschen der Quellen der venezianischen Novelle eine enge Nachbarschaft, ist er auch ein Aspekt von Michaels Mitt1960er Studie »Thomas Mann und Rilke«.48 In diesem wohl kürzesten Beitrag Michaels zur Thomas Mann-Forschung berührt er nämlich das Nietzsche-Erbe beider Autoren. Auf eine Skizze der parallelen Entwicklung der beiden Dichter von romantisch-emotionalen Anfängen in den 1890ern zu sachlicheren Stilmitteln und Vorgehensweisen folgt als längster Absatz und Herzstück des Essays das Zitat eines Mannschen Briefes an Agnes Meyer. Der Gegenstand ist eben Rilke, »sein Ästhetizismus, sein adeliges Getu, seine frömmelnde Geziertheit«, die der nun politisch engagierte Mann ebenso ablehnte wie Stefan Georges maskuline Herrscherpose als Haltungen, die nur Kunst und Schönheit anerkannten. Derlei Idolisierung der Kunst sei dem politisch mitverantwortlichen Romanautor Mann wesensfremd und so verschweige er
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den Lyriker Rilke, wenn er ihn nicht vielleicht in der Zentralfigur seines Dr. Faustus, der nun einmal den vereinsamten Ästhetizismus veranschauliche, mit gemeint habe. Michaels Thomas Mann ist durch diese Beiträge hindurch mehr der Schriftsteller Thomas Mann als das Werk, das er geschaffen hat. Immer wieder interessierte diesen Germanisten der Charakter Manns, den er in seinen Schriften, Briefen und Tagebüchern fand und verfolgte. Das beginnt meist mit der weniger bekannten Frühprosa Manns, stützt sich immer wieder auf Tonio Kröger, sei es in »Über die Jugenddichtung Thomas Manns« oder noch im Kontrastieren Thomas und Heinrich Manns in dem Essay des späten Michaels Thomas Mann auf dem Weg zur Politik (1985). Sogar in diesem Büchlein entpolitisierte Michael das Medium gewissermaßen in der Freude am Persönlichen der Literatur. Die eigentliche Politik spielte eine geringere Rolle als der Gegensatz Kunst–Zivilisation, der im Grunde freilich vor allem wiederum eine bloße Thematisierung der beiden gegensätzlichen Bruderpersönlichkeiten Thomas und Heinrich Mann darstellte. Methodologisch faszinierte Michael an der Trinität Kunstschöpfer–Werk–Rezeption primär das erste Element. Im Verein mit dem Schöpfercharakter lag ihm daneben an den Quellen, dem Stofflichen; er blieb einer traditionellen Lesart der Literatur verbunden.49 Es ist vielleicht kein Zufall, dass diese eher positivistische Zugangsweise zur Literatur Michael in späteren Jahren zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Theater der Reformationszeit führte. Bei seiner Neigung, die Person des Autors in den Mittelpunkt seiner Interpretationen zu rücken, konnten die meist anonymen Spielautoren des Mittelalters Michaels Neugier — trotz seiner Bemühungen, das »Volk« als kreative Instanz zu reklamieren — nur bedingt befriedigen. Hingegen konnte er gerade bei der Reformationsliteratur seine Vorlieben für Schöpferpersönlichkeiten und Quellenstudien vereinen: hier traten zum ersten Mal in der deutschen Theatergeschichte namhafte Dramatiker auf, deren Werke außerdem noch dringend einer Einordnung nach Spielstoffen und –quellen bedurften. Bei der verhältnismäßig kleinen Zahl von Germanisten, die sich mit dem 16. Jahrhundert befassen, stand Michael also ein großer Spielraum zur Verfügung, in dem er nach Belieben über die schöpferischen Beweggründe seiner Autoren nachsinnen konnte. Nicht umsonst sind die einzelnen Abschnitte von Das deutsche Drama der Reformationszeit nach Spielautoren organisiert. Darüber hinaus drehte sich das Theater der Reformationszeit um die Religion. Michaels Vater Wolf Wolfgang hatte sich 1893 evangelisch-lutherisch taufen lassen, und auch Wolfgang F. Michael betonte in Lebensläufen noch im amerikanischen Exil seine protestantische Konfession.50 Inwieweit das mit persönlicher Religiösität gleichzusetzen ist, bleibt offen. Zwar bildete die Theologie Martin Luthers den roten Faden, der sich durch Michaels einzelne Analysen von Reformationsspielen zieht. Aber er scheint Luther vor allem bewundert zu haben als deutsche Kulturfigur bzw. als Mensch, der sich durch widrige Zeitumstände in seinen Grundprinzipien nicht erschüttern ließ. Wie Mann und Lessing war Luther für ihn ein Deutscher, auf den man stolz sein konnte.
Anmerkungen 1 2
Die Anfänge des Theaters zu Freiburg im Breisgau (Freiburg/Breisgau: J.Waibel 1934). Prof. Hubert Heinen zufolge. Als Schüler und langjähriger Kollege Michaels war Heinen eng mit Michael vertraut. Interview vom 24. März 2009 in der John M. Spalek Collection, M.E. Grenander Department of Special Collections and Archives, University at Albany, Albany, NY.
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»Agreement«-Kontrakt vom 14. 3. 1937 mit Hermann Veeser und Carl Heinz Jaffe, London. Brief gezeichnet L B Namier vom 3. Mai 1937 im Nachlass. Empfehlungsbrief des Headmasters, M.L. Tacks, datiert 25. 10. 1937, im Nachlass. Zusätzlich zu dem Schreiben Tacks vgl. die Schreiben der Gutachter G.F. Gooch vom 23. 10. 1937 und Hans Hermann Borchardt vom 5. 12. 1937. Letzteres deutsch samt engl. Übersetzung. Im »Biographical Statement« vom März 1944 im Nachlass ist unter der Rubrik »Citizenship« der Text »German; applied for final papers for USA citizenship« zum Teil durchgestrichen und abgeändert zu »final papers for USA citizenship rec’d«. Gutachten des Dekans des La Salle Colleges vom 21. 10. 1938, und des Germanisten Max Diez, Bryn Mawr College vom 25. 3. 1944 und Michaels »Curriculum Vitae«, sämtlich im Nachlass. Auszug aus einem Empfehlungschreiben der Collegepräsidentin Schwester Maria Kostka vom 28. 3. 1944 in »References on file«, im Nachlass. »Die Germanistik im Exil in den USA — Umrisse zu ihrer Charakterisierung und Geschichte«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. III: USA. Hg. John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra H. Hawrylchak (Zürich/München: K.G. Saur 2005), Teil 5, S. 376-411, hier S. 399. Künftige Bezugnahme unter dem Kurztitel »Die Germanistik«. Das Vorlesungsverzeichnis des Chestnut Hills Colleges führt Michael sogar weiter einschließlich des akademischen Jahres 1946–47, was wohl darauf zurückgeht, dass das Verzeichnis nicht aktualisiert wurde; auf jeden Fall ist dieses letzte Jahr durch seine Berufung nach Texas widerlegt. E-mail Dr. Lorraine Coons, Archivist, Chestnut Hill College, vom 2. 11. 2009, im Besitz von H-B. Moeller. »In Memoriam Wolfgang F. Michael«. http://www.utexas.edu/faculty/council/20002001/memorials/Michael/Michael.html. Vgl. Wulf Koepke, »Die Germanistik« (wie Anm. 10), S. 389. Die ersten Schritte zu diesen regelmäßigen pädagogischen Unternehmungen taten nicht selten andere, wie Heimkehrer von der militärischen Dienstzeit in Mitteleuropa (Chuck Turrentine) oder Kollegen, wie z.B. Stanley Werbow beim Stammtisch. In seinem sonst so verdienstvollen Beitrag »Die Germanistik« irrt Wulf Köpke, wenn er auch die Gründung des Deutschen Hauses Michael zuschreibt (S. 389). Es wurde in den 60er Jahren von dem damaligen Dozenten Chuck Schmidt begründet und länger von Professor Hubert Heinen betreut. E-Mail Heinens an einen der Verfasser vom 2. 10. 2009. Chronologisch aufgelistet unter »Annual German Play« auf der Webseite des Deutschen Instituts der Univ. Texas, Austin, http://www.utexas.edu/cola/depts/germanic/files/ pdf/history/germanplays.pdf. Hg. von Thomas Ryan und Denes Monostory (Bern: Peter Lang 1992), S. 291-296. Aufgelistet sind Michaels Schriften bis 1989. Hesperia 22 (Baltimore: Johns Hopkins University Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1947). Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 62 (Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte 1963). Grundriss der germanischen Philologie 20 (Berlin/New York: de Gruyter 1971). Bern: Peter Lang 1984. Bern: Peter Lang 1989. Neben Michael, der sich abgesehen von seiner Sachs-Edition (s.u.) auf Spieltexte des 16. Jahrhunderts beschränkte, suchte vor allem Hans-Gert Roloff, FU Berlin, durch die wissenschaftliche Herausgabe von wichtigen Erzähltexten sowie Dramen eine neue Grundlage für das Studium der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit zu schaffen. Auf Roloff gehen die Reihen »Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 17. Jahrhunderts« (de Gruyter), »Mittlere Deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken« (Peter Lang) und »Berliner Ausgaben« (Frommann-Holzboog) zurück. In chronologischer Reihenfolge: Thomas Brunner: Tobias. Hg. Wolfgang F. Michael u. Dona Reeves. Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts, 14 (Bern: Peter Lang
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WOLFGANG F. MICHAEL 1978); Thomas Brunner: Die schöne und kurtzweilige Historia von der Heirat Isaacs vnd seiner lieben Rebecca. Hg. Wolfgang F. Michael u. Hubert Heinen. Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts, 38 (Bern: Peter Lang 1983); Johan Narhamer: Historia Jobs. 1546. Hg. Barbara Könneker u. Wolfgang F. Michael. Arbeiten zur mittleren deutschen Literatur und Sprache, 12 (Bern: Peter Lang 1983); Andreas Pfeilschmidt: Esther, 1555. Hg. Barbara Könneker u. Wolfgang F. Michael. Arbeiten zur mittleren deutschen Literatur und Sprache, 16 (Bern: Peter Lang 1986); Johannes Sapidus: Anabion (1540). Hg. Wolfgang F. Michael u. Douglass Parker (Bern: Peter Lang 1991); Die Nürnberger »Susanna«: Ein Spiel aus dem frühen 16. Jahrhundert. Hg. Wolfgang F. Michael. Litterae 115 (Göppingen: Kümmerle 1994); Hans Sachs: Werke in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Hg. Wolfgang F. Michael u. Roger A. Crockett. 3 Bde. (Bern: Peter Lang 1996). Eine Liste von entsprechenden Veröffentlichungen bis 1989 befindet sich in Michaels Festschrift: Word and Deed. German Studies in Honor of Wolfgang F. Michael. Ed. Thomas E. Ryan and Denes Monostory (New York: Peter Lang 1992), S. 291-296. Hansjürgen Linke: »Rezension zu Das deutsche Drama des Mittelalters«, Anzeiger für deutsches Altertum, LXXXIV (1973), S. 220-228, hier S. 223. Rolf Bergmann: »Überlieferung, Interpretation und literaturgeschichtliche Stellung des Osterspiels von Muri«, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, IX (1984), S. 1-21, hier S. 3. Ebd., S. 5, 20. Helmut de Boor: Die Textgeschichte der lateinischen Osterfeiern. Hermaea 22 (Tübingen: Niemeyer 1967). Karl Young: The Drama of the Medieval Church. 2 Bde. (Oxford: Clarendon Press 1933). »Wird nach weiteren 15 Jahren das Tabu gegen die Worte Evolution, Entwicklung überwunden werden?« Wolfgang F. Michael: »Das Drama des Mittelalters: Ein Forschungsbericht«, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, LXII (1988), S. 148-195, hier S. 153, 160. Siehe auch Michaels Kommentare zu de Boors Arbeit, S. 168169. Max Herrmann: Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance (Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1914); Julius Petersen: »Aufführungen und Bühnenplan des älteren Frankfurter Passionsspiels«, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, LIX (1921/22), S. 83-126. Michael: Frühformen (wie Anm. 18), S. 65. Ebd., S. 69-73, 76-83. Ebd., S. 85. Klaus Vogelsang: Kommentar zum ›Alsfelder Passionsspiel‹ und den dazugehörigen Spielzeugnissen. Ergänzungsband 2: Die Hessische Passionsspielgruppe. Edition im Paralleldruck (Tübingen: Niemeyer 2008). Wolfgang F. Michael: »Fahrendes Volk und mittelalterliches Drama«, Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, XVII (1960), S. 3-8. Michael: »Das Drama des Mittelalters« (wie Anm. 30), S. 152. Dorothea Freise: Geistliche Spiele in der Stadt des ausgehenden Mittelalters. Frankfurt – Friedberg – Alsfeld. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 178 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002). »Tellheim, eine Lustspielfigur«, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, XXXIX (1965), S. 207-212; »Lessing und Molière«. In Molière and the Commonwealth of Letters: Patrimony and Posterity. Hg. Roger Johnson, Jr., Editha S. Neumann u. Guy T. Trail (Jackson, MI: Univ. Press of Mississippi 1975), S. 271-275. »Zu Lessings dramatischem Werdegang«. In »Der Buchstab tödt – der Geist macht lebendig«. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans-Gert Roloff. Hg. James Hardin u. Jörg Jungmayr (Bern/Berlin/Frankfurt: Peter Lang 1992), S. 999-1016. Ebd., S. 1001. Monatshefte für deutschen Unterricht, XXXVII (1945), S. 32-36. Monatshefte für deutschen Unterricht, XXXVII, Nr. 6 (Okt. 1945), S. 409-416. Modern Language Notes, LXV (March 1950), S. 165-171.
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Thomas Mann Tagebücher 1944-46. Hg. Inge Jens (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1986), S. 185, bzw. Die Briefe Th. Manns Regesten und Register. Hg. Hans Bürgin u. Hans-Otto Mayer unter Mitarbeit des Thomas Mann Archivs Zürich (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1982), S. 202. Vgl. auch S. 400 betreffend Michaels Veröffentlichen eines frühen Gedichts von Mann. Tagebücher 1949-50, S. 106, bzw. Die Briefe Th. Manns Regesten und Register, S. 483. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, XXXIII, Nr. 1 (1959), S. 13-19. Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen, CCII, Nr. 2 (1965/66), S. 112114. Vgl. ein Interview John Spaleks mit Prof. Hubert Heinen vom 24. 3. 2009, John Spalek Collection (wie Anm. 2). Vgl. »Curriculum Vitae«, undatiert [um 1940] und ein »Biographical Statement« vom März 1944 im Nachlass.
EXIL IM HOTEL PLAZA: DER LEBENSABEND DES UNGARISCHEN EMIGRANTEN FRANZ MOLNÁR (1940–1952) ÁGNES SZÉCHENYI Der ungarische Schriftsteller Franz Molnár (1878–1952), kam an Bord des italienischen Ozeandampfers Rex am 12. Januar 1940, also gerade zu seinem 62. Geburtstag, in New York an. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein weltberühmter Bühnenautor. Seine Theaterstücke, insbesondere das Werk Spiel in einem Schloss waren schon überall auf der Welt mit großem Erfolg aufgeführt worden. Seine Bühnenkunst diente regelrecht als dramaturgische Vorlage.1 Unter den Passagieren an Bord der Rex befand sich auch die junge Ingrid Bergman, die Molnár damals noch nicht persönlich kannte, die aber wenig später mit großem Erfolg in der Wiederaufführung seines Stückes Liliom auftreten sollte. Die Überfahrt dauerte zwölf Tage. Das Schiff stach am Silvesterabend in See. Das im Folgenden angeführte Zitat stammt aus Molnárs Autobiographie. Die darin von ihm handelnden Zeilen entnahm er den Aufzeichnungen seiner Sekretärin und verwendete sie für sein Buch. Als ihr Schiff in einer dunklen Winternacht endlich entlang des Kais fuhr, konnte man an Bord die freudigen Begrüßungsrufe vernehmen, die vom Ufer aus herüberklangen und von einem singenden Chor begleitet wurden. M. war überrascht: Er nahm an, dass diese Begrüßung entweder von den im Exil lebenden Ungarn oder von seinem Freund Gilbert Miller2 organisiert worden war. Letzterer war der Produzent von vielen seiner Stücke in New York gewesen. Nun meinte M., sei es durchaus möglich, dass Frau Bergman ebenfalls dachte, der Applaus gelte ihr, weil sie eine berühmte schwedische Schauspielerin war und weil gerade ein Hollywood-Film, nämlich Intermezzo (mit ihr und Leslie Howard), erfolgreich in New York lief. Noch bevor sie an Land gingen, hatte M. herausgefunden, dass es sich beim freudigen Applaus und dem Chor von hunderten Stimmen um einen zionistischen Willkommensgruß für Dr. Chaim Weizmann,3 dem führenden Verfechter eines jüdischen Staates in Palästina, handelte. Er war an Bord desselben Schiffes angekommen, was bis dahin weder M. noch Frau Bergman gewusst hatten.
Aus diesem Zitat geht klar hervor, welch unterschiedlichen sozialen Schichten, die exklusive Gesellschaft von Emigranten an Bord des gigantischen Ozeandampfers angehörte, der zwischen Italien und den Vereinigten Staaten an die hundert Mal den Atlantik überquerte. Darunter waren Schauspielerinnen, Schriftsteller, Politiker und Diplomaten. Als Molnár später las, dass die Rex im Krieg versenkt worden war, bemerkte er: »Die arme Rex hat trotz ihres schlimmen Endes, einigen meiner Mitreisenden Glück gebracht. Die anfänglich sich nur langsam entwickelnden und sehr verschiedenen Karrieren der Passagiere Michael Todd,4 Ingrid Bergman und Chaim Weizmann nahmen nach dem Anlegen des Schiffes im Hafen einen steilen Verlauf.«5 Molnár zählte sich somit nicht zu jenen, denen Amerika Glück gebracht hatte, und zwar aus gutem Grund. Nach seiner Ankunft in Amerika war er bereits weit über den Höhepunkt seiner Karriere hinaus. Sein Ruhm wurde durch Stücke bewahrt, die über lange Zeit hinweg erfolgreich in Serie aufgeführt wurden. Während seiner Zeit im Exil schrieb er nicht mehr nennenswert viele Werke, die zum allgemein bekannten Œuvre zählen, insbesondere keine, die auch in das Repertoire international gespielter Theaterstücke aufgenommen wurden. Ein bedeutendes historisches Drama schrieb er
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1942 dennoch, nämlich das Stück mit dem Titel The Emperor [laut Bibliographie gibt es keinen deutschen Titel]. Dieses Stück war insofern eine Überraschung, als es sich dabei um eine Tragödie handelte, während doch Molnár im Ruf stand, eher Komödien zu schreiben. Es ist bekannt, dass er zu diesem Stück von seinem österreichischen Freund, dem großen europäischen »Bühnen-Erneuerer« Max Reinhardt6 ermutigt worden war. Letzterer war zu diesem Zeitpunkt bereits ebenfalls nach Amerika emigriert. Das Ziel des seit langem befreundeten Theaterdirektors muss darin bestanden haben, Franz Molnár, welcher nach seiner Ankunft in Amerika endgültig den Boden unter den Füßen verloren hatte, erneut zum Schreiben zu bewegen.7 Man kann davon ausgehen, dass Molnár mit diesem Werk (The Emperor) erneut das Publikum in Budapest erobern wollte. Bei diesem im napoleonischen Zeitalter spielenden historischen Schauspiel bzw. Drama handelt es sich um eine direkte Auseinandersetzung mit der Diktatur und dem Krieg. Es ist eine Tragödie, in der echte und unechte Verletzungen voneinander unterschieden werden.8 Tatsächlich wurde dieses Drama lediglich in Budapest, und zwar nur im Laufe einer Saison 1946 ohne Erfolg uraufgeführt. Ein Jahr nach dem Krieg wollte das Publikum von Molnár nichts anderes als das, was es von ihm gewohnt war, nämlich leichte, die Probleme vergessen machende Unterhaltung. Das Comeback sollte nicht gelingen.
Budapest — Der Beginn einer Karriere Aber von wo und wie war Franz Molnár nach New York gekommen? Er wurde 1878 in Budapest geboren. Seine Karriere nahm, parallel zur Entwicklung seiner Heimatstadt, ihren Aufschwung. Die Hauptstadt Budapest war lediglich fünf Jahre vor seiner Geburt aus der Vereinigung von drei historisch, kulturell und ideologisch gesehen unterschiedlichen, nahezu unabhängigen Städten hervorgegangen, nämlich Pest, Buda [zu dt.: Ofen] und Óbuda [zu dt. Alt-Ofen].9 Molnár pflegte seinen Geburtsort als »mein Heimatdorf Pest« zu beschreiben. Pest hatte eine eigene weltanschauliche Prägung. Die rebellische Stimmung der Revolution von 1848 und der Liberalismus waren von einer urbanen Dynamik gekennzeichnet. Bis dahin orientierte sich die ungarische Literatur im Hinblick auf ihre Weltsicht eher an ländlichen Regionen.10 Eine rasante Stadtentwicklung nahm ihren Lauf. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war Budapest mit einer Einwohnerzahl von 733.000 die achtgrößte Stadt in Europa.11 Die Gesamtauflage der jährlich in Ungarn erscheinenden Zeitungen belief sich auf 154 Millionen. Allein in der Hauptstadt erschienen 48 Tageszeitungen [!], d.h. mehr als in jeder anderen europäischen Metropole. Außer den 39 Zeitungen in ungarischer Sprache gab es neun deutschsprachige Zeitungen. Die Hauptstadt war damals noch zweisprachig. Das Bürgertum sprach deutsch und ungarisch. Die ungarische Literatur verlor damals allmählich ihren ländlichen Charakter und wurde in moderner Form institutionalisiert. Diese Epoche bedeutete einen historischen Wendepunkt für das geistige Leben in Ungarn. 1882 ist für die ungarische Literatur von geradezu symbolischer Bedeutung. In diesem Jahr starb der ungarische Dichterfürst János Arany. Er war eine herausragende, gefeierte, aber nichtsdestotrotz leise sprechende Persönlichkeit mit einer ruhigen Stimme. Er repräsentierte eine Kombination zweier Welten, eine frühere und eine spätere. Die frühere bezog sich auf die literarische Welt des Lebens auf dem Land und die Revolution von 1848. Die spätere spiegelte, da Arany in der sich schnell
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entwickelnden Metropole lebte, den unaufhaltsamen und überwältigenden Fortschritt wider. Die ältere Generation reagierte ängstlich auf diese raschen Veränderungen. Genau zu diesem Zeitpunkt trat eine neue Generation auf den Plan. Diese spätere, urbane Welt bildete den natürlichen Lebensraum von Molnár. Molnár war durch und durch Stadtmensch. Er entstammte einer hervorragenden jüdischen Familie des gehobenen Mittelstandes. Sein Vater war ein bekannter Chirurg in der Hauptstadt. Das weitreichende soziale Netzwerk der Familie und der hohe Stellenwert, den sie genoss, waren schon allein an der Tatsache zu erkennen, dass Molnárs Vater als Betriebsarzt bei den weltberühmten Ganz-Werken in Budapest sowie einem Unternehmen tätig war, das sich einige Jahre hindurch dem Brückenbau in Budapest widmete und Gustav Eiffel gehörte. Zudem war Molnárs Vater eng mit dem deutschen Arzt, Schriftsteller und Journalisten Max Nordau, einem führenden Kopf in der zionistischen Bewegung, befreundet.12 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts galt es als völlig selbstverständlich, dass er als Sohn seiner Familie zum Studium nach Westeuropa, genauer gesagt nach Genf geschickt wurde, wo er Rechtswissenschaften studierte. Von dieser Stadt in der Schweiz aus unternahm Molnár regelmäßig Reisen nach Paris. Er sah alles, was in den Theatern sehenswert war. Bis zum Ersten Weltkrieg durfte jeder, der es sich leisten konnte, und dessen sozialer Status es ihm erlaubte, völlig frei und ohne Pass quer durch Europa reisen und sich überall niederlassen.13 1896, im Jahr der ungarischen Milleniumsfeierlichkeiten madjarisierte der Sohn seinen Namen. Somit wurde aus Ferenc Neumann Ferenc Molnár, der hier deshalb mit Franz Molnár wiedergegeben wird, weil die deutschen Publikationen dieses Autors unter diesem Namen liefen. Das war noch die vor dem Ersten Weltkrieg und den Revolutionen vorherrschende gastfreundliche, liberale Zeit in Ungarn, und nicht jenes Land, das dem ersten Numerus Clausus zustimmte und in der bedrückenden Stimmung infolge der Niederlage von 1918 nach einem Sündenbock suchte. Als direkte Folge des verlorenen Krieges kam es zu zwei, von der politischen Linken ausgehenden Revolutionen in den Jahren 1918 und 1919. Als ob das alles noch nicht genug wäre, wurde 1920 der Friedensvertrag von Trianon geschlossen. Ungarn verlor ungefähr zwei Drittel seines Staatsgebiets und die Hälfte seiner Bevölkerung. Die Jahrzehnte zwischen 1867 und 1914 gelten als glückliche Friedenszeiten in der ungarischen Geschichte. Darauf folgte eine Periode des drastischen Wandels, in der die jüdischen Intellektuellen und Revolutionsführer zu Sündenböcken der politischen Lage gemacht wurden. In dieser allgemeinen Stimmung wurde es 1921 auch möglich, das erste Gesetz zum Numerus Clausus in Europa einzuführen.14 Viele Freunde in Molnárs Umgebung sowie auch Molnár selbst wurden von dieser allgemeinen Stimmung sehr stark beeinflusst. Alles das spielte sich jedoch hauptsächlich in Budapest ab. Die Vertreter des Großkapitals wurden beschuldigt, die chaotischen Zustände herbeigeführt zu haben. Molnár beschäftigte sich ausführlich mit dem Charakter und der Mentalität der lebensfrohen ungarischen Hauptstadt. 1911 erschien von ihm ein wunderbarer Artikel darüber, wie Budapest denn nun wirklich sei. Der bezeichnende Titel dieses Werks lautete: A magyar Pest [dt.: Das ungarische Pest; es gibt keine entsprechenden Angaben in der deutschsprachigen Bibliographie]. Der Titel impliziert, dass der Autor für seine Heimatstadt eine Lanze bricht. Molnár wandte sich ganz entschieden gegen die Vermutung, dass die Hauptstadt alles andere als ungarisch sei. Molnár selbst sieht Budapest anders. »Es sind ihre [der Hauptstadt Budapest] Feinde, die sie so sehen und darstellen. Sie behaupten, sie [die Hauptstadt Budapest] sei amerikanisch, international, unpatriotisch, nicht ungarisch, zu nichts zu gebrauchen, einfältig und unzuverläs-
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sig und habe nichts mit den Ungarn zu tun. Sie verdiene nicht das Attribut ›Herz des Landes‹ «. Seine Gegenargumente und lobenden Worte entlehnt Molnár gerade von den ausländischen Besuchern der ungarischen Metropole, wobei er diesen Argumenten gleichzeitig seine eigene Liebeserklärung hinzufügt. Wenn eine Stadt, so Molnár, […] in den internationalen Reigen von Hauptstädten aufgenommen wird, wird erwartet, dass sie ihr Leben nach den ungeschriebenen, aber weltweit allgemein bekannten Gesetzen von bestimmten Zeremonien ausrichtet. Sie muss zehn Tausend neue Bräuche und Gewohnheiten übernehmen, die jede Hauptstadt pflegt. Sie muss eine Börse gründen, Straßenbahnen betreiben usw. und sofort. Gleichzeitig muss sie auch äußerlich als Hauptstadt in Erscheinung treten, was im direkten Widerspruch zur kleinstädtischen oder gar dörflichen Atmosphäre steht, welche von diesen Herrschaften ständig mit einer nationalen oder auf rassischen Prinzipien beruhenden Atmosphäre verwechselt wird.15
Meiner Meinung nach wurde in der ungarischen Fachliteratur noch nicht ausreichend berücksichtigt, in welchem Milieu von Schriftstellern, Journalisten und Freunden die Karriere von Molnár begann. Wenn wir die journalistischen Anfänge des Dramatikers Molnár zurückverfolgen, von wo aus seine steile Karriere so schnell ihren Lauf nahm, wenn wir uns der Reihe nach ansehen, in welchem Sinne er mit wem, in welchen Redaktionen — zunächst in der Redaktion der Budapester Tageszeitung Budapesti Napló [dt.: Budapester Tagebuch] oder der ersten großstätischen Literaturzeitschrift A Hét [dt.: Die Woche] — zusammenarbeitete, und wenn wir uns vergegenwärtigen, was aus seinen Kollegen wurde, können wir gleich besser verstehen, warum er, ab den dreißiger Jahren beinahe unwiderruflich, Westeuropa als weltoffener und freier empfand.16 An der Spitze der Zeitung Budapesti Napló stand József Vészi,17 ein damals sehr liberal gesonnener Journalist mit Leib und Seele, der übrigens zehn Jahre später Molnárs Schwiegervater werden sollte.18 Auch Oszkár Jászi, der 1919 ins Exil gehen musste, begann seine Karriere bei dieser Tageszeitung. In einer Beilage brachte Jászi der ungarischen Leserschaft eine neue Disziplin näher, nämlich die Soziologie.19 Lajos Biró, der spätere Schwager von Molnár, arbeitete zufälligerweise auch dort. In der bürgerlich-demokratischen Regierung Károlyi im Jahr 1918,20 wurde Biró (gerade neben Jászi) Staatssekretär für Nationalitätenfragen. Biró war es auch, der ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert prophezeite, dass die Nichtberücksichtigung von Nationalitätenfragen zu einer Zerreißprobe für die Monarchie werden könnte, und genauso sollte es auch in den Wochen nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge der Friedensverhandlungen kommen. Wie Jászi mussten 1918 bzw. 1919 sowohl Károlyi als auch Biró emigrieren. Molnárs ehemaliger Schwiegervater, József Vészi, blieb Chefredakteur des stets regierungsfreundlichen Blattes Pester Lloyd. Der einstige Bewunderer des künstlerischen und politischen Radikalismus am Beginn des 20. Jahrhunderts passte sich im Laufe eines Jahrzehnts allmählich — wie so viele andere, die im Land geblieben waren auch — an die Gegebenheiten der konservativen, autoritätshörigen und gegen die Moderne gerichteten Ära Horthy an. Die von Vészi herausgebrachte Tageszeitung Budapesti Napló spielte nicht nur in der Politik, sondern auch in der Literatur eine bedeutende Rolle. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierte noch keine strikte Trennung zwischen Literatur und Journalismus. Es ist vielleicht das größte Verdienst von József Vészi, dass er um die Jahrhundertwende sowie einige Jahre danach die talentiertesten Schriftsteller seiner Zeit um sich versammelte. Die jüngsten unter ihnen
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standen gerade in der Zwischenkriegszeit auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Hier sollen nur die herausragendsten Talente, die bahnbrechenden Schriftsteller der ersten Dekaden erwähnt werden wie Endre Ady, Dezső Kosztolányi, Lajos Biró und Géza Csáth. Tageszeitungen waren die gängigen Medien, in denen Literatur publiziert wurde. Diese Tatsache erwies sich als besonders günstig für die Entwicklung des Feuilletons als Genre. Außer seinen in diversen Tageszeitungen publizierten Schriften und Kurzgeschichten entwickelte und perfektionierte Franz Molnár die Technik seiner späteren Bühnendialoge im Rahmen seiner Berichterstattung über Verbrechen, seiner Sketches, Glossen und Reportagen. Die Vorläufer etlicher seiner Werke sowie die eine oder andere situative Grundkonstellation lassen sich im »Friedhof« der heute nicht mehr gelesenen Tageszeitungen ausfindig machen. Molnár verwendete keine journalistischen Plattitüden. Selbst seine ohne Namen publizierten Werke lassen unschwer erkennen, wer denn eigentlich ihr Autor ist, und zwar weil Molnár sich aufgrund seiner Interessen, Ansichten und Redewendungen entscheidend von seinen Kollegen abhob. Er war bereits ein weltbekannter Bühnenautor mit einem umfangreichen Werk, das gleichzeitig auf Ungarisch, Englisch, Deutsch und Italienisch in Rom publiziert wurde, aber selbst dann bezeichnete er sich in erster Linie noch immer als Journalist, der auch »nie etwas anderes sein wird«. Während seines ersten Aufenthalts in Amerika beschrieb er seinen Beruf folgendermaßen: Berichterstatter in Amerika und anderswo gehen hinaus und holen sich die Nachrichten, wir hingegen bleiben meistens in unseren Büros oder Mansarden und kreieren die »Nachrichten«. Damit meine ich, dass wir über die Neuigkeiten hinsichtlich des Geistes und der Seele unserer Protagonisten genauso bzw. genauso viel berichten wie über die alltäglichen Handlungen und Ereignisse. Letztere sind eigentlich viel eher materielle Manifestationen existenzieller Unfälle als bedeutende Tatsachen des Lebens. In einigen Bereichen neigt man dazu, alles das als Fiktion zu betrachten. Einiges davon aber ist — und ich bestehe darauf — sehr wohl Literatur. Wahre Literatur ist Leben, das in Buchstaben übersetzt wurde.21
Und tatsächlich hatte Molnár aus einem Gerichtsprozess eine Kurzgeschichte im Nachrichtenteil einer Zeitung gemacht. Er wurde durch geistreiche literarische Skizzen beliebt, die sich über die Merkwürdigkeiten des Lebens in Pest lustig machten, sowie durch scharfsinnige Chroniken, welche wiederum treffende und genaue Analysen sozialer Fragestellungen enthielten. Interessantes Detail am Rande: Der noch ganz am Anfang seiner Karriere stehende Molnár führte 1898, im zarten Alter von nur zwanzig Jahren mit Ermete Zacconi,22 dem reisenden Star des italienischen Theaters, ein Interview, welches zehn Jahre später, im Jahr 1908, dem Stück Az ördög [dt.: Der Teufel] sowie dessen Autor zu Weltruhm verhelfen sollte. Als Der Teufel in Kontinentaleuropa sich einer immer größeren Popularität zu erfreuen begann, bemerkte Molnár einmal, dass anlässlich der Aufführung dieses Stückes auf Verlangen von Theaterintendanten in verschiedenen europäischen Ländern dreimal im gestischen Verhalten der Schauspieler etwas modifiziert bzw. weggelassen wurde, d.h. z.B. dass dieses oder jenes im Auftritt einer vornehmen Dame aus Wien, eines Malers aus Berlin oder eines Gentlemans mit Frack nicht gesagt, getan oder getragen werde. Somit wurde ich nach der Aufführung eines internationalen Stücks zu einem […] Autor von unerträglichem ungarischem Nationalcharakter. Das stimmte mich nach-
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denklich. Das sind zwar nur ein paar kleine Beispiele, aber dennoch, wie man sieht, sind sie nichtsdestotrotz das Ergebnis meiner ungarischen Identität bzw. der Tatsache, dass ich in diesem Land geboren und hier aufgewachsen bin. Diese Kleinigkeiten werden zu Hause nicht bemerkt, aber im Ausland wurden meine Werke gerade deswegen zensuriert.23
Man beachte die Selbstbeschreibung des Autors an dieser Stelle. Der Autor selbst bezeichnete sein Stück als »international«. Tatsächlich war es das auch im Hinblick auf das Genre, dem es angehörte. Es basierte ja auf der Situationskomödie. Es ist nur wenigen bekannt, dass Molnár am Beginn seiner großen Karriere auch als Übersetzer tätig war. Und das, obwohl er insgesamt 29 französische Theaterstücke ins Ungarische übersetzte, darunter auch einige bedeutende Dramen, aber v.a. Operetten und Possen.24 Seine Rolle jedoch beschränkte sich nicht auf die des Übersetzers. Er übersetzte diese Stücke nicht nur ins Ungarische, sondern adaptierte sie bzw. schrieb sie auch gleichsam neu, indem er z.B. eine bessere psychologische Grundlage für die Wendepunkte in der Handlung schuf und die Dialoge lebensechter gestaltete, damit sie einfacher zu spielen waren. Mehrere zeitgenössische französische Autoren kannte er persönlich. Gleichzeitig schulte das Übersetzen auch seine Fähigkeiten als Schriftsteller. Wie ein geistreicher ungarischer Theaterexperte einmal bemerkte »erwarb Molnár seinen eigenen Stil von Fremden«.25 Im Stück Spiel in einem Schloss gesteht das Alter Ego des Autors auch, wie viele seiner Ideen und Lösungen es von den Franzosen gestohlen hatte. Als Molnár sich schließlich mit seinem Erstlingswerk dem Publikum vorstellte, war er bereits ein gut ausgebildeter und erfahrener Bühnenautor. Die Resonanz auf sein erstes längeres Werk, A doktor úr [dt.: Der Herr Verteidiger] war sofort positiv. Bald darauf sollten drei weitere Stücke folgen, die ihm Weltruhm einbrachten, nämlich Az ördög [dt. Der Teufel 1908],26 Liliom (1909)27 und A testőr [dt. Der Gardeoffizier bzw. Der Leibgardist 1910].
Der Autor von »Export-Dramen« In Ungarn jedoch wurde der Weltruhm nicht ohne weiteres anerkannt. Selbst in einem noch heute sehr renommierten, in Ungarn erstmals 1934 publizierten Werk, das einen Überblick über die ungarische Literaturgeschichte gibt28, wird Franz Molnár, der damals schon weltberühmt war, lediglich ein kurzes Kapitel mit dem Titel »Export-Dramen« gewidmet. Was hat diese Kategorie zu bedeuten? Handelt es sich um ein implizites Werturteil oder aber einfach nur darum, dass sich die Werke dieses Autors weltweit auf jeder Bühne sehen lassen können? Die ungarische Literatur ist eine ostmitteleuropäische und stark durch ihre Idiomatik geprägt bzw. gleichsam eine in ihrer Sprache gefangene Literatur. Die historische Entwicklung des Landes führte zur Herausbildung eines in erster Linie moralischen Gebots, d.h. es galt als die Pflicht eines jeden ungarischen Schriftstellers, Fragen nach dem Schicksal der ungarischen Nation bzw. ungelöste gesellschaftliche Probleme zu behandeln, auf einer höheren literarischen Ebene zu thematisieren und gleichzeitig auch die Politik aufzufordern, sich diesen Problemen zu stellen.29 Obwohl aus der Feder Molnárs auch exzellente Prosawerke stammen, gelangte er dennoch als Bühnenautor zu Weltruhm. Seine Theaterstücke jedoch scheinen überhaupt nicht den oben erwähnten Erwartungen zu entsprechen, da sie in ihrem leichten Tonfall französischen Vorbildern folgten, und zwar selbst dann, wenn Molnár Kritik an der Gesellschaft übte. Einschränkend ist
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hierbei zu erwähnen, dass diese Sozialkritik hauptsächlich am Beginn seiner Karriere und in seinen Prosawerken erfolgte.30 Einer seiner ersten Romane jedoch, nämlich Die Jungen der Paulstraße31, welcher 1907 veröffentlicht wurde, ist bis heute ein unvergessenes Beispiel der ungarischen Literatur für einen »sich selbst aufopfernden Patriotismus«. Dieser Roman gilt als gemeinsames Element des kulturellen Bewusstseins der Ungarn, gleichsam als ein Angelpunkt gemeinsamer Assoziationen. Um ein weiteres Meisterwerk handelt es sich bei dem 1926 erschienenen, kurzen Roman Die Dampfsäule, in welchem Molnár durch die Erzählung der Lebensgeschichte einer romantisch verklärten Persönlichkeit die Grenzen der Prosa auslotet und eine neue Form von Poesie kreiert, indem er die Geschichte in einer vom Thema abschweifenden, aber dennoch überwältigenden und fesselnden Art und Weise in einem fort erzählt.32 Was aber die eigentliche Bedeutung des Wortes »Export« anbelangt, trifft diese Behauptung in jeder Hinsicht auf Franz Molnár zu. Er war nicht nur ein Exportschlager der ungarischen Literatur, sondern auch der allererste ungarische Autor, der mit solch einem überwältigenden und auf sämtliche Kontinente übergreifenden Erfolg Teil der internationalen Literaturszene wurde.33 Relativ früh gab der 1908 erst dreißigjährige Molnár ein Jahr nach der Premiere seines Dramas Der Teufel in Budapest mit demselben Stück auch sein Debüt in New York. Dieses Drama verhalf Molnár gleichzeitig sowohl in Europa als auch in Übersee zu Weltruhm. Nach seiner Premiere in Budapest wurde Der Teufel alsbald auch in Turin, Berlin, Warschau, London und Wien gezeigt.34 In New York ließ es einer der schillerndsten und angesehensten Persönlichkeiten in der Theaterwelt, David Belasco, in seinem Schauspielhaus, dem Stuyvesant Theater am Broadway aufführen. Dieses Theater war damals das wahrscheinlich modernste der ganzen Stadt. Es war mit hydraulischen Einrichtungen sowie einer speziellen Beleuchtungstechnik ausgestattet, wobei Lampen von Tiffany verwendet wurden.35 Laut einer Bibliographie über Molnár,36 setzte das Garden Theater37 in derselben Saison ebenfalls dieses Stück auf seinen Spielplan. In der von Molnárs Enkel verfassten Monographie, die im Stil eines langen, auf Anekdoten basierenden Essays ohne Angabe von Zitaten oder sonstigen Quellen angelegt ist,38 werden zwei weitere Theater in New York erwähnt, in denen zur gleichen Zeit ebenfalls dieses Stück aufgeführt wurde, und zwar in einem Fall auf Deutsch und im anderen Fall auf Jiddisch. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Molnár, noch bevor er sich endgültig in New York niederließ, mindestens neunundzwanzig Theaterpremieren hinter sich hatte. Darüber hinaus waren siebzehn seiner Werke in Amerika verfilmt worden.39 Außer dieser beeindruckenden Präsenz im kulturellen Leben Amerikas ist zu erwähnen, dass kurz nach seinem 50. Geburtstag eine Sammlung seiner Dramen auf Englisch in den USA veröffentlicht wurde. Ein Jahrzehnt später erschien sogar eine Luxusedition.40 Beide Ausgaben wurden mit einem Vorwort von David Belasco versehen und enthalten darüber hinaus ein literarisches Porträt von Molnár aus der Feder des Übersetzers seiner Werke ins Englische, Louis Rittenberg41. Gleichsam als Begleiterscheinung seiner Präsenz und Erfolgssträhne in Amerika beschäftigten sich das Magazin Vanity Fair und viele andere, auflagenstarke, amerikanische Zeitschriften mit Franz Molnár. Es wurden Interviews mit und über ihn sowie von ihm handelnde Berichte publiziert. Seine Erfolge wurden aufgrund einer beständigen Publicity im kollektiven Gedächtnis behalten. Molnárs häufige, in der Öffentlichkeit gemachte Äußerungen waren leicht verständlich; er wusste, was die Herausgeber, die Leser und das Theaterpublikum beschäftigte. Da er seines Zeichens eben-
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falls Journalist war, muss er sich mit Sicherheit der Tatsache bewusst gewesen sein, dass seine Kollegen überall auf der Welt manipulative Techniken einsetzen. Wie wir noch aus den Briefen an seine Frau erkennen werden, bediente er sich bisweilen ganz bewusst einer Publicity, während er zu anderen Zeiten, ganz im Gegenteil, die Öffentlichkeit mied.
Die Anfänge in Amerika Als Franz Molnár 1940 offiziell mit einer Arbeitserlaubnis in seiner Tasche, inoffiziell jedoch als Emigrant auf Ellis Island amerikanischen Boden betrat, war er schon mehr oder minder mit New York vertraut. An der Wende von 1927 und 1928 war er bereits in den Vereinigten Staaten zu Gast gewesen. Er hatte eine Vorlesung über ungarische Dramatik an der Columbia University gehalten,42 und war auf einer von der Redaktion von Vanity Fair ihm zu Ehren veranstalteten Cocktailparty erschienen, bei der Ina Clair und Leslie Howard Auszüge aus jenen Texten lasen, die Molnár in dieser Zeitschrift publiziert hatte.43 Seine Popularität lässt sich auch daran erkennen, dass er in Begleitung des ungarischen Gesandten Graf László Széchenyi und des Produzenten Gilbert Miller auch von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Calvin Coolidge, empfangen wurde.44 Während dieses Aufenthalts hatte er auch George Gershwin kennengelernt, welcher ihn darum gebeten hatte, das Stück Liliom vertonen zu dürfen. Zu dieser Zeit hatte Molnár sogar Gershwin diesen Wunsch verweigert, und das, obwohl er sehr viel von diesem Komponisten hielt und ein anlässlich dieses Treffens erhaltenes Foto von Letzterem samt Autogramm auf seinem Schreibtisch platziert hatte. Davor hatte es auch Pläne gegeben, denen zufolge Puccini eine Oper aus dem Stück Liliom machen sollte. Diese Nachricht wurde 1922 in mehreren Zeitungsartikeln verbreitet. Auch gibt es Dokumente, die beweisen, dass Puccini diese Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, jedoch war er zu dieser Zeit schon allzu sehr mit der Arbeit an seiner Oper Turandot beschäftigt. Es wurde [auch] überlegt, Liliom in Form eines Musicals zu verarbeiten, wobei Kurt Weill die Musik komponieren und Arthur Guiterman die lyrischen Texte schreiben sollte. Sobald jedoch diesbezügliche Anfragen kamen, setzte der Agent von Franz Molnár die betreffenden Manager davon in Kenntnis, dass der ungarische Autor von der Idee ganz und gar nicht begeistert sei, eine musikalische Version seines Manuskripts, so wie es die jeweilige Organisation vorgeschlagen hatte, zu bewilligen.45
Es gibt keine Informationen darüber, wer Franz Molnárs Reise nach New York im Jahr 1927 initiierte. Es wird vermutet, dass er seine Reise nach der Tournee des Theaterensembles von Lili Darvas und Max Reinhardt ausrichtete und somit auch die Metropole am Hudson River besuchte. Molnár verbrachte dort weniger Zeit als das Theaterensemble. Er kam später an und kehrte früher nach Europa zurück als seine Frau. In Amerika war er bereits bestens bekannt. Schon unmittelbar nach seiner Ankunft wurde er als Starautor gefeiert. Ruhm und Ehre waren seine Begleiter. Laut einigen Biographien, deren Quellen allerdings nicht zu überprüfen sind, wurde er im Herbst des Jahres 1926 für den Literaturnobelpreis nominiert.46 Es ist bekannt, dass Franz Molnár 1927 den französischen Orden Légion d’Honneur erhalten hatte. Über seine Bankkonten ist nichts Genaues bekannt, angeblich soll er aber in den zwanziger Jahren eine Million Dollar verdient haben.
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Woher kam all das Geld? Die Quelle seines Wohlstands waren seine Publikationen im Ausland sowie eine Reihe von erfolgreichen Theaterstücken. In New York wurde Liliom allein 1921 insgesamt 285mal aufgeführt und vom Stück Der Schwan gab es dort 1923 alles in allem 255 Vorstellungen. Dann folgten zunächst die Stummfilme, später die Tonfilme. Und noch immer vor seiner ersten Reise nach Amerika war sein Stück The Play Is the Thing [dt. Spiel in einem Schloss] 1926 in New York uraufgeführt worden. Die Premiere in Budapest fand erst dreieinhalb Wochen danach statt. The Play Is the Thing, in der Übersetzung von P.G. Wodehouse, wurde 326mal hintereinander aufgeführt. (Das Stück wurde aus dem Deutschen übersetzt wobei man sich, Molnárs eigenen Übersetzungen ins Französische vergleichbar, nicht streng an das Original hielt.)47 Es waren keine Geringeren als der Schauspieler und Theaterbegründer Henry Miller48 sowie dessen Sohn, der einflussreiche Produzent von Aufführungen am Broadway und im West End, Gilbert Miller, welche nach der Lektüre der deutschen Übersetzung fest an den Erfolg dieses Stückes glaubten und unverzüglich begannen, sich mit der amerikanischen Übersetzung und Produktion dieses Werkes zu beschäftigten. Im Fall des Theaterstücks Spiel in einem Schloss handelte es sich — wie auch aus dem mit Quellenmaterial belegten Auszug aus der Geschichte der »translation« hervorgeht — um eine Adaptation.
Eine »kleine« Sprache und die Weltliteratur An dieser Stelle stellt sich eine Frage von essentieller Bedeutung. Wie ist es einem kleinen Land, das gleichsam in seiner Sprache gefangen ist, möglich, Werke der Weltliteratur hervorzubringen? Franz Molnárs Karriere scheint die Annahme zu bestätigen, dass die Möglichkeit kleiner Nationen, die Entwicklung des literarischen Kanons zu beeinflussen, auf der Vermischung kultureller Einflüsse sowie der Anpassungsfähigkeit von genrespezifischen Konventionen in beide Richtungen beruht.49 Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass es auch einer allgemeinen thematischen Beispielhaftigkeit bedarf, damit im jeweiligen Werk möglichst wenige nationale, kulturspezifische Aspekte vorkommen bzw. damit diese Kulturspezifika im Interesse einer freien Gestaltung des Grundthemas keine wesentlichen Handlungsstränge darstellen.50 Um ein solches, von Zeit und Ort unabhängiges Rollenspiel handelt es sich auch beim oben genannten Theaterstück von Molnár. Gleich nach der Rückkehr von seiner ersten Reise nach Amerika schrieb Molnár 1929 einen Einakter mit dem Titel Eins, zwei, drei.51 In diesem Stück tritt Amerika indirekt auch in Erscheinung. Kurz: Das Stück handelt davon, dass der Liebling einer der reichsten und angesehensten Familien in Amerika einige Monate bei der Familie eines europäischen Bankkaufmanns verbringt. Unmittelbar vor der Ankunft seiner Eltern, gesteht das amerikanische Mädchen seinem Gastgeber — welcher seinerseits wiederum auf ein lukratives Geschäft mit Autos in Amerika hofft — dass es nicht nur einen Taxifahrer geheiratet hat, sondern auch ein Kind von ihm erwartet. Die Eltern werden in einer Stunde erwartet. Soviel Zeit steht dem Bankkaufmann zur Verfügung, um einen riesigen Skandal zu verhindern. In dieser kurzen Zeit macht der Bankkaufmann aus dem ungehobelten Jungen, einen konservativen jungen Mann von hohem Rang mit einem in zehn Minuten gekauften Adelstitel. Das Geld ist allmächtig. Die Maschinerie des Bankkaufmanns arbeitet seinen Befehlen entsprechend. Natürlich gibt es ein Happy End. Zwischen Illusion und Realität wird ein Gleichheitszeichen gesetzt. Über die Entstehung dieses Stücks stehen keine ausreichenden
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Informationen zur Verfügung. Vermutlich hat aber der Autor auch seine in Übersee gemachten Erfahrungen in diesem Werk verarbeitet. Amerika steht für den guten Verlauf der Geschäfte sowie die Möglichkeit, den gewünschten Erfolg zu erzielen. Das Stück Eins, zwei, drei ist eine für Schauspieler mörderische Komödie. Man könnte es aber natürlich auch als Glücksfall bezeichnen, da es in der Person des Bankkaufmanns dem jeweiligen Schauspieler eine ungeheuer dankbare Rolle bietet. Das Stück selbst dauert jedenfalls genau eine Stunde, wobei praktisch bis zum Ende der Bankkaufmann derjenige ist, der spricht und gleichzeitig seinen Angestellten rasch Befehle im Telegrammstil erteilt. Das Tempo ist so atemberaubend, dass es sogar den für Amerika charakteristischen, halsbrecherischen Lebensstil übertrumpft. Das, was der Hauptdarsteller, nämlich der Bankkaufmann, aufgrund der Allmacht des Geldes in gleichsam einer Stunde erreicht, würde in Amerika, laut dem Mädchen, einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Mit diesem Stück erteilt Molnár Amerika eine merkwürdige Absage. Er sieht Amerika als den Motor der Geschäfte sowie als den Angelpunkt für die Wünsche und Begehrlichkeiten der Europäer. Gleichzeitig aber sieht er auch die Verlogenheit und Falschheit dieser amerikanischen Welt. Dieses Thema wurde in vielen Kurzgeschichten, Romanen und Reiseberichten von verschiedenen ungarischen Autoren aufgegriffen.52 Auch im Fall von Molnár wird dieses Thema relativ früh in seinen Werken behandelt. In seinem ersten, 1901 verfassten Roman Die hungrige Stadt stellt er, mangels persönlicher Erfahrung, den immensen Reichtum gepaart mit der nüchternen, ehrlichen, amerikanischen Mentalität dar. Es war gerade dieser Roman, der ihn plötzlich in den Mittelpunkt des ungarischen, literarischen Bewusstseins rückte, und das, wie der Kritiker Aladár Schöpflin — seines Zeichens ebenfalls ein Fürsprecher der Urbanisierung — sofort bemerkte, obwohl es sich dabei um nichts anderes als ein pamphletartiges Sammelsurium urbaner Perversionen und Klatschgeschichten handelte, die in aller Munde waren.53 Das Manko dieses Werks besteht darin, dass seine Charaktere nicht lebendig genug sind und dass an ihrer Stelle der Autor und Journalist Molnár spricht. Bereits ab Mitte der zwanziger Jahre lebte Franz Molnár praktisch ständig im Ausland. Dabei war er in den eleganten Hotels Europas zu Gast. Seine Lebensphilosophie ist in Form eines bestens bekannten Bonmots erhalten geblieben, demzufolge er Eigentümer einer Fünf-Zimmer-Wohnung sei, mit einem Zimmer im Hotel Hungária in Budapest, einem weiteren Zimmer im Hotel Imperial in Wien, einem Zimmer im Carlton in Cannes, einem Zimmer im Eden in Berlin und einem Zimmer im Danieli in Venedig. Nachdem Hitler auf den Plan getreten war, konnte Molnár sein Zimmer in Berlin immer seltener betreten. Nach dem Anschluss Österreichs im Jahr 1938 musste er ein weiteres Zimmer, und letztlich der Reihe nach alle aufgeben. Molnár sprach hervorragend deutsch und französisch und hatte auch ziemlich gute Italienischkenntnisse. Somit gab es für ihn keine Sprachbarrieren auf dem europäischen Festland. Sprachkenntnisse sind eine Voraussetzung für kulturelle Offenheit und Freiheit. Wie bereits erwähnt, war Budapest an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert noch eine bilinguale Metropole. Diese Zweisprachigkeit war insbesondere für die sich assimilierenden ungarischen Juden charakteristisch, zu denen auch Molnár gehörte. Sein English jedoch erreichte nie das Niveau, das es ihm ermöglicht hätte, frei, wie in »seiner eigenen« Sprache zu kommunizieren. In den dreißiger Jahren publizierte das Berliner Tageblatt zum Beispiel jede zweite Woche eines seiner Feuilletons.54
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Franz Molnárs ruheloses Privatleben Es gibt aber wahrscheinlich noch einen dritten Grund, der Molnárs Abwesenheit von zu Hause erklären kann. Seine dritte Frau, die um 24 Jahre jüngere Lili Darvas lebte nicht mit ihrem Ehemann zusammen. Die Schauspielerin, die bei ihren ersten Theaterauftritten in Budapest gleichsam über Nacht zum Shooting Star avancierte und damals noch sehr jung war, gab ihre Karriere nicht zuliebe ihres Ehemanns auf. Sie hielt die Kritiken für unehrlich und war der Auffassung, sie werde in erster Linie als Frau bzw. Schauspielerin gesehen, die zu Franz Molnár gehört. Neben ihren eigentlichen Ambitionen war das der ausschlaggebende Punkt für sie, nicht in Ungarn zu bleiben. Ihre sehr erfolgreiche Karriere im deutschsprachigen Raum begann 1925 an Max Reinhardts Theater in Wien (Reinhardt Seminar), d.h. genau in dem Jahr ihrer Vermählung. Die meiste Zeit über trat sie in Wien und Berlin auf und lebte praktisch in diesen Städten. Sie war noch nicht einmal ein Jahr lang Mitglied im Ensemble von Max Reinhardt, da wollte dieser sie bereits zu einer Gastvorstellung nach Amerika mitnehmen. Dem stimmte aber Franz Molnár nicht zu, und so kurz nach der Hochzeit hatten die Worte des Ehemanns noch Gewicht. Obwohl Molnár die Karriere seiner Frau unterstützte, war es schwierig für ihn, ihre Abwesenheit zu ertragen. Darüber schrieb er in seinen Memoiren wie folgt: »Die großartige Bühnenkarriere meiner Frau, die sie nach Berlin und Wien führte, hielt sie beinahe ständig tausende Meilen von mir entfernt. Das Herumirren im romanischsprachigen Westen war für mich praktisch die einzige Möglichkeit, diesen Zustand seelisch zu verkraften.«55 Molnár war ziemlich bekannt für seinen rohen Umgang mit Frauen. Mit seinen ersten beiden Ehefrauen hatte er sogar gewalttätige Auseinandersetzungen.56 Mit seiner dritten Frau, Lili Darvas, lebte Franz Molnár zwar nie unter einem Dach, aber wann immer es möglich war, waren sie einander nah, und während der dreißiger Jahre pflegten sie einen intensiven Briefwechsel. Bei der Lektüre der noch erhaltenen Korrespondenz, bekommt man den Eindruck, dass es eher die Ehefrau war, die auf Abstand gehen wollte. Schließlich lebten beide nur durch ein paar Straßen voneinander getrennt, in New York, wobei Molnár die Meinung seiner Frau stets wichtig war. Die räumliche Trennung der Eheleute jedoch führte dazu, dass Molnár ab 1932 praktisch mit einer anderen jungen Frau, der hingebungsvollen und naiven Wanda Bartha zusammenlebte, welche Molnár abgöttisch verehrte und offiziell seine Sekretärin war. In der Literatur über Molnár wird aus Gründen der Diskretion taktvoll auf eine nähere Beschreibung der Beziehung zwischen dieser Frau und dem Autor verzichtet.57 Es ist jedoch eine Tatsache, dass die beiden gemeinsam acht Jahre hindurch die schönsten Gegenden Europas bereisten. Molnár kommentierte das folgendermaßen: »Wir waren ein einsames, schweigsames Paar, dass sich in Zügen, Hotels, Bistros und Straßencafés herumtrieb.«58 Lili Darvas tolerierte die Situation. Molnár benötigte eine Sekretärin, wie aber aus den Briefen hervorgeht, waren es v.a. die Unabhängigkeit und Charakterstärke seiner Frau, die einen großen Eindruck auf ihn machten. Ein äußerst berührender Aspekt der von Molnár in den dreißiger Jahren geschriebenen Briefe war die Art und Weise, in der er sich um seine Frau kümmerte. Dabei handelte es sich nicht nur um materielle Zuwendungen. Wenn seine Frau beispielsweise eine Reise machen wollte, fasste Franz Molnár alles, was im Vorfeld noch erledigt werden musste, in einer bunten Tabelle für sie zusammen. Er erstellte eine Prioritätenliste, in der es darum ging, wie man sich z.B. ein Visum beschaffen konnte, wie und wo Fahrkarten gekauft werden konnten, welche Fahrpläne galten und gab sogar dahingehende Ratschläge, in welchem Waggon es sich lohnte, zu reisen. Er
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dachte sogar daran, einige ortsansässige Leute zu kontaktieren, an die sich Lili Darvas notfalls wenden konnte. Wenn umgekehrt er seine Frau um etwas bat, fasste er in seinen Briefen Punkt für Punkt klar und deutlich die an sie gestellten Aufgaben zusammen, und sobald Lili diese Aufgaben erfüllt hatte, dankte er ihr per Kabelnachricht/Drahtdepeche bzw. Telegramm. Gegen Ende der dreißiger Jahre, kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als es zunehmend schwieriger wurde, Briefe zu verschicken, bat er sie, die Briefe nicht auf Ungarisch zu verfassen, damit sie rascher die Zensur passieren konnten und er sie somit auch schneller bekommen konnte. Dank seiner Verbindungen ins heimatliche Pest konnte er rasch Dokumente für seine Frau beschaffen und ihren Staatsbürgerschaftsnachweis bzw. ihre Einbürgerungsurkunde beantragen. Die erhaltenen Dokumente hinterlegte Molnár für Lili Darvas, so dass sie für sie immer zugänglich waren, wenn sie sie benötigte. Darüber hinaus verfügte er, dass ihr eine monatliche Apanage von 2.500 Dollar überwiesen wurde und sie auch berechtigt war, in außergewöhnlichen Situationen von seinen Freunden im Ausland zulasten seines Kontos Geld in jeder Menge zu leihen. Was immer die Verfasser von Monographien über Franz Molnár behaupten mögen: Diese Beziehung war eine liebevolle Verbindung zweier Menschen, die ungebrochen bis zum Tode Molnárs Bestand hatte. Die Liebe und Zuneigung von Lili Darvas zeigte sich auch klar und deutlich daran, dass sie auf die ihr nach Molnár’s Tod zustehenden Tantiemen zugunsten von dessen Tochter und Enkeln aus erster Ehe verzichtete. Seine Abwesenheit von daheim in den dreißiger Jahren erklärte Molnár mit Aufführungen seiner Werke im Ausland sowie Ferienreisen, wobei er in Wahrheit jedoch in die Ferne gezwungen wurde. Hinzu kam eine immer größer werdende Befremdung gegenüber seinem »Heimatdorf« Pest. Bereits in den frühen zwanziger Jahren, unmittelbar nach den Revolutionen und dem Friedensvertrag von Trianon, hatte sich die politische Stimmung in Budapest gewandelt. Viele seiner Freunde waren entweder emigriert oder fernab von ihrem Heimatland als Auslandskorrespondenten tätig. In der Zwischenzeit wurde Molnár wegen seiner unerhörten Erfolge und des damit einhergehenden Wohlstands von immer mehr Menschen in seiner Heimat beneidet. Die Kritiken wurden immer feindseliger. Die Verwendung von beleidigenden Äußerungen über Juden gehörte in Budapest mittlerweile zum Alltag. Über seine Sekretärin und die damalige Atmosphäre schrieb er in seinen Memoiren wie folgt: »Sie wusste, sie würde zur Reisegefährtin eines Mannes werden, der, zutiefst von den neuen, hasserfüllten Strömungen in Mitteleuropa verletzt, menschliche Kontakte scheuen würde.«59 Trotz seiner großen Erfolge bezeichnete er die Jahre seines europäischen Exils als »das erschreckende und unglückliche Ende seiner Karriere«.60 Daher kann man davon ausgehen, dass Molnár nicht erst 1940, sondern schon viel früher, nämlich unmittelbar nach den niedergeschlagenen Revolutionen von 1918 und 1919 sowie dem Zusammenbruch der Monarchie, zum Emigranten geworden war. Der erste entscheidende Schock für ihn war das Verschwinden des liberalen Ungarn. Danach hielt er sich eher wie ein Besucher in seiner Heimat auf. Das Erscheinen von Hitler auf der politischen Bühne, der tragische Rechtsruck in der ungarischen Außenpolitik sowie das klare Bekenntnis Ungarns zu Hitler hatten Molnár darin bestärkt, seiner Heimat fern zu bleiben. Der heimatlose, weil eigentlich nur in Budapest und im Ambiente der Monarchie beheimatete Schriftsteller, hielt sich in Venedig, Genf, Paris, also an all jenen Orten auf, an denen sich Gleichgesinnte trafen, d.h. in Hotels, Empfangshallen, Gasthäusern, Kaffeehäusern, bei gutem Wetter auch in Straßencafés, in Kneipen und manchmal in Botschaften. Laut eigenen Angaben verbrachte er auch viel Zeit auf
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Bahnhöfen, wobei er die Reisenden beobachtete. Ganz bewusst und ohne daraus einen Hehl zu machen, bildete er Interessensgemeinschaften mit ungarischen Diplomaten im Ausland, einflussreichen Bekannten, gebürtigen Italienern, Franzosen, Leuten vom Theater, ja sogar mit dem Polizeipräsidenten von Paris. Auch mit seinem Freundeskreis in Ungarn hielt er Kontakt. Darunter waren viele Leute vom Theater, aber auch Journalisten, mit denen er in einem kontinuierlichen Briefwechsel stand. Selbst wenn er sich an der französischen Riviera oder gerade in Italien aufhielt, war er stets bestens darüber informiert, was daheim gerade in der Theaterwelt oder in der Presse vor sich ging. Der Erfolg wurde aufgrund der Uraufführungen in Ungarn sowie seiner Beziehungen daheim bemessen.61 Sein engster Freund war Andor Miklós, seines Zeichens Eigentümer und Geschäftsführer der Athenaeum Irodalmi és Nyomda Rt., des größten ungarischen Unternehmens für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und andere Druckerzeugnisse. Mit dem frühen Tod von Andor Miklós im Jahr 1933 löste sich eine Beziehung, die ihn stark an die ungarische Hauptstadt und seine dynamische geistige und wirtschaftliche Elite gebunden hatte. Zu Molnárs engstem Freundeskreis gehörten auch die Redaktionschefs der Zeitungen und Zeit-schriften von Andor Miklós.
Letzter Aufenthalt in Ungarn Das letzte Mal hielt sich Franz Molnár, anlässlich der Uraufführung seines Stückes Delila, im September 1937 in Ungarn auf. Zwar standen seiner Rückkehr Ende der dreißiger Jahre noch keine administrativen Hürden im Weg, nach der positiven Abstimmung im Parlament über die Einführung des ersten sog. Judengesetzes jedoch62 war er sich dessen sicher, dass er wohl sehr lange Zeit hindurch nicht mehr nach Hause gehen würde.63 (Die im Zuge dieses Gesetzes geschaffene Kammer für Presseerzeugnisse hatte die Aufgabe, die Juden u.a. aus der Welt des Theaters und des Journalismus zu verdrängen. Diese Organisation erteilte niemandem automatisch das Recht zu publizieren und da sich Molnár ja sowieso nicht in der Heimat aufhielt, verlangte er auch nicht danach. Formell gesehen, hätte er aus diesem Grund damals wohl kaum mehr etwas in Ungarn veröffentlichen können.) Es ist absurd, dass Molnár gerade zu dem Zeitpunkt, als er amerikanischen Boden betrat, zu Hause in Ungarn als jüdischer Schriftsteller und Journalist gleichsam zur Persona non grata wurde. Und dennoch kam es zum Treffen mit dem ungarischen Reichsverweser Miklós Horthy und dessen Gattin, anlässlich des 500. Jahrestages der Geburt des »ruhmreich in Erinnerung behaltenen« ungarischen Königs Matthias Hunyadi. Der verbitterte Emigrant Molnár, dem zuvor einer der höchsten Orden verliehen worden war, den das System Horthy hervorgebracht hatte, nämlich der »Corvin-Orden«, wurde in dieser Funktion vom Kabinettschef des Reichsverwesers zum feierlichen Galadiner am 24. Februar 1940 geladen. Selbst damals stand Franz Molnár noch auf der Gästeliste des Kabinettchefs.64 Mit dem Anschluss 1938 verlor er sofort Geld und persönliche (Wert)Gegenstände, die im Hotel in Wien aufbewahrt wurden. Seine in Ungarn befindlichen beweglichen Sachen wurden von der Budapester Filiale der amerikanischen Firma Vacuum Cleaner gehütet. Im Frühjahr 1940 gab er nach einigem Bitten und Drängen nach und überschrieb seine elegante, jedoch, gemessen an seinem gigantischen Erfolg gar nicht so große und vornehme Villa in Buda auf den Namen seiner Tochter. In weiser
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Voraussicht sicherte er sich mithilfe von Freunden und Anwälten auch sein Sparguthaben in New York. Der Vertrag mit der dortigen Bank ermöglichte es ihm, dass er auch als Bürger eines im Krieg befindlichen Landes, sein Vermögen behalten konnte. Seine endgültige Auswanderung blieb in Ungarn größtenteils unbemerkt. Man hatte sich daran gewöhnt, dass Molnár nicht mehr in seiner Heimat lebte. Auch fühlten sich von da an immer mehr Menschen dazu veranlasst, ihr Heimatland zu verlassen. Inmitten der großen Flüchtlingsströme fiel gar nicht auf, dass er endgültig verschwunden war. Es gibt jedoch in diesem Zusammenhang ein besonderes literarisches Zeugnis. Die mit Ausnahme der kommunistischen Ideologie sämtliche Bewegungen aus dem politischen Spektrum der Linken repräsentierende Literaturzeitschrift Szép Szó [dt.: Schöne Worte] verabschiedete sich in Form eines »Nachrufes« vom noch lebenden Franz Molnár. Der Titel dieses »Nekrologs« lautete: »Látomás eltávozott írókról« [dt.: »Vision von den Schriftstellern, die sich von uns entfernt haben«].65 In diesem Text wird an zwei Schriftsteller erinnert, die zur damaligen Zeit verstorben waren. Das Wort »eltávozik« [dt.: sich entfernen] hat jedoch im Ungarischen zwei Bedeutungen. Zum einem wird es verwendet, wenn jemand nur (kurz) vereist, zum anderen aber auch dann, wenn jemand stirbt. Der Autor des »Nachrufs« verwendet dieses Wort im Zusammenhang mit Franz Molnár in seiner symbolischen Bedeutung. Die Rede ist von dem Verlust des natürlichen Umfelds bzw. von jenem Schmerz, den der Schriftsteller Molnár verspüren musste, als er von seinem Publikum und seinen Seelenverwandten getrennt wurde. In diesem Text wird Molnár als ein »innerlich mit einem Nansen66-Pass ausgestatteter Fürst« bezeichnet, »welcher die Staatsbürgerschaft der Expresszüge besitzt«, aber nichtsdestotrotz seine neu erschienenen Bücher [...] mit überschwänglicher Verehrung in sein ungarisches Heimatland schickt, [...] weil er in einer aus dem Bauch kommenden, selbstzerfleischenden Beklemmung von hier und nur von hier aus seinen Erfolg wiederbeleben möchte. Er ist neugierig auf die von den primitiven Landratten, in den dreckigen Redaktionen der Pfeilkreuzler verfassten Rezensionen67, die verstaubten, verkrusteten [...] Foren in Pest verzaubern ihn [...].
Der Schriftsteller sei Ungar, formuliert der Aufsatz über Molnár ohne wenn und aber. Alles, woran man sich im Zusammenhang mit ihm erinnere und ständig von ihm verbreite, »seine Arroganz und sein unerbittlich bösartiger Argwohn« sei nur eine Maskierung, um jene Verbitterung zu verbergen, die daher rühre, dass er stets gewusst habe, dass er in Ungarn, »diesem unruhigen und wankelmütigen Land nie im Alter ruhig seine Rente genießen können werde«. Sein Bauchgefühl habe ihm verraten, dass man ihm nie erlauben werde, hier Wurzeln zu schlagen, obwohl er doch hierher gehöre. Molnár habe die rasante Entwicklung um die Jahrhundertwende und deren Kritik aufgezeigt, jene »prozentuell messbare ungarische Veränderung«, die sofort im Augenblick seiner Geburt »ein verstaubtes Image vermittelte, im Desaster endete und schließlich gänzlich zum Stillstand kam«. Das sei sowohl wünschenswert als auch bedauerlich gewesen. Molnár sei in den Sog der Geschehnisse geraten und wurde durch sie gleichsam auch verdorben. Aber in diesem Essay wird auch das betont, was oben bereits im Namen der Nachwelt bekräftigt wurde, nämlich, dass in diesem Molnár stark beeinflussenden, ja sogar deformierendem Milieu auch solche Meisterwerke entstanden wie z.B. der bereits erwähnte kurze Roman Die Dampfsäule.68
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Die Möglichkeiten in New York Es gibt keine unmittelbaren Quellen darüber, welche Erinnerungen Molnár von seiner Amerikareise in den zwanziger Jahren hatte. Aber scheinbar waren es sehr positive Erfahrungen. Als sich nämlich Lili Darvas dazu entschloss, Europa den Rücken zu kehren und endgültig nach New York zu übersiedeln, wurde sie von Molnár in diesem Entschluss eindeutig bestärkt: Was Amerika anbelangt, habe ich das sichere Gefühl, dass Du, sobald Du in New York bist, aufatmen wirst. Du wirst voller Ambitionen und Möglichkeiten sein und Dich frischer fühlen! […] Du gelangst in eine andere Welt, in der die freien und reichen Menschen genauso denken wie Du und wo allgemeine Zärtlichkeiten und Hilfsbereitschaft auf Dich warten. Dabei handelt es sich nicht um reine Spekulation meinerseits, sondern das ist das, was ich ständig in den Zeitungen lese. Und das haben mir auch zwei Ungarn berichtet, die unlängst von dort zurückgekommen waren. Die größte Zufriedenheit und Entspannung warten dort auf Dich; Im Laufe eines Tages wirst du dieses verdammte Europa vergessen.
Selbst wenn wir bei diesen Sätzen den pädagogischen Impetus außer Acht lassen, sind sie in ihrem Tonfall nach wie vor ehrlich gemeint. Einige Absätze weiter verstärkt Molnár noch die Wirkung dieser Sätze mit Selbstironie. »Du musst den Kopf nicht hängen lassen, das sag ich Dir als 60-jähriger, alter Jude! […] Geh dorthin, wo ein frischer Wind weht und der Geist des Wiedergeborenwerdens herrscht, und wo schon allein die neuen Herausforderungen und Erfolge erfrischend wirken.«69 Daneben gibt er auch vielfach wiederholte, gute Ratschläge. Demnach solle sich seine Frau vor der Presse, insbesondere vor aus Ungarn emigrierten Journalisten hüten. Außerdem solle sie stets betonen, dass sie sich nur auf einer Studienreise befinde. Ihre potentiellen Rivalen bzw. Rivalinnen sollten zumindest ein Weilchen nicht eifersüchtig auf sie sein. Wollte er sich mit diesen Briefen im Vorfeld auch selbst Mut zusprechen? Das ist bei weitem nicht sicher. Die zur Verfügung stehenden Daten geben keinen Aufschluss darüber, ob er sich zu dieser Zeit bereits selbst ernsthaft auf den Umzug nach Amerika vorbereitete. Selbst im November schreibt er über seine Reise dorthin so, als ob er noch einen ernsthaften Entschluss zu diesem Schritt fassen müsste. Was ihn eher nachdenklich stimmte, war die Tatsache, dass ihm im Novem-ber 1938 in Paris, trotz aller Hilfe und der »besten Protektion«, wegen der bereits dort anwesenden 500.000 anderen »Konkurrenten« bzw. Flüchtlinge, die Aufenthaltsbe-willigung nur schwer verlängert wurde. Als er dennoch ein einjähriges Visum für Frankreich mit uneingeschränkter Reisefreiheit bekam, das ihn zur wiederholten Einreise nach Frankreich berechtigte, und er der nervenaufreibenden Atmosphäre in Paris entfloh und nach San Remo fuhr, wurden ihm auch dorthin verschiedene Einladungen nach Hollywood nachgeschickt. Im Hinblick auf eventuelle weitere Verlängerungen seines Visums in der Zukunft bat er seine Frau noch immer darum, auf seine Kosten möglichst bald dreizehn Exemplare der amerikanischen Luxusedi-tion seiner Theaterstücke für die Bekannten in Paris zu schicken. Inzwischen erreichten ihn weitere Einladungen. Das laut Korrespondenz vierte Telegramm erhielt er im April 1939 von David O. Selznick.70 In jenem Brief, in dem Molnár seine Frau Lili Darvas von der Einladung von Selznick verständigt, erwähnt er auch kurz, dass er sich bereits im Besitz des amerikanischen Visums befinde. Über Lili Darvas versucht er auch zu erreichen, dass er möglichst rasch von der Columbia
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University eingeladen wird.71 Er wollte, dass man ihn dazu einlädt, im Herbst 1939 ein paar Gastvorlesungen über Literatur zu halten. Selbst wenn es sich bei diesen Gastvorlesungen teilweise nur um einen Vorwand handelte, waren sie dennoch ein guter offizieller Grund für seinen Entschluss, auszuwandern und erleichterten ihm auch die Einreise in die USA. Molnár kam allein in New York an. Seine Sekretärin, erste Leserin, Pflegerin und sein Mädchen für alles Wanda Bartha folgte ihm im Mai nach. Sie wohnte in einem der Obergeschosse des Hotel Plaza in einem winzigen Zimmer, allein. Nach ihrem Tode gesteht Molnár, dass er es Wanda Bartha zu verdanken habe, dass er schmerzfrei jene Bande durchtrennen konnte, die ihn mit der Menschheit einten. Die früheren, gemeinsam verbrachten Jahre und die Reisen quer durch Europa schufen eine Art Traumwelt um den Schriftsteller herum, eine Art »hypnotische Trance«, wobei er sich weigerte, das zur Kenntnis zu nehmen, was um ihn herum in Europa wirklich geschah. Diese Behauptung ist nur mit Vorbehalten zu genießen. Aus den Briefen an seine Frau geht hervor, dass er wusste, was geschah. Man kann höchstens behaupten, dass er aus Selbstschutz die Schrecken bis zum Eintreten der Katastrophe von sich fernhielt. Es besteht jedoch gar kein Zweifel daran, dass er bis zum letzten Augenblick in Europa daheim war. Er war mit dem kulturellen Milieu vertraut und kannte die menschlichen und nationalen Gesten. In Amerika war alles anders. Er hatte den sicheren europäischen Boden unter den Füßen verloren. Bereits nach Kriegsende fasste Franz Molnár, auf Bitten eines gewissen »Mr. North« hin, im Rahmen eines langen und sehr geistreichen Briefes zusammen, worin denn der Unterschied zwischen der Aufführung eines Theaterstückes in Europa und in Amerika bestehe. Wir haben allen Grund und alles Recht dazu, in diesem von Molnár geschriebenen Gelegenheitsbrief eine Art Konfession des europäischen Theaters zu sehen. Wie Molnár schreibt, beruhe der Unterschied nicht auf geistigen, sondern ausschließlich auf finanziellen Unterschieden. Er manifestiere sich auch darin, dass sich »hier viel mehr Menschen in die Arbeit des Schriftstellers einmischen würden, als drüben […]«. Es sei ein altes und unausrottbares Vorurteil der Finanz-leute, dass der Erfolg umso gewisser sei, je mehr Menschen an einem Theaterstück mitarbeiten würden. In insgesamt sechzehn Punkten zählt er humorvoll auf, wer alles sich in eine Produktion am Broadway einmischt, nämlich der neben dem Autor von vornherein beauftragte Co-Autor, der Regisseur, der Produzent, der für die Gags verantwortliche Gast, der männliche und der weibliche Star, ein unbekannter Herr mit dem Rechtstitel, dass er jemandes Agent sei, vielleicht eine ältere Dame, die vom Regisseur Rechenschaft für eigenwillige Interpretationen der Matinee verlangt, die Ehefrauen und Schwager bzw. Schwägerinnen der Mitwirkenden sowie der/die Sekretär/in. Letztendlich vernichte diese Maschinerie die Originalität. Der Schrift-steller ziehe sich während der Proben, angesichts der Tatsache, dass er mitansehen müsse, was aus seinem Stück gemacht werde, leise schluchzend in die letzte Reihe im Parterre des Zuschauerraumes zurück. In Europa, wo das Budget der Theaterpro-duktionen stets bescheidener als in Amerika ausfalle, dürften die Theaterfachleute sogar das Risiko eingehen, sich einen so originellen Schriftsteller zu leisten, der einem Massenpublikum nicht zusage. Die Innovationen, so die Vermutung Molnárs, kämen mit größerer Wahrscheinlichkeit aus den mit einem geringeren Budget arbeitenden, dafür aber wesentlich risikofreudigeren, europäischen Theatern. Schließlich nennt er in alphapetischer Reihenfolge, wer seine amerikanischen Lieblingsbühnenautoren sind. Hier die Namensliste, die auch ein Beweis ist für die breitgefächerten Interessen und die profunden Fachkenntnisse Molnárs: Sam Behrman, Ben Hecht, Sidney Howard,
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Eugene O’Neill, Sampson Raphaelson, Elmer Rice, William Saroyan, Robert Sherwood und Thornton Wilder.72
Emigration und Krankheit Obwohl Molnár unablässig arbeitete, brachte er kaum noch etwas Neues hervor. Man könnte sagen: Das Rad der Mühle drehte sich, nur gemahlen wurde nichts. Er beschäftigte sich mit der Transkription seiner früheren Werke. Was er dennoch neu schrieb, waren von Gefühlsduselei geprägte, sentimentale Texte.73 Er arbeitete auch an Drehbüchern für die Filmproduzenten, jedoch ist nicht bekannt, dass etwas aus den Plänen für die Verfilmungen wurde. Es ging die Nachricht um, dass Chaplin, den er über Max Reinhardt in Salzburg kennengelernt hatte74, die Hauptrolle in seinem noch in Genf geschriebenen Stück …or not to be spielen werde. Zwar existiert tatsächlich jeweils ein Exemplar dieses Werkes im New Yorker und Budapester Nachlass von Franz Molnár, die Nachricht von seiner Uraufführung, aber sollte sich nicht bewahrheiten. Es sollte jedoch noch zu einem riesigen Triumph kommen, obwohl Molnár selbst nicht mehr aktiv daran beteiligt war. Was George Gershwin nicht gelungen war, erreichte das Autorenduo Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, das zum damaligen Zeitpunkt nur auf einen einzigen Erfolg zurückblicken konnte, später jedoch schwindelerregende Triumphe feierte.75 Sie durften aus dem Stück Liliom ein »Musical«, d.h. in der Interpretation von Franz Molnár ein »opernartiges musikalisches Werk«, mit dem Titel Carousel komponieren. Das Endergebnis verglich Molnár mit der Oper Carmen von Bizet und Puccinis La Bohème. Die Uraufführung fand am 19. April 1945 statt. (In Europa war der Zweite Weltkrieg noch nicht zu Ende.) Die in der ursprünglichen Fassung im Stadtwäldchen [ung.: Városliget] in Budapest an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spielende Handlung wurde von dem Autorenduo in eine amerikanische Kleinstadt am Meer, in den Bundesstaat Maine verlagert. Was aber darüber hinaus noch wichtiger ist: Auch das Ende des Stückes wurde umgeschrieben. Im ursprünglichen Theaterstück gibt es »keine Erlösung«, in der neueren Version jedoch, verglichen mit dem ursprünglichen Tonfall, schon. Das Musical erhielt fantastische Kritiken und stand zwei Jahre hindurch, insgesamt 890mal auf dem Spielplan des Majestic Theaters in New York. Laut Tagebuchaufzeichnungen von Richard Rodgers habe Molnár gerade der Schluss am besten gefallen. Das amerikanische Autorenduo fühlte sich Molnár für diesen Erfolg zu Dank verpflichtet. 1951 empfahlen sie der Columbia University in einem Ansuchen wärmstens, Franz Molnár, auch die Ehre zuteil werden zu lassen, die ihnen selbst für das Musical Carousel zuteil wurde.76 Nach der herrlichen und fröhlichen Uraufführung ereilte Molnár die Nachricht, dass ein paar Wochen zuvor sein Schwiegersohn in Balf, einem Arbeitslager im Westen Ungarns an Erschöpfung gestorben war. Der Schwiegersohn, den er vielleicht ein- bis zweimal in seinem Leben gesehen hatte, galt als geschätzter Autor in der ungarischen Literatur. György Sárközi, der literarische Leiter des Verlags Athenaeum, der übrigens zur Interessenssphäre des ehemaligen Freundes Andor Miklós gehörte, war auch als Übersetzer literarischer Werke, als Dichter, Romanschriftsteller und Herausgeber von Zeitschriften tätig. Auf die Nachricht des Todes von György Sárközi hin meldete sich Molnár erst ziemlich spät bei seiner verwitweten Tochter.
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Márta Sárközi, die Tochter von Franz Molnár und Mutter von drei Kindern, versammelte nach dem Tode ihres Mannes auf der Terasse der vom Vater geerbten, nunmehr baufälligen Villa alles, was in der ungarischen Literatur Rang und Namen hatte und begründete die beste Lieraturzeitschrift, die sog. Válasz [dt.: Antwort], welche während einer kurzen, kaum vier Jahre (1945–1949) dauernden und auf dem demokratischen Mehrparteiensystem beruhenden Epoche, erscheinen sollte. Im Grunde genommen handelte es sich um einen Neuanfang. Diese Zeitschrift wurde bereits von György Sárközi zwischen 1934 und 1938 herausgegeben. Die junge Witwe setzte also etwas fort, was ihr Mann begonnen hatte. Márta Sárközi gab alles, was sie von ihrem Vater bekommen hatte, d.h. Geld, den Inhalt von Paketen, also u.a. Kaffee, Tee etc. für dieses Sprachrohr der ungarischen Literatur aus. Diese zwischen 1946 und 1949 herausgebrachte Zeitschrift gehört zu den ernst zu nehmenden geistigen und moralischen Werten des 20. Jahrhunderts.77 Die Beziehung zwischen Vater und Tochter war im Großen und Ganzen einseitig. Eigentlich war das schon immer so gewesen, hatten doch der Gatte und die Gattin, Franz Molnár und Margit Vészi schon vor der Geburt ihrer Tochter den gemeinsamen Wohnsitz aufgelöst. Márta Sárközi erledigte die Angelegenheiten ihres Vaters in Ungarn und berichtete regelmäßig über die Geschehnisse. Ihre Berichte und Briefe blieben jedoch, mit wenigen Ausnahmen, immer unbeantwortet.78 Die im Lager des Schriftstellers befindlichen Werte wurden zunächst von der »Regierungs-kommission für herrenlose Güter« beschlagnahmt, später jedoch wieder zurücker-stattet. Was aber alles gestohlen wurde, kam nie ans Tageslicht. Die hinterlassene Bibliothek bereitete großes Kopfzerbrechen. Die Wohnungen der Freunde und Verwandten wurden durch Bombentreffer verwüstet. Schon allein aus statischen Gründen konnten sie in ihnen keine Bücher unterbringen. Nach der Belagerung fehlte es in Budapest an allem, nur nicht an Büchern. Die Tochter von Franz Molnár vermachte schließlich Molnárs Bücher, aber auch jene ihres Gatten, der ja Dichter und literarischer Übersetzer war, der 1895 nach dem französischen Vorbild der École Normale Supérieur kreierten Eliteinstitution Eötvös Collegium. Es gab keinen besseren Platz für diese Sammlungen. Später jedoch, schickte Franz Molnár keine Pakete mehr, da er einem Brief eines Freundes entnahm, dass die Literaturzeitschrift seiner Tochter auch die Texte von faschistischen Schriftstellern publizieren würde. Das war natürlich grober Unfug. Es entspricht jedoch den Tatsachen, dass Márta Sárközi auch jenen Autoren zu der Rückkehr in die Literaturszene verhalf, die von vielen in der generell ideologisch verwirrenden Zeit während des Krieges für schuldig befunden wurden. Molnár jedenfalls nahm die Nachricht für bare Münze und beendete ein für alle Mal die Beziehung zu seiner Tochter und deren Familie. Franz Molnár lebte in großem materielen Wohlstand, und eine sichere Quelle für diesen Wohlstand waren die regelmäßig bezahlten Tantiemen. Es ist eine Tat-sache, dass Molnár damals kein einziges Werk verfasste, das sich auf die Tagespolitik bezog. Es finden sich keinerlei Hinweise auf das, was in Europa, insbesondere in Ungarn geschah. Der Krieg ging scheinbar spurlos an ihm vorüber, und dass, obwohl er selbst im Exil stets über alles bestens informiert war. Er blieb davon aber nicht völlig unberührt. Neben seiner jüngeren Schwester und seiner Tochter unterstützte er mehrere Menschen mit Geld, Paketen, Medikamenten oder Nylonstrümpfen, da besonders letztere in Ungarn gut verkauft werden konnten. Einer seiner Begünstigten war sein Freund aus der Jugendzeit, der Buchgestalter Elek Falus. Die an Molnár adressierten Briefe über die Krankheit von Falus, das Elend, in dem er lebte, sowie über die damaligen Zustände in Ungarn kamen dank Lili Darvas ebenfalls in eine öffent-
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liche Sammlung.79 Auch Dániel Jób, der als Regisseur und Intendant des Vízgszínház [dt. Lustspieltheater] Molnár eine unglaubliche Erfolgsserie beschert hatte, verbrachte seinen Lebensabend in geradezu beschämender Armut. Zwar gelangte Jób im Jahr 1945 wieder zurück an die Spitze jenes Theaters, das Franz Molnár stets triumphale Erfolge gebracht hatte, zwei Jahre später jedoch, wurde er aus politischen Gründen wieder von seinem Posten verdrängt. Nach seiner Ankunft in Amerika war Franz Molnár sowohl während des Kriegs als auch in der Nachkriegszeit regelmäßig zu Gast in den vornehmen, künstlerischen Kreisen von New York. Nach wie vor pflegte er seine Freundschaft zu Max Reinhardt, welcher aber unerwartet früh verstarb. Zu seinen Bekannten zählte auch der ehemalige Präsident der Vereinigung amerikanischer Bühnenautoren, der Bühnenautor George Middleton. (Er war der älteste amerikanische Bekannte von Franz Molnár.) Ein häufiger Besucher und hie und da Förderer war Sam Jeff. Darüber hinaus war Molnár mit George Freedley, dem Kurator der Sammlung von Theaterstücken in der New York Public Library, befreundet. Zu seinem Freundeskreis gehörten auch die Schauspielerin Ruth Gordon, der Bühnenbetreiber Morris Gest sowie dessen Schwiegersohn David Belasco, der Intendant der Metropolitan Opera und der Eigentümer des Astoria Fred Muschenheim. Ihn kannte Molnár noch aus Europa und bei ihm versammelte sich auch stets eine interessante und illustre Gesellschaft, zu der u.a. Wladimir Horovitz, Bruno Walter, John Barbirolli, Fritz Kreisler, Erika Mann und viele, viele andere, wiederkehrende Gäste gehörten. Molnár und Wanda Bartha gingen häufig zusammen mit Lili Darvas mittagessen. Bald gesellte sich auch der Schauspieler Edward G. Robinson dazu. Manchmal traf Molnár auch den in die USA reisenden Sir Alexander Korda, den weltberühmten, ungarischen Filmregisseur und Eigentümer der London Film Production, den er noch von zu Hause gekannt und über den er sich lediglich gemerkt hatte, wie unglaublich reich und dennoch bescheiden er war. Wenn wir uns die Charaktere in Molnárs Gefährtin im Exil. Aufzeichnungen für eine Autobiographie ansehen, können wir letztlich nur erfahren, welche Beziehungen er hatte, und die Liste ist wahrlich beeindruckend. Aber bei dem von Wanda Bartha geschriebenen Tagebuch, welches die Grundlage dieses Werkes bildete, handelt es sich um nichts weiter als um eine Bestandsaufnahme. Die reine Aufzählung der Kontakte sagt noch nichts über die Art, Tiefe, Ehrlichkeit oder Falschheit der Beziehungen aus. Praktisch keine einzige Zeile handelt von den Reflexionen von Molnár. Was er von wem hielt bzw. was ihn beschäftigte, bleibt eigentlich auch ein Geheimnis. Man kann aber daraus Wanda Bartha keinen Vorwurf machen, da sie ja für sich selbst die Tatsache, dass solche Persönlichkeiten und Ereignisse in Molnárs Leben eine Rolle spielten, festhielt bzw. wie bekannt ist, auch ihren Geschwistern und Freunden schriftlich mitteilte.80 1947 beging Wanda Bartha, für Molnár in unerwarteter Weise, Selbstmord. Molnár blieb völlig auf sich allein gestellt. Aber anstatt sein eigenes Gewissen zu erforschen und zu hinterfragen, wie er die Frau behandelt hatte, zerfloss er nur in Selbstmitleid und beklagte hilflos den Verlust seiner Sekretärin. Im Werk Gefährtin im Exil. Aufzeichnungen für eine Autobiographie wird dem »Selbstmitleid« sogar ein eigenes Kapitel gewidmet. Neben den noblen Gefühlen versucht Molnár in langen Textpassagen krampfhaft zweifelhafte, sich selbst von jeglicher Schuld freisprechende Gesten miteinzubringen. Dieses Phänomen wird in der Psychologie auch als »Sublimierung« bezeichnet. Durch den Verlust von Wanda Bartha wurde Franz Molnár damit konfrontiert, dass er es verabsäumt hatte, menschliche Gesten zu setzen. Die
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Rede ist von seiner Gleichgültigkeit und seinen Beleidigungen. Es ist so, als ob wir in einem Molnár-Stück mitspielen würden mit dem einzigen Unterschied, dass dieses Stück bereits ausgedruckt wurde und der Schluss nicht mehr geändert werden kann. Gleichzeitig stellen Molnárs Ergänzungen zu den Aufzeichnungen von Wanda Bartha das traurige Ende eines wahrhaft großartigen Lebens dar. Es gibt eine eigene »Novelle« über jenen Häuserblock, in dem er gemeinsam mit seiner Sekretärin lebte. Hier geht es auch um die grundlegenden Schauplätze des täglichen Lebens, um Geschäfte, Restaurants, Konditoreien, Apotheken, samt dem entsprechenden Perso-nal, d.h. Kellnern, Schneidern, Verkäufern etc. »Es handelt sich um einen groben Querschnitt durch das ›gesellschaftliche Leben‹ in unserem New York, so wie es sich unter einfachen, ruhigen Menschen abspielte, und wie wir das mögen […].«81 Molnár lebte in einer gewissermaßen »lauten« Einsamkeit. Tatsächlich war er, insbesondere nach dem Tod von Wanda Bartha allein. Lili Darvas war noch, wenn auch durch ein paar Straßen von ihm getrennt, für ihn da. In einer erschütternden, bereits in New York verfassten Schrift beschreibt Franz Molnár die Emigration als »Krankheit«.82 Dieser 1946 entstandene Text ist gleichsam die schöngeistige Formulierung des Lebensgefühls im Exil, gleichzeitig ist er aber auch eine Art »Geständnis«. Solange der Mensch als Tourist in der besuchten Stadt unterwegs sei, lebe er ein normales Leben. Im Laufe der Jahre aber, mutiere er zum Emigranten. Zunächst würden die Symptome dieses Umstands nur im Bekanntenkreis bemerkt. Woran? [An] dem immer weniger kontrollierbaren Gemütszustand, an der Quantität und Qualität der Klagen, an der rasanten Entwicklung der Kritikfähigkeit, an der permanent verringerten Kontaktfreudigkeit zu Landsleuten sowie an den immer schlechteren Englischkenntnissen, weil der Betreffende es unbewusst bereits aufgegeben hat, sich noch im reifen Alter sinnlos mit dem Erwerb der Fremdsprache herumzuschlagen.
Das erste Alarmzeichen für den Emigranten bestehe darin, dass er nicht mehr ohne Schlafmittel auskommt. Dieses Symptom zeige sich bei den einen früher, bei den anderen später. »Einsame Menschen entwickeln es früher, Menschen mit Familie später, reiche Menschen später, arme Menschen früher. Kinder sind davon nicht betroffen. Die Emigration ist keine Kinderkrankheit. Die Emigration ist die Krank-heit der betagten Menschen.« »Der Mensch bleibt immer mehr derjenige, der er war, während alles um ihn herum sich beginnt, immer mehr von dem zu unterscheiden, wonach es anfänglich aussah.« Der Emigrant freunde sich nicht mit seiner Umgebung an. Letztendlich gewöhne er sich nicht an das fremde Land, sondern lediglich an seinen eigenen Zustand. Und zu diesem Zeitpunkt beginne eine neue Phase der Erkrankung. Diese Stufe lasse sich bereits am EKG erkennen. Der Arzt verordne dem Emigranten Spritzen und Pillen. Und was könne man tun, wenn der Patient die Ratlosigkeit der Ärzte satt habe? Das einzig wirksame Medikament sieht Molnár in einem seiner Freunde, und zwar in der beinahe zentralen Figur der ungarischen, linksliberalen Emigranten in New York, dem Herausgeber der ungarischsprachigen Emigrantenzeitschrift Az Ember [dt. Der Mensch] Ferenc Göndör.83 Das Wesen der vom Herausgeber angewendeten, spezifischen Heilmethode bestehe in der Aufmerksamkeit, darin, dass er den Emigranten in Evidenz halte, d.h. oft mit ihm telefoniere, sich häufig nach seinem Befinden erkundige, wohltuende Nachrichten überbringe, ihn zu sich einlade und mit einem anderen Emigranten aussöhne. Aber alles das fasste Molnár in einer Begrüßungsrede zusammen. Aus dem Text geht
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lediglich hervor, wie das Heilverfahren nach Ferenc Göndör bei anderen wirkt. In Molnárs Privatleben half das nichts. Für den in der ungarischen Sprache und Kultur gefangenen, internationalen Schriftsteller Molnár bedeutete das amerikanische Exil den langsamen Tod. Zwischen seinen Werken und seinem persönlichen Schicksal gab es große Abweichungen. Übersetzt von Michael Hutterer
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Über Franz Molnár gibt es zwei Monographien in ungarischer Sprache: Mátyás Sárközi: Színház az egész világ [Die ganze Welt ist Theater] (Budapest: Osiris-Századvég 1995) und Lajos Csordás: Molnár Ferenc (Budapest: Elektra Kiadóház 2004); für englischsprachige Monographien siehe Clara Györgyey: Ferenc Molnár (Boston: Twayne Publishers 1980); Georg Kövary: Der Dramatiker Franz Molnár (Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 1984). Es gibt auch eine kürzere Biographie und Bibliographie von András Veres: »Ferenc Molnár«. In: Twentieth-Century Eastern European Writers. Dictionary of Literary Biography. Ed. Steven Serafin (Detroit-San Francisco-London-Woolbridge: The Gale Group, A Bruccoli Clark Layman Book 1999), CCXV, S. 250-261. Gilbert Miller (1884-1970), Produzent, Regisseur, Theaterdirektor, Schauspieler und Schriftsteller. Er war Produzent von sieben von Molnárs Stücken in New York. Darunter wurden fünf noch vor Molnárs Emigration aufgeführt. Millers Zusammenarbeit mit Molnár begann in der Theatersaison 1920/21 als Ersterer nach Budapest kam, um das Stück The Swan zu sehen. Interessanterweise wurde das Vígszínház [Lustspieltheater] gerade in dieser Saison von einem amerikanischen Unternehmer, Ben Blumenthal, gekauft. Von da an standen bei der Führung dieses Theaters in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Vermutlich trug dieser Eigentümerwechsel dazu bei, dass amerikanische Produzenten begannen, ein größeres Interesse für Theateraufführungen in Budapest zu zeigen. Chaim Weizmann (geb. 1874 in Russland, gest. 1952 in Israel), Wissenschaftler (Chemiker), Präsident der Zionistischen Weltorganisation (WZO, engl. World Zionist Organization) und erster Präsident des Staates Israel (1949). Michael Todd (geb. 1909 in Minneapolis, MN, gest. 1958 in Grants, NM), Produzent am Broadway und in der Filmindustrie. Todd leistete einen Beitrag zur technischen Innovation des Films in den fünfziger Jahren (Großbildschirm und Soundsystem). Er war Produzent des Broadway-Musicals (1946) und gleichnamigen späteren Films (1956) Around the World in Eighty Days. Der Film wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Companion in Exile [Gefährtin im Exil], S. 214. Max Reinhardt (geb. 1873 in Baden bei Wien, gest. 1943 in New York, NY), einflussreicher österreichisch-ungarischer, später amerikanischer Theater- und Filmregisseur sowie Schauspieler. Siehe Huntly Carter: The Theatre of Max Reinhardt (NY: Benjamin Blom 1914, repr. 1964); Margaret Jacobs und John Warren (eds.): Max Reinhardt: The Oxford Symposium (Oxford: Oxford Polytechnic 1986). Die Charaktere in dem Theaterstück The Emperor sind Schauspieler. Nachdem der Hauptdarsteller erfährt, dass Napoleon seinen eigenen Sohn hinrichten ließ, gesteht er seinen Schauspielerkollegen, dass er sich nicht so wie andere Menschen dem Schmerz hingeben könne, da er diesen schon so oft auf der Bühne habe darstellen müssen. »I am unable to face real tragedy because I have faced the pretended and learned one so many times. I don’t know what to do […] so that it would not be acting. […] What a dreadful punishment this is for having pretended suffering on stage!« Ich kann mich nicht der wahren Tragödie stellen, weil ich mich bereits so oft der gespielten und erlernten stellen musste. Ich weiß nicht, was ich tun soll […], damit es sich nicht um Schauspielerei handelt. […] Was für eine grauenhafte Strafe für das gespielte Leiden auf der Bühne.
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Das Stück handelt von Schauspielern. Der Hauptdarsteller erfährt, dass sein Sohn von Napoleon hingerichtet wurde. Seinen Schauspielerkollegen gegenüber offenbart er, dass es für ihn unmöglich ist, sich so dem Schmerz zu ergeben wie andere Menschen es tun, da er schon so oft Schmerz auf der Bühne zum Ausdruck bringen musste. »Ich kann mich keiner wirklichen Tragödie mehr stellen, da ich bereits so häufig mit einer erfundenen, erlernten Tragödie konfrontiert war. Ich weiß nicht, was ich tun soll […], damit es kein Schauspielern ist! […] Was für eine höllische Strafe das doch ist, da ich bereits so oft das Leiden auf der Bühne vorgeheuchelt habe!« Vörös Károly: »Pest-Budától Budapestig« [»Von Pest-Buda bis Budapest«]. In Budapest története a márciusi forradalomtól az őszirózsás forradalomig. Budapest története IV [Geschichte von Budapest von der Revolution von 1848 bis zur Revolution von 1918] (Budapest: Akadémiai Kiadó 1978), S. 117-320. Lóránt Czigány: »A Pseudo-Victorian Era«. In Lóránt Czigány: A History of Hungarian Literature. From the Earliest Times to the Mid-1970s (Oxford: Clarendon Press 1984), S. 247262. Zu dieser Zeit war Budapest größer als Amsterdam, Lissabon, Hamburg, Brüssel und Neapel. Max Nordau (geb. 1849 in Pest, Ungarn, gest. 1923 in Paris, Frankreich), Arzt, Schriftsteller, Sozialkritiker und Leitfigur der zionistischen Bewegung. Im Jahr 1903, also noch in der Zeit als Ungarn Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war, traten zum ersten Mal umfassende gesetzliche Regelungen für Reisedokumente in Kraft, und zwar wegen der massiven Auswanderung in Richtung Vereinigte Staaten von Amerika. Davor waren offizielle Reisedokumente nur für Reisen in den Osten, nämlich für die Staaten Serbien, Rumänien, Russland und die Türkei notwendig. Siehe Bencsik Péter: A magyar úti okmányok története 1867–1945 [Geschichte der ungarischen Reisedokumente, 1867–1945] (Budapest: Tipico Design 2005). Zu der Reisefreiheit »in der guten alten Zeit« siehe Michael Polanyi: »The Socialist Error«, The Spectator, March 31, 1944, zit. n. Tibor Frank: »Cohorting, Networking, Bonding: Michael Polanyi in Exile«, Polanyiana. The Periodical of the Michael Polanyi Liberal Philosophical Association (Budapest), X, Nr. 1-2 (2001), S. 108. Ein Angehöriger dieser Generation und Zeitgenosse von Franz Molnár war der berühmte österreichische Schriftsteller Stefan Zweig, der seine europäische Identität im Untertitel seiner berühmten Memoiren: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (Stockholm: Bermann-Fischer Verlag 1944) [The World of Yesterday (London: Cassel 1943)] hervorhob. Dieses Gesetz wurde vom damals eben erst an die Macht gekommenen Horthy-Regime im Jahr 1920 verabschiedet. Es sah eine auf der Einwohnerzahl basierende Quotenregelung im tertiären Bildungssektor vor. Der gesamte Gesetzestext ist nachzulesen unter: 1920. évi XXV. tc. Magyar törvénytár: 1920. évi törvénycikkek [Ungarische Gesetzessammlung: Die Gesetze des Jahres 1920] (Budapest: Franklin 1921), S. 145-146. Siehe Molnár Ferenc: Vasárnapi krónika. Pesti Hírlap, 1911. november 19. [Sonntagschronik der politischen Tageszeitung Pesti Hírlap vom 19. November 1911]. Laut dem Országos Statisztikai Hivatal [Nationales Amt für Statistik], dem Vorläufer des heutigen Központi Statisztikai Hivatal [Statistisches Zentralamt], waren im Jahr 1910 von den 1214 Redakteuren und Herausgebern von Zeitungen und Nachrichtenmagazinen in Ungarn 516 (=42,5%) jüdischer Abstammung. Um die Wende vom 19. zum 20. Jh. hatte dieser Wert noch lediglich 30,7% betragen. Siehe unter dem Schlagwort »Újságírás« [Journalismus] im Magyar zsidó lexikon [Ungarisch-Jüdisches Lexikon] (Budapest: Pallas Nyomda 1929), S. 917-918. József Vészi (geb. 1858 in Arad, Österreich-Ungarn, gest. 1940 in Budapest), Journalist und Herausgeber, einer der einflussreichsten Pressemagnaten seiner Zeit. Jahrzehnte hindurch war er Chefredakteur der deutschsprachigen Tageszeitung Pester Lloyd. Margit Vészi (1885–1961) war Franz Molnárs erste Frau. Die Ehe hielt nicht besonders lange. Sie selbst war auch Schriftstellerin sowie Malerin, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Gruppenausstellungen beteiligte. Eigentlich war sie eine der ersten ungarischen Journalistinnen. Ihre während des Ersten Weltkriegs publizierten Berichte wurden
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FRANZ MOLNÁR in einem eigenen Band veröffentlicht. Nach ihrer Scheidung von Molnár heiratete sie einen italienischen Baron. In den zwanziger Jahren entschied sie sich auch dafür, Ungarn zu verlassen. Schließlich ließ sie sich in Hollywood nieder, wo sie einige Jahre hindurch als Drehbuchautorin arbeitete. Später kehrte sie nach Europa zurück, wo sie schließlich Selbstmord beging. Oszkár Jászi (geb. 1875 in Nagykároly, Ungarn, gest. 1957 in Oberlin, OH), Soziologe, Universitätsprofessor, und Politiker. Gegner des auf Großgrundbesitz basierenden Systems des Klerikalismus und der Unterdrückung der Nationalitäten. 1914 gründete er die Bürgerlich-radikale Partei. 1919 verließ er Ungarn, um sich 1925 schließlich in den USA niederzulassen. Die Regierung von Mihály Károlyi war vom 31. Oktober 1918 bis zum 19. Januar 1919 im Amt. Zit. n. Louis Rittenberg: The Plays of Ferenc Molnár, XV. Ermete Zacconi (1857-1948), italienischer Theater- und Filmschauspieler, Regisseur, Vertreter des »Verismus« auf der Bühne. Dreißig Jahre hindurch spielte er die Hauptrolle in Molnárs Stück Der Teufel. Franz Molnár: »Vasárnapi krónikák. Három kis eset« [»Sonntagschroniken. Drei kleine Fälle«]. In Ferenc Molnár: Szülőfalum, Pest [Mein Heimatdorf Pest] (Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1962), S. 537-539. Es ist wichtig, hervorzuheben, dass die Literaturund Theaterwissenschaft erst viel später begann, sich mit dem System der interkulturellen Beziehungen auseinanderzusetzen. Was die heutige Situation betrifft, beschäftigt sich mit diesem Bereich in erster Linie Patrice Pavis, Professor an der Université de Paris VIII (Vincennes – Saint Denis). Im Rahmen seiner Gastprofessur an der Indiana University, Bloomington bietet Pavis Lehrveranstaltungen zu der Problematik des Übersetzens von Theaterstücken an. Exemplare der fürs Theater bestimmten Übersetzungen finden sich in der Sammlung zum Thema Geschichte des Theaters in der Széchényi Nationalbibliothek in Budapest. Für weitere Literatur über Molnárs Tätigkeit als Übersetzer siehe Péter Molnár Gál: »Molnár Ferenc, a fordító« [Franz Molnár, der Übersetzer], Színház, XXVI, Nr. 1 (Jan. 1993), S. 4048; und Ágnes Szilágyi: »Molnár Ferenc francia bohózatfordításairól« [Über Franz Molnárs Übersetzungen der französischen Farce]. In Magyar író és világpolgár. Ed. Ferenc Glatz. Begegnungen. Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Bd. 2 (1996), S. 49-54. Darüber hinaus übersetzte Molnár Gerhart Hauptmanns Drama Fuhrmann Henschel (1898), Anatole Frances Roman Le lys rouge und das Stück Miss Hobbs (1904) ins Ungarische. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Alfred Hennequin, Georges Feydeau, Robert Flers, Gaston Armand de Caillavet und Ludovic Halévy. Péter Molnár Gál: »Molnár Ferenc, a fordító«, ebd., S. 40. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass Péter Molnár Gál eine umfangreiche Monographie über Franz Molnár geschrieben hat, die demnächst in Budapest publiziert wird. Die Besonderheit des Stückes Der Teufel besteht darin, dass der Titelheld für Begierde und Sexualität steht, die ins Unbewusste verbannt wurde. In diesem auf der Idee des Faust beruhendem Stück werden die Erklärungen des Freudianismus auf der Bühne gleichsam unterstützt und bestätigt. Zu Liliom vgl. Alfred Kerr: »Franz Molnár: Liliom«. In Alfred Kerr Gesammelte Schriften. Die Welt im Drama (Berlin: S. Fischer Verlag 1917), S. 269-272. Antal Szerb: Magyar irodalomtörténet [Ungarische Literaturgeschichte] (Budapest: Révai Kiadás 1935), S. 491-493. Zu den »exportierten« ungarischen Bühnenautoren dieser Zeit gehört neben Molnár auch sein bereits erwähnter Schwager Lajos Biró, dessen Karriere ebenfalls im Ausland ihren Höhepunkt erreichte. Lajos Biró war Drehbuchautor von solch erfolgreichen Filmen wie The Private Life of Henry VIII, Hotel Imperial und The Thief of Bagdad. Biró war Mitarbeiter der London Film Production, dem Filmimperium von Sir Alexander Korda, welcher ebenfalls ungarischer Abstammung war. Biró arbeitete gleichsam auf einer Ebene mit den Brüdern Korda zusammen.
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Der diesbezüglich authentischste Bericht ist enthalten in Jules Illyés [Gyula Illyés]: »Préface«. In László Németh: Une possédée. Übersetzt von P. E. Régnier, C. Nagy, L. Gara (Paris: Gallimard 1963), S. 7-20. Az éhes város [Die hungrige Stadt] (Budapest: Révai 1901); Andor (Budapest: Athenaeum, 1918). Dieser Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt. Zwei Übersetzungen ins Deutsche waren besonders populär: Die Jungen der Paulstraße. Ein Roman für kleine und große Studenten. Übers. und mit einem Vorwort versehen von Eugen Heinrich Schmitt (Berlin: Walther 1910); und mit demselben Titel, Deutsch von Edmund Alkaly (Leipzig/Wien: E. P. Tal 1928). Für die englischsprachige Version siehe: The Paul Street Boys. Übersetzt von Louis Rittenberg (NY: Macy Masius 1927). Gőzoszlop [Die Dampfsäule]. Übersetzt von Barrows Mussey (NY: Duell, Sloan & Pears 1945). Nach Molnár konnte Menyhért Lengyel [Melchior Lengyel] mit seinem Drama Typhoon 1909 einen ähnlichen Durchbruch erzielen. Melchior Lengyel: Typhoon [Taifun]. Play. English version by Laurence Irving (London: Methuen 1913). Einige von Lajos Birós Theaterstücken sowie die fünfzehn Jahre später auf dieser Grundlage veröffentlichten Drehbücher konnten einen ähnlich großen Erfolg erzielen. Es ist jedoch wichtig, zu betonen, dass der große ungarische Romanschriftsteller des 19. Jahrhunderts Mór Jókai, seines Zeichens der Erste war, dessen Werke auch in einer Fremdsprache veröffentlicht wurden. Seine Arbeiten waren vor allen Dingen in Deutschland populär, jedoch erzielte er auch im angelsächsischen Raum bedeutende Erfolge. Siehe Lóránt Czigány: A magyar irodalom fogadtatása a viktoriánus Angliában 1830–1914 [Die Rezeption der ungarischen Literatur im viktorianischen England 1830–1914]. Irodalomtörténeti Füzetek, 89 (Budapest: Akadémiai Kiadó 1976). Magyar Színművészeti Lexikon. A magyar színjátszás és drámairodalom enciklopédiája [Lexikon der ungarischen Schauspielkunst]. Hg. Aladár Schöpflin. Vol. I–IV. Veröffentlicht von Országos Színészegyesület Nyugdíjintézete (Budapest, o.J. [1929–1931]), III, S. 402. William Morrison: Broadway Theatres: History and Architecture (NY: Dover Publications 1999). Elizabeth Molnár Rajec: Ferenc Molnár. Bibliography I-II (Wien/Köln/Graz: Hermann Böhlau 1986). Es muss auch das Terrace Garden Theater gewesen sein, welches ebenfalls für Produktionen mit emigrierten ungarischen Schauspielern in ungarischer Sprache verantwortlich war. Mátyás Sárközi: Színház az egész világ [Die ganze Welt ist Theater] (Budapest: OsirisSzázadvég 1995). Es ist wichtig, hervorzuheben, dass die meisten sich auf Molnár beziehenden Biographien, auf Anekdoten und humorvollen Geschichten beruhen, deren Wahrheitsgehalt häufig nicht zu überprüfen ist. Sie haben eine gemeinsame Quelle. Zu Lebzeiten Molnárs widmete ihm eine Wochenzeitschrift mit dem Titel Színházi Élet [Theaterleben] — gleichsam das ungarische Pendant zur Zeitschrift Vanity Fair — des Öfteren Aufmerksamkeit. Es kann auch festgestellt werden, dass in den Artikeln über Molnár alles das für bare Münze genommen wird, was dieser in seinen, zum Teil auf der Grundlage von Kommentaren seiner Sekretärin über ihr gemeinsames Leben basierenden Memoiren, Gefährtin im Exil, schreibt. In diesem Buch sagt Molnár selbst, dass viele geistreiche Bemerkungen, die ihm in den Mund gelegt wurden, in Wahrheit nicht von ihm stammen. Seiner Meinung nach stammt mindestens die Hälfte dieser Bemerkungen nicht von ihm (siehe Gefährtin im Exil, S. 28-29). An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es bis heute keine gründlich recherchierte und verlässliche Biographie und Bewertung von Franz Molnár gibt. Ebenfalls nicht vorhanden ist eine Publikation seiner Korrespondenz mit deren Hilfe die Chronologie seiner Reisen, Erfahrungen und Beziehungen genau rekonstruiert werden könnte. Als grundlegendes Quellenmaterial stehen zwei öffentlich zugängliche Sammlungen in Bezug auf Franz Molnár zur Verfügung. Das Petőfi Irodalmi Múzeum [Petőfi Literaturmuseum, PIM] in Budapest verwaltet den Nachlass seiner Frau Lili. Mit diesen Dokumenten gelangten hunderte Briefe zurück nach Ungarn. Die andere und weitaus größere Sammlung befindet sich in der New York Public Library, genauer gesagt, in
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FRANZ MOLNÁR der Abteilung Billy Rose Theater Division. Gestiftet wurde diese Sammlung von keinem anderen als Franz Molnár selbst im Jahr 1947. Die Dokumente erstrecken sich über eine Länge von 18,4 Fuß, das entspricht in etwa zwanzig Kartons. Die Molnár-Dokumente enthalten eine Auswahl von Drehbüchern, Briefen und Artikeln, die von Molnár zwischen 1927 und 1952 geschrieben wurden. Einen weiteren wichtigen Bezugspunkt stellen möglicherweise die Dokumente von Edmund Pauker, Molnárs amerikanischem Anwalt dar. Siehe Edmund Pauker Papers, General Collection, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University. The Devil [Der Teufel] (1908: American Motoscope & Biograph Co., 1915: New York Motion Picture, 1921: New York Motion Picture), A Trip to Paradise (Siehe auch Liliom, 1921: Metro Pictures), Fine Clothes (1925: Louis. B. Mayer Production inc. – First National Pictures), The Swan (1925: Famous Players Lasky – Paramount Pictures), His Glorious Night (1929: MGM), Prisoners (1929: Walter Marosco Production – First National Pictures), Olimpia (1930: MGM), One Romantic Night (1930: United Artist), The Guardsman (1931: Metro-Goldwyn-Mayer), Liliom (1930: Fox Film Corp., 1934: Fox Films), No Greater Glory (1934: Columbia Pictures Corp.), The Good Fairy (1935: Universal Pictures Corp.), The Bridge Wore Red (1937: MGM), Double Wedding (1937: MGM). All the Plays of Molnar (NY: Garden City Publishing Co. 1937). With a Foreword by David Belasco. De luxe edition, 823 pp. Dieselbe Sammlung wurde 1929 in New York veröffentlicht (NY: Macy Masius, The Vanguard Press) unter dem Titel: The Plays of Ferenc Molnar. Es ist zu betonen, dass bereits vor dieser amerikanischen Edition eine Anthologie von Molnár-Dramen in London publiziert wurde: Plays of Molnar. English texts and introduction by Benjamin Glazer (London: Jarrolds 1927). Louis Rittenberg (geb. 1892 in Tiszaújlak, Ungarn, gest. 1962 in New York, NY), Journalist und Übersetzer. Er zog relativ früh nach Amerika, und zwar schon im Jahr 1906. Ab 1937 war er Chefredakteur der Zeitschrift American Hebrew und gleichzeitig auch der amerikanische Herausgeber des London Jewish Chronicle. Am 14. Dezember 1927 gab Franz Molnár in französischer Sprache eine Vorlesung an der Columbia University. Thema war das zeitgenössische europäische Drama. Laut Archivmaterial der Columbia University besuchten 393 Studenten diese Vorlesung. Bedauerlicherweise verfügt die Universität über keine schriftliche Version dieser Vorlesung. Mein Dank für den Zugang zu diesem Datenmaterial der Universität geht an die Archivarin Carolyn Smith. Vor Molnárs Ankunft in New York hatte das Magazin Vanity Fair einen längeren, zwölfteiligen Artikel von ihm publiziert. Die Zeitschrift hatte bei ihm diesen Text in Auftrag gegeben, gleichsam als Wiedergutmachung für einen verleumderischen und beleidigenden Artikel über seinen vorherigen Scheidungsprozess; Molnárs Vertreter und Anwalt in New York, Edmund Pauker, hatte im Namen des Autors dem Magazin diesen Umstand erklärt. Die Schauspieler erfuhren davon, indem sie die Dialoge dieses Textes im Magazin lasen. Die Party fand in der Wohnung des Verlegers von Vanity Fair, im Condée Nast’s Palace in 1040 Park Avenue statt, und zwar am 14. Stock auf der Dachterasse. Das Treffen erfolgte am 27. Dezember 1927. Roy S. Waldau: Vintage Years of the Theatre Guild 1928‒ 1939 (Cleveland/London: The Press of Case Western Reserve University 1972), S. 249. Angeblich hat ihn die schwedische Schriftstellerin und selbst seit 1909 Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf nominiert. Wahrscheinlich war sein Name bei der Erwähnung der potentiellen Kandidaten gefallen. Siehe Lajos Csordás: Molnár Ferenc. Életkép sorozat [Franz Molnár. Lebensbilder Reihe] (Budapest: Elektra Kiadóház 2004), S. 93. Zu der Übersetzung des Stückes siehe Gabriella Ágnes Nagy: »Molnár Ferenc tengerentúli útja [Franz Molnárs Weg nach Übersee]. Die Übersetzungen von Spiel in einem Schloss oder die Kultur der Theaterübersetzung [Franz Molnárs Reise nach Übersee. Übersetzung von The Play Is the Thing oder die Kultur der Theaterübersetzung]«. In Imre Zoltán (ed.): Átvilágítás. A magyar színház európai kontextusban. Recepció és kreativitás. Nyitott kultúra c. sorozat. [Durchleuchtung. Ungarisches Theater im europäischen Kontext. Rezeption und
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Kontext. Open Culture Reihe]. Herausgeber der Reihe Gábor Palló (Budapest: Áron Kiadó 2004), S. 155-170. Henry Miller (geb. 1858 in London, Großbritannien, gest. 1926 in New York, NY), Schauspieler, Regisseur, Produzent von Theateraufführungen und Manager. András Veres: »Molnár Ferenc színpada« [Die Bühne von Franz Molnár]. In: Mihály Szegedy-Maszák und András Veres (Hg.): A magyar irodalom történetei III. 1920-tól napjainkig [Geschichten der ungarischen Literatur III, von 1920 bis heute] (Budapest: Gondolat Kiadó 2007), S. 153. Zu den Problemen im Hinblick auf die Übersetzung von Franz Molnár siehe Aladár Schöpflin: »Drámairodalom – Molnár Ferenc« [Dramenliteratur – Franz Molnár]. In Aladár Schöpflin: A magyar irodalom története a XX. Században [Die Geschichte der ungarischen Literatur im 20. Jh.] (Budapest: Grill Károly Könyvkiadóvállalata 1937), S. 157-162. Billy Wilder machte aus diesem Einakter 1961 einen Kinofilm (One, Two, Three, The Mirisch Corporation). József Kőrössi P. (ed.): Amerika! Amerika! Magyar írók novellái Amerikáról, az amerikai emberről és az amerikai magyarokról [Amerika! Amerika! Die Kurzgeschichten ungarischer Schriftsteller über das amerikanische Volk und die amerikanischen Ungarn] (Budapest: Noran Könyvkiadó 2003). Als Molnárs Karriere gerade begonnen hatte, brachte der große alte Romanschriftsteller seiner Zeit, Kálmán Mikszáth, einen neuen Roman heraus, nämlich The Noszty Boy’s Affair with Mari Tóth [Die Geschichte des jungen Noszty mit der Mari Tóth]. In diesem Werk wurde der Vater der Hauptdarstellerin, Mihály Tóth, ebenfalls Millionär in Amerika. Nur wegen eines Todesfalls in seiner Familie kehrt er nach Hause zurück. Der bereits erwähnte, erfolgreiche Autor Melchior Lengyel widmete seiner Amerikareise einen eigenen Band. Lengyel hielt sich gerade zufällig in New York auf als die Produktion von Franz Molnárs Liliom anlief. Dem Bericht der erfolgreichen Premiere wird in seinem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet. Siehe Menyhért Lengyel: Amerikai napló [Amerikanisches Tagebuch] (Budapest: Athenaeum 1922), S. 190-196. Aladár Schöpflin, ebd., S. 157-158. In Bezug auf die Präsenz von Franz Molnár in Deutschland siehe George L. Nagy: Ferenc Molnárs Stücke auf der deutschsprachigen Bühne. Diss. State University of New York at Albany 1978. Gefährtin im Exil, S. 51. Seine zweite Frau Sári Fedák (geb. 1879 in Beregszász, Österreich-Ungarn, gest. 1955 in Budapest, Ungarn), eine große Schauspielerin ihrer Zeit, ging 1921 in den USA auf eine große Tournee, wobei sie auch in ungarischen Theatern in Amerika auftrat. Im Nachlass von Molnár — dieser wurde im Grunde genommen von Lili Darvas dem Petőfi Literaturmuseum in Budapest vermacht — befindet sich unter den an Wanda Bartha adressierten Nachrichten nur ein Dokument, in welchem sie Molnár am Ende mit dem informellen »Du« anspricht. Die übrigen Nachrichten sind kurz und enden mit dem neutralen »Hochachtungsvoll«. Nach dem Tode seiner Sekretärin sagte Molnár zum Arzt Henrik Lax, der auch einer seiner besten Freunde war und viele ungarische Emigranten medizinisch betreute, dass er sich fühle, als hätte er sein Kind verloren. Dr. Lax korrigierte ihn: »Als ich ihm erzählte, mein Kind sei gestorben, meinte er ›Nein, es war deine Mutter, die starb‹ «, Gefährtin im Exil, S. 49. Ebd., S. 51. Ebd., S. 48. Ebd., S. 51. Der eine vergleichbare Karriere aufweisende Melchior Lengyel schrieb wiederholte Male an mehreren Stellen seines Tagebuchs, wie wenig er sich für Uraufführungen im Ausland interessierte. Lengyel Menyhért: Életem könyve. Naplók, önéletrajzi töredékek [Das Buch meines Lebens. Tagebücher. Biographische Skizzen.] (Budapest: Gondolat 1987). Das Repräsantenhaus beschloss am 12. Mai 1938, das Oberhaus wiederum am 24. Mai 1938 das erste Judengesetz. In diesem Brief an seine Frau berichtete er glücklich darüber, dass der ehemalige Ministerpräsident Graf István Bethlen am 9. Februar 1938 eine große Rede vor dem Parlament
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FRANZ MOLNÁR hielt, aus der der Hilferuf der »echten Ungarn« zu vernehmen war. Bethlen war gegen die Lösung der Judenfrage nach deutschem Vorbild sowie gegen die nach deutschen Schwerpunkten erfolgende Umgestaltung der Innenpolitik. »… or not to be«, S. 28. Siehe auch Tibor Frank (ed.): Discussing Hitler. Advisers of U.S. Diplomacy in Central Europe 1934-1941 (Budapest/NY: CEU Press 2003), S. 47. PIM Kézirattár [Handschriftenarchiv] V. 4326/41. Erdős Jenő: »Sirató sorok. Látomás eltávozott írókról« [Trauernde Zeilen. Erscheinungen von Schriftstellern, die von uns gegangen sind bzw. sich entfernt haben], Szép Szó, 1939. VIII. kötet 31. sz. 4‒ 10. Fridtjof Nansen (1861–1930), norwegischer Polarforscher, Ozeanograf und Diplomat. Wegen seiner Verdienste in Flüchtlingsfragen wurde ihm 1922 der Friedensnobelpreis verliehen. Die Pfeilkreuzler waren Mitglieder der in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre entstehenden »hungaristischen«, rechtsextremen und antisemitischen Bewegung. Im Oktober 1944 übernahmen sie die Macht in Ungarn. The Captain of St. Margaret’s. Übersetzt von Barrows Mussey (NY: Duell, Sloan & Pearce 1945). Brief von Franz Molnár an Lili Darvas vom 26. März 1938 »… or not to be«. Molnár Ferenc levelei Darvas Lilihez [»…oder nicht sein«. Franz Molnárs Brief an Lili Darvas] (Budapest: Argumentum Kiadó – Petőfi Irodalmi Múzeum 2003) S. 27-29. Der ungarische Band wird ausführlich von Mátyás Sárközi beschrieben: »The Plays and the Wives. Katalin Varga und Tamás Gajdó eds.«, The New Hungarian Quarterly, XLVIII, Nr. 188 (Winter 2007), S. 122129. Gerade in diesem Jahr schuf David Selznick seine weltberühmte Filmlegende. Im Jahr darauf kam sein mit dem Oscar in der Kategorie »bester Film« ausgezeichnetes Werk Vom Winde verweht in die Kinos. Die Einladungen wurden nicht von den Amerikanern, sondern vom ebenfalls emigrierten Sándor Incze (1889–1966) in die Wege geleitet. Incze war zwischen 1910 und 1938 Herausgeber der Zeitschrift Színházi Élet [Theaterleben]. Das Blatt wurde im Zuge der Judengesetzgebung eingestellt. 1939 wanderte er nach New York aus, wo er zwei englischsprachige Zeitschriften gründete und herausgab, nämlich Stage und Theater Arts. Der Adressat dieses Briefes konnte nicht identifiziert werden. Für die ungarische und englische Version des Briefes siehe PIM Kézirattára [Handschriftenarchiv] V. 4326/286. Es ist interessant, dass einige Formulierungen des in Schreibmaschinenschrift verfassten und handschriftlich korrigierten Textes bereits von vornherein in englischer Sprache gehalten sind bzw. von Molnár so diktiert wurden. Farewell My Heart (NY: Simon 1945). Die Nachkommen von Franz Molnár bewahren auch einen 50-minütigen Stummfilm auf, in dem Max Reinhardt, Charlie Chaplin, Paul Robeson, Lili Darvas und Franz Molnár ein Werk von Alexander Dumas, nämlich Die Kameliendame »spielen«. Dazu gehört auch das einzige Bild in der Molnár-Fotothek, auf dem der Meister der Komödie, der andere zum Lachen bringt, auch selbst lacht. Ihr erster großer Erfolg war das Musical mit dem Titel Oklahoma! (1943). Von ihren späteren Werken sind v.a. South Pacific (1949) und The Sound of Music (1959) erwähnenswert. PIM Kézirattár [Handschriftenarchiv] V. 4326/254. Für weitere Informationen über Márta Sárközi siehe Széchenyi Ágnes: »Műstoppoló és mecénás«. In Széchenyi Ágnes (szerk.): Menedékház. Sárközi Márta emlékkönyv (Budapest: Magvető Kiadó 2004), S. 11-74. PIM Kézirattára [Handschriftenarchiv] V. 4326/95. Elek Falus (1880-1950), Grafiker, Kunsthandwerker, Bühnenbildgestalter. Er gestaltete auch den Buchumschlag zum Stück Taifun von Menyhért Lengyel. [Taifun. Frankfurt am Main 1912] PIM Kézirattára [Handschriftenarchiv] V. 4326/197.
Ágnes Széchenyi 80 81 82 83
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»Gestern sah ich Greta Garbo erneut bei Dr. László. Ich weiß nicht, wie oft ich sie gesehen habe. GRETA GARBO! Ich wünsche mir, sie immer wieder zu sehen«. Gefährtin im Exil, S. 266. Ebd., S. 290. Molnár Ferenc: Szülőfalum, Pest [Mein Heimatdorf Pest] (Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1962) S. 584-587. Göndör Ferenc (Kaposvár, 1885 ‒ New York, NY, 1954), Journalist. Kriegsberichterstatter im Ersten Weltkrieg. 1919 floh er nach Österreich. 1926 ließ er sich in den USA nieder. Noch während der bürgerlichen demokratischen Revolution 1918 gründete er seine Zeitschrift Az Ember [Der Mensch], welche er in Wien und New York unter dem gleichen Titel bis 1952 herausgab.
MARIANNE OESTE DE BOPP UND DIE MEXIKANISCHE GERMANISTIK PETER PABISCH mit PETER BOPP Als im Jahre 1994 die Germanistische Abteilung des Fremdspracheninstituts der UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México) in Mexico City zum internationalen lateinamerikanischen Germanistenkongress1 einlud, war wenigen Teilnehmern klar, dass diese Leistung wesentlich, wenn auch nur mehr indirekt, der Aufbauarbeit der deutschen Einwandererin Marianne Oeste de Bopp zu verdanken war. Zwar unterstand die Leitung dieser Konferenz dem verdienstvollen Ehepaar Marlene und Dieter Rall2 und deren Mitarbeiterteam, doch wäre diese Krönung der mexikanischen Germanistik nicht ohne die Grundlagen möglich gewesen, die jene energievolle Frau in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen und mitgestaltet hatte. Das Ehepaar Rall gab zu diesem Anlass eine Bibliographie3 der in Mexiko geleisteten Forschungs- und Übersetzungsarbeit heraus und darin wird Frau Dr. Bopp zwar elfmal mit ihrem Werken aufgelistet, was nicht so oft zutrifft, wie es ihrem Publikationsfleiß entsprach. Damit wird die Tatsache kundgetan, dass die damals schon fast seit einem Jahrzehnt Verstorbene, zwar nicht vergessen, aber doch nicht mehr so im Zentrum der Wirkungsgeschichte stand, wie es ihr auf Grund ihrer Arbeit vielleicht gebührt hätte, auch deshalb, weil viele ihrer Werke unveröffentlicht geblieben waren. Zum Glück hat ihr Sohn Peter Bopp4 den gesamten Nachlass seiner Mutter sorgfältig aufbewahrt, so dass dieser Schatz an Informationen den Ausgangs- und Angelpunkt der vorliegenden Studie darstellt. Da Frau Dr. Bopp schon in jungen Jahren als Journalistin in Berlin tätig war, liegen veröffentlichte und unveröffentlichte Texte und Manuskripte vor, die Peter Bopp alle geordnet und leicht zugänglich in seinem Studio in Santa Fe, der Hauptstadt von Neu-Mexiko, gelagert hat. Von den vielen Memorabilien und seiner persönlichen Erfahrung über seine Eltern wird noch zu sprechen sein. Sein Beitrag zu dieser Arbeit ist daher besonders in der Bibliographie repräsentiert, deren Löwenanteil an Sammelarbeit er geleistet hat, aber auch durch seine persönliche Beratung als Zeitzeuge während der Niederschrift dieses Kapitels. Wesentlich in der vorliegenden Arbeit ist auch die Frage der Emigration seiner Eltern, da sie schon seit den späten zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Mexiko lebten und daher anscheinend nicht zu den Auswanderern auf der Flucht vor der Nazidiktatur gehörten. Aber dieser Eindruck trügt, wenn man die Beweggründe und die Denkweise von Marianne und ihrem Ehemann Hans Josef kennt. Daher wird hier zuerst der Lebensweg der Familie in Deutschland und in Mexiko aufgezeigt, der sich in die folgenden Hauptabschnitte aufteilt: 1. 2. 3. 4.
Kindheit und Jugend in Berlin bis 1928; Grundsätze einer liberalen Lebenshaltung Auswanderung nach Mexiko bis zu einem Familienbesuch mit den beiden Kleinkindern 1938 über mehrere Monate in Deutschland Die Kriegs- und erste Nachkriegszeit Deutschlands von Mexiko aus gesehen – 1938 bis 1947 Studium und erste Lehrtätigkeit von Marianne Oeste de Bopp von 1947 bis etwa 1955
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Studienabschluss und Eintritt in den vollen Beruf in Mexico City als Germanistin und ordentliche Universitätsprofessorin und Abteilungsleiterin bis zur Emeritierung 1977 Verstärkte Übersetzungsarbeit bis zu ihrem Tode 1985
Die Forschungsgrundlagen für die historischen Gegebenheiten des Lebens dieser Frau und ihrer Familie stammen — neben der bereits genannten, umfangreichen Quelle ihrer Publikationen — vor allem aus einem Tagebuch5, das Frau Bopp von 1933 bis 1947 führte und worin sie die Jahre der Emigration aus ihrer persönlichen Erfahrung thematisiert. Dazu kommen die Kenntnisse Peter Bopps, der den Lebensweg seiner Mutter bis in deren letzte Jahre stets engstens begleitete. Zum Tagebuch muss angemerkt werden, dass Marianne Bopp ihr Leben lang Tagebücher führte, so dass die erwähnte Veröffentlichung nur Auszüge aus diesen persönlichen Notizen präsentiert. Sie wollte damit die deutsche Kolonie Mexikos in jenem Zeitraum im Rückblick gleich nach Kriegsende beleuchten, die in ihrer Einmaligkeit weder vorher noch nachher existiert hat. Ein wesentlicher thematischer Blickwinkel ist die Einbeziehung Lateinamerikas, das vielen Emigranten auch Unterhalt und Schutz vor der Nazidiktatur bot, das aber verständlicherweise die spanisch-deutsche und im Falle Brasiliens die portugiesischdeutsche Kulturbeziehung auch im Sprachlichen betraf. Diese Komponente der Kulturbeziehung wurde lange Zeit in der sogenannten Exilliteratur vom englischen Erfahrungsraum Nordamerikas zu einem Nebenschauplatz gemacht, erweist sich aber bei näherem Studium als äußerst bedeutend. Sie beleuchtet einen Teil der Einwanderungsgeschichte Amerikas, der schon zu Beginn der Neuzeit einhundert Jahre vor der englischen begonnen hatte und das wichtige Herrscherhaus der Habsburger und damit eine katholisch-deutsche Kulturtradition mit einbezog, die in Nordamerika vor allem vom spanisch-mexikanischen Traditionsgut geprägt wurde. Dass die 1610 gegründete Verwaltungszentrale Santa Fe die nördlichste offizielle Hauptstadt des zuerst habsburgischen Lateinamerikas werden sollte, die mit Mexico City durch die noch heute bestehende Verbindungsstraße, den Camino Real, verbunden war, misst dem gegenwärtigen Wohnort ihres Sohnes und dessen Frau Vera in Santa Fe eine symbolische Bedeutung zu. Die Universität von Neu-Mexiko in Albuquerque, die an dieser Straße liegt und ihre große Wichtigkeit dem Südwesten zwischen lateinamerikanischer und angelsächsischer Weltauffassung verdankt, unterhält dazu eines der einflussreichsten Lateinamerikanisch-Iberischen Institute, das Latin-American and Iberian Institute (LAII)6. Dementsprechend weisen die Publikationsbestände der Universitätsbibliothek ein Schwergewicht auf diesem Sektor auf, was auch das Curriculum der humanistischen Kurse der Universität samt den Publikationen der Universitätspresse von Neu-Mexiko mitbestimmt. Ein Teil der lateinamerikanisch-europäischen, besonders der deutschen Themen, die Marianne Bopp beschäftigte, sind daher in Neu-Mexiko beheimatet, so dass die Arbeit der Gelehrten einen weiten Rahmen einnimmt, dessen politische Begrenzung von den objektiv-wissenschaftlichen Grenzen weit übertroffen werden. Marianne Bopp muss daher als Femme de Lettres im weitesten Sinne des Wortes verstanden werden, deren humanistisches Denken und Schaffen ihr Weltformat unterstreicht. Sie hat damit dem deutschen Geistesleben eine Fackel der Wahrheitssuche vorangetragen, die die dunkelsten Zeiten ihrer Lebensepoche stets durch ihre lautere akademische Absicht hoffnungsvoll und mutig erhellte.
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Kindheit und Jugend in Berlin bis 1928 Grundsätze einer liberalen Lebenshaltung Am 2. November 1905 in eine konservative Offiziersfamilie in Königsberg geboren zu werden, verhieß dem Mädchen eine Erziehung in deutscher Zucht und Tradition, der sie allerdings klaren Sinnes bald auswich. Sie zog mit den Eltern über kurze Zwischenaufenthalte in Halle und Wittenberg bald nach Berlin um. Immerhin lebte und wirkte in dieser Stadt auch Helene Lange, eine der ersten Vertreterinnen deutschen Frauenrechts um 1900. Marianne Oeste, das war ihr Mädchenname, wurde eine Vertreterin in modernen, zeitgemäßen Frauenfragen und dementsprechend eine liberale Denkerin, die eindeutig mehr links stand, was wiederum an Bertolt Brecht und Gesinnungsgenossen denken lässt, und ihrem Elternhaus, besonders ihrem erzkonservativen, doch offenen Vater die Stirn bot. Sie wehrte sich gegen das Frauenideal der Tradition, das unter dem Motto »Kinder Kirche Küche« stand. Mariannes Widerspruch führte allerdings nicht zum Bruch mit der Familie, der Konflikt wurde auf intellektueller Ebene im Zwiegespräch ausgetragen, aber er schuf eine Grundlage für die Reise nach Mexiko, die ein schicksalhafter Schritt in die Ferne werden sollte. Dazu kam der wörtlich zu nehmende Zug der Zeit, die Umbruchstimmung des literarischen Expressionismus im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. In Berlin war das geprägt von ahnungsvollen Vorstellungen der Vorkriegsjahre, vom Ersten Weltkrieg und von seinem Brand bedrohten Ende, der Spartakusbewegung, und schließlich die Jahre der gegensätzlichen Weimarer Republik. Sie brachte Berlin zwar in einer Hinsicht goldene Jahre und Weltbedeutung, führte aber zu Missständen, die bekanntlich zum Nazitum und zum Exil vieler seiner Gegner führte. Der Versuch, eine deutsche Demokratie zu schaffen, garantierte immerhin vor der Machtergreifung Hitlers eine Freiheit des Denkens und Schreibens, der sich Marianne Oeste begeistert anschloss. Nach dem Besuch der Handelsschule — ihr Abitur legte sie erst 1927 ab, wurde sie 1923 Mitarbeiterin der Deutschen Allgemeinen Zeitung, als sie noch Teenager war, und kam schließlich durch ihr Interesse in den Einflussbereich der Sozialdemokratie. Sie arbeitete nämlich ab 1924 im Reichstag für Dr. Paul Moldenhauer, den international versierten sozialdemokratischen Reichsminister, der sie auch auf die mexikanische Spur setzte. So nahm sie mit dessen Zuspruch Urlaub und schiffte sich 1928 nach Veracruz ein, noch nicht mit der Absicht in Mexiko den Rest ihres Lebens zu verbringen. Sie reiste allerdings nicht als Touristin, sondern hatte wegen ihrer Sprachenkenntnisse einen Arbeitsauftrag als Hilfskorrespondentin bei der IG-Farbenindustrie AG. Die aufkommende Nazibewegung und deren ständiger Hader mit der scharfen Linken Deutschlands, besonders den Kommunisten, die Inflationsjahre, Korruption und radikale Ablehnung traditioneller Werte, all das wirkte schwer auf ihr Gemüt, das einen Gerechtigkeitssinn förderte, der ihr gesamtes Leben und ihr Lebenswerk begleitete. In diesem Sinne setzte sich ihr Wunsch nach Geradlinigkeit und klarer Marschroute durch, was immerhin ihr Offiziersmilieu zu Hause charakterisierte. Man hatte im Elternhause ehrlich und offen seine Meinung zu vertreten und zu verteidigen. Klare Verhältnisse im Denken war die Parole. Gleichzeitig nahm sie die großen Kulturumformungen der Zeit zur Kenntnis, wenn auch noch nicht mit der Erwartung, einst Berufsakademikerin und Germanistin zu werden. Das allgemeine Kulturbild Berlins faszinierte sie, das immerhin Große wie Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky oder George Grosz einbezog. Dennoch suchte sie nach einem Gesamtbild europäischer und weltweiter Kulturentwicklung, so dass sie nach dem Kriege in ihrem akademi-
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schen Beruf die deutsche Kultur von den Anfängen zu erfassen und ihren Studenten und Kollegen vorzustellen suchte. Sie wollte diese Kultur für Mexiko in globale Bezüge bringen, wie ihr späteres Werk bis hin zu ihren spanischen Übersetzungen deutscher Werke eindrucksvoll demonstriert, um den Einfluss der deutschen Kultur über die Jahrzehnte vor allem seit der Loslösung Mexikos von Spanien 1821 aufzudecken. Dieses Interesse ist von einem Fleiß begleitet, der den Umfang ihres sowohl publizierten als auch unveröffentlichten Gesamtwerks erklärt, das ihr Sohn mit ähnlicher Akribie und Ausdauer ordnend zusammengetragen hat und hütet. Sie schrieb zum Beispiel schon 1930 ihr erstes Buch Von Vulkanen, Pyramiden und Hexen: Mexikanische Impressionen für den Berliner Verlag Hackebeil unter dem Pseudonym Marianne West, worin sie ein facettenreiches Bild des exotischen Landes entwarf.
Auswanderung nach Mexiko bis zu einem Familienbesuch mit den beiden Kleinkindern 1938 über mehrere Monate in Deutschland 1928 schifft sie sich in Deutschland ein. In Mexiko erst lernt sie ihren späteren Ehemann Hans Josef Bopp (7. März 1897 – 9. Mai 1979) kennen, einen ehemaligen Studenten und Doktor der Politikwissenschaften, der Deutschland schon 1926 verlassen hatte und ihre Geisteshaltung teilte. Ausgestattet mit Empfehlungsbriefen sogar für den Präsidenten Mexikos7, suchte Hans Josef als Sohn einer gebildeten deutschen Arztfamilie wie Marianne Oeste das gehobene Abenteuer. Dabei treffen die beiden schon 1928 knapp nach Mariannes Ankunft in Mexico City aufeinander und heiraten 1929. Vier und sechs Jahre danach werden die beiden Kinder Monika und Peter geboren — und aus diesen Jahren datieren auch die ersten Eindrücke vom gesellschaftlichen Deutschtum in Mexiko, das man historisch unter dem Begriff »Die Deutsche Kolonie« zusammenfasst. Von dieser ersten Zeit dort gibt es wesentliche Quellen von Marianne Oeste, nun verheiratete Bopp, vor allem ihr bereits erwähntes Tagebuch, das die Jahre 1933 bis 1947 aus ihrer wie immer um faire Distanz bemühten, persönlichen Sicht erfasst. Eine andere wichtige Quelle bietet ihr Vortrag vor der Kulturgruppe des Deutschen Frauenvereins 1936 in Mexico als Rückbezug auf den Ersten und als Vorahnung des Zweiten Weltkriegs, betitelt: Die Frau und der Krieg8, wo sie sich wieder zum Frauenrecht bekennt, sich aber vor der dort versammelten NS-Frauenbewegung gegen Autokratie und Krieg dezidiert auflehnt. Auffallenderweise erwähnte sie die deutschen Zeitereignisse in diesem Vortrag kaum, sondern wählt das Gesamtbild Europas, darunter England, Frankreich und Italien, um auf die Geschehnisse in Deutschland indirekt hinzuweisen. Damals wird sie von der deutschen Kolonie zur Außenseiterin abgestempelt und mit ihrem Mann bald von allen deutschen Verbindungen und Vereinen ausgeschlossen. Sie selbst schreibt (Tagebuch, 3) um das Jahr 1947: 99,9% der Kolonie waren Nazis, wenn nicht in der Partei, so doch gesinnungsmäßig. Gewisse politische Konstellationen begünstigen diese Entwicklung in Mexiko. Aber sie sind es heute [ca. 1947] selbstverständlich »nie gewesen«.
So stellt Marianne Oeste, schon als verheiratete Oeste de Bopp, auf den ersten Seiten ihres Tagebuchs den schrittweisen Umschwung der deutschen Auslandskolonie Mexikos in ein dem Führer Hitler verbundenes Vereinswesen dar, das sich entsprechend von allem herkömmlichen Deutschtum befreit dachte. Allerdings in einer paradoxen
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Weise, die den Absichten Marianne Bopps hohnspricht: »Reicher Beifall dankte der temperamentvollen Sprecherin«, heißt es um Mitte April 1936 im Mitteilungsblatt Deutscher Frauenverein in Mexiko (Vortrag, 14) als erste Reaktion auf ihre Worte. Der Wermutstropfen, der in den folgenden Zeilen zum vollen Glase anschwillt, kommt von den Abschlussworten der Vorsitzenden Frau Eversbusch, wie im Mitteilungsblatt notiert, […] dass das heutige Deutschland im Beweis des Friedenswillens voran marschiere, indem unser Führer Adolf Hitler unermüdlich immer wieder die praktischsten und großartigsten Vorschläge der Welt unterbreitet habe, um einer beruhigteren Atmosphäre Platz zu schaffen, zur Erhöhung der Wirtschaft, zur Einschränkung der Rüstungen, zur gegenseitigen Befriedigung der Völker.
Frau Bopp hält später über ihre Mitgliedschaft im Frauenverein zu einem typischen Augenblick aus dem Jahre 1938 (Tagebuch, 27) fest: Bei der Sitzung des Frauenvereins, wo über den Anschluss an die Volksgemeinschaft9 verhandelt wird, verliest die Vorsitzende E.10 zunächst einen Briefwechsel mit dem Gesandten [des Deutschen Reiches]. »Sie habe gefürchtet, dass bei einer stärkeren Politisierung — wie sie der Anschluss der Volksgemeinschaft darstelle — Mexikanerinnen und Andersdenkende austreten würden.« Die Antwort des Gesandten R. v. C.: »Diejenigen, die kein Interesse an der Volksgemeinschaft hätten, müssten sowieso ausgeschlossen werden, um sie sei es nicht schade.« Es beginnt eine lebhafte Diskussion. Die Vorsitzende: »Die Uninteressierten, nämlich die Jüdinnen, seien bereits 1933 ausgeschieden. Im Übrigen stünde der Frauenverein selbstverständlich hinter der Regierung.« Es erhebt sich die Frau des Pressechefs D.: »Wenn der Frauenverein hinter der Regierung stünde, wieso sei Frau Bopp, eine frühere kommunistische Landtagsabgeordnete, die sich damals anlässlich ihres pazifistischen Vortrages gegen den Führer und das 3. Reich ausgesprochen habe, noch Mitglied des Frauenvereins?« Die Vorsitzende wies das als nicht zur Sache gehörig zurück. »Frau Bopp sei viel zu jung und vor Hitlers Machtergreifung nach Mexiko gekommen, könne also niemals kommunistische Abgeordnete sein, umso weniger, als ihr Vater Offizier war. Im Übrigen stünden private Angelegenheiten, wie die Meinung einzelner überhaupt nicht zur Debatte.« Der Antrag auf Anschluss [des Vereins offiziell an NaziDeutschland] wird mit 125 Stimmen gegen 28 abgelehnt. »Sie werden doch nicht austreten wollen? Der Frauenverein ist sehr für sie eingetreten.« »Nein, ich warte, dass mich der Frauenverein offiziell ausschließt. Ich werde ihnen nicht ersparen, mir das schriftlich zu geben.«
So akzentuiert sich die Tatsache, dass Marianne Bopp um 1938 erneut erkennen muss, sie war aus ihrer deutschen Gemeinschaft ›exiliert‹ worden. Das bringt sie mit ihrem Mann zu dem Entschluss, um die mexikanische Staatsbürgerschaft anzusuchen. Ehe sie jedoch diesen Schritt endgültig vollziehen, beschließen die Eheleute im Frühjahr 1938 noch einmal nach Deutschland zu reisen, den Großeltern die Enkelkinder vorzustellen — Monika war damals fünf, Peter zwei Jahre alt, und sich auch sonst die Lage durch eigene Erfahrung zu Gemüte zu führen. Sie blieben einige Monate, um sich für ihre Entscheidung Zeit zu nehmen. Die Enttäuschung bleibt nicht aus. Marianne Bopp hält darüber fest (Tagebuch, 32): Was ist nun Deutschland? Nichts mehr von dem Land, in dem man aufwuchs, ein fremdes Land. Es wird der Bruch mit den Menschen, die dort leben und die nicht vor den überall sichtbaren Schildern »Arischer Arzt« — oder den Parkbänken »nur für Juden« von Wut und Zorn gepackt werden. Gute Freunde raten, schnell abzurei-
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sen, denn »der Krieg kommt«; viele schreien sich mit wilder Begeisterung die Kehle heiser, als Hitler triumphierend vom Besuch beim Duce zurückkehrt und im Auto stehend mit erhobenem Arm langsam vorüberfährt.
Daher folgt der Entschluss — klipp und klar (Tagebuch, 32): »Im September 1938 — in der Zeit von ›München‹11, sind wir wieder auf dem Rückweg.« Die Entscheidung fällt als kategorische Komponente des Gewissens. Es ist eine äußere Emigration, ein bewusster Akt, das Exil zu suchen, weil man mit den eigenen Leuten in der alten Heimat nicht mehr zurecht kommt. Gleichzeitig entsteht dabei bei Marianne Bopp schon der Wunsch, ihr Land eines Tages wieder in seiner geistigen Größe von außen zu reformieren. Aber darüber müssen noch die bitteren Kriegsjahre vergehen. Außerdem brauchten die Kleinkinder die Förderung und Unterstützung der Mutter, eine Pflicht, die sie stets sehr ernst nahm. So lobt Peter Bopp seine Kindheit, die er wegen seiner Mutter, doch auch mit dem Vater in der Familie erleben durfte. Seine Schwester und er wurden liebevoll erzogen und besuchten gute Schulen, besonders die »Deutsche Schule« und die Universität in Mexico City, die — abgesehen von den Kriegsjahren — eine gediegene Unterrichtsgrundlage boten, so dass beide Kinder — auch nach ausländischen Schulbesuchen in den U.S.A. (Monika) und in Frankreich (Peter), gehobene Berufe anstrebten und erreichten.
Die Kriegs- und erste Nachkriegszeit Deutschlands von Mexiko aus gesehen – 1938 bis 1947 Es sei gleich vorweggenommen — die traurigste Erfahrung für Marianne Bopp lag in der Erkenntnis, dass sie die meisten Deutschen der Kolonie ablehnten. Jedoch auch eine andere bittere Pille musste sie schlucken. Als sie sich nämlich den deutschen Juden zuwenden wollte, lehnten die sie mit wenigen Ausnahmen auch ab, obwohl Mariannes Standpunkt allen bekannt war (Tagebuch, 85): Wer heute so leben will, wie es vorteilhaft ist, muss alle Menschlichkeit und Anständigkeit aufgeben, alles was bisher moralische Selbstverständlichkeit war. Man kann nur so leben, als müsste man es [nicht] nur vor sich selbst, sondern vor den Menschen verantworten, auf deren Urteil man wirklich wert legt. Es ist immer das gleiche, erster oder zweiter Weltkrieg — Krieg hat noch nie einen wirklichen Sinn gehabt und lässt sich nicht mit Vernunftgründen verteidigen. Der einzige ehrenhafte Platz des Humanisten ist der zwischen zwei Stühlen. Aber wer sich bemüht, au dessus de la melée zu bleiben, wenn die ganze Welt wahnsinnig wird, wird von allen verdächtigt. Für die eine Seite ist er »verkauft«, für die andere verdächtig und »Nestbeschmutzer«. Unsere entschlussfreudige und geschäftstüchtige Bekannte wirft mir vor, ich verkehrte mit Juden, daher meine Ansichten — während es doch logisch wäre zu sagen: weil ich diese Ansichten vertrete, habe ich jüdische Freunde. Meine jüdischen Freunde dagegen, mit denen ich zu einem Theaterabend nach Menorah, der jüdischen Vereinigung deutscher Sprache — einem Lustspiel von Goethe und einem von Friedell — gehen wollte, sagten ab. Es gäbe jetzt Chauvinisten unter den Juden, die keinen Deutschen lebendig lassen, nichts mehr mit Deutschland zu tun haben wollen, die Arier mit dem gleichen Hass verfolgen, mit dem drüben Juden verfolgt werden. Es würde mir sicher niemand etwas tun, wenn ich mit ihnen ginge, aber ... Es war deutlich, dass sie nicht mit mir gesehen werden wollten.
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Sie fährt mit ihrer Beobachtung zum Menschlichen weiter unten auf der gleichen Seite über die russische Haltung gegen die Deutschen fort: Es ist menschlich verständlich, dass diese Menschen hassen, die so entsetzlich gelitten haben, aber ich bin nicht bei allen davon überzeugt, dass sie heute auf dieser Seite stünden, wenn ihnen nicht persönlich Unrecht geschehen wäre. Ich hörte einen Amerikaner sagen: »Wenn Euch Hitler nicht rausgeschmissen hätte, wärt Ihr heute wahrscheinlich Hitler-Anhänger.« Immer ist ein wenig entsetzliche Wahrheit dabei.
Gerade der letzte Satz zur »entsetzlichen Wahrheit« bietet das Gedankenprogramm Marianne Bopps an. Sie richtet nicht, auf dass sie nicht gerichtet werde, um aus dem Neuen Testament zu borgen. Sie bemüht sich, das oft einseitige Urteil der Mitmenschen aus deren Lage zu verstehen, und trägt nicht nach, wie sehr sie die Missverständnisse und falschen Urteile über sie und ihren Mann auch kränken. Letzterer hielt sich eher aus jeglicher Konfrontation heraus, war er doch der Brotverdiener der Familie und musste oft in seinem Beruf die Dinge schweigend dulden. An einer Stelle mitten im Krieg kann er jedoch nicht umhin, seine Meinung zu äußern. Es ging um einen jungen jüdischen Mann, der der Familie sehr nahe gewesen war, aber plötzlich wegen der vorhin erwähnten Vorbehalte vieler deutscher Juden das Bopp’sche Haus mied. Er war jedoch eines Tages genötigt, mit Hans Josef wieder ins Geschäft zu treten; Frau Bopp schreibt (Tagebuch, 111): Widerwärtige Zeiten, in denen man Jeden in seinem wirklichen menschlichen Wert nackt sieht. Lange genug braucht man, um festzustellen, dass der anständige Mensch, bei dem sich das Moralische, mit dem der Mensch erst beginnt, von selbst versteht, das seltenste Tier auf dieser Erde ist.
Sie schließt hier alle gegenwärtigen Nazianhänger ein, die eines Tages nach Kriegsende ihr Nazitum erfolgreich leugnen würden, so dass es »niemand gewesen« sein werde. Doch wirft sie auch jüdischen Mitmenschen Opportunismus vor — wie dem jungen Mann, weil dies zutraf: Der Fabrikbesitzer aus guter Familie, einmal unser Freund, der uns die ganzen letzten Jahre nicht mehr kannte, nicht für das Hochzeitsgeschenk dankte, und die Geburt seines Kindes nicht anzeigte, hat plötzlich Geschäfte mit H[ans] zu machen. Also entschuldigt er sich bei ihm und fragt, ob er wieder zu uns kommen könne. Aber ich weigere mich. Ein junger Jude, der von H[ans] nur Gutes und sogar rührende Hilfe erfahren hat, kannte uns seit Jahren nicht mehr, weil wir ja auf der Schwarzen Liste und dadurch für seine amerikanischen Beziehungen12 gefährlich waren. Trotzdem hatte er H[ans] Wertsachen zum Aufheben gegeben und nutzte ihn aus, wo er konnte, bis sogar H[ans], der vieles mit menschlicher Schwäche lächelnd entschuldigt, ihm sagte: »Wissen Sie, entweder kennen wir uns immer, oder wir kennen uns gar nicht. Beides zugleich geht nicht. Und dann ziehe ich vor, dass wir uns nicht kennen.« Aber ich bin überzeugt, dass er nach dem Kriege wiederkommen wird.
In diesem Sinne vertrat Frau Bopp einen prinzipiellen Humanismus, der beim Wort genommen wird und den sie ein ganzes Leben durchgehalten hat. Die Episode legt auch ihre charakterliche Stärke bloß, wohingegen sie ihrem Ehemann »menschliche Schwäche« vorwirft, also eine Entschuldigungsart, die sie vielen Menschen gegenüber walten lässt. Gleichzeitig belegen die Zitate, wie unglaublich schwierig diese Kriegszeit der Hitlerära zu durchleben war und wie alle Exilanten nicht in einen Topf der Tugend — oder Untugend — geworfen werden dürfen. Marianne Bopp bestätigt ihre
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starke Haltung auch an anderer Stelle zur Kriegserklärung Mexikos an Deutschland im Juni 1942 (Tagebuch, 86): Es wird unter Strafe gestellt, die internationale Politik der [mexikanischen] Regierung zu kritisieren [etc.] [...] Da die deutschen Häuser nicht nur ihre Operationen eingeschränkt haben, sondern sogar schließen wollen, sobald ihre Existenzen erschöpft sind, und damit die Arbeiter auf der Straße liegen und keine Entschädigung erhalten würden, sollen die Existenzen beschlagnahmt und mexikanische Interventoren ernannt werden, die die Geschäfte fortführen. Die Deutsche Schule erhält einen Mexikanischen Direktor. Jede Einwanderung, auch von Flüchtlingen ist verboten. Ausländer werden festgenommen, einige auf Wunsch der entsprechenden Gesandtschaften deportiert. Gerüchte, Gerüchte: Es heißt, Naturalisierungen von 1939 an müssen revalidiert werden. Reichsdeutsche dürften keine Autos und keinen Grundbesitz verkaufen. Es würde niemand mehr verhaftet werden, Verdächtige erhielten nur einen Avis, dass sie innerhalb von drei Wochen das Land zu verlassen hätten.
Der Hinweis auf »Gerüchte, Gerüchte« bestätigt, dass Frau Bopp auch in verworrenster Lage ihren Klarsinn behält und damit ihre Familie auch beruhigt. Sie kennt ihre Mexikaner, die die Dinge meistens nicht in deutscher Konsequenz durchführen, die sie androhen. Sie bezeugt schon damals ihre Vermittlerrolle zwischen der mexikanischen und der deutschen Kultur — und erweist sich als souveräne Psychologin. Denn zwei Seiten später notiert sie, die Kriegsjahre in Mexiko satirisch kritisierend (Tagebuch, 88): Gerüchte: Allen Naturalisierten soll die Nationalisierung annulliert werden, was am nächsten Tag dementiert wird; alle Ausländer, auch die Naturalisierten, müssen Fragebögen der Polizei ausfüllen, wobei alle Verdächtigen und PGs [Parteigenossen] verhaftet werden. E. erzählt, dass man die 1939 mit einem Mexikaner geschlossene Heirat ihrer Schwester nicht anerkennen will, weil alle Heiraten Deutscher mit Mexikanern seit neuestem und mit Rückwirkung auf 1939 verboten seien, was wieder pures Gerede ist. Angeblich sollen Deutsche keine Autolizenz erhalten, was durch die Praxis Lügen gestraft wird. Dass Deutsche, auch Naturalisierte, keine Autos mehr verkaufen könnten, stellte sich ebenso als Unsinn heraus, wie, dass vor 1935 von deutschen Eltern hier Geborene keine Mexikaner mehr wären, oder dass Naturalisierte nicht reisen dürften. Wahr ist vorläufig nichts von allem, nicht einmal, dass die polizeiliche Registrierung auch die Naturalisierten trifft.
Die Zitate beweisen nicht nur, dass Marianne Oeste de Bopp im Wesentlichen ruhig Blut bewahrte, aber auch, dass ihr journalistisches Talent und ihre Sprachbegabung der Nachwelt ein Zeugnis jener Zeit erhellen wie selten eines.13 An einer Stelle im Tagebuch erahnt man schon, dass Marianne Bopp zur Literaturwissenschaft neigt. Sie hebt hervor, wie bereits erwähnt, dass sie zu einem Menorah-Theaterabend gehen wollte, aber von den Juden nicht erwünscht war (Tagebuch, 89). Es fand nämlich ein Leseabend aus Deutschland ausgebürgerter Schriftsteller statt, wo Anna Seghers aus Das Siebte Kreuz, Ludwig Renn aus Krieg und Egon Erwin Kisch aus Jahrmarkt der Sensationen vorlasen. Es muss damals in Frau Bopp der Wunsch geboren worden sein, eines Tages für die mexikanische Germanistik federführend zu wirken und damit auch zwangsweise Versäumtes nachzuholen. Nach dem Kriegsende kommen Berichte von ›drüben‹ mit Kernsätzen im Sinne der Aufklärung wie dem einen: »Etwas Neues muss beginnen: also Neuerziehung durch die Menschen guten Willens.« (Tagebuch, 158) Das ist eine Forderung im Sinne Immanuel Kants, der seinen kategorischen Imperativ auch nur durch Menschen
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guten Willens zu verwirklichen sieht. Diese Geisteshaltung sieht Marianne Bopp als das Erbe willkommener deutscher Kultur. Ihr Lebensweg und ihr Gesamtwerk reflektieren solche Pflichtauffassung des guten, an materiellen Werten wenig interessierten Menschen und Forscher. Sie muss auch in jenen Tagen beschlossen haben, dass sie, sobald ihre Kinder selbständig seien, ein Studium abschließen und Akademikerin werden müsse, um an der Neuerziehung mitzuwirken und sich ihr selbst zu stellen.
Studium und erste Lehrtätig keit von Marianne Oeste de Bopp von 1947 bis etwa 1955 Mit dem Abschluss ihres Kriegstagebuchs, das auch die ersten Nachkriegsjahre anvisiert, beginnt eine Hauptphase in Frau Bopps Leben, die auch dessen zweite Hälfte einleitet. Und was für eine gewaltige Leistung dieser Weg im Rückblick erbrachte! Sie muss sich wie Dante Alighieri — »Nel mezzo del camin di nostra vita / mi ritrovai per una selva oscura, / chè la diritta via era smarrita.« — in einer Lage des Zweifels, doch auch der Entschlossenheit befunden haben. Allerdings lag ihr Weg durch die Hölle im Gegensatz zu Dante schon hinter ihr. Die Zeitgrenzen dieses Abschnitts sind von den Verfassern dieses Beitrags eher willkürlich gewählt — aus der Vermutung heraus, dass Frau Bopp erst ihre Richtung festigen musste, die sie im Zeitraum zwischen den späten fünfziger Jahren einerseits und ihrer Emeritierung 1977 bzw. ihrem Lebensende knapp ein Jahrzehnt danach andrerseits verfolgte. Hier sei der erste feste Hinweis auf die von Peter Bopp erstellte Bibliographie und die Jahresdaten zu den Veröffentlichungen ins Rampenlicht dieser Betrachtung gerückt. Sie erläutern, warum das erste Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg in Mexiko eher Studienjahre für Frau Bopp vorstellen und warum erst am Ende dieser Periode die Forscherin ihre Hauptinteressen hervorkehrt. Außerdem gab es zu der Zeit noch keine Germanistik in Mexiko — die etablierte sie selbst erst 1955, so dass sie zuerst Hispanistik, Anglistik und Vergleichende Kulturgeschichte an der Universität (UNAM) studieren musste. Schon 1952 schließt sie ihre Magisterthese auf Spanisch zu John Milton ab. Nur zwei Jahre danach erfolgt ihr Abschluss des Doktorgrades ›magna cum laude‹ mit einer These zu Renaissance und Vorbarock und ihre Anstellung als ordentliche Professorin (Profesora de tiempo completo). Schon ein Jahr danach stimmt die Universität der Einrichtung der Germanistischen Abteilung (Sección de Letras Alemanas) offiziell zu, die die Lehrerlizenz, den Magister und den Doktor anbieten durfte. Daher folgen bei Dr. Bopp nun erst umfangreiche germanistische Studien, die bei Schiller beginnen und sich zu einer Spezialisierung für die nachfolgende Romantik ausweiten. Man beobachtet jedoch weiterhin ihre weitangelegte Orientierung im komparatistischen Sinne aus englischer, kulturhistorischer im transatlantischen Bereich und germanistischer Themenstellung, was sich sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft erstreckt: Zahlreichen Studien über das Mittelalter stehen Themen aus moderner Literatur bis hin zur Nachkriegszeit gegenüber. Die Fragestellung liegt für die Forscherin weiterhin im Herausschälen dessen, was der deutschen Position im humanistischen Bereich anerkennend zukommt, was sie daraus als beachtenswert beurteilt, was verloren gegangen und wieder hervorgeholt muss werden. Dazu muss sie alle Quellen selbst suchen und zusammenstellen, wofür sie diese Quellen in wissenschaftlichen Sammlungen und in der Nationalbibliothek Mexico City systematisch durcharbeitet. Insofern wirkt ihre Exilhaltung weiter bis an ihr Ende. Es gilt für sie, vieles im
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kulturellen Bereich des Deutschen im Verein mit anderen Nationen wieder gut zu machen: somit hat man das erste Nachkriegsjahrzehnt für diese Frau als ihren Entschluss für einen gangbaren Weg zu werten.
Studienabschluss und Eintritt in den vollen Beruf in Mexico City als Germanistin und ordentliche Universitätsprofessorin und Abteilungsleiterin bis zur Emeritierung 1977 Diesen Weg hat sie von nun an mit großem Arbeitsaufwand und erstaunlich reichhaltiger Ernte eingeschlagen, den auch das Ausland, besonders Deutschland anerkennt. In Die Zeit, Nr. 40, vom 5. Oktober 1962, erscheint ihr kritischer Essay in der Reihe Was gilt die deutsche Literatur im Ausland? betitelt »Respekt aus dem vorigen Jahrhundert: Dem durchschnittlichen Mexikaner sind die deutsche Sprache und Literatur fremd.«14 Sie schält hier die Unterschiede lateinamerikanischer Kulturen untereinander und zum europäischen Hintergrund heraus, die sich im Mestizentum und in der Vermischung vieler physischer und gedanklicher Bereiche auftun. Im Anhang des Artikels wird sie bereits von ihrer alten Heimat in ihrem neuen Schaffensbereich ehrend vorgestellt: Marianne Oeste de Bopp, Mexikanerin, in Deutschland geboren, ist Professorin an der von ihr gegründeten und geleiteten Deutschen Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universidad Nacional Autónoma de México. Ihr wichtigstes Buch ist Contribución al Estudio de las Letras Alemanas en Mexico (U.N.A.M., 1961); sie gab Othon E. de Brackel-Weldas15 Briefe an Manuel Gutierrez Nájera heraus, übersetzte Wieland und Tieck, veröffentlichte verschiedentlich Artikel und Bibliographien in deutschen und mexikanischen Zeitschriften und gehört der Asociación de Universitarias Mexicanas und der Sociedad de Geografía y Estadística (der ältesten wissenschaftlichen Vereinigung des Landes) an.
In diesem journalistischen Beitrag, der einmal mehr ihre Meisterschaft in der deutschen Sprache den Lesern vor Augen führt, unterstreicht sie, warum das Deutsche im 19. Jahrhundert in Mexiko respektvollen Einfluss ausübte. Dank der verstärkten Immigration, aber auch durch Gelehrte und Naturwissenschaftler, hatte Deutschland besonders bei den gebildeten Mexikanern einen hohen Rang gewonnen, der sich noch über die Zeit des Ersten Weltkriegs gehalten hatte, aber durch Nazitum und Zweiten Weltkrieg verspielt worden war. Die einzige Hochschätzung des Deutschen in Mexiko nach dem Krieg sah sie als »eine kommerzielle Note«. Man versteht ihren Wunsch, der mexikanischen Welt ein neues Kulturbild des Deutschen aufzurichten, das für ihre gesamte Arbeit federführend wird: Errichtung von literarischen Grundlagen, die tragende Autoren des Deutschen vorstellt — allen voran Goethe, Schiller, die Romantiker, doch auch Heine, Hauptmann, die Expressionisten, selbst Brecht — und davor das Mittelalter. Wie ist das alles zu erreichen? Die Mexikaner brauchen gute Übersetzungen, um einmal Eingang in die Primärliteratur des deutschen Schrifttums zu finden. Daher erklärt sich ihr gigantischer Aufwand im Übersetzungswesen, worüber hier noch zu sprechen sein wird. Aber ihre Absicht fasst sie im Schlusssatz dieses Essays zusammen: »Kulturarbeit im Ausland wird nicht mit großen Mitteln geleistet, sondern mit der Liebe und dem tiefen Verständnis für zwei verschiedene Welten, die sich nicht durch Auftrag von außen, sondern nur durch lange Jahre des Lebens und
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der Arbeit im anderen Lande erwerben lassen, wirksam allein durch persönlichen Einsatz.« Damit hat Frau Dr. Bopp ihr eigenes Programm dokumentiert, denn diese Forderung im zitierten letzten Satz ist ihr Weg und ihr Grundsatz. Er umreißt alles, was im Folgenden zur Ergänzung ihres Gesamtbildes zusammenzufassen ist, und macht ihr Lebenswerk verständlich. Die Vorbereitungszeit ihrer Jugend und ihres jungen Erwachsenseins, ihre Erfahrungen und Enttäuschungen, ihre Entschlusskraft und ihr Durchsetzungsvermögen brechen in ihren wichtigen Worten hervor und manifestieren die Arbeitsabsicht ihrer zweiten Lebenshälfte. In ihrer Auseinandersetzung mit dem Vermitteln zwischen Lateinamerika und dem deutschen Raum sticht noch der Text von einem Vortrag in São Paulo, Brasilien, vom 9. Juli 1973 hervor: »Sinn und Zweck der germanistischen Studien in Lateinamerika«.16 Hier beklagt sie geradezu die Flucht der Germanistik in jenen Jahren vor der Literatur- in die Sprachwissenschaft, worin »Linguisten und Semantiker die Lehre von der Sprache als einem naturgemäß dichtungs- und sinnfeindlichen ›Zeichen‹-System schufen (Emil Staiger). [...] Die Literaturgeschichte, deren Sinn überhaupt angezweifelt wird, soll in ihren einzelnen Zweigen: Germanistik, Anglistik, etc. abgeschafft, und als Sonderfall der allgemeinen Entwicklung den gesellschaftlichen Wissenschaften eingeordnet werden.« Der »deutsche Humanismus« wird ihre Hauptsorge. Und wie ihn über seine Vertreter von Goethe bis Thomas Mann den Studenten vermitteln, wenn er im Mutterland des Deutschen unter schwerer Kritik stand? Die Jahre seit 1985, als die Literaturgeschichte wieder von »einer Rückkehr des Gefühls in der Literatur« spricht, geben Marianne Oeste de Bopp in ihrem Ansinnen recht; das wird in ihrem Wirkungsbereich erst nach diesem physischen Leben zum Erbe. Umso mehr trösten wir uns heute an ihrem geistigen Erbe, das in ihrem umfangreichen Werk weiter besteht, wie es etwa das Ehepaar Marlene und Dieter Rall in ihrem Sinne fortsetzten. Im anfangs genannten 8. Lateinamerikanischen Germanistenkongress hielten Marlene und Dieter Rall zur Leistung Marianne Bopps auf Spanisch fest, dass am Anfang der Germanistik dort nach dem Krieg ihr Beitrag »Contribución al Estudio de las Letras Alemanas en México« (1961) und Jahre danach ihr Artikel »Die Deutschen in Mexiko« im Gesamtwerk von Hartmut Fröschles Die Deutschen in Lateinamerika (Tübingen, 1979)17 standen. In jenen Jahren (ab 1955) stimmte ihr der Direktor der Philosophischen Fakultät auch zu mit dem Auftrag, die Germanistische Abteilung an der UNAM einzurichten und aufzubauen. Neben Frau Dr. Bopps fachlicher Leistung als Hochschullehrerin, Forscherin, Übersetzerin und Leiterin der Abteilung in jenen betrachteten Jahren muss eindeutig ihr ethisches Verhalten an vorderer Stelle beleuchtet werden. Die resolute, attraktive, Energie geladene, beseelt faire Frau scheut keine Mühe, um der deutschen Kultur, die sie vertrat, die hergebrachte Würde und Anerkennung wieder zu geben. Wenn sie auch das edle Ziel nicht erreichte, sie also nach ihres verehrten Rilkes Gedicht den letzten der wachsenden Ringe nicht vollenden konnte, so gilt ihrer Ausdauer die Fügung: »aber versuchen werde ich ihn«. In Büchern und Artikeln schrieb sie, aufgelistet demnach in dieser Bibliographie, zu Friedrich Schiller, J. W. Goethe, Heinrich Heine — eine Bibliographie, Thomas Mann, allgemein über deutsche Literatur in der spanisch sprechenden Welt, zu Rolf Hochhuth, Peter Handke und Max Frisch. Die bereits hervorgehobenen Übersetzungen ins Spanische — das sie im Laufe ihres Lebens wie ihre Muttersprache beherrschen lernte, versah sie oft mit Vorworten. Sie galten Jörg Wickram und dessen Eulenspiegel, Christoph Martin Wieland, Ludwig Tieck und dessen Der blonde Eckbert und
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Der gestiefelte Kater. Sie machte sich aus der älteren Literatur an das Nibelungenlied heran und an Martin Luthers An den Christlichen Adel deutscher Nation. Ihre frühe Sprachstudie auf Spanisch zum Deutschen »El idioma alemán en México« aus dem Jahre 1954 ist dafür ebenso zu schätzen wie ihre Kulturstudien zu Alexander von Humboldt Alemania en la Época de Humboldt. Bibliografía de Humboldt en México aus dem Jahre 1962 oder zu den Versuchen der Engländer und Franzosen im 19. Jahrhundert, Mexiko wieder an sich zu reißen. Dazu gehören ihre Studien zu Charles Sealsfield und Maximilian von Habsburg-Lothringen, den Napoleon III. bekanntlich zum sogenannten, für diesen tödlich endenden Mexikoabenteuer eher verleiten als einladen konnte. Davon handelt ihr Werk Maximilian und die Deutschen auf Spanisch und zwei Werke von Charles Sealsfield, besonders Der Virey und die Aristokraten, dem sie eine Einleitung voranstellte. Ein Wort zu ihrer akademischen Lehre: Wie typisch für die Auslandsgermanistik geht viel Kraft und Zeit an der Universität in die extracurriculare Arbeit, in fremdsprachliche Anlässe wie Treffen und Reisen und in die einführende Lehre auf, was alles von der wissenschaftlichen Arbeit abhält. Dennoch muss diese Basis für den gehobenen Fachunterricht, der im Mutterland sofort einsetzen kann, mit Aufwand geschaffen werden. Diese Aufbauarbeit lag auch lange auf den Schultern Marianne Oeste de Bopps. Dennoch schaffte sie es, ihr Programm auf das anerkannte Weltniveau zu heben, das man auf der Universität erwartet. Zwar standen ihr junge Kollegen — wie zunächst Cecilia Tercero Vasconcelos, Renate von Hanffstengel, Elisabeth Siefer, das Ehepaar Rall und andere, wie etwa ein wachsendes Team von Lehrassistenten zur Seite, die alle später ihr Werk bis in unsere Tage weitergetragen haben. Ohne Frage — der Aufwand der Pionierarbeit schließt die Anschaffung der grundlegenden Erfordernisse ein, die den Nachfolgern wie selbstverständlich dünken. Die mexikanische Germanistik kann sich heute sehen lassen, wie der Sammelband über die Konferenz 199418 bezeugt. Germanisten in Lateinamerika sind oft zumindest dreisprachig — Spanisch, Deutsch, Englisch; viele Kollegen beherrschen dazu andere romanische Sprachen, wie Französisch, Portugiesisch und sogar Latein. Daher findet man sie oft auf internationalen und amerikanischen Fachkonferenzen. Marianne Oeste de Bopp wirkte als Beispiel in dieser Hinsicht und bot ihre Thesen aus ihrem Studium schriftlich in drei Sprachen an. Bei all dem Zeitaufwand für den Basisunterricht erschienen ihre wissenschaftlichen Beiträge und Übersetzungen wie geistige Inseln in einem Meer ihrer Anstrengungen, um den Stand ihres herausfordernden Berufs zu halten. Im letzten Abschnitt ihres Wirkens nach der Emeritierung im Jahre 1977 konnte sie ihrer geistigen Arbeit viel mehr Zeit widmen, wobei sie auch in den späteren Jahren, wie ihr Sohn Peter Bopp betont, niemals ihre Hinneigung zu Familie und Privatleben vergaß. Die gleichberechtigte Stellung der Frau im Beruf und vor Recht und Gesellschaft blieb ein weiteres Anliegen ihres nimmermüden Einsatzes, der sich, wie beschrieben, bis in ihre Jugend zurückverfolgen lässt. Man erinnere sich, dass erst nach ihrer Berufszeit, demnach in den Siebzigern und Achtzigern des vorigen Jahrhunderts der Kampf um die Gleichstellung für die Studien- und Arbeitswelt der Frau besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika, doch noch nicht in Lateinamerika, seinen Aufschwung erfuhr. Marianne Bopps Erbe hat auch hier Grundlagen geschaffen.
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Verstärkte Übersetzungsarbeit bis zu ihrem Tode 1985 Dieser letzte Abschnitt lehnt sich an die ihm folgende Bibliographie von Peter Bopp an, die in ihrem Umfang das Werk Frau Dr. Bopps anschaulich macht und daher integral zu dieser Gesamtarbeit gehört. Die Auflistung spricht ohne Kommentar für sich selbst. Dabei liegt die Leistung der Zusammenstellung Peter Bopps im Erfassen auch der unveröffentlichten Werke, deren meiste die posthume Publikation verdienen würden. Was Frau Bopp geleistet hat, kann einem insofern den Atem verschlagen, wenn man bedenkt, dass sie alles zu ihrer Zeit tippen musste und dafür wenig bis gar keine Hilfe hatte; hier kam ihr die Ausbildung an der Berliner Handelsschule zu Gute, wo sie auch in Tippen und Kurzschrift gedrillt worden war. In dieser nachfolgenden Bibliographie bestätigt sich, wie nahe sie ihrer Absicht gekommen war, ihre Missionsarbeit über die deutsche Kultur in Überwindung der geistigen Niederlage durch die Hitlerzeit effektvoll voranzutreiben. Ihre sprichwörtliche Unermüdlichkeit, ihr Sprachgefühl, ihr Scharfsinn und ihre Courage bringen ihre Arbeit stets auch heute und für alle Zeiten zum Leben. Sie gehört dadurch zu den auffallenden ExilSchicksalen im Rahmen der deutschen Literatur und der internationalen Germanistik, deren Namen man sich merken muss. Die von Peter Bopp zusammengestellte Bibliographie listet u.a. die Übersetzungen sehr klar nach wissenschaftlichen Grundsätzen auf. Die unveröffentlichten Publikationen und viele Memorabilien befinden sich alle im Nachlass, der noch in Peter Bopps Studierzimmer aufbewahrt wird. Unter letzteren fallen Fotos aus jungen Jahren auf, wo man sie zu Pferd durch Mexiko reiten sieht. Ein Gemälde aus dem Jahre 1942 zeigt sie als rassige, auffallende Frau in ihren besten Jahren, deren vergeistigter Blick Lebenswärme und Scharfsinn ausstrahlt. Es nimmt nicht Wunder, dass sie trotz ihrer beschriebenen Gegner viel mehr Freunde hatte, die ihr hohes Vertrauen schenkten. In der Bibliographie sei auf die Vielzahl der Zeitungsartikel und Vorträge hingewiesen, deren Titel alleine schon die Verwirklichung ihres Lebenskampfes überzeugend vermitteln. Nur erwähnt kann hier ihr deutsch-mexikanisches Archiv von etwa 29.000 Karteikarten werden, die sie über das Schaffen und Wirken Deutscher in Mexiko erstellte; dieses Archiv befindet sich im Nachlass. Dass sie von ihren zur Buchveröffentlichung geplanten Werken lange nicht alle publizieren sollte, besonders nicht viele wertvolle Übersetzungen deutscher Literatur ins Spanische, liegt am Standort ihres Lebensraumes Mexiko, wo oft die finanziellen Mittel dazu fehlten. Die Publikation ihres inhaltsvollen Gesamtwerks bleibt daher ein Arbeitsauftrag für die Nachfahren. Sie starb am 24. Januar 1985 beinahe achtzigjährig in Mexico City.
Bibliographie
(erstellt von Peter H. Bopp) Werke von Marianne Oeste de Bopp A. Bücher Von Vulkanen, Pyramiden und Hexen. Mexicanische Impressionen. Berlin: Verlag Hackebeil AG 1930 (unter dem Namen Marianne West).
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Caritas Cristianas en John Milton. Mexico D. F.: Eigenverlag 1950. (These zur Erlangung des Titels Maestría en Letras ̶ Universitätsabschluss) Influencia de los Misterios y Autos Europeos en los de México (anteriores al Barroco). Mexico D.F.: Eigenverlag 1952. (These zur Erlangung des Doktortitels) Contribución al Estudio de las Letras Alemanas en México. México D.F.: Facultad de Filosofía y Letras, Universidad Nacional Autónoma de México 1961. Alemania en la época de Humboldt: Bibliografía de Humboldt en México. Ensayos sobre Humboldt, 13 & 31. México D.F.: Universidad Nacional Autónoma de México 1962. Maximiliano y los Alemanes. Colección de Materiales para la Historiografía de México No 3. México: Sociedad de Geografía y Estadística 1965. Rafael de Zayas Enríquez y la Literatura Alemana. México: Facultad de Filosofía y Letras, Universidad Nacional Autónoma de México 1974. B. Buchmanuskripte (unveröffentlicht) Die fünfte und die sechste Freiheit. Drei Bände: Freiheit zur Freiheit – also Freiheit vom Staat — Individualismus — Freiheit vom Geschlecht – Frauenfreiheit. 1944. 1055 SS., gebunden. Lysistrata – 2000. 1946. 946 SS. Eine deutsche Kolonie. Tagebuch am Rande der Zeitgeschichte (1933 - 1947). 1957. 373 SS. Europäische Mysterienspiele in Mexico. Deutscher Text von Influencia de los Misterios y Autos Europeos en los de México. 1952. 252 SS. (Die These zur Erlangung des Doktortitels schrieb Frau Dr. Bopp auf Spanisch, Deutsch und Englisch; nur die spanische Version ist bisher veröffentlicht worden; siehe oben.) European Mystery Plays in Mexico. Englischer Text von Influencia de los Misterios y Autos Europeos en los de México (anteriores al Barroco). 1952. 332 SS. Maximilian und die Deutschen. 1965. 271 SS., gebunden. (Dieses Werk wurde bisher nur auf Spanisch veröffentlicht, siehe oben. Frau Dr. Bopp schrieb es spanisch und deutsch.) C. Kulturelle und literarische Forschungen und Bearbeitungen (veröffentlicht) Schiller (desde México). Prólogo, ensayo biográfico y recopilación de traducciones hechas en México de la Dra. Marianne O. de Bopp. México D.F.: Facultad de Filosofía y Letras No. 1, Universidad Nacional Autónoma de México 1955. Brackel-Welda, Othon E. de. Epístolas a Manuel Gutiérrez Nájera. Prólogo y recopilación de la Dr. Marianne O. de Bopp. México D.F.: Facultad de Filosofía y Letras No. 18, Universidad Nacional Autónoma de México 1957. Sealsfield, Charles. Der Virey und die Aristokraten oder Mexico im Jahre 1812. Band 8 - 9 der vollständigen Ausgabe der Werke von Charles Sealsfield. Einleitung von Prof. Dr. Marianne Oeste de Bopp. Hildesheim, York: Olms Presse 1974. Sealsfield, Charles. Süden und Norden. Band 18-20 der vollständigen Ausgabe der Werke von Charles Sealsfield. Einleitung von Prof. Dr. Marianne Oeste de Bopp. Hildesheim / New York: Olms Presse 1978.
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»Heine, Bibliografía en México«. In Dr. U. Rukser: »Heine en el mundo«, Mapocho (Santiago de Chile: Biblioteca Nacional), I, 1. Marzo 1963. »La Intervención y el Imperio — Bibliografía alemana«, La Intervención Francesa (México: Publicaciones Especiales del Primer Congreso Nacional de Historia, Sociedad de Geografía y Estadística), Nr. 24 (1963), S. 102-127. »Los Alemanes y sus amigos, miembros de la Sociedad de Geografía y Estadística«, Boletín de la Sociedad de Geografía y Estadística, XCIV (Diciembre 1963), S. 149-176. »Literatura inglesa en México«, Anuario de Letras (Facultad de Filosofía y Letras, Universidad Nacional Autónoma de México), IV (1964), S. 295-303. »Rolf Hochhut: El Vicario«, Revista de la Universidad de México (Mayo 1966), S. 7-9. »Moderne mexikanische Literatur«, Übersee Rundschau, Nr. 2 (Feb. 1966). »Wieland«, Cuadernos de Investigación Humanística (Monterrey), I, Nr. 2 (1966), S. 129147. »Luis Martínez de Castro: Hace 120 años«, Historia Mexicana (México), XVII, Nr. 4 (Abril/Junio 1968), S. 587-609. »Peter Weiss: Marat/Sade«, Gaceta UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México), 1. Abril 1968. »Peter Handke: Insulto al Público«, Revista de la Universidad de México — Hojas de Crítica, XXII, Nr. 12 (1968), S. 9. »Tieck: El blondo Eckbert y El Gato con Botas«, Gaceta UNAM, XVII, Nr. 15, 1. Agosto 1968, S. 12-13. »Die nationale Universität ist völlig autonom«, Das Parlament (Bonn), Nr. 38/39, 18. Sept. 1968. »Nueva prosa alemana: Max Frisch«, La Palabra y el Hombre (Revista de la Universidad Veracruzana, Jalapa, Veracruz, México), Nr. 46 (Abril/Junio 1968), S. 293-296. »Anestesia local« [por Günter Grass], Excelsior, 17. Nov. 1969. 3 SS. »Alemania en la época de Humboldt«, Humboldt, Revista para el mundo ibérico (Hamburg), X, Nr. 37 (1969), S. 15-20. »José Fernando Ramírez: Una visita al Barón de Humboldt«, Bücherbrief — Vocero del Libro. Publicación de la Librería Internacional, México (Julio/Sept. 1969), S. 3-8. »Contribución a una bibliografía mexicana de Alexander von Humboldt«, Bücherbrief — Vocero del Libro, Número especial 140 (Diciembre 1969). 14 SS. »Literatura alemana en México«, Boletín de Estudios Germánicos. III Jornadas Universitarias de Literatura Alemana en Córdoba, 1969, Córdoba, Argentina: Universidad Nacional de Cuyo, Facultad de Filosofía y Letras, IX (1972), S. 243-249. »La época de Beethoven«, Revista de la Universidad de México, XXV, Nr. 4 (Diciembre 1970), S. 6-12. »Carlos von Gagern«, Humboldt (Hamburg), XII, Nr. 46 (1971), S. 55-65. »Dos novelas históricas alemanas sobre México«, La Palabra y el Hombre, Nr. 7 (Julio/Sept. 1973), S. 33-39. »Sinn der germanistischen Studien in Lateinamerika«. In IV Congreso Latinoamericano de Estudios Germanísticos. Sao Paulo, Brasil 1973, S. 31-32. »El Cantar de los Nibelungos«, Boletín Bibliográfico Mexicano, XXXV (Marzo-Abril 1975), S. I-IV.
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F. Manuskripte von Vorträgen und Aufsätzen (alphabetisch geordnet) »El Aborto: derecho o delito«, Contrapunto (Enero 1984 ). 1 S. »Anestesia local« (por Günter Grass; deutsch und spanisch). Nov. 1969 ( Excelsior, 17 de Noviembre 1969). 3 SS. »Arno Schmidt« (deutsch und spanisch). 1970. 24 SS. »Las Asociaciones científicas y literarias de México en el año de 1876«. 15 SS. »Bibliografía extranjera sobre la Guerra de la Intervención y el Imperio« (Alemania). 15 SS. »Carlos von Gagern« (deutsch und spanisch). 1971. 27 SS. »Christopher Marlowe’s Dr. Faustus«. 4 SS. »Comparación de los dos saintes de Sor Juana Inés de la Cruz«. 14 SS. »Cultura Alemana y la Universidad en México«. Fernsehprogramm Televisa, 1980. 6 SS. »Deutsche Sprache in Mexiko«. Dez. 1964. 2 SS. »Deutsche Sprache und Literatur in Mexico«. Mendoza, Argentina, 1969. 12 SS. »Deutsch-jüdische Intellektuelle in Mexiko«. 43 SS. Footnotes. 5 SS.; Bibliography. 5 SS. »Deutschland in der Epoche Humboldts«. Dieser Aufsatz wurde auf Spanisch in der Zeitschrift Humboldt, Nr. 37 veröffentlicht. 22 SS. »Dürer und seine Zeit«. Universidad Nacional Autónoma de México, Mexico City, 1972. 23 SS. »E. A. Poe cómo caso insólito de rebeldía al medio ambiente«. 8 SS. »Edgar Allan Poe«. 39 SS. »El romanticismo alemán«. Sept. 1975. 29 SS. »Entrevista UNAM sobre Humboldt«. Okt. 1969. 5 SS. »Ernst Fischer: Problemas de la joven generación – Impotencia o responsabilidad«. 1963. 7 SS. »Europäische Mysterienspiele in Mexico im 16. Jahrhundert«. 14 SS. »Die Frau und der Krieg«. Kulturgruppe, 17. März 1936. 14 SS. »Friedrich Sieburg ›No sin amor‹ (Nicht ohne Liebe)«. 4 SS. »Friedrich von Schiller«. Einführung auf Deutsch zu Schiller (desde México). 13 SS. »Goethe en México«. 4 verschiedene Vorträge, 1965-1982. 13, 14, 18, 17 SS. »Grimmelshausen: Simplicius Simplicissimus« (auf Deutsch). Dez. 1977. 27 SS. »Grimmelshausen: Simplicius Simplicissimus« (auf Spanisch). Dez. 1977. 31 SS. »Hace 120 años: Luis Martínez de Castro, Historia Mexicana«. Aug. 1967. 29 SS. »Heinrich Heine« (auf Deutsch). 12 SS. »Heinrich Heine« (auf Spanisch). 14 SS. »Heinrich Heine« (auf Spanisch). Vortrag zum 100. Todestag; Übersetzungen. 59 SS. »Herder«. März 1957. 2 SS. »Historia del la Cultura Alemana«. Ciclo de Conferencias: »Final del mundo antiguo — Los Germanos«. 11 SS.; »Carlomagno y el Imperium Sacrum Romanum de N. Germánica«. 15 SS.; »El Humanismo en Alemania«. 15 SS.; »La Reforma«. 14 SS.; »El Siglo de la ilustración«. 13 SS.; »Época clásica en Alemania«. 12 SS.; »Romanticismo«. 13 SS.; »La primera Guerra Mundial«. 12 SS.; »La Época entre las dos Guerras Mundiales«. 13 SS.; »Fascismo — Nazismo«. 12 SS. »Hölderlin und Deutschland«. Deutsche Fassung des Artikels, der in Argentinien veröffentlicht wurde. 16 SS.
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»Homenaje a Schiller«. Tertulias Dramáticas – Fernsehprogram XE-IPN Canal 11, 23. Okt. 1959. 9 SS. »Homenaje al Prof. Enrique Jimenez Domiguez«. 10 SS. »Humboldt en México«. Feb. 1959. 11 SS. »La Influencia Española en el Auto Religioso de México«. 19 SS. »La intervención y el Imperio. Bibliografía alemana«. 23 SS. »Introducción a ›Meier Helmbrecht‹ de Wernher el Jardinero«. Okt. 1965. 11 SS. »Jean Paul«. 13 SS. »José Sebastián Segura«. 10 SS. »Die jüdische Exil-Intelligenz in Lateinamerika am Beispiel Mexikos«. 39 SS. »Lateinamerikanische Probleme: Germanistik in Mexiko«. 5 SS. »Lessing: Nathan el Sabio« (deutsch und spanisch). 6 SS. »Literatura inglesa en México«. 11 SS. »Martin Luthero«. 8 SS. »Matilde P. Montoya: Oda a mi patria«. 8 SS. »Maximilian und die Deutschen«: »Maximilian«. 22 SS.; »Liberale«. 11 SS. »Die Mexikanerin«. 4 SS. »Die Mexikanische Frau«. 5 SS. »Mexikos Zehnte Muse: Sor Juana Inés de la Cruz«. 17 SS. »Moderne mexikanische Literatur«. 5 SS. »Das Nibelungenlied«. Einleitung (auf Deutsch) zur 1975 veröffentlichten spanischen Übersetzung. 16 SS. »Oloardo Hassey – Historia Mexicana« (mit Bibliographie). 30. Jan. 1960. 19 SS. »Oloardo Hassey, der erste deutsche Philologe und Germanist in Mexiko«. 27. Jan. 1959. 16 SS. »Panorama der zeitgenössischen mexikanischen Literatur« (von Dr. Luquín). 17 SS. »Poetas románticos alemanes en México« (mit Übersetzungen). 100 SS. »Prosa alemana: Uwe Johnson«. 12 SS.; Jüngere deutsche Prosa: Uwe Johnson«. 11 SS. »Rasgos indígenas en los autos mexicanos«. 11 SS. »Resumen de los sonetos de Sor Juana Inés de la Cruz«. 5 SS. »Rezeption von Thomas Mann in Mexiko«. 23 SS. »Rolf Hochhuth: El Vicario«. 16 SS. »El romanticismo alemán«. Sept. 1975. 29 SS. »Schiller y sus traductores en México«. 6. Nov. 1959. 18 SS. »Sinclair Lewis«. 32 SS. »Sinn und Zweck der germanistischen Studien in Lateinamerika«. IV Congreso Latinoamericano de Estudios Germanísticos, Sao Paulo Brasil, 9. Juli 1973. 16 SS. »La situación espiritual de la mujer europea contemporánea a Sor Juana Inés de la Cruz«. 23 SS. »Spanische Literatur«. 34 SS. »Sprachförderung und Kulturpolitik«, FAZ, April 1973 . 7 SS. »Thomas Mann en México (1875-1955)«. UNAM, Filosofía y Letras, 6 de mayo 1975. 23 SS. »Thomas Mann en México«. Bibliografía. 8 SS. »Thomas Mann in Mexico«. Romanisches Seminar der Universität Bonn, 20. Juni 1973. »Thomas Mann«. Okt. 1955. 17 SS.
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»Wagner? ¿Quién es Wagner? Ricardo Wagner llega a México«. 18 SS. »Was gilt die Deutsche Literatur im Ausland?« Juni 1962. 12 SS. G. Übersetzungen ins Spanische a. Veröffentlichte Wieland, Christoph M.: »Koxkox y Kikequetzel«. Una Historia Mexicana. Traducción y Prólogo Dra. Marianne O. de Bopp. México D.F.: Facultad de Filosofía y Letras, 38, Universidad Nacional Autónoma de México 1959. Tieck ,Johann Ludwig: »El Blondo Eckbert« y »El Gato con Botas«. Traducción de Marianne Oeste de Bopp y Eduardo Garcia Maynez, Introducción y Prólogo Dra. Marianne Oeste de Bopp. México: Filosofía y Letras No 69, México: Universidad Nacional Autónoma de México 1965. »El Libro en México«. Catálogo de la Universidad Nacional Autónoma de México, para la Exposición en Alemania: Traducción de los textos, Octubre 1970. Lutero, Martin: »A la Nobleza Cristiana de Nación Alemana sobre el Mejoramiento del Estado de los Cristianos«. Traducción Dra. Marianne O. de Bopp con colaboración de Cecilia Tercero. México: Universidad Nacional Autónoma de México, Colegio de Historia, Colección Opúsculos, 89, Serie: Fuentes y Documentos 1977. El Cantar de los Nibelungos. Traducción e Introducción Dra. Marianne O. de Bopp, México: Sepan cuantos No 285, Editorial Porrúa. 1. Aufl. 1975, 2. Aufl. 1978, 4. Aufl. 1984. »Aventuras del Pícaro Till Eulenspiegel«, Anónimo, y »EL Librito del Carro« Jorge Wickram. Versión y prólogos Dra. Marianne O. de Bopp. México: Sepan Cuantos, Núm. 428 Editorial Porrúa S.A. 1984. Grimmelshausen, Johann Christof von: »Simplizius Simplizissimus«. Traducción y prólogo Dra. Marianne Oeste de Bopp. (In Vorbereitung zur Veröffentlichung im Jahre 1985 von Editorial Porrúa S.A., Mexico). b. Unveröffentlichte Manuskripte von Übersetzungen (mit Einführungen) »Edda«. Poema de los dioses. 55 SS. Roswitha von Gandersheim: »Leyendas«. 255 SS. Dramatische Werke und historische Dichtungen: »Waltharius Manufortis«. 54 SS. »El Cantar de Gudrun«. 275 SS. »Ruodlieb«. 90 SS. »El Rey Rother« (König Rother). 184 SS. Meister Eckehart: »Algunos sermones« (zweisprachig). 20 SS. Werner el Jardinero: »Meier Helmbrecht«. 61 SS. Wolfram von Eschenbach: »Parzival«. 495 SS. Hartmann von Aue: »Enrique el Pobre«. 3 SS. Hartmann von Aue: »Gregorius o el Buen Pecador«. 80 SS. »El Libro popular del Dr. Faustus«. 105 SS. Con el drama de los títeres. 57 SS. Anexo R. von Gandersheim: »Theophilus«. 6 SS. »Dr. Faustus« (Versión de los libros populares alemanes por Gustav Schwab). 82 SS.
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»Ludus decem Virginibus« (El Auto de las diez Vírgenes). 21 SS. Martín Lutero: »Escritos del año 1520«: »Introducción«. 6 SS. »De las buenas obras«. 105 SS. »De la prisión babilónica de la Iglesia«. 127 SS. »De la libertad del hombre cristiano«. 25 SS. »Una misiva al Santísimo Padre, Leon Décimo«. 11 SS. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: »Simplizius Simplizissimus« (2 Bände). 593 SS.; »Simplizius Simpizissimus« (Versión condensada). 100 SS.; »Simplizius Simplizissimus« (Versión condensada bilingüe). 103 SS. Jeremias Gotthelf: »Uli el peón« (2 Bände). 392 SS. Victor von Scheffel: »Eckehard«. 389 SS. (Novela histórica sobre el Siglo X en Alemania. Incluye el Cantar de »Waltharius Manufuortis«. 54 SS. Heinrich Clauren: »El novio de México« (Karl Gottlieb Heun). 83 SS. (Der Bräutigam aus Mexico) Obra de teatro de 1817. Heinrich von Kleist: »El principe Federico de Homburgo«. 93 SS. Christoph Martin Wieland: »Don Silvio de Rosalba«. 112 SS. »Rafael de Zayas Enriquez y la literatura Alemana«. (Con sus escritos y poemas traducidos). 267 SS. Heinrich Heine: Gedichte, Huitzilopochtli, u.a. 280 SS. Traducciones del Mundo Romántico: Carolina Schelling a Schelling. Enero 1801. 4 SS. Guillermo Grimm: »Prólogo de los cuentos de Hadas«. 1812. 4 SS. Jacobo Grimm a Arnim. 20 de Mayo de 1811. 5 SS. Achim von Arnim: »Sobre la canciones populares«. 1805. 14 SS. E.Th.A. Hoffmann: »Opiniones sobre la vida del Gato Murr«. 21 SS. E.Th.A. Hoffmann: »Cartas a Hippel«. 1805. 22 SS. Heinrich v. Kleist: »Sobre el teatro de títeres«. 12 SS. F.W.J. Schelling: »Sobre la relación de las artes plásticas a la naturaleza«. 37 SS. L. Tieck: »La montaña misteriosa« (Runenberg). 24 SS. Bettina Brentano: »Cartas«. 33 SS. Wilhelm Wackenroder y Ludwieg Tieck: »Efusiones sentimentales del corazón«. 11 SS. L. Tieck a Solger. 1813. 9 SS. Novalis: »La cristianidad ó Europa«. 20 SS. Friedrich Hölderlin: »Hyperion a Bellarmin«. 16 SS. W. Schlegel y Federico Schlegel: »Fragmento Athäneum«. 1798. 26 SS. A.W. Schlegel: »Athäneum«. 1800. 6 SS. A.W. Schlegel: »Athäneum III Conversación sobre la poesía«. 1800. 23 SS. A.W. Schlegel a Schleiermacher. 9 de Junio de 1800. 4 SS. A.W. Schlegel: »Conferencias en Berlin«. 1802. 8 SS. Gustav Freytag: »Debet y Crédit«. Fragmento. 34 SS. Gerhadt Hauptman: »El Salvador Blanco« (Der weiße Heiland). 1920. 129 SS. H. Übersetzungen ins Deutsche (unveröffentlichte Manuskripte) Samuel Ramos: »Die Kultur und der Mensch Mexicos«. 13 SS. Margarita Lopez Portillo: »Bilder aus dem Leben von Sor Juana Inés de la Cruz«. (Estampas de Sor Juana Inés de la Cruz). México, 1978. 108 SS.
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I. Frühe Schriften (Manuskripte) »Nachtrag zum Nürnberger Prozess«. Nov. 1946. 2 SS. »Hemëis«. März 1947. 189 SS. »Die Verschwörung«. Dez. 1947. 30 SS. »Des Menschen Freiheit und Würde« (Novelle). 1947. 38 SS. »Die Bohnen« (Novelle). 1947. 38 SS. »Das Ewige« (Kurzgeschichte). Februar 1949. 12 SS. »Bananen« (Kurzgeschichte). August 1949. 17 SS. »El Diario proceso de Escribir«. 1950. 27 SS. »Plátanos«. 19 SS. Sekundärliteratur: Artikel und Angaben über Marianne Oeste de Bopp: Batis, Huberto: »Maximiliano y los Alemanes« (Buchbesprechung), Siempre! Presencia de México, Nr. 636, 1. Sept. 1965, S. XVI. Brandt, Oskar Peter: »Tagebuch eines Globetrotters – Die Macht der Generäle ist gebrochen«, Frankfurter Illustrierte, Nr. 25, 18. Juni 1960, S. 42. Bouchspies, Franz: »Centenaria Amistad de México y Alemania«, El Tiempo (Monterrey, N.L.), 30. Nov. 1966. »Bundesverdienstkreuz für Marianne Bopp«, Fränkische Nachrichten, 17./18. Juli 1965. Chencinsky, Jacobo: »Alemania en México« (Buchbesprechung: Contribución al estudio de las letras alemanas en México), Historia Mexicana, XI, Nr. 2 (Oct.-Dic.1961), S. 278-281. »Con la Doctora Marianne Oeste de Bopp«, La Hora (Guatemala), 24 de Mayo 1960. Echeverria H, Javier: »Primer Germanista de México«, La Prensa (México), 17. Oct. 1966. Garibay, Angel Ma.: »Vigor germánico«, Novedades, 13. Sept. 1961. Gonzalez, Luis: »Historia de la Historia. Estudios sobre la historiografía de la Nueva España, Cédula Bibliográfica«, Historia Mexicana (Colegio de México), XV, Nr. 58-59/2-3 (Oct. 1965 - Marzo 1966), S. 211. Gonzales Aguirre, Gloria: »Surgimiento de la Mujer como Potencia en el Mundo Moderno«, México en la Cultura, Novedades, 15 Julio 1962. Lizalde, Eduardo: »Dra. Marianne O. de Bopp, Schiller«, Revista de la Universidad de México, X, Nr. 6 (1956), S. 30. Krauze, Helen: »Dra. Marianne O. de Bopp«, Novedades, 14 de Marzo de 1961. Koester, Gerda: »Ein Besuch in der UNAM«, Humboldt – Post – Schülerzeitung der Deutschen Schule in Mexico, 11. Mai 1967, S. 44-45. »Marianne Oeste de Bopp — Nuevo profesor de Tiempo Completo en la U.N.A.M«, Gaceta de la Universidad, II, Nr. 32, 8 de Agosto de 1955. Maruxa: »Mujeres que Trabajan – Enseñando el Alemán«, Excelsior, 28 de Febrero 1958, S. 1B. Ortega y Medina, Juan A.: »Contribución al estudio de las letras alemanas en México« (Buchbesprechung), Revista de Historia de América, Instituto Panamericano de Geografía e Historia (México), Nr. 53-54 (Junio-Dic. 1962), S. 242-243. Rall, Marlene und Dieter: »Bibliografía de Estudios Germanísticos en México – 19491994«. UNAM, Facultad de Filosofía y Letras, Dirección General de Asuntos del Personal Académico, 1994, S. 3, 13, 14, 27, 53, 55, 57, 62, 67, 77.
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Ritter, Alexander (Itzehoe, Germany): »Literaturwissenschaft und deutschsprachige Literatur des Auslands: Eine Tour d’Horizon zum Forschungsstand«, GermanCanadian Yearbook (Toronton), IV (1978), S. 215-224. Ruckser, Udo: »Die deutsche Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts in Lateinamerika«, Neue Züricher Zeitung, 2. Okt. 1960, S. 5. Ders.: »Mexiko und die Deutsche Kultur«, Neue Züricher Zeitung, 22. Juni 1961. Schneider, Hans: »Oeste de Bopp, Marianne. Contribución al Estudio de las Letras Alemanas en México«, Mitteilungen des Instituts für Auslandsbeziehungen, 2./3. Apr.Sept. 1961.
Anmerkungen 1
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Der 8. Lateinamerikanische Germanistenkongress in Mexico City, 23. bis 26. Oktober 1994, den Peter Pabisch besuchte. Damals lernte er Marlene und Dieter Rall sowie den ehemaligen Vertreter des DAAD (des Deutschen Akademischen Austauschdiensts) Roland O. Zirpins Huber in Mexiko kennen. Dieser ersten Begegnung folgte eine langjährige Zusammenarbeit mit gegenseitigen Besuchen der germanistischen Programme zwischen den beiden Universitäten UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México) und dem Instituto Politecnico Nacional (IPN) in Mexico City auf der einen und der UNM (University of New Mexico) in Albuquerque auf der anderen Seite — auch im Rahmen der Kulturarbeit der damals gegründeten Kulturvereinigung der Atlantischen Brücke am Camino Real (ABCR). Das deutsche Gelehrtenehepaar Dieter und Marlene Rall gehörte seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zum frühen Tode Marlene Ralls nach der Jahrtausendwende zu den führenden Germanisten in Lateinamerika und wirkte an der ›Facultad de Filosofía y Letras‹ meist in der Nachfolge Marianne Oeste de Bopp. Eine Krönung ihrer Arbeit lag in der Einberufung und Programmleitung des lateinamerikanischen Germanistenkongresses 1994 in Mexico City, worüber sie auch einen Kongressbericht publizierten (siehe Bibliographie). Marlene Rall u. Dieter Rall, coordinadores: Bibliografía de Estudios Germanísticos en México: 1949 – 1994 (México D. F.: UNAM, Ciudad Universitaria 1994). Darin sind elf Werke von Marianne Oeste de Bopp verzeichnet. Peter Bopp lebt mit seiner Frau Vera, einer Künstlerin und Fremdsprachenpädagogin, seit 2003 in Santa Fe, wirkt aber noch immer weltweit und vielsprachig als Designer von technologischen Fabrikanlagen. Daneben betreut er den Nachlass seiner Mutter mit Einsatz und Hingabe. Marianne Oeste de Bopp: Eine deutsche Kolonie: Tagebuch am Rande der Zeitgeschichte (1933 – 1947). Digitalfassung des maschinengeschriebenen Originalmanuskripts von und bei Peter Bopp (Santa Fe), ca. 2006. Das Latin American and Iberian Institute (LAII) hat seinen Sitz an der UNM in Albuquerque und veranstaltete mit dem Germanistischen Programm der Univertsität vom 9. bis 11. November 2000 einen internationalen Kongress zum Thema: »The European Union and the Americas: Trade, Politics and Culture«, der Kultur- und Wirtschaftsphänomene der Gegenwart in den Amerikas, Europa und Afrika diskutierte. Von 1924 bis 1928 war Plutarco Elias Calles Präsident von Mexiko. Marianne Oeste de Bopp: »Die Frau und der Krieg«. Vortrag am 17. März 1936 in Mexico City; zusammengestellt von ihr mit dem Mitteilungsblatt Deutscher Frauen-Verein in Mexico am Ende, das um die Mitte April 1936 erschienen war. 15 maschingeschriebene SS. Das ist die offizielle Verbindungsgruppe zu Nazideutschland. Zu den Abkürzungen der Namen: Aus Rücksicht auf die noch zum Teil heute lebenden Nachfahren vermied es Marianne Bopp, die vollen Namen einzufügen. Eine Entschlüsselungsliste dieser Namen existiert aber im Nachlass.
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Münchner Abkommen zwischen dem britischen Premierminister Chamberlain und Adolf Hitler. Die Schwarze Liste von allen Deutschen im Ausland während der Hitlerzeit wurde von den U. S.-Botschaften weltweit aus wirtschaftlichen Überlegungen geführt, um den Handel mit Deutschen zu unterbinden — so auch in Mexiko. Dieses »Tagebuch« erwartet noch seine Drucklegung als einzigartiges Zeitdokument. Eine digitalisierte Kopie des Originals liegt in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt auf, wohin eines Tages der gesamte Nachlass der Forscherin gesandt wird. Marianne Oeste de Bopp, siehe Bibliographie. Othon E. de Brackel-Welda, ein Deutscher, der im 19. Jhd. nach Mexiko auswanderte und dort aktive humanistische Studien zur Bereicherung des mexikanischen Geisteslebens betrieb. Marianne Oeste de Bopp: Sinn und Zweck der germanistischen Studien in Lateinamerika. 1961. Spanische und deutsche Fassung. Marlene u. Dieter Rall: Bibliografía de Estudíos Germanísticos en México: 1949-1994, ebd., S. 3. Actas del VIII Congreso Latinoamericano de Estudios Germanísticos: México, 24 al 28 de octubre de 1994 = VIII. Lateinamerikanischer Germanistenkongress : tan lejos y tan cerca : contactos lingüísticos, literarios y culturales entre Latinoamérica y la Europa de habla alemana. Hg. Dieter und Marlene Rall (México, D.F. : Universidad Nacional Autónoma de México, Facultad de Filosofía y Letras, Centro de Enseñanza de Lenguas Extranjeras 1996).
W. GUNTHER PLAUT — »EIN RABBI FÜR GANZ KANADA« JAMES M. SKIDMORE1 W. Gunther Plauts Erfahrungen als Emigrant aus dem nationalsozialistischen Deutschland veränderten sein Leben auf tiefgreifende und unumkehrbare Weise. Dasselbe kann sicherlich von vielen der Abertausenden von Menschen gesagt werden, die vor dem Hitler-Regime flohen, doch für Plaut trifft diese Aussage noch in einem ganz besonderen Sinn zu. Das Aufkommen des Nationalsozialismus löste bei Plaut ein neues Verhältnis zu seinem jüdischen Glauben aus, das maßgebend für sein Leben und Werk werden sollte. Sein Bedürfnis, die ethischen Grundsätze des Reformjudentums im öffentlichen Leben anzuwenden, drängte ihn außerdem dazu, eine aktive, über das gewöhnliche Engagement weit hinausgehende Rolle im staatlichen Gemeinwesen wahrzunehmen. Der Mann, der heute als Gelehrter des Reformjudentums, als Sprachrohr der Juden in ganz Nordamerika und als Verfechter der Menschenrechte gefeiert wird, wurde erst durch die Vertreibung aus seiner Heimat durch das Hitlerregime zu der Persönlichkeit, die er heute ist. Ursprünglich wollte der junge Mann, der heute Träger zahlreicher Ehrendoktortitel, Würdigungen und Auszeichnungen ist, in Deutschland Rechtsanwalt werden. Doch das Exil erweckte in ihm den Wunsch, sich für seine Glaubensbrüder und -schwestern so konkret wie möglich und im Rahmen eines weiterreichenden, öffentlichen Diskurses zu engagieren. Man kann wohl Plauts Leben am besten verstehen, wenn man die verschiedenen Themen und Fragestellungen näher betrachtet, zu denen Plaut mit seiner singulären und einflussreichen Stimme Stellung bezog. Während der erste Teil dieses biographischen Artikels einen Abriss der Stationen von Plauts Lebensweg geben wird, sollen im zweiten Teil Plauts Beiträge zum Reformjudentum, zu Fragen des Judentums generell, zu Bürgerund Menschenrechten sowie anderen Aspekten des öffentlichen Diskurses genauer untersucht werden. Eine abschließende Betrachtung wird Plauts Verhältnis zu Deutschland und der Bedeutung des Exils für sein Leben gewidmet sein.
Lebenslauf Wolf Günter Plaut (später anglisierte er seinen Namen zu W. Gunther) wurde am 1. November 1912 in Münster geboren. In seinem dritten Lebensjahr zogen seine Eltern, Jonas und Selma (geb. Gumprich) Plaut nach Berlin um. Jonas Plaut war von Beruf Lehrer. In Münster war er Direktor des jüdischen Lehrerseminars gewesen, in Berlin war er zunächst Rektor der jüdischen Mädchenschule in der Kaiserstraße und wurde schließlich Leiter des berühmten, 1833 gegründeten, jüdischen Waisenhauses, das nach seinem Gründer Baruch Auerbach schlicht »Auerbach« genannt wurde. Berlin sollte bis 1935 Plauts zuhause bleiben. Er ging dort zur Schule und begann 1930 ein Jurastudium an der Universität Berlin. Während seines Studiums verbrachte er auch ein Jahr in Heidelberg. Er war ein begeisterter Tennis- und Schachspieler sowie bis 1933 Mitglied der Sozialdemokratischen Studentenvereinigung. 1933 legte er an der Universität Berlin sein erstes juristisches Staatsexamen ab, 1934 erlangte er den Doktortitel. Seine Doktorarbeit mit dem Titel Die materielle Eheungültigkeit im deutschen und schweizerischen internationalen Privatrecht wurde 1938 veröffentlicht.
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Trotz hervorragender Ausbildung waren dem jungen Plaut sämtliche Berufschancen verbaut, da es ihm nicht erlaubt war, im Dritten Reich als Rechtsanwalt tätig zu werden. Sein Vater, der überzeugt war, dass die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland sich nicht lange halten würde und damit bald auch die anti-jüdischen Restriktionen zu Ende gehen würden, legte Plaut nahe, sich an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin für Jüdische Studien einzuschreiben, um mehr über seinen Glauben zu lernen. Präsident der Lehranstalt war der Rabbiner Leo Baeck, eine führende Figur in der World Union of Progressive Judaism. Plauts Hebräisch-Kenntnisse waren begrenzt, und so nahm er vor Beginn seines Studiums an der Lehranstalt einige Monate lang Unterricht bei Abraham Joshua Heschel, einem polnischen Juden, aus dem später ein bekannter Philosoph wurde. Im Jahr 1935 erhielt Baeck vom Hebrew Union College (HUC) in Cincinnati die Nachricht, dass für fünf seiner Studenten Stipendien zum Studium am American Reform Seminary des HUC zur Verfügung stünden, und Baeck empfahl Plaut für eines der Stipendien. Plaut nahm das Angebot an — trotz seiner Unsicherheit, ob er tatsächlich Rabbiner werden wollte. Seine Eltern stimmten dem Arrangement unter der Bedingung zu, dass Plaut nach zwei Jahren wieder nach Berlin zurückkehren solle. Plaut traf im September 1935 in Cincinnati ein. 1937 kehrte er getreu seinem Versprechen nach Berlin zurück — jedoch nur kurz, um auf Wunsch seiner Eltern seinen jüngeren Bruder Walter in die Vereinigten Staaten zu begleiten, wo dieser am Franklin und Marshall College in Pennsylvania sein Studium aufnehmen sollte. In Cincinnati lernte Plaut auch seine zukünftige Frau, Elizabeth Strauss, kennen. Die beiden heirateten am 10. November 1938. Nach seiner Ordination im Jahre 1939 trat Plaut seine erste Stelle als Rabbiner des Washington Boulevard Temple in Chicago an, wo er bis 1948 blieb. Sein Sohn Jonathan kam 1942 zur Welt, seine Tochter Judith (Judy) 1947. Am 29. März 1943 erhielt Plaut die amerikanische Staatsbürgerschaft. Am darauffolgenden Tag trat er als Militärgeistlicher in die United States Army ein (zunächst im Rang eines Lieutenant, später befördert zum Captain). Er blieb bis 1946 bei der Armee. 1945 wurde ihm der »Bronze Star«, die Tapferkeitsmedaille der USA in Bronze, verliehen. Im April desselben Jahres war er Zeuge der Befreiung des Konzentrationslagers Dora-Nordhausen (Nordhausen war der Produktionsstandort der V-2Rakete). Während des Krieges erhielten Plauts Eltern, die 1939 noch rechtzeitig nach England hatten fliehen können, die Einreiseerlaubnis in die Vereinigten Staaten und ließen sich zunächst in Cincinnati nieder, später dann in Toledo und Chicago. Von 1948 bis 1961 stand Plaut als Rabbiner der Mount Zion Hebrew Congregation in St. Paul, Minnesota vor. Während dieser Zeit engagierte er sich rege im öffentlichen Leben, von 1953 bis 1959 fungierte er als Präsident der St. Paul Gallery and School of Art und von 1958 bis 1961 als Vorsitzender des Governor’s Committee on Ethics in Government, einem politischen Ausschuss zu Fragen der Ethik in der Politik. 1961 nahm er das Angebot an, Oberrabbiner am Holy Blossom Temple in Toronto zu werden und ist seither dieser Gemeinde zuletzt als Senior Scholar und Rabbi Emeritus verbunden. Plauts Gemeinde in Toronto, Holy Blossom Temple, ist eine der größten jüdischen Reform-Gemeinden in Nordamerika. Hier bot sich ihm die Gelegenheit, sein Engagement für das jüdische wie das allgemeine Leben auszuweiten. 1970 war er Vorsitzender der United Jewish Appeal Campaign in Toronto, von 1975 bis 1977 Zweiter Vorsitzender des Canada-Israel Committee. Von 1977 bis 1980 fungierte er als National President des Canadian Jewish Congress. Er war Mitglied des Governing Board der World Union of Progressive Judaism und von 1983 bis 1985 Präsident der
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Central Conference of American Rabbis, der größten Vereinigung von Reform-Rabbinern überhaupt. Von 1978 bis 1985 war er stellvertretender Vorsitzender der Ontario Human Rights Commission, und von 1987 bis 1998 als Adjudicator, eine Art kommissionsinterner Richter, im Dienste dieses Gremiums tätig. 1984 ersuchte ihn die kanadische Regierung, eine Untersuchung zum Verfahren der Überprüfung von Asylansprüchen in Kanada durchzuführen; 1985 legte Plaut hierzu seinen Bericht mit dem Titel »Refugee Determination in Canada« vor. Plaut wurde vielfach ausgezeichnet und geehrt. 1978 wurde er zum Officer of the Order of Canada ernannt, 1999 zum Companion. 1999 wurde ihm auch das Große Verdienstkreuz verliehen. 1993 wurde ihm der Order of Ontario verliehen. Er erhielt die Ehrendoktorwürde vom Hebrew Union College, von der University of Toronto, dem Cleveland College of Jewish Studies, der York University, der McMaster University und der Ontario Law Society. Auch von anderen Organisationen wurde er mit Preisen ausgezeichnet, etwa mit dem Canadian Council of Christians and Jews Humanitarian Award, mit der Sadowski Medal for Civic Service und dem Holy Blossom Temple’s Plaut Humanitarian Award (Plaut war der erste Träger dieses nach ihm benannten Preises). Auch sonst zeugt Plauts Leben von seiner unerschöpflichen Energie: Als begeisterter Tennisspieler seit seiner Jugend durfte Plaut Deutschland 1935 bei den Jüdischen Olympischen Spielen (der Makkabiade) in Tel Aviv vertreten. Auch in Nordamerika spielte er weiterhin Tennis und begann darüber hinaus mit dem Golfspielen; beide Sportarten übte er noch bis ins hohe Alter aus. Seit einigen Jahren leidet er an Alzheimer. Sein Nachlass befindet sich im kanadischen Nationalarchiv in Ottowa.
Plauts Beiträge zum jüdischen Gemeindeleben Plaut stellte sein Leben in Nordamerika ganz in den Dienst des jüdischen Volkes. Fast vierzig Jahre lang stand er als Rabbiner einer Gemeinde vor und nahm während dieser Zeit aktiv an allen Bereichen des jüdischen Lebens in Nordamerika teil. Wie er selbst berichtete, erlebte er seine erste Stellung in Chicago als frustrierend, da die dortige traditionell orientierte Gemeinde in ihrem Rabbiner nur den Geistlichen sehen wollte; weiterreichende Foren, die ihm Einfluss auf regionaler und auch nationaler Ebene geboten hätten, blieben ihm verschlossen, was weder seinem Charakter noch seiner Einstellung entsprach.2 Seine Anstellungen in St. Paul und in Toronto hingegen eröffneten ihm die Möglichkeit, Kultur und Lehre des nordamerikanischen Reformjudentums mitzugestalten und zugleich die jüdische Gemeinde innerhalb der Gesamtgesellschaft zu repräsentieren. Wie bereits erwähnt war Plauts Amerikareise durch die Kontakte Rabbi Leo Baecks zu den jüdischen Institutionen Nordamerikas zustande gekommen. Baeck war selbst während einer Rundreise durch die USA in Cincinnati gewesen und daher den Dozenten des Hebrew Union College bekannt. Plaut fiel in Amerika sofort auf, wie weit sich die Glaubenspraxis des amerikanischen Reformjudentums von den Gebräuchen entfernt hatte, mit denen er in Deutschland als Mitglied einer Liberalen jüdischen Gemeinde aufgewachsen war (wobei das Liberale Judentum Europas ungefähr dem Konservativen Judentum in den USA entspricht). Plaut und die vier anderen Studenten, die mit ihm aus Berlin gekommen waren, erlebten eine schockierende Überraschung, als sie ihren ersten Gottesdienst besuchten und dabei, ihren Traditionen gemäß, große Hüte trugen während die übrige Versammlung ohne Hut kam. Der
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Rabbiner, der den Gottesdienst hielt, David Philipson, wies sie darauf hin, dass er sie aus der Synagoge werfen würde, wenn dies noch einmal vorkäme. Plaut wurde vom Seminar in Cincinnati außerdem angehalten, sein eifriges Propagieren zionistischer Ideen zu dämpfen. Plaut merkt an3, dass sich in der Reformbewegung gerade zu der Zeit, als er in Amerika ankam, ein tiefgreifender Wandel vollzog. Bis dahin war sie hauptsächlich von der Idee der Assimilation geprägt gewesen, von dem Ziel, amerikanische und jüdische Traditionen zu verbinden, was ganz konkret dazu führte, dass mit der Zeit eine Reihe liturgischer und kultureller jüdischer Bräuche aufgegeben wurden. Die Veröffentlichung der Columbus Platform von 1937 jedoch — das Manifest war nach der Stadt benannt worden, in der sich die Führer des Reformjudentums getroffen hatten, um ihre Glaubenssätze und –praktiken neu zu formulieren — löste eine betonte Rückwendung zu liturgischen Bräuchen aus. Diese Wende wurde noch verstärkt durch globale Ereignisse wie das Aufkommen des Antisemitismus in Deutschland, die daraus resultierende Emigration Tausender deutscher Juden nach Amerika, den Holocaust und die Gründung des Staates Israel. Plauts Beitrag zu dieser Entwicklung ist vor allem in seiner Betonung des Gedankens der Mitzwa, der Autorität, zu sehen. Der Vorstellung vom Bund zwischen Gott und dem Volk Israel und dem Erwählungsakt Gottes in der jüdischen Theologie rückten für ihn mehr und mehr ins Zentrum: »The chief consequence for Jews of the covenant was mitzvah, and while there was room for interpretation Judaism without all authority was an oxymoron.«4 Wollte man diesen Gedanken in die Praxis umsetzen, so bedeutete dies, dass die Reformgemeinden, die nach Plauts Ansicht zur Zeit seiner Ankunft in den USA nur ein Minimum an Zeremonien und Riten praktizierten, mehr traditionelle jüdische Gebräuche in ihre Glaubenspraxis aufnehmen mussten. Für Plaut gehörte es untrennbar zum Jüdisch sein, diese Glaubenspraktiken zu akzeptieren. Sie zu ignorieren hieße, einen integralen Bestandteil des jüdischen Lebens zu negieren. Dieser Standpunkt hat ihm das Etikett »right wing« und sogar das eines Orthodoxen5 eingetragen. Plauts Unbehagen als Rabbiner in Chicago und sein Enthusiasmus für sein Rabbinat in Toronto hingen davon ab, wie groß das Interesse seiner jeweiligen Gemeinde an der Überprüfung ihrer eigenen religiösen Ausdrucksformen war. Dow Marmur hat angemerkt, dass Plaut dem liberalen, traditionsverbundenen Judentum, das er aus Deutschland kannte, auch in Amerika treu geblieben war: »[He] remained faithful to the kind of Liberal Judaism he had practised in Germany. This Judaism showed great respect for tradition and was committed to being part of K’lal Yisrael: the totality of the Jewish people. His contribution to Reform Judaism in North America reflects this.«6 Plaut leistete seinen Beitrag zu den Diskursen, die das Reformjudentum über die vergangenen siebzig Jahre hinweg formten, sowohl von der Kanzel herunter als auch durch sein Mitwirken in einer Reihe von Organisationen der Reformbewegung (z.B. der Central Conference of American Rabbis und der World Union of Progressive Judaism). Die nachhaltigsten Spuren hinterließ er in der Reformbewegung jedoch ohne Frage mit The Torah: A Modern Commentary. Plaut selbst nennt dies sein »magnum opus« (MUB 149), mit gutem Grund: Der »Plaut commentary« ist allein auf Englisch über 400.000 mal verkauft worden7, und er hat, indem er Kommentare von Seiten der Konservativen wie auch von anderer Seite hervorrief, das jüdische Thora-Studium selbst verändert.8 Robert Gordis etwa sieht die große Bedeutung der Kommentare darin, dass sie den hebräischen Text Lesern zugänglich machen, die nicht des Hebräi-
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schen mächtig sind, und nennt sie einen »significant milestone in the development of Reform Judaism«.9 Den ersten Kommentar, zu Genesis, veröffentlichte Plaut 1974. 1981 erschienen dann die Kommentare zu allen fünf Büchern der Thora in einem einzigen Band, den Plaut ediert und um die Kommentare zu den Büchern Genesis, Exodus, Deuteronomium und Numeri erweitert hatte; der Kommentar zum Buch Levitikus wurde von Bernard J. Bamberger fertiggestellt. Die Thora-Kommentare bestehen aus dem zweisprachigen Text (in Hebräisch und Englisch), unter dem die Anmerkungen erscheinen. Am Ende eines jeden Kapitels sind noch weitere, umfassendere Kommentare angefügt. Ein Kapitel mit der Überschrift »Gleanings« (»Nachlese«, »Gesammeltes«) enthält kurze Auslegungen aus einer ganzen Reihe unterschiedlichster Quellen (dem Talmud und dem Midrasch, mittelalterlichen Texten, asiatischer Literatur, zeitgenössischen Schriften). Ein gesonderter Abschnitt, betitelt Haftarot, bietet ausgewählte Stellen aus den Propheten zum Gebrauch im wöchentlichen Gottesdienst. Das einbändige Werk bringt es auf fast zweitausend Seiten. Plaut berichtet, er wisse sogar von Synagogen, die extra neue Bänke einbauen ließen, auf denen das massive Werk Platz fand. (MUB 149) Der bis dahin aktuellste Kommentar in englischer Sprache stammte von Joseph H. Hertz, dem Oberrabbiner Großbritanniens; er war in den dreißiger Jahren entstanden und im Ton ausgesprochen apologetisch, eine Reaktion auf den aufkommenden Antisemitismus jener Zeit. (UB 214) Das Hauptproblem am Hertz-Kommentar war jedoch, dass es den weithin akzeptierten Glauben vertrat, die Thora sei »revealed by God himself«, also von Gott selbst offenbart, und stehe daher unantastbar über allen späteren Deutungen und Auslegungen (»being God’s word the Torah was flawless and in every way superior to later insight«). (UB 215) Plaut vertritt hingegen die Überzeugung, dass die Thora von Menschen zusammengestellt wurde und daher nicht »strictly divine revelation but rather a repository of centuries of tradition« und somit »a book about humanity’s understanding of and experience with God«10 sei. Gordis sieht die zentrale Errungenschaft der Kommentare darin, dass sie zwischen »exegesis, the interpretation of the original meaning of the text, and eisegesis, the reading into the text of the later religious, ethical, legal and philosophical ideas«11 unterscheiden. Mit anderen Worten, die Kommentare verbinden Traditionen mit neuen Perspektiven. Gregory Baum geht noch weiter, indem er behauptet, die Kommentare seien in einem ökumenischen Geist geschrieben. Er betont außerdem ihre wichtige Bedeutung für das Reformjudentum und bringt Plauts eigenes Reformanliegen auf den Punkt: »The desire to adapt to the spirit of the modern world has often made Reformed Jews forget significant aspects of the Jewish tradition and estranged them from their own biblical literature. The present five-volume commentary has been projected to revitalize Reform Judaism and bring it in touch with the biblical tradition.«12 Plauts Werdegang in Nordamerika, wie auch sein Thora-Kommentar, sind geprägt von dem Wunsch, bei den Reformjuden Amerikas das Wissen um ihre kulturellen und religiösen Wurzeln zu erweitern und vertiefen, ohne dabei die aktuellen Positionen des Reformjudentums und seine fortschrittlichen Antworten auf die wissenschaftlichen und sozialen Entwicklungen in der westlichen Gesellschaft zu kompromittieren. Der zweite Bereich, in dem sich Plauts führende Rolle in der jüdischen Gesellschaft Nordamerikas äußerte, war seine unbeirrbare Unterstützung Israels. Die Solidarität mit Israel stellt einen nicht wegzudenkenden Teil von Plauts jüdischem Selbstverständnis dar und seinem Verständnis davon, was es heißt, Jude zu sein. So wie
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Plaut der festen Überzeugung ist, dass jeder Jude jüdische Literatur lesen sollte (um sich mit den historischen jüdischen Traditionen vertraut zu machen) und jüdisch heiraten sollte (damit diese Traditionen auch weiter gepflegt werden), so fand er auch, dass alle Juden Israel besuchen und persönlich kennen lernen sollten.13Er selbst reiste mehrfach nach Israel, traf sich mit zahlreichen israelischen Staatsoberhäuptern und Regierungschefs und trat für Programme ein, die Reisen nach Israel förderten. Von noch größerer Bedeutung war jedoch Plauts immer wieder öffentlich bekundete Unterstützung für Israel. Seine Verbundenheit mit dem Land ist geknüpft an sein Verständnis von Israel als dem »Gelobten Land« — »the Promised Land, the birthplace of the Bible, the land where men responded to God more keenly than anywhere else, where they saw visions rarely seen elsewhere«.14 Plaut vergisst nicht, dass dieses Gebiet fast der Hälfte der Weltbevölkerung als heilig gilt, betrachtet aber dennoch den Staat Israel als das Gelobte Land, das für die Juden eine so besondere Bedeutung hat: »Every Jew can freely go to the land and settle there if he so desires. [...] It is difficult to explain what this means to a Jew. One can perhaps understand it only from the inside of a people which has always known insecurity as the accompaniment to its dreams and anxieties.«15 Für einen Holocaust-Überlebenden kommt der Sicherheit, dem Wissen, dass es immer ein Heimatland geben wird, eine außerordentliche Bedeutung zu. Plaut hat Israel das gesamte zwanzigste Jahrhundert hindurch vehement und hartnäckig verteidigt. Nie hat er in seiner unumschränkten Unterstützung gewankt, und Kritik versuchte er immer auf die jüdischen Kreise zu beschränken: »I freely confess that when push came to shove, as the saying goes, I tried to protect Israel as much as I could manage in full honesty, and I conveyed my criticism of Israel to the Jewish community through its own media. Israel had enough enemies as it was, and I did not have to line up with them.« (MUB 71) Israel bedurfte dringend der Fürsprecher und Verteidiger, und hierin lag die Triebfeder für Plauts Arbeit im Dienste des jüdischen Staats. Während des YomKippur-Kriegs 1973 half er mit, Demonstrationen zu organisieren, hielt öffentliche Reden, schrieb Zeitungsartikel zur Verteidigung Israels. 1975 half er bei der Gründung der Organisation Canadians Against PLO Terror, die die Teilnahme einer PLODelegation an der Torontoer UN-Konferenz zum Terrorismus zu verhindern suchte. In den Zusammenhang mit dem Libanon-Krieg 1982 und der daraus resultierenden Problematik der israelischen Besetzung des Landes in den achtziger Jahren gehört eine Geschichte, die Plaut in seinen Memoiren (MUB 63-73) erzählt. Die Massaker von Sabra und Shatila hatten, aus Sicht Plauts und seiner Anhänger, einer antiisraelischen Stimmung in der Medienberichterstattung über den Nahen Osten Vorschub geleistet: »For the media remained unrelenting, and the focus was invariably on Israel’s behaviour, rarely on that of others.« (MUB 67) Er schreibt, dass er gebeten wurde, eine Informationskampagne im Gang zu bringen, was er mit der Hilfe eines kleinen Teams anging (MUB 67, 68), wobei er allerdings nicht erwähnt, wann dies stattfand, wer an ihn herantrat oder wer ihm half. Die Gruppe hegte die Befürchtung — die auch er teilte —, dass ein Anwachsen anti-israelischer Stimmungen auch antisemitische Gefühle schüren würde, und so war die logische Konsequenz, dass man, um das Letztere zu bekämpfen, auch das Erstere bekämpfen musste. Das Ergebnis war eine Reihe von Artikeln und Reden in den achtziger Jahren, in denen er argumentierte, dass Israel trotz seiner unleugbaren Fehler eine Demokratie sei und nennt die Israelis »a democratic people with a high level of moral sensitivity«.16 Israel werde infolge seiner Probleme mit unfairen, überhöhten Erwartungen konfrontiert, und das
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Land werde an einem höheren Standard gemessen, als seine Nachbarn oder andere Gesellschaften.17 Plauts Verteidigung Israels ist nicht undifferenziert. So hat er selbst eingeräumt, dass die anfängliche kanadisch-jüdische Unterstützung für Israel keinerlei Kritik an dem Land zuließ, und er scheint sich selbst jenen zuzurechnen, die diese Position vertraten. (UB 279) Doch seine Ansichten wandelten sich im Lauf der Zeit, bis er schließlich selbst gegen die Besetzung der Gebiete in der West Bank eintrat und auch den Anspruch der Palästinenser auf dieses Land anerkannte. (MUB 70-73)18 Plaut, der in der kanadischen Politik ein bekennender Föderalist ist, hat die Situation der Palästinenser mit der der Québecois verglichen und argumentiert, die Palästinenser könnten auch in einem vereinten und pluralistischen Israel ihre Identität bewahren.19 Doch dabei versteht er Israel ganz grundlegend als sein Land. Er sagt weiter, dass er sich nicht persönlich in die Politik des Landes einmischen möchte, dass er jedoch jederzeit die Stimme erheben wird, wenn es darum geht, die Notwendigkeit der Existenz Israels zu rechtfertigen, wie er es auch in einer Rede 1988 tat: »Our enemies leave me no choice. In a confrontation I support Israel. Its people are my people. I do not choose its government and I do not have to like its policies. But my fate is bound up with Israel as a nation, and on balance it is a good, and in many ways already a great nation. Its governments are transitory; Israel is forever.« (MUB 73) Die oben erwähnte Tatsache, dass Israel ein integraler Bestandteil seiner Weltanschauung ist, erlaubt es ihm also, das Land zu verteidigen, selbst wenn er seiner Politik, etwa der Ausweitung des Kriegs auf den Libanon, nicht zustimmt. Wie nicht anders zu erwarten, haben Plauts öffentliche Stellungnahmen zum arabisch-israelischen Konflikt durchaus auch Kontroversen ausgelöst. Die jüdische Gemeinde in Kanada und Nordamerika ist nicht aus einem Guss, und Kritik an Plauts Standpunkt zu Israel regte sich auf der ganzen Bandbreite des Meinungsspektrums, wie ja auch er selbst sich mit der Kritik an anderen Meinungen nicht zurückhielt. In den sechziger Jahren kam es zu einem Streit mit Rabbi Reuben Slonim, ursprünglich ein fester Fürsprecher Israels und stellvertretender Redakteur beim Toronto Telegram. Slonim schrieb 1963 für diese Zeitung eine Reihe von Artikeln, die scharfe Kritik am Einfluss der Orthodoxen auf Israel äußerten. Plaut empfand Slonims Artikel als Verrat und hatte den Eindruck, dass es den meisten Juden in Toronto genauso erging. Erst Jahre später sah sich Plaut in der Lage einzuräumen, dass Slonims Kritik in weiten Zügen durchaus gerechtfertigt gewesen war. (UB 279-80) Noch schwerwiegender war die Auseinandersetzung um Plauts Stellungnahme in der öffentlichen Debatte mit der United Church of Canada und ihrem offiziellen Organ, dem United Church Observer. (UB 278-94) Plaut und andere hatten den Eindruck, dass die Zeitung unter ihrem Chefredakteur A. C. Forrest in der Folge des SechsTage-Kriegs 1967 eine zunehmend unausgewogene Berichterstattung zeigte und vehement für die arabischen und palästinensischen Interessen Partei ergriff. Die jüdische Gemeinde von Toronto empfand dies, so Plaut, als Bedrohung, da sie sich an den aktiven Antisemitismus in Toronto der dreißiger Jahre erinnert fühlte. In der United Church selbst gab es unterschiedliche Meinungen zu dem Thema, allerdings sprach Forrest keineswegs nur für sich allein. Forrests extrem anti-jüdischer Ton alarmierte jedoch nicht nur Plaut, sondern auch andere. Plaut war aufgebracht über einige der Implikationen in Forrests Artikeln, etwa der, dass der Zweite Weltkrieg nur ausgefochten worden war, um die Juden zu retten, und dass diese sich daher den westlichen Nationen gegenüber dankbarer zeigen sollten. Plaut forderte 1972 in einem persönlich unterzeichneten Leitartikel in der Canadian Jewish News die United
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Church auf, sich von Forrests anti-zionistischer Haltung zu distanzieren, die nach Plauts Ansicht nur ein Deckmantel für seinen Antisemitismus war. Der Streit wurde nie völlig beigelegt, und die erhitzten Emotionen eskalierten auf beiden Seiten so heftig, dass Plaut Todesdrohungen erhielt und sich nur noch mit einer Sicherheitseskorte in der Öffentlichkeit bewegen konnte.
Plauts Beitrag zur Gesamtgesellschaft Zwar steht die absolute Hingabe an seine Religion ganz im Zentrum von Plauts Lebenswerk, doch auch in anderen Bereichen leistete Plaut Bedeutendes, vor allem bei seiner frühen Beteiligung an der Parteipolitik sowie, in einer späteren Lebensphase, durch seine Arbeit in Sachen Menschenrechte. Immer war dabei sein Engagement für das Wohl der Gesellschaft getragen und inspiriert von seinem Glaubensverständnis. Auch zu diesen Themen hat er zahlreiche Schriften veröffentlicht, hauptsächlich in Form von Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften. Dabei ging es ihm immer darum, gesellschaftliche Themen und Fragestellungen aus einer jüdischen Perspektive zu beleuchten. Als Student in Deutschland stand Plaut den Sozialdemokraten nahe. Das Ausmaß seiner Aktivitäten hielt sich jedoch in Grenzen: Das Parteiprogramm hatte ihn nicht auf Anhieb überzeugen können. In Heidelberg schloss er sich der Sozialdemokratischen Studentenvereinigung an, und hier machte er auch mit den Straßenkrawallen Bekanntschaft, die so typisch für die deutsche Politik der frühen dreißiger Jahre waren. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 blieben ihm politische Betätigungsfelder verwehrt. Er versuchte sich jedoch erneut in der Politik, als er 1935 nach Cincinnati kam. Mit anderen Studenten zusammen las er Marx, stand Streikposten vor einer Dow-Chemiefabrik und verfolgte genauestens die Ereignisse des Spanischen Bürgerkriegs. Erst bei der Planung einer größeren Demonstration wurde ihm klar, wie die Kommunistische Partei seine und die Anstrengungen seiner Mit-Aktivisten manipulierte, eine Erkenntnis, die zu einer lebenslangen Abneigung gegen die Kommunisten und den Kommunismus führte. (UB 61) In Minnesota war Plaut erstmals auch für staatliche Behörden tätig, zunächst als Mitglied der weitgehend machtlosen staatlichen Menschenrechtskommission, später dann als Mitglied des Governor’s Committee on Ethics in Government, dessen Bericht, Ethics in Government, als Grundlage für eine neue Gesetzgebung diente. (UB 183) In Toronto engagierte sich Plaut für den Aufbau von Planned Parenthood; sein konkretes Anliegen hierbei war, den Bürgern zu ermöglichen, ihr Recht auf Informationen zur Geburtenkontrolle wahrzunehmen; doch dahinter stand sein grundsätzlicher Glaube an die »Informationsfreiheit« (UB 234), wie er es nannte — treffender könnte man es wohl als eine Abneigung gegen Zensur bezeichnen. Dieses Motiv trieb ihn wohl auch an, als er 1966 gegen die Schließung der Robert Markle Ausstellung durch die Torontoer Polizei kämpfte. Als Rabbiner von Holy Blossom Temple lud er Martin Luther King Jr. 1962 in seine Gemeinde ein, und das Social Action Committee der Kongregation gründete einen Fonds zur Unterstützung von Kings Arbeit. (UB 206) Plauts bedeutendster Beitrag im Bereich des öffentlichen Dienstes war seine Arbeit für die Ontario Human Rights Commission und seine beratende Tätigkeit für die kanadische Regierung zur Überprüfung des Asylverfahrens. 1978 bot ihm die Regierung Ontarios die Mitgliedschaft in der Kommission an, der er bis 1985 als zweiter Vorsitzender und von 1987 bis 1998 als Adjudicator angehörte. Nachdem Plaut sein
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Amt als zweiter Vorsitzender abgegeben hatte, äußerte er offene Kritik an der Politisierung der Kommission. (MUB 48) Als Adjudicator hatte Plaut mit einigen wichtigen Fällen zu tun, vor allem der Entscheidung von 1992, dem gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten eines Rechtsanwalts im Dienst der Regierung Pensionsansprüche zu gewähren, eine Entscheidung, die einer letztendlichen Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften den Boden bereitete. Mit dieser Entscheidung zog Plaut sich jedoch auch den Zorn mancher Juden zu, die fanden, dass er damit das Gesetz der Thora verletze. Sein Standpunkt hingegen war, dass er als Beamter des kanadischen, nicht eines jüdischen Rechtswesens geurteilt habe und sich daher an die Vorgaben dieses Systems habe halten müssen. (MUB 56) Auch beim Pandori-Fall war Plaut als Adjudicator eingesetzt: In diesem Fall war einem als Lehrer tätigen, strenggläubigen Sikh von der Schulbehörde Peel das Tragen des kirpan, des zeremoniellen Dolchs der Sikhs, untersagt worden, da es die Schüler gefährde. Plaut musste das Recht auf Religionsausübung gegen das Interesse der öffentlichen Sicherheit abwägen. Er sprach sich trotz einer von der Schulbehörde organisierten öffentlichen Kampagne zugunsten Mr. Pandoris (MUB 59) aus. Diese Entscheidung zugunsten des Rechts auf Bewahrung der eigenen religiösen Traditionen in einer säkularen Gesellschaft deckt sich mit Plauts eigener Haltung zur Religionsausübung; doch es war auch eine von mehreren Entscheidungen zum öffentlichen Leben Kanadas, in denen die Rechte einer Minderheit gestärkt wurden, und damit ein weiterer Baustein an einer multikulturellen Gesellschaft in Kanada. Plauts Untersuchung des Asylanerkennungsverfahrens in Form einer Ein-Personen-Kommission im Auftrag der Regierung hatte auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Regierungspolitik in diesem Bereich. Seine Empfehlungen dienten als Grundlage für das gegenwärtige Asylverfahren Kanadas.20 Sein Bericht von 1985 besteht aus zwei Teilen, allerdings wurde nur der erste Teil, der Vorschläge für eine Vereinfachung des Verfahrens enthält, veröffentlicht. Der zweite Teil, der die Asylproblematik in einem historischen Kontext verankert, wurde von der Regierung Mulroney zurückgehalten, vermutlich aus der Befürchtung heraus, eine dadurch ausgelöste Debatte über die Definition des Asylstatus könnte zu weit fuhren. Plaut selbst befürwortete eine Modernisierung und Erweiterung des Asylbegriffs. (MUB 25-26) Plauts Bericht prangerte an, dass mitunter Positionen der Regierung den Eindruck erweckten, Asylanträge seien generell Versuche von Ausländern, sich in illegitimer Weise Zutritt nach Kanada zu verschaffen. Er erkannte zwar das legitime Interesse des Staates an, seine Grenzen zu schützen und Zielwerte für die Bevölkerungsentwicklung im eigenen Land festzusetzen, doch er plädierte zugleich für ein System, das sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis menschlicher zeigte. Zu diesem Zweck schlug er eine Reihe von Änderungen im Asylverfahren vor, die dem Antragsteller breiteren Raum für die Darlegung seines Anspruchs einräumten und ihm eine mündliche Anhörung garantierten (dieser Anspruch war auch eben erst, zu der Zeit, als Plaut an seiner Vorlage arbeitete, durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs verankert worden). Beamte der Einwanderungsbehörde hatten Plauts System mit der Begründung kritisiert, es hindere die Regierung daran, eine Einwanderungsrate für Kanada festzulegen.21 In Wirklichkeit warf Plauts Bericht die Frage auf, ob die kanadische Einwanderungspolitik von wirtschaftlichen oder humanitären Interessen gesteuert sei. Howard Adelman unterstrich, dass für Plaut die moralische Dimension bei dieser Frage zentral war.22 Den gelungensten Ausdruck dieses moralischen Imperativs fand Plaut in der hebräischen Bibel, die nicht weniger als fünfunddreißig verschiedene Arten beschreibt, einen Fremden willkommen zu heißen. Darüber hinaus zog er die Tradition
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des Naturrechts heran, um seine Moralvorstellungen zu fundieren.23 Doch seine Beweggründe waren auch persönlicher Art: »I was one of the fortunates who survived the dread of the Holocaust, while parts of my family did not. I owe them a debt to see to it that others will not suffer a similar fate and perish in the flames of need and deprivation.«24 Plauts Buch Asylum: A Moral Dilemma, geht noch weiter, als es ihm in seinem Bericht im Auftrag der kanadischen Regierung möglich war. Es durchleuchtet die konkurrierenden Interessen im Umfeld von erzwungener Migration. Sein Wissen um diese Spannungen hindert Plaut jedoch nicht daran, Hilfe für die Flüchtlinge einzufordern: The religious and moral conditions of most nations speak of the need to make some sacrifices to help others. While on a one-to-one basis this is often demonstrated as the virtue of individual citizens, somehow on a national basis sacrifice gives way to comfort, and principle to politics. This is a human dilemma, and in the area of refugee policy where the odds are heavily stacked against one side and time is often of the essence, it comes into sharp focus and thus becomes a theme of our age. Still, the moral impulse is not without resonance. It may motivate only the few who care, yet their conviction and persistence have on many occasions sensitized the national conscience and have moved governments towards a more generous refugee policy.25
Plauts Engagement in der Asylproblematik ist moralisch motiviert. Doch die Tatsache, dass er dieses Thema in einem öffentlichen Rahmen anspricht, unterstreicht Plauts Überzeugung, dass die Gesellschaft als Ganzes sich mit diesem grundlegenden Themenkomplex auseinandersetzen muss.
Plaut und Deutschland Im Jahr 2000 erschienen in Deutschland posthum die inzwischen viel gelobten Memoiren von Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen. Darin beschreibt der Autor seine Erfahrungen in der Weimarer Republik und den frühen Jahren des NaziRegimes. Haffners Leben weist einige auffallende Parallelen zu Plauts Werdegang auf. Wie Plaut hatte Haffner eine Ausbildung zum Rechtsanwalt durchlaufen, sich jedoch außerstande gesehen, nach 1933 noch in Deutschland zu bleiben. Haffner verließ Deutschland in den späten dreißiger Jahren. Sein Exil in England zwang ihn, wie auch Plaut sein Exil in Amerika, einen neuen Beruf zu ergreifen. Plaut wählte das Rabbinat, Haffner, der kein Jude war, schlug eine journalistische Laufbahn ein und war während des Kriegs in England als Journalist tätig. Im Gegensatz zu Plaut blieb Haffner jedoch Deutschland immer verbunden und verfolgte die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des Landes mit großem Interesse. In den fünfziger Jahren kehrte Haffner in die Bundesrepublik zurück und erlangte große Anerkennung als erfolgreicher Journalist. Plaut kam nur als Besucher nach Deutschland. Sich erneut in Deutschland niederzulassen stand für ihn nie ernsthaft zur Debatte. So schrieb er im ersten Band seiner Memoiren: »I visit Germany for official purposes, but cannot feel fully at ease. The past casts a dark shadow. There has never been anything simple about the relationship between Jews and Germans.« (UB 312) Dieses Unbehagen in Bezug auf Deutschland zeigte sich besonders deutlich bei einer Europareise Plauts während eines Sabbatjahrs 1955. Plaut, der in Begleitung seiner Familie reiste, plante einen Abstecher in seine Geburtsstadt Münster. Die Rückkehr nach Deutschland löste
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jedoch eine solche Depression bei ihm aus, dass er den Besuch nach nur einer Übernachtung wieder abbrach. 1962 reiste Plaut erneut nach Deutschland, diesmal auf Einladung der Regierung der BRD. Er fühlte sich verpflichtet, dieser Einladung nachzukommen: Wenn Deutschland sich tatsächlich auf dem Weg zu einer demokratischen Gesellschaft befand, dann, fand Plaut, verdienten diese Bemühungen auch Unterstützung. Während seiner Reise traf er mit zahlreichen Juden zusammen und diskutierte mit ihnen über die Situation der Juden, die nach dem Krieg in Deutschland geblieben waren oder wieder dorthin zurückgekehrt waren. Sie fühlten sich zwar offiziell akzeptiert in der BRD, doch nach Plauts Aussagen teilten sie auch sein Unbehagen angesichts der Überlegung, ob sie überhaupt hier sein sollten. (UB 307) Auf derselben Reise besuchte Plaut auch Ostberlin und zeigte sich schockiert darüber, wie der kommunistische Staatsapparat die Religionsfreiheit der ostdeutschen Juden eingeschränkt und manipuliert hatte. Diese Erfahrung verhärtete Plauts unnachgiebige Haltung gegenüber Ländern des sowjetischen Einflussbereichs noch weiter. Wie aus dem ersten Band seiner Memoiren hervorgeht, war Plaut zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in den achtziger Jahren nicht vollkommen überzeugt, dass sich die Bundesrepublik tatsächlich zu einem wahrhaft freien und demokratischen Staat entwickelt hatte. Seine Erfahrung mit Deutschland als dem Land, das die Auslöschung seiner jüdischen Bevölkerung zu verantworten hatte, machte es ihm unmöglich, das Land in irgendeinem anderen Licht zu sehen. Daran konnte auch sein rationales Wissen um die Rolle, die Deutschland mittlerweile in der Welt spielte, nichts ändern. Plaut ist stolz auf seine Mithilfe bei der Aufspürung und Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher in Kanada, und er weigert sich sogar, ein deutsches Auto zu fahren: »I respect the feelings of the survivors, even though I believe that a prosperous and democratic Germany is the linchpin of European freedom. My abstinence is symbolic, yet symbols do play a role.« (UB 312) Plauts Erfahrungen mit dem Holocaust sind jedoch auch persönlicher Natur, selbst wenn seine unmittelbaren Familienangehörigen überlebten (allerdings hatte auch er aus dem Kreis seiner Verwandten Todesopfer zu beklagen). Zwei Ereignisse aus seinem Leben sind dabei von besonderer Bedeutung: sein Hochzeitstag und sein Dienst in der amerikanischen Armee. Gunther Plaut und Elizabeth Strauss heirateten am 10. November 1938 in Cincinnati, am Tag nach der Reichskristallnacht. Plaut erfuhr während der Hochzeitsfeier von den schrecklichen Ereignissen: Einer der Trauzeugen, selbst aus Deutschland stammend, hatte ein Telegramm erhalten, in dem er um Mithilfe gebeten wurde, seinen Vater aus dem Konzentrationslager Dachau freizubekommen. So war für die Plauts ihr Hochzeitstag immer unauflöslich mit jenen Ereignissen verbunden, die für Plaut den Beginn des Holocaust markierten. Seine eigene Familie war relativ heil davongekommen. Jemand hatte seinen Vater vor den bevorstehenden Ausschreitungen gewarnt, so dass er sich rechtzeitig hatte verstecken können. Wenige Monate später emigrierten Plauts Eltern nach England. Das andere Ereignis, das Plaut in unmittelbaren Kontakt mit dem Holocaust brachte, war die Befreiung des Konzentrationslagers Dora-Nordhausen im April 1945, bei der er selbst zugegen war. (siehe UB 128-140) Dora-Nordhausen war zwar kein Todeslager vom Ausmaß Auschwitz’ oder Birkenaus, da zahlreiche Gefangene als Zwangsarbeiter in der nahgelegenen Produktionsstätte der V-2-Rakete arbeiteten. Dennoch fand Plaut bei seiner Ankunft nur mehr circa 400 Überlebende inmitten von 4.000 unbeerdigten Toten vor. Seine Memoiren enthalten eine Beschreibung seines verständlichen Zorns über die deutschen Bürger dieser Gegend. Ungeachtet
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ihrer Versicherungen, nichts von den Vorgängen im Lager gewusst zu haben, zwang Plaut sie, ins Lager zu kommen und die Toten zu waschen und zu beerdigen. Ein weiterer Vorfall, der in seinen Memoiren beschrieben ist (siehe UB 138-40), wirft ein noch deutlicheres Schlaglicht auf Plauts Beziehung zu seiner früheren Heimat. Mitte des Jahres 1945 reiste Plaut zusammen mit einer Gruppe amerikanischer Soldaten in die Heimatstadt seines Vaters, Willingshausen. Dort angekommen verbarg er seine Kennzeichen als Militärgeistlicher und gab vor, nur gebrochenes Deutsch zu sprechen. Er ordnete die Einsammlung aller Waffen im Ort an, ließ die Einwohner zu einer Versammlung zusammenkommen und verlas eine fingierte Anordnung, wonach er beauftragt sei zu untersuchen, wer für die Ausschreitungen in der Reichskristallnacht vor sieben Jahren verantwortlich gewesen war, insbesondere für die Übergriffe an einem gewissen Levi Plaut — Plauts Onkel — und dass er beauftragt sei, gestohlenes Hab und Gut wieder seinen rechtmäßigen Besitzern zuzuführen. Plaut hielt sodann in einem Gebäude in der Nähe des Rathausplatzes der Stadt einen Militärgerichtsprozess ab; die Fenster des Gebäudes ließ er offen, damit die Leute aus der Stadt mit anhören konnten, was im Inneren vor sich ging. Plaut verhörte den Bürgermeister, einen gewissen Herrn Faust, zur Kristallnacht; als dieser behauptete, sich an keine Einzelheiten mehr erinnern zu können, ließ Plaut seinen Fahrer mit angeschlagener Maschinenpistole vor den Bürgermeister treten. Die Drohung verfehlte ihren Zweck nicht: Der Bürgermeister nannte die Namen zweier Männer, die für die Verbrechen gegen Levi Plaut verantwortlich gewesen seien. Die beiden Männer wurden ausfindig gemacht und befragt; als auch sie sich zunächst nicht an die Vorgänge des fraglichen Abends erinnern wollten, ließ Plaut sie erneut von seinem Fahrer bedrohen wie schon vorher den Bürgermeister. Die Männer gestanden schließlich ihre Schuld: Ja, Onkel Levi sei geschlagen worden, aber sie hätten nur Befehle von oben befolgt. Ja, er sei unschuldig gewesen, aber schließlich sei er Jude gewesen, und Juden seien eben als Verbrecher betrachtet worden. Ja, er sei in ein Konzentrationslager gebracht worden. Nein, niemand wisse, wo er war. (UB 140) Daraufhin wandte sich Plaut an die Versammlung: Washington is watching you, I said. The arm of our government is long. We have reached out to find you all the way over here in the backwaters of Germany. Do not think we will not know what you are doing. We took our leave, threw the prisoners into the half-track and delivered them to the rear as war criminals. I do not know what happened to them thereafter; they were doubtless released in due time. (UB 140)
Dieser Vorfall macht deutlich, wie sehr Plaut sich den Holocaust auch persönlich zu Herzen nahm. Seine Memoiren zeugen von keinerlei Überlegungen, dass sein Handeln an jenem Tag in Willingshausen nicht rechtens war. Offensichtlich sah Plaut es als gerechtfertigt an, die Macht des Siegers zu missbrauchen, um ein Unrecht auszugleichen, das an seiner eigenen Familie und der jüdischen Gemeinde als ganzer verübt worden war. Gleichzeitig kristallisiert sich in diesem Vorfall auch die emotionale Triebfeder seines Lebenswerks: das jüdische Volk zu verteidigen und darauf hinzuarbeiten, dass sich Juden nicht nur in ihrem Glauben, sondern auch ganz konkret in ihrer physischen Existenz sicher fühlen können.
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Plauts Schriften Plaut hat eine Fülle von Schriften veröffentlicht: 29 Bücher, darunter zwei autobiographische Publikationen, Unfinished Business – An Autobiography (Toronto: Lester & Orpen Dennys, 1981) und More Unfinished Business (Toronto: University of Toronto Press, 1997), sowie zahlreiche theologische, historische und andere Sach- und Fachtexte. Seinen wissenschaftlichen Schriften kommt eine große Bedeutung zu. In den sechziger Jahren arbeitete Plaut als Herausgeber an der ersten nordamerikanischen englischen kommentierten Ausgabe der Thora. Das Projekt wurde 1981 mit der Veröffentlichung des Gesamtwerks, The Torah: A Modern Commentary (New York: Union of American Hebrew Congregations), abgeschlossen, nachdem einige Einzelkommentare bereits früher erschienen waren. Darüber hinaus veröffentlichte Plaut Schriften zur Geschichte des Reformjudentums, der Juden in Amerika und zum Davidstern. Aber auch Problemen und Fragen der Gegenwart widmete er sich in schriftlicher Form. Davon zeugen sowohl Buchpublikationen — Asylum ̶ A Moral Dilemma (Toronto: York Lanes Press, 1995; Westport, Conn.: Praeger, 1996); The Price and Privilege of Growing Old (New York: Central Conference of American Rabbis, 2000) — als auch Hunderte von Beiträgen und Kolumnen in Zeitungen und Zeitschriften, vor allem in der Globe and Mail und der Canadian Jewish News. Eine Auswahl seiner journalistischen Veröffentlichungen findet sich in den Sammelbänden Your Neighbour is a Jew (Toronto: McClelland and Stewart, 1967) und Time to Think (Toronto: Holy Blossom Temple, 1977).26 Im reiferen Alter wandte sich Plaut auch der erzählenden Literatur zu. Bisher sind drei Werke erschienen: Hanging Threads (Toronto: Lester & Orpen, 1978), The Letter (Toronto: McClelland and Stewart, 1986), und The Man Who Would Be Messiah (Oakville: Mosaic Press, 1990). Die Kurzgeschichten in Hanging Threads zeigen Einflüsse von O. Henrys überraschenden Schlüssen und Kafkas enigmatischer Prosa. Der Zufall spielt in diesen Erzählungen eine zentrale Rolle, doch während bei O. Henry das überraschende Ende bei genauer Lektüre der Geschichte so überraschend gar nicht ist, wird in Plauts Geschichten das Ende durch eine unerwartete Wendung des Schicksals oder der Handlung herbeigeführt, die der Leser kaum je erahnen oder vorhersehen kann. So enden die Geschichten letztlich auf einer willkürlichen Note. Der Titel der Sammlung stammt aus der letzten Geschichte, »M.C.«. Darin heißt es im letzten Absatz: »Nicht alles im Leben muss feinsäuberlich abgeschlossen werden, überlegte ich. Die menschliche Erfahrung ist keine mathematische Gleichung. Mehr als einmal wird es vorkommen, dass lose Enden bleiben.«27 Dieser Gedanke könnte als Motto für eine Reihe der Kurzgeschichten dieser Sammlung dienen: Zwar besitzen die Geschichten einen Schluss, doch häufig bleiben offene Fragen hinsichtlich der Beweggründe einer Figur oder eines Aspekts der Handlung. Manche mögen darin ein Stilmittel des Autors sehen, doch vermutlich kommt eher die unausgereifte literarische Gestaltung des Materials zum Ausdruck. Dennis Duffy kommt in seiner Rezension28 der Sammlung zu dem Schluss, dass die Kurzgeschichten ästhetisch zwar nicht überzeugen, jedoch unter soziologischem Gesichtspunkt interessant sein können. In vielen der Geschichten geht es um Juden, die, aus welchen Gründen auch immer, ihren Namen verändert haben, damit dieser nicht mehr sofort als jüdisch oder jiddisch erkennbar ist, wobei jedoch genau diese Namensänderung der Figur Schwierigkeiten einträgt, wie etwa in der Geschichte »Passport«. Namen stiften Identität, und so kreisen die meisten der Geschichten um das Thema jüdische Identität in einer nicht-jüdischen Umgebung, sei es Südontario in
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der Geschichte »Train Ride«, Deutschland in »Passport« oder gar Jerusalem zur Zeit des Sechstagekriegs in »The Petek«. Die Situationen, in denen sich die Figuren wiederfinden, tragen mitunter melodramatische Züge (und die wenig differenzierte Gestaltung von Handlung und Figuren ist es auch, die zurecht Duffys Kritik hervorruft); mit dem Thema jüdischer Identität in der Welt nach dem Holocaust knüpfen die Kurzgeschichten jedoch an die bekanntere zeitgenössische jüdische Literatur an. Allerdings behindert Plauts unerfahrener Umgang mit literarischen Stil– und Gestaltungsmitteln eine differenzierte Behandlung des Themas. So bleibt am Ende der Eindruck, dass die Geschichten zwar interessante Themen anreißen, sie jedoch nicht in überzeugender Weise entwickeln. Innerhalb des erzählerischen Werks Plauts tragen die Kurzgeschichten die persönlichsten Züge. In einer Reihe von Geschichten tritt ein Anwalt als Ich-Erzähler auf — ein Vertreter also genau jenes Berufs, den Plaut angestrebt hätte, wenn ihn nicht das Dritte Reich daran gehindert hätte. In einer Geschichte äußert ein deutscher Jude seinen Widerwillen gegen deutsche Autos, auch dies ein Zug, den die Figur mit Plaut teilt. In einer anderen Geschichte ist die Hauptfigur Mitglied einer kanadischen Kommission, die sich mit Fragen der Einwanderung beschäftigt, ganz ähnlich wie Plaut selbst. Diese und weitere Parallelen deuten darauf hin, dass die Geschichten Plauts persönliche Sicht der »soziologischen« Aspekte widerspiegeln, die Duffy anspricht. Der Roman The Letter, »Der Brief«, spielt im nationalsozialistischen Deutschland und geht von der Annahme aus, Hitler habe in einem Brief schriftliche Befehle für die Endlösung erteilt. Die Romanhandlung zeichnet sodann die fiktive Route dieses Briefs nach. Vor dem Hintergrund von Plauts eigener Geschichte und der Tatsache, dass Plaut bei der Befreiung des Lagers Mittelbau-Dora bei Kriegsende anwesend war, erscheint The Letter als eine Auseinandersetzung mit einem Thema, das für den Autor eine sehr persönliche Dimension besitzt. Ein »blockbuster thriller«, wie Sharon Drache das Buch betitelte,29 ist der Roman sicherlich nicht. Auch dieses Werk kann nicht durch die künstlerische Gestaltung überzeugen: Der Erzählton ist hölzern, die verschlungene Handlung, die um eine auseinandergerissene jüdische Familie mit einem deutschen Adoptivsohn kreist, stellt den deutsch-jüdischen Konflikt während des Dritten Reichs mit melodramatischen Anleihen dar. Das Thema des Romans besitzt jedoch im Hinblick auf die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust Relevanz: Nicht wenige träumten davon, ein Beweisstück zu finden, das Hitler unwiderlegbar mit der Endlösung in Verbindung brächte und damit den Lügen und Verleumdungen der Holocaust-Leugner und -Sympathisanten ein für allemal ein Ende setzen könnte. Im Roman bleibt der Brief im Tresorraum einer Schweizer Bank weggeschlossen, und die Geschichte des Protagonisten, der versucht, den Inhalt des Briefs ans Licht zu bringen, bildet die eigentliche Handlung des Romans. Der Brief existiert, ist jedoch für die Welt nicht sichtbar. Auch der Holocaust kann geleugnet werden, und doch hat er sich ereignet. Und wie der Brief, so überlebt auch das jüdische Volk, schwer verwundet und verletzt zwar, jedoch nicht vernichtet, wie von Hitler beabsichtigt. Elie Wiesel sollte ursprünglich an The Man Who Would Be Messiah mitarbeiten, musste jedoch absagen, nachdem er den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Dieser historische Roman erzählt das Leben des Pseudo-Messias Jakob Frank (ca. 1726-91). Plaut nennt das Werk einen biographischen Roman und hält im Vorwort fest: »Der Versuch, [Franks] Leben zu erzählen, wird durch die unvollständig und oft zweifelhaft überlieferten Fakten erschwert.«30 Um diesem Problem zu begegnen und Lücken
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in der Erzählung zu überbrücken, fügt Plaut fiktive Figuren in Schlüsselrollen ein und erfindet ein von Frank geführtes Tagebuch, in dem dieser seine Beweggründe darlegt. Auch ein Glossar und eine Liste mit weiterführenden Lektüreempfehlungen fügt Plaut hinzu. Wie schon in den anderen erzählenden Werken wirkt auch hier Plauts gestelzte Prosa störend und entwickelt sich gar zu einem echten Hemmschuh für den Roman. Die Tagebucheinträge unterscheiden sich stilistisch nicht vom Rest der Erzählung, und der flache, einförmige Erzählton vermag es nicht, das Interesse des Lesers zu wecken und ihn zu packen. Unter dieser Schwäche leidet vor allem die Darstellung der von der Philosophie des Antinomismus geprägten Ansichten Franks und seiner Anhänger: Die Szenen, in denen Ausschweifungen und sexuelle Exzesse dargestellt werden, wirken hölzern und können einfach nicht überzeugen, wodurch die gesamte Aussage des Romans geschwächt wird. Darüber hinaus wird die Wirkung des Romans auch noch durch die schlechte Qualität der Publikation beeinträchtigt: Michael Greenstein zählt allein über 100 Druckfehler.31 Plaut argumentiert im Roman, Franks Persönlichkeit entspräche Heideggers Definition einer Führergestalt: »Einsam, unheimlich [...] ohne Gesetz oder Grenzen, ohne Struktur oder Ordnung.«32 Für den modernen Leser drängen sich hier Parallelen zu Hitler auf, und so kann man vor diesem Hintergrund den Roman als Plauts fiktionale Auseinandersetzung mit der Psychologie und Soziologie dämonischer Führung und der von ihr ausgehenden Gefahr für das jüdische Volk lesen. Zwar wurden alle drei erzählenden Werke Plauts in nationalen kanadischen Zeitungen rezensiert. Dennoch blieb Plauts literarisches Schaffen wegen des begrenzten literarischen Horizonts der Werke in der kanadischen Geisteswissenschaft ohne Nachhall.
Schlussbemerkung W. Gunther Plaut wurde »the rabbi to all Canada«33 genannt. Für einen der bekanntesten und aktivsten jüdischen Führer jenes Landes ist dies ohne Zweifel ein angemessener Titel. Er verbindet darüber hinaus die beiden Stränge, die sich durch sein Schaffen ziehen, seine Leistungen im religiösen wie im öffentlichen Bereich, unterstreicht dabei jedoch die primäre Rolle der Religion in Plauts Leben. Denn das Zentrum von Plauts Persönlichkeit, und das Fundament seines Lebenswerks, bilden sein Selbstverständnis als gläubiger Jude, seine Erfahrung des Exils und des Holocaust, sein Bestreben, das Reformjudentum durch solche Traditionen zu bereichern, die die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Gottesdienstes stärken, jedoch gleichzeitig die Offenheit gegenüber den Entwicklungen der modernen Gesellschaft gewährleisten, sowie sein Wille, die Werte dieser Religion in der modernen Gesellschaft wirksam werden zu lassen. W. Gunther Plauts Leben ist ein herausragendes Beispiel für den bedeutenden Beitrag, den Emigranten aus dem nationalsozialistischen Deutschland zur nordamerikanischen Gesellschaft im zwanzigsten Jahrhundert geleistet haben.
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Der Dank des Autors gilt Prof. Dr. David G. John, University of Waterloo, für seine Mithilfe in den Anfangsstadien dieses Projekts. Seine großzügigen und kenntnisreichen Anregungen waren sehr hilfreich. W. Gunther Plaut: Unfinished Business (Toronto: Lester & Orpen Dennys 1981), S. 151, 158. Weitere Verweise auf dieses Buch werden im laufenden Text mit der Abkürzung UB gekennzeichnet. W. Gunther Plaut: «Reform Judaism: Past, Present and Future». In A Rabbi of Words and Deeds. Essays in Honour of the 90th Birthday of W. Gunther Plaut. Eds. John Moscowitz and Natalie Fingerhut (Toronto: Holy Blossom Temple 2002), S. 23-25. W. Gunther Plaut: More Unfinished Business (Toronto: University of Toronto Press 1997), S. 110. Weitere Verweise auf dieses Buch werden im laufenden Text mit der Abkürzung MUB gekennzeichnet. Siehe dazu auch Robert Gordis: »The Torah and Modern Man«, Judaism, XXIV (1975), S. 350; dort wird Plaut wegen seiner Ansicht, die Thora sei eine von Menschenhand zusammengestellte Textsammlung, als ein Vertreter des äußersten linken Spektrums der Reformbewegung bezeichnet. Plaut sieht sich also mit Vorwürfen konfrontiert, die ihn mal dem einen, mal dem anderen Rand des politisch-religiösen Spektrums zuordnen. Dieses scheinbare Paradoxon verdeutlicht sein Bemühen, eine fortschrittliche Position in Wissenschaft und Lehre (sowohl in religiösen wie in säkularen Dingen) einzunehmen und gleichzeitig traditionelle religiöse Bräuche beizubehalten. Dow Marmur: »Plaut Among the Rabbis«. In A Rabbi of Words and Deeds (wie Anm. 3), S. 57. Henrietta Chesnie: »I Remember«. In A Rabbi of Words and Deeds, ebd., S. 130. Michael S. Stroh: »Rabbi W. Gunther Plaut: Personal Reflections«. In A Rabbi of Words and Deeds, ebd., S. 124. Robert Gordis: »The Torah and Modern Man« (wie Anm. 5), S. 350. Toba Korenblum: »Old Testament Update«, Maclean’s, 2. Nov. 1981, S. 51. Robert Gordis: »The Torah and Modern Man« (wie Anm. 5), S. 349. Gregory Baum: »Wisdom ages well indeed«, The Globe and Mail (Toronto), 22. Feb. 1975, S. 14. Natalie Fingerhut: »Learning Through Differences«. In A Rabbi of Words and Deeds (wie Anm. 3), S. 138. W. Gunther Plaut: Your Neighbour is a Jew (Toronto: McClelland and Stewart 1967), S. 29. Ebd., S. 29-31. W. Gunther Plaut: »Until both sides agree to talk, there can be no lasting peace«, The Globe and Mail, 8. Jan. 1988, S. A7. [W.] Gunther Plaut: »Why is Israel different?«, Maclean’s, 30. Mai 1983, S. 56. Siehe auch Plauts Gedanken zur Bedeutung von »Holy Land« und seine Argumentation, warum es falsch sei, wenn Hardliner verlangen, Israel dürfe kein Land an die Palästinenser abtreten. (UB 87-88) Jack Kapica: »Fifth Column«, The Globe and Mail, 27. Mai 1992, S. A16. Howard Adelman: »Rabbi W. Gunther Plaut’s Contribution to Canadian Refugee Law and Practice«, in A Rabbi of Words and Deeds (wie Anm. 3), S. 67. Ebd., S. 75. Ebd., S. 69. Ebd., S. 74-75. W. Gunther Plaut: »Jewish Ethics and International Migrations«, International Migration Review, XXX (1996), S. 26. W. Gunther Plaut: Asylum — A Moral Dilemma (Toronto: York Lanes Press; Westport, CT: Praeger 1995), S. 148. Eine vollständige Bibliographie zu Plauts Schriften findet sich in A Rabbi of Words and Deeds (Anm. 3), S. 142-143.
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W. GUNTHER PLAUT W. Gunther Plaut: Hanging Threads (Toronto: Lester and Orpen 1978), S. 153. Dennis Duffy: »Sociological interest despite a lack of grace, complexity of character or novelty of theme«, The Globe and Mail, 11. Nov. 1978, S. 41. Sharon Drache: »Painful awakening within a thriller«, The Globe and Mail, 20. Sept. 1986, S. F20. W. Gunther Plaut: The Man Who Would Be Messiah (Oakville: Mosaic Press 1988), S. 5. Michael Greenstein: »Jacob Frank and the ultimate fate of the false messiah«, The Globe and Mail, 25. Feb. 1989, S. C20. W. Gunther Plaut: The Man Who Would Be Messiah (wie Anm. 30). Kenneth Bagnell: »Gunther Plaut gets candid«, The Financial Post, 28. Feb. 1998, S. R4.
MAX RAPHAEL1 WULF KÖPKE Max Raphael wird, soweit er überhaupt bekannt ist und erwähnt wird, als Kunsthistoriker oder Kunstwissenschaftler klassifiziert. Man müsste ihn eigentlich als Kulturwissenschaftler bezeichnen, denn seine Projekte und Arbeiten umfassten weit mehr als die bildende Kunst. Der Umfang dieser Arbeiten und Projekte und die ungünstigen Bedingungen des Exils brachten es mit sich, dass viele seiner Arbeiten nicht vollendet sind, und dass zu seinen Lebzeiten nur ein Bruchteil seiner Texte publiziert worden ist. Die »Werkausgabe« besteht zu wesentlichen Teilen aus Zusammenstellungen der Herausgeber aus Einzelstudien und Manuskripten. Diese Unübersichtlichkeit seines Werkes hat dazu beigetragen, dass Max Raphael im Vergleich zu Zeitgenossen wie Carl Einstein und Walter Benjamin wenig bekannt geworden ist. Max Raphael gehört zur ersten Generation der Kulturwissenschaftler, die die Grundlagen der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft zu erarbeiten versuchten, und diese Kunstwissenschaft zwar als Geisteswissenschaft konzipierten, doch mit einer Verankerung in den Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften. Max Raphaels Vorgehen ist dadurch gekennzeichnet, dass er, ursprünglich ausgehend von den Positionen von Heinrich Wölfflin und Georg Simmel, dann von Henri Bergson und Emile Mâle, zum Marxisten wurde, allerdings zu einem undogmatischen und unabhängigen Marxisten, der in den Literatur- und Kunstkritiken von Marx und Engels kein Dogma, sondern nur Anregungen zum Weiterdenken und Weiterforschen sah.
Ein Leben ohne dramatische Ereignisse Max Raphaels Leben verlief weitgehend in der Stille, und wäre ohne die Katastrophen des 20. Jahrhunderts noch ruhiger gewesen. Geboren im westpreußischen Ort Schönlanke (heute polnisch Trziank) am 27. August 1889, war das erste einschneidende Erlebnis seines Lebens der Tod seiner Mutter, als er zehn Jahre alt war. Danach wurde er zur weiteren Erziehung zu den Großeltern nach Berlin geschickt. Dort besuchte er das Gymnasium. Nach dem Abitur sollte er Jura studieren, befasste sich aber weit mehr mit Philosophie und Kunst. Nach einem Jahr Studium in München, 1907 bis 1908, kehrte er nach Berlin zurück, wo neben dem Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin vor allem Georg Simmel für ihn wichtig wurde. 1911 besuchte er Frankreich und Italien. In Frankreich lernte er Picasso, Matisse und Cézanne kennen und studierte bei Henri Bergson und dem Kunstwissenschaftler Emile Mâle. Er befreundete sich mit Max Pechstein und wurde stark von den Bildern von Cézanne und Picasso beeindruckt. Als Heinrich Wölfflin sein Buch über den Beginn der modernen Kunst, der Schwerpunkt war Picasso, das dann 1913 unter dem Titel Von Monet zu Picasso im Druck erschien, als Dissertation ablehnte, da er Forschungen über lebende Künstler nicht für akademisch hielt und insgesamt starke Vorbehalte gegen die moderne Kunst hatte, sah Max Raphael seinen Plan einer akademischen Laufbahn als gescheitert an.2 Er verbrachte sein weiteres Leben weitgehend als »Privatgelehrter«. Am Beginn des Ersten Weltkriegs lebte Max Raphael in Bodman am Bodensee, wo er sich mit literarischen Plänen befasste. Ein Drama, das sein Tagebuch erwähnte, wurde von ihm vernichtet.3 Er wurde sich klar, dass ihm die Begabung zu einem großen Dichter fehlte. So gab er literarisches Schreiben auf, zugunsten der Philosophie,
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der Geisteswissenschaft und dem Essayismus. Später schrieb er Reiseskizzen, von denen einige publiziert sind,4 Reiseeindrücke, die aus den Tagebüchern hervorgingen, die er ständig führte, und von denen bis jetzt kaum etwas publiziert ist. Das ist insofern bedauerlich, als dadurch noch nicht erklärt ist, in welcher Weise sich bei Raphael Leben und Werk verzahnen, und ob nicht die literarische Qualität der Tagebücher ein anderes Bild des Menschen Max Raphael abgeben würde. Seine Studien und Reflektionen in Bodman kamen zu einem plötzlichen Ende, als er am 18. August 1915 den Gestellungsbefehl zum Landsturm bekam. Er passte in keiner Weise in die Ordnung und das System des deutschen Militärs. »Man hatte mich in die Welt des Sozialen — nein, des Unschöpferischen gebannt.«5 Er sah keinen Sinn in diesem Drill und Zwang: »Ich frage mich wieder, worin das Positive der soldatischen Ausbildung liegt.«6 Auch stellte er grundsätzlich in Frage, ob es etwas wie eine Pflicht gab, der Nation gegen seine Überzeugungen zu dienen: »Denn was dürfte mich an den Staat binden, sobald er mich zu Zwecken mißbraucht, die meiner Selbstbestimmung und dem Sinn der Sittlichkeit überhaupt entgegen sind?«7 Raphael sah von Anfang an keine Rechtfertigung für diesen mörderischen Krieg. Sowieso waren die Umstände des Soldatenlebens ein Schock für einen geistigen Menschen und einsamen Autor-Gelehrten. Typisch ist, wie er etwa den ersten Eintritt ins Soldatenleben beschreibt: »Der Raum ist ein Praß aufgewüsteter, fremder und feindseliger Gegenstände und Menschen. Und über allem brütet ein durchdringender Gestank.« Ein Gestank, den er so definiert: »Angefüllt mit Gerüchen von Küche, Pissoir und Abtritt.«8 In diesem sinnlosen Dienst und Drill in Lörrach hielt es Raphael, der noch zudem ein überzeugter Pazifist war und blieb, auf die Dauer nicht aus. 1917 desertierte er in die Schweiz, wo er bleiben wollte; 1920 wurde er jedoch ausgewiesen und kehrte nach Deutschland zurück. Die Gründe für die Ausweisung waren wahrscheinlich persönlicher Art und nicht politisch. Raphael lebte bei der Bildhauerin Anna Baumann-Kienast in Stäfa am Züricher See, und ihr Verhältnis veranlasste den Ehemann, gegen Raphael vorzugehen.9 Zwischen 1920 und 1932 lebte Max Raphael in Berlin, wo er ab 1924 seinen Lebensunterhalt mit Kursen an der Volkshochschule verdiente und sich weiter seinen Forschungen widmete. Auf Reisen durch Frankreich studierte er gotische und romanische Kirchen. Daneben gingen seine Forschungen zur modernen Kunst weiter. Auf der Suche nach einer Grundlage für die Kunstwissenschaft »bekehrte sich« Max Raphael zum Marxismus und studierte gründlich die Schriften und Briefe von Marx und Engels. Seine schwankende Gesundheit nötigte ihn 1931 und 1932 zu Kuraufenthalten in Davos, wo er auch Kurse abhielt. Als 1932 an der Berliner Volkshochschule ein von ihm vorgeschlagener Kurs über die wissenschaftlichen Grundlagen von Karl Marx’ Kapital abgelehnt wurde,10 verstand Max Raphael die Zeichen der Zeit und emigrierte nach Paris. Der Beginn des Exils gab Anlass zu Hoffnungen. 1933 publizierte er das Buch Proudhon, Marx, Picasso. Trois Etudes sur la Sociologie de l’Art, 1934 Zur Erkenntnistheorie der konkreten Dialektik. Von diesem Buch erschien 1974 eine Neuausgabe mit dem Titel Theorie des geistigen Schaffens auf marxistischer Grundlage.11 Längere Studien zu Flaubert wurden abgebrochen. Von 1936 bis 1939 arbeitete an dem Buch Arbeiter, Kunst und Künstler, das erst 1975 zuerst veröffentlicht worden ist.12 Raphael hielt einige Vorträge im Atelier des Architekten André Lurçat13 und gab Führungen zu Malerei im Louvre. Bei einer dieser Führungen lernte er 1938 die aus Bochum-Langendreer stammende Emma Dietz kennen, die dann seine Frau wurde.14
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In Paris wurde es auf die Dauer immer schwieriger, den Lebensunterhalt zu verdienen. Versuche, mit Max Horkheimer und dem Institut für Sozialforschung in Verbindung zu kommen, schlugen fehl.15 Nach dem Kriegsausbruch 1939 konnte sich Max Raphael mit seiner Frau zunächst der Internierung entziehen und auf dem Lande leben, er wurde dann aber denunziert und kam zusammen mit seiner Frau am 19. Oktober 1940 ins Internierungslager Gurs. Es gelang ihm dort mit Hilfe von Freunden, ein Visum für die USA zu erlangen. Nach einem Zwischenaufenthalt im Februar 1941 im Lager Les Milles, das zu dieser Zeit ein Transitlager für »Ausreisende« geworden war, erreichte Max Raphael auf dem Weg durch Spanien und Portugal den rettenden Hafen von Lissabon und kam am 21. Juni 1941 auf der Montinho in New York an. Seine Frau entging am 27. August 1942 nur mit Mühe der Deportation. 1943 konnte sie sich in die Schweiz retten. Erst nach dem Ende des Krieges, am 9. September 1945, gelang es ihr, zu ihrem Mann nach New York zu kommen. In Briefen und Tagebüchern hielt Max Raphael seine Eindrücke während der Reise durch Spanien und Portugal fest, wobei er sich besonders kritisch über die Juden, denen er auf der Flucht begegnete, äußerte: »Die Juden agieren nur mit Worten und sind Luftmenschen, produzieren nichts, hängen an nichts außer an sich selbst und ihrer Familie.«16 Er gerät im Zug in die »vornehme« zweite Klasse und findet sich »unter lauter sehr miesen jüdischen Emigranten« (S. 327); auch macht er die allgemein geteilte Beobachtung: »Der Haß zwischen Ostjuden und deutschen Juden übertrifft alles.« (S. 343) Das ist weit entfernt von den Gedanken über die Möglichkeit eines jüdischen »Freistaats«, womit er sich früher einmal beschäftigt hatte. Da hatte er zum Beispiel 1917 geschrieben: »Die Aufgabe des jüdischen Freistaates ist die Bildung eines Geistesstaates.«17 Typisch für Raphaels Lebenseinstellung ist die Bemerkung während seiner Überfahrt, »daß das Leben auf dem Schiff auch nur eine Art Gefangenschaft ist« (S. 349). Raphaels anfängliche Euphorie über die Rettung aus Frankreich wich allerdings bald einer wachsenden Depression, die durch seine Vereinsamung verstärkt wurde. Wie einer der Herausgeber seiner Werke schreibt: »Raphael war […] zur Existenz des mittellosen und sich isolierenden Privatgelehrten verurteilt.«18 Es ist auffallend, wie isoliert er in New York blieb, wo es doch eine ganze Anzahl »heimatloser Linker« im Exil gab, zum Beispiel Hans Sahl, George Grosz und Oskar Maria Graf; doch nach einem Abend bei Erwin Piscator schien es Raphael, »jeder fährt fort oder möchte fortfahren, das zu tun, was er früher getan hat«. Die Menschen seiner Umgebung, die Emigranten besonders, »ekeln ihn an«.19 Max Raphael klammerte sich an seine Arbeit, sein Schreiben, das für ihn ein zweites Leben wurde. Dabei fühlte er sich in der Gesellschaft überall fehl am Platze. So schrieb er am 25. August 1942 an seine Frau: »Wenn man einen Elephanten auf ein Drahtseil setzen würde, könnte man ihn nicht besser plazieren, als ich mich selbst plaziert habe.«20 Am 17. Februar 1945 machte er seiner Frau die Mitteilung, dass er je 500 Dollar Vorschuss für zwei Bücher bekommen hätte.21 Dabei handelte es sich um ganz neue Forschungsprojekte, von denen zwei Bände in der Bollingen Series bei Pantheon Books erschienen: Prehistoric Cave Paintings, 1946, und Prehistoric Pottery and Civilization in Egypt, 1947.22 Ein Projekt »Masterpieces in American Museums«, eine Serie von Beschreibungen herausragender Gemälde, zerschlug sich »aus unerfindlichen Gründen«.23 Max Raphaels Situation sah schließlich für ihn so ausweglos aus, dass er sich am 14. Juli 1952 das Leben nahm. Er hinterließ einen reichen Nachlass an Manuskripten, mehr oder weniger publikationsreif, Bruchstücke eines gewaltigen Projekts,
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das unter den Umständen des Exils zum Scheitern verurteilt war. Seine Witwe Emma Raphael sichtete, ordnete und transkribierte in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit die vorhandenen Manuskripte und ließ nicht nach, nach Publikationsmöglichkeiten zu suchen. Der hoffnungsvolle Anfang mit dem Band The Demands of Art in der Bollingen Series, 1968, der einiges Echo hervorrief, fand allerdings ein schnelles Ende, da die Bollingen Series eingestellt wurde.24 Nach einem Vorstoß des S. Fischer Verlags in den siebziger Jahren kam es erst in den achtziger Jahren zu dem Versuch einer Gesamtausgabe, die allerdings wenig von Raphaels Briefen und seinen Tagebüchern enthielt, von denen Hans-Jürgen Heinrichs urteilt: »Raphaels Tagebücher stehen in Umfang und Dichte in nichts seinem wissenschaftlichen Werk nach.«25 Die wesentlichen Informationen über Raphael stehen in den Einleitungen und Nachworten der Bände der »Gesamtausgabe«, der Nachlass befindet sich im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.
Die Entdeckung der modernen Kunst Max Raphael kam 1911 nach Paris. 1912 sah er zum ersten Mal ein Bild Picassos, dessen Werk ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigte. In Paris lebte Raphael in der Atmosphäre der Ateliers und Kunstgalerien; er hatte ein »Interview« mit Rodin und besuchte Matisse und Picasso. Neben Henri Laurens war er vor allem von Bildern Cézannes beeindruckt. Darüber hat er einiges geschrieben.26 Aus diesen Eindrücken und Erlebnissen entstand der Plan zu Raphaels erstem Buch: Von Monet zu Picasso. Grundzüge einer Ästhetik und Entwicklung der modernen Malerei, 1913.27 Dieses Buch, das als Dissertation gedacht war, jedoch von Heinrich Wölfflin abgelehnt wurde, demonstriert den Zusammenstoß zweier Generationen zu Beginn der Moderne. Es ist dabei nicht ganz sicher, ob Wölfflin eine Dissertation über lebende Künstler und speziell über Picasso für unmöglich ansah oder den Text von Max Raphael nicht »akademisch« genug fand.28 Das Buch Von Monet zu Picasso besteht aus einem »theoretischen« und aus einem »praktischen« Teil. Der entscheidende Punkt des theoretischen Teils ist, nach der Formulierung der Einleitung des Herausgebers, die »Behauptung eines einheitlichen schöpferischen Triebs« (S. 23). Es geht Raphael schon hier um die Gestaltung, nicht das Sein des Kunstwerks, sondern das »Werden«, und um die Vorstellung der Gesamtheit, oder wie es Raphael selbst formuliert: »So ist das Sehen weder Akt eines einzelnen Organs noch ein isoliertes Vermögen, das auf der Seite des Subjekts die Welt der Kunst erzeugte, sondern die innige Gesamtheit aller in einer spezifischen Präponderierung.« (S. 49) Sehen ist aktiv, schöpferisch; unsere Welt entsteht durch das Sehen, und speziell die Kunst erschafft sich und uns die Welt. Dabei versucht Raphael den schöpferischen Vorgang im Sinne der Moderne zu erfassen; die folgende Feststellung kann als Begründung des Kubismus angesehen werden: »Daß der Stoff in dem Maße, in dem er sich entmaterialisiert, sich auch geometrisiert, und zwar in einer unendlichen Beziehung.« (S. 67) Der »praktische« Teil behandelt die Entwicklung der modernen Malerei als Überwindung des Impressionismus. Raphael geht von Monet und Rodin aus, beschreibt den »Vitalismus« van Goghs, kommt zu dem Werk von Cézanne, das er als entscheidende Leistung darstellt, und schließlich über Gauguin und den Expressionismus zu seinem Ziel, zu Picasso. »Picasso kam mit dem Siegerschritt des spanischen Mystikers.« (S. 177) In Picasso sieht Raphael zu dieser Zeit sowohl die Erfüllung der
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Moderne als auch deren höchste künstlerische Begabung: »Wir haben es mit einem im höchsten Sinn schöpferischen Künstler zu tun.« (S. 191) Das war 1913 noch eine gewagte Feststellung. Max Raphaels Stil und Thesen befremdeten nicht nur Heinrich Wölfflin, sondern die Mehrzahl der Kunsthistoriker der Zeit. Auf eine Kritik des Professors Richard Hamann über seine Unverständlichkeit antwortete Raphael mit dem Aufsatz: »Über den Expressionismus. Offener Brief an Professor Richard Hamann«.29 Wilhelm Waetzold stellte die Frage: »Sollte es Ihnen da nicht möglich sein, sich über die Kunst so auszudrücken, daß wenigstens ein Fachmann die Mehrzahl Ihrer Sätze versteht?«30 In diesem Unverständnis zeigte sich nicht nur der Widerstand gegen Raphaels schwierige Ausdrucksweise, sondern ebenso gegen sein dezidiertes Eintreten für die moderne Kunst, und im weiteren Sinn die mangelnde Bereitschaft der Kunstwissenschaftler, die »Sprache« der Moderne als legitim anzuerkennen.
Auf dem Weg zu einem Konzept der Geisteswissenschaften Von Anfang an betrachtete sich Max Raphael nicht als Fachwissenschaftler, als Kunsthistoriker oder selbst im weiteren Sinne Kunstwissenschaftler, sondern als Kulturwissenschaftler und Kulturkritiker und Essayist. Er versuchte von einer möglichst breiten Basis auszugehen. Darin war er keine Ausnahme. Kunstwissenschaftler wie Wilhelm Hausenstein, Julius Meier-Gräfe, Carl Einstein (mit dem Max Raphael am häufigsten verglichen wird) und natürlich Walter Benjamin versuchten alle, von einer Gesamtschau auszugehen. Es war deshalb nicht nur verständlich, dass sie Literatur, Musik und Philosophie einbezogen, sondern dass sie Kunst als gesellschaftliches Phänomen fundieren wollten. Da die Kunstwissenschaft noch kein akademisch fest fixiertes Fach war, war der Status der Kunstwissenschaftler typischerweise nicht akademisch; sie waren freie Schriftsteller und »Essayisten«, die ein allgemeines gebildetes Publikum ansprechen wollten. Als Student hörte Max Raphael Vorlesungen in Jura und Nationalökonomie, wobei ihn in München der »Kathedersozialist« Schmoller beeindruckt haben kann. Später studierte er für sich selbst Mathematik und Physik. Er setzte sich mit dem Neuthomismus auseinander und vertiefte sich in den antiken Skeptizismus. Er schrieb über Platon und Spinoza. In der Literatur beschäftigte ihn am meisten die französische Dichtung: Flaubert, Racine, Valéry sind die hervorstechenden Namen.31 Frankreich war das Land, das ihn am meisten anzog. Er sah hier als dem einzigen Land in Europa eine durchgehende Kulturtradition. Das führte ihn später auch zu der Beschäftigung mit den romanischen Kirchen Südwestfrankreichs und Studien über die Kathedrale von Chartres.32 Bei seiner Lektüre der Werke von Karl Marx stieß er auf dessen Feststellung, dass die Entwicklung der Wirtschaft und der Kunst keineswegs parallel sein müssen, wie sich bei der Kunst und Gesellschaft des antiken Griechenlands zeigte. Auch stutzte er bei Marx’ Verwunderung, dass diese griechische Kunst bis zur Gegenwart immer noch ein maßgebender Höhepunkt sei. Das bestärkte Raphael in seinem Nachdenken über den »klassischen Menschen« und über das Phänomen der klassizistischen Renaissancen. Auch in dieser Hinsicht fand er in Deutschland nicht die Kontinuität, die er in Italien und Frankreich sah.33 Max Raphaels Suche nach einer Fundierung der Kunstwissenschaft als Wissenschaft führte ihn immer weiter in die Erkenntnistheorie. Bei dieser Suche fand er die
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entscheidenden Stützen in den Werken von Marx und Engels. Das Ergebnis seiner umfassenden langjährigen Arbeit war eine »Theorie des geistigen Schaffens auf marxistischer Grundlage«, wie die späteren Herausgeber es nannten, oder in Raphaels eigener Formulierung die »Erkenntnistheorie der konkreten Dialektik«, über die er 1934 in Paris ein Buch (auf Deutsch!) veröffentlichen konnte. Grundlegend ist dabei der »Zusammenhang von Geschichtswissenschaft und Schaffenstheorie«.34 Der dialektische Materialismus ist für Raphael »materialistische Dialektik« (S. 15), eine Dialektik, die »empirisch und geschichtlich geworden ist« (S. 15). Bei seiner Schaffenstheorie war es Raphael wichtig zu betonen, dass der Marxismus »kein absoluter Determinismus« ist (S. 25). Zwar betont Raphael den »Klassencharakter aller Erkenntnistheorien« (S. 22); aber die Freiheit des Schaffens, die »Selbstbewegung des Schaffensprozesses« (S. 33) bleibt primär. Er handelt von der »Vermittlung des Unbewußten und Bewußten« (S. 26) und untersucht die »Relationslogik«, die umfassender ist als »Seinslogik« (S. 29). Worauf er hinaus will, ist die Wahrnehmung und Erkenntnis des konkret Einzelnen, der unverwechselbaren Individualität, gegenüber dem nur »verstandesmäßigen Denken«, das »auf der Basis der Quantität das sucht, was allen Bildern gemeinsam ist als die Kraft, welche der Wirklichkeit solcher innewohnt und die Beziehung aller ihrer Teile miteinander regelt« (S. 68). Raphael wendet sich gegen Dogmatismus, gegen die »mechanische Interpretation des Marxismus« (S. 169), zumal gegen die einseitige Interpretation der Beziehung von materieller Basis und geistigem Überbau oder Sein und Bewusstsein. Raphael hingegen betont die Wechselbeziehungen und die Rückwirkung des Bewusstseins auf das Sein. Dabei sieht er, dass die Arbeitsteilung und Ausbeutung des Kapitalismus sich denkbar ungünstig auf die Kunst und die schöpferische Tätigkeit auswirkt. Raphael verfolgt die Folgen der Entfremdung und Verdinglichung für die Kunst und das Schaffen des Künstlers, um das sein eigentliches Denken kreist. Raphael sah sich primär als Lehrer und versuchte immer wieder, seine Theorien einem Publikum verständlich zu machen. Aus diesen Bemühungen entstand unter anderem das Buch Arbeiter, Kunst und Künstler,35 das in Form von »Vorlesungen« die Frage beantworten will: »Wie soll sich der Arbeiter mit Kunst beschäftigen?« (7-50) Es ist fraglich, wie leicht zugänglich diese Ausführungen für ein Publikum von Arbeitern waren oder gewesen wären; sie hätten eher heißen sollen: »Prolegomena zu einer marxistischen Kunsttheorie.«36 In dem Teil, der die Ausgangsfrage: »Wie soll sich der Arbeiter mit Kunst beschäftigen?« behandelt, versucht Raphael die gegenwärtige Situation geschichtlich zu erklären. Er sieht das eine Übel im »mathematisierende[n] Rationalismus« (S. 13). In der Kunst zeigt sich das an der Art der Abstraktion: »Die abstrakten Künstler gingen […] rückwärts: vom Bild zum Zeichen.« (S. 10) Es ist die Isolierung und Atomisierung, die dem jetzigen Künstler den Weg zur Gesamtschau versperrt: »Aufspaltung, Isolierung, Verabsolutierung erklären uns viel von den Erscheinungen, welche die geistige und soziale Situation der jungen Künstler ausmachen.« (S. 12) Dagegen möchte Raphael seinen Grundsatz zur Geltung bringen: »Kunst aber ist die Gestaltung von Natur und Gesellschaft durch das Ganze der geistigen Vermögen des Menschen.« (S. 12) Doch das ist dem Künstler der Gegenwart verwehrt. Die Kunstrichtungen der Gegenwart leitet Raphael so ab: »Wie die abstrakte Kunst den Klassizismus weiterführt, so der Surrealismus die (bei Rousseau verwurzelte) Romantik.« (S. 14) In beiden Fällen ist die Kunst, bei aller schöpferischen Begabung und bedeutenden Leistungen, auf einem falschen Wege. Im Folgenden betont Raphael den Klassencharakter der Kunst. Er beklagt, dass »die Kunst nicht ihren Sinn, wohl aber ihre Funktion seit Beginn der kapitalistischen
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Epoche immer mehr verloren hat« (S. 19). »Jede Kunst hat notwendig einen sozialen und politischen Inhalt.« (S. 26) Sie spricht also die Weltanschauung einer Klasse aus. »Ein materialistisches Kunstwerk ist dasjenige, das die jeweils beherrschte Klasse von ihrem eigenen geschichtlichen Standpunkt aus ansieht und mit Ausdrucksmitteln darstellt, die dem Wesen dieser Klasse entsprechen.« (S. 33) Das Mechanische der gegenwärtigen Kunst rührt nach Raphael daher, »da […]unsere ganze materielle Kultur auf der Maschine beruht« (S. 29). Die Kunst, die aus dem Widerstand der Künstler gegen die kapitalistische Ausbeutung entsteht, charakterisiert er als »Einheit von Elend und Kraft, von Ausgebeutetwerden und Freiheitswillen« (S. 34). In dieser Weise versucht Raphael, die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Zwängen und der schöpferischen Freiheit des Künstlers zu klären, und insbesondere den Künstler unter den Bedingungen des gegenwärtigen Kapitalismus zu verstehen. Es ist typisch für Raphael, dass er seine Theorien sofort konkret exemplifizieren will, und zwar gerade an Kunstwerken, die auf den ersten Blick dafür kaum geeignet scheinen. So bietet er hier als »Monographie eines Bildes« (S. 51-168) eine »Römische Landschaft« von Camille Corot. Dabei lässt er sich aus über »Sehfeld und Bildfeld, Wahrnehmungsbild und Realisationsbild« (S. 51), was ihn nicht nur tief in die Einzelheiten des Bildes führt, sondern genauso in die französische Wirtschaft nach 1815 und die Entfremdung des Menschen, die sich etwa daran zeigt, dass Corot »die Landschaft einsam und ungesellig macht« (S. 115). Die eingehende Einzelanalyse führt zurück zum »Versuch einer Theorie der Kunst des liberalen Konkurrenzkapitalismus« (S. 123-168). »Da das Wesen des Künstlers auf Totalität beruht« (S. 132), versucht er die Gesamtschau negativ, satirisch, durch die Karikatur zu erreichen: »Diesen Zwiespalt überwand die Karikatur, welche die Verdinglichung des Menschen gegen seine Menschlichkeit kontrastiert, um die Zersetzung alles dessen an der Selbstentfremdung aufzuzeigen, was im Menschen noch als Geschöpf Gottes oder Gewächs der Natur angesehen werden könnte.« (S. 132) Raphaels Musterbeispiel für den großen Künstler der Karikatur ist Daumier.37 Er stellt fest: »Der Verfall des Menschen kommt besonders stark in der Geschichte des Porträts zum Ausdruck.« (S. 137) An Rodin kritisiert er zum Beispiel, ein Porträt von ihm gebe uns »ein Fragment statt einer Totalität, eine zerrissene Vielfalt statt einer in sich mannigfaltigen Einheit« (S. 137). Er sieht den Verlust der Gesamtheit im Zusammenhang »mit [der mit] dem Verlust des menschlichen Maßstabes sich entwickelnde[n] Meßbarkeit« (S. 144). Daraus kann er den allgemeinen Schluss ziehen: »Man unterlag dem abstrakten Formalismus, der unzertrennlich zum Kapitalismus gehört.« (S. 147) Der Kapitalismus wiederum bringt mit sich die »Vermassung des Publikums« (S. 162) und auch die »Auflösung des Einheitskunstwerkes« (S. 152), was hier bei Raphael als Zusammenhang gesehen wird. Wie immer kommt Raphael nach Einzelanalysen wieder auf seine allgemeine Theorie zurück, die weit über Kunstwissenschaft hinausführt. Von der Perspektive der Kunst aus untersucht er die Theorie des Marxismus und stellt fest, die habe sich jetzt »zur Angstneurose eines unsicher und darum dogmatisch gewordenen Marxismus« entwickelt (S. 170) Raphael wendet sich dezidiert gegen jede Form der Dogmatik, vor allem im Marxismus, wo sie für ihn besonders schädlich ist. Er betont die Geschichtlichkeit, beziehungsweise »das enge Wechselverhältnis von Geschichte und Erkenntnistheorie« (S. 181). Geschichte »muß als schöpferischer Prozeß aufgefaßt werden« (S. 181). Dabei hat »jede geschichtliche Epoche […] ihre eigene Kunsttheorie« (S. 172). Doch zugleich mit den geschichtlichen Veränderungen bleiben absolute Maßstäbe, die einer Theorie wie dem Marxismus zu schaffen machten: »Das eigent-
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liche Problem einer marxistischen Kunstkritik […] besteht in dem Nachweis, daß die Anschauung von der zugleich absoluten und relativen Wahrheit auch in der Kunst gilt.« (S. 193) Das gilt auch für die Frage der Geschichtlichkeit. Ein entscheidender Punkt bei dem marxistischen Schema von Basis und Überbau ist für Raphael die Wechselwirkung oder »die Rückwirkung der Kunst auf ihre eigenen Bedingungen« (S. 198). Für Raphael kommt es darauf an, dass die Methode der Kunstwissenschaft es erlaubt, die Individualität des Kunstwerks zu erkennen und zu beschreiben. »Auf die Individualität des Kunstwerkes wird nicht verzichtet, sondern sie wird voll zur Analyse gebracht, und zwar mit einer konstitutiv-beschreibenden Methode.« (S. 209) Der Anfang ist immer die möglichst präzise Beschreibung der Details, die bei Raphael oft sehr weit geht, so dass der Leser es nicht leicht hat, die Zusammenhänge im Blick zu behalten. Erst aus der Analyse des einzelnen Kunstwerks kann sich jedoch eine Gesamtanschauung ergeben, das ist Raphaels Grundüberzeugung. »Die Fülle der Individualitäten wird durch typologische und statistische Methoden zu einem Gesamtbild der Kunst einer Epoche geordnet. Der Wertbegriff verschwindet aus der Kunstgeschichte und die Epochen werden untereinander gleichwertig.« (S. 209) Dieser letzte Punkt ist Raphael besonders wichtig; denn gerade in der Kunst wurde (und wird) der »Wert« der Kunstwerke verschiedener Epochen oft mit Vorurteilen beurteilt. Es ist hier nicht möglich, weiter in Raphaels Auseinandersetzung mit Marx und dem Marxismus einzudringen. Ohnehin ist Norbert Schneider zuzustimmen, wenn er sagt: »Raphaels kunsttheorisches Werk widerstrebt einer systematisierenden Zusammenfassung.«38 Das hängt zum Teil damit zusammen, dass er auch nach seiner Wandlung zum Marxisten lebensphilosophische Anschauungen von Bergson und Simmel bewahrt hat, zumal den Kernpunkt des schöpferischen Triebes oder »élan originel« (S. 259), und dann, dass seine marxistische Theorie nicht festgeschrieben war, sondern sich entwickelte, ohne Rücksicht auf Parteidoktrine.39 Die empirische Grundlage, also die genaue Beschreibung des einzelnen Kunstwerks, blieb dabei für ihn unverzichtbar. Davon, und nicht von einer Theorie der Epoche und des geschichtlichen Verlaufs, wollte er ausgehen.
Ein Kunstwerk will gesehen sein Max Raphaels Kunstwissenschaft geht also aus von der Erfassung des einzelnen Kunstwerks. Die genaue und detaillierte Beschreibung des Kunstwerks und der Umstände seines Entstehens sind die Grundlage für jedes Verständnis der Kunst, ihrer Geschichte und ihrer Verankerung in der Gesellschaft, die sie hervorbringt. Max Raphael stand am liebsten vor dem Kunstwerk selbst und beschrieb und erklärte es Zuhörern, weit lieber, als seine Analyse für sich niederzuschreiben. Dieser lebendige Kontakt, der auch das Kunstwerk zum Leben erweckte, fehlte ihm in der Emigration, am meisten in seinem letzten Lebensjahrzehnt in New York. Es gab allerdings das Projekt, die bedeutendsten Bilder der New Yorker Museen zu beschreiben, und diese Beschreibungen in einem Bildband oder mehreren Bildbänden zu publizieren, mit dem Titel: »Masterpieces in American Museums«. Dieses Projekt zerschlug sich, warum, geht aus vorhandenen Dokumenten nicht hervor, Hans-Jürgen Heinrichs sagt, »aus unerfindlichen Gründen«,40 wie manche andere Projekte und Pläne, was Raphael zunehmend entmutigte. Er war und blieb offenbar der unpassende Einzelgänger, wenn auch mit einem kleinen Kreis ihn verehrender Freunde, einer, der nicht im Mi-
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lieu der Emigranten stecken bleiben wollte, sich aber auch nicht in das amerikanische Kulturleben hineinfinden konnte. Wie will ein Kunstwerk gesehen sein, war die Frage, die ihn eigentlich beschäftigte. Dabei verstand er unter »Sehen« kein passives Empfangen, sondern etwas Schöpferisches, einen Prozess. Erst in diesem Prozess des Sehens »entstand« das Kunstwerk, man kann es eine Parallele zum schöpferischen Prozess nennen, durch den das Kunstwerk entstanden war. Raphaels Einzelstudien zeichnen sich durch ihre Akribie aus, die ein Kunstwerk von allen Seiten her durchleuten will: in seiner Raumordnung und Perspektive, in seinen Farb- und Lichtschattierungen und -wirkungen, in der Gesamtstruktur und in der Zusammenstimmung von Form und Inhalt. Dabei geht Raphael in seinen Beschreibungen dynamisch vor. Er beschreibt eigentlich eher das Entstehen, das Werden des Kunstwerks, die Schöpfung des Künstlers, als ein fertiges »Produkt«. In seinen Bildanalysen geht er vor wie ein Chirurg, um dann wie ein Architekt das Werk neu zu bauen.41 Mit diesem Verfahren kommt er notgedrungen auch auf die materiellen Faktoren zu sprechen und auf den gesellschaftlichen Kontext. Raphael polemisiert gegen den abstrakten Begriff des »Stils«, den er der akademischen Kunstgeschichte unterstellt. Der »Stil« ergibt sich für ihn aus den materiellen Bedingungen, den konkreten Bedürfnissen und der Vision des Künstlers. Es ist die doppelte Perspektive, die Raphael eigentlich interessiert: die gesellschaftlich-geschichtlichen Bedingungen und »Einflüsse« auf der einen Seite und die Idee der überzeitlich gültigen Kunst, der Ganzheit und Harmonie des Kunstwerks, die das Ergebnis der schöpferischen Energie des Künstlers ist, abstrakt gesagt: Das »relative Absolute«. Gegenüber der Tendenz zum Determinismus bei den Marxisten betont Raphael die Freiheit des Künstlers, aus den ihn bestimmenden Eindrücken und Erfahrungen die Transformation in ein gültiges Kunstwerk zu leisten. Raphael suchte seine Exemplifizierungen in Kunstwerken aus vielen Jahrhunderten, vor allem der Malerei von der Renaissance bis zur Gegenwart. Einige der Namen sind Leonardo da Vinci, Raphael, Rembrandt, El Greco, Poussin, Corot, Manet, Cézanne, und immer wieder Picasso. Aus einer formalistischen Analyse, die gerade in Raphaels späten Arbeiten immer subtiler wurde, drang er dann zu den Problemen des Inhalts und der gesellschaftlichen wie geschichtlichen Einordnung vor. Nur ein Beispiel für Raphaels eindringendes Sehen: In seinen Studien zu Schwarz als Farbe in der Malerei42 sagt Raphael, »daß man sehr scharf unterscheiden muß zwischen dem Gefühlswert der Farbe als solcher und dem Gefühlswert des Werkstoffmittels Farbe«. (S. 29) Bernd Growe nennt die Studien »Bausteine zu einer Elementartheorie der Bildfarbe«. (S. 153) Raphaels Beispiele stammen übrigens sämtlich aus dem Metropolitan Museum in New York. Er war darauf angewiesen, seine Studien am Original selbst vorzunehmen und verbrachte lange Stunden in der Betrachtung der Kunstwerke. Zu Resultaten musste er sich erst »durcharbeiten«.43 Raphaels Schreibweise entsprach seiner Arbeitsweise. Sie war umständlich, mit langen, komplizierten Sätzen. Allerdings ist zu bedenken, dass viele Texte eigentlich noch nicht »fertig« waren, sondern eher Entwürfe, »work in progress«, die sicherlich von ihm selbst noch überarbeitet worden wären. Eine allgemeinverständliche Serie »Masterpieces in American Museums« zur Einführung für ein größeres Publikum hätte gewiss viel einfacher abgefasst werden müssen.
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Der klassische Mensch In den Schriften von Karl Marx fand Max Raphael die Feststellung, dass im antiken Griechenland keine Parallele zwischen der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung festzustellen sei, und dass es ein Paradox bleibt, dass die griechische Kunst bis heute als mustergültig und maßgebend angesehen wird. Max Raphael beruhigte sich keineswegs bei diesen Feststellungen. Sie führten ihn vielmehr zum Nachdenken über den »klassischen Menschen« und seine Mustergültigkeit und zur Frage der Natur von Renaissancen oder Klassizismen. Typischerweise ging er das Problem von zwei Enden an: von der dorischen Architektur am Beispiel des Tempels in Paestum und dem Parthenon und vom »Klassizismus« der Gegenwart. Raphael befasste sich intensiv mit Architektur, mit den Grundelementen von Raum und Wand. Ihn faszinierte der Gegensatz der antik-griechischen und christlich-mittelalterlichen Raumauffassung. Er brachte das so auf den Punkt: »Der griechische Tempel ist ein endlicher konstanter geometrischer Körper, die christliche Kirche ist ein Weg ins Unendliche.«44 Das bedeutet: »Der Grieche sagt: der Körper ist das einzig mögliche Ziel aller Vergeistigung. Der Christ sagt: der Geist ist das einzig mögliche Ziel aller Körperlichkeit.« (S. 89) Mit anderen Worten: während das Christentum auch in der Architektur die Überwindung des Körpers anstrebt, erfährt das antike Griechenland Geistigkeit in der Anschauung des schönen Körpers und der gesehenen Harmonien. Raphael scheute sich nicht vor Spekulationen, die aus der Betrachtung der Kunstwerke hervorging. So sagt er vom Tempel in Paestum, »daß hier ein Greis mit der Lebenserfahrung und Weisheit eines biblischen Alters gebaut hat«. (S. 219) Bei der Interpretation des Westgiebels des Zeustempels von Olympia (S. 293-398) geht es Raphael um die Beschreibung des »klassischen Menschen«, den er in der Figur des Peirithoos dargestellt findet. Ein Hauptpunkt seiner Analyse ist die Entdeckung: »Das Zentrum der echten klassischen Kunst ist Dialektik.« (S. 298) Dies bringt die echte Klassik in einen Gegensatz zur »Pseudoklassik von Raffael bis Ingres und zur abstrakten Kunst«. (S. 298) Obwohl sich Raphael gegen Wertungen aussprach, war hier ein klares Werturteil gegeben, auch Raffael entsprach nicht seinen Vorstellungen von »Klassik«. Ihn beschäftigte dabei eigentlich »das Ganze und seine Teile, Kunst und Wirklichkeit«. (S. 349-352) Wie weit kann das Kunstwerk eine Gesamtschau wiedergeben? Bei den Griechen war »das Kunstwerk […] die Idee als Einheit des Wirklichen und des Möglichen«. (352) Raphael sieht sogar eine »Einheit von Geometrie und Organismus«, (S. 363) oder eine »Einheit von Daimon und Ananke«. (S. 373) Das führt zu dem Schluss: »Die Idee dieser Selbst- und Weltgestaltung ist der Schnittpunkt des psychologischen und des metaphysischen Menschen, oder vielmehr ihre Synthese.« (S. 393) Das klingt nach Spekulation, meint jedoch, dass bei den Griechen in ihren Tempelfiguren das Menschliche und das Göttliche als seine Einheit gesehen wird, und damit ist der Tempel gleichzeitig menschlicher Wohnort und Ort der Verehrung höherer Mächte. Raphael verfolgt die Entwicklung der Skulptur im »archaische[n], klassische[n] und ägyptische[n] Körper« (S. 399-460) und kommt zu allgemeinen Feststellungen wie: »Der archaische Mensch steht primär in Beziehung zu ihn absolut transzendierenden Mächten außer ihm.« (S. 436) Hingegen in der Klassik: »Im Peirithoos ist das Kunstwerk autonom, weil es das in der Gestalt des Menschen geschaffene Ebenbild des harmonisch geordneten Kosmos ist.« (S. 439) Den eigentlichen Antrieb der ägyptischen Kunst sieht er wiederum in der »metaphysischen Gier nach einem Leben ohne Tod«. (S. 449)
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Von seinem früheren Enthusiasmus für die moderne Kunst kam Raphael ab, er gelangte zu einer kritischen und distanzierteren Einschätzung, selbst von Picasso. Raphaels gründliche Monographie von Picassos »Guernica« führt zu dem Ergebnis, dass selbst ein Genie wie Picasso unter den geschichtlich-gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart nicht ein wahrhaft großes Kunstwerk schaffen kann. Raphaels Kritik am Kapitalismus und die daraus folgende Entfremdung des Menschen verbinden sich mit der Kritik an der Technik bzw. an der Einstellung, das menschliche Leben als ein »technisches Problem« anzusehen. Das führt zur Selbstzerstörung der Kunst: »Erst seitdem man technisch alles kann, kann man künstlerisch nichts mehr.« (S. 516)
Für eine demokratische Architektur Eine neue Architektur, sozialer Wohnungsbau und Stadtplanung gehörten zu den großen Themen des frühen 20. Jahrhunderts. Max Raphael engagierte sich vor allem in den dreißiger Jahren bei zwei Projekten. Er freundete sich mit dem französischen Architekten André Lurçat an, in dessen Atelier er nach 1933 auch Vorträge hielt. Er trat für Lurçats demokratische bzw. sozialistische Konzeption ein gegenüber dem Konstruktionen von Le Corbusier, die er als überladen, unnötig komplex und »hierarchisch« ansah. »Jeder Bau von Le Corbusier erscheint dank seiner einfallsreichen Spielerei mit der Konstruktion auf den ersten Blick überraschender, interessanter, persönlicher, neuartiger, erfindungsreicher.« (S. 29)45 Damit vergleicht er den Komplex von Schulgebäuden von André Lurçat in Villejuif bei Paris. Er sieht diesen Bau als »einen Markstein« in der Geschichte der modernen Architektur. (S. 20) Raphael schrieb auch den Text zu Lurçats eigener Darstellung seiner Gebäude.46 Einen grundlegenden Unterschied sieht er darin: »Le Corbusier spricht immer wieder von Durchblick, Lurçat immer wieder von geschütztem Raum.« (S. 17) Raphael unterstützt die Vorstellung, dass ein Gebäude in sich geschlossen sein soll und nicht ein Teil einer »Landschaft«. Ihm missfallen die herausfordernd unproportionierten Elemente der Bauten von Le Corbusier. Raphael vertieft sich in die Geschichte des Baumaterials und äußert sich besonders kritisch über die Revolution, die durch die Verwendung von Eisenbeton entstanden ist. »Jede Verwendung des Eisenbetons in der Absicht, eine Architektur zu machen, die zugleich Kunst ist, trägt einen inneren Widerspruch in sich, der zum versteckten oder offenen Ruin der Architektur führen muß.« (S. 41) »Die moderne Architektur ist in eine Sackgasse geraten.« (S. 45) Von besonderem Interesse sind heute noch Raphaels Überlegungen zu den Entwürfen für einen monumentalen »Sowjetpalais« in Moskau, dessen Wettbewerb gerade in den Jahren 1933/34 akut war, und dessen Ausführung sowohl an technischen als auch vor allem an politischen Schwierigkeiten scheiterte. (S. 53-131) Raphaels Kritik ist weitgehend politisch, wie der Titel seines (unveröffentlichten) Beitrags andeutet: »Eine marxistische Kritik an einer reaktionären Architektur«. Er kritisiert die klassizistische, heroisierende Architektur. »Heroisierung ist also das Gegenteil der Dialektik, ein Ersatz für Totalität.« (S. 64) Er nennt den vorgezogenen Entwurf »eine reaktionäre Eklektik und Utopie« (S. 68). Noch schärfer wird die abschließende Kritik: »Der Bau zeigt die Macht der Ideologie der früher herrschenden Klasse.« (S. 129) Die neuen Künstler »können sich nur dann erfolgreich als Architekten verwirklichen, wenn sie zugleich politische Revolutionäre sind« (S. 51). Die Entwürfe zum Sowjetpalais zeigen nicht nur die Macht der bürgerlichen Ideologie, sondern auch das
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Ende der Revolution in der Sowjetunion. Mit solchen Ideen hätte sich Raphael in einer kommunistischen Partei keine Freunde gemacht.
Prähistorische H öhlenmalereien, ägyptische Keramik und Wiedergeburtsmagie Es scheint zunächst überraschend, warum sich Max Raphael in New York auf scheinbar abseitige Projekte einließ, auf Studien zur altägyptischen, zur Kunst der Altund Jungsteinzeit. Es war auf keinen Fall allein die Möglichkeit, etwas veröffentlichen zu können. Immerhin bekam Raphael einen Vorschuss von je 500 Dollar für die zwei Bände, die 1945 und 1947 in englischer Übersetzung (von Norbert Guterman) bei Pantheon in New York in der Bollingen Series erschienen: Prehistoric Cave Paintings, 1945, und Prehistoric Pottery and Civilization in Egypt, 1947. Leider scheint sich aus diesen Publikationen keine persönliche Verbindung zwischen Kurt Wolff und Max Raphael ergeben zu haben. Aus diesen Forschungen entstand noch ein dritter Band, den später Raphaels Freundin Ilse Hirschfeld zusammen mit Shirley Chesney herausgegeben hat, Wiedergeburtsmagie in der Altsteinzeit.47 Raphaels Interesse an dieser frühen Kunst hatte mehrere Quellen. Er suchte nach den Anfängen, dem Ursprung der menschlichen Kultur. In der Qualität dieser vor- und frühgeschichtlichen Kunst wollte er auch den Beweis finden, dass das konventionelle Wertesystem der Kunstgeschichte falsch war. Es war irreführend, von »Höhepunkten« der Kunst, besonders der griechischen Antike und der Renaissance, auszugehen. Vielmehr wollte er die Gleichwertigkeit jeder Epoche statuieren. Außerdem durfte seiner Ansicht nach nicht vorausgesetzt werden, dass die »Entdeckung« und Einführung der linearen Perspektive als »Fortschritt« gesehen werden musste. Die Vorstellung des Fortschritts, zumal im Einklang mit der geschichtlichen Entwicklung, war für Raphael mehr als zweifelhaft. Dazu fand er in der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts ebenfalls genügend Belege. Noch in seinem letzten Buch über Georges Braque kam er darauf zurück.48 Der letzte Grund der langjährigen Beschäftigung mit der Kunst und Zivilisation der Alt- und Neusteinzeit ist, dass gerade hier, in den Anfängen menschlicher Kunst und Kultur, die Begründung einer Kunstwissenschaft gefunden werden konnte. Bei seinen Forschungen zur Höhlenmalerei in Frankreich war Raphael allerdings dadurch behindert, dass er mit Reproduktionen und Buchillustrationen arbeiten musste und nicht die Originale studieren konnte. Einer der vielen Gründe, warum er nach dem Krieg unbedingt nach Frankreich reisen wollte, war der Wunsch, endlich die Höhlenmalereien an Ort und Stelle zu sehen. Immerhin hatte er eine fortgesetzte und gründliche Korrespondenz mit den französischen Forschern, die ihm auch ihre Unterstützung erklärt hatten, wenn er selbst zur Besichtigung der Höhlen in Frankreich und Nordspanien kommen sollte.49 Die altägyptische Keramik konnte er allerdings in den Museen in New York studieren. Es ging ihm dabei nicht nur um die Beschreibung der Formen und Symbole, sondern um den Zusammenhang mit der altägyptischen Zivilisation und ihrer geschichtlichen Entwicklung, die durch die ökonomische Basis in der Landwirtschaft und die Folge von Eroberungszügen geprägt war, was beides zu einer strikten Klassengesellschaft führte. Insgesamt hat sich Raphael in seinem Buch Prehistoric Pottery and Civilization in Egypt eng an eine Beschreibung und Deutung der Keramik gehalten.
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Der mangelnde Zugang zu den Originalen der Höhlenmalerei verführte Raphael zu einigen Verallgemeinerungen und Spekulationen, die die Forschung inzwischen als irrig erwiesen hat. Max Raphael neigte dazu, bei aller Präzision seiner Beschreibungen in seinen Deutungen auf Spekulationen zu verfallen; so vermutete er zum Beispiel, dass Leonardo da Vinci Hieroglyphen gedeutet und entziffert hatte.50 Andererseits sind etliche seiner Deutungen und Ideen inzwischen von der Forschung bestätigt worden. Insbesondere kann die Vorstellung der Wiedergeburt, zumal einer Wiedergeburt durch Magie, wesentlich zur Erklärung der Höhlenmalereien beitragen, und zum Verständnis dafür, warum bestimmte religiöse Symbole in der Geschichte der Menschheit sich erhalten haben. Das Thema der Wiedergeburt als permanentes Anliegen der Menschheit hat Max Raphael durch seine Forschungen gültig demonstriert. Der zweite Teil von Wiedergeburtsmagie in der Altsteinzeit bringt dafür eine Reihe von Beispielen, etwa die Bedeutung der Dreizahl (S. 134-141). Auch die Tiersymbole haben eine erhebliche Bedeutung. Für Max Raphael waren diese Forschungen auch insofern wichtig, als er hier Beschreibungen und Deutungen von Kunstwerken geben konnte, ohne durch das Wissen um die Biographie der Künstler »abgelenkt« zu sein. Er sah hier sozusagen reine Beispiele des schöpferischen Triebes, der zur Gestaltung des Kunstwerks führt.
Max Raphael als Kulturphilosoph und Gesellschaftskritiker Max Raphaels großes Projekt, eine Grundlegung der Kunstwissenschaft zu erarbeiten, führte ihn dazu, Kunst als eine der entscheidenden Tätigkeiten des Menschen und seines schöpferischen Triebes anzusehen und somit die Kunst im Kontext der Menschheitsgeschichte und der jeweiligen gesellschaftlichen und psychologischen Bedingungen zu sehen. Immer wieder führten ihn seine Deutungen über den Bereich der Kunst hinaus in die Ökonomie, Anthropologie, Philosophie und vor allem Geschichtswissenschaft. In seinen späten Arbeiten kam Raphael immer mehr auf das Grundsätzliche, auf die Elemente und Grundbedingungen der Kunst. Das zeigt sich besonders bei seiner Studie über Georges Braque, veröffentlicht unter dem Titel Raumgestaltungen, die er leider in einem unfertigen Zustand hinterlassen hat — eine Studie übrigens, die auf die Eindrücke bei einer großen Braque-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art zurückgeht.51 Dabei ist ebenfalls bemerkenswert, dass Raphael vollkommen von der Biographie und der Persönlichkeit des Malers absieht und sich ganz auf die Betrachtung der Bilder konzentriert. Darüber hinaus sah er in Braques Werk einen Schritt zur Überwindung des Individualismus in der Kunst, zum Absoluten. Raphael war der Ansicht, dass die eigentlich schöpferische Periode der modernen Kunst ihr Anfang um 1911 war, danach hätten sich selbst große Künstler wie Picasso, Matisse und Braque nur wiederholt oder gar verloren.52 Braque und Picasso hätten »die möglichen Raumerlebnisse und Raumgestaltungen« zum Thema ihre Kunst gemacht, so wie die Impressionisten die Tageszeiten.53 Von dieser Idee aus untersucht Raphael die Bilder Braques aus den verschiedenen Perioden seines Lebens. Das Ziel der (unvollendeten) Untersuchung war letzten Endes die Erkenntnis der Natur des Raumes und der Zeit bei Braque, und die sich daraus ergebende »geistig-seelische Vollständigkeit«. Raphael sah die Notwendigkeit zu einer Gesamtschau, die ihn zu Studien auf den verschiedensten Gebieten nötigte, aber auch sein Ziel in immer weitere Ferne rückte und sein Unternehmen aussichtslos werden ließ. Es ist daher nicht nur wegen der
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MAX RAPHAEL
desolaten Lebensbedingungen des Exils, dass sein Nachlass weitgehend aus unfertigen Stücken besteht, die zwar zu einem Ganzen gehören, aber sich noch nicht zusammenschließen wollen. Seine Witwe Emma Raphael und seine Freunde, der Kunsthistoriker Claude Schaefer und der Philosoph Joachim Schumacher, haben ihr Bestes getan, um diese Fragmente lesbar zu machen und eine Publikation vorzubereiten. Es bleibt verständlich, dass er, anders als Walter Benjamin und Carl Einstein, nicht von einer größeren Öffentlichkeit »entdeckt« wurde, und dass auch das Erscheinen einer »Gesamtausgabe« nur ein begrenztes Echo gefunden hat.
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An dieser Stelle möchte ich nicht verfehlen, Denise Modigliani, Paris, zu danken, die mich zuerst auf Max Raphael und seine Bedeutung aufmerksam gemacht hat. Ihre Übersetzung einiger Texte und Einführung in Raphaels Werk ist inzwischen erschienen: Max Raphael. Questions d’art. Traduit de l’allemand et présenté par Denise Modigliani (Paris: Klincksieck 2008), und hat mir wichtige Anregungen gegeben. Ich hoffe, dass diese Ausgabe helfen wird, Max Raphael in seinem Lieblingsland wieder bekannter zu machen. . Max Raphael konnte sich nie an einen akademischen Fußnoten-Stil gewöhnen. Bei aller Genauigkeit, ja fast Pedanterie, in seinen Bildbeschreibungen waren seine Zitate oft ungenau oder vage, und mussten in den späteren Ausgaben von den Herausgebern ergänzt oder berichtigt werden. Sicherlich hat sein salopper Umgang mit Sekundärliteratur auch eine Rolle bei Wölfflins Ablehnung gespielt. Auszüge aus seinem Tagebuch sind abgedruckt in Max Raphael: Lebens-Erinnerungen. Briefe, Tagebücher Skizzen Essays. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs (Frankfurt a.M./NY: Edition Qumran im Campus Verlag 1985), Einleitung S. 22, u. S. 51 u.a. Vgl. z.B. »Davoser Impressionen«. In Lebens-Erinnerungen, S. 225-241. Lebens-Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 94 (aus dem Tagebuch). Ebd., S. 74. Ebd., S. 72; dazu passt die Feststellung, »daß Militarismus und Machtstaat nur als unmoralische Anstalten möglich sind« (S. 151). Ebd., S. 66. Vgl. dazu Angela Thomas Jankowski: »Max Raphael, genannt ›machol‹ (=Tanz)«. In »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen.« Max Raphaels Werk in der Diskussion. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs (Frankfurt a.M.: Suhrkamp Taschenbuch, Wissenschaft 794, 1989), S. 219-241, bes. 226. Aus dieser Zeit stammten die Beziehungen zu Emmy Hennings, Alis Guggenheim, dem Marxisten Konrad Farner und dem Schauspieler Alexander Moissi. Anna Baumann-Kienast hat später alle auf Raphael bezüglichen Dokumente vernichtet. (S. 234) So in der Einleitung zu Lebens-Erinnerungen. In anderen Publikationen wird das Thema anders angegeben; doch jedenfalls handelt es sich um Karl Marx und Das Kapital. Max Raphael: Theorie des geistigen Schaffens auf marxistischer Grundlage. Fischer Format (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1974). Ebd., Einleitung, S. 25. Max Raphael: Für eine demokratische Architektur. Kunstsoziologische Schriften. Nachwort von Jutta Held. Fischer Format (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1976). Raphael vergleicht Lurçat vor allem mit Le Corbusier; in dem Band sind außerdem Arbeiten zur Architektur in der Sowjetunion enthalten. Hans-Jürgen Schmitt: » ›Ich möchte nicht genannt werden.‹ Emma Raphael — Skizze zu einem Porträt«. In »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen«, S. 242-247. Ebd., Briefwechsel mit Max Horkheimer und Leo Lowenthal 1934-1941, S. 415-421. Ebd., S. 330. Ebd., Notizbücher 1913-1929, S. 187, zum jüdischen Staat, S. 186-188. Ebd., Einleitung, S. 33.
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Ebd., Einleitung, S. 29-30. Ebd., S. 389. Ebd., S. 395-396. Weitergehende Veröffentlichungen kamen nicht zustande. Über mögliche persönliche Beziehungen zwischen Kurt Wolff und Max Raphael gibt es offenbar keine Dokumente. Max Raphael: Bild-Beschreibung. Natur, Raum und Geschichte in der Kunst. Hg. Hans-Jürgen Hinrichs. Nachwort Bernd Growe (Frankfurt a.M.: Edition Qumran im Campus Verlag 1987), Einleitung, S. 9. Vgl. Harald Justin: » ›Die Sphinxfrage des Schöpferischen.‹ Zur Subgeschichte der Rezeption Max Raphaels.« In »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen« (wie Anm. 9), S. 12-48, bes. 34-35; zu Rezensionen von The Demands of Art, vgl. Anm. 47, S. 47-48. »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen« (wie Anm. 9), Einleitung, S. 9. Vgl. die Beiträge in Max Raphael: Aufbruch in die Gegenwart. Begegnungen mit der Kunst und den Künstlern des 20. Jahrhunderts. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs (Frankfurt a.M./NY: Edition Qumran im Campus Verlag 1985). Neudruck: Von Monet zu Picasso. Grundzüge einer Ästhetik und Entwicklung der modernen Malerei. Hg. Klaus Binder (Frankfurt a.M./Paris: Qumran 1983). Vgl. Harald Justin u. Johann Konrad Eberlein: » ›Wölfflin ist absolut nichtssagend.‹ Max Raphael und die Kunstgeschichte«. In »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen« (wie Anm. 9), S. 173-191. Aufbruch in die Gegenwart (wie Anm. 26), S. 102-111. Harald Justin, in »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen« (wie Anm. 9), S. 14. Einige dieser Studien sind enthalten in dem Band Natur — Kultur. Studien zur Philosophie und Literatur. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs. Nachwort v. Ulrich Sonnemann (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988). Vgl. dazu die Studien und Kommentare in dem Band Das göttliche Auge im Menschen. Zur Ästhetik der romanischen Kirchen in Frankreich. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989); z.B. der Kommentar von Franz Dröge, Raphael sah »in Frankreich den einzigen lebendig tradierten Kulturzusammenhang in Europa« (S. 277). Im Nachlass gibt es eine Reihe französischsprachiger Manuskripte (S. 315-316); Raphaels sehnlichster Wunsch nach dem Zweiten Weltkrieg war, nach Frankreich zurückkehren zu können. Vgl. Max Raphael: Tempel, Kirchen und Figuren. Studien zur Kunstgeschichte, Ästhetik und Archäologie. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988); Max Raphael: Marx. Picasso. Die Renaissance des Mythos in der bürgerlichen Gesellschaft. Hg. Klaus Binder (Frankfurt a.M.: Qumran 1983). Max Raphael: Theorie des geistigen Schaffens auf marxistischer Grundlage. Fischer Format (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1974), S. 12. Arbeiter, Kunst und Künstler. Beiträge zu einer marxistischen Kunstwissenschaft (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1975). Vgl. ebd., S. 169-256. Raphaels marxistische Kunsttheorie wendet sich vor allem gegen einen »dogmatisch gewordenen Marxismus« (S. 170), der nicht mehr imstande ist, sich unbefangen mit Kunst auseinanderzusetzen. Vgl. dazu Raphaels Besprechung einer umfassenden Ausstellung der Karikatur in Frankreich im Jahr 1933: »Ein Jahrhundert französischer Karikatur«, in Max Raphael: Aufbruch in die Gegenwart, S. 141-156. Nachwort zu Arbeiter, Kunst und Künstler (wie Anm. 35), S. 258. Zu Raphaels Stellung gegenüber der Partei vgl. John Berger: »Revolutionäre Auflösung«. In »Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen«, S. 49-61, z.B. »In der Kulturhierarchie war er als unverständlicher, aber gefährlicher Marxist verschrien, bei den Parteikommunisten als Trotzkist.« (S. 49) Vgl. die Einleitung von Hans-Jürgen Heinrichs zu Max Raphael: Bild-Beschreibung. Natur, Raum und Geschichte in der Kunst. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs. Nachwort von Bernd Growe (Frankfurt a.M.: Edition Qumran im Campus Verlag 1987), S. 9. Bild-Beschreibung (wie Anm. 23), Einleitung, S. 11.
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MAX RAPHAEL Max Raphael: Die Farbe Schwarz. Zur materiellen Konstituierung der Form. Hg. Klaus Binder. Nachwort von Bernd Growe (Frankfurt a.M.: Qumran 1983). Der Titel des Buches stammt von den Herausgebern. Bernd Growe bezeichnet das Buch als einen »Arbeitstext« (S. 150). Es besteht aus mehreren Studien: »Dunkle Figuren vor dunklem Grund«, über Bilder von Frans Hals, Goya und Manet, »Schwarz als Hintergrundfarbe«, »Die Funktion des Schwarz für die Porträtmalerei«, »Die Konstruierung des Darstellungsmittels Schwarz«, »Der Ausdruckswert des Schwarz« und »Die Bildfunktion des Schwarz«. Andere Maler, deren Bilder analysiert wurden, sind beispielsweise Velasquez, Van Dyck, Renoir, Raphael, Ingres. Bild-Beschreibung (wie Anm. 23), Einleitung, S. 14. »Gedanken über den griechischen Tempel und die christliche Kirche«. In Max Raphael: Tempel, Kirchen und Figuren (wie Anm. 33), S. 89. Max Raphael: Für eine demokratische Architektur. Kunstsoziologische Schriften. Nachwort von Jutta Held (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1976): »Ist die moderne Architektur international? Eine Anmerkung zu André Lurçats Schulgruppe in Villejuif«, S. 27-32. Groupe scolaire de l’avenue Karl Marx à Villejuif, réalisé pour la municipalité par André Lurçat avec l’aide de ses élèves (Paris: Edition de l’architecture d’aujourd’hui 1934). Max Raphael: Wiedergeburtsmagie in der Altsteinzeit. Zur Geschichte der Religion und religiöser Symbole. Hg. Shirley Chesney u. Ilse Hirschfeld (Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch 1978). Max Raphael: Raumgestaltungen. Der Beginn der modernen Kunst im Kubismus und im Werk von Georges Braque. Hg. Hans-Jürgen Heinrichs (Frankfurt a.M.: Edition Qumran im Campus Verlag 1986). Vgl. Einführung von Shirley Chesney in Wiedergeburtsmagie in der Altsteinzeit (Amn. 47), S. 7-15, bes. 8-10. »Hat Leonardo eine Hieroglyphe entziffert?«, in Bild-Beschreibung, S. 76-79. Raumgestaltungen (wie Anm. 48), Editorischer Bericht, S. 39-54, bes. 39-40. Vgl. Raphaels Tagebuchnotiz vom 23. Apr. 1943, ebd., S. 8. Ebd., S. 57.
HANS WILHELM ROSENHAUPT ARMIN WISHARD Hans Wilhelm Rosenhaupt, geboren am 24. Februar 1911 in Frankfurt am Main, war das einzige Kind von Heinrich Rosenhaupt und Marie (geb. Freudenthal) Rosenhaupt. Der Vater, Heinrich Rosenhaupt, wurde 1877 als Sohn des Kaufmanns Wilhelm Rosenhaupt und seiner Frau Maria in Frankfurt am Main geboren. Er besuchte dort das Kaiser-Friedrich-Gymnasium und absolvierte eine Banklehre. Später holte er das Abitur nach und entschloss sich an den Universitäten München, Freiburg und Erlangen Medizin zu studieren. Er promovierte in Frankfurt am Main mit der Dissertation Beiträge zur Kenntnis der Meralgie und kam im Jahre 1905 als Kinderarzt nach Frankfurt zurück. In seiner Arbeit als Arzt widmete er sich hauptsächlich dem Säuglingsschutz, was sich in zahlreichen Veröffentlichungen über dieses Thema niederschlug. 1921 bewarb er sich um die ausgeschriebene Position als Stadtarzt in Mainz und wurde von den Stadtverordneten auf Grund seiner Verdienste auf dem Gebiet der Sozialhygiene und Kinderfürsorge mehreren anderen Bewerbern vorgezogen und gewählt. Rosenhaupt durfte in dieser Position keine Privatpraxis aufbauen und wurde stattdessen zum Stadtmedizinaldirektor ernannt. In diesem Amt war er verantwortlich für die vielfältigen Aufgaben des Städtischen Gesundheitsamtes. In den schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg versuchte er vorrangig der hohen Kindersterblichkeit und den Kindererkrankungen vorzubeugen, indem er mit beachtlichem Erfolg Sonderturnkurse und krankengymnastische Behandlungen für rachitische und abwehrgeschwächte Kinder einrichtete. Unter seiner Führung wurden fast 2000 Kinder in deutsche und ausländische Erholungsgebiete geschickt, so nach Holland, Schweden und Österreich, da für sie zu Hause keine ausreichende Betreuung und Versorgung gewährleistet werden konnte. Auch für die in Mainz verbliebenen Kinder wurde mit Kuren in Luft- und Sonnenbädern gesorgt. Die Initiativen Dr. Rosenhaupts zeigten schnell Wirkung. Die verbesserte Ernährung und der von ihm initiierte Schwimmunterricht in einem dafür neu gebauten Hallenbad führten zu einer Verbesserung der schlimmsten gesundheitlichen Probleme der Kinder und minderten die Kindersterblichkeit. Für seine Leistungen erhielt Rosenhaupt höchste Anerkennung. Er fasste seine Erfolge wie folgt zusammen: Ich hatte in Mainz Gelegenheit, das Gesundheitswesen nach verschiedenen Richtungen auszubauen. So verdankt meiner Anregung ihre Entstehung: die soziale Beratungsstelle für Gemütskranke (Psychopathen- und Alkoholikerfürsorge), die Beratungsstelle für werdende Mütter, die Pflichtschulkindergärten für geistig und körperlich unterentwickelte Schulkinder, die lokale Erholungsfürsorge durch systematische Luftbadekuren unter Ausbau des Luftbades für diese Zwecke, die Einführung des orthopädischen Schulturnens, die Einführung des Schwimmunterrichts in den Volksschulen, die Dezentralisation der systematischen Schulzahnpflege, die Neugestaltung der ärztlichen Berufsberatung und die Arbeitsgemeinschaft mit der Vereinigung der Krankenkassen und der Landesversicherungsanstalt, schließlich die Ärztliche Sportberatung.1
Im Jahre 1932 wurde er aufgrund seiner großen Verdienste Beamter auf Lebenszeit, aber diese Ehre sollte nur von kurzer Dauer sein, denn die veränderten politi-
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schen Verhältnisse nach dem Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 wirkten sich alsbald auch auf Mainz aus. Die neuen Machthaber begannen sofort mit der »Säuberung« des deutschen Beamtentums. Alle unliebsamen Beamten, darunter Sozialdemokraten, Kommunisten und natürlich Juden, wurden fristlos entlassen. Leitende Beamte wie Dr. Wilhelm Rosenhaupt wurden in der Presse verleumdet, um so die geplante Entlassung vorzubereiten und die öffentliche Meinung hinter die Entscheidung der Machthaber zu stellen. Um dies alles legal erscheinen zu lassen, wurde das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« am 7. April 1933 verabschiedet. Darin hieß es, »Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen«. In der lokalen Mainzer Warte erschien am 11. März 1933 ein Artikel mit der Überschrift »Auch ein Seuchenherd«, der Rosenhaupts Errungenschaften und seine Person verunglimpfte. Im Städtischen Gesundheitsamt, so hieß es, »herrscht der jüdische Medizinalbonze Rosenhaupt und hat um sich herum einen Laden errichtet, der durchaus dem Größenwahnsinn marxistischer Systembonzen entspricht. Doch nicht genug damit, […] er hat sich überdies zur Aufgabe gemacht, der marxistischen Seuche ein Wegbereiter zu sein«.2 Obwohl Rosenhaupt sich gegen diese Unterstellungen wehrte und betonte, nie Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen zu sein und im Ersten Weltkrieg freiwillig und ehrenvoll dem Vaterland gedient zu haben, wurde er am 27. März 1933 fristlos entlassen. Auch jüdische Kinder waren von den Verfolgungen betroffen indem man sie öffentlich diffamierte und ausgrenzte. Ab 1934 durften sie nur noch eine Schulbildung bis zur Mittleren Reife absolvieren. Dr. Rosenhaupts Sohn Hans Wilhelm blieb davon verschont, da er bereits sein Abitur abgeschlossen und sein Studium an der Universität Frankfurt aufgenommen hatte. Im März des folgenden Jahres zog Dr. Rosenhaupt mit seiner Familie zurück in seine Geburtsstadt Frankfurt, wo er in der von so vielen geteilten Hoffnung, dies sei ein vorübergehendes politisches Problem, eine kleine Arztpraxis eröffnete. So sicherte er sich und seiner Familie ein bescheidenes Einkommen. Rosenhaupt hatte sich in Bezug auf die politische Entwicklung getäuscht, denn Anfang 1939 wurde er von der Gestapo verhaftet und ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Er sollte noch Glück haben, denn er wurde mit der Verpflichtung freigelassen, Deutschland spätestens bis Ende Januar des Jahres zu verlassen. Mit seiner Frau reiste er noch im selben Monat nach England und emigrierte kurz darauf in die USA, wo die beiden bereits von ihrem Sohn erwartet wurden. Dieser hatte nach seiner Emigration 1933 an verschiedenen Colleges in Illinois und Colorado eine Anstellung als Dozent für Germanistik gefunden und nannte sich von nun an nur noch Hans Rosenhaupt. Der Familie blieben im Exil nur noch einige wenige Jahre zusammen. Heinrich Rosenhaupt verstarb am 15. April 1944. Seine Frau und er liegen heute im Pioneer Cemetery in Colorado Springs begraben. Sie hatten in Colorado eine zweite Heimat gefunden. In Mainz erinnert seit einigen Jahren als kleine Wiedergutmachung eine Straße an die medizinischen und sozialen Errungenschaften von Dr. Wilhelm Rosenhaupt. Hans Rosenhaupt, der 1928 sein Studium an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität in Frankfurt aufgenommen hatte, war natürlich auch sofort von den veränderten politischen Verhältnissen in Deutschland eingeholt worden. Er sagte später, er habe als Jude schon 1928 die Entwicklung in Deutschland geahnt und versucht, sein Studium daher so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Fast sollte er es schaffen. Die mündliche Verteidigung seiner Dissertation Die Gestalten im Werk Heinrich Manns war für den 22. Februar 1933 angesetzt, aber Rosenhaupt sah sich durch die politischen Umstände gezwungen, seine Pläne aufzugeben. Er musste die Univer-
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sität ohne den erhofften Doktortitel verlassen, obwohl sich der Rektor, »das erste Mitglied der NSDAP an der Universität, ein anständiger Mensch«, für ihn einsetzte.3 Rosenhaupt entschloss sich, 1933 in der Schweiz einen neuen Anlauf zu versuchen. Sein Briefwechsel mit und seine Besuche bei Thomas Mann seit 1932 dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Er promovierte 1935 im bemerkenswert jungen Alter von 24 Jahren bei Fritz Strich an der Universität Bern mit der Dissertation Der deutsche Dichter und seine Abgelöstheit von der Gesellschaft, einer Arbeit, die auch das Leben und Werk Thomas Manns berücksichtigte. Nach der erfolgreichen Promotion entschloss er sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, obwohl seine Eltern in der Hoffnung auf bessere politische Verhältnisse in Frankfurt geblieben waren. Hans Rosenhaupt aber, in Vorahnung der bevorstehenden schwierigen Verhältnisse für Juden in Deutschland, emigrierte zuerst nach England und dann in die USA, um dort ein neues Leben zu beginnen. Von 1935 bis 1938 fand er zunächst eine Anstellung als Dozent für deutsche und französische Sprache am Oak Park Junior College in der Nähe von Chicago und später am Knox College, ebenfalls im Staat Illinois. Nach der Entlassung seines Vaters aus dem KZ konnten Hans Rosenhaupts Eltern 1939, wahrlich in letzter Minute, zu ihrem Sohn in die USA emigrieren. Die Familie war nun wieder vereint und in Sicherheit. Hans Rosenhaupt wurde im Jahre 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft anerkannt. Er hatte einen Schlussstrich gezogen und sich entschlossen, in den USA zu verbleiben, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Diese Entscheidung war ihm nicht leicht gefallen, wie er 1941 in einer Rede zum amerikanischen »Memorial Day«, dem Tag zur Ehrung der Kriegsgefallenen, zum Ausdruck brachte: This solemn resolve was not easy to fulfill. For every human being has a strong love for the country of his birth. And furthermore, in the distance, some of the blemishes vanished and the old country appeared to the eye of the homesick immigrant in the halo of his previous grandeur... In the old fatherland they spoke of honor and death on the battlefield and service to the state. In America it was life, liberty and the pursuit of happiness. In the old country it was guns, in America it was bread. In the old country it was submission to the will of the leader. Here it was the sacred right of the individual to disagree with the majority.4
Die Idee von der Zerrissenheit eines Ausgewanderten zwischen der anhaltenden Liebe zum Land seiner Geburt und dessen Kultur vis-à-vis eines Neuanfangs in seiner neuen Heimat sollte von Rosenhaupt wieder in seinem späteren Roman The True Deceivers5 aufgenommen werden. Aufgrund seiner Erfahrungen in Deutschland und der bedrohlichen politischen Situation in ganz Europa begann Rosenhaupt mit öffentlichen Stellungnahmen zur Lage in Europa und dem Phänomen der Nazi-Diktatur. Schon 1935 versuchte er, dem amerikanischen Publikum durch Zeitungsartikel und Vorträge ein besseres Verständnis der politischen Verhältnisse und Entwicklungen in Deutschland zu vermitteln. In einer Rede am Knox College mit dem Titel The Spiritual Sources of Nazi Germany erklärte er den Aufstieg Hitlers damit, dass dieser die verschiedenen politischen Fraktionen und Gruppen unter einem Banner zu vereinen vermochte und eine Lösung der großen wirtschaftlichen Probleme des Landes für alle Deutschen versprach. Die Mehrheit der Deutschen akzeptierte, dass das Judentum von den Nazis zum gemeinsamen Feind erklärt und für die Malaise in Deutschland verantwortlich gemacht wurde. Rosenhaupt rief in verschiedenen Reden und Zeitungsartikeln sein amerikani-
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sches Publikum dazu auf, wachsam zu sein und ähnlichen antisemitischen Erscheinungen in den USA vorzubeugen. Schon 1938 wurde Rosenhaupt eine Stelle als Assistenzprofessor am Colorado College in Colorado Springs angeboten. Obwohl er hier nur die nächsten vier Jahre blieb, betrachtete er die Stadt bald als seine zweite Heimat und fühlte sich wohl in der Umgebung. Am Colorado College, einem kleinen, privaten und exklusiven College, lehrte er bis 1942 deutsche Sprache und Literatur. Er veröffentlichte einige wissenschaftliche Arbeiten wie Isolation in German Literature,6 eine kurze Abhandlung über deutsche Literatur, die an seine Berner Dissertation sowie sein Interesse am Werk Thomas Manns anknüpfte. Rosenhaupt hatte schon 1932 bei einem Besuch in der Schweiz Manns Bekanntschaft gemacht. Wie aus einem Brief Manns an Hans Rosenhaupt7 hervorgeht, hatte man sich bereits etwas früher kennen gelernt, wahrscheinlich in München, denn Mann schreibt, er freue sich, Rosenhaupt »wieder bei uns zu begrüßen«. Aus diesem Besuch entwickelte sich dann ein reger Briefwechsel, der auch nach Rosenhaupts Emigration in die USA fortgesetzt wurde. Im Sommer 1936 kehrte er kurz nach Europa zurück und war wieder bei den Manns eingeladen. Mann hielt in seinem Tagebuch fest: »Zum Thee Dr. Rosenhaupt aus Chicago. Von Strich empfohlen, hübscher, angenehmer Mensch. Mit ihm im Arbeitszimmer, des längeren. Abendessen auf der Terrasse.«8 Ein Jahr später folgte kurz vor Kriegsbeginn ein letzter Besuch. Mann schreibt dazu: »Zum Thee Dr. Rosenhaupt (Bern). Über den ›Zauberberg‹ gesprochen. Büchlein hübscher alter Dialektverse. Das Frankfurterisch des netten jungen Menschen interessierte mich.«9 Mann war zu der Zeit mit seinem Roman Lotte in Weimar beschäftigt und ersuchte Rosenhaupt um Hilfe mit bestimmten Wendungen und Wörtern im Frankfurter Dialekt, die man in der Goethezeit gebraucht hätte und die dem Werk größte Authentizität verleihen sollten. Es ist anzunehmen, dass Rosenhaupt dementsprechende Anregungen lieferte, die in Manns Werk ihren Niederschlag fanden. Nachdem Thomas und Katia Mann 1938 auch in die USA ausgereist waren und sich in Princeton niedergelassen hatten, intensivierte sich der Briefwechsel. Rosenhaupt lud die beiden zu einem Besuch in Colorado ein. Die Reise musste fürs Erste verschoben werden, da sich die Manns um ihre in Deutschland verbliebenen Eltern kümmern mussten. Der gewünschte Besuch wurde erst im März 1941 verwirklicht und mit dem geplanten Umzug der Manns von Princeton nach Pacific Palisades in Kalifornien verbunden. In Colorado Springs wurden die berühmten Gäste von Hans Rosenhaupt begrüßt und in die Gesellschaft eingeführt. Mann war ein gern gesehener Gast, der große Aufmerksamkeit genoss, besonders wenn er über die politische Situation in Europa und die bedrohliche Weltlage sprach. Die lokale Zeitung zollte aber auch Hans Rosenhaupt Tribut, da er ja letztendlich für den Aufenthalt der Manns verantwortlich gewesen war: »The size of the crowd may be attributed to the reputation of the speaker, but the smooth handling of all the details of Mr. Mann’s visit reflects credit upon Dr. Rosenhaupt...«.10 In diese Zeit fällt auch ein Versuch, ein Buch über Thomas Mann zu schreiben, aber das anspruchsvolle Lehrpensum und fehlende finanzielle Mittel für ein erhofftes Forschungsjahr verhinderten die Vollendung. Rosenhaupt wandte sich daher am 14. Oktober 1941 an Thomas Mann, um ihn um ein Empfehlungsschreiben an die John Simon Guggenheim-Stiftung zu bitten. Wie er Mann schrieb, existierten am College »viele ablenkende Einflüsse und Anforderungen […], die es fast unmöglich machen,
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eine größere Arbeit zu Ende zu bringen«.11 Mann kam Rosenhaupts Bitte nach, betonte aber, er sei in diesem Fall nicht ganz vorurteilsfrei, da es sich bei dessen geplantem Buch um eine Monographie über ihn selbst und sein Werk handle. Er lobte ihn in seinem Schreiben an die Stiftung als einen […] young, literary historian who has rapidly attained a distinguished position at the College of Colorado Springs [sic] as a result of his scientific talents and didactic abilities. I have seen samples of his planned book which aside from the content have impressed me by their critical intelligence and by the wide social horizon which the author attempts to give to his presentation.12
Rosenhaupt antwortete er am 29. November 1941 auf ähnliche Weise und fügte hinzu: Ich hoffe aber, meiner Aussage eine objektive Färbung geben zu können, und die Daten Ihres Briefes werden mir behilflich sein, meine Befürwortung sachlich zu unterstützen. Freilich liegt, wie Sie sich denken können, eine lange Reihe von Bewerbungen vor, unterstützt von eindrucksvollen outlines zum Teil, und wir wollen uns beide wegen der Bewilligung der Arbeitshilfe für Sie keinen zu grossen Hoffnungen hingeben. Was an mir liegt, soll jedenfalls geschehen, um die Guggenheim-Leute Ihrem Versuch günstig zu stimmen.13
Der Antrag scheiterte wohl zum Teil daran, dass sich viele namhafte Autoren und Literaturwissenschaftler wie z.B. Erich von Kahler, Julius Bab, Ludwig Marcuse und Raoul Auernheimer beworben hatten, die von Mann in der Rangfolge vor Rosenhaupt gesetzt wurden. Rosenhaupts erfolgloses Gesuch führte dazu, dass seine Monographie über Thomas Manns Werk letztendlich unvollendet blieb. Rosenhaupts Interesse an Geschichte und Politik sollte schon bald seine literaturwissenschaftliche Tätigkeit in den Schatten stellen. Bei der Lektüre seiner frühen journalistischen Veröffentlichungen zeigt es sich bereits, dass unterschiedliche Analysen der deutschen Verhältnisse im Vergleich zu Thomas Mann festzustellen sind. Diese Unterschiede sollten eine allmähliche Entfremdung zwischen den beiden zur Folge haben. Rosenhaupt veröffentlichte weitere politische Vorträge und Zeitungsartikel zum Thema Deutschland wie »Can It Happen Here?«14 Das Thema und die Furcht, dass eine Ausweitung des Antisemitismus auch in den USA zu befürchten sei, führten Rosenhaupt zu weiteren Analysen der politischen Entwicklung in Deutschland und Europa sowie der außen- und innenpolitischen Entwicklungen in den USA. Dieses Thema sollte ihn noch bis in die Nachkriegszeit und im Kalten Krieg beschäftigen, um die Möglichkeiten eines dauerhaften Friedens in Europa und der restlichen Welt auszuloten.15 Schon 1941 hatte sich Hans Rosenhaupt entschlossen, seine Stellung am Colorado College vorläufig aufzugeben und sich beurlauben zu lassen, da er sich stärker im Kampf gegen Hitler-Deutschland engagieren wollte. Er suchte anfangs eine Position in der Roosevelt-Regierung im »Office of Facts and Figures«, einer zentralen Erfassungsstelle für Informationen und Daten aus dem In- und Ausland in Washington. Er war der Meinung, sein Wissen, seine Mehrsprachigkeit und seine Erfahrungen in Deutschland und in den USA könnten sich in der Aufarbeitung aufklärerischer Informationen und Quellen aus Deutschland als sehr nützlich erweisen.16 Aufgrund seiner Vertrautheit mit der deutschen, englischen und französischen Sprache, mit deutscher Kultur und Mentalität, sowie seiner Überzeugung von Amerikas beson-
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derer Sendung glaubte er dem Land dienlicher sein zu können als in seiner Tätigkeit am Colorado College. Er ersuchte Thomas Mann bei Archibald MacLeish, dem Leiter des Office of Facts and Figures, persönlich für ihn einzutreten.17 Thomas Mann aber lehnte ein solches Engagement ab.18 Obwohl auch dieser Wunsch Rosenhaupts unerfüllt blieb, ließ er sich in seiner Suche nach einer wirkungsvollen, nicht-akademischen Tätigkeit nicht beirren. Rosenhaupt hatte bereits eine Alternativlösung eingeplant. Er schrieb an Thomas Mann: »und wenn ich nicht nach Washington kann, will ich ins Heer«19 und entschloss sich, diese Gelegenheit wahrzunehmen. Er wurde als Offiziersanwärter nach Fort Sill im Staat Oklahoma geschickt und einige Monate später zur weiteren Ausbildung nach Virginia. Nach seiner Ausbildung an der »Officer Candidate School« diente er von 1942 bis 1944, zuerst als Leutnant der Artillerie und später in der Aufklärungsabteilung (Intelligence) bei der US-Armee. 1944 wurde er nach England versetzt, wo es seine Hauptaufgabe war, deutsche Kriegsgefangene, insbesondere ranghöhere Offiziere, zu vernehmen und kriegswichtige Informationen zu sammeln. Der Dienst bei der US-Armee in England hatte für Rosenhaupt zur Folge, dass die Germanistik und somit auch das Interesse an Manns Werk in den Hintergrund rücken mussten. Mit dem sich anbahnenden Ende des Zweiten Weltkriegs widmete sich Rosenhaupt immer mehr politischen Fragen wie dem Schicksal Deutschlands, der Nachkriegszeit in Deutschland und Europa und der Frage, wie man einen dauerhaften Weltfrieden erreichen könne. Der Kontakt zu Mann brach während der Kriegsjahre ab. Es gibt jedenfalls keinerlei Beleg für einen Briefwechsel in diesen Jahren, was wohl auch mit den besonderen Aufgaben Rosenhaupts bei der US-Armee zu erklären ist. Nach der Invasion in der Normandie 1944 wurde Rosenhaupt nach Frankreich versetzt, später nach Luxemburg, Holland, Deutschland und Österreich. Seine Erfahrungen bei der Vernehmung deutscher Kriegsgefangener fanden nach dem Krieg ihren Niederschlag auch in Rosenhaupts Roman The True Deceivers.20 Während Rosenhaupts Dienstzeit in London hatte er Maureen Church kennengelernt, die bei der Aufklärung im »British Ministry of Information« tätig war. Sie war in Wales aufgewachsen und lebte dann bis 1939 in Paris, ehe sie ihre Arbeit in London aufnahm. Hans und Maureen heirateten kurz nach dem Krieg am 15. Dezember 1945 in London und reisten 1946, nach seiner Entlassung aus der Armee, nach Colorado Springs. Hier nahm er wieder zwei Jahre lang seine Arbeit als Professor am Colorado College auf und arbeitete nebenbei als öffentlicher Redner für den Rotary Club. Es hatte ihn wieder hierher zurückgezogen, da ihm die Stadt, das College, und die Gegend während seiner früheren Lehrtätigkeit in Colorado sehr ans Herz gewachsen waren. Nach dem Krieg schlief der Briefwechsel mit Thomas Mann fast völlig ein und endete 1947 endgültig. Rosenhaupts Interessen und seine Arbeit hatten sich, wohl auch unter dem Einfluss des Krieges und der Nachkriegszeit in Europa, auf andere Schwerpunkte, so die Friedensforschung und das amerikanische Bildungssystem verlagert. Dazu kam, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden deutlich abgekühlt hatten und eine merkbare Entfremdung und Spannung das Verhältnis zu belasten begann. Rosenhaupt war offensichtlich für eine nachsichtigere und mildere Behandlung des deutschen Volkes eingetreten, als es Thomas Mann verlangt hatte, und hatte es gewagt, Mann in dieser Hinsicht zu widersprechen. Der betreffende Brief Rosenhaupts ist leider verschollen, aber Mann zitiert daraus in einem Schreiben an Frau Agnes E. Meyer am 14. Dezember 1945:
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Heute kam auch Ihre Wendung mit Rosenhaupts Brief. Seine Kritik unserer Behandlung der Deutschen mag zutreffen; von vielen Seiten wird sie bestätigt. Aber sie ist »harsh«, — harsher [sic], als es bei der grossen [sic] Schwierigkeit der Sache am Platze ist, und harsher [sic], als mein Offener Brief,21 worin ich versucht haben soll, »den Mentor zu spielen«, was ganz unzutreffend ist. Es ist auch ein Irrtum, dass ich über die deutsche Produktion der 12 Jahre abgeurteilt habe, ohne sie zu kennen. Was ich gesagt habe, ist, dass Bücher mir unheimlich und anrüchig sind, die unter Goebbels gedruckt werden konnten. Es ist der gute Herr Rosenhaupt, der über meinen schonenden und von Deutschlands Zukunft mit herzlicher Wärme redenden Brief aburteilt, ohne ihn zu kennen. [...] In das Lob der »Marmorklippen« stimmt er ein, — es ist das Renommierbuch der 12 Jahre und sein Autor zweifellos ein begabter Mann, der ein viel zu gutes Deutsch schrieb für Hitler-Deutschland. Er ist aber ein Wegbereiter und eiskalter Genüssling des Barbarismus und hat noch jetzt, unter der Besetzung, offen erklärt, es sei lächerlich zu glauben, dass sein Buch mit irgendwelcher Kritik am nationalsozialistischen Regime etwas zu tun habe. Das ist mir lieber, als das humanistische Schwanzwedeln und die gefälschten Leidens-Tagebücher gewisser Renegaten und Opportunisten. Aber seine Hoffnung für die »deutsche Demokratie« stellt Ernst Jünger auch nicht gerade dar. Glauben Sie überhaupt an eine solche? Wo es einem schon schwer wird, zuweilen, auch nur an die Zukunft der amerikanischen zu glauben?22
Anders als Rosenhaupt war Thomas Mann in eine Glaubenskrise geraten, was die Zukunft einer Demokratie in Deutschland und sogar in den USA betraf. Aber auch zur Behandlung der Deutschen nach dem Kriege hatte Mann im Gegensatz zu Rosenhaupt eine unterschiedliche und sehr pessimistische Meinung: [...] aber die Deutschen sind nicht zufrieden. Sie werden nie zufrieden sein, und wie man es mit ihnen macht, ist es falsch. Menschlichkeit macht sie frech. Härte lässt sie auf Rache brüten. Nimmt man ihnen ihr industrielles Kriegspotential, so treibt man sie zur Verzweiflung. Lässt man es ihnen, so werden sie es unweigerlich zur Wiederherstellung ihrer nationalen »Ehre« benutzen. Es ist ein unlösbares Problem. Ich bin froh, dass ich es nicht lösen muss, und der junge Rosenhaupt sollte nachsichtiger sein mit denen, die es [Anm.: das Nachkriegsproblem] lösen sollen.23
Hans Rosenhaupt hatte es gewagt, Mann gegenüber eine unterschiedliche Position in Bezug auf die Werke mancher deutscher Autoren im Dritten Reich einzunehmen, aber das war für ihn kein Grund, das persönliche Verhältnis zu belasten oder gar in Frage zu stellen. Rosenhaupt hatte lediglich eine Liste von 35 deutschen Schriftstellern aufgestellt, die seiner Meinung nach durch innere Emigration gegen das Nazi-Regime opponiert oder es zumindest nicht unterstützt hatten. Diese Autoren, wie z.B. Ernst Jünger und Hans Carossa, waren für Rosenhaupt lesenswert und sollten nicht verworfen werden, wie es Mann verlangte. Mann störte sich an der Haltung des jungen Rosenhaupt und fühlte sich von ihm in seiner Position und Autorität angegriffen. Er tolerierte solche Meinungsunterschiede nur ungern und so ist es nicht verwunderlich, dass er in einem Tagebucheintrag eine zornige Reaktion auf den Brief Rosenhaupts an Frau Meyer zeigt: »Die Meyer schickt den Brief Rosenhaupts mit überraschend aggressiven Bemerkungen über die Antwort an Molo.«24 In einem Brief an Agnes Meyer vom 25. Dezember 1945 zeigt Mann noch einmal verbittert, dass er sich von der Position Rosenhaupts sehr getroffen fühlte: Aber immerhin, es ist ein Gesichtspunkt, [Anm.: Lukács’ lobende Worte zu Thomas Mann]25 und als soziologisch determinierte kritische Studie ist Lukács’ Arbeit eine
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HANS WILHELM ROSENHAUPT ernste, schöne Leistung, menschlich erfreulich durch ihre Wärme und den anständigen Respekt, der sich darin kundgibt. So schreibt über mich ein Moskauer Kommunist; und wie äussert sich ein in amerikanische Uniform gesteckter junger Deutscher namens Rosenhaupt, der sich bisher als »Verehrer« gab, und dem ich nur Freundliches erwiesen habe? Ich muss gestehen, dass sein Brief an Sie mich noch nachhaltig beschäftigt hat. Er ist mir ein unheimliches Beispiel der Korruption und Entfremdung durch die deutsche Luft. »Your friend Mann« und »one of his last attempts to play the mentor«, — das ist ja alles überraschend unverschämt. Ich war doch wohl das Bindeglied zwischen ihm und Ihnen, und ohne mich hätte er garnicht [sic] das Recht, Ihnen zu schreiben. Er sollte durch seinen Brief dies Recht verwirkt haben. Ich jedenfalls will nichts mehr von ihm hören.26
Thomas Mann reagierte seit dem Brief Rosenhaupts an Frau Meyer beleidigt kühl und zurückhaltend auf jeden weiteren Kontaktversuch Rosenhaupts. Mann schrieb ihm am 6. April 1947 noch: »Aber ich gestehe, dass ich ausserdem eine Hemmung empfand, Ihren Brief zu beantworten, in der Erinnerung an gewisse Wendungen eines Briefes von Ihnen an Mrs. Eugene Meyer, Wendungen, die eine deutliche Entfremdung zu bekunden schienen.«27 Rosenhaupt hatte zu diesem Zeitpunkt schon den Entschluss gefasst, sich anderen Aufgaben und Interessen zu widmen. Auch die Unterhaltungsliteratur weckte sein Interesse, und so entstanden einige Kurzgeschichten für amerikanische Zeitschriften wie Vogue28, Commentary29 und sein einziger Roman, The True Deceivers30. Seine zahlreichen Geschichten für Kinder und ein Krippenspiel31 blieben unveröffentlicht; er hatte sie hauptsächlich für seine damals siebenjährige Tochter geschrieben. Es ist von Interesse zu bemerken, dass sich Rosenhaupt nach seiner Ankunft in den USA ausschließlich der englischen Sprache bediente und nur für eine amerikanische Leserschaft schrieb. Der Roman The True Deceivers zeigt stark autobiographische Züge aus dem Leben und den Erfahrungen Rosenhaupts in Amerika und auf dem Kriegsschauplatz Europa im Zweiten Weltkrieg. Der Roman erzählt die Geschichte des Karl Kreuz, eines sehr gebildeten deutsch-jüdischen Akademikers, der gern aus den Werken klassischer deutscher Schriftsteller zitiert. Goethes Werk liegt ihm dabei besonders am Herzen und scheint für ihn das Beste an deutscher Literatur und Kultur darzustellen. Im neuen Land hatte Kreuz seinen Namen zu Charles Croft geändert, wohl in der Hoffnung, sich schneller an den »American way of life« anpassen zu können und sich in die Gesellschaft zu integrieren.32 Croft meldet sich zum Dienst bei der USArmee und wird aufgrund seiner Mehrsprachigkeit und als Kenner deutscher Kultur und Mentalität vom Nachrichtendienst bei der Befragung von den in Gefangenschaft geratenen hochrangigen deutschen Offizieren eingesetzt. Aber Kreuz/Croft gelingt es nie vollkommen, sich dem amerikanischen Leben erfolgreich anzupassen. Der Roman erzählt von seiner Zerrissenheit, die sich in seinem Verhältnis zu amerikanischen Kollegen wie auch zu den deutschen Kriegsgefangenen widerspiegelt. Für die Amerikaner ist er »a Kraut« und für die besiegten Deutschen, auf die er trifft, einfach der siegreiche Amerikaner. Der deutsche General von Preuss, einer der Offiziere, die Croft verhört, fragt ihn: »A man born in Germany, is he ever accepted as a full American? Were you more sure of being an American, wearing a uniform?« Crofts Antwort zeugt von seiner Unsicherheit ob dieser Frage: »People like myself are never sure, the way others are... We stand on the edge, so to speak; it is our place, the place where we stand. We deceive people sometimes. [...] We deceive them because we love them, because we want to belong with them. It is hard to understand.«33 Diese Antwort widerspiegelt wohl auch Rosenhaupts eigene Person und die nicht leichte Auf-
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gabe, sich in einem neuen Land zurecht zu finden ohne die eigene Vergangenheit zu verleugnen. In seiner Arbeit für den Geheimdienst versucht Croft den deutschen Gefangenen Geheimnisse zu entlocken, indem er sich als gebürtiger Amerikaner ausgibt und absichtlich seine deutsche Vergangenheit verschweigt. Er gerät dadurch aber in einen moralischen Konflikt zwischen der Liebe zu seiner alten Heimat, dem Land Beethovens und Goethes, und der Frage, ob es ethisch zu verantworten sei, deutschen Kriegsgefangenen Informationen zu entlocken, indem man ihnen Fallen stellte und mit Strafen drohte, falls sie nicht kooperierten. Er verfälscht sogar seine deutsche Muttersprache mit einem absichtlich amerikanischen Akzent um die deutschen Offiziere zu täuschen. Seine Methoden werden mit der Zeit sehr erfolgreich, aber jeder Erfolg ruft auch wieder ein gewisses Unwohlsein in Croft hervor, weil er nicht ehrlich sein kann und seine früheren Landsleute durch bewusste Täuschung zur Herausgabe militärischer Geheimnisse bringt. Das bewusst getragene Janus-Gesicht Crofts ist für ihn ein Dilemma. »Everybody has a rather surprising potential as a bastard,«34 sagt sein Vorgesetzter zu ihm, und Croft stimmt ihm bei. Die amerikanische Öffentlichkeit nahm das Buch als einen interessanten Beitrag über ein damals relativ unbekanntes Thema auf. Clifton Fadiman, der einflussreiche amerikanische Kritiker und Radio-Moderator, beschrieb es als »crisp, clear job [...], as a picture of the kind of work an intelligence officer did in the war, it has unquestionable value. It covers a field I have not seen covered elsewhere and does it more than competently.«35 Mit dieser Rezension verfehlt Fadiman allerdings die eigentliche Absicht Rosenhaupts. Natürlich fand das amerikanische Publikum die Schilderung der Methoden der amerikanischen Abwehr sehr interessant, da es ein bisher relativ unbekanntes Thema gewesen war. Aber Rosenhaupt ging es hauptsächlich um ein Problem, mit dem er kämpfte und welches viele Ausgewanderte beschäftigte, nämlich die Schwierigkeit, sich einem neuen Land und einer neuen Kultur anzupassen ohne die des Mutterlandes in Anbetracht schwieriger politischer Verhältnisse zu verlieren. Das Buch zeugt von Rosenhaupts eigener Zerrissenheit, was Deutschland betrifft, ein Deutschland, das ihn geformt hatte, ein Land dessen Kultur er sein Eigen nannte, das ihn aber durch die Machtergreifung der Nazis zur Auswanderung nach Amerika und zur Aufgabe seiner alten Heimat gezwungen hatte. Es geht hier weniger um den Krieg zwischen Amerikanern und Deutschen oder den Holocaust. Das Schicksal der jüdischen Deutschen wird von Rosenhaupt eigentlich nur am Rande erwähnt. Es geht dem Autor hauptsächlich um den Kampf gegen das mörderische Nazi-Regime, damit die von ihm so bewunderte und geschätzte deutsche Kultur erhalten werden und Deutschland weiter bestehen kann. Es ist ein altbekanntes Thema, das schon Heinrich Heine und andere beschäftigt hatte und für viele der neuen Ausgewanderten aktuell war. Das Werk ist im Grunde auch ein Anti-Kriegsbuch, welches Rosenhaupts Interesse an der Herstellung eines permanenten Friedens widerspiegelt. Rosenhaupt will zeigen, dass der Krieg Menschen zu Taten befähigt, die sie normalerweise verabscheuen und sie aus einem normalen Leben und einem vertrauten Handeln reißt. Durch seine Arbeit bei der amerikanischen Abwehr gerät die Hauptfigur Kreuz/Croft letztendlich auf seltsamen Umwegen zurück ins besiegte Deutschland, seine frühere Heimat, aber dadurch wiederum zu der für ihn wichtigen Gewissensfrage, nämlich wo er denn nun eigentlich zu Hause sei. 1947 nahm Hans Rosenhaupt eine neue Aufgabe als »Director of Admissions« im Immatrikulationsamt an der Columbia University in New York auf. Das amerikanische höhere Bildungssystem, neue Finanzierungsmöglichkeiten eines Studiums und
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die Vorbereitung amerikanischer Studenten, die in der Nachkriegszeit in immer größeren Zahlen an die Universitäten drängten, wurden zu seiner Hauptaufgabe. Seine Erfahrungen wurden in seinem Buch Graduate Students. Experience at Columbia University, 1940 – 1956 verarbeitet.36 Sein Interesse an der Friedensforschung sowie seine Erfahrungen während des Krieges ließen ihn aber nicht lange ruhen. Das Buch How to Wage Peace37, also Frieden zu schaffen statt Krieg zu führen, enthielt konkrete Vorschläge zur Vermeidung neuer Konflikte mit Rückblick auf die Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg und angesichts der drohenden Gefahren, die sich bereits in Form des Kalten Krieges und politischer Spannungen am Horizont ankündigten. Rosenhaupt definierte Frieden nicht nur als die Einstellung von Krieg und Feindseligkeiten, sondern als die aktive Gestaltung einer friedlichen Welt mit gemeinsamen Aufgaben. Das Buch enthält keine spezifischen Anweisungen, sondern zeigt Möglichkeiten auf, die der Einzelne in Betracht ziehen kann, um sich für einen dauerhaften Frieden einzusetzen. Im Grunde präsentiert Rosenhaupt Informationen, die es dem Bürger ermöglichen sollten, sich eine intelligente und informierte Meinung zu bilden und dann zu handeln. Er schreibt: »Use the book to gain an overall picture of the many activities for peace that exist. Skip the pages about activities that are not within your own reach. Choose those that are possible for you. Then do something.«38 Im Grunde waren es die Ziele, die später von der UNESCO formuliert werden sollten. Rosenhaupt richtete seinen Appell an die gesamte Welt, aber insbesondere an das amerikanische Publikum, das aufgefordert wurde, aus dem kalten einen warmen Frieden zu gestalten — jeder auf seine Weise: »Let us all learn how to wage peace,«39 schloss Rosenhaupt seinen Aufruf. In einer Rezension des Buches in der Zeitung New York Herald Tribune war zu lesen: »How to Wage Peace« assumes nothing but a desire to contribute, somehow, to the deepending and lengthening of our precarious peace. It provides the information needed to transform a frustrated, futile defeatist into an energetic, influential actionist.«40 Auch wenn ein großer Teil des Buches inzwischen als überholt gelten muss: der Grundtenor in Form von fortschrittlichen Ideen zur Friedensgestaltung in aller Welt hat nichts von seinen progressiven Grundwerten eingebüßt. Zu seiner alten Heimat Deutschland hatte Rosenhaupt als deutscher Jude und in Anbetracht seiner Vergangenheit im Nazi-Deutschland ein unerwartet aufgeklärtes und positives Verhältnis. Er forderte schon zu Kriegszeiten in zahlreichen Artikeln, Deutschland und das deutsche Volk nicht mit dem Nazi-Regime gleichzusetzen. Seine Forderungen unterschieden ihn von manch anderen Exil-Deutschen und führten letztendlich 1947 zum vollständigen Bruch mit Thomas Mann, der eine härtere Gangart im Umgang mit den Deutschen und dem Nachkriegs-Deutschland verlangt hatte.41 1958 gab Rosenhaupt seine Stellung an der Columbia University auf und nahm im selben Jahr eine Berufung als Präsident der bekannten Woodrow Wilson Foundation an, die er bis 1981 innehaben sollte. Diese Stiftung in Princeton, New Jersey, war in den Nachkriegsjahren gegründet worden, um den besten Nachwuchs unter amerikanischen Studenten zu suchen, finanziell zu fördern und einer breiteren Gruppe ein Studium zu ermöglichen. Unter seiner Führung erweiterte die Stiftung ihr Programm und die finanziellen Möglichkeiten in beträchtlichem Maße. Rosenhaupts Erfahrungen und Analysen des amerikanischen Bildungssystems wurden hier konkret umgesetzt und in zahlreichen Artikeln verschiedener Zeitschriften wie Germanic Review, Graduate Journal, und Commentary beschrieben. Sein letztes Buch mit dem Arbeitstitel The Connected Life, in dem er auf sein Leben zurückblickte, blieb leider unvollendet.
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Rosenhaupts wissenschaftliche Arbeiten, seine vielen Verdienste um das amerikanische Bildungssystem sowie seine vorbildliche Führung der Woodrow Wilson Foundation brachten ihm Ehrungen und mehrere Ehrendoktorwürden ein, so vom Colorado College (1963), der Valparaiso University (1964), der University of Chattanooga (1965), dem Franklin College (1969) und der Lincoln University (1983). Im Jahre 1974 wurde zu Ehren von Hans Rosenhaupt die Hans Rosenhaupt Memorial Foundation ins Leben gerufen, die jährlich die Hans Rosenhaupt Memorial Book Award und Stipendien an angehende junge Forscher vergibt. Mit Hilfe der FordStiftung, der Woodrow Wilson Foundation und privaten Gönnern unterstützte dieses Programm, mit dem Schwerpunkt auf »Women’s Studies«, bisher über 500 promovierte Akademiker in ihren Forschungsaufgaben. Seine ursprüngliche alma mater, die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt, fühlte sich nach einer Anregung durch einen deutschen Kollegen von Hans Rosenhaupt verpflichtet, getanes Unrecht wieder gut zu machen. 46 Jahre nachdem er von der Promotion ausgeschlossen worden war, wurde Hans Rosenhaupt am 6. Juni 1979 die verdiente Doktorwürde verliehen und seine Dissertation über Heinrich Mann mit einem, wie es in der verliehenen Urkunde heißt, »ordnungsgemäß zu Ende geführten Promotionsverfahren« verspätet anerkannt. Hans Rosenhaupt trat 1981 in den Ruhestand, lebte aber weiter in Princeton. Er starb am 19. April 1985 nach einem schweren Fahrradunfall und längerer Krankheit im Alter von 74 Jahren. Seine Witwe Maureen zog es nach seinem Tode zuerst ins vertraute Colorado Springs zurück, und einige Jahre später zog sie nach Santa Fe im Bundesstaat New Mexico, um in der Nähe ihrer Tochter und ihrer Enkelkinder zu leben. Sie verstarb im Dezember 2006 im Alter von fast 89 Jahren. Dem Wunsche ihres Ehemanns verpflichtet, überließ sie den gesamten Rosenhaupt-Nachlass, bestehend aus Büchern, Artikeln und Briefen, darunter den beachtlichen und größtenteils unbekannten Briefwechsel mit Thomas und Katia Mann, dem Colorado College.42 Von beträchtlichem Nachteil für die Forschung ist allerdings, dass nahezu alle von Hans Rosenhaupt verfassten Briefe, und leider auch die an Thomas und Katia Mann, verschollen sind und keine Abschriften existieren.43 Man muss sich also rein an den Antwortbriefen der Manns orientieren und daraus schließen, was die Fragen und Stellungnahmen von Hans Rosenhaupt gewesen sein mögen. Diese bedauernswerte Lücke erschwert eine genaue Auswertung der Korrespondenz und erlaubt nur eingeschränkte Einblicke in das Denken von Hans Rosenhaupt, seine Differenzen mit Thomas Mann und andere Stellungsnahmen. Der unzeitgemäße Tod von Hans Rosenhaupt traf seine Familie und seine vielen Freunde und Kollegen, sehr schwer. Tom Ross44, ehemaliger Student Rosenhaupts in einem Seminar über deutsche Literatur am Colorado College, würdigte ihn in einer Erinnerung mit einem Zitat aus Schillers Jungfrau von Orléans, und hebt den bemerkenswerten und bleibenden Einfluss seines Lehrers und Mentors hervor: My debt to Hans. It is simply put: in his classes, both before and after the war, I had a sense of his gentleness but also his unwavering and strict devotion to humane letters — to poetry, to good writing in English, French and of course German. His delight in the shape of language was contagious to me, and it was a major reason that I continued in literature as a graduate student and then as a college teacher. I hope too that my scholarly writing has in some measure conveyed some of this urbane devotion to the word. With him I read such diverse writers as Schiller and Stefan George and Rilke, and together we could glory in the excesses of the first of these and the sometimes even over-subtle and world-weary complexities of the last two.
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Heinrich Rosenhaupt: »Hygienische Volksbelehrung«. In Gesundheitswesen und technische Einrichtungen der Stadt Mainz. Hg. von der Stadtverwaltung (Düsseldorf 1929), S. 12. Klaus-Dieter Thomann: »Elf vergessene Jahre — Dr. Heinrich Rosenhaupt und das Mainzer Gesundheitsamt«, Ärzteblatt Rheinland-Pfalz, Nr. 9 (1993), S. 374. Tom Carroll: »Degree Comes Through – 46 Years Late«, Princeton Packet, 27. Juni 1979, S. 314. Hans Rosenhaupt: »Memorial Day Address«, Colorado College, 1941. Hans Rosenhaupt: The True Deceivers (NY: Dodd, Mead & Company 1954). Hans Rosenhaupt: »Isolation in German Literature«, The Colorado College Publication (Apr. 1940), S. 15-38. Brief von Thomas Mann vom 8. Aug. 1932, in Armin Wishard: »Thomas und Katia Mann — Hans Rosenhaupt: Briefwechsel II«, Thomas Mann Jahrbuch, XXII (2009). Der Band erscheint im November 2009. Brief vom 18. Juli 1936, in Thomas Mann: Tagebücher 1935 – 1936. Hg. Peter de Mendelssohn (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1977). Brief vom 5. Aug. 1937, in Thomas Mann: Tagebücher 1937 – 1939. Hg. Peter de Mendelssohn (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1977). A.H.D.: The Gazette Telegraph, 23. März 1941, S. 1. Brief von Hans Rosenhaupt an Thomas Mann vom 14. Okt. 1941, in Armin Wishard: »Thomas und Katia Mann — Hans Rosenhaupt: Briefwechsel II« (s. Anm. 7). Brief Thomas Manns an die Guggenheim-Stiftung, in Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. 5 Bde. Hg. Hans Bürgin u. Hans-Otto Mayer (Frankfurt a.M.: S. Fischer 19761987), S. 471. Ebd., S. 478. Hans Rosenhaupt: »Can It Happen Here?«, Colorado Springs Gazette, 9. Jan. 1940, S. 17. Dazu bereits 1941 der Vortrag von Hans Rosenhaupt: »A Plan for a Just and Lasting Peace«, Colorado College, 23. Feb. 1941. Brief von Hans Rosenhaupt an Thomas Mann vom 8. Mai 1942, in Armin Wishard, »Thomas und Katia Mann — Hans Rosenhaupt: Briefwechsel II« (s. Anm. 7). Ebd. Brief von Thomas Mann an Hans Rosenhaupt vom 13. Mai 1942, ebd. Brief von Hans Rosenhaupt an Thomas Mann vom 8. Mai 1942, ebd. Hans Rosenhaupt: The True Deceivers (NY: Dodd, Mead & Company 1954). Gemeint ist der »Offene Brief« an Schriftsteller Walter von Molo. Thomas Mann: »Warum ich nicht nach Deutschland zurückkehre«, Aufbau (NY), Nr. 39, 28. Sept. 1945, S. 5. Molo hatte Mann aufgefordert, nach Deutschland zurückzukehren, was Mann vorerst ablehnte. Thomas Mann — Agnes E. Meyer. Briefwechsel 1937 – 1955. Hg. Hans Rudolf Vaget (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1992), S. 648. Ebd. Thomas Mann: Tagebücher 1944 – 1. 4. 1946. Hg. Inge Jens (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1977-1995); Brief vom 13. Dez. 1945. Rosenhaupts Brief ist leider verschollen. Was Mann aber als »aggressiv« bezeichnete, waren lediglich unterschiedliche Meinungen zum Thema Nachkriegsdeutschland und den literarischen Werken einiger deutscher Schriftsteller während des Dritten Reichs. Georg Lukács: »Auf der Suche nach dem Bürger. Betrachtungen zum 70. Geburtstag Thomas Manns«, Internationale Literatur, XV, Nr. 6/7 (1945), S. 58-75.
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Thomas Mann — Agnes E. Meyer. Briefwechsel 1937 – 1955 (s. Anm. 22), S. 652-653. Brief Thomas Manns an Hans Rosenhaupt vom 6. Apr. 1947, in Armin Wishard, »Thomas und Katia Mann — Hans Rosenhaupt: Briefwechsel II« (s. Anm. 7). Hans Rosenhaupt: »A Tie«, Vogue, XII (1956), S. 204-206. Hans Rosenhaupt: »A Gay Dog«, Commentary, XXV (1958), S. 363-366. Hans Rosenhaupt: The True Deceivers (s. Anm. 20). Hans Rosenhaupt: »Silent Night. A Christmas Play.« Unveröffentlicht. Es ist interessant zu bemerken, dass Hans Rosenhaupt bei seinem deutschen Namen blieb. Hans Rosenhaupt: The True Deceivers (s. Anm. 20), S. 377. Ebd. Clifton Fadiman: The True Deceivers (NY: Dodd, Mead & Company 1954), Buchumschlag. Hans Rosenhaupt: Graduate Students. Experience at Columbia University, 1940 – 1956 (NY: Columbia University Press 1958). Hans Rosenhaupt: How to Wage Peace. A Handbook for Action (NY: Day Company 1949). Ebd., S. 2. Ebd., S. 242. Alfred C. Ames: Buchrez. von How to Wage Peace, NY Herald Tribune, 11. Juli 1954, S. 10. Thomas Mann — Agnes E. Meyer. Briefwechsel 1937 – 1955 (s. Anm. 22), S. 464. Armin Wishard: »Thomas und Katia Mann — Briefwechsel II« (s. Anm. 7). Von den Briefen Rosenhaupts an Thomas und Katia Mann existieren lediglich zwei kürzere Briefe sowie die wichtigen neun Fragebögen aus den Jahren 1940-1942 mit insgesamt 106 Fragen an Thomas Mann. Rosenhaupt hatte sich seit längerer Zeit mit der Absicht getragen, ein Buch über Thomas Mann zu schreiben und erbat sich von Mann selbst Informationen zum Leben, Werk und Denken des Schriftstellers. Rosenhaupt schickte die maschinengeschriebenen Fragen an Mann, der sie wiederum handgeschrieben beantwortete und an Rosenhaupt zurück schickte. Tom Ross (1923-2005) studierte am Colorado College und wurde später ein bekannter Anglist und Professor am Colorado College.
DAGOBERT D. RUNES: EIN STREITBARER VERLEGER IN NEW YORK ULRICH E. BACH Der Mainzer Buchwissenschaftler Ernst Fischer stellte unlängst fest, dass sich die Forschung der Tätigkeit deutscher und österreichischer Verleger im Exil zwar gewidmet hätte, wenngleich bislang »diese Emigrantengruppe in Umfang, Differenziertheit und Deutung nicht hinreichend wahrgenommen«1 wurde. Dieser Essay möchte sich des Forschungsdesideratums der Exilverleger annehmen.2 Der Publizist und Verleger Dagobert D. Runes, der im engeren Sinne, nicht zu dieser Gruppe zählt, da er bereits 1928 in die USA übersiedelte, kann als Avantgarde dieser Exilanten betrachtet werden, einer Vorhut, die bereits vor 1933 Europa den Rücken zukehrte, um sich in Freiheit und Sicherheit eine bessere Existenz aufzubauen. Es versteht sich von selbst, dass dieses Vorhaben nicht ohne Widerstände und Schwierigkeiten vonstatten ging. Abgesehen von kulturellen und sprachlichen Handicaps, die gemäß individueller Anpassungsfähigkeit, Alter und Sprachbegabung mehr oder weniger erfolgreich überwunden wurden, stellten vor allem die strukturellen Unterschiede der jeweiligen Berufsbranche eine Herausforderung dar. Der wesentliche Unterschied zwischen dem amerikanischen und europäischen Verlagswesen der dreißiger Jahre war durch eine unterschiedliche Ausrichtung gekennzeichnet: während in den Vereinigten Staaten Popularität eines Schriftstellers und Rentabilität seiner Bücher über dessen Markterfolg entschied, verstanden sich die ästhetisch versierten Verleger in Europa als idealistische Kulturvermittler, deren Vision — jenseits bloßen Marktinteresses — sich auf die Förderung einzelner Autoren kaprizierte.3 Runes nimmt sich — bereits im August 1932 — dieses Themas, in seinem eigenen Journal Modern Thinker and Author’s Review, an: Jedoch überkommt der Autor selten die Hindernisse, die das kommerzielle Verlagswesen zwischen ihm und der von ihm begehrten Leserschaft aufstellt. Der Markt verschließt sich gegenüber ihm, dadurch das die Literatur auf strikter kommerzieller Basis ausgewählt wird. [...] Die Verleger wollen nicht wirklich als desinteressierte Erzieher des öffentlichen Geschmacks und Intelligenz sein. Solange diese Leute unsere Schriftsteller bestimmen, können wir keine unabhängige und ganzheitliche Literatur erwarten.4
Der Verleger als ›interessenloser‹ Erzieher sowie der propädeutische Titel »Twilight of Literature« lassen seine aufgeklärten Ambitionen und individuelle Motivation erkennen. Runes, dies lässt sich vorausschicken, besaß nicht nur große Leistungsfähigkeit und Eigenmotivation, sondern auch vielseitiges Talent. Er schrieb und editierte zahlreiche Bücher zu Themen der Philosophie, Politik, Erziehung, Judaica und eigene Lyrik.5 Sein Gedicht »Gottes Wiederkehr« wurde von Arnold Schönberg als »Dreimal Tausend Jahre«6 für einen gemischten Chor vertont, allerdings blieb das Opus unvollendet, nicht zuletzt wegen Unstimmigkeiten zwischen dem Komponisten und dem Verleger.7 Gesellschaftlich verkehrte Runes in New York mit vielen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und insbesondere des Hitlerexils, u.a. zählten Alfred Adler, Albert Einstein und Emil Ludwig zu seinem illustren Bekanntenkreis. Als Doktor der Philosophie war ihm der Universitäts- und Literaturbetrieb von Wien vertraut, doch fehlten ihm praktische Erfahrungen im Verlagswesen. Der an-
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fängliche Handel mit Zeitschriften in New York, ermöglichte Runes und den am Geschäft mitwirkenden Familienmitgliedern, sich das notwendige buchhändlerische »know-how« und amerikanisches »salesmanship« anzueignen. Gepaart mit der Vision eines europäischen Kulturverlegers, versorgte er in den dreißiger und vierziger Jahren die stetig zuwachsende Gruppe von deutschsprachigen Exilanten mit Zeitschriften, Buchpublikationen und sogar einer Volkshochschule (Institute of Advanced Education). Trotz allem stand der Verkauf deutscher Bücher in den USA in keinem Verhältnis zur Anzahl deutschsprachiger Emigranten. Der starke Assimilationsdruck der Zwischenkriegszeit, das vergleichsweise lückenhafte Buchhandelsnetz sowie ein anderer Lesegeschmack dämpften die Absatzchancen der Exilverlage erheblich.8 Bezeichnenderweise erreichte Runes seinen geschäftlichen Durchbruch mit Publikationen, die noch zu Kriegszeiten Interesse bei der U.S.-Armee, und später an den amerikanischen Universitäten, hervorriefen. Darüber hinaus beteiligte er sich lebhaft an tagespolitischen Debatten zu lokalen, nationalen oder internationalen Themenbereichen. Wie wir noch sehen werden, entwickelte sich die von Runes 1941 gegründete Philosophical Library in der Nachkriegszeit zu einem Verlag, der verschiedenste Bereiche der Geistes- und Naturwissenschaften — mit rund 2500 Titeln — umfasste. Runes leitete das buchhändlerische Unternehmen bis 1976, und er verstarb im Alter von 80 Jahren 1982 nach längerer Krankheit in New York City. *** In einem 1948 im Aufbau publizierten Artikel beschreibt Kurt Lubinski die Herkunft der Familie Runes folgendermaßen: »Dagobert D. Runes der dichtende Verleger, gehört in die Reihe derer, die es durch ihre Persönlichkeit zum Erfolg in der Emigration gebracht haben. Eine lange Kette sephardischer Juden — ursprünglich des Namens Runez — sind seine Ahnen.«9 Die Familie, vertrieben von der spanischen Inquisition, fand in der damals türkischen Bukowina — und heutigem Rumänien — Obdach, und Dagobert R. wurde 1902 in Zastava geboren.10 Die Bukowina war vor dem Ersten Weltkrieg Teil des Habsburger Kaiserreiches, und folglich besuchte Runes dort eine deutschsprachige Schule. Nach Auflösung der k.u.k. Monarchie, als Bukowina an Rumänien überging, immatrikulierte sich Runes als Jurastudent an der Wiener Universität. Dort leitete er das ›Ethische Seminar‹, eine von den Ideen Constantin Brunners inspirierte Studentengruppe, und blieb durch diese Tätigkeit mit den Freunden aus seiner Heimatstadt Czernowitz eng verbunden. In Czernowitz befand sich das ursprüngliche ›Ethische Seminar‹, dem unter anderen eine langjährige enge Freundin Brunners, die Dichterin Rose Ausländer, angehörte.11 Der heute fast vergessene Religionswissenschaftler Brunner, der aus einer alteingesessenen jüdischen Hamburger Familie stammte, stand um die Jahrhundertwende mit einflussreichen Schriftstellern und Intellektuellen wie Detlef von Liliencron, Martin Buber und Gustav Landauer in enger Verbindung. Sein philosophisches System strebt eine Unterscheidung von drei Fakultäten des Denkens — die praktische, die geistige und die analogische — an. Laut Brunner ist das praktische Denken des Menschen notwendigerweise auf das wahre, geistige oder auf das fiktive, analogische Prinzip gegründet, somit kommt es zu einem geschichtlich nachweisbaren Antagonismus zwischen geistigem und abergläubischem Denken.12 Runes geisteswissenschaftlich ausgerichtetes Interesse verleitete ihn dazu, über die »Grundlagen der Ethik Platos und Spinozas«13 zu promovieren, und anschließend
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sein erstes Buch Der wahre Jesus oder das fünfte Evangelium (1927) im Wiener Verlag von Rudolf Cerny, mit finanzieller Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei Österreichs zu veröffentlichen. Diese vom jugendlichen Elan und freidenkerischem Ideengut inspirierte Schrift handelt von der Entstehung und dem Wesen des Christentums. Laut Verlagsanzeige zeichnet sich das Werk durch seine entschiedene antiklerikale Tendenz aus: »Das Buch führt die schwersten Schläge der Gegenwart gegen die Vertreter des religiösen Aberglaubens, der pfäffischen Heuchelei und der talmudistischen Symbolik.«14 Getreu der Verlagsanzeige beendet Runes seine Streitschrift mit polemischem Pathos: Das Christentum hat stets dem Bösen gedient. Es diente dem christlichen Raubfürsten gegen den ahnungslosen heidnischen Nachbarstamm, es diente den tyrannischen Herren gegen das hörige Volk und hielt dessen Empörung gegen die Fron durch salbungsvolle Versprechungen auf das Himmelreich zurück, es diente den Päpsten, ihren Huren und Günstlingen gegen die Bauern und Bürger, denen die Nachfolge Christi das Ablassgeld aus dem Beutel zogen. Sie vergaben ihre Sünden für Geld und Gut und dienten so dem Mammon gegen Gott. Sie dienten dem Satan der Unwissenheit und verbrannten mit eigener Hand die Weisen und Gerechten. Das Christentum ist stets ein Feind der Wissenschaft und Wahrheit gewesen. Das Christentum, es dient auch heute noch dem Mammon gegen das arbeitende Volk. Aber schon regen sich die Arme der neuen Menschen und es kommt der Tag, wo die Schande des Christentums aus dieser Welt schwinden wird! Ich höre die Freiheitsglocken klingen und ich sehe die mündige Menschheit entstehen aus dem Grabe des Christentums zum Lichte der Freiheit und des wachen Geistes, Amen!15
Runes macht also das Christentum für die moralische und materielle Misere des Abendlandes verantwortlich. Die Machtgier und der Mammon der Kirche mystifiziert die Wissenschaften und verklärt die arbeitenden Massen, die dadurch in weiter Unmündigkeit leben. Stattdessen fordert er einen neuen Menschen, der im Licht der Freiheit das Christentum zu Grabe trägt. Es verwundert nicht, dass diese umstürzlerischen Thesen bei den konservativ-bürgerlichen Machthabenden der Ersten Österreichischen Republik wenig Anklang fanden. Die Publikation erregte allerdings so großes Aufsehen, »dass sein Verleger Rudolf Cerny zu sechzig Tagen Gefängnis verurteilt wurde«.16 Somit sah sich Runes — eine Anklage wegen Gotteslästerung befürchtend — gezwungen, bereits 1928 nach New York zu emigrieren. *** Am 8. Januar 1932 findet sich auf Seite 39 der New York Times unter der Rubrik »Bankruptcy Proceedings: Petitions Filed Against« folgende Mitteilung: QUALITY PUBLICATIONS, INC., Publishers of The Thinker, 45 West Forty-fifth Street, by Dagobert Runes, for $400; Jean Bradle, $300; Mary Gronich, $60; Max Lehman, $50.
Offensichtlich strebten Runes, seine Frau Mary Gronich und zwei enge Mitarbeiter, das Konkursverfahren von Quality Publications, Inc. an, und übernahmen anschließend deren Zeitschriften.17 Der frühere Associate Editor des New Thinker, Eric Berger beschrieb die damalige Situation folgendermaßen:
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Mary Runes, Bobs Ehefrau arbeitete für ein Journal namens Current Digest. Die Herausgeber des Current Digest publizierten ebenso ein Magazin namens The Thinker. Um den Verleger war es zu dieser Zeit finanziell schlecht gestellt, und das Konkursverfahren wurde eingeleitet. Am Ende des Verfahrens wurden die Veröffentlichungen gerettet, indem sie Bob und Mary zugesprochen wurden, The Thinker wurde als The Modern Thinker fortgeführt; der Current Digest als New Current Digest.18
Die erste Nummer des New Thinker erschien bereits im März des gleichen Jahres mit einem Editorial von Runes »Advantages of Intolerance« und Artikeln von Oswald Spengler »Must We Become Pessimists?« und Stefan Zweig »Freud Grows Old«. Der New Thinker bestand bis 1936 und eine chronologische Aufzählung von Autoren und ihren Beiträgen spiegelt die ernorme intellektuelle und politische Bandbreite des Journals wider: Benito Mussolini »America, Beware«, John Dewey »Politics and Culture«, Thomas Mann »Disguises of Revolution«, Emil Ludwig »Interview mit Stalin«, Bertrand Russell »Patriots and Patro-Idiots«, Sigmund Freud »Sexual Weakness and Cruelty«, Leon Trotsky »I See War with Germany«, Jacob Wassermann »Shall We Jews Quit?«, Gerhart Hauptmann »On Being Creative«, Julian Huxley »Science of the Future«, Henri Bergson »Men or Gods«, Havelock Ellis »Machine and the Future«, Lion Feuchtwanger »Reflections of a Poet«, Henri Barbusse »Torturer from Cuba«, Karl Kautsky »Hours with Karl Marx«, Stefan Zweig »In Praise of Reading« und John Dewey »Education and Social Change«. Zumindest bis Ende 1934, als der Modern Thinker ein kleineres Format erhielt, konnte das Journal durch die Qualität der Beiträge eine hervorragende Stellung in der New Yorker Presselandschaft für sich beanspruchen. Wie ein roter Faden zieht sich in Runes’ Artikeln seine konsequente Bemühung um soziale Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in den Vereinigten Staaten, sein rückhaltloses Eintreten für egalitäre Bildungsmöglichkeiten aller Klassen, und seine vehemente Ablehnung totalitärer Regime. Dabei übt Runes, als Herausgeber des Modern Thinker, keinesfalls unparteiische Zurückhaltung, sondern sein Stil zeichnet sich stets durch eine streitbare Polemik aus. Die Titel seiner Kommentare zeugen von dem Verlangen den vermeintlich liberalen Gleichmut der amerikanischen Gesellschaft wachzurütteln: »Advantages of Intolerance«, »Publicity Gone Wild«, »Science Depraved«, »A Study in Hatred«, »Twilight of Literature«, »They Like to Talk About it«, »Sterilizing the Misfits«, »Spinoza the Renegade«, »Patriotism, Einstein and the Boy Scout«, »Germany Runs Amok«, »Lessons from Fascism«, »Literature and Opportunism«, »Philosophy Collapses« und »The Private Life of Mohammed«. So endet eine von Runes’ politischen Polemiken (»A Study of Hatred«) mit dem provokativen Aufruf: Wir haben, so denke ich, soviel Toleranz und Liebe wie wir ertragen können. Was wir wollen, was wir brauchen ist ein starker, gesunder Hass und entschiedene Intoleranz — gegenüber allem Degenerierten um uns herum und in uns selbst. Nichts ist feinfühliger in unseren Emotionen als Hass.19
Allerdings richtet sich die propagierte Intoleranz gegen solche »Appeasement«Politiker, die selbst Gewalt aufgrund unlauterer Motive akzeptieren: »So tiefgründig wurzelt der Geist der Toleranz in unseren Staatsmännern, dass sie Japan erlaubten, China zu zermetzeln und sogar noch die Munition dazu verkauften.«20 In der September Ausgabe des gleichen Jahres kritisiert Runes bürgerliche Liberale, die angeblich gerne in der Öffentlichkeit die Vorzüge der Sowjet Union lobten, aber aus Angst
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ihre amerikanische Individualität zu verlieren, nicht bereit seien sich zu ihren Überzeugungen zu bekennen. Diese Leute werden nicht aufhören bewundernd und begeistert, über das kommunistische Russland zu sprechen — dies ist die Mode von heute. Dies zeugt von einer vorzüglichen liberalen Einstellung, ist ein wenig schockierend und macht das Thema pikant. Jedoch werden diese Leute niemals Kommunisten, aber sie mögen lediglich darüber reden.21 Wie schon in dem Artikel »Publicity Gone Wild«,22 verurteilte Runes auch hier nach Publizität heischende Intellektuelle, die durch ihre Öffentlichkeitsarbeit lediglich von mangelnden Leistungen ablenken wollen. In Anbetracht dieser Polemiken, ist es nicht verwunderlich, dass sich Runes gleich zweimal des kontroversen Themas des Sozial-Darwinismus annahm. In »Science Depraved« und »Sterilizing the Misfits«,23 kreidet er die — von gewissen Universitätskreisen befürwortete — Euthanasie an. Runes spottet über einen zynischen Wissenschaftler aus Princeton, dessen biologistisch verbrämte Ansichten der zeitgenössischen Massenarbeitslosigkeit und Armut ohne weiteres positive Züge abgewinnen können: »Arbeitslosigkeit und harte Zeiten schwächen nicht die menschliche Rasse, sondern tragen zur Stärkung derselben bei.«24 Er hält dem sozialdarwinistischen Biologen entgegen, dass es wohlfeil sei, eine Philosophie der Stärke zu propagieren: »wenn wir glücklich genug sind Brot im Brotkasten zu haben, Kohlen im Keller, einen zusätzlichen Mantel im Schrank, und das beste von allem einen angenehmen Job an einer angesehenen Universität«.25 Runes zufolge werden Menschen nicht als Kriminelle oder Neurotiker geboren, sondern die ungerechte gesellschaftliche Chancenverteilung treibt mittellose, junge Mädchen in die Prostitution, und verwandelt armselige Arbeitslose in rücksichtslose Kriminelle. Deshalb kommt er zu dem soziologischen Schluss, dass: »Das Bankkonto eines Menschen gibt am ehesten über seine Überlebenschancen Auskunft, ist aber noch lange kein Indiz seines Wertes für das Überleben der humanen Spezies.«26 Die letzte Ausgabe des Modern Thinker erschien im Januar 1936, ohne dass sich die Umstände, die zur Einstellung des Journals führten, näher ermitteln ließen.27 Neben dem Modern Thinker, dem von Alfred Adler inspirierten Modern Psychologist 28 und der anspruchvollen Sprachlehrzeitschrift Better English publizierte Runes auch eine Vielzahl vornehmlich populärer Zeitschriften wie Home Crafts and Hobbies, Model Airplane Builder, American Stamp Digest, Science Illustrated und American Lady. In dem bereits erwähnten Interview erklärt Eric Berger die Vielzahl der Titel folgendermaßen: Wie wurden all diese Journale finanziert zu dieser Zeit? Es gab damals keinen Cashflow wie es heute genannt wird. Aber in diesen Tagen, Magazine florieren einfach auf dem Markt. Verleger hatten keine Schwierigkeiten Kapitel zu akquirieren. Und weil Papier und Drucken den größten Teil der Kosten ausmachten, machten die Verleger die Druckereien zu Partnern ihres Unternehmens.29
Eine dieser florierenden Zeitschriften war Better English, dessen Inhalt Runes pädagogischen Anspruch veranschaulicht. Eine Verlagsanzeige beschrieb das Programm des Journals wie folgt: Better English wird für Sie alle Geheimnisse der Sprache entschleiern. Sie werden die verborgene Bedeutung von Wörtern entdecken. […] Durch das Lesen von Better English werden Sie entdecken wie viele Wörter Sie falsch benutzen.[…] Herausgegeben von Dr. Dagobert D. Runes, Better English versammelt unter seinen Beiträgern
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H.L. Mencken, Janet R. Aiken, Frank H. Vizetelly, Milton Wright, A.A. Roback und andere herausragende Autoren.30
So werden neben Aufsätzen wie »Words Frequently Mispronounced« und »Shortcuts to Good English« auch praktische Lebenshilfen »How to Make Her Say ›Yes‹ « oder »How to Quarrel, if You Must« vermittelt.31 Der bildungsbürgerliche Zuschnitt der Zeitschrift lässt sich an dem Wortschatz Quiz ermessen. Abgesehen von Rubriken wie »Abnormale Psychologie«, »Grammatik« oder »Rechtswissenschaften« enthielt das Rätsel folgende, scheinbar zum literarischen Grundwissen eines jeden Lesers gehörende, Frage: Mrs. Malaprop, die Wörter verdrehte; Lydia Laguish, die mit einem Mann durchbrennen wollte; und Bob Acres, der vielleicht bekannteste Sturkopf des Dramas, sind unter vielen anderen unvergesslichen Charakteren, die dies zu einer mitreißenden Farce machen. A__ Sie neigt zum Erobern C__ Die Rivalen 32
B__ Der Pfarrer von Wakefield
Bedenkt man die Kenntnisse der englischen Literaturgeschichte, die diese Quizfrage voraussetzt, darf Rochelle Larkins These, dass Runes mit dem Journal in erster Linie Emigranten Englisch beibringen wollte, zumindest bezweifelt werden.33 Über diese Sprachzeitschrift hinaus, gründete der Verleger 1931 das Institute of Advanced Education, welches zuerst als Zweigstelle des Roerich Museums, 310 Riverside Drive in der Upper West Side New Yorks fungierte.34 Bald darauf erfolgte ein Umzug, und fortan operierte die alternative Volkshochschule eigenständig in der Nähe des Union Square, 111 East 15th St. Neben Sprachunterricht organisierte Runes als Direktor des Institutes Vorlesungsreihen zu philosophischen, psychologischen und politischen Fragestellungen. In der New York Times lassen sich vier Mitteilungen über die kulturellen Aktivitäten des Institutes finden: 18. Oktober 1931, Seite 68 — Dr. Dagobert D. Runes, Direktor des Institute of Advanced Education, Abteilung des Roerich Museums, kündigt eine Vortragsreihe mit Diskussionen zu zeitgenössischen Themen an. Der erste Vortrag »Die Befindlichkeit unserer Philiosophie« wird heute abend am 18. Okt. um 8:45 von Professor Harry A. Overstreet gehalten. Morgen zur gleichen Zeit wird Professor E.C. Lindeman »Die Maschine und ihr kultureller Einfluss« diskutieren. Weitere Vorträge dieser Reihe werden von Dr. Louis I. Newman, Dr. Harry Elmer Barnes, William Harper Davis und anderen gehalten. 3. März 1932, Seite 15 — Das größte Problem heutiger Frauen ist die Erziehung ihrer Nachkommen, erklärte gestern Abend Mrs. Franklin Roosevelt, die Frau des Governor, während einer Ansprache im Institute for Advanced Education. 24. Januar 1933, Seite 15 — Eine Vortragsreihe zu Wagner’s »Ring« wird heute Abend von Herman Epstein im Institute for Advanced Education begonnen. 23. September 1933, Seite 13 — Das Herbstsemester des Institute for Advanced Education wird am 1. Oktober beginnen. Lehrbeauftragte sind unter anderem Heinrich Mann, exilierter deutscher Anti-Hitler Autor; Dr. Alfred Adler, bekannter Wiener Psychologe; Pierre Loving, Dr. Louis Berman und Dr. Scott Nearing. Das Institut beginnt sein drittes Jahr als Institution für höhere Erwachsenenbildung und Forschung.35
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Man kann auf den Stellenwert des Institutes im kulturellen Leben New Yorks zurück schließen, wenn Eleonore Roosevelt, Alfred Adler, Heinrich Mann und andere hervorragende amerikanische Intellektuelle auf Einladung Runes dort Vorträge hielten. Schon allein deshalb ist es erstaunlich, dass sich — abgesehen von den oben wiedergegebenen Mitteilungen in der New York Times und einer doppelseitigen Anzeige des Frühlingsprogramms von 1933 in Runes’ eigenem Journal Modern Thinker 36 — heute nichts mehr über die Existenz oder den Fortbestand des Institutes in der einschlägigen Fachliteratur ermitteln lässt. Um dennoch einen Eindruck von den Aktivitäten und der intellektuellen Bandbreite des Institutes zu erhalten, werden hier die Fakultät und das Semesterprogramm vorgestellt: Scott Nearing, Soziologe und Bürgeraktivist des »Homestating Movement«, sprach über »World Reconstruction« und »Building the New World«; darüber hinaus debattierte er mit Isaac Don Levine, dem konservative Herausgeber des Journals Plain Talk, über das Thema »Has the [Soviet] Five Year Plan succeeded?« Der frühere Journalist und spätere University of Texas at Austin Professor C. Hartley Grattan behandelte Themen der Literaturgeschichte: »Before the War in Literature: Liberalism«; »After the War in Literature: Pychology« und »The Future of Literature: Radicalism«. Der Endokrinologe Dr. Louis Berman, Autor von Glands Regulating Personality veranstaltete eine Vortragsreihe über »The Physical and Chemical Foundations of Personality and their Social and Psychological Applications«. Der bekannte Kritiker V.F. Calverton, der als Vorbote Marxistischer Literaturkritik davon ausging, dass Literatur als Ausdruck des sozialen Systems, aus dem es stammt, zu lesen sei. Im Rahmen der Lehrveranstaltungen des Institutes unternahm Calverton ein »Survey of Contemporary Civilization«, in dem er sich unter anderem kritisch mit der Psychoanalyse auseinandersetzte. Der früh verstorbene Psychiater W. Beran Wolfe, bekannt durch seinen Besteller How to be Happy though Human, hielt Vorlesungen über »Practical Applications of Adlerian Psychology«. Der populäre britische Publizist und Aktivist im Spanischen Bürgerkrieg, John LangdonDavies ging auf dezidiert tagespolitische Themen ein: »War Debts and World Depression« und »The Spanish Revolution — What Will It Lead To?« Ebenso nahm der liberale New Yorker Dichter Alfred Kreymborg mit einer Vorlesung über amerikanische Literatur am Programm teil. Dies ist insofern von Interesse, weil Kreymborg zuvor an der berühmt-berüchtigten alternativen »Modern School« unterrichtet hatte.37 Und schließlich sprach der französische Psychologe Joseph M. Osman, über den sich keine biographischen Angaben ermitteln ließen, über die »Psychology of Personality«. Osman überraschte mit reißerischen Titeln seiner Vorträge: »The Emotional Moron«, »Facing the Cosmic Chill« oder »The Well of Loneliness: Mädchen in Uniform«. Aus heutiger Perspektive ist es unverständlich, dass eine Volkshochschule mit einer solch profilierten Fakultät unweit der New School und NYU nicht länger bestehen konnte. Neben der manifesten Wirtschaftskrise während des »New Deals« spielte möglicherweise die politische Radikalität einiger Lehrkräfte bei der zeitigen Auflösung des Institute of Advanced Education eine Rolle. Eine weitere Zeitschrift, die für Runes Entwicklung als Verleger von Bedeutung war, wurde bislang nur am Rande erwähnt, das Nachdrucksmagazin New Current Digest. Wie auch The Thinker befand sich der The Current Digest in der Konkursmasse der Quality Publications, Inc. Doch im Gegensatz zu dem frühzeitig eingestellten Modern Thinker, florierte New Current Digest bis in die späten dreißiger Jahre. Profitierend von einer Auseinandersetzung zwischen Readers Digest und dessen Zwischenhändler Union News Company, erhöhte Runes die Auflage des New Current Review, so dass Readers Digest den bislang vernachlässigten Konkurrenten und dessen Subskriptionsliste um-
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gehend aufkaufte. Mit dem Verdienst konzipiert Runes eine Vierteljahreszeitschrift, die seinem philosophischen Interesse näher kam: Philosophic Abstracts. Die Zeitschrift, die bis 1956 erschien und später durch den bekannten Exilantiquar H.P. Kraus nachgedruckt wurde, setzte sich aus einer Sammlung von Rezensionen internationaler philosophischer Publikationen zusammen. Durch die verstärkte Beschäftigung mit philosophischen Fragen fiel Runes der Bedarf für ein umfassendes philosophisches Wörterbuch in englischer Sprache auf. In kurzer Zeit brachte er ein Team von 72 Mitarbeitern zusammen, und bereits 1942 erschien der Dictionary of Philosophy. Mit einer Auflage von über 150.000 war der Dictionary gleichsam der Anfang und das Fundament des neugegründeten Verlages Philosophical Library. Anliegen des Verlages war es ernsthafte Leser mit soliden, gründlichen Büchern in allen Wissensgebieten zu versorgen.38 Allerdings sahen nicht alle zeitgenössischen Kritiker in Runes Dictionary eine wertvolle Neuerscheinung. So bemängelte der Columbia University Philosoph Ernest Nagel nachhaltig: Im Ganzen genommen ist es ein hochgradig unbefriedigendes und unzuverlässiges Nachschlagewerk. Eine Anzahl von Mitarbeitern hat sich bereits öffentlich über die Publikation in dieser Form beschwert, und sie beanstandeten, dass in mehreren Fällen Veränderungen durch den Herausgeber vorgenommen wurden, die die Autoren nicht bewilligt hatten. [...] In fast jeder Hinsicht, ist dieses Wörterbuch schlechter als Baldwins oder Eislers.39
Diese manifeste Kritik von akademischer Seite schien Runes jedoch eher zu beflügeln, und getreu dem Verlagsmotto »Books of Lasting Value«, nahmen die Bücher an Anzahl, Umfang und Qualität zu. So konnte nach nur sechs Jahren der Verlag angeblich auf über 3000 Wissenschaftler zurückgreifen, die an den zahlreichen Enzyklopädien und Wörterbüchern mitarbeiteten.40 Der Verleger spielte meistens eine Schlüsselfunktion bei der Herstellung dieser Titel, nicht zuletzt durch seine Fähigkeit geeignete Autoren zu finden, und sie zum Schreiben zu motivieren. Der nächste Verlagsbestseller belieferte die tagespolitischen Bedürfnisse des sich ausweitenden Weltkrieges: War Medicine (1942). Die reich bebilderte wissenschaftliche Publikation war eine Anleitung, die wachsende Zahl der Kriegsinvaliden medizinisch zu versorgen; es verwundert nicht, dass die US Armee einen Großteil der Auflage unverzüglich abnahm. Dies war der Anfang einer, für die kommenden Jahrzehnte, rasanten Verlagsentwicklung. Damals verschaffte sich Runes beim systematischen Durchblättern des umfangreichen Kartenkataloges der New York Public Library neue Ideen für Publikationen, oder er arbeitete an seinen eigenen Texten in der ländlichen Abgeschiedenheit seiner Farm in den Catskills oberhalb New York City. Zur Spezialität der Philosophical Library bildeten sich wissenschaftliche Wörterbücher und Enzyklopädien zu allen wichtigen und abwegigen Themenbereichen heraus. In den stetig wachsenden Sammlungen der Universitätsbibliotheken infolge des Sputnikschocks41 fanden die Bücher der Philosophical Library bereitwillige Abnehmer. Demgemäß veröffentlichte der Verlag Enzyklopädien über Amateur Acting, Beethoven, Atomic Energy, World Timbers, Gardening, Cookery, Aberrations, for Boys & Girls, the Arts, Astrology, Child Guidance, Criminology, Education, the Iron and Steel Industry, Literature, Modern Building, Morals, the Papacy, Petroleum, Philosophical Science, Philosophy, Psychology, Radio and Television, Religion, Slavonic, Stamp Collector, Substitutes, Superstitions and Vocal Guidance. Bis 1980 erschienen nicht weniger als 2500 geistes- und naturwissenschaftliche Werke unter dem Verlagssignet der Philosophical Library. Neben Büchern einflussreicher Emigranten wie Albert
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Einstein (Out of my Later Years, 1950 und Essays on Humanism, 1950), Leonard Frank (Dream Mates, 1947) oder Emil Ludwig (Of Life and Love, 1945) entwickelte Runes ein besonderes Interesse am französischen Existentialismus. Bereits 1956 ließ er Hazel Barnes Jean-Paul Sartres umfangreiches Werk L’être et le Néant übersetzen und publizierte Texte von Simone de Beauvoir und André Gide.42 Der Verlag konnte nicht weniger als neunzehn Nobelpreisträger — unter anderem Boris Pasternak, Albert Schweitzer und Bertrand Russell — zu seinen Autoren zählen.43 Weitere Verlagsschwerpunkte bildeten Kunst und Kunstwissenschaft. Aufgrund seines Kontaktes zu Künstlern der klassischen Moderne nahm Runes die Gelegenheit wahr, ein — im knallroten Einband und auf blauem Papier gedrucktes — Drama Picassos (Desire, 1948) zu publizieren. Friedel Dzubas, ein dem abstrakten Expressionismus nahe stehender Maler, lieferte dazu das Buchdesign.44 Der russische Emigrant Marc Chagall kreierte den Schutzumschlag für seine eigene Biographie, leider entfachte sich bei der Herstellung des Buches eine Auseinandersetzung zwischen Chagalls Biographen und dem Verleger: Dr. Kloomok hatte dauerhafte Beschwerden mit diesem Buch. Du weißt dass es von der Philosophical Library (Herausgeber Runes) angenommen wurde, und dass Dr. Kloomok all das Geld das für die Publikation dieses Buches benötigt wurde aus eigener Tasche bezahlen musste. Er tat dies und dummerweise ohne Vertrag. Es scheint als habe Runes ihn betrogen und da wird es nicht erscheinen. Aber wir wissen nicht alle Details. In der Zwischenzeit machte Marc [Chagall] einen Stich nur für Dr. Kloomoks Buch, dass er es als Luxusausgabe verkaufen könnte, um sein Geld zurückzubekommen.45
Trotz dieser Unstimmigkeit erschien das Buch kurze Zeit später in der Philosophical Library.46 Neben Kunst und Ästhetik war Religionswissenschaft ein besonderes Anliegen des Verlages. Wie geschildert, kritisierte der Verleger in seinem ersten, noch in Wien veröffentlichten Buch Der Wahre Jesus die Institution der katholischen Kirche nachdrücklich. Seine späteren, im eigenen Verlag publizierten Schriften setzten die Auseinandersetzung mit seinem Glauben fort: A Bible for the Liberal, The Wisdom of the Torah, Lost Legends of Israel, The Jew and the Cross, The War Against The Jew. In dem erwähnten Aufbau Artikel, stellt Kurt Lubinski fest: »Eine Bible for the Liberal (1946) zu der Lin Yutang, der chinesische Philosoph, eine Einführung schrieb, gab Runes als Krönung seiner Leitsätze heraus.«47 In Runes’ Bibel Edition wird die Mythologie der Heiligen Schrift gezielt auf realistische Aussagen verkürzt, und möchte dadurch vom Glauben abgekommenen Christen einen neuen vorurteilsfreien Zugang ermöglichen. Wenngleich ein Kritiker des Buches behauptet, die eigenwillige Auswahl sei weder repräsentativ, »noch wird es dem Liberalen die Großartigkeit und Grandeur der wirklichen Bibel vermitteln«,48 hält Runes im Vorwort des Buches dem entgegen: »A Bible for the Liberal [ist] ein Testament des Glaubens, Weisheit und der Erhaltung des Judentums. Wie Pontiff sagte: ›Spirituell sind wir alle Semiten‹.«49 Eine erfolgreiche Judaica Publikation war das von ihm edierte Buch The Hebrew Impact on Western Civilization (1951). Darin wollte Runes dem weit verbreiteten Vorurteil entgegenwirken, dass Juden lediglich in der religiösen Sphäre die westliche Zivilisation nachhaltig beeinflusst hätten. Obwohl die 18 Essays von unterschiedlicher Qualität waren,50 konnten Autoren wie Kurt F. Leidecker und Vergilius Ferm den Einfluss jüdischer Denker auf die westliche Philosophie überzeugend nachweisen. Darüber hinaus schrieb Runes zahlreiche Schriften zu Philosophie und Pädagogik, und es wurde eine ganze Reihe von Ratgebern im Briefformat in der Philosophical
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Library veröffentlicht: Letters to my Son (1949), Letters to my Daughter (1954), Letters to my God (1958) und Letters to my Teacher (1961). Einer zeitgenössischen Buchbesprechung zufolge, traf Runes’ mit seinem Briefgenre den Zeitgeist. So etablierte sich der schmucke Band Letters to my Son bald zu einem beliebten Bar-Mitzva Geschenk nicht zuletzt deshalb, weil Runes es verstand, ethische Prinzipien wie Fairness, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit dem jungen Leser nahezubringen.51 Parallel zu dieser Reihe verlegte Runes philosophische Ratgeber wie The Art of Thinking (1961), The Book of Contemplation (1957), A Dictionary of Thought: From my Writings and Evenings (1959). Das schmale Werk The Art of Thinking enthält auf 90 Seiten nicht weniger als fünfundzwanzig Essays. In ihnen wendet sich Runes gegen »schludrige« Emotionen wie Geiz, fehlende Zivilcourage, Snobismus oder Herrschsucht. Diesen moralischen Lastern hält er liberale Werte wie Freigeistigkeit, Toleranz und Gelassenheit entgegen. In diesen Kurzessays geht Runes auch auf Tag- bzw. Albträume ein, und scheut nicht davor zurück die damals gängige psychoanalytische Leseweise einer vehementen Kritik zu unterziehen. So verwundert es nicht, dass der Psychoanalytiker Walter A. Stewart, Runes’ implizite Kritik an der Freud’schen Traumdeutung als »unzeitgemäß« empfindet.52 Doch aus heutiger Sicht klingt Runes recht zeitgemäß, wenn er behauptet: »Wir träumen hundert Träume jede Nacht, aber der einzige von dem wir Bruchteile von Sekunden behalten, ist der letzte einer ganzen Reihe im Moment des Aufwachens. Doch dieser Traum birgt so wenig Geheimnisse wie diejenigen, an die wir uns nicht mehr erinnern können.«53 Ethik, Humanität und die Rechte von Minderheiten der Gesellschaft waren für den Emigranten Runes ein persönliches Anliegen. Wie bei seinen im Modern Thinker erschienen Artikeln, zieht sich diese Thematik wie ein roter Pfaden durch sein Oeuvre. In einem Interview unterstrich der Anthropologe und Philosophical Library Autor Charles Winick Runes’ frühes antirassistisches Engagement nachdrücklich: »Er [Runes] unterhielt profunde Beziehungen zu anderen ethnischen Gruppen in den USA, die unter Vorurteilen und Diskriminierung litten. Er sah die Notwendigkeit des Handeln auf jedem Niveau, um für sie eine Möglichkeit zu schaffen in der Gesellschaft zu wirken.«54 In seinem reich bebilderten Buch Despotism: A Pictorial History of Tyranny (1963) findet Runes’ polemischer Stil ein geeignetes Objekt. Neben zeitgeschichtlichen Diktatoren wie Hitler und Stalin oder historischen Despoten wie Napoleon und Peter den Großen spart Runes’ den amerikanischen Sklavenhandel und gegenwärtigen Rassismus in den USA nicht aus. Schon allein die Bandbreite dieser illustrierten Revue bezeugt Runes’ kompromissloses Eintreten für den Schutz der Menschenrechte. In einer Rezension wird sein Anliegen folgendermaßen beschrieben: Wenn es so etwas wie gewalttätiges Vorurteil gegen Grausamkeit und Barbarei unserer Welt geben sollte, dann findet es sich wild und ungezügelt in diesem Buch. Der Autor, dessen eigenes Leben durch die pathologischen Ereignisse der letzten drei Dekaden beeinträchtigt wurde, schreibt, wie er uns wissen lässt, cum ira et studio. In seiner illustrierten Revue der geschichtlichen Despoten, wartet man vergeblich auf Feinheiten und Nuancen: Tyrannei ist ein schwarz/weiß Phänomen und geschichtliche Perspektive ein naives Konzept.55
Runes’ leidenschaftliches Anliegen wird bereits in der Widmung des Buches an seine Eltern vermittelt, und macht den bisweilen schrillen Ton seiner Polemik verständlich:
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DAGOBERT D. RUNES Zur Erinnerung an meinen Vater Isadore begraben in der sibirischen Tundra der Arbeitslager Stalins und an meine Mutter Adele, die in der schwarzen Erde Österreichs schläft, mit kaltem Stahl Hitlers Sturmtruppen in ihrem verzweifelten Herzen. Mögen die unteren Herrscher ihnen die Gnade geben, die ihnen die oberen Herrscher so grausam versagten.56
*** An der Vielzahl der erwähnten Themen und Autoren kann man erkennen, dass sich der Begriff Philosophie im Rahmen des Verlagsprogramms sehr weit spannte und Literatur, Psychologie, Soziologie, Politologie und Naturwissenschaften beinhaltete. Die mehr als 2500 publizierten Titel unterstreichen nicht nur Runes Leistung kontinentale Philosophie in der USA zu popularisiert, sondern auch seine tatkräftige, entschlossene Art bis zu seinem Schlaganfall und dem plötzlichen Tod seiner Frau Mary Gronich 1976, das Verlagsgeschäft betrieben zu haben. Zwar heiratete er noch seine enge Mitarbeiterin Rose Morse und fungierte als der alleinige Herausgeber des Verlages, obgleich er bis zu seinem Tod 1982 gesundheitlich hinfällig blieb. Danach wurde der Verlag durch Regeen Najar Runes und Morse-Runes weitergeführt. Das Verlagsprogramm in den achtziger und neunziger Jahren bestand einerseits aus Neuauflagen der »Backlist« (Einsteins Essays on Humanism, Bertrand Russells Will to Doubt) im Taschenbuchformat, und andererseits durch eine Produktion von ungefähr dreißig neuen Titeln mit besonderem Augenmerk auf den Bereich Judaica. Brian und Yale Storms überaus gelungene Fotodokumentation The Last Jews of Eastern Europe (1986) liefert ein hervorragendes Beispiel für das hohe Niveau der damaligen Verlagsproduktion.57 Das Büro des Verlages58 — unweit der New York Public Library — wurde 1998 geschlossen, doch bis zum heutigen Tage kümmert sich Regeen Najar Runes um die Copyright Rechte der Philosophical Library. Der eingangs erwähnte Artikel Ernst Fischers wirft unter anderem die Frage auf, ob und inwiefern die europäischen Exilverleger zu den amerikanischen Buchmarktinnovationen aufgrund eines idealisierten Verlegerverständnisses und des amerikanischen »know-hows« beigetragen haben? Trotz des ökonomischen Kalküls hat der Verleger Dagobert Runes seine an der kontinentalen Philosophie geschulten Anschauungen nicht aus den Augen verloren. Gerade weil er als junger Wiener Universitätsabsolvent bereits 1928 nach New York übersiedelte, hatte er genügend Zeit sich intellektuell in den USA zu akklimatisieren, bevor die weltpolitische Lage vollends aus den Fugen geriet. Während des Krieges und kalten Krieges vermochte er eine große Anzahl von amerikanischen und emigrierten Autoren an den Verlag zu binden. So betont zwar Rochelle Larkin, dass: Für viele war das Trauma und die Emigration und die Entfremdung in Amerika überwältigend. Doch verbesserte sich dieser Zustand für manche, durch die Existenz eines Verlages, der ein Jahrzehnt zuvor von Exilanten begründet wurde, und Neuankömmlinge, ihre Ideen und Publikationen mit offenen Armen empfing.59
Dies ist wohl wahr, für die emigrierten Autoren und deren Leser, es ist allerdings Runes Verdienst sich über die relativ kleine Gruppe der deutschsprachigen Intellektuellen Gehör beim amerikanischen Publikum verschafft zu haben. So gesehen bestand Runes’ Innovation in erster Linie darin, erfolgreich seine Kenntnis europäischer Wissenschaftstradition auf den expandierenden amerikanischen Universitätsbuchmarkt
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zu transferieren. Trotz Kritik mancher Autoren und einiger akademischer Buchrezensenten hat Runes mit seiner unermüdlichen Energie seinen Teil dazu beigetragen, die Tradition der kontinentaleuropäischen Philosophie nach dem zweiten Weltkrieg in den USA zu popularisieren. Es steht zu befürchten, dass ein solcher Wissenstransfer heute durch die digitale Datenvernetzung obsolet geworden ist, doch dies schmälert Dagobert Runes’ Leistung in keiner Weise.
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Ernst Fischer: »Die Deutschsprachige Verlegeremigration in den USA nach 1933«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 3: USA. Teil 3. Hg. John Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra H. Hawrylchak (Bern/München: K.G. Saur 2002), S. 272-306, hier 272. Publikationen zu Exilverlegern: Robert E. Cazden: German Literature in America 1933-1950. A History of the German Free Press and Book Trade (Chicago: American Library Association, 1970); Wulf Koepke: »Die Exilschriftsteller und der amerkanische Buchmarkt«. In Deutsche Exilliteratur seit 1933. Bd. 1: Kalifornien. Hg. John Spalek und Joseph Strelka (Bern/München: Francke 1976), S. 89-116; Wulf Koepke: »Exilautoren und ihre deutschen und amerikanischen Verleger in New York«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York. Hg. John M. Spalek und Joseph Strelka (Bern: Francke 1989); Laura Fermi: Illustrious Immigrants. The Intellectual Migration from Europe 1930-41 (Chicago: Chicago Univ. Press 1968); Donald Fleming and Bernard Bailyn (Ed.): The Intellectual Migration: Europe and America 1930-1960 (Cambridge, MA: Harvard Univ. Press 1969); Robert Boyers (Ed.): The Legacy of German Refugee Intellectuals (NY: Schocken 1972); Alexander Stephan: Die deutsche Exilliteratur 1933-1945 (München: C.H. Beck 1979); Konrad Feilchenfeldt: Deutsche Exilliteratur 1933-1945: Kommentar zu einer Epoche (München: Winkler 1986); Eike Midell: »Emigranten in amerikanischen Exilverlagen«. In Exil in den USA mit einem Bericht »Shanghai — Eine Emigration am Rande«. Hg. Eike Midell. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945 Bd. 3 (Frankfurt: Röderberg 1980), S. 221-232; Jessica Roland: »Frederick Ungar«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 3: USA. Teil 1. Hg. John Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra H. Hawrylchak (Bern/München: K.G. Saur 2000), S. 448-471; Paul North (Ed.): Publishing in Exile: German-Language Literature in the U.S. in the 1940s (NY: Goethe-Institute 2009). Siehe John Tebbel: A History of Book Publishing in the United States. Vol. IV: The Great Change, 1940-1980 (NY: Bowker, 1981). »Yet rarely can he [der Autor] get through the barrage of a commercialized publishing business to the minds with which he desires contact. The market is fortified against him with literature selected and distributed on strictly commercial basis. [...] They [die Verleger] do not really want to be disinterested educators of the public taste and the public intelligence. So long as these men direct our writers, we cannot expect a literary output that is independent and wholesome.« Dagobert D. Runes: »The Twilight of Literature«, Modern Thinker, I, Nr. 5, S. 232. Die Library of Congress listet nicht weniger als 66 von Dagobert D. Runes verfasste oder editierte Titel, unter anderem: The Art of Thinking (NY: Philosophical Library 1961); Despotism: A Pictorial History Of Tyranny (NY: Philosophical Library 1963); Hebrew Impact on Western Civilization (NY: Philosophical Library 1951); Jordan Lieder: Frühe Gedichte (NY: Philosophical Library 1948). Arnold Schönberg: Dreimal Tausend Jahre opus 50A (Mainz: B. Schott’s Söhne 1955). »Schoenberg finally sent Runes a copy of the completed chorus on 13 March 1950 and apologized for the misspelling of the poet’s name (Runer, instead of Runes). During the same time, Schoenberg and Runes were also in contact about the publishing of Style and Idea. [...] Though their letters concerning »Gottes Wiederkehr«/»Dreimal tausend Jahre« were cordial, a few years, by April 1951, Schoenberg was on less amicable terms with
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DAGOBERT D. RUNES Runes. Schoenberg accused him of withholding royalties for Style and Idea, to which Runes replied angrily and severed further correspondence.« In Naomi Andre: »Returning to a Homeland: Religion and Political Context in Schoenberg’s ›Dreimal Tausend Jahre‹ «. In: Political and Religious Ideas in the Works of Arnold Schoenberg. Ed. Charlotte M. Cross and Russell A. Berman (NY / London: Garland Publishing 2000), S. 259-289, hier 268. Siehe Marion Lois Huffines: »Bemühungen um die Spracherhaltung bei deutschen Einwanderern und ihren Nachkommen in den USA«. In Amerika und die Deutschen. Bestandsaufnahme einer 300jährigen Geschichte. Hg. Frank Trommler (Opladen: Westdeutscher Verlag 1986), S. 253-262. Kurt Lubinski: »Ein dichtender Verleger«, Aufbau, 6. Aug. 1948, S. 7-8, hier 7. Siehe anonymen Nachruf in NYT, 27. Sept. 1982, S. D9. Siehe Eli Rottner: Das Ethische Seminar in Czernowitz (Dortmund: Internationaler Constantin Brunner Kreis 1973), S. 52. Eine handschriftliche Widmung des Verfassers an Runes gibt der Verbundenheit Ausdruck: »Dagobert D. Runes, meinem lieben Jugendfreunde, in freundlichem Gedenken«. Das Widmungsexemplar befindet sich im Besitz von Regeen Najar Runes. Zum Werk Constantin Brunners, siehe Hans Goetz: Leben ist Denken (Frankfurt: Athenäum 1987). Siehe auch sein Artikel »Spinoza the Renegade«, Modern Thinker, II, Nr. 9 (Dez. 1932), S. 579-586. Auf dem Originalbuchumschlag, im Besitz von Regeen Najar Runes. Dagobert Runes: Der wahre Jesus oder das fünfte Evangelium (Wien: Rudolf Cerny 1927), S. 174f. Lubinski (wie Anm. 9), S. 7. »The New York Times legal notice indicates that Quality Publications, publisher of The Thinker was forced into bankruptcy by Dagobert Runes, Jean Bradle, Mary Gronich, and Max Lehman, because they claimed that Quality Publications had defaulted in amounts due to them as listed in the advert. That would have driven the firm into Court where the debtor would either satisfy the creditors and the Judge could order the firm liquidated and the assets sold to satisfy the outstanding indebtedness.« Persönliche Korrespondenz mit dem Wirtschaftsmathematiker Jack Cumming am 11. Apr. 2008. »Mary Runes, Bob’s wife, worked on a magazine called Current Digest. The publisher of the Current Digest also published a magazine called The Thinker. At about that time, he was in bad straits financially, and a bankruptcy proceeding in order. Out of that proceeding, the Current Digest was salvaged and The Thinker was salvaged. Both were given to Bob and Mary. They proceeded to publish The Thinker, calling it The Modern Thinker. They continued to publish the Current Digest, calling it the New Current Digest.« Undatiertes Interview mit Eric Berger, S. 2. Berger war zeitweise Associate Editor des Modern Thinker, das Interview befindet sich im Besitz von Regeen Najar Runes. »We have, I think, about as much tolerance and love as we can stand. What we want, what we need, is a strong, healthy hatred and decisive intolerance — toward everything degenerate around us and within us. Nothing is finer in our emotional life than hatred.« Dagobert D. Runes, »A Study in Hatred«, Modern Thinker, I, Nr. 4 (June 1932), S. 244. Ebd. »So profoundly is the spirit of tolerance rooted in our statesmen that they have permitted Japan, to butcher China, and have even sold ammunition to her.« »These men will not cease to talk about Communist Russia, admiringly, fervently — it is the mode at present. It shows off to excellent advantage one’s liberal mind, and is slightly shocking — which makes the theme so piquant. But they will never, these gentlemen, go Communist. They just like to talk about it.« Dagobert D. Runes: »They Like to Talk About It«,” Modern Thinker, I, Nr. 6 (Sept. 1932), S. 388. Siehe Dagobert D. Runes: »Publicity gone Wild«, Modern Thinker, I, Nr. 2 (Apr. 1932), S. 83-85. Siehe Dagobert D. Runes: »Sterilizing the Misfits«, Modern Thinker, II, Nr. 7 (Oct. 1932), S. 451-452.
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»Unemployment and the hard times, instead of weakening the human race, rather leads to a strengthening of mankind.« Runes paraphrasiert hier E.G. Conklin, Ordinarius des biologischen Institutes an der Princeton University, der Anfang 1932 die Sommerville Lecture an der McGill University in Montreal hielt. Dagobert D. Runes: »Science Depraved«, Modern Thinker, I, Nr. 3 (May 1932), S. 165. Ebd., S. 166. »If we are lucky enough to have bread in the bread box, coal in the cellar, an extra overcoat in our wardrobe, or best of all, a pleasant job in a well-endowed university.« Eric Berger zufolge, hielt dieser soziale Misstand Runes allerdings nicht davon ab, sich kurze Zeit später selbst für akademische Stellungen an Elite Universitäten zu interessieren: »Well. Dagobert Runes began to think about the sanctuary that might be found in academia. Well, he was told that the best chances of an appointment in a first-rate university would be to publish a book of his own. This would have to be a philosophical text.« Berger: »Interview«, S. 7. »A man’s bank account indicates his likelihood of survival, but it is no index of the value of his survival to the species.« Dagobert D. Runes: »Science Depraved« (wie Anm. 24). Von den elf amerikanischen Forschungseinrichtungen, die Bestände des Modern Thinker aufweisen, ist jeweils die letzte aufgeführte Nummer, VII, Nr. 5 (Jan. 1936). Auch der Modern Psychologist publizierte auf höchstem Niveau. Zu den Autoren zählten unter anderen Alfred Adler, Carl G. Jung und W. Beran Wolfe. »Now, how were all these magazines financed at the time? There was no cash flow as it is called today. But in those days, new periodicals simply flourished. Publishers had no difficulty raising money. Since the most important expense was paper and printing, publishers simply made the printer a partner in the enterprise.« Berger: »Interview«, S. 3f. »Better English will unravel the secrets of the language for you. You will discover the hidden meanings of words […]. By reading Better English you will also discover how many words you have been using wrongly […]. Edited by Dr. Dagobert D. Runes, Better English has among its contributors H.L. Mencken, Janet R. Aiken, Frank H. Vizetelly, Milton Wright, A.A. Roback and other equally outstanding men of literature.« Publiziert in New Current Review (Feb. 1939), S. 95. Siehe Better English in Speech and Writing (Jan. 1938). »Mrs. Malaprop, who twisted words; Lydia Languish, who wanted a husband, but only by means of an elopement; and Bob Acres, perhaps the best known blockhead in drama, among many other unforgettable characters make this a riotous farce. A__ She Stoops to Conquer C__ The Rivals«
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Norman Lewis: »The Vocabulary Quiz«, Better English (Nov. 1939), S. 43f. (Die Antwort ist C: Sheridans 1775 Komödie The Rivals). »Even before the war, they [the Runeses] were actively aware of the threat of Hitler, and to help the new refugees they started publishing a magazine called Better English and set up a school called the Institute for Advanced Education.« Rochelle Larkin: »Philosophical Library Redux«, Publishers Weekly, 21. Aug 1987, S. 27. Über das gemeinsame Interesse an den Schriften Goethes kam Dagobert Runes mit dem Maler und Philosophen Nicholas Roerich in Verbindung. Bereits 1932 edierte Runes für die Roerich Museums Press, New York: Goethe: A Symposium. Roerich (1874-1947), geboren im vorrevolutionären St. Petersburg, lebte in verschiedenen Ländern, zum Schluss in Punjab, Indien. Ausgebildet als Rechtsanwalt, interessierte er sich für Fragen der Ästhetik, insbesondere Malerei und Literatur. Im Jahre 1920 zog er nach New York City, wo er wenig später das »Master Institute of the United Arts« gründete. Mitte der zwanziger Jahre unternahm er mit seiner Familie eine fünfjährige Expedition durch die Hochebene Asiens. Insbesondere für seine Malerei, entpuppte sich die Reise als überaus fruchtbar. Heute können seine Gemälde im Nicholas Roerich Museum, New York City betrachtet werden. .
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DAGOBERT D. RUNES »18th October 1931, p. 68—Dr. Dagobert D. Runes, director of the Institute of Advanced Education, Roerich Museum branch, announces a series of lectures and discussions on topics of contemporary thought. The first lecture this evening Oct. 18, at 8:45, will be ›Finding our Philosophy‹ by Professor Harry A. Overstreet. Tomorrow evening at the same hour Professor E. C. Lindeman will discuss ›The machine and Its Cultural Influence.‹ Other lectures in this series will be given by Dr. Louis I. Newman, Dr. Harry Elmer Barnes, William Harper Davis and others. Full information concerning the lectures and courses offered by the institute may be had by applying, either in person or by letter, to the Institute of Advanced Education, 310 Riverside Drive, New York City. 3rd March 1932, p. 15—The greatest problem confronting women today is the education of the young, Mrs. Franklin Roosevelt, wife of the Governor, declared in an address at the Institute for Advanced Education, Roerich Museum, 310 Riverside Dr. last night. 24th January 1933, p. 15—A series of lectures on Wagner’s ›Ring‹ will be given by Herman Epstein at the Institute for Advanced Education, 11 East Fifteenth Street, beginning tonight. 23rd September 1933, p. 13—The Fall term of the Institute for Advanced Education will begin Oct. 1. Lecturers will include Heinrich Mann, exiled German anti-Hitler author; Dr. Alfred Adler, noted Viennese psychologist; Pierre Loving, Dr. Louis Berman and Dr. Scott Nearing. The Institute is entering its third year as an institute of higher adult education and research.« Publiziert in Modern Thinker, II, Nr. 11 (Feb. 1933), S.1f. Beeinflusst von den Ideen des spanischen Erziehers und Anarchisten Francesc Ferrer, wurden die »Modern Schools«, auch »Ferrer Schools« genannt, am Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA gegründet. Als Teil der Arbeiterbewegung wollten sie mittellosen Arbeitern zu freiem Unterricht verhelfen. Nach einem Sprengstoffanschlag auf die Villa von John D. Rockefeller, den eine mit der Modern School verbundene Gruppe1915 plante, musste die Schule nach New Jersey verlegt werden. Siehe Paul Avrich: The Modern School Movement. Anarchism and Education in the United States 1980 (Princeton: Princeton Univ. Press 1980). »The scope of the Philosophical Library books was, and is, to supply the serious reader with simply written but thoroughly authentic reference books in all fields of human endeavor.« Der Verlagsprospekt 1946 befindet sich im Besitz von Regeen Najar Runes. »Taken as whole it is a highly unsatisfactory and unreliable reference work. A number of contributors have already publicly protested against the appearance of the book in its present form, and they have testified that in several cases changes had been made by the editor in signed articles without the approval of the author concerned. [...] In almost every respect this dictionary is far inferior to either Baldwin’s or Eisler’s.« Die vollständige Besprechung Runes’ Dictionary of Philosophy von Ernest Nagel ist abgedruckt in: Journal of Symbolic Logic, VII, Nr. 2 (1942), S. 90. Diese Fundamentalkritik hielt Nagel nicht davon ab, als korrespondierender Herausgeber für Runes’ Vierteljahresschrift Philosophic Abstracts zu fungieren. Siehe Verlagsprospekt 1946. Sputnikschock nennt man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA nach dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 durch die Sowjetunion. Der Sputnikschock führte daher zu einer umfassenden Reformierung des USamerikanischen Bildungssystems. Dieses Programm hatte ein Gesamtvolumen von 1,6 Milliarden Dollar. Diese flossen über einen Zeitraum von vier Jahren an zusätzlichen Bundesmitteln in das Bildungssystem. Weitere wichtige Verlagsautoren sind: Kahlil Gibran, John Dewey, Benedetto Croce, Andre Maurois, Alfred North Whitehead, Martin Niemöller, John Dos Passos, Lewis Mumford und Allen Tate. Weitere Verlagsautoren, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, sind: Marie Curie, Max Planck, Albert Einstein, Sir Chandrasekhara V. Raman, Werner Heisenberg, Percy Williams Bridgman, Irving Langmuir, Albert Szent-Györgyi, André Gide, Maurice Maeter-
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linck, Rabindranath Tagore, Romain Rolland, George Bernard Shaw, Henri Bergson, François Mauriac und Boris Pasternak. Der Maler Friedel Dzubas (geb. 1915 Berlin) emigrierte 1939 nach Chicago und fand dort als Illustrator Beschäftigung. In den späten vierziger Jahren übersiedelte er nach New York und teilte sich dort ein Studio mit der abstrakten Expressionistin Helen Frankenthaler. Von den fünfziger Jahren bis zu seinem Tod 1994 wurden zahlreiche Ausstellungen seines Werkes veranstaltet. »Dr. Kloomok has had one heartache after another about his book. You know that it was accepted by the Philosophical Library (editor Runes) and that Dr. Kloomok was required to pay up out of his pocket all the money needed for its publication. This he did, and most foolishly made no contract at all. It seems that Runes has cheated him and the book seems to have fallen through. But we don’t know all the details. Meanwhile Marc made an etching especially for Dr. Kloomok’s book, so that he could sell it as a ›de luxe‹ volume & get his money back.« Brief von Virginia Haggard an Louis Stern 11. Dez. 1950, in Marc Chagall and his Times: A Documentary Narrative. Hg. Benjamin und Barbara Harshav (Stanford: Stanford Univ. Press 2004), S. 727. Isaac Kloomok: Marc Chagall: His Life and Work (NY: Philosophical Library 1951). Lubinski, ebd., S. 7. Review of Thomas S. Kepler in Journal of Bible and Religion, XIV, Nr. 3 (1946), S. 177f. »In this sense, A Bible for the Liberal is a testament to the faith, wisdom, and perseverance of Judaism. As the Pontiff said ›Spiritually, we are all Semites‹.« Dagobert D. Runes: A Bible for the Liberal (NY: Philosophical Liberal 1946), S. X. »At least six chapters exhibit English writing that is so poor or sophomoric as to warrant a query as to how they happened to escape editorial surgery.« Rezension von Melville Jacobs in Annals of the American Academy of Political and Science, CCLXXV (1951), S. 251. »It has become a current practice to give this excellent, rather small book as a gift to the young Bar-Mitzva boy. […] The best kind of advice any father can give his son is, after all, concerned with the eternal verities: truth, justice, fair play. That is the kind Dr. Runes gives to his son in this moving and valuable book.« Rezension von Ida Nasatir in Southwestern Jewish Press, 4. Apr. (1950), S. 5. »The essay on daydreams and nightmares [in Runes’ Art of Thinking] is of interest to the analyst as a collector’s item, recalling as it does the type of criticism of Freud which was more characteristic of the turn of the century than of now. In summary the essays espouse in a semireligious manner the bromidic, the banal, and the platitudinous.« Rezension von Walter A. Stewart in Psychoanalytical Quarterly, XXXII (1963), S. 280. »We dream a hundred dreams a night, but the only one we sometimes remember a lightening few seconds of is the last one of the lot, just before we awaken, and there is as little mystery to this last one as to those never recalled.« Dagobert D. Runes: The Art of Thinking (NY: Philosophical Library 1961), S. 30. Interview Charles Winick mit Runes’ Tochter Regeen: »He had a profound commitment to other racial groups such as the blacks in the United States, who were victims of the prejudice and discrimination. He saw the need for action on every possible level to achieve for them an opportunity to function in the society.« Die Aufzeichnung des Interviews befindet sich im Besitz von Regeen Najar Runes. »If there is such a thing as a violent prejudice against the cruelty and barbarism of our world, it is to be found fierce and naked in this book. The author, whose own life was saddened by the pathological events in Europe of the past decades, writes, as he tells us, cum ira studio, with anger and purpose. In his illustrated review of history’s despots, one need not expect shades and nuances: tyranny is a black and white phenomenon and historical perspective is a pusillanimous concept.« Rezension von I.P.R. in Hispania, XLVI, Nr. 3 (1963), S. 662. »To the memory of my father Isadore buried in a Siberian tundra of Stalin’s labor camps and that of my mother Adele sleeping in the black soil of Austria, the cold steel of Hitler’s stormtroops in her anguished heart. May the rulers of the world beneath give them grace
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DAGOBERT D. RUNES that the rulers above so cruelly withheld.« Dagobert D. Runes: Despotism: A Pictorial History of Tyranny (NY: Philosophical Library 1963). Für eine ausführlichere Beschreibung über die Verlagsaktivitäten der Philosophical Library nach Runes’ Ableben, siehe den bereits erwähnten Artikel von Rochelle Larkin (wie Anm. 33), S. 28. Genauer gesagt: 15 East 40th Street. »For many, the trauma of flight and the bewilderment of emigration to America was overwhelming. It was cushioned for some, however, by the existence of a publishing company, itself started by exiles of an earlier decade, that welcomed the newcomers, their ideas and their writings, with open arms.« Rochelle Larkin (wie Anm. 33), S. 27.
EGON SCHWARZ HELGA SCHRECKENBERGER Einige Monate nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 verließ der noch nicht sechzehnjährige Egon Schwarz gemeinsam mit seinem Vater die Heimatstadt Wien. Es folgte eine von traumatischen Erlebnissen geprägte Flucht durch Europa, die im bolivianischen Exil endete. Zehn Jahre später gelang Schwarz die Übersiedlung in die Vereinigten Staaten, wo er ein Studium der deutschen Literatur und Philologie begann und damit den Grundstein für seine äußerst erfolgreiche akademische Laufbahn in Amerika legte, die er als Rosa May Distinguished University Professor Emeritus in the Humanities an der angesehenen Washington University in St. Louis beendete. Egon Schwarz wurde am 8. August 1922 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren. Sein Vater, Oskar Schwarz, Jahrgang 1893, stammte aus Czernowitz in der ehemaligen Bukowina. Angezogen von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Reichshauptstadt kam er als junger Mann nach Wien, wo sich der erhoffte Erfolg jedoch nicht einstellte. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er vier Jahre lang als Artillerist an der italienischen Front. Während eines Heimaturlaubs lernte er bei Verwandten seine entfernte Kusine Erna Weissfisil (geboren 1897 in Pozsony, Ungarn, dem heutigen Bratislava) kennen, die er 1921 heiratete. Das Paar versuchte ohne großen Erfolg, sich im Nachkriegswien eine Existenz aufzubauen. Oskar Schwarz beteiligte sich an verschiedenen Unternehmen: einem Schreibwarenladen, einer Molkerei, einer Fabrik zur Herstellung von Ohrmuscheln und Baskenmützen (Pullmannkappen) und schließlich an einem Unternehmen für Unterwäscheerzeugung. In seinen Memoiren Unfreiwillige Wanderjahre. Auf der Flucht vor Hitler durch drei Kontinente (1992)1 führt Egon Schwarz die berufliche Instabilität des Vaters zu gleichen Teilen auf Mangel an Geschäftssinn und auf die schlechte wirtschaftliche Lage zurück. Er beschreibt den Vater als ruhigen, anspruchslosen und beständigen Menschen, der seine Arbeit methodisch und mit Fleiß erledigte. Es sind Eigenschaften, die ihm nicht den großen Erfolg einbrachten, jedoch im Exil zugutekamen. Egon Schwarz stellt in seinen Memoiren die Vermutung an, »daß diese gleiche Unbeirrbarkeit in den vielen Lagen, wo Kopflosigkeit zu Katastrophen geführt hätte, meinen Vater befähigt hat, sein Gleichgewicht zu bewahren«.2 Nach Abschluss der Volksschule wurde Egon Schwarz am angesehenen FranzJoseph-Gymnasium aufgenommen, für damalige Zeiten keineswegs eine Selbstverständlichkeit für Kinder kleinbürgerlicher Herkunft. Schwarz schreibt dies sowohl seinen überdurchschnittlichen schulischen Leistungen als auch dem Ehrgeiz der Eltern zu, die jedes Anzeichen von Begabung und Intelligenz in ihrem Sohn begeistert förderten. Jedoch auch die persönlichen Neigungen der Eltern — des Vaters Interesse an der bildenden Kunst und die Leselust der Mutter — wirkten auf die geistige Entwicklung des Kindes ein. Schwarz führt vor allem seine Liebe zur Literatur auf diese frühen Erlebnisse in Wien zurück.3 Der Besuch des Gymnasiums erwies sich als Enttäuschung. Rückblickend übt Schwarz scharfe Kritik an der pädagogischen Unfähigkeit der Lehrer, ihr autoritäres, auf Unterdrückung und Disziplinierung abzielendes Gebahren, das jegliche Lernlust in den Schülern erstickte. Daneben sah sich Schwarz früh und unentrinnbar den Auswirkungen des Antisemitismus ausgesetzt. Er begegnete ihm im Verhalten der Mitschüler und Lehrer, in gehässigen Zurufen auf der Straße, in Zeitungsartikeln und Pamphleten. Auf der Suche nach Zugehörigkeit verfällt der junge Schwarz auf die
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traditionelle jüdische Religion, wie er sie bei den Eltern seiner Mutter, die im nahegelegenen Preßburg in der Tschechoslowakei lebten, kennengelernt hatte. Im Heim der Großeltern im jüdischen Ghetto von Preßburg erfuhr Schwarz das Judentum noch als intakte Kultur, als eine fraglose Zusammengehörigkeit, die er in Wien mittels orthodoxer Frömmigkeit zu reproduzieren suchte, »nicht ahnend, daß es schwerlich gelingen kann, einen isolierten Zug, und sei er noch so wichtig oder gar zentral, aus einer Kultur in eine andere hinüberzunehmen, ohne seine Wirksamkeit zu verändern oder seine Funktion zu verzerren« (39). Schwarz musste das Scheitern seiner halbherzigen Versuche, sich dem religiösen Judentum anzuschließen, eingestehen. Die zweite Möglichkeit jüdischer Identifikation, den Zionismus, lehnte er aufgrund von dessen nationalistischer Tendenz ab. Wie Schwarz selbst in seinen Memoiren rückblickend zusammenfasst, war seine Jugend in Wien von ökonomischer und politischer Unsicherheit geprägt. Dazu gesellten sich der Wiener Antisemitismus und die äußere Bedrohung durch den Nationalsozialismus im benachbarten Deutschland. Weder die jüdische Religion noch der Zionismus boten sich Schwarz als Pole gegen die unbeständige Lage an. Trotz allem jedoch empfand Schwarz eine Zugehörigkeit zu Wien, von der er sich nur langsam lösen konnte. Er schreibt in seinen Memoiren: Ich nehme nichts von den harten Ausdrücken zurück, mit deren Hilfe ich die Umstände zu charakterisieren suchte, in denen ich aufgewachsen bin, denn sie sind wahr. Ebenso wahr, wenn vielleicht auch absurd, ist, daß ich mit jeder Faser an dieser Stadt, an diesem Leben hing und sie lange nicht vergessen konnte. Als daher das Gefürchtete, das längst Erwartete geschah, daß Österreich von den Nazis besetzt wurde und aufhörte zu existieren, da traf mich dieses Ende wie ein Donnerschlag aus blauem Himmel, und nicht nur, weil es mein Leben in seinen Grundfesten erschütterte und ihm einen gefährlichen Kurs gab. (47)
Die wenigen Monate, die Schwarz nach dem Anschluss in Wien verbrachte, waren von Angst und Demütigungen gezeichnet. Schwarz wurde Zeuge von der würdelosen Behandlung der jüdischen Bürger, die gezwungen wurden, die Zeichen des Wahlkampfes der vaterländischen Front von den Straßen zu entfernen. Wie anderen jüdischen Schülern wurde ihm der Schulbesuch versagt und auf Grund der falschen Beschuldigung eines Hausbewohners, mussten sein Vater und er ihre Wohnung verlassen. Es gab Berichte von Gewalttaten gegen Juden, von Verschleppungen in Konzentrationslager. Schwarz erfuhr eine radikale Verunsicherung und Schutzlosigkeit, verursacht durch die konsequente Ausgrenzung aus den verschiedenen Gemeinschaften, denen er bis zu diesem Zeitpunkt fraglos angehört hatte: der Schulgemeinschaft, der Hausgemeinschaft, der gesetzlichen und nationalen Gemeinschaft. Sobald wie möglich verließen Schwarz und sein Vater Wien. Sie begaben sich nach Preßburg, wo sie die Mutter erwartete, die, auf Besuch bei den Eltern, wegen des Anschlusses von der Heimreise abgehalten worden war. Die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis brachte erneute Gefahr. Die Familie Schwarz fiel auch bald einer Razzia nach illegalen Flüchtlingen zum Opfer und wurde zusammen mit anderen Leidensgenossen aus ganz Europa in ein Niemandsland, der Demarkationslinie zwischen der Slowakei und Ungarn, abgeschoben. Den Aufenthalt im Niemandsland unter den elendsten Bedingungen, ohne adäquate Kleidung, ohne Lebensmittel, Obdach oder medizinische Versorgung, bezeichnet Schwarz als »eine der absurdesten, ganz aus dem Rahmen der Herkömmlichkeiten fallende Episode« seines Lebens (S. 69f.). Es war nicht so sehr das physische Elend
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der Flüchtlinge und die Todesopfer, die es zu beklagen galt, was Schwarz so verstörte, sondern die Tatsache, dass ihm und den anderen Betroffenen von einer Minute zur anderen die Zugehörigkeit zu einer Nation, ja zu der menschlichen Zivilisation überhaupt, abgesprochen wurde. Diese Erfahrung erweckte in Schwarz die bleibende Überzeugung, »daß jede Zugehörigkeit, jedes Recht, jede Gemeinschaft auf Illusion beruht, bis auf Widerruf von den jeweils Mächtigen gewährt, nach Willkür und Gutdünken wieder entzogen« (S. 73). Nur die Spenden der jüdischen Gemeinde von Preßburg, die schon ein paar Tage später Lastwagenlieferungen mit den nötigsten Hilfsgütern sandte, linderte das Elend der Ausgestoßenen. Schwarz und seine Eltern entkamen aufgrund des mutigen Eingreifens seines Onkels, der als Lastwagenfahrer getarnt die Familie aus dem »Niemandsland« zurück nach Preßburg schmuggelte. Von dort führte die Flucht durch das besetzte Sudetenland hindurch nach dem von Flüchtlingen überrannten Prag. Mit Hilfe der jüdischen Hilfsorganisation HICEM erhielt die Familie Schwarz bolivianische Einreisevisa. Sie wurden auf dem Luftweg aus dem von deutschen Truppen eingekesselten Prag nach Paris gebracht und schifften sich in der französischen Provinzhafenstadt La Rochelle-Pallice ein, um die Reise auf dem Zwischendeck der Orduña nach Arica, Chile anzutreten. Der Frachter war notdürftig zur Beförderung von Passagieren umfunktioniert worden, welche Schwarz als ein buntes Gemisch von Flüchtlingen aus ganz Europa von unterschiedlichstem sozialem, politischem und beruflichem Hintergrund beschreibt.4 An Deck machte der sechzehnjährige, der das Schiff als seine »erste Universität« (S. 82) bezeichnet, die Bekanntschaft eines spanischen Ingenieurs, der ihm Spanisch beibrachte. Hier erreichte ihn auch die Nachricht, dass Prag von den Nationalsozialisten besetzt worden war, was für die noch in der Stadt verbliebenen Flüchtlinge das sichere Todesurteil bedeutete. Nach einer einmonatigen Reise war Arica erreicht. Von dort ging es per Bahn weiter nach La Paz, dem Endziel in Bolivien. Die sechzehnstündige Fahrt über schroffe Gebirgspässe der Anden führte die Familie in eine immer unwegsamer wirkende Welt, wo alles — Klima, Landschaft, Kultur und Menschen — fremd und unwirtlich anmutete. In seinem Reisebuch Die Japanische Mauer beschreibt Schwarz seine ersten Eindrücke folgendermaßen: Alles kommt einem fremd vor, sogar das Angebot auf den Märkten, mit den Chirimoyas, der Quinoa, einer Art Getreide, dem Chuño, gefrorenen Kartoffeln, Tierembryos zu Kultzwecken, den getrockneten Coca-Blättern. [...] Fremd sind auch die Gerüche, in denen sich die primitiven hygienischen Verhältnisse zu erkennen geben, sowie der Rauch der vielen offenen, mit Lamadung und Tundragehölz unterhaltenen Feuer; die Geräusche der melancholischen Indianermusik, die zuerst monoton und enervierend wirkt, die man aber nie wieder aus dem Organismus verliert, wenn man sie längere Zeit Nacht für Nacht gehört hat; die armseligen Hütten aus Adobe und Blech, die sich hinter den besseren, tiefer gelegenen Wohnvierteln in die Schluchten hinein- und die Abhänge hinaufziehen. Fremd sind vor allem die Menschen. Sehr viele sind Indianer in ihrer typischen Tracht: Mützen mit runden Ohrlappen aus Lamawolle, buntgestreifte, pelerinenartige Ponchos, die bis zu den Knien reichen, kurze Leinenhosen, nackte Unterschenkel, Riemensandalen.5
In La Paz, der fast viertausend Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Stadt begann der Kampf ums ökonomische Überleben unter den denkbar ungünstigsten Bedingungen. Schwarz versuchte sich in den verschiedensten Berufen: als Elektrikerlehrling, als Privatsekretär eines unorthodoxen Anthropologen, als ungeschickter
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Hemdenverkäufer und als Vertreter. Mehr Erfolg hatte er in den auf fünftausend Meter hoch gelegenen Zinnminen des Cerro Rico, wo er Anstellung als Nachtwärter fand, und allmählich sogar die Kenntnisse eines Chemikers und Bergbauingeneurs erwarb. Diese bunte Ansammlung von Berufen soll nicht über die schwierigen Bedingungen hinwegtäuschen, unter denen sie ausgeführt wurden und auf die Schwarz mit der Aussage, »seine Emigration sei von ausgepichter Unbequemlichkeit und Gefährlichkeit« (S. 244) gewesen, mit großer Zurückhaltung hinweist. Die Familie musste sich zeitweilig aus ökonomischen Gründen trennen, und der junge Schwarz war auf sich selbst gestellt. Anpassungen an die äußeren Gegebenheiten trugen sicher zum zeitweiligen Erfolg in den jeweiligen Berufssparten bei. Was weniger gelang, war das Leichtnehmen der Erfahrungen und Beobachtungen. Der Mangel an kulturellem und seelischem Zuspruch verstärkte die Gefühle von Trostlosigkeit, Einsamkeit und Ausweglosigkeit, denen er für kurze Zeit durch sein Engagement bei einer trotzkistischen Vereinigung zu entkommen suchte. Unleugbar jedoch schärften die Erlebnisse in Bolivien Schwarz den Blick für soziale Ungerechtigkeiten, Ausbeutung der Arbeiter und ihre forcierte geistige Verdummung. In seinen Memoiren bezeichnet er diese Erfahrungen, vor allem diejenigen in den Zinngruben, als die zentralen seiner Exilerfahrung, als die lehrreichsten seines Lebens, die, tief in sein Bewusstsein eingegraben, ein unverlierbarer Teil seines Weltverständnisses geworden sind. 1944 übersiedelten Egon Schwarz und seine Eltern mit einem Touristenvisum nach Santiago in Chile, wo er zunächst als Schuldeneintreiber, dann als Kürschner Arbeit fand. Nach Ablauf der Visa erhielt die Familie, begünstigt durch das Ende des Krieges, eine Einwanderungsbewilligung nach Ecuador. Wieder trennte sich Schwarz ökonomisch bedingt von seinen Eltern und versuchte sein Glück in der Hauptstadt Quito. Er wurde als Dolmetscher und Übersetzer bei der neu installierten US Military Ground Mission angestellt. Nach zwei Jahren trieben ihn Unzufriedenheit und innere Unruhe nach Guayaquil, wo er Anstellung als Buchhalter in einer Bananenplantage fand, ohne jegliche Erfahrung in dieser Berufssparte vorweisen zu können. Während all dieser Jahre hatte sich Schwarz seine Leselust bewahrt und jede Möglichkeit wahrgenommen, seiner Passion nachzugehen. Er bediente sich der Bücherbestände seiner Freunde und Mitemigranten, seiner Arbeitgeber wie etwa des Anthropologen von La Paz oder des Chemikers der Zinnminen von Potosi sowie der verschiedenen Leihbibliotheken. Schwarz beschreibt seine damalige Lektüre als willkürliche Sammlung von Trivialliteratur, allgemeine Sachliteratur sowie der Bildungsliteratur des europäischen Mittelstandes. Dazu gesellte sich, seinen politischen Neigungen entsprechend, die linksgerichte Literatur aus verschiedenen Ländern. Das Interesse an intellektuellen Fragen trug jedoch zu seiner steigernden Entfremdung und Unzufriedenheit mit seinem Leben bei. Auch erlitt er eine lebensgefährliche Erkrankung, zu deren Auskurieren er sich nach New York, ein Zentrum für tropische Medizin, begeben musste. Schwarz nutzte die Reise dazu aus, sich seine Wiener Zeugnisse vom österreichischen Konsul beglaubigen zu lassen. Nach seiner Rückkehr nach Ecuador legte er an dem Colegion »Benigno Malo« in Cuenca, dem Wohnort seiner Eltern, das Abitur ab und begann darauf an der Universität Cuenca ein Studium der Rechtswissenschaften, der neben Medizin und Ingenieurwesen zur Auswahl stehende Fachbereich der Universität, die er aus finanziellen Gründen besuchen musste. Enttäuscht vom Niveau des Universitätsbetriebes begann sich Schwarz nach anderen Studiumsmöglichkeiten umzusehen und schickte Bewerbungen mit Abschriften seiner Zeugnisse und Diplome an Universitäten in Europa und Amerika. Die einzige ermutigende Antwort erhielt er von Bernhard Blume, der zu diesem Zeitpunkt Leiter
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der Deutschabteilung an der Staatsuniversität von Ohio war. Blume, selbst Emigrant aus Nazi-Deutschland, bewirkte nicht nur Schwarz’ Zulassung zum Studium an der Universität von Ohio, sondern verschaffte ihm auch eine Anstellung als Deutschlehrer am nahegelegenen Otterbein College in Westerville, Ohio. Schwarz stürzte sich nach eigenen Worten »mit Feuereifer« (S. 199) ins Studium und erhielt bereits nach einem Jahr den Bachelor of Arts. Danach setzte er sein Studium als »graduate student« fort. In einem Seminar über die Wirkungsgeschichte Goethes wurde er mit der in Ahlen, Deutschland geborenen Dorothea Klockenbusch bekannt. Das Paar heiratete 1950 und übersiedelte ein Jahr später, nachdem Schwarz seinen Magister abgeschlossen hatte, nach Seattle, um an der Staatsuniversität von Washington das Studium fortzusetzen. Der Umzug war notwendig geworden, da Schwarz’ Anstellung am Otterbein College aufgrund der sinkenden Studentenzahlen immer unsicherer wurde. Die University of Washington ließ Egon und Dorle Schwarz zum Weiterstudium zu und sicherte mit dem Angebot von Assistentenstellen ihr finanzielles Auskommen. 1952 wurde der Sohn Rudolf geboren, ein Jahr später die Tochter Caroline. In seinen Memoiren äußert sich Schwarz positiv über seine amerikanische Studienerfahrung und spricht mit großer Dankbarkeit über die liebenswürdige und respektvolle Behandlung, die ihm zuteil wurde. Die Selbstverständlichkeit, mit der man ihn als zukünftigen Akademiker betrachtete, ging auf ihn über. Dem »Heimatlosen [war] die amerikanische Universität eine Art Heimat geworden« (S. 200). 1954, nach Abschluss seines Doktorats (mit einer Dissertation über Hofmannsthal und Calderon), wurde Schwarz eine vollzeitliche Universitätsdozentur an der Eliteuniversität Harvard angeboten. Dort wurde 1959 das dritte Kind, die Tochter Gabriele, geboren. 1961 folgte Schwarz dem Ruf an die angesehene Washington University in St. Louis, wo ihm 1963 der Rang Professor und 1975 die Ehrung Rosa May Distinguished University Professor in the Humanities zuerkannt wurde. Schon Schwarz’ erste Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Germanistik fanden sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland und Österreich große Anerkennung und zogen Einladungen zu diversen Gastprofessuren an Universitäten in den USA, jedoch auch Deutschland, Österreich und Neuseeland nach sich. Beindruckend ist vor allem die Breite von Schwarz’ Forschungsinteressen, die die Literaturen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts umfassen. Er veröffentlichte zahlreiche Monographien, Sammlungen und Aufsätze zu den bekanntesten Autoren dieser Epochen: Stifter, Keller, Gotthelf und Eichendorf sowie Schnitzler, Rilke, Hofmannsthal, Mann und Hesse. Die Bücher zu Hofmannsthal, Rilke und Eichendorf erwiesen sich bei ihrem Erscheinen als bahnbrechend. Daneben erschienen mehr als zweihundert von Schwarz’ Rezensionen und Interpretationen zur zeitgenössischen Literatur in der renommierten deutschen Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schwarz war auch einer der ersten Germanisten, der sich mit Exilliteratur beschäftigte und zwar zu einem Zeitpunkt, wo dieses Thema vor allem bei deutschen Germanisten eher auf Ablehnung stieß.6 So veröffentlichte er schon 1964 gemeinsam mit Matthias Wegner die Sammlung Verbannung; Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil. Das Buch enthält Briefe, Reden, Aufrufe und Zeitungsartikel von bekannten und weniger bekannten Schriftstellern und Journalisten wie etwa Thomas Mann, Klaus Mann, Ludwig Marcuse, Ludwig Frank, Alfred Neumann, Carl Zuckmayer, Alfred Polgar, Bert Brecht, Kurt Tucholsky, Wieland Herzfelde und Hilde Spiel, die dazu dienen sollen, »die Wirklichkeit des Lebens im Exil zu veranschaulichen«.7 Die Herausgeber sind dabei bemüht, jegliche Sentimentalisierung oder Idealisierung des Exils zu vermeiden. Im Vorwort zu Verbannung heißt es: »Nicht eine heroische,
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sondern die wirkliche Emigration sollte dem Leser deutlich gemacht werden. Er wird erkennen, wie das Erlebnis des Exils zu menschlicher Größe erhob oder zu Resignation und Kleinmut verführte.«8 Die Exilerfahrung, vor allem die von ihr vermittelte Einsicht in die prägende Bedeutung der sozialen und historischen Gegebenheiten, wirkte sich auch auf Schwarz’ wissenschaftliche Arbeitsweise aus. Der Literaturwissenschaftler sah die Einbindung der Literatur in einen kultur- und sozialgeschichtlichen Kontext als unumgänglich an, auch wenn er sich damit am Anfang seiner Karriere im Widerspruch zur herrschenden wissenschaftlichen Methode, dem New Criticism, fand. Er schreibt in seinen Memoiren: Die historische Bedingtheit alles Menschlichen war mir von Jugend auf zu sehr eingeprägt worden, das Wissen um sie zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen, als daß ich mich hätte überreden lassen, sie aus meinem Denken auszuschließen, und es fügte sich ganz von selbst, daß ich mit meinen historisierenden Tendenzen auch vor der Kunst nicht Halt machte [...]. Kurz, zwischen meiner literarischen Ausbildung und meinem geschichtlichen Bewußtsein entstand ein Abstand, den zu schließen mir zu einem existentiellen und professionellen Anliegen wurde. (S. 203)
Konsequenterweise zeigt Schwarz in seinen Büchern über Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke die Einbettung dieser als »unpolitisch« geltenden Autoren in den historisch-politischen Kontext des frühen zwanzigsten Jahrhunderts auf.9 Seine zahlreichen Veröffentlichungen beweisen, dass Schwarz diesem Ansatz trotz Offenheit zu anderen theoretischen Perspektiven zeitlebens verpflichtet bleibt. Zur historischen Betrachtungsweise gesellt sich die Ablehnung jeglichen nationalen oder ethnozentrischen Denkens, was ebenfalls auf die Exilerfahrung zurückgeführt werden kann. Diese grundlegenden Überzeugungen kommen in seinen Beiträgen zur jüdischen Literatur zum Ausdruck, in denen Schwarz sowohl die Kurzschlüsse antisemitscher Schriften, etwa die eines Eugen Dühring, eines Paul de Lagarde oder eines Edouard Drumont aufzeigt, als auch diejenigen philosemitscher Ausrichtung, da beide auf Klischees beruhen, die »die Juden aus den gesellschaftlichen Vernetzungen auschließen«,10 d.h. enthistorisieren. Jüdische Identität kann nach Schwarz nicht mittels nationaler oder rassischer Kriterien bestimmt werden, sondern entweder aufgrund der historischen Positionen der Künstler, d.h. ihrer Wirkung von einem bestimmten Punkt der Assimilation bzw. der Desassimilierung oder ihrer Selbstdefinition als jüdische Schriftsteller. Die grundsätzliche Ablehnung von ahistorisch-essentiellen Zuordnungen gilt auch für die Literatur. In seinem Aufsatz »Was ist österreichische Literatur« verwahrt sich Schwarz gegen eine ungeschichtliche, mythische, auf einen Nationalcharakter zurückgreifende Definition der österreichischen Literatur, wie sie nicht nur von nationalsozialistisch belasteten Literaturhistorikern wie Josef Nadler, sondern noch in den verschiedensten Publikationen der Nachkriegszeit vertreten wurde.11 Stattdessen verlangt er eine geschichtsorientierte Betrachtungsweise der Literatur und verweist auf die Sozialgeschichte als verbindendes Element: Ich mache einen Anfang, indem ich die Behauptung aufstelle, daß man ein Werk als zur österreichischen Literatur gehörig bezeichnen kann, wenn es nachweislich mit der österreichischen Sozialgeschichte zusammenhängt und wenn man überzeugend darlegen kann, daß es sich auf diese rückbezieht. Um sich diese Definition zunutze zu machen, muß man allerdings die Fiktion fallen lassen, daß es nationale, rassische
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oder ethnische Wesenheiten gibt, die imstande sind, alle Wechselfälle der Geschichte zu überdauern, und ein für allemal die gleichen bleiben. (S. 20)
Auch hier besteht Schwarz darauf, »nationale Identität« als historisches, sich ständig veränderndes Konzept zu verstehen und nicht als eine Summe von ahistorischen nationalen, ethnischen oder rassischen Wesenheiten. Wie sehr die Überzeugung von der prägenden Bedeutung der sozialen und historischen Gegebenheiten mit der Exilerfahrung verbunden ist, zeigen die Memoiren Unfreiwillige Wanderjahre. Auf der Flucht vor Hitler durch drei Kontinente. Die Frage nach den Möglichkeiten des Einzelnen, sein Schicksal zu bestimmen, steht im Mittelpunkt von Schwarz’ Überlegungen und gab ihm in nicht geringem Maß den Anstoß zum Verfassen seiner Erinnerungen. So schreibt er im Vorwort zur ersten Ausgabe der Autobiographie: Gerade weil ich von Anfang an eine Art Spielball geschichtlicher Mächte war, weil so ganz und gar nichts Spontanes, Selbsttätiges an meinem Lebenslauf zu sein scheint, stellt sich mir das Problem der Willensfreiheit mit ungewöhnlicher Intensität. Nachdenkend über meinen Werdegang — dieses Wort scheint mir das Dilemma geradezu zu verkörpern, denn sein erster Teil deutet mehr auf die äußeren Zwänge, der zweite auf die persönliche Initiative —, hoffe ich zwischen dem mir durch die Umstände Vorgegebenen und dem Beitrag, den ich zu meinem eigenen Leben geleistet habe, genauer unterscheiden zu lernen. (S. 11)
Schwarz beginnt seine Lebenserinnerungen mit der Feststellung, dass schon dem Kind wenig Möglichkeiten offenstehen, seine Individualität zu entfalten: »Weder Zeit noch Ort, weder biologisches Erbe noch soziale Klasse ebenso wenig wie die weitere Umwelt, mächtige Faktoren in der Entwicklung des Einzelnen unterstehen seiner eigenen Auswahl.« (S. 13) In seinem Falle und dem aller jener, die zufällig in den dreißiger Jahren als Juden in Europa lebten, bedeutete dies ein Schicksal von Verfolgung, Vertreibung und, in vielen Fällen, Vernichtung. So erfuhr Egon Schwarz als Jugendlicher die konsequente Ausgrenzung aus den verschiedenen Gemeinschaften, denen er bis zu diesem Zeitpunkt fraglos angehört hatte: der Schulgemeinschaft, der Hausgemeinschaft, der gesetzlichen und nationalen Gemeinschaft und schließlich sogar der menschlichen Gemeinschaft. Der daraus resultierende Verlust an Zugehörigkeit und Sicherheit wurde durch die Tatsache verstärkt, dass den österreichischen Juden mit dem Anschluss an Nazi-Deutschland von heute auf morgen jegliches bürgerliche Recht abgesprochen wurde und es keine Möglichkeit gab, sich gegen die Ungerechtigkeiten und Übergriffe der Wiener Bevölkerung zu wehren. Unter diesen Umständen ist es verständlich, wenn sich bei Schwarz das Gefühl einstellte, »verraten und schutzlos bösen Mächten ausgeliefert zu sein« (S. 53), obwohl die Urheber seiner Misere, die Nazi-Regierung und ihre Wiener Sympathisanten, konkret benennbar und identifizierbar waren. Liefern ihm diese Erlebnisse die ersten Indizien für seine Überzeugung von der Übermacht historischer und gesellschaftlicher Konstellationen, so bringen die Erfahrungen im Niemandsland, der Demarkationslinie zwischen der Slowakei und Ungarn, in das Schwarz gemeinsam mit seinen Eltern und anderen Flüchtlingen aus ganz Europa abgeschoben wurde, ihre endgültige Bestätigung. Wenn Schwarz und seine unmittelbare Familie vom Schlimmsten bewahrt wurden, so schreibt er dies weniger der Eigeninitiative als dem Zufall zu. Das Schicksal derjenigen, denen dieses Glück nicht zugutekam, war besiegelt: »In der Mausefalle gefangen, mussten sie die Quälereien über sich ergehen lassen, ohne Ausweg und Gegenwehr,
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bis sich plötzlich doch ein Fluchtweg eröffnete oder bis sie eben den an ihnen verübten Gewalttätigkeiten erlagen. Wo aber blieb bei alldem die vielbesungene Freiheit des Einzelnen?« (S. 58) Für Schwarz sind Eigeninitiative, Schlauheit und Ausdauer Grenzen gesetzt, nicht sie entscheiden über Leben und Tod, sondern Kräfte, die sich der Kontrolle des einzelnen entzogen. Konsequenterweise betrachtet Schwarz auch seinen Existenzkampf in der Emigration aus dem Gesichtspunkt der Übermacht von sozialen und historischen Bedingungen und nicht als Triumph von Eigeninitiative und individueller Stärke. Er präsentiert diesen Lebensabschnitt in seinen Memoiren in Form des Picaro- oder Schelmenromans, eines literarisches Genres, das den Absichten des Autors, die Unsicherheit des Exilantendaseins aufzuzeichnen, sehr entgegenkommt. Schwarz selbst führt aus: Der Picaro- oder Schelmenroman zeichnet sich durch seinen episodischen Aufbau aus. Wie in einer Addition fügt sich eine Situation an die andere, in denen der pfiffige Antiheld nur deswegen übersteht, weil er sich anpaßt und die Püffe und Schläge, die er bekommt, nicht tragisch nimmt, sondern eher von der grotesk-humoristischen Seite. Zusammengehalten werden die nur lose miteinander verbundenen Episoden dadurch, daß sich aus ihrer Summe letzten Endes doch ein Gesamtbild ergibt, das einer durch und durch schlechten, dummen, boshaften und verlogenen Gesellschaft. (S. 115)
Neben den von Schwarz genannten, weist der Schelmenroman noch weitere Kennzeichen auf, die ihn für das Unterfangen des Autors, sein Leben im südamerikanischen Exil aufzuzeichnen, prädestinieren: die in ihm gestaltete Welt erweist sich als unbeständig, unzuverlässig und oft auch gefährlich; der Held ist meistens verwaist und völlig auf sich selbst angewiesen (wie schon erwähnt, machte die ökonomische Notlage es des Öfteren notwendig, dass Schwarz sich von seinen Eltern trennen und allein zurechtkommen musste) und sein Leben ist einem stetigen Auf und Ab unterworfen. All diese Charakteristika treffen auf das bewegte Leben des jungen Egon Schwarz im bolivianischen Exil zu. Mit Humor und leiser Ironie berichtet der Autor von den oft recht erfolglosen Versuchen seines jungen Helden sich in den diversen Berufen und Unterfangen zu bewähren. Nicht nur die strukturellen Elemente machen den Schelmenroman zum geeigneten literarischen Vehikel für Schwarz’ Wiedergabe seiner Exilerlebnisse. Wichtig ist auch die dem Genre inhärente Thematisierung des Verhältnisses von Eigeninitiative und äußerer Determiniertheit. Der Schelmenroman antwortet damit auf die gesellschaftlichen Bedingungen zu seiner Entstehungszeit. Es handelt sich um die Übergangsperiode vom Feudalsystem mit seiner strikten sozialen Hierarchie zum Frühkapitalismus, der eine stärkere Betonung des Individuums mit sich brachte. Befreit von der sozialen Determiniertheit war es nun dem Individuum überlassen, seinen Platz in der Welt zu behaupten. Wie der Held der Schelmenromane erfuhr Schwarz sein Leben vorwiegend als fremdbestimmt, mehr dem objektiven Zwang unterworfen als nach eigenem Gutdünken und Willen gestaltet. Mit der Wahl des Schelmenromans gibt der Literaturwissenschaftler seinen Anschauungen die geeignete literarische Form. Sie erlaubt es ihm, das Zusammenspiel zwischen gesellschaftlichen und historischen Bedingungen und Eigeninitiative darzustellen, wobei Schwarz den Akzent auf jene Mächte legt, die sich vom einzelnen nicht lenken lassen. Ironischerweise ist es gerade der glückliche Zufall, der Schwarz von der geringen Bedeutung von der Freiheit des Willens und der Selbstbestimmung überzeugt. Auf
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der Überfahrt nach Bolivien entnimmt er den telegraphischen Angaben, dass die Tschechoslowakei von den Deutschen besetzt worden war. Seine Reaktion gleicht der von vielen Holocaustüberlebenden: »Unter den Hunderttausenden, für die dieses Ereignis das Todesurteil bedeutete, waren wir auserkoren, zu überleben, ohne Sinn und Grund, ohne Verdienst, ja fast ganz ohne unser Dazutun.« (S. 83) Schwarz schreibt seine Rettung und die seiner Familie einzig und allein dem Zufall, den fundamentalen Einflüssen von außen zu. Trotzdem gesteht er auch dem freien Willen eine überaus wichtige Rolle zu: es ist seine Aufgabe, die von den undenkbaren geschichtlichen Mächten bedrohte Vernunft und Freiheit zu »bewahren, nach Kräften zu schützen und zu nähren« (S. 83). Darin liegt für ihn sowohl der Sinn des Lebens als auch die Pflicht des einzelnen. Verwirklicht wird diese Aufgabe in der Form des »intendierten Akts der Beihilfe und der Förderung« (S. 83), der sich für Schwarz in den chaotischen, von Zufall und Willkür regierten Zeiten immer wieder als Lichtblick oder gar als Rettung erwies. Diesen intendierten Akten der Beihilfe und Förderung setzt Schwarz in seinen Memoiren ein Denkmal. Zu ihnen gehören die energischen Maßnahmen des Onkels, der Schwarz und seine Eltern aus dem Niemandsland zwischen Ungarn und der Slowakei rettete, der unermesslich nützliche Sprachkurs, den ihm ein spanischer Ingenieur auf der Überfahrt nach Bolivien erteilte, oder die geheime Kartoffelspende eines Mithäftlings an den Großvater von Egon Schwarz in Auschwitz. Einen besonderen Platz in dieser Reihe nimmt der Exilgermanist Bernhard Blume ein, der den ihm völlig unbekannten, unzureichend vorgebildeten Bewerber aus Ecuador nicht nur zum Literaturstudium an der Ohio State University zuließ, sondern ihm auch die nötigen finanziellen Voraussetzungen in Form einer Anstellung als Deutschlehrer am Otterbein College verschaffte. Blume ist und bleibt für Schwarz der Retter, dem er das Entkommen aus dem Picarodasein verdankt. Er wertet dabei keinesfalls seine eigenen Bemühungen um die Verwirklichung seines großen Traumes ab, an einer amerikanischen Universität Philologie studieren zu können, weigert sich jedoch, ihnen allein den Erfolg zuzuschreiben: Aber ich weiß ja, daß mir alles Wollen und Tun nichts genützt hätte, wenn ihm die Umstände nicht entgegengekommen wären, vor allem wenn unter Hunderten, an die meine Flaschenpost gerichtet war, nicht der eine gewesen wäre, der die Botschaft gehört und dazu noch den nötigen Glauben aufgebracht hat. (S. 196)
Die Erfahrung der eigenen Abhängigkeit von überpersönlichen Mächten und Einsicht in die geringe Möglichkeit, ihren Lauf und Richtung zu gestalten, bestimmen Egon Schwarz’ Bewunderung und Hochschätzung jener, die menschlich und selbstlos handeln. Uwe Timm macht in seinem Nachwort zur Taschenbuchausgabe der Memoiren darauf aufmerksam, wie nahe an Albert Camus Schwarz mit seiner Forderung nach dem intendierten Akt der Beihilfe und der Förderung steht: Auch wenn es keinen die Welt transzendierenden Sinn gibt, wenn letztlich der blinde, beliebige Zufall herrscht, wenn es nur dieses eine Leben hier und jetzt gibt, ist es um so wichtiger, dieses Leben zu verteidigen. Nicht nur das eigene, sondern das aller anderen auch. Es ist eine existentialistische Sicht auf eine heillose Welt, eine Sicht, die an die Philosophie von Albert Camus erinnert. (S. 258)
In seinen Memoiren betont Egon Schwarz die ungeheure Bedeutung seiner Exilerfahrungen für seine kosmopolitische, offene Weltanschauung, die er sich im Falle
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eines Verbleibens in seiner ehemaligen Geburtsstadt Wien, »einer verarmten, von politischen Leidenschaften gepeitschten, von Vorurteilten zerwühlten [...] Provinzstadt« (S. 244) vielleicht nicht hätte aneignen können. Gleichzeitig möchte er die Bedeutung der sprachlichen und kulturellen Prägungen, die er in Wien erfuhr, nicht in Abrede stellen. Sie bilden die Grundlage für seine Liebe zur Literatur, d.h. für seine spätere berufliche Verwirklichung. So bleibt Wien die Stadt, in der ihm grundlegende Orientierungen vermittelt wurden, die ihn ähnlich wie die Erfahrungen im Exil formten. Die Memoiren sind demnach Schwarz’ positives Bekenntnis zu seinem Leben, einschließlich des Exils mit all seinen Schwierigkeiten, den physischen und psychischen, an denen er ebenso leicht hätte scheitern können. Die Emigrantenexistenz, die die Gültigkeit vorher erworbener Werte und Überzeugungen wenn nicht vernichtete, so doch in Frage stellte, hinterließ, wie Egon Schwarz’ Reisebuch Die Japanische Mauer. Ungewöhnliche Reisegeschichten zeigt, noch weitere, ebenfalls tiefgreifende Spuren. Sie führte zu einer unbewussten Befreiung von den Zwängen gesellschaftlicher Konventionen und Erwartungen. Schon in den Memoiren schreibt Schwarz über sich und seine Frau Dorle: Obgleich wir wie andere Leute Kinder aufgezogen haben, in einem Haus wohnen, Kleider und Möbel besitzen, Auto fahren und am geselligen Leben teilnehmen, stellen die seßhaften, mit sich und der Welt einigen Leute noch immer amüsiert, vielleicht sogar leicht befremdet das Unkonventionelle, Illusionslose, »Zigeunerhafte«, wie es manche nennen, in uns fest. (S. 198f.)
Dieses Unkonventionelle des Ehepaars Schwarz kommt in den amüsanten und scharf beobachteten Reiseberichten, deren Untertitel »ungewöhnliche Reisegeschichten« nicht zu viel verspricht, des Öfteren zum Ausdruck, etwa in der Titelgeschichte des Bandes, wo die beiden kurzerhand über die Mauer des geschlossenen LafcadioHearn Museum klettern, um zumindest das Schloss besichtigen zu können oder in »Autofahren in Deutschland«, wo beschlossen wird, dass Egon Schwarz, statt der fünfzig Mark Strafe für einen Verstoß gegen das Vorfahrtsrecht zu bezahlen, fünf Tage ins Gefängnis geht. Auch ihre abenteuerlichen Fahrten durch die Vereinigten Staaten, entweder per Anhalter oder im uralten Chevrolet »Kurt«, zeugen von einer Unbekümmertheit gegenüber gesellschaftlicher Konventionen, deren Irrelevanz die Erlebnisse in der Emigration bestätigten, wo Verhaftungen und unbequemes Reisen an der Tagesordnung waren. Die anderen Berichte über Reiseerlebnisse in Mexiko, Island, Spanien, Neuseeland, Indien und Nepal oder Jerusalem bezeugen eine Offenheit für neue Kulturen und Länder, die ebenfalls auf die Exilerfahrung zurückzuführen sind. Seine Erlebnisse in Südamerika, in einer anfangs so fremden und unverständlichen Welt, haben Schwarz gelehrt, anderen Kulturen unvoreingenommen und neugierig zu begegnen. In Unfreiwillige Wanderjahre heißt es: »Nicht nur daran muß man sich gewöhnen, dass fast nichts ist, wie man es kennt, weder in der Gesellschaft noch in der Natur. Wer mitteleuropäische Maßstäbe an das Gesehene, Erlebte anlegt, wird es nie verstehen.« (S. 85) Schwarz ist sich zwar bewusst, dass es unvermeidbar ist, neue Erfahrungen an vorher ausgebildeten Maßstäben zu messen, weiß jedoch, dass wahres Verstehen einer anderen Kultur so nicht möglich ist. Diese Erkenntnis vermitteln seine lebhaften, informierten und informativen Beschreibungen seiner Reiseerlebnisse. Die Exilerfahrung findet auch in anderer Form Eingang in das Reisebuch. Die ersten drei Berichte, »Grenzüberschreitungen«, »Schiffsreisen« und »Reisen in Lateinamerika« enthalten Reminiszenzen an frühere, unfreiwillig unternommene Reisen
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bzw. Grenzüberschreitungen; der vierte Bericht »Von New York nach Quito« beschreibt Schwarz’ sechs Wochen lange, abenteuerliche Rückreise von New York nach Quito, Ecuador. Wie Jacqueline Vansant in ihrem Aufsatz »Involuntary and Voluntary Travel in Egon Schwarz’s Unfreiwillige Wanderjahre and Die Japanische Mauer« darlegt, ist in den ersten drei Berichten die intensive Emotionalität, die mit den exilbedingten Reiseerlebnissen verbunden ist und von Schwarz in den Memoiren deutlich reflektiert wird, gemildert und in den breiteren Kontext von Reisen eingebettet.12 Dennoch werden die späteren Reiseerlebnisse deutlich von den vorhergehenden, exilbedingten Erlebnissen geprägt. So verrät Schwarz’ Geständnis: »Wenn ich an eine Grenze komme, befällt mich ein Unbehagen«13 dem uneingeweihten Leser nichts von den traumatischen Empfindungen, die sich bei Schwarz einstellten, als er, noch nicht einmal sechzehnjährig, die Grenze von Österreich zur Tschechoslowakei überquerte. Erst später, eingebettet in Berichte von verschiedenen Erlebnissen an diversen Grenzen, erklärt der Autor den Grund für seine Abneigung gegen diese Vorrichtungen. Sie erinnern ihn an seine erzwungene Flucht aus Österreich, die Erlebnisse im Niemandsland der Demarkationslinie zwischen Ungarn und der Slowakei und die illegale Rückkehr in die Slowakei. In jedem Fall bestand höchste Lebensgefahr, an die die späteren, legalen Grenzüberschreitungen unvermeidbar erinnern müssen. Der Bericht schließt mit einem Erlebnis von Dorle und Egon Schwarz, dem utopische Symbolik zugeschrieben werden kann. Während eines Abendspaziergangs überquert das Ehepaar die Grenze von Deutschland nach Holland, ohne sich dessen bewusst zu sein. Kein Zaun, keine Schranke behinderte unseren Weg. Wir hatten keine Ausweise mit, wir wurden nicht angehalten, mussten nichts vorzeigen, sind nicht befragt, nicht gezählt und nicht verzollt worden. Die Grenze war unkenntlich, geräuschlos, unsichtbar, nicht vorhanden. So sollten sie alle sein.14
Dieser Grenzübertritt entbehrt sowohl die Gefahren jener, zu denen Schwarz auf seiner Flucht vor den Nazis gezwungen gewesen war, als auch die größeren und kleineren Frustrationen späterer Erlebnisse an den Grenzen. Das Erlebnis bildet, wie Jacqueline Vansant herausstellt, ein Gegenbild zu den verschlossenen Grenzen, die Egon Schwarz und seine Eltern auf ihrer Flucht ins Exil zu überwinden hatten.15 Die Betrachtung von Egon Schwarz’ Leben und Werke führt zu dem wenig überraschenden, jedoch auch unvermeidlichen Schluss, dass die Exilerlebnisse nicht nur die Entwicklung des jungen Mannes beeinflussten, sondern weitergehend die Lebenseinstellung des Wissenschaftlers und Autors prägten. Jedoch trotz der negativen Erfahrungen, die Schwarz mit Exil und Emigration verbindet, ist es ihm gelungen, das Exil als positive Möglichkeit wahrzunehmen, die ihm einen neuen, unbefangenen Blick auf die Gegebenheiten, eine offene, nicht von nationalen Überlegungen verengte Perspektive, erlaubt. Er schreibt in seinen Memoiren: Anders als andere Emigranten, die der Heimat nachtrauern, heiße ich daher die Emigration gut und bekenne mich zu ihr, nicht weil sie mir just passierte und man für gewöhnlich sein Leben billigt, sondern beinahe als Prinzip, als einen Prozeß, dem ich meine Befreiung und, so sonderbar das anmuten mag, die Gewinnung meines Gleichgewichts zu verdanken glaube. (S. 233)
Schwarz versteht demnach seine Emigration auch positiv als einen Prozess, der zur Selbstfindung und Selbstverwirklichung führt. Dieses Bekenntnis zum Exil darf
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jedoch nicht über das erlittene Unrecht, die schweren emotionellen Verluste, und nicht unerheblichen Gefahren, die mit dieser Erfahrung verbunden sind, hinwegtäuschen.
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Es handelt sich dabei um die nur unwesentlich veränderte Taschenbuchausgabe der Memoiren, die ursprünglich 1979 unter dem Titel Keine Zeit für Eichendorff. Chronik unfreiwilliger Wanderjahre bei Athenäum erschienen waren. Egon Schwarz: Unfreiwillige Wanderjahre. Auf der Flucht vor Hitler durch drei Kontinente (München: Verlag C.H. Beck 2005), S. 19. Alle Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe und werden von nun an im Text angeführt. Die Festschrift Schwarz auf Weiß enthält Egon Schwarz’ liebevolle Erinnerungen an Oskar Schwarz, vgl. vor allem »Sonntage«. In Schwarz auf Weiß. Ein transatlantisches Würdigungsbuch für Egon Schwarz. Hg. Ursula Seeber u. Jacqueline Vansant (Wien: Czernin 2005), S. 229-232. Vgl. dazu Beatrix Müller-Kampels Interview mit Egon Schwarz: »Ich wurde also ein Grenzgänger zwischen den Gebieten und Kontinenten«. In Lebenswege und Lektüren. Österreichische NS-Vertriebene in den USA und Kanada. Hg. Beatrix Müller-Kampel (Tübingen: Max Niemeyer 2000), S. 177-217, vgl. vor allem S. 177-184. Schwarz berichtet von der unverblümten Verachtung, mit der die Besatzung den Emigranten begegnete, denen der Besuch der Hafenstädte, vor welchen das Schiff anlegte, untersagt war. (S. 81) Egon Schwarz: Die Japanische Mauer. Ungewöhnliche Reisegeschichten (Siegen: Böschen 2002), S. 40f. Eine entsprechende, jedoch ausführlichere Passage befindet sich auch in Unfreiwillige Wanderjahre (Anm. 2), S. 86. Während Schwarz’ Gastprofessur an der Universität Hamburg kam vom Hamburger Senat die Nachfrage an die Universität, ob man sich nicht mit den Werken der Exilanten beschäftigen sollte. Die abschätzige Reaktion der Kollegen provozierte Schwarz dazu, ein Buch über Exilliteratur zu veröffentlichen (pers. Mitteilung des Autors). Verbannung; Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil. Hg. Egon Schwarz u. Matthias Wegner (Hamburg: C. Wegner, 1964), S. 10. Ebd., S. 11. Vgl. Egon Schwarz: Hoffmannsthal und Calderon (Cambridge: Harvard University Press 1962), sowie Das verschluckte Schluchzen. Poesie und Politik bei Rainer Maria Rilke (Frankfurt a.M.: Athenäum 1972). Egon Schwarz: Der »Beitrag« der Juden zur deutschen Literatur. In: »Ich bin kein Freund allgemeiner Urteile über ganze Völker«. Essays über österreichische, deutsche und jüdische Literatur (Berlin: Erich Schmidt 2000), S. 55-73, hier S. 55. Egon Schwarz: »Was ist österreichische Literatur? Das Beispiel H.C. Artmanns und Helmut Qualtingers«. In ders.: »Ich bin kein Freund«, ebd., S. 13-32. Siehe vor allem S. 14-19. Schwarz zitiert aus den folgenden Publikationen: Otto Basil, Herbert Eisenreich, Ivar Ivask: Das große Erbe. Aufsätze zur österreichischen Literatur (Graz/Wien: Stiasny 1962); Otto Schulmeister: »Zwischen Gestern und Morgen«. In: Spectrum Austriae. Hg. Otto Schulmeister (Wien: Herder 1957); und Gerhart Baumann: »Österreich als Form der Dichtung«, ebd.; sowie Hans Weigel: Flucht vor der Größe. Beiträge zur Erkenntnis und Selbsterkenntnis Österreichs (Wien: Wollzeilen 1960). Vgl. Jacqueline Vansant: »Involuntary and Voluntary Travel in Egon Schwarz’s Unfreiwillige Wanderjahre and Die Japanische Mauer«. In Exiles Traveling. Exploring Displacement, Crossing Boundaries in German Exile Arts and Writings 1933-1945. Hg. Johannes Evelein (Amsterdam/New York: Rodopi 2009), S. 371. Schwarz: Japanische Mauer (wie Anm. 5), S. 9. Ebd., S. 24f. Vgl. Vansant: »Involuntary and Voluntary Travel« (wie Anm. 12), S. 375.
OSKAR SEIDLIN PETER BOERNER
Stationen seines Lebens Oskar Seidlin, ursprünglich Salo Oskar Koplowitz, wurde am 17. Februar 1911 in Königshütte geboren. Seine Eltern waren Heinrich und Johanna Koplowitz, geb. Seidler, beide jüdischen Glaubens. Bereits diese Angaben deuten auf Umstände, die Seidlins Leben nachhaltig beeinflussten: Königshütte, eine Industriestadt im damaligen Oberschlesien, hatte eine vornehmlich Polnisch sprechende Bevölkerung. Die Koplowitzs gehörten zur deutschen Minorität und auch als Juden lebten sie in bewusster Distanz zu ihrer Umwelt. Der Vater, ein wohlhabender Holzgrosshändler, dachte national-konservativ. Der Erste Weltkrieg brach aus, als Seidlin drei Jahre alt war. In seinem elften Jahr fiel Königshütte auf Grund der Bestimmungen des Versailler Vertrages an Polen und hieß nun Królewska Huta.1 Als die Minderheitenklassen der örtlichen Schulen geschlossen wurden, wechselte Seidlin an das Gymnasium in der deutsch gebliebenen Nachbarstadt Beuthen. Mit grenzüberschreitenden Zügen fuhr er sieben Jahre lang dorthin. Seidlins um fünf Jahre ältere Schwester Ruth2, nach dem Tod des Bruders über ihn befragt, erinnerte sich, dass er »ein zartes Kind« war. Als er heranwuchs, sei er »immer schüchtern« gewesen: »er lebte ein zurückgezogenes Leben.« Seine Schwester wusste auch noch, dass er als Gymnasiast Gedichte schrieb und ein Drama entwarf, das den Schicksalen der Brüder Romulus und Remus galt.3 Während seines letzten Schuljahrs verfasste er für eine im nahegelegenen Kattowitz erscheinende Buch- und Kunstrevue gelegentliche Rezensionen, darunter eine von Ludwig Marcuses BörneBiographie.4 Das Abitur bestand Seidlin 1929. Noch im gleichen Jahr ging er, mit einem polnischen Pass, nach Deutschland, um dort zu studieren. Zu seiner Familie kam er seitdem nur noch selten zurück. Der Vater starb 1938, ein Jahr bevor deutsche Truppen die nahegelegene Grenze überschritten und damit den Zweiten Weltkrieg auslösten. Die Mutter erfuhr ihr Ende in Auschwitz. Sein Studium begann Seidlin in Freiburg, wechselte aber bald nach Frankfurt, dessen großstädtisch-liberale Atmosphäre ihm zusagte. Abgesehen von einer nur einsemestrigen Unterbrechung in Berlin blieb er dort vier Jahre. Sein Interesse galt vornehmlich der deutschen und der französischen Literatur, auch der Theaterwissenschaft. Zu seinen Lehrern gehörten Franz Schultz, Julius Schwietering, Max Herrmann und Julius Petersen. Persönlich näher trat er dem Barockforscher Martin Sommerfeld und Paul Tillich, dem Theologen, der damals einen Lehrstuhl für Philosophie innehatte. Seidlins Berufswunsch war, Regisseur zu werden. Nicht nur für Seidlins akademische, auch für seine persönliche Entwicklung wurden die Jahre in Frankfurt prägend. In den Seminaren von Sommerfeld und Tillich traf er gleichgesinnte, weitgehend ihrer bürgerlichen Herkunft gegenüber kritisch eingestellte Kommilitonen, darunter Richard Plaut (später Plant), Wilhelm (später Willy) Rey, Wilhelm Emrich und Dieter Cunz. Jeder von ihnen sollte einmal akademisches Ansehen gewinnen. Damals fanden sie sich in einer politisch engagierten Vereinigung, der Roten Studentengruppe, zusammen, und alle außer Emrich gingen ins
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Exil. Mit Cunz, der sich seinem Vater, einem protestantischen den Nazis nahestehenden Pfarrer entfremdet hatte, und mit Plaut, der aus einer jüdischen Arztfamilie stammte, verband Seidlin eine enge Freundschaft. An den Schock, den er erfuhr, als Hitler zur Macht kam, erinnerte sich Seidlin gut dreißig Jahre danach in einem Paul Tillich gewidmeten Essay. Dessen Diskussionsabende mit einem Kreis auf ihn ausgerichteter Studenten hatten damals ein abruptes Ende gefunden. »Als entschiedener Gegner der Nationalsozialisten war Tillich einer der ersten, der seines Lehramts enthoben wurde. […] Viele von uns verließen Deutschland noch im selben Frühjahr.«5 Mit den Worten »viele von uns« deutete Seidlin an, dass er selbst, der sich als Jude, als Linker, auch als Homosexueller von den Nazis durch Abgründe getrennt sehen musste, sein Studium in Frankfurt schon im April 1933 abbrach, um es in der Schweiz an der Universität Basel abzuschließen. 1935 promovierte er dort eximie cum laude mit einer Arbeit über Otto Brahm.6 Franz Zinkernagel war sein Betreuer. Akademisch etabliert, verfasste Seidlin Buchbesprechungen für die Basler National-Zeitung, darunter zu Schriften von Kasimir Edschmid, Irmgard Keun und Franz Werfel. Seine Beiträge zeichnete er mit »Sdn«, einem Kürzel für »Seidlin«, dem damals von ihm gewählten Nom de plume, einer schweizerisch getönten Modifikation von »Seidler«, dem Geburtsnamen seiner Mutter. Dass die Tätigkeit als Rezensent ihm viel bedeutete, bezeugt eine Mappe mit eingeklebten Ausschnitten, die er, der geradezu besessene Wegwerfer persönlicher Papiere, über alle Ortswechsel hinweg bewahrte. In Basel teilte Seidlin ein Untermieterquartier mit Richard Plaut und Dieter Cunz, die wie er Frankfurt verlassen hatten. Mehr um sich ein Einkommen zu verschaffen als aus literarischer Ambition verfassten die Freunde gemeinsam drei Kriminalromane, die beim Goldmann Verlag in Deutschland erschienen.7 Das dort erlassene Publikationsverbot für »nicht-arische« Autoren umgehend zeichneten sie mit dem Pseudonym Stefan Brockhoff. Allein ̶ und zum ersten Mal unter seinem vollen Schriftstellernamen ̶ schrieb Seidlin ein Jugendbuch Pedronis muβ geholfen werden.8 Es handelt von einer Gruppe von Kindern, denen es gelingt, das auf eine mysteriöse Weise entwendete Wahrzeichen einer schweizerischen Kleinstadt, einen goldenen Apfel, an seinen angestammten Platz zurückzuführen. In Aarau gedruckt, fand die Geschichte eine freundliche Resonanz. Ungeachtet dieses Erfolgs kam Seidlins Zeit in der Schweiz zu einem Ende, als die kantonalen Behörden 1938 seine Aufenthaltsbewilligung nicht erneuerten. Auf einem holländischen Schiff fuhr er im Juli des Jahres nach New York. Mit ihm reiste Dieter Cunz, mit dem er bis zu dessen Tod verbunden blieb. Knapp zwei Jahre lebte Seidlin in New York. Seinen Unterhalt bestritt er durch Gelegenheitsarbeiten manueller wie geistiger Art. So verdingte er sich, wie viele Einwanderer vor ihm und nach ihm, als Tellerwäscher, unter anderem in einem der populären Horn & Hardart Restaurants. Ein geringes Honorar brachte ihm ein Jugendbuch, S.O.S. Geneva 9, das er noch in der Schweiz gemeinsam mit Richard Plaut (der sich nun Plant nannte) entworfen hatte. Manche Züge der Pedronis-Geschichte aufnehmend geht es darin um Kinder, die, aus verschiedenen Ländern in die Schweiz verschlagen, sich dort im Geiste der Völkerfreundschaft zusammentun. Auf temporäre Hilfsdienste, die Seidlin zunächst für Erika Mann, dann auch für Thomas Mann verrichtete, soll später eingegangen werden. 1939 erhielt Seidlin eine feste Anstellung als Lecturer of German, also als Sprachlehrer, am Smith College in Northampton, Massachusetts. Es wurde die erste Station einer langen akademischen Laufbahn. Etwas über die Umstände seiner Tätigkeit darf
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man aus dem Vorwort einer englischen Fassung des Pedronis-Buchs, das er für Sprachkurse revidierte, erschließen: »Now I sit twelve hours a week in a classroom in the familiar surroundings of desks, blackboards, and bookshelves.«10 Nach der amerikanischen Kriegserklärung an die Achsenmächte trat Seidlin 1942, im Bewusstsein einen persönlichen Beitrag zum Sturz Hitlers zu leisten, als Freiwilliger in die US Army ein. In einer Einheit von Dolmetschern und Journalisten nahm er an der Landung der Alliierten in der Normandie teil. Später hatte er Flugblätter für die Bevölkerung der besetzten Länder zu entwerfen und leitete in Luxemburg eine amerikanische Radiostation. Er verließ den Militärdienst nach drei Jahren im Rang eines Second Lieutenant. Noch während der Ausbildung war ihm die USStaatsbürgerschaft zugesprochen worden. Dabei optierte er für den Namen »Oskar Seidlin«, unter dem er bereits publiziert hatte. Von Smith College wechselte Seidlin 1946 an die Ohio State University in Columbus, eine der großen Lehr- und Forschungsanstalten des Mittelwestens. Am dortigen Department of German blieb er sechsundzwanzig Jahre. Sein Zuhause teilte er seit 1957 mit Dieter Cunz, der sich gleichfalls dem Department anschloss. Gastprofessuren brachten ihn nach Middlebury, Seattle und Berlin. Mehrere Berufungen nach Deutschland, die ihn in den sechziger Jahren erreichten, lehnte er ab. Gewichtige Ehrungen fielen ihm von deutscher wie von amerikanischer Seite zu: er erhielt die Medaille in Gold des Goethe-Instituts und den Preis für Germanistik im Ausland der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung; die University of Michigan verlieh ihm ein Doktorat honoris causa. Aus Anlass seines 65. Geburtstags widmeten ihm amerikanische und deutsche Kollegen eine Festschrift.11 Nach dem Tod von Dieter Cunz ging er 1972 an die Indiana University in Bloomington, wo er noch sieben Jahre lehrte. Als Emeritus lebte er weiterhin in Bloomington. Am 11. Dezember 1984 starb er dort im Alter von dreiundsiebzig Jahren.
Lehren und Schreiben Blieb Seidlins Tätigkeit am Smith College noch auf Sprachvermittlung beschränkt, so galten seine Kurse später durchweg literarischen Gegenständen. Dabei konzentrierte er sich gerne auf Autoren, die ihm nahe standen: Eichendorff und Goethe, Brentano und Schiller, auch Thomas Mann und Hermann Hesse. Kursen, die literarische Epochen oder Genres übergreifend behandeln, ging er gern aus dem Weg. Sich dem Sprachverständnis seiner Hörer anpassend lehrte er auf Deutsch oder auf Englisch. Bezeichnend für seine Art des Unterrichtens war, dass er die Texte einzelner Veranstaltungen zunächst schriftlich ausarbeitete und memorierte. Vor den Studenten sprach er dann so, als ob er seine Gedanken spontan entwickele. Egon Schwarz, der in Columbus unter Seidlin studierte, erinnert sich an ihn als einen »hinreißenden Lehrer«, der es verstand, »neunzehn-, zwanzigjährige Undergraduates, die kaum die Anfangsgründe des Deutschen beherrschten, für die deutsche Literatur zu begeistern«.12 Zu Seidlins Schülern, die einmal akademische Ämter einnehmen sollten, gehörten Tamara Evans, Gerald Gillespie, Klaus Dieter Post, Donald Riechel und Egon Schwarz. Ein natürlicher Zusammenhang bestand zwischen Seidlins Engagement als Lehrer und seinen Publikationen. Arbeiten über Autoren, die er seinen Studenten vorstellte, dominieren auch dort. Zunächst im Gang seiner Vorlesungen entworfene Aufsätze verfeinerte er in öffentlichen Vorträgen. In einer nochmals geläuterten
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Druckfassung ließ er sie in Zeitschriften oder als Beiträge zu Festschriften erscheinen, um ihnen schließlich einen Platz in einem diverse Arbeiten vereinenden Essayband zu geben. Fünf auf diese Weise zusammengewachsene Sammlungen bilden den Kern seines Oeuvres: Essays in German and Comparative Literature13, Von Goethe zu Thomas Mann14, Versuche über Eichendorff15, Klassische und moderne Klassiker16 und Von erwachendem Bewußtsein und vom Sündenfall17. Die Stücke des ersten der fünf Bände gehen zurück auf Konferenzen amerikanischer Literaturwissenschaftler. Seinem Titel gemäß gilt er einerseits deutschen Autoren ̶ Goethe, Schiller, Eichendorff und Hesse ̶ , andererseits bietet er komparatistische Studien, so über Goethes Verhältnis zu seinen französischen Bewunderern und über thematische Bezüge zu Kabale und Liebe in Dumas’ La Dame aux Camélias. Der Band Von Goethe zu Thomas Mann enthält dann deutsche Fassungen dieser Essays, vermehrt durch Betrachtungen über Goethes Mignon-Ballade und durch eine »Stiluntersuchung an einem Thomas Mann-Satz«. In den Versuchen über Eichendorff, dem einzigen der fünf Bände, der einem Autor allein gilt, beschreibt Seidlin die Welterfahrung Eichendorffs, untersucht die Bildsprache seiner Gedichte und deutet erzählerische Situationen. Die beiden zuletzt erschienenen Sammlungen Klassische und moderne Klassiker und Von erwachendem Bewußtsein und vom Sündenfall gelten dann wieder einzelnen Werken von Goethe, Schiller, Eichendorff und Mann. Dazu kommen Essays über Kleist, Hauptmann und besonders ausführlich über Brentanos Märchen. Gemeinsam ist beiden Bänden, dass Seidlin sich in ihnen über die Methodik seiner Untersuchungen äußert. Ein »genaues Lesen« sei, so betont er, die Grundvoraussetzung, auf der die Arbeit eines Interpreten literarischer Texte beruht. Solche Genauigkeit des Lesens dürfe man füglich »eine Tugend« nennen18. In einer »Vorbemerkung« zu den letzten von ihm publizierten Essays sagt Seidlin dann ausdrücklich, dass er sich in nahezu allen seinen Arbeiten »von den Voraussetzungen und Anweisungen des immanenten Interpretationsverfahrens« leiten ließ. Sie schienen ihm die Gewähr zu sein, um »das Eigentümliche und Einmalige eines sprachlichen Kunstwerks zu erfassen und zu verdeutlichen«.19 Bei den Lesern, bei Kollegen, nicht zuletzt bei der literarischen Kritik fanden Seidlins Arbeiten vielfache Bewunderung. Edgar Lohner sprach von seiner Methode, »sprachliche und historische Zusammenhänge mit großer Differenziertheit der Intuition und des Wissens« zu verfolgen und dadurch »erstaunlich neue und fruchtbare Ergebnisse« zu gewinnen.20 Peter Horst Neumann erkannte Seidlins »Meisterschaft« in seiner Art »des behutsamen Hinhörens auf die Nuancen der für uns oft fremd und marmorn gewordenen Sprache vergangener Dichtung«. Daraus erwachse eine »Haltung der Hingabe an den Geist großer Werke, ohne Selbstverleugnung, aber auch ohne Selbstbespiegelung im fremden Text«.21 Ein wohl nicht unbeträchtlicher Teil dessen, was Seidlin schrieb, hat nie einen Leser erreicht. Wie er es schon als Gymnasiast geübt hatte, hielt er sein ganzes Leben hindurch an der Gewohnheit fest, über Erfahrungen und Empfindungen in Gedichten zu reflektieren. Nahezu alle diese Besinnungen fielen allerdings Autodafés zum Opfer. Dass sich überhaupt poetische Texte von Seidlin erhalten haben, verdanken wir dem Umstand, dass er gegen Ende seiner Schweizer Zeit eine Auswahl daraus, einen schmalen Band mit fünfzig Gedichten, Mein Bilderbuch22, veröffentlichte. Der die Sammlung vorstellende Klappentext spricht von »wirklichkeitsnahen Erlebnissen, Blumen, Porträts, Landschaften, Gestalten der Vergangenheit«.
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Die Erfahrung des Exils Dass Seidlin seine Gedichte vernichtete, entsprach seiner Tendenz, sich über das, was ihn persönlich berührte, Außenstehenden gegenüber nur zurückhaltend zu äußern. Auch wenn er gelegentlich auf den »Bekenntnischarakter« seiner »literarkritischen Bemühungen« anspielte23, teilte er in ihnen nur weniges mit, das er als privat betrachtete. Besonderes Gewicht hat daher die Dankrede, die er 1975 bei Verleihung des ihm zugesprochenen Oberschlesischen Kulturpreises hielt. Unverblümt spricht er dort von Jugenderfahrungen in Königshütte, in denen sich »böse Zeichen« erkennen ließen: »Oft, wenn ich mich dem Gartentor näherte, stand auf der Mauer, die unser Anwesen umschloß, grellweiß auf dem roten Ziegeluntergrund, das Wort: Jude, eine Mahnung, daß die Heimat so sehr heimisch doch wohl nicht war, und der Bahnhof, dem Hause gegenüber, eine dunkle Drohung, daß man werde abreisen müssen.« Wie Seidlin sich weiter erinnert, sollte es noch »schlimmer« kommen: »Als ich zehn Jahre alt war, wurde die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen, polnisch, und so geschah es denn, daß ich, ohne abreisen zu müssen, das Land, das mich erzeugt, verlassen hatte, und daß Haus und Garten, dasselbe Haus, derselbe Garten, plötzlich in der Fremde lagen.«24 Von diesen Eindrücken konnte Seidlin sich nie wieder lösen. Exil bedeutete für ihn nicht allein der Wechsel aus Deutschland in die Schweiz und der Wechsel von dort in die Vereinigten Staaten. Selbst nachdem er in der Atmosphäre einer amerikanischen Universität eine kongeniale Lebensform und ̶ zuerst in Columbus, später in Bloomington ̶ einen festen Wohnsitz gefunden hatte, bedrängte ihn das Gefühl, wo er auch war, nur halbwegs zu Hause, nach wie vor Exilant zu sein. Aber es gab ein Zuhause für Seidlin. Das Zuhause, das er bewusst akzeptierte und das er anderen gegenüber herausstellte, war die deutsche Sprache. Mit ihr war er aufgewachsen, in sie fiel er, trotz seiner makellosen Beherrschung des Englischen, stets zurück, wenn er allein war. Und zu der Sprache gehörte für ihn die darin geborgene Welt der Dichtung. Mit Eichendorff, mit Goethe und mit den anderen Autoren, die er in seinen Vorlesungen behandelte und über die er schrieb, mit denen er schon in seiner Schulzeit vertraut wurde und deren Werke er oft Zeile für Zeile vor sich hinsprach, verband ihn ein ganz persönliches Verhältnis. Ein Zuhause fand Seidlin auch durch seine Freunde. Wohin immer ihn seine Wege führten, er traf Menschen, die ihm Vertrauen entgegenbrachten und deren Vertrauen er erwiderte. Vornehmlich waren es Menschen, die sich wie er selbst der Welt der Dichtung verbunden fühlten. Seine Frankfurter Lehrer und manche seiner dortigen Kommilitonen zählten dazu. Dieter Cunz und Richard Plaut wurden ihm verstehende Gefährten seiner Schweizer Jahre. In Amerika hielt er sich gern an Kollegen, mit denen er die Umstände der Emigration ebenso wie seine intellektuellen Interessen teilen konnte, so an Richard Alewyn, Erich Heller und Heinz Politzer. In seinen Altersjahren bildeten sich um ihn, diesseits und jenseits des Atlantiks, mehrere Kreise von Gleichgesinnten aus der ihm folgenden Generation.
Die Manns Zu den Menschen, mit denen Seidlin über viele Jahre hinweg persönlich wie intellektuell liiert war, gehörten Klaus, Erika und Thomas Mann. Der Ansatz zu der Verbindung liegt bei dem Sohn. Seidlin war achtzehn, als er ihn das erste Mal traf. In einem Brief an Klaus Täubert, der sich ̶ lange nach dem Freitod Klaus Manns ̶ im
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Zusammenhang biographischer Studien an Seidlin gewandt hatte, schrieb er, die Beziehung habe »als eine Liebesaffäre« begonnen.25 Als »Bubi Koplowitz« oder einfach als »Bubi« erscheint er dann seit 1931 vielfach in den Tagebüchern Klaus Manns. Nach Seidlins Abgang aus der Schweiz trafen die beiden in New York zusammen. Wohl dank der Vermittlung des Freundes fand Seidlin zeitweilig Beschäftigung als »eine Art Privatsekretär«26 für dessen ebenfalls in New York lebende Schwester Erika. Aus dem Umgang mit den Geschwistern ergaben sich Kontakte zum Vater. Als Thomas Mann 1938 eine Gastprofessur an der Princeton University antrat, durfte Seidlin ihm beim Einrichten seiner Bibliothek zur Hand gehen. Häufig kam er dann aus New York nach Princeton, um für Mann diverse Schreibarbeiten zu erledigen. Einen Einblick in diese Tätigkeit vermittelt ein Brief Manns vom November des Jahres. Er hatte Seidlin ein »zum Teil bei Wellengang auf dem Schiffe«27 gekritzeltes Manuskript seines Kollegs »Über Goethe’s Faust«28 übergeben, das dieser entziffern und ins Reine schreiben sollte. Er bedankt sich für eine »erstaunlich gelungene Arbeit« und kommt mit einiger Umständlichkeit auf die Honorierung zu sprechen: »25 cents für die Seite scheint das Rechte zu sein, dazu 1 Dollar für Papier.« Seitdem dieser Brief gedruckt vorliegt, hat Seidlin einen, wenn auch leicht anekdotisch gefärbten Platz in den Biographien Manns.29 Seinerseits ging er in seinen Publikationen vielfach auf Manns Oeuvre ein: unter dem Titel »The Lofty Game of Numbers« behandelte er ̶ in einem oft zitierten Aufsatz ̶ die Peeperkorn-Episode im Zauberberg30; er schrieb über den Joseph-Roman31, über Felix Krull 32 und über Doktor Faustus33. Solche persönlichen und literarischen Bindungen konnten jedoch nicht verhindern, dass Seidlin sich im Lauf der Jahre von den Manns distanzierte. Einen greifbaren Anstoß zum Disput gab eine 1943 von Klaus Mann unter dem Titel Heart of Europe herausgegebene Anthologie aus den Schriften neuerer Autoren.34 Seidlin war schockiert darüber, dass Mann Texte Kafkas und Rilkes, sich förmlich auf deren Prager Herkunft berufend, in dem Abschnitt »Czechoslovakia« aufgenommen hatte.35 Er, der Gelehrte, dem die Integrität einer deutschen Nationaldichtung am Herzen lag, konnte dem Freund bei dieser Zuordnung nicht zustimmen. Die Vertrautheit, die zwischen ihnen bestanden hatte, stellte sich seither nur teilweise wieder her. In Briefen, die sie im Frühjahr 1947 wechselten, warf Seidlin dem noch immer »liebsten Klaus« vor, »anti-deutsch« zu denken.36 Er musste sich dagegen sagen lassen, dass er die Neigung der Deutschen zum »Übertriebenen, Paradoxalen« teile.37 Der Ansatz zu Seidlins weiterer Entfremdung von den Manns liegt bei seinen eigenen politischen Vorstellungen. Seit den fünfziger Jahren hatte er sich mehr und mehr davon überzeugt, dass im Verhalten der Nazis einerseits und im Verhalten der Sowjets samt ihren Satelliten andererseits vergleichbare Tendenzen bestanden. Daraus ergab sich bei ihm eine geradezu leidenschaftliche Abneigung alles dessen, was man als linksorientiert betrachten konnte. Den Vorwurf, ein kalter Krieger zu sein, den ihm Freunde gelegentlich machten, ließ er sich gefallen. Daran, dass er einmal mit einer Roten Studentengruppe verbunden war, dachte er ungern zurück. Nach dem Tod von Klaus Mann konzentrierte Seidlin seine Ressentiments auf den Vater. Eine Summa der im Lauf der Jahre bei ihm angestauten Empörungsgefühle formulierte er in einem Brief, mit dem er eine Einladung des Bürgermeisters der Stadt Lübeck, an den Feiern zu Thomas Manns hundertstem Geburtstag teilzunehmen, ablehnte. Zu den Argumenten für seine Reaktion gehörte nicht zuletzt, dass Mann durch seine Teilnahme an den 1949 in Weimar zu Ehren Goethes veranstalteten Feiern das Regime Ulbrichts ̶ und damit zugleich den Diktator Stalin ̶ aner-
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kannt habe. »Der Gedanke, in Lübeck als Festredner aufzutreten«, schrieb er, verursache ihm »schwere Gewissensnöte«.38
Die letzten Jahre 1979 ̶ er war damals achtundsechzig ̶ ließ Seidlin sich emeritieren. Der Verlust der Kontakte mit ihm zugetanen Studenten gab ihm allerdings ein Gefühl der inneren Leere. Und aus dem Zusammenleben mit den Mitbewohnern der Seniorensiedlung, die er bezogen hatte, nicht zuletzt aus manchen körperlichen Beschwerden, gewann er das Bewusstsein, alt zu werden, ja alt zu sein. In betonter Ironie sprach er von seinem Domizil als »Greisenheim«. Und Sonderdrucke seiner Aufsätze, die er Freunden übersandte, unterzeichnete er mit dem Bemerk »Neben-sächliches« oder »Zum Wegschmeißen«, gelegentlich sogar als »Gruß vom abgeschiedenen Oskar« oder als »eine Stimme aus dem Grabe«. Ein von Seidlin gegen Ende seines Lebens verfasstes Gedicht »Letzter Sommer in Dänemark«, in dem alle, die es gelesen haben, eine große poetische Leistung erkennen, hat sich durch einen Zufall erhalten. In komprimierter Form reagierte er darin auf ihm bedeutsam erscheinende Komponenten seines Lebens: die Bindung an seine Heimat und an seine Freunde, auch an die literarischen Traditionen, in denen er aufgewachsen war. Über allem steht der Blick auf ihm deutlich gewordene Signale eines nahenden Endes.39 Am Abend vor seinem Tod am 11. Dezember 1984, als ihm bewusst wurde, dass er nur noch wenige Stunden zu leben habe, bat Seidlin einen Freund, ihm Passagen aus Faust, zuerst die Bergschluchten-Szene, dann den Gesang des Türmers mit der Schlusszeile »Es war doch so schön«, schließlich den Prolog im Himmel vorzulesen.40 Jedes Wort sprach er leise mit. Darauf fiel er in einen Schlaf, aus dem er nicht mehr erwachen sollte. Eine Woche später überführten Bloomingtoner Kollegen die Asche Seidlins nach Columbus, wo er so lange mit Dieter Cunz gelebt hatte. Wie Seidlin es bestimmt hatte, wurde sie neben dem Grab des Freundes beigesetzt. Auf dem von ihm gewählten, beide Namen tragenden Gedenkstein war nur noch das Jahr seines Todes nachzutragen.41
Anmerkungen Quellen, die nicht auf den im Folgenden angeführten Publikationen beruhen, liegen dem Verfasser im Original vor. 1 2
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Seit 1934 Chorzów. Ruth Blatt (1906-2001) studierte Germanistik in München und Frankfurt, 1931 promovierte sie über Hölderlin. Sie war zeitweilig mit Paul Heinrichsdorf, einem Funktionär der linksgerichteten Sozialistischen Arbeiterpartei, verheiratet. 1933 emigrierte sie nach London, von dort über China nach Australien. Tonbandaufnahme von Ruth Blatt aus dem Jahr 1991. Bloomington, Indiana. Herausgeber der Buch- und Kunstrevue war Franz Goldstein. Vgl. dazu: Klaus Täubert: »Zum Tode eines Germanisten«, Neue Deutsche Hefte 32 (1985), S. 221. »My Teacher Paul Tillich«. Ungedrucktes Manuskript, um 1965. Die hier zitierte deutsche Fassung »Der Lehrer Paul Tillich« erschien in Der Monat (Juli 1967), S. 88-90.
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OSKAR SEIDLIN Otto Brahm als Theaterkritiker (Autorenname: Oskar Koplowitz). Basler Beiträge zur Literaturund Geistesgeschichte, Bd. 3 (Zürich: Max Niehans 1936). Neudruck unter dem Titel Der Theaterkritiker Otto Brahm (Bonn: Bouvier 1978). Schuß auf die Bühne (Leipzig: Goldmann 1935); Musik im Totengäßlein (Leipzig: Goldmann, 1936); Drei Kioske am See (Leipzig: Goldmann 1937). Aarau: H. R. Sauerländer 1937. New York: The Viking Press 1939. Der goldene Apfel. Eine Erzählung für die Jugend. Ed. with Questions, Exercises and Vocabulary by Ann Elizabeth Mensel (New York: F.S. Crofts 1942), S. X. Herkommen und Erneuerung. Essays für Oskar Seidlin. Hg. Gerald Gillespie und Edgar Lohner (Tübingen: Niemeyer 1976). »Keine Zeit für Eichendorff«. In: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff Gesellschaft 47 (1987), S. 2. University of North Carolina Studies in Comparative Literature (Chapel Hill: The University of North Carolina Press 1961). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1963. 2. Aufl. 1969. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1965. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1972. Stuttgart: Klett-Cotta 1979. »Interpretation als eine moralische Veranstaltung betrachtet«. In Klassische und moderne Klassiker (s. Anm. 16), S. 11. Von erwachendem Bewußtsein und vom Sündenfall (s. Anm. 17), S. 9. Rezension: »Oskar Seidlin, Von Goethe zu Thomas Mann«, Germanisch-Romanische Monatsschrift 16 (1966), S. 441. »Heimat und Sprache: Laudatio auf Oskar Seidlin«. In Oberschlesischer Kulturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (Würzburg: Eichendorff-Gesellschaft 1975), S. 11. Zürich: Oprecht 1938. »Vorbemerkung«. In Klassische und moderne Klassiker (s. Anm. 16), S. 7. »Ansprache bei der Entgegennahme des Oberschlesischen Kulturpreises«. In Oberschlesischer Kulturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (s. Anm. 21), S. 17-22. Seidlin an Klaus Täubert, 3. Sept. 1972. Auszüge aus diesem Brief publizierte Täubert in Klaus Mann zum 75. Geburtstag (Berlin: Verlag Europäische Ideen 1981), S. 37-38. Ebd. 6. Nov. 1938. In Thomas Mann: Briefe 1937-1947. Hg. Erika Mann (Frankfurt: S. Fischer 1963), S. 63. Aufgenommen in Adel des Geistes (Stockholm: Bermann-Fischer 1945), S. 571-611. So hat Klaus Harpprecht nachgerechnet, dass Seidlin für das Transkribieren von 44 Manuskriptseiten das Equivalent eines bescheidenen Wochenlohns erhielt (Harpprecht: Thomas Mann. Eine Biographie [Reinbek: Rowohlt 1995], S. 1035). Publications of the Modern Language Association 86 (1971), S. 924-39. Später in Klassische und moderne Klassiker (s. Anm. 16), S. 103-126. »Laurence Sterne’s Tristram Shandy and Thomas Mann’s Joseph the Provider«, Modern Language Quarterly 8 (1947), S. 101-18. Später in Essays in German and Comparative Literature (s. Anm. 13), S. 182-202. »Picaresque Elements in Thomas Mann’s Work«, Modern Language Quarterly 12 (1951), S. 183-200. Später in Essays in German and Comparative Literature (s. Anm. 13), S. 161-181. »The Open Wound: Notes on Thomas Mann’s Doktor Faustus«, Michigan Germanic Studies (1975), S. 301-315. Heart of Europe. An Anthology of Creative Writing in Europe 1920-1940. Ed. Klaus Mann and Hermann Kesten (New York: L. B. Fischer 1943). Franz Kafka: Five Parables (S. 543-548); Rainer Maria Rilke: A Letter About Germany, Sonnets to Orpheus, The Second Duino Elegy (S. 549-557). Seidlin an Klaus Mann, 11. März 1947. Klaus Mann an Seidlin, 14. März 1947. An den Herrn Bürgermeister der Hansestadt Lübeck, 7. Sept. 1974.
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Albrecht Holschuh: »Oskar Seidlins ›Letzter Sommer in Dänemark‹ «, The Germanic Review 62 (1987), S. 2-9. Nancy Boerner: »Oskar Seidlins Abschied«, Nachrichten-Blatt der Eichendorff-Gesellschaft (Dez. 1987), S. 18-20. Würdigungen Seidlins verfassten: Frank Banta et al: »Memorial Resolution: Distinguished Professor Emeritus Oskar Seidlin«. In Indiana University Faculty Council Circular, April 2, 1985; Jürgen Eder: »Mit Eichendorff nach Amerika. Oskar Seidlin«. In »Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde«. Acta-Band zum Symposion »Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945«. Hg. Jens Stüben und Winfried Woesler (Darmstadt: Häusser 1993), S. 344-356; Walter Hinck: »Spurensucher: Zum Tod von Oskar Seidlin«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Dez. 1984, S. 25; Albrecht Holschuh: »Oskar Seidlin«. In To Honor Retiring Faculty, Indiana University, April 10, 1979; Albrecht Holschuh: »In memoriam Oskar Seidlin 1911-1984«, Modern Austrian Literature 18 (1985), S. 127; Peter Horst Neumann: »Heimat und Sprache: Laudatio auf Oskar Seidlin«. In Oberschlesischer Kulturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (s. Anm. 21), S. 9-16; Peter Horst Neumann: »In memoriam Oskar Seidlin«, Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft 45 (1985), S. 1-4; Henry H. H. Remak: »In memoriam Oskar Seidlin«, Arcadia 20 (1985), S. 222-224; Egon Schwarz: »In memoriam Oskar Seidlin (1911-1984)«, The German Quarterly 58 (1985), S. 325-326; Klaus Täubert: »Zum Tode eines Germanisten« (s. Anm. 4). Ein von Gerald Gillespie und Linda G. DeMichiel zusammengestelltes Verzeichnis der Publikationen Seidlins von 1936 bis 1976 findet sich in Herkommen und Erneuerung (s. Anm. 11), S. 415-426. Eine von Tamara Evans bearbeitete Synopse aller Lebensdaten Seidlins erschien als Eintrag in Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Hg. Christoph König. Bd. 3 (Berlin: de Gruyter 2003), S. 1706-1708.
GERTRUDE URZIDIL: EINE BÖHMISCHE DICHTERIN IM EXIL JÖRG THUNECKE Wer dichtet, ist ewig auf Reisen, die Sehnsucht treibt immer ihn fort und formt sich auf vielerlei Weisen zu rhythmisch-gesteigertem Wort1
In dem 1995 erschienenen Band Women of Prague von Wilma Iggers2 findet Gertrude Urzidil (1898-1977) keine Erwähnung, nicht einmal im Personenregister; und auch in dem 1999 publizierten Bändchen Jüdische Frauen im New Yorker Exil – 10 Begegnungen von Elfi Hartenstein3 ist kein Beitrag über die Gattin des bekannten Schriftstellers Johannes Urzidil (1896-1970) enthalten. Dafür gibt es natürlich Gründe: zum einen gab — und gibt — es einfach viel zu wenige Informationen über Leben und Werk der Autorin, zum anderen war sie um die letzte Jahrhundertwende längst verstorben. Gertrud Urzidil — die Namensänderung zu Gertrude erfolgte erst im Exil4 — wurde am 20. Juli 1898 in Goltsch-Jenikau in Böhmen geboren. Sie war eine von vier Geschwistern — Friedrich (1888-1958),5 Nelly (1894-1977)6 und Ernst (1908-?) waren die drei anderen — und Kindern des Rabbiners Karl Thieberger (1858-1918) und seiner Gemahlin Sofie, geborene Wachtl (1861-1942).7 Bereits um die Jahrhundertwende zog die Familie nach Prag, so dass Gertrude Urzidil keinerlei Erinnerungen an ihren Geburtsort hatte (s.u.). Von 1908 bis 1916 besuchte sie das deutsche Mädchenlyzeum in Prag, wo ihr im Juni 1916 das Reifezeugnis zum Besuch der Universität ausgestellt wurde. Im November 1916 immatrikulierte sie sich an der philosophischen Fakultät der kaiserlich königlich deutschen Karl-Ferdinand-Universität in Prag, wo auch Johannes Urzidil — mit Unterbrechung im Wintersemester 1916/17 — von 1914 bis 1918 studierte. Wann genau und mit welchem Abschluss Gertrude Urzidil die Universität verlassen hat, kann den momentan vorliegenden Dokumenten nicht entnommen werden; sie scheint das Studium jedoch abgebrochen zu haben, denn von Februar bis Juni 1917 besuchte sie die private Handelsschule Bergmann in Prag. Sie führte zu diesem Zeitpunkt ferner, gemeinsam mit Lise Weltsch (der Schwester von Robert Weltsch), den Vorsitz im Prager »Klub jüdischer Frauen und Mädchen«. Im April 1922 heiratete sie Johannes Urzidil,8 der damals als Presseattaché an der deutschen Botschaft in Prag tätig war.9 Gertrude hatte ihren späteren Gemahl achtzehnjährig im berühmten Café Arco kennen gelernt; angeblich hatte Walter Fürth die beiden miteinander bekannt gemacht.10 Dieser Eheschluss führte zu einem Zerwürfnis mit der Familie Thieberger, worüber Gertrude in einem Interview mit Rose Stein in New York ausführlich berichtet hat.11 Johannes Urzidil war damals Mitglied der jüngeren Generation von Schriftstellern, die das Café Arco als Treffpunkt benutzten,12 nachdem sich die ältere Generation von Arco-Autoren zurückgezogen hatte,13 welche ihrerseits aus dem Zerfall der so genannten »Jung-Prag«-Gruppe, einer neuromantischen Bewegung, hervorgegangen war. Zu dieser Gruppe gehörten neben Urzidil u.a. der früh verstorbene Karl Brand, Hans Demetz, Hans Gerke, Walter Fürth und Otto Rosenfeld. Die Urzidils lernten im Café Arco — wie Gertrude Urzidil später berichtet hat — auch einige der berühmten Literaten der ersten Generation kennen (so etwa Kafka, Brod und Werfel).14 Während der dreißiger Jahre entstand — wie die Autorin weiter in einem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung »Ein
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literarischer Stammtisch in Prag« mitteilte15 — um die Urzidils eine eigene Gruppe, der so genannte »Josefstaler Stammtisch«. Denn ab 1933 lebten die Urzidils eher zurückgezogen16 und verbrachten die Sommermonate im Böhmerwalddorf Josefstal am Fuße des Hochfichts, in unmittelbarer Nähe des Geburtsortes Adalbert Stifters. Hier trafen sie sich mit Freunden wie dem Graphiker Hugo Steiner-Prager, dem Philosophen Emil Utitz, dem Kritiker Willy Haas und dem Dramatiker Paul Kornfeld; gelegentlich kam auch der Dichter Rudolf Fuchs, und einmal soll sogar der junge Heinz Politzer hinzugestoßen sein.17 In Prag traf sich die Gruppe bis spät in den dreißiger Jahren »abendlich einmal in der Woche in einer tschechischen Weinstube in der Kleinen Karlsgasse in einem uralten Haus [...].«18 Dort schlossen sich dem Stammtisch zudem der Maler Willy Nowak, der Lyriker Sonka (= Hugo Sonnenschein) sowie der Romancier Oskar Walter Cisek an. Ab und zu fanden sich sogar Franz Werfel — falls in Prag —, Rudi Thomas, der Chefredakteur des Prager Tagblatts, sowie der Komiker Otto Rosenfeld zu den wöchentlichen Treffen ein. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wurde Johannes Urzidil als »Halbjude« aus dem diplomatischen Dienst des Deutschen Reiches entlassen und musste auch seine Korrespondenztätigkeit für die deutsche Presse einstellen. Im Juni 1939 verließ das Paar Prag fluchtartig,19 nachdem die Tschechoslowakische (Rest-)Republik bereits seit über drei Monaten besetzt gewesen war. Erste Station auf der Fluchtroute war Triest (die Urzidils hatten dort entfernte Verwandte);20 von Genua aus gelangten sie dann per Schiff nach England, wo sie am 1. August 1939 (in Southampton) eintrafen und direkt nach London weiterreisten.21 Die wunderbare Rettung hatten sie großteils der englischen Schriftstellerin Winifred Macpherson — mit Künstlernamen Bryher — zu verdanken, zu geringerem Teil auch Gertrudes Schwester Nelly, die damals bereits in England lebte. Winifred Macpherson — Mitglied einer reichen englischen Familie, der u.a. die Cunard-Reederei gehörte, lebte, wie man ihren Memoiren The Heart to Artemis entnehmen kann, von 1934 bis 1940 in der Schweiz, kehrte jedoch ein Jahr nach Kriegsausbruch unter abenteuerlichen Umständen nach Großbritannien zurück. Seit 1933 hatte sie sich für zahlreiche Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich eingesetzt,22 so u.a. auch für die Urzidils. Das Paar lebte zunächst in London, später in Viney Hill, in der westenglischen Grafschaft Gloucestershire.23 Am 31. Januar 1941 reisten sie dann von Liverpool aus per Schiff nach New York weiter, wo sie am 11. Februar unversehrt eintrafen und für den Rest ihres Lebens residierten.24 Noch kurz vor der Weiterreise nach den USA gelang es Ihnen, ihre Gönnerin — die Ende September 1940 aus der Schweiz zurückgekehrt war und sie auch weiterhin finanziell unterstützte — in London kennen zu lernen.25 Soweit die Lebensgeschichte Gertrude Urzidils und ihres Gatten bis zur endgültigen Emigration in die USA zu Beginn des Jahres 1941.26 * Einführend zu einer Erörterung der während des Zeitraumes 1933 bis zu ihrem Tode im Jahre 1977 entstandenen Gedichte Gertrude Urzidils sei hier ein kurzer biographischer Überblick aus der Feder der Autorin eingeflochten, der den Titel »Gruss an Goltsch-Jenikau« trägt und aus dem Jahre 1974 stammt: »Die vorliegenden Zeilen sind ein Gruss an meine böhmische Heimatstadt«, schrieb Gertrude Urzidil damals, um fortzufahren:
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GERTRUDE URZIDIL Sie enthalten keine Erinnerung, da meine Eltern, Karl und Sophie [sic] Thieberger mit mir[,] der Zweijährigen[,] und mit zwei älteren Geschwistern um die Jahrhundertwende nach Prag übersiedelten. So kann ich mich keiner konkreten Rückblicke rühmen. Meine früheste Kindheit bedeutet einen völlig imaginären Goldgrund des Lebens, dem spätere Schilderungen seitens meiner Angehörigen die Konturen der Wirklichkeit verliehen haben. In Goltsch-Jenikau versah mein Vater durch 12 Jahre das Amt eines Rabbiners. Er liebte seine Gemeinde und erfreute sich[,] wie aus vielen Berichten hervorgeht, grosser Sympathien. Seine Jenikauer Freundschaften reich[t]en weit über die Jahre seiner dortigen Tätigkeit hinaus. Goltsch-Jenikau war die Heimat prominenter Familien innerhalb der industriellen und intellektuellen Kreise Böhmens. Zu nennen wäre die Adelsfamilie von Kahler, die aus Jenikau stammte. [...] Mein viel älterer Bruder, Friedrich Thieberger, der berechtigte Stolz innerhalb der Familie (er starb vor seinem 70. Geburtstag in Jerusalem [1958; JT]), ein sehr angesehener Religionsphilosoph27 und als solcher ein Freund von Martin Buber, sowie von Max Brod, Hugo Bergmann und Felix Weltsch[,] war bei dem Umzug nach Prag schon ein 12-jähriger Gymnasiast und könnte daher weitreichende Erinnerungen beibringen, wenn er nicht vor 16 Jahren verschieden wäre. Auch meine ältere Schwester Nelly, die der geistigen Atmosphäre unseres Elternhauses treu geblieben ist,28 könnte das Thema Goltsch-Jenikau schöpferisch bereichern. Meine geistige und persönliche Entwicklung ist in Prag verwurzelt. Dort habe ich die Volksschule und das Gymnasium absolviert und meine Universitätsstudien betrieben. Meine umsichtigen Eltern legten grössten Wert auf eine gründliche Bildung. In Prag genoss ich den Umgang mit den Vertretern des Prager Kreises. Im Böhmerwald, der Heimatlandschaft Adalbert Stifters[,] entstanden in den dreissiger Jahren meine ersten Gedichte, die ich in der amerikanischen Metropole von N.Y. fortsetzte. In Prag begegnete ich dem nunmehr berühmt gewordenen Autor Johannes Urzidil, mit dem ich mich im Jahre 1922 verheiratete. Damals lebte mein Vater nicht mehr.29 Die übrige Familie, meine Mutter, mein Bruder Friedrich und der schon in Prag geborene Ernst nahmen mir die Verbindung mit einem Nichtjuden [recte: Halbjude; JT] übel. Lediglich meine Schwester blieb mir verbunden. Die Gemeinschaft mit Johannes Urzidil war so glücklich und bereichernd, dass ich meinen Schritt niemals bedauert habe. Im Zeichen der Hitlerkatastrophe in Prag haben sich die Angehörigen wieder mit mir versöhnt. [...]30
Das erste uns bekannte Gedicht Gertrude Urzidils erschien 1933 in der Gablonzer Freien Welt,31 und dann erneut anderthalb Jahre später in der Deutschen Zeitung Bohemia (Prag),32 nachdem dort bereits ab 1930 Prosa-Beiträge der Schriftstellerin abgedruckt worden waren.33 Obwohl es sich hierbei um keine großartige dichterische Leistung handelt, sei es hier nichtsdestoweniger vollständig zitiert, um einen ersten Eindruck von der von Gertrude Urzidil während dieses Zeitabschnitts verfassten Lyrik zu vermitteln:34 Das Dorf Grünes Dorf, dein alt Gesicht rührt mich zu Tränen, Vor der Kirche träumt der Teich, in den Fenstern Kinder lehnen; Jägersmann mit großem Hund wünscht mir gute Reise, Aus dem letzten Haus, das grüßt, weint ein Mädchen leise. Wer gleich weiter wandern muß, ist gar bald vergessen, Viel zu spät tut es mir leid, daß ich nicht im Krug gesessen.
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Der Ton dieses Gedichts erinnert an ähnliche Verse des aus Niederhollerbrunn gebürtigen Poeten Theodor Kramer (1897-1958) während dieses Zeitraumes (vgl. dazu Die Gaunerzinke [1928] bzw. Mit der Ziehharmonika [1936]), noch mehr jedoch an solche der Niederösterreicher Wilhelm Franke (1901-1979) und Wilhelm Szabo (19011986),35 in deren Werken aus den frühen dreißiger Jahren die sachlich nüchterne Aufzählung relativ unwichtiger Gegenstände und Eindrücke, insbesondere aus dem ländlichen Bereich, überwiegt. Ein gutes Beispiel, vor allem aus ästhetischer Sicht, für derartige unemotionale, der Neuen Sachlichkeit verpflichtete Gedichte über die Menschen des Waldviertels ist das Poem »Bauern« aus Frankes frühem Sammelband Wirrnis und Weg, wo es u.a. heißt: Nun sitzen sie schon Stunden in dem Kruge und haben das Gewölbe vollgeraucht. Der Weindunst schwelt; es blakt die rote Flamme – dies ist die Höhle, die ihr Wesen braucht. Wer lesen kann, der sieht, daß die Gesichter der alten Pflüger voll von Sehnsucht sind, daß sie den Bruder brauchen, den Gefährten, nach vieler Einsamkeit im Flurenwind.36
Wie auch im Frühwerk Wilhelm Szabos (vgl. dazu dessen Gedichtband Das fremde Dorf [1933]) lässt sich Wilhelm Frankes Lyrik der dreißiger Jahre literarischen Kategorien wie Provinz-, Regional- sowie Heimatliteratur zuordnen.37 Dabei stehen allerdings bei ihm — anders als bei Gertrude Urzidil — bei weitem nicht nur positive Aspekte des traditionellen Heimatkonzepts im Vordergrund; denn wie Szabo (vgl. dazu etwa dessen Gedichte »Gefängnis Dorf« und »Dorfangst«38) ging auch er nie »den bequemen Weg der Idyllisierung«,39 und »[e]ine Verklärung der ländlichen Welt und der Naturgewalten«40 wäre auch für ihn Verrat an seinen tatsächlichen Erinnerungen und Erfahrungen der dörflichen Abgeschieden- und Abgeschlossenheit im niederösterreichischen Waldviertel der Zwischenkriegszeit gewesen.41 In Gertrude Urzidils Lyrik aus diesem frühen Zeitabschnitt — sehr wahrscheinlich beeinflusst durch die stark ausgeprägte Naturphilosophie ihres Mannes42 (vgl. dazu dessen Hauptwerk in den dreißiger Jahren, Goethe in Böhmen [1932]) — überwiegen hingegen bei weitem positive Aspekte in der Schilderung böhmischer Landschaftsbilder, wie dies z.B. in einem der ersten in Bohemia veröffentlichten Gedichte — »Gruß auf dem Lande« — nachweisbar ist: Gruß klingt mir aus fremder Hütte und ermuntert meinen Schritt, Wer allein die Straßen wandert, nimmt als guten Wunsch ihn mit. Von den Kindern, die beim Spiel sind, tönt er hell wie Vogellaut, Schon bedächtiger von dem Manne, der gebückt sein Feld bebaut. Unter seiner Bäume Frieden reicht ein Greis mir seine Hand, Wie ein milder Stern geleitet mich sein Segen über Land.43
Wenn man diese Verse mit Wilhelm Frankes Gedicht »Von den Leuten der Straße«44 vergleicht, fällt es allerdings schwer, sich des Eindrucks des Epigonalen bei Gertrude Urzidil zu erwehren. Und auch in etlichen anderen Fällen ihrer »Naturlyrik«, wie z.B. »Die Kirsche« — ihrem ersten Gedicht im Prager Tagblatt —, wird man diesen Eindruck nicht los: die abschließende Strophe klingt einfach kitschig:
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GERTRUDE URZIDIL Wie nach dem schmerzlichen Abschied Wiederkehr tröstlich uns grüßt, Hat euer tägliches Wunder Das einsame Mahl mir versüßt.45
Andererseits gibt es wenige Jahre später auch schon Positives in Gertrude Urzidils Lyrik zu verzeichnen, so etwa in dem 1938 entstandenen Gedicht »Alt und neu«, wo der Bezug zur Natur wesentlich realistischer gestaltet wurde: Ueber des Dorfes eiligen Bach, führt ein holpriger Steg, gab meinen ängstlichen Schritten nach, war durch das Altern schon schräg. Weiter ging ich zum waldigen Hang Quer durch die grünenden Auen, dann auf dem Rückweg wurde mir bang: Soll ich dem Steg mich vertrauen? Nimmermehr! Denn das morsche Holz ward eben abgeschlagen und ein neues, aufrecht und stolz, stand da, mich hinüberzutragen.
Allerdings folgt dann leider in den abschließenden vier Zeilen — wie so häufig in ihren Gedichten aus dieser Zeit — eine moralisierende Belehrung: Siehe, es wandelt sich oft diese Welt durch ein Werk von kurzen Minuten, wär’s damit immer wie diesmal bestellt: Ein Wandel vom Schlechten zum Guten!46
Zudem lassen sich unter den jahreszeitlich orientierten Gedichten der Urzidil, wie etwa »Begrüßung des Sommers«,47 »September«,48 »Herbstwende«,49 »Winterlegende«,50 oder »Jahreswende«,51 durchaus gelungene, atmosphärisch stimmungsvolle Bilder nachweisen, wie z.B. in der Schlussstrophe von »Nächtliche Heimkehr« (das übrigens an Fritz Brainins (1913-1992) frühes Gedicht »Wandertag«52 erinnert): Trost dieser Welt heißt Nähe, Abschied heißt schwerster Verzicht. Kehren wir heim, noch ehe die Nacht das Geheimnis bricht.53
* Gertrude Urzidil hat der Nachwelt — soweit bekannt — nur einen einzigen theoretischen Fingerzeig hinsichtlich ihrer Vorgangsweise beim Dichten hinterlassen. In der »Einleitung« zu einer Handvoll später Gedichte, erschienen in der von Mimi Grossberg zu Beginn der siebziger Jahre herausgegebenen Anthologie Österreichisches aus Amerika, schrieb sie u.a.: Gedichte können gewünscht, aufgesucht und angestrebt werden, eine Absicht erzeugt sie, die Sprache ist nur die große Helferin, die Wehmutter. Aber sie können sich auch ergeben, ungewollt und selbstverständlich, einen lange wartenden Raum
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des Lebens mit Form ausfüllend. [...] Es ist durchaus möglich, daß beide Arten des Dichtens bei ein und derselben Person in Erscheinung treten,
um dann jedoch, ihre eigene Person betreffend, hinzuzufügen: ich habe meine Lyrik nicht nach dieser Kategorie eingeteilt. [...] Zuweilen rufen die besonderen Situationen des Lebens ein Gedicht hervor [...]. Das alles muß noch kein Kunstwerk sein, vielmehr eine Hilfe mittels der Form. Ich möchte sagen, daß die meisten Frauen auf ihre Weise, durch ihre Art des Daseins Form erzeugen können und auch erzeugen; Form, die dann das übrige Leben profiliert, deutlicher macht und es gleichsam erklärt. Es ist die beste weibliche Tugend, die eine Frau üben kann [Hervorh. v. Verf.].54
Diesen etwas vage formulierten Kommentar (insbesondere der abschließende Teil) zu ihrer dichterischen Praxis hat sie dann — ebenfalls im Exil — in zwei Gedichten, eins aus den frühen sechziger Jahren, das andere undatiert, dahingehend ergänzt, dass ihrer Meinung nach ganz spezifische Lebensumstände eintreffen müssten, um einem Menschen Verse zu entlocken. In »Wer dichtet ...« heißt es dazu etwa: Wer dichtet, hat viele Gewerbe, sein Herz hat sie ihn gelehrt. Er ist nicht Erwerber, nicht Erbe, er verzaubert, was er erfährt. [Hervorh. v. Verf.]55
Und in »Eine Frage« wird dies weiter vertieft: Macht der Dichter das Gedicht? Daran freilich glaub ich nicht! Das Gedicht es macht den Dichter, macht zum Weisen ihn, zum Richter, rät ihm, achte aufs Geringe. Was wir teilen ist Geheimes, lass es klingen, form und reim es. Und aus deiner Dichtung steigt, was das Herz der Welt verschweigt. [Hervorh. v. Verf.]56
Mit anderen Worten, bei der Entstehung von Gedichten liegt die Betonung auf von Herzen empfundenen — insbesondere weiblichen — Einsichten und weniger auf rationalem Wege erworbenen Erkenntnissen, wie dies z.B. in der Dichtung ihres Mannes meist der Fall war (vgl. dazu Die Memnonsäule [1957]). Aus dieser Einsicht — die sich ganz sicher nicht erst im amerikanischen Exil entwickelt hatte — ist dann wohl auch ein Gedicht wie »Reisezuspruch« (die unvermeidbare Flucht zeichnete sich damals bereits ab!) entstanden, das — für eine Frau von knapp Vierzig — erstaunliche Reife und Lebensweisheit zeigt:57 Was nimmst Du auf der Reise mit Von Deiner Herzensfracht? Da hält nicht alles gleichen Schritt, Was in Dir weint und lacht. [Hervorh. v. Verf.]58
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Oft — und ab Mitte der dreißiger Jahre immer häufiger — zeigten sich in Gertrude Urzidils Versen auch Anklänge an die von Karl-Markus Gauß als »Ästhetik des Besonderen« deklarierte Lyrik der Neuen Sachlichkeit.59 Man könnte dafür verschiedene Beispiele zitieren: so etwa »Bunter Markt« und »Schaufenster« aus dem Jahre 1935 oder »In einem alten Haus« von 1936. Insbesondere aber sticht das Gedicht »Der Jahrmarkt« von Mitte 1938 hervor, ein Beispiel par excellence für den Terminus »Ästhetik des Besonderen«; denn hier gilt mit gewissen Einschränkungen genau das, womit Gauß — in anderem Kontext — die Lyrik Theodor Kramers der dreißiger Jahre charakterisiert hat: »Welche Fülle von Dingen, die noch nicht zur SupermarktWare verdinglicht sind, welcher Reichtum an Individualitäten, an Haltungen, an Besonderheiten bevölkert die ›scheinbare Enge‹ [...].«60 Da sich Gertrude Urzidil ein Jahr nach Veröffentlichung dieses Gedichtes bereits außer Landes befand und die hier beschriebenen Details nie wieder persönlich zu Gesicht bekommen hat, sei es erlaubt, dieses Gedicht an dieser Stelle vollständig zu zitieren: Der Jahrmarkt Das Treiben nach Jahren wieder beschaut, läßt frühen Zauber noch fühlen. Die Kindheit ist wieder aufgebaut aus süßen Herzen und Spielen. Einst gönnten uns Schaukel und Ringelbahn die jubelnde Freiheit der Höhe, es schwebet fürder kein Aeroplan so innig in Sternennähe. Und vor dem Mann mit dem Türkenhut, da schlugen die Herzen uns schneller. Das Zuckerwerk schmeckt auf der Welt nur gut für langsam ersparte Heller.
War das Prosawerk Johannes Urzidils ganz und gar von Prag bestimmt61 — selbst für einen Roman wie Das große Halleluja (1959) gilt das mit Einschränkungen62 —, kommt die tschechische Hauptstadt in der Dichtung Gertrude Urzidils — sowohl vor als auch nach der Emigration — nur sehr selten vor. Unter der Annahme, dass es sich bei dem oben zitierten Gedicht um die Beschreibung einer Art Prager Prater handelt, gibt es eigentlich nur noch zwei weitere Gedichte, die zumindest ansatzweise den Versuch wagten, ein Bild von Prag zu zeichnen. An erster Stelle wäre da das der Neuen Sachlichkeit verpflichtete Poem »Stadt aus dem Flugzeug« zu nennen, wo sich aus der Vogelperspektive das Panorama einer Stadt abzeichnet, die zwar namentlich nicht genannt wird, aber mit aller Wahrscheinlichkeit Prag zum Vorbild hatte: Hoch aus dem Flugzeug die Stadt zu besehen, wie ihres Schicksals Kreise sich drehen: Giebel und Häuser, die klein wie im Spiel sind, Straßen und Plätze, die Ausgang und Ziel sind. Ueber dem Fluß, der bewimpelt mit Kähnen, Brücken, die Ufer zu Ufer versöhnen.
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323 Grünliche Kuppeln, die nach uns gaffen, scheinen die uralten Röcke zu raffen; wackeln die Türme im Menuette greisenhaft über die Steinparkette. Fernher aus Gärten, die ohne Zeit sind, leuchten der Kindheit Tage, die weit sind.63
Etliche Jahre später, gegen Ende der dreißiger, erschien mit »In alten Gassen« dann noch ein weiteres Gedicht, das potenziell Prag nachempfunden sein mag: Tröstlich wirken die alten Gassen, die von einst das Gepräge behielten, da wir im Schatten ihrer Grimassen mit den ersten Träumen spielten.64
Sozialpolitische Aspekte sind — zumindest vor der Emigration 1939 — relativ selten nachweisbar in der Dichtung Gertrude Urzidils. Ein erster Ansatz in dieser Richtung wird erst 1935 in dem Gedicht »Den Kranken« erkennbar, worin durchaus Empathie für menschliches Leid sichtbar wird; man betrachte dazu etwa die mittlere des dreistrophigen Gedichts: Kranke Stunden dauern lange, Wenn auch bunt die Wände sind, Und nach Wind und Quell ist bange, Wenn so heiß die Hände sind.65
Noch engagierter zeigte sich die Urzidil dann allerdings zwei Jahre später in »Blind«, wo das Los eines Kriegserblindeten Gegenstand des Gedichtes ist: Täglich seh ich jenen Alten an der Mauer bettelnd stehn, seine Hände sind verfaltet, hört er wen vorübergehn. Seinem Ohr muß er vertrauen, sein Gesicht nahm ihm der Feind, ewig wird er Nacht nur schauen und sein Blick ward längst versteint. Ich verweile zu betrachten, wem sein Leid zu Herzen geht, doch nur Wenige ihn beachten der um Nächstenliebe fleht. Manche öffnen ihre Hände, milde Gaben ihm zu reichen, Angst, daß sie der Feind einst blende, soll das Opfer rasch verscheuen. Doch die meisten gehen vorüber, fremdes Los bleibt fremde Welt,
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GERTRUDE URZIDIL solcher Anblick stimmt sie trüber und sie brauchen, was erhellt. Eile macht die Menschen schlechter und verwischt die Spur der Sünden. Herr, mach wieder sie gerechter, eh’ die Herzen ganz erblinden! [Hervorh. v. Verf.]66
Hier klingt auch zum ersten Mal jene erstaunliche Verszeile an, die in nicht allzu ferner Zukunft den Tenor des dichterischen Werkes von Gertrude Urzidil bestimmend verändern sollte: »fremdes Los bleibt fremde Welt«. Ansonsten ist dieses Gedicht durchaus vergleichbar mit anderer, um die Mitte der dreißiger Jahre entstandener, sozialkritischer Lyrik, so etwa Fritz Brainins anklagendes Poem »Herbst der Arbeitslosen«, mit folgender erster Strophe: Kühl wird’s auf der Bank. Rück nah. Dein Kleid ist dünn. – Liebst du so wie ich den Herbst in dieser Stadt? Leichter gibt sich seiner Traurigkeit hier hin, – Wenn die Nacht wächst und die Tage kürzer glühn, – Einer, der wie wir jetzt keine Arbeit hat, Geliebte.67
Am nächsten kommt sie solchen Tönen noch in dem Gedicht »Nachtgedanken« von Ende 1938, wo es in der ersten Strophe heißt: Meine Nachtgedanken kreisen Um der Obdachlosen Not, die von Tür zu Tür wir weisen, bitten sie um Raum und Brot.68
Im Nachhinein gewinnt gerade der Titel dieses Gedichts — »Nachtgedanken« — noch an Bedeutung. Denn einerseits wohnt ihm angesichts des Anschlusses Österreichs, der Reichskristallnacht und des Münchner Abkommens eine tiefere Symbolik inne: ein tiefer Schatten hatte sich nämlich seit Frühjahr 1938 über Europa — und besonders die Tschechoslowakei — gelegt; andererseits handelte es sich hierbei um das letzte von Gertrude Urzidil in Bohemia veröffentlichte Gedicht (vor dem endgültigen Aus wurde von ihr in der Tschechoslowakei nur noch ein weiteres Gedicht publiziert: »Winterlied«, am 8. Januar 1939, im Prager Tagblatt, worin die Rede ist von »des Jahres herbe Zeit«); danach erschienen Gertrude Urzidils Gedichte — sporadisch — zunächst in der Baseler National-Zeitung69 und — nach Erreichen des endgültigen Exilortes — im New Yorker Aufbau. * Wie gesagt leitete die oben zitierte Verszeile »fremdes Los bleibt fremde Welt« (aus dem Gedicht »Blind«) eine Wende im lyrischen Schaffen Gertrude Urzidils ein; denn die Flucht über Italien und England nach den USA (die Urzidils erreichten New York am 11. Februar 1941) und die damit verbundene Problematik des Exils,70 insbesondere auch des schriftstellerischen Schaffens im fremdsprachigen Ausland,71 löste eine einschneidende Veränderung in ihrer Lebenshaltung aus. Naturlyrik war nunmehr fast
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ein Jahrzehnt lang passé; stattdessen berichtete die Autorin bereits kurz nach der Ankunft in England, in einem Gedicht, dass noch auf der Flucht entstanden sein mag,72 dass ihr Haar angesichts der jüngsten traumatischen Erlebnisse ergraut sei. Und in der zweiten Strophe eines Gedichts mit dem bedeutsamen Titel »Gruss aus der Fremde in die Fremde«73 (später in der Aufbau-Version abgeändert in »Botschaft in die Ferne«74) heißt es: Freunde, nun lebt ihr in andern Breiten, die einer anderen Sonne erwidern, ach! Kein gemeinsamer Gruss der Gezeiten kann unsere Tage einander verbrüdern.
Gleichzeitig lässt sie in »Lied in die Ferne« (2. Strophe) — wie so viele Exilanten — den Blick sehnsüchtig zurück in die alte Heimat schweifen: Gern denk ich auf fremdbelebten Gassen die Gefährten mir von einst herbei, die Entfernten, die mich fühlen lassen, dass ihr Abschied tiefste Bindung sei.75
Und in »Den Geschwistern« gibt sie außerdem zu verstehen, dass es für sie kein Zurück mehr gebe:76 Doch dem Abenteuer unsrer Fahrten war kein heit’rer Rückblick mehr erlaubt, Vater, Mutter ruh’n in Gottes Garten und die Heimat ward vom Feind geraubt.77
Auch die Trauer um die verlorene Heimat lässt sich wiederholt in Gedichten der ersten Nachkriegsjahre nachweisen, so z.B. in »Einst in der Kindheit«. Gleichzeitig hat diese Lyrik aber ab sofort wesentlich mehr Tiefgang: man kann die Veränderung der mentalen Einstellung der Autorin förmlich spüren: Einst in der Kindheit war alles von Dauer, unberührt von dem Zugriff der Zeit, ewig die Umwelt und noch ohne Trauer, ewig der Eltern weises Geleit. [...] Aber die Zeit lässt den Zauber nicht gelten, denn ihre Künste sind Wettlauf und List. Goldene Einfalt, wie grüssest du selten den, der nicht Kind unter Kindern mehr ist.78
Und Ähnliches lässt sich auch in dem Gedicht »Stadt und Land« nachweisen, wo es in der ersten Strophe heißt: Ob wir niemals auch vergessen ferner Wege, ferner Zeiten, durch der Städte jähe Strassen mag der Traum uns nicht begleiten.79
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bzw. in einem wesentlich später entstandenen Gedicht des Titels »Grosses Geschick«: Ein Herzstück blieb in Prag zurück. In Amerika leb ich auf Reisen. Das steigert den Alltag zu großem Geschick, er bewegt sich in neuen Geleisen. Die Kindheit meldet sich wieder zu Wort: Lern lesen, schreiben und gehen! Dann wirst du auch am fernsten Ort die Probleme der Fremde bestehen.80
Selbst ihre Liebeserklärung an New York — in »Zwischen Hudson und East River« — ist von Nachdenklichkeit geprägt: Wo das alte Brauchtum währt, mitgebracht aus andern Breiten, edle Fracht, die zollfrei fährt, sie versöhnt die Zeit der Zeiten.81
Folglich war es wohl bloßes Wunschdenken, wenn Gertrude Urzidil in einem — unveröffentlichten — Gedicht (»Des Dichters Heimat«), das mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls in den siebziger Jahren im New Yorker Exil entstand, sich selber Mut zusprach: So mancher Dichter ruht im fremden Land, denkt nur an Joyce, Roth, Heine, Mann und Urzidil. Der Tod wird nicht vom Zufall ausgesandt, es wohnen solche Geister immer im Exil. Ich wiederhole jenes Letztgenannten Satz, auf dass er immer mit uns bleibe, als Heimat gelte nicht allein der Kindheit Platz: „denn meine Heimat ist das, was ich schreibe.” [Hervorh. v. Verf.]82
Diese Zeilen erinnern stark an ein ähnliches Gedicht Johannes Urzidils, das bereits ein Vierteljahrhundert früher unter dem Titel »Die Väter« im New Yorker Aufbau veröffentlicht wurde: Auf der langen Insel sitz ich lange Jahre83 Und ich habe schon Europens fast vergessen. War Europa nicht die Nymphe mit dem wirren Blick und Haare, Die auf einem toll gewordenen Stier gesessen? Ruht mein Vater immer noch im Dorfe bei den Fichten, Deiner auf dem Judenfriedhof unter den geweihten Steinen? Oder wussten sie sich in der neuen Zeit nicht einzurichten Und sind auch schon ausgewandert nach entlegenen Totenhainen? Vielleicht pochen sie dann einmal unten an die kleine Pforte Unsres Hauses auf der langen Insel nah beim Sund, Obdach suchend, alte Männer, formend altbekannte Worte Mit dem fahlen, altbekannten, längst gebrochnen Vatermund.
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Lass uns freundlich sie empfangen und in unsre Stube führen Und sie betten in die Sessel und mit unsrem Hauch beleben. Vielleicht wird sie unser Anblick so wie uns der ihre rühren Und die werden uns am Ende nochmals ihren Segen geben. „Kinder, ihr habt uns verwundert durch die Flucht in diese neue Welt. Doch wir verstehn euch heute und wir sind euch nachgeeilet. Denn uns ängstigt der Gedanke, dass vielleicht ihr gar84 aus Treue Wiederkehrt zu unsern Gräbern und die Erde mit uns teilet. Bleibt! Es werden viele andre noch bei euch nach Zuflucht suchen, Denn die Torheit wird nicht minder und der Hass lässt sich nicht schlichten. Hört ihr sie in fünfzig Sprachen babelgleich einander fluchen? Alle halten sie Gerichtstag. Keiner mag sich selber richten. Da, ich brachte als Geschenk auch alte Kiesel von dem Grabe; Längst war es schon eingesunken und der Stein hat sich gespalten. Und ich brachte diesen schwarzen Fichtenzweig als Totengabe. Schafft uns neue Gräber, Kinder! Müde wurden wir der alten.“ Also sprachen unsre Väter. Schaudernd hören wir die Töne, Und wir neigen unsre Scheitel hin zu ihrem Schattenmunde. Fern von unsrer langen Insel rast die ewig schöne, Ewig irre Dirne auf dem tollen Stier zu Grunde.85
* Gegen Ende der vierziger Jahre klingt diese Wende im lyrischen Schaffen Gertrude Urzidils, die direkt nach der Ankunft in den USA eingesetzt hatte, dann allerdings allmählich aus, und es treten nach und nach wieder Gedichte in den Vordergrund, in denen jahreszeitliche und landschaftliche Themen dominieren. Ein gutes Beispiel für diese Übergangsphase ist das Gedicht »Stadt und Land« aus dem Jahre 1948, wo es in der Eingangsstrophe heißt: Ob wir niemals auch vergessen ferner Wege, ferner Zeiten. Durch der Städte jähe Strassen mag der Traum uns nicht begleiten.86
Man vergleiche dazu ferner Gedichte wie »Das Jahr«,87 »Oktober« und insbesondere »Wegweiser« aus dem Jahre 1955, worin die abschließende Strophe lautet: Vorbild der Weisheit bleibt uns der Stein. Kündet Beharren und fromme Geduld. Eines vermag nur der Mensch hier: Zu Sein. Alles, was glückt, ist von göttlicher Huld.88
Zudem gesellen sich zu dieser Art Gedichte allmählich auch solche philosophischen und religiösen Inhalts, wie etwa »Werte des Andenkens« aus dem Jahre 1958, worin es eingangs heißt:
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GERTRUDE URZIDIL Niemand erfährt seinen eigenen Tod, Tod ist der anderen grosses Geschick. Wie er auch ständig das Leben bedroht, niemals umfasst ihn der brechende Blick.89
bzw. — gegen Mitte der siebziger Jahre — das tief humanistisch gefärbte Gedicht »Jüdisches Schicksal«, worin sich quasi der Kreis ihres Lebens schließt: Ein Jude vermag seinen Gott zu erschaffen, sofern es ihm sein Glauben gewährt. Befolgte Gebote sind seine Waffen, sein Schema wünscht, dass er den Ewigen hört. Doch fremde Lehren erregen Verdacht, wer in der Menge kann sie verstehen? Er hat das Los der Verfolgung gebracht und das Vorurteil will schwerlich vergehen. Erst wenn sich die Menschen auf Liebe besinnen, bereiten sie ihren Frieden vor. Was sich ereignet, wurzelt tief innen, es steigt aus den Herzen die Eintracht empor.90
* Allerdings waren derartig tief schürfende Verse eher die Ausnahme während der sechziger und siebziger Jahre, wo meist Alltagsbegebenheiten, Ephemeres, Urzidils dichterisches Schaffen bestimmten, wie z.B. die trivialen Zeilen »Meine Steuern« (hier die 2. Strophe): Es sage keiner, ich sei übergeschraubt, nenn’ ich den Sinn der Gnade die Pflicht. Wer an das Wunder des Alltags glaubt, ahnt, wie es zugeht in einem Gedicht.91
Als symptomatisch hierfür dürfte auch das Gedicht »Alltagswunder« gelten, das kurz vor dem Tod der Dichterin entstand: Der Alltag im Rhythmus der Wiederkehr täuscht uns die Ewigkeit vor. Und darum fällt uns das Dasein so schwer, wenn es sein Gleichmass verlor. Durchs Leben trägt uns die Illusion, ohne sie käme niemand zurecht, sie ist der Antrieb, sie ist der Lohn, zwar wirklich nicht, doch wahr und echt.92
Die Autorin hatte nämlich nach dem Tode ihres Gatten im Jahre 1970 mit den Unbillen des alltäglichen Lebens zu kämpfen, insbesondere da sie sich plötzlich — trotz Tantiemen-Einnahmen der Veröffentlichungen des verstorbenen Johannes Urzidil —
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mit finanziellen Engpässen konfrontiert sah. Sie bezog aus diesem Grunde auch eine kleinere Wohnung (Apt. 6E, 8329 116th Street, Richmond Hill, New York, NY 11418 [bzw. Kew Gardens], im Stadtteil Queens, in der Nähe von Metropolitan Ave. und Lefferts Blvd., nicht weit entfernt vom zentralen Queens Blvd.) und stellte Unterstützungsanträge, sowohl an das deutsche als auch das österreichische Generalkonsulat, wobei die Ablehnung deutscherseits, die ihr in einem Schreiben vom 27. Juli 1972 durch das Deutsche Generalkonsultat in New York übermittelt wurde, im Rückblick besonders beschämend ist.: Leider hat das Generalkonsulat New York auf den Antrag an die ›Stiftung Auswärtiger Dienste‹ von der Stiftung unter dem 6. Juli 1972 den folgenden ablehnenden Bescheid erhalten: »Nach den mit dem Bezugsbericht vorgelegten Unterlagen betragen die laufenden Einkünfte der Antragstellerin monatlich $ 452.- = DM 1.428.-. Dieser Betrag liegt erheblich über dem Existenzminimum für eine alleinstehende Frau am dortigen Dienstort. Außerdem stehen Frau Urzidil Ersparnisse von $ 20.000.- = DM 63.200.- zur Verfügung, die, soweit erforderlich für den notwendigen laufenden Lebensunterhalt in Anspruch zu nehmen sind. Dies gilt insbesondere, im Falle einer Minderung der bisherigen laufenden Einkünfte, z.B. infolge eines Rückgangs der Tantiemen. Ein Bedürftigkeit i.S. der Stiftungssatzung kann hiernach nicht anerkannt werden. [...]«.93
Im Gegensatz dazu zeigte sich die Republik Österreich — wie so oft — wesentlich großzügiger. Man vergleiche — auszugsweise — das Schreiben des Leiters des Österreichischen Kulturinstituts in New York, Dr. Richard Sickinger, vom 21. April 1971: Hochvereehrte, gnaedige Frau! Ich darf mir gestatten, Ihnen anverwahrt [d.h. als Anlage; JT] ein Schreiben des Herrn Unterrichtsministers zu uebermitteln, in dem er Ihnen mitteilt, dass Ihnen der Herr Bundespraesident mit Entschliessung vom 31. Maerz mit Wirkung vom 1. April 1971 eine Ehrengabe von monatlich oeS 2.500 verliehen hat. [...].94
* Gertrude Urzidil starb in New York am 12. Juni 1977, und sie ist begraben auf dem New Cedar Park Cemetary, Paramus, NJ, Habonim, Block 15, Line 6.95 Wäre ihr nicht das traumatische Erlebnis der Flucht und des anschließenden Exils widerfahren, es müsste ernsthaft bezweifelt werden, ob ihre Lyrik die Tiefe und Größe erreicht hätte, die einige ihrer nach 1942 entstandenen Gedichte auszeichnen. Die in Prag entstandene Lyrik würde wahrscheinlich heutzutage kaum noch beachtet, wäre Gertrude Urzidil denn nicht die Gemahlin des berühmten Schriftstellers Johannes Urzidil gewesen.
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Gertrude Urzidil: »Wer dichtet ...«, Aufbau (NY), 9. März 1962 (2. Strophe). Wilma A. Iggers: Women of Prague. Ethnic Diversity and Social Change from the Eighteenth Century to the Present (Providence, RI/Oxford: Berghahn Books 1995). Elfi Hartstein: Jüdische Frauen im New Yorker Exil (Dortmund: edition ebersbach 1999). Der Namenswechsel erfolgte erst Mitte der fünfziger Jahre.
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GERTRUDE URZIDIL Friedrich Thieberger, Dr. phil., Autor, Bibliothekar, Übersetzer, Gelehrter; Gymnasialprofessor in Prag und angeblich der Hebräisch-Lehrer von Franz Kafka; Nachdichtungen aus dem Jiddischen, 1926-1938 Herausgeber der Monatsblätter für die Tschechoslowakei; 1939 Emigration nach Palästina, dort Bibliothekar der Bnei Brith Bibliothek, starb 1958 in Jerusalem. Er veröffentlichte 1936 in Berlin den Sammelband Jüdisches Fest – jüdischer Brauch (Berlin: Jüdischer Verlag), der 1937 von den Nazi konfisziert und vernichtet wurde! Nelly Engel-Thieberger emigrierte 1938 unter noch nicht geklärten Umständen nach England; während des 1. Weltkrieges leitete sie die Redaktion der zionistischen Wochenschrift Selbstwehr, u. 1936 übersetzte sie aus dem Tschechischen das zionistische Werk von Hipolit O. Boczkowski: Grundlagen des Nationalproblems (Prag: Goldelmann 1936). Vgl. dazu František Kafka: »Dichtung und Wahrheit im Leben des Schriftstellers Johannes Urzidil – Einige Feststellungen«. In Johann Lachinger et al (Hg.): Johannes Urzidil und der Prager Kreis (Linz: Adalbert-Stifter-Institut 1986), S. 91-98, hier S. 94. Sie hatten sich bereits vier Jahre vorher heimlich verlobt (s. dazu Hartmut Binder: »Erweisliches und Erzähltes. Johannes Urzidils Repenter Bäumel«. In Johannes Urzidil und der Prager Kreis, ebd., S. 65-90, hier S. 85); vgl. dazu auch Jörg Thunecke: » ›Quamvis sub aqua, sub aqua maledicere temptant‹? Johannes Urzidils Stellung zur Frage der Deutschen in der Tschechoslowakei von den 1920er Jahren bis in die Nachkriegszeit: eine Stimme im ›großen Froschteich der Emigration‹ «. In Charmian Brinson et al (Hg.): Czech Exile. The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies. Bd. 11 (Amsterdam: Rodopi 2009). Das Paar lebte anschließend in Prag (s. Anm. 16); ein so genannter ›Heimatschein‹ aus dem Jahre 1935, der sich im Nachlass erhalten hat, beweist, dass Gertrude Urzidil Mitte der dreißiger Jahre Bürgerin der Tschechoslowakischen Republik war. Columbia University (NY) Oral History Project: Interview mit Rose Stein vom 3. u. 8. Juni 1976 (Recorded). Transkript aus dem Jahre 1977, 62 SS., hier S. 1-2; Gertrud Thieberger u. Johannes Urzidil kannten sich wahrscheinlich sogar länger, da beide ab Sommersemester 1916 dieselben Vorlesungen besuchten (s. dazu Binder [wie Anm. 8], S. 85). Columbia University (NY) Oral History Project, ebd., hier S. 2-3. Das Paar heiratete am 4. April 1922 in Prag; sowohl Gertrud Thiebergers Vater Karl Thieberger (1918; s. dazu František Kafka: »Dichtung und Wahrheit im Leben des Schriftstellers Johannes Urzidil — Einige Feststellungen« [wie Anm. 7], S. 94) als auch Johannes Urzidils Mutter Elisabeth Urzidil (1900; s. František Kafka, ebd., S. 93) waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben; Johannes Urzidils Vater Josef Urzidil (geboren 1854; s. František Kafka, ebd., S. 93), der — im Gegensatz zur Familie Thieberger — mit der Ehe seines Sohnes einverstanden war, starb ein halbes Jahr später Ende 1922 (s. dazu Johannes Urzidil: Väterliches aus Prag und Handwerkliches aus New York [Zürich: Artemis 1969], S. 29). Vgl. dazu Johannes Urzidils Beitrag, »Café ›Arco‹ «, Prager Tagblatt, 6. Dez. 1925, S. 3-4 [Jubiläumsnummer] (von hieran abgekürzt zitiert mit PT). Hierzu gehörten u.a. Oskar Baum, Max Brod, Rudolf Fuchs, Willy Haas, Franz Janowitsch, Franz Kafka, Egon Erwin Kisch, Paul Kornfeld, Otto Pick u. Franz Werfel. Columbia University (NY) Oral History Project (wie Anm. 10), hier S. 7. Gertrude Urzidil: »Ein literarischer Stammtisch«, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 542, 21. Nov. 1973, S. 25; s. dazu ferner Columbia University (NY) Oral History Project, ebd., hier S. 46-48. Laut František Kafka ([wie Anm. 7], S. 94) wohnten die Urzidils in den dreißiger Jahren in Prag X, Karolinenthal, Palacký-Str. 147/75; die Hausbesitzerin war eine gewisse Gertrude Spieß. Es verkehrte dort u.a. auch Willy Haas (der Gründer u. Herausgeber der Literarischen Welt), der laut Christoph von Ungern-Sternberg (Willy Haas 1891-1973: »Ein grosser Regisseur der Literatur« [München: edition text & kritik 2007], S. 148, Anm. 261) mit Gertrude Urzidil eine Affäre gehabt haben soll, die Anlass für Haas’ Scheidung von Johanna Waldeck im August 1936 war! Darauf scheint auch das Gedicht »Ewige Gefahr« (DZB, CVIII, Nr. 251, 26. Okt. 1935) hinzudeuten, worin es heißt: »Mahnt auch der Hände verstohlene Nähe / zart an der Herzen geheimen Vertrag, / Zukunft erst kündet, ob unser Friede / nicht vor des Abschieds Toren schon lag. // Wie uns auch Blick und Gebärde
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vereinen, / stets droht der Worte gefährlicher Sinn. / Ein heiliges Wunder gilt jeder Tag mir, / da ich dem Freund die Gefährtin noch bin.« Später wohnten die Urzidils dann in Prag XII, Fochova 158, wie die polizeiliche Unbedenklichkeitserklärung vom 5. Mai 1938 (s. Anm. 19) beweist. Allerdings sind diese Angaben mit Vorsicht zu behandeln, wie einem kritischen Leserbrief des Historikers Johann Wolfgang Brügel an die NZZ vom 28. Nov. 1973 (Kopie im Urzidil-Nachlaß im LBI, NY) entnommen werden kann, der zahlreiche Korrekturen enthält. Gertrude Urzidil: »Ein literarischer Stammtisch« (wie Anm. 15); s. dazu ferner Gertrude Urzidil: »Zur Quadratur des Prager Kreises«, Literatur und Kritik, XCIX (Okt. 1975), S. 528-36, hier insbes. S. 534 über das Ende des Prager Treffpunktes. Vgl. dazu die polizeiliche Genehmigung vom 5. Mai 1939 für Gertrude Urzidils Ausreisevisum. Zum Reiseverlauf vgl. Johannes Urzidils Tagebucheintragungen vom 30. Juni bis zum 1. August 1939; s. dazu auch Hedwig Pistorius: Johannes Urzidil und das Exil. Diss. (Wien 1978), S. 1; s. ferner Claudio Magris: »Eine internationale Geschichte«. In Johannes Urzidil und der Prager Kreis (wie Anm. 7), S. 121-24, hier S. 122. Pistorius, ebd., S. 2 u. S. 45. Bryher: The Heart to Artemis. A Writer’s Memoirs (London: Collins 1963), S. 276-309 (= Kpt. 20). Pistorius (wie Anm. 20), S. 46; s. dazu auch Johannes Urzidil: »Stifter aus drei Distanzen«, Literatur und Kritik, XXXI (Feb. 1969), S. 34-47, hier insbes. S. 35-36. Vgl. dazu Johannes Urzidils Tagebucheintragungen vom 2. Sept. 1939 bis 16. Jan. 1941 (= Abreise aus Viney Hill); s. ferner Pistorius, ebd., S. 47 sowie Jennifer A. Taylor: »Stimmen aus Böhmen. Die deutschsprachige literarische Emigration aus der Tschechoslovakei in Großbritannien nach 1938«. In Peter Becher / Peter Heumos (Hg.): Drehscheibe Prag (München: Oldenbourg 1992), S. 165-80. Laut Tagebucheintrag Johannes Urzidils vom 23. Jan. 1941; vgl. dazu auch Pistorius, ebd., S. 46 sowie Bryher: The Days of Mars. A Memoir 1940-1946 (NY: Harcourt Brace Jovanovich 1972). Vgl. dazu auch die Einträge zu Gertrude u. Johannes Urzidil in Siglinde Bolbecher / Konstantin Kaiser (Hg.): Lexikon der österreichischen Exilliteratur (Wien: Deuticke 2000), S. 64849 bzw. S. 649-52; s. ferner Věra Macháčková-Riegerovás bahnbrechende Bibliographie zum Werk Johannes Urzidils (als Anhang in Johannes Urzidil: Bekenntnisse eines Pedanten [Zürich/München: Artemis 1972], S. 217-58); zudem — ergänzend und vervollständigend — Fritjoff Trapps wertvolle Online-Bibliographie der Primärliteratur zu Johannes Urzidil (die allerdings immer noch Fehler enthält) sowie Klaus Johann: »Bibliographie der Sekundärliteratur zu Johannes Urzidil«, brücken — Germanistisches Jahrbuch Tschechien — Slowakei, NF XIII (2005), S. 382-428. Vgl. dazu Anm. 5. Vgl. dazu Anm. 6. S. Anm. 11. Typoskript im Nachlass von Gertrude Urzidil (LBI, NY); s. dazu auch Columbia University Oral History Project (wie Anm. 10), S. 2-3. Freie Welt (Gablonz), 14. Okt. 1933. Deutsche Zeitung Bohemia, CVIII, Nr. 83, 7. Apr. 1935 (von hieran abgekürzt zitiert mit DZB). Vgl. dazu die provisorische, von John M. Spalek zusammengestellte Bibliographie zum Werk Gertrude Urzidils (in John M. Spalek et al [Hg.]: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 4: Bibliographien: Schriftsteller, Publizisten und Literaturwissenschaftler in den USA. Teil 3: N-Z [München: K. G. Saur 1994], S. 1834-38, hier S. 1837); Gertrude Urzidil veröffentlichte außerdem in den frühen dreißiger Jahren Beiträge in der böhmischen Zeitschrift Frauenfreude und Mädchenglück (die meisten Zeitungsausschnitte im LBI, NY sind leider nicht genau datiert, sondern lediglich nummeriert).
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GERTRUDE URZIDIL Gertrude Urzidil erwähnt dieses Gedicht ausdrücklich in ihrem Interview mit Rose Stein ([wie Anm. 10], S. 44-45): »I came to literature not so young. It was in the Bohemian Forest when we visited the Stifter landscape. For several years I was inspired by Stifter and by the landscape, by the Bohemian forest, and my first poem is called The Village, Das Dorf. And from that time I wrote several poems -- that was 1933.« (Gertrude Urzidils Englisch war selbst nach 35 Jahren im angelsächsischen Sprachbereich sehr mangelhaft!) Das Waldviertel in Niederösterreich hat natürlich große Ähnlichkeit mit dem Böhmerwald und ist geographisch nicht allzu weit entfernt gelegen, so dass Vergleiche hier durchaus ihre Berechtigung haben. Wilhelm Franke: Wirrnis und Weg (Wien: Krystall Verlag 1933), S. 21 (= Strophen 1-2). Jörg Thunecke: »Negative Heimatlyrik? Zur Dichtung von Wilhelm Szabo«, Modern Austrian Literature, XXIX, Nr. 3/4 (1996), S. 187. Wilhelm Szabo: Das fremde Dorf (Wien: Krystall Verlag 1933), S. 8 bzw. S. 16. Traude Dienel: »Das Niemandskind — das Dunkel — das Erdenjahr. Wilhelm Szabo zum 85. Geburtstag«, Podium, LXI/LXII (1986), S. 9. Hans-Jürgen Heise: »Im Spannungsfeld zweier Epochen. Anmerkungen zum Werk Wilhelm Szabos«, Podium, ebd., S. 6. Vgl. dazu Jörg Thunecke: »Landschafts-, Erlebnis- und Bekenntnislyrik: Das dichterische Werk Wilhelm Frankes zwischen 1933 und 1945 — Innerer Emigrant oder Mitläufer?«. In Wulf Koepke / Jörg Thunecke (Hg.): Preserving the Memory of Exile. Festschrift for John M. Spalek on the Occasion of his 80th Birthday (Nottingham: Edition Refugium 2008), S. 282-313, hier S. 287-288. So schrieb sie z.B. im November 1936 an den Rand des Gedichtes »Nächtliche Heimkehr« (erschienen in Die Ernte: ein Sammelheft jüdischer Dichtung [Rothschild: Jerusalem 1936], S. 24): »Johannes Urzidil, meinem strengsten Kritiker in Verehrung«; s. dazu auch Gerhard Trapp: Die Prosa Johannes Urzidils (Bern: Herbert Lang 1967), S. 163 u. Pistorius (wie Anm. 20), S. 42, wo von dessen »naturreligiöse[m] Bekenntnis« die Rede ist. DZB, CVII, Nr. 152, 1. Juli 1934. Franke: Wirrnis und Weg (wie Anm. 36), S. 19. PT, 8. Juli 1934. DZB, CXI, Nr. 196, 21. Aug. 1938. PT, 28. Juli 1936. DZB, CVII, Nr. 205, 2. Sept. 1934. PT, 20. Feb. 1935. DZB, CVIII, Nr. 59, 10. März 1935. DZB, CVIII, Nr. 303, 31. Dez. 1935. Fritz Brainin: Alltag (Wien: Verlag der Neuen Jugend 1929), S. 10. DZB, CVIII, Nr. 204, 1. Sept. 1935. Gertrude Urzidil: »Einleitung zu Gedichten«. In Mimi Grossberg (Hg.): Österreichisches aus Amerika. Verse und Prosa (Wien: Bergland Verlag 1973), S. 54. Aufbau (NY), 9. März 1962 (hier die 1. Strophe). MS im Urzidil-Nachlaß (LBI, NY). Vgl. dazu auch das späte Gedicht »Jüdisches Schicksal«, worin es in der abschließenden dritten Strophe heißt: »Erst wenn sich die Menschen auf Liebe besinnen, / Bereiten sie ihren Frieden vor. / Was sich ereignet, wurzelt tief innen, / Es steigt aus dem Herzen die Eintracht empor.« (Aufbau [NY], 27. Feb. 1976; Hervorh. v. Verf.) PT, 31. Aug. 1938 (1. Strophe); Gertrude Urzidil schrieb übrigens eine ganze Reihe von Liebesgedichten (u.a. »Mancher Tag« [DZB, CVII, Nr. 253, 28. Okt. 1934], »Dank für Blumen« [PT, 2. Juni 1935]‚ »Ewige Gefahr« [DZB, CVIII, Nr. 251, 26. Okt. 1935], »Nähe« [DZB, CIX, Nr. 99, 26. Apr. 1936], »Erste Liebe« [DZB, CIX, Nr. 128, 31. Mai 1936], »Gute Speise« [DZB, CIX, Nr. 190, 15. Aug. 1936] u. »Herbstliche Liebe« [DZB, CX Nr. 239 10. Okt. 1937]), auf die hier nicht eingegangen werden kann. Vgl. dazu Karl-Markus Gauß: »Natur, Provinz, Ungleichzeitigkeit. Theodor Kramer und einige Stereotypen der Literaturwissenschaft«. In Konstantin Kaiser (Hg.): Theodor Kramer 1897-1958: Dichter im Exil (Wien 1983; = Zirkular, Sondernummer 4), S. 14-25.
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Ebd., S. 19. Vgl. dazu Josef Mühlenberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen 1900-1939 (München: Langen-Müller 1981), S. 323. Vgl. dazu Egon Schwarz: »Urzidil und Amerika«. In Johannes Urzidil und der Prager Kreis (wie Anm. 7), S. 27-39, hier S. 37. DZB, CVII, Nr. 288, 8. Dez. 1934. DZB, CXI, Nr. 1, 1. Jan. 1938 (1. Strophe); evtl. könnte auch in dem Gedicht »Blick auf den Friedhof« (DZB, CXI, Nr. 256, 30. Okt. 1938) eine authentische geographische Grabstätte in Prag gemeint sein. DZB, CVIII, Nr. 17, 20. Jan. 1935. DZB, CX, Nr. 120, 23. Mai 1937. Fritz Brainin: Die eherne Lyra — Gedichte (Wien/Leipzig: Europäischer Verlag [1935]), S. 10. DZB, CXI, Nr. 286, 4. Dez. 1938. Die Verbindung zur Baseler National-Zeitung wurde 1935 während Johannes Urzidils Schweiz-Reise geknüpft (s. dazu Pistorius [wie Anm. 20], S. 21). Zu den äußeren Lebensumständen der Urzidils in den USA s. Pistorius, ebd., S. 70f. Vgl. dazu u.a. Johannes Urzidil: Väterliches aus Prag und Handwerkliches aus New York (Zürich: Artemis 1969), S. 36-37. »Träume«, National-Zeitung (Basel), 2. Juli 1939 (1. Strophe). National-Zeitung (Basel), 28. Jan. 1940. Aufbau (NY), 4. Dez. 1942. Aufbau (NY), 24. Apr. 1942. Gertrude Urzidils »Resident Alien’s Identification Card« (Nr. 542125) wurde am 3. Juli 1944 in New York, ein »Certificate of Literacy« (Nr. 187754) vom Education Department der New York State University am 10. Aug. 1946 ausgestellt; dem Einbürgerungsantrag (naturalization) von Johannes und Gertrude Urzidil wurde am 16. April 1946 stattgegeben (Einschwörung in Brooklyn), nachdem die »Citizenship«-Prüfung am 7. März — ebenfalls in Brooklyn — stattgefunden hatte (vgl. dazu Johannes Urzidils Tagebucheintragungen vom 27. Feb. 1946, 7. März 1946 u. 16. Apr. 1946.). Aufbau (NY), 27. Aug. 1943 (3. Strophe); in einer Nachkriegsversion wurde die letzte Zeile dieser Strophe — wahrscheinlich vorsichtshalber, angesichts der veränderten politischen Lage in der Tschechoslowakei — verändert zu: »und die Heimat selbst ward uns geraubt«. (National-Zeitung [Basel], 1. Dez. 1946) Aufbau (NY), 16. Aug. 1946 (ein halbes Jahr später auch veröffentlicht in der National-Zeitung [Basel], 5. Dez. 1947.) Aufbau (NY), 2. Juli 1948. Zuerst veröffentlicht in Mimi Grossberg (Hg.): Amerika im austro-amerikanischen Gedicht 1938-1978 (Wien: Bergland Verlag 1978), S. 8, wiederabgedruckt in Mimi Grossberg (Hg.): Geschichte im Gedicht. Das politische Gedicht der austro-amerikanischen Exilautoren des Schicksalsjahres 1938 (NY: Austrian Institute 1982; Riverside, CA: Ariadne Press 31993), jew. S. 34. Aufbau (NY), 12. Dez. 1947; vgl. dazu auch das anderthalb Jahrzehnte später erschienene Gedicht »Zinshaus tief in Queens« (in: Aufbau [NY], 20. Sept. 1963). MS im Urzidil-Nachlass (LBI, NY). Die Urzidils residierten damals im Stadtteil Queens: 3251 81st Street, Jackson Heights, L.I., New York; die Angabe, man lebe auf Long Island, ist zwar technisch richtig, bezieht sich jedoch eigentlich nur auf die nicht zu New York City gehörenden Teile der Stadt. Johannes Urzidil hat in seiner Kopie des Gedichtabdrucks handschriftlich das Wort »nicht« getilgt, das offensichtlich fehl am Platze ist! Johannes Urzidil: »Die Väter«, Aufbau (NY), 21. Feb. 1947. Aufbau (NY), 2. Juli 1948. Aufbau (NY). 25. Juli 1947 (auch veröffentlicht in der National-Zeitung [Basel], 28. Dez. 1947).
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GERTRUDE URZIDIL Aufbau (NY). 30. Sept. 1955 (s. dazu auch das Gedicht »Glühende Wellen«, Aufbau [NY], 26. Juni 1959). Aufbau (NY), 3. Sept. 1958. Aufbau (NY), 27. Feb. 1976. Undatiert u. scheinbar unveröffentlicht; s. dazu auch »Ich und meine Wohnung« (Aufbau [NY], 29. Aug. 1975) sowie zahlreiche unveröffentlichte, in Manuskriptform im LBI vorliegende Zeilen aus diesem Zeitraum. Aufbau (NY), 3. Juni 1977. Im Nachlass Gertrude Urzidils im LBI (NY); Aktenzeichen des Generalkonsulats: RK SE 1383/3; vgl. dazu die parallele, heuchlerische Korrespondenz des deutschen Generalkonsuls in New York, Harald Graf von Posadowsky-Wehner (1971-74), und dessen Nachfolger Dr. Werner Ungerer (1975) [im Nachlass Gertrude Urzidils im LBI (NY)]. Im Nachlass Gertrude Urzidils im LBI (NY); Aktenzeichen des Österreichischen Kulturinstituts: 2352-71. Information laut Mimi Grossberg in Interviews mit Rose Stein im März / April 1979 (als Teil des Oral History Projects der New Yorker Columbia University), abgedruckt in »The Reminiscences of Mimi Grossberg«. In The Road to America – Mimi Grossberg: Her Times and her Emigration (NY: The Austrian Institute 1986), S. 79-98, hier S. 91. Es handelt sich hierbei um den Habonim Cemetary, der ein Teil der Cedar Park & Beth El Cemetaries ist und der jüdischen Gemeinde Congregation Habonim im Westen von Midtown Manhattan gehört; diese wiederum wurde in der vierziger Jahren von deutschsprachigen Flüchtlingen gegründet. Hinsichtlich Mimi Grossbergs Behauptung, Gertrudes Schwester Nelly sei am gleichen Tag in London gestorben, handelt es sich wohl um eine Legende! (»The Reminiscences of Mimi Grossberg«, ebd., S. 91).
DER INTERNATIONALE KONTEXT DES EXILS
ZUFLUCHT IN DEN TROPEN — DAS DEUTSCHSPRACHIGE EXIL IN BRASILIEN MARLEN ECKL In Memoriam: Izabela Maria Furtado Kestler (1959-2009) Das deutschsprachige Exil in Brasilien ist untrennbar mit dem Namen Stefan Zweig verbunden, war er doch der prominenteste Flüchtling des Nationalsozialismus in diesem Land und zählte darüber hinaus zu den international bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellern, die nach 1933 ihre Heimat verlassen mussten. Als Gegenbild zu dem von Hass, Rassenideologie und Krieg zerrissenen Europa geschildert, hat seine Lobeshymne auf das Zufluchtsland die Vorstellung von Brasilien als »Land der Zukunft«, in dem das harmonische Zusammenleben verschiedener Ethnien in einer dem Garten Eden ähnlichen Natur bereits verwirklicht ist, maßgeblich geprägt. Auch das Bild des deutschsprachigen Exils in diesem Land blieb davon nicht unberührt, denn über Stefan Zweig hinaus fand das Exilland in der Forschung vergleichsweise nur wenig Beachtung. Dabei gewährte Brasilien, obgleich es gemessen an seiner Größe und Bevölkerungszahl weit hinter seiner möglichen Aufnahmekapazität zurückblieb, in den Jahren 1933-1945 16.000-19.000 deutschsprachigen Exilanten Zuflucht1 und wurde auf diese Weise nach Argentinien zum zweitwichtigsten Aufnahmeland für Flüchtlinge des Nationalsozialismus in Südamerika. Nur wenige der Flüchtlinge hatten sich bewusst für Brasilien als Exilland entschieden. Wie alle südamerikanischen Länder galt es eher als zweite Wahl, wenn man angesichts der Notlage der vom Nationalsozialismus Verfolgten von Wahl überhaupt sprechen kann.2 Für viele war ihr Exil in Brasilien daher das Ergebnis eines Zufalls, einer Schicksalsfügung. Deshalb ist die Zahl der bekannteren Exilanten, die in Brasilien Zuflucht fanden, relativ klein, was ein Grund für das geringe Interesse der Forschung jenseits des Schicksals von Stefan Zweig sein mag. Aber auch in der Weimarer Republik sehr prominente Persönlichkeiten wie Ernst Feder, Richard Katz und Hugo Simon gerieten in Vergessenheit. Gerade jedoch im Hinblick auf Stefan Zweigs äußerst privilegierte Situation im brasilianischen Exil als weltberühmter, von der Regierung wie den Lesern gleichermaßen geachteter und jeglicher finanzieller Sorgen enthobener Schriftsteller, die sein Werk Brasilien. Ein Land der Zukunft mit beeinflusst hat und in keiner Weise mit der der anderen Exilanten dort verglichen werden kann, wird deutlich, wie unerlässlich es ist, auch die Lebensläufe einiger weniger bekannter Flüchtlinge, deren Wirken in Brasilien und/oder das von ihnen gezeichnete Bild des Zufluchtslandes näher zu betrachten, um das Wissen über das deutschsprachige Exil um einen wichtigen Aspekt zu erweitern und zu einem über Stefan Zweig hinausgehenden, differenzierteren Bild des Brasiliens jener Jahre zu gelangen. Im Zusammenhang mit dem Exil in den USA, das der eigentliche Gegenstand der vorliegenden Publikationsreihe ist, gilt es darauf hinzuweisen, dass es zwischen Brasilien und dem dortigen deutschsprachigen Exil und den USA Verbindungen und Bezugspunkte vielfältigster Art gab, wie es so in jenen Jahren mit kaum einem anderen südamerikanischen Land der Fall war. Wegen der Größe und strategischen kriegsund sicherheitspolitischen Schlüsselstellung Brasiliens waren die USA besonders darauf bedacht, dieses südamerikanische Land für die Seite der Alliierten zu gewinnen. Umgekehrt wiederum war sich Brasilien vor allem der wirtschaftlichen Vorzüge einer
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Allianz mit den USA bewusst. So kam es schließlich 1941 zu einer auf wirtschaftlichen, militärischen, politischen und kulturellen Aspekten basierenden, alliierten Partnerschaft, die mit dem Kriegseintritt Brasiliens im August 1942 mit eigenen Streitkräften besiegelt wurde. Wie noch dargelegt werden wird, wirkten Exilanten teils direkt, teils indirekt an dieser entscheidenden Kursänderung des südamerikanischen Landes mit. Unter den Flüchtlingen selbst fanden sich zahlreiche, die sich vergeblich darum bemüht hatten, ein Einreisevisum für die USA zu erhalten, wie Ernst Feder3 und Ulrich und Dana Becher4, oder dieses nicht hatten in Marseille abholen dürfen wie Hugo Simon5. Nach Brasilien, das für sie die einzige Rettungsmöglichkeit war, waren sie daher unfreiwillig gelangt. Einige wie das Ehepaar Becher empfanden deshalb Brasilien als Transitland und nahmen die erste sich bietende Gelegenheit zur Weiterreise in die USA wahr. Andere wie Ernst Feder und Hugo Simon akzeptierten das Zufluchtsland als längerfristiges zweites Zuhause. Und wiederum andere wie Paul Frischauer kamen nach Brasilien, ohne sich in Europa um ein Visum für die USA gekümmert zu haben, und besorgten sich erst dort die nötigen Immigrationsdokumente und gingen letztlich in die USA. Es gab jedoch auch Exilanten, die sich trotz eines gültigen USA-Visums oder der Möglichkeit, in den USA zu bleiben, ganz bewusst gegen die USA und für Brasilien als Exilland entschieden wie Richard Katz und Stefan Zweig. Schließlich gab es noch den Fall von Heinrich Eduard Jacob, der, obzwar er in den USA Zuflucht gefunden hatte, Brasilien, nach eigenen Angaben, seit seinem Besuch dort 1932 niemals aufgehört hatte zu lieben und das Problem der Fremdheit eines Einwanderers nicht etwa anhand der Einwanderernation USA, seines Exillandes, sondern vielmehr anhand von Brasilien literarisch in einem Roman namens Estrangeiro verarbeitete. Dies alles dokumentiert die vielschichtigen Verbindungen zwischen den beiden Ländern und dem jeweiligen deutschsprachigen Exil. Im Folgenden soll nun zunächst einmal Brasilien als Exilland im Allgemeinen vorgestellt werden. Anschließend werden die Entwicklung der Beziehung zwischen Brasilien und den USA sowie die mit dem Kriegseintritt einhergehenden Folgen für die Flüchtlinge, die nun als so genannte súditos do eixo, als Angehörige der Achsenmächte, und damit »Feindbürger« angesehen und behandelt wurden, aufgezeigt. Die Kurzbiographien (mit Schwerpunkt auf der im brasilianischen Exil verbrachten Zeit) von Ulrich Becher, Martha Brill, Otto Maria Carpeaux, Ernst Feder, Paul Frischauer, Alfredo Gartenberg, Richard Katz, Anatol Rosenfeld, Karin Schauff, Hugo Simon und Stefan Zweig6 sowie der Exkurs über den Einwandererroman Estrangeiro des in die USA geflohenen Schriftstellers Heinrich Eduard Jacob sollen die Schicksale einiger zu Unrecht vergessener Exilanten, die unterschiedlichen Werdegänge im deutschsprachigen Exil in Brasilien, das in den Werken der Exilanten gezeichnete Brasilienbild und nicht zuletzt die oben angedeuteten verschiedenen Berührungspunkte mit den USA und dem dortigen Exil näher veranschaulichen.
»Das Paradies ist überall verloren.« 7 — Das Exilland Brasilien Ebenso wie viele außereuropäische Länder mit Ausnahme der USA und Palästina rückte Brasilien erst relativ spät in das Blickfeld der Aufmerksamkeit der Flüchtlinge, als die europäischen Länder keinen Schutz mehr vor den Nationalsozialisten boten. Das Wissen über Lateinamerika war unter den verzweifelten mitteleuropäischen Flüchtlingen oftmals sehr gering, so dass Brasilien für die meisten nur deshalb zum
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Zufluchtsland wurde, weil es einfach das einzige Land war, für das sie ein Visum hatten erhalten können. Obschon man wenig über das Land und damit auch über das damals herrschende autoritäre, antikommunistische und nationalistische Regime des Diktators Getúlio Vargas wusste, wurde man mit einer seiner politischen Maßnahmen unweigerlich noch in Europa konfrontiert. Während der Bemühungen ein Visum für Brasilien zu erlangen, bekamen die Flüchtlinge, insbesondere die jüdischen, die Folgen der äußerst restriktiven Immigrationsbestimmungen zu spüren. Mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Flüchtlingen des Nationalsozialismus bildete das Land indessen keine Ausnahme. In der ersten unter dem Regime von Getúlio Vargas ausgearbeiteten Verfassung von 1934 wurde in Anbetracht der Ereignisse in Europa und der langsam anschwellenden Flüchtlingsströme die gesetzliche Unterscheidung zwischen Immigranten und Nicht-Immigranten festgeschrieben. Demgemäß stufte Brasilien, das kein Asylrecht kannte, die Flüchtlinge des Nationalsozialismus als Einwanderer ein. Ferner wurde nach argentinischem Vorbild die Möglichkeit der so genannten cartas de chamada, Rufbriefe, geschaffen, nach der bereits eingewanderte Personen ihre Angehörigen nachkommen lassen konnten. Die Immigrationsbestimmungen erfuhren in der im Zuge der Ausrufung des Estado Novo eingeführten Verfassung von 1937 eine weitere Restriktion. Unter dem Einfluss der in jenen Jahren immer stärker vom Regime vertretenen Nationalisierungspolitik wurde darin ein in Anlehnung an die amerikanischen Einwanderungsvorschriften konzipiertes Quotensystem erlassen. Auf diese Weise sollten eine Konzentration von Immigranten aus einem Land und die Einreise von politisch »subversiven Elementen« wie Kommunisten, die man häufig mit Juden gleichsetzte, verhindert werden. Hinsichtlich der Juden, die viele der führenden brasilianischen Politiker als minderwertige, schädliche und nicht in die Staatengemeinschaft integrierbare Personen ansahen, hatte das Außenministerium bereits fünf Monate vor der Ausrufung des Estado Novo, im Juni 1937, das von Getúlio Vargas autorisierte geheime Rundschreiben Nr. 1127 in Umlauf gebracht, das das Verbot der Visumsvergabe an Personen vorschrieb, die »von semitischer Herkunft« waren8. Der Grund für die Geheimhaltung dieses und der weiteren vorwiegend zur Regelung und Drosselung der Einwanderung von Juden verbreiteten Umlaufschreiben war die Furcht vor negativen Auswirkungen für Brasilien, vor allem in den USA. Aufgrund der Radikalität der Bestimmungen, die sogar auch amerikanisch- und britisch-jüdischen Geschäftsleuten und Touristen die Einreise versagten, ließ sich aber die Geheimhaltung nicht lange aufrechterhalten. Bewahrte das Vargas-Regime 1938 durch seine Teilnahme auf Konferenzen, wie der Flüchtlingskonferenz von Evian, nach außen hin das Bild einer an einer konstruktiven, menschenwürdigen Lösung für die Flüchtlinge interessierten Regierung, so stellte es nach innen zur selben Zeit die Weichen, um die legale Einwanderung von Juden möglichst zu unterbinden. So wurde bereits im Mai 1938 das Gesetzesdekret Nr. 406 erlassen. Darin wurde u.a. die Möglichkeit der cartas de chamada wieder aufgehoben und innerhalb des schon vorhandenen Quotensystems eine Vorzugsklausel für Agrarier eingeführt. 80% der für jedes Herkunftsland festgesetzten Quote, die 2% der zwischen 1883 und 1924 aus diesem Land Eingewanderten entsprach, waren ausschließlich für Landwirte vorgesehen. Die restlichen 20% verteilten sich auf Handwerker, Techniker und andere Berufe. Diese Vorzugsklausel wurde allerdings durch Falschangaben häufig umgangen.
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Nachdem sich die Radikalität des Umlaufschreibens Nr. 1127 wegen der Proteste und des Drucks der USA und Großbritanniens als unhaltbar erwiesen hatte, wurden mit dem Geheimzirkular Nr. 1249 vom 29. September 1938 einige Bestimmungen eingeführt, die die Visumsvergabe an Personen jüdischer Herkunft gestattete. Die Erteilung von temporären Visa an Bewerber jüdischer Abstammung war erlaubt, wenn es sich um Touristen oder Geschäftsleute handelte, was mit einem gültigen Rückreiseticket zu beweisen war. Das Privileg eines Permanentvisums wurde lediglich »Kapitalisten« zugestanden, die einen beträchtlichen Geldbetrag, dessen genaue Höhe in den folgenden Jahren mehrfach geändert wurde, nach Brasilien überweisen mussten. Ungeachtet ihrer jüdischen Herkunft sollten allerdings ebenfalls von der Regierung benötigte Techniker und Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler von internationalem Ruf eine Daueraufenthaltsgenehmigung erhalten. Es waren indes weniger jüdische Künstler als vielmehr jüdische Natur- und Geisteswissenschaftler, die in Brasilien eine akademische Aufgabe und auf diesem Weg eine Zuflucht fanden. Das Vargas-Regime nutzte das internationale Renommee der infolge der nationalsozialistischen »Rassenpolitik« arbeitslos gewordenen Wissenschaftler zum Aufbau und zur Steigerung des Ansehens der einheimischen Universitäten und Forschungsinstitute. Für diese Art von Umdenken war vor allem die zunehmend erfolgreiche politische Einflussnahme der USA verantwortlich. Um brasilianische Politiker zur Lockerung der Immigrationsregelungen bezüglich der Juden zu bewegen, zeigte man seitens der USA die Vorteile von bis dahin als rein negativ angesehenen, vermeintlichen, stereotypischen Eigenschaften der Juden auf. In diesem Sinne wurden begüterte Juden und deren Kapital weniger als Teil der internationalen Verschwörung, sondern vielmehr als großer Gewinn für die brasilianische Wirtschaft verstanden.9 Bereits Anfang 1939 wurden jedoch die Vorschriften des Zirkulars Nr. 1249 in einer Reihe von Umlaufschreiben wieder eingeschränkt. Wie stark das Denken der herrschenden Klasse Brasiliens jedoch von der antisemitisch geprägten »Rassenpolitik« der Nationalsozialisten beeinflusst war, veranschaulicht die gescheiterte Durchführung der Vergabe der 3.000 Visa für so genannte »nicht-arische Katholiken«. Auf Intervention von Papst Pius XII. hatte das VargasRegime 1939 nach zähen Verhandlungen 3.000 Visa für so genannte »nicht-arische Katholiken« bewilligt. Weil sie der Ansicht waren, dass die Ausübung des katholischen Glaubens nichts an der Tatsache ändere, dass die Juden immer als Juden zu betrachten seien, verzögerten und verweigerten die brasilianischen Diplomaten, vor allem in Berlin und in Hamburg, die Erteilung dieser Visa. Letztlich wurden nur 956 Visa ausgestellt, von denen lediglich 803 Personen Gebrauch machten und nach Brasilien einreisten.10 Ungeachtet des Scheiterns trug die Aktion dazu bei, »daß katholische und bürgerlich-konservative Kreise im brasilianischen Exil, besonders unter Österreichern, eine größere Rolle spielten als in anderen Ländern Südamerikas«.11 Doch während Brasilien einerseits in Geheimzirkularen die Einwanderungsmöglichkeit für jüdische Flüchtlinge sukzessiv beschränkte und sich der Zustimmung von antisemitisch gesinnten Diplomaten sicher sein konnte, blieben andererseits einige der brasilianischen Diplomaten von der Tragödie, deren Zeuge sie in den ausländischen Vertretungen in Europa wurden, nicht unberührt. Ihrer Menschlichkeit verdanken hunderte Flüchtlinge die lebensrettende Zuflucht in Brasilien. Luiz Martins de Souza Dantas, der damalige brasilianische Botschafter in Paris, der fast 500 Personen jüdischer Herkunft zu einem Visum verhalf, wobei er auch nicht davor zurückscheute, Diplomatenvisa zu erteilen, die den Flüchtlingen die Einreisebedingungen besonders erleichterten, und die als »Engel von Hamburg« bekannt gewordene Konsulatsange-
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stellte Aracy de Carvalho Guimarães Rosa wurden in Anerkennung für ihren Einsatz für die Flüchtlinge vom Staat Israel mit dem Titel »Gerechter unter den Völkern« ausgezeichnet. Ohne Rücksicht auf eigene Nachteile und ohne Gegenleistungen zu verlangen, stellte ferner der damalige Konsul in Marseille Murillo Martins de Souza den verzweifelten Flüchtlingen Visa aus. Dem Humanismus des brasilianischen Generalskonsuls in Genf und Repräsentanten beim Völkerbund Milton Cesar Weguelin de Vieira ist es schließlich zuzuschreiben, dass noch 1941 unter der Leitung von Hermann Görgen die Flucht einer Gruppe von 45 Personen, von denen 38 nach den Nürnberger Gesetzen, »Nicht-Arier« waren, darunter auch Ulrich Becher und seine Frau Dana, möglich wurde. Es war jedoch vor allem das Schlupfloch »Touristen- oder temporäres Visum« in der Einwanderungsgesetzgebung, mit dessen Hilfe die Flüchtlinge in Brasilien eine rettende Zuflucht fanden. Tatsächlich versuchten Unzählige ohne gültige Papiere in Brasilien von Bord zu gehen. Auch die Einreise über Argentinien, Uruguay oder Paraguay wurde als Weg gewählt. Immer wieder berichteten brasilianische Zeitungen von Menschenschmuggel über die Grenzen dieser Länder nach Südbrasilien. War man erst einmal als Tourist in das Land gelangt, bestand die Möglichkeit, obschon nur unter Schwierigkeiten, seinen Status legalisieren zu lassen und so die wichtige und stets an die Daueraufenthaltsgenehmigung gekoppelte Arbeitserlaubnis zu erhalten. Nachdem eine solche Legalisierung bis September 1939 verhältnismäßig problemlos gewesen war, wurde sie stark eingeschränkt. Viele Exilanten mussten ihren Status ungeklärt lassen und mit der Angst leben, dass es im schlimmsten Fall vielleicht zu einer Deportation nach Europa kommen könnte. Tatsächlich lieferte das VargasRegime Juden an das Dritte Reich aus, der berühmteste Fall ist der der deutschjüdischen Kommunistin Olga Benario, die 1942 in Bernburg umgebracht wurde. Erst am 24. Juli 1941 verabschiedete das Vargas-Regime den Erlass Nr. 4941, der den mit einem temporären Visum eingereisten Flüchtlingen eine widerrufliche Aufenthaltsund Arbeitserlaubnis für die Kriegsdauer zugestand. Zugleich hatte im Januar 1941 das Zirkular Nr. 1498 festgelegt, dass die Erteilung von temporären und permanenten Visa an Juden ausgesetzt wurde, und schließlich im April verfügt, die Vergabe von temporären Visa vollständig auszusetzen mit Ausnahme der Fälle, in denen dem Visumsinhaber eine Rückkehr in das Herkunftsland oder in das Land möglich war, in dem er das brasilianische Visum erhalten hatte. Das erklärte Ziel war, die Immigration nach Brasilien praktisch völlig zu unterbinden, da sich, nach Ansicht der brasilianischen Politiker, infolge der Kriegsereignisse allzu viele »Touristen« in Einwanderer verwandelt hatten. Im Gegensatz zu den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten, in denen das deutschsprachige Exil im Allgemeinen in den jeweiligen Hauptstädten konzentriert war, verteilte sich die große Mehrheit der Flüchtlinge in Brasilien auf die drei Metropolen Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre sowie landwirtschaftliche Siedlungen in den südlichen Bundesstaaten, so dass es kein wirkliches Zentrum des deutschsprachigen Exils in Brasilien gab. Die jüdischen Exilanten machten die Erfahrung, dass sich das Vargas-Regime ungeachtet der antisemitisch geprägten Einwanderungsgesetzgebung ihnen gegenüber liberal verhielt, sobald sie sich in Brasilien niedergelassen hatten. Es wurde zwischen den im Ausland lebenden Juden, die man als Flüchtlinge, Kommunisten und daher unerwünschte Immigranten ansah, und in Brasilien wohnhaften Juden unterschieden. Die Brasilianer zeigten sich den jüdischen Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossen und hilfsbereit. Der während des Estado Novo in den politischen Kreisen vertretene
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Antisemitismus hatte demzufolge im Alltag keine Auswirkung auf das soziokulturelle Zusammenleben der brasilianischen Gesellschaft. Während die deutsch-jüdischen Flüchtlinge innerhalb dieser Einwanderungsgesellschaft nur eine weitere Gruppe darstellten, bildeten sie indes innerhalb der jüdischen Gemeinde des Landes, die bis dahin hinsichtlich der Aschkenasim, bis auf vereinzelte Ausnahmen, ausschließlich aus Ostjuden bestand, eine Besonderheit, weil Brasilien anders als die USA im 19. Jahrhundert keine deutsch-jüdische Immigration erfahren hatte. Mit den Flüchtlingen des Nationalsozialismus kam somit auch der Konflikt zwischen West- und Ostjuden nach Brasilien, und es begann ein Kampf um die Führerschaft der jüdischen Gemeinschaft des Landes. So gründeten die deutschen Juden, die hinsichtlich der gottesdienstlichen Riten und anderer wesentlicher religiöser Fragen mit den Ostjuden nicht übereinstimmten, bald eigene Kultusgemeinden. Diese spielten für das Einleben der Flüchtlinge eine unerlässliche Rolle, zumal sie zum Teil aus den infolge der immer größer werdenden Flüchtlingswelle aus Europa entstandenen Hilfsorganisationen hervorgingen, wie der bereits 1933 ins Leben gerufenen Commissão de Assistência aos Refugiados Israelitas da Alemanha (CARIA). Unter dem Dach der 1936 in São Paulo gegründeten Congregação Israelita Paulista (CIP) entstand ein umfangreiches Netz sozialer Infrastruktur, das alle Bereiche abdeckte, mit einer Frauen-, Berufs-, Wirtschafts- und Rechtsberatung. Neben wichtigen sozialen Funktionen verloren die CIP-Gründer die eigentliche Bestimmung der Gemeinde nicht aus den Augen: die Organisation von Gottesdiensten und die Weitergabe der jüdischen Tradition und zugleich der brasilianischen Werte an Erwachsene und vor allem an die Jugend. Nicht wenige Exilanten pflegten zu Beginn privat ausschließlich mit anderen Mitgliedern der CIP Kontakt und fanden dort ihren neuen Freundeskreis. Während die CIP zum einen die Eingliederung der Flüchtlinge in die brasilianische Gesellschaft förderte, setzte sie sich zum anderen zugleich von ihren ostjüdischen Glaubensbrüdern ab. Ein ähnlich problematisches Verhältnis zwischen West- und Ostjuden war in Rio de Janeiro zu beobachten. Dort wurde aber erst spät, nämlich 1942, eine eigene Gemeinde seitens der Flüchtlinge ins Leben gerufen, die Associação Religiosa Israelita (ARI). Anders hingegen stellte sich die Situation bezüglich der bereits 1936 gegründeten Sociedade Israelita Brasileira de Cultura e Beneficência (SIBRA) in Porto Alegre dar, weil es in Rio Grande do Sul weniger Juden und neben Katholiken mehr Protestanten gab und daher unter den jüdischen Gemeinden die Bereitschaft zur Zusammenarbeit größer war. Unter den westjüdischen, von den Flüchtlingen gegründeten Gemeinden in Lateinamerika stellten die brasilianischen aufgrund ihrer frühen Ausrichtung auf die Landessprache, das Portugiesische, als Verkehrs- und Gottesdienstsprache eine Ausnahme dar. Diese schnelle Assimilierung wurde ihnen zwar infolge des Verbots der deutschen Sprache im öffentlichen Gebrauch und als Gottesdienst- und Publikationssprache im Rahmen der Nationalisierungskampagne des Vargas-Regimes aufgezwungen, die im Wesentlichen darauf abzielte, die nationalen Minderheiten, wie die großen italienischen, deutschen oder japanischen Einwanderergemeinschaften, in die brasilianische Nation zu »integrieren« und die portugiesische Sprache ebenfalls in deren Gemeinden zu verankern. Aber der einmal begonnene Prozess konnte nach dem Krieg nicht wieder rückgängig gemacht werden, zumal er den Ansprüchen der brasilianischen Realität und der sich verändernden Mitgliederstruktur besser gerecht wurde. Trotz dieses Zugeständnisses an die portugiesische Sprache und der Einsetzung eines gebürtigen Brasilianers als Leiter, wie es die brasilianischen Bestimmungen vorschrie-
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ben, nahmen die Gemeinden keinen Abstand von ihrer deutsch-jüdischen Identität und konnten sich selbst nach dem Kriegseintritt offen dazu bekennen, ohne schlimme Folgen befürchten zu müssen. Bis heute haben sie sich ihren mitteleuropäischen Ursprung bewahrt und gehören zu den größten jüdischen Gemeinden der jeweiligen Städte, die CIP sogar zu den größten von ganz Lateinamerika, und besitzen einen maßgeblichen und richtungsweisenden Einfluss auf das liberale Judentum Brasiliens und des gesamten Kontinents. Im Unterschied zu den anderen lateinamerikanischen Ländern, in denen die Existenz von politischen Exilorganisationen erlaubt war und diese verhältnismäßig frei agieren konnten, waren in Brasilien seit Februar 1938 den Ausländern die politische Betätigung, die Bildung von Vereinigungen und öffentliche Stellungnahmen zur internationalen Situation untersagt. Gleichwohl gab es im brasilianischen Exil politische Aktivitäten, wenn auch sämtliche in Brasilien vorhandenen Exilorganisationen keine amtlich registrierten Vereine, sondern informelle Gruppierungen waren. Die größeren antifaschistischen Gruppierungen wagten es erst Ende 1941 im Zuge der sich abzeichnenden außenpolitischen Kehrtwende des Vargas-Regimes hin zu den Alliierten, stärker an die Öffentlichkeit zu treten und um Anerkennung seitens der Regierung zu ersuchen. Trotz des offenen Bekenntnisses zur Loyalität zu Brasilien und der Unterstützung der Landesverteidigung gelang es den deutschen Gruppen, die in Verbindung mit der Bewegung Freies Deutschland in Mexiko und dem Anderen Deutschland in Argentinien standen, nicht, öffentlich anerkannt zu werden. Dahingegen wurde zumindest das Comitê da Proteção dos Interesses Austríacos unter den rivalisierenden österreichischen Organisationen Ende 1943 von der brasilianischen Regierung als legale österreichische Interessenvertretung toleriert. Kennzeichnend für das brasilianische Exil aber bleibt die relative Bedeutungs- und Einflusslosigkeit der politischen Gruppierungen, die kaum über den Mitgliederkreis hinausgingen. Die Nationalisierungskampagne wirkte sich nicht nur auf die deutsch-jüdischen Gemeinden aus, sondern auch auf die gesellschaftliche Integration der Flüchtlinge, weil die wirtschaftliche Konsolidierung dadurch erschwert wurde. Bereits 1931 hatte das Vargas-Regime mit dem »Gesetz der 2/3«, das vorschrieb, dass mindestens 2/3 einer Belegschaft aus gebürtigen Brasilianern zu bestehen habe, die Weichen für die »Nationalisierung« der Wirtschaft des Landes gestellt. Überdies blieb die Ausübung einiger freier Berufe wie z.B. Journalismus ausschließlich Brasilianern vorbehalten. Dennoch glückte manchem der exilierten namhaften Publizisten, meist jedoch nur dank Empfehlungsschreiben einflussreicher brasilianischer Persönlichkeiten, der Zugang zur einheimischen Presse. Ernst Feder, Frank Arnau, Wolfgang HoffmannHarnisch, Richard Lewinsohn oder Rudolf Aladar Metall arbeiteten als Feuilletonisten, Kolumnisten, Literaturkritiker, Wirtschafts- oder Rechtsjournalisten. Zwei der Flüchtlinge, Otto Maria Carpeaux und Anatol Rosenfeld, avancierten im brasilianischen Exil mit ihren publizistischen Werken zu Vermittlern der mitteleuropäischen, vor allem deutschen, Kultur und prägten damit Generationen von brasilianischen Intellektuellen und Künstlern. Für andere Berufe wie z.B. Ärzte war es nötig, eine Prüfung zur Anerkennung des europäischen Studienabschlusses zu absolvieren, was jedoch kaum einem gelang. Da viele der Flüchtlinge aus dem Bildungsbürgertum stammten und deshalb gerade in den betroffenen Sparten arbeiteten, gestaltete sich der Neuanfang schwierig. Etwas aussichtsreicher war die Situation für Handwerker und Techniker, da Facharbeiter gesucht wurden, sowie für diejenigen, die über etwas Startkapital zur Gründung eines
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Unternehmens verfügten. Gerade São Paulo mit seiner aufstrebenden Industrie zog die Mehrheit dieser Flüchtlinge an. Wie in vielen anderen Exilländern waren es auch in Brasilien häufig die Frauen, die den Lebensunterhalt für die Familie verdienten, weil sie leichter als ihre Männer eine Anstellung fanden. Dennoch wurden Frauen in Brasilien, im Vergleich zu Frankreich, England oder den USA, vor besonders große Herausforderungen gestellt. Aufgrund der patriarchalischen Strukturen sahen sich die Frauen mit anderen gesellschaftlichen Sitten konfrontiert, die sie in ihrer Handlungs- und Bewegungsfreiheit einschränkten. Die außerhäusliche Berufstätigkeit der brasilianischen Frauen begann sich im Zuge der Industrialisierung und Modernisierung des Landes in jenen Jahren gerade erst zu etablieren. Die Frauen hatten sich noch nicht den öffentlichen Raum erobert; sie unterstanden im Gegenteil der strengen, bevormundenden Kontrolle ihrer Väter bzw. Ehemänner, denen sie zu gehorchen hatten. Die teilweise akademisch ausgebildeten und vor ihrer Flucht berufstätigen Frauen, die die Eigenständigkeit in der Partner- und Berufswahl sowie die Bewegungsfreiheit in der Öffentlichkeit als selbstverständlich empfanden und sich als gleichberechtigt ansahen, konnten sich anfangs nur schwer mit dem ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Platz abfinden. Einige Exilanten wagten in Brasilien einen außergewöhnlichen Neuanfang. Oftmals bar jeglicher landwirtschaftlicher Erfahrungen erwarben Juristen, Ärzte und Wissenschaftler, darunter auch Reichtagsabgeordnete wie der frühere Vizekanzler und Reichsinnen- und -justizminister Erich Koch-Weser und der seinerzeit jüngste Reichstagabgeordnete der Zentrumspartei Johannes Schauff ein Stück Land in einer der landwirtschaftlichen Siedlungen im Hinterland der drei südlichen Bundesstaaten Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul. Die größte dieser Kolonien war Rolândia, das eine Besonderheit des brasilianischen Exils darstellt, weil es sich im Gegensatz zu derartigen Projekten in anderen lateinamerikanischen Ländern, die aus unterschiedlichen Gründen scheiterten, als sehr erfolgreich erwies.12 Es ist unerlässlich, auf die wichtige Rolle der Siedlung Rolândia für das gesamte deutschsprachige Exil in Brasilien hinzuweisen. Denn viele der Flüchtlinge, die sich in den Städten Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre niedergelassen hatten, standen auf irgendeine Weise mit Rolândia in Verbindung, sei es, weil sie selbst dort zunächst versucht hatten, sich eine Existenz aufzubauen und gescheitert waren; sei es, weil sie zu längeren Aufenthalten dort waren oder sei es, weil sie dort unter den Exilanten Freunde oder Verwandte besaßen. Wiewohl es also in Brasilien infolge der schon erwähnten räumlichen Verteilung der Flüchtlinge über das Land kein Exilzentrum gab, so stellte jedoch Rolândia eine Art verbindende Kraft und gemeinsame Erfahrung innerhalb des deutschsprachigen Exils in Brasilien dar.
Allianz mit dem »guten Nachbarn« — Die alliierte Partnerschaft von Brasilien und den USA im Kampf gegen den Nationalsozialismus Bis 1941 gelang es dem Vargas-Regime, die »Neutralität« zwischen den beiden Krieg führenden Lagern aufrechtzuerhalten. In Anbetracht der fortschreitenden Erfolge der Nationalsozialisten in Europa allerdings bemühten sich die USA mithilfe der Good Neighbor Policy ihre Einflusssphäre auf dem amerikanischen Kontinent zu vergrößern, um einen nationalsozialistischen Sieg in dieser Hemisphäre zu vereiteln. Brasilien wiederum erkannte, dass im Gegenzug für seine Allianzbereitschaft eine teure Vergütung zu erzielen war.
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Die US-Amerikaner begriffen, dass ihnen die Förderung der brasilianischen Wirtschaft hierbei zum Vorteil gereichen würde. Die Finanzierung der Eisen- und Stahlwerke in Volta Redonda erwies sich 1941 als ein erster wichtiger Schritt in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, dem in den nächsten Monaten und Jahren u.a. ein Abkommen über den Export von Rohstoffen und Pflanzenprodukten, gemeinsame Beteiligung an der Companhia Vale do Rio Doce und Verträge zur Förderung der Kautschukgewinnung folgten. Der wirtschaftliche und industrielle Fortschritt in Brasilien jener Jahre beruhte demzufolge vor allem auf US-amerikanischen Krediten und Investitionen. Die Allianz zwischen den »guten Nachbarn« stellte daher für Brasiliens Wirtschaft eine wegweisende Entscheidung dar, deren Auswirkungen noch heute sichtbar sind. Neben der Kooperation auf wirtschaftlicher Ebene wurde auch auf dem militärischen Gebiet die Zusammenarbeit vorangetrieben. Im Sommer und Herbst 1941 wurden einige Abkommen geschlossen, in denen sich Brasilien zur Verteidigung beider Amerikas, zum Bau militärischer Stützpunkte im Nordosten des Landes, zur Erlaubnis von deren Nutzung durch US-Truppen, zur Überfluggenehmigung, damit die USA die Truppenvorsorgung in Europa via Afrika gewährleisten konnten, und zur Organisation der Küstenverteidigung verpflichtete. Im Gegenzug versprachen die USA, Brasilien bei der Verteidigung des Landes mit seinen Truppen zu unterstützen, und lieferten gemäß dem Lend-Lease Act Kriegsmaterial im Wert von 100 Millionen Dollar.13 Es waren aber erst die sich überstürzenden Kriegsereignisse, vor allem der Überfall auf Pearl Harbor, die Brasilien keinen Spielraum mehr ließen und unter Druck setzten, sich zur panamerikanischen Solidarität zu bekennen. Die dritte panamerikanische Außenministerkonferenz im Januar 1942, die bezeichnenderweise in Rio de Janeiro stattfand, besiegelte mit Brasiliens Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den Achsenmächten die Abkehr vom Dritten Reich. Mit dem Kriegseintritt im August 1942 fand Brasilien endgültig seinen Platz in den Reihen der Alliierten. Dazu hatte sich Brasilien nach der Torpedierung etlicher brasilianischer Schiffe durch deutsche U-Boote vor der heimischen Küste und der darauf folgenden Empörung seitens der Zivilbevölkerung, die sich in Kundgebungen und Angriffen gegen Sympathisanten der Achsenmächte äußerte, genötigt gesehen. Ab 1944 nahm es überdies mit einer mehr als 25.000 Mann starken Truppe aktiv am Kriegsgeschehen teil. Im Anschluss an ihre Ausbildung in den USA wurden die brasilianischen Soldaten in Italien eingesetzt, wobei mehr als 450 im Kampf fielen. Mit Brasilien als Verbündeten an seiner Seite sahen sich die USA im Zugzwang, die Zusammenarbeit mit einer Diktatur den übrigen demokratischen Partnern gegenüber rechtfertigen zu müssen. Doch im Kampf gegen die faschistischen Systeme der Achsenmächte war man zur Wahrung der panamerikanischen Solidarität bereit, die Verbündung mit einer Diktatur in Kauf zu nehmen und diese mit Unterstützung von kulturpolitischen Projekten zu legitimieren. Während auf brasilianischer Seite die Propaganda-Abteilung und das Bildungs- und Gesundheitsministerium für die Ausarbeitung und Umsetzung dieser Projekte verantwortlich waren, wurde auf USamerikanischer Seite das bereits 1940 gegründete Office of Inter-American Affairs (OIAA) unter Leitung des Milliardärs Nelson Rockefeller mit dieser Aufgabe betraut. In den USA galt es der Bevölkerung den Bündnispartner Brasilien näher vorzustellen. Zur Unterstützung eines positiven Images von Getúlio Vargas und seinem Regime als einem auf Demokratie beruhenden wurden hierfür auch Arbeiten wie Paul Frischauers Auftragsbiographie herangezogen.
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In Brasilien hingegen gestaltete sich die Sache komplexer. Hier wurden die kulturpolitischen Projekte nicht nur durch wirtschaftliche und Gesundheitskampagnen ergänzt. Es sollten die US-amerikanischen Werte, vor allem die demokratischen, vermittelt werden. Kommerz- und Lehrfilme, Radioprogramme, Presseorgane und Propagandamaterialien waren dabei von großer Bedeutung. Ferner besaß Hollywoods Filmbranche eine Schlüsselrolle als »Kulturvermittler«, insbesondere die Walt Disney Produktionen Saludos Amigos und The Three Caballeros mit der Figur des Papageis Zé Carioca als Personifizierung und Repräsentant Brasiliens und der Brasilianer. Als Folge des Kriegseintritts von Brasilien auf der Seite der Alliierten und der damit einhergehenden aktiven Teilnahme mit einem eigenen Heeresverband vollzog sich eine entscheidende Wendung bezüglich der gesellschaftlichen Stellung der Frauen. Einerseits wurden Frauen aufgerufen, sich als Krankenschwestern zu melden, um den Krieg zu einer Erfahrung aller Brasilianer zu machen, an der die Frauen gleichermaßen partizipierten. Noch bedeutsamer war indes die Stationierung amerikanerischer Truppen im Land. Mit ihnen kam ebenfalls der American Way of Life ins Land, der bald auf die Brasilianer abzufärben begann. Die Amerikanerinnen machten nicht nur ihre Einkäufe unbegleitet, sie gingen sogar allein ins Kino oder ruhten sich bei einer Portion Speiseeis an einem Kaffeehaustischchen aus, als einzige Eskorte ein Beutel voll Pakete, die sie später noch höchst eigenhändig nach Hause trugen. […] Das alles hemmende »Papai não deixa« (Papa erlaubt es nicht), das Leitmotiv töchterlichen Daseins, wurde immer seltener hörbar. Ja, sogar an Regentagen füllten die Klassenzimmer sich wie gewöhnlich, während früher die Töchter der Elite fein zu Hause blieben, denn Regen gehörte zu den Dingen, die für die Gesundheit einer jungen Dame gefährlich waren. So kam es, dass »faz mal« (das ist ungesund) bald ebenso unmodern wurde wie »Papai não deixa«.14
Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den Achsenmächten und die Kriegserklärung an Deutschland und Italien wurden von einer Reihe von Sonderbestimmungen gegenüber den Angehörigen der Achsenmächte begleitet. Deutsche, Italiener und Japaner galten nunmehr als »Feindbürger« und standen unter dem Verdacht, eine »Fünfte Kolonne« zu bilden.15 »Was vorher als Brasilianisierung propagiert worden war, nahm nun unter antifaschistischen Vorzeichen den Charakter eines Volkstumskampfes an.«16 Nachdem der Aufbau einer neuen Existenz bereits durch die Naturalisierungskampagne des Vargas-Regimes sehr verkompliziert wurde, erschwerte sich die Situation der Flüchtlinge nochmals. Denn die Exilanten wurden von brasilianischer Seite von den Sonderregelungen für die Angehörigen der Achsenmächte nicht ausgenommen und dies, obwohl sie vom Hitler-Regime ausgebürgert worden waren und sie eigentlich formell als staatenlos zu gelten hatten. Auch die Bezeugung der Solidarität mit dem brasilianischen Volk und die Bereitschaft, an der Landesverteidigung mitzuwirken, seitens der CIP und der SIBRA konnten gegen die Gleichsetzung mit den Angehörigen der Achsenmächte genauso wenig etwas ausrichten wie die Identitätsausweise, die die Gemeinden ihren Mitgliedern zum Beweis ihrer Verfolgung durch die Nationalsozialisten zur Verfügung stellten. Mehr Erfolg hatten einige der politischen Gruppierungen, die sich für die politische Integrität ihrer Mitglieder gegenüber den Behörden verbürgten, wie der eigens zu diesem Zweck im August 1942 gegründete Movimento dos Alemães Antinazis. Die Flüchtlinge hatten zwar durchaus Verständnis für Brasiliens schwierige Situation, adäquate Definitionen zu formulieren und anzuwenden. Die Sonderbestimmungen aber stellten eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Alltags dar. Die Konfiszie-
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rung oder zumindest behördliche Anmeldung von zur »Spionage« verwendbaren Apparaten wie Radios und Fotokameras wurde angeordnet. Ebenso wurde die Bewegungsfreiheit der Angehörigen der Achsenmächte eingeschränkt. Für das Verlassen der Stadt, in der man ansässig war, musste man jetzt einen Passierschein einholen. Außer dieser Auflage war es hauptsächlich das Verbot, die Sprache der Achsenmächte in der Öffentlichkeit zu benutzen, das vor allem den älteren Exilanten das tägliche Leben erschwerte, vor allem weil Denunziationen in diesem Zusammenhang keine Seltenheit waren. Nicht wenige wurden wegen dieses Vergehens von der Polizei verhaftet, in den meisten Fällen allerdings nach kurzer Zeit wieder freigelassen, wobei sich die deutsch-jüdischen Gemeinden für ihre Mitglieder einsetzten. In Recife, das wegen der dortigen amerikanischen Flottenbasis als Festungsgebiet galt, wurden ferner alle deutschen und deutschstämmigen Männer, ob nun nationalsozialistisch oder demokratisch gesinnt, in den ersten Kriegswochen festgesetzt. Später wurden Internierungslager im ganzen Land, so z.B. auf der Insel Ilha Grande vor Rio de Janeiro, eingerichtet, in denen die gefangen genommenen Flüchtlinge den einstigen Gegnern, den Nationalsozialisten und ihren Sympathisanten, erneut begegneten. Des Weiteren kam es vor, dass sich deutsche Juden wöchentlich bei der Polizei melden mussten. Die verstärkte Überwachung durch die Politische Polizei und Denunziationen wegen angeblicher Nazi-Spionage, die meist eine Hausdurchsuchung und die Beschlagnahmung von »verdächtigen« Materialien und Objekten nach sich zog, waren ebenfalls keine Seltenheit. Außer dem Verlust der Gegenstände gab es dabei im Allgemeinen aber keine weiteren unangenehmen Konsequenzen. Zwar förderte diese Atmosphäre der Verfolgung und Bedrohung den Zusammenhalt unter den Exilanten noch stärker. Doch erzeugte sie ebenfalls ein tiefes Gefühl der Verunsicherung und Angst. Die sich ohnehin schon in einer prekären finanziellen Lage befindlichen Flüchtlinge traf das »Entschädigungsgesetz« vom März 1942, das den Angehörigen der Achsenmächte die Haftung für die von den Achsenmächten an brasilianischem Eigentum angerichteten Schäden mit 10 bis 30% ihres Bankvermögens aufbürdete, besonders schwer. Manche mühsam aufgebaute Existenz stand in Gefahr. Darüber hinaus waren die Flüchtlinge als vermeintliche Angehörige der Achsenmächte in beruflicher Hinsicht insofern Diskriminierungen ausgesetzt, als fristlose Entlassung oder erhebliche Probleme bei der Findung einer Anstellung nichts Außergewöhnliches waren. Stellvertretend für viele andere Exilanten, die sich in ähnlicher Weise äußerten, kommentierte der bekannte jüdische Chirurg Paul Rosenstein diese kritische Zeit mit den Worten: »Während des Krieges war es keine Lust, als Deutscher in Brasilien zu leben.«17 Wie diese Ausführungen veranschaulichen, bildete Brasilien in vielerlei Hinsicht ein besonderes Exilland in Lateinamerika. Einerseits gehörte es wegen der europäischen Masseneinwanderung, die bis 1934 dorthin stattgefunden hatte, und der starken Ausrichtung nach Europa neben Argentinien und Chile zu den so genannten begehrten ABC-Ländern, wie sie u.a. der nach Bolivien geflohene und in die USA gekommene Egon Schwarz nannte.18 Nicht wenige Flüchtlinge, die lediglich ein Visum für ein anderes lateinamerikanisches Land hatten erhalten können, versuchten von dem jeweiligen Land aus noch nach Brasilien zu gelangen. Andererseits aber war Brasilien durchaus kein »leichtes« Exilland im Vergleich zu anderen. Die Maßnahmen im Rahmen der Nationalisierungskampagne und die Sonderbestimmungen für die Angehörigen der Achsenmächte erschwerten den Flüchtlingen den ohnehin keineswegs einfachen Neuanfang zusätzlich. Manche von ihnen versuchten deshalb, das in den Augen anderer Lateinamerika-Exilanten attraktiv erscheinende Land schnellstmöglich zu
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verlassen, und gingen in die USA oder nach dem Krieg nach Europa zurück. Brasilien war als Exilland daher sowohl durch eine nachträgliche Zu- als auch Abwanderung gekennzeichnet. Es gilt jedoch zu betonen, dass die meisten der Flüchtlinge in Brasilien dank seiner starken gesellschaftlichen Assimilationswirkung dort ein dauerhaftes Heim gefunden haben. Das stark von französischer Kultur geprägte Brasilien und nicht zuletzt das Verbot der deutschen Sprache zwang die dorthin geflohenen Schriftsteller und Publizisten, sich Portugiesisch anzueignen. Das Erlernen der bis dahin meist völlig unbekannten Sprache war für viele wie für den später äußerst erfolgreichen Literaturkritiker Otto Maria Carpeaux »eine der härtesten Prüfungen meines Lebens. Aber sie hat sich gelohnt: Denn sie öffnete mir schließlich die Türen zum brasilianischen Leben.«19 Diejenigen, für die das »brasilianische Leben« eine erfolgreiche Fortsetzung der publizistischen Tätigkeit bedeutete, »konnten ihre ›germanische‹ Erziehung und Bildung mit der ›romanischen‹ Welt gleichschalten, nutzbringend für beide Teile verwerten und ein wertvoller Bestandteil in dem immer in Bewegung befindlichen Kulturaustausch werden«.20 Aber nicht allen Schriftstellern und Publizisten gelang es, im Zufluchtsland ihren früheren Beruf wieder aufzunehmen. Das Schreiben in deutscher Sprache gaben viele indes nicht auf. Dabei waren sie sich allerdings bewusst, dass eine Veröffentlichung während des Krieges nicht zu realisieren sein würde oder sahen wie Richard Katz trotz des Angebotes seines Schweizer Verlages davon ab. Es galt jedoch, die Fluchtund Exilerfahrungen und den schwierigen Neuanfang literarisch zu verarbeiten oder in Tagebüchern zu dokumentieren. Diese Art des Zugangs zu Brasilien ebnete ihnen den Weg zu einem zweiten Zuhause oder wie Richard Katz es ausdrückte: »Das Schicksal wollte mir wohl: ich suchte eine Zuflucht, und ich fand eine Heimat […].«21
ULRICH BECH ER – expressionistisch geprägter Schriftsteller und Darsteller eines widersprüchlichen Brasiliens Im Fall des am 2. Januar 1910 in Berlin geborenen Schriftstellers Ulrich Becher, wie auch hinsichtlich Stefan Zweig und Heinrich Eduard Jacob, zu denen im Rahmen der vorliegenden Publikationsreihe bereits gesonderte Artikel vorliegen,22 kann es in diesem Beitrag zum deutschsprachigen Exil in Brasilien nicht darum gehen, noch einmal die vollständige Biographie der drei Autoren nachzuzeichnen. Es sollen lediglich die Exilzeit von Ulrich Becher und seiner Frau Dana Roda-Becher, der Tochter von Alexander Roda Roda, in Brasilien eingehender betrachtet und die Spuren, die diese in Bechers Werk hinterlassen hat, aufgezeigt werden. Nachdem die Schweizer Fremdenpolizei das Ehepaar Becher 1940 wissen ließ, dass es seiner »Pflicht zur Weiterreise« nachzukommen habe und Ulrich Becher schließlich die Mitteilung erhielt, dass er das Land bis zum 30. November zu verlassen habe23, bemühten sich Becher und seine Frau die nötigen Visa zu erlangen. Ihre Anstrengungen richteten sich in erster Linie auf die USA, wo Alexander Roda Roda mit seiner Frau im November 1940 vor den Nationalsozialisten Zuflucht fand. Da man sich aber bewusst war, dass es fast aussichtslos war, auf ein Visum für die USA zu hoffen, nahm man zugleich mithilfe von Ulrich Bechers Vater, dem vermögenden Rechtsanwalt Richard Becher, Kontakt, zu Hermann Görgen auf. Dieser versuchte gerade, Einreisevisa sowie Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen für eine Gruppe von Flüchtlingen — letztlich wurden es 45 Personen, von denen 38 nach den Nürn-
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berger Gesetzen, »Nicht-Arier« waren — für Brasilien zu bekommen. Damit die Gruppenmitglieder die notwendigen Dokumente der brasilianischen Behörden erhielten, musste das Vorhaben einer Firmengründung, der Firma Industrias Técnicas Ltda., als Vorwand dienen.24 Görgen nahm das Ehepaar Becher und deren Freundin, die Romanistin Susanne Bach, die sich nach dem Krieg als erste der Untersuchung des deutschsprachigen Exils in Brasilien widmen sollte, in die so genannte »Gruppe Görgen« auf. Das Ehepaar nahm diese Möglichkeit, Europa zu verlassen, wahr, da es nur Ulrich Becher geglückt war, ein Visum für die USA zu bekommen. Mit Pässen der tschechischen Exilregierung kam die »Gruppe Görgen« im Mai 1941 in Rio de Janeiro an. Ulrich Bechers Eltern folgten ihrem Sohn nach Brasilien ins Exil. Gemäß den Vereinbarungen mit den brasilianischen Behörden ging die Gruppe zunächst geschlossen nach Juiz da Fora, einer Stadt im Hinterland des Staates Minas Gerais, wo die Firma gegründet werden sollte. Den ersten Eindruck schilderte Dana Roda-Becher ihren Eltern: Juiz ist das lausigste Städtchen, das man sich in seinen Alpträumen vorstellen kann, hinterste Provinz, schäbig und öd, aber für Görgen und seine Industrie sicher sehr geeignet und das ist die Hauptsache. Und schließlich für die meisten, die aus dem Lager kommen, immer noch schön. Bloß ist es eine deutsche Gründung, und es gibt noch dazu genug Nazis. Also nicht einmal die ist man los.25
Sehr bald aber löste sich die Gruppe auf, und jeder suchte sich seinen eigenen Weg, um ein neues Leben im fremden Exilland zu beginnen. Becher und seine Frau zogen nach Rio de Janeiro, der damaligen Hauptstadt des Landes, wo man sich bessere Betätigungsmöglichkeiten für die schriftstellerische Arbeit erhoffte. Tatsächlich jedoch war es aufgrund des Verbotes der deutschen Sprache für Becher nicht möglich, sich damit eine neue Existenz aufzubauen, so dass die beiden während des Aufenthaltes in Brasilien sowohl von seinen als auch von ihren Eltern finanziell unterstützt wurden. Wiederholt wies Dana Roda-Becher ihre Eltern in den Briefen darauf hin, dass Empfehlungen des in Brasilien so hoch geachteten und einflussreichen Stefan Zweig, der sich zu diesem Zeitpunkt (Januar-August 1941) in den USA aufhielt, sehr hilfreich und wichtig wären. Von Anfang an ließ sie keinen Zweifel daran, dass ihr sehnlichster Wunsch die Wiedervereinigung der Familie in New York wäre und dass sie sich auch in Brasilien um ein Visum für die Staaten bemühen würden. Die Gefühle, mit dem die beiden dem Zufluchtsland begegneten, waren dementsprechend zwiespältig. Wir hatten das Gefühl, wir kommen da nie raus. […] Einerseits ist es so gewesen, daß Uli manchmal […] gesagt hat: »Ich kann das nicht aushalten, […] ich will hier nicht sein«, dann hat er sich so sehr dran gewöhnt, daß er […] für einen Brasilianer gehalten wurde.26
Bis Ende 1943 wohnten die beiden in Rio und in den heißen Sommermonaten in der Nähe von Teresópolis, einem in den Bergen von Rio gelegenen Städtchen, bevor sie nach São Paulo zogen. Dort konnte Becher durch Vermittlung von Herbert Baldus, dem Direktor des Museu Paulista, einige Artikel im Estado de São Paulo, einer der wichtigsten Zeitungen des Landes, veröffentlichen. Ferner publizierte er einige Gedichte und Artikel in den antifaschistischen Zeitschriften Das andere Deutschland in Buenos Aires und Freies Deutschland in Mexiko City. Als einziges Werk erschien in Rio 1943 seine Moritat Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde als erster Band der
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gemeinsam mit dem ebenfalls exilierten Theaterregisseur Willy Keller gegründeten Notbücherei deutscher Antifaschisten, was aufgrund des damals in Brasilien herrschenden Verbots der Publikation von Werken in deutscher Sprache eine große Herausforderung für die Beteiligten und eine Besonderheit darstellte. Das Ehepaar hatte nicht nur Kontakt zu einigen Mitgliedern der »Gruppe Görgen« und anderen deutschen und österreichischen Flüchtlingen, u.a. zu dem Maler Axl von Leskoschek, dem Theaterregisseur Karl Lustig von Prean, dem Journalisten Otto Maria Carpeaux, dem Reiseschriftsteller Richard Katz und dem Publizisten Ernst Feder, sondern auch zu exilierten Spaniern wie dem Schriftsteller Rafael Alberti. Als Brasilien 1942 in den Krieg eintrat und sich damit endgültig den Alliierten anschloss und sich infolge der Versenkung brasilianischer Schiffe durch deutsche UBoote eine starke antideutsche Stimmung im Land Luft machte, kommentierte dies Dana Roda-Becher nicht ohne Genugtuung in den Briefen an ihre Eltern, wenngleich sich die Beschränkungen für die Angehörigen der Achsenmächte auch auf ihren Alltag im brasilianischen Exil auswirkten: [D]ie Scheiben aller deutschen Läden wurden eingeschlagen — das ist fein. Ich wär gerne dabei gewesen. Es soll ziemlicher Tumult gewesen sein. […] Es herrscht eine große Wut gegen die Deutschen u. man darf kein Wort auf der Straße reden. Mich freuts. […] Es ist eine sehr böse Stimmung hier, die natürlich restlos meinen Segen hat, aber wie willst Du es den Leuten sagen, dass Du mit ihnen fühlst? Die meisten Emigranten sitzen auf der Straße, d.h. das ist falsch, dahin trauen sie sich nicht mehr.27
Obschon man die politische Entwicklung hin zu den Alliierten befürwortete, so war man doch überglücklich, als es schließlich Alexander Roda Roda 1944 in New York gelungen war, die nötigen Visa für die Tochter und den Schwiegersohn zu erlangen, und die beiden Brasilien verlassen konnten. Gleichwohl sollten die drei Jahre des brasilianischen Exils nachhaltige Spuren im literarischen Werk von Ulrich Becher hinterlassen. »Obwohl er die Unbeständigkeit seiner Stellung dort erkannte, nahm er das Land in großem Maße in sich auf […] und wurde von ihm aufgenommen.«28 In diesem Sinne hatte er noch in Brasilien selbst mit der Ausarbeitung von Werken begonnen, in denen er seine Eindrücke vom Land festhielt und über die Exilerfahrung reflektierte. Die bereits erwähnte zwiespältige Haltung gegenüber dem Zufluchtsland kam auch in den Werken zum Ausdruck. Die aus fünf einzelnen Romanzeros bestehende Verseerzählung Brasilianischer Romanzero (1962) war nicht nur von der spanischen Balladenform beeinflusst, sondern spiegelte in der Verwendung zahlreicher portugiesischer Wörter auch Bechers Affinität für romanische Sprachen wider. Auch wenn als »Urwaldbarock« kritisiert, vertiefte der Schriftsteller in diesem Werk schon früher vorhandene expressionistische Elemente und wurde mit dem überladenen, exotischen und plastischen Sprachstil dem Gegenstand der Dichtung, der faszinierenden und zugleich gefährlichen Schönheit und Üppigkeit der brasilianischen Landschaft gerecht.29 So griff Becher in seiner Naturbeschreibung zum einen das Bild des irdischen Gartens Eden auf, mit dem Brasilien seit seiner Entdeckung eng verbunden ist. Zum anderen ließ er jedoch keinen Zweifel an der Tücke dieser betörenden Schönheit und dem Tod als Begleiter im vermeintlichen Paradies Brasilien.
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351 Wir hatten einen Traum wir kannten einen Baum mit purpurnem Gefieder, Lianenhang sein Mieder. Wir kannten einen Strauch, sein Blattwerk blauer Rauch, die Blüte Goldgepräng, Schönmädchenohrgehäng. […] Zweifelnd, daß soviel Schöne dem Traumblick sich gewöhne! […] Die Bucht hauchsam berost, mit Blut durchrinnt, was tost […] Denn unter Tändelei verbirgt sich Raserei, erbarmungsfremder Strudel, scharfzähnger Fische Rudel.30
Neben dieser Verserzählung verfasste Becher zwei Theaterstücke mit brasilianischer Thematik, Samba (1949, Uraufführung 1951) und Makumba (1965), das in der ersten Fassung von 1958 Der Herr kommt aus Bahia hieß. Makumba erzählt die Geschichte der Ermordung eines pai-de-santo, eines Priesters der afro-brasilianischen Religion, der an einer Parade anlässlich des Kriegsendes Adolf Hitler mimt und von dem Adolf Hitlers Geist schließlich Besitz nimmt, und kann als eine Art politischer Kommentar von Becher und Parabel auf den Nationalsozialismus verstanden werden.31 In Samba hingegen setzte sich Becher konkret mit der Exilerfahrung in Brasilien auseinander, wobei er auch auf das damals im Land herrschende Vargas-Regime einging. Die Figuren waren von den Gefährten im brasilianischen Exil wie der »Gruppe Görgen«, inspiriert; der Protagonist, der jüdische Schriftsteller Julius Kornau, trägt Züge von Becher selbst. Der innere Konflikt, den Kornau hinsichtlich der Frage eines politisches Engagements und der eigenen Rolle als Schriftsteller durchleidet, spiegelte Bechers eigenen Zwiespalt angesichts der durch das Exil in Brasilien erzwungenen politischen Passivität in dieser Zeit wider. Brasilien selbst wird darin erneut als widersprüchlich dargestellt. Repräsentiert es einerseits für viele Figuren einen sicheren friedlichen Zufluchtsort, in dem ein Überleben in Freiheit außerhalb des nationalsozialistischen Machtbereichs möglich ist, so offenbart sich andererseits beim Kontakt mit der brasilianischen Realität der Einfluss des nationalsozialistischen Gedankensguts selbst in diesem entfernten exotischen südamerikanischen Land, in dem man es als Europäer nicht vermutet hätte.32 Ulrich Becher und seine Frau Dana vermochten es nicht, dort heimisch zu werden. Auch in den USA fanden sie kein dauerhaftes neues Zuhause. 1948 kehrten sie nach Europa zurück. Ulrich Becher starb am 15. April 1990 in Basel.
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MARTH A BRILL – engagierte Publizistin und literarische Chronistin des brasilianischen Exils Martha Brill wurde am 5. September 1894 als Tochter der Journalistin und Frauenrechtlerin Bertha Leiser in Köln geboren. Bereits in ihrer Jugend begann sie Gedichte zu schreiben. An der Heidelberger Universität promovierte sie 1917 in Literatur- und Staatswissenschaften. Danach war sie als freie Journalistin tätig, wobei ihr vorwiegend die auf zahlreichen Reisen durch Europa gewonnenen Eindrücke das Material für die u.a. im Hamburger Fremdenblatt, Hamburger Echo, in der Frankfurter Zeitung und den Blättern der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main veröffentlichten Artikel lieferten. Im September 1920 heiratete sie den 1895 in Lübeck geborenen Maler Erich Arnold Brill. Drei Monate später kam die Tochter Alice in Köln auf die Welt. Obwohl die Ehe im Dezember 1921 bereits geschieden wurde, sollte Brill weiterhin mit dem Künstler in Verbindung bleiben, Anteil an seinem Werdegang nehmen und sich ein Leben lang für seinen tragischen Tod verantwortlich fühlen. Ab 1930 arbeitete sie beim Hamburger Rundfunk und der Hamburg-Süd Zeitung, der Monatsschrift der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft, was ihr auch fernere Reisen, u.a. in den Nahen Osten, ermöglichte, denn ihre Bezahlung erfolgte in Schiffspassagen. Nach ihrer sofortigen Entlassung durch den Hamburger Rundfunk aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verbrachte Brill zunächst mit ihrer Tochter einige Monate auf Mallorca und in Italien.33 Da es ihr dort nicht gelang, eine dauerhafte neue Existenz aufzubauen und sie von der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft das Angebot einer Passage nach Brasilien erhielt, ließ sie im Frühjahr 1934 Alice bei ihrem Vater Erich Brill und dessen Bruder in Amsterdam zurück und fuhr nach Rio de Janeiro. Erst nach einigen Monaten bekam sie eine Stelle als Sekretärin bei der CARIA in São Paulo und sah sich in der Lage, die Tochter nachkommen zu lassen. Diese kam mit ihrem Vater an Karneval 1935 in São Paulo an. Ungeachtet des Kontakts zu brasilianischen Malern und Kunstliebhabern und Sammlern fehlte Erich Brill die gewohnte kulturelle Tradition. 1936 kehrte er trotz aller Warnungen seiner weitblickenden Ex-Frau und anderer Exilanten im Vertrauen auf die Zivilisiertheit der Deutschen nach Hamburg zurück. Die Liaison mit einer früheren, »arischen« Freundin wurde ihm zum Verhängnis. Nach einer Denunziation, vermutlich durch sie, wurde er am 23. Januar 1937 verhaftet und wegen »Rassenschande« am 5. Mai 1938 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Anfang Dezember 1941 wurde Erich Brill in das Lager Jungfernhof in Riga deportiert und dort wenige Zeit später ermordet. Brill, die erst nach dem Krieg Kenntnis davon erhalten hatte, sollte die Tragik seines Schicksals nie verwinden können. In Brasilien hatte Brill nie wieder ihre journalistische Arbeit aufnehmen können. Die Umstände zwangen sie jede Anstellung anzunehmen, die sie bekam. Zumeist waren es Büro- und Verwaltungstätigkeiten bei Import-Exportfirmen, die stets Bedarf an Personal mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen hatten. Ihr Gehalt besserte sie mit Nachhilfestunden in Englisch und Deutsch für Schüler und Erwachsene auf. Denn zeitweise hatte sie so wenig Geld, dass es nicht zum Essen reichte und sie hungern musste. Mitte der dreißiger Jahre wollte Alice ihrer Mutter ermöglichen, den autobiographischen Roman Der Schmelztiegel zu schreiben. Vorzeitig verließ sie daher die Schule, um zum gemeinsamen Lebensunterhalt beizutragen, und nahm eine Stelle in einer von einem deutschen Flüchtling geführten internationalen Buch- und Kunsthandlung
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an. Sie begann sich ihren Platz in der brasilianischen Gesellschaft zu erobern und sich eine Existenz als erfolgreiche Künstlerin aufzubauen.34 Brills Exilroman Der Schmelztiegel stellt »eine verschlüsselte Autobiographie« dar. Die Protagonistin, die sie selbst darstellt, nannte sie Sylvia und deren Tochter, die die Rolle ihrer Tochter Alice einnimmt, Miriam. Sie verarbeitete darin ihre eigene Exilerfahrung literarisch. Es erstaunt auch nicht, dass Brill gerade in der Zeit der Niederschrift des Schmelztiegels in ihrem Tagebuch festhielt: »Erkenntnis der Aufgabe: die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu schreiben — ohne Sentiment, ungeschminkt, ohne Sensation — nichts als die Wahrheit. Das ist das Schwerste. Es ist ein Schicksal und es muss erfüllt werden.«35 Die Aufzeichnungen vermitteln dem Leser den Eindruck, als ob sie das Tagebuch auch als Arbeitsheft für den Roman benutzte. Denn einen beträchtlichen Teil ihrer Notiz verwandte sie teilweise wörtlich nachher in dem Roman. Der Glaube an eine bessere Zukunft und der Wille, diese Welt nicht einem Tyrannen wie Hitler zu überlassen, geben der Protagonistin Sylvia/Martha die Kraft dazu, sich allen widrigen äußeren Umständen zu widersetzen. Nicht umsonst ist dem Buch ein Zitat aus H.G. Wells’ The Shape of Things to Come von 1932 vorangestellt: »Life must carry on./Why should we surrender life/to the brutes and fools?«36 Aufgrund der Tätigkeit bei der CARIA verfügte sie über Intimkenntnisse vieler Flüchtlingslebensläufe in Brasilien. Neben ihrem eigenen Werdegang lernt der Leser daher eine ganze »Enzyklopädie menschlicher Verhaltensmöglichkeiten im Exil«37 kennen und erfährt, wie nahe Glück und Leid, Scheitern und Gelingen gerade in Extremsituationen liegen. Auch wenn der eigene Überlebenskampf ihr fast das Leben kostet, weiß Sylvia/Martha am Ende, dass sich der hohe Einsatz gelohnt hat. Wie Stefan Zweig machte sie in der scheinbar vorhandenen »Rassenharmonie«, die sie so sehr beeindruckte, dass sie sie schon mit der Wahl des Romantitels hervorhob, eine große Zukunftsträchtigkeit aus. Die mitreißende »Dynamik dieser pausenlos wachsenden Welt«, deren Zeuge Brill in São Paulo wurde und in der sie »die Melodie eines neuen Kontinents« zu vernehmen meinte, ließ das Aufstreben der Stadt im Werk zum Sinnbild der Erfüllung der in das Land gesetzten Hoffnungen werden. »Altes wurde abgerissen, Neues wurde aufgebaut. […] Alles war unfertig, alles war im Werden.« »Ich glaube an eine neue aufsteigende Welt.«38 Dieses Vertrauen gab ihr trotz eigener widriger Exilumstände die Kraft zu einer ungebrochenen Lebensbejahung, die sie Brasilien als neues Zuhause (Martha und Alice Brill ließen sich 1949 einbürgern) akzeptieren ließ. Mit ihrem literarischen Porträt des deutschsprachigen Exils in Brasilien beabsichtigte Brill an dem Preisausschreiben der American Guild for German Cultural Freedom teilzunehmen, dessen genaue Bedingungen und Teilnahmeformulare sie im April 1938 bei der Organisation anforderte. Doch sie wurde nicht rechtzeitig fertig. Sie sandte dennoch das Werk nach der Beendigung im Juli 1941 an Thomas Mann. Er antwortete im September mit anerkennenden Worten und lobte ihre »Zähigkeit und künstlerische Fähigkeit«, mit der sie das Projekt zu Ende geführt hätte; der Roman fange »viel Rührendes und Erregendes von der Tragödie dieser Zeit« ein; es sei ein »erlebnisreiches und äußerlich wie innerlich stark bewegendes Buch« entstanden.39 An eine Veröffentlichung des deutschen Textes war unter den gegebenen Umständen in Brasilien nicht zu denken. Die von Ruth Mary Moore, einer guten Freundin Martha Brills, angefertigte englische Fassung rief anscheinend beim New Yorker Verlag Alfred A. Knopf, den Thomas Mann Martha Brill geraten hatte anzuschreiben, kein Interesse hervor.
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Obgleich sie mit der literarischen Tätigkeit kein Geld mehr verdienen konnte, setzte sie sie auch nach Beendigung des Romans fort. »Es ist etwas Göttliches im Menschen – und dieses Göttliche ist die Schöpferkraft.« »Man kann auch Bücher schreiben für übermorgen.«40 Mit dem Ende des Krieges sah sie eine positive Wende in ihrem eigenen Leben gekommen. Nach langen Jahren der Entbehrung gewann sie wieder Zuversicht und Unternehmungsgeist. Sie verfasste einen unveröffentlichten biographischen Essay über den ersten brasilianischen Bühnendichter Antônio José da Silva, genannt O Judeu (1705-1739), der einen tragischen Tod als eines der berühmtesten brasilianischen Inquisitionsopfer fand, und begann sich für das zeitgenössische brasilianische Theater der fünfziger und sechziger Jahre zu interessieren. So übersetzte sie die Stücke von Gianfrancesco Guarnieri Eles não usam Blacktie, 1962 erschienen unter dem Titel Sie tragen keinen Smokingschlips, und Gimba, presidente dos valentes sowie Augusto Boals Revolução na América do Sul (für die beiden letzteren fand sich in Deutschland kein Verlag). Am 27. Oktober 1969 starb Martha Brill in São Paulo.
OTTO MARIA CARPEAUX – rigoroser Brasilianer und kämpferischer Journalist Als Otto Karpfen am 9. März 1900 in eine jüdische Wiener Anwaltsfamilie hineingeboren, absolvierte Otto Maria Carpeaux ein Studium der Chemie, Physik, Soziologie, Philosophie, Politik und Literatur, das er 1925 mit dem Doktor in Chemie an der Universität Wien abschloss, und begann bald darauf publizistisch tätig zu werden. So schrieb er u.a. für die Wiener Neue Freie Presse und die Wiener Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte sowie die Berliner Neue Rundschau. 1930 heiratete er die aus Polen stammende Helene Silberherz. Als Folge der intensiven Beschäftigung mit der christlichen Religion konvertierte Carpeaux nicht nur 1932 zum Katholizismus, sondern begann sich zudem aktiv für den politischen Katholizismus und das herrschende austrofaschistische Regime unter Führung von Engelbert Dollfuß zu engagieren. In diesem Sinne übernahm er die Leitung der Literaturredaktion der christlich-sozialen Reichspost und wurde außerdem Mitarbeiter der Zeitschrift Der christliche Ständestaat. Über diese journalistische Tätigkeit hinaus verfasste er zwei Abhandlungen. Neben dem Buch Wege nach Rom. Abenteuer, Sturz und Sieg des Geistes von 1934, das ein Loblied auf die Kirche und die römisch-katholische Religion als den Mittelpunkt des Geisteslebens darstellt, verfasste er den ein Jahr später unter dem Pseudonym Otto Maria Fidelis erschienenen Essay Österreichs europäische Sendung. Ein außenpolitischer Überblick. Unter dem Eindruck des gescheiterten Putschs der österreichischen Nationalsozialisten 1934 galt es für Carpeaux, die zunehmend bedrohte Unabhängigkeit des Landes mit aller Macht zu verteidigen. Aufgrund seines politischen Engagements und der jüdischen Herkunft mussten Karpfen und seine Frau Österreich sofort nach dem Anschluss des Landes an das Dritte Reich im März 1938 verlassen. Nur mithilfe zweier der 3.000 Visa für »nichtarische Katholiken« gelangten sie über Belgien im September 1939 nach Brasilien. Dem hohen Stellenwert der französischen Kultur in Brasilien Rechnung tragend, nannte sich der Journalist dort »Carpeaux«, weil er glaubte, sein deutscher Name »Karpfen« könnte sich in beruflicher Hinsicht als Hindernis erweisen. Nach schwierigen Anfangsjahren, in denen er mit dem Zufluchtsland haderte, lud ihn 1941 der namhafte Literaturkritiker und damalige Chefredakteur des Correio da Manhã Álvaro
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Lins ein, einen Literaturbeitrag für die Zeitung zu schreiben. Obwohl Carpeaux dringend eine Anstellung brauchte, reichte er Lins einen Artikel über einen deutschsprachigen Schriftsteller ein, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in Europa einem breiteren Publikum bekannt war: Franz Kafka. In der Folge machte er die brasilianischen Leser auch mit anderen Namen vertraut, von denen man in Brasilien bis dahin kaum Notiz genommen hatte, wie Jakob Wassermann, Robert Musil, Georg Büchner, Arthur Koestler, und trug maßgeblich zu deren verstärkter Rezeption bei. Bereits 1942 erschien eine erste Auswahl seiner Artikel unter dem vielsagenden Titel A cinza do purgatório, die Asche des Fegefeuers. Zwei Jahre später folgte eine weitere Sammlung namens Origins e fins. Sein kulturpublizistisches Schaffen ließ ihn zu einem der wichtigsten brasilianischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts werden. Später sollte eine ganze Generation von Künstlern und Denkern sagen, dass sie bei Carpeaux dank der erneuernden Kraft seiner dichten Essays »lesen« gelernt hätte. Denn diese vermittelten andere geistige Wege und Sichtweisen, als sie damals in Brasilien vorherrschten. Von Beginn an war es Carpeaux’ Absicht, mit den vermittelten Kenntnissen über die europäische Kultur die Basis für ein neues Kulturverständnis in Brasilien zu legen und zur Stärkung des einheimischen, kulturellen Erbes beizutragen. In diesem Sinn lieferte er den Brasilianern mit seiner Pequena bibliografia crítica da literatura brasileira 1949 ein Orientierungswerk. Durch eigene Erfahrung hatte er das Fehlen eines solchen »Wegweisers« als Schwäche erkannt, die er für die relative Unkenntnis der brasilianischen Literatur im Ausland und die Verachtung derselben seitens bestimmter brasilianischer Gesellschaftsschichten verantwortlich machte, und schuf so die Grundlage zur Integration der brasilianischen Literatur in die Literaturen der Welt. Sein wichtigstes Werk enzyklopädischen Umfangs, die achtbändige História da literatura ocidental, zwischen 1959 und 1966 veröffentlicht, brachte diese Integration zum Ausdruck. In ihr schloss Carpeaux »neben einem Goethe, einem Balzac, einem Gogol, einem Thomas Mann unsere Gonçalves Dias, Machado de Assis, Lima Barreto, Carlos Drummond de Andrade würdig in die internationale Aufzählung«41 mit ein. Auf den Lehren Diltheys basierend und zugleich von unübersehbarer brasilianischer Prägung, gilt das Werk für den Carpeaux-Kenner Olavo de Carvalho nicht nur als ein Beitrag der Geisteswissenschaft im Sinne Diltheys zur brasilianischen Kultur, sondern vielmehr als »ein überragender brasilianischer Beitrag zur Geisteswissenschaft«42. Wenngleich Carpeaux’ Gesamtwerk keinen Text aufweist, der explizit an ein europäisches Publikum gerichtet war, ist seine Kulturvermittlung nicht nur als einseitig zu begreifen. Carpeaux’ Beitrag für das nationale Erbe liegt nicht in dem, was er von außen an uns herangetragen hat, sondern vielmehr in dem, was er der Weltkultur von Brasilien gegeben hat, indem er half, unser Land von einem passiven Importeur und gelehrigen Schüler zu einem Schöpfer und Meister zu erheben.43
Nach dem Militärputsch 1964 stellte er sich unmissverständlich auf die Seite der linken Opposition. Wie schon über 30 Jahre zuvor für die alte Heimat Österreich setzte er sich auch für die neue ein, zu der Brasilien für ihn inzwischen geworden war — 1944 war ihm mit Hilfe seiner vielen illustren brasilianischen Freunde die vorzeitige Einbürgerung gelungen. Er geißelte unerbittlich die Willkür und die Unterdrückungsmaßnahmen der Militärdiktatur und entlarvte mit Ironie und nicht ohne Sarkasmus die Doppelmoral, die der Lateinamerika-Politik der USA zugrunde lag.
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EXIL IN BRASILIEN Die Lateinamerika-Politik der Vereinigten Staaten wird von Männern gemacht, die das Thema nicht kennen und verstehen, und wird in Lateinamerika selbst unterstützt von jenen, die nichts wissen und verstehen und nichts wissen und verstehen wollen. Diese und jene werden den Sturm ernten, den sie als Wind gesät haben.44
Im Kontext des Kalten Krieges unterstützte die USA auch die Militärdiktaturen. In aller Deutlichkeit gab Otto Maria Carpeaux die Prioritäten der USA in der Formulierung des Staatssekretärs für lateinamerikanische Angelegenheiten, Thomas C. Mann, wieder: »In kritischen Zeiten zählt die Stabilität mehr als die Demokratie.«45 Hinsichtlich der interventionistischen Politik ließ er Präsident Lyndon B. Johnson wissen: »Hört mit den Dummheiten auf. Eine Mitteilung für den Präsidenten Lyndon B. Johnson, aber nicht nur für den Präsidenten Lyndon B. Johnson: Mit der Mentalität eines Kommissars der Politischen Polizei regiert man keine Nationen.«46 Als ihm das Militärregime 1967 auf der Basis der Gesetze zur Nationalen Sicherheit die Bedingungen für seine kulturpublizistische Arbeit zunehmend erschwerte, beschloss er 1968 einen Schlussstrich unter sein literaturwissenschaftliches Werk zu ziehen. Infolge seines politischen Engagements wurde Carpeaux zu einer Kultfigur in der Studentenbewegung und Arbeiterschaft des Landes. Am Ende seines Lebens waren die anfänglich gegenüber dem Zufluchtsland gehegten Vorbehalte vergessen: Heute sehe ich meine europäische Vergangenheit wie durch einen dichten Schleier. […] Weil dies so ist, spreche ich über mein Leben in Europa, als sei es das Leben eines anderen. […] Ich leugne nicht und habe es auch nie geleugnet, dass mich aufgrund des geistigen Erbes und der Erziehung starke Bande an Europa binden. Aber all dies ist heute in ein Gefäß mit neuen Konturen gegossen. Ich fühle mich brasilianisch, mag Reis und Bohnen [die Hauptzutaten des brasilianischen Nationalgerichts feijoada, M.E.] und bin ein Fan von Ouro Preto.47
Als Carpeaux am 3. Februar 1978 in Rio verstarb, war er längst zu einem rigorosen Brasilianer geworden.
ERNST FEDER — »standhafter Liberaler« 48 und Kulturvermittler zwischen den Kontinenten Ernst Feder wurde am 18. März 1881 in Berlin geboren. Die Übernahme der väterlichen Hutfabrik lag bei den älteren Brüdern, so dass sich Feder für ein Geschichts-, Jura- und Politikstudium an der Friedrich Wilhelm-Universität entschied, welches er 1902 mit der Promotion abschloss. Danach eröffnete er als Anwalt eine eigene Kanzlei und war seit 1903 als freier Schriftsteller tätig.49 1911 heiratete er die zwölf Jahre jüngere Erna Zobel. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete sich Feder freiwillig als Kriegsgerichtsrat zum Kriegsgericht. Im Herbst 1919 bat ihn der damalige Chefredakteur des Berliner Tageblatts Theodor Wolff, regelmäßig für die Zeitung zu schreiben, woraufhin er am 1. Dezember die Stelle als leitender innenpolitischer Redakteur antrat, ohne allerdings seine Kanzlei aufzugeben. Durch die Arbeit beim Berliner Tagblatt lernte er viele herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft kennen und erlangte infolge der Auslandsberichterstattungen internationale Bekanntschaft. Daher wurde er zum Präsidenten der Reichsarbeitsgemeinschaft der deutschen Presse gewählt und war bis 1933 Mitglied des Hauptvorstandes des Reichsverbandes der Deutschen Presse.
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Außerdem engagierte er sich einige Jahre politisch in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) als Vorsitzender der Ortsgruppe Berlin-Mitte. Der aus der Verbindung mit der Volksnationalen Reichsvereinigung hervorgegangenen neuen Deutschen Staatspartei schloss er sich jedoch wie viele andere jüdische Parteimitglieder des linken Flügels nicht mehr an. Nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion des Berliner Tageblatts im Dezember 1930 schrieb er weiterhin für andere Zeitungen wie die Frankfurter Zeitung und wurde 1931 zum ständigen Richter am Internationalen Ehrengerichtshof der Presse in Den Haag ernannt. Im Spätsommer 1933 ging das Ehepaar Feder über die Schweiz ins Exil nach Paris. Feders enge Verbindung zu seinen französischen Kollegen ermöglichte ihm die Fortsetzung seiner juristischen und vor allem publizistischen Tätigkeit. Bereits im August 1939 waren die beiden nach Brive-la-Gaillarde in dem zur späteren unbesetzten Zone gehörenden Departement Corrèze umgezogen. Trotz der persönlichen Bekanntschaft des Bürgermeisters wurde Feder Anfang Oktober 1939 im Camp de La Braconne interniert. Mithilfe der Pariser Freunde gelang es Erna Feder, nach zehn Tagen seine Freilassung zu erwirken. Aufgrund der zunehmend bedrohlicheren Situation unternahmen die beiden ab 1940 verstärkte Auswanderungsanstrengungen, wobei sich zunächst ihre Bemühungen auf Erlangung eines Visums für die USA richteten. Wenngleich der Publizist gegenüber dem befreundeten amerikanischen Journalisten Oswald G. Villard bei seiner Bitte um ein Affidavit betonte, sein Lebensunterhalt sei durch die Mitarbeit an schwedischen und Schweizer Zeitungen gewährleistet und er verfüge auch über ein wenig Kapital, wurde seine Bitte mit dem Hinweis auf die große Anzahl exilierter Journalisten, die sich bereits in den USA aufhielten, abschlägig beschieden. Auch die American Guild for German Cultural Freedom konnte ihm nicht helfen, leitete aber sein Gesuch an das Emergency Rescue Committee weiter.50 Parallel zu den Bemühungen um ein Visum für die USA wandte sich Feder an den damaligen brasilianischen Botschafter Luiz Martins de Souza Dantas. Als das Emergency Rescue Committee unter Leitung von Varian Fry der American Guild for German Cultural Freedom mitteilte, das man im Fall von Feder bedauerlicherweise aufgrund fehlender Affidavits nicht weiterhelfen könne,51 hatte der Publizist bereits von Souza Dantas die Zusage für ein Diplomatenvisum für Brasilien, das dem Ehepaar aufgrund der Befreiung der Vorlage einiger schwierig zu beschaffender Dokumente viel Bürokratie ersparte. Am 17. Juli 1941 traf das Ehepaar Feder in Rio de Janeiro ein. Der Publizist war bei seiner Ankunft in Brasilien dort keineswegs völlig unbekannt. Bereits unmittelbar nach seinem Eintreffen berichteten die großen Zeitungen der Hauptstadt von diesem Ereignis.52 Auf diesem Wege erfuhren einige der anderen, sich schon dort befindlichen Flüchtlinge von seinem Eintreffen und setzten sich daraufhin mit Feder in Verbindung. Es dauerte daher nicht sehr lange, und er hatte erneut Kontakt mit zahlreichen Exilanten, u.a. Hugo Simon, Richard Katz, Paul Frischauer, Richard Lewinsohn, Hans Klinghoffer, Wolfgang Hoffmann-Harnisch. Der Neuanfang in Brasilien gestaltete sich schwierig, obgleich er Feder durch die großzügigen Referenzen und Empfehlungsschreiben des brasilianischen Botschaftspersonals erleichtert wurde. Zu seinem in kürzester Zeit aufgebauten Netzwerk gehörten u.a. der Dichter und Diplomat Rui Ribeiro Couto, der ein Mitglied der Academia Brasileira de Letras (ABL) war, der Journalist und Leiter der Associação Brasileira de Imprensa (ABI) Herbert Moses, der Präsident des brasilianischen P.E.N.-Clubs Claudio de Souza und der Direktor des Instituto Nacional do Livro
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Augusto Meyer. Dank dieser Bekanntschaften konnte Feder nach nur zwei Monaten in Brasilien, genauer am 7. September 1941, mit einem Artikel über Columbus im Jornal do Brasil sein Debüt in der großen brasilianischen Presse geben. Darauf folgten regelmäßige Veröffentlichungen in mehreren anderen Zeitungen. Angesichts der unsicheren Situation für Deutsche in Brasilien und der geringen Entlohnung sollte Feder allerdings nie wieder den in Europa gepflegten Lebensstandard erreichen können. Häufig geriet das Ehepaar in finanzielle Engpässe. Im ersten Sommer 1941/42 aber konnte man sich die Sommerfrische in Petrópolis leisten. Seine enge Beziehung zu Stefan Zweig im brasilianischen Exil und die Berichte über den letzten gemeinsam verbrachten Abend am Vortag von dessen Selbstmord sollten Feder als letzter enger Freund von Stefan Zweig international berühmt werden lassen.53 Als das Ehepaar Feder im April 1942 nach Rio de Janeiro zurückkehrte, zog es als Nachmieter in die Wohnung von Hugo und Gertrud Simon. Die Verschärfung der Politik gegenüber den Angehörigen der Achsenmächte infolge des zwischenzeitlich vollzogenen Kriegseintritts Brasiliens führte zu einem Rückgang der Veröffentlichung seiner Artikel in den brasilianischen Presseorganen. Die Monate mit weniger publizistischer Beschäftigung nutzte er für sein Buchprojekt über 16 Begegnungen der Großen der Welt, das er 1944 in Rio de Janeiro unter dem Titel Diálogos dos grandes do mundo veröffentlichen konnte. Die deutsche Originalfassung Begegnungen. Die Großen der Welt im Zwiegespräch konnte erst nach dem Krieg in Deutschland erscheinen. Was der in die USA geflohene Journalist Richard Dyck als elegante Huldigung an das Zufluchtsland Brasilien ansah, nämlich dass Feder »Thomas Jefferson in Nimes mit einem brasilianischen Studenten zusammentreffen oder den bedeutenden brasilianischen Diplomaten Ruy Barbosa bei der Haager Konferenz über die konventionelle Diplomatie der Grossmächte [sic] triumphieren lässt«54, geschah nach Feders eigenen Angaben, »um durch die Erinnerung an historische Gestalten der letzten Jahrhunderte eine Art geistiges Band zwischen der Neuen und Alten Welt zu knüpfen, […] um mir die Anpassung an das neue ›Klima‹ durch die Verlebendigung des kulturellen Austausches zwischen den beiden Kontinenten zu erleichtern«.55 In diesem Sinne beurteilte Heinrich Eduard Jacob gegenüber Feder dessen Leben zwischen zwei Kontinenten: Ein Mann, der zu seinen Mitbürgern portugiesisch spricht und der mit seinen Brasilianern auch brasilianisch denkt. Denn wie jedem, der Sie wirklich kennt, ist es auch mir klar, dass Sie dieselbe Loyalität, die Sie der deutschen Republik erwiesen haben, auch der Kultur und den politischen Problemen Ihres neues Vaterlandes erweisen. Und ein gutes Stück altweltlicher Kenntnisse und geistiger Errungenschaft haben Sie in die Neue Welt mit herübergebracht — das weiß Gott!56
Feder war jedoch die Wechselseitigkeit in der Kulturvermittlung sehr wichtig. Genauso wie er für die Zeitungen in Rio vorwiegend deutsche oder europäische Sujets wählte, berichtete er für die Basler Nationalzeitung, das Argentinische Tageblatt oder den Aufbau von politischen Ereignissen in Brasilien oder erörterte kulturelle brasilianische Themen. Wenngleich er es in seinen Artikeln nicht anklingen ließ, so zeigt doch sein »Brasilianisches Tagebuch«, wie er die Aufzeichnung aus jenen Jahren nannte, dass er, gerade weil er wegen seiner vielfältigen Kontakte zu Brasilianern aus allen Schichten und Erfahrungen mit dem Geschäftsgepflogenheiten über mehr Insiderwissen über das Zufluchtsland als die übrigen Exilanten verfügte, Brasilien nicht in einem überwiegend positiven Licht sehen konnte wie die meisten anderen. Ab Juni
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1943 trat er in einer täglichen Kolumne namens »Assim fala o radio de Berlim« im Diário de Notícias unter dem Pseudonym »Spectator« als der politische Journalist in Erscheinung, als der er sich in Europa einen Namen gemacht hat. Damit wurde er auch in Brasilien als politische Stimme bekannt. Das Jahr 1948 stand für Feder ganz im Zeichen Goethes, der für das gesamte deutschsprachige Exil eine bedeutende Rolle gespielt hat und dem aber in Brasilien eine ganz besondere Stellung zukam.57 Wie zahlreiche andere Exilanten unternahm es auch Feder, die für viele unbekannte, »brasilianische« Seite des Dichters offenzulegen. Wiederholt betonte er, dass Brasilien das Land sei, welches den Dichter außerhalb Europas am meisten interessiert hätte. Er sprach von Goethes Gedankenaustausch mit dem Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius über dessen zusammen mit dem Naturwissenschaftler Johann Baptist Ritter von Spix unternommene Expedition in Brasilien von 1817 bis 1820. Bis zu seinem Tod verfolgte der Dichter aufmerksam die Entwicklung des Landes. Den Exilanten, die es eher unfreiwillig in dieses tropische Land verschlagen hatte, diente Goethe als eine Art nachträgliche Legitimation ihrer Anwesenheit dort, da sein Interesse für das Land eine lange, deutsche Tradition der geistigen Verbundenheit mit Brasilien bezeugte. Der Dichter wurde auf diese Weise zu einer wichtigen Integrationsfigur. Verhältnismäßig früh hatte Feder zu den ersten deutschen diplomatischen Vertretern in Brasilien nach dem Krieg und vor allem den Freunden in der alten Heimat, wie dem späteren Bürgermeister von West-Berlin Ernst Reuter oder Theodor Heuss, Kontakt aufgenommen. Dieser Haltung entsprach auch, dass er 1953 wieder die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. Noch im selben Jahr reiste er gemeinsam mit seiner Frau Erna auf Kosten der deutschen Regierung, die ihm ebenfalls 1953 das Große Verdienstkreuz verlieh, erstmals nach Deutschland. Auch aus gesundheitlichen Gründen entschloss sich das Ehepaar Feder, der persönlichen Bitte ihres Freundes, des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, nachzukommen und 1958 nach Berlin zurückzukehren.58 Zwar konnte der Journalist seine Arbeit, diesmal als Vermittler der brasilianischen Kultur, fortzusetzen. Aber als er am 29. März 1964 in Berlin starb, war er sowohl in seiner Heimat Deutschland als auch im Exilland so gut wie vergessen.
PAUL FRISCH AUER — Verfasser historischer Romane in Europa und »literarischer Abenteurer« 59 im brasilianischen Exil Am 25. Mai 1898 in eine bekannte Wiener Rechtsanwalts- und Journalistenfamilie jüdischer Herkunft hineingeboren, studierte Paul Frischauer, dessen Eltern ihn wie seine vier Brüder katholisch taufen ließen, Geschichte und Staatswissenschaften. Neben seiner journalistischen Tätigkeit für verschiedene Wiener und Berliner Zeitungen wie die Neue Freie Presse, Wiener Welt, das Neues Wiener Tageblatt, Berliner Tageblatt und die Vossische Zeitung publizierte er ab Mitte der zwanziger Jahre historische Romane, Dramen, Biographien und Novellen, mit denen er die damals in Mode gewesenen Gattungen aufgriff und zum Teil auch international sehr erfolgreich war. Insbesondere mit den biographischen Werken Prinz Eugen (1933), Garibaldi (1934) und Beaumarchais (1935)60 wurde er auch über den deutschsprachigen Raum bekannt. Durch seine Familie verfügte Frischauer über ein dichtes Beziehungsnetzwerk im Literaturbetrieb. Die Bekanntschaft von so namhaften Persönlichkeiten wie u.a. Alfred Adler, Hermann Broch, Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal, Heinrich Eduard Jacob,
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Egon Erwin Kisch, Karl Kraus, Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig machte ihn selbst zu einem integralen Bestandteil des Wiener literarischen Lebens der Zwischenkriegszeit. Politisch sollte er erstmals im Zusammenhang mit dem P.E.N.-Club-Kongreß in Ragusa 1933 dezidiert gegen den Nationalsozialismus Stellung beziehen. Er war MitInitiator einer Resolution gegen die Bücherverbrennung in Deutschland, die zum Austritt der »völkischen« Autoren und damit zur Spaltung des österreichischen P.E.N.-Clubs führte. Die politische Entwicklung in Deutschland und Österreich beobachtend, hielt es Frischauer für besser, im darauf folgenden Jahr mit seiner zweiten Frau Marica die Heimat zu verlassen und nach England ins Exil zu gehen, zumal er auch für seine schriftstellerische Existenz im deutschsprachigen Raum keine Zukunft sah. Denn seine Werke wurden vom Dritten Reich verboten. In London führte er in seiner Wohnung eine Art literarischen Salon, zu dessen Gästen u.a. die sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt im englischen Exil befindlichen österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig, Berthold Viertel, Robert Neumann, Hilde Spiel und Peter Smolka, aber auch Arthur Koestler und Baronin Moura Budberg, die einstige Gefährtin von Maxim Gorki und damalige Freundin von H.G. Wells, gehörten. Der Neuanfang wurde Frischauer durch die Tatsache erleichtert, dass er aufgrund seiner früheren Veröffentlichungen in der dortigen Verlagswelt kein Unbekannter mehr war. So gelang ihm die Anpassung an die englischen Verhältnisse besser als manch anderem Autor. Seine in den nächsten Jahren verfassten Werke konnte er in englischer Übersetzung publizieren61 und auf diese Weise zumindest teilweise den Lebensunterhalt für seine Familie (1935 kam eine Tochter zur Welt) sichern. Um den hohen Lebensstandard aufrechterhalten zu können, benötigte er jedoch zusätzliche Einnahmequellen. Daher arbeitete er 1939/40 für den britischen Geheimdienst, wobei seine genaue Tätigkeit aufgrund mangelnder Dokumente nicht mehr rekonstruierbar ist. Noch in London erhielt er das Angebot, eine Biographie über den brasilianischen Diktator Getúlio Vargas zu schreiben. Er nahm es an, auch weil ihm angeblich seitens der britischen Behörden für die Brasilien-»Mission« Unterstützung signalisiert wurde, könnte man doch so im pro-alliierten Sinne Einfluss auf die Politik des Regimes nehmen. Frischauers »Mission« wurde indes von den zuständigen Stellen nicht mit getragen. Als er gewahr wurde, dass die Briten ihm das Vertrauen entzogen hatten, stellte er sich ganz in den Dienst des brasilianischen VargasRegimes. Im Dezember 1940 kam die Familie Frischauer in Rio de Janeiro an. Wie in London trat der Autor auch dort bald in Kontakt mit anderen Flüchtlingen. Vor allem Stefan Zweig war ein regelmäßiger Gesprächspartner, mit dem er sogar das Drehbuch über das Liebesverhältnis zwischen dem brasilianischen Kaiser Dom Pedro I. mit der Marquesa de Santos auszuarbeiten begann. Allerdings war Frischauer unter den Exilanten zum Teil nicht gut angesehen. Sie nahmen Anstoß an seiner Großmannsucht. Wiederholt äußerte sich Ernst Feder in seinem Tagebuch über Frischauers Hang zur Hochstapelei, den er umso mehr verurteilte, als er von Lotte und Stefan Zweig erfahren hatte, dass Frischauer in England vollkommen abgewirtschaftet hatte.62 Jedoch registrierten die Flüchtlinge, nicht ohne eine gewisse Bewunderung, Frischauers Anpassungsfähigkeit und Geschäftstüchtigkeit, mit der er den größtmöglichen Nutzen aus seiner Position als Vargas-Biograph zu ziehen wusste. Dennoch sah er Brasilien von Anfang an als rein temporären Zufluchtsort an. Bereits im Herbst 1942 plante er die Weiterreise in die USA, die er schon früher als Exilland ins Auge gefasst hatte, weil er sich dort bessere Zukunftschancen erwartete. Es sollten
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aber noch zwei Jahre vergehen, bis Frischauer wirklich in die Vereinigten Staaten gehen konnte. Zuvor leistete er mit seiner Mitarbeit in der Presse- und Propaganda-Abteilung des Vargas-Regimes, insbesondere mit seiner Biographie des Diktators, einen maßgeblichen Beitrag zur Verbreitung des »Mythos Vargas« im In- und Ausland. Infolge ihres weltweit bekannten Autors und ihrer dezidierten Ausrichtung auf ein nordamerikanisches und europäisches Publikum hob sich die erstmals 1943 erschienene Biographie Presidente Vargas von den nur für die brasilianische Bevölkerung in jenen Jahren verfassten Lobeshymnen aller Arten ab. Denn sie beabsichtigte mit den englischen, französischen, spanischen und italienischen Übersetzungen dem Ausland die Möglichkeit zu geben, sich ein »richtiges« Bild von Getúlio Vargas und Brasilien als einer »milden Diktatur« unter Führung eines gütigen Präsidenten zu machen. Frischauer war nicht der einzige Exilant, der im Dienst des Regimes biographische Werke verfasste. Vargas sollte dabei als Bewahrer der Demokratie und Bekämpfer des Nationalsozialismus sowie als die Schlüsselfigur dargestellt werden, deren richtunggebende Maßnahmen es Brasilien zu verdanken hätte, sich auf dem Weg des Fortschritts zu befinden. Mittels des wiederholten Hinweises auf Informationsaustausch mit den USA sollte das »falsche« Bild eines auf die Machterhaltung bedachten Staatsoberhauptes im Ausland korrigiert und seine Handlungsweise im Zusammenhang mit dem Staatsstreich und der Ausrufung des Estado Novo im November 1937 im Nachhinein legitimiert werden. In diesem Sinne versicherte Frischauer den Lesern, dass Vargas, für den stets das Wohl Brasiliens und die guten Beziehungen zu den USA oberste Priorität besäßen, durch die äußeren Umstände zu dieser Vorgehensweise gezwungen worden war. Nach seiner Darstellung befolgte der Diktator lediglich die Ratschläge und Absprachen mit der amerikanischen Regierung. So hätten die USA angesichts der damals politisch unsicheren Situation im Lande geraten: »Keep to the Government.«63 Die Absage der Wahlen wäre aus Verantwortungsgefühl gegenüber Brasilien und dem gesamten amerikanischen Kontinent geschehen. Angeblich hätte das State Department Vargas in Anerkennung seiner Beweggründe und vollzogenen Handlungsschritte »Dictator in defence of Democracy« genannt.64 Arbeiten wie Frischauers Auftragsbiographie kamen vor allem in den USA nach Brasiliens Kriegseintritt eine wichtige Bedeutung bei der Rechtfertigung der Zusammenarbeit mit einer Diktatur zu. Werke wie Presidente Vargas waren dabei hilfreich, weil sie das Image des Vargas-Regimes als auf Demokratie beruhend hervorzuheben verstanden. Frischauers Biographie verhalf so dem Bild von Vargas als einem außergewöhnlichen Politiker und Staatsoberhaupt zu internationaler Bekanntschaft und wurde zu einer der wichtigsten, in jenen Jahren produzierten hagiographischen Abhandlungen über den brasilianischen Diktator. Die Wertschätzung, die Frischauer nicht zuletzt auch aufgrund dieses Werkes im Vargas-Regime genoss, spiegelt sich auch in der Verleihung der brasilianischen Staatsbürgerschaft im Januar 1944 wider, ein Privileg, das von den Exilanten nach so kurzer Zeit nur Otto Maria Carpeaux zugestanden wurde. Ein Jahr später jedoch verließen er und seine Familie das Land, in der Erwartung, in den USA eine neue Existenz aufbauen zu können. Seine Hoffnungen auf beruflichen Erfolg und finanzielle Sicherheit sollten sich nicht erfüllen. Zahlreiche Projekte scheiterten, man fand auch keine dauerhafte Bleibe. Das in Glen Head/NY erworbene Haus musste Anfang 1946 aufgegeben werden. Nach einer Zeit in New York zog er allein (zwischenzeitlich hatte er sich von seiner Frau scheiden lassen) nach Hollywood, wo er hoffte, mithilfe der anderen Flüchtlinge wie u.a. Gina Kaus,
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der Ex-Frau seines Bruders Eduard, Salka und Berthold Viertel, Alfred Polgar, Alma und Franz Werfel, Vicky Baum, Friedrich Torberg vielleicht als Drehbuchschreiber Geld verdienen zu können, jedoch ohne Erfolg. Im Oktober 1948 ging er nach New York zurück, wo er bis zu seiner Rückkehr nach Wien 1958 leben sollte. Trotz der zehn zwischen 1947 und 1951 veröffentlichen Bücher, bei denen Frischauer Autor bzw. Co-Autor war, blieb der nachhaltige schriftstellerische Erfolg aus, so dass er sich ein Jahr nach der demokratischen Wiederwahl von Vargas zum brasilianischen Präsidenten 1951 dem State Department als Vermittler zwischen Brasilien und USA anbot, da die USA im Kampf gegen den Kommunismus daran interessiert waren, mithilfe von Wirtschaftsinvestionen mehr Einfluss auf die lateinamerikanischen Staaten zu nehmen, um unliebsame soziale Veränderungen zu verhindern. Aufgrund seiner guten Verbindungen zu einflussreichen Brasilianern wurde er sofort in Projekte eingebunden. Obgleich er 1955 die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatte, wurde er nie in den USA heimisch und kehrte 1958, auch wegen seiner vierten Frau, der Österreicherin Gaby von Schönthan, nach Wien zurück. Seine Eltern hatten die nationalsozialistische Verfolgung nicht überlebt und waren im KZ Theresienstadt umgekommen. Seine Brüder und seine Tochter zogen es vor, im Exil in den USA bzw. England zu bleiben. Er nahm wieder seine literarische Tätigkeit auf, verfasste mehrere historische Werke und Romane65 und arbeitete an Drehbüchern zur Verfilmung mit. In Anerkennung seiner Verdienste um die Geschichtsforschung und die Literatur bekam er 1962 den Professorentitel verliehen. Am 7. Mai 1977 starb er in Wien.
ALFREDO GARTENBERG − literarisch ambitionierter Anwalt und Verfechter der jüdischen Belange in Brasilien In Wien am 24. November 1897 geboren, absolvierte Alfredo Gartenberg in seiner Heimatstadt ein Jurastudium mit einer Promotion und zusätzlich noch eine Ausbildung zum Diplomkaufmann. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er mit seiner Frau Szeindel (geb. Flaumenhaft) und dem Sohn Emanuel 1928 nach Berlin. Dort arbeitete er zunächst als Wirtschafts- und ab Dezember 1930 als Rechtsberater mit eigener Praxis. Ferner wurde er als Journalist im Ullstein-Verlag tätig66 und pflegte Kontakte zu den literarischen Kreisen der Stadt. Schon in Wien hatte er unter dem Titel PerVersus 1920 eine Sammlung satirischer Verse und 1922 ein Theaterstück namens Lebenslügen veröffentlicht. In Berlin gründete er 1929/30 die wöchentlich erscheinende Theaterschrift Die neue Bühne, für die er regelmäßige Rezensionen von Theaterstücken schrieb. In jenen Jahren war er zugleich Assistent der deutschen Delegation beim Völkerbund in Genf. 1931 erschien sein Roman Der gläserne Berg.67 Als Alfredo Gartenberg nach der Machtübernahme Hitlers aufgrund seiner jüdischen Herkunft alle Erwerbsmöglichkeiten verlor, ging er im April 1933 nach Paris, wo er eine Zeit lang als Fremdsprachenkorrespondent bei einer Rauchwarenfirma arbeiten konnte, bevor er die Stellung wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis aufgeben musste. Da er für sich in Frankreich keine Zukunft sah und sich die politischen Ereignisse in Europa immer mehr zuspitzten, beschloss er sich um Visa für außereuropäische Länder zu bemühen. Zusammen mit seiner Frau Szeindel gelangte er mit einem in Paris ausgestellten Touristenvisum nach Brasilien, wo er am 4. Januar 1939 völlig mittellos in Rio de Janeiro ankam. Nur mit großer Mühe konnte er später seinen Status im Land legalisieren. Erst im April 1941 sollte er eine Daueraufenthalts- und
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Arbeitsgenehmigung erhalten. In der Zwischenzeit wurde er von der UNIÃO (Associação Beneficente Israelita) finanziell unterstützt. Der Versuch, den 1922 geborenen Sohn Emanuel nachkommen zu lassen, scheiterte an den restriktiven Immigrationsbestimmungen des Vargas-Regimes.68 In Rio de Janeiro fand Alfredo Gartenberg nach Erhalt der Arbeitsgenehmigung zunächst für ein Jahr eine Stelle als Handelsvertreter in einer Filiale der Kaufhauskette Mesbla. Nach dem Eintritt Brasiliens in den Krieg wurde er allerdings entlassen, weil er »Deutscher« war. Denn als solcher wurde er trotz des österreichischen Passes angesehen, da die brasilianischen Behörden laut seiner Aussage nach dem Anschluss keine Unterscheidung zwischen Deutschen und Österreichern mehr vornahmen. Er war daher gezwungen, privaten Sprachunterricht zu geben, und seine Frau arbeitete für eine Mahlzeit und ein kleines Taschengeld beim Benediktinerorden. Später war er als Sekretär der türkischen Botschaft tätig und arbeitete bei dem Sender France Libre mit. Nach zwei Jahren ohne feste Anstellung fand er 1946 eine Halbtagsbeschäftigung in der Leitung des Keren Hayessod und wechselte 1948 als Verwaltungsleiter zur Vereinigung der jüdischen Gemeinden in Rio de Janeiro, bei der er bis 1957 arbeitete. Bis zu seinem Tode sollte sich Alfredo Gartenberg für die Belange der jüdischen Gemeinschaft engagieren, wie die Mitarbeit an der Organisation für Wiedergutmachung von 1957 bis 1972 bezeugt. Des Weiteren schrieb er gelegentlich für die Wochenzeitschrift der ARI namens Aonde vamos? und hielt Vorträge in der Gemeinde. Dass er auch nach der Flucht aus Europa am Schicksal seiner Heimat Österreich Anteil nahm, belegt seine Mitgliedschaft im Free Austrian Movement. Nach den obligatorischen zehn Jahren, die Ausländer in Brasilien gelebt haben mussten, reichte Alfredo Gartenberg 1949 das Gesuch zur Einbürgerung für sich und seine Frau ein, mit der auch die Namensänderung von »Alfred« in »Alfredo« einherging. 1976 kam sein Roman O J vermelho heraus, der auf einem in Deutsch verfassten, verschollenen Manuskript beruht. O J vermelho gehört zu den »wenigen in fiktive Form gekleideten Bücher(n), in denen die Ereignisse, kleine, kleinste und grosse [sic], die zwangsmässig [sic] zur Emigration führten, mit vielen, sehr aufschlussreichen und meist auch höchst typischen Details beschrieben werden«.69 Erzählt wird die Geschichte des Ehepaares Max und Eva Bodenheim, Inhaber einer Konfektionsfirma in Berlin. Max’ Internierung im Konzentrationslager Buchenwald macht diesem unmissverständlich klar, dass es für ihn in Deutschland keine Zukunft mehr gibt. Nach der Entlassung flieht er sofort nach Paris, seine Frau, eine Nichtjüdin, folgt ihm nur widerwillig. Zwar glaubt er an eine Zukunft in der Fremde, wird aber letztlich nicht mit dem Verlust der Heimat fertig und zerbricht daran. So ist seine Frau im Exil gezwungen, die Verantwortung für beide zu übernehmen und das Überleben zu sichern. Als sich die Situation für die Flüchtlinge in Frankreich verschlechtert, ergreift sie die Initiative. Nur dank ihres Charmes erhält das Ehepaar die begehrten Visa für Brasilien. Doch sollte es wie für Stefan Zweig auch für Max Bodenheim nicht zum »Land der Zukunft« werden. Für beide gilt vielmehr: »Brasilien stellte das Ende dar. [...] Er konnte das Exil nicht akzeptieren, er war kein Staatsbürger mehr […] hatte keine Heimat mehr.«70 Für Eva Bodenheim erscheint das Zufluchtsland zunächst wie ein Paradies. Mithilfe ihres Geliebten, des attraktiven und einflussreichen Journalisten André Vilares, gelingt ihr eine schnelle Integration in das Zufluchtsland. Doch bald zeigt dieser Garten Eden seine Schattenseiten. »Um Gottes Willen, hier darfst du solche Spielereien nicht machen. Die Wälder sind voll giftiger Schlangen«71, wird sie gewarnt, sich nicht vom äußeren Eindruck des Landes und seines Volkes blenden zu
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lassen. Dennoch bemerkt sie nicht, dass sowohl die Hilfsbereitschaft von André Vilares als auch von Odette, einer Modedesignerin, nicht aus Uneigennützigkeit geschieht. Beide nutzen sie für ihre Zwecke aus, Vilares für ein flüchtiges Liebesabenteuer und Odette für eine lesbische Liebschaft. Erst die Begegnung mit einem Jugendfreund, der in Südamerika als deutscher Diplomat tätig ist und mit dem sie nach Deutschland zurückkehrt, bringt die Wende. So wird für sie das vermeintliche Paradies Brasilien zur Hölle und stellt sich die Hölle Nazi-Deutschland in ihren Augen als Paradies dar. In diesem Sinne zeichnete Alfredo Gartenberg ein Bild von Brasilien, das dem Stefan Zweigs diametral entgegenstand. Max Bodenheim verliert mit seiner Frau die letzte Verbindung zur alten Heimat. Da ihm als Juden die Möglichkeit der Rückkehr verwehrt ist, sieht er, allein auf sich gestellt, nur noch im Selbstmord in den Fluten der Copacabana einen Ausweg. Seine tiefe Verwurzelung in der jüdischen wie deutschen Kultur gleichermaßen spiegelt sich in der Tatsache wider, dass er in seinen letzten Lebensminuten sowohl die Schlussszene aus Schillers Drama Die Verschwörung des Fiesko zu Genua rezitiert als auch das Kaddisch spricht. Mit der Geschichte des Max Bodenheim, der infolge der nationalsozialistischen »Rassenpolitik« nach und nach seinen ganzen Besitz, seine Existenz und seine Frau verliert und dem zum Schluss nur noch das eigene Leben bleibt, stellte sich der Autor in die lange Tradition der literarischen Bearbeitungen der HiobThematiken, wie sie gerade auch in der Exil- und Holocaustliteratur vertreten ist. Für seinen historischen Roman über den falschen Messias Jakob Frank aus dem 18. Jahrhundert namens Jacob Frank. O messias da sarjeta fand er keinen Verlag und publizierte ihn deshalb 1980 im Selbstverlag. Am 18. Juni 1982 starb Alfredo Gartenberg in Rio de Janeiro.
RICH ARD KATZ — Weltreisender und Brasilianer des H erzens 72 Am 21. Oktober 1888 wurde Richard Katz im Prag der k.u.k.-Monarchie geboren. Schon früh zog es ihn trotz abgeschlossenen Jura-Studiums aufgrund des Einflusses seines Vaters Hermann, des langjährigen Chefredakteurs der Prager Zeitung Bohemia, zum Journalismus. Im renommierten Berliner Ullstein Verlag machte er eine beeindruckende Karriere, deren journalistischer Höhepunkt die Gründung der dem Alltäglichen gewidmete Sonntagszeitung für Stadt und Land, so der Untertitel, namens Die grüne Post 1927 darstellt. Die Zeitung traf den Nerv der Zeit und erreichte in kürzester Zeit eine Millionen-Auflage, bevor sie 1934 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Noch berühmter indessen wurde Katz als »Weltenbummler«. Nach den langen Jahren der Isolation Deutschlands infolge des Ersten Weltkrieges und dessen Nachwirkungen und aufgrund des Fehlens jeglicher Möglichkeiten, selbst zu verreisen, hungerten die Menschen nach Informationen aus fremden Ländern. Daher beschloss man im Ullstein Verlag Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, Katz als Sonderberichterstatter in die Welt zu schicken. Als Frucht der ersten Weltreise entstand nach seiner Rückkehr 1927 das Buch Ein Bummel um die Welt.73 Es wurde zu einem Bestseller und begeisterte Tausende. So nannte sich Kurt Tucholsky einen »Katz-Philologen« und Erich Maria Remarque schrieb über die literarischen Qualitäten seines Freundes: Du hast die stagnierende Reiseliteratur revolutioniert, indem Du müde Klischees durch die funkelnde Brillanz des gesunden Menschenverstandes zu neuem Leben
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erweckt hast; Du hast uns dadurch die Exotik der Tropen hautnahe in unsere Zimmer gebracht; Du hast uns Bücher voll weiser und nachdenklicher Menschlichkeit geschenkt; und Du bist einer der wenigen geborenen Story-teller, der atemraubend [sic] erzählen kann.74
Dieses Werk ebnete ihm den Weg zum Klassiker der Reiseliteratur und schuf das Fundament für eine finanzielle Grundlage, die es Katz im Exil erlauben sollte, diesbezüglich sorgenfrei leben zu können. Aufgrund des durchschlagenden Erfolges unternahm er eine weitere Weltreise. Seine Reisebücher verfasste er diesmal gleich an Ort und Stelle. »Der Verlag Ullstein schnappte nach meinen Büchern wie ein hungriger Hecht«.75 Die Nachrichten aus Deutschland, in erster Linie der stete Aufstieg der Nationalsozialisten, bewogen ihn von seiner zweiten Weltreise nicht nach Berlin zurückzukehren. Nach seiner Rückkehr erstand er in Locarno/Schweiz ein Haus mit einem großen Anwesen, die Vila Jorana, die ihm in den nächsten zehn Jahren als Refugium dienen sollte. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges machte seine Hoffnung zunichte, in seinem geliebten Europa bleiben zu können. Die Flucht gestaltete sich zu einer Irrfahrt, die ihm erst beim dritten Versuch gelang. Während andere Exilanten wie Hugo Simon oder Ulrich Becher und seine Frau Dana nur nach Brasilien gelangten, weil es die einzige Möglichkeit war, aus Europa zu fliehen, und sie sich dort um die nötigen Papiere für die USA bemühten, entschied sich Katz, ähnlich wie Stefan Zweig, ganz bewusst für das südamerikanische Land. »Mein USA-Visum habe ich verfallen lassen; es ist mir seinerzeit kurz vor meiner Abreise im März vom USA-Generalkonsulat in Zürich geradezu aufgedrängt worden, ohne daß ich weiß, wem ich die Freundlichkeit zu verdanken hatte.«76 Sicherlich beeinflusste die in mehreren Werken kundgetane Abneigung gegen die Vereinigten Staaten, die sich dem von ihm verurteilten Fortschrittsglauben und der Technik verschrieben hatten77, seine Entscheidung. Nach seiner Angabe fiel die Wahl auf Brasilien, »weil es mir von meinen Reisen her in freundlicher Erinnerung stand«. Ohne Schwierigkeiten bekam er das Einreisevisum, »weil man mich dort von meiner Weltreise her kannte«.78 Ohne die Tatsache, dass Brasilien Katz seit seinem ersten Besuch sehr gefiel, in Abrede stellen zu wollen, so ist jedoch der zweite Umstand des problemlos erhaltenen Einreisevisums aus dem von ihm angegebenen Grund anzuzweifeln. Für die unkomplizierte Erteilung des Dauervisums war vielmehr die Erfüllung der Kapitalisten-Klausel der brasilianischen Immigrationsgesetzgebung verantwortlich. Als er letztlich am 27. April 1941 in Rio de Janeiro ankam, suchte er zunächst einmal die Abgeschiedenheit. Inmitten der paradiesisch anmutenden Natur wollte er auf der friedlichen Insel Paquetá zur Ruhe kommen. Auf Drängen seines Schweizer Verlegers Eugen Rentsch fing er wenige Monate nach der Ankunft an, sein erstes »Brasilienbuch« zu schreiben. »Ausgeworfen am Strande des Leids«, wie der Reiseschriftsteller die Situation des Exilanten beschrieb,79 war die Annäherung an Brasilien stark beeinflusst von seinen eigenen Flucht- und Exilerfahrungen, deren Folgen für den Menschen im Allgemeinen und der auf der Andersartigkeit beruhenden Diskriminierung und Verfolgung einer Menschengruppe. Dieser besondere Blick auf das Land war auch dafür verantwortlich, dass Katz nach dem Krieg vorwiegend unter den deutschsprachigen Exilanten in Brasilien seine Leserschaft fand. Er stellte für sie aufgrund der ähnlichen Erlebnisse nicht nur eine Identifikationsfigur dar, sondern galt ihnen, die ihn noch von seinen Erfolgen in Europa her kannten, vielmehr auch als eine vertrauenswürdige Quelle. Seine Bücher halfen ihnen, das Zufluchtsland besser zu verstehen.
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Im Gegensatz zu seinem ersten »Brasilienbuch«, Mein Inselbuch, das im Schatten der dramatischen Fluchterlebnisse stand,80 war das zweite, Begegnungen in Rio, von den Auswirkungen der Vorschriften bezüglich der Angehörigen der Achsenmächte und der Nationalisierungskampagne des Vargas-Regimes geprägt. Äußerst betroffen zeigte sich Katz als Schriftsteller vom Verbot der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit: Brasilien hat jetzt verboten, öffentlich deutsch zu sprechen, weil es die Sprache Hitlers nicht hören will. Nur: es ist auch die Sprache Goethes, Gottfried Kellers und Rainer Maria Rilkes, es ist auch die Sprache so manchen Forschers, der an der Erschließung Brasiliens mitgearbeitet hat. Es ist auch meine Sprache. Und es tut mir weh, sie verfehmt [sic] zu sehen. Denn sie ist der Ausdruck meines Denkens, die Grundlage meiner Bildung und die Voraussetzung meines Berufs. […] und ich werde nicht aufhören, sie zu lieben.81
Katz teilte das Schicksal vieler Exilanten in Brasilien. Das Verbot der deutschen Sprache intensivierte den erlittenen Verlust der Heimat. Trotz dieser schwierigen Anfangsjahre wurde Brasilien allmählich zum neuen Zuhause für ihn. »Nirgendwo in der Welt — und ich bin weit in ihr herumgekommen — habe ich so offene Türen und Herzen gefunden wie in Brasilien.«82 Eindringlich warnte er vor europäischer Arroganz gegenüber den Brasilianern. Sie »sind anders als wir, aber sie sind deshalb nicht schlechter«83. Maßgeblich verantwortlich für Katz’ Wohlfühlen in ihrer Gesellschaft war vor allem seine Freundschaft mit Rachel de Queiroz, einer der namhaftesten brasilianischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, und mit dem berühmten Anthropologen Arthur Ramos. Insbesondere die Schriftstellerin vertiefte Katz’ emotionale Bindung zum Zufluchtsland. Dona Rachels Güte hat mir […] den Weg […] zu ihrer Heimat gewiesen; ihr verdanke ich es, daß ich nicht nur dem Paß, sondern auch dem Herzen nach Brasilianer geworden bin. […] verstand ich Brasilien nicht – und wie wenig verstand ich es zu Beginn! – holte ich mir Rat bei ihr. Denn was sie nicht von Brasilien weiß, ist nicht wert gewußt zu werden.84
Die freundschaftliche Beziehung zu Arthur Ramos verhalf ihm zu einem differenzierten Urteilsvermögen bezüglich des scheinbar harmonischen Zusammenlebens der verschiedenen Völker in Brasilien. Dieses hatte ihn schon 1931 bei seiner ersten Begegnung mit dem Land beeindruckt. Als er zehn Jahre später als ein aus »rassischen« Gründen verfolgter Flüchtling zurückkehrte, gab ihm der SchmelztiegelCharakter die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In dem Bemühen, jegliche auf eine Minderwertigkeit der Farbigen abzielenden Vorurteile bei seiner europäischen Leserschaft abzubauen, sandte er ihr 1948 gleichsam als Antwort auf die nationalsozialistische »Rassenpolitik« die Übersetzung des Standardwerkes seines Freundes namens Die Negerkulturen in der Neuen Welt. Schon in seinem Vorwort machte der Reiseschriftsteller klar, dass es ihm um ein Umdenken ging. Daher zitierte Katz auch Arthur Ramos’ Feststellung: »Auf dem Gebiet der Anthropologie ist unser Land eine lebende Lektion gegen die Pseudowissenschaft nordischer Rassenlehren. […] Diese brasilianische Philosophie der Rassenbehandlung ist unsere beste Waffe gegen die monströse Philosophie der Nationalsozialisten, die im Namen der Rasse schlachtet.«85 Obwohl der Reiseschriftsteller gegenüber der europäischen Leserschaft die »rassische und nationale Toleranz«86 Brasiliens hervorhob, war er sich allerdings bewusst, dass auch
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dort die Gleichberechtigung nach Abschaffung der Sklaverei nicht vollständig hatte verwirklicht werden können. Nach dem Krieg tastete sich Katz erst ganz vorsichtig an die Alte Heimat Europa heran. Die starken Gesundheitsbeschwerden infolge der tropischen Hitze bewogen ihn schließlich 1954 zur Rückkehr in seine Vila Jorana in Locarno, die er all die Jahre behalten hatte. Dennoch sollte er sein Sommerhaus in Nova Friburgo, in den Bergen von Rio de Janeiro gelegen, und seine Verbindungen nach Brasilien bis zu seinem Lebensende nicht aufgeben. In seinem letzten Lebensjahrzehnt lebte der Schriftsteller sehr zurückgezogen. Diese Lebensweise spiegelte sich auch in seinen späten Werken wieder, die von seinen Erfahrungen als Gärtner, seinen Hunden und Papageien, den aus Brasilien mitgebrachten Haustieren, sowie seinen Hobbys handelten. Zwar konnte er damit nicht mehr die früheren Auflagenhöhen erreichen, da die wichtigste Generation von KatzLesern entweder emigriert, im Rahmen der Judenverfolgung ermordet oder während des Krieges ums Leben gekommen war. Das jüngere Leserpublikum kannte Katz durch das zwölfjährige Verbot nicht mehr. Gleichwohl waren sie keine Misserfolge. Am 8. November 1968 starb er in Locarno weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit.
ANATOL ROSENFELD — »unabhängige[r] Intellektuelle[r]« und »perfekte[r] Gelehrte[r]« 87 Anatol Herbert Rosenfeld wurde am 28. August 1912 in Berlin geboren, wo er von 1930 bis 1934 Philosophie, Literaturtheorie und Geschichte an der Friedrich Wilhelm-Universität studierte. Sein Dissertationsvorhaben musste er aufgrund der Nürnberger Gesetze 1935 aufgeben. Eine Auskunft, die er während der Olympischen Spiele 1936 einem Besucher in Englisch gegeben hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Ein Gestapospitzel bezichtigte ihn später, »dass er ›Greuelmärchen über Deutschland‹ verbreitet hätte. Daraufhin wurde Rosenfeld aufgefordert, bei der Gestapo vorstellig zu werden. Er, der ein Jude und dazu ein Linker war, floh nach Holland.«88 Anfang 1937 kam er ohne Familie, nur mit einem Touristenvisum nach Brasilien. Aus Angst vor einer Verhaftung und Abschiebung mied er die Großstädte und schreckte deshalb auch nicht vor mühsamen und anstrengenden Tätigkeiten im brasilianischen Hinterland als Tagelöhner, Türpolierer und langjähriger Handelsreisender zurück. Diese Reisejahre im Landesinneren vermittelten ihm eine unschätzbare Kenntnis und Vertrautheit mit der brasilianischen Alltagskultur, Mentalität und Natur, wie sie den Exilanten in den Städten unzugänglich waren. Gerade das Wissen, dass es, laut Rosenfeld, »nicht das eine Brasilien gibt«, sondern »viele verschiedene Brasilien«89, prägte seine spätere Arbeit und Rolle als Brückenbauer zwischen Deutschland und Brasilien. Seine intellektuelle Arbeit konnte er erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit journalistischer Tätigkeit in São Paulo als Korrespondent für eine Schweizer Zeitung wieder aufnehmen. Neben der Publikation einzelner Beiträge in verschiedenen großen Zeitungen der Stadt wurde er 1956 von dem bedeutenden Literaturkritiker Antonio Candido mit der redaktionellen Leitung der Sektion für deutsche Literatur in der Literaturbeilage des Estado de São Paulo betraut. 1959 kam eine erste Sammlung seiner Artikel unter dem Titel Doze estudos heraus. Mit ihnen legte er das Fundament für eine in Brasilien völlig neue Haltung gegenüber der vergleichenden Literaturwissenschaft und für einen fruchtbaren deutsch-brasilianischen Literaturvergleich. Rosenfeld
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vermochte es, die literarischen Zeugnisse beider Kulturen jenseits einer kolonialen Mentalität der Einflussnahme der an Kultur reichen Europäer auf die vermeintlich kulturell armen Tropenbewohner einander anzunähern, wie die Essays über die brasilianischen Übersetzungen deutscher Gedichte und die Gegenüberstellung der Poesie Gottfried Benns und der des bis dahin vernachlässigten Augusto dos Anjos eindrucksvoll veranschaulichen. »Rosenfeld war nicht jemand, der hier exiliert in der Sprache und Kultur lebte, die ihn hervorgebracht hatten. Er verweigerte sich ihnen nicht, sondern brachte sie in den Dialog mit seinem neuen Ausdrucksmittel; so sehr, dass alle seine Abhandlungen zu brasilianischen Themen immer wie ein Zwiegespräch mit dem Universum von Lessing bis Gottfried Benn erscheinen«, beschreibt der Theaterwissenschaftler Jacó Guinsburg Rosenfelds Wirken als Kulturvermittler.90 Doch Rosenfeld wurde nicht nur zum Vermittler der deutschen Kultur gegenüber den Brasilianern, sondern vielmehr auch der brasilianischen gegenüber den Deutschen. Diese Kulturvermittlung in beide Richtungen sah er in seiner Position als Grenzgänger zwischen zwei Welten auch als seine Pflicht an. Gegen Ende seines Lebens schrieb er darüber: »Es lebt sich perfekt zwischen zwei Welten. Tatsächlich ist diese Situation eine Quelle der Bereicherung. Nicht die Regel gibt Aufschluss über die Phänomene […] Das Essenzielle geht aus der Ausnahme, aus dem Spezialfall hervor.«91 Daher folgte er den Einladungen der Exilanten in Rolândia zu Vorträgen. Ferner arbeitete er als Kulturredakteur der Crônica Israelita, der vierzehntägig erscheinenden Zeitung der CIP in São Paulo, wobei er neben kulturellen Themen auch Aspekte des jüdischen Lebens in Brasilien aufgriff und religionsdidaktische Beiträge für die Gemeindejugend verfasste. Für eine deutsche Leserschaft waren die Beiträge für das Staden-Jahrbuch, des Jahrbuchs des Martius-Staden-Instituts, gedacht, in denen er das Publikum mit der brasilianischen Alltagskultur und deren wesentlichen Elementen wie Fußball oder Macumba vertraut machte. Dabei nutzte er auch die Gelegenheit, mit gängigen Klischeevorstellungen über Brasilien aufzuräumen. Entgegen der oftmals betonten, vermeintlich gelebten »Rassendemokratie« in Brasilien, die angeblich auf der Abwesenheit jeglicher Vorurteile gegenüber den Farbigen beruht, stellte Rosenfeld klar: Das Fehlen einer Diskriminationen rechtfertigenden Ideologie schliesst [sic] freilich nicht aus, dass zahlreiche Stereotype als Splitter und Atome einer latenten, strengster Zensur unterliegenden Ideologie eine gewisse Verbreitung gefunden haben. […] Die Stereotype tragen dazu bei, dass sich bei den Farbigen genau die Eigenschaften entwickeln, die ihnen in simplifizierender Verallgemeinerung zugeschrieben werden.92
Das Ansehen, das er sich mit seinen journalistischen Beiträgen erarbeitet hatte, führte am Beginn der sechziger Jahre zu einer wissenschaftlichen Anstellung. An der privaten Escola de Arte Dramática lehrte er Theaterästhetik und Deutsches Theater. Dabei gab er wichtige Impulse für die Entwicklung des Theaters und prägte die Rezeption von Bertolt Brechts Werk in Brasilien. Denn obwohl Brecht in jenen Jahren bereits einigen Dramaturgen ein Begriff gewesen war, wagten sie es nicht, ihn als ästhetische Möglichkeit für das brasilianische Theater in Erwägung zu ziehen, was sich unter dem Einfluss von Rosenfelds Arbeiten änderte. Mit seinen Essays zur Theaterund Literaturtheorie ebenso wie mit seinen Werken zur Ästhetik setzte er Maßstäbe, noch immer gelten sie in Brasilien als bedeutende Referenzwerke.93 Ebenso werden seine filmtheoretischen Schriften in der Filmwissenschaft als unverzichtbare Lektüre angesehen.
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Freiheitsliebend und auf seine Unabhängigkeit bedacht, schlug Rosenfeld weitere Angebote einer Festanstellung, darunter mehrere Professuren an staatlichen Universitäten, aus, da er keinerlei bürokratischen Pflichten unterworfen sein wollte. Seiner Vorstellung der Wissensvermittlung entsprach es mehr, sich in privater Atmosphäre, meist abends, mit Schülern und Interessierten, Emigranten und Brasilianern, die ihn auch finanziell unterstützten, zu treffen und in einem kleinen Kreis philosophische oder ästhetische Fragen zu diskutieren. Wie Carpeaux in Rio war Rosenfeld fest in die Intellektuellenkreise in São Paulo integriert, beobachtete aufmerksam die kulturelle Entwicklung der Stadt und wurde auf diese Weise ebenfalls zum Lehrer von Generationen von brasilianischen Denkern und Künstlern. Aufgrund seines ungeklärten Status im Land verhielt sich Rosenfeld bezüglich politischer, nationaler Themen sehr zurückhaltend, ohne allerdings seine Meinung den gewünschten Ansichten der Mächtigen zu unterwerfen. Dahinter stand »die Furcht, beschimpft zu werden und noch mehr die Angst […], in letzter Instanz aus dem Land verwiesen zu werden«94. In seinem letzten Lebensjahrzehnt jedoch gab Rosenfeld infolge des Militärputsches 1964 die Reserviertheit bezüglich nationaler Themen auf, bezog klar politisch Stellung und kritisierte die in diesen Jahren im Land verbreitete Strömung des Irrationalismus in einer für ihn ungewöhnlichen Vehemenz, wusste er doch aus eigener Erfahrung um die darin enthaltene Gefahr. Die Mitarbeit an einer oppositionellen Zeitschrift, in der er ein Mittel sah, mit Hilfe der kritischen Intelligenz gegen die Irrationalität und Brutalität in der Welt zu kämpfen, war eine seiner letzten Leistungen, bevor er am 11. Dezember 1973 in São Paulo an Krebs starb.
KARIN SCH AUFF — politisch engagierte Katholikin und Chronistin der Wandlung von Rolândia von der Urwaldsiedlung zur blühenden Stadt Geboren am 21. Februar 1902 in Gemünd (Eifel), lernte Karin Schauff, geb. Mager, ihren späteren Ehemann Johannes Schauff 1922 auf dessen Abiturfeier kennen und folgte ihm ein Jahr später zum Studium nach Berlin, wo sich Johannes Schauff in den Fächern Nationalökonomie und Geschichte eingeschrieben hatte, während Karin Schauff ein Medizinstudium begann. 1926 heirateten die beiden, und ein Jahr darauf kam das erste Kind, dem bis 1933 vier weitere, zwei Mädchen und zwei Jungen, folgen sollten, so dass Karin Schauff aufgrund der größer werdenden Familie ihr Studium aufgab und eine Ausbildung als Wohlfahrtshelferin absolvierte. In jener Zeit fing Johannes Schauffs Engagement in der Zentrumspartei an. Seit 1926 arbeitete er in Organisationen für Siedlungsfragen, so u.a. der Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation, die vor allem nachgeborenen Bauernsöhnen aus dem Westen Deutschlands neue Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten im Osten des Landes schaffen wollte. 1932 wurde er als jüngstes Mitglied der Zentrumspartei Reichstagsabgeordneter. Seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und Kontakte zum Widerstand führten zum Verlust aller Stellungen und zur direkten Verfolgung durch die Nationalsozialisten, wodurch es für Johannes Schauff in Deutschland immer gefährlicher und daher unmöglich wurde, bei seiner Familie zu bleiben. 1937 verließen Karin Schauff und ihre Kinder, zu denen durch die Geburt von Zwillingssöhnen zwei weitere dazu gekommen waren, Deutschland und suchten fürs Erste in Rom Zuflucht. Dort konnte Johannes Schauff wieder ohne Angst bei seiner Familie leben. Aufgrund der zunehmenden Annäherung zwischen Hitler und Musso-
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lini verließ man nach einer zweijährigen Atempause im März 1939 Italien und brach nach Brasilien auf, wo man schon 1933 in Rolândia Land erworben hatte. Auf einem gemeinsam 1932 beschlossenen Projekt der Gesellschaft für wirtschaftliche Studien in Übersee mit der Companhia de Terras Norte do Paraná beruhend, war Rolândia zunächst eine normale Siedlungskolonie gewesen. Im Lauf der Entwicklung wurde sie indes nicht zuletzt dank des mutigen Engagements von Johannes Schauff, der neben Erich Koch-Weser und dem Tropenlandwirt Oswald Nixdorf die führende Persönlichkeit von deutscher Seite aus in diesem Projekt war, bis zum Kriegsausbruch 1939 zu einem rettenden Refugium für 145 Flüchtlinge. Infolge der strengen Devisenbestimmungen nach 1933 und Brasiliens zunehmend restriktiver werdenden Einwanderungsgesetzgebung entwarf der mit der finanziellen Abwicklung des Projektes betraute Johannes Schauff ein Tauschgeschäft, das beides umging. Die Lösung hieß: deutsche Eisenbahnschienen gegen brasilianisches Land. Wer Eisenbahn-Material für die ›Paraná-Plantation‹ in Deutschland bezahlte, erhielt dafür im Gegenzug Landanteilscheine; diese bedeuteten die Einreise- und Niederlassungsgenehmigung in Brasilien, das der Paraná-Gesellschaft zu diesem Zweck ein eigenes Visumskontingent zur Verfügung stellte. […] Bis 1935 profitierten in erster Linie nicht-jüdische Regimegegner — vor allem aus dem katholischen politischen Milieu — […] von diesen Austauschgeschäften. […] Die Lage änderte sich, als […] auch deutsche Juden dringend auf Emigrationsmöglichkeiten angewiesen waren. Eine Anzahl von ihnen […] konnte in das Transferunternehmen aufgenommen werden.95
Die landwirtschaftlich unerfahrenen, meist aus gut bürgerlichen Verhältnissen stammenden, akademisch ausgebildeten Flüchtlinge erwartete die feindliche Umgebung des brasilianischen Urwaldes, die ihnen in der Anfangszeit große Opfer abverlangte. Ihr früheres, kultiviertes Leben in einer deutschen Großstadt hatten sie gegen eine zu Beginn primitive Existenz in der ungezähmten Natur im entlegenen Hinterland Brasiliens eintauschen müssen. Um andere an diesen außergewöhnlichen Erfahrungen teilhaben zu lassen, verfasste Karin Schauff insgesamt vier Erinnerungsbücher. Wie alle Exilanten in Rolândia erlebte auch sie die unmittelbare Begegnung mit dem unerschlossenen Urwald als sehr intensiv: Die Natur zeigte sich zwar tropisch grandios, aber chaotisch und gefährlich. Kinder dort aufzuziehen und auszubilden, allein schon, sie gesund halten zu wollen, erschien mir geradezu als ein Frevel. […] Dort unten am Bach stand […] auch die erste primitive Hütte […]. Frösche, Spinnen, Schlangen, Skorpione konnten zwischen den gespaltenen Palmitenstämmen der Wände hereinkriechen. […] Im Urwald herrscht das Recht des Stärkeren, nicht nur in der Welt der Pflanzen und Tiere. Auch der Mensch ist gröber, triebhafter, barbarischer. […] Das kann gewiß nicht wundernehmen, wenn man weiß, daß angesichts dieser Gegensätze selbst der gebildete, von abendländischer Gesittung geprägte Mensch sein seelisches Gleichgewicht in Gefahr sieht. […] Jeder kleine Schritt vorwärts war uns ein Ereignis. Damals gab es im Urwald keine andere Möglichkeit, als mit Kerzen oder Petroleumlampen zu beginnen, […] den primitivsten Hilfsmitteln zu waschen, auf Holzfeuer zu kochen.96
Obwohl ein Festhalten am alten Leben letzten Endes in gewisser Weise kontraproduktiv war, war doch nachvollziehbar, dass man ein Stück Vergangenheit in die
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Gegenwart mit einzubringen versuchte, was bei den Kindern der Exilanten nicht immer auf Verständnis stieß: Die Jungen, wie jede junge Generation zur lebendigen Kritik berufen, ließen uns Pioniere öfters hören, daß wir zuviel Kraft mit romantischer Ästhetik und Umständlichkeit vertan hätten. […] Die Trauer um die verlorene Heimat ließ uns Blumen, Bäume und Kräuter anpflanzen, wie wir sie von Kind an kannten. Wenn wir hier anfangs die gewohnten Dinge erzeugen konnten, nahm es unserer Sehnsucht etwas von der bohrenden Wildheit ihres Schmerzes. Um das ganz zu verstehen, muß man es vielleicht erlebt haben.97
Den Weg, den die Flüchtlinge zurücklegen mussten, bis sie wirklich das Land ihr eigen nennen konnten, sah Karin Schauff deshalb versinnbildlicht in dem mühevollen Vorgang, Urwald in Kulturland zu verwandeln. Denn in der Kultivierung des eigenen Bodens lag eine Aufgabe, die das Exil sinnvoll erscheinen ließ. Sie war eine physische wie psychische Bindung an die Fremde, die auf diese Weise zum neuen Zuhause wurde. Man wurde im buchstäblichen Sinne im fremden Land verwurzelt. In jenen Jahren brachte Karin Schauff dort noch zwei weitere Kinder zur Welt und zog insgesamt neun Kinder groß. Den meisten der Exilanten gelang es trotz der widrigen Ausgangsvoraussetzungen, erfolgreiche Siedler zu werden und das Chaos des Urwaldes in Gewinn bringende Kaffeeplantagen oder landwirtschaftliche Betriebe zu verwandeln. Nach schwierigen Zeiten mit Schweinezucht, Soja-, Mais- oder Baumwollanbau brachte der Kaffeeboom einen wirtschaftlichen Aufschwung, der Rolândia aufgrund der guten Infrastruktur und der günstigen klimatischen Voraussetzungen zu der heutigen blühenden Stadt machte. Mehr als für alle anderen Flüchtlinge in Brasilien war gerade für die Exilanten in Rolândia die Pflege der deutschen Kultur und Sprache von fast lebenserhaltender Bedeutung. Die Beschäftigung mit der deutschen Kultur in Form von Rezitationsabenden, Lesungen, Theater- und Konzertaufführungen spendete Trost und Kraft. So wurde Rolândia zu einer »Art geistige(m) Zentrum im brasilianischen Urwald«.98 Nach dem Kriegsende drängte es Johannes Schauff, den Wiederaufbau Deutschlands und die Organisation der Auswanderung der Displaced Persons sowie des nach der kommunistischen Machtübernahme einsetzenden Flüchtlingsstroms aus Osteuropa nach Nord- und Südamerika mithilfe seiner führenden Tätigkeit in der International Catholic Migration Commission zu unterstützen. 1951 kehrte man deshalb nach Europa zurück. Man ließ sich auf dem Ansitz Löwenegg in Sterzing/Südtirol nieder; die Fazenda Santa Cruz in Rolândia gab man in die Hände von Verwaltern. Karin Schauff fand daneben noch Zeit, das aufgegebene Medizinstudium zu absolvieren, während sich ihr Mann für den Aufbau einer Entschädigungsorganisation für Südtiroler Optanten99 in Bozen einsetzte und sich um die Verbesserung der deutschpolnischen Beziehungen bemühte. Doch Johannes Schauff zeigte auch innenpolitisches Engagement; z.B. trug er 1966 zum Zustandekommen der großen Koalition der CDU und SPD mit Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler bei. Mit dem Umzug nach Rom in die Nähe des Vatikans fand das Ehepaar Schauff infolge seiner engen Bindung an die katholische Religion ein spirituelles Zuhause. Die Fazenda Santa Cruz bildete jedoch für Johannes und Karin Schauff bis zu ihrem Tod in den Neunzigerjahren eine zweite Heimat, in der sie jährlich mehrere Monate verbrachten, zumal drei ihrer Söhne in Rolândia geblieben waren. Am 16. Januar 1999 starb Karin Schauff in Rom.
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H UGO SIMON — Kunst liebender Bankier und schreibender Seidenraupenzüchter im brasilianischen H interland Hugo Simon wurde am 1. September 1880 in Usch/Provinz Posen (heute Polen) geboren. Er gehörte zu den prominentesten Exilanten, die in Brasilien Zuflucht fanden. Nach einer Banklehre in Marburg gründete er mit Otto Carsch die Privatbank Carsch, Simon & Co, nach Eintritt von Casimir Bett Bett, Simon & Co., die er als Seniorchef leitete. Schon verhältnismäßig früh trat Simon in die SPD ein. Als Kriegsgegner gehörte er 1914 zu den Gründungsmitgliedern des Bundes Neues Vaterland und beteiligte sich an der Gründung der USPD. 1918/19 wurde Simon als Vertreter der USPD für kurze Zeit gemeinsam mit dem SPD-Mitglied Albert Südekum zum Finanzminister ernannt. Bekannt als Förderer junger, meist mittel- und noch namenloser Künstler und für seine Offenheit gegenüber neuen, modernen Kunstrichtungen war er einer der ersten, der die Künstlergruppe Die Brücke unterstützte und Werke von Picasso, Max Liebermann, George Grosz und Oskar Kokoschka erstand. Bei dem Erwerb von Kunstwerken für seine bedeutende Sammlung ließ er sich von seinen Freunden Bruno und Paul Cassirer und Alfred Flechtheim beraten. Ferner unterstützte der Bankier vermögenslose Schriftsteller. So arbeitete Kurt Tucholsky in seiner Bank während der wirtschaftlich schweren Inflationszeit als sein Privatsekretär. Simon pflegte darüber hinaus enge Verbindungen und Freundschaften sowie geschäftliche Beziehungen mit großen damaligen Verlegern wie Ernst Rowohlt, Samuel Fischer und den Ullstein Brüdern. Der enge und persönliche Kontakt des Bankiers zu zahlreichen Schriftstellern sollte sich in deren Werken widerspiegeln. In diesem Sinne hatten Ludwig Meidner bereits im Dezember 1918 seine ein Jahr zuvor verfasste Prosadichtung Septemberschrei dem »Minister Hugo Simon und Frau zu Berlin Zehlendorf« und Else Lasker-Schüler 1920 ihr Gedicht »Gott hör…« »Hugo Simon dem Boas« gewidmet.100 1929 setzte René Schickele Simon in dem Protagonisten Josephus Samtaug seines Romans Symphonie in Jazz ein Denkmal. Zehn Jahre später sollte Klaus Mann in seinem Roman Der Vulkan. Roman unter Emigranten dem Bankier Siegfried Bernheim Züge von Simon verleihen. Weitere zehn Jahre später schuf Alfred Döblin die Romantetralogie November 1918, in der er die Zeit seines Freundes Simon als Finanzminister aufgriff. 1921 kaufte Simon das auf den Seelower Höhen gelegene Vergnügungs- und Ausflugslokal Schweizerhaus, das unter seiner Leitung zu einem Mustergut ausgeweitet wurde. Seine 1924 erworbene, von Paul Cassirer umgebaute und ausgestattete Villa am Rand des Berliner Tiergartens in der Drakestraße bildete bald einen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Stadt mit führenden Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kunst. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste das Ehepaar Simon aufgrund der jüdischen Herkunft und des politischen Engagements Deutschland verlassen und ging nach Frankreich. In Paris vermochte Simon, wieder eine Bank zu gründen und damit an seine frühere Existenz anzuknüpfen. Seine »[p]rächtige Wohnung«, wie Thomas Mann sie nannte101, wurde erneut zu einem Treffpunkt für Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft. Die politischen Aktivitäten nahm Simon im französischen Exil ebenfalls wieder auf. So arbeitete er mit Willy Münzenberg zusammen, war ab 1935 an der Bildung einer deutschen Volksfront beteiligt und engagierte sich bei diversen Flüchtlingsorganisationen, wie z.B. der Demokratischen
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Flüchtlingsfürsorge und dem Comité allemand. Materielle Unterstützung ließ er überdies verschiedenen Exilpresseorganen, u.a. der Pariser Tageszeitung, zukommen. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war sein Leben abermals in großer Gefahr. Trotz der Einstufung als refugiés politiques groupe I in seiner carte d’identité wurde er im September 1939 kurzzeitig interniert. Anfang Juni 1940 unmittelbar vor dem Einmarsch der Deutschen sandte die französische Regierung das Ehepaar Simon in das sichere Montauban. Obwohl es den beiden gelang, zumindest ein auf einen Aufenthalt von sechs Monaten begrenztes non-immigration-Visum für die USA zu erhalten, untersagte die Petain-Regierung ihnen nach dem Waffenstillstand die Fahrt nach Marseille, um die Papiere in Empfang zu nehmen. Da die französische Regierung dem von den Nationalsozialisten gesuchten Ehepaar zudem das für die Ausreise unerlässliche visa de sortie verweigerte, benötigten Hugo und Gertrud Simon falsche Identitäten und bekamen dank des tschechoslowakischen Konsuls tschechoslowakische Pässe eines ihrem Alter entsprechenden, nicht mehr lebenden Ehepaares, Hubert Studenic und Garina Studenicova. Damit konnte der Bankier für sich und seine Frau ein Transitvisum für Brasilien bekommen. Am 3. März 1941 kamen die beiden in Rio de Janeiro an. Bereits im April versuchte Simon dort die Weiterreise in die USA in die Wege zu leiten und setzte sich mit der amerikanischen Botschaft in Kontakt. Er wandte sich in einem Brief an die Regierung der USA, jedoch ohne Erfolg. Die amerikanischen Diplomaten waren die einzigen Vertreter einer staatlichen Einrichtung, die in Brasilien über die wahre Identität des Ehepaares Simon Bescheid wussten.102 Für die brasilianischen Behörden galten die beiden als Hubert Studenic und Garina Studenicova. Nur der Ende Juli 1941 in Kraft gesetzte Erlass über die den Flüchtlingen zugestandene vorläufige Aufenthaltsgenehmigung bewahrte sie vor einer Abschiebung, nachdem das Transitvisum abgelaufen war. Die Erfahrung, auch in Brasilien von einer Ausweisung bedroht zu sein, sollte ihr Verhalten maßgeblich prägen. So zählten Ernst Feder und Stefan Zweig zu den wenigen Freunden, die in Brasilien über dessen wahre Identität Bescheid wussten. Aus Angst ging das Ehepaar bis zur Verleugnung ihrer restlichen Familie, ihrer Töchter, des Schwiegersohns und des Enkels, die sich ebenfalls nur mithilfe falscher, von der Résistance zur Verfügung gestellter, Papiere nach Brasilien hatten retten können. Monatlich erhielt Simon dank der Erlaubnis von Churchill und Roosevelt eine bescheidene Summe aus seinem restlichen, sich in England und in den USA befindlichen Vermögen nach Brasilien überwiesen. In Brasilien konnte sich Simon allerdings einen Jugendtraum erfüllen und in Barbacena (Minas Gerais) einen Lehrgang über die Zucht von Seidenraupen absolvieren. Dort begann er auch mit der Niederschrift des Romans Seidenraupen, in dem er sein Leben literarisch verarbeitete. Das bis heute unveröffentlicht gebliebene Werk ist ein zeitgeschichtlich orientierter, autobiographischer Bildungsroman. Es handelt sich um einen der seltenen, aber für die jüdische Komponente der deutschen Exilliteratur keineswegs ungewöhnlichen Texte, die kompositorisch wie ideell nachhaltig vom deutschen Idealismus geprägt worden sind. Die künstlerische Bedeutung dieser Texte ist im allgemeinen nicht erheblich, denn es sind charakteristisch epigonale Werke; ihr kulturgeschichtlicher Wert als Dokumente für die Nachwirkung des deutschen Idealismus, der kulturellen »Ersatzreligion« des assimilierten deutschen Judentums, ist dagegen beträchtlich.103
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Die literarischen Vorbilder sind Johann Wolfgang von Goethes Wilhelm Meister und Adalbert Stifters Nachsommer. Simon erzählt die Geschichte einer Gutsbesitzerfamilie aus Kahlstädt/Posen im Zeitraum von 1890 bis 1939 aus der Perspektive des Sohnes Hubert/Hugo (im Laufe des Romans wurde der Name geändert). Der Botaniker Dr. Heinrich Niels, ein Freund der Familie, weckt mit dem Bericht seiner Brasilien-Expedition in Hubert/Hugo den Wunsch, das Land einmal kennen zu lernen und dort eine Seidenraupenzucht aufzubauen. Zunächst einmal aber übernimmt Hubert/Hugo mit seiner Frau Garina das väterliche Gut nach dessen Tod, das er zum Mustergut umgestaltet. Anfang des 20. Jahrhunderts folgt der Umzug nach Berlin, wo er eine Karriere als erfolgreicher Bankier macht. In der Großstadt entwickelt sich Hubert/Hugo zu einem wichtigen Kunstmäzen und Förderer junger Künstler und wendet er sich der Politik und der sozialdemokratischen Partei zu. Aufgrund seiner Kontakte zu den einflussreichen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur verfügte Simon über das Wissen, um den Ersten Weltkrieg, vor allem die Unruhen und die politische Entwicklung im Nachkriegsdeutschland im Anschluss eindrucksvoll zu schildern und zu analysieren. Nach der Machtübernahme Hitlers sehen sich Hubert/Hugo und Garina gezwungen, die Heimat zu verlassen und in Paris ein neues Leben zu beginnen. Dort werden sie vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht. »Diese Stille durchbrach am 3. September 1939 das Dröhnen der Glocken von allen Kirchen der Stadt. Der Krieg war da. Unsere Herzen schnürten sich zusammen. Ich nahm Garina in meine Arme. Mein erster und einziger Gedanke war: Hitler kann, darf und wird nicht siegen.«104 Mit diesen Worten schließt der Roman. Der frühzeitige Tod von Simon verhinderte die Vollendung mittels eines letzten Kapitels über die Flucht aus Frankreich und den Neuanfang in Brasilien. Auch wenn Brasilien konkret lediglich in dem 15-Seiten umfassenden Reisebericht von Dr. Niels, in dem Simon in einer Art »chronologischer Re-Projektion«105 eigene Erlebnisse und Erfahrungen während des brasilianischen Exils beschrieb, als Ort der Handlung im Roman auftaucht, so spielt das Land als utopischer Wunschtraum eine bedeutende Rolle. Denn Simon ließ keinen Zweifel daran, dass er in Brasilien ein zukunftsträchtiges Auswanderungsland sah. »Ich denke so etwa an ein Land wie Brasilien, da könnte man leben. Brasilien ist groß, es ist leer. Es braucht Menschen, die die Lust haben, etwas zu schaffen, und es lässt solchen Leuten alle persönlichen Freiheiten. […] Wenn dir Europa zu eng ist, gehe […] nach Brasilien.«106 Mit seiner ungetrübten, schwärmerischen Darstellung Brasilien als einem »Wunderland«107 mit einer dem Garten Eden gleichen Flora und Fauna bildete der Bankier, von Stefan Zweig abgesehen, eine Ausnahme unter den Exilanten. Unmittelbar nach Kriegsende kümmerte sich Simon um die Wiedererlangung seiner alten Identität, die ihm schließlich nur mithilfe von Thomas Mann, Albert Einstein und Winston Churchill108 im März 1947 gelang. Im Frühjahr 1948 zog das Ehepaar Simon auf eine kleine Fazenda in Penedo (Staat Rio de Janeiro). Mehr noch als die Jahre zuvor arbeitete er dort an dem Roman. 1949 erkrankte er jedoch schwer an Krebs und starb am 4. Juli 1950 in São Paulo.
STEFAN ZWEIG — ein Europäer von Gestern und kein Brasilianer der Zukunft Wie im Fall von Ulrich Becher soll auch bezüglich Stefan Zweig lediglich die Zeit im brasilianischen Exil näher beleuchtet und kurz dargestellt werden.109
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Als der am 28. November 1881 in Wien geborene Stefan Zweig mit seiner zweiten Frau Lotte zum dritten Mal im August 1941 nach Brasilien reiste, kam er nicht mehr als gefeierter Schriftsteller und Staatsgast wie bei seinem ersten Besuch 1936, während dessen er sich in dieses von ihm als bezaubernd schön empfundene Land mit seinem herzlichen Volk verliebt hatte. Er kam auch nicht als Forschungsreisender wie vier Jahre später auf seiner zweiten Reise, während der er Informationen und Materialien für seinen späteren Brasilienklassiker Brasilien. Ein Land der Zukunft110 gesammelt hatte. Er kam als Exilant, der hier Zuflucht vor den Nationalsozialisten und dem von ihnen entfesselten Krieg suchte. Bevor er sich Mitte Mai 1941 ernsthaft um die Regelung seines Status in den USA hätte bemühen müssen, hatte er sich zur Rückkehr nach Brasilien entschieden. Seinem Verleger Abrahão Koogan in Rio de Janeiro hatte er seine Beweggründe mitgeteilt: Wir stellen uns vor, […] nach Petrópolis zu gehen, wenn Sie für uns ein Appartement oder ein kleines Haus ausfindig machen können. Ich bin sehr müde, ich habe viel gearbeitet, und die Vorstellung, mich in Brasilien auszuruhen, ist eine große Verführung. […] Wir wohnen seit Monaten, seit mehr als einem Jahr ständig in Hotels, und Sie können sich vorstellen, wie sehr wir uns wünschen, in einem »Zuhause« zu leben.111
Bereits 1940 hatte er die tröstliche Wirkung, die von diesem Land ausging, bemerkt. Wie schön und glücklich ist alles hier! […] Das Leben auf dem südamerikanischen Kontinent erscheint leichter, erfüllter und glücklicher, weil ich darin einem menschlichen Bewusstsein, einer einzigartigen Solidarität in der Welt begegne. […] Sie hat eine unerschütterliche Kraft. […] In kurzer Zeit hat sich Rio in eine große Metropole verwandelt […] dies alles offenbart den Grad der Weiterentwicklung, das bemerkenswerte Wachstum. […] Uns, die wir aus dem immer mehr zugrunde gehenden Europa kommen, spendet dies Trost und Hoffnung.112
Zwar war sich Zweig schon 1936 bewusst gewesen, dass das Vargas-Regime eine Diktatur darstellte. Doch dass der Fortschritt des Landes einen nicht geringen politischen Preis kostete, den das brasilianische Volk mit dem Leben unter einer Diktatur zahlte, wollte und konnte Zweig nicht wahrhaben. So hielt er denn auch in seinem Brasilienbuch dazu fest: »Es ist ein Land, das den Krieg haßt […] es ist kein Zufall, daß es […] heute, da es als Diktatur gilt, mehr individuelle Freiheit und Zufriedenheit kennt als die meisten unserer europäischen Länder.«113 Der auch hier stärker gewordene Nationalismus und die damit einhergehenden nachteiligen Veränderungen entgingen ihm freilich nicht. Dennoch überwog für ihn das scheinbar harmonische Zusammenleben der verschiedenen Ethnien. Schließlich wurde hier, wie er Berthold Viertel wissen ließ, die Absurdität jedes Rassenunterschiedes mit einer Selbstverständlichkeit gezeigt, […] die uns täglich wieder wunderbar vorkommt. […] Brasilien ist das größte Experiment unserer Zeit in diesem Sinne, und deshalb schreibe ich auch jetzt ein kleines Buch über Brasilien. Wenn sich […] dieses großartige Experiment vollkommener Rassenmischung und Farbgleichsetzung hier in diesem Land weiter so vollendet bewährt, dann ist der Welt ein Vorbild demonstriert.114
Gerade weil er in Brasilien. Ein Land der Zukunft enthusiastisch der Vorbildfunktion der brasilianischen Gesellschaft für eine friedliche Zukunft ohne Rassenideologien
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Ausdruck verliehen hatte, verletzten Zweig die gegen ihn und das im Juli 1941 erschienene Werk gerichteten Angriffe der brasilianische Presse und der Vorwurf, es handele sich um eine Auftragsarbeit für das Vargas-Regime, mit denen er bald nach seiner Ankunft konfrontiert wurde, umso mehr. Obgleich er selbst wusste, dass es sich dabei lediglich um einige wenige Stimmen handelte, die in der Mehrheit der positiven Aufnahme untergingen, und obwohl das Werk in Brasilien sehr gut verkauft wurde, ließen ihm diese negativen Reaktionen keine Ruhe. Der Blick des Flüchtlings des Nationalsozialismus auf Brasilien, der das Buch geprägt hatte, musste für Zweigs brasilianische Kritiker unverständlich bleiben. Sie konnten nicht erkennen, dass er diese Art des Lobgesangs auf das Land nicht anders hatte verfassen können, weil er einer Hoffnung auf eine bessere, noch unversehrte Welt, einer Wiederauflage seiner sich durch den Krieg zugrunde richtenden Heimat bedurfte. Bereits 1936 hatte er den im Land herrschenden Mangel an Kapital und Menschen festgehalten. Angesichts der Flüchtlingsströme, die in den fünf Jahren, die zwischen seinem ersten Besuch und der Ausarbeitung des Buches lagen, immer zugenommen hatten, hatte Zweig in Brasilien aufgrund dieses Mangels das ideale Aufnahmeland für die Menschenmassen gesehen, die überall in der Welt unerwünscht waren. Er richtete deshalb im Werk einen indirekten Appell an das Land, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen damit das Leben zu retten. Der zaghafte Aufruf verhallte jedoch ungehört. Vielmehr äußerten sich kritische Stimmen, die Zweig nicht erwartet hatte. Weder auf die Beschuldigung der fehlenden differenzierteren Auseinandersetzung mit dem Vargas-Regime seitens der brasilianischen Linken noch auf den Unmut infolge der vermeintlich unzureichenden Hinweise auf die schon vollzogenen industriellen Fortschritte des Landes war er vorbereitet. Die Kränkung, missverstanden worden zu sein, trug dazu bei, dass sich die selbst gewählte und anfänglich wohltuende Abgeschiedenheit in dem kleinen gemieteten Bungalow in Petrópolis bald als erdrückend erwies. Dabei hatte er in der ehemaligen, in den Bergen von Rio de Janeiro gelegenen Kaiserstadt ein Stück Heimat gesucht und, wie er zu Beginn meinte, auch gefunden. Wenn er die Zurückgezogenheit aufgab, dann pflegte er hauptsächlich Kontakt mit anderen ihm aus Europa bekannten Exilanten. Neben Paul Frischauer, Hugo Simon und Victor Wittkowski wurden vor allem Erna und Ernst Feder während der Monate in Petrópolis zu engen Vertrauten. Seiner ersten Frau Friderike, die vor den Nationalsozialisten in die USA geflohen war115, schilderte er das Leben dort: Petrópolis ist ein kleiner Semmering, nur primitiver, so wie anno 1900 das Salzkammergut […]. Es ist ein winziges Häuschen, aber mit großer gedeckter Terrasse und wunderbarem Blick, jetzt im Winter reichlich kühl und der Ort so schön verlassen wie Ischl im Oktober. Aber endlich ein Ruhepunkt für Monate und die Koffer verstaut. […] Du kannst Dir nicht vorstellen, wie farbig und gleichzeitig beschwichtigend das Leben hier ist. Nichts hat Eile, auch nicht die Post, aber die Menschen sind rührend […]. Man lebt hier wie im Paradies.116
Doch bald wurde deutlich, dass der Wunsch der Realität nicht standhalten konnte. Petrópolis war keine österreichische Sommerfrische und in den Briefen an die Freunde häuften sich die Klagen über den Mangel an vertrauten Gesprächspartnern und umfassend ausgestatteten Bibliotheken. Die Zuflucht in die schriftstellerische Arbeit, nach der er sich ebenfalls anfangs gesehnt hatte, wurde zunehmend als Belastung empfunden. Selbst das von ihm dithyrambisch gepriesene »Land der Zukunft«
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vermochte es nicht, ihm bezüglich seiner eigenen Zukunft die verlorene Zuversicht wiederzugeben: Ich bin so fürchterlich deprimiert von der Gegenwart wie von der Zukunft und fühle mich überflüssig — was ist ein Schriftsteller ohne seine eigene Sprache, ohne ein Land, ohne seine Vergangenheit, ohne seine Zukunft? Die Werte, für die wir gelebt haben, sind zerstört, die Menschen, die wir geliebt haben, tot oder in Not, die Menschheit ist wahnsinnig — was habe ich zu geben und wem?117
Und doch vollendete er gerade in seinen letzten Lebensmonaten die beiden Werke, die ihn bei seinen Lesern unvergesslich machen sollten: seine Autobiographie Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers und seine bekannteste Novelle, die Schachnovelle. Wie sehr ihm das Schicksal der Novelle am Herzen lag, verdeutlicht die Tatsache, dass er bis zum Schluss an ihr arbeitete und seinem Leben erst dann ein Ende setzte, als er sie abgeschlossen und die Manuskripte an seine Verleger in die USA, nach Schweden und Argentinien abgesandt hatte. Die Sorge um die Publikation seiner Werke konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Schriftsteller eine tiefe Depression ergriffen hatte. Dennoch besuchte Zweig mit seiner Frau Lotte Mitte Februar 1942 den Karneval in Rio de Janeiro, weil er das Spektakel einmal selbst miterleben wollte. Aber der Krieg brach in die Freudenwelt hinein. Die Zeitungen verkündeten nicht nur den Fall des fern gelegenen Singapurs. Auch die Versenkung brasilianischer Schiffe durch deutsche U-Boote, die infolge des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen mit den Achsenmächten im Januar 1942 vor der brasilianischen Küste begonnen hatte, wurde gemeldet. Diese dramatische Entwicklung bestärkten Zweig in seiner Ansicht, dass das Leben seiner Generation besiegelt sei, wie er Berthold Viertel drei Wochen zuvor geschrieben hatte.118 Nachdem Lotte und Stefan Zweig den Abend des 21. Februar noch ein letztes Mal mit Erna und Ernst Feder verbracht hatten, beging Zweig am darauf folgenden Tag mit einer Überdosis Medikamente Selbstmord. Lotte Zweig wartete seinen Tod ab, bevor sie selbst ein anderes Gift schluckte. Am Nachmittag des 23. Februar wurden Stefan und Lotte Zweig tot im Schlafzimmer ihres Bungalows aufgefunden.119 Der zweifache Selbstmord erschütterte die Öffentlichkeit in aller Welt und insbesondere die über die ganze Erde zerstreute Flüchtlingsgemeinschaft. Am Ort des Geschehens, in Brasilien, war die Betroffenheit verständlicherweise am größten. Das tragische Ende beherrschte einige Wochen lang die Schlagzeilen der brasilianischen Medien und war noch Monate danach das dominierende Thema in den Unterhaltungen der dortigen Exilgemeinde. Die Brandbreite der Reaktionen reichte von Entsetzen und Anteilnahme über Unverständnis bis hin zur Verurteilung. Gerade von jüdischer Seite empfand man diesen Tod als ein falsches Zeichen in dieser Zeit. Es wurde sehr bedauert, dass Zweig, der doch einen großen Teil seines Ruhmes den Juden verdankte, kein Wort für die Juden hinterlassen hatte.120 Koogan, der selbst ostjüdischer Herkunft war, sah den Selbstmord insbesondere gegenüber den Millionen polnischer Juden als ein schlechtes Beispiel an.121 Auch unter den nichtjüdischen Brasilianern gab es Stimmen, die zweifelsohne tief betroffen waren, letztlich aber die Wahl des Freitodes in Brasilien als Akt der Undankbarkeit gegenüber dem Exilland werteten. So beklagte man, dass der Schriftsteller dem Land mit dem Entschluss, seinem Leben hier ein Ende zu setzen, einen schlechten Dienst erwiesen hätte.122 Doch nicht nur jüdische und nichtjüdische Brasilianer verurteilten die Tat. Unter den Exilanten in Brasilien zeigte sich ebenfalls Missbilligung über diese »Flucht« in den Tod. So
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schrieb Dana Roda-Becher ihren Eltern in die USA vom großen Presse-Echo, das der Tod hervorgerufen hatte, und fügte hinzu: »[H]eute sind die Zeiten zu schlecht und es ist unfairer als sonst, sich zu drücken.«123 Tatsächlich besaß der Selbstmord eine demoralisierende Signalwirkung auf die Exilanten, denen es im Allgemeinen bezüglich der äußeren Bedingungen sehr viel schlechter ging als dem in jeder Hinsicht privilegierten Schriftsteller. In den Monaten nach dem schockierenden Ereignis war unter den Flüchtlingen in Brasilien eine große Entmutigung und Hoffnungslosigkeit festzustellen. Hugo Simon berichtete Ernst Feder von Bekannten, die mindestens 30 Personen kannten, die die Frage erörterten, ob sie nicht Zweigs Beispiel folgen sollten.124 Zu einem eklatanten Anstieg der Selbstmordfälle kam es aber nicht, wofür Rabbiner Fritz Pinkuss von der CIP in São Paulo die Sozialarbeit der Gemeinde verantwortlich machte.125 Die Wirkungsmächtigkeit des Selbstmords von Zweig war nicht nur auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Schriftsteller zu den berühmtesten und erfolgreichsten des gesamten deutschsprachigen Exils gehörte und der erste war, der die Existenz deutschsprachiger Exilliteratur für das breite südamerikanische Publikum sichtbar gemacht hatte.126 Auch in Brasilien selbst war die tiefe Erschütterung in allen Bevölkerungsschichten nicht allein mit der großen Beliebtheit des Schriftstellers zu erklären. Von nicht unerheblicher Bedeutung war vielmehr auch der Zeitpunkt des Ereignisses; 1942, das Jahr also, in dem sich in Brasilien die entscheidende politische Wendung hin zu den Alliierten vollzog. Zwischen dem Selbstmord des Schriftstellers und der politischen Entwicklung gab es eine wechselwirkungsartige Verbindung. Es wird zwar nie genau geklärt werden können, welchen Anteil die Tatsache, dass die Kriegshandlungen das brasilianische Territorium in Form von Versenkungen heimischer Schiffe erreicht hatten, an dem Entschluss, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, und an der Wahl des Zeitpunktes im Februar 1942 besaß. Sicher dürfte jedoch sein, dass diese Zweig nicht gänzlich unberührt ließ und daher zu der Summe der Faktoren zu zählen ist, die zu dieser Entscheidung beitrugen. Zweigs Tod und sein Begräbnis wiederum blieben für Brasilien nicht folgenlos. Ernst Feders Tagebuchaufzeichnungen darüber offenbaren, dass dieser Tod die Brasilianer bewegte und die Trauer um den Verlust alle einte: Die ganze Stadt steht unter dem Eindruck der Feierlichkeit. […] Während die Wagen durch die Stadt rollen […], schließen spontan alle Geschäfte. Auf dem Friedhof die Fülle so stark, dass wenig zu sehen und zu hören, ein ergreifendes Bild, diese Menge, die alle Schichten, Rassen und Klassen umfasst und sichtlich ergriffen ist.127
Indem der Diktator Vargas, der Zweig 1936 als Staatsgast empfangen hatte, dem bekanntermaßen jüdischen Schriftsteller mit einem Staatsbegräbnis, das gemäß dem jüdischen Ritus durchgeführt wurde, die letzte Ehre erwies, vollbrachte er eine Geste von großer politischer Bedeutung und Signalwirkung. Nach außen hin unterstrich sie das Image eines »demokratischen«, vorurteilslosen und für Flüchtlinge des Nationalsozialismus gastfreien Regimes. Nach innen hin stärkte sie in den Kreisen der brasilianischen Regierung, der Politiker und leitenden Staatsbeamten das Lager der Befürworter der Alliierten gegenüber dem der Anhänger der Achsenmächte. »Stefan Zweig hat also Brasiliens Wende mit seinem Selbstmord kontrapunktiert.«128 Obgleich der Schriftsteller manche Enttäuschung und Kränkung in Brasilien hatte erfahren müssen, blieb doch seine innige Liebe zu diesem Land davon unberührt. In seinem Abschiedsbrief drängte es ihn deshalb noch:
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[…] eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet. Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte nun noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft.129
Exkurs: H EINRICH EDUARD JACOB — Begründer des modernen Sachbuchs und Entdecker von Brasilien für eine ganze Generation 130 Obwohl der am 7. Oktober 1889 in Berlin geborene Schriftsteller Heinrich Eduard Jacob nicht in Brasilien, sondern in den USA eine Zuflucht fand,131 soll an dieser Stelle auf ihn und seinen Roman Estrangeiro. Einwandererschicksal in Brasilien von 1951 eingegangen werden. Denn seit einem Besuch Brasiliens im März/April 1932, bei dem er das südamerikanische Land im Auftrag des Berliner Tageblatts anlässlich der Teilnahme an einem Zeppelinflug und für Recherchearbeiten für seine Studie Sage und Siegeszug des Kaffees. Die Biographie eines weltwirtschaftlichen Stoffes132 bereiste, hatte er nach eigener Aussage »niemals aufgehört, es zu lieben«. Mithilfe seines Kaffee-Buches hatte er Brasilien nach Ansicht seines Freundes Stefan Zweig »für unsere Generation […] ›mit‹ entdeckt«.133 Wie Zweig machte auch Jacob in diesem Land ein großes Zukunftspotential aus, das er ebenso wie sein Freund nicht zuletzt in dessen Größe und dünner Besiedlung begründet sah. Noch bevor er überhaupt brasilianischen Boden betreten hatte, brachte er beides beim Blick vom Zeppelin aus in Verbindung: »Mächtiges Land unter unserem Schiff. Einer ebenen Tafel vergleichbar; und achtzehnmal so groß wie Deutschland. Aber nur halb so viel Einwohner. Land einer Zukunft, Brasilien!«134 Es verwundert daher nicht, dass diese Reise in seinem literarischen Werk nicht nur in mehreren Zeitungsartikeln und dem Sachbuch-Klassiker über den Kaffee, der ihn zum Begründer dieses Genres machte, Spuren hinterließ. Wie es der Autor ausdrückte, hätten seine Gedanken den »Zuckerhut-Berg« darüber hinaus auch »in manchem Buch umkreist«, so im Novellenband Treibhaus Südamerika von 1934.135 Als er unmittelbar nach seiner Ankunft in den USA 1939 mit dem Roman Estrangeiro, in dem er das Schicksal eines Einwanderers erzählt, begann, wählte er nicht die Einwanderernation USA, sein eigenes Zufluchtsland, als Handlungsschauplatz, sondern Brasilien. »Dass ich dieser Situationstragik das brasilianische Gewand gab, dazu bewogen mich Liebe und Staunen, die ich nicht von mir getan habe, seit ich Euer schönes Land besuchte«, schrieb er seinem früheren, nach Brasilien exilierten Kollegen des Berliner Tageblatts Ernst Feder 1952.136 Was Lieben und vor allem Staunen für Jacob in Bezug auf Brasilien bedeutete, wurde bereits in seinen ersten Berichten aus diesem Land 1932 sichtbar. So hatte der Schriftsteller schon damals erkannt, dass bei der Beurteilung der brasilianischen Verhaltensformen die heimischen Maßstäbe nicht anzuwenden waren. Die brasilianische Höflichkeit konnte daher nicht im Sinne von Lüge und Wahrheit bewertet werden. »Welch eine bezaubernde Höflichkeit! Man müsste ein trauriger Bursche sein, um diesen Aggregatzustand einer gekelterten Sittlichkeit etwa mit ›Lüge‹ zu verwechseln.«137
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Das Werk Estrangeiro war ihm persönlich sehr »teuer wegen seiner ethischen Problemstellung […] (Fremde gegen Mensch und Mensch gegen Fremde)«.138 In seinem Einwandererroman ließ er das vermeintliche Paradies Brasilien für seinen Protagonisten ungarischer Herkunft Elemer Hegedüs zur Hölle werden. Der Kaufmann, der eine Möglichkeit gefunden hat, Brasilien von der vom Land in riesigen Mengen benötigten indischen Jute unabhängig zu machen, fühlt sich den Brasilianern überlegen und misstraut ihnen. Angesichts der in Teilen der brasilianischen Gesellschaft verbreiteten Ressentiments gegenüber Fremden und deren politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme glaubt er sich bestätigt, ohne zu bemerken, dass er mit seinem überheblichen Auftreten diese mit verstärkt. Beim Bemühen, sich eine Existenz aufzubauen, sieht er sich deshalb einem rücksichtslosen Überlebenskampf ausgesetzt, in dem jeder auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Jacob versinnbildlicht diesen in der Schilderung des brasilianischen Urwalds. Der Urwald war der Kampf aller gegen alle; die Hölle, welche Myriaden von Pflanzen sich und dem Nachbarn bereiteten. Die Schlacht der Pflanzen gegeneinander geschah stumm, heftig und verbissen. […] Nicht nur die Fremden fraßen das Fremde. Sogar je verwandter die Arten waren, desto eher töteten sie sich. Und es häuften sich die Leichen, die übereinander hinsanken und Moder wurden und fruchtbarer Dung für die Wurzelgefäße der Lebenden. […] Obwohl jeder Sohn hier den Vater fraß — dies war ehernes Gesetz —, wenn nicht vorher der Vater den Sohn durch Schattenübermaß erdrückte. […] Alles lebte hier von Leichen. […] Denn selbst die Toten waren nicht tot. Sie bildeten, indem sie zerfielen, neue Zellstaaten und Symbiosen, sie paarten, teilten sich, standen auf, verließen den Hades und lebten nochmals! Ein erstarrtes Gelächter ging durch das Ganze, ein unvorstellbarer Übermut.139
Das vom Autor gezeichnete Bild der brasilianischen Natur brach folglich mit der eng zu Brasilien gehörenden Vorstellung eines irdischen Gartens Eden. Anders als von Stefan Zweig dargestellt, wird Brasilien für Hegedüs kein »Land der Zukunft«. Vielmehr bringt es bei ihm dunkle, bisher unbekannte Seiten zum Vorschein, wie eine aufbrausende Jähzornigkeit, die brasilianische raiva, die insbesondere dem weniger emotionalen Europäer unheimlich war: »Die wilde ›Raiva‹ jenes Ausbruchs, die der davon Befallene vergaß wie einen Fieberanfall, war nichts Europäisches. Sie gemahnte in ihrem Aufschnellen zum Siedepunkt und im raschen Hinunter an eine Art seelischer Malaria. Sie war tropisch.«140 In Brasilien wird Hegedüs schließlich zum Mörder. Die Veränderung der Verhaltensformen in dieser Umgebung hatte Jacob bereits in einem Artikel über seinen Novellenband Treibhaus Südamerika 1934 erläutert. In Brasilien habe er entdeckt, […] daß »in dieser kochenden Tropenwelt« alles Menschliche »mammuthaftere Formen« annehme als in den gemäßigten Breitengraden. »Dieses Gesetz des Tropenwachstums — in Dingen, die allgemein menschlich sind — glaube ich entdeckt zu haben. Von diesem wuchernden Leben und von der gefährlichen Herrlichkeit dieses Lebens handeln meine Novellen.«141
Ernst Feder gegenüber betonte Jacob allerdings, dass er anhand der Geschichte des Ungarn »eine menschliche URSITUATION« behandelt habe, »die sich zu jeder Zeit und in jedem Lande genauso hätte abspielen können«. Willy Haas schrieb er dazu:
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Es ist ein Buch, das — gerade für Deutsche interessant — im fremden Erdteil spielt, in Brasilien, wo nun gleichsam die Lebens- und Glücksgesetze eines anderen Sterns gelten. Mein Held ist ein Ungar, der […] seinem neuen Vaterlande viel zu geben hätte, aber ein gewisser Hochmut und eine innerliche Fremdheit hindert ihn daran vorwärtszukommen. Dadurch entwickelt sich bei ihm seinen neuen Mitbürgern gegenüber eine Neurose. Wenn es dann aber schließlich zu der unausbleiblichen Katastrophe kommt, dann allerdings liegt die Hauptschuld nicht auf seiner Seite. Denn auch ihm gegenüber hat der fremde Erdteil eine Angst und Abwehr-Neurose entwickelt. […] Elemer Hegedüs macht einfach die Erfahrung, dass die fremden materialreichen, aber menschenarmen Länder den Überschuss der europäischen Nationen zwar b r a u c h e n, aber unglücklich darüber sind, dass sie seiner bedürfen und dass sie den Einwanderer deshalb instinktiv abwehren. Meines Wissens ist bisher gerade dieser a l l e r wichtigste Punkt mit seinen von ihm ausstrahlenden Schmerzen noch in keinem Auswanderungsroman klinisch aufgezeigt worden.142
Obzwar der Plot mit den Protagonisten des Romans auf einer wahren Begebenheit und Figur, allerdings ohne deren tragischen Ausgang, beruhte,143 so verarbeitete Jacob in Estrangeiro auch seine eigene Erfahrung als Exilant in einem fremden Land und seine Ängste vor einer Ablehnung literarisch und gab diese in verfremdeter Form wieder. Tatsächlich sollte es ihm nicht gelingen, im amerikanischen Exil ein einziges erzählendes Werk unter eigenem Namen zu veröffentlichen. Wie eindringlich Jacob die Tragik des Fremdseins und all die damit verbundenen Probleme im Roman zu schildern vermochte, spiegelt auch Thomas Manns Urteil wider, der Jacob schrieb, es sei »ein erfahrenes und erlittenes Buch, das seinen Leser mit- und nachleiden macht«.144 Umso mehr freute Jacob, dass ausgerechnet dieses Buch, sein erstes nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland erschienenes, wenngleich die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen von Jacobs Verleger zurückblieben, »einen ausgesprochenen Erfolg« verzeichnete, an den er in dieser Weise nicht geglaubt hatte. Ich hätte eher gedacht, dass unsere ehemaligen Volksgenossen zu sehr in Selbstmitleid über ihr eigenes Schicksal versunken sein würden, um sich klar zu machen, dass auch die Emigration für viele von uns – wenn nicht die meisten – ein hartes Schicksal ist, das nur mit der äußersten Anstrengung aller Seelen- und Geisteskräfte zu meistern war. Zu meiner freudigen Überraschung, das muss ich schon sagen, haben nicht nur die großen, sondern auch die kleinsten Provinzzeitungen in ihren Rezensionen das voll begriffen.145
Wie sein Protagonist wurde auch Jacob in seinem Zufluchtsland USA nicht heimisch, so dass er 1953 nach Europa zurückkehrte. Am 25. Oktober 1967 starb er in Salzburg.
Anmerkungen 1
Vgl. Patrik von zur Mühlen: Fluchtziel Lateinamerika. Die deutsche Emigration 1933-1945: politische Aktivitäten und soziokulturelle Integration. (Bonn: Verlag Neue Gesellschaft 1988), S. 48-49. Ders.: »Exil in Brasilien. Die deutschsprachige Emigration 1933-1945«. In Exil in Brasilien. Die deutschsprachige Emigration 1933-1945. Hg. Klaus-Dieter Lehmann (Frankfurt a.M.: Die Deutsche Bibliothek 1994), S. 11-24, hier S. 11.
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EXIL IN BRASILIEN Vgl. dazu Anne Saint Saveur-Henn: »Lateinamerika als Zuflucht: 1933 bis 1945«. In Deutsche in Lateinamerika – Lateinamerika in Deutschland. Hg. Karl Kohut, Dietrich Briesemeister, Gustav Siebenmann (Frankfurt a.M.: Vervuert Verlag 1996), S. 67-80. Patrik von zur Mühlen: Fluchtziel Lateinamerika, S. 25, 39. Vgl. Brief von Ernst Feder an Oswald G. Villard, 10. Sept. 1940 und Brief von Oswald G. Villard an Ernst Feder, 8. Okt. 1940; Brief von Ernst Feder an die American Guild for German Cultural Freedom, 9. Dez. 1940 und Brief der American Guild for German Cultural Freedom an Ernst Feder, 14. Jan. 1941, in Nachlass American Guild for German Cultural Freedom, New York, Akte Ernst Feder. Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt a.M.: Deutsches Exilarchiv 1933-1945, E 70/117. Vgl. Nancy Anne McClure Zeller: »Ulrich Becher«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York, Teil 1. Hg. John M. Spalek u. Joseph Strelka (Bern: A. Francke AG Verlag 1989), S. 51-67, hier S. 53. Die von Ulrich Becher in dieser Angelegenheit geführte Korrespondenz und andere dazugehörige Materialien befinden sich in seinem Nachlass. Vgl. Nachlass Ulrich Becher, Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt a.M.: Deutsches Exilarchiv 1933-1945, E 85/147. Nach langem Bemühen erhielt Ulrich Becher schließlich ein Visum für die USA, nicht aber seine Frau, so dass man die Möglichkeit, zunächst in Brasilien Zuflucht vor den Nationalsozialisten zu finden, wahrnahm. Vgl. Izabela Maria Furtado Kestler: »Der deutsche Jude Hugo Simon (1880-1950) — Bankier, Mäzen, Bildungsbürger«. In Deutsch-jüdisches Exil: das Ende der Assimilation? Identitätsprobleme deutscher Juden in der Emigration. Hg. Wolfgang Benz, Marion Neiss (Berlin: Metropol Verlag 1994), S. 125-150, hier S. 128. Dies.: Die Exilliteratur und das Exil der deutschsprachigen Schriftsteller und Publizisten (Frankfurt/Berlin/NY/Paris/Wien: Peter Lang Verlag 1992), S. 117, 243-244. Aus Raumgründen ist es unmöglich, alle in Frage kommenden Exilanten und deren Werke einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Daher ist es nötig, eine Auswahl zu treffen. Diese sollte einerseits die ganze Vielfalt des deutschsprachigen Exils in Brasilien vermitteln, andererseits aber nicht zu weitreichend sein. Indem Alfredo Gartenberg, Martha Brill, Hugo Simon und Richard Katz die Exilerfahrung in Brasilien in ihren Werken zum vorrangigen Thema gemacht haben, nehmen sie innerhalb der in Brasilien entstandenen Exilliteratur einen ganz besonderen Stellenwert ein. Ferner ist es lohnenswert, den Lebensweg des renommierten politischen Publizisten der Weimarer Republik Ernst Feder vorzustellen, dessen bis jetzt wenig beachtetes, unveröffentlichtes »Brasilianisches Tagebuch« eines der wertvollsten Zeitdokumente für das Exil in Brasilien darstellt. Die Bezugnahme auf Paul Frischauer, Ulrich Becher und Heinrich Eduard Jacob erklärt sich durch deren Verbindung zum Exil in den USA. Stefan Zweig als prominentester Exilant mit tragischem Tod im Zufluchtsland darf nicht fehlen. Am Beispiel von Anatol Rosenfeld und Otto Maria Carpeaux soll das nachhaltige kulturvermittelnde Wirken der deutschsprachigen Flüchtlinge verdeutlicht werden. Karin Schauff steht neben Martha Brill für die insgesamt weniger vertretenen Autorinnen und hat in ihren Erinnerungsbüchern dem Exil in den entlegenen Urwaldsiedlungen, deren Erfolg eine Besonderheit des brasilianischen Exil ist, ein Denkmal gesetzt. Richard Katz: Begegnungen in Rio (Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch Verlag, 1951), S. 7. »de origem semítica«. Circular secreta Nr. 1127, 07.06.1937, zit. in Maria Luiza Tucci Carneiro: O anti-semitismo na era Vargas. Fantasmas de uma geração (1930-1945) (São Paulo: Editora Brasiliense 1988), S. 168. Alle Übersetzungen sind, soweit nicht anders angegeben, von der Autorin. Vgl. Jeffrey Lesser: O Brasil e a questão judaica. Imigração, diplomacia e preconceito (Rio de Janeiro: Editora Imago 1995), S. 218-226. Vgl. Avraham Milgram: Os judeus do Vaticano. A tentativa de salvação de católicos não-arianos de Alemanha ao Brasil através do Vaticano (1939-1942) (Rio de Janeiro: Editora Imago 1994), S. 151. Andreas Pfersmann: »Brasilien«. In Wie weit ist Wien. Lateinamerika als Exil für österreichische Schriftsteller und Künstler. Hg. Alisa Douer u. Ursula Seeber (Wien: Picus Verlag 1995), S. 89-93, hier S. 89.
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Zu Einzelheiten des Rolândia-Projekts siehe die Ausführungen zu Karin Schauff. Vgl. Ursula Prutsch: Creating Good Neighbors? Die Kultur- und Wirtschaftspolitik der USA in Lateinamerika 1940-1946 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008), S. 156-160. Francisco Luiz Corsi: Estado Novo: política externa e projeto nacional (São Paulo: Editora UNESP/FAPESP 2000), S. 173-200. Hilde Wiedemann: »Leben in Recife«. In »…auf brasilianischem Boden fand ich eine neue Heimat.« Autobiographische Texte deutscher Flüchtlinge des Nationalsozialismus 1933-1945. Hg. Marlen Eckl (Remscheid: Gardez! Verlag 2005), S. 318-327, hier S. 324-325. Dass die Sorge nicht völlig nicht unberechtigt war, zeigen die Aktivitäten der Auslandsorganisation der NSDAP in Brasilien. Zahlreiche Auslandsdeutsche und deutschstämmige Brasilianer entschlossen sich, auch im Zuge der Erfahrungen der harten Vorschriften gegen die Angehörigen der Achsenmächte, mitten im Krieg Brasilien zu verlassen, »heim ins Reich« zu gehen und sich manchmal sogar Hitlers Wehrmacht im Kampf für den Führer und das Dritte Reich anzuschließen. Vgl. dazu Rosine De Dijn: Das Schicksalsschiff. Rio de Janeiro — Lissabon — New York 1942 (München: Deutsche Verlagsanstalt 2009). Ana Maria Dietrich: Caças as suasticas. O Partido Nazista em São Paulo sob a mira da Polícia Política (São Paulo: Editoras Humanitas/FAPESP/Imprensa Oficial 2008). Rene Gertz: Politische Auswirkungen der deutschen Einwanderung in Südbrasilien. Die Deutschstämmigen und die faschistischen Strömungen in den 30er Jahren (Berlin: Hochschulschrift Freie Universität Berlin 1980). Patrik von zur Mühlen: Fluchtziel Lateinamerika, S. 191. Paul Rosenstein: Narben bleiben zurück. Die Lebenserinnerungen des großen jüdischen Chirurgen (Bad Wörishofen: Kindler und Schiermeyer Verlag 1954), S. 304. Egon Schwarz: Keine Zeit für Eichendorff. Chronik unfreiwilliger Wanderjahre (Frankfurt a.M.: Büchergilde Gutenberg 1992), S. 141. »uma das mais duras provas de minha vida. Mas valeu a pena: pois abriu-me, enfim, as portas para entrar na vida brasileira«. Renard Perez: »Otto Maria Carpeaux«. In Otto Maria Carpeaux: Tendências contemporâneas na literatura. Um esboço (Rio de Janeiro: Tecnoprint Gráfica 1968), S. 11-22, hier S. 14. Rolf Simon: »Umweltaspekte des lateinamerikanischen Exils«. In Das Exilerlebnis. Verhandlungen des vierten Symposiums über deutsche und österreichische Exilliteratur. Hg. Donald G. Daviau u. Ludwig M. Fischer (Columbia, SC: Camden House 1982), S. 32-46, hier S. 33. Richard Katz: Gruß aus der Hängematte. Heitere Erinnerungen (Rüschlikon-Zürich/Stuttgart: Albert Müller Verlag 1958), S. 306. Vgl. Nancy Anne McClure Zeller: »Ulrich Becher« (s. Anm. 4). Donald A. Prater: »Stefan Zweig«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York. Hg. John M. Spalek u. Joseph Strelka (Bern: Francke Verlag 1989), Teil 2, S. 1057-1098. Hans Jörgen Gerlach: »Heinrich Eduard Jacob«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 3: USA. Hg. John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt u. Sandra H. Hawrylchak (Bern/München: K. G. Saur Verlag 2000), Teil 1, S. 215-257. Vgl. Frank Wende: Deutschsprachige Schriftsteller im Schweizer Exil 1933-1950 (Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2002), S. 148-49. Zur Geschichte der »Gruppe Görgen« vgl. Hermann Görgen: Ein Leben gegen Hitler. Geschichten und Rettung der »Gruppe Görgen«. Autobiographische Skizzen (Münster/Hamburg/ London: LIT Verlag 1997). Brief von Dana Roda-Becher an ihre Eltern Alexander Roda Roda und seine Frau Elsbeth, 9. Juni 1941 in Nachlass Dana Roda-Becher, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, I.N. 216.167. Dana Roda-Becher zit. in Izabela Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil der deutschsprachigen Schriftsteller und Publizisten (s. Anm. 5), S. 68. Briefe von Dana Roda-Becher an ihre Eltern, 14. März 1942, 30. Aug. 1942, in Nachlass Dana Roda-Becher, I.N. 216.165; I.N. 216.201. Brief von Dana Roda-Becher an ihre Eltern, 9. Sept. 1942, in Nachlass Ulrich Becher, Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt a.M.: Deutsches Exilarchiv 1933-1945, E 85/147. »[A]lthough he recognized the impermanence of his position there, he in large measure absorbed the country […] and was absorbed by it.« Elizabeth J. Krukowski: »An Epic
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EXIL IN BRASILIEN Journey to Brazil: The Exile Poems of Julian Tuwim and Ulrich Becher«. In Latin America and the Literature of Exile. A Comparative View of the 20th-Century European Refugee Writers in the New World. Hg. Hans-Bernhard Moeller (Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1983), S. 323-345, hier S. 328-329. Vgl. Nancy Anne McClure Zeller: Ulrich Becher. A Computer-Assisted Case Study of the Reception of an Exile (Frankfurt/Berlin/NY/Paris/Wien: Peter Lang Verlag 1983), S. 58-59. Ulrich Becher: Brasilianischer Romanzero (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1962), S. 80-82. Vgl. dazu auch Ruth Bohunovsky: »O Brasil de Ulrich Becher no Romanceiro Brasileiro«, Pandaemonium Germanicum, Nr. 12 (2008), S. 80-99. Vgl. Nancy Anne McClure Zeller: Ulrich Becher (s. Anm. 29), S. 117. Jeroen Dewulf: Brasilien mit Brüchen. Schweizer unter dem Kreuz des Südens (Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2007), S. 241-249. Vgl. Celeste H. M. Ribeiro de Sousa: Retratos do Brasil. Hetero-imagens literárias alemãs (São Paulo: Editora Arte & Cultura 1996), S. 96-100. Zu Brills Exilzeit auf Mallorca vgl. Reinhard Andress: »Martha Brill. Die Beschäftigung mit den Marannen [sic]«. In ders.: »Der Inselgarten« — das Exil deutschsprachiger Schriftsteller auf Mallorca 1931-1936 (Amsterdam/Atlanta: Editions Rodopi 2001), S. 110-122. Zu Alice Brill Czapskis Biographie und Werdegang als erfolgreiche Malerin und Photographin vgl. Alice Brill-Czapski: »Das waren bittere Jahre…«. In »…auf brasilianischem Boden fand ich eine neue Heimat«, S. 149-163. O mundo de Alice Brill. Hg. Instituto Moreira Salles (São Paulo: Instituto Moreira Salles 2005). Alice Brill. Alicerces da forma — retrospectiva. Hg. Carla Ogawa (São Paulo: Fundação Armando Alvares Penteado 2007). »Tagebuch Martha Brill«. In Nachlass Martha Brill, Die Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt a.M.: Deutsches Exilarchiv 1933-1945, EB 96/23, 05.09.1938. Marte Brill: Der Schmelztiegel (Frankfurt a.M.: Edition Büchergilde 2002), S. 6. Paul Michael Lützeler: »Enzyklopädie menschlicher Verhaltensmöglichkeiten. Aus dem brasilianischen Exil der dreißiger Jahre: Marte Brills Nachlass-Roman ›Der Schmelztiegel‹«, Frankfurter Rundschau, 15. Juli 2003. Marte Brill: Der Schmelztiegel, S. 165, 162, 210. »Tagebuch Martha Brill«, 18. Juni 1940. Brief von Thomas Mann an Martha Brill, 8. Sept. 1941 zit. in Reinhard Andress: »Marte Brill: ihr Leben, ihr Roman«. In Marte Brill: Der Schmelztiegel (s. Anm. 36), S. 337-351, hier S. 346; Marte Brill: Der Schmelztiegel, Klappentext. »Tagebuch Martha Brill«, 21. Juni 1940, 11. Jan. 1942. »ao lado de Goethe, um Balzac, um Gogol, um Thomas Mann os nossos Gonçalves Dias, Machado de Assis, Lima Barreto, Carlos Drummond de Andrade.«. Renard Perez: »Otto Maria Carpeaux«, S. 19. »uma portentosa contribuição brasileira à Geisteswissenschaft«. Olavo de Carvalho: »Introdução a um exame de consciência«. In Otto Maria Carpeaux: Ensaios reunidos 19421978. Hg. Olavo de Carvalho (Rio de Janeiro: Topbooks 1999), S. 15-69, hier S. 50. »a contribuição de Carpeaux ao acervo nacional não residiu naquilo que ele trouxe de fora para nós, mas naquilo que, desde o Brasil, ele deu à cultura do mundo, ajundando a elevar o nosso país da condição de importador passivo e discípulo beato à de criador e mestre.« Ebd., S. 50. »[A] política latino-americana dos Estados Unidos é feita por homens que não sabem e que não entendem do assunto; e é apoiada, na própria América Latina, por quem não sabe e não entende e não quer saber e não quer entender. Êstes e aquêles [sic] colherão as tempestades que semearam.« Otto Maria Carpeaux: A batalha da América Latina (Rio de Janeiro: Edição Civilização Brasileira 1965), S. 162. »[E]m tempos críticos, a estabilidade vale mais que a democracia«. Ebd., S. 62. »a maior tolice político-diplomatica dos últimos tempos« »Chega de tolices. Aviso para o presidente Lyndon Johnson e não somente para o presidente Lyndon Johnson: não se governa nações com a mentalidade de um delegado de polícia política.«. Ebd., S. 153. »Vejo hoje meu passado europeu como através de um véu espêsso. [...] Assim sendo, falo sôbre minha vida na Europa como se fôsse vida de um outro.« »Não nego nem negaria nunca [...] os fortes laços que me prendem à Europa, por herença espiritual e por
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formação. Mas tudo isso está hoje fundido em vaso de contornos novos. Sinto-me brasileiro, gosto arroz e feijão e sou fã de Ouro Preto.« Otto Maria Carpeaux zit. In Renard Perez: »Otto Maria Carpeaux«, S. 11, 21. Juan Pastor Benitez: »A flor do exílio: Ernesto Feder e Fabrice Polderman«, O Jornal (Rio de Janeiro), 14. März 1946. Vgl. Ernst Feder: Ludo Hartmanns Stammbuch (Berlin: Rudolf Mosse Verlag 1925). Ders.: Hugo Preuss. Ein Lebensbild (Berlin: Hapke & Schmidt Verlag 1926). Ders.: Paul Nathan. Politik und Humanität (Berlin: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte 1929). Ludwig Bamberger: Bismarcks großes Spiel. Die geheimen Tagebücher Ludwig Bambergers. Hg. Ernst Feder (Frankfurt a.M.: Societätsverlag 1932). Wie Anm. 3. Vgl. Brief des Emergency Rescue Committee an die American Guild for German Cultural Freedom, 8. Apr. 1941, in Nachlass American Guild for German Cultural Freedom. Varian Fry stellte Ernst Feder im Mai 1941 ein Unbedenklichkeitszeugnis bzgl. seiner politischen Haltung aus, das dieser für die brasilianischen Behörden benötigte, und war ihm zumindest auf diese Weise behilflich. Vgl. Processo Ernst Feder. Arquivo Nacional, Rio de Janeiro, 123.918. (Registrierung beim Serviço de Estrangeiros). Autor unbekannt: »Foge para o Brasil um jornalista alemão. Era uma das figuras de maior destaque na imprensa do Reich até a ascensão de Hitler ao poder«, O Globo, 18. Juli 1941. Autor unbekannt: »Reportagem a bordo do ›Cabo de Hornos‹ chegado ontem da Europa. No Rio um jornalista alemão, ex-presidente da União de Imprensa da Alemanha — Exploradores franceses e refugiados«, Diário da Noite, 18. Juli 1941. Zur Freundschaft zwischen Ernst Feder und Stefan Zweig vgl. Marlen Eckl: » ›Die Blüte des Exils‹: Ernst Feder und sein ›Brasilianisches Tagebuch‹ «, Martius-Staden-Jahrbuch, LIV (2007), S. 103-124, bes. S. 119-122. Alberto Dines: Tod im Paradies. Die Tragödie des Stefan Zweig (Frankfurt a.M.: Edition Büchergilde 2006), S. 559-560, 577-578, 631-633. Zu Ernst Feders Veröffentlichung über Stefan Zweig vgl. u.a. Ernesto [sic] Feder: »Recordações Pessoais« und »Recordando Stefan Zweig«. In Raul de Azevedo: Vida e morte de Stefan Zweig (Rio de Janeiro: Edição especial de Aspectos 1942), S. 128-129 u. S. 132-134. Ernst Feder: »My Last Conversations with Stefan Zweig«, Books Abroad (Norman, OK), XVII, Nr. 1 (Jan. 1943), S. 3-9. Ders.: »Begegnung in Petropolis«. In ders.: Begegnungen. Die Großen der Welt im Zwiegespräch (Esslingen: Bechtle Verlag 1950), S. 197-210. Ders.: »Stefan Zweigs letzte Tage«. In Stefan Zweig. Im Zeugnis seiner Freunde Hg. Hanns Arens (München/Wien: Langen Müller 1968), S. 174-186. Richard Dyck: »Weltgeschichte in Schattenrissen«, Aufbau, XVI, Nr. 52, 29. Dez. 1950. Ernst Feder: Begegnungen (s. Anm. 7), S. 9. Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 10. Apr. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, Bestand A: Jacob H.E. Vgl. Marlen Eckl: »Goethe in den Tropen — Kulturvermittlung im brasilianischen Exil«, Etudes Germaniques, LXIII, Nr. 4 (Okt.-Dez. 2008), S. 773-789. Ernst Feder: Heute sprach ich mit... Tagebücher eines Berliner Publizisten 1926-1932. Hg. Cécile Lowenthal-Hensel, Arnold Paucker (Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1971), S. 16. Vgl. Ursula Prutsch u. Klaus Zeyringer: Die Welten des Paul Frischauer. Ein »literarischer Abenteurer« im historischen Kontext Wien — London — Rio — New York — Wien (Wien/ Köln/Weimar: Böhlau Verlag 1997). Vgl. Paul Frischauer: Prinz Eugen. Ein Mensch und hundert Jahre Geschichte (Berlin/Wien/ Leipzig: Paul Zsolnay Verlag 1933). Ders.: Garibaldi. Der Mann und die Nation (Zürich: Bibliothek zeitgenössischer Werke 1934). Ders.: Beaumarchais. Der Abenteurer im Jahrhundert der Frauen (Zürich: Bibliothek zeitgenössischer Werke 1935). Vgl. Paul Frischauer: A Great Lord (London: Cassell 1937). Ders.: England’s Years of Danger: A New History of the World War 1792-1815 (London: Cassell 1938). Ders.: The Imperial Crown. The Story of the Rise and Fall of the Holy and the Austrian Empires (London: Cassell 1939). Vgl. »Feder Tagebücher«, Bd. 15, 24. Jan. 1942, 23. Feb. 1942, in Ernst Feder Collection, Leo Baeck Institute, NY, AR 7040.
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EXIL IN BRASILIEN Paul Frischauer: Presidente Vargas (São Paulo: Companhia Editora Nacional 1944), S. 347. Ebd, S. 354. Vgl. u.a. Paul Frischauer: Weltgeschichte in Romanen. 3 Bde. (Gütersloh: BertelsmannLesering 1960/61). Ders.: Die Welt der Bühne als Bühne der Welt. 2 Bde. (Hamburg: Marion von Schröder Verlag 1967). Ders.: Wirf Deinen Schatten, Sonne: Leonardo da Vinci (München/Berlin: Herbig Verlag 1974). Ders.: Finale in Wien (München: Bertelsmann 1978). Vgl. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Hg. Werner Röder u. Herbert A. Strauss (München/NY/ London/Paris: Verlag K.G. Saur 1980), S. 213. In seinem für das damalige Landesentschädigungsamt geschriebenen Lebenslauf erwähnte Alfredo Gartenberg die journalistische und schriftstellerische Tätigkeit nicht und nannte demgemäß auch keines der Werke. Alle Angaben dazu sind Gartenbergs 1980 in Brasilien erschienenem Buch Jacob Frank. O messias da sarjeta entnommen. Der Autorin ist es nicht gelungen, diese drei Werke ausfindig zu machen. Ob Alfredo Gartenberg diesen Werdegang eines Autors nur für den Klappentext erfunden hat, um sich den Anschein eines erfahrenen europäischen Schriftstellers zu geben, kann leider nicht geklärt werden. Vgl. Lebenslauf für Alfredo Gartenbergs Antrag auf Entschädigung und Wiedergutmachung an den deutschen Staat in: Entschädigungsakte Alfredo Gartenberg. Landesamt für Bürgerund Ordnungsangelegenheiten. Entschädigungsbehörde, Reg.-Nr. 257967. Alfredo Gartenberg: Jacob Frank. O messias da sarjeta (Rio de Janeiro: TIP Edit 1980), S. 319. Mit falschen Papieren gelang es Emanuel Gartenberg, sich der französischen Fremdenlegion anzuschließen. 1943 fiel er im Kampf gegen die nationalsozialistischen Truppen in Tunesien. Vgl. Brief von Trudi Laudau an Izabela Maria Furtado Kestler, 2. Nov. 1989, in Izabela Maria Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil, S. 87. Susi Eisenberg-Bach: » ›Exilroman‹ aus Brasilien. Alfredo Gartenberg: ›O J vermelho‹ «, Aufbau, XLIV, Nr. 11, 24. März 1978. »[O] Brasil representa o fim. [...] Não pôde [sic] aceitar o exílio, já não era mais cidadão [...] não tinha mais pátria.« Nancy Rozenchan: »O J vermelho«. In Ensayos sobre Judaísmo Latinoamericano. Hg. Moisés Assis u. Eliahu Toker (Buenos Aires: Editorial Milá 1990), S. 394-405, hier S. 403. »Pelo amor de Deus, aqui você não pode fazer desses brinquedos. Estas matas estão cheias de cobras venenosas.« Alfredo Gartenberg: O J vermelho (Rio de Janeiro: Editora Nova Fronteira 1976), S. 381. Zu Richard Katz und dessen Exil in Brasilien vgl. auch Marlen Eckl: »Richard Katz — Weltreisender und Brasilianer des Herzens«, Martius-Staden-Jahrbuch, LVI (2009), S. 147171. Vgl. Richard Katz: Ein Bummel um die Welt. Zwei Jahre Weltreise auf Kamel und Schiene, Schiff und Auto (Berlin: Verlag Ullstein 1927). Kurt Tucholsky (unter dem Pseudonym Peter Panter): »Ein Bummel durch die Welt [sic]«, Vossische Zeitung, 27. Nov. 1927, zit. in www.textlog.de/tucholsky-bummel-welt.html (Letzter Zugriff, 4. Dez. 2007). Erich Maria Remarque zit. in Richard Katz: Das Beste von Richard Katz. Eine Auswahl aus seinen Werken (Rüschlikon-Zürich: Albert Müller Verlag 1968), S. 7. Richard Katz: Gruß aus der Hängematte (wie Anm. 21), S. 177. Vgl. Richard Katz: Heitere Tage mit braunen Menschen. Ein Südseebuch (Berlin: Verlag Ullstein 1930). Ders.: Funkelnder Ferner Osten. Erlebtes in China — Korea — Japan (Berlin: Verlag Ullstein 1931). Ders.: Zickzack durch Südamerika. Schnaps, Kokain und Lamas (Berlin: Verlag Ullstein 1931). Brief von Richard Katz an Werner Richter, 13. Aug. 1941, in Nachlass Werner Richter, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, A. Richter, 69.3823/1. Vgl. u.a. Richard Katz: Drei Gesichter Luzifers Lärm Maschine Geschäft (Erlenbach-Zürich/ Leipzig: Eugen Rentsch Verlag 1934), S. 41-72. Richard Katz: Gruß aus der Hängematte (s. Anm. 75), S. 306, 278. Richard Katz: Nur Tiere. Vier Geschichten (Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch Verlag 1948), S. 275.
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Vgl. Richard Katz: Mein Inselbuch. Erste Erlebnisse in Brasilien (Zürich: Schweizer Druck- und Verlagshaus 1950). 81 Richard Katz: Begegnungen in Rio (s. Anm. 7), S. 133. 82 Richard Katz: Auf dem Amazonas (Zürich: Schweizer Druck- und Verlagshaus AG 1961), S. 154. 83 Richard Katz: Wandernde Welt. Drei Geschichten von Mensch und Tier (Zürich: Fretz & Wasmuth 1950), S. 253. 84 Richard Katz: Gruß aus der Hängematte (s. Anm. 21), S. 12-13. 85 Arthur Ramos: Die Negerkulturen in der Neuen Welt (Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch Verlag 1947), S. 15. 86 Richard Katz: »Fernes Brasilien«. In Brasilien, Zukunftsland. Hg. Aktiengesellschaft für Nestlé Produkte (Vevey: Nestlé 1963), S. 5-20, hier S. 14. 87 Roberto Schwarz: »O intelectual independente« und Décio de Almeida Prado: »O clerg perfeito«. In Sobre Anatol Rosenfeld. Hg. Jacó Guinsburg u. Filho Plínio Martins (São Paulo: EDUSP 1995), S. 93-97 u. 73-79. 88 Roberto Schwarz zit. in Izabela Maria Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil, S. 113. 89 »Não há um Brasil, há muitos Brasis.« Anatol Rosenfeld: Anatol ›on the Road‹. Hg. Nanci Fernandes u. Jacó Guinsburg (São Paulo: Editora Perspectiva 2006), S. 37. 90 »Refugiado no Brasil, Rosenfeld não foi alguém que aqui viveu exilado na língua e na cultura que o plasmaram. Não renunciou a elas, mas as colocou como que em diálogo com o seu novo meio de expressão. Tanto é assim que em quase todas as suas abordagens das coisas brasileiras aparecem sempre interlocuções com as vozes daquele universo, de Lessing a Gottfried Benn.« Jacó Guinsburg: »Um brasileiro como ele...«. In: Anatol Rosenfeld: Anatol ›on the Road‹, S. 263-269, hier 264. 91 »Vive-se perfeitamente bem entre dois mundos; de fato, tal situação é uma fonte de enriquecimento. No entanto, não é a regra que elucida os fenômenos [...] A essência ressalta na excepção, no caso excepcional.« Anatol Rosenfeld: Entre dois mundos (São Paulo: Editora Perspectiva 1967), S. 27. 92 Anatol Rosenfeld: »Die Situation der Farbigen in Brasilien«, Staden-Jahrbuch, II (1954), S. 155-174, hier S. 160. Vgl. dazu auch Marcel Vejmelka: »Annäherung an die brasilianische Kultur: Anatol Rosenfelds frühe Beiträge zu den Staden-Jahrbücher 1954-56«, MartiusStaden Jahrbuch, LIV (2007), S. 79-101. 93 So gab Anatol Rosenfeld für die Editora Herder die Reihe O pensamento estético heraus, für die er auch wichtige theoretische Schriften der deutschen Klassik und Romantik ins Portugiesische übersetzte. 94 »o receio de ser destrato, e no fundo deste, o medo [....] em última instância de ser posto para fora do país«. Roberto Schwarz: »O intelectual estrangeiro«, S. 124-125. 95 Dieter Marc Schneider: Johannes Schauff (1902-1990). Migration und »Stabilitas« im Zeitalter der Totalitarismen (München: R. Oldenbourg Verlag 2001), S. 74-75. 96 Karin Schauff zit. in ebd., S. 77-78. Karin Schauff: Brasilianischer Garten. Bericht aus dem Urwald (Pfullingen: Verlag Günther Neske 1971), S. 22, 35, 181. Vgl. auch dies.: Ein Sack voll Ananas. Brasilianische Ernte (Pfullingen: Verlag Günther Neske 1974). Dies.: Das Klingelband. In der Welt zuhaus (Pfullingen: Verlag Günther Neske 1979). Dies.: Schreib mir alles, Mutter. Brief aus dem »Brasilianischen Garten« (Pfullingen: Verlag Günther Neske 1987). 97 Karin Schauff: Brasilianischer Garten, ebd., S. 181-182. 98 Izabela Maria Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil, S. 71. 99 Dabei handelt es sich um Personen, die sich nach dem deutsch-italienischen Umsiedlungsvertrag von 1939 für die deutsche Staatszugehörigkeit entschieden hatten und damit zur Umsiedlung ins Deutsche Reich gezwungen waren. Damals entschieden sich 86% der deutschsprachigen Bevölkerung von Südtirol für das Deutsche Reich. 100 Michael Assmann: »Apokalyptische Seelenlandschaften. Ludwig Meidners Prosadichtung Septemberschrei«. In Ein Fest der Künste. Paul Cassirer. Der Kunsthändler als Verleger. Hg. Rahel E. Feilchenfeldt u. Thomas Raff (München: Verlag C.H. Beck 2006), S. 240-252, hier S. 243. Außer dem Ehepaar Simon war dieses Werk einem Herrn Bernstadt in Schlesien ge80
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EXIL IN BRASILIEN widmet. Else Lasker-Schüler: »Gott hör…«, Die weißen Blätter, VII, Nr. 11 (Nov. 1920), S. 505. Tagebucheintragung vom 14. Aug. 1938, in Thomas Mann: Tagebücher 1937-1939. Hg. Peter de Mendelssohn (Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 1980), S. 286. Vgl. Brief an die Regierung der USA, 22. Apr. 1941, in Izabela Maria Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil, S. 243-245. Frithjof Trapp: »Die Autobiographie des Bankiers und Politikers Hugo Simon«, Exil, VI, Nr. 2 (1986), S. 30-38, hier S. 31. Hugo Simon: »Paris — Vorkriegswolken 1933«, Exil, III, Nr. 1 (1983), S. 52-60, hier S. 60. Frithjof Trapp: »Die Autobiographie des Bankiers und Politikers Hugo Simon«, S. 32. Hugo Simon: »Seidenraupen«. Unveröffentlichtes Manuskript in Nachlass Hugo Simon. Karton Hugo Simon im kleinen Archivbestand in der Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle für Exilliteratur, Hamburg, S. 840, S. 526. Ein weiteres Manuskript des Romans befindet sich in Nachlass Hugo Simon, Die Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt a.M.: Deutsches Exilarchiv 1933-1945, E 2005/63. Ebd., S. 528. Vgl. Brief von Thomas Mann an Hugo Simon, 31. Mai 1946 und Brief von Albert Einstein an Hugo Simon, 3. Juni 1946, in Izabela Maria Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil, S. 249-251. Für umfassendere Ausführungen zum Leben und Werk des Schriftstellers und seine Exilzeit in Brasilien sei auf die Werke von Donald Prater und vor allem die Biographie des Brasilianers Alberto Dines verwiesen. Vgl. Donald A. Prater: Stefan Zweig. Das Leben eines Ungeduldigen (München: Carl Hanser Verlag 1981). Ders.: »Stefan Zweig«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York. Hg. John M. Spalek u. Joseph Strelka (Bern: Francke Verlag 1989), Teil 2, S. 1057-1098. Alberto Dines: Tod im Paradies (s. Anm. 53). Die Autorin hat die Biographie übersetzt und an der Überarbeitung und Erweiterung der 3. portugiesischen Auflage für das deutschsprachige Publikum mitgewirkt. Vgl. Stefan Zweig: Brasilien. Ein Land der Zukunft (Stockholm: Bermann-Fischer Verlag 1941). »Notre idée est […] d’aller […] à Petropolis si vous pouvez nous trouver un ap[p]artement ou une petite maison. Je suis très fatigué, j’ai travaillé beaucoup et l’idee de me reposer au Brésil est une grande tentation. […] Nous étions des mois, depuis plus d’un an constamment dans les hôtels et vouz pouvez vouz imaginer comme nous désirons de [!] rester ›chez nous‹.« Brief von Stefan Zweig an Abrahão Koogan, 15. Aug. 1941, in Stefan Zweig: Briefe 1932-1942. Hg. Knut Beck u. Jeffrey B. Berlin (Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2005), S. 311-312. (Übersetzung und Original zit. nach dem Briefband). Stefan Zweig zit. in Alberto Dines: Tod im Paradies, S. 366-367. Stefan Zweig: Brasilien Ein Land der Zukunft (Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 1990), S. 2021. Brief von Stefan Zweig an Berthold Viertel, 11. Okt. 1940, in Stefan Zweig: Briefe 19321942, S. 290-291. Harry Zohn: »Friderike Maria Zweig«. In Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York. Hg. John M. Spalek u. Joseph Strelka (Bern: Francke Verlag 1989), Teil 2, S. 16771693. Briefe von Stefan Zweig an Friderike Zweig, 10. Sept. 1941; 17. Sept. 1941; 14. Okt. 1941, in Stefan Zweig u. Friderike Zweig: Ein Briefwechsel 1912-1942 (Bern: Albert Scherz Verlag 1951), S. 339-343. Ende 2005 wurde der Bungalow von der Gesellschaft Casa Stefan Zweig erworben, um daraus ein Museum und eine Forschungsstätte zum deutschsprachigen Exil in Brasilien zu schaffen. Mehr dazu vgl. www.casastefanzweig.com.br. »I am so frightfully depressed by the present as well as by the future and feel superfluous — what is a writer without its [sic] own language, without a country, without its [sic] past, without its [sic] future? The values we have lived for are destroyed, the men we have loved dead or in misery, the mankind in madness — what have I to give and to whom?«
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Brief von Stefan Zweig an Felix Braun, 8. Juli 1941, in Nachlass Felix Braun, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftenabteilung, I.N. 198.121. Brief von Stefan Zweig an Berthold Viertel, 30. Jan. 1942, in Stefan Zweig: Briefe an Freunde. Hg. Richard Friedenthal (Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 1978), S. 345. Zu den detaillierten Umständen des Doppelselbstmordes vgl. Alberto Dines: Tod im Paradies, S. 581-618. Vgl. »Feder Tagebücher«, Bd. 15, 3. März 1942, in Ernst Feder Collection. Vgl. ebd., 23. Feb. 1942. Vgl. ebd., 20. März 1942. Brief von Dana Roda-Becher an ihre Eltern in New York, 6. März 1942, in Nachlass Dana Roda-Becher, I.N. 216.181. Vgl. »Feder Tagebücher«, 3. März 1942. Vgl. Fritz Pinkuss: Lernen, Lehren, Helfen, Sechs Jahrzehnte als Rabbiner auf zwei Kontinenten (Heidelberg: Heidelberger Verlagsanstalt 1990), S. 67. Vgl. Sonja P. Karsen u. Mark Ritter: »Stefan Zweig’s and Gilberto Freyre’s Views of Brazil as Country of the Future«. In Latin America and the Literature of Exile. A Comparative View of the 20th-Century European Refugee Writers in the New World, S. 347-361, hier S. 348-349. Ernst Feder zit. in Marlen Eckl: » ›Die Blüte des Exils‹: Ernst Feder und sein ›Brasilianisches Tagebuch‹ «, Martius-Staden-Jahrbuch, LIV (2007), S. 103-124, hier S. 121. Gerhard Drekonja-Kornat: »Stefan Zweigs Freitod und das ›Brasilien-Buch‹. Gerüchte und Zusammenhänge«. In Zweimal verjagt. Die deutschsprachige Emigration und der Fluchtweg Frankreich-Lateinamerika 1933-1945. Hg. Anne Saint Sauveur-Henn (Berlin: Metropol Verlag 1998), S. 133-139, hier S. 137. Stefan Zweigs Abschiedsbrief in Alberto Dines: Tod im Paradies, Abb. 71. Vgl. Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 10. Apr. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, Bestand A: Jacob H.E. Die Autorin hat kleinere grammatikalische und Rechtschreibfehler in den unveröffentlichten Briefen korrigiert. Zu Heinrich Eduard Jacob vgl. Hans Jörgen Gerlach: »Heinrich Eduard Jacob« (s. Anm. 22). Anja Clarenbach: Finis libri. Der Schriftsteller und Journalist Heinrich Eduard Jacob (18891967). Doktorarbeit. Universität Hamburg 2003 in: www.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2002/948/pdf/dissertation.pdf (Letzter Zugriff, 29. Aug. 2008). Vgl. Heinrich Eduard Jacob: Sage und Siegeszug des Kaffees. Die Biographie eines weltwirtschaftlichen Stoffes (Hamburg: Rowohlt Verlag 1934). Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 10. Apr. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob. Heinrich Eduard Jacob: Mit dem Zeppelin nach Pernambuco (Berlin: Katzengraben-Presse 1992), S. 36. Dieser Aufsatz ist erstmals als Artikel am 03. Apr. 1932 im Berliner Tageblatt erschienen. Interessant ist Heinrich Eduard Jacobs Abwandlung »Land einer Zukunft« des viel zitierten Ausspruchs »Land der Zukunft«. Der Autor kannte Heinrich Schülers Studie gleichnamigen Titels. Ein Exemplar des Werkes befand sich in seinem Nachlass. Vgl. Brief des Nachlassverwalters Hans Jörgen Gerlach an die Autorin, 14. Juli 2008. Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 10. Apr. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob; Heinrich Eduard Jacob: Treibhaus Südamerika. Novellen (Zürich: Bibliothek zeitgenössischer Werke 1934). Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 17. Juli 1952, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob. Heinrich Eduard Jacob: »Beim brasilianischen Außenminister«. Unveröffentlichtes Manuskript in Nachlass Heinrich Eduard Jacob, S. 5. Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 17. Juli 1952, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob. Heinrich Eduard Jacob: Estrangeiro. Einwanderungsschicksal in Brasilien (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1988), S. 171-173. Ebd., S. 40. Heinrich Eduard Jacob zit. nach: Anja Clarenbach: Finis libri, S. 145.
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142 Briefe von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder und Willy Haas, 12. Nov. 1951 und 24. Sept. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob. 143 Vgl. Briefe von Heinrich Eduard Jacob an Martha Jacob und Ernst Feder, 20. Jan. 1940 und 12. Nov. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob. 144 Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 12. Nov. 1951, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob. 145 Brief von Heinrich Eduard Jacob an Ernst Feder, 4. März 1952, in Nachlass Heinrich Eduard Jacob.
BUDAPEST─BERLIN─NEW YORK: KETTENMIGRATION VON UNGARN IN DIE VEREINIGTEN STAATEN, 1919-1945 TIBOR FRANK
Die Nachkriegszeit, 1918–1920 Die Geschichte der Emigration aus dem Ungarn der Zwischenkriegszeit nahm einen anderen Verlauf als in den meisten anderen europäischen Ländern.1 Ungarn hatte unter den Folgen des Ersten Weltkrieges besonders schwer zu leiden. Die Niederlage Österreich-Ungarns setzte allen ungarischen Ambitionen auf Erlangung von einem Status, der zumindest dem einer teilweisen Großmacht ähnelte, ein jähes Ende. Das Land musste zunächst in den Jahren 1918 und 1919 zwei qualvolle Revolutionen über sich ergehen lassen, bevor es 1919 von Rumänien besetzt wurde. Von 1919 bis 1920 erfolgte dann die Gegenrevolution, und 1920 schließlich kam es zu dem für Ungarn verheerenden Frieden von Trianon. Dieser Friedensvertrag führte zur Aufteilung des Landes, wobei Ungarn über zwei Drittel seines Staatsgebiets an die teils neu geschaffenen, teils vergrößerten Nachbarländer Rumänien, Jugoslawien und die Tschechoslowakei abtreten musste. Während die Gesamtbevölkerung Ungarns von 13.663.691 im Jahr 1869 auf 18.264.533 im Jahr 1910 angestiegen war — lediglich 54,5% der Gesamtbevölkerung im Jahr 1910 waren ethnische Madjaren — ergab die Volkszählung aus dem Jahr 1920, nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Trianon, nur mehr eine Zahl von 7,89 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, wobei der Anteil an nichtungarischen Nationalitäten und ethnischen Minderheiten im gleichen Zeitraum auf bescheidene 2,4% geschrumpft war. Bis 1930 stieg die Gesamtbevölkerung auf 8,68 Millionen an, und 1941 schließlich erreichte sie 9,32 Millionen. Die Zahl der Juden belief sich 1869 auf 542.257 (4%). Bis 1910 war eine Steigerung auf 911.227 (5%) zu verzeichnen. In der Zwischenkriegszeit pendelte sich die Zahl der in Ungarn lebenden Juden ungefähr auf diesen Wert ein.2 Das Unglück Ungarns in der Nachkriegszeit wurde teilweise der jüdischen Bevölkerung des Landes zur Last gelegt. Zum Sündenbock abgestempelt wurde ihr ein Großteil der Schuld an der nationalen Katastrophe aufgebürdet. Diese Rolle fiel ihr gar nicht unerwartet zu, da sie sowohl in Österreich als auch in Deutschland schon früher als ein Unruhe stiftender Fremdkörper in der Gesellschaft empfunden worden war. Diese Ehrschätzung wurde im Zuge einer plumpen Travestie umso glaubwürdiger, als sich herausstellte, dass die überwiegende Mehrheit der Führungselite der sog. »Räterepublik« aus dem Jahr 1919, einem kurzlebigen Ableger von Lenins bolschewistischer Revolution von 1917, jüdischer Abstammung war. Die vom Friedensvertrag von Trianon aufgezwungenen territorialen sowie die die Bevölkerung betreffenden Zugeständnisse machten Ungarn gleichsam über Nacht zu einem unabhängigen, aber kleinen und verwundbaren Staat wie bisher ohne Zugang zum Meer, dafür aber mit einem ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex. Das im Herbst bzw. Winter 1919/1920 neu eingesetzte Regime unter Admiral Miklós Horthy brachte die erste antisemitische Gesetzgebung des Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent hervor. Es handelte sich dabei um die Einführung einer Quotenregelung, bei der die Zahl der ungarischen Juden mit der Größe der Gesamt-
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bevölkerung Ungarns verglichen wurde. Demnach durften im tertiären Bildungssektor nur 5% aller Studenten jüdischer Abstammung sein. Dieser »Numerus Clausus« war für die ungarischen Juden mit besonders unangenehmen Nachteilen verbunden, da sie ja unverhältnismäßig häufig in den sog. »freien« Berufen vertreten waren. Mehr als 50% aller Ärzte, Juristen, Journalisten, Händler und Geschäftsleute waren Juden. Im Gegensatz dazu fanden sich traditionellerweise nur wenige Juden im Staatsdienst oder unter den Lehrern und Professoren. Das galt auch für Verwaltungsbeamte, die im Auftrag der städtischen Gemeinden tätig waren.3 Obwohl sich diese Bestimmungen anfänglich nur schwer etablieren konnten, wurde es gegen Ende des Jahrzehnts zu einem wichtigen Grund dafür, dass viele brillante ungarische Intellektuelle und Experten jüdischer Abstammung sich dazu entschlossen, das Land zu verlassen und ihre Ausbildung im Ausland abzuschließen bzw. sich anderswo nach einer geeigneten Arbeit umzusehen. Viele hätten sich vorzugsweise in den Vereinigten Staaten niedergelassen, jedoch wurde die Einreise in die USA auch hier durch die Einführung zunehmend restriktiverer »Quotenregelungen« erschwert. Diese Entwicklung begann mit der Einführung den sog. Emergency Immigration Restriction Laws im Jahr 1921 und endete mit dem noch strengeren Programm bezüglich der nationalen Herkunft im Rahmen des Reed-Johnson Act von 1924, demzufolge jährlich nur 869 Personen aus Ungarn in Amerika eingebürgert werden konnten. Später wurde diese Zahl sogar noch weiter auf lediglich 473 beschränkt. Somit verlor Ungarn eine ganze Heerschar von angehenden Mathematikern, Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Ärzten, Architekten, Musikern, Künstlern, Filmemachern, Soziologen und Schriftstellern, die sich in Europa und vor allem in den Vereinigten Staaten einen Namen machen sollten. Alles das wurde durch weitere, noch drastischere, gegen Juden gerichtete Gesetze verstärkt, die nach dem Vorbild der in Nazideutschland gängigen Gesetzgebung, im Zeitraum von 1938 bis 1941 in Ungarn eingebracht wurden.
Assimilation Im Gegensatz zu anderen ostmitteleuropäischen Staaten waren in Ungarn im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Assimilationstendenzen besonders stark ausgeprägt. Das lag daran, dass die Assimilation eine der wichtigsten Karrierechancen in einem Land bot, in dem die sog. Madjarisierung sich als Leitprinzip bei der Konstruktion einer ungarischen Nation entpuppte, welche wiederum aus einer Mischung der verschiedensten ethnischen sowie religiösen Gruppen und Sprachgemeinschaften hervorging. Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte im Land ein beinahe beispielloses Maß an religiöser Toleranz. Die Assimilation ging häufig mit einem Sprachwechsel, einer Namensänderung, der Erhebung in den Adelsstand, der Schließung von Mischehen sowie der Annahme eines neuen Glaubens einher. Das galt insbesondere auch im Fall von Budapest, einer Stadt über die der zeitgenössische Dichter Endre Ady sagte: »[Sie] wurde von den Juden für uns geschaffen.«4 Der Wechsel vom Deutschen und Jiddischen zum Ungarischen, von jüdischen zu ungarischen Familien, vom Judaismus zum römisch-katholischen Glauben oder verschiedenen Formen des Protestantismus diente dem Zweck der Integration in die ungarische Gesellschaft. Jedoch schufen diese verschiedenen Formen der Assimilation auch eine Art mentales Vakuum, gleichsam eine Aura der verlorenen Identität bzw. ein religiöses Niemandsland.
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Die Assimilation sowie ihre verschiedenen Manifestationen spiegelten das Maß an psychologischer Unsicherheit sowie ein gewisses soziales Unbehagen und eine innere Unruhe ganzer Generationen von Juden, sowohl in Budapest als auch anderswo, in der österreichisch-ungarischen Monarchie und sogar außerhalb derselben wider.5 Diese Thematik wird von einer ständig wachsenden Literatur über die jüdische Unsicherheit aufgegriffen.6 Der Preis der Assimilation, den die zu einer anderen Religion konvertierten Juden zu zahlen hatten, war der Verlust ihrer Wurzeln; sowohl der sozialen als auch der psychologischen. Die Belohnung bestand in der (beruflichen) Beförderung sowie der sozialen Anerkennung, die ihnen zuteil wurde. In der in zunehmendem Maße säkularisierten Zeit des Fin-de-siècle in Budapest schien es häufig ein vernünftiger Handel zu sein, sozial unerwünschte Traditionen gegen die psychologischen und kommerziellen Vorteile einer scheinbar sicheren sozialen Stellung einzutauschen. Für diejenigen jedoch, die während des Ersten Weltkriegs und der unmittelbar darauffolgenden Zeit zum Christentum konvertiert waren, erwiesen sich diese Vorteile als äußerst kurzlebig. Nichtsdestotrotz ermöglichte die Assimilation der jüdischen Mittelklasse in die ungarische Gesellschaft Erfahrungen, welche den Weg zu einer erfolgreichen Emigration in die USA bzw. eine erfolgreiche Einbürgerung in den Vereinigten Staaten ebnete. Der Erfolg der Emigranten in den USA war dadurch bedingt, dass sie bereits einen ähnlichen Wandel in Ungarn sowie der ÖsterreichischUngarischen Monarchie erlebt hatten. Sie waren gewappnet für die Bewältigung der typischen Probleme von Ein- bzw. Auswanderern, da sie ja bereits die Erfahrung verschiedener Wertsysteme, doppelter Identitäten sowie des Lebensgefühls im Rahmen einer Positionierung zwischen verschiedenen Gesellschaften gemacht hatten. Das einzig wirklich bemerkenswerte Charakteristikum der Assimilation in Ungarn um die Jahrhundertwende (sowie das Maß für den Erfolg dieser Prozesse) war die sog. Madjarisierung. Der Sprachwechsel vom Deutschen zum Ungarischen vollzog sich äußerst schnell. So fiel die Zahl der deutsch sprechenden Juden von 43% im Jahr 1880 auf 21,8% im Jahr 1910. Gleichzeitig erreichte die Zahl der ungarisch sprechenden Menschen in Ungarn 75,6%.7 Bis zu einem gewissen Grad war auch das um 1840 herum in Ungarn relativ häufig anzutreffende Phänomen der Namensänderungen verantwortlich für diese Tendenzen. Familiennamen wurden zunächst unter Kaiser Joseph II. häufig von hebräischen in deutsche, später im 19. Jh. von deutschen in ungarische und in einem dritten Schritt schließlich von ungarischen in amerikanische umgewandelt.
Orientierung an Deutschland Der durchschnittliche »ungarische« Angehörige der Mittelklasse war gemeinhin deutscher (»schwäbischer«) oder jüdischer Herkunft, und für ihn stellten die deutsche Kultur und Zivilisation die Verbindung Ungarns und der österreichisch-ungarischen Monarchie zu Europa und dem Rest der Welt dar. In den Mittelklassewohnzimmern in Österreich, Ungarn, Böhmen, Galizien und Kroatien waren die gesammelten Werke von Goethe und Schiller, die Dichtung von Heine und Lenau sowie die Dramen von Grillparzer und Schnitzler zu finden. In diesen Gebieten las man nicht nur deutsche Literatur und deutsche Übersetzungen — Deutsch war die Sprache der Kultur als solcher. Als Baron József Eötvös (1813–1871), ein angesehener Gelehrter und Bildungsminister, seine Tochter in einem Schloss in Ostungarn besuchte, bemerkte
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er: »Was für Gegensätze! Ich fahre durch Szeged und Makó, besuche dann meine Tochter und was sehe ich: Kaulbach an den Wänden, Goethe auf dem Bücherregal und Beethoven auf dem Klavier.«8 Da die deutsche Sprache die Lingua franca in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war, gingen die meisten der potentiellen Auswanderer zuerst in die deutschsprachigen Länder Europas, d.h. nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz. Sogar die Tschechoslowakei verfügte über exzellente deutsche Universitäten sowohl in Prag als auch in Brno [Brünn]. Angehörige des österreichisch-ungarischen Mittelstandes sprachen für gewöhnlich gut deutsch. Auch waren diese Länder nicht weit von Ungarn entfernt, und das nicht nur in geografischer, sondern auch in kultureller Hinsicht. Der deutsche Einfluss in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war besonders stark, was die Bildung, das musikalische Schaffen sowie Wissenschaft und Kunst anbelangte. Die Weimarer Republik und Teile der deutschsprachigen Tschechoslowakei waren auch liberal im Hinblick auf das geistige Leben und die Politik. Darüber hinaus standen, vergleichbar mit der ehemaligen ÖsterreichischUngarischen Monarchie Deutschland und bis zu einem gewissen Grad auch die Tschechoslowakei für eine polyzentrische Welt. Jede der »anmutigen Hauptstädte der weniger bedeutenden Fürsten in Deutschland«9 konnte sich, laut dem ungarischamerikanischen Historiker István Deák rühmen, über ein Opernhaus, ein Symphonieorchester, eine Universität, ein Theater, ein Museum, eine Bücherei, ein Archiv sowie ein dafür empfängliches und inspirierendes Publikum zu verfügen, welches wiederum Talente aus allen Ländern einlud und willkommen hieß. Junge Musiker, die ein Studium an der Hochschule für Musik in Berlin absolvierten, konnten sich einigermaßen sicher sein, dass ihre zur Erlangung des Diploms gegebenen Konzerte von den Musikdirektoren und Dirigenten der meisten deutschen Opernhäuser landauf landab besucht werden würden. Letztere wiederum waren bereit, ihnen eine Stelle irgendwo in einem der kulturellen Zentren des Reiches anzubieten.10 Berlin und andere Städte der Weimarer Republik verfügten über viele jener kulturellen Werte und Traditionen, an welche junge ungarische Geisteswissenschaftler, Naturwissenschaftler, Musiker, bildende Künstler, Filmemacher und Autoren gewöhnt waren. Somit gab es in Deutschland ein für sie attraktives Milieu sowie eine intellektuelle Umgebung, das bzw. die vergleichbar mit jenem kulturellen Hintergrund war, der gemeinsam mit dem Österreich-Ungarn der Vorkriegszeit untergegangen war oder den sie, insbesondere noch in Budapest, zurücklassen mussten.11 Der lebhafte, aber gleichzeitig tolerante Geist der Jahre unmittelbar vor Beginn der Nazi-Herrschaft sowie die insbesondere in Berlin zunehmende Amerikanisierung gab ihnen einen Vorgeschmack auf die Vereinigten Staaten und einige ihrer Großstädte. Nach den politischen Veränderungen der Jahre 1918 bis 1920 begannen also kleinere Gruppen von intellektuell hochbegabten Ungarn in die verschiedensten europäischen Länder sowie in die USA zu emigrieren. In vielen Fällen handelte es sich zunächst um einen ersten Schritt im Rahmen einer mehrstufigen Auswanderung bzw. Kettenmigration. Nachdem jedoch Hitler 1933 zum deutschen Reichskanzler aufgestiegen war, kamen die meisten der ungarischen Emigranten zu dem Ergebnis, dass sie die deutschsprachigen Länder verlassen müssten und setzten daher ihre Reise — mehrheitlich in die USA — fort. Natürlich war das nicht das einzige Muster nach welchem die Emigration erfolgte, es war jedoch das bei Weitem gängigste. Mit Sicherheit blieb die Migration der Fachkräfte nach dem Ersten Weltkrieg nicht auf Ungarn beschränkt. Es handelte sich dabei um ein europäisches Phänomen. Die enormen sozialen Umwälzungen nach dem Krieg versetzten unglaubliche Men-
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schenmassen in alle möglichen Richtungen in Bewegung. Russische und ukrainische Emigranten flüchteten vor dem Bolschewismus. Polen wurden im erneut im Entstehen begriffenen Staat Polen angesiedelt, Ungarn flohen aus der neu begründeten Tschechoslowakei sowie aus dem neuen Rumänien und Jugoslawien.12 Wanderungsbewegungen aus Ungarn in den 1920er Jahren waren Teil dieses allgemeinen Musters und können nicht eindeutig als Emigration im engeren Sinn bezeichnet werden. Die meisten dieser Menschen unternahmen unterschiedlich lange dauernde, bedeutende und ausgedehnte Studienreisen, genauso wie es andere vor dem Ersten Weltkrieg getan hatten. Im Gegensatz zu einer allgemein verbreiteten Meinung, blieben die Migrationen nicht auf Juden beschränkt, die unter den (bildungs)politischen Konsequenzen des sog. ›Weißen Terrors‹ in Ungarn zu leiden hatten. Jedoch bildeten die jüdischen Migrationen in den zwanziger Jahren ein eindeutiges Muster, nachdem vielen Juden durch das Gesetz über den Numerus Clausus der Zugang zu den Universitäten verweigert worden war. Ergebnis dieser Migrationen war die durch die Staatenlosigkeit bzw. zumindest mentale Staatenlosigkeit bedingte Verletzbarkeit der betroffenen Menschen sowie die problematische Existenz lange Jahre ohne Staatsbürgerschaft in einer Welt der Nationalstaaten zu leben.13 Auch nichtjüdische Ungarn verließen damals in großer Zahl und aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat. In den darauffolgenden Jahren kehrten viele von ihnen nach Ungarn zurück. Zu den nicht-jüdischen Abwanderern zählten etwa die Schriftsteller Gyula Illyés, Lajos Kassák, and Sándor Márai, die bildenden Künstler Aurél Bernáth, Sándor Bortnyik, Béni and Noémi Ferenczy, Károly Kernstok, die Gesangskünstler Anne Roselle (Anna Gyenge), Rosette (Piroska) Andai, Koloman von Pataky, die Schauspieler und Schauspielerinnen Vilma Bánky, Ilona Hajmássy, Béla Lugosi, Lya de Putti, der Organist und Komponist Dezső Antalffy-Zsiross, der Komponist Béla Bartók, und der Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi. Motiviert durch die politische Lage, die herrschende Armut und das Streben nach einer internationalen Karriere sowie einfach nur aus Neugier machten sich Leute, die einander diametral entgegengesetzte Positionen vertraten, auf den Weg und versuchten ihr Glück in Paris, Berlin oder Hollywood. Viele Ungarn verließen die Nachfolgestaaten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie nunmehr etikettiert als »Rumänen«, »Tschechoslowaken« oder »Jugoslawen«. Aufgrund der Quotenregelung jedoch, peilten nur wenige von ihnen die Vereinigten Staaten an, d.h. die Migrationen erfolgten in Richtung verschiedener Zentren Europas, in erster Linie nach Deutschland. Die Auswanderung nach Deutschland war, wie gesagt, nicht nur eine Überlebensfrage im Hinblick auf Studienmöglichkeiten sowie Berufs- und Karrierechancen, sondern auch die Gelegenheit, die ursprüngliche Berufstätigkeit aufzunehmen bzw. entsprechend ihrer geistigen Fähigkeiten zu leben und zu wirken. Dabei handelte es sich nicht nur um den Erwerb einer neuen Adresse. Vielmehr ging es um die Wiedererlangung geistiger (und häufig auch körperlicher) Gesundheit sowie um eine mögliche Selbstverwirklichung und die Wiederherstellung des Seelenfriedens. In den zwanziger Jahren schlossen sich Hunderte von »neuen« Ungarn verschiedenen ungarischen Gruppen der Vorkriegsemigration in Berlin an. Was sie vorfanden, glich einer Art ungarischer Gemeinschaft, der u.a. Künstler angehörten wie der Bass Oszkár Kálmán, welcher in der Staatsoper sang, und der Tenor Pál Fehér, der in der Städtischen Oper auftrat, sowie eine ganze Reihe ungarischer Sänger/innen wie Gitta Alpár, Rózsi Bársony, Oszkár Dénes und Tibor Halmai, der in Paul Abrahams populärer Operette Ball im Savoy zu sehen war. Selbst nach der Machtergreifung der Nazis
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präsentierte der Maestro Fritz Busch noch in der Städtischen Oper Verdis Un ballo in maschera; eine Produktion, an der ungarische Stars wie die Sopranistin Mária Németh und der Tenor Koloman von Pataky mitwirkten. Die Begleitung auf dem Klavier übernahm Árpád Sándor, der gleichsam organischer Bestandteil des musikalischen Lebens der deutschen Hauptstadt war.14 Berlin war allerdings nicht das einzige Ziel. Der Mathematiker Gábor Szegő etwa nahm 1926 eine ordentliche Professur in Königsberg an, der Chemiker Ferenc Kőrösy began sein Studium 1923 in Karlsruhe, der Philosoph Karl Mannheim ließ sich in Heidelberg nieder, wo er vor dem Ersten Weltkrieg studiert hatte (und 1930 zum Professor der Soziologie der Universität von Frankfurt am Main ernannt wurde, bevor er schließlich nach Großbritannien flüchtete).15 Der Mathematiker Otto Szász verließ 1933 eine Stelle an der Universität in Frankfurt am Main, um in die Vereinigten Staaten zu gehen, wo er vorwiegend in Cincinnati unterrichtete.16 Die ungarischen Filmemacher bildeten unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einen festen Bestandteil der deutschen Filmindustrie. Der deutsche Film erreichte seine Unabhängigkeit von den ausländischen Einflüssen nach dem Krieg und die Filmproduktionen wurden von der Regierung massiv unterstützt: die UFA (Universum Film Aktiengesellschaft), 1917 gegründet, beherrschte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Filmindustrie. Die zwanziger Jahre gingen als das goldene Zeitalter des deutschen Kinos in die Geschichte ein. Viele Ungarn absolvierten ihre filmischen Lehrjahre in den UFA-Studios in Berlin-Babelsberg. Die Regisseure Michael Curtiz (Mihály Kertész), Joe (Joseph) Pasternak (József Pasternak) und Charles Vidor, die Schauspieler Peter Lorre, Bela Lugosi, Paul Lukas (Pál Lukács), S. Z. Sakall, Victor Varconi (Mihály Várkonyi), die Stummspieldiva (Amalia) Lya de Putti, der Drehbuchautor Ladislaus (László) Vajda waren ─ attraktiver Angebote aus Hollywood halber ─ allerdings schon lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten von Deutschland aus in die Vereinigten Staaten gegangen.17 Gegen Ende der zwanziger Jahre begann die ungarische Regierung, die Bedeutung der permanenten Abwanderung von Experten für Ungarn zu erkennen. Graf Kuno Klebelsberg (1875–1932), ungarischer Minister für Religions- und Unterrichtswesen von 1922 bis 1931, besuchte einige der wichtigsten deutschen Universitäten, um ungarische Wissenschaftler zu einer Rückkehr nach Ungarn zu bewegen. Frau Szegő, die Gemahlin des Mathematikers Gábor Szegő (1895–1985), berichtet über die Diskussion, wo Graf Klebelsberg die lange Liste der in Deutschland erfolgreichen, jüdisch-ungarischen Mathematiker und Wissenschaftler kennengelernt hatte, folgenderweise: Als Klebi [Klebelsberg] vor einiger Zeit eine Feier in Göttingen abhielt, versuchte der Mathematiker Courant, der neben ihm am Tisch saß, ihn mit der Aufzählung einiger ungarischer, aber nichtarischer Wissenschaftler zu beeindrucken wie [Lipót] Fejér, [George] Pólya, Misi [Michael Polanyi], [John von] Neumann, [Theodore von] Kármán, Gábor [Szegő], »die in Deutschland erfolgreich waren.« [Max] Born half nach. Klebi sagte, »Misi habe eine Einladung zur Rückkehr nach Budapest bekommen. […] Tammann [der auch dabei war] bemerkte, daß er bezweifle, daß Misi die Einladung annehmen und seine Stellung in Deutschland aufgeben würde. Klebi antwortete mit dem inzwischen klassischen Wort: ›Wenn Vaterland ruft, kommt Ungar!‹.«
Frau Szegő fügte mit einem gewissen Zynismus hinzu: »Si non è vero, è ben trovato« [Wenn es nicht wahr ist, so ist es gut erfunden].18
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Nach seiner Rückkehr nach Budapest veröffentlichte der Minister einen Artikel auf der Titelseite der wichtigen ungarischen Tageszeitung Pesti Napló. Im Titel weist er auf einen berühmten Gedanken des ungarischen Dichters Endre Ady aus dem Jahre 1906 hin, der sich auf die Modernisierung Ungarns bezieht. Für den Minister bestand das große Problem Ungarns 1929 darin, »die unverfälschten Werte der Nation zu bewahren und [Ungarn] zugleich auf ein gänzlich europäisches Niveau emporzuheben und von den uns umgebenden Nationen zu lernen.«19 Er wies darauf hin, wie wichtig es sei, in Literatur und Geisteswissenschaften einen spezifischen »ungarischen Charakter« beizubehalten, äußerte sich jedoch für die Medizin, die Wirtschaft, die technischen und die Naturwissenschaften anders: »Chauvinismus und Partikularismus würden sich hier böse rächen«, schrieb er, »für sie müssen wir die Tore weit aufmachen […]. Es möge eine Menge von Leuten kommen, ganz viele von ihnen, so viele wie möglich, mit den neuen Erfindungen und, vor allem, den neuen Energien.«20 Der Minister schrieb den Artikel im Sinne einer offenen Einladung an alle ungarischen Fachleute im Ausland, als Versuch, eine Rückwanderung von Experten aus den seines Erachtens wichtigsten Berufsgruppen zu initiieren. Der Artikel bewegte die Ungarn auch in Deutschland. Hie und da hatten viele von ihnen Schwierigkeiten, eine Stelle zu bekommen, so klang der Ruf der ungarischen Regierung vielversprechend. Michael Polanyi zeigte seinen Berliner Freunden sein Exemplar des Pesti Napló. Der spätere Nobelpreisträger Eugene Wigner (1902– 1995) und auch Leo Szilard (1898–1964) signierten den Artikel sogar zum Zeichen ihrer Kenntnisnahme — aber sie beschlossen zu bleiben. Einen Tag, nachdem der Artikel erschienen war, wurde der Minister in einem Interview über die tatsächlichen Absichten der Regierung befragt. Klebelsberg reagierte sehr vorsichtig und sagte auf die Frage nach der Rückkehr der Professoren nur, dies liege im Grunde bei den Universitäten. Trotzdem kamen einige zurück. Der bekannteste von ihnen war der spätere Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi (1893–1986), der eine erfolgreiche Periode von Forschungsarbeiten an der Universität Groningen (Niederlande), in Cambridge (England) und an der Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota (USA), abschloss und 1928, anscheinend auf das Betreiben von Graf Kuno Klebelsberg, nach Ungarn kam.21 Andere, wie der berühmte ungarisch-amerikanische Dirigent Fritz Reiner aus Cincinnati, spielten ebenfalls mit dem Gedanken einer Rückkehr nach Ungarn, von wo er offensichtlich ein Angebot als Musikdirektor der Budapester Oper bekommen hatte. Reiners Bedingungen waren jedoch so hart, dass der Rückkehr nicht realisiert werden konnte.22 Die Fehleinschätzung der deutschen Situation im späteren 1932 und früheren 1933 war nicht vereinzelt. Noch im Januar 1933 wurde die Operette Ball im Savoy von dem ungarischen Berliner Paul Abraham (1892–1960) mit enormem Erfolg in Berlin aufgeführt, gesungen von den ungarischen Stars Gitta Alpár (1903–1991) und Rózsi Bársony (1909–1977) — von einem Komponisten und zwei Sängerinnen, für die innerhalb weniger Wochen kein Platz mehr im nunmehr offiziell antisemitischen Deutschland Hitlers war.23 Die Novellen des britischen Autors Christopher Isherwood (Mr. Norris Changes Trains, 1935, Goodbye to Berlin, 1939) sowie moderne Filme wie Cabaret, Mephisto und Julia waren eine Chronik des sich in atemberaubendem Tempo vollziehenden Wandels von der Weimarer Republik zu Nazideutschland. Obwohl einige Angehörige der ungarischen Gemeinschaft versuchten zu überleben, indem sie die Frage »arisch oder nichtarisch« mit »ungarisch, evangelisch« beantworteten,24 war Berlin mit seinen allgegenwärtigen Hakenkreuzen auf den roten Fahnen der Nazis, den aufmarschierenden
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Einheiten der SA, Massenkundgebungen der NSDAP, Bücherverbrennungen und den überhand nehmenden, neuen antisemitischen Parolen und Vorschriften nicht mehr sicher. Jüdisch-ungarische Mitglieder der deutschen wissenschaftlichen Organisationen brachen nach der Machtergreifung der Nazis typischerweise ihre diesbezüglichen Kontakte ab. Theodore von Kármán (1881–1963) hatte Deutschland schon lange vor der Machtergreifung Hitlers den Rücken gekehrt. Dass er schließlich am Caltech (California Institute of Technology) eine neue wissenschaftliche Wirkungsstätte fand, war aber eine Folge der für seinen Forschungsbereich charakteristischen Entwicklungen, und nicht eine Konsequenz der rassischen oder politischen Verfolgung. Nichtsdestotrotz wandte er sich, nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, vollständig gegen Deutschland, wo er immerhin an die 25 Jahre verbracht hatte. John von Neumann trat 1935, kurz nach dem Erscheinen seines Werks Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik in Berlin, aus der Deutschen Mathematiker-Vereinigung aus.25 Andere sollten seinem Beispiel folgen.
Mehrfaches Exil Leben und Werk von Leo Szilard demonstrieren eine charakteristische Form des zwei- oder sogar mehrfachen Exils und die damit einhergehenden, destabilisierenden Auswirkungen auf Karriere, Lebensstil und psychische Gesundheit. Szilard schien während seines gesamten Lebens ständig auf der Suche nach sich selbst zu sein. Er reiste, wohin sein Geist ihn lenkte, um der Welt hinterherzujagen, sie gleichsam einzufangen. Szilards Leben war geprägt von ununterbrochenem Wandel sowie intellektueller Unruhe. Es war ein Streben danach, die eigene Rolle zu definieren; eine Suche nach Einflussmöglichkeiten und einer eigenen Identität. Seine extreme Sensibilität und permanente Wachsamkeit waren das Ergebnis seiner Erfahrungen als junger Student in Budapest im Jahr 1919. Infolgedessen war der reife Szilard im Berlin des Jahres 1933 sowie in der gesamten darauffolgenden Zeit stets bereit weiterzuziehen. Szilard war das Mitglied einer erlesenen Gruppe im Exil lebender, ungarischer Wissenschaftler, deren Arbeit vor allem mit der Entwicklung der Atombombe in Verbindung gebracht wurde.26 Als Student von Max von Laue und enger Mitarbeiter Albert Einsteins in Berlin war Szilard wahrscheinlich der erfinderischste und einfallsreichste Angehörige dieser Gruppe von hervorragenden Wissenschaftlern, die sich in erster Linie durch ihre Vorstellungskraft und Originalität auszeichnete. Szilards Kollegen hielten ihn für ein Genie. Eugene Rabinowitch erinnerte sich an ihn als einen »brillanten, paradoxen, arroganten, einsamen Mann voller Ideen und spontaner Aktionen«. Eugene Wigner beteuerte, dass er »niemanden mit einer größeren Vorstellungskraft und Originalität, mit einer größeren Unabhängigkeit des Denkens und des Urteilsvermögens [...]«27 kennengelernt hatte. Er war der ultimative Problemlöser, d.h. einer, der verschiedenste Probleme in unterschiedlichen Bereichen erkannte, aufzeigte und löste. Während der trüben Monate Ende 1919 fühlte sich Szilard in Budapest wegen des dort herrschenden, seine Zukunft bedrohenden Weißen Terrors in zunehmendem Maße unsicher. Im September mussten er und sein Bruder Béla an der Technischen Universität einen erniedrigenden Angriff wegen ihrer jüdischen Herkunft ertragen. Sein kurz zuvor erworbener Taufschein, welchen er naiverweise vorzeigte, um sich selbst zu verteidigen, schien die antisemitischen Hasstiraden der Angreifer nur
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noch weiter zu steigern. Béla erinnerte sich daran, dass es Leo nach der Etablierung der Kommune unmöglich gewesen war, ein Visum zu erhalten. Aber letztendlich habe er sich am 11. Dezember 1919 binnen 24 Stunden von der Polizei in Budapest ein offizielles Dokument beschafft, das seine »politische Verlässlichkeit«28 bestätigte, »da sein Name nicht in den Büchern der politischen Polizei aufschien«. Er erlangte auch eine schriftliche Erklärung des Mathematikers Lipót Fejér (1880–1959) vom 14. Dezember, aus der hervorging, dass er bei einem unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft für Mathematik und Physik ausgerichteten Physikwettbewerb für Studenten den zweiten Platz belegt hatte. Diese Dokumente erlaubten es ihm, binnen weniger Tage gegen Ende des Jahres 1919 Budapest zu verlassen und nach Berlin zu ziehen. Genauso wie das Jahr 1919 eine Krise der nationalen Identität für Ungarn war, so war es auch eine persönliche Identitätskrise für Szilard und die Wurzel großer Ängste. Der lange und quälende Herbst des Jahres 1919 hinterließ einen bleibenden Eindruck in seiner jungen Seele und schärfte seinen Sinn für die gefährlichen Wendungen der Geschichte. Seine verschiedenen psychologischen Komplexe wie z.B. der unaufhörliche Drang ständig in Hotels oder angemieteten Zimmern statt in einem Eigenheim zu wohnen29 sowie seine beständige Wachsamkeit, die es ihm erlaubte bei Bedarf schnell wegzuziehen, haben wahrscheinlich ihre Wurzeln in der unglaublichen Wut, die ihn 1919 quälte. Es spricht Bände, dass er seine wichtigsten Habseligkeiten, insbesondere seine Papiere, in zwei Koffern aufbewahrte, die im Fall des Falles auf eine kurze Benachrichtigung hin sofort weggebracht werden konnten — so geschehen in Berlin Anfang März 1933, unmittelbar nach dem Reichstagsbrand.30 Wie so viele seiner ungarischen Zeitgenossen, die in Deutschland wohnten, erlebte er dort ein schreckliches Déjà vu der Verhältnisse von Budapest im Jahr 1919, eine unangenehme Vertrautheit mit einer Bedrohung, die ständige Wachsamkeit und schnelles Handeln erforderte. Es ist vielleicht nicht fehl am Platz an dieser Stelle von einer Angstneurose im Sinne von Sigmund Freud zu sprechen. Die Symptome derselben zeigten sich bei Szilard sein ganzes Leben hindurch.31 Den plötzlichen Ausbruch des Antisemitismus, die Gewalt der rechtsextremen Machtübernahme sowie die bedrohliche Atmosphäre der Rache kannten Szilard und seine ungarischen Zeitgenossen, aufgrund der Erfahrungen, die sie in Budapest mehr als ein Jahrzehnt vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland gemacht hatten, nur zu gut. (Der etwas jüngere, jüdisch-ungarische Mathematiker Paul Erdős [1913–1996], der ein in den Grundzügen vergleichbares Leben, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg führte, stellt eine interessante Parallele dar.) Das vom deutschen Sozialhistoriker Joachim Radkau diagnostizierte Zeitalter der Nervosität im Deutschland von Bismarck bis Hitler trifft auch auf die Situation in Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg zu.32 Auf indirektem Wege weist der Aufstieg einer bestimmten ungarischen Richtung in der Psychologie, — die international anerkannte Erfolge in der Psychoanalyse, der Schicksalsanalyse und der Stressforschung erreichten, — auf die psychologischen Konsequenzen einer im Aufruhr befindlichen Gesellschaft hin.33 Emigranten jüdischer Herkunft wie Szilard hatten darüber hinaus noch andere Gründe nervös zu sein.34 Man könnte versucht sein, zu denken, dass persönliche Impulse seine in Pionierarbeit unternommenen Anstrengungen zum Bau einer Bombe gegen Hitler motivierten. Sein jüdisch-ungarischer Hintergrund, seine Erziehung sowie die langen, im permanenten Exil verbrachten Jahre trugen das Ihrige zur Herausbildung einer problematischen und schwierigen Psyche bei. Es entspricht allerdings auch der Wahrheit, dass gerade diese psychologischen Voraussetzungen ihn mit jenen Fähigkeiten ausstatteten, die es ihm ermöglichten, zu überleben und jedem,
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der seine Unterstützung benötigte, auch angesichts äußerst widriger Umstände, zu helfen. Nach dem Ersten Weltkrieg und den ungarischen Revolutionen der Jahre 1918 und 1919, wies Szilards Leben ein beständiges Wechselspiel von Politik und Wissenschaft auf. Es handelte sich dabei um ein Drama, in welchem er anscheinend zu politisch für einen Wissenschaftler und zu wissenschaftlich für einen Politiker war. Nach seiner überstürzten Flucht aus Berlin infolge des Reichstagsbrandes vom 27. Februar 1933, wurde Szilard, vielleicht mehr als jeder andere, zur treibenden Kraft hinter der Gründung des Academic Assistance Council. Bald darauf traf er zufällig den späteren Lord Sir William Beveridge in Wien, den er davon überzeugte, ein Komitee zur Unterstützung geflohener Natur- und Geisteswissenschaftler zu gründen.35 »Der Lauf der Dinge in England ist sehr gut« schrieb Szilard Mitte Mai 1933 aus Brüssel an den renommierten österreichischen Chemiker Friedrich A. Paneth (1887–1958). »Sir William Beveridge, den ich in Wien getroffen habe und der seit seiner Rückkehr aus London sehr aktiv gewesen war, hatte es geschafft, eine Gruppe von Prominenten dazu zu bringen, in England einen Spendenaufruf zu machen. Der erste Beitrag wird wahrscheinlich über freiwillige Kürzungen der Gehälter von Universitätsprofessoren erfolgen (das ist streng vertraulich).«36 Szilard arbeitete wie ein ganzes Team von Leuten. Er folgte Beveridge zurück nach London und schrieb am 7. Mai 1933 an Max Delbrück (1906–1981): »Was mich derzeit beschäftigt, ist die Koordinierung der ausländischen Gruppen, die es bereits gibt, sowie die Förderung von Gruppenbildungsprozessen in jenen Ländern, in denen es noch keine geeigneten Gruppen gibt.«37 Dann bereiste er einen Monat lang das europäische Festland. In Belgien traf er die Rektoren aller vier belgischen Universitäten, den Physiker Jacques Errera sowie den Philosophen und Politiker Hendrik de Man von der Universität Brüssel. Letzterer half ihm dabei, belgische Kollegen für die Unterstützung von geflohenen Natur- und Geisteswissenschaftlern zu gewinnen. In der Schweiz sprach er mit Gustave Gerard Kullman vom Commission Internationale de Coopération Intellectuelle des Völkerbundes, sowie Walter Kotschnig vom International Student Service.38 In London traf sich Szilard mit Angehörigen der Hochschulleitung von Universitäten sowie prominenten Wissenschaftlern wie Beveridge, dem Direktor der London School of Economics and Political Science, Frederick G. Donnan vom University College London, Gilbert Murray von der Oxford University, dem Vorsitzenden der Commission Internationale de Coopération Intellectuelle des Völkerbundes, Sir John Russell, G. H. Hardy von der Cambridge University, dem Nobelpreisträger Niels Bohr aus Kopenhagen, dem Nobelpreisträger Archibald V. Hill von der Royal Society und dem University College London, Henry Mond, dem zweiten Lord Melchett und Vorsitzenden der Jewish Agency sowie mehreren jüdischen Leitfiguren wie Neville Laski, Claude Joseph Goldsmid Montefiore, Sir Philip Hartog, dem Vorsitzenden des Committee of the Jewish Board of Deputies und der Anglo-Jewish Association, sowie Chaim Weizmann, dem späteren Präsidenten von Israel. Szilard, der wie immer im Hotel wohnte und in seinem Büro des bei der Royal Society untergebrachten Academic Assistance Council arbeitete, hat anscheinend sämtliche Institutionen kontaktiert, die mit dem Ziel der Unterstützung von europäisch-jüdischen Wissenschaftlern in Not gegründet worden waren. Dazu gehörten auch das Central Jewish Consultative Committee am Finsbury Square 1 sowie die Organisation Jews’ Temporary Shelter der Mansell Street 63.39 Im Juni 1933 stellte er auch den Kontakt zwischen Friedrich Paneth und dem im Woburn House untergebrachten Jewish Refugees Committee’s Hospitality Committee her. Bald darauf wurde Paneth zum Berater der Imperial Chemical Industries (ICI) ernannt.
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Später unterrichtete er am Imperial College in London sowie von 1939 bis 1953 auch an der University of Durham.40 Szilard überlegte auch Nobelpreisträger für die Unterstützung von geflohenen Natur- und Geisteswissenschaftlern zu gewinnen. Dieser Plan jedoch stieß nicht auf allgemeine Akzeptanz und wurde letztlich nicht verwirklicht.41 Der Academic Assistance Council half mehreren ungarischen Wissenschaftlern, darunter auch dem Wirtschaftshistoriker Karl Polányi (1886–1964), nach England zu kommen. Dessen jüngerer Bruder Michael Polányi (1891–1976), der sicher in England eingetroffen war, versuchte ebenfalls einigen seiner hochbegabten Studenten, die in Deutschland geblieben waren, zu Stipendien für Großbritannien zu verhelfen.42 Andere, bisher noch nicht identifizierte, ungarische Wissenschaftler wurden ebenfalls durch Stellenangebote in Großbritannien gerettet, die häufig als Sprungbrett für eine Beschäftigung in den USA dienten. Ein typisches Beispiel war der Ernährungsexperte Paul György (1893–1976), der 1934 nach dreizehn Jahren seine Stellung an der Universität Heidelberg verlor. Ihm wurde für den Zeitraum 1934–1935 ein Forschungsstipendium an der University of Cambridge angeboten. Später erhielt er eine Professur an der Western Reserve University in Cleveland (1935–1944), bevor er Professor für Klinische Pädiatrie und Ernährungswissenschaft an der University of Pennsylvania in Philadelphia wurde.43
Networking Das Knüpfen von Kontakten, die soziale Vernetzung sowie die eher innerhalb als zwischen verschiedenen Fraktionen der amerikanisch-ungarischen Gemeinschaft stattfindende Bildung beruflicher Netzwerke gewann während der Kriegsjahre eine nie zuvor da gewesene Intensität. Das wird durch eine umfangreiche Korrespondenz dokumentiert. Um das Wesen dieser Bildung von Netzwerken zu begreifen, ist es notwendig, die soziale Struktur von Immigrantengruppen sowie ihre Verbindungen zu potentiellen neuen Mitgliedern zu verstehen. Das liegt daran, dass es bei der Quotenregelung hinsichtlich des Großteils der vorhandenen Kontingente Präferenzen für eine gewisse Sorte von Immigranten gab. Daher war auch die nicht auf der Grundlage der Quotenregelung erfolgende Emigration sehr stark abhängig von Empfehlungsschreiben, eidesstattlichen Erklärungen sowie Einladungen von Landsleuten, die die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatten. Die soziale Struktur der ungarischen Gemeinschaft im Exil wurde praktisch durch ihre Mitglieder selbst aufrechterhalten und ausgebaut.44 Aus diesem Grund bestand nur eine sehr geringe Chance dafür, neue Elemente oder Gruppen in ihrem Kreis aufzunehmen. Gemeinschaften von Bauern nahmen zukünftige Landwirte auf, bestimmte Berufsgruppen zogen Leute vom selben Fach an, Nichtjuden luden Nichtjuden ein und Juden hießen andere Juden willkommen. Somit trug die amerikanische Einwanderungspolitik, insbesondere während des langen Zeitraums von 1924 bis 1965, zu der Stabilität und immer größer werdenden Dominanz bestehender Muster in den Gemeinschaften von Immigranten bei. Obwohl im Zuge der Recherche hinsichtlich dieser Informationen nur eine begrenzte Zahl und nur bestimmte Typen von Quellen, charakteristischerweise private Dokumente von Wissenschaftlern und anderen Fachleuten ungarisch-jüdischer Herkunft, zugänglich waren, scheint diese Beobachtung dennoch eine gewisse Validität aufzuweisen. Es fehlen noch statistische Beweise im Hinblick auf alle Visa, die an Immi-
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granten erteilt wurden. Das gilt auch für die die Suche nach den dazugehörigen, persönlichen Dokumenten der Betroffenen. Nichtsdestotrotz, kann sich die Betrachtung einiger, zur Verfügung stehender Fallstudien als besonders aufschlussreich erweisen. Ein erstes Warnsignal für die ungarischen Juden in Bezug auf die steigende Bedrohung, die von den Nazis ausging, war der Anschluss des benachbarten Österreich an Deutschland. Da die bescheidene, ungarische Quote schon Jahre zuvor, restlos ausgeschöpft wurde, schien die Immigration nur mehr für Wissenschaftler möglich zu sein, die eine Einladung von einer bestimmten Universität oder einem bestimmten Forschungsinstitut erhalten hatten. Daher führten viele Wissenschaftler einen verzweifelten Kampf um solche Einladungen. »Ich flehe Sie an, mir in dieser schwierigen Situation beizustehen« bat der hervorragende, aus Wien kommende ungarische Mykologe József Szűcs seine potentiellen Arbeitgeber. Dabei wandte er sich an dieselben über seinen Mentor Theodore von Kármán, der einer der größten Unterstützer von geflohenen Wissenschaftlern war.45 Auch der junge Luftfahrtingenieur Miklós Hoff (1906–1997) aus Budapest gehörte zu jenen, die von Kármán um Hilfe anflehten, und tatsächlich hatte Hoff seinen ersten Job in den USA als Fluglehrer in Brooklyn, von Kármán zu verdanken.46 Vilmos Szilasi (1889–1966) legte seinem Cousin Theodore von Kármán dar, dass aus der eidesstattlichen Erklärung klipp und klar hervorgehen müsse, »dass du mich seit unserer Kindheit gut kennst. Sie [die eidesstattliche Erklärung] muss explizit die Zusicherung enthalten, dass meine Einwanderung nicht den Interessen der Vereinigten Staaten schaden werde« und »dass du die Verantwortung dafür übernimmst, mein Verhalten in den USA genau im Auge zu behalten und jede Unregelmäßigkeit bei meinen Aktivitäten sofort an das Justizministerium zu melden«.47 Eine Einladung allein war jedoch bei weitem nicht ausreichend. Die Ernennung für einen bestimmten Posten musste für mindestens zwei Jahre erfolgen. Nachdem Professor Gábor Szegő ausreichend Geld beisammen hatte, um seinen langjährigen Kollegen und Freund, den bedeutenden Mathematiker George Pólya (1887–1985) aus der Schweiz für ein Jahr nach Stanford einzuladen, »lehnte der amerikanische Konsul in Zürich es ab, ihm unabhängig von der Quotenregelung ein Visum zu erteilen, und zwar deswegen, weil es sich um eine befristete Arbeitsstelle handelte«.48 In dem verzweifelten Versuch, seinem Freund die Ausreise aus Europa zu ermöglichen, wandte sich Szegő an von Kármán, um sich eine weitere Einladung vom Caltech für Pólya zu sichern. »Sie müssen verstehen, dass sich Pólya, obwohl er noch nicht in ein Konzentrationslager gesperrt und auch noch nicht entlassen worden war, in einer sehr gefährlichen Lage befindet, und, dass er deshalb verzweifelt versucht, zu fliehen, solange es noch nicht zu spät ist.« schrieb Szegő an von Kármán.49 »Es ist nicht notwendig, hervorzuheben, um was für einen dringenden Fall es sich handelt. Jeder Tag kann neue Einschränkungen und Schwierigkeiten mit sich bringen.«50 1940 verließen Pólya und seine Frau Zürich, um über Portugal in die USA auszureisen, wo es ihm letztendlich gelang, eine Lehrstelle für zwei Jahre an der Brown University und dem Smith College zu erlangen, bevor er im Jahr 1942 schließlich Fakultätsmitglied in Stanford wurde. Dort sollte er auch bis zum Ende seines sehr langen Lebens bleiben.51 Der bekannte Lungenfacharzt und Spezialist für Tuberkulose Gyula Holló (1890–1973), der auch der Arzt der berühmten ungarischen Schriftsteller Frigyes Karinthy und Dezső Kosztolányi sowie des Komponisten Béla Bartók und des Geigenvirtuosen Joseph Szigeti war, bat seinen ehemaligen Patienten John von Neumann um Hilfe.
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[…] indem Sie irgendeine einflussreiche Persönlichkeit auf mich aufmerksam machen, die mir dabei helfen könnte, einen Job zu finden oder eine Einladung zu bekommen; eine Person also, die über das amerikanische Außenministerium dem Konsulat in Budapest eine Weisung erteilen kann, mir einen Platz außerhalb der Quotenregelung zuzuteilen (es gibt Beispiele für solche Fälle), oder aber, und das scheint mir am realistischsten zu sein, indem Sie jemanden finden, der alles Notwendige in die Wege leitet und mir hilft, wenn ich als Besucher vorbeikomme und mich nach einer Arbeit umsehe.52
Dr. Holló gelang die Ausreise aus Ungarn. Er nahm eine Stelle im Goldwater Memorial Hospital an und starb 1973 in New York.53 Mit dem Herannahen des Krieges wurde das nicht auf der Quotenregelung basierende Kontingent schon Jahre im Voraus völlig ausgeschöpft; und zwar von sowohl in der angewandten als auch in der Grundlagenforschung tätigen Wissenschaftlern, Medizinern sowie Mathematikern. Vielen jedoch gelang es nicht, eine Einladung zu bekommen. Der gefeierte Budapester Chirurg Professor Lajos Ádám (1879–1946) berichtete, dass ihm die Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, keine Einladung zuschickte, obwohl ihn Dr. C. W. Mayo als »einen meiner sehr guten Freunde« bezeichnet hatte. Ádáms berühmter und über beste Verbindungen verfügende Beschützer ungarisch-amerikanischer Herkunft, der Journalist und Autor Emil Lengyel (1895– 1985) sagte, dass »wir uns gegenwärtig gegen Bedingungen wehren müssen, die es uns unmöglich machen, ihm zu garantieren, als Professor hierher kommen zu dürfen und ein Gehalt zu bekommen«.54 Ádám blieb in Budapest und überlebte auf wundersame Weise den Krieg. Unterdessen gelang vielen Nicht-Wissenschaftlern die Ausreise. Unter den Flüchtlingen waren viele aus der Welt des Films und Theaters, Entertainer, Literaten, Schauspieler, Regisseure und Musiker. In den frühen vierziger Jahren hatte von Kármán eindeutig den Eindruck, dass »New York und Los Angeles voll von Neuankömmlingen aus Budapest, fast ausschließlich von Künstlern, Schauspielern und Schriftstellern ist. Mit Sicherheit ist nun mehr als die Hälfte der [Vertreter der ungarischen] Musik und Literatur in den Vereinigten Staaten«, so kommentierte er die Lage gegenüber einem Freund.55 Viel später, in den frühen fünfziger Jahren versuchte Michael Polányi selbst an der University of Chicago eine Anstellung zu finden, wegen seiner linksgerichteten politischen Verstrickungen in verschiedenen internationalen Gruppierungen wie dem Galileo-Kreis in Budapest vor dem Ersten Weltkrieg, wurde ihm jedoch, die Einreise in die USA zwischen 1951 und 1953 verweigert.56 Für von ihrer Muttersprache und Kultur abhängige Menschen war die Immigration lediglich das geringere von zwei Übeln. Obwohl die Auswanderung lebensrettend war, endete sie in vielen Fällen dennoch tragisch. Ein nicht besonders bekannter, aber trotzdem wichtiger Fall unter den Autoren war jener des Ignotus (Hugo Veigelsberg, 1869–1949), jenem berühmten liberalen Kritiker, Essayisten und Journalisten, der an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts in Budapest und in der Zwischenkriegszeit in Wien wirkte. Es lohnt sich, seinen gesamten Fall wieder im Detail aufzurollen, da er praktisch das ganze System der Unterstützungsmechanismen enthüllt, auf welches die Immigranten in den Vereinigten Staaten hoffen durften. Ignotus, eine prominente Figur der Budapester Literaturszene, war aus der Sicht der Immigration eine pathetische Gestalt, deren Fall schwierig war. Als über siebzigjähriger mit mangelhaften Englischkenntnissen, war es ihm nicht mehr möglich, einen Neubeginn seiner Karriere als Literat zu wagen. Ignotus gehörte zu denjenigen, die
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nach dem Anschluss gezwungen waren, Österreich zu verlassen. Nach einem kurzen Aufenthalt in England zog er in dem Bestreben nach Lissabon, sich ein Einreisevisum für die USA zu besorgen, jedoch sollte er dort stranden. Seine alten ungarischamerikanischen Freunde ließen ihre besten Beziehungen spielen: Emil Lengyel, Rusztem Vámbéry und Dr. med. Sándor Radó schrieben den einflussreichen Persönlichkeiten Ingrid und Bettina Warburg sowie auch Lotte Loeb, welche alle Mitarbeiterinnen im Emergency Rescue Committee waren, und konnten sich auch deren Kooperation zusichern.57 Lengyel hob hervor, wie Ignotus »gegen den Hitlerismus in seinen ungarischen und deutschen Ausprägungen gekämpft hatte« und, dass er »auf der schwarzen Liste der Gestapo« stehe.58 Radó und Edith C. Field gaben als Zeichen ihrer moralischen Unterstützung eidesstattliche Erklärungen für das State Department ab; auch Edith C. Field gab eine Unterstützungserklärung ab.59 Rusztem Vámbéry entwarf einen detaillierten, biographischen Entwurf und hob hervor, wie sich die Zeitschrift Nyugat unter der Ägide von Ignotus für »liberale und progressive Ideen« einsetzte und »zwei Jahrzehnte hindurch das Zentrum junger Intellektueller war«.60 Das Emergency Rescue Committee verwendete Vámbérys Text um Ignotus ein Visum zu besorgen. Gleichzeitig setzte es sich auch für die Unterstützung des Nobelpreisträgers Thomas Mann ein.61 Weitere Sponsoren waren Professor Oscar Jászi und Graf Ferdinand Czernin. Im Frühjahr 1941 wurde Ignotus und seiner Frau die Einreise in die USA gewährt, jedoch wurde ihnen von der zuständigen Behörde, dem Immigration and Naturalization Service keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Als man sie im August 1942 aufforderte, das Land zu verlassen, machte Oscar Jászi von seinen persönlichen Beziehungen zu Felix Frankfurter, einem Mitglied des Obersten Gerichtshofes der USA62 Gebrauch, und wahrscheinlich war es der Unterstützung durch Frankfurter zu verdanken, dass dem Ehepaar Ignotus die Aufenthaltsbewilligung verlängert wurde. Ignotus jedoch hatte eine schwere Zeit in New York. Seine Frau wurde ernsthaft krank. Auch machten ihn die langen Jahre im Exil zu einem »sehr besorgten und ängstlichen Mann«, der »unbeabsichtigt ein ziemlich großes Chaos schaffen kann« wie Mitarbeiter des Rescue and Relief Committee, die sich um ihn kümmerten, bald herausfanden.63 Das einzige Einkommen des Ehepaares stammte von karitativen Organisationen wie dem American Committee for Christian Refugees und anschließend von der Community Service Society. Die monatlichen Unterstützungszahlungen von $60, die Ignotus von der Community Service Society erhielt, waren nicht ausreichend. Außerdem wurden von dieser Organisation Flüchtlinge nur auf einer befristeten Basis unterstützt. Auch war es Teil ihrer Politik, von Förderungen für »chronische« Fälle Abstand zu nehmen.64 Das International Rescue and Relief Committee sowie das Jewish Labor Committee übernahmen daher gemeinsam die Verantwortung für eine weitere Förderung im Ausmaß von $50, die bis 1948 an Ignotus ausbezahlt wurde.65 Auf Empfehlung des Writers’ Project wurde im Mai 1944 von der Stadt New York ein Preis an Ignotus verliehen, der mit $1,000 dotiert war.66 Seine Frau jedoch war so krank, dass ihr die Ausweisung drohte. Mittlerweile war sie ja in einer psychiatrischen Klinik untergebracht, was die Pläne des Ehepaares für eine permanente Niederlassung in den USA zunichte machte.67 Im Frühjahr 1949 brach Ignotus auf, um über Großbritannien nach Ungarn zu reisen, wobei er seine Frau der Obhut des American Committee for Refugee Scholars, Writers and Artists, des späteren American Council for Emigrés in the Professions überließ. Daher blieb bei den verschiedenen Institutionen, die ihn unterstützt hatten, ein Gefühl der Verbitterung zurück. »Mr. Hugo Ignotus ist nach England
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abgereist« kommentierte Charles Sternberg vom IRRC die Situation und fügte noch hinzu: »Ich bin darüber froh.«68 Er war damals 80 und näherte sich dem Ende seiner Tage. Nach seiner Ankunft in Budapest wurde er sofort in ein Krankenhaus gebracht, wo er von einem alten Freund als »geschrumpft, [...] und beim Sitzen unaufhörlich zitternd beschrieben« wurde. »Er war halbtot.«69 Das berührende Schicksal des großen Komponisten und Klaviervirtuosen Béla Bartók (1881–1945) ist bestens bekannt.70 In gewisser Weise hatte er noch weniger Glück als Ignotus. Nach ein paar Jahren, die er während des Kriegs freiwillig im Exil verbracht hatte, starb er 1945 in New York, bevor er sich seinen Wunsch nach einer Rückkehr in sein Heimatland verwirklichen konnte. Nachdem Bartók, der übrigens nichtjüdischer Herkunft war, eingeladen wurde, 1939 ein Konzert in der Library of Congress zu geben, war er insbesondere nach dem Ausbruch des Krieges bestrebt, auf jeden Fall Ungarn zu verlassen. Seine Sorgen und Ängste beschrieb er, als ob er für alle sprechen würde, die ins Exil gehen wollen: [...] bei Kriegsausbruch verschlechterte sich mein Gemütszustand extrem. Wir werden Zeuge dessen, wie kleine Länder von einem Tag auf den anderen von den furchtbarsten Armeen überrannt und jeder Art von Folter ausgesetzt werden. Was mein eigenes Land betrifft, haben wir jetzt statt einem gleich zwei gefährliche Nachbarn. Niemand weiß, was am nächsten Tag geschehen wird. Es könnte sein, dass ich nach meiner Ausreise nach Amerika nicht mehr zurückkehren oder Nachrichten von meiner Familie erhalten kann - - - - . Ich hoffe, Sie werden jetzt meine seelische Verfassung verstehen - - - .71
Bartók entschloss sich dazu, Ungarn zu verlassen und sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen, nachdem ihm Ende 1940 von der Columbia University das Ehrendoktorat für Musik verliehen worden war.72 Im Februar 1941 wurde er von der Columbia University als Gastforscher für Musik angestellt, um die Sammlung von beinahe 4000 Schallplatten jugoslawischer Musik des verstorbenen Professors Milman Parry aufzuarbeiten.73 Bartók liebte seine Arbeit sehr, die er noch bis Ende 1942 verrichten sollte. Er war jedoch nie recht glücklich im freiwilligen Exil und hoffte stets darauf, in sein Heimatland Ungarn zurückzukehren. Solange er noch relativ gesund war, spielte er eine politische Rolle in der Movement for an Independent Hungary [Bewegung für ein unabhängiges Ungarn], wobei er die Welt davon zu überzeugen versuchte, dass die Bewegung für Millionen von Ungarn stand, »welche diejenigen unterstützen, die für eine freie und demokratische Welt kämpfen«.74
Antisemitismus in den USA Es gilt als allgemein anerkannte, historische Tatsache, dass die Vereinigten Staaten Flüchtlingen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, die von den Nazis überrannt worden waren, zu wenig Unterstützung zuteil werden ließen. Als eine der Hauptursachen für diesen Mangel an Mitgefühl und Kooperationsbereitschaft wurde häufig der amerikanische Antisemitismus genannt.75 Einige der Argumente, die für das Geschehene in der heutigen Zeit eine Erklärung liefern sollten, wurden bereits Mitte der dreißiger Jahre geäußert. In einer Radiosendung von NBC vom 9. Juli 1934 gab Cecilia Razovsky vom National Council of Jewish Women zu:
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BUDAPEST—BERLIN—NEW YORK Die Vereinigten Staaten […] sehen sich noch immer mit der gigantischen Aufgabe konfrontiert, für mehrere zehn Millionen ihrer eigenen Bürger, Arbeit zu finden […] So groß auch das Verständnis der Amerikaner schon immer für die Not der Flüchtlinge gewesen sein mag, wurden wir durch unsere eigenen gravierenden Probleme dazu veranlasst, unsere traditionelle, in der Vergangenheit verfolgte Politik aufzugeben, d.h. den Unterdrückten und Heimatlosen Asyl zu gewähren. Daher ist auch unsere Antwort auf diese Krise gezwungenermaßen weniger großzügig ausgefallen als in der Vergangenheit.76
Noch bis 1935 hatte die High Commission for Refugees of the League of Nations optimistisch auf die mögliche Verwirklichung eines größtenteils europäischen »Plans zur Beseitigung von Flüchtlingsproblemen« geblickt.77 Dieser genaue, von Walter M. Kotschnig stammende Plan sah vor, dass die Flüchtlinge aus Deutschland von allen Ländern der Welt aufgenommen werden könnten. In diesem Zusammenhang schlug Kotschnig vor, dass ungefähr 25.000 Menschen in europäische Staaten ziehen und sich weitere 850 in den USA niederlassen könnten, da ja bereits 5.000 Immigranten innerhalb der ersten 18 Monate ihrer Emigration das Niederlassungsrecht gewährt worden war. Aus heutiger Sicht erscheint uns, aufgrund der Kenntnis der tatsächlichen, horrenden Statistik und dem damit verbundenen wahren Ausmaß der Katastrophe in Deutschland, die Einschätzung Kotschnigs äußerst naiv gewesen zu sein. In dem offensichtlichen Bestreben mithilfe eines Propagandafeldzuges die im Lande vorherrschende, öffentliche Meinung zu ändern, untersuchte ein Experte für Fragen der Immigration, Louis Adamic die Situation der Einwanderer in den USA zwischen den Jahren 1932 und 1938 und nannte einige der damals wichtigsten und typischsten Argumente zugunsten der Flüchtlinge. Er bemerkte, dass die Ängste von patriotischen, aber in vielen Fällen ungenügend informierten Bürgern den gesellschaftlichen Diskurs dominierten. Die fremdenfeindlichen Gesinnungen äußerten sich in Form mehrerer hundert Organisationen und Bewegungen. Im Bemühen ein Gegengewicht zu dieser allgemeinen Stimmung zu schaffen, kam Adamic zu einer ganzen Reihe von neuen Ergebnissen. »Von dem Gesamtkontingent von knapp 1,1 Millionen Menschen aus allen in die Quotenregelung miteinbezogenen Ländern, erfolgte in lediglich 140.000 Fällen tatsächlich die Einwanderung. Das entsprach ungefähr 11% der Quote. Im Untersuchungszeitraum vor dem 30. Juni 1938 war nur 42.494 Immigranten das Niederlassungsrecht gewährt worden, was ungefähr 28% von den im Rahmen der Quotenregelung zugelassenen, insgesamt 153.774 Personen entspricht.«78 Für Adamic gehörte Ungarn zu jenen Ländern, die ihre geringe Quote in den Jahren der Weltwirtschaftskrise vor 1938 bei Weitem nicht erreichten.79 Im gleichen Atemzug bemerkte er, dass nur sehr wenige der aus Deutschland vor dem Nationalsozialismus geflohenen Einwanderer »Arbeitsplätze zum Schaden von denjenigen wegnahmen, die bereits vor ihrer Ankunft im Lande gewesen waren.« Adamics Pamphlet hob besonders nachdrücklich hervor, dass nicht alle Flüchtlinge Juden waren, wobei es sich um die Beschwichtigung einer damals in Amerika weit verbreiteten Angst handelte. Er betonte ebenfalls, dass auch »Katholiken und Protestanten neuen Verfolgungswellen ausgesetzt waren.«80 Unter dem Hinweis darauf, dass die Gewährung der Einreiseerlaubnis für Hitlers Opfer auch positive Auswirkungen auf das Land habe, zitierte Adamic den Journalisten Bruce Bliven von der Zeitschrift The New Republic, der mit seinem enthusiastischen Bericht »Thank you, Hitler!« versuchte, hinsichtlich der generell negativen Einstellung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber den Einwanderern, einen Meinungsumschwung zu bewirken. Beinahe zeitgleich
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wurde in This Week, einer Beilage in vielen Sonntagszeitungen, ein ähnlicher Artikel mit dem Titel »Thank You, Dictators!« publiziert.81 Die Flüchtlingsfrage führte zu einer erneuten Diskussion des im Gefolge des Ersten Weltkrieges im Zusammenhang mit den Quoten entstandenen Problems. Auch führte die Überlegung, diese Quoten letztendlich zu beseitigen, in den späten dreißiger Jahren wieder zu heftigen Debatten, da professionelle Fremdenhasser und Judenhetze betreibende Organisationen wie die American Coalition eine ernstzunehmende Opposition zur Abschaffung des Quotensystems bildeten. Mehrere Organisationen, die ein Interesse an der Verbreitung fremdenfeindlicher Gefühle hatten, standen in direktem Kontakt zu der Propagandamaschinerie der Nazis in Berlin.82 Adamic hatte mit seiner ausgewogenen Beurteilung der Lage im Jahr 1939 recht. Eine sehr große Zahl von amerikanischen Staatsbürgern hat ein großes Interesse daran, die Flüchtlinge aus den Klauen der Nazis zu befreien, aber viele fürchten sich auch davor, dass ein bedeutender Anstieg der Einwanderung in dieses Land dazu geeignet sein könnte, die gegen die »Ausländer« gerichtete Stimmung weiter zu schüren, welche — teils, im Kielwasser des von Europa ausgehenden Nationalsozialismus und Antisemitismus, teils aus unserer eigenen wirtschaftlichen Notlage heraus — entstanden war, und in mehreren Teilen der Vereinigten Staaten nunmehr stärker geworden ist als je zuvor.83
Die Machtergreifung der Nazis in Deutschland sowie die darauffolgenden Ereignisse in Europa kamen zu einer Zeit, als die Vereinigten Staaten noch immer die Probleme zu bewältigen versuchten, die im Zuge der großen Wirtschafts- und Finanzkrise der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre entstanden waren. Zwar sollte der New Deal das Land nachhaltig verändern, trotzdem aber waren die Armut und das Leid in der Bevölkerung noch immer beträchtlich, was viele davon abhielt, einen Beitrag zur Auslandshilfe zu leisten und viele Arbeitsplätze für vertriebene Europäer zu schaffen. Große Teile der amerikanischen Gesellschaft waren nur widerwillig bereit, »ausländische Flüchtlinge« einreisen zu lassen, »was damit einhergehen könnte, dass qualifizierte Amerikaner leer ausgehen und ihre Arbeitsplätze Fremden zugeschanzt werden.«84 Einige Bürger von Colorado schlugen sogar vor, europäische Einwanderer eher nach Alaska zu schicken, als ihnen zu erlauben, sich im Staat Colorado niederzulassen.85 In seiner Funktion als Präsident der Carnegie Endowment for International Peace, erhielt der Nobelpreisträger Nicholas Murray Butler (1862–1947), der Rektor der Columbia University, eine große Zahl von Briefen, die aus von den Nazis besetzten Ländern in Europa stammen. Dabei wurde er um seine Unterstützung bei der Einwanderung in die USA ersucht. Aus seinem Sekretariat konnten nur entmutigende Antworten geschickt werden, in denen erklärt wurde: »Es gibt derzeit an die zehn Millionen Arbeitslose in diesem Land sowie […] tausende von unseren jungen Männern und Frauen, die jedes Jahr ihre Ausbildung an einem College oder einer Universität abschließen und große Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden […].«86 Einige Amerikaner nahmen davon Abstand, einen Beitrag zur Unterstützung von Flüchtlingen zu leisten, da sie felsenfest von der Richtigkeit der isolationistischen Binsenweisheit überzeugt waren, »dass karitative Tätigkeiten zu Hause beginnen sollten«.87 Das war eines der typischen, oft gebrauchten Argumente gegen die finanzielle Förderung von Flüchtlingen. Phelan Beale von der am Broadway in New York ansässigen Firma Bouvier & Beale hob hervor:
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BUDAPEST—BERLIN—NEW YORK Ich kann Ihnen in diesem Land gleich vor Ihrer Haustür detailgetreu Fälle zeigen, die zumindest so bedauernswert sind wie jene, die für die Tschechoslowakei dokumentiert wurden. Ich kann Ihnen auch eine noch größere Zahl von Leuten in den Vereinigten Staaten zeigen, die ihr Zuhause sowie ihr Hab und Gut verloren haben, als die Zahl jener bedauernswerten Opfer in der Tschechoslowakei, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten. Jene Mittel, die mir zur Linderung der Not von glücklosen Menschen zur Verfügung stehen, lasse ich lieber Bedürftigen in den Vereinigten Staaten zukommen, da ich der ehrlichen Ansicht bin, dass wir zunächst bei uns zu Hause Ordnung schaffen müssen, bevor wir damit anderswo weitermachen.88
Dasselbe Argument wurde auch von C. Ledyard Blair von der Wall Street ins Treffen geführt, welcher erklärte: »Ich habe größtes Verständnis, nicht nur für jene, die in der Tschechoslowakei leben, sondern auch für die Menschen in China, Spanien und Palästina sowie die Juden [sic] in Deutschland. Wie Sie wissen, haben wir auch in diesem Land an die zehn bis elf Millionen amerikanische Staatsbürger, die arbeitslos sind, für deren Unterstützung wir unnötigerweise mit unseren Steuern aufkommen müssen.«89 Delavan M. Baldwin aus New York, der unlängst aus Deutschland zurückgekehrt war, ging sogar so weit, Präsident Butler, dem Vorsitzenden des American Committee for Relief in Czechoslovakia die Frage zu stellen: »Sollten Amerikaner nicht amerikanische Institutionen unterstützen, die für Amerikaner in Amerika gedacht sind, angesichts des Ansturms von Emigranten aus Europa, die in die Vereinigten Staaten wollen?«90 Louis Adamic warnte: »Die Situation, die die Flüchtlinge und unsere wirtschaftliche Lage gemeinsam herbeiführen ist äußerst prekär und gefährlich«, insbesondere »in einer Atmosphäre, in der Ausländerhetze und Antisemitismus scheinbar im Steigen begriffen sind«.91 Im Mai 1938, als die Emigration österreichischer Gelehrter auf die Tagesordnung gesetzt wurde, diagnostizierte der American Council of Learned Societies lediglich, dass »Verdacht auf Antisemitismus«92 in der Luft liege. Spätestens im Jahr 1939 erklärte sogar das Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, dass keine Möglichkeit mehr bestehe, jüdische Flüchtlinge in den USA unterzubringen. Das Komitee zeigte sich schockiert darüber, David Cleghorn Thomson, den Generalsekretär der British Society for the Protection of Science and Learning (früher: AAC) empfangen zu müssen, welcher aus London angereist war, um Kollegen im Mittleren Westen und im Westen der USA zu besuchen, mit dem Ziel dort mögliche Stellen für geflohene Akademiker aus Europa ausfindig zu machen. Führende jüdische Mitglieder des Präsidiums waren in Sorge, dadurch den bereits existierenden Antisemitismus im Land zu steigern. Stellen Sie sich ein Komitee vor, das in einer Stadt, in der 29% der Bevölkerung jüdisch sind, ein Treffen veranstaltet, das hauptsächlich von jüdischen Führungskräften besucht wird, welche wiederum während der vergangenen fünf Jahre den größten Teil von $600.000 an Fördergeldern lukriert haben, um akademische Berufe an (zumeist jüdische) Exilanten zu vermitteln, und dabei aber gleichzeitig, angesichts des allgemein wachsenden Antisemitismus hier, äußerst sensibel sein müssen, wenn es darum geht, Kollegen und Universitäten darum zu bitten, […] weitere jüdische Emigranten einzustellen.93
Jüdische Prominente aus Ungarn Letztendlich haben die Vereinigten Staaten jedoch eine große Zahl von Flüchtlingen, und zwar insbesondere jene unterstützt, die in der für den Krieg relevanten, wissen-
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schaftlichen Forschung, im Bildungssystem, in der Filmindustrie sowie in der Wirtschaft eingesetzt werden konnten. Unter den vielen Ungarn jüdischer Herkunft, die in den USA Zuflucht fanden, gab es berühmte Wissenschaftler wie Theodore von Kármán, Cornelius Lanczos, Leo Szilard, Edward Teller; Mathematiker wie Paul Halmos, John Kemény, George Pólya, Otto Szász, Gábor Szegő; Designer wie Marcel Breuer, George Kepes, László Moholy-Nagy, Eva Zeisel; Filmemacher wie Paul Fejos, Ernest László, Peter Lorre, George Pál, Joseph Pasternak, S.Z. Sakall; Musiker wie Paul Abraham, Gitta Alpár, Gábor Carelli, Antal Doráti, Otto Herz, Emmerich Kálmán, Alexander László, Jenő Léner, Alfred Sendrey, Margit Varró; Psychologen wie Franz Alexander, Robert Bak, Therese Benedek, Michael Erdélyi, George Gero, Sándor Loránd, Margaret Mahler, Sándor Radó, David Rapaport, René Árpád Spitz, Thomas Szász; Fotografen wie André Kertész und Martin Munkácsi ─ um nur die Namen einiger der berühmtesten Menschen zu nennen, die von den Vereinigten Staaten gerettet wurden. Die Juden aus Ungarn scheinen eher ungarisch als jüdisch gewesen zu sein, wenngleich weitere Forschungsarbeit erforderlich ist, um mehr über das Wesen ihrer tatsächlichen religiösen Zugehörigkeit zu erfahren. Die Assimilation in Ungarn hatte natürlich einen prägenden Einfluss auf ihren Glauben. Viele jener amerikanischen Staatsbürger, die Rettungsaktionen initiierten und/oder sich selbst an ihnen beteiligten, waren selbst jüdischer Herkunft und wurden daher durch eine besondere Sensibilität für den gemeinsamen Hintergrund sowie ein besonderes Gespür für drohende Gefahren motiviert, etwas zu unternehmen. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, dass es sich ausschließlich um jüdische Flüchtlinge handelte, waren nicht alle Emigranten aus Ungarn, die zwischen 1919 und 1945 nach Amerika kamen, jüdischer Abstammung. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Exilanten Juden waren, gab es auch eine relativ kleine Gruppe von nichtjüdischen Ungarn, die ihr Heimatland verließen. Dabei handelte es sich politisch gesehen um Liberale, Radikale oder Linke. Manche erhofften sich letztlich nur bessere Karrierechancen. Einige von diesen Emigranten sollten irgendwann später wieder nach Ungarn zurückkehren.
*** Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die ungarische Emigration der zwanziger und dreißiger Jahre hauptsächlich die Auswanderung von jüdisch-ungarischen Staatsbürgern bedeutete, die vor dem Numerus clausus Gesetz und dem zunehmenden Antisemitismus flüchteten. Ihre Migration brachte sie zuerst meistens nach Deutschland und anderen Staaten Europas mit deutschsprachigen Universitäten. Nach 1933, bzw. 1938 legten sie aber in erster Linie auf die Vereinigten Staaten an. Die amerikanischen Quota-Gesetze machten die Einwanderung seit 1924 sehr schwierig. Die antijüdischen Gesetze von Ungarn (1938, 1939 und 1941) erlaubten für die meisten weder genügend Zeit noch begehbare Möglichkeiten für Fluchtversuche — so wurden die meisten jüdischen Staatsbürger, die keinen Ausweg aus Ungarn gefunden hatten, zum Opfer des Holocausts. Übersetzt von Michael Hutterer
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Bestimmte Teile dieses Aufsatzes stützen sich auf mein Buch Double Exile: Migrations of Jewish-Hungarian Professionals through Germany to the United States 1919–1945 (Oxford: Peter Lang 2009). Péter Hanák, Magyarország társadalma a századforduló idején [Die ungarische Gesellschaft um die Jahrhundertwende], in Péter Hanák (Hg.): Magyarország története 1890– 1918 [Die Geschichte Ungarns, 1890–1918]. 2. Aufl. (Budapest: Akadémiai Kiadó 1983), S. 405, 414, 420; Iván T. Berend: »A magyar társadalom a két világháború között« [Die ungarische Gesellschaft um die Jahrhundertwende in der Zwischenkriegszeit]. In György Ránki (Hg.): Magyarország története 1918–1919, 1919–1945 [Die Geschichte Ungarns, 1918─1919, 1919─1945] (Budapest: Akadémiai Kiadó 1976), S. 765, 767, 768. Katalin N. Szegvári: Numerus clausus rendelkezések az ellenforradalmi Magyarországon [Numerus clausus Verordnungen im konterrevolutionären Ungarn] (Budapest: Akadémiai Kiadó 1988), S. 52-53. Endre Ady: »Korrobori«. In ders.: Publicisztikai írásai [Der Journalismus von Endre Ady]. Bd. III (Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1977), S. 520. William O. McCagg Jr.: A History of Habsburg Jews, 1670–1918 (Bloomington/ Indianapolis: Indiana University Press 1989). Vgl. Elzbieta Ettinger: Hannah Arendt/Martin Heidegger (New Haven, CT: Yale Univ. Press 1995), zitiert von Alan Ryan: »Dangerous Liaison«, The New York Review of Books, 11. Jan. 1996, S. 24. Sander L. Gilman: Jewish Self-Hatred: Anti-Semitism and the Hidden Language of the Jews (Baltimore/London: The Johns Hopkins University Press 1986), S. 22-67, 139-308; Viktor Karády: Zsidóság Európában a modern korban [Judentum im modernen Europa] (Buda-pest: Új Mandátum 2000), S. 125-284; William O. McCagg Jr., A History of Habsburg Jews, 1670– 1918, ebd., S. 47-158; Raphael Patai: The Jews of Hungary: History, Culture, Psychology (Detroit: Wayne State Univ. Press 1996), S. 230-441; Jacob Katz: From Prejudice to Destruction: AntiSemitism, 1700–1933 (Cambridge, MA/London: Harvard Univ. Press 1980), S. 203-209, 221-242. William O. McCaggs Jr.: A History of Habsburg Jews, 1670–1918 (wie Anm. 5), S. 190. István Sőtér: Eötvös József [József Eötvös]. 2. revidierte Aufl. (Budapest: Akadémiai Kiadó 1967), S. 314. István Deák: Weimar Germany’s Left-Wing Intellectuals. A Political History of the Weltbühne and Its Circle (Berkeley/Los Angeles: Univ. of California Press 1968), S. 13. Information vom Dirigenten der Budapester Oper, János Kerekes, August 1994. Vgl. Antal Doráti: Notes of Seven Decades (London: Hodder and Stoughton 1979), S. 90-125. Vgl. W.M. Johnston: The Austrian Mind. An Intellectual and Social History, 1848–1938 (Berkeley: Univ. of California Press 1972); Allan Janik & Stephen Toulmin: Wittgenstein’s Vienna (New York: Simon & Schuster 1973); László Mátrai: Alapját vesztett felépítmény [Überbau ohne Basis] (Budapest: Magvető 1976); Carl E. Schorske: Fin-de-Siècle Vienna. Politics and Culture (New York: Knopf 1980); Kristóf Nyíri: A Monarchia szellemi életéről. Filozófiatörténeti tanulmányok [Das intellektuelle Leben in der Monarchie. Studien zur Geschichte der Philosophie] (Budapest: Gondolat 1980); J. C. Nyíri: Am Rande Europas. Studien zur österreichischungarischen Philosophiegeschichte (Wien: Böhlau 1988); Wien um 1900. Kunst und Kultur (Wien/München: Brandstätter 1985); John Lukacs: Budapest 1900. Historical Portrait of a City and Its Culture (New York: Weidenfeld & Nicolson 1988); Péter Hanák: The Garden and the Workshop: Essays on the Cultural History of Vienna and Budapest (Princeton: Princeton Univ. Press 1998). Geoffrey Barraclough (ed.): The Times Atlas of World History (Maplewood, NJ: Hammond, rev. Auflage 1984, neugedruckt 1988), S. 265. Linda K. Kerber: »Toward a History of Statelessness in America«, American Quarterly, LVII, Nr. 3 (Sept. 2005), S. 727-749. Die Information stammt von János Kerekes, dem Dirigenten der Budapester Oper, August 1994.
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Éva Gábor: »Mannheim in Hungary and in Weimar Germany«, The Newsletter of the International Society for the Sociology of Knowledge, IX, Nr. 1-2 (Aug. 1983), S. 7-14; Lee Congdon: »Karl Mannheim as Philosopher«, Journal of European Studies, VII, Teil I, Nr. 25 (März 1977), S. 1-18. Michael Polanyi an G. Bredig, Berlin, 23. Juni 1923 (Deutsch), Michael Polanyi Papers, Box 1, Folder 20; Brian Longhurst: Karl Mannheim and the Contemporary Sociology of Knowledge (New York: St. Martin’s Press 1989), S. 5; Gabor Szegő: »Otto Szász«, Bulletin of the American Mathematical Society, LX, Nr. 3 (May 1954), S. 261. Ephraim Katz: The Film Encyclopedia (New York: Collins 2008), S. 476-77, 665, 1181, 1187, 1194; 293-94, 741-42. Mrs. Gábor Szegő an Mrs. Michael Polanyi, K[önigs]berg, 15. Mai 1929 (Ungarisch), Michael Polanyi Papers. Count Kuno Klebelsberg: »Szabad-e Dévénynél betörnöm új időknek új dalaival?« [Darf ich mit den neuen Liedern neuer Zeiten durch Dévény eindringen?], Pesti Napló, 5. Mai 1929. Ebd. Szent-Györgyi erinnerte sich falsch, als er 1932 als den Zeitpunkt seiner Rückkehr angab, wonach er den Lehrstuhl für Medizinische Chemie an der Universität von Szeged in Ungarn annahm. Vgl. Albert Szent-Györgyi: »Prefatory Chapter—Lost in the Twentieth Century«, Annual Review of Biochemistry, XXXII (1963), Repr., S. 8. Béla Bartók entmutigte den Dirigenten von seinem Plan, der Mitgliedschaft im Oberhaus des ungarischen Parlaments verlangte. Vgl. Béla Bartók an Fritz Reiner, Budapest, 29. Okt. 1928, veröffentlicht von János Demény (Hg.): Bartók Béla levelei [Briefe von Béla Bartók]. (Budapest: Művelt Nép Könyvkiadó 1951), S. 109; K[ároly] K[ristóf]: »Reiner Frigyes«. In Magyar Zsidó Lexikon [Ungarisches Jüdisches Lexikon] (Budapest: Magyar Zsidó Lexikon 1929), S. 788. Persönliche Erinnerungen von Frau Éva Kerekes, August 1994. Aus dem Interview des Autors mit dem Dirigenten und Komponisten János Kerekes, 1988. John von Neumann an W. Blaschke, Princeton, 28. Januar 1935 (Deutsch), John von Neumann Papers, 1933-37, Box 4, Library of Congress, Washington, D.C. Vgl. Johann von Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik (Berlin: Julius Springer 1932). Stefan L. Wolff: »Das ungarische Phänomen ─ ein Fallbeispiel zur Emigrationsforschung«. In Deutsches Museum Wissenschaftliches Jahrbuch 1991 (München: Deutsches Museum 1992), S. 228-245. Eugene Rabinowitch: »James Franck 1882-1964, Leo Szilard 1898-1964«, Bulletin of the Atomic Scientists, 20 (Okt. 1964), S. 16-20, Zitat an S. 20; Eugene P. Wigner: »Leo Szilard 1898-1964«. In Biographical Memoirs of the National Academy of Sciences, Bd. 40 (1969), S. 337347, Zitat an S. 337. Leo Szilard, Petition an die Budapester Polizei, 11. Dez. 1919, Leo Szilard Papers, Mandeville Special Collections Library, University of California, San Diego: Box 1, Folder 11; William Lanouette: Genius in the Shadows: a biography of Leo Szilard: the man behind the bomb (New York: Scribner’s u.a. 1992), S. 164-165. Er besaß unter anderen das Imperial Hotel in London, das International House und King’s Crown Hotel in New York City (opposite Columbia University), das Quadrangle Club in Chicago, das Webster Hotel und Dupont Plaza in Washington, D.C. Selbst das kleine Haus, wo Szilard seine letzten Monate im frühen 1964 in La Jolla, California verbrachte, war Teil eines Motels. S. Lanouette, Genius, ebd., S. 136, 149, 163, 173, 230-231, 274-275, 321, 329, 383, 398, 430-432, 466-467. Wolff: »Das ungarische Phänomen« (wie Anm. 26), S. 236; Lanouette: Genius (wie Anm. 28), S. 110, 115. Sigm[und] Freud: »Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomencomplex als ›Angstneurose‹ abzutrennen«, Neurologisches Centralblatt (Leipzig), XIV, Nr. 2 (1895), S. 50-66; wieder gedruckt in Sigmund Freud: Gesammelte Werke, 6. Ausg. Bd. I (Frankfurt a.M.: S. Fischer 1991), S. 315-342.
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BUDAPEST—BERLIN—NEW YORK Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität: Deutschland zwischen Bismarck und Hitler (München: Propyläen Taschenbuch, Econ Ullstein List 2000), S. 201, 534, 598, wo Radkau das Buch von dem Budapester Hypnotiseur Ferenc Völgyesi richtig zitiert: Botschaft an die nervöse Welt! Nervosität, Hypnose, Selbstbeherrschung (Zürich: Orell-Füssli 1936), als eine Ergänzung seiner eigenen Thesis über Nervosität. Die internationale Popularität von Völgyesis Buch, das zumindest auf vier Sprachen übersetzt wurde, beweist die Aktualität und Wichtigkeit des Problems. Er war einer der populärsten Psychiater seiner Zeit, der im Laufe von 40 Jahren mehr als 40.000 Privatpatienten hatte (mündliche Information von seiner Frau, die auch als seine Assistentin diente, 3 Februar 1992). Franz Alexander (1891–1964), Michael Bálint (1896–1970), Sándor Ferenczi (1873–1933), Imre Hermann (1889–1984), Hans Selye (1907–1982), und Leopold Szondi (1893–1986) waren unter den best gekannten Ungarn in der Geschichte der Psychologie im 20. Jahrhundert. Siehe Lívia Nemes und Gábor Berényi (Hg.): Die Budapester Schule der Psychoanalyse (Budapest: Akadémiai Kiadó 1999). Radkau: Zeitalter (wie Anm. 32), S. 357-362; Lanouette: Genius (wie Anm. 28), S. 466. Jonas Salk erinnerte sich nach Szilards Tod: »There was something driving Leo«; ebd., S. 476. Norman Bentwich: The Rescue and Achievement of Refugee Scholars: The Story of Displaced Scholars and Scientists 1933–1952 (The Hague: Martinus Nijhoff 1953), S. 11; Laura Fermi: Illustrious Immigrants: the intellectual migration from Europe 1933-41 (Chicago: Univ. of Chicago Press, 1968), S. 63-64; Edward Shils: »Leo Szilard: A Memoir«, Encounter, XXIII (Dec. 1964), S. 38-39; Weiner: »New Site«, S. 211; Stefan Wolff: »Frederick Lindemanns Rolle bei der Emigration der aus Deutschland vertriebenen Physiker«. In Anthony Grenville (Hg.): German-speaking Exiles in Great Britain. The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies, Bd. 2 (Amsterdam/Atlanta: Rodopi 2000), S. 28. Szilard (Brüssel) an Friedrich A. Paneth, 14. Mai 1933; Nachlass F. A. Paneth, Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Jewish Refugees Committee, 1933, III. Abt. Rep. 45. Szilard (London) an Max Delbrück, 7. Mai 1933, Leo Szilard Papers (wie Anm. 28): Box 7, Folder 9. Jacques Errera (Brüssel) an Szilard, 5. Juni 1933 (Französisch), Leo Szilard Papers, Box 7, Folder 2; Szilard (Brüssel) an Unbekannten, 14. Mai 1933, ebd., Box 12, Folder 21; [Leo Szilard], »Report«, 23. Mai 1933, ebd., Box 4, Folder 30. Szilard (London) an Delbrück, 7. Mai 1933, Leo Szilard Papers, Box 7, Folder 9; Szilard (Strand Palace Hotel, London) an Friedrich A. Paneth, 26. Nov. 1934 und Szilard (Brüssel) an Friedrich A. Paneth, 14. Mai 1933 (handgeschriebene Notizen), Nachlass F. A. Paneth, Jewish Refugees Committee, 1933, III. Abt. Rep. 45; Szilard (London) an Wigner, 17. Aug. 1933, Michael Polanyi Papers, Box 2, Folder 12. I. Zinn, Secretary of the Jewish Refugee Committee, an F. A. Paneth, 7. Juni 1933, Nachlass F. A. Paneth, Jewish Refugees Committee, 1933, III. Abt. Rep. 45; R[alph] E. Oesper: »Fritz A. Paneth (1887-)«, Journal of Chemical Education, XVI (Juli 1939), S. 301; J. Mattauch: »Friedrich A. Paneth«, Verbandsausgabe der Physikalischen Verhandlungen, 8. Lieferung (1958), S. 165-169. Szilard (London) an Maxwell Garnett, 9. Mai 1934, Leo Szilard Papers, Box 8, Folder 23; Julian Huxley (London) an Szilard, 3. Mai 1934, ebd., Box 9, Folder 12. Karl Polanyi (London) an Michael Polanyi, 31. Oct. 1934 (Ungarisch), Michael Polanyi Papers, Box 17, Folder 5; [Lawrence] Bragg (Manchester) an Michael Polanyi, 10. Juli 1933, ebd., Box 2, Folder 12. Paul György, Biographies, Paul György Papers, American Philosophical Society Library, Philadelphia, Penn.; Fritz Zilliken: »Paul György 7.4.1893–1.3.1976«, MPI Berichte und Mitteilungen, Sonderheft (1977), S. 15-17; Paul György Papers, Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, IX. Abt. Rep. 1. György erhielt 1960 das Ehrendoktorat der Ruprecht-Karl-Universität von Heidelberg und 1976 die U.S. National Medal of Science von President Gerald R. Ford. Networking-Praxis war in Großbritannien etwas anders, wo manche intellektuelle Organisationen einige ungarische Neuankömmlinge wie Karl Mannheim und Michael Polanyi
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gern aufgenommen haben. Sie wurden auch Mitglied des progressiven Kreises »The Moot« zwischen 1937 und 1946. Vgl. Cp. Éva Gábor: »Michael Polanyi in The Moot«, Polanyiana, II, Nr. 1-2 (1992), S. 120-127. Siehe auch Lee Congdons hervorragendes Buch über ungarische Emigranten in Großbritannien: Seeing Red: Hungarian Intellectuals in Exile and the Challenge of Communism (DeKalb, IL: Northern Illinois Univ. Press 2001). Dr. Josef Szűcs an Theodore von Kármán, und Enclosure, Wien, 29. Juni 1938, Theodore von Kármán Papers, File 29.20. Miklós Hoff an Theodore von Kármán, Budapest, 19. Sept. 1938 und Palo Alto, CA, 20. Apr. 1940, Theodore von Kármán Papers, File 13.20. Wilhelm Szilasi an Theodore von Kármán, Lisboa, 20. Mai 1941, Theodore von Kármán Papers, File 29.20. Gábor Szegő an Theodore von Kármán, Stanford, 24. Juli 1940, Theodore von Kármán Papers, File 23.35. Ebd. Ebd. G[abor] Szegő an George Pólya, Stanford, 11. Juni 1940; President Henry M. Wriston an Georg Polya [sic], Brown University, Providence, RI, 31. Juli 1940; George Polya Papers, SC 337, 86-036, Department of Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries, Stanford, The Life of Mathematician George Pólya, 1887 ─1985, Department of Special Collections and University Archives, Cecil H. Green Library, Stanford University Libraries, 13. December 1987-Juni 1988 (Exhibit Guide). Gyula Holló an John von Neumann, o.D. [1939?], John von Neumann Papers, Box 6. Magyar Életrajzi Lexikon [Ungarisches Biographisches Lexikon]. Bd. III (Budapest: Akadémiai Kiadó 1981), S. 311. Dr. C. W. Mayo an Emil Lengyel, 19. Mai 1941, Emil Lengyel Collection, Bakhmeteff Archives, Butler Library, Columbia University Library, New York, NY. Theodore von Kármán an Lajos Bencze, 19. Feb. 1940, Theodore von Kármán Papers, File 2.24. Über Michael Polanyi und den Galileo Kreis siehe John M. Cash: Guide to the Papers of Michael Polanyi (The Joseph Regenstein Library, University of Chicago, 1977), S. 8; Michael Polanyi Papers, Box 46, Folder 5; über andere, angeblich pro-Soviet Aktivitäten siehe Malcolm D. Rivkin: »Teachers Protest Bar of Anti-Commie Prof«, The Harvard Crimson, 14. Nov. 1952; Toni Stolper: »Letter to The New York Times«, 10. Mai 1952; William Taussig Scott und Martin X. Moleski, S.J.: Michael Polanyi: Scientist and Philosopher (Oxford: Oxford Univ. Press, 2005), S. 222-223. Emil Lengyel an Ingrid Warburg, New York, 25. Okt. 1940; Sandor Rado an Bettina Warburg, 28. Okt. 1940; Bettina Warburg an Ingrid Warburg, 28. Okt. 1940; Sandor Rado an Ingrid Warburg, 11. Nov. 1940; Rustem Vámbéry an Lotta Loeb, 22. Feb. 1941; International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution on War, Revolution and Peace, Stanford University, Palo Alto, CA. Emil Lengyel an Ingrid Warburg, New York, 25. Okt. 1940; International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Sándor Radó, Affidavit, 18. Nov. 1940; Ingrid Warburg an George Warren, 28. Jan. 1941; International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Rustem Vámbéry: »Biographical Sketch of Dr. Hugo Ignotus«, New York, 28. Jan. 1941, International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Ingrid Warburg an George Warren, 28. Jan. 1941; Lotta Loeb an Thomas Mann, 13. Nov. 1940, International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Oscar Jaszi an Felix Frankfurter, 21. Aug. 1942, Felix Frankfurter an Oscar Jaszi, New Milford, CT, 27. Aug. 1942; Oscar Jaszi Papers, Rare Book and Manuscript Library, Butler Library, Columbia University Library, New York, N.Y. Auszüge aus dem Brief von Janet Siebold, 21. Aug. 1944, International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Ebd.
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BUDAPEST—BERLIN—NEW YORK Sheba Strupsky an Jewish Labor Committee, 15. Sept. 1943; Eva Lewinski (IRRC) an Jewish Labor Committee, 10. Jan. 1946; IRRC Case Department — Hugo Ignotus Correspondence, 1947–1949; International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Auszüge aus dem Brief von Janet Siebold, 21. Aug. 1944, International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution; vgl. Magyar Irodalmi Lexikon, Bd. I (Budapest: Akadémiai Kiadó 1963), S. 491. Minutes of the 8. Jan. 1945 meeting at ACCR, International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Charles Sternberg (IRRC) an Samuel Estrin (Jewish Labor Committee), 31. Jan. 1949, International Rescue Committee, Box 6, Archives of the Hoover Institution. Oszkár Gellért: Kortársaim [Meine Zeitgenossen] (Budapest: Művelt Nép 1954), S. 179180. Agatha Fassett: Béla Bartók: The American Years (New York: Dover 1970). Béla Bartók an Harold Spivacke, Budapest, 9. Nov. 1939, Coolidge Collection/Béla Bartók, Library of Congress, Music Division, Washington, D.C. Nicholas Murray Butler an Béla Bartók, 1. Apr. 1940; Frank D. Fackenthal ─ Béla Bartók Correspondence, Nov. 1940, Rare Book and Manuscript Library, Butler Library, Columbia University Library, New York, NY. Columbia University an Béla Bartók, 3. Feb. 1941; Béla Bartók an Douglas Moore, 18. Apr. 1941 und 21. Jan. 1942; Rare Book and Manuscript Library, Butler Library, Columbia University Library, New York, NY. Béla Bartók an Theodore von Kármán, 27. Juni 1942, Theodore von Kármán Papers, File 2.5. Für eine komplexe Analyse der U.S. Flüchtlingspolitik zwischen 1933 und 1945 siehe Richard Breitman und Alan M. Kraut: American Refugee Policy and European Jewry, 1933– 1945 (Bloomington/Indianapolis: Indiana Univ. Press 1987). Über Antisemitismus in den Vereinigten Staaten vor und während des Zweiten Weltkrieges siehe David S. Wyman: Paper Walls: America and the Refugee Crisis 1938–1941 (New York: Pantheon Books 1968, 1985), weiterhin David S. Wyman: The Abandonment of the Jews: America and the Holocaust 1941–1945 (New York: Pantheon Books 1984). Cecilia Razovsky: »The United States and the German Refugees«, NBC Radiosendung, New York, 23. Juli 1934, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Herbert H. Lehman Suite and Papers, James G. McDonald Papers, National Coordinating Committee, Cecilia Razovsky File, D356 H21. Walter M. Kotschnig an A. Wurfbain, 5. März 1935, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Herbert H. Lehman Suite and Papers, James G. McDonald Papers, Walter M. Kotschnig File, 1935–April 1936, D356 H20. Report of the Institute for Propaganda Analysis, 1. Jan. 1939, zitiert von Louis Adamic, S. 10. Ebd., S. 11. Ebd., S. 19. »Thank you, Hitler«, The New Republic, 10. Nov. 1937; Louis Adamic, ebd., S. 15. Louis Adamic, ebd., S. 22. Ebd., S. 23. Henry S. Haskell, Assistent des Directors, Carnegie Endowment for International Peace, an Susan Huntington Vernon, New York, 13. März 1939, Columbia University, Rare Book and Manuscript Library, Carnegie Endowment for International Peace, Aid to Refugees, Box 271, Folder 1, 94619. The Alaska Colonization Society for Refugees, undat. CEIP, Committee to Aid Czechoslovakia, Box 288, Folder 3, 102441. Henry S. Haskell an Jan Mašek, New York, 27. März 1939, CEIP, Aid to Refugees, Box 271, Folder 1, 94625. Phelan Beale an Nicholas Murray Butler, New York, 29. Nov. 1938, CEIP, Committee to Aid Czechoslovakia, Box 286, Folder 4, 100930.
Tibor Frank 88 89 90 91 92 93
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Ebd. C. Ledyard Blair an Nicholas Murray Butler, New York, 23. Nov. 1938, CEIP, Committee to Aid Czechoslovakia, Box 286, Folder 4, 100931. Delavan M. Baldwin an Nicholas Murray Butler, New York, 21. Dez. 1938, CEIP, Committee to Aid Czechoslovakia, Box 287, Folder 1, 101194. Louis Adamic (wie Anm. 78), S. 28-29, 30. Mortimer Graves an Dr. Stevens, 27. Mai 1938, Rockefeller Archive Center, Rockefeller Foundation Archives, RG 1.1, Series 200, Box 46, Folder 529. Alan Gregg an A.V. Hill, New York, 13. Apr. 1939, Rockefeller Archive Center, Alfred E. Cohn Papers, RG 450 C661-U, Box 4, Folder 29.
THEMATISCHE AUFSÄTZE
NACHRICHTEN AUS DER ZWISCHENWELT. DIE AUSTRO AMERICAN TRIBUNE , EINE ÖSTERREICHISCHE EXILZEITSCHRIFT, ERSCHIENEN IN NEW YORK GABY FALBÖCK Während ich über dieses letzte halbe Jahrhundert hinausgelebt habe, ist überall, wo ich je gewesen, ein neuer Menschentypus gewachsen, der kaum noch die Sprache mit mir gemeinsam hat. So wird die alte Sage vom Berge, in dessen Inneres ein Verträumter, ein Verschlafener, entrückt gewesen, um, wenn er wieder heraustritt, um hundert Jahre verspätet zu sein, an mir wahr geworden sein. Der Berg, in dem ich mich befunden haben muss, wuchs aus meinem Leben um mich herum. Oder lebte ich in einer Flasche, die mit dem Siegel Salomons verschlossen war? (Berthold Viertel: Tagebuchnotiz 10. Jänner 1947)1
In der Exilliteratur finden sich Metaphern sonder Zahl für das Lebensgefühl der aus ihrer Heimat Vertriebenen: Intermundium, Zwischenwelt, Limbus2, Wartesaal — und gleichzeitig Gefängnis3, »unheilvolle Stille«, »furchtbare Einförmigkeit der Tage«, »gespenstische Ereignislosigkeit«4, »Flucht ins Mittelmäßige«5. So vielfältig auch die Motive für die Beschreibung der Erfahrungswelten sind, die Vision, die dadurch heraufbeschworen wird, ist doch stets dieselbe. Exilzeitschriften haben hingegen — anders als Exilliteratur — weniger die seelische Befindlichkeit ihrer Autoren zum Inhalt. Vordergründig geht es um den Diskurs einer kulturell auf demselben Boden ver- wie — durch die europäische Katastrophe gleichermaßen — entwurzelte Gruppe. In der Regel besteht abseits des kulturellen auch ein weltanschauliches Band, das den Kreis der Beiträger wie der Leser zusammenhält. Exilzeitschriften informieren ihre — oftmals der Sprache des Aufnahmelandes unkundigen — Rezipienten über die Ereignisse in der ehemaligen Heimat und künden der Gesellschaft des Zufluchtslandes von der Existenz eines anderen, antifaschistischen Österreichs. Nicht zuletzt leistet die Zeitschrift praktische Lebens- und Orientierungshilfe für die Bewältigung des Daseins unter neuen, völlig veränderten Bedingungen.6 Mag eine Exilzeitschrift auf den ersten Blick also eine handlungsanleitende Aufgabe erfüllen und eine Stütze bei der Bewältigung einer existentiellen Krise darstellen — bei eingehender Auseinandersetzung zeichnen sich doch Konturen ab, die mehr und mehr den oben erwähnten Bildern von Schriftstellern wie Berthold Viertel, Lion Feuchtwanger, Peter Weiss und Oskar Maria Graf entsprechen. Entwurzelt, gleich einer Seifenblase im Raum schwebend, die Außenwelt hinter einer Scheibe aus Glas betrachtend, unfähig — wenngleich auch darum bemüht — mit denen da draußen zu kommunizieren, nach Adorno ein beschädigtes Leben führend: So stellt sich nach ausführlicher Analyse die Arbeit dieser Gruppe von Exiljournalisten und -publizisten dar. Inhaltlich gliedert sich dieser Beitrag in drei Abschnitte. Beginnend mit der Skizze des äußeren Rahmens der Austro American Tribune (kurz AAT), festgemacht an den zentralen Protagonisten, deren Biographien wie deren — soweit wie möglich rekonstruierbarer — Aufgabenbereich bei der Produktion der Zeitschrift. Basierend auf der bisherigen Forschung zur Exilpublizistik und abgeleitet von den publizierten Inhalten der Zeitschrift werden danach drei maßgebliche Funktionen der AAT bestimmt. Punkt 3 behandelt die Wahrnehmung der AAT durch die Außenwelt, die
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Wirkung dieser Publizistik außerhalb des »magischen Zirkels« der dahinter stehenden Exilorganisationen. Auf der Folie der historischen Ereignisse ist damit der Entwicklungsverlauf der Zeitschrift absehbar: Die AAT wurde 1948 eingestellt. Damit war sie zwar unter den 28, im Zeitraum von 1936 bis 1948 erschienenen Zeitschriften emigrierter Österreicher, die am längsten erscheinende.7 Das Verharren in der — um mit Viertel zu sprechen — versiegelten Flasche Salomons machte eine Fortführung des engagierten Projekts im Amerika der fünfziger Jahre bzw. im befreiten Österreich dennoch unmöglich.
Zur Profilbildung Gegenstand meiner Untersuchung ist die Zeitschrift und ihr redaktionelles Umfeld während ihres Erscheinens unter dem Titel Austro American Tribune, kurz AAT genannt. Damit ist der zeitliche Horizont vom Juli 1943 bis zum August 1948 abgesteckt. Die Genese des Mediums reicht allerdings weiter zurück und korrespondiert dabei mit den Zusammenschlüssen verschiedener österreichischer Emigrantenorganisationen in New York.8 Den Anfang machte das Organ der Exilgruppe »Freie österreichische Jugend« unter dem Titel Monatsschrift des Free Austrian Youth Committee. Publiziert wurde diese Jugendzeitschrift von Dezember 1941 bis November 1942. Dieselben politischen Ziele heftete sich auch das »Assembly for a Democratic Austrian Republic« auf sein Banner und trat mittels der Monatsschrift Freiheit für Österreich seit Juni 1942 an die Öffentlichkeit. Mitstreiter im Kampf gegen Nationalsozialismus, Faschismus und die Unterdrückung der Menschenrechte waren zwei weitere Exilgruppen: Die »Austrian Action« wie das »Austrian Youth Assembly«. Kennzeichnend für diese vier Organisationen waren abseits der weitgehend konformen inhaltlichen Ausrichtung der überschaubare Kreis der Mitglieder und damit das drohende Absinken in die Bedeutungslosigkeit. Damit stellten die vier freilich keine Ausnahme dar, sondern folgten einem allgemeinen Trend der österreichischen Exilpolitik in New York, den der Exilpolitiker Willibald M. Plöchl überspitzt wie folgt darstellte: »Je zwei haben mindestens drei Gruppen gebildet.«9 Erklärtes Ziel dieser Splitterorganisationen und Ursache für die erbitterten Richtungskämpfe war stets eines: Die Anerkennung als die nationale Vertretungskörperschaft für das »wahre« Österreich.10 Kein Wunder also, dass sich das Quartett im März 1943 zusammenschloss, um damit eine kräftigere Stimme in der Kakophonie der österreichischen Emigrantengruppen zu bilden. So entstand die »American Federation of Austrian Democrats«, die ihr geeintes Auftreten in der fürderhin gemeinsam publizierten Freiheit für Österreich mit dem neuen Untertitel »Austrian Democratic Review« zum Ausdruck brachte. Im Juli 1943 kam es zur Titeländerung, mit welcher letztendlich die Austro American Tribune aus der Taufe gehoben wurde. Nach 5jährigem Erscheinen änderte die AAT ohne jede Ankündigung ihren Titel wie ihre Blattlinie: Aus der AAT wurde die Monatszeitschrift Forum und Tribüne, die für die kurze Zeitspanne von September 1948 bis Februar1949 existierte. Im Fokus meiner Auseinandersetzung standen die publizistischen Inhalte wie die personellen Triebkräfte der AAT. In den fünf Jahren des Erscheinens publizierten insgesamt 316 Autoren in der Zeitschrift. Basierend auf der namentlichen Nennung im Impressum bzw. der regelmäßigen, mindestens 10maligen Autorenschaft erfolgte die Formation eines fiktiven »ersten Kreises« von 32 Menschen rund um das Medium. Eines gleich vorweg: Der Chor, der da anhob, war vielstimmig — wenngleich
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nicht dissonant. Geeint waren die Stimmen wohl in erster Linie durch die österreichische Flagge. Die AAT verstand sich als genuin österreichisches Medium. Indikator dafür ist nicht nur der Diskurs innerhalb der Zeitschrift, sondern auch eine Begebenheit an die sich der Chefredakteur Wilhelm Gründorfer anno 1989 wie folgt erinnerte: Als wir überlegten, die »Austro American Tribune« mit einer Kulturbeilage auszubauen, fand eine Beratung zwischen Frau Dr. Elisabeth Freundlich, Bert Brecht und mir statt. Brecht war sehr dafür, eine große Kulturzeitung für deutsche und österreichische Emigranten zu machen. […] Bert Brecht hatte das Angebot nicht als Einzelperson, sondern als Vertreter der verschiedensten, sehr bekannten deutschen Schriftsteller unterbreitet. Wären wir darauf eingegangen, dann wäre die »Austro American Tribune« keine Austrian American Tribune geworden. Wir mußten darauf verzichten, diesen Weg zu gehen, was uns nicht leicht gefallen ist.11
Der engste Mitarbeiterkreis konstituiert sich aus einer sehr inhomogenen Gruppe von Emigranten. Diese Unterschiede spiegeln sich im Aufbau der Zeitschrift, in einer Zweiteilung in einen Kultur- und einen Politikteil wider. Für den Kulturteil sind Günther Anders, Franzi Ascher-Nash, Ferdinand Bruckner, Franz Theodor Csokor, Elisabeth Freundlich, Alfred Polgar, Ludwig Ullmann, Berthold Viertel, Ernst Waldinger, F. C. Weiskopf, Robert Breuer, Ruth Domino, Else Hofmann, Hugo Kauder, Stefan Korein, Tom Mangon, Ernest S. Pisko und Alfred Werner zu nennen. Als politische Beiträger wie als Verantwortliche im Impressum wirkten Jacob Ausländer, Lyman Bradley, Ernst Epler, Michael Otto Friedlander, Franz Goldner, Wilhelm Gründorfer, Alfred Hornik, Gustav Locker, Theodore Mattern, Vera Ponger, Johannes Steel, John Strauss, Peter Tagger, ebenso wie das unter Pseudonym »Oliver Twin« publizierende Autorenduo Joseph Fabry und Max Knight am Entstehen der Zeitschrift mit. Ein großes Fragezeichen schwebt bis heute über den unter Pseudonym arbeitenden Beiträgern PAU und Spectator. Im Februar 1944 wird erstmals ein Impressum abgedruckt und damit das Herausgebergremium, das später nur mehr mit »Austro American Tribune, Inc.« zeichnet, namentlich genannt: Es handelt sich um Jacob Ausländer, Lyman Bradley und William Green, der unter seinem amerikanischen Namen publizierende bereits erwähnte Chefredakteur Wilhelm Gründorfer. Als Treasurer namentlich ausgewiesen ist auch Vera Ponger.12 Jacob Ausländer wurde am 28. September 1896 in Radautz in der Bukowina als Sohn eines jüdischen Elternhauses geboren.13 Sein Medizinstudium absolvierte er ab 5. Juli 1916 in Wien. Die Promotion zum Dr. med. erfolgte am 10. Juli 1922.14 Wenige Monate später emigrierte Ausländer in die USA. Am 26. November 1923 langte er auf der Sierra Ventana, die von Bremen auslief, in Ellis Island an. Auf dem Passenger Record angeführt wird seine letzte Wohnadresse in der Laudongasse im 8. Bezirk in Wien, sein Singlestatus wie sein Lebensalter, das damals 28 Jahre betrug. Nicht zuletzt aber wird nach seinem ersten Wohnort bzw. seinem Ziel in Amerika gefragt: Jacob Ausländer nennt als Kontaktadresse seinen Onkel Alfred Ausländer, der im New Yorker Stadtteil Queens ansässig war.15 Der als Architekt tätige Alfred Ausländer wanderte 1902 in die USA ein, und hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits beruflich etabliert. Er war in Berufsorganisationen wie etwa der »Architectural League« in New York tätig und publizierte Bücher über Architektur.16 Nicht ganz richtig dürften Jacob Ausländers Angaben auf den Einwanderungspapieren17 hinsichtlich seiner politischen Disposition gewesen sein: Wie sich seine Schwester Cilly Ausländer erinnert, war Jacob schon während seiner Zeit als Student in Wien in linken, kommunistischen
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Zirkeln aktiv.18 In der neuen Welt angelangt, verfolgte er eine Karriere als Herzspezialist und brachte es dabei bis zur Leitung einer Klinik.19 Seine weltanschauliche Haltung dürfte er auch in Amerika weiterverfolgt haben. 1947 lud man Ausländer vor den Ausschuss für »Unamerican Activities«. Grund dafür war sein Engagement für die Flüchtlingshilfe für Spanienkämpfer im Rahmen der Organisation »Joint Antifascist Refugee Committee«. Diese von den US-Behörden als kommunistische FrontOrganisation titulierte Gruppe20 versagte dem berühmt berüchtigten Komitee der Ära McCarthy die Einsicht in ihre Akten. Begründet wurde dieser Entschluss mit dem persönlichen Schutz der Flüchtlinge durch Wahrung der Anonymität. Die Entscheidung zog für jeden der leitenden Köpfe des Joint Antifascist Refugee Committee Konsequenzen nach sich: Im Falle Jacob Ausländers betrug die Strafe 3 Monate Haft und eine Geldstrafe in der Höhe von 500 Dollar.21 Die AAT berichtet über die Verurteilung Ausländers und tituliert ihn dabei als den Gründer und 1. Präsidenten des Herausgebervorstands.22 Nachdem Wilhelm Gründorfer niemals die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, eine solche zur Gründung einer Zeitschrift allerdings erforderlich war, lässt sich daraus die Einbeziehung Jakob Ausländers in die Exilzeitschrift erklären. Ab März 1944 scheint der Name Ausländer im Impressum der Zeitschrift nicht mehr auf. Sehr wohl allerdings wird Ausländer auf dem offiziellen Briefpapier der Zeitschrift weiterhin als Präsident des Herausgeberboards tituliert.23 Indikator für sein weiteres Engagement für die AAT sind die, von Oktober 1943 bis Februar 1945 regelmäßig erscheinenden, viertelseitigen Anzeigen einer als »Arbeiter Kranken- und Sterbekasse« titulierten Sozialversicherung in der Ausländer zu diesem Zeitpunkt in einflussreicher Position tätig ist.24 Jakob Ausländer stirbt am 3. Juni 1958 als Ehemann und Vater von zwei Kindern infolge eines Herzinfarktes.25 Im engsten Kreis der Angeklagten rund um das Joint Antifascist Refugee Comittee befand sich übrigens auch Lyman R. Bradley, der neben Ausländer bis Jahresende 1943 als 2. Herausgeber der AAT fungierte und — so der Artikel in der AAT26 — bis 1948 im Umfeld der Zeitschrift mitwirkte.27 Der gebürtige Amerikaner Bradley war als Professor für deutsche Literatur an der New York University und Vorsitzender der germanistischen Fakultät tätig.28 Dort initiierte er eine Spendenorganisation für Spanienkämpfer. Nach dem Schuldspruch um August 1947 wurde Bradley von seiner Lehrtätigkeit bei vollem Gehalt suspendiert. Es folgte eine Reihe von Protesten seitens der Studentenschaft, die die Rückberufung des Professors zum Ziel hatten.29 Weder Bradley noch Ausländer tauchen als Autoren in der AAT auf. Anders dagegen der als Chefredakteur fungierende Wilhelm Gründorfer. Als William Green wie als Hans Wolfgang verfasste er umfangreiche Analysen und Kommentare für den politischen Teil der Zeitschrift. Wilhelm Gründorfer wurde am 17. Februar 1910 in Wien als Sohn eines jüdischen Elternhauses geboren.30 Er studierte Medizin und schloss seine akademische Ausbildung am 20. Juli 1935 ab.31 Durch die politischen Ereignisse rund um den Justizpalastbrand aufgerüttelt und von der Tatenlosigkeit der sozialistischen Partei enttäuscht32, trat er 1927 der kommunistischen Jugend bei33. In den folgenden Jahren des Studiums war er ebenfalls im kommunistischen Widerstand tätig.34 Eine vom kommunistischen Untergrund initiierte Aktion, die Gründorfer und einige Studienkollegen — zufällig aufgrund eines Skikurses in der Nähe — unterstützten, hätte für den angehenden Mediziner anno 1932 beinahe mit einem Studienverbot geendet.35 Wie Gründorfer berichtete, wurde er wenige Jahre später, wiederum aufgrund seines politischen Engagements, im Anhaltelager Wöllersdorf inhaftiert. Die Weihnachtsamnestie des Jahres 1937 brachte ihm die Entlassung.36 In der biobibliographischen Literatur wird sogar auf mehrmalige Verhaftun-
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gen Gründorfers hingewiesen.37 Am 6. März 1938 heiratete er Cilli Phoryles38. Nach eigenen Aussagen war er aufgrund dieser Heirat nicht mehr bei seiner Mutter in der Schüttelstraße39 wohnhaft, als die Nationalsozialisten am 12. März 1938 dort auftauchten und ihn festnehmen wollten40. Die Stationen seiner Flucht skizziert er — korrespondierend zu den Nachschlagewerken zur Emigration — wie folgt: Mit den Skiern über die Silvretta zuerst in die Schweiz und weiter nach Frankreich. 1940 reiste Wilhelm Gründorfer in die USA ein.41 Nach eigenen Auskünften gab es für das junge Ehepaar erste Unterstützung bei einem jüdischen Komitee. Cilli Gründorfer fand danach einen Job als Hilfsarbeiterin, der junge Mediziner Wilhelm Gründorfer holte die erforderlichen Prüfungen für die Erlaubnis zur Berufsausübung nach und arbeitete zum Broterwerb als Metallarbeiter und später als Verpacker in einem Metallbetrieb.42 Der lexikalische Eintrag datiert den Erhalt seiner Arztlizenz mit dem Jahr 194143 und Gründorfer präzisiert in der Retrospektive auf den 17. November 1941.44 Die Berufsmöglichkeiten für aus Österreich emigrierte Mediziner stellten sich Gründorfer zufolge wenig rosig dar: Als bezahlte Beschäftigung konnte zwischen der Tätigkeit in psychiatrischen Krankenhäusern sowie in Tuberkuloseabteilungen gewählt werden.45 Er entschied sich laut eignen Angaben für letztere Möglichkeit und arbeitete danach im Tuberkulose-Spital der Stadt New York sowie einem Krankenhaus auf Staten Island.46 Bezüglich dieser Angabe gibt es Abweichungen in den Erzählungen Gründorfers. Die Darstellung in seinem zweiten Interview47 fand Eingang ins jüngste Handbuch zur österreichisch-jüdischen Autorenschaft: Besagten Quellen zufolge war Gründorfer im Tuberkulose-Behandlungszentrum auf Staten Island und danach im Tuberkulose-Spital des Medical Center von New Jersey tätig.48 Zweifelsfrei ist allerdings Gründorfers maßgebliches Wirken in der kommunistischen Organisation österreichischer Emigranten in New York und seine Funktion als Chefredakteur und damit für den Inhalt, vor allem für den politischen Teil der Zeitschrift Verantwortlicher.49 Neben dem Brotberuf Arzt, rund einstündigen Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz und den Verpflichtungen als junger Familienvater übernahm er auch noch diese zentrale Rolle in der AAT. Den, stets eine politische Botschaft beinhaltenden Leitartikel der AAT schrieb er unter dem Pseudonym Hans Wolfgang. Eigenen Angaben zufolge war dies ein bis zu seinem Austritt aus der Zeitschrift gut gehütetes Geheimnis, das aus einer äußerst pragmatischen Entscheidung heraus resultierte: Mit organisatorischen Aufgaben und der Korrespondenz mit Lesern und Autoren ohnehin ausgelastet, wollte Gründorfer nicht auch noch politischen Anfechtungen und Diskussionen ausgesetzt sein. Der anonyme Hans Wolfgang dagegen war unangreifbar.50 Das Schreiben ging ihm — Berichten zufolge — nicht einfach von der Hand. Wohl waren es nicht die Gedanken und Ideen, an denen es mangelte, vielmehr stellte das Entwickeln des roten Fadens die große Herausforderung für ihn dar.51 Die politische Meinung in seinen Leitartikeln war seinen Angaben zufolge stets das Resultat langwieriger Diskussionen der Redaktion und letztendlich der Konsens der AAT-Mitar-beiter.52 Vor dem Hintergrund der heiklen politischen Themen, die Hans Wolfgang antastete, scheint die Entscheidung zur Debatte über die Inhalte nachvollziehbar: Von der Kriegsschuldfrage53 über Fragen zu Judentum und Antisemitismus54 bis zur Kommentierung der politischen Entwicklungen im Nachkriegsösterreich55 reicht das inhaltliche Spektrum seiner Texte. Wilhelm Gründorfer kehrte im Juli 1947 nach Wien zurück56 und war in der Folge als Lungenfacharzt in Wien tätig.57 Die publizistische Arbeit nahm er nach Beendigung seiner Mitarbeit an der AAT Ende 1946 nicht wieder auf. Er starb am 23. Juni 2000 in Wien.58
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An der Seite von Wilhelm Gründorfer als Motor, treibende Kraft und organisatorische Schaltstelle hinter dem Unternehmen Austro American Tribune fungierte gleichsam Ernst Epler, der in der AAT unter dem Pseudonym Fritz Fabian publizierte. Epler wurde am 11. März 1912 in Wien geboren.59 Nach eigenen Aussagen wuchs er in einem sozialistischen Elternhaus auf, in dem es selbstverständlich war die Arbeiterzeitung zu lesen.60 — Und wohl auch nach dieser Weltanschauung zu leben: So ist seine Mitgliedschaft im Verband Sozialistischer Studenten Österreichs in den Jahren 1931 bis 1932 nachweisbar.61 Epler inskribierte an der Universität Wien die Fächer klassische und deutsche Philologie62, war allerdings gezwungen sein Studium mehrmals — zuerst im Sommersemester 1934, erneut im Studienjahr 1936 und 1937 — zu unterbrechen.63 Wie Ernst Epler aus der Erinnerung rekonstruierte, trat er Ende 1932, ermutigt durch seinen Freund Fritz Wachs, der Kommunistischen Studentenfraktion bei.64 Dieses Datum wird auch lexikalisch gestützt.65 Die illegale politische Aktivität zog Folgen nach sich: Am 26. März 1934 wurde er wegen seiner kommunistischen Arbeit verhaftet und zu sechs Monaten Arrest verurteilt. Es folgte der Verweis von der Universität Wien für das Studienjahr 1934/35.66 Nach seiner Freilassung ging Epler weiter der Arbeit im politischen Widerstand als illegaler Kommunist nach. Am 31. Oktober 1937 heiratete er die Studentin Klara Vielwahr.67 1938 erfolgte schließlich die Flucht nach Brünn über Polen nach London und 1940 in die USA.68 Dort ereilte ihn das Schicksal vieler Emigranten — die aus der Not heraus geborene Annahme jeglicher Arbeit. So sicherte er die existentielle Grundlage für sich und seine Frau durch die Beschäftigung als Geschirrwäscher, Eisverkäufer und Schweißer.69 Zusätzlich zum alltäglichen Broterwerb absolvierte Epler eine Ausbildung als Schriftsetzer. Daraus entwickelte sich ab 1944 nicht nur sein berufliches Standbein in Amerika70, dieses Know-How erwies sich auch als wesentliche Stütze für die technische Produktion der AAT.71 Demnach produzierte er auf Linotype-Maschinen den Satz für die Zeitschrift, transportierte die gesetzten Metallzeilen gestützt auf Bretter und mit einer Schnur umwickelt im Anschluss daran zur eigentlichen Druckerei. Nicht zu vernachlässigen ist allerdings auch Eplers inhaltliche Mitarbeit an der AAT: Seit 1940 war er Mitglied der im Umfeld der AAT angesiedelten »Austro American Association«. Wie sich aus dem Briefwechsel Wilhelm Gründorfers und Ernst Eplers mit Ernst Karl Winter, einem regelmäßigen Autor der Zeitschrift entnehmen lässt, leisteten Gründorfer wie Epler verantwortliche redaktionelle Arbeiten wie Autorenbetreuung und Textakquirierung.72 Ernst Epler kehrte 1949 auf Aufforderung der KPÖ nach Wien zurück und setzte seine journalistische Tätigkeit in Parteizeitungen wie Der Abend und Die Volksstimme fort.73 Eine wesentliche Funktion hatte auch Vera Ponger inne: Sie war laut Impressum für die Finanzierung der Zeitschrift verantwortlich. Abseits davon hatte sie im sozialen Gefüge der Exilorganisation österreichischer Jugendlicher der »Austro American Youth« eine zentrale Position inne. Die Rekonstruktion ihrer Biographie stützt sich in weiten Teilen auf Quellen, in denen sie eher am Rande, als sekundäre Akteurin, als Ehefrau von Kurt Ponger in Erscheinung tritt. In Ermangelung weiterer Unterlagen und Anhaltspunkte muss die Darstellung aus dieser Position heraus, verquickt mit dem Lebensweg von Kurt Ponger erfolgen. Als Vera Verber erblickte sie am 15. September 1917 das Licht der Welt.74 Ihr Vater, Dr. Jacob Verber, wurde am 3. Juni 1888 in New York geboren. In den Matriken der jüdischen Kultusgemeinde Wien wird ihre Mutter als Henriette Zellermayer, geboren am 22. März 1887 in Odessa im damaligen Galizien, ausgewiesen. Die Heirat der Eltern erfolgte während der einjährigen freiwilligen Dienstzeit von Jacob
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Verber in der Festungsartillerie Regiment Nr. 2 anno 1916. Jacob Verber deklarierte sich zu diesem Zeitpunkt als Advokateurskandidat, dürfte also sein Jus-Studium bereits abgeschlossen haben.75 In Wien bewohnte die Familie vor der Emigration eine Wohnung in der Thurngasse 13/17 im 9. Bezirk. Am 24. Juni 1938 erfolgten die Abmeldung von diesem Wohnort und der Hinweis auf die Ausreise mit dem Ziel Amerika.76 Die durch die Geburt bedingte amerikanischen Staatsbürgerschaft Jacob Verbers dürfte die Flucht in die USA vereinfacht haben, war die Familie damit doch nicht auf Quote und Affidavit angewiesen. Kurt Leopold Ponger wurde am 29. Juli 1913 in Wien als Sohn eines jüdischen Elternhauses geboren. Sein Vater Gyula Ponger wurde am 10. April 1877, seine Mutter Hermin Sinaiberger am 21. Oktober. 1876 geboren. Die Heirat der Eltern erfolgte am 18. August 1898 in Maguarfabu. Zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes lebte das Ehepaar in der Schulz-Strasnitzkygasse 8 im 9. Bezirk.77 Kurt Ponger ergriff den Beruf des Goldarbeitergehilfen und lebte von 3. April 1934 bis 7. März 1939 in der Seegasse 3/5 im 9. Bezirk. Am 7. März 1939 erfolgten seine Abmeldung von dieser Wohnadresse und die Bekanntgabe seiner Abreise nach London.78 In der biobibliographischen Literatur wird Ponger eine frühe Mitgliedschaft im »Kommunistischen Jugendverband Österreichs« (KJVÖ) sowie in der KPÖ zugeschrieben. Als Mitglied des Republikanischen Schutzbunds leistete er zwischen 1933 und 1938 illegale Arbeit im Widerstand und wurde deshalb zweimal verhaftet. 1938 deportierte man Kurt Ponger in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald.79 Über England emigrierte Kurt Ponger in die USA. Vera Verbers Name taucht als Bürge für das Affidavit von Kurt Leopold Ponger in den Akten auf. Er reiste am 21. Februar 1940 von Liverpool kommend mit der Nova Scotia nach Boston, Massachusetts ein.80 Erste Informationen über die Beziehung von Vera Verber und Kurt Leopold Ponger sind der Darstellung des US-Autors George Carpozi Jr. in seinem anno 1968 erschienenen Buch Red Spies in Washington zu entnehmen. Wenngleich sich die Angaben — wie einem reichlich plakativen, auf der Coverseite des Buchs zu findenden Hinweis zu entnehmen ist — auf »official records« stützen, war bei der Interpretation der Angaben einige Vorsicht geboten. Die sprachliche Färbung des Textes lässt über den historischen Entstehungszusammenhang, eine Publikation entstanden im Amerika des Kalten Krieges, angelehnt an Spionagekrimis im Stil eines Ian Fleming, um Brisanz und reißerische, spannungsgeladene Präsentation bemüht, keinen Zweifel aufkommen. Die Fakten decken sich allerdings mit der biobibliographischen Literatur ebenso wie mit jenen, die später in den Berichten der New York Times zu den Pongers zu finden sind. Aus diesem Grund werden die haltbaren Angaben im Weiteren, freilich unter Verweis auf die Problematik der Quelle Carpozi, angeführt. Demnach fußte die in den frühen dreißiger Jahren sich entwickelnde Beziehung von Vera Verber und Kurt Ponger auf der engen Freundschaft zwischen den Eltern von Verber und Ponger, die einer Heirat ihrer beiden Kinder wohlwollend gegenüberstanden. Wie ein großer Bruder verhielt sich Kurt auch im Umgang mit Veras jüngerem Bruder Otto, für dessen zunächst sportliche und später politische Erziehung der ältere Kurt nach den Akten der CIA verantwortlich zeichnete. Carpozi gibt — anders als in den Meldedaten verzeichnet — als erstes Exilland der Verbers England an. Während die Eltern und Otto wenig später von London weiter nach New York emigrierten, blieb Vera allein in der britischen Metropole zurück.81 Carpozi dokumentiert in Analogie zur biobibliographischen Literatur die Verhaftung Kurt Pongers nach dem Einmarsch der Nazis, seine Deportation im September 1938 nach Buchenwald sowie den Weitertransport nach Dachau im März 1939. Die Umstände der Freilassung liegen im
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Dunkeln, erwähnt wird die Auflage des Stillschweigens über die Haftbedingungen und das Verlassen des nunmehr deutschen Bodens. Kurt erhält von einer internationalen Flüchtlingsorganisation ein Visum für England, besucht für 18 Tage seine Eltern in Wien und verlässt schließlich via Deutschland und Holland seine Heimat in Richtung England. In London trifft er schließlich Vera Verber. Beide schließen sich dem Londoner »Austrian Center«, einer kommunistischen Organisation österreichischer Emigranten an. Im Januar 1940 emigriert Vera Verber weiter nach New York. Kurt folgt ihr einen Monat später.82 Kurz nach der Ankunft erfolgt die Heirat der beiden83 und der Einzug in ein nach Carpozi »comfortable four-room apartment at 773 Columbus Avenue in Manhattan«84. Unweit entfernt bezog anno 1942 auch Otto Verber, nach seiner Heirat mit der österreichischen Emigrantin Eva Beer, eine Wohnung. Ins selbe Jahr datiert Carpozi die von den Verbers und Pongers initiierte Gründung der österreichischen Exilorganisation »Austro American Youth«. Beschrieben wird die Organisation als »within its structure three distinct Communist cells«85. Der Historiker Peter Eppel datiert den Entstehungszeitraum der Organisation mit November 1940. Seinen Angaben zufolge existierte die Gemeinschaft unter den wechselnden Bezeichnungen »Free Austrian Youth Committee«, »Free Austrian Youth«, »Free Austrian Youth Group«, »Austro-American Youth« und »Austro-American Youth Council«. Vera Ponger tritt als Vorsitzende dieser maßgeblichen Organisation des österreichischen Exils in Erscheinung, Kurt Ponger als deren Sekretär. Das Attribut »maßgeblich« gebührt dem Zusammenschluss deshalb, weil man sich der Jugendarbeit und damit eines Bereichs, der einen blinden Fleck in der österreichischen Emigration darstellte, annahm. Die Vermutung, dass die Organisation angelehnt an und inspiriert durch die Erfahrungen im »Austrian Centre«, dem ebenfalls ein Jugendgruppe angeschlossen war86, erfolgte, liegt nahe. Gemeinsam leitete das Ehepaar somit eine der personell stärksten Exilorganisationen. Peter Eppel belegt seine Argumentation der Größe der Jugendorganisation mit der Zahl von immerhin 240 Mitgliedern im Oktober 1942.87 In der Erinnerung beschreibt Elisabeth Freundlich die »Austro American Youth« wie folgt: Eine große Jugendorganisation […] die sicher kommunistisch gelenkt war und der ich öfters österreichische Schriftsteller als Referenten verschafft habe. Zum größten Teil bestand die Jugendorganisation aus unpolitischen Jugendlichen, die mit 15, 16 Jahren völlig unvorbereitet, vielfach allein, in Amerika gelandet sind, einfach auf der Straße gestrandet [wären] und nicht gewusst hätten, wohin sie sich wenden sollten, wenn sie nicht in dieser österreichischen Jugend eine Heimstätte gefunden hätten. Diese Jugendlichen sind zum Teil gegen die Krankheit Emigration so behandelt worden, dass sie zu politisch denkenden Menschen wurden […].88
Kurt Ponger tritt am 11. Juni 1943 in den Dienst der US-Army ein.89 Noch im selben Jahr wurde er als Vernehmungsoffizier für deutsche Kriegsgefangene nach Europa gesandt. Im März 1945 kehrt er nach Amerika zurück und gründet Carpozi zufolge unter dem Firmennamen »Central European Press & Literary Agency Inc.« einen Zeitungsvertrieb nach Europa ebenso wie eine Presseagentur, die von Europa nach Amerika liefern sollte. Als Vorstand dieses Unternehmens fungierte neuerlich Vera Ponger.90 Wie den greifbaren Briefen zu entnehmen ist, kooperierte der Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb mit der Buchhandlung Sexl an der Wiener Ringstraße. Bemüht war man zunächst um die Lieferung österreichischer bzw. deutschsprachiger Presse nach Amerika, sorgte allerdings auch für den Vertrieb der AAT nach Wien91 Die etwas unklare Geschäftsidee, die intransparenten Dienstleistungen
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wie die allein als Postadresse existierenden Geschäftsräumlichkeiten der Agentur sollten später auch von der New York Times kritisch hinterfragt werden.92 Parallel dazu rang das Ehepaar um den Aufbau eines Buchverlages, genannt »Continental Edition«, in dem die Bücher des im New Yorker Exil verlegten Aurora-Verlags einem österreichischen Publikum zugänglich gemacht werden sollten. Wie sich aus dem Nachlass von Kurt Ponger entnehmen lässt, erwies sich dieses Vorhaben als sehr kräfteraubend und wurde von Seiten des Kooperationspartners in Wien, wiederum des Inhabers der Buchhandlung Sexl am Ring mit wenig Engagement betrieben. Die Briefe dokumentieren die Bestrebungen der Pongers, denen die Nachlässigkeit seitens der Wiener Anlaufstelle gegenüber steht.93 Wenig später tritt Ponger ebenso wie Verber neuerlich in den Dienst der US-Army und wirkt als Vernehmungsoffizier bei den Vorbereitungen für die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Röder/Strauss datieren die Rückkehr des Ehepaares Ponger nach Europa, konkret nach Nürnberg ins Jahr 194594, Carpozi nennt das Jahr 194695, auch in einem Brief Vera Pongers wird der November 1946 als Abreisedatum genannt.96 Noch in Nürnberg wird am 2. August 1947 die Tochter Elisabeth Juliet geboren.97 Im Herbst 1948 remigrierten Kurt und Vera Ponger weiter nach Wien.98 Röder/Strauss zufolge arbeitet Kurt Ponger weiterhin als Mitarbeiter der US Military Intelligence Service, wo er unter anderem Vernehmungen und Auswertungen von Aussagen österreichischer Kriegsgefangener aus der UdSSR und von Flüchtlingen aus den Ländern hinter dem so genannten Eisernen Vorhang durchführt.99 Carpozi lässt von einer derartigen Tätigkeit nichts wissen, beschreibt Ponger vielmehr als Teilzeitstudent, der finanziert von der US-Army an der Universität Wien inskribiert und zusätzlich dazu am Aufbau der nunmehr als Nachrichtenund Fotoagentur deklarierten »Central European Press Agency New York« arbeitet.100 Nach Carpozi trat Ponger im Februar 1949 als Agent in den Dienst des sowjetischen Geheimdienstes ein, sein Schwager Otto Verber kam einen Monat später hinzu. Vor allem Otto Verber sorgte für die Lieferung wichtiger geheimdienstlicher Daten über den CIA in Wien. Als späterer Verbindungsmann galt der sowjetische Diplomat Yuri V. Novikov.101 Von der CIA seit 1949 observiert102, erfolgt die Verhaftung von Kurt Ponger erst im Jänner 1953. Die Anklage gegen Kurt Ponger und Otto Verber umfasste 14 Punkte, allesamt in Zusammenhang mit Spionagetätigkeit und Zusammenarbeit mit sowjetischen Geheimdiensten. Beide wurden verhaftet und von US Dienststellen nach Washington gebracht.103 Im Zuge der Verhandlung vor einem USGericht bekennen sich sowohl Ponger als auch Verber für schuldig. Kurt Ponger wird mit der höchstmöglichen Strafe zu 5 und 15 Jahren Gefängnis verurteilt, Otto Verber mit 10 Jahren.104 Vera Ponger wohnte in den verbleibenden Jahren im sowjetischen Sektor Wiens. Gemeinsam mit ihren Kindern (aus ihrer Ehe) Elisabeth und Peter Ponger erwartete sie die Rückkehr ihres Ehemannes.105 Diese sollte sie allerdings nicht mehr erleben: Vera Ponger stirbt am 24. März 1957 in Wien an den Folgen einer Blinddarmoperation.106 Kurt Ponger wird nach 9 Jahren Haft vorzeitig entlassen107 und kehrt nach Wien zurück, wo er vorübergehend Inhaber einer Haushaltsartikel-Handlung ist.108 Am 23. Juni 1963 geht Kurt Ponger seine 2. Ehe mit Edith Adele Perster ein.109 Seine Mitgliedschaft in der KPÖ wahrte Kurt Ponger auch nach seiner Rückkehr. Ab 1970 war er als Redakteur der KP-Zeitung Volksstimme tätig und publizierte vielfach unter seinem Pseudonym »CUPO«.110 Das Wirken der von Vera und Kurt Ponger geleiteten Jugendorganisation spiegelt sich in der Jugendzeitschrift Austro American Youth wider, die bis März 1944 im
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Zwei-Monatsrythmus der AAT beigelegt war. Nach deren Einstellung druckt die AAT die wichtigsten Informationen zu den Aktivitäten der Gruppe ab. Die Freizeitangebote und Veranstaltungen, die aus der AAT zu entnehmen sind, stützen Freundlichs Darstellung der Austro American Youth. Vera Ponger scheint seit Juli 1943, seit der Mutation der Freiheit für Österreich zur Austro American Tribune im Impressum der Zeitschrift, jedoch niemals als Autorin des Mediums auf. Wie die Recherche zeigen sollte, übernahm interimistisch Otto Verber, nach dem endgültigen Rücktritt von Chefredakteur Wilhelm Gründorfer im Januar 1947 Alfred Hornik die Rolle des Editors der AAT. Damit kann von einer engen Vernetzung dieser beiden Gruppierungen ausgegangen werden. Im Inhalt der Zeitschrift111 ebenso wie in der Retrospektive112 wurde stets deren finanzielle Eigenständigkeit betont. Die ökonomische Basis der AAT setzte sich demnach aus dem Erlös der Abonnements bzw. des Verkaufs der Zeitschrift, der Spenden von Lesern sowie den Einnahmen durch Inserate und Veranstaltungen zusammen. Im Zeitraum von 1943 bis 1945 überwiegen Anzeigen von österreichischen Emigranten, die durch die Eröffnung kleiner Dienstleistungsbetriebe bzw. Restaurants und Kaffeehäusern einen Neuanfang in New York wagen. Der Hinweis auf die Heimat Wien fehlt in diesen Kurzdarstellungen allerdings selten. Vom »Vienna Cafe«, das zur »Waltz Time in Hollywood« lädt, ist da ebenso die Rede wie vom »Wienerrestaurant« Joschy Gruenfelds, der ehemals in der Wiener Hakoah kochte, selbst das Restaurant »Neugröschl«113, das in Friedrich Torbergs Tante Jolesch zu literarischen Ehren kam114, schaltete regelmäßig in der AAT. Juweliere115, Schneider116, Kunsthändler117 betonen ihre Wurzeln in der Donaumetropole. Nach Kriegsende dominieren Inserate von Lebensmitteltransportfirmen den Anzeigenteil. Die Kosten für eine Einschaltung sind nicht mehr zu rekonstruieren, von überhöhten Zahlungsforderungen kann aber vermutlich nicht die Rede sein, beschrieb doch Ernst Epler die Existenzgrundlage der AAT wie folgt: »Ich brauche ihnen wohl nichts über die Situation der AAT erzählen. Sie kennen sie nicht, können sich aber wahrscheinlich selbst vorstellen, dass wir ein chronisches, beinahe prinzipielles Defizit haben, das wir fallweise mit Veranstaltungen, Zeitungs- und Kalenderverkäufen etc. überbrücken.«118 Während Wilhelm Gründorfer in der Erinnerung Honorare für die Autoren verneint119, beantwortet Ernst Epler die Frage nach der Entgeltung der publizistischen Arbeit anno 1946 etwas präziser: »Es gibt Mitarbeiter, denen die AAT ›bezahlt‹: Fräulein Ascher, ›Oliver Twin‹ und Frau Dr. Hofmann: Ich habe das ›bezahlt‹ unter Anführungszeichen gesetzt, denn die $5.-, die sie pro Artikel bekommen, sind mehr ein Honorar im Sinne eines Wortes als eine Bezahlung.«120 Grundsätzlich ist wohl davon auszugehen, dass die Druck- und Produktionskosten das Gros der Einnahmen verschlangen. Wilhelm Gründorfer beziffert die Höhe der Auflage mit 2000 bis 3000 Exemplaren121, der amerikanische Zeitschriftenindex des Jahres 1948 gibt die Auflage mit 5600 Stück, davon 1400 frei verkauft an.122 Angelehnt an diese Darstellung der Sozialgestalt der zentralen Persönlichkeiten in der politischen Redaktion ist eine weltanschauliche Nähe der Austro American Tribune zum Kommunismus feststellbar. Eine offene Deklarierung war aufgrund der spezifischen Einwanderungspolitik der USA allerdings nicht möglich. Folglich liegt der Schluss nahe, dass die Zeitschrift zum Schutz der eigenen politischen Interessen auch Autoren mit anderen weltanschaulichen Haltungen ein Forum bot. Schließlich finden sich Beiträger wie Eduard März, der in der 1. Republik als christlichsozialer Vizebürgermeister Wiens tätige Ernst Karl Winter, Franz Goldner und Johannes Steel.
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Generell machte die AAT bzw. ihr Umfeld im Bestreben um Einhaltung ihrer politischen Standpunkte keine Konzessionen. Die Aussicht auf politische Akzeptanz durch die US-Regierung blieb der weltanschaulichen Überzeugungen zuliebe ungenutzt: Nachdem sich keine bzw. keiner der Mitglieder auf ein Regierungsamt in der ersten Republik berufen konnte, bestanden für die Exilorganisationen rund um die AAT wenig Chancen auf Anerkennung als offizielle Repräsentanten Österreichs. Einer Einigung mit den Sozialisten im US-Exil stand allerdings deren Befürwortung der Ankoppelung Österreichs an Deutschland im Wege. Die AAT hielt dagegen ein Plädoyer gegen die großdeutsche Idee und für die Wiedererrichtung Österreichs innerhalb der Grenzen der 1. Republik. Trotz dieser Differenzen wurde die Organisation der Sozialisten nicht zum großen Gegenspieler und zum Feindbild. Vielmehr waren es die restaurativen Kräfte um Otto Habsburg die Unmut erregten. Hier gab es kein Entgegenkommen, sondern vielmehr eine harte Abwehrfront beginnend mit den Berichten über die geplante Formierung eines österreichischen Bataillons für die USArmee, die von Otto von Habsburg und seiner monarchistischen Gruppierung betrieben wurde, bis zu seinen unaufhörlichen Aktivitäten zur politischen Anerkennung durch die amerikanische Regierung. Polemiken wie folgende waren deshalb keine Seltenheit: Otto Habsburg ist ein recht vielseitiger Mann. Mit einem belgischen Diplomatenpass kam er nach Amerika; vor zwei Jahren versuchte er hier als Österreicher eine »Österreichische Legion« zu gründen; bei seinem Draftboard gab er sich als Ungar aus, um auf diese Weise als »enemy alien« der Militärdienstpflicht zu entgehen; und nun erklärte er unlängst einem Reporter von PM, das er --- spanischer Staatsbürger sei […]. Preisfrage: Ist Otto in allen seinen ›Heimatländern‹ so beliebt wie in Österreich?123
Für den Bekanntheitsgrad der AAT heute zeichnet zweifelsfrei die Kulturbeilage verantwortlich. Weitgehend entkoppelt von der politischen Redaktion war hier eine Schar von wahren Wortakrobaten versammelt. Die redaktionelle Arbeit dafür leistete Elisabeth Freundlich. Sie ist es auch, die in der Retrospektive eine realistische Einschätzung hinsichtlich der Rezeption der AAT abgab: Der Leserkreis hat sich dadurch — durch das Feuilleton — erweitert, es gab Leser, die mit dem politischen Teil des Blattes durchaus nicht einverstanden waren. Das ging aus zahlreichen Gesprächen hervor, sie aber wegen der Kulturbeilage hielten, und umgekehrt.124
Eine Durchsicht der Korrespondenz rund um die AAT stützt Elisabeth Freundlichs These. Hier eine Auswahl der Kommentare zur Zeitschrift: Hermann Broch an Berthold Viertel im Dezember 1943: Der Bedarf an deutscher Zeitung ist durch die nicht-deutschen des Aufbaus, der Volks- und Staatszeitung überreichlich gedeckt, und wenn sich eine österreichische dazugesellen soll, so hätte dies bloß auf Basis eines festen politischen Programmes einen Sinn. Welches politische Programm aber? Das einer neuen Arbeiterzeitung? Das einer jüdischen Reichspost? […] Mir ist — verzeihen Sie meine Skepsis — das Positive an dem Projekt durchaus unsichtbar.125
Raoul Auernheimer an Elisabeth Freundlich im Mai 1945:
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AUSTRO AMERICAN TRIBUNE Die wunderbare Wiederherstellung Oesterreichs […] wird und muss die Wiederherstellung der Pressefreiheit in Oesterreich zur Folge haben. In dieser Hinsicht sehe ich grosse Entwicklungsmoeglichkeiten fuer die Austro American Tribune, die nur einen entsprechenden deutschen Titel finden muesste, um als Wochenschrift, wenn nicht sogleich als Tageszeitung in Oesterreich zu erscheinen. Nach ihren bisherigen Leistungen und getragen vom Vertrauen eines ständig wachsenden oesterreichischen Leserkreises, ist sie dazu wie keine andere in New York oder London erscheinende Zeitung berufen.126
Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich im Dezember 1943: Die »Austro American Tribune« muß ich notieren. Einstweilen erregt sie mir noch Schüttelfrost. Ja, das gedruckte Wort!127
Viertels Unbehagen resultiert aus der bereits dargestellten weltanschaulichen Verortung der Politikredakteure der AAT. Wie eine Durchsicht der Korrespondenz zwischen Alfred Polgar, Berthold Viertel und Elisabeth Freundlich zeigen sollte, blieb diese kritische Distanz zum Politikteil nicht bloß eine theoretische. Vielmehr versuchten die Beiträger des Feuilletons sich vom Stammblatt zu entkoppeln. In einem Brief, datiert mit dem 25. Januar 1943, formuliert Berthold Viertel seine Vorstellungen hinsichtlich eines unabhängigen Zeitschriftenprojektes sehr konkret und repliziert damit, wie aus dem Kontext zu entnehmen ist, auf ein diesbezügliche Überlegungen initiierendes Schreiben von Elisabeth Freundlich. Die wohl vorangegangene Aufforderung zur regelmäßigen Mitarbeit an einem solchen Projekt lässt er vorerst unbeantwortet im Raum stehen: Er führt private Verpflichtungen wie eine unsichere berufliche Zukunft ins Treffen128, verweist allerdings auf befruchtende Gespräche hinsichtlich dieses Vorhabens mit Bertolt Brecht und Alfred Polgar. Viertel hofft auf eine inhaltliche Orientierung der Zeitschrift in Richtung eines zukünftigen, friedlichen, gemeinsamen Europas. Die Geburt der publizistischen Plattform durch eine österreichische Gruppe solle nicht eine Beschränkung auf österreichische Autoren mit sich bringen, vielmehr plädiert er für Beiträger aus Europa wie aus Amerika. Den inhaltlichen Fokus sieht Viertel weniger in der Tages- als in der Kulturpolitik, womit auch Berichte über den Krieg aus der Sicht der verschiedenen Nationen möglich wären. Erweitert durch wissenschaftliche Beiträge und bereichert durch kulturkritische Inhalte im Sinne einer Kritik an den kulturellen Leistungen, auch jenen der Emigranten, würde sich die Zeitschrift von bisherigen Publikationen abheben.129 »Auf die Karl Kraussche Weise ginge das heute freilich nicht. Das ist auch nicht die Absicht. Das Problem, das Thema, und nicht das Persönliche soll getroffen werden.«130 Einem Schreiben von Alfred Polgar an Elisabeth Freundlich ist zu entnehmen, dass sie mit ihrer Zeitschriftenidee in der Folge auch an ihn herangetreten ist. Polgar signalisiert Interesse, verweist zwar auf das Problem von unbezahlter Arbeit und den erforderlichen Zeitaufwand für umfangreiche Manuskripte, sagt allerdings die Übermittlung von kurzen Texten zu.131 Elisabeth Freundlich arbeitet währenddessen an der Redaktion für die Kulturberichterstattung der AAT, die im Juli 1943 unter diesem Titel aus der Taufe gehoben wird. Zu diesem Zeitpunkt beinhaltet die AAT wohl Artikel zum Thema Kultur, ein eigenständiges Feuilleton im Sinne eines abgegrenzten Blattteiles gibt es allerdings erst ab Dezember 1943. Für Viertel gleicht die neue AAT noch einem »embryonischen Stadium«132. Das Verfassen eines Beitrags für die Zeitschrift lehnt er ab. Er beruft sich dabei auf temporäre Gründe, ebenso wie auf die geringe Platzkapazität des
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Mediums.133 Seine Absage dürfte allerdings auch in einer anderen Ursache wurzeln: Viertel geht zwar nicht explizit auf die weltanschaulichen Inhalte der AAT ein, deutet allerdings den Wunsch nach einer anderen, selbständigen Zeitschrift an. Dass dieses Vorhaben aus pekuniären Gründen zum Scheitern verurteilt ist, fügt er sofort hinzu.134 Nicht unbedingt positiv fällt auch Alfred Polgars Statement zur AAT aus — er spricht in einem Brief von einem »Quängel-Papier«135. Im November desselben Jahres — zu einem Zeitpunkt zu dem der Prototyp des Feuilletons bereits im Oktober abgedruckt worden war und die AAT ab der nächsten Nummer eine regelmäßige Kunstbeilage ankündigt136 — greift Viertel neuerlich die Idee einer unabhängigen Zeitschrift auf. Er beruft sich auf ein Gespräch mit Robert Neumann und sieht angesichts der Moskauer Deklaration einen günstigen Zeitpunkt für eine spezifisch österreichische Zeitung in deutscher Sprache gekommen. Eingenommen von diesem Projekt sei auch Alfred Polgar. Trotz aller Euphorie für die Idee bleibt Viertel der Realität verhaftet137 und spricht damit die schier unüberwindliche Hürde an: »Nicht zuletzt: Ich wüsste gern, wie Sie sich die Finanzierung denken; ob es Geldgeber gibt, welche die Unabhängigkeit der Zeitschrift garantieren würden, etc. etc.«138 Rund eine Woche später kündigt Viertel den Besuch Bertolt Brechts in New York, ebenso wie sein Interesse an der Begegnung mit Elisabeth Freundlich, mit der Exilorganisation ebenso wie an einem Gespräch über die inhaltlichen Überlegungen zu einer Zeitschrift an.139 Dabei handelt es sich wohl um die Begegnung, über die Wilhelm Gründorfer in der Erinnerung berichtet, und die mit der Entscheidung für eine spezifisch österreichische Zeitschrift anstatt einer Literaturbeilage für die gesamte deutschsprachige Emigration endete.140 Inzwischen dürfte Elisabeth Freundlich, die ähnlich einer Schaltzentrale sämtliche Ideen zur geplanten Publikation bündelte, mit einem Kreis von Schriftstellern in New York weitere produktive Gespräche geführt haben. Viertel sagt seine Mitarbeit als Externer zu und attestiert der geplanten Zeitschrift künftig einen Stellenwert in der literarischen Welt.141 Aus dem Kontext ist zu entnehmen, dass Alfred Polgar bereits als Kolumnist gewonnen wurde. Im Streben nach Unabhängigkeit stellt Viertel aufs Neue Fragen hinsichtlich der Person des Finanziers, hier nur kurz H. H. genannt.142 Der Name des Geldgebers wie die konkreten Pläne für die Zeitschrift werden aus der Korrespondenz Berthold Viertels mit Alfred Polgar ersichtlich. Polgar weiß hinsichtlich der Finanzierung Positives zu berichten: Er verwendet nicht die Abkürzung H.H., sondern spricht von H. Heller und dessen Zusage, die erforderlichen Mittel in der Höhe von 10.- 15.000 Dollar aufzutreiben. Nicht zuletzt verweist er auf die Erklärung Hellers, inhaltlich in das Projekt nicht einzugreifen.143 Danach appelliert Polgar an Viertel, seine Ideen einzubringen, seien doch noch viele Fragen offen: Beginnend bei der politischen Haltung über den Erscheinungsrhythmus bis zum endgültigen Titel des Blattes.144 Während die Gespräche über eine unabhängige Kulturzeitschrift weiter laufen, sagt Viertel mittlerweile seine Mitarbeit bei der Kulturbeilage der AAT zu, gibt sich im selben Atemzug allerdings — wie oben bereits erwähnt — als Kritiker zu erkennen.145 Zu Jahresbeginn 1944 wird der gedankliche Faden für ein unabhängiges Zeitschriftenprojekt weitergesponnen. Der ersonnene Mitarbeiterkreis — Alfred Polgar, Ferdinand Bruckner und F.C. Weiskopf 146 — zählt in der Folge übrigens auch zu den regelmäßigen Beiträgern der AAT. Die Lücke, die es inhaltlich noch zu schließen gelte, ist eine — um mit Viertel zu sprechen — »wegweisende Persönlichkeit«147. Mit dem Hinweis über seine prekäre finanzielle Situation und den Bedarf an bezahlter Arbeit nimmt er sich selbst für diese Rolle aus dem Spiel.148 Mitte des Monats einigt
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sich die Projektgruppe offensichtlich auf den Zeitschriftentitel Anfang. Auch dürften inhaltlich einige Konzessionen angesichts divergierender Vorstellungen gemacht worden sein.149 Alfred Polgar bringt die 12 Punkte umfassende Selbstverständniserklärung der am Anfang Mitwirkenden zu Papier: Demnach handelt es sich um eine Zeitschrift für deutschsprachige Flüchtlinge, die künftig möglicherweise auch in Österreich und Deutschland gelesen wird. Weiters gelte es, die Probleme eines künftigen, neuen Europas unabhängig von parteipolitischen Interessen zu diskutieren. Die Zeitschrift werde sich die Unterstützung des österreichischen Freiheitskampfes ebenso auf ihr Banner heften, wie sie die Unabhängigkeit Österreichs betont. Auch Überlegungen und Anleitungen zur »Reeducation« seien Inhalte des Anfangs. Erstrebenswert sei die künftige Verwendung für die Lehre in österreichischen Schulen — die Verteilung in Kriegsgefangenenlagern wurde als 1. Schritt in diese Richtung verstanden. Ziel des Anfangs ist es, Stoff für die Radio-Propaganda in Österreich zu liefern. Weiters biete die Zeitschrift den exilierten deutschsprachigen Schriftstellern eine Plattform zur Publikation. Die Rehabilitation der deutschen Sprache gehe damit einher. In diesem Sinne gelte es, den Anfang auch in mittleren und höheren Schulen ebenso wie in Colleges und Universitäten Amerikas zu verbreiten. Von einer kritischen Auseinandersetzung mit der amerikanischen Innenpolitik solle die Zeitschrift Abstand nehmen, sehr wohl aber sei das geistige und kulturelle Leben der USA ein Thema. Damit erfülle Anfang auch eine Vorbildfunktion für eine künftige neue europäische Lebensweise, angelehnt an bestimmte Erscheinungen der Lebensart in der neuen Welt. Das Konzept endet mit einer Berechnung der Kosten für diese österreichische Monatsschrift, die bei einer Auflage von 3.500 und 24 Seiten mit rund 650 Dollar veranschlagt werden. Autorenhonorare wie Entlohnung der Mitarbeiter sind in dieser Kalkulation nicht vorgesehen.150 Wohl nicht zufällig weist dieses Zeitschriftenkonzept Ähnlichkeit mit Struktur und Zielen der Kulturbeilage der AAT auf. So ambitioniert das Projekt auch betrieben wurde, von Erfolg schien es nicht gekrönt. Auf den Beginn des Anfangs folgte wohl gleichzeitig dessen Ende. Berthold Viertel nimmt in einem Brief an Elisabeth Freundlich wenige Wochen später darauf Bezug. Demnach dürfte eine Nummer der Zeitschrift produziert worden sein, jedoch keinen Leserkreis gefunden haben. Viertel spricht Elisabeth Freundlich Trost zu und verspricht, seine Kontakte und seinen — wie er selbst meint — geringen Einfluss für die Vision geltend zu machen. Er mutmaßt nach wie vor, dass allein eine in den USA bekannte Persönlichkeit der Emigration als Motor des Projekts genügen würde.151 Nach einem Jahr des Gedankenspiels und der konzeptionellen Arbeit scheinen die Versuche zur Abspaltung von der AAT damit gescheitert. Die konzeptionelle Arbeit floss allerdings in die Kulturbeilage der AAT ein, ebenso wie die personelle Konstellation der Projektgruppe sich in der AAT widerspiegelt.
Zu den Funktionsbereichen der AAT Amerika — das Land der Immigranten. Wie Michael Winkler in seinem Beitrag zum Exilzentrum New York klarlegt: »Man erwartete von ihnen [den Emigranten], dass sie sich möglichst schnell auf die vorherrschenden Gegebenheiten einstellten und so bald wie möglich, zumeist nach fünf Jahren, die amerikanische Staatsbürgerschaft annahmen.«152 In der Austro American Tribune hinterlässt das Hier und Jetzt, die Gegenwart, wenig Spuren. Bezug auf den Alltag in New York nehmen allein die gleichnamigen
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Kolumnen von Franzi Ascher-Nash. Pointiert und mit einem heiteren Grundton schildert sie die Irrtümer und Irritationen im Leben einer Immigrantin: Vom amerikanischen »Cup of Coffee« der mit dem Genuß einer Melange in der gedämpft, entspannten Atmosphäre eines Wiener Kaffeehauses wenig gemein hat153, über Mode und die für die Austro-Amerikaner völlig neue amerikanische Werbe- und Konsumwelt154 bis zum Jugendwahn, der in den USA der vierziger Jahre bereits kuriose Auswüchse zeitigt und für die Neo-Amerikaner eine Kuriosität darstellt, deren Aneignung sie vorerst ablehnen155. Vorwiegend aber schweift der Blick nicht in die Neue Welt, sondern bleibt an der Alten Welt haften. Es sind die Ereignisse in und um Österreich, die Rückschau in die Vergangenheit und die Visionen von der Zukunft des Landes, die den Inhalt der AAT dominieren. Warten, aufbewahren, vorbereiten — so bringt die Exilforscherin Lieselotte Maas die Intentionen der Exilpresse auf den Punkt.156 Ausgehend von dieser Disposition lässt sich die Berichterstattung der AAT in drei verschiedene Funktionsebenen gliedern. Die Bedeutung dieser drei Bereiche war weder gleichwertig noch konstant: In den fünf Jahren AAT unterlag das Gewicht, das den einzelnen Schienen zuzuschreiben ist, Schwankungen. Vorderhand erkennbar ist die erste Funktion des Mediums: Die AAT diente dem Erhalt der dahinter stehenden Exilorganisationen, war gleichsam Zeugnis von der eigenen Existenz wie Bindeglied innerhalb der Mitglieder der Gruppe. Unter Punkt zwei ist das Bemühen um eine Signalwirkung in der alten Heimat zu nennen. Es galt die Österreicher auf das Projekt AAT und dessen Leistungen für das Herkunftsland aufmerksam zu machen. Nicht zuletzt gab es Bestrebungen, die amerikanische Aufnahmegesellschaft über das wahre, antifaschistische Österreich und dessen Sorgen und Nöte, wie dessen Potenzial in Gestalt der Austro-Amerikaner in Kenntnis zu setzen. Im Bemühen, die Exilzeitschriften typologisch festzumachen, wurden Ziele und Funktionen der Exilpresse in der Exilforschung bereits mehrfach herausgearbeitet. Die vorliegende Funktionsbestimmung korrespondiert dabei mit der bisherigen Auseinandersetzung: Basierend auf der ersten maßgeblichen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Exilpresse durch Hans-Albert Walter157 nennt Wolfgang Duchkowitsch fünf Funktionen, die von der moralischen Stärkung der Personen bis zur Einflussnahme auf die politischen Entwicklungen in der Heimat reichen.158 Auch Markus Behmer greift in seiner Problemskizze zur Funktionsbestimmung »dieser Inseln anderer Kommunikationskultur«, auf die Trias Zusammenhalt, Aufklärung und Hineinwirken in die ehemalige Heimat zurück.159
Zur Selbstbehauptung Beginnen wir mit der offenkundigsten Zielrichtung der Zeitschrift, mit dem Erhalt der Gruppe: Dabei galt es zuvorderst die politische Linie zu kommunizieren. An erster Stelle steht demnach die Kampfansage an Hitler. Anno 1943 lautet diese: »Wir neuen Amerikaner — wir Österreichamerikaner — mit brennendem Haß gegen die Mörder unserer Lieben im Herzen sind unversöhnliche Feinde des Faschismus. Unsere Söhne und Brüder sind gute Soldaten. Sie wissen dass der Gegner kein Pardon kennt — und keinen verdient.«160 Zum Prinzip erklärt wird auch die Überzeugung von der Lebensfähigkeit Österreichs: »Wir treten für die Unabhängigkeit Österreichs ein und haben diesen Standpunkt nicht erst seit der Österreicherklärung der drei Großmächte in Moskau entdeckt. Ein unabhängiges Österreich ist eine der wichtigsten Schutzvorrichtungen gegen eine Wiedergeburt des grossdeutschen Imperialis-
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mus.«161 Diese in der ersten Nummer der AAT formulierten Leitlinien erfahren erst in einer der letzten Nummern im Jahr 1948 eine Veränderung.162 Nicht zuletzt haben sich die Herausgeber der AAT die Amerikanisierung der Neuzuwanderer auf ihr Banner geheftet: »Wir wollen unseren Lesern helfen, aktive Mitbürger des demokratischen Amerika zu werden, das sie aufnahm und das sie beschützt; Verteidiger der fortschrittlichen Tradition dieses Landes, deren Erhaltung für sie eine Existenzfrage ist; Kämpfer gegen rassische, religiöse und nationale Diskriminierung jeder Art, damit sie nicht eines Tages wieder ihre Opfer werden.«163 Die Formulierung lässt bereits erahnen, dass nicht die Aneignung des »American way of life« intendiert war, sondern die Einfindung in ein Amerika, das einem idealtypischen Bild von einer freien demokratischen Nation entspricht. Zu welchen Resultaten diese normative Vorstellung schließlich führen sollte, wird hier noch dargestellt. Vorderhand leistet die AAT allerdings Orientierungshilfe für das Leben in Amerika. Orientierungshilfe bedeutet in diesem Kontext: Sicherung des physischen Zusammenhalts der Gruppe. Die Zeitschrift dokumentiert das Angebot an Freizeitaktivitäten der Austro American Youth bzw. ihrer vier Unterorganisationen »Group Victory«, »Group Liberty«, »Group A.Y.A.« sowie der »Junior Group«164 und der Erwachsenenorganisation »Austro American Association«. Das Spektrum reicht von Gruppenausflügen zur Entdeckung New Yorks und des städtischen Umlands bis zu gemeinsamen Museumsbesuchen, die von der emigrierten Kunsthistorikerin Else Hofmann organisiert und wohl als Fortführung ihres Engagements für die Erwachsenenfortbildung, der sie sich bereits in den Wiener Volkshochschulen widmete,165 zu werten ist. Im Rahmen von Klubabenden fanden Filmvorführungen wie Vorträge oder Musikveranstaltungen statt. Praktische Hilfe zur Bewältigung des Alltags boten kostenlose Beratungen bei rechtlichen Problemen. Zur veränderten Rechtslage in Amerika in Sachen Steuer, Mieten, Ehe oder Scheidung gefolgt von Fragen zur Restitution bzw. Anmeldung von enteigneten Vermögenswerten informierte der Rechtsanwalt Theodore Mattern in seiner juristischen Kolumne von April 1945 bis März 1946. In Analogie zum weltanschaulichen Bekenntnis des Glaubens an eine österreichische Nation setzten die Autoren des Feuilletons ein kulturelles Zeichen, eine Antipode zur Barbarei in Nazi-Österreich. Wachgehalten wird die österreichische Kultur durch den Abdruck, vielfach den Erstabdruck, von Belletristik. Aufgrund der Mitarbeit der zentralen Protagonisten des Aurora Verlags finden sich beispielsweise Auszüge aus F.C. Weiskopfs Band »Die Unbesiegbaren«166 sowie seines im Aurora Verlag unter dem Titel »Abschied vom Frieden« auf Deutsch erschienen Romans. Die englischsprachige Übersetzung nahm übrigens der Alfred A. Knopf Verlag unter »Twilight in the Danube«167 in sein Programm auf. Nicht zuletzt veröffentlichte die AAT Auszüge aus Ernst Waldingers Lyrikband »Die kühlen Bauernstuben«168 sowie drei Gedichte von Berthold Viertels Band »Der Lebenslauf«169 im Erstabdruck. Hand in Hand mit der Publikation von Auszügen aus Originaltexten ging in der Regel auch die Rezension des wenig später erschienenen Buches. Exemplarisch für diese Form der Auseinandersetzung mit dem literarischen Schaffen der österreichischen Emigration seien Der Gefangene170 von Ernst Lothar, Der verlorene Sohn von Franz Theodor Csokor171 und Jacobowsky und der Oberst von Franz Werfel172 genannt. In der Gestalt als Plattform für die österreichischen Schriftsteller im Exil fungierend, wird hier gleichsam der Zusammenhalt der Gemeinde der Exilliteraten befördert, wie ein starkes Sendungsbewusstsein an die amerikanische Aufnahmegesellschaft hinsichtlich der kulturellen Leistungen und des ungeheuren Potenzials der Emigranten ausgestrahlt.
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Obwohl dem Selbstverständnis nach einem österreichischen Medium, bot die Zeitschrift auch Schriftstellern aus Deutschland ein Forum. Den Auftakt dazu machten die Kriegsepigramme von Bertolt Brecht173, die er als Serie eigens für die AAT schrieb und die später erst in seiner Kriegsfibel veröffentlicht wurden. Auch Elisabeth Freundlich berief sich in der Erinnerung gerne auf diesen Abdruck als Beispiel für den Stellenwert der Kulturbeilage der AAT.174 Zu den bekanntesten deutschen Beiträgern zählten darüber hinaus Heinrich Mann sowie Lion Feuchtwanger. Robert Breuer textete eine Kolumne, die bis zum Mai 1944 »New Yorker Sirk Ecke« genannt und danach auf die, den realen Lebensumständen angepasstere Bezeichnung »New Yorker Notizen« umadaptiert wurde. Nicht zufällig leitet sich der ursprüngliche Titel von Karl Kraus ab, dessen »Wiener Sirk Ecke« wir aus seinem Opus Magnum Die letzten Tagen der Menschheit kennen. Gleich jenem neuralgischen Punkt zum Austausch von Neuigkeiten, von Klatsch und Tratsch, ist auch Breuers Sirk Ecke zu verstehen. Er kommuniziert Leistungen wie Ehrungen der weltweit versprengten Schar von österreichischen Kunstschaffenden und glossiert Meldungen aus der amerikanischen Presse. Wehmütige Erinnerungen an Wien und dessen kulturelle Hochblüte am Rande der Apokalypse kulminieren in Elogen aus Anlass runder Geburtstage von vertriebenen Künstlern. Arnold Schoenbergs 70. Geburtstag wird in der AAT ebenso feierlich begangen175, wie Robert Breuer dem Komponisten Bruno Walter schriftlich zum Geburtstag gratuliert176, Berthold Viertel seine Wünsche anlässlich des 50. Geburtstags von Oskar Maria Graf in Gedichtform kleidet177 und Ludwig Ullmann eine Eloge auf den nunmehr 70jährigen ausgezeichneten Kenner der österreichischen Seele, Raoul Auernheimer verfasst.178 Besonders anrührend sind die Nachrufe auf jene, die — um mit Berthold Viertel zu sprechen — »wie von einer Liste abgelesen und die Klasse verlassen müssen«179. Und die Liste ist lang. Liest man die Texte anlässlich des Todes von Max Reinhardt180, Paul Stefan181, Alexander Granach182, Franz Werfel183, Roda Roda184, Julius Korngold185, Richard Beer-Hofmann186, dann klingt es wie ein Abgesang auf Österreich, wie es vor 1938 war. Hier ein Auszug des Nekrologs auf Bertha Zuckerkandl, verfasst von Ludwig Ullmann im Dezember 1945: Die Sonntag-Nachmittage »[…] in der Oppolzergasse« begleitete der Wiener Witz und der Wiener Neid. Egon Friedell sagte einmal, hier könne es einem passieren, unversehens mit Generalmusikdirektor Richard Wagner zusammenzutreffen oder mit Durchlaucht Buddha. In den drei kleinen Zimmern – denen die eigenwilligen Raumund Komfort-Ideen Josef Hoffmanns ein halb feierlich- stimmungsstrenges, halb gemütliches Gepräge gegeben hatten – gab es Jahrzehnte lang geistige Geselligkeit.187
Mit Beschwörungen der Atmosphäre der alten Welt war der geistige Weg zurück in Richtung Heimat zwar eingeschlagen, die tatsächliche Kontaktaufnahme mit den Daheimgebliebenen allerdings noch nicht erfolgt. Damit sind wir bei der 2. Funktion der AAT angelangt, bei ihren Botschaften nach Österreich.
Signale an die alte H eimat Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf das Bild des Insulanerdaseins, das die Gruppe rund um die AAT mitten in der riesigen Metropole am Hudson führte. Von dieser Insel aus, wurden allerdings Signale an die Außenwelt gesandt. Der spannungsstärkere und deshalb intensiver betriebene Funkspruch ging an Österreich — wo
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immer sich auch Kontakt aufnehmen ließ. Die erste Möglichkeit die sich dazu bot, war die Verteilung der AAT in amerikanischen Lagern für Flüchtlinge und Kriegsgefangene aus der alten Heimat. Die Probleme und Nöte dieser Leserschaft wurden in der Zeitschrift deshalb engagiert diskutiert. Im Fokus der Berichterstattung befindet sich das nahe New York gelegene Fort Ontario. Präsident Roosevelt ließ diesen »haven«, dieses Flüchtlingskamp in Oswego, New York, errichten und wollte damit seine flüchtlingsfreundliche Haltung dokumentieren. Von August 1944 bis 1946 waren dort 987 Flüchtlinge aus Österreich, Italien und Jugoslawien interniert.188 Einen weiteren Schwerpunkt machten die Berichte über das Leben in den Kriegsgefangenenlagern aus. Der folgenschwere Fehler, der den Verwaltern dieser Lager offenbar unterlief, war, bei der Auswahl der Internierten deren politische Gesinnung außer Acht zu lassen. Im Zuge des ereignislosen Campalltags brachen die Konflikte bald aus, lebten dort doch ehemalige Nazis mit Kriegsflüchtlingen und Deserteuren auf engstem Raum zusammen. Wie der AAT zu entnehmen ist, führten diese Rahmenbedingungen zu heftigen Auseinandersetzungen und psychologischem Terror. Die Berichterstattung setzt bei der Forderung nach einer Separierung der Gefangenen nach Herkunftsländern, vor allem Trennung der Österreicher von den Deutschen an.189 In der Folge kommt es zu Schilderungen der trostlosen Lagerexistenz und der psychischen Belastung aufgrund der gärenden nationalen Konflikte der Insassen.190 Im Falle der Flüchtlingslager wird vor allem auf den, nach wie vor gegebenen materiellen Mangel der Insassen trotz Versorgung mit dem existentiell Notwendigen191 und auf die demokratische Organisation des Camps Ontario192 hingewiesen. Im Rahmen einer Benefizveranstaltung sammelt die AAT Geld für die Österreicher im Flüchtlingslager193, nach 1945 werden die von der US-Regierung entlassenen und damit orientierungslosen Flüchtlinge vom Kreis der Exilanten rund um die AAT aufgenommen und finanziell unterstützt.194 Nachdem der Faschismus wie der Nationalsozialismus besiegt ist bzw. dessen Ende unmittelbar bevorsteht, stehen anno 1945 konstruktive Beiträge an der Tagesordnung. Die Hoffnung auf Mitgestaltung Österreichs nach der Zerstörung der Hitlerdiktatur wurden bereits 1943 geäußert: »Wir haben wahrlich keinen Grund in eine kritiklose Verherrlichung unseres Herkunftslandes zu verfallen. Aber wir sind der Überzeugung, dass die Erfahrungen die wir sammelten — viele gute und am Ende viele böse Erfahrungen — heute einen nützlichen Beitrag zur öffentlichen Diskussion über Kriegs- und Nachkriegsfragen liefern können.«195 Kein Wunder also, dass die Akteure der AAT ab November 1944 über die Zukunft Österreichs laut nachdenken. Wie könnte eine neue Regierung für das Land aussehen? Wie organisiert man die Entnazifizierung? Wie kann dieser gigantische Raubzug unter dem Titel »Arisierung« wieder gutgemacht werden? Diese Pläne und Visionen waren wohl nicht allein für die Gemeinde der Österreicher im Exil bestimmt. Vielmehr ist zu mutmaßen, dass damit ein Ruf in die Heimat, ein Wink, ein Handzeichen, um auf sich aufmerksam zu machen, beabsichtigt war. Mit Kriegsende beherrschen Berichte über die vier Besatzungsmächte und ihre Politik sowie über die Neuordnung Österreichs den politischen Teil. Die Reportagen und Augenzeugenberichte über die bittere Not und die Zerstörung des Landes sind als Dokumente einer tiefen inneren Verbundenheit mit der Heimat zu werten. Die Schilderungen beziehen sich dabei nicht nur auf Wien, sondern auch auf Innsbruck196, Graz197 und Salzburg198. Vor allem die Frage der Lebensmittelversorgung liegt den Österreichern in New York am Herzen:
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Es gibt seit Monaten keinerlei Obst oder Gemüse. Kartoffeln waren bis 9. Jänner in kleinen Mengen erhältlich, während der sechs Wochen meines Aufenthalts erhielt ich bei meinem Greißler nicht einen einzigen Erdapfel, obwohl ich mich sofort rayonieren liess. Für Erwachsene gibt es nicht einen Tropfen Milch. Man ist hungrig. Die Menschen sind mager und von einer durchsichtigen Blässe, die Kinder — besonders die Schulkinder — dünn mit dünnen Ärmchen und Beinchen und zeigen alle Erscheinungen von Apathie und Lustlosigkeit. […] Und diese Rationen sollen noch gekürzt werden.199
Auf die Worte sollten bald Taten folgen: Die AAT organisiert Benefizveranstaltungen, Weihnachtsbazare und Spendensammlungen. Auf diesem Weg der Hilfeleistung wurden erste Kontakte mit den Daheimgebliebenen geknüpft. Im Folgenden, gerafft wiedergegeben, ein Dankesbrief, in dem eine Mutter stellvertretend für ihren, des Schreibens noch unkundigen Sohn, dessen Lebens- und gleichzeitig Leidensweg erzählt: Als ich ein Säugling war, bis zu 4 ½ Monaten, ging es mir herrlich. Ich war sehr sorgsam gepflegt, immer sehr sauber und habe viel Sonne, Luft und viel Liebe von meinen Eltern bekommen. Dann kam ein sehr böser Tag, die Gestapo verhaftete meine Eltern. Ich war 4 ½ Monate alt und kam in ein Heim mit vielen Kindern und fremden, kalten Schwestern. […] Man wusch mich nur selten und gab mir noch seltener zu essen. So lag ich 7 Monate krank im Spital. […] Als ich 16 ½ Monate alt war, kam meine Mutti wieder. Niemand glaubte, dass ich sie noch sehen würde. Leider kam sie allein. Mein Papa ist knapp vor dem Einmarsch der Amerikaner in Dachau von den Nazis ermordet worden. Jetzt bin ich schon wieder ein Jahr bei meiner Mutter und bin sehr, sehr glücklich. […] Liebe Tante, lieber Onkel, liebe Freunde. Ihr könnt euch also vorstellen, wie ich euch danke für die guten Sachen und mit welchem Appetit ich sie verzehre. Euer Robert Schindel200
Die Intention, Hilfe zu leisten, schlägt sich übrigens nicht nur in der Berichterstattung nieder. Gewerbliche Einschaltungen von Transportfirmen, die Lebensmittel nach Österreich liefern, lassen den Anzeigenteil anschwellen. In Zahlen ausgedrückt: Im zweiten Halbjahr 1946 sind es durchschnittlich 2 ¼ Inseratseiten pro Heft. Im ersten Halbjahr 1948 sind es im Schnitt 6 ½ Seiten Anzeigen. Eine beliebte Formulierung dieser Inserenten ist jene der »Liebesgaben« für die Daheimgebliebenen in Österreich. Für die Nachgeborenen und damit die heutigen Leser dieser Inserate hinterlässt diese Wortwahl einen bitteren Beigeschmack. Einen Brückenschlag nach Österreich stellen die, ab Mai 1946 abgedruckten Suchmeldungen aus Österreich dar. Es handelt sich um Namenslisten von vermissten Menschen in Amerika und den nach ihnen Recherchierenden in Österreich, die via RAVAG im vergangenen Monat via Äther nach Amerika gesendet wurden. Die AAT fungiert nicht nur als Verbindungsstelle, indem sie die Adressen der Suchenden auf Anfrage bekannt gibt, sie widmet dieser Aufgabe auch erheblichen redaktionellen Raum: In der nächsten Nummer schwillt der Umfang für die Suchmeldungen auf bis zu 3 Seiten an201, pendelt sich aber schließlich bei einer halben Seite ein, die bis Jahresende 1946 abgedruckt wird. Abseits der Suche werden bald auch Grüße aus Österreich nach Amerika und auch retour übermittelt. Im Bemühen um den Dialog mit Österreich wird schließlich eine Vertriebsschiene nach Wien eröffnet: Ab November 1946 erschien die AAT in zwei getrennten Teilen. Die vollständige Zeitschrift — inklusive der amerikaspezifischen Texte — konnte nur in den USA bezogen werden, während Beiträge über Österreich bzw.
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Kurzfassungen der Berichte aus Amerika, die auch für die Wiener Leserschaft von Interesse sein könnten, in Wien, in der Buchhandlung Sexl am Ring erhältlich waren.202 Vereinzelt finden sich Leserbriefe aus Wien, die Hinweise auf die Rezeption der AAT durch Privatpersonen geben.203 Das wohl positivste Echo auf die Leistungen der Austro-Amerikaner ist jener berühmt gewordene Aufruf des Kulturstadtrats Viktor Matejka, in dem er die Vertriebenen zur Rückkehr auffordert204. Bekanntermaßen war dies das einzige Signal zur Heimkehr, das den Emigranten von Seiten des offiziellen Österreich übermittelt wurde.
Aufklärungsarbeit über das »wahre« Österreich Die Morsezeichen von der Insel der Austro-Amerikaner versuchten aber auch, die unmittelbare Umwelt und damit die Amerikaner auf sich aufmerksam zu machen. Zu den bereits im Selbstverständnispapier 1943 artikulierten Zielen zählten die Richtigstellung des Bildes von Österreich, die Demontage der rassistischen Lügengebäude des Hitlerreichs und die (An-)Erkennung der Austro-Amerikaner als kultureller Zugewinn für das Land205. In diesem Kontext sind wohl auch die Berichte über die Aktivitäten des Widerstands in Österreich und über Sabotageakte in kriegswichtigen Betrieben zu betrachten, die sich wie ein roter Faden durch die AAT ziehen. Der passive Widerstand, der als Resonanz auf die Untaten der NS-Diktatur an der Bevölkerung folgt, macht den Anfang der diesbezüglichen Berichterstattung.206 Zur Verstärkung des Eindrucks vom Terrorregime wird die technokratische Sprache der Nationalsozialisten wie sie in den Propagandablättern zu finden ist, regelmäßig in der Kolumne »Aus Oesterreich« illustriert. Hier ein Beispiel für eine dieser Kurzmeldungen: »O.W.I. gibt eine Nachricht aus dem ›Voelkischen Beobachter‹, Wiener Ausgabe, wieder. Der V. B. schreibt, dass man zwar ›allen Beduerfnissen der Pietaet gerecht werden‹ muesse, dass aber die amtliche Vorschrift für die ›entsprechenden Rationierungen der Leichenbefoerderung zu den Friedhoefen‹ verstanden werden muesse.«207 Die Berichte über Sabotageakte und Aktivitäten im Widerstand werden postwendend mit Durchhalteappellen an die Kämpfer im Untergrund beantwortet.208 Mögen diese symbolischen Nachrichten aus der Zwischenwelt beim Adressaten auch nicht eintreffen, das amerikanische Umfeld kann den in englischer Sprache gehaltenen Text sehr wohl verstehen. Im April 1944 erschien eine Informationsbroschüre, die in englischer Sprache gehalten und nicht zufällig mit News-Letter for American Friends of Independent Austria bezeichnet wurde. Die Intention dahinter wird wie folgt artikuliert: »Die Austro American Tribune versendet Informationsbriefe an amerikanische Freunde Österreichs um sie über die Situation in Österreich selbst und über allgemein politische Fragen, die damit verbunden sind, zu informieren.«209 Die Leser sind dazu aufgerufen potenzielle Adressaten aus ihrem Bekanntenkreis zu nennen. Ab Jahresmitte 1944 werden die Entwicklungen an der Kriegsfront fokussiert. Tenor dabei: Die Österreicher sind eine Nation der vom Krieg Ermüdeten, Ausgebeuteten und die Waffen Niederlegenden. So druckt die Zeitschrift etwa eine Meldung einer schwedischen Zeitung über »Partisanen und Meuterer« aus und in Österreich ab210 oder meldet — basierend auf den Informationen des »Senders Österreich« — dass »österreichische Offiziere zur Besinnung kommen«211 und schließlich ihren Gehorsam verweigern212, während die Bevölkerung in Graz, Wien und Steyr den offenen Aufstand und Kampf gegen die Nazischergen nicht mehr scheut.213 Wie oben-
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liegendem Hinweis zu entnehmen ist und auch bereits durch die Exilforschung festgehalten wurde214: Die Exilpresse ist als »Journalismus aus zweiter Hand« zu verstehen. Die Beiträger waren auf Informationen von anderen Medien, Nachrichtenagenturen oder Augenzeugenberichten angewiesen. Als Quelle für nNachrichten zitieren die Autoren der AAT stets den »Sender Österreich«, der vom österreichischen Widerstand betrieben wurde. Berichte über den Frontverlauf entstammen Agenturen wie TASS, Reuters, vielfach auch Schwedischen Zeitungen, dem »Sender Moskau« und nicht zuletzt der Radiomeldungen der BBC. Strahlkraft gewinnt das Bild vom »richtigen« Österreich aber erst durch die Kulturberichte. Die Informationen über den Verbleib, die Arbeit wie den Erfolg von emigrierten Künstlern dient zweifelsohne nicht nur der Kommunikation nach Innen. Vielmehr sind dies ebenso Bemühungen um die Amerikaner um auf die Geistesgrößen in ihrem Land aufmerksam zu machen. In ihrem Bestreben um Informationstransfer und Aufklärung entwickelten die Redakteure der AAT allerdings bald einen Zug, der ihnen zum Nachteil gereichen sollte. Dies ist auch meine Überleitung zum letzten Teil, zu den Wirkungen und vielfach unbeabsichtigten Folgen des journalistischen Handelns der AAT, um auf mein Bild vom abgeschlossenen Raum, von der Luftblase, in der die Emigranten lebten, zurückzukommen. In Unkenntnis der Atmosphäre auf der anderen Seite der Wand, verursachte diese Gruppe eine Erhöhung des Drucks von außen.
Die Wirkungen der AAT Für den Großteil der Emigranten erfolgte die Flucht aufgrund der Nürnberger Rassegesetze. Kein Wunder deshalb, dass die Sensibilisierung für Minderheiten und soziale Randgruppen groß war. Gleich einem Seismograph verfügten die vertriebenen Österreicher rund um die Zeitschrift über ein fein ausgeprägtes Sensorium für jede Form der Diskriminierung. Der Zeiger schlug angesichts der Lebensrealität der Farbigen im einst als so frei und demokratisch gepriesenem Amerika215 bald aus. Die AAT mutierte zu einer Kämpferin für die Rechte der »coloured people« wie der Mexikaner. So hebt John Strauss in seinem Essay über die Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppen in den Südstaaten an: »Regardless of any Supreme Court decision and any laws that may be passed by Congress, we of the South will maintain our political and social institution of our people.« Your first impression after reading these words is that they must have been spoken by some Southern politician shortly before the Confederates fired on Fort Sumter. You are wrong. The year is 1944 and the man who spoke thus is Senator Burnet Maybank of Southern Carolina.216
Nicht zuletzt wird natürlich die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung angeprangert.217 Ebenso streitbar zeigte sich das Blatt auch im Interesse der Arbeiterklasse. Der Kampf für die Rechte der Arbeiter wurde Programm. Verfechter dieser Interessen war die Gewerkschaftsorganisation »Austro American Trade Union Committee for Victory«, die auf Anregung amerikanischer Gewerkschafter gegründet wurde.218 Wie Michael Winkler in seiner Studie zur Exilmetropole New York anmerkt: »Der ›Durchschnittsamerikaner‹ reagierte gereizt auf Kritik von ›Ausländern‹, besonders wenn sie öffentlich artikuliert wurde.«219 Viel schlimmer aber: Die »Tribune« lenkte das Interesse wie das Missfallen der US-Regierung in der Ära McCarthy auf
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sich. Aufschluss darüber geben die Akten der »Foreign Nationalities Branch«, des »Center of Information« bzw. des »Office of Strategic Services«. Diese Einheit des US-Geheimdienstes zeichnete für die Überwachung der ausländischen Gruppierungen in den USA zuständig. Aus den bislang gesichteten Aktenbeständen lässt sich ablesen, dass die Wahrnehmung der Organisation äußerst wandelbar war. Zu Beginn erhalten die österreichischen Kommunisten im Exil das Etikett einer marginalen Gruppe. 1944/45 ist plötzlich von der Gruppierung mit der größten Anhängerschaft aus Österreich die Rede.220 Wie sich den Akten entnehmen lässt, waren Mitarbeiter des Geheimdienstes bei Veranstaltungen der AAT stets als stille Beobachter mit dabei bzw. wurden von Informanten über deren Verlauf in Kenntnis gesetzt.221 Gegen Ende des Krieges nahm der Antikommunismus in Amerika in der Innenwie Außenpolitik erheblich zu. Damit gerieten die Kommunisten mehr und mehr ins Visier des FBI. Bekannt ist gegenwärtig, dass zahlreiche Mitarbeiter der AAT anno 1948 vor den Ausschuss »on Unamerican Activities« geladen wurden. Abseits des sozialen Drucks, unter dem die Verdächtigten standen, wurden die politischen Aktivitäten auch ökonomisch geahndet: In der Regel kam es zum Verlust des Arbeitsplatzes.222 Vor diesem historischen Hintergrund ist wohl die Prinzipienerklärung in einer der letzten Ausgaben der AAT im Juni 1948 zu betrachten. Als verbindendes Element wird nur mehr die Definition als Austro-Amerikaner angeführt: Dieses Amerika nahm uns auf und beschützte uns. Ihm haben wir eine grosse Dankesschuld abzutragen. Ihm müssen wir uns in unserem eigenen Interesse anschließen. Ihm müssen wir beweisen, dass wir nicht seine schlechtesten Bürger sind, wenn es darauf ankommt, die Tradition der Freiheit, der Menschenwürde und des friedlichen Fortschritts, an der es entstand und gross wurde, fortzusetzen.223
Damit beugten sich die verbliebenen Redakteure der Zeitschrift den Erwartungen der Aufnahmegesellschaft und gingen auf im Land der Immigranten, im Schmelztiegel USA. Wilhelm Gründorfer ist — wie bereits erwähnt — zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr Chefredakteur: Er remigrierte 1947 nach Wien und legte seine Funktion laut Impressum, in dem er im Mai 1946 letztmalig aufscheint224, ab diesem Zeitpunkt zurück. Ab Januar 1947 wird Alfred Hornik im Impressum der Zeitschrift als Editor angeführt. Alfred Adolf Hornik wurde am 30. Juni 1923225 als 2. Kind in einem Elternhaus mosaischen Glaubens geboren. Sein Vater Emmerich Hornik wurde am 7. Oktober 1891, seine Mutter Elisabeth Hornik, geb. Kornfeld am 22. April 1894 geboren. Zum Zeitpunkt der Geburt von Alfred Hornik wohnte die Familie in der Franzensgasse 8 im 5. Bezirk in Wien.226 Bis zu ihrer Vertreibung war die Familie in der Streichergasse 5/17 im 3. Bezirk gemeldet. Am 28. Oktober 1938 erfolgte die Abmeldung mit der Angabe des neuen »Wohnortes« New York.227 Alfred Hornik war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Auf der Passagierliste des Schiffs, mit dem die Familie am 10. November 1938 in New York eintrifft, scheinen neben Alfred Hornik sein Vater Emmerich Hornik (47), seine Mutter Elisabeth Hornik (44), seine Schwester Gertrude Hornik (16) sowie ein verwandtschaftlich nicht näher zu bestimmender Sander Hornik (53) auf.228 Als »last permanent residence« wird Wien angeführt, die Einreiseerlaubnis wurde auch am 10. April 1938 in Wien ausgestellt. Ausgangspunkt der Passage nach New York war der französische Hafen Le Havre. Als Bürge für das Affidavit scheint Irene Brunner auf.229 Nach vier Jahren Highschool tritt Alfred Hornik am 18. Februar 1943 in die US Army ein.230 Trotz seiner offenen Deklarierung als Chefredakteur der AAT zeichnet Alfred Hornik im Laufe seiner journalisti-
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schen Karriere in der AAT lediglich 11 Artikel. Vor dem Hintergrund der Gepflogenheit Artikel im politischen Teil der Zeitschrift anonym abzudrucken, ist allerdings von umfangreicheren Beiträgen Horniks auszugehen. Bei seinen gezeichneten und damit ihm zuzuordnenden Beiträgen handelt es sich weniger um Texte politischprogrammatischen Inhalts, sondern um Prosa. Er bricht auf diese Weise auch im journalistischen Output die von seinem Vorgänger Gründorfer gepflegte Tradition des Verfassens eines Leitartikels auf. Aber auch in Österreich wurde die AAT nicht immer positiv rezipiert. Nachdem eine Handreichung in Richtung der Vertriebenen von Seiten des offiziellen Österreich ausblieb, fand die Enttäuschung darüber im Blatt ihren Niederschlag. Konkret sind es Berichte über den technokratischen Umgang mit Heimgekehrten. Beißende Kritiken über die politischen Entscheidungen. Am bittersten aber klingen die Hinweise auf die versäumte bzw. viel zu kurz gegriffene Entnazifizierung. Im November 1947 berichtet die AAT über die Besetzung eines Postens im Innenministerium mit einem Nazi. Dieser könne künftig ja auch die Entnazifizierungsgesuche bearbeiten, höhnt man in Richtung Österreich.231 Die Reaktionen aus Österreich ließen nicht lange auf sich warten. Die Arbeiterzeitung antwortet mit einer Glosse, die den Emigranten verdeutlicht, wie in Österreich über Emigranten mit kommunistischem Hintergrund gedacht wird. Unter den kommunistischen Blättern, die in der Welt gegen Österreich hetzen, ist die »Austro American Tribune« die Monatsschrift der in den ›goldenen Westen‹ geflüchteten kommunistischen Emigranten aus Österreich in New York eines der übelsten. Jede Nummer ist voll von gehässigen Entstellungen und Lügen, die darauf abzielen, dem Ansehen Österreichs im Ausland zu schaden. Gesichert im Schutze der verachteten westlichen Demokratie mit ihrer Pressefreiheit, von niemand zur Rechenschaft gezogen, legen sich die kommunistischen Verleumder im Ausland nicht einmal die geringe Hemmung auf, zu der sie hier gezwungen sind.232
Den Stereotyp von den wohlhabenden österreichischen Emigranten im reichen Amerika bedient ein Beitrag der Arbeiterzeitung, der auf einen vorangegangenen Spendenaufruf in der AAT Bezug nimmt. In einem Brief aus Wien wandte sich der Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka an den »Austro American Council« und ersuchte um Unterstützung für notleidende antifaschistische Künstler. Die AAT richtete daraufhin einen Appell zur Übermittlung von Lebensmittelspenden an ihre Leserschaft.233 Die Arbeiterzeitung wettert in ihrem Beitrag vorderhand gegen Matejka, tut im Subtext aber auch ihre Meinung über die vertriebenen Österreicher kund: Also während die Proleten, die kommunistischen wie die sozialistischen, in Wien wirklich Hunger leiden, appelliert der Kommunist Matejka an Tränendrüsen und Geldbeutel der amerikanischen Kapitalisten — für seine persönlichen Freunderln und Protektionskinder! […] Mit derlei verlogenen Briefen verbindet die kommunistische Propaganda zweifellos die Absicht, in der Welt glauben zu machen, Österreich und Wien lassen die braven antifaschistischen Künstler verrecken — natürlich, in Österreich sind ja »die Nazi obenauf‹ und der arme Matejka muß sich an die ›Dollarimperialisten‹ wenden, wenn er für seine Schützlinge einen Bissen Brot haben will.234
Der Beitrag endet mit dem Hinweis darauf, dass die AAT, die wie bereits erwähnt nur in gekürzter Form in Wien erhältlich war, eben diesen »Hilferuf aus Wien« in der Österreichausgabe nicht abdruckte und damit der Verdacht der kommunistischen
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Zensur nahe liege. Die AAT repliziert in der nächsten Ausgabe auf die Anschuldigung der Zensur mit einer Erklärung der Erscheinungsweise und deren Ursachen. Auf die Zuschreibung »Dollarimperialisten« geht der Text allerdings nicht ein.235 Die Emigranten erfahren also auch einen Gegendruck aus Österreich. Diese Einwirkungen aus zweierlei Richtung sind es wohl, die den Leser- und Mitarbeiterkreis zu einer Entscheidung zwingen. Heimkehr oder Verbleib in den USA? Eine wichtige organisatorische Triebkraft wie Wilhelm Gründorfer kehrt bereits 1947 nach Österreich zurück. Einige fliehen noch 1948 aufgrund der Ladung vor das House Committee on Unamerican Activities. Für all jene die ihr weiteres Leben in Amerika verbringen wollen, verlieren die AAT und ihre Inhalte an Bedeutung. Wie Gründorfer in einem Interview berichtet, gab es über die Frage der Rückkehr keinen offiziellen Diskurs.236 Diese lebenswichtige Entscheidung musste jeder alleine, mit sich und seinem Gewissen ausmachen. Damit steigt auch der Druck im Inneren der Emigrationsblase und bringt das Projekt schließlich zum Platzen. Ohne große Vorankündigung mutiert die AAT im September 1948 zum Forum und Tribüne.
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Berthold Viertel: »Spätes Tagebuch«. In ders.: Die Überwindung des Übermenschen (Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1989), S. 247. Berthold Viertel: »Zwischenwelt« (1939). In Gerhard Hirschfeld: Exil in Großbritannien: zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland (Stuttgart: Klett-Cotta 1983), S. 50. Lion Feuchtwanger: Exil. 1. Auf. (Berlin: Aufbau Taschenbuch, 2002), S. 635f Auch fasste Lion Feuchtwanger die historisch in der Weimarer Republik bzw. in der NS-Zeit zu verortenden Romane Erfolg, Die Geschwister Oppermann und Exil unter dem Sammelbegriff »Wartesaal-Trilogie« zusammen. Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. 1. Aufl. (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983), Bd. 2, S. 142. Oskar Maria Graf: Die Flucht ins Mittelmäßige (Frankfurt a.M.: Nest Verlag 1959). Wolfgang R. Langenbucher u. Fritz Hausjell (Hg.): Vertriebene Wahrheit. Journalismus aus dem Exil (Wien: Ueberreuter 1995), S. 24ff. Nur wenige überschritten die Grenze der 3jährigen Erscheinungsdauer. Die AAT erschien immerhin 5 Jahre. Vgl. Susanne Held: Österreichischer Journalismus im US-amerikanischen Exil. Exilzeitschriften-Bibliographie, Journalist(inn)en-Biographien sowie Anmerkungen zu den Erfahrungen und Lebensbedingungen österreichischer Exiljournalist(inn)en in den USA (1936 bis 1948). DA Wien 1991, S. 80ff. Diplomarbeit Wien 1991. Die weiteren Ausführungen folgen einer Überblicksdarstellung der Publikationstätigkeit sämtlicher österreichischer Exilorganisationen. Vgl. Benjamin Link: Die österreichische Emigrantenpresse in den Subkulturen von New York City 1942 bis 1948. Inhalts- und Strukturanalyse der Anpassungsleistung und des politischen Inhalts. Diss. Salzburg 1972, S. 61ff. Dok. 149, zit. nach: Österreicher im Exil. USA 1939-1945: eine Dokumentation. Hg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (=DÖW). Einleitungen, Auswahl u. Bearbeitung v. Peter Eppel (Wien: Österreichischer Bundesverlag 1995), Bd. 2, S. 232. Vgl. ebd. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹. Erinnerungen von Dr. Wilhelm Gründorfer (Wien) an die Zeit als Chefredakteur der New Yorker Exilzeitschrift Austro American Tribune«, IwK: Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Nr. 3 (1989), S. 28. AAT (Feb. 1944), S. 2. Archiv der Universität Wien: Rigorosen Protokoll der Medizinischen Fakultät, Jacob Ausländer.
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Ebd. National Archives Washington, Passenger Record Ellis Island, Ausländer Jakob, Nr. 192.168.4.71. Who’s who in American Jewry. 2nd ed. (NY: The Jewish Biographical Bureau 1928). Bezug genommen wird hier auf die auf dem Einwanderungsformular abgedruckte Frage nach der antikommunistischen Orientierung, National Archives Washington. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW): Interviewsammlung, Interviewtranskript: Cilly Ausländer, Nr. 233 (interviewt von Hans Schafranek), 1983, Teil 1, S. 31f. »Dr. Jacob Auslander Dies at 61. Chief of Arthritis Clinic here«, New York Times (=NYT), 4. Juni 1958, S. 33. »Barsky, 10 Aides Sent to Prison, Fined for Contempt of Congress«, NYT, 17. Juli 1947, S. 1. Ebd., S. 11. Howard Fast: »In den Kerker! Offener Brief von Howard Fast«, AAT (Juli 1948), S. 7. Der »jüngst« datierte Brief mit entsprechendem Briefkopf datiert mit Juli 1945. Vgl. Briefwechsel Ernst Karl Winter-Ernst Epler, DÖW, Akt Nr. 15060/2. AAT (Okt. 1943), S. 9; (Nov. 1943), S. 13; (Jan. 1944), S. 17; (Feb. 1944), S. 16; (März 1944), S. 18; (Apr. 1944), S. 12; (Mai 1944), S. 4; (Juni 1944), S. 2; (Juli 1944), S. 2; (Aug. 1944), S. 10; (Sept. 1944), S. 16; (Okt. 1944), S. 15; (Nov. 1944), S. 15; (Dez. 1944), S. 2; (Jan. 1945), S. 14; (Feb. 1945), S. 15. »Dr. Jacob Auslander Dies at 61« (wie Anm. 19), S. 33. »PCA Assails Penalty on Bradley of N.Y.U.«, NYT, 23. Juli 1947, S. 21. Howard Fast: »In den Kerker!« (wie Anm. 22), S. 7. Ebd. »2 Groups At N.Y.U. Back Prof. Bradley. Students Urge Reinstatement of German Department Head at Washington Square«, NYT, 29. Okt. 1947, S. 2. Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Archiv der Universität Wien: Rigoroses Protokoll der Medizinischen Fakultät, Wilhelm Gründorfer. Wilhelm Gründorfer: »Mein Studium der verschiedenen Dinge ist zu Ende«. In Schreiben im Widerstand. Österreichische Publizisten 1933-1945. Hg. Manfred Bobrowsky (Wien: Picus 1993), S. 147. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Hg. Susanne Blumesberger, Michael Doppelhofer, Gabriele Mauthe u.d. Österreichische Nationalbibliothek (München: K. G. Saur 2002), S. 472. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 27. Archiv der Universität Wien: Disziplinarakt der Universität Wien, Gründorfer, Kunewälder und Zimmermann. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 27. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33). Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Ebd. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 27. Ebd. DÖW: Interviewsammlung, Interviewtranskript: Wilhelm Gründorfer, 1984, Teil 4, S. 19ff. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33). Wilhelm Gründorfer: »Mein Studium der verschiedenen Dinge« (wie Anm. 32), S. 159. Ebd., S. 21ff. DÖW: Interviewsammlung, Interviewtranskript: Wilhelm Gründorfer, Teil 6, S. 3. Wilhelm Gründorfer: »Mein Studium der verschiedenen Dinge« (wie Anm. 32), S. 159f. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33). DÖW: Interviewtranskript: Wilhelm Gründorfer, Teil 5, S. 1, 13, 16. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 28ff.
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AUSTRO AMERICAN TRIBUNE Wilhelm Gründorfer: »Mein Studium der verschiedenen Dinge« (wie Anm. 32), S. 167f. Interview der Autorin mit seinem Sohn Dr. Stephan Gründorfer am 28. Dez. 2005. Wilhelm Gründorfer: »Mein Studium der verschiedenen Dinge« (wie Anm. 32), S. 171. Vgl. Hans Wolfgang: »Die Kriegsschuldfrage. Verantwortung und Mitschuld«, AAT (Feb. 1944), S. 2; vgl. ders.: »Zur Mitschuld Österreichs: Reinigen oder Weisswaschen«, AAT (Apr. 1945), S. 2. Vgl. Hans Wolfgang: »Sind die Juden ein Volk?«, AAT (Aug. 1944), S. 2; vgl. ders.: »Sind Sie Jude?«, AAT (Juli 1944), S. 2; vgl. ders.: »Antisemitismus nach dem Kriege«, AAT (März 1944), S. 2. Vgl. Hans Wolfgang: »Zur Außenpolitik Österreichs. Zwischen zwei Stühlen«, AAT (Juni 1946), S. 2; ders.: »Österreich steht vor der Wahl«, AAT (Jan. 1946), S. 2; ders.: »Christlichsoziale Partei – österreichische Volkspartei«, AAT (Aug. 1945), S. 2. Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33). Ebd. Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. DÖW: Interviewsammlung, Interviewtranskript: Ernst Epler (interviewt von Hans Safrian), 1984, Teil 1, S. 2. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33), S. 282. Ebd. Archiv der Universität Wien: Studienbuchblatt der Universität Wien. DÖW: Interviewtranskript Ernst Epler, Teil 1, S. 16. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33), S. 282. Archiv der Universität Wien: Disziplinarakt der Universität Wien, Ernst Epler. Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33), S. 282. Ebd. Ebd. Telefongespräch der Autorin mit Prof. Thomas Schönfeld am 5. Dez. 2004; vgl. auch Brief von Ernst Epler an Ernst Karl Winter am 10. Nov. 1945, S. 1, DÖW Akt Nr. 15 060/2. Vgl. Briefwechsel: Ernst Karl Winter – Ernst Epler, DÖW Akt Nr. 15 060/2. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft (wie Anm. 33), S. 282. National Archives Washington: Social Security Administration, Social Security Death Index Record Vera Ponger. Matrike der jüdischen Kultusgemeinde in Wien. Meldeauskunft Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Matrike der jüdischen Kultusgemeinde Wien zu Kurt Leopold Ponger. Meldeauskunft Personal- und Meldedaten des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Vgl. Werner Röder u. Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 (München: K. G. Saur 1980), Band 1, S. 571. National Archives Washington, Boston Passenger Lists, 1820–1943: Boston. Massachusetts. Passenger Lists of Vessels Arriving at Boston, Massachusetts, 1891-1943, Record about Kurt Ponger. Vgl. George Carpozi, Jr: Red Spies in Washington (NY: Trident Press 1968), S. 33. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. ebd.; vgl. N. N.: »Witnesses Held in Vienna«, New York Times, 16. Jan. 1953, S. 3. Ebd. Ebd. Vgl. Marietta Bearman, Charmian Brinson, Richard Dove, Anthony Grenville u. Jennifer Taylor: Wien – London, hin und retour. Das Austrian Centre in London 1939 bis 1947 (Wien: Czernin 2004). Vgl. DÖW (Hg.): Österreicher im Exil: USA, 1938-1945: eine Dokumentation (Wien: Österreichischer Bundesverlag 1995), Bd. 2, S. 641.
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DÖW (Hg.): Österreicher im Exil 1934 bis 1945. Protokoll des Internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945 abgehalten vom 3. bis 6. Juni in Wien (Wien: Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, 1977), S. 244, zit. nach: DÖW (Hg.) 1995, S. 642. National Archives Washington: U.S. World War II Army Enlistment Records, 1938-1945, Electronic Army Serial Number Merged File Kurt Ponger, 1938 – 1945. Vgl. Carpozi (wie Anm. 81), S. 35. Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl vom 28. Mai 1947; Brief von Hanns Sexl an Vera Ponger vom 15. Jan. 1947, S. 2; Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl vom 25. Nov. 1946, S. 2; Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar (=DLA), Nachlass Kurt Ponger. N. N.: »Witnesses Held in Vienna« (wie Anm. 83). Brief Kurt Ponger an Hanns Sexl, 29. Aug. 1947, Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl, 28. Juni 1947, Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl, 16. Feb. 1947, Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl. 25. Nov. 1947, Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl, 19. Okt. 1946, DLA, Nachlass Kurt Ponger. Vgl. Röder/Strauss (wie Anm. 79). Vgl. Carpozi (wie Anm. 81), S. 36. Brief von Vera Ponger an Hanns Sexl vom 25. Nov. 1946, DLA, Nachlass Kurt Ponger. Geburtsanzeige Elizabeth Juliet Ponger, DLA, Nachlass Kurt Ponger. Vgl. Carpozi (wie Anm. 81), S. 36. Vgl. Röder/Strauss (wie Anm. 79). Vgl. Carpozi (wie Anm. 81), S. 36. Eine detaillierte, im Kontext wenig relevante Beschreibung der Aktionen und Begegnungen findet sich bei Carpozi (wie Anm. 81), S. 37ff. Ebd., S. 48; vgl. Huston: New York Times, 16. Jan. 1953, S. 1. Ebd., S. 48; Huston, ebd., S. 1, 3; N. N.: »US Court sets $50,000 Bail For Ex G.I.’s Held as Spies«, New York Times, 16. Jan. 1953, S. 1, 3. N. N.: »Second Spy Pleads Guilty On Red Plot«, New York Times, 15. Apr. 1953, S. 17. Vgl. Carpozi (wie Anm. 81), S. 58. National Archives Washington, Social Security Death Index Record about Vera Ponger, Standesamt Alsergrund Akt Nr. 808/57. Vgl. Carpozi (wie Anm. 81), S. 58f. Vgl. Röder/Strauss (wie Anm. 79). Matrike der jüdischen Kultusgemeinde Wien zu Kurt Leopold Ponger. Vgl. Röder/Strauss (wie Anm. 79). »Ein Geburtstagsgeschenk«, AAT (Aug. 1943), S. 6ff. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 28. AAT (Dez. 1945), S. 16. Vgl. Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch. 27. Aufl. (München: Langen Müller 2004), S. 65. AAT (Nov. 1945), S. 16. Ebd., S. 6. Ebd., S. 8. Brief von Ernst Epler an Ernst Karl Winter vom 12. Dez. 1946, S. 1. DÖW Akt Nr. 15060/2. Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 28. Brief von Ernst Epler an Ernst Karl Winter vom 12. Dez. 1946, S. 1 (wie Anm. 118). Wilhelm Gründorfer: »Mein Studium der verschiedenen Dinge« (wie Anm. 32), S. 166. N.W. Ayer & Sons Directory: Newspapers and Periodicals 1948 (Philadelphia: N.W. Ayer 1948), S. 1243. »Zwischenrufe«, AAT (Juni 1944), S. 9. Elisabeth Freundlich: »Flüchtlingsgespräche aus heutiger Sicht«. In Österreicher im Exil 1934 bis 1945 (wie Anm. 9), S. 528. Hermann Broch: Briefe: Dokumente und Kommentare zu Leben und Werk (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981), Bd. 2, S. 370.
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126 Brief von Raoul Auernheimer an Elisabeth Freundlich, 9. Mai 1945, DLA, Nachlass Elisabeth Freundlich, A: Freundlich, Zugangsnr. 76.709/5, S. 1. 127 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 16. Dez. 1943, ebd., Zugangsnr. 76.726/7, S. 2. 128 Vgl. Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 25. Jan. 1943, ebd., Zugangsnr. 76.726/1, S. 1. 129 Ebd., S. 2. 130 Ebd. 131 Brief von Alfred Polgar an Elisabeth Freundlich, 23. Feb. 1943, ebd., Zugangsnr. 76.716, S. 1f. 132 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 8. Juli 1943, ebd., Zugangsnr. 76.726/3, S. 2. 133 Ebd., S. 2. 134 Ebd. 135 Brief von Alfred Polgar an Berthold Viertel, 2. Juli 1943, DLA, Nachlass Salka Viertel, A: Viertel, Salka, Zugangsnr. 69.2663/16, S. 2. 136 AAT (Nov. 1943), S. 2. 137 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 8. Nov. 1943 (wie Anm. 126), Zugangsnr. 76.726/4, S. 1f. 138 Ebd., S. 3. 139 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 16. Nov. 1943 (ebd.), Zugangsnr. 76.726/5, S. 1f. 140 Wilhelm Gründorfer: » ›…irgendwie doch einen Erfolg gehabt‹ « (wie Anm. 11), S. 31. 141 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 18. Nov. 1943 (wie Anm. 126), Zugangsnr. 76.726/6, S. 1. 142 Ebd. 143 Brief von Alfred Polgar an Berthold Viertel, 25. Nov. 1943 (wie Anm. 135), Zugangsnr. 69.2663/18, S. 1. 144 Ebd., S. 2. 145 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 16. Dez. 1943 (wie Anm. 126), Zugangsnr. 76.726/7, S. 1. 146 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 3. Jan. 1944, ebd., Zugangsnr. 76.727/1, S. 2f. 147 Ebd. 148 Ebd. 149 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 20. Jan. 1944, ebd., Zugangsnr. 76.727/2, S. 1f. 150 »Anfang. Österreichische Blätter«. Manuskript, ebd., Zugangsnr. 76.734. 151 Brief von Berthold Viertel an Elisabeth Freundlich, 21. Jan. 1944, ebd., Zugangsnr. 76.727/4, S. 1. 152 Michael Winkler: »Metropole New York«. In Metropolen des Exils. Hg. Claus-Dieter Krohn (München: Text + Kritik 2002), S. 179. 153 Franzi Ascher-Nash: »Alltag in Amerika. Die heilige ›Cup of Coffee‹ «, AAT (Sept. 1944), S. 16. 154 Franzi Ascher-Nash: »Alltag in Amerika. Der letzte Schrei – der atonale Pelz«, AAT (Nov. 1945), S. 16. 155 Franzi Ascher-Nash: »Alltag in Amerika. Vom Altern und der Langeweile«, AAT (März 1946), S. 16. 156 Vgl. Lieselotte Maas: »Einführung in die deutsche Exilpresse, insbesondere in ihre erste Etappe von 1933 bis 1939. Voraussetzungen, Wesen, Geschichte«. In ders.: Handbuch der deutschen Exilpresse 1933-1939. Bd. 4: Die Zeitungen des deutschen Exils in Europa von 1933 bis 1939 in Einzeldarstellungen (München/Wien: Hanser 1990), S. 13. 157 Vgl. Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933 – 1950. Bd. 4: Exilpresse (Stuttgart: J.B. Metzler 1978).
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158 Vgl. Wolfgang Duchkowitsch: »Exilpresse«. In Zeitungswörterbuch. Sachwörterbuch für den bibliothekarischen Umgang mit Zeitungen. Hg. Hans Bohrmann u. Walter Ubbens (Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1994), S. 72. 159 Markus Behmer: »Trotzdem Schreiben. Zur Exilpublizistik während der NS-Zeit«. In Deutschland im Dialog der Kulturen. Medien – Images – Verständigung. Hg. Siegfried Quandt u. Wolfgang Gast. Schriftenreihe der dt. Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 25 (Konstanz: UKV Medien 1998). 160 »Unser Weg«, AAT (Juli 1943), S. 2. 161 »Was wir wollen«, AAT (Juli 1943), S. 13; »Was wir wollen«, AAT (Feb. 1945), S. 4. 162 »Was wir wollen«, AAT (Mai 1948), S. 1. 163 »Was wir wollen«, AAT (Juli 1943), S. 13. 164 »The Editors of the Young Austro American: Missing the ›Young Austro American‹?«, AAT (Apr. 1944), S. 11. 165 Vgl. Siglinde Bolbecher u. Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur (Wien: Deuticke 2000), S. 317f. 166 F. C. Weiskopf: »Die Unbesiegbaren«, AAT (Nov. 1945), S. 11. 167 F. C. Weiskopf: »Viel Lärm um Skutari«, AAT (Feb. 1946), S. 11. 168 Ernst Waldinger: »Hof in Neulerchenfeld«, AAT (Sept. 1945), S. 7. 169 Berthold Viertel: »Drei Gedichte«, AAT (Mai 1945), S. 9. 170 Ernst Lothar: »Der Gefangene«, AAT (Juni 1945), S. 7f. Ludwig Ullmann: »Ein österreichischer Michael Kohlhaas«, AAT (Juni 1945), S. 7. 171 Franz Theodor Csokor: »Der verlorene Sohn«, AAT (Dez. 1944), S. 9f. F. B.: »Der verlorene Sohn«, AAT (Dez. 1944), S. 9. 172 Franz Werfel: »Jacobowsky und der Oberst«, AAT (Apr. 1944), S. 7f. Ludwig Ullmann: »Werfels Tragikomödie eines Emigranten«, AAT (Apr. 1944), S. 7. 173 Bertolt Brecht: »Und siehe, es war schlecht«, AAT (Feb. 1944), S. 7; AAT (März 1944), S. 9; AAT (Juni 1944), S. 7. 174 Elisabeth Freundlich: »Flüchtlingsgespräche aus heutiger Sicht« (wie Anm. 89), S. 515. 175 Robert Breuer: »Arnold Schoenberg — Zum 70. Geburtstag«, AAT (Sept. 1944), S. 7. 176 Robert Breuer: »Bruno Walter«, AAT (Feb. 1944), S. 9. 177 Berthold Viertel: »Wir sind Gefangene«, AAT (Aug. 1944), S. 6. 178 Ludwig Ullmann: »Auernheimer Siebzig«, AAT (Mai 1946), S. 8. 179 Berthold Viertel: »Reserl«. In ders.: Die Kindheit eines Cherub. Autobiographische Fragmente. Studienausgabe Bd. (Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1991), S. 241. 180 Ludwig Ullmann: »Max Reinhardt – der große Österreicher«, AAT, Beilage: Kunst, Literatur, Musik (Dez. 1943), S. 1f. 181 Ludwig Ullmann: »Der Tod Paul Stefans«, AAT, Beilage: Kunst, Literatur, Musik (Dez. 1943), S. 6. 182 »Alexander Granach gestorben«, AAT (Apr. 1945), S. 11. 183 Ernst Lothar: »Totenrede auf Franz Werfel«, AAT (Okt. 1945), S. 7. 184 Ulrich Becher: » ›Vaeterchen‹. Erinnerungen an Roda Roda«, AAT (Okt. 1945), S. 8. 185 Max Graf: »Julius Korngold«, AAT (Nov. 1945), S. 8. 186 Ludwig Ullmann: »Letztes Gespräch mit Beer-Hofmann«, AAT (Nov. 1945), S. 9. 187 Ludwig Ullmann: »Geselligkeit in der Oppolzergasse. (Zum Tode Bertha Zuckerkandls)«, AAT (Dez. 1945), S. 11. 188 Österreicher im Exil. USA 1939-1945 (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 24. 189 »Separate Austrian Prisoners of War«, AAT (Mai 1944), S. 1. 190 »Zur Lage in den Kriegsgefangenenlagern«, AAT (Feb. 1945), S. 3. 191 Max Himmelreich: »Ein Brief wartet auf Antwort«, AAT (Okt. 1944), S. 1. 192 »Neuwahlen in Fort Ontario«, AAT (Aug. 1945), S. 15. 193 »Österreichische Literatur und Musik. 12. November in der Carnegie Hall«, AAT (Dez. 1944), S. 10. 194 »Kurzmeldungen«, AAT (Feb. 1946), S. 4. 195 »Was wir wollen«, AAT (Juli 1943), S. 13. 196 »Innsbruck, Herbst 1945«, AAT (Nov. 1945), S. 1f.
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197 A. Schauperl: »Ein Lehrer schreibt aus Graz«, AAT (Mai 1946), S. 3. 198 »7 Soldaten, 7000 Gefangene und die Vorschrift«, AAT (Aug. 1945), S. 4; »Bericht aus Salzburg. Zusammenarbeit der Parteien und der U.S. Behörden«, AAT (Aug. 1945), S. 1. 199 »Was man in Wien isst«, AAT (Apr. 1945), S. 1. 200 Robert Schindel: »Ein Kind dankt«, AAT (Jan. 1947), S. 3. Eine Überprüfung der Inhalte ergab, dass tatsächlich die Mutter des Schriftstellers Robert Schindel an die AAT ihren Dank richtete und das frühe Leben ihres, während ihrer Inhaftierung in einem nationalsozialistischen Kinderheim als deutsche Waise deklarierten Sohnes, nachzeichnete. 201 »Grüsse aus Oesterreich«, AAT (Juni 1946), S. 13ff. 202 »Die AAT in Österreich«, AAT (Nov. 1946), S. 1; »Bestellen Sie. Oesterreichische Zeitungen und Zeitschriften«, AAT (Dez. 1946), S. 3. 203 Vgl. Rudolf Kurna: »To the Editor«, AAT (Feb. 1947), S. 11; Jo Geidener: »Torte mit Schlagobers«, AAT (Mai 1947), S. 10f. 204 Viktor Matejka: »An die österreichischen Künstler und Wissenschaftler in den USA«, AAT (Nov. 1945), S. 7. 205 Vgl. »Was wir wollen«, AAT (Juli 1943), S. 13. 206 »Aus Oesterreich«, AAT (Aug. 1943), S. 5. 207 »Aus Oesterreich«, AAT (Okt. 1943), S. 5. 208 »A Message to Austria«, AAT (Dez. 1943), S. 5. 209 Vgl. AAT (Apr. 1944), S. 10. 210 »Partisanen und Meuterer«, AAT (Juni 1944), S. 1. 211 »Oesterreichische Offiziere kommen zur Besinnung«, AAT (Sept. 1944), S. 2. 212 »Gehorsamsverweigerung«, AAT (Nov. 1944), S. 4. 213 »Kämpfe in Wien, Graz und Steyr«, AAT (Nov. 1944), S. 1. 214 Vgl. Wolfgang R. Langenbucher u. Fritz Hausjell (Hg.): Vertriebene Wahrheit (wie Anm. 6), S. 24ff. 215 Vgl. »Was wir wollen«, AAT (Juli 1943), S. 13. 216 John Strauss: »Democracy for all?«, AAT (Mai 1944), S. 10. 217 »Juden und Neger«, AAT (Juni 1947), S. 1f. 218 »Austro American Trade Union Reports«, AAT (Juni 1944), S. 15. 219 Michael Winkler: » Metropole New York « (wie Anm. 152), S. 180. 220 Vgl. Simon Loidl: Die Kommunisten in der amerikanischen Emigration. Diplomarbeit Wien 2004, S. 69. 221 Ebd., S. 68. 222 DÖW: Interviewsammlung, Interviewtranskript: Theodor Waldinger (interviewt von Andrea Schwab), 1989, Teil 1, S. 68, 85. 223 »Was wir wollen«, AAT (Juni 1948), S. 4. 224 Vgl. AAT (Mai 1946), S. 2. 225 National Archives Washington: Social Security Death Index, Record Alfred Hornik. 226 Matrike der israelitischen Kultusgemeinde Wien zu Alfred Hornik. 227 Meldeauskunft Personal- und Meldedaten Wiener Stadt- und Landesarchiv. 228 National Archives Washington: New York. Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York 1820-1897, New York Passenger Lists Record Alfred Hornik. 229 Ebd. 230 National Archives Washington: U.S. World War II Army Enlistment Records, 1938-1945, Electronic Army Serial Number Merged File Alfred Hornik, 1938-1945. 231 Vgl. »Innenministerium Wien: SA marschiert!«, AAT (Nov. 1947), S. 1. 232 »Die kommunistische Hetze gegen Oesterreich«, Arbeiterzeitung, 4. Dez. 1947, S. 2. 233 »Hilferuf aus Wien«, AAT (Feb. 1947), S. 4. 234 »In größter Not«, Arbeiterzeitung, 4. Apr. 1947, S. 2. 235 »An unsere Leser in Oesterreich«, AAT (Mai 1947), S. 9. 236 DÖW: Interviewtranskript, Wilhelm Gründorfer, Teil VI, S. 6.
DER EUROPEAN FILM FUND (EFF) — GRÜNDUNG UND GESCHICHTE MARTIN SAUTER
Die Gründung des European Film Fund Der EFF entstand aufgrund einer Idee des Filmproduzenten Paul Kohner. Der jüdisch-stämmige Kohner wurde 1902 im damals noch zu Österreich-Ungarn gehörenden Teplitz-Schönau geboren. Seinem Vater gehörte eine Druckerei. Gleichzeitig betrieb dieser als eine Art Nebengeschäft auch das erste Kino der Stadt. Nachdem Kohner die Arbeit im Unternehmen seines Vaters aufgenommen hatte, stellte er sich 1921 dem damals gerade im benachbarten Karlsbad seinen Urlaub verbringenden Gründer der Universal Studios Carl Laemmle (eigentlich Karl Lämmle) vor. Letzterer bot ihm an, in der New Yorker Zweigstelle der Universal Studios mitzuarbeiten. Nach seiner Tätigkeit in New York zog Kohner an die Westküste, wo er Produzent in der Niederlassung der Universal Studios in Los Angeles wurde. 1932 war Kohner bereits Chef der europäischen Niederlassung der Universal Studios in Berlin, wo er und seine Frau Lupita Zeugen von Hitlers Machtergreifung wurden. Lupita Kohner erinnerte sich daran, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann an der Premiere von Der verlorene Sohn (Deutschland 1933/34) teilgenommen — ihr Mann war der Produzent dieses Films gewesen — und bemerkt hatte, dass der Name ihres Gatten Paul bereits von der Leinwand getilgt worden war. Beim Verlassen des Kinosaals sahen sie, wie »eine Gruppe von Nazi-Verbrechern körperliche Gewalt gegen Passanten ausübten«.1 Aufgrund dieses Vorfalls bekamen sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das Leben in Hitlerdeutschland aussehen werde. Nach seiner Rückkehr nach Los Angeles verließ Kohner schließlich die Universal Studios und baute sein eigenes Unternehmen auf, welches bald zur ersten Anlaufstelle vieler emigrierter Schauspieler, Drehbuchautoren und Regisseure nach ihrer Ankunft in Los Angeles werden sollte. Obwohl nicht bekannt ist, wann genau Kohner zum ersten Mal daran dachte, das zu gründen, woraus letztlich der EFF entstehen sollte, kann man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass auch die Tatsache einen Einfluss auf seine Entscheidungen gehabt haben musste, dass er Zeuge des aufkommenden Nationalsozialismus geworden war und aufgrund dessen in scharfsinniger Weise auch die Absichten Hitlers sofort erkannt hatte. Außerdem war er mit beiden Kulturen, d.h. sowohl mit der deutschen als auch mit der amerikanischen bestens vertraut. Er beherrschte beide Sprachen fließend und war auch in seiner Wahlheimat tief verwurzelt. Alles das verhalf ihm zu einer profunden Einsicht in die Materie sowie zu gewissen Möglichkeiten der Einflussnahme, um eine Organisation mit dem Ziel ins Leben zu rufen, Juden auf ihrer Flucht vor Hitler zu unterstützen, und zwar in einer Zeit, in der die Judenverfolgungen in Deutschland von der internationalen Staatengemeinschaft noch falsch eingeschätzt wurden. Wie bereits erwähnt, sind die genauen Ursprünge des EFF nicht bekannt. Es gibt verschiedene, widersprüchliche Quellen in Bezug auf ein erstes Treffen2 von Emigranten in Hollywood. Frederick Kohner behauptet, dass ein solches erstes Treffen im Haus von Ernst Lubitsch3 stattgefunden haben soll. Für die Gültigkeit dieser Behauptung spricht, dass Paul Kohner in der Folge Lubitsch zum Präsidenten des EFF machte, und zwar nicht nur, weil dieser zu seinem engeren Freundeskreis gehörte, sondern auch, weil er gleichsam als Aushängeschild der deutschen Emigranten galt
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und über ein größeres Durchsetzungsvermögen als die meisten anderen Emigranten verfügte.4 Unverständlicherweise jedoch wird im frühesten, erhalten gebliebenen Dokument über den EFF, d.h. in einem Brief vom 17. Oktober 1938, Lubitsch noch mit keinem einzigen Wort erwähnt. Dieser Brief wurde von den Gründungsmitgliedern im Aufsichtsrat des EFF Charlotte Dieterle, Liesl Frank, Paul Kohner, Bronislav Kaper, Rudolph Mate, Felix Jackson und Heinz Herald an den Rechtsanwalt des EFF William O’Connor (c/o Button & Mosher, 6331 Hollywood Boulevard, Los Angeles) geschickt. Der Name der vorgeschlagenen gemeinnützigen Gesellschaft sei European Film Fund. Der Zweck dieses Fonds bestehe darin, Gelder von sämtlichen, hier in Hollywood ansässigen, europäischen Filmschaffenden, entsprechend ihrer Möglichkeiten zu lukrieren und diese Fördergelder wiederum jenen europäischen Filmschaffenden hier in Hollywood zukommen zu lassen, die sich in einer finanziellen Notsituation befinden und nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. […] Diese Gelder sollen an all jene Europäer verteilt werden, die derzeit unter der Rassenideologie zu leiden haben.5
Obwohl der Komponist Bronislav Kaper und der Kameramann Rudolph Mate als Mitglieder des Aufsichtsrats angegeben werden, ist nur wenig über ihren tatsächlichen Beitrag zu der Tätigkeit des EFF bekannt. 1941 bestand der Aufsichtsrat des EFF aus folgenden Mitgliedern: Ernst Lubitsch Charlotte Dieterle Paul Kohner Liesl Frank Heinz Herald Felix Jackson Fred Keller
- Präsident - Vize-Präsident - Vize-Präsident - Geschäftsführerin - Schriftführer - Schriftführer - Schatzmeister
Der EFF agierte von einem Büro aus, das sich gegenüber von Paul Kohners Agentur am Sunset Boulevard 9172 befand.
Zweck und Ziele des EFF Der wichtigste Grund für die Schaffung des EFF war natürlich die Sammlung von Spendengeldern, um Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland, die unmittelbar nach ihrer Ankunft in den USA wirtschaftlich harten Zeiten entgegensehen mussten, finanziell unter die Arme zu greifen. Bevor jedoch der EFF als Organisation offiziell seine Tätigkeit aufnehmen konnte, wollten seine Gründungsmitglieder die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, da dieser Institution nur in Form einer juristischen Person Glaubwürdigkeit und Anerkennung, sowohl vonseiten des Staates als auch vonseiten der Förderer und der Begünstigten, sicher war. Die Satzung wurde am 5. November 1938 in Gegenwart von Welma Rapp6, einer Notarin im und für den Bezirk Los Angeles, unterzeichnet, und am 22. November desselben Jahres wurde der EFF offiziell eingetragen. In ihrer Funktion als Geschäftsführerin unterzeichnete Liesl Frank die Nebensatzung, welche aus sieben Artikeln bestand und über 25 Seiten lang war.
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Artikel 1, Absatz 5 dieser Nebensatzung lautet: Der Aufsichtsrat kann anlässlich seiner Wahl verfügen, dass allen Mitgliedern dieser Gesellschaft Mitgliedschaftsausweise ausgestellt werden, welche vorne in gut leserlicher Druckschrift die Erklärung enthalten sollen, dass es sich um eine gemeinnützige Gesellschaft handle. Darüber hinaus sollen an dieser Stelle weitere Angaben in einer angemessenen Sprache zu lesen sein, welche der Aufsichtsrat von Zeit zu Zeit kundmachen kann.7
Die Entscheidung der Aufsichtsratsmitglieder des EFF, ihre Organisation eintragen zu lassen, ist jedoch keinesfalls nur als schmückendes Beiwerk oder als etwas anzusehen, was der Anstand gebot. Wie der bereits oben erwähnte Artikel andeutet, gab es noch einen weiteren, vielleicht sogar noch triftigeren Grund dafür, den EFF zur gemeinnützigen Gesellschaft zu machen und als solche eintragen zu lassen. Somit waren nämlich sämtliche Spendengelder an den EFF steuerlich absetzbar. Darüber hinaus hatte die Eintragung noch einen weiteren Vorteil, nämlich die Befreiung des EFF von der Einkommensteuer. Es folgt ein Auszug aus einem Brief der EFFMitglieder Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Max Horkheimer, Thomas Mann und Franz Werfel an den Dichter Upton Sinclair: […] Wenn Sie uns Ihre Spende in Form einer Pauschalsumme zukommen lassen wollen, wäre uns das selbstverständlich äußerst genehm. Ihr Beitrag wäre von der Steuer befreit, da wir uns die Mitwirkung (sic) des European Film Fund zugesichert haben, der [sic] ordnungsgemäß als steuerfreie, wohltätige Organisation eingetragen ist.8
Briefe mit identischem Inhalt wurden auch anderen Schriftstellern wie z.B. Lewis Browne9 zugesandt. Thomas Mann selbst unterstreicht den finanziellen Vorteil, der mit der Tatsache verbunden ist, dass Spenden von der Steuer abgesetzt werden können, in einem Brief an seinen Bruder Heinrich, den er finanziell über den EFF unterstützte. Da mein Beitrag zu dem Fonds geringer ist als das, was ich Dir zuvor zur Verfügung gestellt habe und darüber hinaus auch noch steuerlich absetzbar ist, bedeutet für mich dieser Modus Operandi eine besondere Erleichterung und ist wiederum für Dich mit keinerlei Nachteilen verbunden.10
Diese Beispiele verdeutlichen den Wert, den man der steuerlichen Absetzbarkeit von Spenden beimaß, da diese Vergünstigung »das größte Lockmittel für Künstler und Verwaltungsbeamte im oberen Einkommenssegment«11 darstellte. Die Mitglieder des EFF hofften darauf, dass ihre Bemühungen, an Spendengelder zu kommen, von der Tatsache der steuerlichen Absetzbarkeit unterstützt werden würden, und wie wir gesehen haben, machten sie daraus in ihren Briefen an potentielle Spender auch gar keinen Hehl. Immerhin bestand ja der Hauptzweck des EFF, wie auch aus Artikel 2 der Satzung hervorgeht, im Sammeln von Spendengeldern: Artikel 2, Absatz A [die Ziele sind] die Leitung, Aufrechterhaltung und Verwaltung eines Fonds, aus dem finanzielle Mittel und Kredite an Bedürftige vergeben werden.
Artikel 2, Absatz B enthält eine etwas vagere Formulierung:
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EUROPEAN FILM FUND die Bereitstellung und Vergabe von Geldern in Form von Spenden, Geschenken, Darlehen oder Krediten an arme, bedürftige oder glücklose Personen, die anderweitige Unterstützung, Hilfe und Erleichterung des Schicksals solcher Personen sowie das Treffen entsprechender Vorkehrungen im Interesse ihrer Gesundheit, ihrer Annehmlichkeiten, ihres Glücks und der allgemeinen Wohlfahrt.12
Während in Zeile 1 von Artikel 2, Absatz B direkt auf den Hauptzweck des EFF, nämlich auf die Bereitstellung finanzieller Mittel Bezug genommen wird, sind die dritte und vierte Zeile, was die Wortwahl betrifft, mehrdeutig, weshalb der Interpretationsspielraum an dieser Textstelle dementsprechend groß ist. Nicht ausdrücklich erwähnt werden die Abgabe von eidesstattlichen Erklärungen sowie die Vermittlung von Arbeitsstellen, d.h. Tätigkeiten, die, wie aus dem Beweismaterial hervorgeht, ebenfalls zum Aufgabenbereich des EFF gehörten. Diese Aussparungen oder vielleicht auch eher Ambiguitäten hinsichtlich der Terminologie sind wiederum, wie ich meine, das Ergebnis einer bewussten Entscheidung vonseiten der Gründer des EFF. Wie wir gesehen haben, waren fremdenfeindliche Einstellungen sowie der Antisemitismus tief in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt, und obwohl weder die Abgabe von eidesstattlichen Erklärungen noch die Vermittlung von Arbeitsstellen illegal waren, handelte es sich dabei mit Sicherheit nicht um Aktivitäten, zu denen man von der US-Regierung ermutigt wurde. Angesichts der politischen und sozialen Umstände besteht kein Zweifel daran, dass der EFF, um möglichst frei agieren zu können, sehr darauf bedacht war, ja kein Aufsehen zu erregen und sich der eingehenden staatlichen Kontrolle zu entziehen sowie ein Nachspiel seitens der Medien und der Öffentlichkeit insgesamt zu vermeiden. Folglich entschieden sich die Aufsichtsratsmitglieder des EFF sowohl für einen mehrdeutigen Namen als auch für eine mehrdeutige Terminologie in der Satzung. Seltsamerweise wird in der Satzung auch nicht erwähnt, dass »[…] der European Film Fund nur in jenen Fällen helfen kann, in denen Künstler, besonders Schauspieler, Schriftsteller, Komponisten etc. betroffen sind […].«13 So steht es in einem Brief von Fred Keller an Albert Bassermann, währenddessen in einem weiteren, auf Deutsch verfassten und auf den 16. Mai 1941 datierten Brief von Paul Kohner an den damals im Schweizer Exil lebenden Max Ophüls das Ziel des EFF wie folgt beschrieben wird: Ich glaube nicht, dass wir in der Lage sind, in finanzieller Hinsicht viel für Sie zu tun, da die Spenden, die wir hier sammeln können, für Leute verwendet werden müssen, deren Leben in Gefahr ist sowie für jene, die weder eine eidesstattliche Erklärung noch ein Visum oder eine Karte für die Überfahrt mit einem Passagierschiff haben.14
Das Bild wird durch einen von Charlotte Dieterle an Max Horkheimer adressierten Brief abgerundet, in welchem Ziel und Zweck des EFF genauer beschrieben werden. Horkheimer hatte sich im Namen von Siegfried Kracauer, welcher anscheinend einen großen Schuldenberg angehäuft hatte, an den EFF gewandt. […] Leider hatte ich mit meinen Bemühungen beim European Film Fund keinen Erfolg. Der Film-Fund hat zu wenig Geld zur Verfügung und kann nur kleinere Summen auszahlen, die nur für den Lebensunterhalt der Einzelnen verwendet werden können. Größere Darlehen und Darlehen [sic!] um Schulden zu bezahlen, sind strikt abgelehnt worden. […].15
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Charlotte Dieterle bedauerte die ablehnende Haltung des EFF und bot somit ihre Hilfe und Unterstützung hinsichtlich eines Buches von Kracauer an16, das ihrer Meinung nach Stoff für einen interessanten Film liefern könnte, der im Falle eines Verkaufs an ein Filmstudio genügend Geld einbringen würde, um Kracauer in die Lage zu versetzen, seine Schulden zurückzuzahlen. Entscheidungen über die Auszahlung von Fördergeldern an Begünstigte jedoch, wurden in Sitzungen getroffen. Kein Aufsichtsratsmitglied durfte allein und willkürlich über die Spendengelder verfügen, und zwar unabhängig davon, in was für einer schwierigen Lage sich der Begünstigte befand oder wie wichtig er einem war. Wie aus diesen letzten drei Briefen klar hervorgeht — alle richteten sich an Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland — waren die Mitglieder des EFF in ihrer privaten Korrespondenz wesentlich direkter, was Zweck und Intention ihrer Organisation anbelangte, als sie es sich in offiziellen Dokumenten wie z.B. in der Satzung leisten konnten. Daher war es angebracht, nicht nur bei der Namensgebung der Organisation Vorsicht walten zu lassen, sondern auch bei der Verwendung der entsprechenden Terminologie in all jenen Dokumenten, die wahrscheinlich vom Staat einer Überprüfung unterzogen werden würden.
Funktionen und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder des EFF H. G. Asper bemerkte einmal: »[…] die Zusammensetzung des ›Board of Directors‹ wechselte […] mehrfach«17. Ein typisches Beispiel dafür war die Ernennung von Henry Koster, der Felix Jackson in dessen Rolle als Schriftführer nachfolgte. Ein diesbezüglich vom Schatzmeister Fred Keller an den Anwalt Ronald Button im Februar 1941 geschriebener Brief ist wiederum Beweis dafür, wie ernst verwaltungstechnische Fragen von den Aufsichtsratsmitgliedern genommen wurden. Button wurde beauftragt »die notwendigen Dokumente aufzusetzen, so dass der Rücktritt von Mr. Jackson sowie die Wahl von Mr. Koster in die Protokolle der Gesellschaft Eingang findet«18. Kellers Brief offenbart keinerlei Gründe für den Rücktritt Jacksons. Zusätzlich zu ehrenamtlichen Plätzen im Aufsichtsrat verfügte der EFF auch über den Posten einer Teilzeitarbeitskraft, nämlich den der Sekretärin Ilse Landsberg, welche selbst ebenfalls emigriert war.19 Dieser Posten bezog sich, wie allein schon der Name sagt, ausschließlich auf die Arbeiten einer Sekretärin, wozu auch die Sichtung der täglichen Korrespondenz, die Weiterleitung von Bittschriften um finanzielle Unterstützung sowie das Ausstellen von Schecks gehörte, welche wiederum entweder von Liesl Frank oder Charlotte Dieterle unterzeichnet wurden. Es ist nur wenig über die unmittelbaren Pflichten und die Verantwortung eines jeden Aufsichtsratsmitglieds bekannt bzw. darüber, was für ein Engagement von jedem Aufsichtsratsmitglied erwartet und auch tatsächlich geleistet wurde. Da es keine Stellenbeschreibungen gibt, müssen wir uns, um das Ausmaß des jeweiligen Beitrags bestimmen zu können, auf die erhalten gebliebenen empirischen Daten stützen, die sich auf das jeweilige Engagement eines jeden Aufsichtsratsmitglieds des EFF beziehen. Zu diesen empirisch erhobenen Daten gehören auch mündliche Überlieferungen. In diesem Zusammenhang darf es nicht unerwähnt bleiben, dass die Aufsichtsratsmitglieder des EFF Unterstützung finanzieller und anderer Art nicht nur über den EFF leisteten, sondern den Begünstigten auch teils privat, teils über andere Kanäle und Organisationen zukommen ließen. Paul Kohner in seiner Funktion als professioneller Hollywood-Agent beispielsweise »vermittelte regelmäßig Leute an MGM,
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Columbia oder Universal«20. Lubitsch habe laut Eyman »auf eine bestimmte Art indirekt über andere geholfen«21, indem er einerseits zwischen Immigranten, die verzweifelt nach Arbeit suchten, und andererseits Kollegen und Regisseuren, die Schauspieler für die Besetzung ihres nächsten Filmes ausfindig machen wollten, vermittelte. Charlotte Dieterle indessen »opferte sehr viel Zeit und Energie, um einem jüdischen Schauspieler zu helfen [aus Nazi-Deutschland zu fliehen]«22. Es ist nicht immer einfach zwischen den Anstrengungen zu unterscheiden, die im Rahmen des EFF unternommen wurden und Bemühungen, die unabhängig davon erfolgten. Es ist wichtig zu betonen, dass sämtliche Aufsichtsratsmitglieder — mit Ausnahme von zwei Frauen, Charlotte Dieterle und Liesl Frank, — als professionelle Akteure in der Filmindustrie in Hollywood galten,23 weshalb Letztere ihrem Engagement beim EFF nur bedingt Zeit widmen konnten. Das ist wahrscheinlich zum Teil auch der Grund dafür, weshalb aus den erhalten gebliebenen Dokumenten über den tagtäglichen Betrieb im EFF hervorgeht, dass der Großteil der Arbeit von Dieterle und Frank geleistet wurde. Lubitschs Mitgliedschaft war, wie bereits erwähnt, ein strategischer Schachzug, um das Fließen von Spendengeldern zu erleichtern und um sich auch durch seinen Ruhm die Unterstützung der Öffentlichkeit zu sichern. Dieses Faktum wird durch eine Vielzahl von Quellen bestätigt.24 Es gibt praktisch keinen Beweis dafür, dass sein Engagement beim EFF jemals über eine lediglich repräsentative Funktion hinausging. Jedoch steht zweifelsfrei fest, dass er mit Hingabe bei der Sache war. Liesl Frank meinte dazu »[…] die monatlichen Meetings haben in Kohners Büro stattgefunden, und Lubitsch als Präsident war bei jedem Meeting dabei«25. In seiner Eigenschaft als Präsident war Lubitsch auch für die Einberufung von EFF-Mitgliedern zu Sondersitzungen verantwortlich, wie auch aus einem Telegramm hervorgeht, das er am 24. Januar 1941 Fritz Lang zuschickte: Heinrich Mann wird die Eröffnungsrede bei einem Meeting des European Film Fund am Donnerstag, dem 30. Januar um 20:00 Uhr halten. Lido Room, Knickerbocker Hotel. Ihre Anwesenheit ist absolut notwendig, da über äußerst wichtige Fragen26 diskutiert werden wird. Es wird nicht um Gelder gebeten27.
Die Funktion der Schriftführer Heinz Herald und Felix Jackson — Letzterer wurde schließlich von Henry Koster ersetzt — ist am schwierigsten zu beschreiben, da es kaum erhalten gebliebene Dokumente gibt, die auf ihre Mitwirkung hindeuten. Die Funktion des Schatzmeisters Fred Keller dagegen ist schon eindeutiger. Als ehemalige Führungskraft bei den Universal Studios in Deutschland war er nunmehr bezahlter Angestellter in Paul Kohners Agentur am Sunset Boulevard, in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauptquartiers des EFF. Seinem Wesen entsprechend war das Aufgabenfeld Kellers relativ klar abgegrenzt. Als Schatzmeister war er verantwortlich für die finanzielle Situation des EFF. Zu seinen Verpflichtungen gehörte die Auseinandersetzung mit fiskalischen Angelegenheiten, wobei er wesentlich von den Buchhaltern des EFF Kahan, Seltzer & Eckstein unterstützt wurde. Obwohl der EFF als Gemeinnützige Gesellschaft von der Einkommensteuer befreit war, mussten am Ende eines jeden Finanzjahres entsprechende Formulare ausgefüllt und dem amerikanischen Finanzamt, dem Internal Revenue Service (IRS) zugeschickt werden. Da außerdem der EFF auf der Basis von Krediten agierte und in den meisten Fällen lediglich auf die Rückzahlung der finanziellen Zuwendungen verzichtete, wurde Keller unweigerlich in diese Angelegenheiten involviert, als Begünstigte ihre Kredite selbst
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dann nicht zurückgezahlt hatten, nachdem sie bereits dazu in der Lage gewesen wären. Trotzdem war der EFF nachsichtig, was die Rückzahlung der Kredite anbelangte. Erst als es mit dem EFF bergab ging, weil seine Mitglieder auf immer größere Schwierigkeiten stießen, an Spendengelder zu kommen, drohte Keller in einigen wenigen Fällen über die Anwälte Herzog, Button & Butts den Schuldnern mit dem Prozess.28 Da die Idee für den EFF von Paul Kohner stammte, der ebenfalls sein VizePräsident war — eine Funktion, die er sich mit Charlotte Dieterle teilte — wurden auch die monatlich stattfindenden Sitzungen des Aufsichtsrats, bei denen die Vergabe von Fördermitteln besprochen wurde, in seinem Büro abgehalten. In Ermangelung verfügbaren Datenmaterials ist es unmöglich, seinen Beitrag zum EFF als dessen Vize-Präsident zu evaluieren. Im Gegensatz dazu wurde die Arbeit von Charlotte Dieterle und Liesl Frank äußerst gut dokumentiert. Liesl Frank war Geschäftsführerin während Charlotte Dieterle gemeinsam mit Kohner den Posten des/der Vize-Präsidenten/in innehatte. Wie bereits mehrmals erwähnt, ist es unmöglich festzustellen, welcher Beitrag von jedem Mitglied des Aufsichtsrats erwartet wurde. In Anbetracht des reichlich vorhandenen, empirischen Datenmaterials über die Arbeit von Dieterle und Frank jedoch, kann man mit Gewissheit davon ausgehen, dass das Engagement der Aufsichtsratsmitglieder bei weitem die durch ihre Funktionen an sie gestellten Anforderungen übertraf, selbst wenn das jeweilige Anforderungsprofil nicht mehr genau bestimmt werden kann. Es genügt an dieser Stelle nur einige Beispiele zu nennen: Dieterle und Frank waren dafür verantwortlich, Schriftsteller wie Alfred Döblin, Walter Mehring, Leonhard Frank, etc. im Zuge gemeinsamer Anstrengungen des EFF und des Emergency Rescue Committee nach Übersee in die USA zu bringen.29 Sie beschäftigten sich mit Ansuchen um finanzielle Unterstützung und ließen diese, nach der Bewilligung durch den Aufsichtsrat des EFF, auch den Begünstigten in Form eines Schecks zukommen.30 Über den EFF halfen sie auch den Flüchtlingen bei der Arbeitssuche, so geschehen z.B. auch im Fall von Renata Lenart, der Tochter von Franz Oppenheimer31. Ihren Job als Sekretärin bei Max Ophüls hatte sie Liesl Frank32 zu verdanken. Darüber hinaus erwähnenswert ist auch, dass, obwohl sowohl Kohner als auch Dieterle den gleichen Posten beim EFF innehatten, erhalten gebliebene Dokumente und Briefe, die sich auf sie beziehen, viel häufiger vorkommen, was darauf hindeutet, dass sie letztlich die Aktivere von beiden in ihrer Funktion als Vize-Präsidentin war. Ich beabsichtige Liesl Frank und Charlotte Dieterle ins Zentrum meiner Forschungen zu rücken, da sie den Hauptbeitrag zur Arbeit des EFF leisteten und ihnen nichtsdestotrotz nicht viel mehr als eine Fußnote in der Filmgeschichte gewidmet wurde. Das ist natürlich nicht nur im Fall von Frank und Dieterle so, sondern trifft ganz allgemein auf Frauen zu, da ihre Rolle in der Filmgeschichte, aber auch von der Exilforschung insgesamt bis jetzt völlig vernachlässigt wurde. In seinem Buch Retrieving Women’s History bemerkte S. Jay Kleinberg: Frauen wurden systematisch aus den Geschichtsbüchern gestrichen, was unseren Blick auf die Vergangenheit getrübt hat. Tatsächlich wird dadurch das Geschichtsbild verzerrt; zum einen, indem so getan wird, als ob nur Männer an jenen Ereignissen, die es wert sind für die Nachwelt dokumentiert zu werden, beteiligt gewesen wären, und zum anderen, indem, das tatsächliche Geschehen falsch interpretiert wird.33
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Liesl Frank und die Emigrantengemeinde Ausgehend von dem Wenigen, was wir über das Leben von Liesl Frank wissen, kann behauptet werden, dass ihre Jahre im Exil nicht nur prägend waren, sondern, wie es Andreas Lixl-Purcell im Hinblick auf die Flüchtlingsfrauen ganz allgemein ausdrückte, dass »das Exil die zentrale Erfahrung in ihrem Leben darstellte«34. Die Tatsache, nach der Machtergreifung Hitlers in die Flucht gezwungen zu werden, war ein entscheidendes Moment im Leben eines jeden Emigranten. Es reichte aus, um das Leben der Betroffenen im Hinblick auf Sprache, Beruf, materielle Sicherheit und Gewohnheiten völlig auf den Kopf zu stellen. Folglich führte das Leben im Exil auch zu einer Neudefinition der Geschlechterrollen. Peter Gay schreibt dazu: »In den Immigrantenfamilien übten die Frauen eine größere Macht aus als in ihren Herkunftsländern […] [das Exil] erlaubte es ihnen, Ressourcen zu mobilisieren, von denen nur wenige gewusst hatten, dass sie sie überhaupt besitzen.«35 Im Fall von Liesl Frank bedeutete ihr Engagement beim EFF, dass sich ihr Leben zum ersten Mal nicht mehr lediglich um sie und ihren Ehemann Bruno drehte. Erfolgreich machte sie aus ihrer ehrenamtlichen Position in einer wohltätigen Organisation eine Berufung, wobei sie sich praktisch eine neue Welt erschloss. Es kann sogar behauptet werden, dass die Arbeit beim EFF ihr in gewissem Sinne den Weg für ihre spätere Laufbahn als Literaturagentin im Deutschland der Nachkriegszeit ebnete.36 Darüber hinaus knüpfte Liesl im Zuge ihrer Arbeit beim EFF auch Kontakte zu anderen Emigranten, d.h. sowohl zu Spendern als auch zu Begünstigten. Manche von ihnen hatte sie schon in ihrer alten Heimat kennengelernt. Somit stärkte ihre Tätigkeit beim EFF auch ihre Beziehungen zu der deutschsprachigen Gemeinde in Hollywood. Liesl Franks Engagement beim EFF hatte vor allen Dingen zwei Gründe. Erstens entsprachen ihre engen Verbindungen zu der Emigrantengemeinde ihrem Versuch, sich fernab der Heimat eine neue Heimat zu schaffen, und zweitens half ihr die Arbeit beim EFF dabei, aus dem Schatten ihres berühmten Mannes zu treten und sich eine neue Identität als Frau zu konstruieren. Um es mit den Worten von Andreas Lixl-Purcell auszudrücken: »Zum ersten Mal zwang das Exil viele Frauen dazu, eigene Antworten auf Fragen der Identität, Subjektivität und Autonomie zu finden.«37 Es gibt nur sehr wenige Informationen über das Leben von Liesl Frank, wodurch wiederum der Standpunkt von Peter Gay bestätigt wird. Das betrifft sogar archiviertes Material. Die von ihr handelnde Literatur kann in drei Kategorien eingeteilt werden. Zunächst gibt es einmal eine beträchtliche Anzahl von Büchern über das Leben im Exil — sowohl akademische als auch journalistische Werke — in denen ein Absatz dem European Film Fund als Teil der Erfahrungen im Exil gewidmet ist, wobei in prägnanten Kommentaren auf Liesl Franks Engagement bei selbigem hingewiesen wird.38 Zweitens gibt es erstaunlich wenig Literatur über zwei von Liesl Franks insgesamt drei Ehemännern39, nämlich den Schriftstellern Bruno Frank und Jan Lustig40. Da es aber in diesen Werken hauptsächlich um das jeweilige literarische Schaffen der beiden geht, wird Liesl Frank kaum erwähnt. In die letzte Kategorie fällt ein einziges Buch, nämlich Carola Sterns Biographie über Fritzi Massary, der Mutter von Liesl Frank. Massary war eine berühmte Schauspielerin und ein beliebter Operettenstar. Das Buch trägt den Titel: Die Sache die man Liebe nennt. Obwohl es natürlich möglich ist, aus dem Buch von Stern auch ein paar biographische Informationen über Liesl Frank zu bekommen, sind diese jedoch, dem Wesen des Werkes entsprechend, relativ dürftig. Aufgrund dieser Lektüre kann man sich bestenfalls nur ein sehr lückenhaftes Bild über die Persönlichkeit und das Leben von Liesl Frank machen. Zwar
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gibt diese, in einem journalistischen Stil gehaltene Biographie einige Einblicke in Bezug auf die Ereignisse rund um die Geburt von Liesl Frank, Informationen über ihre Erziehung und Bildung jedoch, finden sich dabei kaum. Trotz des Mangels an harten Fakten, sowohl über Liesl Frank, als auch über ihre Mutter, muss Stern zugute gehalten werden, dass sie reichlich von dem spärlich gesäten Archivmaterial und dem verfügbaren sekundären Quellenmaterial Gebrauch macht. Deshalb überrascht es nicht, dass das Buch Die Sache die man Liebe nennt sich als äußerst hilfreich bei der Erforschung der Zeit im Exil erweist, zumindest, was die Informationen in Bezug auf Liesl Frank anbelangt. Bedingt durch die intensive Forschung auf diesem Gebiet sind sowohl primäre als auch sekundäre Quellen ausführlicher als in anderen Bereichen. Liesl Frank wurde als Elisabeth Maria Karl 1903 in Wien geboren.41 Sie war die Tochter der Schauspielerin Fritzi Massary. Carola Stern weist darauf hin, dass, obwohl in Liesl Franks Taufschein der Schauspieler Max Pallenberg als Vater angegeben wurde, sie eigentlich ein uneheliches Kind und ihr biologischer Vater Graf Coudenhove war, der wiederum als Spross einer katholischen Adelsfamilie von selbiger, im Bestreben die Umtriebe ihres Sohnes zu verheimlichen, sofort in die Vereinigten Staaten geschickt wurde. Wie Pallenberg war auch Fritzi Massary jüdischer Abstammung. Als jedoch ihre Bühnenkarriere allmählich ihren Lauf nahm, wurde ihr zu einer Namensänderung von Massarik auf Massary geraten, da die Theaterdirektoren auf »nichtjüdisch klingende Künstlernamen«42 bestanden. Wie bereits erwähnt, bewogen die Probleme, die sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft hatte, Fritzi dazu, zum Christentum zu konvertieren. Sowohl in Wien als auch in Berlin erfreute sich die Massary einer ungeheuren Popularität. Sie war eine der am meisten verehrten Schauspielerinnen ihrer Zeit. Über die Massary schreibt Fritz Kortner in seiner Autobiographie Folgendes: »Die Massary hatte in Berlin am Metropol-Theater Jahre vor dem Ersten Weltkrieg begonnen und blieb eine Attraktion — führend als Diseuse, Grande Dame, bestangezogene Frau — bis zu ihrer Emigration.«43 Pallenberg, der Massary schließlich im Jahr 1917 in Berlin heiratete und deren Tochter Liesl auch adoptierte, hatte Fritzi schon vor langer Zeit kennengelernt, und war daher auch einverstanden damit, dass sein Name in Liesls Taufschein, gleichsam zur Wahrung des schönen Scheins, eingetragen wurde. Über Liesls Erziehung und frühe Kindheit ist so gut wie gar nichts bekannt. Wir wissen aber, dass sie am 6. August 1924 in heutigen Garmisch-Partenkirchen den um sechzehn Jahre älteren, deutsch-jüdischen Schriftsteller Bruno Frank heiratete. In Liesl Franks Heiratsurkunde ist u.a. vermerkt, dass sie »ohne Beruf«44 sei, was darauf schließen lässt, dass sie dazu erzogen wurde, das traditionelle Leben einer Ehefrau und Mutter zu führen45. In ihrem Buch Escape to Life beschreiben Erika und Klaus Mann Liesl Frank als eine Frau, »die niemals den Ehrgeiz zum Theater hatte [und deren Existenz mit der ihres Gatten] bis zu dem Grade verbunden ist, dass man von einem ›anderen‹ Leben hier eigentlich kaum noch sprechen darf«46. Bruno und Liesl Frank ließen sich in München nieder, wo sie »durch viele Jahre […] [die] Nachbarn und […] besten Freunde [der Familie Mann]«47 waren. Außerdem knüpften die Manns und die Franks Kontakte zu vielen anderen bedeutenden Schriftstellern in der Weimarer Republik wie z.B. Alfred Polgar und Willi Speyer. Letzterer war noch ein Freund von Bruno aus Kindertagen.48 Der Reichstagsbrand im Februar 1933 zwang die Franks — sowie auch die meisten ihrer Freunde — ins Exil zu gehen. Laut Harold von Hofe gingen die Franks zuerst nach Lugano, »es wurde jedoch vereinbart, dass Frau Frank nach Deutschland zurückkehren sollte, um möglichst viel ihres Hab und Guts in Sicherheit zu
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bringen«49. Nachdem Liesl in die Schweiz zurückgekehrt war, zogen die Franks während ihres Lebens im Exil an mehrere Orte in verschiedenen Ländern. Ihre Odyssee reflektiert das Schicksal vieler Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland. Nach ihrem kurzen Aufenthalt in der Schweiz, ließen sich Liesl und Bruno zunächst in Sanary-sur-mer nieder, wo sie sich der wachsenden Gemeinschaft von Flüchtlingen aus Deutschland anschlossen, die sich mittlerweile dort gebildet hatte,50 was Ludwig Marcuse dazu veranlasste in diesem Zusammenhang von »der Hauptstadt der deutschen Literatur«51 zu sprechen. Unterdessen kam in Frankreich Liesl Frank zum ersten Mal mit einer Flüchtlingsorganisation in Berührung. In einem Brief vom 20. Mai 1937 gab sie an, dass sie sich beim Thomas Mann Fund52, einer 1935 in Prag gegründeten, karitativen Organisation engagierte, die später in Thomas Mann Society umbenannt wurde. Aus dem Brief geht auch hervor, dass Liesl Frank bereits 1937 Kontakte zu Verlagshäusern unterhielt, was bereits auf ihre zukünftige Karriere als Literaturagentin im Deutschland der Nachkriegszeit hindeutete. In ihrem Brief an den ebenfalls emigrierten Schriftsteller Alexander Moritz Frey schreibt sie: Endlich fängt unser Thomas Mann Fonds an zu arbeiten. Sie stehen mit an erster Stelle auf unserer Liste. Es liegen also zweitausend französische Francs für Sie bereit. Wohin soll ich das Geld schicken? […] wie ich höre, werden Sie bald mit dem Roman fertig sein. Ich glaube, durch Brooks einen Englishmen [sic]Verleger für Sie zu haben. Schicken Sie also mir oder direkt zu Brooks das Manuskript, so bald es fertig getippt ist.53
Nach Sanary führte die Franks das Leben im Exil zunächst nach Österreich und England bevor sie schließlich mit dem Ozeandampfer Ile de France am 20. Oktober 1937 nach New York aufbrachen.54 Bruno war eine Stelle als Drehbuchautor bei MGM angeboten worden; ein Angebot, welches er, angesichts des sich über Europa zusammenbrauenden Unwetters, nicht ausschlagen wollte. In ihrer Korrespondenz mit John Spalek hebt Liesl Frank hervor, dass die Einladung ihres Mannes von MGM nichts mit einer Flüchtlingsorganisation zu tun hatte, anders als z.B. jene Verträge, die nach dem Sieg über Frankreich im Jahr 1940 als Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen von Liesl Frank und Charlotte Dieterle im Namen des EFF und des Emergency Rescue Committees (ERC) mit diversen Schriftstellern ausgehandelt wurden.55 Obwohl Bruno Frank nicht ganz so berühmt wie andere Vertreter der Exilliteratur war wie z.B. Lion Feuchtwanger, Franz Werfel oder Thomas Mann, war er dennoch vor der Machtergreifung Hitlers ein beliebter Romanschriftsteller und Bühnenautor gewesen. Franks Stück Storm in a Tea-cup [Sturm im Wasserglas] wurde sowohl in Deutschland als auch in England erfolgreich verfilmt.56 Selbst fernab seiner deutschen Heimat wurden seine Werke gelesen. Die meisten seiner Bücher wurden auch ins Englische übersetzt. Folglich waren die Franks finanziell wesentlich besser gestellt als die meisten anderen Flüchtlinge, zumal Bruno Frank anders als z.B. Heinrich Mann oder Alfred Döblin, nicht auf den deutschen Markt für den Verkauf seiner Bücher angewiesen war.57 Es ist weder genau bekannt, wann die Franks ihre endgültige Destination Los Angeles erreichten noch wann Bruno offiziell für MGM zu arbeiten begann. Seine Karriere als Drehbuchautor in Hollywood jedoch, kann als ziemlich erfolgreich bezeichnet werden, und zwar ganz im Gegensatz zu jener von beispielsweise Döblin oder Brecht, welche sich auch als Drehbuchautoren betätigten. Bruno Frank wurde zumindest im Abspann mehrerer Filme berücksichtigt, insbesondere für seine Mitarbeit im Film Der Glöckner von Notre Dame (USA 1939), bei
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dem der Ehemann von Charlotte Dieterle, William, Regie führte. Nachdem sich die Franks in Beverly Hills in Los Angeles niedergelassen hatten58, begannen sie damit, ihr Leben so wie damals in München zu gestalten, was Erika und Klaus Mann anlässlich ihres ersten Besuchs ihres neuen Heims zu dem Ausruf veranlasste: »Es sieht ja fast genauso aus wie in der Mauerkircher Straße!«59 Diese Nachbildung ihrer Heimat bezog sich aber auch auf den Freundeskreis der Franks. Das Schicksal hatte sie nämlich nicht nur mit ihren ehemaligen Nachbarn, den Manns zusammengeführt, sondern auch mit Alfred Polgar und Willy Speyer. Die beiden Letzteren hatten, dank der Unterstützung von Liesl Frank ihren Weg in die USA gefunden.60 Die Franks nahmen auch nicht am glamourösen Leben, das Hollywood zu bieten hatte, d.h. an diversen Filmpremieren und sog. Hollywood-Partys teil. Stattdessen spricht alles dafür, dass sich Bruno und Liesl fast ausschließlich in den Kreisen von emigrierten Schriftstellern und Intellektuellen bewegten, von denen sie die meisten bereits in Europa kennengelernt hatten. Zu diesen Kreisen gehörte auch Alma Mahler-Werfel, die Liesl als »ein reizendes, schillerndes, Wesen«61 bezeichnete. Die Tatsache, dass die Franks ihre sozialen Kontakte mehr oder minder auf die Emigrantengemeinde beschränkten, bedeutete, dass sie sich nie wirklich an ihre Umgebung anpassen konnten. Dieses Phänomen findet sich bei vielen, die ebenfalls emigriert waren. Es wurde auch des Öfteren kommentiert. Bahr und See meinten dazu: »Die Vertreter der deutschen Exilliteratur waren nie zu einem integrativen Bestandteil der Kultur in Kalifornien geworden, da sie, während sie in Los Angeles lebten, dennoch ihre ganze Aufmerksamkeit auf Deutschland richteten.«62 Die Emigrantengemeinde kann aber nicht als kohärente Einheit betrachtet werden, da wie Palmier betont »die Idee des Exils als kollektives Schicksal eine Fiktion ist«.63 Die Einstellung der Emigranten zu Amerika hing größtenteils von dem materiellen Erfolg ab, den sie in ihrer Wahlheimat errangen bzw. auch von ihrer politischen Gesinnung. Tatsächlich ist es, angesichts der Komplexität der realen Verhältnisse, geradezu unmöglich, zusammenzufassen, welche Einstellung die Emigranten gegenüber Amerika hatten. Da die Gebräuche und die Kultur in den USA sich völlig von dem unterschieden, was sie von Europa her kannten, verlangte die Schaffung eines Heimatgefühls in Amerika eine gewisse Bereitschaft und Fähigkeit seitens der Emigranten, sich an die Gepflogenheiten in ihrem Gastland anzupassen, wozu natürlich auch das Erlernen der Sprache gehörte. Während einigen Emigranten wie z.B. Billy Wilder, Kurt Weill, Vicki Baum etc. diese Unterschiede willkommen waren, konnten oder wollten sich andere, wie z.B. Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Heinrich Mann etc. einfach nicht an sie gewöhnen. In Bezug auf diese Unfähigkeit, sich anzupassen schreibt Palmier, dass »ein ehemaliger Student von Schönberg sich in einem Interview daran erinnerte, dass sie die deutschen Emigranten als ›at-homers‹ bezeichneten, da selbige die Gewohnheit hatten, jeden Satz mit einem Vergleich mit Europa zu beginnen, wobei Amerika jedesmal schlecht abschnitt«64. Thomas Elsaesser beschreibt den Widerstand der Emigranten, sich voll und ganz in die amerikanische Gesellschaft und Kultur zu integrieren damit, dass sich »in Hollywood die Kultur von ihrer korruptesten, heuchlerischsten und am meisten bestechlichen Seite zeigte«65. Dieser Standpunkt wurde auch von Palmier bekräftigt. Er schreibt, dass »unabhängig von dem Grad ihrer Politisierung, die Exilanten Amerika für abstoßend hielten«66. Dessen ungeachtet weisen beide Autoren, sowohl Elsaesser als auch Palmier auf die zwiespältige Einstellung der Emigranten gegenüber den USA hin, zumal Letztere nichtsdestotrotz die Freiheit liebten, die ihnen Amerika bot. Anknüpfend an seine Bemerkung, dass es ein kollektives Schicksal als solches nicht gab, geht Palmier davon aus, dass »die deutsche und österreichische Immigra-
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tion in Hollywood aus Kreisen bestand, die zwar neben der amerikanischen Kultur existierten, gleichsam an sie angrenzten, gleichzeitig aber, bis auf wenige Individuen wie Lang oder Eisler, die als Mittelsmänner fungierten, nicht mit ihr verbunden war«67. Bezugnehmend auf einen dieser Zirkel schreibt Salka Viertel Folgendes: Bruno und Liesl Frank waren mit Thomas Mann und seiner Familie schon seit vielen Jahren gut befreundet und blieben es auch in Hollywood. Zu diesem Kreis gehörten auch die Feuchtwangers, die Polgars, Franz und Alma Werfel, Bruno Walter und seine Tochter Lotte, später Liesls charmante und berühmte Mutter Fritzi Massary sowie William und Charlotte Dieterle.68
Tatsächlich wurde Viertels Zuhause unter der Adresse 165 Mabery Road in Santa Monica besonders an Sonntagnachmittagen zu einem populären Treffpunkt für die »literarische Emigration«69. Carola Stern vergleicht diese Treffen am Sonntagnachmittag bei Salka Viertel mit den jüdischen Salons in Wien und Berlin um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts, nämlich jene von Rahel Levin-Varnhagen, Henriette Herz und Fanny von Arnstein.70 Im Hinblick auf die bei Viertel stattfindenden Salons bemerkte Eyman: »Salka Viertels Salon am Sonntag wurde rasch zum politisch linksgerichteten Äquivalent von jenem von Ernst [Lubitsch].«71 Die Treffen bei Lubitsch zogen in erster Linie Emigranten in ihren Bann, welche in der Filmindustrie arbeiteten. Das gleiche galt auch für die sonntäglichen Nachmittagstreffen bei Lupita und Paul Kohner72 sowie Liesl und Walter Reisch73. Da bei diesen Treffen hauptsächlich deutsch gesprochen wurde, blieben ihnen jene Emigranten fern, die auf jeden Fall ihre Englischkenntnisse verbessern wollten. Zu ihnen gehörte auch Peter Lorre, der einmal zu Reisch gesagt haben soll: »Bei Ihren Partys spricht jeder entweder mit einem Akzent oder die alte Sprache. Das kann ich mir nicht erlauben.«74 Tatsächlich war das Leben im Exil für Schauspieler und Schriftsteller härter als beispielsweise für Komponisten, und zwar aus dem einfachen Grund, dass für Letztere mangelhafte Englischkenntnisse keine besondere Rolle spielten. Jan-Christopher Horak bringt es folgendermaßen auf den Punkt: »andere Filmschaffende […] wurden weniger durch Sprachbarrieren eingeschränkt als Schriftsteller und Schauspieler«75. Das ermöglichte Komponisten in der Emigration wie Erich Maria Korngold oder Franz Waxman einen relativen reibungslosen Übergang bei der Integration in ihrem Gastland. Wie unberechenbar jedoch auch ihre Berufe waren, zeigt sich am Beispiel des Schicksals von Arnold Schönberg76, da ja eine feste Anstellung in der Filmindustrie von Hollywood damit einherging, dass »ein in Europa ausgebildeter Komponist […] gezwungen war, sein Talent und seine Ambitionen den simplen melodischen Erfordernissen der Filmmusik von Hollywood zu unterwerfen […]«77. Diese verschiedenen Kreise von Emigranten waren alle über den EFF miteinander verbunden, welcher kurz nach der Ankunft der Franks in Los Angeles gegründet worden war. Obwohl er als film fund bzw. Film Fonds bezeichnet wurde, überwand der EFF zumindest jene unsichtbaren Grenzen, die mit den Berufen der Emigranten sowie ihrem materiellen Erfolg und ihrem Status verbunden waren, indem er sowohl Filmschauspieler und Intellektuelle als auch Schriftsteller und Theaterdirektoren unterstützte. Liesl Franks persönlicher Hintergrund als Tochter einer berühmten Schauspielerin und Ehefrau eines bekannten Bühnenschriftstellers, aus dem ein Drehbuchautor geworden war, sowie ihre guten Beziehungen zu Literaturschaffenden vom Format eines Thomas Mann, stellten ein bedeutendes Bindeglied zwischen verschiedenen Gruppen von Flüchtlingen dar, die der EFF unterstützen wollte. Die wachsende Zahl von Flüchtlingen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verlangte ein
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immer größeres Engagement seitens von Liesl Frank beim EFF, was ihr auch half, jene Emigranten zu unterstützen, die Not leiden mussten. Außerdem trugen diese Geschehnisse auch dazu bei, dass die Franks begannen, ihr früheres Leben in München nunmehr in Los Angeles nachzubilden. Aus einer Vielzahl von Dokumenten geht hervor, wie groß der Beitrag war, den Liesl Frank für den EFF zwischen 1938 und 1945 geleistet hatte. In diesem Zeitraum war sie nicht nur dafür verantwortlich, dass mehreren verfolgten Schriftstellern die Flucht aus dem von Nazis besetzten Europa gelang, indem sie Spendengelder für sie sammelte und Ansuchen um finanzielle Unterstützung bearbeitete. Sie leistete auch jenen Emigranten moralische Unterstützung, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Exil letztlich völlig mittel- und arbeitslos geworden waren. Laut Carola Stern beschäftigte sich Liesl Frank dermaßen intensiv mit den Angelegenheiten des EFF und der Flüchtlingsfrage, dass man mit Fug und Recht behaupten konnte: »Manchmal wurde es [Liesls Engagement beim EFF] selbst ihrem hilfsbereiten Mann zuviel«78. Es gibt keinerlei Informationen darüber, welche politische Gesinnung Liesl hatte. Es steht jedoch fest, dass im Gegensatz zu den Dieterles, weder Liesl noch ihr Ehemann Mitglied in irgendeiner politisch linksgerichteten Organisation wie z.B. in der Hollywood Anti-Nazi League waren. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil die Mitgliedschaft in einer derartigen Organisation schwerwiegende Konsequenzen während der McCarthy Ära haben konnte. Allerdings gäbe es dann auch zumindest einige empirische Daten über Liesl Franks politische Haltung. Außerdem wird Liesl Frank, trotz ihrer weitreichenden Beziehungen in der Emigrantengemeinde, weder im Zusammenhang mit Bertolt Brecht noch in Verbindung mit Hanns Eisler erwähnt, was uns zu der Annahme führt, dass sie der politischen Linken nicht übermäßig zugetan war, und dass sie wie praktisch alle Emigranten »Präsident Roosevelt bewunderte«79. Laut einer Vielzahl von Quellen litt Liesl Frank seit dem Mai 1945 an einer schweren Krankheit, weshalb sie sich einer Reihe von Operationen unterziehen musste80 und sich daher auch nicht mehr so stark für den EFF engagieren konnte. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Am 20. Juni, während Liesl Frank sich noch immer auf dem Wege der Genesung befand, starb plötzlich ihr Mann Bruno, was sie schließlich, da es mit dem EFF sowieso schon bergab ging, dazu veranlasste, Los Angeles zu verlassen und nach New York zu ziehen, wo sie mehrere Jahre verbrachte, bevor sie endgültig nach Westdeutschland zog. In einem auf den Oktober 1945 datierten Brief an Lion Feuchtwanger verweist Liesl Frank sowohl auf den Tod ihres Gatten Bruno als auch auf ihre Erkrankung, von der sie sich noch immer erholen musste. In diesem bereits nach ihrem Umzug nach New York entstandenen Brief schreibt sie: »VitaminLeber-Spritzen und Shortwave-Behandlung werden sicherlich die Nerven bessern. – Und somit muss ich versuchen zu vergessen, zu verwinden, was an Krankheit und tragischem Geschick in den letzten Monaten war.«81 Nachdem sie sich in New York niedergelassen hatte, begann Liesl Frank sich in einer Organisation mit dem Namen American Committee for Refugee Scholars, Writers and Artists [Amerikanisches Komittee für emigrierte Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler] zu engagieren. Laut einem ihrer Briefe an Fred Keller vom 8. Januar 1946 wollte sie erreichen, dass Speyer und Polgar zu Mitgliedern dieser Organisation werden. Sie haben versprochen sich, für den Fall, dass ich die notwendigen Spendengelder aufbringen könne, ein ganzes Jahr lang um die beiden zu kümmern. Vor drei Wochen habe ich in dieser Angelegenheit Lubitsch, Koster, Preminger, Bernhardt82 und Reisch83 kontaktiert. Keiner von ihnen jedoch, hat bis jetzt geantwortet.84
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Obwohl nur sehr wenig über die Mitarbeit von Liesl Frank in dieser Organisation bekannt ist, da es sich ja wiederum um eine weitere Flüchtlingsorganisation handelte, bei der sich alles um Schriftsteller und Intellektuelle drehte, kann man davon ausgehen, dass diese Arbeit Liesl im Hinblick auf ihre zukünftige Tätigkeit als Literaturagentin im Deutschland der Nachkriegszeit prägte. Zusammenfassend kann man daher feststellen, dass die Behauptung von LixlPurcell, dass »für viele Frauen das Exil die zentrale Erfahrung in ihrem Leben darstellte«85 analog für Liesl Frank gilt. Obwohl die Franks im noblen Beverly Hills wohnten, waren sie dennoch getrennt von den Vertretern der Filmindustrie in Hollywood. Ihre sozialen Kontakte beschränkten sich auf einen zum großen Teil schon vorher bestehenden Freundeskreis, dem solche Menschen angehörten, die Liesl sowohl finanziell als auch moralisch tatkräftig über ihr Engagement beim EFF, und auch in der Zeit danach, unterstützte. Dieses Engagement ermöglichte es der bis dahin noch über keinerlei Arbeitserfahrung verfügenden Liesl, darüber hinaus, dass sie mit der Emigrantengemeinde in Kontakt blieb, sich eine eigene Identität aufzubauen, gleichsam ihrem Leben einen Sinn zu geben. Carola Stern meinte in diesem Zusammenhang: »Liesl […] gehörte zu jenen Frauen, die erst im Exil, herausgerissen aus den Gewohnheiten und konfrontiert mit nie gekannten Schwierigkeiten, zu überzeugenden, eigenständigen Persönlichkeiten wurden.«86
Charlotte Dieterle und die Philanthropie Genau wie bei Liesl Frank stellte auch für Charlotte Dieterle das Exil die zentrale Erfahrung in ihrem Leben dar. Zwar hatte Charlotte, im Gegensatz zu Liesl, bereits vor ihrer Ankunft in den USA Karriere als ausgebildete Schauspielerin und Drehbuchautorin gemacht. Nichtsdestotrotz war es aber ihr Engagement beim EFF, an das man sich heute noch am ehesten erinnert. Als Nichtjuden hätten zwar sowohl Charlotte als auch ihr Mann William nach der Machtergreifung Hitlers theoretisch in ihre Heimat Deutschland zurückkehren können, stattdessen aber wurde Charlotte durch den Sturm, der über ihr Herkunftsland hereinbrach und die darauffolgende Flüchtlingskrise zu einem der engagiertesten Mitglieder des EFF. Gleichzeitig schulte sie auch ihr politisches Bewusstsein, was sie dazu veranlasste, die Kandidatur von Upton Sinclair87 für den Posten des Gouverneurs in Kalifornien zu unterstützen sowie aktiv in der Hollywood Anti Nazi League mitzuarbeiten. Ihre unverblümte Haltung gegenüber Nazi-Deutschland kostete sowohl Charlotte als auch William die deutsche Staatsbürgerschaft.88 Als eine der beiden Vize-Präsidenten des EFF, leistete Charlotte einen enormen Beitrag zu dessen Arbeit. Ihre und die Tätigkeit von Liesl überschritten bei weitem das Engagement der übrigen Aufsichtsratsmitglieder. Obwohl Diana Kendall die Position vertritt, »dass sich in den Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung vornehme Damen von je her für wohltätige Zwecke ehrenamtlich eingesetzt hatten«89, darf nicht vergessen werden, dass Charlotte Dieterle nicht dem prototypischen Bild der vornehmen Dame entsprach, und zwar unabhängig von der Tatsache, dass ihr Mann relativ wohlhabend war, weshalb sie auch nicht ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen musste. Tatsächlich gibt es keinen Beweis dafür, dass Charlotte am glamourösen Leben teilhatte, das sich der Frau eines erfolgreichen Filmregisseurs in Hollywood bot. Es gibt jedoch genügend Beweise, dass sie gleichsam als eine tragende Säule der deutschen Gemeinde in Hollywood, mit großer Sorge den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland verfolgte und sich außerdem als
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engagierte Philanthropin den Respekt vieler Emigranten verdiente. Wie bereits erwähnt, war Charlotte Dieterle eine ausgebildete Schauspielerin, die ihren Beruf erst nach ihrer Ankunft in Hollywood an den Nagel hängte. Darüber hinaus arbeitete sie auch zeitweise als Drehbuchautorin bei mehreren Gelegenheiten mit ihrem Mann zusammen, wobei sie dann allerdings auf den Drehbüchern für dessen Filme ihren Mädchennamen Hagenbruch verwendete. Insgesamt wirkte sie an lediglich drei Drehbüchern für die Filme von William mit.90 Daneben leistete sie auch einen Beitrag zu den Filmen Die Heilige und ihr Narr (Deutschland 1928) und Ludwig II, König von Bayern (Deutschland 1929/30). Wenngleich nicht eindeutig geklärt ist, weshalb sie sowohl ihre Karriere als Schauspielerin als auch ihren Beruf als Drehbuchautorin an den Nagel hängte, ist ganz offensichtlich, dass sie sich stattdessen schließlich mehr der Philanthropie widmete. Das verfügbare Beweismaterial spricht dafür, dass für sie ihr diesbezügliches Engagement sehr wichtig wurde, insbesondere nachdem sich die Lage im von den Nazis besetzten Europa verschlechtert hatte und ihr politisches Bewusstsein im Hinblick auf diesen Prozess gestiegen war. Lawrence Friedman behauptet, dass »[über die philanthropische Tätigkeit] viele Frauen begannen, ihre eigenen Identitäten als prinzipientreue Menschen zu entwickeln, während sie das Ausmaß der Teilhabe der weiblichen Bevölkerung an der Zivilgesellschaft neu definierten«91. Obwohl sich Friedman auf die philanthropischen Bemühungen der Frauen im Amerika des 19. Jahrhunderts bezog, scheint seine Behauptung dennoch relevant zu sein, da diese Anstrengungen Vorboten für das Engagement von Charlotte Dieterle beim EFF waren. Sie tat nämlich genau das. Sie schuf sich eine eigene Identität. Das spiegelt sich auch an ihrem Platz in der Filmgeschichte wider. Man erinnert sich an sie nicht als Schauspielerin oder Drehbuchautorin, sondern als Wohltäterin und Philanthropin. Charlotte Dieterles Engagement für philanthropische Zwecke hatte jedoch nichts mit der Tatsache zu tun, dass sich das für die Frau eines prominenten Filmregisseurs so gehörte. Ich denke, dass ihr Engagement in erster Linie auf ihrem politischen Bewusstsein beruhte, welches wiederum durch die Ereignisse in ihrer Heimat Deutschland geschärft wurde, was mich gleich zum zweiten Argument führt: Als eine sich auf die Vorkommnisse in ihrer deutschen Heimat konzentrierende Schlüsselfigur in der Emigrantengemeinde von Hollywood bot Charlottes Engagement beim EFF für sie die ideale Plattform, um ihre Beziehungen zu anderen Emigranten zu stärken und gleichzeitig die Not von Bedürftigen zu lindern. Außerdem konnte sie sich durch ihre Arbeit beim EFF, ähnlich wie Liesl, eine neue berufliche Identität aufbauen, die voll und ganz ihr gehörte. Biographische Daten über Charlotte Dieterle sind nur schwer zu finden, und wenn, dann hauptsächlich in Büchern über das Leben im Exil, wobei sich diese Informationen gewöhnlich auf ihre Mitarbeit beim EFF beschränken, aber nur sehr wenig über ihre Erziehung, Bildung oder das verraten, was letztlich ausschlaggebend für ihr Engagement beim EFF war.92 Während in zwei kritischen Studien über die Arbeit von William und Charlotte Dieterle von Horst O. Hermanni nur am Rande erwähnt wird, erfahren wir in Marta Mierendorffs Werk mit dem Titel Der Plutarch von Hollywood, wesentlich mehr über sie. Als ausgebildete Soziologin begann sich Mierendorff seit Mitte der sechziger Jahre vermehrt mit dem Thema Exil auseinanderzusetzen. 1970 lernte sie sogar William Dieterle persönlich kennen,93 den sie dazu anspornte, ein Buch über sein Leben und seine Karriere zu schreiben. Allerdings kam sein plötzlicher Tod 1971 dazwischen. Dieterle hinterließ Mierendorff jedoch eine beachtliche Zahl an Dokumenten und Aufsätzen, die schließlich den Grundstock für ihr eigenes Buch, eine Biographie über William Dieterle bilden sollten. Man muss Mie-
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rendorff zugute halten, dass sie auf diese Weise Leben und Werk Dieterles einer kritischen und analytischen Untersuchung unterzog und in einen politischen und sozialen Kontext stellte, wobei sie niemals jene politischen Umstände aus den Augen verlor, welche wahrscheinlich Dieterles Arbeit und deren darauffolgende Rezeption beeinflusst hatten. Da das Thema von Mierendorffs Werk William Dieterle ist, wird Charlotte gewöhnlich nur im Zusammenhang mit ihm erwähnt. Manchmal wird darin sogar beinahe das Bild einer Frau vermittelt, die ihr gesamtes Leben nur über ihren Ehemann lebte, und zwar insbesondere dann, wenn es um ihre philanthropischen Bemühungen geht. Es gibt jedoch etliche Beweise dafür, dass Charlotte des Öfteren unabhängig von William agierte, und zwar auch in jenen Fällen, in denen beide involviert waren.94 Außerdem erscheint bei Mierendorff Charlottes philanthropische Ader in einem Licht, als ob dieses Engagement lediglich auf der Tatsache beruhte, dass sie die Frau eines reichen Mannes war. Diesbezüglich schreibt Mierendorff: »[Charlotte] entwickelte sich schnell zu einer Gesellschaftsdame amerikanischer Art und übernahm die in den USA weit verbreiteten Aufgaben einer Ehefrau prominenter Männer: Sammeln für karitative Zwecke und Repräsentation.« (MM 69, 70) Dieses Zitat wiederholt in gewisser Weise eine Aussage, die Mierendorff ein paar Jahre zuvor machte, als sie in den späten 1980ern mit ihrer eigenen Forschungsarbeit in Bezug auf den EFF begonnen und Charlotte Dieterle und Liesl Frank als »society women« bezeichnet hatte.95 Aus diesen Bemerkungen geht in gewisser Weise eine Herabwürdigung der Arbeit von Charlotte und Liesl im EFF, aber auch des Engagements von Charlotte in vielen anderen Bereichen hervor.96 Charlotte Dieterle wurde am 27. März 1896 in Chemnitz geboren. Sie entstammte einer Kaufmannsfamilie. Ihre Eltern waren Elsa und F.C.O. Hagenbruch. Über ihre Kindheit wissen wir nur wenig, obwohl Hermanni erwähnt: »[Charlotte wurde] ausgebildet als Schauspielerin am Hoftheater Meiningen, [und war engagiert] an den Städtischen Theatern in Chemnitz und am Stadttheater in Nürnberg.«97 Als Charlotte 1921 als Lucille Desmoulins in Rollands98 Danton im Großen Schauspielhaus in Berlin auf der Bühne stand, traf sie ihren späteren Mann William Dieterle, der übrigens die Hauptrolle in diesem Stück spielte. Nach einer kurzen Zeit des Werbens, heirateten sie noch am 15. Juli desselben Jahres in München, ließen sich dann aber in Berlin nieder. Obwohl Charlotte und William einander sehr zugetan waren, was Letzteren 1928 zu dem Ausruf veranlasste: »die Hand meiner Lebensgefährtin ist Stütze und Halt, wenn [der Weg] allzu beschwerlich wird«99, war laut Hermanni nichtsdestotrotz Charlotte diejenige, die den Ton in dieser letztlich 47 Jahre bis zu ihrem Tod 1968 andauernden Ehe angab. Charlotte traf die Entscheidungen und kümmerte sich auch um die finanziellen Angelegenheiten, ein Verhalten, das gleichsam ein Vorbote für ihre künftige Rolle beim EFF war. Mierendorff behauptet: »[Charlottes] Umgangsverhalten wurde, insbesondere in späteren Jahren, als Preußisch100 geschildert.« (MM 32) Dennoch fügt sie hinzu: »andere Bekannte und Freunde schildern sie als mitfühlend und hilfsbereit«. (ebd.) Nach ihrer Hochzeit setzten sowohl Charlotte als auch William ihre Karriere auf der Bühne und im Film fort, und während sich William allmählich der Regie zuwandte,101 begann für Charlotte eine zweite Laufbahn als Drehbuchautorin. 1930 verließen die Dieterles Deutschland,102 um einen Vertrag für vier Filme bei Warner Bros. zu unterzeichnen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Dieterles, da sie ja Deutschland drei Jahre vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler verlassen hatten, streng genommen eher Emigranten als Flüchtlinge waren. Anders verhielt es sich beispielsweise bei Bruno und Liesl Frank, die die Entscheidung Deutschland zu
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verlassen, erst nach der Machtergreifung Hitlers getroffen hatten. Aus mehreren Gründen ist es jedoch voll und ganz legitim, die Dieterles zu dem Kreis von Emigranten aus dem von den Nazis besetzten Europa zu rechnen. Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, weigerten sie sich nach Nazi-Deutschland zurückzukehren. Beide waren offen gegen Nazi-Deutschland.103 Als Teil ihres Engagements in Flüchtlingsfragen unterstützten sie großzügig Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland wie z.B. Lien Deyers und E. A. Dupont.104 Außerdem ließ William aufgrund der Filme, die er für Warner Bros. gedreht hatte, keinen Zweifel an seiner antifaschistischen Einstellung.105 Wie sich herausstellte sollten die Dieterles nicht eher als 1957 endgültig in ihr Heimatland zurückkehren. Warner Bros. nahm sowohl William als auch Charlotte unter Vertrag. Mierendorff beschreibt das folgendermaßen: Warner Bros. [hatte] in Hollywood mit der Produktion fremdsprachiger Filme begonnen, und Dieterle [war] als deutscher Schauspieler vorgesehen. Tatsächlich entschlossen sich beide Dieterles im Juli 1930 Warner Bros. Angebot, mit hohen Gagen für beide, anzunehmen. (MM 60)
Nach ihrer Ankunft in Hollywood endete Charlottes Karriere als professionelle Schauspielerin nach nur einem Film, nämlich Die heilige Flamme (USA 1930), was angesichts der Tatsache, dass beide, sowohl William als auch Charlotte vertraglich bei Warner gebunden waren, nur dadurch erklärt werden kann, dass die Produktion mehrsprachiger Filme eine äußerst kurzlebige Modeerscheinung war, die schnell wieder verschwand, da sie sich für die Filmstudios als zu kompliziert und kostspielig herausstellte und bald durch die Technik der Synchronisation ersetzt wurde. Folglich kam es auch zu einem dramatischen Rückgang bei der Nachfrage nach ausländischen Schauspielern, insbesondere weil Hollywood nur wenig Verwendung für Schauspieler mit fremdem Akzent fand. Wie Garncarz es ausdrückte: »Der deutsche Akzent der Schauspieler war auf der einen Seite ihr größtes ›kulturelles Kapital‹ auf der anderen Seite aber auch zugleich ihr größtes Handicap.«106 In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle erwies es sich aber als ihr größtes Handicap. Sowohl Asper als auch Horak bemerkten, dass ausländische Schauspieler bestenfalls dazu verdammt waren, die Rollen von nicht akzentfrei sprechenden Charakteren zu spielen, was natürlich bedeutete, dass die Handlung des Filmes an exotischen Schauplätzen erfolgen musste, um gleichsam den Akzent zu rechtfertigen.107 Davon waren auch etablierte Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich und Greta Garbo betroffen, deren Filme daher auch für gewöhnlich entweder in Europa oder in einem nicht näher beschriebener Märchenland spielten. Mit dem Aufkommen von gegen die Nazis gerichteten Filmen, erwies sich ein deutscher Akzent hie und da als nützlich. Trotzdem hatte Hollywood vor 1933 und umso eher 1938, dem Jahr als mit dem Film Confessions of a Nazi Spy (USA 1938) das neue Genre von Anti-Nazi-Filmen entstanden war, nur wenig Verwendung für Schauspieler mit einem entschieden fremden Akzent. Auch ist es wohlbekannt, dass aus diesem Grund mehr als eine Karriere zu Ende ging.108 Ein Beispiel dafür ist auch die Tatsache, dass »[im Exil], Albert Bassermann, einer der größten Filmschauspieler der 1930er Jahre109, keine seiner Gestalt angemessene Rolle fand, und sich auch der expressionistische Schauspieler Fritz Kortner mit Nebenrollen abfinden musste, die er niemals in Deutschland gespielt hätte«110. Außerdem war das Angebot an Rollen mit Akzent selbst dann noch gering, nachdem das Aufkommen von Anti-Nazi-Filmen zu einem leichten Anstieg der
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Nachfrage nach solchen Rollen geführt hatte. Ein Brief von Charlotte Dieterle an Fritz Lang verdeutlicht diesen Umstand. Lang hatte die Dieterles wegen der Möglichkeit kontaktiert, dem emigrierten Schauspieler Adolf E. Licho eine Rolle in dem nächsten Film von William zu geben. Als Antwort auf Langs Brief schreibt Charlotte: »sehr gerne hätte mein Mann den Licho in seinem Film beschäftigt. Leider ist es ihm diesmal nicht möglich, da dieser jetzige Film auch nicht die geringste Möglichkeit einer Besetzung mit einem Akzenten erlaubt […]«111. Die Probleme der ausländischen Schauspieler bei der Suche nach Arbeit in Hollywood werden noch weiter in einem Brief vom 25. April 1940 ausgeführt, den Charlotte Dieterle der damals in New York weilenden österreichischen Schauspielerin Margarete Neff schrieb. Es ging dabei um die Beantwortung von Frau Neffs Anfrage im Hinblick auf die Situation deutsch sprechender Schauspieler in Hollywood: Leider können wir Ihnen nur abraten, nach hier zu kommen. Es ist eine ungeheure Überfüllung in Ihrem Berufe hier vorhanden, […] und so unwahrscheinlich es auch klingen mag, nur eine sehr kleine Chance im Film jetzt unterzukommen. […] Aber unsere Erfahrungen mit deutschen Künstlern sind so traurig, dass wir jeden warnen müssen hierherzukommen. Wir haben Menschen wie Ilka Grüning, Gisela Werbezirk, Hermine Sterler […] und für keinen von denen auch nur die geringste Rolle.112
Neben der Beschreibung des in Hollywood herrschenden Mangels an Rollen für Schauspieler mit fremdem Akzent bringt Charlotte hier natürlich auch ihre Sorge um die Belange der Flüchtlinge zum Ausdruck, wobei ganz deutlich wird, dass es ihr um weit mehr als nur das Sammeln und Verteilen von Spendengeldern geht. Dass die Schauspielkarriere von William ebenfalls abrupt endete legt die Vermutung nahe, dass in beiden Fällen, sowohl in jenem von Charlotte als auch in jenem von William, der Verlauf ihrer Karrieren tatsächlich mit dem Ende mehrsprachiger Filmproduktionen zu tun hatte. William jedoch hatte noch seine zweite Karrieremöglichkeit als Regisseur, auf die er sich zur Not stützen konnte. Charlotte hingegen gab zwei Karrieren auf; jene als Schauspielerin und jene als Drehbuchautorin. Selbst wenn Mierendorff behauptet, dass die Entscheidung von William auf einen Vorschlag von Hal Wallis113 beruhte, stellt sich die Frage, wie bereits thematisiert wurde, ob dieser Schritt nicht auch gleichzeitig durch die Entscheidung von Warner Bros. motiviert wurde, die Produktion von ausländischen Filmversionen einzustellen. Während für einen Regisseur die perfekte Beherrschung des Englischen nicht unbedingt notwendig und es auch nicht schlimm war, wenn er einen Akzent hatte, waren für Charlotte, im Interesse einer weiteren, erfolgreichen Tätigkeit in einem ihrer angestammten Berufe, exzellente Englischkenntnisse in Wort und Schrift eine Grundvoraussetzung. Aus dem Wenigen, was wir über die ersten Jahre der Dieterles in Hollywood wissen, scheint hervorzugehen, dass es ihnen zumindest ähnlich wie den Franks ergangen ist. Sie »passte(n) sich nur langsam dem amerikanischen Lebensstil an. Die Lebensführung blieb deutsch, weitgehend auch der Kreis der Bekannten und Freunde […] Charlotte bezog sogar ihre Kosmetik aus Deutschland.« (MM 74) Darüber hinaus zogen es die Dieterles — trotz der Tatsache, dass William letztlich zu einem der besten Regisseure im Hollywood der dreißiger Jahre werden sollte — vor, nicht an den glamourösen gesellschaftlichen Anlässen und dem rauschenden Nachtleben teilzunehmen, das man gemeinhin mit Hollywood assoziierte. Die wenigen Menschen zu denen sie soziale Kontakte pflegten, gehörten zur deutschen Emigrantengemeinde. Die sozialen Gepflogenheiten der Dieterles kommentiert Mierendorff folgendermaßen: »[Dieterle war], wie schon in Berlin, sehr häuslich [und sein] gesellschaftlicher
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Umgang in Hollywood war erheblich von seinen Münchner Theaterjahren, von seiner Arbeit auf Max Reinhardts Bühnen in Berlin, Wien, und Salzburg, bestimmt.« (MM 74, 93) Somit wurde Charlotte die Aufgabe überlassen, das Begräbnis von Reinhardt anlässlich von dessen Tod im Jahr 1943 zu organisieren, ein Umstand, der nicht nur von ihrer Sorge um andere Emigranten zeugt, sondern auch demonstriert, wie nahe sie insbesondere Max Reinhardt stand. (MM 146) Es steht fest, dass der Lebensstil der Dieterles und die gesellschaftlichen Kreise, in denen sie sich bewegten nur wenig zu einer vollständigen Integration in die amerikanische Gesellschaft beitrugen und im Hinblick auf beide möglichen Berufswege, die Charlotte eingeschlagen hatte, kontraproduktiv waren, da durch diese Art zu leben, auch keine Verbesserung ihrer Englischkenntnisse zu erwarten war. Im Gegensatz dazu vermied es die deutsche Romanschriftstellerin und ebenfalls Emigrantin Vicki Baum überhaupt, deutsch zu sprechen, um gerade ihr Englisch aufzupolieren. Letztlich wurde sie dadurch in die Lage versetzt, ihre Bücher in der ihr vertraut gewordenen Fremdsprache, nämlich in Englisch zu verfassen. In einem sehr aufschlussreichen Brief an einen Freund [eine Freundin] schreibt sie Folgendes: Please, don’t mind my writing you in English. I’ve started work and it upsets me if I have to switch to German. As usual, there is too much German around me anyway; it’s funny how hard it is to make those emmigrants [sic] use a bit of tact and common sense and speak the right language.114
Dieser Umstand tritt noch deutlicher bei ihrer Biographin Nicole Nottelmann zutage. Sie schreibt: [Vicky Baum] wusste: Um auf Dauer auf dem umkämpften US-Markt erfolgreich zu sein, mussten ihre Romane nicht nur den deutschen Stempel, den »Thomas-MannEinfluss«, loswerden. Sie selbst musste auch die Sprache ihrer Leser sprechen. Deshalb plante Vicki spätestens seit 1934, ihre Romane auf Englisch zu schreiben.115
Es bedarf hier keiner langen Erklärung, warum Vicki Baum in keinem einzigen Kreis von Emigranten in Erscheinung trat. Sie zog es vor, ihre sozialen Aktivitäten auf Menschen mit Englisch als Muttersprache zu beschränken. Dasselbe gilt auch für Billy Wilder, der sich als Drehbuchautor voll und ganz bewusst war, dass er sich in Hollywood nur dann seinen Lebensunterhalt verdienen könne, wenn er die englische Sprache perfekt beherrscht. Folglich »traf Wilder ganz bewusst die Entscheidung, sich nicht ins Ghetto der entrechteten Europäer zurückzuziehen«116. Die Art und Weise wie Wilder Englisch lernte kommentierte er selbst folgendermaßen: Ich lernte, indem ich mich von der Flüchtlingskolonie distanzierte, mit neuen amerikanischen Freunden umherzog und Radio hörte. Vielleicht hilft es dabei, eine Sprache zu lernen, wenn man ins kalte Wasser geworfen wird. Man saugt alles in sich auf, und viel bleibt zurück.117
Da es nur wenige Rollen für Menschen mit fremdem Akzent gab und Charlotte, im Gegensatz zu Billy Wilder oder Vicki Baum fest in ihrer deutschsprachigen Umgebung und deutschen Kultur verwurzelt blieb — was wiederum jeglichen Erfolg als Drehbuchautorin in Hollywood höchst unwahrscheinlich machte — verliefen somit beide Karrieremöglichkeiten von Charlotte im Sande.
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Das Ende von Charlottes beruflicher Laufbahn sowie die Machtergreifung Hitlers ereigneten sich in etwa zur gleichen Zeit, wie auch Charlottes Engagement in der Politik und in der Philanthropie einsetzte. 1936 wurde die Hollywood Anti-Nazi League gegründet, bei der auch die beiden Dieterles Mitglieder wurden. Inspiriert durch Upton Sinclairs Wahlkampagne für den Gouverneursposten »[rief] Charlotte eine Schulfrühstücks-Initiative für zweitausend hungernde Kinder südkalifornischer Farmarbeiter ins Leben« (MM 94), und als in weiterer Folge die Zahl der Flüchtlinge aus Hitlerdeutschland anstieg, begann Charlotte sie dabei zu unterstützen, in Los Angeles Fuß zu fassen. William Moritz z.B. schreibt, dass »dank der Bemühungen von Paul Kohner sowie William und Charlotte Dieterle, am 30. Oktober 1936 Oskar [Fischinger] schließlich einen Vertrag mit MGM unterzeichnete, demzufolge er einen animierten Film abliefern sollte, den er privat auf seinem eigenen Grundstück drehen sollte«118. Ein weiterer Flüchtling, der von Dieterles Gastfreundschaft und Großzügigkeit profitierte war Friedrich Hollaender. In seiner Autobiographie steht dazu ausführlicher: Dann aber halfen sie, was bald noch wichtiger wurde, die gesetzmäßige Einwanderung vorzunehmen, denn ich war, wie alle, nur auf Besuchervisum emigriert. […] Die hilfreichen Hände der Dieterles besorgten alles, beschafften jedes Dokument, bald war es eine ganze Mappe. […] Aber ich möchte nicht wissen, wo wir geblieben wären, ohne unsere längst naturalisierten Schutzengel.119
Ein weiteres Projekt, bei dem Charlotte und ihr Ehemann involviert waren, war eine Produktion von Schillers Wilhelm Tell auf Englisch. Es ging dabei darum, möglichst vielen emigrierten Schauspielern, darunter auch Ernst Deutsch und Alexander Granach Aufträge zu verschaffen. Das Projekt wurde vollständig von den Dieterles finanziert. In einem Brief an Volkmar von Zühlsdorff120 vom 11. Mai 1939 erklärt Charlotte: Für Zech werde ich Ihnen Ende des Monats $ 50,00 schicken. Im Augenblick wird leider jeder Pfennig für unsere Tellaufführung gebraucht. Ich will Gott danken, wenn ich diese Sache auf die Beine gestellt habe. Damit haben wir doch 35 Menschen ein Arbeitsfeld gegeben, dass sie selbst ernähren kann […].121
Diese Produktion sollte sich für die Dieterles als »katastrophaler Reinfall«122 erweisen, eine Tatsache, die Palmier mit »den Schwierigkeiten erklärt, die die deutschen Schauspieler beim Meistern der Fremdsprache hatten«123 Charlottes Antwort auf die sich verschlechternde Flüchtlingskrise kommt zusätzlich in einem auf Deutsch geschriebenen Brief zur Sprache, der sich an Lion Feuchtwanger richtete. Es geht darin um einen ihrer Freunde, der dringend ein Einreisevisum in die USA benötigte. Was dieser Brief vor allem zeigt, ist, mit welcher Hingabe sich Charlotte dafür engagierte, dass Flüchtlinge aus dem von den Nazis besetzten Europa ausreisen durften, und dass sie dabei sowohl Freunden als auch Fremden ihre Hilfe zuteil werden ließ. […] Wäre es Ihnen möglich, mir mit Ihren Verbindungen in Mexiko ein Einreisevisum für meine Freundin Valerie Sara Kohn […] zu verschaffen? Sie wissen, dass es mir in vielen Fällen gelungen ist, Menschen zur Einreise in die Staaten etc. zu verhelfen, und fast alle waren mir völlig unbekannt. In dem Falle Valerie Kohn handelt es sich wirklich um eine langjährige Freundin, und gerade ihr konnte ich jetzt nicht helfen.124
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Weniger als zwei Monate zuvor hatte Charlotte Feuchtwanger auf Englisch einen Brief geschrieben, in dem es um den Fall des deutschen Bühnenautors Georg Kaiser ging: S.g. Herr Feuchtwanger, Eine kleine Gruppe von Amerikanern und Deutschen […] versuchen Geld zu sammeln, um Georg Kaiser vor den Nazis zu retten […]. Es bedarf keiner Worte, um diesen Mann und sein Werk vorzustellen. Ich denke, es ist mehr als unsere Pflicht Georg Kaiser zu jenem freien und schönen Leben zu verhelfen, das wir alle hier in Kalifornien genießen […]. Es ist daher nur eine kleine Gruppe, an die ich mich in diesem Fall wenden kann. Bitte, lassen Sie mich nicht im Stich.125
Was an diesem Brief besonders auffällt, ist die Dringlichkeit und Hingabe mit der die Nachricht übermittelt wird. Ein ähnliches Engagement demonstriert Charlotte bei ihrer Unterstützung für die German Academy in Exile126. Das geht aus einem Brief vom 7. Mai 1938 hervor, den der Geschäftsführer dieser Organisation127 an Charlotte Dieterle richtete: »Erst heute erhalte ich Ihren so lieben Brief vom 17. März […] und Ihren Scheck auf $ 50 und ich danke Ihnen auf das Innigste für Ihre große Freundlichkeit […].«128 Dass es sich dabei keineswegs um einen Einzelfall handelte geht klar und deutlich aus dem Antwortschreiben von Charlotte Dieterle an Mr. Villard vom 15. Juni 1938 hervor129: […] Anbei finden sie einen Scheck über $ 150. […] $ 50 beträgt die monatliche Apanage für Paul Zech und $ 100 sind Zwei-Monats-Beiträge für Mrs. Elisabeth Gundolf in London. Wie ich bereits Prinz Löwenstein geschrieben habe, werden wir uns drei Monate lang um Mrs. Gundolf kümmern. Wenn Sie [sic] bis dahin niemanden für sie gefunden haben, lassen Sie [sic] es uns bitte wissen. Wenn wir dazu in der Lage sind, werden wir gerne auch weiterhin einen Beitrag leisten [sic].130
Eine weitere Organisation, bei der Charlotte mitwirkte, war das National Citizens Political Action Committee, das sich selbst als »unparteiliche Organisation für die Wahl Franklin D. Roosevelts und einen progressiven Kongress« definierte131. Zu den Mitgliedern dieser Organisation gehörten auch Orson Welles, Ben Hecht132 und Paul Robeson133. In einem gemeinsam von Charlotte Dieterle, Edward G. Robinson und Lester W. Roth134 an Lion Feuchtwanger geschickten Brief vom 20. September 1944 ist ein handschriftliches Postskriptum von Charlotte enthalten: »Lieber Doctor Feuchtwanger — mein Mann und ich sind Mitglieder in diesem Committee weil wir es für eine der wichtigsten Bewegungen halten in der richtigen Richtung dieses Landes[…].«135 An dieser Stelle muss betont werden, dass keine dieser zuvor erwähnten Bemühungen und Engagements irgendetwas mit der Arbeit von Charlotte im EFF zu tun hatten.136 Es darf nicht vergessen werden, dass es sich beim EFF um keine politische Organisation handelte. Gleichzeitig hatte sich aber auch im Laufe der Jahre Charlottes politisches Bewusstsein geschärft. Somit wird klar; dass eine Lücke entstanden war, die allein durch Charlottes Arbeit beim EFF nicht mehr gefüllt werden konnte. Da einige der sozialen Engagements von Charlotte noch aus der Zeit vor der Gründung des EFF stammen, ist anzunehmen, dass ihr philanthropisches Wirken sowie ihr ständig steigendes Interesse an Politik kurz nach dem Ende ihrer beruflichen Karriere einsetzte; eine Zäsur, die zeitlich mit Hitlers Machtergreifung und der
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darauffolgenden Flüchtlingskrise zusammenfällt. Wie aber aus diesem letzten Brief hervorgeht, war es, trotz der Tatsache, dass das Ehepaar Dieterle häufig gemeinsam an der Arbeit einer Flüchtlingsorganisation mitwirkte oder sich für ein philanthropisches Anliegen engagierte, dennoch Charlotte, die für gewöhnlich eine aktivere Rolle als ihr Mann spielte. Nichtsdestotrotz scheint der Status ihres Gatten William als bedeutender Filmregisseur in der historischen Rückschau den Beitrag von Charlotte überstrahlt zu haben, deren Bemühungen, ja deren ganzes Leben, sich im Schatten ihres berühmten Ehemannes abspielte. In Bezug auf den EFF beispielsweise wird der Name von William Dieterle häufig mit dessen Arbeit verbunden, und das, obwohl seine diesbezüglichen Leistungen eher gering waren.137 In diesem Zusammenhang scheint die Feststellung angebracht zu sein, dass die wenigen Hinweise, die die Rolle von Liesl und Charlotte beim EFF betonen und in denen Männer unerwähnt bleiben von Frauen stammen, was wahrscheinlich kein Zufall ist. Dazu gehört wahrscheinlich auch Marta Feuchtwangers in dieser Einführung zitierte Aussage in Bezug auf den EFF. Ein weiterer Hinweis kommt von Salka Viertel, die in ihren Memoiren schreibt: »Liesl Frank und Charlotte Dieterle gründeten den ‘Europäischen Film Fonds’, um bedrohten Autoren und Schauspielern Überfahrt und Start in Amerika zu ermöglichen.«138 Mit einer Biographie, die jener von Charlotte nicht unähnlich ist139, war sich Viertel wahrscheinlich dessen bewusst, wie einfach es dazu kommen kann, dass eine Frau in dem Schatten ihres prominenten Ehemanns steht.140 Das politische Engagement von Charlotte und William war beträchtlich. Auch waren ihre politisch linken Überzeugungen in Hollywood bestens bekannt, was, laut Mierendroff letztendlich dazu führte, dass beide vom HUAC sowie vom FBI beobachtet wurden.141 Über William schreibt James Lyon in seinem Buch über Bertolt Brecht, dass er »im Allgemeinen liberal [aber] bei weitem kein radikaler Marxist war«142. Damals, in der Zeit zwischen 1947 und 1948 jedoch, reichte liberal zu sein bereits aus, den Verdacht von Edgar Hoover vom FBI oder John Parnell Thomas, dem republikanischen Vorsitzenden des HUAC, auf sich zu ziehen. Mit dem Beginn des Kalten Krieges und dem Wandel Russlands vom Verbündeten zum Feind der USA, wurde es zum ersten Mal wahrscheinlich, dass liberale Aktivitäten von gestern als subversiv gewertet wurden. Lilian Hellman meinte dazu: Wie konnte man denn wissen, dass während des Kriegs die Unterstützung für die russische Kriegshilfe so tadellos geleistet wurde wie bei Bundles for Britain? Das konnte man nicht vorausahnen, es sei denn, man wäre so geistesgestört gewesen, dass der Begriff frühzeitiger Anti-Faschist Eingang in die Sprache gefunden hätte. Eine Aktivität eines solchen frühzeitigen Anti-Faschisten war z.B. die Mitgliedschaft in der Hollywood Anti-Nazi League.143
Peter Viertel schreibt über seine Mutter Salka: Sie hatte Angst, dass sie auf die schwarze Liste gesetzt werden würde wegen ihrer Mitgliedschaft bei der Anti-Nazi League, die vom Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten als kommunistische Vorfeldorganisation betrachtet wurde.144
Wie bereits erwähnt waren William und Charlotte beide Mitglieder der Hollywood Anti-Nazi League, und obwohl William offiziell nie auf die schwarze Liste gesetzt worden war, bemerkte Hermanni dazu: »[William wurde] zunehmend von den Studios gemieden.«145 Keiner der Dieterles machte aus ihrer linken politischen Überzeugung einen Hehl, noch verbargen sie ihren gegen die Nazis gerichteten Stand-
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punkt. Das kam auch deutlich in den vor dem Krieg gedrehten, liberalen Filmen von William zum Ausdruck, wie z.B. in Das Leben des Emile Zola (USA 1937). Dieser Film »ist genauso ein Rüffel für Hitler wie eine verspätete Verteidigung von Dreyfus«146. Dasselbe gilt für den Film Blockade (USA 1938), der in der zeitgenössischen, kommunistischen Zeitung Daily Worker mit den Worten kommentiert wurde: »Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hatte die amerikanische Filmindustrie den Mut, eine klare Position zu beziehen in einem aktuellen Problem von internationaler Tragweite.«147 Zu erwähnen ist an dieser Stelle aber auch Juarez (USA 1939), ein Film, »der den Totalitarianismus kritisierte und die Demokratie lobte«148. Es waren gerade diese Filme, die dazu beitrugen, dass in den Augen des HUAC »[William Dieterle] als ein potentieller Kommunist verschrien«149 war. Als mutmaßlicher Kommunist hatte William immer größere Schwierigkeiten, Arbeit zu finden, was letztendlich die Dieterles dazu veranlasste, nach Deutschland zurückzukehren. Was Charlotte anbelangt, enthielt ihre FBI Akte Information über ihr Engagement im Exiled Writers Committee, »in dem sie aktiv tätig war« (MM 247), sowie über ihre Verbindungen zu Bertolt Brecht. Die Beziehungen von Letzterem zu den Dieterles wiederum müssen »weitaus enger gewesen sein, als aus Brechts Arbeitsjournal zu entnehmen ist« (ebd.). Außerdem soll, laut Mierendorff, Charlotte Colonel Robert Lord inständig gebeten haben »dringend für eine bessere Position für Brechts Sohn Stefan [zu intervenieren]«150. Darüber hinaus versuchte Charlotte »im Mai 1945 Philip Conelly vom Los Angeles CIO Council für die Produktion von Brechts The Private Life of the Master Race zu gewinnen« (MM 247). Ihre Bemühungen führten schließlich dazu, dass »Charlotte […] im August 1948 in Washington verhört« wurde151, aber weder Hermanni noch Mierendorff geben irgendwelche Details über das Ergebnis dieses Verhörs preis.152 Nichtsdestotrotz zeigt alles das, dass Charlotte eine politische Seite hatte, die nicht unabhängig von ihrem philanthropischen Engagement gesehen werden kann, welches wiederum mit der durch die Ereignisse in Europa ausgelösten Flüchtlingskrise verbunden war. Außerdem drückte sich Charlotte auch nicht davor, für ihre politischen Überzeugungen zu kämpfen, und hatte auch keine Angst, diese zu vertreten. Das geht auch klar und deutlich aus dem folgenden Brief an Ernst Lubitsch vom 21. August 1945 hervor. Mehr als alle anderen Dokumente und Aussagen, die den Großmut von Charlotte sowie ihr Engagement im Dienste der Flüchtlingsfrage und ihr politisches Wirken beweisen, bringt dieser Brief m.E. ihre Charakterstärke sowie ihre politischen Überzeugungen zum Ausdruck. Der folgende Auszug wurde von Charlotte auf Englisch verfasst. Er ist die Antwort auf Ernst Lubitschs Ablehnung ihres Vorschlags, den EFF aus Angst vor kommunistischer Unterwanderung zu reorganisieren. […] Aber ich wollte damit zwei Ziele erreichen: Erstens, wollte ich die Unterstützung für die Leute des European Film Funds beibehalten, und zweitens, wollte ich die legalen Rahmenbedingungen einer karitativen Organisation für einen weiteren Zweck nutzen, der darin bestand, dieselbe Art von Hilfe in größerem Ausmaß zu leisten. Der Widerstand seitens der Direktoren des EFF gegen die Verwirklichung meines Plans war so groß, dass ich keine weiteren Anstrengungen mehr unternehmen möchte, diesen Widerstand zu brechen. Daher habe ich mich dazu entschlossen, dieses Projekt komplett aufzugeben und dabei zu helfen, völlig unabhängig, nämlich unabhängig von den politischen Ideologien einiger potentieller Mitglieder, den Weg für eine neue Organisation zu ebnen. Die Zeiten haben sich geändert, und es hat sich gezeigt, wie viel Schaden mit der Angst vor dem alten »Schreckgespenst des Kommunismus« angerichtet werden kann. Ich nehme es Ihnen übel, dass sie sich
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EUROPEAN FILM FUND ein Urteil über die führenden Persönlichkeiten der geplanten Organisation anmaßen. […] Die Zeiten sind zu bedeutend und die Not ist viel zu groß, als dass man sich solche Diskriminierungen leisten könnte. Es spielt keine Rolle, wenn Franz Werfel der Jüdischen Wohlfahrt $ 100 oder $ 1000 spendet; und es spielt auch keine Rolle, wenn Lion Feuchtwanger nicht diejenige Summe spendet, die aufgrund seines Ruhmes von ihm zu erwarten wäre. […]153
Mehr als alles andere demonstriert dieser Brief ohne jeden Zweifel Charlottes Sorge um das Wohlergehen der Flüchtlinge, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen waren. Diese Sorge war für sie wichtiger als kleinliche Streitereien in Bezug auf politische Haltungen. Wenn man in Betracht zieht, dass sie vom HUAC und dem FBI beobachtet, ja sogar nach Washington beordert wurde, scheinen sowohl ihr Engagement für Flüchtlingsfragen als auch ihre politischen Überzeugungen umso bemerkenswerter zu sein. Charlottes Hingabe wird weiter durch die Tatsache bestätigt, dass sie die erste gutgläubige Nichtjüdin im Aufsichtsrat des EFF war. Wie bereits zuvor erwähnt, war Liesl Frank von jüdischer Herkunft, und zwar trotz ihrer Taufe und trotz der Tatsache, dass bereits ihre Mutter, Fritzi Massary, zum Christentum übergetreten war, um der Unterdrückung und Diskriminierung zu entgehen. Alle anderen Aufsichtsratsmitglieder des EFF, so auch Liesls Ehemann Bruno, waren Juden. Im Gegensatz dazu waren sowohl William als auch Charlotte Dieterle von Geburt an Protestanten. Die überwiegende Mehrheit von Mitgliedern des EFF — sowohl Spender als auch Begünstigte — waren Juden.154 Es gibt auch Beweise, die dafür sprechen, dass die Mitarbeit von Nichtjuden in Flüchtlingsorganisationen nicht unproblematisch war. Das geht auch aus einem Brief hervor, der auf Deutsch von einem Mitglied der American Guild for German Cultural Freedom an Paul Zech geschrieben wurde.155 In diesem Brief behauptet der Autor Folgendes: […] Ich weiß wohl, wie schwer es alle in der Emigration gehabt haben, die nicht Juden sind, und wir haben da selber sehr trübe Erfahrungen gemacht. Es ist unglaublich, was für ein starker Antijaphetismus156 in weiten jüdischen Kreisen herrscht, je mehr noch, was für ein tiefsitzender Christenhass. Es ist uns passiert, dass man einen jungen jüdischen Emigranten mit Beschimpfungen hinausgeworfen hat, als man erfuhr, dass er zum katholischen Glauben übergetreten war. […]157
Es gibt innerhalb des EFF keine bekannten Fälle von Ablehnung gegenüber Christen. Auch ist nicht klar, ob Charlotte sich der Existenz solcher Ressentiments bewusst war. Charlottes oben zitierter Brief unterstreicht einmal mehr ihre Solidarität mit jüdischen Emigranten, was sich, wie wir gesehen haben, keinesfalls von selbst verstand. Aber in Anbetracht von Charlottes politischen Überzeugungen sowie ihrer engen Verbindungen zur Emigrantengemeinde, war ihre Solidarität einfach Ausdruck sowohl ihrer politischen als auch ihrer moralischen Integrität. Abschließend sei hier noch bemerkt, dass das, was Liesl und Charlotte miteinander verband, die Tatsache war, dass sie beide tief in der Gemeinschaft von Emigranten verwurzelt waren, und dass keine der beiden Frauen, dem stereotypen Bild der karitativen Dame aus vornehmer Gesellschaft entsprach, und zwar aus dem einfachen Grund, weil keine von ihnen an repräsentativen sozialen Aktivitäten teilnahm, die eine solche Beschreibung gerechtfertigt hätten. Beide waren stark durch ihre Erfahrungen im Exil geprägt. Lixl-Purcells Bemerkung scheint hier angebracht zu sein, da sie auf beide Frauen zutrifft: »Was noch in der Zeit vor dem Exil als subversiv,
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unkonventionell, abtrünnig und provokativ gegolten hatte, wurde plötzlich zum Ursprung eines neuen Gefühls von Sicherheit sowie neuer Überlebensstrategien.«158 Das bedeutet, dass für Liesl, die auf keine professionelle Berufslaufbahn verweisen konnte, das Exil mit dem aktiven Engagement in einer Hilfsorganisation verbunden war, was ihr zweifelsohne den Weg für eine künftige Karriere als Literaturagentin ebnete. Charlotte hingegen ersetzte ihre früheren Berufe gleichsam durch ihr Engagement in Flüchtlingsangelegenheiten. Dabei handelte es sich um ein Engagement, das in Bezug auf ihre Rolle als Philanthropin an die Grenzen des Machbaren stieß. Dieser Umstand wurde zusätzlich von der Tatsache unterstrichen, dass kein anderes Aufsichtsratsmitglied des EFF, einschließlich Liesl Frank, Mitglied bei der Hollywood Anti-Nazi League wurde. Auch unterstützte keiner der anderen Aufsichtsratsmitglieder Brecht auf die Art und Weise wie Charlotte das tat. Auch wurde keines der anderen Aufsichtsratsmitglieder nach Washington beordert, um während der McCarthy-Ära Zeugnis abzulegen. Während Charlotte und William tatsächlich häufig dieselben politischen Anliegen und Organisationen unterstützten, gerät ihre Involviertheit, bedingt durch Williams Image als bekannter Filmregisseur, häufig in Vergessenheit, und das, obwohl, wie wir gesehen haben, gewöhnlich Charlotte die aktivere von beiden war und William sich auf repräsentative Pflichten beschränkte. Schließlich wurden Charlotte und Liesl zu den aktivsten Mitarbeiterinnen des EFF. Beide waren jedoch die Frauen berühmter Männer, und während Charlotte noch vor ihrer Ankunft in den USA einen Beruf ausgeübt und Karriere gemacht hatte, traf dasselbe für Liesl nicht zu. Das Engagement beim EFF bedeutete für beide ein neues Leben und eine neue Identität, und zwar unabhängig von ihren Ehegatten, wodurch sich für Charlotte eine dritte Karrieremöglichkeit eröffnete, während sich gleichzeitig für Liesl die erste ihres Lebens ergab. Übersetzt von Michael Hutterer
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Paul Kohners Sohn Pancho und seine Witwe Lupita in einem Interview mit dem Verfasser, geführt am Samstag, dem 24. Juni 2006 zwischen 13:00 und 15:00 Uhr bei Musso and Frank’s (Hollywood). John Russell Taylor behauptet, es sei am »24. Oktober 1939« gewesen (John Russell Taylor: Strangers in Paradise [NY: Holt, Rinehart & Winston 1983], S. 146), ein Datum, das er zweifelsohne von E. Bond Johnson übernommen hatte. Vgl. E. Bond Johnson: »Der European Film Fund und die Exilschriftsteller in Hollywood«. In Deutsche Exilliteratur seit 1933. Bd. 1: Kalifornien. Hrsg. John M. Spalek u. Joseph Strelka. (Bern: Franke 1976), S. 137. Aus neuem Beweismaterial geht jedoch hervor, dass der EFF mehr als ein Jahr zuvor gegründet wurde. Frederick Kohner: The Magician of Sunset Boulevard – The Improbable Life of Paul Kohner, Hollywood Agent (Palos Verdes, CA: Morgan 1977), S. 109. Frederick Kohner hatte sich jedoch geirrt, was das Gründungsjahr des EFF anbelangte, da er ebenfalls angab, es sei das Jahr 1939 gewesen. Lupita Kohner erinnert sich daran, dass Paul Lubitschs Hilfe in Anspruch genommen hatte und auch daran, weshalb. Sie erinnert sich jedoch leider nicht mehr daran, wann Paul zum ersten Mal die Idee hatte, den EFF zu gründen. Interview mit Pancho und Lupita Kohner (wie Anm. 1). Brief von Aufsichtsratsmitgliedern des EFF an William O’Connor vom 17. Okt. 1938; Sammlung Paul Kohner: Akte European Film Fund, Deutsche Kinemathek, Berlin. Satzung vom 5. Nov. 1938; ebd.
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EUROPEAN FILM FUND Verordnungen des European Film Fund vom 22. Nov. 1938, Sammlung Paul Kohner, ebd. Kopie eines Briefes von Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Max Horkheimer, Thomas Mann, Erich Maria Remarque und Franz Werfel an Upton Sinclair vom 15. Mai 1942. Privatsammlung von John Spalek, Albany, NY; Original in Manuscripts Department, Lilly Library, Indiana State University, Bloomington, IN. Kopie eines Briefes von Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Max Horkheimer, Thomas Mann, Erich Maria Remarque und Franz Werfel an Lewis Browne vom 22. Mai 1942, Privatsammlung von John Spalek, Albany, NY; Original in Manuscripts Department, Lilly Library, Indiana State University, Bloomington, IN. Hans Wysling: The Letters of Thomas and Heinrich Mann, 1900–1949 (Berkeley, CA: Univ. of California Press 1998), S. 250. Frederick Kohner: The Magician of Sunset Boulevard (wie Anm. 3), S. 112. Satzung vom 5. Nov. 1938; Sammlung Paul Kohner: Akte European Film Fund, Deutsche Kinemathek, Berlin. Brief von Fred Keller an Albert Bassermann vom 20. Feb. 1941; ebd. Helmut G. Asper: Max Ophüls: eine Autobiographie mit zahlreichen Dokumenten, Texten und Bildern (Berlin: Bertz 1998), S. 445. Brief von Charlotte Dieterle an Max Horkheimer vom 5. Sept. 1941; Siegfried Kracauer Archiv, Deutsches Literaturarchiv, Marbach, Handschriftenabteilung. Das Buch handelte von Jacques Offenbach. Helmut G. Asper: »Etwas Besseres als den Tod …«: Filmexil in Hollywood; Porträts, Filme, Dokumente (Marburg: Schüren 2002), S. 237. Brief von Fred Keller an Ronald Button vom 12. Feb. 1941; Sammlung Paul Kohner, ebd. Vgl. Helmut Asper, »Etwas Besseres als den Tod …« (wie Anm. 17), S. 238. Scott Eyman: Ernst Lubitsch: Laughter in Paradise (Baltimore: John Hopkins Univ. 2000), S. 248. Ebd. Marta Mierendorff: William Dieterle: der Plutarch von Hollywood (Berlin: Henschel 1993), S. 113. Von nun an im Text als MM mit Seitenzahl zitiert. Neben Lubitsch, Dieterle, Kohner und Frank war Heinz Herald ein ausgebildeter Drehbuchautor (The Life of Emile Zola [Das Leben des Emile Zola], USA 1937; Dr. Ehrlich’s Magic Bullet [Paul Ehrlich – ein Leben für die Forschung], USA 1940) genauso wie Felix Jackson (The Rage of Paris [Wirbelwind aus Paris; auch bekannt als Die flotte Pariserin], USA, Frankreich 1938; Spring Parade, USA 1940), während Fred Keller bei der Paul Kohner Agency fest angestellt war. Vgl. Scott Eyman (wie Anm. 20); Helmut Asper: »Etwas Besseres als den Tod …« (wie Anm. 17), S. 237. E. Bond Johnson (wie Anm. 2), S. 145. Ich nehme an, dass eine der Fragen, die an diesem Abend diskutiert wurden, den Rücktritt des Aufsichtsratsmitglieds Felix Jackson sowie die darauf folgende Wahl von Henry Koster zum Schriftführer betraf, da ja kurz danach, im Februar 1941 der Anwalt des EFF damit beauftragt wurde, »die notwendigen Papiere vorzubereiten«, um alles offiziell zu machen. Telegramm von Ernst Lubitsch an Fritz Lang vom 24. Jan. 1941; Fritz Lang Collection, Louis B. Mayer Library, American Film Institute, Los Angeles. Es scheint so, als ob sich die Anwälte des EFF neue Partner gesucht hätten, weil sie anfänglich an O’Connor, Button & Mosher verwiesen worden waren. Brief von Liesl Frank-Mittler-Lustig an John Spalek vom 18. Juli 1971; Privatsammlung John M. Spalek, Albany, NY. Typisches Beispiel: Brief von Liesl Frank an Hans Sahl vom 2. Mai 1941; Hans Sahl Archiv, Deutsches Literaturarchiv, Marbach, Handschriftenabteilung. Brief von Charlotte Dieterle an Liesl Frank vom 25. Juni 1940 im Namen der Familie Thormann, die völlig mittellos und ohne jede Aussicht auf Arbeit, in Mexiko gelandet war; Sammlung Paul Kohner (wie Anm. 12).
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Franz Oppenheimer (Berlin 1864 – Los Angeles 1943): einflussreicher Ökonom und Soziologe. Er wird als Vater der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet. Ludwig Erhard war einer seiner Schüler. Telefoninterview mit Renata Lenart vom 30. Apr. 2006. S. Jay Kleinberg: Retrieving Women’s History: Changing Perceptions of the Role of Women in Politics and Society (Providence, RI: Berg 1988), S. ix. Andreas Lixl-Purcell: Women of exile: German-Jewish autobiographies since 1933 (NY: Greenwood 1988), S. 7. Peter Gay: »The First Sex«. In Between Sorrow and Strength: Women Refugees of the Nazi Period. Ed. Sibylle Quack (NY: Cambridge Univ. 1995), S. 358. Vgl. Jan Lustig: Ein Rosenkranz von Glücksfällen: Protokoll einer Flucht. Hg. Erich Frey (Bonn: Weidle 2001), S. 141; siehe Harold von Hofe: Briefe von und an Ludwig Marcuse (Zürich: Diogenes 1975), S. 152. Lixl-Purcell: Women of exile (wie Anm. 34), S. 7. Beispiele: Helmut Asper: »Etwas Besseres als den Tod …« (wie Anm. 17); Eyman: Ernst Lubitsch (wie Anm. 20); Anthony Heilbut: Exiled in Paradise (NY: Viking 1983); Jean-Michel Palmier: Weimar in Exile (London: Verso 2006); Cornelius Schnauber: Hollywood Haven: Homes and Haunts of the European Émigrés and Exiles in Los Angeles (Riverside, CA: Ariadne 1997); John Russell Taylor: Strangers in Paradise (NY: Holt, Rinehart & Winston 1983); Salka Viertel: The Kindness of Strangers (NY: Holt, Rinehart & Winston 1969). Liesl Franks Ehe mit Bruno Frank endete mit dessen Tod 1945. Einige Jahre später heiratete sie den ebenfalls emigrierten Filmregisseur Leo Mittler, der 1958 starb. 1964 ehelichte sie einen weiteren Emigranten, den Schriftsteller Jan Lustig. Sie lebten zusammen in München bis zu Liesls Tod im März 1979. Jan Lustig überlebte sie um weniger als einen Monat. Über Bruno Frank siehe Virginia Sease: »Bruno Frank«. In Deutsche Exilliteratur seit 1933. Bd. 1: Kalifornien. Hg. John M. Spalek u. Joseph Strelka (Bern: Franke 1976); Autorenlexikon deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. Manfred Brauneck (Hamburg: Rowohlt 1991); Harold von Hofe: »German Literature in exile: Bruno Frank«, German Quarterly, XVIII, Nr. 2 (March 1945), S. 86-92. Über Jan Lustig, siehe Karl-Heinz Boewe: »Jan Lustig«. In Deutsche Exilliteratur seit 1933. Bd. 1: Kalifornien, ebd.; Lustig: Ein Rosenkranz von Glücksfällen (wie Anm. 36). Taufschein von Elisabeth Maria Karl Pallenberg, 16. Sept. 1903; Jan/Hanns G. Lustig Archiv, Deutsches Literaturarchiv, Marbach, Handschriftenabteilung. Carola Stern: Die Sache die man Liebe nennt: das Leben der Fritzi Massary (Berlin: Rowohlt 1998), S. 42. Das Ablegen »jüdisch klingender« Namen war damals gang und gäbe. Sowohl Fritz Kortner (eigentlich Fritz Nathan Kohn) und Elisabeth Bergner (eigentlich Elisabeth Eittel), sahen sich, im Interesse ihrer Karriere, gezwungen, ihre jüdischen Wurzeln zu verheimlichen. Fritz Kortner: Aller Tage Abend (München: DTV 1969), S. 250. Heiratsurkunde von Liesl und Bruno Frank vom 6. Aug. 1924; Jan/Hanns G. Lustig Archiv (wie Anm. 42). Das war damals nicht ungewöhnlich. Abrams und Harvey meinen dazu: »kurz nach dem Ersten Weltkrieg und der Revolution bestand ein Eckpfeiler der Regierungspolitik in der Weimarer Republik zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und der sozialen Stabilität darin, sowohl zu Hause als auch im Berufsleben erneut die traditionellen Geschlechterrollen zu verankern«. Lynn Abrams / Elizabeth Harvey. Gender relations in German history: power, agency and experience from the sixteenth to the twentieth century (London: UCL Press 1996), S. 8. Erika u. Klaus Mann: Escape To Life: deutsche Kultur im Exil (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996), S. 314. Ebd., S. 312. Brief von Liesl Frank-Mittler-Lustig an John Spalek vom 18. Juli 1971; Privatsammlung, John M. Spalek, Albany, NY. Harold von Hofe: »German Literature in Exile: Bruno Frank« (wie Anm. 40).
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EUROPEAN FILM FUND Unter den Emigranten, die sich in Sanary niedergelassen hatten, waren Thomas und Heinrich Mann sowie deren Familien, Lion und Marta Feuchtwanger, Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel, Alfred Döblin und René Schickele, um nur einige zu nennen. D. Schiller, K. Pech, R. Herrmann, M. Hahn: Exil in Frankreich (Frankfurt a.M.: Röderberg 1981), S. 156. Siehe Ian Wallace: German Speaking Exiles in Great Britain (Amsterdam: Rodopi 1999), S. 60. Brief von Liesl Frank an Alexander Moritz Frey vom 20. Mai 1937; Alexander Moritz Frey Archiv, Deutsches Literaturarchiv, Marbach, Handschriftenabteilung. Brief von Liesl Frank-Mittler-Lustig an John Spalek vom 20. Dez. 1972; Privatsammlung John Spalek, Albany, NY. Brief von Liesl Frank-Mittler-Lustig an John Spalek vom 18. Juli 1971, ebd. Die Blumenfrau von Lindenau (Germany 1931), basierend auf Bruno Franks Theaterstück Storm in a Tee-Cup [Sturm im Wasserglas]; Storm in a Tee-Cup (UK 1937), mit Vivian Leigh und Rex Harrison in den Hauptrollen. Weder Heinrich Mann noch Alfred Döblin hatten außerhalb von Deutschland viele Leser. Folglich hingen sie völlig vom deutschen Markt ab, welcher ihnen selbstverständlich nicht offen stand, was beiden Schriftstellern erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bereitete. 518 North Camden Drive war die Adresse der Franks in Los Angeles bis Liesl nach dem Tode ihres Mannes nach New York zog. Erika u. Klaus Mann, Escape to Life (wie Anm. 46), S. 312. Brief von Liesl Frank-Mittler-Lustig an John Spalek vom 18. Juli 1971 (wie Anm. 54); Speyer und Polgar wurde gemeinsam mit zehn anderen Schriftstellern vom EFF in Zusammenarbeit mit dem Emergency Rescue Committee im Herbst 1940 die Ausreise in die USA ermöglicht. Alma Mahler-Werfel: Mein Leben (Frankfurt a.M.: Fischer 1993), S. 355. Ehrhard Bahr / Carolyn See: Literary exiles and refugees in Los Angeles: papers presented at a Clark Library Seminar, 14 April 1984 (Los Angeles, CA: William Andrews Clark Memorial Library, Univ. of Los Angeles 1988), S. 21. Jean Michel Palmier: Weimar in Exile: the antifascist emigration in Europe and America (London: Verso 2006), S. 100. Ebd., S. 547. Thomas Elsaesser: Weimar cinema and after: Germany’s historical imagery (London: Routledge 2000), S. 371. Palmier: Weimar in Exile (wie Anm. 63), S. 454. Ebd., S. 494. Salka Viertel: Das unbelehrbare Herz (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987), S. 269. Helmut Asper: »Etwas Besseres als den Tod …« (wie Anm. 17), S. 49. Stern verweist auf die drei großen »salonières« des 18. und 19. Jh.s. in Berlin und Wien: Rahel Varnhagen-Levin (1771–1833): zu Gast in ihren Salons (der erste: 1790–1806; der zweite: 1820–1833) waren u.a. Wilhelm und Alexander von Humboldt, Jean Paul, Heinrich Heine, Ludwig Tieck. Henriette Herz (1764–1847): the »grande dame of the Berliner Salons« (Die Geschichte der Juden in Deutschland. Hg. A. Herzig u. C. Rademacher [Hamburg: Ellert & Richter 2007], S. 290). Zu den Gästen in ihrem Salon gehörten Jean Paul, Friedrich Schlegel usw. Fanny von Arnstein (1758–1818): Sie etablierte den sog. intellektuellen Salon, der von Berlin nach Wien exportiert wurde. Zu den Besuchern ihres Salons gehörten Justinus Kerner, Friedrich Schlegel usw. Eyman: Ernst Lubitsch (wie Anm. 20), S. 327. Interview mit Lupita Kohner (wie Anm. 1). Lupita Kohner betonte, dass bei diesen Treffen ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Oral History Interview, Liesl Reisch; German and Jewish Intellectual Émigré Collection: John Spalek Collection, University Libraries, M.E. Grenander Department of Special Collections, University at Albany, State University of New York. Stephen D. Youngkin: The Lost One: A Life of Peter Lorre (Lexington, KY: Univ. Press of Kentucky 2005), S. 255.
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Jan-Christopher Horak: »On the Road to Hollywood – German-Speaking Filmmakers in Exile 1933-1950«. In Exile Across Cultures – kulturelle Wechselbeziehungen im Exil. Hg. Helmut Pfanner (Bonn: Bouvier 1986), S. 245. Siehe Otto Friedrich: Der Markt der schönen Lügen (Köln: Kiepenheuer & Witsch 1988), S. 62; Palmier: Weimar in Exile (wie Anm. 63), S. 479, 480. Jan-Christopher Horak: »On the Road to Hollywood« (wie Anm. 75), S. 246. Stern: Die Sache die man Liebe nennt (wie Anm. 42), S. 315. Palmier: Weimar in Exile (wie Anm. 63), S. 472. Brief von Fred Keller an Ilse Landsberg vom 1. Mai 1945; Sammlung Paul Kohner, ebd. In ihrem Brief an Thomas Mann vom 29. Juni 1945 verwies Charlotte Dieterle auch auf Liesl Franks Krankheit; Akademie der Künste, Berlin, William Dieterle Archiv, 33. Brief von Liesl Frank an Lion Feuchtwanger vom 20. Okt. 1945; Lion Feuchtwanger Archive, University of Southern California, Doheny Library, Feuchtwanger Memorial Library. Curtis Bernhardt (eigentlich Kurt Bernhardt), Filmregisseur (The Woman One Longs For [Die Frau, nach der man sich sehnt], Deutschland 1929; A Stolen Life [Das gestohlene Leben] USA, 1946). Walter Reisch, Drehbuchautor (Ninotchka [Ninotschka], USA 1939; Gaslight [Das Haus der Lady Alquist], USA 1944). Brief von Liesl Frank an Fred Keller vom 8. Jan. 1946; Sammlung Paul Kohner (wie Anm. 5). Lixl-Purcell: Women of exile (wie Anm. 34), S. 7. Stern: Die Sache die man Liebe nennt (wie Anm. 42), S. 315. 1934 kandidierte Sinclair als Demokrat bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien. Sein Wahlkampfmotto lautete »End Poverty In California« [Beendet die Armut in Kalifornien]. Sinclairs Kandidatur jedoch erwies sich als erfolglos, weil die Rechte ihn schnell als Kommunisten etikettierte. Sinclairs Wahlniederlage hing mit einer massiven, gegen ihn gerichteten Öffentlichkeitsarbeit in Hollywood, vor allen Dingen von Seiten von Warner Bros. und MGM, zusammen (siehe Eyman: Ernst Lubitsch [wie Anm. 20], S. 202). Siehe Horst O. Hermanni: William Dieterle: vom Arbeiterbauernsohn zum Hollywood-Regisseur (London: The World of Books 1992), S. 113. Diana Kendall: The Power of Good Deeds: Privileged women and the social reproduction of the upper class (Lanham, MD: Rowman & Littlefield 2002), S. 27. Ich lebe für dich [Triumph of Love] (Deutschland 1929); Frühlingsrauschen [Spring Roar], (Deutschland 1929), Das Schweigen im Walde [The Silence in the Forest] (Deutschland 1929) Lawrence Jacob Friedman / Mark D. McGarvie: Charity, Philanthropy, and Civility in American History (Cambridge / NY: Cambridge Univ. Press 2004), S. 12. Zu diesen Büchern gehören: Helmut Asper: »Etwas Besseres als den Tod …« (wie Anm. 17); Jan-Christopher Horak: »The Palm Trees Were Gently Swaying«, Image, XXIII, Nr. 1 (June 1980); James K. Lyon: Brecht in America (Princeton, NJ: Princeton Univ. Press 1980); Jan-Christopher Horak: Fluchtpunkt Hollywood (Münster: Maks 1984); Salka Viertel: The Kindness of Strangers (wie Anm. 38); Volkmar von Zühlsdorff: Hitler’s Exiles (London: Continuum 2004). Charlotte war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Sie starb 1968. Typisches Beispiel: In Beleg »D« aus einer Rechnungsprüfung von Kahan, Seltzer und Eckstein vom 2. Aug. 1945 (Sammlung Paul Kohner [wie Anm. 5]) werden sowohl Charlotte als auch William Dieterle als Spender von $ 4.001,55 über einen Zeitraum von sieben Jahren aufgeführt. In anderen Dokumenten des EFF jedoch, wird häufig nur Charlotte als Spenderin für die Kassen desselben aufgeführt. Sammlung von Notizen, o.J. und nicht paginiert; Walter Wicclair Archiv: Box 5, Akte European Film Fund, Akademie der Künste, Berlin. Zu Charlottes weiteren Aktivitäten gehörte das Engagement in der German Academy in Exile, dem Exiled Writers Committee (siehe MM 247) und dem National Citizens Political Action Committee. Hermanni: William Dieterle (wie Anm. 88), S. 36.
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EUROPEAN FILM FUND Mierendorff behauptet, es habe sich um Georg Büchners Dantons Tod, und nicht um Romain Rollands Danton gehandelt. Stefan Lorant: Wir vom Film: das Leben, Lieben, Leiden der Filmstars (München: Kolf 1986), S. 29. Die kursivierten Textpassagen stammen von Mierendorff. William Dieterles erste Versuche als Filmregisseur: Der Mensch am Wege (Deutschland 1923). Laut der Abmeldebescheinigung verließen die Dieterles Deutschland am 25. August 1930; William Dieterle Archiv, 1, Akademie der Künste, Berlin. Mierendorff behauptet, dass »am 21. Juni 1940 William der Presse mitteilte, dass er aktiv sein ehemaliges Vaterland angegriffen und gleichzeitig einen von den Aliierten benutzten Krankenwagen für das Rote Kreuz finanzierte« (MM 136). H.G. Asper schreibt, dass nach der Emigration von Deyers in die USA im Jahr 1939, »sie zunächst zusammen mit William Dieterle und dessen Frau in Hollywood lebte. […] Dieterle bezahlte ihren Sprach- und Tanzunterricht.« (Helmut Asper, »Etwas Besseres als den Tod …« [wie Anm. 17], S. 316.) Was E.A. Dupont anbelangte, so kehrte er, nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes bei Warner Bros. wieder in seinen alten Beruf als Journalist zurück. Es war auch Dieterle, der das Geld für Duponts neugegründete Wochenzeitung Hollywood Tribune aufbrachte. Somit »blieb [Dieterle] bis zu seinem Tod der wichtigste Förderer von Dupont« (ebd., S. 93). Horst O. Hermanni bleibt dabei, »dass [Dieterle] Manuskripte von Thomas Mann, Klaus Mann, Bruno Frank, Werfel, etc. erwirbt, und versucht, sie an die Filmstudios zu verkaufen« (Hermanni: William Dieterle [wie Anm. 88], S. 118). An dieser Stelle darf der Film Blockade (USA 1938) nicht unerwähnt bleiben, da es sich bei ihm um einen der ersten Filme handelte, in dem der Spanische Bürgerkrieg offen kritisiert und dabei Partei für die Republikaner ergriffen wird. Darüber hinaus war der Film Juarez (USA 1939) nach einem Buch von Franz Werfel ein »Lob für die amerikanische Demokratie« (MM 122). Gemeinsam mit den bereits erwähnten Filmen The Life of Emile Zola [Das Leben des Emile Zola] (USA 1937) und Dr. Ehrlich’s Magic Bullet [Paul Ehrlich – ein Leben für die Forschung] (USA 1940), enthalten alle diese Filme »eine bewusste Anspielung auf die Vorgänge in den damaligen Diktaturen« (MM 87). Dieterles unverhohlene Kritik des Faschismus verfehlte ganz offensichtlich nicht seine Wirkung bei Hitler, da, laut Horst O. Hermanni, »Deutschland zu denjenigen Ländern gehörte, in denen der Film Zola verboten war« (Hermanni: William Dieterle [Anm. 88], S. 110). Joseph Garncarz: »The Ultimate Irony – Jews Playing Nazis in Hollywood«. In Alastair Phillips / Ginette Vincendeau: Journeys of Desire: European actors in Hollywood (London: BFI 2006), S. 107. Jan-Christopher Horak: »Sauerkraut & Sausages with a Little Goulash – Germans in Hollywood 1927«, Film History. An International Journal, XVII, Nr. 2/3 (2005), S. 241-260. Siehe Asper, »Etwas Besseres als den Tod …« (Anm. 17), S. 38. Siehe Jan-Christopher Horak: »Sauerkraut & Sausages«, ebd., S. 257; Asper: »Etwas Besseres als den Tod …«, ebd., S. 234. Zwar bin ich mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, Palmier meinte die »1920er« statt der »1930er« Jahre, da Bassermann ja seine größten Erfolge im Film und auf der Bühne in den 1920ern feiern konnte. Palmier: Weimar in Exile (wie Anm. 63), S. 519. Brief von Charlotte Dieterle an Fritz Lang vom 19. März 1941; Fritz Lang Collection, Louis B. Mayer Library, American Film Institute, Los Angeles. Brief von Charlotte Dieterle an Margarete Neff vom 25. Apr. 1940; Temmer Family Collection: AR 7272, folder 2, Center For Jewish History, Leo Baeck Institute, New York, NY. Hal Wallis war ein Produzent bei Warner Bros., der u.a. auch für das Entstehen eines der wichtigsten Filme in Bezug auf die Teilnahme von emigrierten Schauspielern, nämlich Casablanca (USA 1942) verantwortlich war. Siehe MM 69. Undatierter Brief von Vicki Baum an einen nicht genau angegebenen Empfänger; Vicki Baum Archiv, 2, Akademie der Künste, Berlin.
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115 Nicole Nottelmann: Die Karrieren der Vicki Baum (Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007), S. 214. 116 Ed Sikov: On Sunset Boulevard: The Life and Times of Billy Wilder (NY: Hyperion 1998), S. 107. 117 Ebd. 118 William Moritz: Optical Poetry: The Life and Work of Oskar Fischinger (Bloomington, IN: Indiana Univ. Press 2004), S. 76. 119 Friedrich Hollaender: Von Kopf bis Fuß (Berlin: Henschel 1973), S. 265. 120 Volkmar von Zühlsdorff (1912–2006) war ein Mitglied der German Academy in Exile (siehe Anm. 84). 121 Brief von Charlotte Dieterle an Volkmar von Zühlsdorff vom 11. Mai 1939; AM Guild Collection 131 E: Paul Zech, Deutsche Nationalbibliothek: Deutsches Exilarchiv, Frankfurt a.M. 122 Hermanni: William Dieterle (wie Anm. 88), S. 118. 123 Palmier: Weimar in Exile (wie Anm. 63), S. 522. 124 Brief von Charlotte Dieterle an Lion Feuchtwanger vom 23. Juli 1941; Lion Feuchtwanger Collection, Doheny Library, Feuchtwanger Memorial Library, University of Southern California, Los Angeles, CA. 125 Brief von Charlotte Dieterle an Lion Feuchtwanger vom 29. Mai 1941; Lion Feuchtwanger Collection; ebd. 126 Gegründet von Prinz Hubertus zu Löwenstein im Jahr 1935, zusammen mit der Hilfsorganisation American Guild for German Cultural Freedom. Ziel war es, Stipendien an im Exil lebende Schriftsteller zu vergeben, um ihnen zu ermöglichen, ihre Bücher zu beenden. Dazu gehörte auch Elisabeth Gundolf, die damals gerade an einer Studie über Martin Luther arbeitete. 127 Der Name des Geschäftsführers wird im Brief nicht erwähnt. 128 Brief vom Geschäftsführer der German Academy in Exile an Charlotte Dieterle vom 7. Mai 1938; AM Guild Collection 131 E, Paul Zech (wie Anm. 121). 129 Oswald Garrison Villard war Schatzmeister bei der German Academy in Exile. 130 Brief von Charlotte Dieterle an Mr. Villard vom 15. Juni 1938; AM Guild Collection 131 E, Paul Zech (wie Anm. 121). 131 Vom Briefkopf des Briefes von Charlotte Dieterle, Lester W. Roth und Edward G. Robinson an Lion Feuchtwanger vom 20. Sept. 1944; Lion Feuchtwanger Collection (wie Anm. 124). 132 Amerikanischer Bühnen- und Drehbuchautor (Design for Living, USA 1933; His Girl Friday, USA 1940; Tales of Manhattan, USA 1942). 133 Afroamerikanischer Schauspieler (Tales of Manhattan, USA 1942). 134 Vorsitzender Richter des California Court of Appeals und Director (Berufungsgericht bzw. Gericht zweiter Instanz des Staates Kalifornien) und Präsident des Los Angeles Jewish Community Council. Er starb 1992. 135 Brief von Charlotte Dieterle, Lester W. Roth und Edward G. Robinson an Lion Feuchtwanger vom 20. Sept. 1944; Lion Feuchtwanger Collection (wie Anm. 124). 136 Direkt mit dem EFF im Zusammenhang stehende Aktivitäten können, aufgrund des Briefkopfes des EFF, leicht identifiziert werden. 137 Siehe Palmier: Weimar in Exile (wie Anm. 63), S. 564. Er behauptet, dass »[…] der EFF auf eine Initiative von William und Charlotte Dieterle […]« gegründet wurde. 138 Salka Viertel: The Kindness of Strangers (wie Anm. 38), S. 228. 139 Salka Viertel kam 1928, nachdem ihr Mann Berthold von William Fox eingeladen worden war, in Hollywood an. Sie war eine ausgebildete Schauspielerin, die an der Seite von Charlotte Dieterle die Hauptrolle im Film The Holy Flame (USA 1931) übernahm, bei dem die Ehemänner der beiden Frauen Regie führten. Es handelte sich um den letzten Film, bei dem sowohl sie als auch Charlotte vor der Kamera standen. Danach suchte sich Salka Viertel einen neuen Beruf und wurde Drehbuchautorin. 140 Obwohl Salka, insbesondere aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit Greta Garbo, ihren Ehemann letztlich in den Schatten stellen sollte, war es zunächst ihr Gatte Berthold, der
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EUROPEAN FILM FUND im Rampenlicht stand, und zwar sowohl wegen seiner Arbeit am Theater als auch wegen Filmen wie Die Perrücke (Deutschland 1925) und Die Abenteuer eines Zehnmarkscheins (Deutschland 1926). Das Drehbuch zu letzterem Film stammt von Béla Balázs. House Un-American Activities Committee; siehe MM 171. Lyon: Brecht in America (Anm. 92), S. 255. Lillian Hellman: Scoundrel Time (Boston: Little, Brown 1976), S. 78. Lillian Hellman wurde aufgrund einer Aussage, die sie 1952 vor dem HUAC gemacht hatte, auf die schwarze Liste gesetzt. Peter Viertel: »Dangerous Friends«. In The Hollywood Grove Book. Ed. Christopher Silvester (NY: Viking 1998), S. 391. Hermanni: William Dieterle (Anm. 88), S. 142. Andrew Sarris: You Ain’t Heard Nothin’ Yet: The American Talking Film, History and Memory 1927-1949 (NY: Oxford Univ. Press 1998), S. 14. Hermanni: William Dieterle (Anm. 88), S. 116. Blockade (USA 1938) beschäftigt sich mit dem spanischen Bürgerkrieg. Michael E. Birdwell: Celluloid Soldiers: the Warner Bros. campaign against Nazism (NY: New York Univ. 1999), S. 48. Hermanni: William Dieterle (Anm. 88), S. 142. MM 247. Stefan Brecht (1924-) ist ein amerikanischer Staatsbürger, der während des Zweiten Weltkriegs in der US-Armee diente. Hermanni: William Dieterle (Anm. 88). Als einer der sog. »unfreundlichen Neunzehn«, wurde auch Brecht am 30. Okt. 1947 von John Parnell Thomas vom HUAC verhört. Am darauffolgenden Tag kehrte Brecht mit dem Flugzeug für immer nach Europa zurück. Vor seiner Abreise Richtung Ostküste hatten die Dieterles ihn noch zu einem Mittagessen eingeladen. Von ihrer Farm hatten Charlotte und William ihn noch mit Nahrungsmitteln für die Reise nach New York versorgt. Während seiner Reise mit dem Zug von Los Angeles nach Washington über New York schrieb Brecht einen Brief an die Dieterles, in dem er sagte: »Es ist nun schon der zweite Tag [im Zug], und wir zehren noch immer von dem Fleisch, dem Zucker, dem Kuchen, und dem hausgemachten Schwarzbrot, das wir von Ihnen bekommen haben sowie von der Butter ihrer Kühe.« (Lyon: Brecht in America [Anm. 92], S. 321). Brief von Charlotte Dieterle an Ernst Lubitsch vom 21. Aug. 1945; Sammlung Paul Kohner, ebd. Zu weiteren nichtjüdischen Mitgliedern des EFF gehörten z.B. auch Hedy Lamarr und Fritz Lang. Beide spendeten Geld und keiner von ihnen saß im Aufsichtsrat des EFF. Der fragliche Brief wurde nicht unterzeichnet. Laut Angaben von Sylvia Asmus von der Deutschen Nationalbibliothek jedoch, war der Autor dieses Briefes wahrscheinlich Volkmar von Zühlsdorff (siehe Zühlsdorffs Buch über die German Academy in Exile, Hitler’s Exiles). Das Wort Antijaphetismus bedeutet »feindliche Gesinnung gegenüber dem Okkzident«. Brief von Volkmar von Zühlsdorff an Paul Zech vom 14. Jan. 1941; AM Guild Collection 131 E, Paul Zech (wie Anm. 121). Lixl-Purcell: Women of exile (wie Anm. 34), S. 6.
NAMENREGISTER Abraham, Paul 395, 397, 409 Abrams, Lynn 475 Ádám, Lajos 403 Adamic, Louis 406, 407, 408 Adamov, Evgeniy Alesandrovich 79 Adelman, Howard 240 Adenauer, Konrad 88 Adler, Alfred 278, 282, 283, 284, 291, 292, 359 Adler, Viktor 3 Adorno, Theodore 419 Ady, Endre 184, 392, 397 Aiken, Janet R. 283, 291 Alberti, Rafael 350 Alewyn, Richard 311 Alexander, Franz 409, 412 Alpár, Gitta 395, 397, 409 Andai, Rosette [d.i. Piroska Andai] 395 Anders, Günther 421 Andres, Stefan 133 Antalffy-Zsiross, Dezső 395 Arany, János 181 Arendt, Hannah 62 Aristoteles 174 Arnau, Frank 343 Arnstein, Fanny von 460, 476 Ascher-Nash, Franzi 421, 428, 433 Asmus, Sylvia 480 Asper, Helmut G. 453, 465, 478 Assis, Machado de 356 Aston, Luise 78 Auerbach, Baruch 232 Auernheimer, Raoul 128, 269, 429, 435, 446 Ausländer, Alfred 421 Ausländer, Cilly 421 Ausländer, Jacob 421-422 Ausländer, Rose 279 Ayren, Armin 67 Bab, Julius 269 Bach, Susanne 349 Baeck, Leo 233, 234 Baerensprung, Horst 47, 48 Bahr, Ehrhard 459 Bak, Robert 409 Bakunin, Michael 80, 81, 82 Balázs, Béla [d.i. Herbert Bauer] 480 Baldus, Herbert 349 Baldwin, Delavan M. 408, 415 Baldwin, James Mark 285 Bálint, Michael 412
Balzac, Honoré 356 Bamberger, Bernard J. 236 Bánky, Vilma 395 Barbirolli, John 198 Barbosa, Ruy 358 Barbusse, Henri 281 Barnes, Harry Elmer 283, 292 Barnes, Hazel 286 Barreto, Lima 356 Bársony, Rózsi 395, 397 Barth, Hans 114 Bartha, Wanda 190, 195, 198, 199, 205 Bartók, Béla 395, 402, 405, 411, 414 Bascour, Dom H. 107 Basil, Otto 25 Bassermann, Albert 36, 452, 465, 474, 478 Baudelaire, Charles 3 Baum, Gregory 236 Baum, Oskar 330 Baum, Vicki 362, 459, 467, 478 Baumann-Kienast, Anna 250, 262 Bayros, Franz von 5 Beale, Phelan 407-408, 415 Beardsley, Aubrey 5, 11 Beauvoir, Simone de 286 Bebber, Hendrik 67 Becher, Dana siehe Roda-Becher, Dana Becher, Johannes R. 80, 81 Becher, Richard 348-349 Becher, Ulrich 338, 341, 348-351, 365, 374, 382 Beckmann, Max 78 Beer, Eva 426 Beer-Hofmann, Richard 435 Beethoven, Ludwig van 22, 273, 394 Behmer, Markus 433 Behrman, Sam 195 Beimler, Hans 151 Belasco, David 186, 198 Benario, Olga 341 Bencze, Lajos 413 Benda, Julien 118 Benedek, Therese 409 Ben-Gurion, David 56 Benjamin, Walter 42, 43, 44, 45, 50, 72, 249, 253, 262 Benn, Gottfried 368 Bentley, Eric 47 Bergengruen, Werner 133 Berger, Eric 280, 282, 290, 291 Berger, Ludwig 45 Bergman, Ingrid 180
NAMENREGISTER Bergmann, Hugo 318 Bergner, Elisabeth [d.i. Elisabeth Eittel] 143, 475 Bergson, Henri 249, 256, 281, 293 Berlau, Ruth 47 Berman, Louis 283, 284, 292 Bernanos, Georges 132 Bernáth, Aurél 395 Bernhard, Georg 143, 155 Bernhard, Thomas 23 Bernhardt, Curtis [d.i. Kurt Bernhardt] 33, 461, 477 Bethlen, (Graf) István 205 Bett, Casimir 372 Beveridge, (Sir) William 400 Bierbaum, Julius 3 Billinger, Karl [Ps.] siehe Massing, Paul Wilhelm Bing, Gertrud 98, 99, 100, 105, 106, 107, 109, 120, 122 Binswanger, Ludwig 98 Birkmeyer, Jens 63 Biró, Lajos 183, 184, 202 Bismarck, Otto von 79-80, 161, 399 Bizet, Georges 196 Blair, Alison [Ps.] siehe Hooper, Alison Blair, C. Ledyard 408, 415 Blaschke, Wilhelm 411 Blatt, Ruth 307, 313 Blei, Franz [Ps. Albrecht Pillersdorf] 313 Blei, Sybille 4, 8, 10 Bliven, Bruce 406 Bloch, Ernst 81 Blume, Bernhard 298-299, 303 Blumenthal, Ben 200 Boal, Augusto 354 Bohr, Niels 400 Bolbecher, Siglinde 129 Böll, Heinrich 63 Bopp, Hans Josef 208, 211, 213, 214 Bopp, Monika 211, 212, 213 Bopp, Peter 208, 209, 211, 212, 213, 216, 219, 220, 230 Bopp, Vera 230 Borchardt, Hans Hermann 177 Borchardt, Rudolf 10 Borcherdt, Hans Heinrich 168 Borchert, Wolfgang 173 Born, Max 396 Börne, Ludwig 307 Börner, Maria 10 Bortnyik, Sándor 395 Bosshard, Walter 144
482 Bovillus, Carolus 99 Brackel-Welda, Othon E. de 217, 231 Bradle, Jean 280, 290 Bradley, Lyman R. 421, 422 Bragg, Lawrence 412 Brahm, Otto 308 Brainin, Fritz 320, 324 Brand, Karl 316 Braque, Georges 260, 261 Braun, Felix 389 Braun, Helmut 57, 61, 62, 63, 71, 74 Brecht, Bertolt 40-52, 173, 210, 217, 299, 368, 421, 430, 431, 435, 458, 459, 461, 470, 471, 473, 480 Brecht, Stefan 471, 480 Bredig, Georg 411 Brentano, Clemens 309, 310 Brethauer, Karl 115 Breuer, Alexander 14, 15 Breuer, Lanny 23, 27 Breuer, Liselotte [geb. Fröhlich] 18, 23, 26, 27 Breuer, Marcel 409 Breuer, Olga 17, 18, 19, 22, 24 Breuer, Richard 23, 27 Breuer, Robert 14-28, 421, 435 Breuer, Robert [d.i. Lucien Friedländer] 8284 Breuer, Samuel 22 Breuer, Sophie 18 Bridgman, Percy Williams 292 Brill, Alice siehe Czapskis, Alice Brill Brill, Erich Arnold 352 Brill, Martha 338, 352-354, 382, 384 Brinitzer, Carl 157 Britten, Benjamin 24 Broch, Hermann 9, 11, 13, 23, 359, 429 Brockhoff, Stefan [Ps.] siehe Oskar Seidlin, Richard Plant, Dieter Cunz Brod, Max 11, 56, 316, 318, 330 Browne, Lewis 452, 474 Bruckner, Anton 22 Bruckner, Ferdinand 421, 431 Brügel, Johann Wolfgang 331 Brunner, Constantin 279, 290 Brunner, Irene 440 Buber, Martin 65, 279, 318 Budberg, (Baronin) Moura 360 Budzislawski, Hermann 48 Büchner, Georg 356, 478 Bukowski, Charles 67 Burmeister, F. 122 Burmeister, Werner 106 Busch, Fritz 396
483 Butler, Nicholas Murray 407, 408, 414, 415 Button, Ronald 453, 474 Caillavet, Gaston Armand de 202 Calderón [d.i. Pedro Calderón de la Barca] 299 Calverton, V. F. 284 Campbell, Francis Stuart [Ps.] siehe Kuehnelt-Leddihn, Erik Maria von Camus, Albert 89, 303 Candido, Antonio 367 Carpozi, George, Jr. 425, 426, 427 Carelli, Gábor 409 Carossa, Hans 271 Carpeaux, Otto Maria [d.i. Otto Karpfen, Ps. Otto Maria Fidelis] 338, 343, 348, 350, 354-356, 361, 369, 382 Carsch, Otto 372 Carvalho Guimarães Rosa, Aracy de 341 Carvalho, Olavo de 356 Cäsar, Julius 102, 121 Cassirer, Bruno 372 Cassirer, Edith 97 Cassirer, Ernst 95, 97, 98, 99, 100, 102, 105, 106, 109, 119 Cassirer, Eva 97 Cassirer, Heinrich 99, 107 Cassirer, Max 97 Cassirer, Paul 372 Cerny, Rudolf 280 Cézanne, Paul 249, 252, 257 Chagall, Marc 286, 293 Chamberlain, Neville 152, 154, 157, 161, 231 Chaplin, Charlie 31, 141, 143, 196, 206 Chartres, Bernhard von 101, 110 Chartres, Thierry von 101, 109 Chesney, Shirley 260 Chesterton, G. K. 6, 11 Christ, Karl 123 Churchill, Winston 154, 156, 157, 373, 374 Cisek, Oskar Walter 317 Clair, Ina 187 Clair, Jean 94 Claudel, Paul 6, 11, 132 Columbus, Christopher 358 Conelly, Philip 471 Conklin, E. G. 291 Cook, James 77 Coolidge, Calvin 187 Corbach, Dieter 96 Corneille, Pierre 174 Corot, Camille 255, 257 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus, Graf von 16, 457
NAMENREGISTER Courant, Richard 396 Croce, Benedetto 292 Csáth, Géza 184 Csokor, Franz Theodor 421, 434 Cumming, Jack 290 Cunz, Dieter [Ps. Stefan Brockhoff] 307, 308, 309, 311, 313 CUPO [Ps.] siehe Ponger, Kurt Curie, Marie 292 Curtius, Ludwig 98, 120 Curtiz, Michael [d.i. Mihály Kertész] 396 Cusanus siehe Kues, Nikolaus von Czapskis, Alice Brill 352, 353, 384 Czernin, Ferdinand 404 da Silva, Antônio José 354 da Vinci, Leonardo 257, 261 Dagover, Lil 143 Dahlmann [Großvater Bertolt Brechts] 47 Dalberg, Bischof Johann von 172 Dante Aligheri 216 Darvas, Lili 187, 190, 191, 194, 197, 198, 199, 203, 205, 206 Daumier, Honoré 255 David, Alice 82, 83, 86, 89, 90, 91 Davis, William Harper 283, 292 de Boor, Helmut 172 de Lagarde, Paul 300 de Man, Hendrik 400 de Putti, Lya [Amalia] 395, 396 Deák, István 394 Delbrück, Max 400, 412 Demetz, Hans 316 DeMichel, Linda G. 315 Dénes, Oszkár 395 Dessau, Paul 48, 49, 50 Deutsch, Ernst 468 Deutsch, Julius 85 Dewey, John 281, 292 Deyers, Lien 465, 478 Dias, Gonçalves 356 Dieterle, Charlotte [geb. Hagenbruch] 450, 452, 453, 454, 455, 458, 459, 460, 461, 462-473, 474, 477, 478, 479 Dieterle, William (Wilhelm) 30, 36, 47, 459, 460, 461, 462, 463, 464, 465, 468, 470, 471, 472, 473, 477, 479 Dietrich, Marlene 21, 160, 465 Dietz, Emma siehe Raphael, Emma Dilthey, Wilhelm 356 Dines, Alberto 388 Disney, Walt 346 Dittrich, Volker 74 Döblin, Alfred 65, 81, 85, 372, 455, 458, 459, 476
NAMENREGISTER Dollfuß, Engelbert 354 Dom Pedro I, Kaiser 360 Domino, Ruth 421 Donnan, Frederick G. 400 Dopheide, Dietrich 60 Doráti, Antal 409 dos Anjos, Augusto 368 Dos Passos, John 292 Dostojewski, Anna 79 Drache, Sharon 245 Dreyfus, Alfred 471 Dröge, Franz 263 Drummond de Andrade, Carlos 356 Drumont, Edouard 300 Duchkowitsch, Wolfgang 433 Dühring, Eugen 300 Dürer, Albrecht 94 Duffy, Dennis 244-245 Dumas, Alexander 206, 310 Dupont, E. A. 465, 478 Dyck, Richard 358 Dzubas, Friedel 286 Eckhart, Meister 94-95, 100, 103, 107, 109, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 123 Edschmid, Kasimir 308 Ehrenstein, Albert 89 Eichendorf, Joseph Freiherr von 299, 309, 310, 311 Eichmann, Adolf 88 Eiffel, Gustav 182 Einstein, Albert 278, 285-286, 288, 292, 374, 398 Einstein, Carl 4, 5, 11, 12, 249, 253, 262 Eisler, Hanns 46, 460, 461 Eisler, Rudolf 285 El Greco [d.i. Doménikos Theotokópoulos] 257 Elias Calles, Plutarco 230 Ellis, Havelock 281 Elsaesser, Thomas 459 Emrich, Wilhelm 307 Engel, Erich 49 Engels, Friedrich 249, 250, 254 Engel-Thieberger, Nelly 316, 317, 318, 330, 334 Eötvös, József 393 Epler, Ernst [Ps. Fritz Fabian] 421, 424, 428, 444, 445 Eppel, Peter 426 Epstein, Herman 283, 292 Erdélyi, Michael 409 Erdős, Paul 399 Errera, Jacques 400, 412
484 Estrin, Samuel 414 Evans, Tamara 309, 315 Eversbusch, Frau 212 Eyman, Scott 454, 460 Fabian, Fritz [Ps.] siehe Epler, Ernst Fabry, Joseph 421, 428 Fadiman, Clifton 273 Fainleib, Fanny siehe Lorant, Njura Falus, Elek 197, 206 Farner, Konrad 262 Fedák, Sári 205 Feder, Erna [geb. Zobel] 356, 357, 359, 376, 377 Feder, Ernst [Ps. Spectator] 337, 338, 343, 350, 356-359, 360, 373, 376, 377, 378, 379, 380, 382, 385, 389, 390, 421 Fehér, Friedrich 6 Fehér, Pál 395 Feiner, Ruth 153 Feinhals, Paul 143 Fejér, Lipót 396, 399 Fejos, Paul 409 Felner, Peter Paul 139, 140 Felsenstein, Walter 24, 28 Ferenc, Göndör 207 Ferenczi, Sándor 412 Ferenczy, Béni 395 Ferenczy, Noémi 395 Ferm, Vergilius 286 Feuchtwanger, Lion 43, 47, 85, 150, 153, 281, 419, 435, 452, 458, 460, 461, 468, 469, 472, 474, 476, 479 Feuchtwanger, Marta 460, 470, 476 Feydeau, Georges 202 Fidelis, Otto Maria [Ps.] siehe Carpeaux, Otto Maria Field, Edith C. 404 Fischer, Ernst 278, 288 Fischer, Samuel 372 Fischinger, Oskar 468 Flasch, Kurt 94, 95, 101, 108 Flaubert, Gustav 250, 253 Flechtheim, Alfred 152, 372 Flers, Robert 202 Fles, Barthold 9, 13 Ford, Gerald R. 413 Forrest, A. C. 238 Forster, Georg siehe auch [Ps.] Kersten, Kurt 77, 82, 84, 86, 87 Foss, Lukas 25 Fox, William 479 France, Anatole 202
485 Frank, Bruno 452, 456, 457, 458, 460, 461, 464, 466, 472, 474, 475, 476, 478 Frank, Jakob 245-246, 364 Frank, Leonhard 150, 286, 455 Frank, Ludwig 299 Franke, Wilhelm 319 Frankenthaler, Helen 293 Frankfurter, Felix 404, 414 Frank-Mittler-Lustig, Liesl [geb. Elisabeth Maria Karl Pallenberg] 450, 453, 454, 455, 456-462, 463, 464, 466, 470, 472, 473, 474, 475 Franzos, Karl Emil 31 Freedley, George 198 Freud, Sigmund 65, 89, 175, 281, 359, 399 Freund, Gisèle 144 Freundlich, Elisabeth 421, 426, 428, 429, 430, 431, 432, 435, 446 Frey, Alexander Moritz 458, 476 Friedell, Egon 213, 435 Friedländer, Lucien [Ps.] siehe Breuer, Robert Friedlander, Michael Otto 421 Friedman, Lawrence 463 Friedrich der Große 79 Frisch, Max 63, 218 Frischauer, Eduard 362 Frischauer, Paul 338, 345, 357, 359-362, 376, 382 Fröhlich, Liselotte siehe Breuer, Lieselotte Fröschle, Hartmut 218 Fry, Varian 357, 385 Fuchs, Eduard 4 Fuchs, Rudolf 317, 330 Fürth, Walter 316 Furtwängler, Wilhelm 88 Gadamer, Hans-Georg 93, 120 Galiani, Abbé 3 Gaon von Wilna 96 Garbo, Greta 143, 207, 465, 479 Garin, Eugenio 94 Garncarz, Joseph 465 Garnett, Maxwell 412 Gartenberg, Alfredo (Alfred) 338, 362-364, 382, 386 Gartenberg, Emanuel 362, 363, 386 Gartenberg, Szeindel [geb. Flaumenhaft] 362, 363 Gauguin, Paul 5, 252 Gauß, Karl-Markus 322 Gay, John 40, 41 Gay, Peter 456 Geheeb, Edith 106 Geheeb, Paul 97
NAMENREGISTER Gentile, Giovanni 106 George, Manfred 78, 89 George, Stefan 98, 102, 175, 275 Gerke, Hans 316 Gerlach, Hans Jörgen 389 Gero, George 409 Gershwin, George 187, 196 Gest, Morris 198 Geyer, Bernhard 111 Gibran, Kahlil 292 Gidal, Tim N. 144 Gide, André 3, 286, 292 Gillespie, Gerald 309, 315 Gilman, Sander 64 Gilson, Etienne 102, 106, 121 Gindler, Elsa 31, 38 Goebbels, Joseph 82, 87, 88 Goethe, Johann Wolfgang von 56, 97, 173, 174, 213, 217, 218, 272, 273, 299, 309, 310, 311, 356, 359, 366, 374, 393, 394 Gogol , Nikolai 356 Gol’dblat, Mojsej 33 Goldner, Franz 421, 428 Goldschmit, Rudolf 23 Gollancz, Victor 150 Goncourt, Edmond 79 Goncourt, Jules 79 Göndör, Ferenc 199, 200 Gooch, G. F. 177 Gordis, Robert 235 Gordon, Ruth 198 Görgen, Hermann 348, 349 Gorki, Maxim 30, 360 Gotthelf , Jeremias [Ps., d.i. Albert Bitzius] 299 Götze, Karl-Heinz 71 Goya, Francisco 264 Grabmann, Martin 111 Graf, Oskar Maria 81, 83, 85, 91, 251, 419, 435 Granach, Alexander 29-39, 435, 468 Grass, Günter 71 Grattan, C. Hartley 284 Graves, Mortimer 415 Green, William [Ps.] siehe Gründorfer, Wilhelm Greenstein, Michael 246 Gregg, Alan 415 Grillparzer , Franz 393 Groffier, Ethel 94 Grolle, Joist 106 Groot, Jan de [Ps.] siehe KuehneltLeddihn, Erik Maria von Gropius, Walter 159, 166 Grossberg, Mimi 320, 334
NAMENREGISTER Grosz, George 210, 251, 372 Growe, Bernd 264 Gründorfer, Cilli [geb. Phoryles] 423 Gründorfer, Stephan 444 Gründorfer, Wilhelm [Ps. William Green, Hans Wolfgang] 421, 422, 423, 428, 431, 440, 441, 442, 448 Gruenfeld, Joschy 428 Grüning, Ilka 466 Guarnieri, Gianfrancesco 354 Gütersloh, Albert Paris 3, 9, 13 Guggenheim, Alis 262 Guinsburg, Jacó 368 Guiterman, Arthur 187 Gundolf, Elisabeth [geb. Salomon] 102, 469, 479 Gundolf, Friedrich 102, 104, 105, 121 Gustafsson, Lars 129 Guterman, Norbert 260 Gutierrez Nájera, Manuel 217 György, Paul 401, 412 Haas, Willy 317, 330, 380, 390 Habsburg, Otto von 429 Habsburg-Lothringen, Maximilian von 219 Haeusserman, Ernst 16, 26 Haffner, Sebastian 241 Hagen, Peter 33 Hagenbruch, Elsa 464 Hagenbruch, F. C. O. 464 Haggard, Virginia 293 Hajmássy, Ilona 395 Halévy, Ludovic 202 Halmai, Tibor 395 Halmos, Paul 409 Hals, Frans 264 Hamann, Richard 253 Hammerstein, Oscar 196 Handke, Peter 218 Hanffstengel, Renate von 219 Hardy, G. H. 400 Harpprecht, Klaus 314 Harrison, Rex 476 Hartenstein, Effi 316 Hartog, (Sir) Philip 400 Harvey, Elizabeth 475 Haskell, Henry S. 414, 415 Hauptmann, Clemens 40 Hauptmann, Elisabeth Flora Charlotte 40-52 Hauptmann, Gerhart 78, 173, 202, 217, 281, 310 Hausenstein, Wilhelm 253 Hawes, James 5
486 Hawthorne, Nathaniel 11 Hay, Julius 29, 33 Heartfield, John 154 Hecht, Ben 195, 469 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 95, 100, 101 Heidegger, Martin 94, 246 Heigel, Karl Theodor von 77 Heine, Heinrich 174, 217, 218, 273, 326, 393, 476 Heinen, Hubert 176, 177, 179 Heinrichs, Hans-Jürgen 252, 256 Heisenberg, Werner 292 Heller, Erich 311 Heller, H. 431 Hellman, Lillian 470, 480 Hemingway, Ernest 89 Henckell, Karl 3, 77 Hennequin, Alfred 202 Hennings, Emmy 262 Henry, O. [d.i. William Sydney Porter] 244 Herald, Heinz 450, 454, 474 Herder, Johann Gottfried 97 Hermann, Imre 412 Hermanni, Horst O. 463, 464, 470, 471, 478 Herrigel, Hermann 117 Herrmann-Neisse, Max 11, 172, 307 Hertz, Joseph H. 236 Herz, Henriette 460, 476 Herz, Otto 409 Herzfelde, Wieland 299 Herzmanovsky-Orlando, Fritz von 125 Heschel, Abraham Joshua 233 Hesse, Hermann 299, 309, 310 Heuss, Theodor 77, 78, 89, 359 Heydrich, Margarete 88 Heydrich, Reinhard 88 Heym, Georg 81 Heym, Stefan 85 Hill, Archibald V. 400, 415 Hiller, Kurt 7 Hilsenrath, Anni 54 Hilsenrath, David 54, 55, 57 Hilsenrath, Edgar 53-76 Hilsenrath, Manfred 54, 71 Hirsch, Samson Raphael 96 Hirschfeld, Ilse 260 Hitler, Adolf 31, 67, 82, 87, 144, 150, 151, 154, 155, 159, 162, 163, 189, 191, 212, 214, 231, 232, 239, 245, 246, 267, 269, 271, 287, 308, 346, 351, 369, 383, 394, 397, 399, 406, 433, 449, 456, 458, 462, 464, 465, 468, 469, 471, 478
487 Hochhuth, Rolf 218 Hoff, Miklós 402, 413 Hoffmann, Ernst 93, 95, 100, 101, 103, 104, 105, 107, 108-109, 111, 114, 115, 120, 121 Hoffmann, Josef 435 Hoffmann-Harnisch, Wolfgang 343, 357 Hofmann, Else 421, 428, 434 Hofmannsthal, Hugo von 5, 14, 26, 299, 300, 359 Hollaender, Friedrich 468 Holló, Gyula 402, 403, 413 Homer 97 Hooper, Alison [Ps. Alison Blair] 152 Hooper, Ian 152 Hoover, J. Edgar 470 Hopkinson, Tom 149, 150, 156, 157, 166 Horak, Jan-Christopher 460, 465 Horch, Hans Otto 59 Horkheimer, Max 251, 262, 452, 474 Hornik, Alfred Adolf 421, 428, 440, 448 Hornik, Elisabeth [geb. Kornfeld] 440 Hornik, Emmerich 440 Hornik, Gertrude 440 Hornik, Sander 440 Horovitz, Wladimir 198 Horthy, Miklós 192, 391 Hoven, Heribert 68 Howard, Leslie 180, 187 Howard, Sidney 195 Huber, Hugo 143 Hübschmann, Kurt siehe Hutton, Kurt Hughes, Langston 87 Huizinga, Johan 106 Hulton, Edward 153 Humboldt, Alexander von 97, 219, 476 Humboldt, Wilhelm von 476 Hume, David 109 Hunyadi, Matthias 192 Hutton, Kurt [d.i. Kurt Hübschmann] 144, 150 Huxley, Julian 281, 412 Iggers, Wilma 316 Ignotus [d.i. Hugo Veigelsberg] 403-405 Ihering, Herbert 143 Illyés, Gyula 395 Immen, Burton 166 Incze, Sándor 206 Ingres, Jean Auguste Dominique 264 Isherwood, Christopher 397 Ivens, Joris 33 Jackson, Felix 450, 453, 454, 474
NAMENREGISTER Jacob, Heinrich Eduard 338, 348, 358, 359, 379-381, 382, 385, 389, 390 Jacob, Martha 390 Jacoby, Heinrich 31, 38 Jaffé, Elsbeth 106 Janacek, Leos 24 Jannings, Emil 143 Janowitsch, Franz 330 Jaspers, Karl 98, 120 Jászi, Oscar (Oszkár, Oskar) 183, 202, 404, 414 Jeff, Sam 198 Jefferson, Thomas 358 Jób, Dániel 198 John, David G. 247 Johnson, E. Bond 473 Johnson, Lyndon B. 356 Jókai, Mór 203 Joseph II. (Ungarn) 393 Joyce, James 326 Jünger, Ernst 135, 271 Juhn, Kurt 153 Jung, Carl G. 291 Kafka, František 330 Kafka, Franz 3, 5, 244, 312, 316, 330, 356 Kahler, Erich von 269 Kaiser, Georg 469 Kaiser, Konstantin 129 Kálmán, Emmerich 409 Kálmán, Oszkár 395 Kalmar, Rudolf 20 Kalser, Erwin 36 Kampits, Peter 129 Kant, Immanuel 215 Kantorowicz, Ernst 109 Kaper, Bronislav 450 Kapp, Wolfgang 139 Karger, Ulrich 73-74 Karinthy, Frigyes 402 Kármán, Theodore von 396, 398, 402, 403, 409, 413, 414 Károlyi, Mihály 183, 202 Karpfen, Helene [geb. Silberherz] 354 Kassák, Lajos 395 Katz, Hermann 364 Katz, Richard 337, 338, 348, 350, 357, 364367, 382, 386 Kauder, Hugo 421 Kaulbach, Wilhelm von 394 Kaus, Gina 10, 361-362 Kautsky, Karl 281 Keaton, Buster 143 Keller, Fred 450, 452, 453, 454, 461, 474, 477
NAMENREGISTER Keller, Gottfried 56, 299, 366 Keller, Willy 350 Kemény, John 409 Kendall, Diana 462 Kepes, George 409 Kerekes, Éva 411 Kerekes, János 411 Kerner, Justinus 476 Kernstok, Károly 395 Kerr, Alfred 77-76, 81, 143, 155 Kersten, Kurt Nikolaus [Ps. Georg Forster] 77-92 Kersten, Martha 82, 83, 84, 85 Kertész, André 144, 409 Kessler, Harry Graf 8 Kesten, Hermann 89 Kestler, Izabela Maria Furtado 337, 386 Keun, Irmgard 308 Kierkegaard, Sören 129 Kiesinger, Kurt Georg 371 King, Martin Luther, Jr. 239 Kisch, Egon Erwin 89, 215, 330, 360 Klebelsberg, Kuno 396, 397 Kleinberg, S. Jay 455 Kleist, Heinrich von 170, 310 Klettenhammer, Sieglinde 135 Klibansky, Bertha 96 Klibansky, Elias Meyer 96 Klibansky, Erich 96, 119 Klibansky, Hermann 96 Klibansky, Joseph 93, 96, 119 Klibansky, Pinkus 96 Klibansky, Raymond 93-124 Klinghoffer, Hans 357 Klocke, Astrid 64, 65 Kloomok, Isaac 286, 293 Knight, Max 421, 428 Koch, Joseph 111, 113 Koch-Weser, Erich 344, 370 Koebner, F. W. 141 Koestler, Arthur 150, 153, 356, 360 Kohn, Valerie Sara 468 Kohner, Frederick 449, 473, 474 Kohner, Lupita 449, 460, 473, 476 Kohner, Pancho 473 Kohner, Paul 36, 449, 450, 452, 453, 454, 455, 460, 468, 473 Kokoschka, Oskar 160, 372 Kolb, Annette 13 Koogan, Abrahão 375, 377, 388 Köpke, Wulf 169, 177 Koplowitz, Heinrich 307 Koplowitz, Johanna [geb. Seidler] 307 Koplowitz, Ruth 307
488 Korda, (Sir) Alexander 198, 202 Korein, Stefan 421 Korff, Kurt 144 Kornfeld, Paul 317, 330 Korngold, Erich Maria 460 Korngold, Julius 435 Kőrösy, Ferenc 396 Kortner, Fritz [d.i. Fritz Nathan Kohn] 36, 150, 457, 465, 475 Koster, Henry 453, 454, 461, 474 Kostka, (Schwester) Maria 177 Kosztolányi, Dezső 184, 402 Kotschnig, Walter Maria 400, 406, 414 Kracauer, Siegfried 452, 453 Kramer, Theodor 319, 322 Kraus, H. P. 285 Kraus, Karl 7, 12, 360, 430, 435 Kraus, Wolfgang 27 Krauß, Werner 143 Kreisler, Fritz 198 Kreisler, Otto 139 Kreymborg, Alfred 284 Kristeller, Paul Oskar 95 Kuehnelt-Leddihn, Christiane von 128 Kuehnelt-Leddihn, Erik Maria Ritter von [Ps. Francis Stuart Campbell, Chester F. O’Leary, Tomislav Vitezovic, Jan de Groot] 125-137 Kuehnelt-Leddihn, Isabel 129 Kues, Nikolaus von [Cusanus] 94, 95, 99, 100, 101, 103, 104, 105, 108, 109, 110, 112, 114 Kuh, Anton 6 Kullman, Gustave Gerard 400 Kurland, Samuel 116 Labowsky, Charlotte (Lotte) 98, 106, 109, 122 Laemmle, Carl [d.i. Karl Lämmle] 449 Lagerlöf, Selma 204 Lamarr, Hedy 480 Lanczos, Cornelius 409 Landau, Trudi 386 Landauer, Gustav 279 Landsberg, Ilse 453, 477 Lang, Fritz 36, 40, 142, 454, 460, 466, 474, 478, 480 Langdon-Davies, John 284 Lange, Helene 210 Lange, Victor 169 Langhoff, Wolfgang 151-152 Langmuir, Irving 292 Larkin, Rochelle 283, 288 Lasker-Schüler, Else 372
489 Laski, Neville 400 László, Alexander 409 László, Ernest 409 Lattmann, Dieter 61 Laue, Max von 398 Laurens, Henri 252 Lauscher, Albert 79 Lax, Henrik 205 Lázár, Miklós 145, 163 Le Corbusier [d.i. Charles-Édouard Jeanneret-Gris] 259, 262 Lechenperg, Harald 144 Lehman, Max 280, 290 Leidecker, Kurt F. 286 Leigh, Vivian 476 Leiser, Bertha 352 Lenart, Renata 455, 475 Lenau, Nikolaus 393 Léner, Jenő 409 Lengyel, Emil 403, 404, 413 Lengyel, Melchior [d.i. Menyhért Lengyel] 203, 205 Lenin, Nikolaus 79, 81, 82, 391 Lenya, Lotte 41 Leroux, Georges 110 Leshnik, Lawrence S. 28 Leskoschek, Axl von 350 Lessing, Ferdinand 95, 97 Lessing, Gotthold Ephraim 35, 108, 170, 173-174, 176, 368 Levin-Varnhagen, Rahel 460 Levine, Isaac Don 284 Lewinski, Eva 414 Lewinsohn, Richard 343, 357 Ley, Marta 14, 26 Lhéritier, Michel 117 Licho, Adolf E. 466 Liebermann, Max 372 Liebeschütz, Hans 106 Lieven-Stiefel, Lotte 29, 34-35, 37 Liliencron, Detlef von 279 Lincoln, Abraham 158, 159, 160 Lind, Jakov 56 Lindeman, Eduard C. 283, 292 Lins, Álvaro 354-356 Lixl-Purcell, Andreas 456, 462, 472 Lochner, Jakob 172 Locke, John 109 Locker, Gustav 421 Loeb, Lotte 404, 413 Lohner, Edgar 310 Loránd, Sándor 409 Lorant, Andi 142, 156, 157, 158 Lorant, Laurie [geb. Robertson] 161 Lorant, Louise [geb. Lowenstein] 160, 161
NAMENREGISTER Lorant, Mark 162 Lorant, Njura [geb. Norskaja, d.i. Fanny Fainleib] 142, 145, 147, 152, 156, 157, 166 Lorant, Stefan [d.i. István Reich, Stefan Lóránt] 138-167 Lord, Robert 471 Lorenz, Dagmar C. G. 60 Lorre, Peter 48, 150, 396, 409, 460 Lothar, Ernst 434 Loving, Pierre 283, 292 Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, Hubertus Prinz zu 9, 469, 479 Lowenthal, Leo [d.i. Leo Löwenthal] 262 Lubinski, Kurt 279, 286 Lubitsch, Ernst 37, 449, 450, 454, 460, 461, 471, 473, 474, 480 Luce, Henry 150 Ludwig, Emil 79, 278, 281, 286 Lüttwitz, Walther Freiherr von 139 Lugosi, Béla 395, 396 Lukács, Georg 81, 271 Lukas, Paul [d.i. Pál Lukács] 396 Lurçat, André 250, 259 Lustig, Jan 456, 475 Luther, Martin 176, 219, 479 Lyon, James 470 Maas, Liselotte 433 MacLeish, Archibald 270 Macpherson, Bryher [Ps.] siehe Macpherson, Winifred Macpherson, Winifred [Ps. Bryher Macpherson] 317 Maeterlinck, Maurice 292-293 Magris, Claudio 6 Mahler, Margaret 409 Mahler-Werfel, Alma 362, 459, 460, 476 Maimonides 113 Mâle, Emile 249 Man, Felix H. 144, 150 Manet, Edouard 5, 257, 264 Mangon, Tom 421 Mann, Erika 44-45, 82-81, 85, 91, 198, 308, 311, 312, 457, 459 Mann, Golo 102 Mann, Heinrich 78, 176, 275, 283, 284, 292, 435, 452, 454, 458, 459, 476 Mann, Katia 268, 275, 277 Mann, Klaus 8, 97, 299, 311, 312, 314, 372, 457, 459, 478 Mann, Thomas 23, 35, 40, 44, 81, 82, 83, 85, 174-176, 218, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 274, 275, 276, 277, 281, 299, 308, 309, 310, 311, 312, 326, 353, 356,
NAMENREGISTER 372, 374, 381, 384, 388, 404, 413, 452, 458, 460, 474, 476, 477, 478 Mannheim, Karl 396, 413 Márai, Sándor 395 Marc, Franz 78 Marcel, Gabriel 128 Marcus, Paul [Ps. Pem] 142 Marcuse, Ludwig 174, 269, 299, 307, 458 Mardler, Georg 21 Markle, Robert 239 Marmur, Dow 235 Martius, Carl Friedrich Philipp von 359 Marx, Henry 60 Marx, Karl 239, 249, 250, 253, 254, 258, 262 März, Eduard 428 Mašek, Jan 415 Massary, Fritzi [geb. Massarik] 456, 457, 460, 472 Massing, Paul Wilhelm [Ps. Karl Billinger] 152 Masur, Kurt 24 Mate, Rudolph 450 Matejka, Viktor 438, 441 Materna, Amalie 14, 26 Matisse, Henri 249, 252, 261 Mattern, Theodore 421, 434 Matthus, Siegfried 24, 28 Mauriac, François 132, 293 Maurois, André 292 Maybank, Burnet 439 Mayo, C. W. 403, 413 McCarthy, Joseph 88 Mehring, Walter 455 Meidner, Ludwig 372 Meier-Gräfe, Julius 253 Meiner, Felix 107, 112, 113-114, 116, 117, 123, 124 Meir, Golda 66 Mencken, H. L. [d.i. Henry Louis] 11, 283, 291 Metall, Rudolf Aladar 343 Meyer, Agnes E. 175, 270, 271, 272 Meyer, Augusto 358 Meyer, Eduard 77 Meyer, Richard M. 77 Meyer, Thomas 95 Michael, Hadassah [geb. Posey] 169 Michael, Isaac 168 Michael, Marian [geb. Pendergass] 170 Michael, Sara [geb. Warburg] 168 Michael, Wolf Wolfgang 168, 176 Michael, Wolfgang Friedrich Michel Eberhard 168-179
490 Michaelis, Rolf 63 Middleton, George 198 Mierendorff, Marta 463-464, 465, 466, 471, 478 Miketta, Hubert 141 Miklós, Andor 192, 196 Mikszáth, Kálmán 205 Miller, Gilbert 180, 187, 188, 200 Miller, Henry 188, 205 Milton, John 216 Mitropoulos, Dimitri 25 Mitteis, Heinrich 104 Mittenzwei, Werner 43 Mitterbauer, Helga 8 Mittler, Leo 475 Modigliani, Denise 262 Moholy-Nagy, László 409 Moissi, Alexander 262 Moldenhauer, Paul 210 Molière [d.i. Jean-Baptiste Poquelin] 174 Molnar, Franz [d.i. Ferenc Neumann] 180-207 Molo, Walter von 271, 276 Mond, Henry Ludwig [Baron Melchett II] 400 Monet, Claude 252 Montefiore, Claude Joseph Goldsmid 400 Moore, Ruth Mary 353 Morgan, Paul 143 Moritz, William 468 Morris, William 5 Morse, Rose 288 Moses, Herbert 357 Mühsam, Erich 33 Münzenberg, Willy 372 Mulroney, Brian 240 Mumford, Lewis 292 Muncker, Franz 77 Munkácsi, Martin 409 Murnau, F. W. 33 Murray, Gilbert 400 Muschenheim, Fred 198 Musil, Robert 3, 6, 7, 9, 12, 78, 356 Mußgnug, Dorothee 93 Mussolini, Benito 144, 149, 213, 281, 369370 Mytze, Andreas 65 Nadler, Josef 300 Nagel, Ernest 285, 292 Nansen, Fridtjof 206 Napoleon III 219, 287 Nearing, Scott 283, 284, 292 Neff, Margarete 466, 478
491 Nekrassow, Viktor 137 Németh, Mária 396 Nestroy, Johann 173 Neumann, Alfred 299 Neumann, John von 396, 398, 402, 411, 413 Neumann, Peter Horst 310 Neumann, Robert 150, 156, 360, 431 Newman, Louis I. 283, 292 Newton, (Sir) Isaac 110 Niemöller, (Pastor) Martin 88, 292 Nietzsche, Friedrich 174, 175 Nixdorf, Oswald 370 Norden, Max 182, 201 Nottelmann, Nicole 467 Novikov, Yuri V. 427 Nowak, Willy 317 O’Connor, William 450, 473 O’Leary, Chester F. [Ps.] siehe KuehneltLeddihn, Erik Maria von O’Neill, Eugene 196 Oeste de Bopp, Marianne [Ps. Marianne West] 208-231 Offenbach, Jacques 474 Olden, Rudolf 150, 156 Olimsky, Fritz 81 Ophüls, Max 36, 452, 455 Oppenheimer, Franz 455, 475 Ortega Y Gasset, José 106 Orwell, George 128 Osborn, Paul 29 Osman, Joseph M. 284 Otten, Karl 8 Ottinger, Lawrence 160 Ottinger, Louise Lowenstein siehe Lorant, Louise Overstreet, Harry A. 283, 292 Pabisch, Peter 230 Pabst, G. W. 33 Pál, George 409 Pallenberg, Elisabeth Maria Karl siehe Frank-Mittler-Lustig, Liesl Pallenberg, Max 457 Palmier, Jean Michel 459, 468, 478 Pandori, Harbhajan Singh 240 Paneth, Friedrich A. 400, 412 Panofsky, Erwin 94, 98, 105, 106, 109, 120 Panzer, Friedrich 103 Parker, Mack Charles 87 Parry, Milman 405 Pasternak, Boris 89, 137, 286, 293 Pasternak, Joe [Joseph, József] 396, 409 Pataky, Kolomon von 395, 396
NAMENREGISTER PAU [Ps.] 421 Pauker, Edmond 204 Paul, Jean 476 Pausanias 98 Paustowskij, Konstantin 137 Pavis, Patrice 202 Pechstein, Max 249 Pendergass, Marian siehe Michael, Marian Perster, Edith Adele 427 Peter der Große 82, 287 Petersen, Julius 172, 307 Pfempfert, Franz 78 Philipson, David 235 Phoryles, Cilli siehe Gründorfer, Cilli Picasso, Pablo 249, 252, 257, 259, 261, 286, 372 Pick, Otto 330 Pillersdorf, Albrecht [Ps.] siehe Blei, Franz Pinkuss, Fritz 378 Pinthus, Kurt 78, 89 Piscator, Erwin 29, 31, 33, 89, 251 Pisko, Ernest S. 421 Pius XII, Papst 340 Planck, Max 292 Plant, Richard [d.i. Richard Plaut, Ps. Stefan Brockhoff] 307, 308, 311 Platon 95, 97, 101, 109, 110, 253, 279 Plaut, Elizabeth [geb. Strauss] 233, 242 Plaut, Jonas 232, 233, 242 Plaut, Jonathan 233 Plaut, Judith (Judy) 233 Plaut, Levi 243 Plaut, Richard siehe Plant, Richard Plaut, Selma [geb. Gumprich] 232, 233, 242 Plaut, W. Gunther [d.i. Wolf Günter Plaut] 232-248 Plaut, Walter 233 Plöchl, Willibald M. 420 Pol, Heinz 81 Polányi, Karl 401, 412 Polanyi, Magda 411 Polanyi, Michael (Misi) 396, 397, 401, 403, 411, 412, 413 Polgar, Alfred 299, 362, 421, 430, 431, 432, 446, 457, 459, 460, 461, 476 Politzer, Heinz 311, 317 Pólya, George 396, 402, 409, 413 Ponger, Elisabeth Juliet 427, 445 Ponger, Gyula 425 Ponger, Hermin [geb. Sinaiberger] 425 Ponger, Kurt Leopold [Ps. CUPO] 424428, 444 Ponger, Peter 427 Ponger, Vera [geb.Verber] 421, 424-428, 444, 445
NAMENREGISTER Posadowsky-Wehner, Harald Graf von 334 Posey, Hadassah siehe Michael, Hadassah Post, Klaus Dieter 309 Poussin, Nicolas 257 Prater, Donald 388 Prawy, Marcel 23, 27 Prean, Karl Lustig von 350 Preminger, Otto 461 Puccini, Giacomo 187, 196 Queiroz, Rachel de 366 Quint, Joseph 111, 113 Rabinowitch, Eugene 398 Racine, Jean 253 Radkau, Joachim 399 Radó, Sándor 409, 413 Rahner, Hugo 114 Rall, Dieter 208, 218, 219, 230 Rall, Marlene 208, 218, 219, 230 Raman, Chandrasekhara V. 292 Ramos, Arthur 366 Rapaport, David 409 Raphael [d.i. Raffaello Sanzio da Urbino] 257, 264 Raphael, Emma [geb. Dietz] 250, 251, 252, 262 Raphael, Max 249-264 Raphaelson, Sampson 196 Rapp, Welma 450 Rasch, Martin 106 Razovsky, Cecilia 405 Regenbogen, Otto 120 Reich, György 138 Reich, Imre 138 Reich, Irén (Irene) 138, 145, 146, 163 Reich, István siehe Lorant, Stefan Reich, Izrael 138, 163 Reiner, Fritz 397 Reinhardt, Max 30, 181, 187, 190, 196, 198, 200, 206, 435, 467 Reisch, Liesl 460, 476 Reisch, Walter 460, 461, 477 Remarque, Erich Maria 57-58, 89, 364, 474 Rembrandt [d.i. Harmenszoon van Rijn] 257 Renn, Ludwig 215 Renoir, Auguste 264 Rentsch, Eugen 365 Reuchlin, Johannes 172 Reuss, Leo 36 Reuter, Ernst 359 Rey, Wilhelm (Willy) 307 Ribbentrop, Joachim von 82
492 Ribeiro Couto, Rui 357 Rice, Elmer 196 Richter, H. W. 64 Richter, Werner 386 Rickert, Heinrich 98 Riechel, Donald 309 Riefenstahl, Leni 144 Rilke, Rainer Maria 5, 175, 176, 218, 275, 299, 300, 312, 366 Rittenberg, Louis 186, 204 Ritter, Dr. 99 Roback, A. A. [d.i. Abraham Aaron] 283, 291 Robertson, Laurie siehe Lorant, Laurie Robeson, Paul 206, 469 Robinson, Edward G. 198, 469, 479 Robolsky, Otto 143 Rockefeller, John D. 292 Rockefeller, Nelson 345 Roda Roda, Alexander 153, 348, 350, 383, 435 Roda, Elsbeth 383 Roda-Becher, Dana 338, 341, 348, 349, 350, 351, 365, 378, 383, 389 Röder, Werner 427 Rodgers, Richard 196 Rodin, Auguste 5, 252, 255 Roerich, Nicholas 291 Rohde, Erwin 175 Rolland, Romain 293, 478 Roloff, Hans-Gert 177 Roosevelt, Eleanore 283, 284, 292 Roosevelt, Franklin Delano 160, 269, 373, 436, 461, 469 Roosevelt, Theodore 160 Rops, Félicien 5, 11 Ropschitz, Fritz 18, 26 Roselle, Anne [d.i. Anna Gyenge] 395 Rosenberg, Alfred 82, 113 Rosenfeld, Anatol 338, 343, 367-369, 382, 387 Rosenfeld, Otto 316, 317 Rosenhaupt, Hans Wilhelm 265-277 Rosenhaupt, Heinrich 265, 266, 267 Rosenhaupt, Maria 265 Rosenhaupt, Marie [geb. Freudenthal] 265 Rosenhaupt, Maureen [geb. Church] 270, 275 Rosenhaupt, Wilhelm 265, 266 Rosenstein, Paul 347 Ross, Tom 275, 277 Roth, Joseph 326, 360 Roth, Lester W. 469, 479 Rotzoll, Christa 66
493 Rousseau, Jean-Jacques 254 Rowohlt, Ernst 372 Ruben, Paul 106 Ruge, Antje 50 Runes, Adele 288, 293 Runes, Dagobert D. 278-294 Runes, Isadore 288, 293 Runes, Mary Gronich 280, 288, 290 Runes, Regeen Najar 288, 290, 292, 293 Russell, (Sir) John 400 Russell, Bertrand 281, 286, 288 Sachs, Hans 172, 173 Sahl, Hans 251, 474 Sakall, S. Z. 396, 409 Salomon, Erich 144 Salomon, Richard 106 Sándor, Árpád 396 Santos, Marquesa de 360 Sárközi, György 196, 197 Sárközi, Márta 197 Saroyan, William 196 Sartre, Jean-Paul 286 Sautermeister, Gert 63 Saxl, Fritz 94, 98, 101, 104, 105, 106, 109, 122 Schacht, Hjalmar 82, 88 Schaefer, Claude 262 Schaeffer, Albrecht 89 Schauff, Johannes 344, 369-371 Schauff, Karin [geb. Mager] 338, 369-371, 382, 383 Scheffler, Detlev 145 Scheidt, Walter 119 Schickele, René 372, 476 Schiller, Friedrich 29, 97, 173, 216, 217, 218, 275, 309, 310, 364, 393, 468 Schindel, Robert 437, 448 Schlegel, Friedrich 476 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich 31 Schlenther, Paul 78 Schmid, Carlo 89 Schmidt, Chuck 177 Schmidt, Erich 77 Schmitt, Carl 7, 8, 13 Schmoller, Gustav 253 Schneider, Norbert 256 Schneider, Reinhold 133 Schnejder, Evgenij 33 Schnitzler, Arthur 4, 360 Schnitzler, Heinrich 299, 393 Schoenberg, Arnold 24, 25, 40, 278, 289290, 435, 459, 460 Schönfeld, Thomas 444 Schönthan, Gaby von 362
NAMENREGISTER Schopenhauer, Arthur 174, 175 Schöpflin, Aladár 189 Schubert, Franz 22, 26 Schuh, Willi 27 Schultz, Franz 307 Schumacher, Joachim 262 Schumacher, Kurt 88 Schwarz, Caroline 299 Schwarz, Dorothea (Dorle) [geb. Klockenbusch] 299, 304, 305 Schwarz, Egon 295-306, 309, 347 Schwarz, Erna [geb. Weissfisil] 295, 296, 297, 298 Schwarz, Gabriele 299 Schwarz, Oskar 295, 296, 297, 298, 306 Schwarz, Rudolf 299 Schweitzer, Albert 286 Schwietering, Julius 307 Sealsfield, Charles 219 See, Carolyn 459 Seeberg, Erich 111, 113, 114, 115, 116, 117 Seghers, Anna 85, 215 Seidlin, Oskar [d.i. Salo Oskar Koplowitz, Ps. Stefan Brockdorff] 169, 307-315 Seifert, Josef Leo 80 Selye, Hans 412 Selznick, David O. 194, 206 Sendrey, Alfred 409 Sexl, Hanns 445 Seyfert, Michael 157 Shakespeare, William 32, 35, 174 Shaw, George Bernard 293 Sherwood, Robert 196 Sickinger, Richard 329 Siebold, Janet 414 Siefer, Elisabeth 219 Siemsen, Hans 89 Silberherz, Helene siehe Karpfen, Helene Simmel, Georg 249, 256 Simmel, Johannes Mario 23, 27 Simon, Gertrud 358, 373 Simon, Hugo 337, 338, 357, 358, 365, 372374, 376, 378, 382, 388 Sinclair, Upton 27, 452, 462, 468, 474, 477 Siodmak, Robert 141 Slonim, Reuben (Rabbi) 238 Smith, Carolyn 204 Smith, Joan 16, 19 Smith, Randle 16, 19 Smith, W. Eugene 161 Smolka, Peter 360 Solmitz, Walter 97, 98, 99, 106 Solmitz-Reis, Elly 106 Sommerfeld, Martin 307
NAMENREGISTER Sonka [Ps.] siehe Sonnenschein, Hugo Sonnenschein, Hugo [Ps. Sonka] 317 Souza Dantas, Luiz Martins de 340, 357 Souza, Claudio de 357 Souza, Murillo Martins de 341 Spalek, John M. 25, 26, 179, 458, 474, 475 Spectator [Ps.] siehe Feder, Ernst Spengler, Oswald 281 Speyer, Wilhelm 457, 459, 461, 476 Spiel, Hilde 299, 360 Spieß, Gertrude 330 Spinoza, Baruch 253, 279 Spitz, René Árpád 409 Spivacke, Harold 414 Spix, Johann Baptist Ritter von 359 Spoliansky, Mischa 150 Staiger, Emil 218 Stalin, Josef 33, 287, 288, 312 Starkmann, Alfred 62 Staudacher, Cornelia 53 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 88 Steed, Wickham 150, 151, 162 Steel, Johannes 421, 428 Stefan, Paul 435 Steffin, Margarete 43 Stein, Rose 316, 332, 334 Stein, Werner A. 28 Steiner-Prag, Hugo 317 Stengel, Prof. 119 Sterler, Hermine 466 Stern, Carola 456, 457, 460, 461, 462, 476 Stern, Louis 293 Sternberg, Charles 405, 414 Sternfeld, Wilhelm 128 Sternheim, Carl 5, 11 Stewart, Walter A. 287 Stifter, Adalbert 299, 317, 318, 332, 374 Storm, Brian 288 Storm, Theodor 174 Storm, Yale 288 Strasser, Nadja 89 Strauss, Elizabeth siehe Plaut, Elizabeth Strauss, Herbert A. 427 Strauss, Johann 14, 22, 26 Strauss, John 421, 439 Strauss, Richard 14, 26 Streicher, Julius 88 Strelka, Joseph P. 128 Stresemann, Gustav 140 Strich, Fritz 267, 268 Stroheim, Erich von 89 Strupsky, Sheba 414 Studenic, Hubert siehe Simon, Hugo Studenicova, Garina siehe Simon, Gertrud
494 Suchenwirth, Richard 116, 123 Südekum, Albert 372 Swanson, Gloria 143 Swift, Jonathan 65 Szabo, Wilhelm 319 Szász, Otto 396, 409 Szász, Thomas 409 Széchenyi, László 187 Szegő, Anna [geb. Nemenyi] 396, 411 Szegő, Gábor 396, 402, 409, 413 Szent-Györgyi, Albert 292, 395, 411 Szigeti, Joseph 402 Szilard, Béla 398-399 Szilard, Leo 397, 398-401, 409, 411, 412 Szilasi, Vilmos 402 Szilasi, Wilhelm 413 Szondi, Leopold 412 Szűcs, József 402, 413 Tagger, Peter 421 Tagore, Rabindranath 293 Tammann, Gustav 396 Tate, Allen 292 Täubert, Klaus 311, 314 Täubler, Selma 120 Taylor, John Russell 473 Teller, Edward 409 Tercero Vasconcelos, Cecelia 219 Thelen, Albert V. 8 Théry, Gabriel 112, 113, 115, 116, 117, 123, 124 Thieberger, Ernst 316, 318 Thieberger, Friedrich 316, 318, 330 Thieberger, Karl 316, 318, 330 Thieberger, Sofie [geb. Wachtl] 316, 318 Thomas, John Parnell 470, 480 Thomas, Rudi 317 Thompson, Dorothy 48 Thomson, David Cleghorn 408 Tieck, Ludwig 31, 217, 218, 476 Tiedemann, Eva 128 Tiemann, Walter 5 Tillich, Paul 47, 307, 308 Timm, Uwe 303 Todd, Michael 180, 200 Toller, Ernst 150, 153 Tönnies, Ferdinand 6, 98 Torberg, Friedrich 62-63, 362, 428 Toulouse-Lautrec, Henri de 5 Trotsky, Leon 281 Truman, Harry S. 160 Tschechowa, Olga 140 Tschuppik, Karl 155 Tucholsky, Kurt 155, 210, 299, 364, 372
495 Turrentine, Chuck 177 Twin, Oliver [Ps.] siehe Knight, Max und Fabry, Joseph Uhde, Wilhelm 96 Ulbricht, Walter 312 Ullmann, Ludwig 421, 435 Ungerer, Werner 334 Ungern-Sternberg, Christoph von 330 Unruh, Fritz von 85, 89 Urzidil, Elisabeth 330 Urzidil, Gertrude [Gertrud, geb. Thieberger] 316-334 Urzidil, Johannes 316, 317, 318, 322, 324, 326, 328, 329, 330, 331, 332, 333 Urzidil, Josef 330 Utitz, Emil 317 Vajda, Ladislaus [László] 396 Valéry, Paul 253 Vámbéry, Rusztem (Rustem) 404, 413 Van Dyck, Anthony 264 van Gogh, Vincent 252 Vansant, Jacqueline 305 Varconi, Victor [d.i. Mihály Várkonyi] 396 Vargas, Getúlio 339, 340, 341, 343, 344, 345, 346, 351, 360, 361, 375, 376, 378 Varnhagen-Levin, Rahel 476 Varró, Margit 409 Veidt, Conrad 140, 160 Veigelsberg, Hugo siehe Ignotus Velasquez, Diego Rodríguez de Silva y 264 Verber, Henriette [geb. Zellermayer] 424 Verber, Jacob 424, 425 Verber, Otto 425, 426, 427, 428 Verlaine, Paul 5 Vernon, Susan Huntington 414 Vészi, József 183, 201 Vészi, Margit 197, 201-202 Vidor, Charles 396 Vielwahr, Klara 424 Viertel, Berthold 153, 360, 362, 375, 377, 388, 389, 419, 420, 421, 429, 430, 431, 432, 434, 435, 446, 479 Viertel, Peter 470 Viertel, Salka 362, 460, 470, 479 Villard, Oswald Garrison 357, 382, 469, 479 Vitezovic, Tomislav [Ps.] siehe KuehneltLeddihn, Erik Maria von Vizetelly, Frank H. 283, 291 Voltaire, François-Marie Arouet 77 von der Vogelweide, Walther 135 Von Hofe, Harold 457
NAMENREGISTER Wachs, Fritz 424 Waetzold, Wilhelm 253 Wagner, Richard 283, 435 Waldeck, Johanna 330 Waldinger, Ernst 421, 434 Waldinger, Theodor 448 Wallis, Hal 466, 478 Walser, Robert 3, 5, 12 Walter, Bruno 198, 435, 460 Walter, Hans-Albert 433 Walter, Lotte 460 Wangenheim, Gustav von 32, 33 Warburg, Aby 98, 99, 104, 106, 122 Warburg, Bettina 404, 413 Warburg, Ingrid 404, 413 Warren, George 413 Washington, George 160 Wassermann, Jacob 281, 356 Waxman, Franz 460 Weber, Hans von 5 Weber, Marianne 97, 102 Weber, Max 97 Weber, Wolfgang 144 Wedekind, Frank 4, 78, 97 Wegner, Matthias 299 Weguelin de Vieira, Milton Cesar 341 Weigel, Helene 42, 48, 49, 50 Weill, Kurt 40, 41, 187, 459 Weiskopf, Franz Carl 421, 431, 434 Weiss, Konrad 111 Weiss, Peter 419 Weizmann, Chaim 180, 200, 400 Welk, Ehm 31 Welles, Orson 469 Wells, H. G. 353, 360 Weltsch, Felix 318 Weltsch, Lise 316 Weltsch, Robert 316 Werbezirk, Gisela 466 Werbow, Stanley 177 Werfel, Franz 71, 308, 316, 317, 330, 362, 434, 435, 452, 458, 460, 472, 474, 476, 478 Werner, Alfred 421 West, Marianne [Ps.] siehe Oeste de Bopp, Marianne Wheeler, David 165 Whitehead, Alfred North 292 Whitman, Walt 11 Wickram, Jörg 218 Wieland, Christoph Martin 217, 218 Wiesel, Elie 245 Wigner, Eugene 397, 398 Wilde, Oscar 3
NAMENREGISTER Wilder, Billy 205, 459, 467 Wilder, Thornton 196 Wilhelm I., König 161 Wind, Edgar 105 Winick, Charles 287, 293 Winkler, Michael 432, 439 Winter, Ernst Karl 424, 428, 444, 445 Wittkowski, Victor 376 Wodehouse, P. G. [d.i. (Sir) Pelham Grenville] 188 Wolf, Friedrich 29, 32, 35 Wolf, Hugo 26 Wolfe, W. Beran 284, 291 Wolff, Kurt 85, 263 Wolff, Theodor 143, 356 Wölfflin, Heinrich 249, 252, 253, 262 Wolfgang, Hans [Ps.] siehe Gründorfer, Wilhelm Wood, Sam 36 Wright, Milton 283, 291 Wright, Richard 87 Wriston, Henry M. 413 Wurfbain, A. 414 Wyneken, Gustav 97
496 Young, Karl 172 Yutang, Lin 286 Zacconi, Ermete 184, 202 Zech, Paul 468, 469, 472, 480 Zeisel, Eva 409 Zimmer, Christiane [geb. Hofmannsthal] 102 Zimmer, Heinrich 102, 105, 120 Zinkernagel, Franz 308 Zinn, I. 412 Zinnemann, Fred 36 Zirpins Huber, Roland O. 230 Zola, Emile 11 Zuckerbäcker, Olga 14 Zuckerkandl, Bertha 435 Zuckmayer, Carl 299 Zühlsdorff, Volkmar von 468, 479, 480 Zürcher, Emil 103, 121 Zweig, Friderike 376, 388 Zweig, Lotte 360, 375, 377 Zweig, Stefan 65, 127, 128, 130, 132, 153, 201, 281, 337, 338, 348, 349, 353, 358, 360, 363, 364, 365, 373, 374-379, 380, 382, 385, 388, 389
SACHREGISTER Academia Brasileira de Letras (ABL) 357 Academic Assistance Council (Royal Society) 400, 401 Alfred A. Knopf Verlag 434 Alfred-Döblin-Preis 53, 71 Aliens Order (England) 148 Aliens Restriction Act (England) 148 Allert de Lange (Amsterdam) 3, 10, 147 Alsfelder Passionsspiel 173 American Coalition 407 American Committee for Christian Refugees 404 American Committee for Refugee Scholars, Writers and Artists 404, 461 American Committee for Relief in Czechoslovakia 408 American Council for Émigrés in the Professions 404 American Council of Learned Societies 408 American Federation of Austrian Democrats 420 American Guild for German Cultural Freedom 9, 10, 353, 357, 382, 385, 472, 479 American Lady 282 American Stamp Digest 282 Amerikanische Geographische Gesellschaft 127 amerikanische Staatsbürgerschaft siehe Staatsbürgerschaft, amerikanische Anglo-Jewish Association 400 Ankunft in den USA 10, 21, 22, 36, 44, 86, 157, 169, 180, 187, 195, 251, 298, 308, 317, 324, 350, 361, 426, 440, 459 Anschluss Österreichs 16, 53, 189, 192, 295, 296, 301, 324, 354, 363, 402, 403 Anti-Nazi-Filme 465 Antisemitismus 32, 65, 86-87, 138, 235, 236, 238, 239, 268, 269, 295, 296, 340, 342, 391, 392, 397, 398, 399, 405-408, 409, 423, 452 Appeasementpolitik 154, 161 Arbeiter-Jugend-Zeitung (Prag) 47 Argentinisches Tageblatt 87-88, 358 Armenischer Staatspreis für Literatur 72 Arts & Crafts-Bewegung 5 Assembly for a Democratic Austrian Republic 420
Associação Brasileira de Imprensa (ABI) 357 Associação Religiosa Israelita (ARI) 342 Aufbau (NY) 11, 16, 23, 24, 78, 84-85, 88, 89, 358 Aurora-Verlag 427 Auschwitz (Konzentrationslager) 242, 303, 307 Auschwitz-Prozess 61 Austrian Action 420 Austrian Youth Assembly 420 Austro American Council 441 Austro American Trade Union Committee for Victory 439 Austro American Tribune [später Forum und Tribüne ] 419-448 Austro American Youth (auch Free Austrian Youth, Free Austrian Youth Committee, Free Austrian Youth Group, Austro-American Youth, Austro-Ame-rican Youth Council) 424, 426, 434 Austro American Youth (Zeitschrift) 427-428 Badezellenbühne 172 Basses bei Bordeaux (Internierungslager) 82 Bauhaus 159 BBC (British Broadcasting Company) 62, 157, 439 Better English 282-283, 291 Bewegung Freies Deutschland (Mexiko) 343 Birkenau (Konzentrationslager) 242 Bolschewismus 395 Bolschewistische Revolution von 1917 391 Börgermoor (Konzentrationslager) 151 British Society for the Protection of Science and Learning (früher AAC) 408 Bronze Star 233 Buchenwald (Konzentrationslager) 425 Bücherverbrennung 81, 360, 397 Büchnerpreis 63 Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) 80, 81, 83 Café Arco, Prag 316 Café Herrenhof, Wien 9, 12
498 Canadian Council of Christians and Jews 234 Canadian Jewish Congress 233 Canadians Against PLO Terror 237 Carnegie Endowment for International Peace 407 CBS (Columbia Broadcasting System) 47 Central Conference of American Rabbis 234, 235 Central Jewish Consultative Committee 400 CIA (U.S., Central Intelligence Agency) 425, 427 Columbia (Film-Studio) 454 Comité allemand 373 Comitê da Proteção dos Interesses Austríacos (Brasilien) 343 Commissão de Assistência aos Refugiados Israelitas da Alemanha (CARIA) 342, 352, 353 Commission Internationale de Coopération Intellectuelle 400 Committee of the Jewish Board of Deputies 400 Community Service Society 404 Congregação Israelita Paulista (CIP) 342, 343, 346, 368, 378 Continental Edition (Verlag) 427 Council for a Democratic Germany 47, 48 Cusanus-Commission der Universität Heidelberg 101, 103, 105, 107, 111, 120 Cusanus-Kongress 94 Dachau (Konzentrationslager) 9, 20, 106, 151, 242, 425, 437 Das andere Deutschland, Bewegung (Argentinien) 343 Das andere Deutschland (Zeitschrift, Buenos Aires) 349 Das Silberboot 9 Das Wort (Moskau) 80 DEFA FilmGesellschaft 49-50 Demokratische Flüchtlingsfürsorge 372373 Deutsche Demokratische Partei (DDP) 357 Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) 230 Deutscher-Autoren-Dienst (DAD) 43 Deutsches Theater, Berlin 30 Die Brücke 372 Deutsche Blätter (Santiago de Chile) 11 Die Deutsche Kolonie (Mexiko) 211, 213 Die Wanderbühne (Theatergruppe) 169 Dora-Nordhausen (Konzentrationslager) 233, 242
SACHREGISTER Éditions du Carrefour (Verlag, Paris) 147, 152 Ehrendoktorat 72, 161, 232, 275, 309, 405, 412 Eiserne Kreuz Erster Klasse 78 Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars 408 Emergency Immigration Restriction Laws, 1921 (U.S.) 392 Emergency Rescue Committee 357, 385, 404, 455, 458 Emigration aus Ungarn 391-415 Erster Weltkrieg (als Thema) 125-126 Estado Novo (Brasilien) 339, 341, 361 Europäischer Merkur (Verlag, Paris) 147 European Film Fund 449-480 Exil auf Martinique 77, 83, 84-85, 86-87 Exil in Argentinien 337 Exil in Bolivien 297-298, 302-303 Exil in Brasilien 337-390 Exil in Casablanca 83 Exil in den USA/Exilleben in den USA 23, 36, 44, 106, 125, 127, 138, 157-162, 169-171, 180-181, 194-196, 198-200, 266, 267, 426 Exil in der Tschechoslowakei 81, 138 Exil in Ecuador 298 Exil in England 17-18, 19-20, 105, 107-109, 125, 127, 138, 148-156, 168, 169, 241, 242, 266, 267, 317, 360, 425-426 Exil in Frankreich 43, 57, 82, 96, 250-251, 362, 372 Exil in Israel 56-57 Exil in Italien 10, 369 Exil in Kanada 93-94, 107-108, 233-241 Exil in Mallorca 4, 8-9 Exil in Mexiko 89 Exil in Polen 32 Exil in Schweden 105 Exil in Sowjet-Russland 30, 32-33, 35, 37 Exilautoren und die amerikanische Filmindustrie 29, 32-33, 36-37 Exiled Writers Committee 471, 477 Exilleben in Hollywood 36-37, 458-460, 462-473 Exilleben in New York 10-11, 36, 58-59, 66-68, 199, 251, 256-257, 326 Expressionismus im Exilwerk 81-82, 350 FBI (U.S., Federal Bureau of Investigation) 440, 470, 472 Federal Emergency Relief Administration (FERA) 46 Fort Ontario, Oswego, NY (Flüchtlingskamp) 436
SACHREGISTER Forum und Tribüne siehe Austro American Tribune Free Austrian Movement 363 Freikörperkultur-Bewegung 4 Freie österreichische Jugend 420 Freies Deutschland (Zeitschrift, Mexiko City) 349 Friedensnobelpreis 206, 245 Fünfte Kolonne 346 Galileo Kreis 403, 413 German Academy in Exile 469, 477, 479 Ghetto 55, 58, 67, 70 Goethe-Medaille 170 Good Neighbor Policy (U.S.) 344 Grand Prix de l’Humour Noir 62 Gruppe 47 64 Gruppe Görgen (Brasilien) 349, 350, 351 Gurs (Internierungslager) 251 Habsburger Monarchie 7, 54, 209, 279 Hanoar-Hazioni (zionistische Organisation) 56 Hans Rosenhaupt Memorial Book Award 275 Hans Rosenhaupt Memorial Foundation 275 Hans-Erich-Nossack-Preis 71 Hans-Sahl-Preis 71 Heimat im Exilwerk 37-38, 319, 325, 326 Heimweh 23, 42, 435 Heinz-Galinski-Preis 71 HICEM 297 High Commission for Refugees, League of Nations 406 Hitler im Exilwerk 21-22, 67, 138, 150-152, 154, 156, 158, 162, 245, 351, 353, 374 Hitler-Stalin-Pakt 55 Hollywood Anti-Nazi League 461, 462, 468, 470, 473 Holocaust/Holocaust als Thema 62, 64, 96, 235, 237, 241, 242, 243, 245, 273, 409 Home Crafts and Hobbies 282 Horthy-Regime (Ungarn) 138, 183, 192, 201 House Un-American Activities Committee (HUAC) 48, 422, 440, 441, 470, 471, 472, 480 IG-Farbenindustrie AG 210 Ile de France (Ozeandampfer) 458 Innere Emigration 271 Institut International de Philosophie, Paris 95
499 Institute of Advanced Education 279, 283284, 291, 292 Instituto Nacional do Livro 357 International Catholic Migration Commission 371 International Rescue and Relief Committee (IRRC) 404, 414 International Student Service (ISS) 400 Internationaler Descartes-Kongress, Paris 95 Jacob-Wassermann-Preis 71 Jewish Labor Committee 404, 414 Jewish Refugee Committee 97, 412 John Simon Guggenheim Foundation 11, 268, 269 Joint Antifascist Refugee Committee 422 Josefstaler Stammtisch, Prag 317 Judentum, Besinnung auf 34-35 Jungfernhof, Riga (Konzentrationslager) 352 Jung-Prag Gruppe 316 Kalter Krieg 356, 425, 470 Kapp-Putsch 139, 161 Kindertransport 96 Kommunismus/Kommunist 50, 65, 78, 85, 131, 210, 239, 259, 424, 426, 428, 440, 441, 471, 477 Kommunistische Partei 48, 266 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 42 Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) 424, 425 Kommunistischer Jugendverband Österreichs (KJVÖ) 425 konservatives Judentum 234 Ku Klux Klan 87 Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (KBW) 98, 99, 101, 104, 105 La Braconne (Internierungslager) 357 Laientheater 173 Latin-American and Iberian Institute (LAII) 209, 230 Legion d’Honneur Orden 187 Lend-Lease Act, 1941 (U.S.) 345 Les Milles (Internierungslager) 251 Lessingpreis der Stadt Hamburg 94 Libanon-Krieg, 1982 237 liberales Judentum 234, 235 Lichtenburg (Konzentrationslager) 151 Lilliput (London) 152-156, 157, 158 Lion-Feuchtwanger-Preis 53, 71 Literaturnobelpreis 63, 187
500 Makkabiade (Jüdische Olympische Spiele) 234 Malik-Verlag (London) 150 Marxismus 79, 250, 253-254, 255-256, 259 McCarthy-Ära 422, 439, 461, 473 Metropolis (Film) 142 MGM (Metro-Goldwyn-Meyer; Filmstudio) 454, 458, 468, 477 Model Airplane Builder 282 Modern Psychologist 282, 291 Modern Thinker, The 281-282, 284, 287, 290, 291 Montinho 251 Movement for an Independent Hungary 405 Movimento dos Alemães Antinazis 346 Münchner Abkommen (29. Sept. 1938) 154, 213, 231, 324 National Citizens Political Action Committee 469, 477 National Council of Jewish Women 405 National Medal of Science (U.S.) 413 Navajo-Indianer 127 Neue Freie Presse 16 Neue Sachlichkeit 322 New Criticism 300 New Current Digest 281, 284, 290 New Deal 407 New School for Social Research (NY) 284 New Yorker Staatsanzeiger 87 New Yorker Staatszeitung und Herold 60 Niemandsland 296, 301, 303, 305 Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft 113, 116 NSDAP 397 Nürnberger Prozesse 427 Nürnberger Rassengesetze 106, 117, 349, 367, 439 Numerus Clausus Gesetz (Ungarn) 392, 395, 409 Office of Inter-American Affairs (OIAA) 345 Office of Strategic Services (OSS) 440 Office of War Information (OWI) 47 Ontario Human Rights Commission 234, 239 Order of Canada 234 Orduña (Ozeandampfer) 297 Organisation für Wiedergutmachung 363 Oscar 200 P.E.N.-Club 87, 357, 360
SACHREGISTER Paneuropäische Jugend 16 Pariser Tageszeitung 373 Pfeilkreuzler 193, 206 Philosophic Abstracts 285 Philosophical Library 279, 285-287, 288, 292, 293 Picture Post (illustrierte Zeitung) 153-156, 157, 158 Planned Parenthood 239 Pogromnacht (11. November 1938) 96 Pro Bene Meritis-Preis (Universität Texas) 170 Querido Verlag (Amsterdam) 82, 147 Quotensystem (U.S.) 16, 69, 106, 339, 392, 403, 406, 407, 409 Reed-Johnson Act, 1924 (U.S.) 392 Reformjudentum 232, 233, 234, 235, 236, 244, 246 Reichskristallnacht 93, 106, 242, 243, 324 Reichstagsbrand 42, 151, 399, 457 Religiöse Konversion 392-393 Rex (Ozeandampfer) 180 Rezeption im anglosächsischen Buchmarkt 61-62 Rolândia Kolonie (Brasilien) 344, 368, 369371 Rosa May Distinguished University Professor in the Humanities 299 Rotes Kreuz 55, 478 Rückkehr nach Deutschland 48, 65, 70, 7173, 241-242, 351, 371, 461, 471 Rückkehr nach Österreich 129, 133, 362, 381, 427 S. S. Britannic (Ozeandampfer) 156 Sachsenhausen (Konzentrationslager) 266 Sadowski Medal for Civic Service 234 Schutzverband deutschsprachiger Schriftsteller (SDS) 87 schwarzer Humor (black humor) 64 Science Illustrated 282 Sechs-Tage-Krieg, 1967 238 Sender Moskau 439 Sender Österreich 438 Sierra Ventana (Ozeandampfer) 421 Sociedade Israelita Brasileira de Cultura e Beneficência (SIBRA) 342, 346 Society for the Protection of Science and Learning (Academic Assistance Council) 107 Society of Friends (Quäkers) 19 Sozialdemokraten 239
SACHREGISTER Sozialdemokratische Partei Österreichs 280 Spanischer Bürgerkrieg 4, 8, 125, 239, 284, 422, 478, 480 Staatsbürgerschaft, amerikanische 59, 159, 233, 267, 309, 422, 432 Staatsbürgerschaft, brasilianische 361 Staatsbürgerschaft, mexikanische 212, 215 Texas Association of German Students (TAGS) 170 Theresianstadt (Konzentrationslager) 55, 362 Thomas Mann Fund 458 Thomas Mann Society 458 Trianon, Friedensvertrag von 182, 191, 391 U.S. Military Intelligence Service 427 Übersetzungsarbeit im Exil 211, 217, 218, 220, 227-228, 357 UFA (Universum Film Aktiengesellschaft) 142, 396 UNESCO 274 United Church of Canada 238 United Jewish Appeal 233 Universal Studios (Filmstudio) 454 Verband sozialistischer Studenten Österreichs 424
501 Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland 25, 170, 234, 359 Versailler Vertrag 78, 307 Vietnam Krieg 125 Volkstheater 173 Warburg Institute, London 95, 98, 102, 104, 107, 109 Warner Bros. (Filmstudio) 464, 465, 466, 477, 478 Weekly Illustrated (London) 147-150, 152, 158 Weisser Terror 398 WHOM (Radio Station) 14 Widerstand 438 Wiedergutmachung 93 Wiener Werkstätten 5 Woodrow Wilson Foundation 274, 275 World Union of Progressive Judaism 233, 235 World Zionist Organization (WZO) 200 Yom-Kippur-Krieg, 1973 237 Zeppelin 379 Zionismus 88-89, 235, 237, 239, 296