Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933: Band 3/ Teil 2 USA [Reprint 2020 ed.] 9783110967142, 9783908255178


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German Pages 610 [612] Year 2000

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Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933: Band 3/ Teil 2 USA [Reprint 2020 ed.]
 9783110967142, 9783908255178

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Diese Veröffentlichung wurde gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn-Bad Godesberg University of Kansas, Lawrence, Kansas Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst, Wien

DEUTSCHSPRACHIGE EXILLITERATUR SEIT 1933 BAND 3

USA HERAUSGEGEBEN VON JOHN M. SPALEK, KONRAD FEILCHENFELDT UND SANDRA H. HAWRYLCHAK TEIL 2

K G - SAUR VERLAG BERN UND MÜNCHEN 2001

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. - Bern ; München : Säur Bd. 1 u.d.T.: Deutsche Exilliteratur seit 1933 ISBN 3-907820-43-6 Bd. 3. USA / hrsg. von John M. Spalek ... Teil 2 - (2001) ISBN 3-908255-17-1

0 Gedruckt auf säurefreiem Papier / Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K.G. Saur Verlag AG Bern und München, 2001 Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig. Druck/Printed by: WS Druckerei, Bodenheim Binden/Bound by: Buchbinderei Schaumann, Darmstadt ISBN 3-908255-17-1

INHALT Vorwort Exiljahre in den USA Abkürzungen

vii ix xi AUTOREN

Richard Alewyn. Von Regina Weber (Stuttgart) 1 Ernst Angel. Von Hans Jörgen Gerlach (Berlin) 34 Bertha Badt-Strauss. Von Barbara Hahn (Princeton Univ.) 60 Fritz Brainin. Von Jörg Thunecke (Westdeutsche Akademie für Kommunikation, Köln) 70 Joseph Fabry. Von Bianca Hirsch (San Francisco) 97 Lisa Fittko. Von Catherine Stodolsky (München) 115 Waldemar Gurian. Von Heinz Hürten (Ingolstadt) 130 Alice Herz. Von Mark Seiler (Univ. of Wisconsin, Stevens Point) 140 Wilhelm Herzog. Von Carla Müller-Feyen (Berg/Obb.) 160 Alfred Kantorowicz. Von Klaus Täubert (Berlin) 184 Henry William Katz. Von Ena Pedersen (Herlev, Dänemark) 213 Max Knight. Von Johannes Evelein (Trinity College, Hartford, CT) 234 Hans Lamm. Von Henry Lea (Univ. of Massachusetts, Amherst) 245 Otto Mainzer. Von Use Wunsch Mainzer (New York) 258 Erika Mann. Von Irmela von der Lühe (Univ. Göttingen) 289 Pazifische Presse. Von Roland Jaeger (Los Angeles) 311 Friedrich Popper. Von Christine Möhrle (Frankfurt/M) 343 H.A. und Margret Rey. Von Roland Jaeger (Los Angeles) 351 Hedwig Rossi. Von Ingrid Walter (Offenbach) 361 Will Schaber. Von Georg Schütte (Alexander v. Humboldt-Stiftung, Bonn) 388 Arnold Schirokauer. Von Theresia Wittenbrink (Bad Vilbel) 415 Leopold Schwarzschild. Von Markus Behmer (Univ. München) 440 Hans Siemsen. Von Susanne Alge (Berlin) 468 Kurt Singer. Von Herbert Lehnert (Univ. of California, Irvine) 489 Otto Strasser. Von Wilhelm Grabe (Büren) 502 Siegfried Thalheimer. Von Ingo Piel (Köln) 537 Jan Valtin. Von Ernst von Waldenfels (Berlin) 577

VORWORT Der vorliegende zweite Teilband setzt die Darstellung der deutschsprachigen Literatur in amerikanischen Exil fort. Er bringt sechsundzwanzig Aufsätze über siebenundzwanzig Autoren und drei Verleger, und in der Vielfalt des literarischen Ausdrucks schließt sich dieser Teilband dem ersten an. Auch in diesem Band wird der Begriff Exilliteratur möglichst weit gefaßt und bringt nicht nur Arbeiten über Prosaautoren (Katz, Mainzer, Siemsen, Valtin), Dramatiker und Hörspielautoren (Popper, Rossi, Schirokauer), und Lyrik (Brainin), sondern auch Aufsätze über eine Reihe von Publizisten (Gurian, Kantorowicz, Erika Mann, Schaber, Schwarzschild). Darüber hinaus wird die Germanistik durch Alewyn und auch Schirokauer vertreten (wie schon im ersten Band durch Blume und Brandt). Zwei bis drei Autoren gehören dem Gebiet der Kinderliteratur an (Popper als Dramatiker und H.A. und Margret Rey als die Schöpfer der Kinderbücher von Curious George, die in den USA weite Verbreitung erlangt haben). Von den Exilanten, die sich als Ubersetzer, meist nebenamtlich, bewährt haben, ist in diesem Band Max Knight hervorzuheben. Der Aufsatz über die Pazifische Presse stellt die drei Begründer dieses kleinen, doch bedeutenden Verlages der Exilzeit vor. Wie schon im ersten Teilband, so werden auch in diesem unbekannte oder weitgehend unbekannte Namen zum erstenmal gewürdigt. Dazu gehören u.a. Ernst Angel, Joseph Fabry, Friedrich Popper, Hedwig Rossi und auch Otto Mainzer. Daß überhaupt noch unbekannte Autoren vorgestellt werden können, geht, wie schon im Teilband I betont wurde, auf die Nachlaßfunde der letzten Jahre zurück. Das gleiche gilt für die thematischen Aufsätze, die im nächsten Teil gebracht werden sollen. Es darf als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß eine ganze Anzahl der behandelten Autoren nicht nur einem Genre zuzuordnen sind und daß diese «Vielseitigkeit» auf die Erfahrung des Exils zurückgeht. Z.B. beginnt Ernst Angel als expressionistischer Lyriker, geht dann zum Film über und wird nach dem Krieg Psychoanalytiker; Arnold Schirokauer ist zuerst hauptsächlich Hörspielautor, in den USA aber Germanist. Max Knight verfaßt zusammen mit Joseph Fabry zahlreiche Kurzgeschichten als Unterhaltungsliteratur; später wird Knight ein angesehener Übersetzer deutscher Literatur, und Joseph Fabry wird zum Begründer der Logotherapie in den USA. Henry William Katz und Friedrich Popper sind gezwungen, unter den Bedingungen des Exils, ihre Tätigkeit als Schriftsteller zugunsten eines praktischen Berufes aufzugeben. Jan Valtin wandelt sich vom politischen Agenten erst im Gefängnis zum Romanschriftsteller. Die Herausgeber möchten darauf hinweisen, daß sie drei Aufsätze in den Band aufgenommen haben, die von Beiträgern stammen, die den behandelten Schriftstellern persönlich nahestehen bzw. gestanden haben: Frau Ilse Wunsch Mainzer, selbst Verfasserin einer Autobiographie, ist die Witwe von Otto Mainzer; Frau Catherine Stodolsky ist Nichte von Lisa Fittko und Emigrantin der zweiten

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VORWORT

Generation; die Bekanntschaft von Henry Lea und Hans Lamm geht auf ihre Zusammenarbeit bei den Nürnberger Prozessen zurück. Auch wenn Darstellungen von Verwandten oder Freunden Gefahr laufen, einseitig zu werten, so muß solchen Verfassern zugute gehalten werden, daß sie ihr Thema häufig überhaupt erst möglich machen, und daß ihre Stimmen auch von quellenkundlichem Wert sind. Auf die Generationsunterschiede wurde auch schon früher hingewiesen. Es darf bei diesem Band gesagt werden, daß insgesamt zwanzig Personen (deren Namen im Aufsatztitel oder in den Untertiteln der Aufsätze genannt werden) in den USA gestorben sind; zwei sind kurz nach ihrer Rückkehr nach Europa verstorben. Zwei Autoren (Fittko und Singer) sind beide um neunzig Jahre alt. Die Verfasser der einzelnen Aufsätze haben Personen und Instituten, die ihnen mit Informationen und Materialien geholfen haben, bereits ihren Dank ausgesprochen. Die Herausgeber möchten an dieser Stelle wieder einigen Instituten und Personen einen besonderen Dank aussprechen, die das Unternehmen als Ganzes gefördert haben, nämlich das Deutsche Exilarchiv der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/Main, insbesondere Frau Dr. Brita Eckert und Frau Marie-Louise Hahn; das Department of Special Collections der State University of New York at Albany, insbesondere Frau Dorothy Christiansen und Frau Mary Ossielsky; ferner das Deutsche Literaturarchiv, Marbach a.N.; die Stiftung Akademie der Künste, Berlin, insbesondere Frau Christina Moeller und als langjähriger, wohlwollender Begleiter des Projekts Herr Dr. Manfred Briegel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wir möchten schließlich, last but not least, Herrn Helge Sturmfels und Frau Sandra Klefenz, München, für die sorgfältige und rechtzeitige Korrektur des Textes danken, ferner für die Ubersetzung von drei Aufsätzen ins Deutsche; den gleichen Dank sprechen die Herausgeber Frau Kerstin Müller, Sunderland, MA, und Frau Claudia Schulze, München, aus, die ebenfalls je eine Übersetzung beigetragen haben. Für die finanzielle Unterstützung sind wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Bonn), dem Kansas University Fund (Lawrence, KS) und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst (Wien) dankbar.

EXILJAHRE IN DEN USA 10. Jan. 1939 Anf. 1940Nov. 1939Mitte Okt. 1938 3. März 1940(Kuba) Ende Nov. 1941(USA) 1948Waldemar Gurian Sept. 1937(Kuba) Mai 1942Alice Herz (USA) 25. Juli 1942(Trinidad) Juni 1941Wilhelm Herzog (USA) 22. Juni 1945März 1941Alfred Kantorowicz 15. Apr. 1941Henry William Katz 18. Mai 1941Max Knight Ende Juli 1938Hans Lamm Anf. Juli 1941Otto Mainzer Ende Sept. 1936Erika Mann 5. Feb. 1940Friedrich Popper H.A. Rey Okt. 1940Okt. 1940Margret Rey Hedwig Rossi Sommer 1939Will Schaber Okt. 1938Arnold Schirokauer Anf. 1939Leopold Schwarzschild 12. Sept. 1940Hans Siemsen Ende Juni 1941Kurt Singer 3. Juli 1941Otto Strasser (Bermuda) 1. Apr. 1940(USA) Apr. 1941Siegfried Thalheimer 7. März 1941Jan Valtin Feb. 1938-

Richard Alewyn Ernst Angel Bertha Badt-Strauss Fritz Brainin Joseph Fabry Lisa Fittko

April? flO.Jan. t20. Feb. f28. Apr. 17. Mai

1948 1986 1970 1992 1999 1948 bis heute |26. Mai 1954 Juli 1942 f26. März 1965 1945 Sept. 1947 7. Dez. 1946 f6. Juni 1992 f31. Aug. 1993 1955 f28. Juni 1995 Ende 1952 f l 3 . Juli 1981 tl977 fEnde 1996 1-25. Okt. 1985 f5. Juli 1996 f24. Mai 1954 Sommer 1950 24. Feb. 1948 bis heute Apr. 1941 März 1955 1951? t31. Dez. 1950

ABKÜRZUNGEN A AT Anm. Aufbau (NY) Bd. / Bde. Bl. CA d.i. dass. Diss. DLA ebda. ERC f./ff. GAWA Hrsg./hrsg. ill. LBI N.F. Nr. NY NYT o.D. o.J. o.O. s. S./SS. s.a. s.o. s.u. Sp. SUNYA tr. u.a. u.d.T. Übers./übers. Univ. Verf. vgl. zit. zit. n.

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A ustro-A merican Tribune (NY) Anmerkung Aufbau/Reconstruction (NY) Band / Bände Blatt California das ist dasselbe Dissertation Deutsches Literaturarchiv, Marbach/Neckar ebenda Emergency Rescue Committee folgende German-American Writers Association Herausgeber/herausgegeben illustriert Leo Baeck Institute (NY) Neue Folge Nummer New York New York Times ohne Datum ohne Jahr ohne Ort siehe Seite/Seiten siehe auch siehe oben siehe unten Spalte State University of New York at Albany translated/translator unter anderem/und andere unter dem Titel Ubersetzer/übersetzt Universität/University Verfasser/Verfasserin vergleiche zitiert zitiert nach

RICHARD ALEWYN REGINA WEBER Zu Beginn des Wintersemesters 1964/1965 sah sich der fünfzehn Jahre zuvor aus den USA nach Westdeutschland zurückgekehrte Germanist Richard Alewyn mehr oder weniger gezwungen, im Streit um den neuen Rektor der Bonner Universität — den Germanisten Hugo Moser — öffentlich Stellung zu nehmen. In einem Artikel in der Zeit vom 23. Oktober 1964, «Der neue Bonner Rektor»1, hatte Walter Boehlich Vorwürfe gegen die politische Vergangenheit des seit 1959 an der Bonner Universität lehrenden Sprach- und Literaturwissenschaftlers erhoben, der seit kurzem zum neuen Rektor ernannt aber noch nicht ins Amt eingeführt worden war. Boehlich bezog sich auf zwei Publikationen Mosers — einen Aufsatz «Auslandsdeutschtum und völkische Erziehung»2 von 1934 und ein von Moser mitherausgegebenes Liederbuch mit nationalsozialistischen Liedern, Lieder unseres Volkes3 von 1938 — und belegte mit Zitaten, daß der Germanist «mit Hitler paktiert» habe, weshalb er für das Amt des Rektors der Bonner Universität nicht geeignet sei, — einer Institution, auf der noch immer die Schmach der Aberkennung der Ehrendoktorwürde Thomas Manns im Jahre 1936 laste. Die Bonner Universität, d.h. eine rasch einberufene Sonderkommission von dreizehn Professoren, wies in einer ersten Erklärung vom 26. Oktober 1964 die Behauptungen Boehlichs in der Zeit als «aufgebauscht» und «völlig gegenstandslos» zurück — in Mosers Publikationen werde «das Maß des damals Üblichen» nicht überschritten — und sprach dem gewählten Rektor erneut das Vertrauen aus. Der Fall Hugo Moser zog jedoch weitere Kreise in der Öffentlichkeit. Uber Wochen füllten Leserbriefe aus dem In- und Ausland das Feuilleton der Zeit, für das Rudolf Walter Leonhardt als Ressortchef verantwortlich zeichnete. Leonhardt, promovierter Germanist mit Lehrerfahrung in England, hatte bereits Ende der fünfziger Jahre auf den «Sündenfall der deutschen Germanistik», das Versagen der Disziplin im Dritten Reich, in einem «Pamphlet» (Leonhardt5) hingewiesen und ließ nun dem im wesentlichen von Universitätsangehörigen geführten Disput in der Zeit freien Lauf. Das Thema der Aufarbeitung der Wissenschaftsgeschichte im Dritten Reich, über die fünfziger Jahre weitgehendst tabuisiert, ließ sich nicht länger verdrängen, wenngleich der Widerstand von seiten der Bonner Professorenschaft beträchtlich war. Nur ein einziger, der Bonner Romanist Harri Meier, distanzierte sich öffentlich von der ersten Erklärung der Bonner Universität. Die Feststellung der Kommission, die Diktion des von Boehlich inkriminierten Aufsatzes gehe nicht «über das Maß des damals Üblichen und zur Abwehr politischer Verdächtigungen

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mitunter sogar Notwendigen» hinaus, öffne, so Meier in einem Leserbrief in der Zeit, «der Exkulpierung aller möglichen intellektuellen Vergehen von Wissenschaftlern in der Nazizeit Tür und Tor» 6 . Jedoch: «Wir dürfen sie nicht exkulpieren, auch nicht, sofern sie unsere eigenen oder die unserer Kollegen sind.» Dies wäre nicht zuletzt eine «Ungerechtigkeit gegen jene Kollegen ..., die nach 1933 emigrieren mußten und im Vertrauen auf eine klare Distanzierung der heutigen deutschen Universität von der Zeit vor 1945 zu uns zurückgekehrt sind.» Folgerichtig verweigerte Harri Meier auch, wiederum als einziger, seine Unterschrift unter die zweite Loyalitätserklärung der Bonner Universität 7 vom 16. November 1964, die zwei Tage nach der feierlichen Rektoratsübergabe veröffentlicht wurde. Richard Alewyn, der zum Zeitpunkt der ersten Erklärung nicht in Bonn weilte, hatte an der zweiten Erklärung der Bonner Universität mitgearbeitet, ja, hatte auf dieser zweiten Erklärung bestanden, die sich in einigen Punkten von der ersten unterschied. So wurden Boehlichs Vorwürfe nicht länger als «gegenstandslos» und «aufgebauscht» abgetan, sondern als zutreffend anerkannt 8 . Zur Entlastung Mosers wurde allerdings angeführt, daß er in den Jahren des Dritten Reichs nicht zuletzt Verfolgung von sehen des nationalsozialistischen Regimes ausgesetzt gewesen sei und sich im übrigen in der Nachkriegszeit wissenschaftlich und politisch bewährt habe. D a derartige Entschuldigungen jedoch häufig zu hören waren, sah sich der amerikanische Germanist Jeffrey L. Sammons in einem Leserbrief zu dem ironischen Kommentar veranlaßt, hier scheine das Prinzip zu walten, «daß jeder, der sich die Unbeliebtheit der NS-Behörden zugezogen hat, dadurch automatisch in den Geruch der Heiligkeit kommt» 9 . Es sei empörend, so erklärte eine Gruppe von sieben Professoren der University Rochester, N.Y., «daß in der heutigen Bundesrepublik ein nationalsozialistisch Belastester in freier Wahl zum Rektor einer angesehenen Universität ernannt werden kann, und daß es ihm gestattet wird, trotz öffentlicher Entlarvung und eines weltweiten Skandals, frischfromm-fröhlich-frei weiter drauflos zu amtieren» 10 . Richard Alewyn, der gegen erheblichen Widerstand der Bonner Kollegen die zweite Senatserklärung durchgesetzt hatte 11 , war zunächst nicht gewillt, sich noch weiter zu exponieren. Er verwies in einem Brief an den Bonner Historiker Paul Hübinger vom 15. November 1964, den er in Kopien auch an Harri Meier und R.W. Leonhardt sandte, auf seine problematische Rolle als Remigrant an der deutschen Nachkriegsuniversität. Ich spüre nicht nur aus Ihren, sondern auch aus den Äußerungen anderer Kollegen das Gefühl, meinen Empfindungen eine besondere Rücksicht schuldig zu sein. Ich weiß, wie gut das gemeint ist und würde mich selbst wohl nicht anders verhalten. Trotzdem bin ich dadurch in eine Stellung gedrängt, die mir nicht angenehm ist. Auch wo damit nicht die Unterstellung verbunden sein sollte, daß mein Urteil

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durch mein persönliches Schicksal beeinflußt sein könnte, so bedeutet dies doch die Zubilligung einer Ausnahmestellung, die ich ablehnen muß. Ich bin nach Deutschland zurückgekehrt und nach Bonn gekommen, um hier wieder ein Mitglied der akademischen Korporation zu sein wie jeder andere auch, gewiß gleichberechtigt aber nicht bevorrechtet. Alles andere wäre wieder eine Diskriminierung, nur mit umgekehrtem Vorzeichen (15. Nov. 1964).

Auch Alewyn hatte unter der Sonderrolle zu leiden, die den Juden und Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns im weiteren Sinne im Nachkriegsdeutschland zufiel. Weder Antisemitismus noch Philosemitismus wünschte er zu begegnen; er sehnte sich nach Normalität und wollte möglichst wenig auffallen. Seinen Brief an Hübinger beendete er mit den Worten: «Ich trachte nicht nach dem Lorbeer des Widerstandskämpfers. Nachdem eine einigermaßen akzeptable öffentliche Erklärung zustande gekommen ist, verzichte ich für den Augenblick darauf, an die Öffentlichkeit zu gehen. Mein Unbehagen ist jedoch alles andere als beschwichtigt» (15. Nov. 1964). Doch die Adressaten von Alewyns Brief wollten es nicht dabei belassen, wie ihre Antwortschreiben zeigen. Noch am Tag der Veröffentlichung der zweiten Senatserklärung erhielt Alewyn ein kleines Billet von Harri Meier, der in etwas harschem Ton lediglich fragte, ob Alewyn nun für oder gegen die zweite Senatserklärung gestimmt habe, die sich von der früheren Fassung doch kaum unterscheide12. Auch R.W. Leonhardt entgegnete knapp: «Sie haben sich, sehr verehrter Herr Professor, kollegial und weise verhalten. Ob Sie sich auch richtig verhalten haben, wird die Zukunft zeigen.» Im übrigen blieben nunmehr als «Stänkerer» übrig «Walter Boehlich, Harri Meier und die Zeit»,3. — Auch Walter Boehlich gab Alewyn zu verstehen, daß ihn die Erklärung des Senats enttäuscht habe. «Unter 160 (allein in Bonn) konnte doch wenigstens einer sein, der Harri Meier sein Vertrauen ausspricht, wenn die übrigen 159 es Mosern auszusprechen vorziehen. Von Ausländern habe ich mir erzählen lassen, daß so etwas nur in Deutschland möglich sei14.» Von allen Seiten bedrängt, dem eigenen Unbehagen ausgeliefert, gab Alewyn schließlich doch eine öffentliche Erklärung zum «Fall Moser»15 ab, in der er den Verlauf der Affaire referierte, Walter Boehlich verteidigte und Harri Meiers Haltung würdigte, jedoch auch klar betonte — besonders mit Blick auf das Ausland —, daß von einer Gefährdung der deutschen Universität durch Ideologien, gar die nationalsozialistische, derzeit keine Rede sein könne. Um so schwieriger aber sei es, Außenstehenden die Motive darzulegen, die das anhaltende Verschweigen der NS-Vergangenheit zu erklären vermögen. «Da sind zunächst die schlecht, falsch oder gar nicht Informierten», erklärte Alewyn.

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D a sind diejenigen, die selbst etwas zu verbergen haben, woran sie sich ungern erinnert sehen. D a sind diejenigen, die zwar ihre kompromittierte Vergangenheit nicht ableugnen, aber eben darum sich nicht befugt fühlen, einen Stein auf einen anderen zu werfen. Da sind diejenigen, die sich zwar selbst nichts vorzuwerfen haben, die sich aber aus Großmut vor die Belasteten stellen zu müssen glauben. Da sind diejenigen, die selbst zu den politisch Geschädigten gehören, die aber den Vorwurf unsachlicher Motive scheuen. Da sind diejenigen, die meinen, es sei unter der Würde der Universität, auf Attacken zu reagieren, besonders, wenn sie «von der Gasse» kommen. Da sind diejenigen, die — right or wrong, my country — aus Solidaritätsgefühl oder aus Staatsraison glauben, die Korporation nach außen gegen Vorwürfe schützen zu müssen....

Im übrigen jedoch werde die Bonner Universität, wie es in der zweiten Senatserklärung versprochen wurde, «sich jeder öffentlichen Kritik stellen, soweit diese begründet ist». R.W. Leonhardt, der obige Darstellung als «kleine Soziologie einer Fakultät» bezeichnete, äußerte sich zustimmend zu Alewyns Artikel: er habe nun «ein zwar vornehm-verbindliches, aber dennoch deutliches Wort gesagt» . — «Ich hoffe, daß Sie Ihre Stellungnahme nicht bereuen», schrieb er nur wenige Tage später, «um so weniger bereuen, als Sie damit ja wieder einmal, wie die nächste Nummer der Zeit zeigt, Ihren jüngeren Kollegen ein gutes Beispiel gegeben haben» 17 . Es war wohl die öffentliche Stellungnahme Alewyns, die speziell im Bereich der Germanistik dazu führte, das «kommunikative Beschweigen» (Hermann Lübbe) zu durchbrechen, das die fünfziger und noch die beginnenden sechziger Jahre kennzeichnete. Doch der Eichmann-Prozeß (1960) in Jerusalem, dann der Frankfurter AuschwitzProzeß (1964) als größter Strafprozeß der deutschen Nachkriegsgeschichte hatten in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit ein neues Bewußtsein im Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit geschaffen. Zudem galten für eine neue Generation von Akademikern die von Alewyn aufgezählten Vorbehalte nicht mehr, — weder die eigene nationalsozialistische Belastung zählte, noch das Gewicht des akademischen Korpsgeistes, noch der Mythos der Vaterlandsliebe, die Alewyns Generation befangen machte. Somit trat eine Gruppe jüngerer Gelehrter an die Öffentlichkeit und stellte sich hinter Alewyn. Sie forderten die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wissenschaft im Dritten Reich, unter Berufung auf das in der zweiten Senatserklärung gegebene Versprechen der Bonner Universität, sich der öffentlichen Befragung zu stellen 18 . In einer «Erklärung der Sieben» 19 in der Zeit vom 4. Dezember 1964 bekräftigten die Dozenten Karl Heinz Borck (Hamburg), Karl Otto Conrady (Kiel), Arthur Henkel (Heidelberg), Eberhard Lämmert (Berlin), Karl Ludwig Schneider (Hamburg), Herbert Singer (Hamburg) und Peter Wapnewski (Heidelberg) ihre Solidarität mit der Haltung Alewyns, der schon einmal, Ende der

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vierziger Jahre als Rückkehrer aus dem Exil, Symbol der Hoffnung und des Neuanfangs für die aus dem Krieg heimkehrende, in die Universitäten einziehende Flakhelfergeneration gewesen war. Dies hatte R.W. Leonhardt nicht vergessen. Alewyn jedoch, der sich infolge seiner öffentlichen Stellungnahme an der Bonner Universität zunächst isoliert fand, war dankbar für den Rückhalt unter der jüngeren Generation. An Herbert Singer, der ihm die «Erklärung der Sieben» übersandte, schrieb er am 2. Dezember 1964: «Damit ist der deprimierende Anschein zerstört, der sich der Öffentlichkeit zu bemächtigen begann, als ob es sich um nichts handele als die Widerspenstigkeit eines oder zweier räudiger Schafe20.» Daß noch einige Zeit vergehen sollte, bis der Deutsche Germanistentag 1966 in München das Thema der Aufarbeitung der Geschichte der Germanistik im Dritten Reich aufs Programm setzte (mit wesentlichen, Maßstäbe in der Fachgeschichtsschreibung setzenden Beiträgen von K.O. Conrady und E. Lämmert21), wird wiederum aus den Korrespondenzen im Nachlaß Alewyns ersichtlich. Da Alewyn sich einmal engagiert hatte, wollte er den Prozess der Aufklärung um des Ansehens der deutschen Universität willen auch vorantreiben. «Nur in einer reinlichen Luft kann die Universität gedeihen, kann sie ihr öffentliches Ansehen wieder herstellen und ihr Privileg auf die Vertretung von Recht und Wahrheit rechtfertigen»22, schreibt er in seiner unveröffentlichten Aufzeichnungen. Doch sollte die in der Bonner Senatserklärung zugesagte öffentliche Diskussion vorläufig an fehlenden Teilnehmern aus der Professoren- wie der Studentenschaft scheitern. Der junge Ulrich Wickert (Jahrgang 1942), der den Studentenausschuß in der geplanten und nicht zustande gekommenen Podiumsdiskussion vertreten wollte, fand sich allein gelassen mit den «zwei oder drei räudigen Schafen» unter den Professoren, von denen Alewyn gesprochen hatte. In der Frankfurter Rundschau vom 23. März 1965 zog Wickert die Bilanz (u.d.T.: «Viele Studenten-Vertreter tranken Bier. Das an der Bonner Universität. Kein Interesse für die Vergangenheit23».). Für Alewyn war die Auseinandersetzung mit seinem Germanistikkollegen an der Bonner Universität und alten Weggefährten noch aus der Zeit vor 1933 Benno von Wiese vielleicht bedeutender. In einem Leserbrief in der Zeit vom 25. Dezember 196424 hatte Wiese gleichsam einen letzten Versuch unternommen, die Haltung des «kommunikativen Beschweigens» zu retten. (Es gehe doch wohl nicht an, schrieb er, «daß eine ganze Generation, die inzwischen seit Jahrzehnten öffentlich tätig ist, nunmehr an den Pranger gestellt werden soll...»). Alewyn jedoch, der den stillschweigenden Konsens, die Vergangenheit ruhen zu lassen, lange akzeptiert hatte, wohl weil er sich allein in der Germanistik, an einer westdeutschen Universität, an seinem Platze fühlte, wollte jetzt angesichts der drängenden Fragen in der Öffentlichkeit nicht länger schweigen. So schrieb er an Wiese im Dezember 1964:

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RICHARD ALEWYN Ich bin zwar in vielen Fällen gerne bereit, das, was Leute vor 30 Jahren getan oder unterlassen haben, «historisch» zu «verstehen», auch wo sie noch leben. Aber soll ich das auch auf die Gegenwart anwenden? Soll ich auch eine heutige Unredlichkeit, Feigheit, Faulheit, Dummheit nicht erbärmlich finden und so nennen? Darf ich auch mein gegenwärtiges Handeln keinen ethischen Maßstäben unterwerfen?

In diesen Sätzen Alewyns scheint die jahrelange Not der Selbstverleugnung des Emigranten und Remigranten in der von Heuchelei und Verdrängung geprägten deutschen Nachkriegsgesellschaft zur Sprache zu kommen; zugleich aber auch das Aufbegehren eines konfliktscheuen Gelehrten, der sich endlich zu den eigenen Wertmaßstäben zu bekennen wagt. Alewyn strebte drei Jahre vor der Emeritierung nicht nach einer kulturpolitischen Führungsrolle, die ihm vom akademischen Nachwuchs wohl angetragen wurde; er wehrte sich aufrichtig gegen dies neue Image. Stets waren es die zeitbedingten Umstände, die ihn zu politischem Handeln nötigten, was seine ganze wissenschaftliche Laufbahn, seine Intellektuellenbiographie deutlich macht. Ein Gelehrtenleben zwischen Wissenschaft und Kulturpolitik Richard Alewyns Gelehrtenleben weist, zeitlich gesehen, drei Abschnitte auf: die Jahre 1925 bis 1933 als junger Wissenschaftler an der Heidelberger und Berliner Universität; die Jahre des Exils von 1933 bis 1947/49 in Europa und den USA; und schließlich die Jahre 1949 bis 1967 an den westdeutschen Nachkriegsuniversitäten Köln (1949-1955), Berlin-West (1955-1959) und Bonn (1959-1967). Mit seiner viel beachteten Dissertation über die Antigone-Ubersetzung des Martin Opitz, Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der 'Antigone »-Übersetzung des Martin Opitz26 1925 bei Max von Waldberg in Heidelberg wurde er rasch bekannt als «Barockforscher», eine Zuschreibung, die ihn sein Leben lang begleitete. Alewyns Dissertation galt als Meilenstein in der Barockforschung der zwanziger Jahre. Viel Anerkennung fand seine stilistische Definition eines «vorbarocken Klassizismus», den er für den Sprachstil des Opitz wie auch der ersten schlesischen Dichterschule geltend machte und der folgenden «barocken» Dichtung gegenüberstellte, womit ein differenzierterer Blick als zuvor auf die Epoche gegeben war. Als junger Barockforscher wurde er von Julius Petersen, dem Berliner Ordinarius auf dem Lehrstuhl Erich Schmidts, 1926 in dessen berühmtes Oberseminar aufgenommen und konnte sich als Schüler Petersens 1931 an der Berliner Universität mit einer Arbeit über den Roman des siebzehnten Jahrhunderts, Johann Beer. Studien zum Roman des 17. Jahrhunderts27 habilitieren. Die Habilitationsschrift war als Teil einer geplanten, doch nie zustande gekommenen Literaturgeschichte

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des siebzehnten Jahrhunderts gedacht, der Alewyns Forschungen und Publikationen — insbesondere eine Fülle von Rezensionen zur aktuellen Barockforschung — in den Berliner Jahren dienten. R.W. Leonhardt hat in jener bereits erwähnten Skizze über den Sündenfall der deutschen Germanistik (1959) das an den deutschen Universitäten lange in Geltung stehende patriarchalische und autoritäre System kritisiert, das, im Unterschied zum westlichen Ausland, einem bestimmten Ordinarius fast unumschränkte Macht verlieh, jungen Wissenschaftlern den Weg zur Universitätskarriere zu ebnen — oder auch nicht, was der freien Meinungsäußerung oder gar dem Mut zum Widerstand nicht gerade förderlich gewesen sei. Schüler Petersens zu sein bedeutete also nach damaliger preußischer Prüfungsordnung, in allen Dingen des Fortkommens auf das Wohlwollen dieses Professors angewiesen zu sein — vom Forschungsauftrag mitsamt Finanzierung (derer Alewyn dringend bedurfte), bis zu den Gutachten, der Assistentenstelle, der Zulassung zur Habilitation, dem Ruf auf einen Lehrstuhl. Es galt also, kein Mißfallen zu erregen, und es war sicher nichts Ungewöhnliches, daß Alewyn als soeben habilitierter Privatdozent im Sommer 1932 einen vier Seiten langen Entschuldigungsbrief schrieb, da er einen angekündigten Vortrag wegen körperlichen Unwohlseins nicht hatte halten können. («Und nochmal möchte ich Sie bitten, den dummen Vorfall zu entschuldigen und mir Gelegenheit zu geben, mich zu rehabilitieren28.») Daß man einem solchen Ordinarius mehr als Dank schuldete, zeigt ein anderer Brief Alewyns an Petersen vom Herbst 1932, nach seiner Berufung auf den Heidelberger Lehrstuhl des 1931 verstorbenen Friedrich Gundolf. Vom ersten Augenblick unserer Beziehungen angefangen, als Sie im Spätwinter 1926 dem kaum flügge gewordenen Aspiranten den ehrenvollen und recht gewagten Auftrag erteilten, habe ich immer von neuem und fast überreichlich ein Vertrauen genossen, von dem ich wohl weiss, daß es noch lange nicht zu Ende verdient ist. Auf dieses Vertrauen hat sich im Grunde genommen meine ganze bisherige Laufbahn einzig und allein aufgebaut, und wenn ich die Wendung, die mich hierher an einen ungewöhnlich exponierten und verantwortungsvollen Posten führte, aus tiefstem Herzen begrüße, dann nicht zuletzt darum, weil mir hier nun eine einzigartige Gelegenheit beschert ist, den Erweis zu führen, daß Sie sich nicht getäuscht haben (Heidelberg, 1. Okt. 1932).

Nur ein halbes Jahr war Alewyn Extraordinarius am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg, als er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wegen seiner jüdischen Großmutter mütterlicherseits zum 21. August 1933 ohne weitere Bezüge entlassen wurde. Dabei wurde Alewyn, der protestantischer Konfession war, «noch nicht einmal auf der Rektoratsliste als geführt»29, wie Dorothee

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Mußgnug in ihrer Untersuchung über die entlassenen Heidelberger Hochschullehrer berichtet; seine jüdische Abstammung war wohl nur wenigen bekannt. Die Einstufung als Jude und die damit verbundene Aberkennung des Deutschtums erfuhr Alewyn wie viele andere Betroffene als eine amtliche Zuschreibung und Etikettierung, mit der er sich nicht identifizieren konnte und wollte. Mütterlicherseits entstammte er dem deutsch-jüdischen Bildungsbürgertum. Seine Mutter Mathilde Spier, geschiedene Alewyn, geb. Schmitz stand dem George-Kreis nahe, sie war auf die Blätter für die Kunst abonniert. Alewyns Onkel Oskar A. H . Schmitz wurde als Münchner Boheme-Schriftsteller bekannt, und die Schwester seiner Mutter, Hedwig geb. Schmitz, war die Frau des Künstlers Alfred Kubin. Doch Alewyns Mutter hatte sich früh von seinem Vater George Alewyn getrennt, der aus einer alten holländischen Adelsfamilie stammte, und den Kaufmann Alois Spier geheiratet, in dessen Haus in Frankfurt a.M. Alewyn eine wenig glückliche Kindheit verbrachte. In den flüchtig hingeworfenen autobiographischen Aufzeichnungen 30 zwei Jahre vor seinem Tod schildert er die generationsspezifischen Leiden am autoritären Schulsystem, an der patriarchalischen Familienstruktur und dem durch die Schule vermittelten preußischen Militarismus. Die Enge und Isolation seiner Kindheit wurde zuerst durch den pietistischen Bibelkreis, später durch das Erlebnis der Jugendbewegung und die Studentenjahre in Frankfurt, München und Heidelberg allmählich überwunden. Zu den Leitbildern «Jugendbewegung, Kommunismus, Expressionismus, George» bekannte sich Alewyn als «Angehöriger der chiliastisch gestimmten Generation der frühen zwanziger Jahre» 31 auch noch in reifen Jahren. Im Antwortschreiben auf seine Entlassung an den Heidelberger Senat vom 8. Juli 1933 erklärte sich Alewyn als treu ergebener Untertan des preußisch-deutschen Staates und entschuldigt sich fast dafür, daß er den sog. Frontparagraphen (der durch den geleisteten Kriegsdienst die jüdische Abkunft gleichsam wett machte und den Kriegsteilnehmer als Deutschen auswies) nicht für sich reklamieren kann. Selbst noch am Weltkrieg teilzunehmen, war mir als Angehörigem des Jahrgangs 1902 nicht mehr möglich. Dagegen war ich in meiner Schulzeit fast acht Jahre lang Pfadfinder und habe dabei eine regelrechte wehrsportliche Ausbildung empfangen und selbst als Führer erteilt. Ich habe ferner als Schüler und junger Student zehn Jahre lang aktiv und in den letzten Jahren an führender Stelle einem evangelischen Jugendbund (Bibelkreis) angehört und habe endlich während meiner ganzen Studienzeit in der bündischen Jugendbewegung (zuletzt als Neupfadfinder) persönlich und in vorderster Reihe mitgekämpft. — So habe ich mich niemals als etwas anderes als als arischer Deutscher gefühlt und kann auch nicht aufhören das zu tun, ohne mich selbst aufzugeben (Heidelberg, 8. Juli 1933).

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Auch in seinem Schreiben an Petersen, der im SS 1933 als Gastprofessor in den USA weilte und erst spät von Alewyns Entlassung erfuhr, bekennt sich Alewyn zur «deutschen» Identität, nun aber mit dem Hinweis auf seine Zugehörigkeit zum «anderen» Deutschland, der geistigen Provinz vieler Emigranten von Thomas Mann bis zu Bernhard Blume: «Ich habe sogar die feste Uberzeugung», erklärt er, «ein besserer Deutscher zu sein als diejenigen, die mir mein Deutschtum nehmen wollen, und ich kann mich niemals diesem Urteil beugen» (Heidelberg, 14. Aug. 1933). So schwankt Alewyn zwischen dem Untertanengehorsam gegenüber dem preußisch-deutschen Staat, der sich inzwischen zur NS-Diktatur gewandelt hat (Ulrich Herbert spricht sehr anschaulich von den «eingebauten Autoritätsorientierungen dieser Generation»32), und dem Glauben an das «andere» Deutschland. Man könnte an die Chiffren «Potsdam» und «Weimar» erinnern, die für den preußischen Militarismus und die deutsche Kulturnation, das Reich Goethes und Schillers, stehen. Richard Alewyn hat sich jedoch nicht erst 1933 auf das «andere» Deutschland besonnen. Er beschritt schon in der Barockforschung33 eigene Wege, die nicht dem mainstream der mehr und mehr national orientierten deutschen Barockforschung entsprachen. Es scheint, daß ihm die Wissenschaft, speziell die Barockforschung, in einem sonst angepaßten Leben den Freiraum bot, seine Gegenbilder zur preußisch-protestantisch dominierten Gegenwart zu entwerfen. Ihm ging es um die Darstellung einer «anderen» deutschen Kulturtradition als der in Preußen-Deutschland stets von Luther hergeleiteten. Schon in seiner Dissertation über die A «fzgowe-Ubersetzung des Martin Opitz stellte er Opitz als Vertreter des europäischen Humanismus und als ersten Übersetzer ins Deutsche von Rang und Bedeutung34 dar (als hätte es keinen Luther gegeben!) und sieht in Opitz den Vorläufer und Wegbereiter der deutschen klassischen Epoche. Alewyns Opitz-Bild ist weitgehend Friedrich Gundolf verpflichtet, der 1923 in seinem Buch Martin Opitz35 die sprachschöpferische Leistung des Opitz polemisch mit dem Sprachschatz Luthers konfrontierte. Gundolf, der Jude war, hatte den an den deutschen Hochschulen schon vor 1933 herrschenden Antisemitismus im Berliner Bewerbungsverfahren um die Nachfolge Erich Schmidts zu spüren bekommen36. Mit Johann Beer sodann, dem von Alewyn als «Dichter» entdeckten37 Hofmusikus am sächsisch-thüringischen Hof von Schloß Weißenfels, «dem nördlichsten Vorposten der großen Barockkultup38, verband sich für Alewyn die Gegenwelt des süddeutsch-österreichischen Barock, die, konträr zur norddeutsch-protestantischen Kultursphäre, die europäisch-katholische Dimension in sich birgt. Diese barocke Welt der Festkultur, der theatralisch inszenierten Gesamtkunstwerke, die Alewyn auch in späteren Jahren nicht müde wurde zu beschreiben39, erhebt Österreich zum idealen Ort der Harmonie, an dem die nördlichen Spaltungen und Zerrissenheiten überwunden sind.

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Noch in seiner 1965 erschienenen Dokumentation zur deutschen Barockforschung der zwanziger/dreißiger Jahre betonte Alewyn, daß der Begriff «Barock» weniger als Stilbegriff denn als Bezeichnung einer Epoche seine Gültigkeit bewahrt habe. Und es ist vielleicht sein bedeutendstes Verdienst, daß er zur Anerkennung der Autonomie und zur Erkenntnis des Wesens dieses Zeitalters verholfen hat. Es ist das Zeitalter zwischen Renaissance und Aufklärung, in dem — in Deutschland wie in Europa — die höfische Kultur gegenüber der bürgerlichen, der Katholizismus gegenüber dem Protestantismus, die Bildende Kunst und das Theater gegenüber der Literatur das Übergewicht besaßen40.

Daß die Barockforschung der zwanziger/dreißiger Jahre zum gemeinsamen Erlebnis einer ganzen Generation von Germanisten wurde — das zuvor kaum beachtete und gegenüber der klassischen deutschen Epoche des achtzehnten Jahrhunderts vernachlässigte siebzehnte Jahrhundert wurde, im Gefolge kunsthistorischer Definitionen, als Forschungsfeld gleichsam neu entdeckt —, hat Alewyn, als er Anfang der sechziger Jahre sein Barockbuch konzipierte, in einem Brief an den einstigen Weggefährten Erich Trunz zum Ausdruck gebracht. Die Trauer über den Zerfall der einst lebendigen scientific Community (Karl Viëtor und Werner Milch, Günther Müller, Benno von Wiese u.v.a. gehörten dazu) ist darin unüberhörbar: «Die deutsche Barockforschung ist Torso geblieben», schrieb Alewyn. «Ihre Vertreter sind teilweise vertrieben, verdorben, gestorben, die Uberlebenden — eine lost génération — haben kaum Nachfolge gefunden, selber sind sie an Händen und Füßen zur Unfruchtbarkeit verurteilt» (an E.Trunz; 5. März 1961). Daß der Verlust der Kommunikation unter den Wissenschaftlern zur Not des Exils ganz wesentlich beitrug, verrät auch eine Mitteilung des nach Frankreich emigrierten jüdischen Freundes und Barockforschers Arnold Hirsch an Alewyn: «Savez-vous ce qui manque? La conversation avec un collègue» (an Alewyn, 19. Aug. 1934). Petersens Reaktion auf die Entlassung seines vielversprechenden Schülers beschränkte sich auf Bemühungen, Alewyn bei der Stellensuche im Ausland zu unterstützen. Er verhalf ihm zunächst zu einer Gastprofessur für deutsche Literatur am Institut d'Etudes Germaniques an der Sorbonne, Paris, die von der Rockefeiler Foundation und der Académie de France zwei Jahre lang (von Dezember 1933 bis Juni 1935) finanziert wurde, was den Lebensunterhalt Alewyns mitsamt seiner jungen Familie fürs erste sicherte. Die mangelnde Stabilität seiner Lage belastete ihn zunächst relativ wenig: das beste sei es, so schrieb er im April 1934 an Julius Petersen, «sich darüber vorläufig keine Sorgen zu machen und das Ganze von der Seite des Abenteuers zu betrachten». Sein Emigrantenstatus schaffe bisher keine

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Probleme. («Ich halte mich im übrigen völlig zurück, vermeide heikle Themen und habe von keiner Seite bisher auch nur die geringsten Schwierigkeiten gehabt.») Den Gedanken an eine Emigration nach Amerika weist er im Sommer 1934 noch weit von sich. Er möchte den europäischen Boden nicht verlassen. Bestenfalls eine Einladung für zwei Jahre würde ihn interessieren, läßt er Petersen wissen, «aber lebenslänglich oder auch nur auf größere Dauer möchte ich mich nicht verpflichten» (Paris, 9. Apr. 1934). Die größeren Schwierigkeiten begannen erst im Sommer 1935, als alle Versuche, eine anderweitige Anstellung zu finden, fehlschlugen. Er zog mit seiner Familie nach Osterreich, wo das Leben, wie er mitteilt, billiger war. Im Herbst 1935 weilte er kurz in England, in London und Cambridge, wohin er zu Vorträgen eingeladen worden war. «Das wird in diesem Winter meine letzte akademische Tätigkeit gewesen sein» (Alt-Aussee, 2. Dez. 1935), ließ er Petersen wissen. Ansonsten stünden nur «sehr vage Aussichten (Stambul) am Horizont». Daher würde ihn nun doch «eine Einladung nach Amerika ... sehr interessieren» (Basel, 10. Dez. 1936). Im Dezember 1936 erreichte Alewyn ein seltsames Anerbieten: Petersen schrieb, er habe sich in Berlin bei einem Herrn für ihn verwendet, «der zum Stabe des Stellvertreters des Führers gehört und dort ein Kulturreferat hat.... Er hält es für möglich, daß eine Eingabe an den Führer irgendwie helfen könnte und würde bereit sein, Sie zu beraten» (Berlin, 2. Dez. 1936)41. Hier nun tut sich für einen Augenblick die Kluft zwischen den beiden Germanisten auf. Alewyn, seit drei Jahren das bittre Brot des Exils essend, weist das Angebot mit Entschiedenheit zurück. Er bittet den «sehr geehrten Kollegen,... es mir nicht zu verübeln, wenn ich den ... von Ihnen empfohlenen Weg nicht betrete. Er passt nicht zu mir, und ein Erfolg würde mich vor Aufgaben stellen, denen ich mich keineswegs gewachsen fühle» (Wien, 7. Dez. 1936). Während Petersen mit germanistischen Beiträgen42 dem nationalsozialistischen Staat hofierte und Benno von Wiese, mit dem Alewyn in Heidelberg studiert und in Berlin das legendäre Barockseminar J. Petersens besucht hatte, 1936 zum Lektor der Rosenbergschen Schrifttumskommission, (Hauptlektorat Deutsche Literatur) avancierte, fristete Alewyn die Exiljahre in Osterreich (1935-1938) als nahezu mittelloser Privatgelehrter. Er erhielt Zugang zum Nachlaß Hugo von Hofmannsthals, den er zum Teil erschließen konnte, und bewegte sich im sozialen Umkreis der Hofmannsthal-Familie. (Gerty Hofmannsthal, Christiane Zimmer, Heinrich Schnitzler, Viktor Zuckerkandl, Karl Wolfskehl gehörten dazu, die — jüdisch oder sogenannt jüdisch versippt — schließlich alle ins außereuropäische Ausland emigrierten). Das wenige, das Alewyn noch publizieren konnte — 1936 im Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts einen Hofmannsthal-Aufsatz («Hofmannsthals erste Komödie»43 ) und 1937 einen Artikel über «Grillparzer und die Restauration»44 bei

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den Publications der Londoner Goethe-Society — versäumte er nicht, Petersen zu übersenden. Mit seinen Arbeiten zu Hugo von Hofmannsthal45 knüpfte Alewyn an die Barockforschung an und führte sie weiter. In dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal, so schreibt er 1938 in einem Bewerbungsschreiben an das German Department der Johns Hopkins University, Baltimore, sehe er «den Punkt, wo barocke Tradition und moderne ästhetische Bestrebungen einander begegnen» (Wien, Mai 1938). In dem von der Goethe-Society publizierten Aufsatz hingegen «Grillparzer und die Restauration» (1937) habe er «die Hauptideen, die (er) über österreichische Kultur bildete» (ebda.) dargelegt. Tatsächlich wird in diesem Aufsatz hinter den Grillparzer zugeschriebenen politischen und künstlerischen Ideen die eigene Suche nach politischer Orientierung in einem mehr und mehr nationalsozialistisch beherrschten Deutschland/Osterreich deutlich. Grillparzers Dichterleben zur Zeit der Metternichschen Restaurationspolitik wird für Alewyn zum Gleichnis für die Möglichkeit, unter autoritärer Herrschaft dem «Ideal des unpolitischen Privatmanns» zu frönen, was «dem tiefsten Bedürfnis der Zeitgenossen in ihrer Mehrzahl entgegenkam». Man lebte zur Zeit Metternichs, so erklärt Alewyn, «weniger angefochten, als dies vielen unserer Zeitgenossen schon zur Gewohnheit geworden ist». Gegenüber dem totalitären Staatsbegriff (der Tyrannei des Hitler-Regimes) gibt Alewyn hier dem autoritären Herrschaftssystem (dem alten österreichischen oder preußischen Obrigkeitsstaat) — und nicht der Demokratie — den Vorzug. Die «Ordnung und Einheit Europas» aber sieht er von der nationalistischen wie auch der demokratischen Bewegung bedroht —: Grillparzer war für Alewyn «trotz seines Liberalismus kein Demokrat. Eine Beteiligung des Volkes an den Regierungsgeschäften lehnte er ab, und die Politisierung der Massen erschien ihm ein Unglück. Er unterschied sich von dem System Metternichs nur dadurch, daß er anders dachte über das Maß der Freiheiten, die das Individuum zu fordern berechtigt wäre»46. Mit dieser politischen Standortbestimmung aus dem Jahr 193747 - also vor seiner Begegnung mit der amerikanischen Demokratie — verfängt sich Alewyn in Widersprüchen, die — nach Bernd Faulenbachs Studie «Der aus der Sicht des Exils. Zum Urteil emigrierter Historiker»48 — auch andernorts das Dilemma des deutschen Liberalismus bezeichneten. Man konnte vom obrigkeitsstaalichen Denken nicht lassen, den Schritt hin zur Demokratie aber auch nicht tun, der den Liberalismus der westlichen Demokratien kennzeichnete. Nach dem Anschluß Österreichs und seiner Flucht in die Schweiz wurde Alewyns Lage immer prekärer. «Manchmal stellt sich schon eine Art Haftpsychose ein», schrieb er im November 1938 an Viktor Zuckerkandl. «Man hat das Gefühl, daß man hier überhaupt nicht mehr wegkommt, wohin einen der Zufall einmal

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verschlagen hat, d.h. daß man hier noch ein drittes Mal von den Ereignissen eingeholt wird, denen ich geschworen habe, nunmehr ein für alle Mal aus dem Wege zu gehen49.» Trotz seiner Bedrängnis in dieser Zeit versäumte er es nicht, Julius Petersen zum Geburtstag zu gratulieren. «Sie werden an diesem Tag auf das Tagwerk Ihrer Hände zurückgeschaut haben», schreibt er, «und haben Anlaß gehabt, es mit Genugtuung zu tun. Daß Sie es vollenden möchten, das ist der herzliche Wunsch auch der verstreuteren unter ihren Schülern» (Ascona, 14. Nov. 1938). Alewyns Mangel an politischem Bewußtsein in einem vom Faschismus überrollten Europa kommt nicht zuletzt in seinen Äußerungen zu Thomas Manns politischem Engagement in einem Brief an Viktor Zuckerkandl zum Ausdruck. Er hoffe, so schreibt er, daß Thomas Mann «drüben [in den USA; Verf.] wieder die Distanz gewinnt, um zu dichterischer Produktion zurückzukehren.... Ich habe die Schrift von der gelesen und finde sie maß- und wertlos; ... in dieser Schrift finde ich höchstens zehn Sätze, die nicht auch von jedem anderen sein könnten, während im Zauberberg auf tausend Seiten jeder Satz nur von Thomas Mann ist. Welch edler Geist ist hier zerstört». Für Alewyn ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, sich auf die eigenen — wissenschaftlichen — Aufgaben zu konzentrieren und die politischen Zeitläufte so weit wie möglich auszuklammern. «Ich glaube», schreibt er, «das beste, was wir Hinausgeworfenen tun können, ist, unser Dasein durch die Arbeit zu bezeugen, zu der wir geboren sind und zu der wir taugen. Lasset die Toten ihre Toten begraben! Also, was macht Ihr Buch?50» Mit Hilfe aus dem Umkreis der Hofmannsthal-Familie gelang Alewyn im Februar 1939 die Emigration in die USA (mit Ausreisevisum). Über Heinrich Schnitzler, der ihn am 10. Februar in New York erwartete, erhielt er die nötigen Affidavits für die Einreise. Doch nochmals sollte ein halbes Jahr vergehen, mit Reisen quer durch die USA und Vorstellungsbesuchen und -Vorträgen, bis Alewyn im September 1939 am Queens College in N Y C für die nächsten zehn Jahre eine Anstellung fand. Die Arbeitssuche war für die aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrierten Germanisten in den USA nicht leicht. Bekanntlich sympathisierten die German Departments vielfach mit dem Nationalsozialismus, was zum einen auf ihre engen Kontakte zu den deutschen Konsulaten in den USA zurückzuführen ist, die die Beziehungen zu Hitler-Deutschland pflegten51. Verstärkend kam sicher die traditionelle Abhängigkeit der amerikanischen Germanistik von der deutschen — bedingt durch die vielen Deutsch-Amerikaner auf diesem Gebiet — hinzu, die sich erst in den siebziger Jahren zu eigenen Standards durchrang (German StudiesProgramme). Schon im Mai 1933 gleich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung berichtete ausgerechnet Petersen, der in Deutschland gegen das skandalöse

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Berufsbeamtentumsgesetz keinen Einspruch erhob, von den Schwierigkeiten, in den USA für seine entlassenen jüdischen Doktoranden und Dozenten (er nennt Walter H. Perl, Ludwig W. Kahn, Martin Sommerfeld) Stellen zu finden (Brief an Alewyn, 14. Mai 1933, Johns Hopkins Univ., Baltimore). (Petersen hatte ja auch in Paris für Alewyn die Stelle an der Sorbonne besorgt, so schizophren war das!) Diese Stimmung muß sich in den folgenden Jahren noch verstärkt haben, wie Alewyn bei seiner Arbeitssuche in den USA (1937-1939) erfuhr. Nicht nur sein mangelhaftes Englisch52 und seine Spezialisierung auf das Barockzeitalter erwiesen sich als Hindernisse, die ihm den Zugang zu den amerikanischen Universitäten erschwerten. Im «Jahr des Heils 1938», erinnert er sich in einem Rückblick von 1963, «schrieb ein ausgebooteter junger deutscher Germanist verzweifelte Briefe an zwei Dutzend German Departments in Amerika und besuchte im darauffolgenden Jahr ebenso viele, bis er schließlich an einem kleinen undergraduate College — sehr freundlich — aufgenommen wurde, wo er zehn Jahre lang unterrichtete, ohne daß sich irgend eine Universität für ihn interessierte, weil er das Pech hatte, weder Amerikaner [white, anglosaxon, protestant; Verf.] noch Nazi zu sein. (Kaum ein deutscher Nazi-Germanist, der nicht, sobald es wieder Visen gab, sofort eine Gasteinladung an eine amerikanische Universität erhalten hätte.)»53. Alewyns Stellung als Associate Professor am Queens College, New York, das sich als neu gegründetes City College noch in der Aufbauphase befand, bedeutete mehr oder weniger einen Fachwechsel «vom Gelehrten zum Fremdsprachenlehrer»54, von den Höhen der Literaturwissenschaft zu den Niederungen der deutschen Grammatik und der Einübung des alltäglichen Wortgebrauchs. In einem Brief an seine Mutter schildert er seine Tätigkeit: «Hefte korrigieren, Schulbücher durchsehen und verwerfen, deutsche Grammatik lernen, die Stunden des nächsten Tages vorbereiten und die unerläßlichsten Briefe schreiben. Und das geht so bis Mitternacht» (7. Nov. 1939, NY). Durch den Literaturunterricht gewinnt er erste Einblicke in die Mentalität der amerikanischen Studenten, die, objektiv gesehen, noch wenig differenziert sein mögen: «Die Studenten sind ein sehr rationaler und realistischer Typ. Für das eigentlich dichterische haben sie gar kein Organ, kommen mit den verblüffendsten Fragen und Einwänden, aber sie sind zu packen mit Problemen, besonders sozialen. Ich werde nächstes Semester die ganze Auswahl der Lektüre darauf umzustellen versuchen» (7. Nov. 1939, NY). Diesen positiven Ansätzen, Methode und Darstellungsweise gemäß den amerikanischen Bedingungen zu modifizieren und somit dem amerikanischen Pragmatismus besser Rechnung zu tragen, stand jedoch bei Alewyn das Widerstreben gegenüber, das tradierte Verständnis von deutscher Literaturwissenschaft aufzugeben. Einerseits enttäuschten ihn die niedrigen Bildungsstandards des deutschen Sprach- und Literaturunterrichts am Queens College, das, wie auch sein damaliger Kollege Harold Lenz bezeugt55, 1939 noch nicht sein späteres Niveau

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erreicht hatte. «Die Studenten sind am besten zu charakterisieren und zu behandeln wie Kinder», schrieb er an seine Mutter. «Geistig und menschlich vollkommen infantil aber lieb und zutraulich und meistens auch eifrig und dankbar. Sie bringen keinerlei Voraussetzungen mit [Unterstr. v. Verf.]. Das Wissen ist das eines Sextaners, ihre Belesenheit (auch im Englischen) ebenfalls, und ihre Urteile in geistigen und literarischen Dingen auch» (26. Sept. 1939, NY). Andererseits — und das war auf lange Sicht das größere Hemmnis — war Alewyn einer deutschen Literaturwissenschaft verpflichtet, deren historische und philosophische Dimensionen zum Spezifikum der deutschen Wissenschaftskultur gehörten und im westlichen Ausland auf wenig Rezeptionsbereitschaft stießen. Schon 1934 in Frankreich hatte Alewyn ähnliche Erfahrungen gemacht. «Natürlich muß ich hier wesentlich elementarer bleiben..., als ich es mit deutschen Studenten brauchte», schrieb er an Petersen, «und muß gewisse Provinzen meiner wissenschaftlichen Existenz einfach kurzerhand trocken legen.» Uber seine Erfahrungen mit einer Vorlesung über die «deutsche Literatur seit dem Barock» teilte er damals mit: «Nach dem geschichtlichen Zusammenhang wird gar nicht gefragt, deshalb sind solche Vorlesungen bisher anscheinend nie gehalten worden.» Stattdessen würde etwa über den jungen Schiller, den alten Goethe u.a. gelesen (9. Apr. 1934, Paris). Auch andere der aus Deutschland emigrierten Germanisten sahen sich zu mehr oder weniger missionarischen Versuchen veranlaßt, deutsche Denkweisen ins westliche Ausland zu transportieren. Bernhard Blume etwa ging es, wie er in seinem Tagebuch schreibt, beim Deutschunterricht seiner Schülerinnen in Mills College/Calif. darum, ... den pragmatischen Horizont ihrer ichbezogenen Welt aufzubrechen, ihre handlichen und entschiedenen Urteile zu differenzieren, um schließlich ... einen Sinn dafür zu entwickeln,... inwiefern vergangene Ereignisse nicht vergangen sind. Kürzer, und in der Sprache der Lehrpläne ausgedrückt: sie Literatur und Geschichte zu lehren. Geschichtlichen Sinn hat der Student von sich aus keinen...56.

Die Konfrontation verschiedener Wissenschaftskulturen wurde noch zusätzlich durch antiwestliche, antiamerikanische Impulse verschärft, die bei der traditionellen deutschen Bildungselite generell anzutreffen waren; sei es, daß sie als Georgeaner das Bild der «satanisch verkehrten, der Amerikawelt, der Ameisenwelt»57 verinnerlicht hatten, in das George seine Ablehnung der Fortschrittswelt des neunzehnten Jahrhunderts gefaßt hatte; sei es, daß sie von den «Ideen von 1914», die deutsche Kultur und westliche Zivilisation (Industrialisierung und Technisierung, Demokratie als Herrschaft der Massen) feindlich gegenüberstellten,

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durchdrungen waren. So hatten Richard Alewyn wie auch Bernhard Blume lange gezögert, Amerika als Exilland ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Auch gab es nicht selten Versuche, die deutsche Kultur wenigstens in Gestalt der aus dem deutschen Sprachraum geflohenen Emigranten in die USA hinüberzuretten. An Viktor Zuckerkandl schrieb Alewyn im Februar 1939: «Wenn Sie auch sich entschließen würden, den europäischen Dreck von den Füßen zu schütteln, gäbe es hier keinen vernünftigen Menschen, der das nicht begrüssen würde. Denn jedes Stück Europa, das herüberschwimmt, macht das Leben hier natürlich lebenswerter» (14. Feb. 1939, NY). Doch während sich etwa Alewyns jüngerer Kollege in Madison, Wisconsin, Werner Vordtriede, ein Georgeaner par excellenceiS, als Mittler deutscher Kultur in den USA verstand — er hatte schon seine Dissertation in englischer Sprache geschrieben und seine Festschrift stand später unter dem beziehungsreichen Titel Weimar am Pazifik59 — fehlte Alewyn an seinem New Yorker College dazu sowohl das Forum als auch die Ambition. Er beteiligte sich nach dem Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg im Rahmen der an den German Departments eingeführten ASTP-Programme ( - Army Specialized Training Program) am Deutschunterricht zukünftiger amerikanischer Besatzungssoldaten. Alewyn unterrichtete zwischen 1943 und 1947 am Queens College Elementary Military German und German Readings for Commercial, Military, and Social Professions60 und verbuchte dies auf den Fragebögen des Instituts für Zeitgeschichte, München, als Beteiligung «am Kampf der Alliierten gegen den Faschismus»61. Remigration in die BRD Als Alewyn nach Kriegsende im April 1946 eine zunächst unverbindliche Anfrage von Ernst Beutler vom Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt, erhielt, ob er eine Rückkehr nach Deutschland auf einen germanistischen Lehrstuhl in Erwägung ziehen würde, sah er sich veranlaßt, seine Erfahrungen als Germanist im amerikanischen Exil zu bilanzieren. Es war ihm bislang nicht gelungen, in der amerikanischen Germanistik Fuß zu fassen. Ernst Beutler gestand er: «... meine Tätigkeit, so angenehm die Atmosphäre ist, in der sie stattfindet, gibt mir selten die Gelegenheit, mich anders als völlig überflüssig zu fühlen. Was von mir verlangt wird, könnte jeder Andere ebenso gut tun, das, was ich glaube allein tun zu können und zu müssen, wird kaum verlangt» (an Beutler, 18. Sept. 1946, NY). Erst in den vierziger Jahren waren vereinzelt Artikel von R. Alewyn in amerikanischen Fachzeitschriften erschienen. 1943 und 1947 allerdings konnte er zu den Themen «Barock» und «Hugo von Hofmannsthal» Lexikonartikel in amerikanischen Lexika veröffentlichen, was durchaus die Anerkennung seiner Kompetenz auf diesen Gebieten bezeugt62. Doch war er sich schon vor Kriegsende

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seines Scheiterns im amerikanischen Exil bewußt, was wiederum seine Essays über Dichtergestalten zeigen. In den 1944 erschienenen Aufsätzen «Wackenroders Anteil»63 und «Hofmannsthals Tor und Tod»4 geht es um die Problematik des Künstlerlebens, das sich «im Dienst am Schönen» genug sein läßt und in «Weltverlust, Ohnmacht und Unfruchtbarkeit»65 endet. «Überall schreit die Menschheit um Hilfe, von Krankheit und Kummer, Not und Krieg verfolgt.... Und mitten in diesem Getümmel bleib' ich ruhig sitzen wie ein Kind auf seinem Kinderstuhle, und blase Tonstücke in die Luft.... Solche Gedanken überfallen ihn mit Angst und Scham», heißt es vom Romantiker Wackenroder. — Das Bewußtsein, «nichts nütze» zu sein («Wackenroders Anteil»), kennzeichnete auch Alewyns Erfahrung des Scheiterns in Amerika. Der Mangel an Weiterentwicklung und Reifung belastete auch ihn. So traf ihn Ernst Beutlers Anfrage nicht unvorbereitet. Dennoch wägt er zunächst das Für und Wider ab. Er vergißt nicht, was er, der aus Hitler-Deutschland Vertriebene, seinem amerikanischen Gastland zu danken hat, das ihn «gut aufgenommen» und ihm «vor ein paar Jahren das Bürgerrecht» [1944; Verf.] verliehen habe. Auch könne er damit rechnen, daß sich seine beruflichen Perspektiven in absehbarer Zeit verbesserten, «jetzt, wo der akademische Markt wieder in Bewegung gerät» (19. Mai 1946, NY). Nicht zuletzt sprechen familiäre Gründe für Amerika. Seinen Kindern, «die hier so frei und gesund aufwachsen, wie es ihnen wohl kein anderes Land der Welt zu bieten vermöchte», will er ein ähnliches Schicksal der Entwurzelung ersparen. Doch fährt er sogleich fort: Ich gestehe, wenn es sich um mich allein handelte, hätte die Frage ein anderes Gewicht. Entbehrungen schrecken mich nicht, das Risiko der ungewissen Zukunft würde ich vielleicht auf mich nehmen, um der Befriedigung willen, wieder an einer Stelle zu stehen, an die ich mich gehörig fühle, und eine Arbeit zu tun, an deren Sinn ich glaube und an der ich geben kann, was ich vielleicht zu geben habe (an Beutler, 19. Mai 1946, NY).

Schon wenig später ab Herbst 1946 war Alewyn definitiv entschlossen, nach Deutschland zurückzukehren. Er habe erkannt, teilte er nun Beutler mit, «daß, wenn ich für mich und meine Arbeit überhaupt nochmal einen Platz im tieferen Sinn finden will, [es] gar keine Wahl gibt als Deutschland.... Ich gehöre nun einmal in den deutschen Geisteszusammenhang hinein und daran wird sich auch nichts mehr ändern» (18. Sept. 1946, NY). Alewyns Hinweis auf den «deutschen Geisteszusammenhang» liefert Ernst Beutler das Stichwort, die Kontinuität der alten Eliten zu beschwören — wozu es zwischen den beiden Germanisten nur des Namens Julius Petersens bedarf — und

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Alewyn seines angestammten Platzes darin zu versichern. «Wir brauchen Sie», erklärt er zustimmend: Es ist ein ungeheures Vakuum in unserm Fach. Nicht daß keine Dozenten da sind, aber es fehlen die, die noch aus der alten Schule stammen und deshalb alle Gangarten, die neue wie die alte, reiten können. Vor der Erscheinung Petersens bekomme ich von T a g zu Tag eine immer größere Hochachtung. Verehrt und freundschaftlich geliebt habe ich ihn immer. Welch weites Wissen er aber in sich vereinte und dass er tatsächlich eine ganze Schule repräsentierte, wird erst heute offensichtlich, wo alles zusammengebrochen ist.... Der deutsche Geisteszusammenhang ist selbstverständlich noch da, ist sehr rege, ja, ich verspreche mir außerordentlich viel von ihm. Es ist das falsche Bild von aussen, als ob er je untergegangen sei; er war nur schneeüberdeckt. Vielleicht hat ihm der Winter sogar sehr gut getan (11. Okt. 1946, Frankfurt).

Eine Geschichte der Germanistik im Dritten Reich scheint es nicht gegeben zu haben. Die Jahre des Nationalsozialismus werden in Beutlers Äußerungen total ausgeblendet (die Metaphern von «Schnee» und «Winter» suggerieren den Stillstand der Entwicklung). Auch hatte das Jahr des Kriegsendes 1945 zu keiner Revision des geistigen Bestandes Anlaß gegeben, was besonders am Bekenntnis zur Gestalt Julius Petersens deutlich wird. Als Alewyn 1941 im New Yorker Exil die Nachricht vom Tod J. Petersens erreichte, enthielt auch er sich in einem Nachruf auf den verstorbenen Germanisten in The German Quarterly66 jeglicher Kritik an dessen Verhalten im Dritten Reich, ja, er nannte Petersen einen durch die Nationalsozialisten Irregeführten und Enttäuschten. «Er hatte mit dem Irrtum vieler Konservativer geglaubt, die nationalsozialistische Revolution begrüßen zu können.... Als Mensch hat er auch in dieser Zeit nicht versagt. Viele seiner verfolgten Freunde und Schüler wissen von seiner unveränderten Hilfsbereitschaft zu zeugen67.» Alewyns ehrender Nachruf noch aus dem amerikanischen Exil bezeugt nicht zuletzt jenen akademischen Korpsgeist, der die kritische Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Fachkollegen im Dritten Reich bis in die sechziger Jahre mit einem Tabu belegte, — eine Haltung, die er, der Emigrant und Remigrant, erst spät, in reifen Jahren (in der Konfrontation mit dem Fall Hugo Moser) zu hinterfragen bereit war. Daß es auch andere Stimmen gab, zeigt ein «nichtgedruckter Nekrolog (1941)»68 auf J. Petersen aus dem Ausland, den der Schweizer Germanist Jonas Fraenkel schrieb. Fraenkel beklagt Petersens «geringes Unterscheidungsvermögen», — («zur neuen Religion von Blut und Rasse» bekannte er sich) — und nennt ihn einen «Überläufer», der die Wissenschaft verriet69. R.W. Leonhardt weist in seiner Studie zum «Sündenfall der deutschen Germanistik» (1959) darauf hin, daß die kritische Stimme Fraenkels aus dem

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Ausland kam, wohingegen in Deutschland die Kritik an Petersen ausgeblieben sei. (Er mag ja menschlich liebenswürdig gewesen sein, erklärt Leonhardt, aber er habe «mitgeheult mit den Wölfen»70.) Die Reinstallation der alten Eliten sei in der Nachkriegszeit weitgehend ohne Einspruch vor sich gegangen; nicht zuletzt die Petersen-Schüler verbürgten die Kontinuität. («Vier von den sechs oder sieben heute in Deutschland führenden Germanisten sind Schüler von Julius Petersen71.») Julius Petersen auszunehmen vom Volk der Täter war eines, die Sorge um den «Zustand Deutschlands», die Alewyn im Jahr 1946 quälte, ein anderes. «Nicht so sehr die materiellen Verhältnisse» beunruhigten ihn, ließ er Beutler wissen, «auf Ruinen und Elend ist man gefaßt. Aber die geistigen und moralischen Verhältnisse. Sind die bösen Geister ausgetrieben? Oder besteht eine Hoffnung, ihrer diesmal Herr zu werden? Oder wird alles wieder von vorn anfangen? Hat es überhaupt einen Sinn, noch einmal alles einzusetzen? Wie sieht es in der Jugend aus?» (19. Mai 1946, NY) — Wie fragil die zur Schau gestellte Harmonie auf geistiger Ebene zwischen Alewyn und Beutler in Wirklichkeit war, macht das Ende des Briefwechsels deutlich, das an die typischen Nachkriegskontroversen zwischen emigrierten und daheimgebliebenen Intellektuellen erinnert72. Auf Alewyns Bemerkung: «Ich bin schließlich seinerzeit aus Deutschland mehr oder weniger herausgeflogen»73, reagiert Beutler sehr heftig: «Was für eine Sprache. Ein neuer Beweis dafür, daß in der Emigration sich petrifiziert, was just im Jahre der Emigration der Wortgebrauch war. Ja, so hieß es wohl damals» (30. Dez. 1946, Frankfurt). Wochen später kommt Beutler nochmals darauf zurück: Damit Sie mich recht verstehen: Das Wort ist Nazisprache. Wir haben es nie gebraucht, wenn von unserem Schicksal oder dem eines Freundes oder Gesinnungsverwandten die Rede war. Das ist die letzte Möglichkeit für uns geblieben, dass wir wenigstens unser Denken und unsere Sprache frei hielten von allem, was drüben Jargon war. Wir empfanden alles von dorther als Makel, der nicht an unser Gewand kommen durfte. Und so war es Achtung vor Ihrem Bild und Namen, daß ich mich dagegen wehrte, von Ihnen im SS Ton geschrieben zu sehen (2. Feb. 1947, Frankfurt).

In diesen konträren Zuordnungen, in denen die Chiffren der «inneren Emigration» (zu der Beutler sich hier zählt74) und des Nationalsozialismus als einer «Residualkategorie des Abnormen»75 (die Formulierungen: «drüben», «von dorther» und «im SS Ton» stehen dafür) durchschimmern, wird die generelle Verdrängung des Anteils an der deutschen Schuld bei den traditionellen Eliten greifbar. Die Position der «inneren Emigration» wurde nicht selten in Anspruch genommen, — eine Zuflucht, zu der nach 1945 «der Andrang groß» war, wie der emigrierte Germanist Bernhard Blume nicht ohne Zynismus bemerkte. Tatsächlich stand ja die Frage des

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persönlichen Verhaltens im Dritten Reich unter dem Druck der Entnazifizierungsbestrebungen der Siegermächte allenthalben im Raum. Die Empfindlichkeit war groß und ebenso das Bedürfnis, das Stigma des Nationalsozialismus loszuwerden. So war die Warnung Werner Milchs, der schon 1946 aus dem englischen Exil an die Universität Marburg zurückgekehrt war, verständlich. «Wer sich die Lage erst ansehen will», schrieb er an Alewyn, hat mit Widerstand zu rechnen... daß es nicht meine Billigung hat, wenn sich solche Inferioritätskomplexe geltend machen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen» (10. Feb. 1947, Zürich). — Im übrigen aber brauchte man die Hilfe der Remigranten bei der Reinstallation der alten Eliten in der deutschen Nachkriegsgesellschaft: «Die amerikanischen Behörden haben automatisch alle Pgs. suspendiert und werden wohl nach und nach diejenigen, die beweisen, daß sie nur Mitglieder wurden, um ihre Dozentenbeihilfe nicht zu verlieren, wieder einstellen» (9. Juli 1946, London), teilte Milch mit; er sei um «Persil-Briefe zum Weiss-Waschen» gebeten worden. Dem Briefwechsel mit Beutler war kein Ruf gefolgt. Erstmals bereiste Alewyn 1947/48 wieder Europa im Rahmen eines von seinem College gewährten «sabbatical year». Ein von der Guggenheim Foundation finanzierter Forschungsaufenthalt (über die Bedeutung der Kunst und des Künstlers zwischen 1750 und 1850) ermöglichte es ihm, neben seinen Forschungsaufgaben Nachkriegsbedingungen zu studieren und alte Kontakte wieder aufzunehmen76. Im Sommersemester 1948 wurde er zu Gastvorlesungen an die Universität Köln eingeladen. Alewyn, der in Amerika nicht Einlaß in die Universitäten gefunden hatte, galt nun im Nachkriegsdeutschland als fortschrittlicher und begehrter Wissenschaftler, der — wie der Kölner Rektor Josef Kroll ihm schrieb — «von der Atmosphäre der freien Welt getragen ... nicht unter der geistigen Einschnürung des Nazi-Regimes und des Krieges gelitten» hatte und «in engem Kontakt mit der wissenschaftlichen Sicht des Auslandes geblieben» war 77 . Alewyns Kölner Gastsemester wurde vom British Military Government finanziert, wie er seinem New Yorker College berichtete, da es auch den Zwecken der Besatzung diente. Unter dem Schirm der Siegermächte fielen Alewyn die ersten Schritte im Nachkriegsdeutschland leicht. An Viktor Zuckerkandl schrieb er: Ich bin jetzt für das Sommersemester in Köln und lese ein bißchen, mehr um einen Vorwand und ein Mittel zu haben, die Verhältnisse zu studieren, aber auch, weil es mir Spass macht und zwar sogar einen ganz diebischen.... Meine äußeren Umstände sind augenblicklich noch sehr behaglich, da ich als Gast der Britischen Behörden wohne, esse und Auto fahre.... Mit englischer Verpflegung und einem amerikanischen Pass und der Freiheit, jederzeit abreisen zu können, wenn es einem nicht mehr passt, ist es natürlich leicht, sich wohl zu fühlen. Und darum besagt es gar nichts, wenn ich eingestehen muß, daß ich es wunderschön hier

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finde. Es ist natürlich zugleich namenlos scheußlich, aber das wußte man vorher und hat das ein für allemal abgetan, um sich nun über die erfreulichen Dinge freuen zu können: viel guter Wille, viel anständige Gesinnung, ungeheure Reserven an Zähigkeit und Energie und Talent, die nur in die richtigen Bahnen gelenkt werden müssten — und könnten, wenn man es ein bißchen begabter anstellte (26. Mai 1948, Köln).

Zum Sommersemester 1949 folgte Alewyn dem Ruf auf den vakanten Kölner Lehrstuhl Ernst Bertrams, der infolge der Entnazifizierung der deutschen Universitäten entlassen worden war. Äußerlich gesehen befand er sich in einer Zwangslage. Er kam als amerikanischer Staatsbürger (seit 1944) zurück nach Deutschland, während seine Familie in den USA blieb und von der Rockefeiler Foundation finanziell unterstützt wurde78, da es vom besetzten Deutschland aus für ihn keine Möglichkeit gab, einen Teil seines Gehalts nach den USA zu transferieren. So mußte er für die Rockefeller Foundation Tätigkeitsberichte schreiben, die den Germanisten in Dienst nahm für den Wiederaufbau der Fachdisziplin an der Universität Köln. Unter der Herrschaft der westlichen Alliierten — im Zeichen der Umerziehung, der Reeducation nach westlichem Vorbild — sollte Alewyn wie auch andere heimgekehrte Germanisten (Werner Milch, Werner Richter) seinen Beitrag zur Entnazifizierung und Demokratisierung der deutschen Hochschule leisten. Und Alewyn, der sich noch Ende der dreißiger Jahre im österreichischen Exil zu einer «unpolitischen... liberal, nicht demokratischen)»79 Haltung bekannt hatte, engagierte sich nun mit großer Bereitschaft im Auftrag der Amerikaner für die Demokratisierung des deutschen Wissenschaftsbetriebs. So läßt sich, im Gegensatz zur negativen Bilanz der Amerika-Jahre, ein spätes Fruchtbarwerden der Emigrationserfahrung nach 1945 erkennen, wobei nicht leicht auszumachen ist, wie tief die Innovationen auf dem Gebiet der Germanistik greifen. Gerade die schwer belastete Situation der deutschen Germanistik nach dem Krieg, das ungeklärte Bewußtsein, wie weit sich hier eine ganze Fachrichtung unter der Herrschaft der Nazis hatte manipulieren und in Dienst nehmen lassen, verschuf einem Remigranten wie Alewyn (oder auch Werner Milch) eine fast machtvolle Position. Wie Alewyn der Rockefeller Foundation berichtete, kamen ihm Entscheidungskompetenzen bei der Wiedereinstellung der im Zuge der Entnazifizierungsverfahren entlassenen Germanisten zu, auch Mitspracherecht über die eigene Fachdisziplin hinaus (Bericht vom 25. März 1950, RF). Die Durchführung der Entnazifizierung war von den Besatzungsmächten weitgehend in die Hände der Hochschulen gelegt worden80. Auch bei den Studenten gewann Alewyn schnell hohes moralisches Ansehen als freiwilliger Heimkehrer, als Opfer — nicht Täter — des Nazi-Regimes, als Idealist, der zum besiegten, entmachteten, moralisch diskreditierten deutschen Volk hielt. «Sie sagten , Sie rechneten sich dazu,

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obwohl Sie zu den Verjagten gehört hatten. Sie sprachen niemals darüber»81, schrieb ihm noch 1972 die ehemalige Studentin Brigitte Jeremias. Die stärkste Mitwirkung beim demokratischen Wiederaufbau erlangten die remigrierten Wissenschaftler in der unmittelbaren Nachkriegszeit, denn im Gegensatz zu den amerikanischen Angestellten des OMGUS 8 2 kannten sie sich in der deutschen wissenschaftspolitischen Landschaft aus. Als «American professor of German extraction» (3. Apr. 1950, Alewyn an RF) hatte Alewyn Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Deutschen, die den offiziellen Gremien der Besatzungsmächte verschlossen blieben. Das machte er auch in seinen Berichten geltend: An American professor at a German University performs an essential function. We need the splendid work that is being done by many branches of our High Commission. But we also need the civilian who does not approach the Germans in any official capacity but who works with them side by side on the rehabilitation of their country. By becoming a part of the German system he is afforded opportunities, that are denied to the functionary of a foreign government (6. Juni 1951, RF).

Alewyns Beitrag zur demokratischen Umgestaltung reichte von Bemühungen, den Lehrkörper des germanistischen Seminars (1949: 2 Professoren für 450 Studenten) nach angelsächsischem Vorbild zu reformieren (z.B. durch Einführung des Tutoren-Systems) — bis hin zu Versuchen, amerikanischen Campus-Stil zu praktizieren mit der Einbeziehung sportlicher Aktivitäten, der Befürwortung von Clubhäusern und Tennisplätzen auf akademischem Gelände. Vor allem aber bemühte er sich um die Demokratisierung des Verhältnisses von Professor und Studenten, er versuchte, den zwanglos-kameradschaftlichen Umgangston, den er an den amerikanischen Fakultäten zu schätzen gelernt hatte, auch an der Universität Köln zu pflegen. Der Rockefeller Foundation teilte er nicht ohne Stolz mit, daß die Studenten sein Verhalten «very American» finden83 und auch der Cultural Education Officer seinen Einsatz voll anerkennt. («Should I quote the British University Officer saying to a person unknown to me: ? To me it was deeply gratifying»; 25. März 1950, RF.) Selbst die Kölner Presse kommentierte derlei Neuerungen im hierarchisch strukturierten deutschen Universitätsbetrieb: es sei der Wunsch Prof. Alewyns, ... seinen Studenten auch als Mensch näher zu kommen. Die Verbundenheit von Lehrer und Lernenden sollte über die Hörsäle hinausgehen. Er gab dem Wunsch Ausdruck, die Mitglieder seines Seminars auch in seiner Wohnung bei einer Tasse Tee näher kennenzulernen. Im akademischen Unterricht lernt nicht nur der Student, sondern auch der Professor. Er ist Gebender und Empfangender zugleich — das ist Alewyns Ansicht84.

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Zu den Innovationen nach amerikanischem Vorbild gehörte auch die Öffentlichkeitsarbeit des Universitätslehrers. Alewyn geht auf «lecture tours», hält Radiovorträge (beim NWDR) über die «großen Deutschen» — Nietzsche, George, Hofmannsthal — aus neuer Sicht, die die deutschen Hörer zur Selbstkritik anregen sollen. Man ist an die «lecture tours» der Erika Mann quer durch Amerika erinnert, an die Radiosendungen Thomas Manns nach Deutschland {Deutsche //örer!)85, — an die Aktivitäten des «anderen Deutschlands» während des Dritten Reichs. Der von den Emigranten geleistete Widerstand gegen Hitler-Deutschland erfährt in Alewyns Zusammenarbeit mit den Alliierten für ein antinazistisches Deutschland eine späte Neuauflage. Alewyns Engagement für die Demokratie begann erst nach 1945 mit der westlichen Neuorientierung Deutschlands. Dazu gehört auch, daß er dem Kurswechsel der Amerikaner schnell Rechnung trug, für die der politische Gegner sich mit Beginn des Kalten Krieges wandelte: nicht mehr nur den Faschismus in Deutschland sondern zunehmend die kommunistische Diktatur in Osteuropa galt es zu bekämpfen. Immer wieder spielt Alewyn auf die Herausforderung an, die die politische Situation Nachkriegsdeutschlands zwischen Ost und West barg, — auf die einmalige Chance des Westens, hier Einfluß zu nehmen. «I also believe that here is an opportunity that represents a serious responsibility. If we, on our side of the world, should fail to meet this challenge, other forces will be ready to take it up» (1. Nov. 1948, QC). Alewyn hebt die zentrale Rolle des deutschen Bildungswesens für die öffentliche Meinungsbildung hervor; es sind die deutschen Hochschulen, die das Ausbildungsmonopol für Gymnasiallehrer besitzen. Der Einfluß der Germanistik auf die Lehrerbildung im Dritten Reich ist ihm durchaus bewußt, und die Anfälligkeit der Deutschen für totalitäre Doktrinen ebenfalls. («It would be folly to assume that nazism has been eradicated or that there is no danger of a new totalitarianism taking roots in the minds of the Germans»; 4. Jan. 1949, QC). Die Studenten seien noch keineswegs zur Demokratie bekehrt, — autoritäre und nationalistische Denkungsart hätten bei ihnen tiefe Spuren hinterlassen. Dabei sei die Lage jedoch keineswegs hoffnungslos, denn die deutsche akademische Jugend sei sehr ernsthaft und lernbegierig — «a great part of them is anxious to break through a fifteen years isolation» (4. Jan. 1949, QC). Die Fragen, die Alewyn schon 1946 in den USA im Briefwechsel mit Beutler beschäftigten («Wie sieht es in der Jugend aus?» — «Besteht Hoffnung...?»), glaubte er, nun aus eigener Anschauung beantworten zu können. Mit seiner hoffnungsvollen Diagnose stellte er sich auf die Seite derer, die schon vor Kriegsende in der Diskussion, was mit den Deutschen nach der Niederlage geschehen sollte, auf Umerziehung, auf Reeducation setzten86. «The only way to reeducate a country is to give it good educators», schrieb George Shuster, der Präsident des Hunter

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College, New York, an Alewyn (22. Sept. 1948, NY), und dementsprechend sieht auch Alewyn seine Aufgabe darin, die studierende Jugend gegen die Nachwirkungen des Totalitarismus zu immunisieren. Auch die Literaturwissenschaft soll nicht mehr allein ästhetischen Kategorien genügen, sondern — wie er betonte — in erster Linie dem besseren Verständnis der Gegenwart dienen. Ein Beispiel seines Literaturverständnisses im Zeichen der Umerziehung gab Alewyn gleich nach seiner Rückkehr im Goethe-Jahr 1949 mit seinem viel rezipierten Semestereröffnungsvortrag «Goethe als Alibi?», in dem er die Woge der Goethe-Verehrungen als Flucht vor den Aufgaben des Tages geißelte. In der Rolle des Praeceptor Germaniae nahm er das verirrte, verführte deutsche Volk in Zucht und machte deutlich, daß nur über das Eingeständnis der eigenen Schuld sich die Deutschen wieder ihrem größten Dichter, Goethe, nähern könnten. («Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald87.») Mit der Integration der deutschen Schuld in die Geschichte des deutschen Volkes hat Alewyn hier schon 1949 die These von den «zwei Deutschlands» ad absurdum geführt. «Es kann zumindest für die heute lebende Generation nicht zwei Deutschlands geben. Es gibt eines oder keines»88, bekannte er in seinem Vortrag, der nicht umsonst einen Markstein in der Aufarbeitung der Geschichte des Dritten Reichs setzte und über die Jahrzehnte nicht vergessen wurde89. Zur Rezeption seiner Rede im Jahr 1949 berichtete Alewyn selbst: «These words had an unexpected echo outside the academic walls. They were carried in the press, discussed on the radio and finally found their way into print» (25. März 1950, RF). — In der Zeitung Die Welt wurde im Rückblick auf die Veranstaltungen des Goethe-Jahres 1949 kritisch bemerkt, «daß prominente Remigranten und Ausländer als Lückenbüßer bemüht werden mußten, weil die Nation noch kein Organ hat»90. Im übrigen aber setzte Alewyn — laut Bericht an die Rockefeiler Foundation — die Schwerpunkte seines literaturwissenschaftlichen Unterrichts in Entsprechung zu den Zielen der amerikanischen Politik in Deutschland: hier wie dort ging es um die Eingliederung Deutschlands in die Westliche Welt. «As I did last year I stressed the interrelations of literature and society on one hand and the unity of Western Literatures on the other. A great many of the theses that I am directing are in one of these fields» (6. Juni 1951, RF). Alewyns Wirksamkeit war auf wissenschaftsorganisatorischem und wissenschaftspolitischem Gebiet am stärksten. Seinen Beitrag zur Überbrückung der deutsch-westeuropäischen Gegensätze leistete er z.B. mit der Einführung der Summer School of German Studies in Köln, die ausländische Studenten über das Studium der deutschen Sprache und Literatur hinaus mit deutscher Geschichte, Politik und Kultur vertraut machen sollte (vgl. Brief v. 15. Sept. 1948, RF). Oder, umgekehrt, durch die Einführung der American Studies und die Gründung eines Amerikanischen Instituts in Köln, dessen stellvertretender Direktor Alewyn selbst

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ein Jahr lang war. Bei der Rockefeiler Foundation bemühte er sich um Zuschüsse für das amerikanische Institut, wobei er in einem ausführlichen Schreiben die Bedeutung dieses Centers für die Völkerverständigung betonte. Auch im Internationalen Studentenbund (ISSF) engagierte sich Alewyn und übernahm vorübergehend Leitungsfunktionen (vgl. Brief v. 6. Juni. 1951, RF). Durch seine Amerikaerfahrungen und nicht zuletzt die in der Emigration erworbenen Sprachkenntnisse war er für diese Aufgaben besonders qualfiziert. Wie ernst es Alewyn mit der Uberwindung nationalistischer Tendenzen und der Integration Deutschlands in die westeuropäische Gemeinschaft war, zeigt nicht zuletzt ein Brief an seine Frau aus dem Jahr 1952, — eine private Äußerung im Gegensatz zu den offiziellen Berichten: «Es gibt in Deutschland viele Menschen, mit denen ich befreundet bin, und die ich für wertvoll halte, oder denen ich nützlich sein kann, aber mit .»

JOSEPH FABRY (JOSEPH EPSTEIN) BIANCA ZWANG HIRSCH Joseph Epstein (Fabry), geboren am 6. November 1909 in Wien, stammte aus einer festgefügten jüdischen Mittelstandsfamilie. Für eine kurze Zeit standen damals Juden für ihre beruflichen Perspektiven auch das Staatswesen und der akademische Bereich in Österreich offen1, und Fabrys Vater, Ernst Epstein, war Leiter der städtischen Lagerhäuser in Wien, sein Onkel im Justizministerium beschäftigt. Eine Generation später, besonders im faschistischen Osterreich vor Hitler, waren derartige öffentliche Berufe Juden bereits wieder verschlossen. In seiner Autobiographie One and One Make Three, die er zusammen mit Max Knight veröffentlicht hat, hält Fabry aus seinen Kindheitserinnerungen fest: «Die Liebe und Weisheit meiner Eltern trugen mich durch Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenalter. Immer noch lasse ich mich darin sicher treiben. Als ich das erste Mal Israel besuchte und mich im Toten Meer aufs Wasser legte, durchzog mich ein warmes Glücksgefühl. Es erinnerte mich an den Rückhalt meiner Eltern. Es war unmöglich unterzugehen2.» Fabrys Ausbildung war typisch für Kinder dieser Zeit. Er war ein ruhiger Student, der immer die richtigen Antworten wußte, aber dabei nie die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Seine acht Jahre am Realgymnasium «Stubenbastei» waren ebenfalls unspektakulär. Er entschied sich, an die Universität zu gehen und dort Jura zu studieren. Dies langweilte ihn aber und war außerdem zu dieser Zeit für Juden gefährlich. Nachdem Fabry von Mitstudenten tätlich angegriffen worden war, ging er, wie viele andere Juden auch, nicht mehr zu den Veranstaltungen, sondern nahm nur noch an Repetitorien teil. Fabrys größtes Interesse galt dem Theater: Er las Bücher über Theaterstücke, Theaterstücke selbst, Besprechungen einzelner Aufführungen und besuchte so oft wie möglich das Theater. Das Theater öffnete ihm eine Phantasiewelt. Zwei seiner Lieblingsbücher waren Daniel Defoes Robinson Crusoe und Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel. In diesen Schiffbruchgeschichten entdeckte er die Herausforderung und den Reiz, neue Leben entstehen zu lassen und zu gestalten. Ermuntert von seinem Lehrer, Josef Lesowski, schrieb Fabry ein kurzes Theaterstück, in dem sich Schiller, Goethe und die Charaktere aus Don Carlos im Himmel treffen und dort ihre Ideen diskutieren. Herr Lesowski las Fabrys Stück der Klasse vor, und obgleich Fabry doch irgendwie überrascht war, fühlte er sich durch dieses Experiment ermutigt, weiter zu schreiben. Er verfaßte ein Stück und eine Erzählung, doch blieben beide bislang unveröffentlicht. Fabry teilte diese geheimen Interessen mit Fritz Fleischer, einem Mitstudenten, mit dem er gemeinsam ein Theaterstück schrieb. Zusammen mit Harry Freud,

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Sigmund Freuds Neffen, bildeten sie ein Dreigespann, das über die Zeit an der Universität und über die Emigration hinaus erhalten blieb. Unter anderen Umständen wäre Fleischer, ein brillanter Student, ein äußerst erfolgreicher Rechtsanwalt geworden; Harry Freud hätte die Zeitschrift seines Vaters Tarif-Anzeiger übernehmen können, und Fabry wäre in die Kanzlei seines Onkels, der als Steuerberater tätig war, eingestiegen, nicht weil er sich dafür interessiert hätte, sondern weil er ein gehorsamer Sohn war. Infolge des Nationalsozialismus und seiner Ausbreitung auch in Österreich entwickelte sich ihr Leben jedoch anders. Max Kuehnel, ein Kommilitone an der Universität, besuchte später ebenfalls das Repetitorium, so daß Fabry und Kuehnel ihr Jurastudium 1933 gemeinsam beendeten. Beide bestanden ihr Staatsexamen und promovierten zum Doktor der Rechtswissenschaften. Um am Ende aber auch das Anwaltsexamen bestehen zu können, mußten sie vorher außerdem noch ein einjähriges Referendariat am Wiener Gericht absolvieren, denn das Ziel war, eine siebenjährige Anwaltslizenz zu erhalten; beide, Fabry und Kuehnel, absolvierten ihr Jahr am Gericht, obwohl es nach 1934 für Juden schwierig geworden war, eine Referendariatsstelle zu finden. Die Synthese Peter Fabrizius Nachdem sie während des gemeinsam besuchten Repetitoriums keine Zeit gehabt hatten, sich näher kennenzulernen, nutzten Kuehnel und Fabry nun ihre Freizeit, um sich miteinander zu befreunden, und von dieser Zeit an entwickelte sich zwischen ihnen eine enge Freundschaft. Da sie sich beide für das Schreiben interessierten, beschlossen sie, sich zusammenzutun, und als ihnen ein Verwandter von Fabry, der von einer Geschäftsreise aus New Mexico zurückgekehrt war, erzählte, daß dort Ol in einem Indianerreservat entdeckt worden war, schrieben Fabry und Kuehnel unter dem Pseudonym Peter Fabrizius ihre erste Erzählung. Sie wählten den Namen Peter Fabrizius, weil Kuehnel von einer Freundin den Spitznamen Peter erhalten hatte, und weil er außerdem ein Kunstliebhaber war; denn bei Fabrizius bezogen sie sich auf den aus dem 17. Jahrhundert stammenden Maler Barent Fabritius. Drei Wochen später erschien die Geschichte «Indianer als Oelmillionäre» in der Wochenendbeilage des Neuen Wiener Tagblatts (OaO, S. 35). Unter Verwendung von Schriftstellernamen wie Peter Fabrizius oder Brandy von Brandenburg arbeiteten sie viele Jahre zusammen. Zwischen 1931 und 1938 belief sich die Summe ihrer Arbeiten auf an die 200 Kurzgeschichten, Liebes- und Abenteuergeschichten, und allmählich wurden Peter Fabrizius' Geschichten sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz veröffentlicht. Während jüdische Schriftsteller aus Deutschland bereits vertrieben wurden, wußte niemand über die jüdische Identität der beiden Schriftsteller, die dieses Pseudonym benutzten, Bescheid. Dabei wurden ihre Arbeiten sogar in vierzehn Sprachen übersetzt, und

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als Kuehnel während des Sommers durch Europa reiste, gelang es ihm, einen Verleger für seine Erlebnisberichte zu gewinnen. Obgleich aber diese Veröffentlichung nur unter Kuehnels Namen erscheinen sollte, hatte Fabry keine Schwierigkeiten, dies zu akzeptieren und damit zu beweisen, wie ernst es ihnen mit ihrer Freundschaft war. Der Verleger Karl Rob, der ihre Geschichten angenommen hatte, fragte nämlich Fabry 1937 in dem Glauben, daß Fabry Peter Fabrizius sei, ob er einen Redakteur, der einen Nervenzusammenbruch gehabt hatte, vorübergehend vertreten könne, und Fabry besprach dies mit Kuehnel, der ebenso glücklich darüber war, als hätte man ihm selbst die Position angeboten. So wurde Fabry vorübergehend verantwortlicher Schriftleiter der drei Wiener Magazine Muskete, Wiener Mode und Moccai. In seiner Position war er nun in der Lage, Erzählungen zu empfehlen und zu veröffentlichen, an denen Kuehnel und er selbst gearbeitet hatten. Als der vorherige Redakteur aber genesen war und wieder eingestellt wurde, verlor Fabry seine Stelle und wurde wieder freier Schriftsteller. Gemeinsam mit Max Kuehnel schrieb er damals auch Sketche für die Wiener Kleinkunstbühne Der liebe Augustin, und Peter Fabrizius wurde vom Dramatiker Ernst Friese gebeten, an einer Komödie, die später unter dem Titel Lisa, benimm' dich4 bekannt wurde, mitzuarbeiten. Fabry beschrieb Friese als «einen idealen Partner für uns, da er das Bühnenkunstwerk in- und auswendig beherrschte; Ideen aber hatte er keine. Wir hatten Ideen, wußten jedoch nicht, wie sie in eine dramatische Form zu bringen sind. Wir dachten uns eine Handlung aus, und Friese gestaltete unsere Charaktere in Typen, so daß sie auf der Bühne wirksam werden konnten. Wir dachten uns die Dialoge aus und Friese brachte sie in eine endgültige Form. Friese hatte in den Dreißigern einen weiteren Vorzug für uns: er konnte seine arische Abstammung) durch mehrere Generationen nachweisen.» Dies war unerläßlich für einen Autor, wenn sein Stück auf dem deutschen Markt erfolgreich sein sollte, und deshalb waren Kuehnel und Fabry damit einverstanden, daß Friese als alleiniger Autor auftrat, und arbeiteten auch bei zwei weiteren Stücken mit ihm zusammen. Begegnung mit dem Antisemitismus in Österreich Obwohl sich das politische Klima in Osterreich mit Hitlers Machtergreifung in Deutschland änderte, war Fabry dennoch optimistisch, daß es Osterreich nicht im gleichen Maße treffen könnte, und wenn doch, so glaubte er, seien die Osterreicher nicht bereit, jene furchtbaren Grausamkeiten, die von den Deutschen berichtet wurden, ebenfalls auszuüben. Auch war er davon überzeugt, daß es ihn deswegen nicht betreffen könnte, da er sich von allen politischen Aktivitäten fernhielt. Fabrys Optimismus war kurzlebig. Im März 1938 übernahmen die Nationalsozialisten in Osterreich die Amtsgewalt, und vier Tage nach diesem Ereignis

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wurde Fabry von den Nationalsozialisten abgeholt, in ein Auto gedrängt und zu einem Verwaltungsgebäude gebracht. Er wurde dazu gezwungen, Straßenplakate und Hausmauern von Parolen zu reinigen. Viele Männer in Geschäftsanzügen und gut gekleidete Frauen schrubbten mit ihren Händen auf den Knien. Wiener, die vorbeigingen, traten die Straßenreiniger mit Schuhen, beschimpften sie und spuckten sie an. Fabry beschrieb die Situation: «Ein Mann in Arbeitskleidung streckte mir seine Faust ins Gesicht: , with young people being compelled to go abroad for a time after graduating from school in order to learn to understand 14.» Neben der Ubersetzung und Veröffentlichung von meist wissenschaftlichen Büchern bereitete ihm vor allem das Ubertragen deutscher Dichtkunst — Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Nelly Sachs, Gottfried Benn, JohannWolfgang Goethe

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MAXKNIGHT

— ins Englische besondere Freude. Während seine Übersetzungen ins Deutsche ironischerweise mitunter sogar auf Ablehnung von Seiten der Kritiker stießen, so im Falle seiner deutschen Bearbeitung von Lawrence Prices Die Aufnahme englischer Literatur in Deutschland^, fanden vor allem seine englischen Übertragungen von schwerst- oder vermeintlich nichtübersetzbaren Dichtern wie Christian Morgenstern großen Beifall. So berichtete die Zeitschrift Comparative Literature gleich nach Erscheinen der Galgenlieder in Knights englischer Fassung: «The argument that Morgenstern is basically untranslatable is no longer valid», während es in der literarischen Beilage der London Times hieß, der Gedichtband sei «a remarkable achievement and deserves to be widely read. Mr. Knight is an accomplished versifier whose lines have almost the unobtrusive ease of the originals». Zweisprachige Editionen der Galgenlieder erschienen in zwölf Auflagen und wurden von Ogden Nash gesprochen auf Schallplatte aufgenommen und von Friedrich Gulda vertont. In seinem Essay «The Happy Adventure of Translating German Humorous Verse» äußert sich Knight zu seiner Übersetzungstechnik: «The aim is two-pronged. The one prong is devoted identification with the original author — the translator is the alter ego of the author. The other prong is the creativeness that is the translator's own, highly individual expression. The synthesis of these two divergent aims makes for the finest translation16.» Als Beispiel für Knights Begabung als Übersetzer sei folgendes Gedicht von Christian Morgenstern angeführt: Der Lattenzaun

The Picket Fence

Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

There used to be a picket fence with space to gaze from hence to thence

Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da —

An architect who saw this sight approached it suddenly one night,

und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus.

removed the spaces from the fence, and built of them a residence.

Der Zaun indessen stand ganz dumm,

The picket fence stood there

mit Latten ohne was herum.

dumbfounded with pickets wholly unsurrounded,

Ein Anblick gräßlich und gemein. Drum zog ihn der Senat auch ein.

a view so naked and obscene, The sheriff had to intervene.

Der Architekt jedoch entfloh nach Afri- od- A meriko.

The architect absconded, though, To Afri- or Americo 17 .

Johanna F. Evelein

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Knights wichtigste Beiträge liegen eindeutig im Bereich der Übersetzung und seines fünfundzwanzigjährigen Verlagslektorats, doch auch als Schriftsteller und Feuilletonist hatte er sich, meist in engster Zusammenarbeit mit Joseph Fabry, schon in den dreißiger Jahren einen Namen gemacht. Sein Wahrzeichen waren die pointierten, meist humorvollen Kurzgeschichten, von denen in jenen Jahren viele in österreichischen Zeitungen erschienen und mit denen er im englischen Exil und während seines Aufenthalts in Shanghai seinen Lebensunterhalt verdiente. So entstanden über die Jahre Hunderte von Geschichten, die häufig mit einem unerwarteten O'Henry-Schluß enden und durch einen leichten Plauderstil gekennzeichnet sind. Viele dieser Geschichten fanden ihren Weg zur Veröffentlichung in Buchform, z.B. Der schwarze Teufel1*, Wer zuletzt lacht ...19 und... lacht am besten20, und wie auch Harry Zohn in «Friendship Is Not an Empty Delusion»21 schreibt, erwarben mehrere Generationen von Schülern und Studenten im England und Amerika der fünfziger Jahre ihre ersten Deutschkenntnisse durch die Lektüre dieser «Peter Fabrizius»-Geschichten. Es war auch Zohn, der sich in Erinnerung an seine langjährige freundschaftliche Beziehung zu beiden Schriftstellern um die Veröffentlichung eines Sammelbands bemühte, der ein Jahr nach Knights Tod als A Peter Fabrizius Reader*2 erschien. Knights Kurzerzählungen zeugen von Menschenkenntnis und Beobachtungsfreude und sind von seiner Fähigkeit geprägt, dem unscheinbaren Alltag immer wieder neue Geschichten abzugewinnen. Im leicht spöttelnden Ton skizziert er Situationen, an denen ein breites Zeitungspublikum Gefallen finden kann, und somit erlaubt er in seiner Orientierung am Zeitungs- und Zeitschriftenleser auch indirekt Einblicke in die Lesererwartungen im Osterreich der dreißiger Jahre. In seinen Geschichten treten wiederholt geistesabwesende Professoren, lebensferne Aristokraten oder sensationsdurstige Journalisten auf, wobei seine Typologie meist bestehende Stereotypen untermauert. In einigen seiner am besten gelungenen Skizzen berichtet er in unmittelbarer Ich-Form über Erfahrungen auf der Reise ins chinesische und später amerikanische Exil. So schildert er in «Storyteller of the Hong List»23 seine tödlich langweilige Arbeit als Redakteur der Abonnentenliste, während der er jedoch als Uberlebensstrategie seinen Gedanken freien Lauf läßt und hinter der trockenen Druckschrift der Namen eine farbige Welt herbeiphantasiert: «I was no longer correcting names, I was reading stories and tales, real ones, written by life itself24.» Auch diese Geschichte endet auf unerwartete Weise, doch bezieht sie sich diesmal auf die Selbsterfahrung in der Fremde: «One day I suddenly stopped when a name struck me; a name which I didn't expect, somehow. It was my own name. I had met myself, officially. I checked my name. Correct25.» Max Knights schriftstellerisches Gesamtwerk zeigt immer wieder seinen Hang zum Humorvollen, doch kann der Witz, die Burleske und die optimistische Weltbetrachtung nicht über die Nostalgie hinwegtäuschen, die fortwährend in

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MAX KNIGHT

seinen Aufsätzen und Kurzgeschichten spürbar ist und dem Gefühl des Verlustes, nicht zuletzt der eigenen Heimat, entspringt. Zum literarischen Topos wird die Rückkehr des Entfremdeten, der sich zwar an Momenten der Wiedererkennung erfreut, doch letzlich als Besucher und Außenseiter der einst so vertrauten Heimat gegenübersteht. So stellt Knight 1949 in «Wiedersehen mit dem Wiener Telephonbuch»26 paradigmatisch die Konfrontation mit seiner Heimatstadt, aus der er elf Jahre zuvor geflohen war, anhand eines Dokumentes dar, das seismographisch die durch den Nazi-Terror radikal verwandelte Demographie Wiens aufzeichnet und das er als «eine Sensation, wie eine an Robinsons Insel geschwemmte, 3 Jahre alte Zeitung aus seiner Heimat»27 empfindet. Erst jetzt verstehe er, wie sehr sich die Welt von einst verändert hat: «Schnell schau ich ein paar bekannte Namen nach. Nichts. Keiner mehr da. Weder der Friseur, noch die Trafikantin, noch der Bäcker 28 .» Sogar die Abwesenheit des eigenen Namens wird als schmerzhaft befremdend erfahren, verstärkt sie doch das Bewußtsein des radikalen Bruchs mit seiner Vergangenheit: «Ich starre zwischen die Zeilen, als ob's da eine leere Stelle gäbe29.» Somit wird das Telefonbuch zum Symbol einer verlorenen Zeit: «Eine Mumie, die gelegentlich mit den Augen zwinkert. Der Rückenumschlag hat das einzige ganzseitige Inserat in dem Buch: Gemeinde Wien — Städtische Leichenbestattung30.» Auch im Beitrag «Return to the Alps», der 1953 unter dem Pseudonym Peter Fabrizius im Sierra Club Bulletin erschien, überwiegt die bei der Rückkehr in die Heimat empfundene Nostalgie, die zum wiederholten Vergleich zwischen der als künstlich erfahrenen Wahlheimat Amerika und dem Idealbild Österreichs führt. Die Heimat, das ist ein «never-land of green»31, eine Idylle, wo «no billboard spoiled the scenery» 32 , doch führt ihm der heimatliche Besuch auch diesmal sein Fremdsein, seine Distanz zu dem, was ihm zutiefst am Herzen liegt, vor Augen: «The impact of being a visitor in my native land hit me with füll force33.» Sogar Knights Skizzen für die «Pacific Features» über die Weststaaten Amerikas, die vom Gefühl der Freiheit, das die beeindruckende Weite der Landschaften heraufbeschwört, geprägt sind, sind eindeutig aus der Perspektive des Exilanten heraus geschildert: erinnerte Welt und erlebte Gegenwart begegnen sich und das vermittelte Bild Amerikas gestaltet sich meist nur im Vergleich mit der zurückgelassenen Welt: «Ich schloß die Augen und meine Gedanken wanderten hin und her zwischen der alten Welt und der neuen.» Die 1957 von Knight angestrebte Veröffentlichung seiner amerikanischen Reisereportagen im Ullstein Verlag wurde nicht verwirklicht. Dem Verlust der Heimat, dessen literarische Verarbeitung sich leitmotivisch durch sein Werk verfolgen läßt, versuchte Knight vor allem entgegenzutreten, indem er sich die englische Sprache bis zur Perfektion aneignete, sprachlich die verschiedenen Kulturwelten zu überbrücken versuchte und somit auch seine Identität als Gefüge zweier Welten zu verstehen begann. Zwei Jahre vor seinem

Johannes F. Evelein

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Tod erklärte Knight, wie wichtig seine sprachliche Annäherung, auch in der Übersetzungsarbeit, für sein im Exil problematisiertes Identitätsverständnis war: «I realized that there was a close connection between identity and language — and, through language, literature and culture. With this first restrained and hesitant translator's activity, there began the double-track linguistic activity which was to accompany me during my entire life, and thus the double-track character34.» In der Hinsicht sind Knights oft peinlich genaue Ubersetzungen auch als Mittel zur Identitätsbehauptung und Existenzbestätigung zuerst im kalifornischen Exil, später dann im «zweiten Heimatland» zu verstehen. Die Bedeutung, die er der Sprache als Identitätskonstituent beimißt, erklärt auch folgende Überlegung zum Begriff Exil, dessen Semantik sich als problematisch erweist: What do you call someone who, with the Gestapo at his heels, illegally fled across the Austrian frontier and after tens of years managed to build a career for himself in the United States? An emigré? An emigrant? Those are too orderly, almost pleasant terms, lacking the life-threatening element. A refugee? That is what he was at the beginning of his odyssey but has long ceased to be. An exile? An exile is someone who is not allowed to return to his homeland. Ovid wrote his nostalgic songs «Tristia ex Ponto» far from Rome, having been exiled by his emperor; Heine lived in exile in France, Sakharov in Gorki. Today's exiles were able to return in 1945 if they wished, and some did. There is no term unequivocally describing the identity of such people. That is part of the identity problem. The term is lacking because the person affected has trouble bridging the disparity between cultural European identity and pragmatic American identity, finding it difficult to identify himself 35 .

Das Exil bedeutete für Max Knight auch die Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft. Ahnlich wie die Kindheitserfahrungen eines Peter Weiss oder Hans Sahl wuchs auch Knight in einer weitgehend assimilierten jüdischbürgerlichen Familie auf, deren «mosaische» Abstammung — wie es in einigen behördlichen Akten hieß — weiter keine Beachtung fand. Sogar nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze in Deutschland machte Knight sich weiter keine Gedanken über seine jüdische Identität: «Only later did I find out that I did not know anything at all about my . ... When hat , daß irgendwelche sich hierher verlaufen, während junge Amerikaner aus Long Beach, Redondo Beach und aus all den kleinen Dörfern in der Nähe hierher kommen und sich umsehen. Es gibt Kreise rund um die Universitäten, die interessiert sind, und damit Schluß. Den Wienern i.[n] L.[os] A.[ngeles] habe ich von Leo Slezaks Werken bis zu Mozart alles wienerische angeboten — vergebens. Eher verkauft sich die Wiener Operette nach Bristol, England, als Mozarts Briefe nach Hollywood.

Darüber hinaus trat Gottlieb in Los Angeles als Verleger der Reihe Facsimile Editions ort Rare Books of Music hervor und firmierte als amerikanischer Co-Publisher der im Bärenreiter-Verlag, Kassel/Basel, erscheinenden Reprint-Serie Documenta Musicologica. Außerdem übernahm er als Fachbuchhändler für verschiedene deutsche Musikverlage die exklusive Auslieferung von Neuerscheinungen in den USA. Er war Mitglied der Antiquarian Booksellers Association of America (ABAA), der American Musicological Society, der Music Library Association (Internationale Vereinigung der Musikbibliotheken) und der International Society for Musical Research (Internationale Gesellschaft für Musikwissenschaft). In Palm Springs, wohin er sein Geschäft zuletzt verlegt hatte, ist Ernst Gottlieb 1961 gestorben38. Felix Guggenheim Felix Guggenheim, am 6. Juni 1904 in Konstanz geboren und dort aufgewachsen, studierte Nationalökonomie und Rechtswissenschaft in München und Hamburg39. Im Jahre 1925 promovierte er zum Dr. rer. pol. in Zürich und 1926 zum Dr. jur. in Leipzig. Anschließend versuchte er sich in Berlin zunächst als Wirtschaftsjournalist im Handelsteil der Vossischen Zeitung. Da seine Begabungen jedoch auf anderen Gebieten lagen, trat Guggenheim 1926 als Mitarbeiter in ein Berliner Bankhaus ein. Uber seine dortige Tätigkeit lernte er den Inhaber der Berliner Druckerei Seydel A.G. kennen, die damals durch die 1924 erfolgte Gründung des Buch-Klubs Deutsche Buch-Gemeinschaft einen beachtlichen Aufschwung erlebte. Um 1930 verließ Guggenheim das Bankwesen und übernahm die Leitung der Druckerei Seydel A.G. und der Deutschen Buch-Gemeinschaft. Hier konnte er seine wirtschaftlichen und juristischen Kenntnisse ebenso einbringen wie seine künstlerischen und literarischen Interessen. Obwohl Druckerei und Buchgemeinschaft 1933 wurden, gelang es Guggenheim dort bis 1938 als Vorstandsmitglied und Generalbevollmächtigter tätig zu bleiben. In dieser Funktion wurde er auch für viele Autoren zum Ratgeber und Beschützer. Eine Schilderung davon gibt der Schriftsteller und Verleger Max Tau in seinen Lebenserinnerungen: «In der

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Lesestunde der Buchgemeinschaft ignorierte man die neue Zeit. Das war nur möglich, weil Felix Guggenheim über eine außergewöhnliche Intelligenz verfügte. Er war zum Juristen geboren, hatte grundsätzlich Respekt vor Institutionen, verachtete aber die neuen, unmenschlichen Gesetze ... Er war mutig, kannte aber auch die Grenzen40.» Bald wurden diese Grenzen allerdings auch für Guggenheim, der seit 1937 mit der Filmschauspielerin Evelyn Holt (geb. 1908) verheiratet war, so eng, daß er sich zur Emigration entschloß. Zuvor gelang es dem passionierten Büchersammler noch, einige seiner wertvollen Inkunabeln in die Schweiz zu retten. 1938 emigrierte er von dort nach England und schließlich 1940 in die USA. Da ihm New York nicht zusagte, zog Guggenheim nach Los Angeles. Dort gründete er zunächst Fabrikationsbetriebe zum Anbau und zur Verarbeitung von Zitrusfrüchten, deren Erträge ihm nicht zuletzt das 1942 gemeinsam mit Gottlieb ins Leben gerufene Projekt der Pazifischen Presse erlaubten. Darüber hinaus engagierte er sich im Jewish Club of 1933 für die Belange der deutsch-jüdischen Immigranten an der Westküste41. So war Guggenheim 1942 Mitbegründer und Vorsitzender eines Ausschusses gegen die unterschiedslose Klassifizierung von Einwanderern als feindliche Ausländer («enemy aliens»)42. Am 7. März 1942 erhielt er in diesem Zusammenhang — gemeinsam mit Bruno Frank und Thomas Mann — eine Vorladung vor das sogenannte Tolan-Committee aus Washington, um zu einer geplanten Evakuierung oder Internierung von ehemaligen Bürgern der Achsenmächte Stellung zu nehmen. Wegen seines Engagements stand Guggenheim offenbar selbst unter Beobachtung des FBI., das am 12. Februar 1944 sogar Thomas Mann über ihn befragte: «Gentleman von F.B.I. zur Investigation über Dr. Guggenheim» (TB 44-46, S. 21). Als Vorsitzender des Jewish Club of 1933, zu dem er 1943 als Nachfolger von Leopold Jessner (1878-1945) gewählt wurde, initiierte Guggenheim zudem eine Arbeitsgemeinschaft für amerikanisch-jüdische Geschichte43 und rief — in Ergänzung zur Pazifischen Presse — «Autoren-Abende» ins Leben, um emigrierten Schriftstellern ein Forum für deutschsprachige Lesungen zu bieten . Am 19. September 1943 fand eine solche Veranstaltung mit Bruno Frank, am 9. Januar 1944 ein zweiter Abend mit Friedrich Torberg statt45. Nach dem Krieg erweiterte sich die Tätigkeit des Klubs unter Guggenheims Vorsitz um die Vertretung der Rechtsansprüche von Emigranten in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands46. Aufgrund seiner juristischen Qualifikation, seiner Erfahrungen im Buchwesen sowie seiner freundschaftlichen Verbindung zu vielen Autoren wurde Guggenheim anfangs nebenberuflich, später dann hauptamtlich als Literaturagent tätig47. Zunächst vertrat er in den USA die von Max Tau (1897-1976), einem Weggefährten aus Berliner Tagen, 1943 aufgebaute deutschsprachige Abteilung des Ljus Verlags

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in Stockholm48. Über den wiederhergestellten Kontakt berichtet Max Tau: «Eine besondere Freude war es für mich, als mich der erste Brief meines Freundes Felix Guggenheim aus Amerika erreichte. Er hatte dort sehr schnell seine alten Freunde wiedergefunden. Er lebte nicht nur in der Nähe von Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Alfred Neumann und vielen anderen, er hatte sogar versucht, ihre Novellen und kleineren Arbeiten herauszugeben ... 49.» — gemeint sind hier die Privatdrucke der Pazifischen Presse. Ab 1944 wurde die deutschsprachige Abteilung des Ljus Verlags selbständig als Neuer Verlag weitergeführt. Dort erschienen bis 1951 eine Anzahl von Büchern deutscher Emigranten, darunter auf Guggenheims Vermittlung Werke von Lion Feuchtwanger, Alfred Neumann und Arnold Zweig sowie Heinrich Manns Autobiographie Ein Zeitalter wird besichtigt (1946). 1950/1951 wurde das Unternehmen durch den Verlag der Frankfurter Hefte, die spätere Frankfurter Verlagsanstalt, übernommen, für die Guggenheim zunächst als Agent tätig blieb. Ab 1950 nahm Guggenheim durch Reisen nach Deutschland seine alten Beziehungen zu dortigen Verlagen und Druckereien wieder auf. Er betreute nun Autoren in deutsch-amerikanischen Copyright-Fragen, darunter Erich Maria Remarque, für den er später auch Testamentsvollstrecker wurde, und Vicki Baum, deren Nachlaß er verwaltete. Außerdem beriet er den aus Wien nach Hollywood emigrierten Filmagenten Paul Kohner in Rechts- und Finanzangelegenheiten sowie viele Autoren bei der Filmverwertung ihrer Werke50. Guggenheim initiierte auch internationale Gemeinschaftsproduktionen von kulturgeschichtlichen Bildbänden und vermittelte in Deutschland Buchklub- und Verlagszusammenschlüsse. Eine besonders enge Beziehung bestand dabei zu dem Verleger Willy Droemer 51 . Für seine erfolgreichen Bemühungen um die Wiedereinschaltung deutscher Autoren in den internationalen Buchmarkt wurde Guggenheim 1966 von der Bundesrepublik Deutschland mit dem Verdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet. Neben seinen weitgespannten beruflichen Aktivitäten trat er auch als kundiger Sammler mittelalterlicher Judaica, Antisemitica und Inkunabla sowie chinesischer Kunstwerke hervor. Felix Guggenheim ist am 21. Juni 1976 in Beverly Hills gestorben52. Mary S. Rosenberg Nicht zuletzt ist die Pazifische Presse mit dem Namen Mary S. Rosenbergs, der legendären New Yorker Buchhändlerin und Antiquarin, verbunden53. Sie wurde 1900 in Fürth/Bayern geboren und war dort von 1916 bis 1933 im elterlichen Ladengeschäft als Buchhändlerin tätig. Angeblich hat bei ihr schon Heinrich (Henry) Kissinger, der spätere Außenminister der Vereinigten Staaten, seine Schulbücher gekauft. Ihr Vater Georg Rosenberg starb im Mai 1933, nachdem die

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Nationalsozialisten ihm als Juden das (Geschäfts-)Leben schon seit 1929 schwer gemacht hatten. Wenig später wurden Laden und Lager von den neuen Machthabern beschlagnahmt. Trotz ständiger Schikanen gelang es der Buchhändlerin, das Geschäft aus ihrer Wohnung heraus als Versand fortzuführen, bis ihr schließlich nur noch ein Buchvertrieb an jüdische Kunden zugestanden wurde. Als die Lebensverhältnisse in Deutschland für Juden aussichtsslos geworden waren, emigrierte Mary S. Rosenberg im August 1939 über England nach New York, wo sie im November eintraf und mit dem Aufbau eines zweiten Lebens begann. Sie blieb dabei dem Buchhandel verbunden und begründete im Januar 1940 in einem möblierten Zimmer ein Antiquariat. Ihre Geschäftstätigkeit bestand zunächst darin, Bücher anzukaufen von Emigranten, die Geld brauchten, und sie weiterzuverkaufen an Emigranten, die bereits ein paar Dollar mehr hatten als andere. Ende 1940 kam bereits ein erster Katalog zustande. In Emigrantenkreisen entwickelte sich Mary S. Rosenberg bald zu einer bekannten Adresse für deutschsprachige Literatur in den USA. Außerdem vertrieb sie die durch die amerikanischen Copyright-Bestimmungen notwendigen deutschen Ausgaben einiger Exilautoren, die gleichfalls zu ihren Kunden zählten, darunter Thomas Mann und Lion Feuchtwanger. Darüber hinaus gab die Buchhändlerin — autorisiert vom U.S. Alien Property Custodian — eine Reihe von Reprints deutschsprachiger Bücher heraus und wurde so auch zur Kleinverlegerin. Zu den von ihr produzierten Titeln gehörten das Jüdische Manifest von Heinrich Heine, die Geschichte der Kunst von Richard Hamann und das Philosophische Wörterbuch von Heinrich Schmidt54. Da Mary S. Rosenberg auch die ersten sieben Bände der Privatdrucke der Pazifischen Presse gut verkauft hatte, unterbreiteten ihr die beiden Herausgeber am 31. März 1944 den Vorschlag, die exklusive Auslieferung des damals in Vorbereitung befindlichen Bands Das Gesetz von Thomas Mann zu übernehmen. Die sich anschließende Korrespondenz führte schließlich zu einer festen Kooperationsvereinbarung. Aufgrund der von ihr gegebenen Anregungen zu Programm und Ausstattung der Bände 9 bis 11 sowie der von ihr im Wege der Gesamtabnahme getragenen Vorfinanzierung der Titel kann Mary S. Rosenberg für die Zeit ab 1944 als Mitverlegerin der Pazifischen Presse bezeichnet werden. Diese Funktion wurde ihr von Gottlieb und Guggenheim allerdings offiziell erst 1948 bei dem Feuchtwanger-Band durch den Zusatz «In Zusammenarbeit mit Mary S. Rosenberg» zugestanden. Ein weiterer Gegenstand der Kooperation zwischen der Pazifischen Presse und Mary S. Rosenberg war der Torberg-Band Mein ist die Rache, von dem die Herausgeber eine zusätzliche «Volksausgabe» von 2.000 Exemplaren hatten drucken lassen. In einem Schreiben vom 18. Juli 1944 erläuterten sie dem Buchhändler Leo Blumstein, Tel Aviv, die Bedeutung dieses Werks: «Wir sind nicht der Ansicht, daß

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das darin behandelte Thema je besser beschrieben wurde, denn der in diesem Buche psychologisch durchgeführte Standpunkt ist überhaupt noch in keiner Konzentrationslager Geschichte vorgekommen.» Nachdem der New Yorker Buchhändler Friedrich Krause bereits 500 Exemplare übernommen hatte, bot die Pazifische Presse Mary S. Rosenberg am 8. Januar 1945 die gesamte Restauflage an: «Es ist sicher ein Buch, das früher oder später in großen Quantitäten auch in Europa abgesetzt werden kann und das wir billig abgeben können, da wir es vom Satz der Luxusausgabe gedruckt haben und da es in rohen Bogen und ungebunden ist.» Die Buchhändlerin übernahm den Lagerbestand, der dann allerdings für viele Jahre vorhielt, zumal 1947 bei Bermann-Fischer in Wien noch eine europäische Einzelausgabe der Erzählung erschien. Am 8. Januar 1945 wurde Mary S. Rosenberg von der Pazifischen Presse aber auch ein kommerziell attraktiveres Projekt avisiert: «Wir haben ein neues Buch in Vorbereitung, über das wir im Augenblick nicht mehr sagen wollen als daß es an Popularität und Absatzmöglichkeit alles übertrifft, was wir bisher herausgebracht haben.» Gemeint war eine Auswahl teils bislang unveröffentlichter Gedichte von Franz Werfel. Am 5. Februar 1945 kündigten Gottlieb und Guggenheim dann noch einen zweiten Band mit einer Prosa-Auswahl von Alfred Neumann zu dessen 50. Geburtstag an. Während die pragmatisch denkende Buchhändlerin den Werfel-Band durchaus begrüßte, regte sie als zweites Projekt einen weiteren Titel von Thomas Mann an. Die Verleger folgten diesem Vorschlag und antworteten am 13. März 1945: «Ihrem Rate folgend haben wir auf das Neumann Buch verzichtet und bringen die beiden Dinge, die Sie selbst als am zugkräftigsten bezeichnet haben, nämlich Werfel Gedichte und Th. Mann.» Am 6. Mai 1945 teilte die Pazifische Presse Mary S. Rosenberg mit, daß die signierten Exemplare des Bands von Thomas Mann wohl nicht vor September zu erwarten seien, da der Schriftsteller Mitte Mai verreisen und über seinen Geburtstag nicht anwesend sein werde. Am 24. Mai 1945 folgte die Nachricht, daß sich die Fertigstellung des Werfel-Bands aus herstellungstechnischen Gründen nun ebenfalls verzögern würde. Anschließend diskutierten Verleger und Buchhändlerin in ihren Briefen recht offen, inwieweit der damalige Gesundheitszustand von Thomas Mann und Franz Werfel die Signierung der beiden in Produktion befindlichen Bände wohl beeinträchtigen oder gar in Frage stellen könnte. Im Falle von Werfel sollten sich diese Bedenken als zutreffend erweisen, denn der Schriftsteller starb am 26. Juni 1945 während des Korrekturlesens der Satzfahnen seiner Gedichtauswahl. Besonders regen Kontakt unterhielt Mary S. Rosenberg mit Lion Feuchtwanger, da dieser Autor zugleich ein passionierter Büchersammler war. Der Schriftsteller wandte sich erstmals am 10. Februar 1943 an die Buchhändlerin, als er in Pacific Palisades damit begann, seine dritte Bibliothek aufzubauen (die erste

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hatte er 1933 in Berlin, die zweite 1940 in Südfrankreich zurücklassen müssen): «I thank you very much for your book lists, and would be much obliged, if you sent me your lists on German books and on books dealing with history 55 .» Fortan bestellte er bei ihr regelmäßig, und zwar sowohl Titel aus dem antiquarischen Katalogangebot, als auch von ihm als Basis für seine historischen Romane gezielt gesuchte Bücher, später zudem aus Deutschland importierte Neuerscheinungen. Neben der Pazifischen Presse hat Mary S. Rosenberg auch andere deutsche Verlagsprojekte im amerikanischen Exil unterstützt. So bildeten ihr Vertrieb und ihre Werbung einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Existenz der Johannespresse und auch des Aurora-Verlags. Außerdem wurde sie nach dem Krieg zu einer geschätzten Auskunftsperson zur Exilliteratur, etwa für Walter A. Berendsohn56. Nach dem Krieg nahm die ebenso eigensinnige wie geschäftstüchtige Buchhändlerin schon bald wieder Kontakt zu deutschen Verlagen auf und wurde fortan zu einer wichtigen Lieferantin für die German Departments nordamerikanischer Universitäten und Colleges. Als Buchimporteurin machte sie zudem über ihre eigenen Kataloge (insgesamt erschienen davon über 320) deutsche und französische Verlagstitel einem amerikanischen Fachpublikum zugänglich. Neben Sortiment und Import behielt sie ihr Antiquariat bei, über das sie manche Emigrantenbibliothek auflöste — und auch die Restbestände der Pazifischen Presse vertrieb. Anläßlich ihres fünfzigjährigen Berufsjubiläums wurde der Buchhändlerin 1966 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Bis ins hohe Alter blieb sie eine treue Besucherin der Frankfurter Buchmesse57. Zu ihrem 80. Geburtstag schließlich ehrte sie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels für ihre Lebensarbeit und ihre Verdienste um die Verbreitung deutscher Literatur in den Vereinigten Staaten. Mary S. Rosenberg ist 1992 in New York gestorben58. Ihr Geschäft wurde von einem langjährigen Mitarbeiter übernommen, der es heute unter der Firmierung German Book Center mit einem Ladengeschäft in Manhattan und einem Buchversand in upstate New York weiterführt 59 . In seinem Dankschreiben an Felix Guggenheim prophezeite Dr. Henry H. Hausner, ein New Yorker Subskribent der Privatdrucke, bereits 1944: «Die Pazifische Presse hat mit dieser Buchreihe eine Kulturtat geleistet, die wahrscheinlich erst später einmal richtig gewürdigt werden wird.» Als verlegerische Episode des Exils ist die Pazifische Presse allerdings nach dem Krieg bald in Vergessenheit geraten und auch von der Exilforschung lange Zeit vernachlässigt worden 60 . In der Rückschau werden die Verdienste dieser zwar kleinen, aber engagierten Kulturinitiative zweier Emigranten und ihrer Partner bei Herstellung und Vertrieb der Bücher nun um so deutlicher. Im übrigen haben Gottlieb und Guggenheim mit ihrer Prognose Recht behalten, daß die Privatdrucke der Pazifischen Presse ihre

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Besitzer «noch zu einer Zeit erfreuen werden, wenn Hitler längst zu einem düsteren Kapitel im Buch der Geschichte geworden ist».

Anmerkungen Eine Kurzfassung dieses Beitrags erschien in Aus dem Antiquariat, Nr. 11 (1998), S. A766-A777 ; eine erweiterte englische Fassung unter dem Titel New Weimar on the

Pacific. The Pazifische Presse und German Exile Publishing in Los Angeles 1942-48 (Los Angeles: Victoria Dailey Publisher, 2000). 1

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Vgl. Robert E. Cazden, German Exile Literature in America 1933-1950. A History ofFree German Press and Book Trade. 2. Aufl. (Chicago: American Library Association, 1970), dort S. 112f. und 203f. zur Pazifischen Presse. Vgl. u.a. Wulf Koepke «Exilautoren und ihre deutschen und amerikanischen Verleger in New York«, in Deutsche Exilliteratur seit 1933, Bd. 2. New York, Teil 2. Hrsg. John M. Spalek und Joseph Strelka (Bern: Franke, 1989), S. 1409-1445, dort S. 1431 auch zur Pazifischen Presse. Vgl. u.a. Deutsche Exilliteratur seit 1933, Bd. 1. Kalifornien, Teile 1 und 2. Hrsg. John M. Spalek und Joseph Strelka (Bern/München: Francke, 1976); Anthony Heilbut, Exiled in Paradise. German Refugee Artists and Intellectuals in America, from the 1930s to the Present (NY: Viking, 1983), S. 261ff.; Jarrel C. Jackmann «German Émigrés in Southern California«, in The Muses Flee Hitler. Cultural Transfer and Adaption 1930-1945. Hrsg. Jarrel C. Jackmann und Carla M. Borden (Washington: Smithsonian Institution Press, 1983), S. 95-110; Ehrhard Bahr, «Literary Weimar in Exile. German Literature in Los Angeles, 1940-1958», in Literary Exiles & Refugees in Los Angeles. Hrsg. Ehrhard Bahr und Carolyn See (LA: William Andrews Clark Memorial Library, Univ. of California, Los Angeles, 1988); Cornelius Schnauber, Spaziergänge durch clos Hollywood der Emigranten (Zürich: Arche, 1992); Lawrence Weschler, «Paradise. The Southern California Idyll of Hitler's Cultural Exiles», in Exiles + Emigrés. The Flight of European Artitsfrom Hitler. Hrsg. Stephanie Barron (LA: Los Angeles County Museum of Art; NY: Abrams, 1997), S. 341-361; Kevin Starr, The Dream Endures. California Enters the 1940s (NY/Oxford: Oxford University Press, 1997), S. 363-374 & 426f.; Holger Gumprecht, New Weimar unter Palmen. Deutsche Schriftsteller im Exil in Los Angeles (Berlin: Aufbau, 1998). Ein Teil des Geschäftsarchives der «Pazifischen Presse» hat sich in Los Angeles in Privatbesitz erhalten. Die dort dokumentierte Korrespondenz umfaßt den Zeitraum 31. März 1944 bis 14. August 1945. Alle im folgenden nicht anderweitig nachgewiesenen Zitate und Informationen beziehen sich auf diese Quelle. Aufbau (NY), 20. Okt. 1942, S. 15. Aufbau (NY). 4. Dez. 1942, S. 19. Die Aufsätze von Paetel sind dann 1946 zweibändig im Verlag des New Yorker Buchhändlers Friedrich Krause erschienen.

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Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Friedrich Torberg Nachlaß, Korrespondenzbestand «Gottlieb» (daraus auch die übrigen Zitate aus Briefen von Gottlieb an Torberg). Die vermischten Texte von Friedrich Torberg erschienen erst 1964 unter dem Titel PPP. Pampbiete — Parodien — Post Scripta bei Langen-Müller in München. Vgl. Tyrus G. Harmsen, The Plantin Press of Saul and Lillian Marks (LA: Dawson's Book Shop, 1960); Wallace Nethery, «Saul Marks, Master Printer 1905-1974», in Coranto. Journal ofthe Friends of the Libraries University of Southern California, X, Nr. 1 (1975), S. 3-6; Lillian Marks, Saul Marks and tbe Plantin Press. The Life & Work of a Singular Man (LA: Plantin Press, 1980). Das Firmenarchiv der 1986 aufgelösten Plantin Press, darunter auch Dokumente zur Zusammenarbeit mit der Pazifischen Presse, befindet sich in der William Andrews Clark Memorial Library, University of California, Los Angeles. Die Auflagenzahl dieser drei Bände läßt sich selbst nach den Archivunterlagen der Pazifischen Presse und der Plantin Press nicht exakt bestimmen, da entsprechende Angaben dort entweder fehlen oder widersprüchlich sind. Vgl. auch die bibliographishen Nachweise (ad vocem) bei Wilhelm Sternfeld und Eva Tiedemann, Deutsche Exilliteratur 1933-1945. 2. Aufl. (Heidelberg: Lambert Schneider, 1970), S. 576; Deutsches Exilarchiv 1933-1945. Katalog der Bücher und Broschüren. Hrsg. Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main (Stuttgart: Metzler, 1989); Gero von Wilpert und Adolf Gühring, Erstausgaben deutscher Dichtung. Eine Bibliographie zur deutschen Literatur 1600-1900. 2. Aufl. (Stuttgart: Kröner, 1992). The Ten Commandments. Ten short novels ofHitler's war against the moral code. With a preface by Herman Rauschning. Hrsg. Armin L. Robinson (NY: Simon & Schuster, 1943); Die zehn Gebote. Zehn Erzählungen über Hitlers Krieg gegen die Moral. Mit einem Vorwort von Hermann Rauschning. Hrsg. Armin L. Robinson. Aus dem Englischen und Französischen von Ulrich Walberer (Frankfurt: Fischer Taschenbuchverlag, 1988). Die Thomas-Mann-Literatur wird hier in der gebräuchlichen Kurzform zitiert: Br II Thomas Mann. Briefe 1937-1947. Hrsg. Erika Mann (Frankfurt/M: S. Fischer, 1963); TM/GBF - Thomas Mann. Briefwechsel mit seinem Verleger Gottfried Bermann Fischer 1932-1955. Hrsg. Peter de Mendelsohn (Frankfurt/M: S. Fischer, 1973); DüD I-III Dichter über ihre Dichtungen, Bd. 14, I-UI. Thomas Mann. Hrsg. Hans Wysling (Frankfurt/M: S. Fischer, 1975-1981); RR I - f f l - Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Hrsg. Hans Bürgin und Hans Otto Mayer (Frankfurt/M: S. Fischer, 1976-1982); TB 40-43 - Thomas Mann. Tagebücher 1940-1943. Hrsg. Peter de Mendelsohn (Frankfurt/M: S. Fischer, 1982); TB 44-46 - Thomas Mann. Tagebücher 1944-1.4.1946. Hrsg. Inge Jens (Frankfurt/M: S. Fischer, 1986); TB 46-48 - Thomas Mann. Tagebücher 28.5.1946 - 31.12.1948. Hrsg. Inge Jens (Frankfurt/M: S. Fischer, 1989); TB 49/50 - Thomas Mann. Tagebücher 1949-1950. Hrsg. Inge Jens (FrankfurtAI: S. Fischer, 1991); TM-Widm. - Herzlich zugeeignet. Widmungen von Thomas Mann 1887-1955. Hrsg. Gert Heine und Paul Schommer (Lübeck: Dräger, 1998). Vgl. Hilde Kahn-Reach «Thomas Mann, mein Boß», Neue Deutsche Hefte, XX, Nr. 2 (1973), S. 51-64.

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DIE PA ZIFISCHE PRESSE Feuchtwanger Memorial Library, University of Southern California (USC), Los Angeles, Korrespondenz-Bestand «Robinson». Aufbau (NY), 30. Juni 1944, S. 14. Aufbau (NY), 7. Juli 1944, S. 6 und 25. AußatfNY), 19. Jan. 1945, S. 14. Vgl. auch die Voranzeige im Aufbau (NY), 22. Dez. 1944, S. 41, und die Besprechung von Ludwig Marcuse im Aufbau (NY), 19. Jan. 1945, S. 13f. Münchner Stadtbibliothek, Literaturarchiv der Monacensia, Briefe von Erika Mann an Felix Guggenheim vom 11. Jan. und 9. Feb. 1958. Feuchtwanger Memorial Library (s. Anm. 16), Korrespondenz-Bestände «Gottlieb» und «Guggenheim» (daraus auch die übrigen Zitate). Ebda., Korrespondenz-Bestand «Jewish Club of 1933, Inc.». Vgl. ebenso Aufbau (NY), 12. Okt. 1945, S. 18. Lion Feuchtwanger — Arnold Zweig. Briefwechsel 1933-1958. 2 Bde. Hrsg. Harold von Hofe (Berlin/Weimar: Aufbau, 1984), I, S. 304f. Außau (NY), 3. Sept. 1948, S. 11. Lion Feuchtwanger. Briefwechsel mit Freunden 1933-1958.2 Bde. Hrsg. Harold von Hofe und Sigrid Washburn (Berlin: Aufbau, 1991), I, S. 68. — Die von Feuchtwanger erhofften Aufführungen des Stückes in Los Angeles und New York kamen damals allerdings nicht zustande. Die Uraufführung fand vielmehr am 15. März 1949 im Kleinen Theater am Zoo in Frankfurt/M. statt, die Premiere in den United States sogar erst am 20. Februar 1952 im Circle Theatre in Hollywood. Ebda., S. 71. Ebda., II, S. 133f. Feuchtwanger Memorial Library (s. Anm. 16), Korrespondenz-Bestand «Guggenheim». von Hofe (s. Anm. 23), II, S. 80f. von Hofe/Washburn (s. Anm. 26), I, S. 494. von Hofe (s. Anm. 23), II, S. 271. Ebda., S. 276. Zu Feuchtwangers Bibliothek vgl. Harold von Hofe «Lion Feuchtwanger: The Writer and the Library», Coranto. Journal of the Friends of the Libraries University of Southern California, II, Nr. 1 (1964), S. 3-11; Roland Jaeger «: Lion Feuchtwanger als Büchersammler», Aus dem Antiquariat, Nr. 5 (1998), S. A330-A341. Abzüge von vielen dieser Fotos befinden sich im Thomas Mann-Archiv der E T H Zürich. Weitere Fotografen, die den Schriftsteller (und andere prominente Emigranten in Los Angeles) in dieser Zeit häufiger porträtiert haben, waren Florence Homolka, Yousuf Karsh, Lotte Lehmann, George Platt Lynes und Fred Stein. University of California, Los Angeles (UCLA), University Research Library, Special Collections, Coll. 113 (Thomas Mann), Box 34. Erika Mann «Brief an meinen Vater», in Außau (NY), 8. Juni 1945, S. 7. Vgl. Antiquarian Booksellers Association of America. The Southern California Chapter. Bulletin, Nr. 2 (1957), S. 5. KLS ( - Kurt L. Schwarz), «Ernest Gottlieb», Antiquarian Bookman, XXVÜI, Nr. 14 (1961), S. 1168; Ders. «Ernest E. Gottlieb (1903-1961)», Börsenblatt für den Deutschen

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Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, Nr. 95 (1961), S. 2072 (gleichlautend in Musikhandel, XXH, 1961, S. 439). Vgl. Erich Bloch, Geschichte der Juden von Konstanz (Konstanz: Rosgarten, 1971), S. 211-214; Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Hrsg. Werner Röder, Werner und Herbert A. Strauss (München/NY/London u.a.: K. G. Saur, 1980), I, S. 253; Joseph Walk, Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918-1945 (München/NY/London/Paris: K.G. Saur, 1988), S. 130. Max Tau, Das Land das ich verlassen mußte (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1961), S. 260f. Vgl. Thea Kirfel-Lenk, «Die Deutsch-Jüdischen Clubs in New York und Los Angeles und ihr kulturpolitisches Organ Aufbau», in Exil in den USA. Hrsg. Eike Middell (Frankfurt: Röderberg, 1980), S. 115-142. Vgl. z.B. Felix Guggenheim, «In brennender Sorge ... Refugee-Classification — ein arbeitet. Otto Strassers », Aufbau (NY), 17. Apr. 1942, S. 7; Zur Mühlen, «Der im Exil» (Anm. 47), S. 147 ff.; zum kanadischen Exil siehe Robert H. Keyserlingk, «Die deutsche Komponente in Churchills Strategie der nationalen Erhebung 1940-1942. Der Fall Otto Straßer», Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, XXXI (1983), S. 614-645; C[laude] R. Owen, «Disquiet and discontent. The Story of Dr. Otto Strasser's Exile in Canada», unveröffentl. Ms. o.O. [Ontario], 1976 (mit umfassender Bibliographie der von Strasser in der angloamerikanischen und deutschsprachigen Presse in Nordamerika verfaßten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel); Douglas Reed, Theprisonerfrom Ottawa: Otto Strasser (London: Jonathan Cape, 1953); Waltraud Strickhausen, «Kanada», in C.-D. Krohn, Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Sp. 294 f. Ohne Verf., Interview mit Otto Strasser nach seiner Ankunft in Canada, Die Zeit/El Tiempo (Montevideo), 31. Apr. 1941, S. 4. Zur organisatorischen Entwicklung der Frei-Deutschland-Bewegung: ohne Verf., «Aus der Frei-Deutschland-Bewegung», Die Zeit/El Tiempo (Montevideo), 15. Apr. 1941, S. 2; Bruno Fricke, «Rechenschaftsbericht der F[rei] Deutschland] Bfewegung] fuer die Jahre 1943 bis 1945», unveröffentl. Ms. o.O., o.J.; Institut für Zeitgeschichte (München), ED 118/20. FDB-Rundschreiben, Nr. 10 (Feb. 1942). Otto Strasser, Hitlers Sturz durch die Frei-Deutschland-Bewegung. Mit einer Einführung von Bruno Fricke (Buenos Aires: Alemania Libre, 1941), S. 14; zum Vorhergehenden vgl. FDB-Rundschreiben, Nr. 22 (Feb. 1943). Strasser, Hitlers Sturz durch die Frei-Deutschland-Bewegung (Anm. 89), S. 4. FDB-Rundschreiben, Nr. 16 (Aug. 1942). Zur Mühlen, «Der im Exil» (Anm. 47), S. 149. Vorgesehen für den Nationalrat waren Rauschning, Treviranus, Sollmann, Höltermann, Brüning, Thomas Mann und Strasser; vgl. Bruno Fricke, «Zur Einführung», in Strasser, Hitlers Sturz durch die Frei-Deutschland-Bewegung (Anm. 89), S. 2; vgl. August Siemsen, «Otto Strasser möchte Deutschland erneuern», Das andere Deutschland (Buenos Aires), 1. Jan. 1947, S. 8. Keyserlingk, «Die deutsche Komponente in Churchills Strategie der nationalen Erhebung» (Anm. 85), S. 637. Die Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien verbot im Februar 1942 ihren Mitgliedern jeglichen Kontakt zu Strasser und zur Schwarzen Front, die sie als Teil des deutschen Nationalismus bekämpfte; siehe Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer ergänzt durch andere Überlieferungen. Hrsg. v. Erich Matthias, bearb. v. Werner Link (Düsseldorf: Droste, 1968), S. 537. Zu Paul Strasser, der als Benediktiner den Ordensnamen Bernhard angenommen hatte und der immer großen Einfluß auf seinen Bruder ausübte, siehe Röder/Strauss, Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, S. 740; IfZ: ED 118/1; ohne

Wilhelm Grabe

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Verf., «Ein Leben im Schauen der Sippenhaft. P. Bernhard Strasser, der Bruder von Gregor Strasser, 70 Jahre alt», Straubinger Tageblatt, 21. März 1965. 95 Vgl. z.B. Otto Stolz, «Warum Otto Strasser unerwünscht ist. Kein Platz für Demagogen», Die Neue Zeitung (München), 12. März 1949; Cutachten über die »Schwarze Front» im Auftrag des Württ.-Bad-Justizministeriums, Abt. VI - Wiedergutmachung, Stuttgart. Ausgearb. v. Hermann Dürr und Hermann Münz; dagegen: Wolfgang Abendroth, «Das Problem der Widerstandstätigkeit der », Vierteljahrshefte ßr Zeitgeschichte (München), VIE (1960), S. 181-187. 96 «Aufruf. Kämpfer der Schwarzen Front», in Otto Strasser, Deutschlands Erneuerung (Buenos Aires: Editorial Trenkelbach, o.J. [1946]), S. 173 f., Zitat S. 174. 97 Zit. n. Manfred Jenke, Verschwörung von rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945 (Berlin: Colloquium Verlag, 1961), S. 270. Zu den Aktivitäten Strassers und seiner Anhänger nach 1945 siehe Erwin Klein, «Ein Erneuerer Deutschlands. Konfusion und Geltungsbedürfnis in Otto Strassers Programm», Rheinischer Merkur (Koblenz), 25. Feb. 1955, S. 4; ohne Verf., «An Anti-Hitler-Nazi. The Ideology of Otto Strassen-, The Wiener Library Bulletin (London), IX, Nr. 3/4 (1955), S. 28; Jenke, Verschwörung von rechtsS. 267ff.; Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalem since 1945 (Middletown, CT: Wesleyan Univ. Press, 1967), S. 109 ff.; Rainer Dohse, Der Dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955 (Hamburg: Holsten Verlag, 1974), S. 165 ff.; Richard Stöss, «Die Deutsch-Soziale Union», in ders. (Hrsg.), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980 (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1983), I, S. 1243-1278. 98 Rudolf Pechel, «Otto Strassers Ideen. Der Mann in Kanada und die deutsche Wirklichkeit», Welt am Sonntag (Hamburg), 27. Nov. 1949, S. 2; ohne Verf., «Zum ewigen Frieden. Vollendete Charakterbeschreibung», Der Spiegel (Hamburg), 1. Sept. 1949, S. 5-8. 99 Bezeichnenderweise konnte auch Herbert Blank nicht zur Mitarbeit gewonnen werden. Blank, 1949/50 kommissarischer Intendant am Nordwestdeutschen Rundfunk, wurde seine «Strasser-Vergangenheit» zum Verhängnis. Vgl. Grabe/Blank, «Ein biographischer Hinweis» (Anm. 10), S. 208 f.; ferner Kurt Hiller, «Streit um Hamburgs Intendanten. Herbert Blank und seine Strasser-Vergangenheit», Die Neue Zeitung (München), 9. Apr. 1949; ohne Verf. [d.i. Kurt Hiller], «Wie man 1932